Protokoll:
16230

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 230

  • date_rangeDatum: 2. Juli 2009

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 01:08 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/230 Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum G-8-Weltwirtschafts- gipfel vom 8. bis 10. Juli 2009 in L’Aquila Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Hans Eichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Schulz (Spandau), Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Unterstützung der Bewerbung der Landeshauptstadt München zur Aus- richtung der XXIII. Olympischen und XII. Paralympischen Winterspiele 2018 (Drucksachen 16/13481, 16/13649) . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Klaus Riegert, Norbert Barthle, Antje Blumenthal, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin Gerster, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der 25616 D 25616 D 25621 A 25623 B 25625 B 25628 A 25629 B 25630 A 25632 D 25634 A 25640 A Deutscher B Stenografisc 230. Si Berlin, Donnerstag I n h a Wahl des Abgeordneten René Röspel als Mit- glied im Senat des Hermann von Helm- holtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungs- zentren e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Gabriele Lösekrug- Möller als stellvertretendes Mitglied im Bei- rat bei der Bundesnetzagentur für Elektri- zität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückgängigmachung einer Ausschussüber- weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: 25613 A 25613 B 25613 B 25616 C Ortwin Runde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 25636 A 25637 B 25638 C undestag her Bericht tzung , den 2. Juli 2009 l t : Tagesordnungspunkt 5: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Sport fördert Integra- tion (Drucksachen 16/13177, 16/13578) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dagmar Freitag, Swen 25639 D SPD: Duale Karrieren im Spitzenspo fördern und den Hochschulsport strat gisch weiterentwickeln (Drucksachen 16/10882, 16/13057) . . . . rt e- . 25640 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 d) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin Gerster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gesellschaftli- che Bedeutung des Sports – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Positive Auswirkungen des Sports auf die Gesellschaft nutzen und weiter för- dern – zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin Göring- Eckardt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Maß- nahmen für eine moderne und zu- kunftsfähige Sportpolitik auf den Weg bringen (Drucksachen 16/11217, 16/11174, 16/11199, 16/13058) . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenab- schätzung (TA) TA-Projekt: Gendoping (Drucksachen 16/9552, 16/13059) . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Monika Lazar, Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Alle Formen von Diskriminierungen thematisieren – Bür- gerrechte von Fußballfans stärken – Für einen friedlichen und integrativen Fußballsport (Drucksachen 16/12115, 16/13504) . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doping- vergangenheit umfassend aufarbeiten (Drucksachen 16/13175, 16/13579) . . . . . Peter Rauen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25640 B 25640 C 25640 D 25640 D 25641 A 25642 A 25644 A Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Heynemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 76: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Claudia Roth (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts (Drucksache 16/13596) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 77: b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Ver- braucherkreditrichtlinie, des zivilrecht- lichen Teils der Zahlungsdiensterichtli- nie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht (Drucksachen 16/11643, 16/13669) . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rah- menbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwen- dung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentschei- dungen (Umsetzungsgesetz Rahmenbe- schluss Einziehung) (Drucksachen 16/12320, 16/13673) . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes- serung der sozialen Situation von Aus- länderinnen und Ausländern, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben (Drucksachen 16/445, 16/13493) . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Kersten Naumann, Petra Pau und der 25645 D 25647 D 25649 D 25650 D 25651 D 25653 C 25654 D 25656 A 25658 C 25659 A 25659 B 25659 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 III Fraktion DIE LINKE: Für die unbe- schränkte Geltung der Menschenrechte in Deutschland (Drucksachen 16/1202, 16/13493) . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Ahrendt, Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Den Kommunen an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Repu- blik die Zusammenarbeit mit diesen Ländern erleichtern (Drucksachen 16/456, 16/9696) . . . . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 15 Jahre nach Änderung des Grundrechts auf Asyl – Für einen rechtsstaatlichen Um- gang mit Schutzsuchenden in Deutsch- land und in der Europäischen Union (Drucksachen 16/8838, 16/10512) . . . . . . h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans- Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik – Von der Verpa- ckungsverordnung zur Wertstoffver- ordnung (Drucksachen 16/8537, 16/11974) . . . . . . i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans- Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mehrwegsysteme durch Lenkungsabgabe auf Einwegverpa- ckungen stützen (Drucksachen 16/11449, 16/11985) . . . . . j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mitbestim- mungsrechte von Kindern und Jugend- lichen erweitern – Partizipation umfas- send sichern (Drucksachen 16/7110, 16/12984) . . . . . . k) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Josef Philip Winkler, Wolfgang 25660 A 25660 B 25660 B 25660 C 25660 D 25661 A Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Visumfreie Einreise tür- kischer Staatsangehöriger für Kurzauf- enthalte ermöglichen (Drucksachen 16/12437, 16/13313) . . . . . l) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Kerstin Andreae, Peter Hettlich, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zügig Grundsteuerreform auf den Weg bringen (Drucksachen 16/1147, 16/13445) . . . . . . m) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Gerhard Schick, Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Besteuerung von Dienstwagen CO2-effizient ausrichten und Privilegien abbauen (Drucksachen 16/10978, 16/13447) . . . . . n) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bleihaltige Jagdmunition verbieten (Drucksachen 16/13173, 16/13529) . . . . . o) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Martina Bunge, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Vielfalt der Lebensweisen anerkennen und rechtliche Gleichbehandlung ho- mosexueller Paare sicherstellen (Drucksachen 16/5184, 16/13668) . . . . . . q) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Lobbyisten in den Ministerien – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Alexander Bonde, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Transparenz herstel- len – Empfehlungen des Bundes- rechnungshofes zur Mitarbeit von Beschäftigten aus Verbänden und Unternehmen in obersten Bundesbe- hörden zügig umsetzen (Drucksachen 16/9484, 16/8762, 16/13660) 25661 B 25661 C 25661 C 25661 D 25662 A 25662 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 r) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Karin Binder, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Effektiven Diskriminierungsschutz verwirklichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das europäische Antidiskriminierungs- recht weiterentwickeln – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN zu der Beratung der Großen An- frage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäi- scher Richtlinien zur Verwirkli- chung des Grundsatzes der Gleich- behandlung (Drucksachen 16/9637, 16/8198, 16/7536, 16/2033, 16/13675) . . . . . . . . . . . . . . . . . . s) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungs- antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. März 2009 in Brüssel und zum G-20-Gipfel am 2. April 2009 in London (Drucksachen 16/12298, 16/13626) . . . . . t) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunft schaf- fen, Bildung stärken – Bildungspoliti- 25662 D 25663 C sche Herausforderungen als gesamt- staatliche Aufgabe ernst nehmen (Drucksachen 16/12687, 16/13587) . . . . . u) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Renate Gradistanac, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Tourismuskooperation und Jugendaustausch mit den neuen EU- Staaten fördern (Drucksachen 16/12730, 16/13580) . . . . . v) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Carsharing- Stellplätze baldmöglichst privilegieren (Drucksachen 16/12863, 16/13582) . . . . . w) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umsetzung der Bologna-Beschlüsse kritisch beglei- ten – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bologna-Reform verbessern – Studienqualität erhöhen und soziale Dimension stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Problem der ungenutzten Stu- dienplätze in zulassungsbeschränk- ten Studiengängen umgehend lösen – Staatsvertrag jetzt vereinbaren (Drucksachen 16/11910, 16/12736, 16/12476, 16/13586) . . . . . . . . . . . . . . . . x) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitslo- 25663 D 25664 A 25664 B 25664 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 V sengeld I in der Krise befristet auf 24 Monate verlängern (Drucksachen 16/13368, 16/13627) . . . . . y) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Winfried Hermann, Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Bahnanbindung für den Flughafen Berlin Brandenburg Interna- tional optimieren und beschleunigen (Drucksachen 16/13397, 16/13653) . . . . . aa) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 14 über die dem Deutschen Bundestag zu- geleiteten Streitsachen vor dem Bundes- verfassungsgericht (Drucksache 16/13676) . . . . . . . . . . . . . . . bb)Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen – 1. BImSchV) Drucksachen 16/13100, 16/13263 Nr. 2.1, 16/13678) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Wei- terentwicklung des bundesweiten Aus- gleichsmechanismus (AusglMechV) (Drucksachen 16/13188, 16/13263 Nr. 2.2, 16/13651) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd)Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Grünbuch TEN-V: Überprüfung der Politik Ein besser integriertes transeuropäi- sches Verkehrsnetz im Dienst der ge- meinsamen Verkehrspolitik KOM(2009) 44 endg.; Ratsdok. 6135/09 (Drucksachen 16/12188 Nr. A.25, 16/13585) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Antrag der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Jan Mücke, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neubau der Dresdner Bahn beschleunigen – Schie- nenanbindung Berlin Brandenburg In- ternational (Drucksache 16/13183) . . . . . . . . . . . . . . . ff) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Michael Kauch, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 25665 A 25665 A 25665 B 25665 C 25665 D 25665 D 25666 A der FDP: Innovativen Lärmschutz an Schienenwegen erproben – Strecke Em- merich–Oberhausen zur Teststrecke machen (Drucksache 16/13179) . . . . . . . . . . . . . . gg)–tt) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 585, 586, 587, 588, 589, 590, 591, 592, 593, 594, 595, 596, 597 und 598 zu Petitionen (Drucksachen 16/13453, 16/13454, 16/13455, 16/13456, 16/13457, 16/13458, 16/13459, 16/13460, 16/13461, 16/13462, 16/13463, 16/13464, 16/13465, 16/13466) . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Einkommensteu- ergesetzes (Drucksachen 16/7519, 16/13530) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Irmingard Schewe-Gerigk, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen stärken – Frieden sichern – Geschlech- tergerechtigkeit in der Entwicklungszu- sammenarbeit und der Konfliktbear- beitung vorantreiben (Drucksachen 16/10340, 16/13505) . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Entwicklungs- länder bei der Bewältigung der Wirt- schafts- und Finanzkrise unterstützen (Drucksachen 16/13003, 16/13706) . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Vorschlag für eine Ver- ordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zur Festlegung von Gemeinschafts- verfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errich- 25666 B 25666 B 25667 D 25668 A 25668 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 tung einer Europäischen Arzneimit- tel-Agentur in Bezug auf die Infor- mation der breiten Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Hu- manarzneimittel (inkl. 17498/08 ADD 1 und 17498/08 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) KOM(2008) 662 endg.; Ratsdok. 17498/08 – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla- ments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskode- xes für Humanarzneimittel in Be- zug auf die Information der breiten Öffentlichkeit über verschreibungs- pflichtige Arzneimittel KOM(2008) 663 endg.; Ratsdok. 17499/08 (Drucksachen 16/11819 A.15, 16/11819 A.16, 16/13266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Ände- rung der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Ra- tes über die Schutzdauer des Urheber- rechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (inkl. 12217/08 ADD 1 und 12217/08 ADD 2) KOM(2008) 464 endg.; Ratsdok. 12217/08 (Drucksachen 16/10286 Nr. A.21, 16/13674) f) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Paul K. Friedhoff, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kommunen bei der Finanzierung von Bahnübergängen ent- lasten (Drucksache 16/13448) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Stefan Müller (Erlangen), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Willi Brase, Ulla Burchardt, Dieter Grasedieck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Priska Hinz (Her- born), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrahmens (Drucksache 16/13615) . . . . . . . . . . . . . . . 25668 C 25668 D 25669 A 25669 A h) Antrag der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Christian Carstensen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Zulässigkeit von Kindertagesstätten in reinen Wohngebieten verbessern (Drucksache 16/13624) . . . . . . . . . . . . . . i)–z) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 599, 600, 601, 602, 603, 604, 605, 606, 607, 608, 609, 610, 611, 612, 613, 614, 615 und 616 zu Petitionen (Drucksachen 16/13628, 16/13629, 16/13630, 16/13631, 16/13632, 16/13633, 16/13634, 16/13635, 16/13636, 16/13637, 16/13638, 16/13639, 16/13640, 16/13641, 16/13642, 16/13643, 16/13644, 16/13645) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durch- führung der Gemeinsamen Marktorga- nisationen und der Direktzahlungen (Drucksachen 16/12231, 16/12517, 16/13081, 16/13607) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (Drucksachen 16/12854, 16/13016, 16/13358, 16/13608) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldt- forum“ – Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP (Drucksache 16/13661) . . . . . . . . . . . . . . – Wahlvorschläge der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 16/13705) . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu Meinungsverschieden- heiten in der CDU/CSU über Steuersen- kungsvorhaben und deren Finanzierung . . 25669 B 25669 C 25671 B 25671 C 25671 D 25671 D 25672 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 VII Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . Lydia Westrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Simone Violka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Energieaußenpolitik der Bundes- regierung (Drucksachen 16/10386, 16/13276) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Energieau- ßenpolitik für das 21. Jahrhundert – zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Hans-Kurt Hill, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Konse- quente Energiewende statt Militari- sierung der Energieaußenpolitik – zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute Koczy, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ener- gie, Sicherheit, Gerechtigkeit (Drucksachen 16/6796, 16/8881, 16/8181, 16/9826) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine zukunftsfähige Energieaußenpolitik (Drucksache 16/13611) . . . . . . . . . . . . . . . 25672 B 25673 B 25674 A 25675 C 25676 C 25677 D 25679 B 25680 B 25681 D 25683 B 25684 D 25685 C 25686 D 25688 A 25688 A 25688 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Un- tersuchungsausschusses nach Art. 44 des Grundgesetzes (Drucksache 16/13400) . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD) . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zwei- ten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 (Zweites Nach- tragshaushaltsgesetz 2009) (Drucksachen 16/13000, 16/13386, 16/13588, 16/13589) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erika Ober (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . Susanne Jaffke-Witt (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 25688 B 25689 D 25691 B 25692 D 25694 B 25695 C 25697 B 25699 B 25700 B 25700 C 25702 A 25703 C 25706 A 25706 D 25707 B 25709 A 25710 D 25711 C 25712 C 25713 C 25715 A 25716 C 25717 D 25719 B 25719 C 25721 C 25723 C 25725 A VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Alterssicherung der Selbständi- gen verbessern (Drucksache 16/11672) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Rauen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung deut- scher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Inter- nationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 (2008) des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen (Drucksachen 16/13377, 16/13597) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/13680) . . . . . . . . . . . . . . . Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25727 A 25729 C 25731 B 25732 B 25733 C 25733 C 25734 D 25736 C 25737 B 25738 D 25740 A 25740 A 25740 B 25742 D 25743 D 25745 A 25746 B 25747 C 25748 B 25749 B 25751 C Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erhöhung des Schonvermögens im Alter für Bezieher von Arbeitslosengeld II (Drucksachen 16/5457, 16/12912) . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Frie- densmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen vom 24. März 2005 und Fol- geresolutionen (Drucksachen 16/13395, 16/13598) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/13681) . . . . . . . . . . . . b) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/ UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Re- solution 1769 (2007) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen (Drucksachen 16/13396, 16/13599) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/13682) . . . . . . . . . . . . Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 25749 C 25749 D 25753 B 25755 A 25756 C 25757 C 25758 C 25760 C 25758 C 25758 D 25758 D 25759 A 25759 B 25762 B 25763 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 IX Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 72: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht (Drucksachen 16/12849, 16/13556) . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2009 und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 16/12900) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Marion Seib, Stefan Müller (Erlan- gen), Michael Kretschmer, weiterer 25764 D 25765 C 25766 D 25767 B 25767 C 25768 A, B 25771 C, 25773 B 25768 B 25768 C 25770 C 25776 A 25777 C 25780 A 25781 A 25782 B 25782 C 25782 D 25786 D 25783 A Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Nanotechnologie – Gezielte Forschungsförderung für zukunfts- trächtige Innovationen und Wachs- tumsfelder – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nano- technologie für die Gesellschaft nut- zen – Risiken vermeiden – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Nanotechno- logie-Bericht vorlegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Hans-Josef Fell, Birgitt Bender, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Nanotechnologie – Forschung verstärken und Vorsor- geprinzip anwenden (Drucksachen 16/12695, 16/7276, 16/4757, 16/7115, 16/13593) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Priska Hinz (Herborn), Kerstin Andreae, Christine Scheel, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen durch steuerliche Förderung gezielt stärken (Drucksachen 16/12894, 16/13646) . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Monika Knoche, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Öffentlich finanzierte Pharmainnovationen zur wirksamen Bekämpfung von ver- nachlässigten Krankheiten in den Entwicklungsländern einsetzen – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Mitteilung der Kommis- sion an das Europäische Parlament und den Rat zum Fortschrittsbe- richt über das Programm „Partner- schaft Europas und der Entwick- lungsländer im Bereich klinischer 25783 A 25783 C X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Studien“ (inkl. 15521/08 ADD 1 und 15521/08 ADD 2) (ADD 1 in Eng- lisch) KOM(2008) 688 endg.; Ratsdok. 15521/08 (Drucksachen 16/12291, 16/11517 A.35, 16/13595) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Angelika Brunkhorst, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Nanotechnologien – Schlüssel zur Stärkung der technologi- schen Leistungskraft Deutschlands (Drucksache 16/13450) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Moratorium für die elektronische Gesundheitskarte – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Recht auf informatio- nelle Selbstbestimmung bei der Einfüh- rung der elektronischen Gesundheits- karte gewährleisten (Drucksachen 16/11245, 16/12289, 16/13650) Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung elek- tronischer Anmeldungen zum Vereins- register und anderer vereinsrechtlicher Änderungen (Drucksachen 16/12813, 16/13542) . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen (Drucksachen 16/10120, 16/13537) . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 25783 C 25783 D 25784 D 25785 B 25785 C 25785 D 25789 A 25789 D 25791 B 25792 A Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Präventionsgesetz auf den Weg bringen – Primärprävention um- fassend stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftli- che Aufgaben stärken – Gesellschaftli- che Teilhabe für alle ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eigenverantwor- tung und klare Aufgabenteilung als Grundvoraussetzung einer effizienten Präventionsstrategie (Drucksachen 16/7284, 16/7471, 16/8751, 16/13071) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Finanz- markt- und der Versicherungsaufsicht (Drucksachen 16/12783, 16/13113, 16/13684) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Schließung kreditwirtschaftli- cher Aufsichtslücken (Drucksachen 16/12884, 16/13684) . . . . . Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) (Drucksachen 16/12344, 16/13247) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ 25793 B 25793 D 25793 D 25794 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XI DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz (Drucksachen 16/12345, 16/13247) . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erb- und Ver- jährungsrechts (Drucksachen 16/8954, 16/13543) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Mitte stärken – Mittelstand ins Zentrum der Wirtschaftspolitik rücken (Drucksachen 16/12326, 16/13148) . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie – zu der Unterrichtung durch den Nationa- len Normenkontrollrat: Jahresbericht 2008 des Nationalen Normenkontroll- rates Bürokratieabbau – Jetzt Entscheidun- gen treffen – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Bericht der Bundesregierung 2008 zur Anwendung des Standardkos- ten-Modells und zum Stand des Büro- kratieabbaus (Drucksachen 16/10039, 16/10285 Nr. 15, 16/11486, 16/13146) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Gesine Lötzsch, Kersten Naumann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: 25794 C 25795 A 25795 B 25795 C 25796 B 25796 D 25797 D 25798 C 25799 B Gleichberechtigte Entschädigung von Strahlenopfern in Ost und West schaffen – Umfassendes Radaropfer-Entschädigungs- gesetz einführen (Drucksachen 16/8116, 16/13662) . . . . . . . . . Monika Brüning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hedi Wegener (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Straf- verfahren (2. Opferrechtsreformge- setz) (Drucksachen 16/12098, 16/13671) . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeu- gen im Strafverfahren (2. Opfer- rechtsreformgesetz) (Drucksachen 16/12812, 16/13671) . . – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Opfer von Zwangshei- rat und schwerem „Stalking“ (Drucksachen 16/9448, 16/13671) . . . – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Op- ferschutzes im Strafprozess (Drucksachen 16/7617, 16/13671) . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Opferinteressen ernst nehmen – Opferschutz stärken (Drucksachen 16/7004, 16/13671) . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sibylle Laurischk, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Konrad Schily und weiteren Abgeordneten einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Genitalverstümmelung (Drucksachen 16/12910, 16/13667) . . . . . 25799 C 25799 D 25800 C 25801 C 25802 A 25802 D 25803 C 25803 C 25803 D 25803 D 25803 D 25804 A XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Genmais-Anbau gegen den Willen der Bürger in der EU (Drucksachen 16/13398, 16/13663) . . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten (Drucksachen 16/9898, 16/13652) . . . . . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Spielmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- 25804 B 25805 A 25806 B 25807 B 25808 C 25810 C 25811 C 25813 B 25813 C 25814 C 25815 C 25816 C 25817 C 25818 B 25819 D 25820 A 25820 D 25821 D 25822 A 25822 D 25823 C ordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Harald Leibrecht, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Erweiterung des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs – Ver- weigerung und Behinderung von huma- nitärer Hilfe bestrafen (Drucksachen 16/11186, 16/13497) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl Addicks, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein kohärentes und effizientes Konzept der deutschen humanitären Hilfe (Drucksachen 16/7523, 16/13304) . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- politik 2007/2008 (Drucksachen 16/10962, 16/13621) . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Sonderstellung der Bundeswehr an Schulen (Drucksachen 16/13060, 16/13664) . . . . . . . . Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Thießen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25824 A 25824 B 25824 C 25826 B 25826 D 25827 D 25829 B 25830 A 25830 D 25831 A 25833 A 25835 B 25836 A 25836 D 25837 D 25837 D 25838 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XIII Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Stadtentwicklungsbericht 2008 (Drucksachen 16/13130, 16/13665) . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Weis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: a) Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Indien-Politik der Bun- desregierung (Drucksachen 16/11485, 16/13312) . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reformprozesse in Indien unterstützen (Drucksache 16/13610) . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Johannes Pflug (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Drucksachen 16/10700, 16/13236) . . . . . . . . 25839 C 25840 A 25841 A 25841 C 25841 D 25842 D 25844 A 25845 A 25846 C 25847 D 25848 D 25848 D 25849 A 25849 D 25850 C 25851 C 25852 B 25853 B Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ernst Kranz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans- Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Effiziente und ökologische Energie- und Wertholzproduktion in Agro- forstsystemen ermöglichen – Ökologische Vorteilswirkungen von Agroforstsystemen erforschen (Drucksachen 16/8409, 16/12516) . . . . . . . . . Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU) . . . . . Dr. Gerhard Botz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung: Änderungen der Geschäfts- ordnung des Deutschen Bundestages hier: a) Nachträglicher Ausschluss von Mitglie- dern des Bundestages von Plenarsitzun- gen (§ 38 GO-BT) b) Reden zu Protokoll (§ 78 GO-BT) c) Sprachliche Beratung bei der Formulie- rung von Gesetzestexten (§ 80 a GO-BT) (Drucksache 16/13492) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25853 C 25855 C 25856 D 25857 C 25858 C 25859 C 25859 D 25860 D 25861 C 25862 D 25863 D 25864 B 25864 C 25865 B 25866 A 25867 D 25868 D 25869 D XIV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Tagesordnungspunkt 35: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Strommarkt durchgreifend regulie- ren – Energiepreissenkungen durch- setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Nicole Maisch, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Manipulierte Strompreise – Verbraucherinteressen wahren (Drucksachen 16/11908, 16/12692, 16/13069) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans- Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Das Energiekartell aufbre- chen – Für Klimaschutz, Wettbe- werb und faire Energiepreise (Drucksachen 16/8079, 16/8536, 16/9495) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Energiekosten senken – Mehr Netto für die Verbraucher (Drucksachen 16/9595, 16/10506) . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- 25870 C 25870 D 25870 D 25871 A 25873 A 25875 A 25876 B 25876 D torsicherheit zu der Verordnung der Bundes- regierung: Verordnung über die Versteigerung von Emissionsberechtigun- gen nach dem Zuteilungsgesetz 2012 (Emissionshandels-Versteigerungsverord- nung 2012 – EHVV 2012) (Drucksachen 16/13189, 16/13263 Nr. 2.3, 16/13677) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Drucksachen 16/10837, 16/13149) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/13150) . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechts- staatlichkeit in Russland stärken (Drucksache 16/13613) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Frank Schäffler, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Attraktivität von Au- pair-Beschäftigungen steigern (Drucksachen 16/9481, 16/12724) . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25878 B 25878 B 25879 A 25880 D 25881 C 25882 B 25882 D 25883 A 25883 A 25884 B 25885 B 25886 A 25886 D 25887 C 25887 D 25887 D 25889 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XV Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Verordnung über Anforde- rungen an eine nachhaltige Herstellung von flüssiger Biomasse zur Stromerzeu- gung (Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverord- nung – BioSt-NachV) (Drucksachen 16/13326, 16/13507 Nr. 2, 16/13685) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Werner Dreibus, Dr. Gesine Lötzsch, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Achtund- zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes (Drucksachen 16/6629, 16/13584) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Jens Ackermann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Orientierung und verbesserte Berufs- perspektiven durch Praktika schaffen (Drucksachen 16/6768, 16/13584) . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Neue Chancen für die berufliche Bildung – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Recht auf Ausbildung umsetzen – Ausbildungssystem re- formieren, überbetriebliche Ausbil- dungsstätten ausbauen und Über- gangsmaßnahmen anrechnen (Drucksachen 16/12665, 16/12680, 16/13686) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25890 C 25891 B 25892 A 25892 D 25893 A 25893 A 25893 B Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Gabriele Hiller-Ohm, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aus- und Weiterbildung in der Tou- rismuswirtschaft verbessern (Drucksache 16/13614) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 40: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Le- ben am Lebensende – Bessere Rahmenbe- dingungen für Schwerkranke und Ster- bende schaffen (Drucksachen 16/9442, 16/13246) . . . . . . . . . Maria Eichhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christian Kleiminger (SPD) . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalso- zialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Drucksache 16/13654) . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Christine Lambrecht, Wolfgang Wieland und weiteren Abgeordneten ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes zur 25893 C 25894 A 25895 B 25895 D 25896 C 25898 B 25898 C 25898 C 25899 D 25900 C 25901 C 25902 B 25903 B 25904 C XVI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Aufhebung nationalsozialistischer Un- rechtsurteile in der Strafrechtspflege (Drucksache 16/13405) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Leibrecht, Gudrun Kopp, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Deutsche Unternehmen vor chinesi- scher Produktpiraterie und Diskriminie- rung schützen (Drucksachen 16/4207, 16/6963) . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Förderung von Vertrauen, Sicher- heit und Datenschutz in E-Government und E-Business (Drucksache 16/13618) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 42: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Frak- tion DIE LINKE: Bundesausbildungsförde- rung an die Studienrealität anpassen und Strukturreform vorbereiten (Drucksachen 16/12688, 16/13592) . . . . . . . . Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD) . . . . . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 43: Antrag der Abgeordneten Alexander Bonde, Anna Lührmann, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- 25904 D 25904 D 25905 A 25906 B 25907 B 25908 A 25908 C 25909 B 25909 C 25909 D 25911 B 25912 A 25912 B 25913 B 25914 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Konjunkturpaketen sicherstellen (Drucksache 16/12475) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Michael Kauch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Miet- rechtsänderungen zur Erleichterung klima- und umweltfreundlicher Sanierun- gen (Drucksachen 16/7175, 16/12370) . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 45: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Krankenver- sicherung für Selbständige bezahlbar ge- stalten (Drucksachen 16/12734, 16/13260) . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 46: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes- 25915 A 25915 A 25916 A 25917 B 25918 B 25918 D 25919 D 25919 D 25921 A 25921 D 25923 A 25924 A 25925 A 25925 B 25926 A 25926 D 25927 B 25928 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XVII serung des Verfahrens zur Wahl der Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichter (Drucksachen 16/9628, 16/13670) . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 47: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Martin Zeil, Cornelia Pieper, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Luft- fahrttechnologie und Luftfahrtindustrie in Deutschland – Neue Ziele für saubere Um- welt und sichere Arbeitsplätze (Drucksache 16/8410) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 48: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auch Verletztenrenten früherer NVA-An- gehöriger der DDR anrechnungsfrei auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen (Drucksachen 16/13182, 16/13622) . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 49: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Ekin Deligöz, Irmingard Schewe- 25929 A 25929 A 25930 D 25931 B 25932 A 25933 A 25934 A 25934 A 25936 B 25937 B 25938 B 25938 D 25939 D 25940 A 25940 C 25942 A 25942 D 25943 B Gerigk, Priska Hinz (Herborn), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Sorgerechtsregelung für Nichtverheiratete reformieren (Drucksachen 16/9361, 16/13446) . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 50: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans- Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Biotechnologische Innovatio- nen im Interesse von Verbrauchern und Landwirten weltweit nutzen – Biotechnolo- gie ein Instrument zur Bekämpfung von Armut und Hunger in den Entwicklungs- ländern (Drucksachen 16/6714, 16/11450) . . . . . . . . . Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 51: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Staatsgarantie für die Sozialversicherungen – Schutzschirm für Menschen (Drucksachen 16/12857, 16/13648) . . . . . . . . Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) . . . . . . . Waltraud Lehn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25943 D 25943 D 25944 D 25945 D 25946 D 25947 C 25948 B 25948 C 25949 A 25950 A 25950 D 25952 A 25952 D 25954 A 25954 B 25955 A 25956 A 25957 B 25958 A XVIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Tagesordnungspunkt 52: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gesamtkonzept zur beruflichen Teil- habe behinderter Menschen (Drucksachen 16/11207, 16/13623) . . . . . . . . Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 53: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Edmund Peter Geisen, Hans- Michael Goldmann, Dr. Christel Happach- Kasan, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft (Drucksachen 16/8540, 16/11633) . . . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 54: a) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Fünf Jahre Karenzzeit für Mitglieder der Bundesregierung (Drucksachen 16/13366, 16/13655) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Verhal- tenskodex für ausscheidende Regie- rungsmitglieder 25958 D 25958 D 25960 C 25961 A 25963 C 25964 A 25965 C 25967 C 25967 C 25968 C 25969 C 25970 C 25971 C 25972 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Dr. Gesine Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Regelung für frühere Mitglieder der Bundes- regierung und Staatssekretäre zur Untersagung von Tätigkeiten in der Privatwirtschaft, die mit ihrer ehe- maligen Tätigkeit für die Bundes- regierung im Zusammenhang stehen – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Jerzy Montag, Silke Stokar von Neuforn und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Berufstätig- keit von ausgeschiedenen Mitglie- dern der Bundesregierung regeln (Drucksachen 16/677, 16/846, 16/948, 16/13656) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 55: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeswaldgesetz ändern – Agroforstsysteme unterstützen, forst- wirtschaftliche Vereinigungen stärken und Gentechnik im Wald verbieten – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Das Bundeswaldgesetz novellie- ren und ökologische Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung einführen (Drucksachen 16/9075, 16/9450, 16/12198) Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU) . . . . . Dr. Gerhard Botz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25972 B 25972 C 25973 C 25974 A 25974 D 25975 B 25976 A 25976 B 25977 B 25978 B 25979 B 25980 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XIX Tagesordnungspunkt 56: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens Ackermann, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Lockerung des Verbots wiederholter Befristungen (Drucksachen 16/10611, 16/12092) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Befristete Arbeitsverhält- nisse begrenzen, unbefristete Beschäfti- gung stärken (Drucksachen 16/9807, 16/12092) . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 57: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über den Aufent- halt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bun- desgebiet (Aufenthaltsgesetz – Auf- enthG) (Drucksachen 16/13160, 16/13494) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Ände- rung des Aufenthaltsgesetzes (Änderung der Altfallregelung) (Drucksachen 16/12415, 16/13494) b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verlängerung der Frist für die gesetzliche Altfallrege- lung (Drucksachen 16/12434, 16/13494) . . . . . 25980 D 25981 A 25981 A 25982 B 25983 B 25983 D 25984 C 25995 B 25995 B 25995 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 58: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Kerstin Müller (Köln), Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kenia stabilisieren – Entwicklung in Frie- den unterstützen (Drucksachen 16/8403, 16/9457) . . . . . . . . . . Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) . . . . . . . . Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 59: Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Ernst Burgbacher, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kommunale Betreuung bei der Grund- sicherung für Arbeitssuchende stärken (Drucksache 16/9339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 60: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Undine Kurth (Qued- linburg), Katrin Göring-Eckardt, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umset- zungsgesetz für UNESCO-Welterbeüber- einkommen vorlegen (Drucksachen 16/13176, 16/13581) . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . 25985 C 25986 D 25987 D 25988 C 25989 B 25990 B 25990 C 25991 A 25992 D 25994 A 25994 D 25995 D 25995 D 25996 C 25997 A 25997 D 25998 C 25999 A 25999 B 26001 D XX Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 61: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Daniel Bahr (Münster), Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Lebendspenden bei der Transplantation von Organen erleich- tern (Drucksachen 16/9806, 16/13573) . . . . . . . . . Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 62: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bre- men), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verhindern (Drucksachen 16/13180, 16/13647) . . . . . . . . Helmut Lamp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 63: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vor- bildlich und importunabhängig Ökostrom und Biogas einkaufen (Drucksachen 16/11964, 16/13625) . . . . . . . . 26002 D 26003 D 26004 C 26005 C 26005 D 26006 C 26008 C 26009 B 26010 C 26011 B 26011 C 26012 C 26013 C 26015 B 26015 D 26017 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch und Volker Schneider (Saarbrücken) (alle DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag: Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrahmens (Zu- satztagesordnungspunkt 2 g) . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Beteiligung deutscher Streit- kräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Füh- rung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zu- letzt Resolution 1833 (2008) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 10) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Christoph Strässer (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Erhöhung des Schonvermö- gens im Alter für Bezieher von Arbeitslosen- geld II (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . 26017 B 26018 C 26019 A 26019 C 26020 A 26021 C 26023 A 26023 C 26024 B 26024 C 26025 A 26026 A 26026 C 26026 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XXI Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alexander Dobrindt (CDU/CSU) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Kein Genmais-Anbau gegen den Wil- len der Bürger in der EU (Tagesordnungs- punkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Max Lehmer, Wolfgang Zöller, Max Straubinger und Maria Eichhorn (alle CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Kein Genmais- Anbau gegen den Willen der Bürger in der EU (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Miet- rechtsänderungen zur Erleichterung klima- und umweltfreundlicher Sanierungen (Tages- ordnungspunkt 44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jan Mücke (FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Umset- zungsgesetz für UNESCO-Welterbeüberein- kommen vorlegen (Tagesordnungspunkt 60) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sibylle Laurischk (FDP) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Gesetz zur Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörig- keitsrecht (Tagesordnungspunkt 72) . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Unterrichtung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leis- tungsfähigkeit 2009 und Stellungnahme der Bundesregierung – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Nanotechnologie – gezielte For- schungsförderung für zukunftsträch- tige Innovationen und Wachstumsfel- der 26027 A 26027 A 26027 C 26028 B 26029 A – Nanotechnologie für die Gesellschaft nutzen – Risiken vermeiden – Nanotechnologie-Bericht vorlegen – Nanotechnologie – Forschung verstär- ken und Vorsorgeprinzip anwenden – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen durch steuerliche Förderung gezielt stärken – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Öffentlich finanzierte Pharmainnovationen zur wirksamen Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten in den Entwicklungslän- dern einsetzen – Antrag: Die Nanotechnologien – Schlüssel zur Stärkung der technologischen Leis- tungskraft Deutschlands (Tagesordnungspunkt 14 a bis e) Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts und zu den Anträgen: – Moratorium für die elektronische Gesund- heitskarte – Das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung bei der Einführung der elektro- nischen Gesundheitskarte gewährleisten (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Eike Hovermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26029 C 26030 A 26031 D 26034 A 26035 A 26035 D 26037 A 26038 B 26039 C 26040 D 26041 C 26042 B XXII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Ver- einsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen – Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Ver- einsvorständen (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Präventionsgesetz auf den Weg bringen – Primärprävention umfassend stärken – Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben stärken – Gesellschaftliche Teilhabe für alle ermög- lichen – Eigenverantwortung und klare Aufgaben- teilung als Grundvoraussetzung einer effi- zienten Präventionsstrategie (Tagesordnungspunkt 17) Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Margrit Spielmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsauf- sicht – Entwurf eines Gesetzes zur Schließung kreditwirtschaftlicher Aufsichtslücken (Tagesordnungspunkt 18) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26042 D 26043 C 26044 B 26045 B 26047 A 26047 D 26048 C 26049 B 26050 A 26051 A 26051 C 26052 A Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) – Entwurf eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz (Tagesordnungspunkt 19) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (Tagesord- nungspunkt 20) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Unterrichtungen: – Jahresbericht 2008 des Nationalen Nor- menkontrollrates Bürokratieabbau – Jetzt Entscheidungen treffen – Bericht der Bundesregierung 2008 zur An- wendung des Standardkosten-Modells und zum Stand des Bürokratieabbaus (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26053 C 26055 B 26056 B 26056 D 26057 C 26058 B 26060 A 26061 B 26062 D 26063 C 26064 C 26066 B 26067 A 26067 D 26068 D 26069 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 XXIII Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zum Antrag: Rechtsstaatlichkeit in Russland stärken (Zu- satztagesordnungspunkt 6) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . Markus Meckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 19 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes zur Aufhebung natio- nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes zur Aufhebung natio- nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege 26070 C 26071 C 26072 D 26074 A 26074 C 26083 D 26084 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Verordnung über Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von flüssiger Bio- masse zur Stromerzeugung (Biomassestrom- Nachhaltigkeitsverordnung – BioSt-NachV) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Aus- und Weiterbildung in der Tourismuswirtschaft verbessern (Zusatztages- ordnungspunkt 8) Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 26075 D 26077 B 26078 A 26078 C 26079 B 26080 A 26081 D 26083 A (Zusatztagesordnungspunkt 9 a und b) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Förderung von Vertrauen, Si- cherheit und Datenschutz in E-Government und E-Business (Zusatztagesordnungspunkt 10) Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26085 B 26086 C 26087 B 26088 A 26088 C 26089 D 26090 B 26091 B 26091 D 26092 C 26093 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 25613 (A) (C) (B) (D) 230. Si Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26023 (A) (C) (B) (D) uns, dass sich diese Sichtweise nun offenbar auch in al- len anderen Fraktionen durchgesetzt hat. Gleichermaßen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 02.07.2009 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.07.2009 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 02.07.2009 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 02.07.2009 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 02.07.2009 Gradistanac, Renate SPD 02.07.2009 Haibach, Holger CDU/CSU 02.07.2009 Hirte, Christian CDU/CSU 02.07.2009 Dr. Jahr, Peter CDU/CSU 02.07.2009 Kossendey, Thomas CDU/CSU 02.07.2009 Lenke, Ina FDP 02.07.2009 Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 02.07.2009 Lopez, Helga SPD 02.07.2009 Meierhofer, Horst FDP 02.07.2009 Ortel, Holger SPD 02.07.2009 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 02.07.2009 Raidel, Hans CDU/CSU 02.07.2009* Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 02.07.2009 Ulrich, Alexander DIE LINKE 02.07.2009 Waitz, Christoph FDP 02.07.2009 Zapf, Uta SPD 02.07.2009 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch und Volker Schneider (Saarbrücken) (alle DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag: Gestaltung des Deutschen Qualifika- tionsrahmens (Zusatztagesordnungspunkt 2 g) Wir enthalten uns bei der Abstimmung über diesen Antrag, weil er einerseits einige wichtige Ansprüche an die Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrahmens enthält, andererseits aber zentrale Probleme und offene Fragen unangesprochen bleiben. Wir wollen an dieser Stelle unserer Irritation über das Zustandekommen dieses Antrages deutlichen Ausdruck verleihen. Die Fraktion Die Linke weist seit mehreren Jahren regelmäßig auf Probleme in der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens hin. Wir haben uns nachdrücklich dafür eingesetzt, dass die Erarbeitung des Qualifikationsrahmens nicht hinter verschlossenen Tü- ren erfolgt, dass das Parlament an den Debatten beteiligt wird und dass Interessierten und Interessenträgern die nötigen Informationen zur Verfügung gestellt werden, um sich in die Erarbeitung des Qualifikationsrahmens einzubringen. Wir haben Probleme und offene Fragen der Gestaltung des Qualifikationsrahmens unter anderem in schriftlichen Fragen an die Bundesregierung – zuerst im November 2005 – und Kleinen Anfragen – zuerst im Dezember 2005 – thematisiert, die Erörterung im Aus- schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung eingefordert sowie bereits frühzeitig in einem Antrag erste Anforderungen an die Ausgestaltung des Qualifikationsrahmens formuliert – April 2006. Im Sep- tember 2008 hat die Fraktion Die Linke Sachverständige sowie auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen zu einem Fachgespräch über die Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrahmens eingeladen, um einen Austausch über den Stand der Debatte und offene Fragen zu ermöglichen. Nichtsdestotrotz wurde unsere Fraktion in die Erarbeitung des vorliegenden interfrak- tionellen Antrages in keiner Weise einbezogen bzw. nach einer möglichen Mitzeichnung gefragt. Wir müssen dies als Zeichen parteipolitischer Engstirnigkeit werten, wel- che dem Thema in keiner Weise gerecht wird. Die Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrah- mens wird weitreichende Konsequenzen haben für das Bildungssystem, für individuelle Bildungs- und Er- werbsbiografien, für die Anerkennung von Abschlüssen im In- und Ausland sowie für die Tarifpolitik. Die Linke hat stets darauf hingewiesen, dass die Entwicklung eines Qualifikationsrahmens nur dann sinnvoll ist, wenn die- ser als reformorientiertes Instrument verstanden wird, mit dem Transparenz, Durchlässigkeit und Qualität des Bildungssystems gesteigert werden sollen. Wir freuen 26024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) unterstützen wir den Anspruch, dass alle Niveaus des Qualifikationsrahmens auf verschiedenen Bildungswe- gen erreichbar sein müssen und informelles Lernen hier- bei entsprechend zu berücksichtigen ist. Bemerkenswert ist allerdings, dass die teilweise erheblichen Auseinan- dersetzungen im Laufe der Erarbeitung des ersten Ent- wurfs für einen Deutschen Qualifikationsrahmen keiner- lei Erwähnung finden. Gleiches gilt für drängende offene Fragen: Welche Institutionen sollen die Zuord- nung von konkreten Qualifikationen zu einzelnen Ni- veaus vornehmen? Erfolgt die Einstufung in öffentlicher Verantwortung und unter Beteiligung aller relevanten In- teressenträger? Werden auch Qualifikationen aus non- formalen Lernprozessen endlich gleichberechtigt in die Debatte mit einbezogen? Auf diese Fragen formuliert der vorliegende Antrag leider keine Antworten. Statt dessen begnügt er sich im Forderungsteil im Wesentli- chen damit, die Bundesregierung auf das bereits vorge- sehene Verfahren der Validierungsphase zu verpflichten. Das reicht nicht, um die Erarbeitung des Qualifikations- rahmens wirklich einen entscheidenden Schritt voranzu- bringen. Und es reicht auch nicht, dass wir diesem An- trag zustimmen können. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO- AWACS im Rahmen der Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In- ternational Security Assistance Force, I SAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutio- nen, zuletzt Resolution 1833 (2008) des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen (Tagesord- nungspunkt 10) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/ CSU): Ich stimme dem Antrag nicht zu. Ich halte ihn verfassungs- rechtlich für fragwürdig, ethisch für nicht gerechtfertigt und politisch für falsch. Diese Auffassung habe ich be- reits in den vergangenen acht Jahren vertreten und fühle mich durch die zunehmende Radikalisierung in diesem Land darin bestärkt. Es fehlt nicht an militärischen Be- gründungen für den Auslandseinsatz unserer Soldaten in Afghanistan, sondern an politischen Perspektiven. Sogar Oberbefehlshaber der Streitkräfte stellen den Erfolg der Verbündeten in diesem Land grundsätzlich infrage. Es ist ein Kurswechsel nötig. Ich bin für einen zügigen schrittweisen Abzug, auch weil Terroranschläge in unse- rem eigenen Land immer weniger ausgeschlossen wer- den können. Als vor acht Jahren die Regierung Gerhard Schröder/ Joschka Fischer im Kampf gegen den Terrorismus den Bundestag um Zustimmung zum Auslandseinsatz der Bundeswehr aufforderten, habe ich bereits mit „Nein“ gestimmt – aus verfassungsrechtlichen, historischen und moralischen Gründen. Jetzt, acht Jahre später, ist die Afghanistan-Mission fragwürdiger denn je, obwohl die Bundesrepublik mit Entwicklungshilfeprojekten und dem Aufbau von Polizeieinheiten einen ergänzenden Weg beschritten hat und sich insgesamt mit weit über 3 Milliarden Euro seit 2001 engagiert hat. Die Sicher- heitslage für unsere Soldaten hat sich dramatisch ver- schlechtert. Afghanistan ist weiter eines der größten Opiumanbaugebiete der Welt geblieben. Es ist nicht ge- lungen, die Taliban wirklich zu schwächen. Im Gegen- teil, sie weichen in das pakistanische Grenzgebiet aus. Neue, unübersehbare Risiken entstehen. Es hat schon viel zu viele Opfer gegeben – aus unserem Land wie aus denen der Verbündeten und in Afghanistan selbst. Besonders im Süden des Landes, wo die Amerikaner gegen die Taliban kämpfen, werden die Soldaten nicht als Befreier sondern als Besatzer empfunden. Erste NATO-Länder haben ihren Abzug bereits beschlossen. Weitere Verbündete erwägen den Ausstieg. Das sollte auch für die Bundesregierung als Orientierung gelten, auf eine Ausstiegstrategie zu setzen. Die afghanische Regierung kann und muss mehr Eigenverantwortung übernehmen. Sie und alle Verbündeten sind jetzt aufge- fordert, zu einer politischen Lösung zu kommen. Manfred Kolbe (CDU): Den heute zur Beschlussfas- sung im Deutschen Bundestag anstehenden Antrag der Bundesregierung „Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan …“, Drucksache 16/1337, kann ich aus den folgenden Grün- den nicht zustimmen: Erstens. Generell scheint es dem Westen nicht zu ge- lingen, ein demokratisches Staatswesen in Afghanistan aufzubauen und die Menschen innerlich dafür zu gewin- nen. Vielmehr hat sich die Sicherheitslage offenbar noch weiter verschlechtert. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr können immer weniger zum Aufbau des Landes beitragen und müssen sich immer mehr um ihre Eigensicherung bemühen. Zweitens. Die AWACS-Aufklärungsflugzeuge sollen den Luftraum über Afghanistan überwachen und Zusam- menstöße verhindern. Gleichzeitig liefern sie Luftlagebil- der für Militäroperationen und koordinieren diese auch. Solche Manöver der Luftstreitkräfte verursachen immer wieder sogenannte Kollateralschäden, bei denen bis heute die vielfache Anzahl an unschuldigen Menschen getötet worden ist wie bei den schrecklichen Terrorangriffen vom 11. September 2001 in New York, Washington und Penn- sylvania – dem Ausgangspunkt unseres Engagements. Somit werden künftig die Angehörigen der Bundeswehr für zivile Opfer verantwortlich gemacht werden. Mit je- dem unschuldig getöteten Zivilisten bekämpfen wir nicht den Terror, sondern schaffen diesem neuen Zulauf. Drittens. Ein realistisches Konzept des Westens für Afghanistan vermag ich derzeit weiterhin nicht zu erken- nen. Die aktuelle Aufstockung der jeweiligen Länder- kontingente kann meines Erachtens Afghanistan nicht befrieden. Wir brauchen vielmehr eine Grundsatzdebatte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26025 (A) (C) (B) (D) darüber, wie die Bundesrepublik Deutschland und der Westen insgesamt den Terror bekämpfen und beim Auf- bau von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Afghanis- tan helfen kann. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir entscheiden heute über die deutsche Beteili- gung an einem AWACS-Einsatz im Rahmen der ISAF- Mission und nicht über die Afghanistan-Politik der Bun- desregierung. Würden wir über die Afghanistan-Politik der Bundesregierung abstimmen, könnte ich heute nicht zustimmen. Der AWACS-Einsatz ist für sich genommen völker- rechtskonform, militärisch leistbar und trägt nach unse- rer Einschätzung insgesamt eher zur Risikominderung denn zur Gewalteskalation bei. Er dient auch der Sicher- heit des zivilen Flugverkehrs und der Bundeswehr. Aus diesem Grund halten wir eine Ablehnung für nicht ver- antwortbar und eine deutsche Beteiligung für zustim- mungsfähig. Die Afghanistan-Politik der Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist von ei- ner Vielzahl von Versäumnissen und Halbherzigkeiten, insbesondere im zivilen Bereich geprägt. Von einer „ver- netzten Sicherheit“ und dem Vorrang von zivilen Maß- nahmen zur Stabilisierung ist an vielen Stellen wenig zu erkennen. Das Verhältnis von zivilem und militärischem Engagement in Afghanistan wurde militärlastiger, die Kluft zwischen zivilem und militärischem Mitteleinsatz weiter ausgebaut. Gerade beim strategisch wichtigen Polizei- und Justizaufbau, aber auch bei anderen Schlüs- selbereichen des zivilen Wiederaufbaus, vermissen wir eine der Problemlage angemessene Aufbauoffensive. Selbst die völlig unzureichenden 400 Polizeikräfte der EU sind bis heute noch nicht vor Ort. Diese Defizite ge- fährden den Erfolg in Afghanistan mindestens ebenso wie eine korrupte und handlungsunfähige afghanische Regierungselite oder ein unverantwortliches militäri- sches Vorgehen afghanischer und internationaler Sicher- heitskräfte. Das Nebeneinander von ISAF und der US- geführten Antiterroroperation Enduring Freedom ist kontraproduktiv und muss insgesamt beendet werden. Während sich in den USA ein deutlicher Kurswechsel abzeichnet, Partner wie die Niederlande und Kanada ih- ren militärischen Abzug angekündigt haben, fehlt es in Deutschland an einer ehrlichen Bestandsaufnahme und der Vorlage eines Plans, welche Ziele wie und bis wann erreicht werden sollen. Das ist die Voraussetzung für eine verantwortbare Abzugsperspektive der Bundes- wehr. Durchhalteparolen und unverbindliche Absichts- erklärungen reichen nicht mehr aus. Wir haben auf der anderen Seite ein Interesse daran, dass es zu keinen zivilen oder militärischen Flugkata- strophen kommt. Wir haben deshalb primär darüber zu entscheiden, ob durch den zwischen der afghanischen Regierung und der NATO vereinbarten AWACS-Einsatz das Risiko von Flugunfällen eingedämmt werden kann. Angesichts steigender Flugbewegungen und unzurei- chender afghanischer Flugsicherungskapazitäten ist Unterstützungsbedarf nachvollziehbar. Der zivile und insbesondere der militärische Luftverkehr ist in den ver- gangenen Jahren deutlich gestiegen und wird auch künf- tig zunehmen. Damit steigt auch das Risiko. 2007 gab es ca. 50, im Jahr 2008 ca. 80 kritische zivile Annäherun- gen/Beinaheunfälle. Der Einwand, dass der Bedarf für AWACS vor allem deshalb entsteht, weil ein Truppenaufwuchs stattfindet und vermehrt militärische Flugbewegungen zu verzeich- nen sind, reicht aus unserer Sicht als Grund für eine Ab- lehnung nicht aus. Der weit überwiegende Teil der mili- tärischen Flugbewegungen dient dem Lufttransport, der Versorgung, Luftbetankung und der Erstellung von La- gebildern. Die Bundeswehr ist im Bereich des Lufttrans- ports überdurchschnittlich aktiv. Lufttransport ist ange- sichts der großen Entfernungen, schlechten Straßen, und dem Risiko von Anschlägen unverzichtbar. Der Einsatz von AWACS ist laut Mandat auf den af- ghanischen Luftraum beschränkt. Für Luft-Boden-Auf- klärung und Luft-Boden-Einsatz sind AWACS technisch nicht ausgestattet. Hauptauftrag bleibt das Erstellen ei- nes Luftlagebildes, Entflechtung und Koordinierung des Luftverkehrs, Koordinierung der militärischen Luftbe- tankung. AWACS übernimmt Aufgaben zur Unterstüt- zung von Luftoperationen aber sie haben explizit nicht die Aufgabe, geplante OEF-Luftoperationen zu koordi- nieren und zu führen. Sie sollen in Notsituationen die Koordinierung von Luftnahunterstüzung und medizini- scher Notfallevakuierung von ISAF verbessern. Kritisch sind aus unserer Sicht insbesondere die Luft- Boden-Einsätze, bei denen es zum Waffeneinsatz kommt. Hier waren in der Vergangenheit häufig Zivilopfer zu be- klagen. Wir stellen fest, dass es aufseiten der USA einen erkennbaren Kurswechsel gibt – auch für den Bereich Vermeidung von Zivilopfern durch Luftoperationen. Wir werden kritisch verfolgen, ob die Ankündigungen in die Praxis umgesetzt werden. Die NATO und die Bundeswehr überbrücken erneut Lücken, die es im zivilen Bereich gibt. Das darf keine neue Daueraufgabe werden. Es wird zwar am Aufbau ei- ner zivilen Flugsicherung gearbeitet, und die Bundesre- gierung leistet hierzu einen Beitrag. Ein Ende des Ein- satzes ist allerdings noch nicht absehbar. Hier muss die Bundesregierung bis Dezember darlegen, wie und bis wann das erfolgen soll. Wir Grüne haben uns in unserer Partei intensiv mit der Entwicklung in Afghanistan befasst und gegen einen unverantwortlichen Sofortabzug ausgesprochen. Wir haben in dieser Legislaturperiode in einer Vielzahl von parlamentarischen Initiativen eine kohärente und enga- giertere Politik eingeklagt, bei der die Menschen in Afghanistan im Mittelpunkt stehen und bei der das Licht am Ende des militärischen Tunnels sichtbar wird. In un- seren jüngsten Anträgen zur Afghanistanp-Politik haben wir immer wieder darauf gedrängt, einen militärischen wie zivilen Kurswechsel einzuleiten, die zivilen Ele- mente des Wiederaufbaus in den Vordergrund zu stellen und mit in die Mandatsanträge der Bundesregierung auf- zunehmen, überprüfbare Zwischenziele zu formulieren 26026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) und das zivil-militärische Missverhältnis abzubauen. Daran halten wir fest. Eine Gesamtbewertung der Afghanistan-Politik der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft werde ich erneut im Dezember bei der Entscheidung über den gesamten ISAF-Einsatz treffen. Meine Zustim- mung zu einer deutschen Beteiligung am AWACS-Ein- satz heute ist kein Präjudiz für meine Entscheidung im Dezember. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie in vielen anderen Bereichen, so gibt es auch bei der Sicherheit im Luftverkehr in Afghanistan gravierende Probleme. Im Jahr 2007 gab es 50 kritische Annäherun- gen oder Beinahe-Unfälle im Luftverkehr, im Jahr 2008 stieg die Zahl dieser Vorfälle auf 80 an. Vor diesem Hin- tergrund sind Maßnahmen zur schnellen Verbesserung der zivilen und militärischen Luftsicherung in Afghanis- tan dringend notwendig. Der Einsatz der NATO- AWACS kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten und zur Vermeidung von Flugkatastrophen beitragen. Der Einsatz der NATO-AWACS ist völkerrechtskon- form und mit der afghanischen Regierung abgestimmt. Bereits seit 2003 übernimmt ISAF in Zusammenarbeit mit der afghanischen Seite eine Reihe von Flugsiche- rungsaufgaben. Obwohl es Bemühungen gibt, eine zivile afghanische Flugsicherung aufzubauen, wird dieses Ziel erst in mehreren Jahren erreicht sein. Die AWACS über- brücken daher vorhandene Lücken. Die Bedenken darüber, dass die AWACS für Luft-Bo- den-Aufklärung und Luft-Boden-Einsätze genutzt wer- den könnten, sind ausgeräumt, da AWACS hierfür die technische Ausstattung fehlt. Eine mögliche Feuerleit- funktion für Luftkämpfe wird nicht zum Einsatz kom- men, da die Aufständischen in Afghanistan nicht über eine eigene Luftwaffe verfügen. Das Mandat beschränkt den Einsatz der AWACS außerdem klar auf den afghani- schen Luftraum. Die Bundesregierung hat im Gegensatz dazu keine sichtbaren Schritte dazu unternommen, ihren angekün- digten Beitrag zum Strategiewechsel in Afghanistan auch tatsächlich umfassend zu erbringen. Sie hat im zivi- len Bereich, hier vor allem bei Polizei und Justiz, nicht den erforderlichen Aufbauschub eingeleitet. Und sie hat bislang keinen klaren Plan vorgelegt, wie und bis zu welchem Zeithorizont die militärische Sicherung des Wiederaufbaus durch die Bundeswehr in Afghanistan verantwortbar und erfolgreich abgeschlossen werden kann. Ich stimme dem Mandat zum Einsatz deutscher Streit- kräfte im Rahmen der NATO-AWACS-Operation zu, da so ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des zivilen und militärischen Flugverkehrs sowie zur Vermeidung von Flugkatastrophen in Afghanistan geleistet werden kann. Ich fordere gleichzeitig die Bundesregierung auf, ihren angekündigten Beitrag zum Strategiewechsel in Afgha- nistan – vor allem beim Aufbau von Polizei und Justiz – endlich zu erbringen. Sie muss ihr Engagement für den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan deutlich ausweiten. Wolfgang Spanier (SPD): Der Fortsetzung der Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, ISAF, habe ich im Deutschen Bundestag zugestimmt. Die Aufbauhilfe durch die Bundeswehr in Afghanistan halte ich für einen aus humanitären und politischen Gründen wichtigen Einsatz. Ich halte aber eine klare Trennung von ISAF und OEF für notwendig. Beim Einsatz der Tornados und jetzt bei der Beteiligung an NATO-AWACS sehe ich, dass die beiden Mandate nicht eindeutig getrennt werden. Des- halb werde ich – wie beim Einsatz der Tornados – auch der Beteiligung an NATO-AWACS in Afghanistan nicht zustimmen. Deutsche Soldaten werden damit in Kampfhandlun- gen einbezogen, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Es ist zu befürchten, dass damit die Sicherheit der deutschen Soldaten im Norden nicht erhöht, sondern immer mehr gefährdet wird. Es sind verstärkte Angriffe und Anschläge festzustellen. Darüber hinaus befürchte ich, dass die Zustimmung des Deutschen Bundestages weitere Anforderungen der Ver- bündeten auslösen könnte, bis hin zum Einsatz deutscher Bodentruppen. Deshalb kann ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Christoph Strässer (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Erhöhung des Schonvermögens im Alter für Bezieher von Arbeitslosengeld II (Tagesordnungspunkt 11) Die Forderung nach einer Erhöhung des Schonvermö- gens ist in der Sache richtig und deshalb auch Bestand- teil des Regierungsprogramms der SPD für die 17. Le- gislaturperiode. Es ist jedoch unseriös, populistisch und dem berechtigten Anliegen der Betroffenen abträglich, diesen Antrag in der letzten Sitzungswoche des Bundes- tags zur Abstimmung zu stellen, in der Gewissheit, dass die Bundesregierung und das Parlament schon wegen des Zeitablaufs und der Diskontinuität selbst bei einem Erfolg des Antrags keine Möglichkeit mehr hätten, ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren auch nur einzu- leiten. Die Antragsteller beweisen einmal mehr, dass es ih- nen nicht um die Sache geht, sondern ausdrücklich um nichts anderes, als auf dem Rücken der Betroffenen an- dere Fraktionen vorzuführen. In Erkenntnis dieses Umstandes werde ich diesen An- trag ablehnen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26027 (A) (C) (B) (D) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alexander Dobrindt (CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag: Kein Genmais-Anbau gegen den Willen der Bürger in der EU (Tages- ordnungspunkt 25) Anbau und Verkauf der gentechnisch veränderten Maissorte MON810 sind in Deutschland nicht mehr zu- lässig. Das Ruhen der Genehmigung von MON810 ist seit 14. April 2009 angeordnet. Diese Entscheidung der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz war angesichts der unterschiedlichen Risikobewertung durch die fachlich befassten Bundesbe- hörden vom Vorsorgeprinzip geboten. Die Entscheidung von Bundesministerin Ilse Aigner ist richtig und wird von mir unterstützt. Deshalb lehne ich den Antrag nicht ab. Ich enthalte mich zu der Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13663. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Max Lehmer, Wolfgang Zöller, Max Straubinger und Maria Eichhorn (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Kein Genmais-Anbau gegen den Willen der Bürger in der EU (Tagesordnungspunkt 25) Der Antrag enthält sehr pauschale Forderungen in Be- zug auf den Umgang mit GVO in Deutschland und Europa. Das Verbot von MON810 ist gerichtlich bestätigt. Eine eventuelle Verlängerung der Zulassung hängt von den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien ab. Die Zulassung neuer Sorten richtet sich nach dem strengen Zulassungsverfahren der EU. Bei jeder Ent- scheidung über die Zulassung eines GVO handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der Pro und Kontra auf wissenschaftlicher Grundlage sorgfältig abgewogen werden. Neue Erkenntnisse müssen nach europäischem und deutschem Recht bei der Entscheidungsfindung Be- rücksichtigung finden, sowohl bei der Bewertung schon zugelassener als auch bei der Neuzulassung beantragter Linien. Insofern kann es keine Vorfestlegung des Ab- stimmungsverhaltens bei Zulassungsentscheidungen ge- ben. Eine Positionierung zu der kürzlich eingebrachten Ini- tiative Österreichs (Opt-out-Regelung) ist derzeit noch nicht möglich, wie die Sitzung des Umweltministerrats vom 25. Juni 2009 gezeigt hat. Eine sorgfältige inhaltli- che wie rechtliche Prüfung steht noch aus. Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt ist oberstes Prinzip für alle neuen Technologien. Der Wille des Bür- gers muss über eine echte Wahlfreiheit gewährleistet werden. Dazu ist volle Transparenz über das gesamte Zulassungsverfahren und eine umfassende Kennzeich- nung von Produkten aus GVO unverzichtbar. Aus den genannten Gründen stimmen wir der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/13663 zu und lehnen den Antrag ab. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Mietrechtsänderungen zur Erleichte- rung klima- und umweltfreundlicher Sanierun- gen (Tagesordnungspunkt 40) Ich stimme gegen den Antrag der FDP und für die ab- lehnende Beschlussempfehlung des Ausschusses. Die FDP will energetische Haussanierungen auch ge- gen den Willen der Mieter erleichtern, diesen dann ihr Mängelminderungsrecht selbst bei Unbewohnbarkeit der Mieträume streichen sowie die behaupteten Investitions- und Folgekosten pauschaliert leichter auf die Mieter ab- wälzen, ohne dass diese die Kosten voll überprüfen dür- fen. Demgegenüber halte ich für richtig: Bei Modernisie- rungen soll die Miete gemäß § 559 BGB höchstens um jährlich 11 Prozent nur der real und belegt aufgewende- ten Kosten 9 Jahre lang statt dauerhaft erhöht werden dürfen, dies aber nur bis zu einer Kappungsgrenze bis 10 Prozent über der vorherigen Nettokaltmiete. Ich stimme auch deshalb gegen diesen FDP-Antrag, weil ich entgegen dessen Zielrichtung, Mieter mit höhe- ren Mieten zu belasten, eine Entlastung der Mieter und Mieterinnen gerade in begehrten Innenstadtlagen wie Berlin-Friedrichshain, -Kreuzberg oder -Prenzlauer Berg für dringlich halte. Dort herrscht europaweit eine der höchsten Bevölkerungsdichten, doch bundesweit mit die niedrigsten Durchschnittseinkommen. Immer höhere Einkommensanteile müsse für Mieten ausgegeben wer- den. Bei Neuvermietungen springen die Mieten teils über 50 Prozent höher. Immobilienunternehmer schät- zen, dass sich die Kreuzberger Mieten in den nächsten 10 bis 15 Jahren verdoppeln, wenn kein Einhalt geboten wird. In einzelnen Gegenden wird bezahlbarer Wohn- raum für oft alteingesessene Geringverdiener knapp; diese werden durch finanzstarke Zuzügler verdrängt. In ganz Berlin gab es von 2006 auf 2007 zwar 43 000 mehr Haushalte, doch nur knapp 10 000 mehr Wohnun- gen. Obwohl hier nur 83 Prozent des deutschen Durch- schnitts verdient wird, stiegen die Angebotsmieten von 2007 auf 2008 nochmals um 6 Prozent. Auch bundesweit sind Mieterinnen und Mieter durch solch teils rasante Steigerungen von Grundmieten und 26028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Nebenkosten großem Vertreibungsdruck ausgesetzt. So werden gewachsene Bevölkerungsstrukturen entmischt; dies verursacht viele Folgeprobleme, unter anderem eine Konzentration finanziell schwächer gestellter und teils sozial problematischer Mieterinnen und Mieter in be- stimmten Gegenden. Gegen solche Entwicklungen sind – ganz anders als der FDP-Antrag bezweckt – nach meiner Überzeugung folgende weitere Maßnahmen erforderlich: Bei Neuvermietungen darf eine erhöhte Miete nur bis zum Mittelwert des jeweiligen Mietspiegels gefordert werden, um bisherige erhebliche Mietpreissprünge an- lässlich Mieterwechseln zu vermeiden. Die Kappungsgrenze für reguläre Mieterhöhungen soll innerhalb von 3 Jahren nicht bis zu plus 20 Prozent betragen dürfen, sondern nur bis zur addierten durch- schnittlichen Inflationsrate dieser Jahre, also zum Bei- spiel für 2006/7/8 etwa 6,5 Prozent. Durch Änderung des Baugesetzbuchs sollen wieder Mietpreisobergrenzen in Sanierungsgebieten zugelassen werden zum Schutz vor dortiger Verdrängung finanziell schwächer gestellter Mieter – „Gentrification“. Aus den gleichen Gründen soll in Milieuschutzgebie- ten vor allem zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung gemäß § 172 Abs. 4 BauGB eine Festlegung von Mietobergrenzen ermöglicht werden bei einer maximalen Mietbelastung von 25 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens. Gegen Leerstand von Sozialwohnungen und Entmi- schung von Wohngebieten sollen im sozialen Woh- nungsbau Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen gene- rell gelten und niedrig angesetzt werden und solche Wohnungen umgehend in das Vergleichsmietensystem überführt werden, deren Mieten rechnerisch bereits über dem Mittelwert der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Bewohner, die solche Miete nicht aufbringen können, sollen gezielte staatliche Zuwendungen erhalten. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jan Mücke (FDP) zur Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Umsetzungsgesetz für UNESCO- Welterbeübereinkommen vorlegen (Tagesord- nungspunkt 60) Der Ausschuss für Kultur und Medien hat in seiner Beschlussempfehlung vom 30. Juni 2009 – Drucksache 16/13581 – den Mitgliedern des Deutschen Bundestages empfohlen, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbe- übereinkommen vorlegen“ – Drucksache 16/13176 – ab- zulehnen. Ich folge dieser Empfehlung. Meine Zustimmung zur vorgenannten Beschlussemp- fehlung entspricht zudem der Abstimmungsempfehlung der FDP-Bundestagsfraktion an ihre Mitglieder. Aus Sicht der Fraktion suggeriert der Antrag, dass der Bund durch Erlass eines nationalen Ausführungsgesetzes eine Bindungswirkung der UNESCO-Welterbekonvention gegenüber allen Körperschaften auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene erzeugen kann, die sich auf sämtli- che von der Konvention erfassten Schutzgüter erstreckt. Der Antrag vermittelt damit jedoch den Eindruck, ein Ziel zu verfolgen, das im Widerspruch zu den Gesetzge- bungskompetenzen nach dem Grundgesetz steht. Das UNESCO-Übereinkommen hat den Schutz so- wohl des Weltnatur- als auch des -kulturerbes zum In- halt. Der Bund ist jedoch nur hinsichtlich des Naturerbes befugt, die Konvention in innerstaatliches Recht umzu- wandeln, denn hinsichtlich des Kulturerbes fehlt ihm die Gesetzgebungskompetenz. Dem Bund kommt nach Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz ein formelles, aber kein materielles Gesetzgebungsrecht zu. Eine völkervertragliche Regelung ist nicht automa- tisch eine auswärtige Angelegenheit, für die der Bund nach Art. 73 Nr. 1 Grundgesetz die ausschließliche Ge- setzgebungskompetenz hätte. Ein Vertragsgesetz des Bundes ist daher nur insoweit zulässig, wie es eine Ma- terie der Bundesgesetzgebung regelt. Soll hingegen ein völkerrechtliches Abkommen in die nationale Rechts- ordnung überführt werden, für das seinem Inhalt nach die Länder die Gesetzgebungskompetenz besitzen, ist es allein deren Aufgabe, ein entsprechendes Gesetz zu er- lassen. Der Bund kann insoweit nicht anstelle der Länder tätig werden. Gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 Grundgesetz ist der Bund zuständig für die Gesetzgebung hinsichtlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege. In Bezug auf den Denkmalschutz verleiht das Grundgesetz dem Bund hingegen keine Gesetzgebungskompetenz, somit sind gemäß Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz insoweit die Länder zuständig. Zwar wird die Bundesregierung mit dem Antrag auf- gefordert, Entwürfe zur Änderung von Gesetzen vorzu- legen, für die der Bund die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Aber bereits in der Begründung des Antrages findet diese notwendige Einschränkung keine Beachtung mehr. In ihr wird durchgängig auf das Kulturerbe und somit auf den Denkmalschutz abgestellt. Dadurch wird deutlich, welche Ziele tatsächlich mit dem Antrag ver- folgt werden. Zur Erreichung dieser Ziele ist er aber vollständig untauglich. Darüber hinaus ist der Antrag nicht dazu geeignet, Rechtsfrieden zu schaffen. Es wird die Frage aufkom- men, warum hinsichtlich des Schutzes des Kulturerbes die Länder und Kommunen trotz Erlasses eines soge- nannten UNESCO-Vertragsgesetzes nicht an die Vorga- ben der Konvention gebunden sind. Gesetzgeberische Maßnahmen auf Bundesebene werden zu noch mehr Un- sicherheit und Unverständnis bei den Bürgern führen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26029 (A) (C) (B) (D) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sibylle Laurischk (FDP) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Gesetz zur Strei- chung des Optionszwangs aus dem Staatsange- hörigkeitsrecht (Tagesordnungspunkt 72) Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, da ich der Auffassung bin, dass die im Staatsangehörigkeitsgesetz normierte Optionspflicht für Ausländer ein Signal gegen Integration setzt. Diese Regelung stellt eine Ungleichbehandlung ge- genüber Kindern aus binationalen Ehen dar, die das dau- erhafte Recht auf beide Staatsangehörigkeiten haben. Sie führt nicht zu einer besseren Integration der Betroffenen, da sie die Aufforderung als Infragestellung ihrer Zuge- hörigkeit zu unserer Gesellschaft empfinden. Dazu ist der bürokratische Aufwand enorm, Gerichtsverfahren sind nach Ablauf der fünfjährigen Entscheidungsfrist vorprogrammiert. Die Einführung des Geburtortrechts durch die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Anfang 1999 stellt eine liberale Errungenschaft dar, die den Weg in ein moder- nes Staatsangehörigkeitsrecht weist. Die im Vermitt- lungsverfahren eingeführte Optionspflicht war ein politi- scher Kompromiss, um überhaupt Verbesserungen zu erreichen. Nach fast zehn Jahren sehe ich keinen sachli- chen Grund, an dieser Kompromisslösung festzuhalten. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Unterrichtung: Gutachten zu Forschung, In- novation und technologischer Leistungs- fähigkeit 2009 und Stellungnahme der Bun- desregierung – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Nanotechnologie – gezielte Forschungs- förderung für zukunftsträchtige Innova- tionen und Wachstumsfelder – Nanotechnologie für die Gesellschaft nut- zen – Risiken vermeiden – Nanotechnologie-Bericht vorlegen – Nanotechnologie – Forschung verstärken und Vorsorgeprinzip anwenden – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen durch steuerliche Förderung gezielt stärken – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Öffentlich finanzierte Pharmainno- vationen zur wirksamen Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten in den Ent- wicklungsländern einsetzen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Die Nanotechnologien – Schlüssel zur Stärkung der technologischen Leistungs- kraft Deutschlands (Tagesordnungspunkt 14 a bis e) Marion Seib (CDU/CSU): Forschung, Innovation und technologische Leistungsfähigkeit, in die auch das Thema Nanotechnologie fällt, sind Schlüsselbegriffe für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nanotechnologie gilt als eine Schlüsseltechnologie, von der Anstöße zu innovativen Entwicklungen in den verschiedensten technologischen Bereichen und gesell- schaftlichen Anwendungsfeldern zu erwarten sind und die heute schon erfolgreich in verschiedenen Feldern eingesetzt wird. Die künftigen Fortschritte der Nano- technologie können großen Einfluss auf die weitere Ent- wicklung zukunftsträchtiger Branchen haben. Für viele in Deutschland wichtige Industriebranchen wie Chemie, Pharma, Energie, Automobilbau, Informationstechnik oder Optik hängt die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte auch von der Erschließung des Nanokos- mos ab. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland gibt es keine Alternative zu einer Strategie der permanenten Innova- tion. Die Verfügung über die Nanotechnologie bestimmt daher die technologische Leistungsfähigkeit und die in- ternationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt- schaft entscheidend mit. Fachleute schätzen den Umsatz mit Produkten der Nanotechnologie im Jahr 2015 auf bis zu 1 Billion Euro. Auf dem Gebiet der Nanotechnologie ist die Bundesrepublik in Europa führend. 2007 gab es in Deutschland 50 000 Arbeitsplätze, die direkt oder indi- rekt von der Nanotechnologie abhingen. Dies sind gute Ausgangspositionen, auch angesichts der aktuellen Krise. Allerdings dürfen wir auch gerade jetzt nicht stehen blei- ben, sondern müssen aktiv in Forschung und Innovation investieren. Die Koalition begrüßt die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung, insbesondere die „Nano-Initiative – Aktionsplan 2010“ im Rahmen der Hightech-Strategie, mit der die Bundesregierung die Nanotechnologien mit insgesamt 640 Millionen Euro fördert, und die Initiie- rung von Förderaktivitäten, unter anderem des Projekt- clusters NanoCare, in dem mögliche Risiken im Um- gang mit neuen Materialien frühzeitig untersucht und der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Erwähnen möchte ich hier auch die finanzielle Unterstützung durch Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro bis 2013 im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms. Uns ist klar, dass, solange der Einfluss von Nanoparti- keln auf den menschlichen Körper noch nicht hinrei- chend erforscht ist, darauf geachtet werden muss, dass deren Verbreitung in Gewässern, Luft und Böden unter- bunden wird und jene Stoffe, die unmittelbar mit Menschen in Berührung kommen können, besonders un- tersucht werden. Daher unterstützen wir die Bundes- 26030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) regierung und deren Programme, Wissenslücken zu schließen und die in den einzelnen Fachgebieten rele- vanten Aspekte der Nanotechnologie zu einer Gesamt- strategie zusammenzuführen. Wir fordern die Bundes- regierung aber auch auf, die Forschungsförderung in den einzelnen Bereichen enger zu begleiten sowie Wirtschaft und Bevölkerung besser zu informieren. Die Koopera- tion zwischen Forschung und Wirtschaft muss ausgebaut und besonders fehlende Fachkräfte müssen durch stär- kere finanzielle Unterstützung der Hochschulen gewon- nen werden. Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns Forschungspoli- tikern der Koalition gelungen ist, auch die Verbraucher- schützer dafür zu gewinnen, diesen Antrag in der vorlie- genden Form zu unterstützen. Noch besitzt die Nanotechnologie eine relativ hohe Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung. Besonders die Wirtschaft fordere ich zu besonders sorgfältiger Kon- trolle ihrer Produkte auf. In Deutschland sind die Voraussetzungen für eine positive Entwicklung der Nanotechnologie gegeben. Wir müssen nun die Weichen richtig stellen und Anwen- dungspotenziale erschließen. Ich bitte Sie um Unterstützung unseres Antrages. René Röspel (SPD): In der letzten Sitzungswoche hatten wir Forschungspolitiker ein sehr spannendes Ge- spräch mit dem Vorsitzenden der Expertenkommission Forschung und Innovation, Herrn Professor Harhoff. Ich wiederhole hier gern noch einmal mein bei diesem Ge- spräch geäußertes Lob an alle Mitglieder der Experten- gruppe. Denn auch das aktuelle Gutachten ist wieder sehr aufschlussreich. Auch wenn es in diesem Jahr nur ein Kurzgutachten werden sollte, so ist es wieder ein reichhaltiger, lesenswerter und nicht ganz kurzer Bericht geworden. Mir fällt es deshalb schwer, aufgrund der zeitlichen Begrenzung eine ausgeglichene Themenaus- wahl vorzunehmen. Ich versuche es dennoch. Das Gutachten verweist zu Recht darauf, dass in wirt- schaftlich schlechten Zeiten in Unternehmen besonders die Bereiche Forschung und Innovation – FuE – zurück- gefahren werden. Man kann es ihnen nicht verübeln. Aber das Gutachten weist ebenfalls darauf hin: For- schung und Entwicklung sind wichtige Komponenten für das Wirtschaftswachstum in industriellen Ländern. Das Zurückfahren dieses Bereiches wird kontraproduk- tiv sein. Zwar ist der Einfluss der Konjunktur auf die Forschung und Entwicklung in Deutschland geringer als in anderen Ländern, doch reagieren besonders die klei- nen und mittleren Unternehmen stärker auf Veränderun- gen der konjunkturellen Bedingungen als große Unter- nehmen. Dies liegt in Deutschland insbesondere an deren geringem Eigenkapital. In der nächsten Legislatur- periode sollten wir Forschungspolitiker uns deshalb dem Bereich Eigenkapitalfinanzierung noch einmal intensiv zuwenden. Auch in diesem Zusammenhang haben die Autoren bereits im letzten Gutachten die Einführung einer steuer- lichen Förderung von Forschung und Entwicklung in Deutschland vorgeschlagen. Auch dieses Jahr verweisen sie wieder darauf. Die SPD hat sich in ihrem Wahlpro- gramm übrigens bereits grundsätzlich für eine solche Förderung für KMU ausgesprochen. Dennoch muss man die in vielen Teilen gut begründete und nachvollziehbare Forderung der Expertenkommission in einen politischen Gesamtzusammenhang stellen, wie sie selbst es auch tut. Steuerliche Forschungsförderung kann nur zusätzlich zur Projektförderung erfolgen. Die allein praktische Frage bleibt die nach der Finanzierung einer solchen zu- sätzlichen Förderung. In der gegenwärtigen Situation scheint mir deshalb die Diskussion darüber theoretisch, wenn nicht sogar illusorisch-populistisch, wenn man wie die FDP oder die darüber zerstrittene Union Steuersen- kungen verspricht. Wenn wir – wie auch von der Exper- tenkommission gefordert und zu Recht angemahnt – von der Orientierung auf hochwertige Technologien wie Au- tomobil-, Maschinenbau- und Chemieindustrie hinkom- men müssen zu einem stärkeren Ausbau von Spitzen- technologie, so wird uns eine pauschale Förderung – mit allen ihren Vorteilen – nicht nützen, sondern wir müssen gezielte Projekt- und Programmförderung betreiben. Wie erfolgreich das sein kann – für Technologieschub, Wirtschaftskraft, Arbeitsplatzschaffung und Umwelt- schutz – hat die unter der rot-grünen Regierung ver- stärkte Förderung etwa von Umwelttechnologien, Ener- gieeffizienz und erneuerbaren Energien eindrucksvoll gezeigt. Die vielen anderen guten Beispiele im Bereich Elektromobilität, optische Technologien oder Nanotech- nologie, zu der wir heute einen umfassenden Antrag der Großen Koalition verabschieden werden, belegen die Notwendigkeit der Projektförderung. Ein ganz anderer, mindestens ebenso wichtiger Aspekt ist der folgende: Mögliche, für steuerliche Förde- rung benötigte Finanzmittel konkurrieren um einen an- deren Bereich, der die zentrale Basis unserer Wissen- schaft und unseres technologischen Erfolges darstellt, die Grundlagenforschung. Sie ist in Deutschland hervor- ragend aufgestellt, aber sie wird im Wesentlichen und mit einem zweistelligen Milliardenbetrag von der öffent- lichen Hand finanziert. Das muss nicht nur so bleiben, sondern ausgebaut werden, nicht nur, weil Grundlagen- forschung einen Wert an sich darstellt, sondern weil sich gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Nutzen mitunter erst viel später erschließt. Nur ein Beispiel: Auf Einla- dung meines Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann habe ich vor einigen Wochen die Biologische Anstalt Helgo- land und die dortige Vogelwarte besucht. Dort wird her- vorragende und leidenschaftliche wissenschaftliche Arbeit verrichtet, die vermutlich aus Sicht eines Wirt- schaftsunternehmens zunächst als nicht sinnvoll oder un- terstützenswert angesehen werden würde. Warum soll man denn regelmäßige Messungen von Temperatur und Zustand des Nordseewassers um Helgoland, Hummer- forschung oder eine Vogelwarte finanzieren? Erst heute zeigt sich die Bedeutung solcher For- schung für ein besseres Verständnis von Klimawandel und Ökologie – übrigens mit allen gewaltigen ökonomi- schen Konsequenzen, die ohne Umsteuerung die nach- folgenden Generationen zu tragen haben. Das Thema steuerliche Forschungsförderung werden wir in der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26031 (A) (C) (B) (D) nächsten Legislaturperiode sehr verantwortlich diskutie- ren müssen. Sehr gefreut habe ich mich auch über einen anderen Abschnitt im Gutachten, auch wenn er nur sehr klein ge- halten war, nämlich zum Thema Fachhochschulen. Diese stehen in Deutschland leider immer ein wenig im Schatten ihrer großen Schwestern, der Universitäten. Aber beide Institutionen nehmen eine wichtige Rolle in der Lehre und Forschung in Deutschland ein. Fachhoch- schulen stellen besonders für in der Region ansässige kleinere und mittlere Unternehmen eine wertvolle Unter- stützung dar. Das kann ich aus vielen Erfahrungen mit der FH Südwestfalen nur bestätigen. Die SPD hat das 1998 erkannt und seitdem die Förderung von Fachhoch- schulforschung stetig erhöht. Der Bund fördert Fach- hochschulen in diesem Jahr mit 34 Millionen Euro. Wir werden das fortsetzen. Als Bund würden wir gern noch mehr tun. Das Gutachten verweist auch auf weiteren Handlungsbedarf. So ist es zum Beispiel nicht einsehbar, warum Fachhochschulprofessoren in der Regel keine Assistenten haben, die sie in der Forschung unterstützen könnten. Leider ist dieser Bereich auch nach der letzten Föderalismusreform immer noch Ländersache. Bildung ist ein viel zu wichtiger und anspruchsvoller Bereich, als dass er nur auf den Schultern der Länder liegen kann. Hier muss der Bund in Zukunft noch mehr Möglichkei- ten erhalten. Ich bin gespannt, zu welchem Schluss das nächste Gutachten mit dem Schwerpunkt Föderalismus- reform kommen wird. Wie schon im Gutachten 2008 fällt die Mahnung zum drohenden Fachkräftemangel wieder sehr deutlich aus. Das Gutachten spricht von einem „ungebrochenen Trend zu mehr Hochqualifizierten in der gewerblichen Wirt- schaft“ und zwei Seiten weiter „vom Rückgang der Stu- dierneigung in Deutschland“. Bis ins Jahr 2020 wird Deutschland einen Zusatzbedarf von 1 Million Akade- mikern haben. Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl beruflich Qualifizierter ist allerdings nicht nur eine zentrale Frage für die – technologische und wirtschaftli- che – Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Für uns Sozial- demokraten ist der gerechte Zugang zu Bildung viel mehr als die Bereitstellung von Fachkräften. Bildung ist für uns unabdingbares Grundrecht für jeden einzelnen Menschen und Bestandteil von Freiheit und Selbstbe- stimmung. Wie keine andere Partei verkörpern wir diese Zielsetzung. Erlauben Sie mir bitte, dies ausnahmsweise auch zu personifizieren am Beispiel unseres Kollegen Dieter Grasedieck, der heute trotz seines Geburtstages im Plenum sitzt und nach der Wahl aus dem Bundestag ausscheiden wird: geboren als Kind einer Bergarbeiter- familie in Gladbeck, mit 17 in die Schlosserlehre, Inge- nieursstudium, Staatsexamina, Berufsschullehrer und beeindruckt von Willy Brandt. Lieber Dieter, du hast aus einer sehr typischen sozialdemokratischen Bildungsbio- grafie und deinem Berufsleben viele Erfahrungen und Engagement für junge Menschen und für die Bildungs- und Forschungspolitik mit in den Bundestag gebracht. Dafür gebührt dir unser aller Dank und Respekt. Wir ha- ben gerne mit dir zusammengearbeitet. Du wirst uns feh- len. Von dieser Stelle ein herzliches Glückauf für deinen wohlverdienten Ruhestand. Allerdings mahnen uns die Gutachten der Experten- kommission, dass wir noch lange nicht am Ziel sind: Wenn die Chancen auf ein Hochschulstudium für Aka- demikerkinder viermal höher sind als die für gleicherma- ßen begabte Kinder aus Arbeitnehmerfamilien, wenn Studiengebühren dazu führen, dass junge Menschen nicht studieren können und wenn immer noch die soziale Herkunft über die Aufnahme eines Studiums entschei- det, wissen wir, dass sozialdemokratische Bildungspoli- tik wichtiger ist denn je. Die Expertenkommission schreibt auf Seite 123: Der Abbau dieses Ungleichgewichts ist allein schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit erforder- lich. Wenn diese Begründung Union und FDP nicht aus- reicht, um endlich BAföG zu unterstützen, Studienge- bühren abzuschaffen und für ein modernes und gerechtes Bildungssystem einzutreten, wie es die SPD tut, fruchtet vielleicht der Appell, dass die Fortsetzung konservativ- liberaler Bildungspolitik die technologische und damit ökonomische Zukunftsfähigkeit unseres Landes gefähr- det. Wir brauchen jeden jungen Menschen – unabhängig von seiner sozialen Herkunft. Die letzte Rede in einer Legislaturperiode bietet auch immer die Möglichkeit des Dankes. Ich will mich ausdrücklich bedanken bei den Koalitionspartnern der SPD in den letzten elf Jahren. Mit den Grünen zusammen haben wir 1998 begonnen, nach Jahren der Resignation und Stagnation endlich wieder neue Impulse bei Bildung und Forschung zu setzen. Wir sind dankbar dafür, dass auch die Union diesen Weg in der Großen Koalition mitgegangen ist. Das aktuelle EFI-Gutachten bestätigt das: Auch in Deutschland, wo praktisch die gesamten 1990er Jahre hindurch Stillstand geherrscht hatte, konnte ab 1998 eine Ausweitung der staatlichen FuE-Budgets um gut 1 Prozent jährlich realisiert werden. Man kann das auch kürzer ausdrücken: Wenn die SPD regiert, ist das gut für Bildung und Forschung. Cornelia Pieper (FDP): Ob Deutschland die He- rausforderungen der Rezession als Folge einer internatio- nalen Finanz- und Wirtschaftskrise meistern wird, hängt in entscheidendem Maß auch davon ab, wie gut es Staat und Wirtschaft gelingen wird, einerseits geeignete Be- dingungen für einen schnellen und effizienten Transfer von Forschungs- und Entwicklungsleistungen in innova- tive und marktgerechte Produkte zu schaffen und ande- rerseits die Zukunftsfähigkeit forschender Unternehmen durch Stärkung ihrer Investitionskraft zu sichern. Wir alle wissen um die Bedeutung der Eigenkapitalbasis für die Realwirtschaft. Doch gerade junge Technologieun- ternehmen, ob Spin-off oder Start-up, haben gerade da- von nicht genug. Nicht viel besser geht es einer großen Zahl von innovativen kleinen und mittelständischen Un- ternehmen. Der Anteil der forschenden Unternehmen hierzulande liegt seit Jahren unverändert bei circa 25 Prozent. Ihr FuE-Anteil am BIP lag 2007 bei 1,77 Prozent. Leider sind die Innovationsbeiträge aller 26032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) klein- und mittelständischen Unternehmen, KMU, zurück- gegangen. Wo stehen wir heute? Die staatliche Förderung der FuE in den Unternehmen ist seit Jahren rückläufig. Der Finanzierungsanteil der öffentlichen Hand an den FuE- Aufwendungen der Wirtschaft ist von 16,9 Prozent im Jahr 1981 auf 4,5 Prozent im Jahr 2006 gefallen. Er kon- zentriert sich auf die direkte Projektförderung mit oft- mals komplizierten Antragsverfahren. Der drastische Rückgang der öffentlichen FuE-Beteiligung in Deutsch- land ist nicht unkritisch, wenn man an die Hebelwirkung der öffentlichen FuE-Förderung denkt. Jeder Euro staat- licher FuE-Finanzierung mobilisiert im Schnitt ungefähr 1,6 Euro für FuE von der Wirtschaft. Auch die OECD stellte fest, dass immer mehr Staaten – heute sind es be- reits 21 von 30 Staaten – zusätzlich zu einer FuE-Pro- jektförderung breitenwirksame Förderinstrumente – wie die steuerliche FuE-Förderung – zur Stimulierung des Forschungsengagements der Unternehmen eingeführt haben. Beispielgebend hierfür sind die USA, Kanada, Mexiko, Australien, Korea, Spanien, Portugal, Irland, Großbritannien, Österreich, die Niederlande und Frank- reich sowie Japan. Die staatlichen Anreize liegen damit deutlich niedriger als bei der Mehrheit der OECD-Staa- ten. Was sind die Konsequenzen, die die Bundesregierung hieraus zieht? Sie entzieht mit der jüngsten Unterneh- menssteuerreform der Wirtschaft weiteres Eigenkapital durch einfaches „Wegsteuern“. Die restriktiven Regelun- gen bei einer Funktionsverlagerung oder bei einem Man- telkauf behindern in einem hohen Maße Investitionen in Forschung, technologische Entwicklung und Innovation. Bei der Funktionsverlagerung muss insbesondere sicher- gestellt werden, dass Forschungs- und Entwicklungsin- vestitionen im Inland oder der Wissenstransfer innerhalb verbundener Unternehmen nicht erschwert werden. Eine Verdoppelung von Funktionen darf hier nicht als Funk- tionsverlagerung gelten. Nur wenige international tätige Unternehmen werden künftig Deutschland als Standort für ihre Forschung und Entwicklung wählen, weil sie die „Gewinnpotenziale“ aus dieser Forschung vollständig hierzulande versteuern müssen, wenn sie die Erkennt- nisse aus ihren Forschungen auch außerhalb Deutsch- lands nutzen wollen. Die Funktionsverlagerungsbesteue- rung wirkt also insbesondere für Forschungsaktivitäten wie eine „Steuermauer“ um Deutschland. Beim Mantel- kauf ist insbesondere die vollständige Streichung des Verlustvortragspotenzials bei jeder Übernahme von mehr als 50 Prozent der Anteile durch einen Investor vor allem bei innovativen Unternehmen forschungsfeindlich. Zudem muss die innovationsfeindliche Zinsschranke ent- fallen. Sie erlaubt, wenn das Unternehmen keine Zinsein- nahmen in gleicher Höhe hat, nur eine 30-prozentige steu- erliche Berücksichtigung von Darlehenszinsen. Der internationale Standortvergleich zeigt, dass gerade das Steuersystem ein wichtiger Faktor in der Standortbewer- tung der Unternehmen ist. Das aktuelle Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2009 der Experten- kommission Forschung und Innovation, EFI, spricht sich völlig zu Recht für die Einführung einer FuE-Förderung durch Tax Credits für Forschung und Entwicklung im Steuersystem aus. Ja, die deutsche Wirtschaft braucht eine international vergleichbare breitenwirksame steuer- liche FuE-Förderung, denn im Vergleich mit anderen In- dustrienationen befindet sich Deutschland in einer nach- teiligen Position. Deswegen hat sich die FDP auf meine Initiative hin entschieden, die steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung zu ihrem Regierungspro- gramm zu machen. Einen entsprechenden Antrag haben wir im Deutschen Bundestag eingebracht. Hinzukommt: Die Regierungskoalition hat bisher versagt, die richtige Weichenstellung für ein forschungsfreundliches Steuer- system zu stellen. Den Ankündigungen der Forschungs- ministerin Schavan einer steuerlichen Forschungsförde- rung sind keine Taten gefolgt, sondern auf den Tag nach der Bundestagswahl verschoben worden. Wir werden Sie an Ihrem Versprechen messen, Frau Schavan. Eines der großen Probleme für junge Forscher und Unternehmensgründer ist der Mangel an Wagniskapital. Förderinstrumente wie der Hightech-Gründerfonds, ein Public Private Partnership von Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, KfW Bankengruppe sowie sechs Industriekonzernen – BASF, Deutsche Telekom, Siemens, Robert Bosch, Daimler und Carl Zeiss – haben noch nicht genügend Unterstützer aus der Wirtschaft ge- funden. Sein Fondsvolumen liegt bei rund 272 Millionen Euro. Der Hightech-Gründerfonds investiert Risikokapi- tal in junge, chancenreiche Technologieunternehmen, die vielversprechende Forschungsergebnisse unterneh- merisch umsetzen. Mithilfe der Seed-Finanzierung von bis zu 500 000 Euro sollen die Start-Ups das FuE-Vorha- ben bis zur Bereitstellung eines Prototypen bzw. eines „Proof of Concepts“ oder zur Markteinführung beglei- ten. Ganz oben auf der Agenda der FDP steht die Forde- rung nach Erleichterungen für Wagniskapitalgeber. Wir wollen unsere Kraft in den nächsten Jahren dafür einset- zen, dass ein modernes Private-Equity-Gesetz den not- wendigen Rahmen schafft. Zugleich wollen wir das Stif- tungsrecht vereinfachen. Darüber hinaus brauchen wir eine Verbesserung der Einbeziehung des informellen Ka- pitalbeteiligungsmarktes der Business Angels, um die Finanzierungslücken in der Frühphase von innovativen Unternehmen zu schließen. Ich werbe nach wie vor für die Forschungsprämie, eine 25-prozentige staatliche Be- zuschussung für Hochschulen und Forschungsinstitute, die mit Unternehmen zusammenarbeiten. Sie muss aber mit einem unbürokratischen Antragsverfahren allen Un- ternehmen zugänglich gemacht werden. Wir werden heute in zweiter und dritter Lesung über die Beschlussempfehlung und den Bericht des For- schungsausschusses zu verschiedenen Anträgen zur For- schung für die Nanotechnologien abschließend beraten und über den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion sofort abstimmen. Es spricht für die Bedeutung der Nanotech- nologien, wenn wir das heute in der letzten planmäßigen Beratung der 16. Legislaturperiode tun. Die Nanotech- nologien gelten für die FDP wegen ihres hohen Poten- zials zur grundlegenden Durchdringung ganzer Techno- logiefelder als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Sie haben maßgeblichen Einfluss auf Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26033 (A) (C) (B) (D) die Weiterentwicklung von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft und werden künftig alle Lebensbereiche des Menschen durchdringen. Die Nanotechnologien sind für mich neben den Informations- und Kommunika- tionstechnologien eine der wichtigsten Zukunftstechno- logien. In ihnen liegt das Potenzial für zukunftssichere Arbeitsplätze, ein nachhaltige Ressourcen schonendes Wachstum sowie eine bessere Gesundheitsvorsorge und -versorgung. Bereits heute hängen in Deutschland direkt oder indi- rekt zwischen 50 000 und 100 000 Arbeitsplätze von den Nanotechnologien ab. Als Querschnitttechnologie wird die Nanotechnologie in den verschiedensten Anwen- dungsbereichen, von der Medizin, Chemie und Raum- fahrt über die Optik bis hin zur Sensorik, ihren Einzug halten. Bereits im Jahr 2015 wird es kaum noch einen Bereich in unserem Leben geben, in dem nicht Materia- lien in Nanogröße eine Rolle spielen. Nanomaterialien werden künftig zu einer verbesserten und verträglichen Individualmedizin und somit zu einer verbesserten Dia- gnose und Therapie führen. Sie werden Wirkstoffe von Medikamenten im menschlichen Körper zielgenau zum Ort der Erkrankung transportieren und eine optimale Dauermedikation ermöglichen. In der klinischen For- schung sind bereits Nanomaterialien mit magnetischen Eigenschaften bekannt, die der gezielten nichtinvasiven Tumorbekämpfung dienen. Nanotechnologien bringen aber nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische Vorteile – das zeigt die dritte Studie „Nachhaltigkeitsef- fekte der Nanotechnologie“ des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung der Universität Bremen. Die Öko- bilanzen verschiedener Anwendungsbeispiele zeigten positive Nachhaltigkeitseffekte durch den Einsatz der Nanotechnologien. Beeindruckende Ergebnisse zeigen Lacke mit nanotechnologischen Komponenten, deren Energie- und Schadstoffbilanz wesentlich besser als bei herkömmlichen Verfahren ist. Ein weiteres Beispiel ist die Licht emittierende Diode, LED. Sie ist schon heute energetisch günstiger als die herkömmliche Glühbirne; in den Labors wird daran gearbeitet, ihre Lichtausbeute noch erheblich zu steigern. Dann ist ihre Energiebilanz noch günstiger als bei Energiesparlampen. Auch in neue Berufsbilder und der Novellierung von Berufsausbildungs- und Studienordnungen wird die Na- notechnologie ihren Einzug halten. Nur mit entsprechen- der Fachkompetenz und einem gut ausgebildeten Berufs- nachwuchs sind die Vorsprünge Deutschlands in der Nanotechnologie zu halten. Das schließt ein, dass zu- gleich die Lehreraus- und Lehrerweiterbildung auf diese Entwicklung reagieren muss, um die junge Generation in die Lage zu versetzen, wieder mehr nach den Chancen neuer Technologien zu fragen, ohne dabei den kritischen Blick für die Risiken zu verstellen. Der Standort Deutschland hat in der Nanotechnologie ein hohes Niveau erreicht. Deutschland nimmt in der Forschung zur Nanotechnologie weltweit den zweiten Platz nach den USA ein. In der Umsetzung in marktfä- hige Produkte und Anwendungen liegt es allerdings hin- ter den USA und Japan. Es besteht jedoch die Gefahr, dass – wie bei vielen anderen Technologien, die in Deutschland entwickelt wurden – die herausragenden Forschungsergebnisse aus der Grundlagenforschung und der anwendungsorientierten Forschung bei uns nicht im erforderlichen Umfang in neue innovative Produkte ein- fließen und damit die Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Ausland erfolgen. Die Chemike- rin Marie Curie sagte einmal: „Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.“ Die- sem Denkansatz müssen wir uns verpflichtet fühlen. Ja, wir müssen unseren Erkenntnisgewinn auch nutzen, um die Wirkzusammenhänge besser zu verstehen und Ge- fahren frühzeitig zu erkennen. Nur so können wir Vorbe- halte und Ängste überwinden. Sicherlich wurden in der Vergangenheit große Fehler gemacht. Eine unkritische Technikgläubigkeit ging oft mit Leichtsinn einher. Das Ergebnis: Die Angst scheint sich wie Mehltau über un- sere Gesellschaft zu legen. Vielfach wird zuerst nach den Risiken gefragt. Die Frage nach den Chancen steht oft erst an zweiter Stelle. Genau an diesem Punkt muss auch die wissenschafts- und forschungspolitische Arbeit an- setzen. Ich sehe es als forschungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion als meine Aufgabe an, im Deutschen Bundestag und seinen Gremien einerseits die Forschung auf dem Gebiet der Nanotechnologie zu för- dern, andererseits zugleich Sorge dafür zu tragen, dass die Sicherheitsforschung fest in diese Forschungspro- gramme integriert ist. Wir alle wissen, dass das griechische Wort „Nanos“ soviel wie „der Zwerg“ bedeutet. Fast jeder von uns weiß, dass die mathematische Einheit „nano“ ein Milliardstel bedeutet. Aber haben wir heute schon standardisierte Ver- fahren für die Messung und Prüfung nanopartikulärer Stoffe? Genau hier muss die Arbeit der Wissenschaftler ansetzen, in deren Ergebnis wir über geeignete Prüf- und Messmethoden für die Sicherheitsforschung verfügen. Erst darauf aufbauend, können wir unsere derzeitige Gesetzeslage zum Schutz der Gesundheit und zum Ar- beitsschutz, das Chemikaliengesetz und auch die Alt- stoffverordnungen, das Arzneimittel- und Medizinpro- duktegesetz anpassen. Ich bin meiner Verantwortung frühzeitig nachgekom- men. Bereits im Jahr 2001 habe ich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung mit auf den Weg gebracht, in der ich den Stand und die Entwicklung der Nanotechnologie kritisch hinterfragte, Drucksache 14/5443. Im Jahr 2004 gelang es meiner Arbeitsgruppe Bildung und Forschung die Diskussion in der Fraktion zum Thema anzustoßen, was letztendlich dazu führte, in einem Antrag an den Deutschen Bundestag die Positionen der FDP aufzuzeigen und klare Forderungen zu stellen, Drucksache 15/3074. Als Obfrau im Bildungs- und Forschungsausschuss bin ich auch für den Bereich der Technikfolgenabschätzung verantwortlich. Insofern habe ich auch das TAB-Projekt Nanotechnologie von Beginn an begleitet. Der überaus interessante Bericht wurde vom Bundestag zur Kenntnis genommen – und bestimmt in weiten Feldern unsere politische Arbeit, Drucksache 15/2713. Eine wirkliche, ressortübergreifende und in sich kon- sistente Gesamtforschungsstrategie zur Nanotechnologie ist auch aus unserer Sicht notwendig. Die „Nano-Initia- tive – Aktionsplan 2010“, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer Hightech-Strategie auf den Weg gebracht 26034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) hat, kann nur ein Anfang sein. Freiheit der Forschung im Dienste des Menschen ist liberales Credo. Freiheit der Forschung ist auch Verfassungsgrundsatz. Freiheit der Forschung garantiert Wissens- und Erkenntnisgewinn für Innovationen. Sie sind der eigentliche Reichtum unseres Landes. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Expertenkommis- sion Forschung und Innovation hat, beauftragt durch die Bundesregierung, ihr zweites unabhängiges Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leis- tungsfähigkeit Deutschlands vorgelegt. Bemerkenswert ist, dass man sich wiederum der Komplexität des The- mas gestellt hat. Es werden Rahmenbedingungen zur Stärkung der Innovationskraft Deutschlands betrachtet: von der Kindertagesstätte über Schul-, Aus- und Hoch- schul- bis zur lebenslangen Weiterbildung, von den Akteuren bis zu Strukturen von Wissenschaftseinrich- tungen, von Grundlagen- über anwendungsorientierte Forschungsförderung durch spezifische staatliche Pro- gramme bis zu spezifischen steuerlichen Anreizen der Innovations- bzw. FuE-Förderung in Unternehmen. Anfangs wird ganz klar festgestellt, dass Deutschland die Zielsetzung – 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren – verfeh- len wird, sofern es beim bisherigen Herangehen bleibt. Es finden sich auch alle der Öffentlichkeit längst be- kannten Kritiken am Bildungssystem Deutschlands in diesem Gutachten wieder: Unterfinanzierung, Qualitäts- und Personalmangel, soziale Auslese mangels adäquater Förderangebote und zusätzliche Hürden zwischen ein- zelnen Bildungsabschnitten, um nur einige wesentliche zu nennen. Die Große Koalition hat daran in den letzten vier Jah- ren nichts geändert. Von einer grundlegenden demokrati- schen Bildungsreform mit sozialer Ausrichtung ist sie weit entfernt. Das Gutachten jedoch fordert zudem von der Politik nachdrücklich, eine steuerliche Förderung von For- schung und Entwicklung auf den Weg zu bringen. Die Linke will sich dieser Debatte nicht verschließen, unter- stützen wir doch auch Maßnahmen, die innovativen klei- nen und mittelständischen Unternehmen bessere Per- spektiven bieten. Gerade die ostdeutschen Bundesländer leiten daraus attraktivere Entwicklungschancen ab. Wir haben uns also gefragt, was steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung bewirken kann. Dabei hilft eine Analyse der Praxis in anderen Ländern. Deren Ergebnisse geben Befürwortern von Steuersubventionen keineswegs recht. Gerade Länder, die besonders viel in Bildung und Grundlagenforschung investieren und keine Steuerermäßigungen für Unternehmen gewähren, stehen in der Summe ihres Innovationspotenzials, speziell auch bei den industriellen FuE-Ausgaben besonders gut da – Schweden, Finnland und die Schweiz etwa. Umgekehrt schaffen es einige Länder seit Jahren nicht, trotz steuerli- cher Förderung, bessere Ergebnisse zu erzielen, sondern zeigen geringe, zum Teil weiter abnehmende FuE-Ausga- ben – siehe Niederlande und Großbritannien. Von den sechs OECD-Spitzenländern bei den FuE-Ausgaben nut- zen lediglich zwei dieses Instrument. Die Hebelwirkung steuerlicher Förderung kann also nicht universal belegt werden. Vielmehr muss diese, eingebettet in das gesamte innovationspolitische Umfeld, geprüft werden. Rankings wie der „Innovationsindikator“ des BDI zeigen, dass Deutschland verglichen mit anderen Indus- trienationen vor allem in der Bildung nachholen muss. Und wer Unternehmen Steuern erlässt, verschenkt eben auch Mittel für Bildung und Ausbildung! Das von der Forschungsministerin bevorzugte Steuermodell etwa würde zwischen 4 und 5 Milliarden Euro pro Jahr kos- ten. Um genau die gleiche Summe haben sich Bund und Länder bei den Hochschul- und Forschungspakten nun fast ein Jahr gestritten. Die Unternehmen würden dieses Geld gern anneh- men, jedoch kein eigenes investieren. Forschung und Entwicklung gehören ohnehin zu den Kernaufgaben von Unternehmen, um am Markt zu bestehen. Staatliche Un- terstützung ließe sich nur dann begründen, wenn da- durch ein deutlich überproportionaler Zuwachs an priva- ten Forschungsaktivitäten erzielt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Lediglich in Höhe der Gutschrift würden die Steuer- gutscheine zusätzliche private Forschungsmittel induzie- ren, stellte ein international vergleichendes Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums fest. Das hieße, sie bekommen die Investitionen zu 100 Prozent subventioniert. Aussagekräftiger kann die Mitnahme- mentalität kaum belegt werden. Die steuerliche Förderung von FuE stellt weder die Arbeitsplatzbilanz noch sozial-ökologische Basisziele in den Vordergrund, sondern ausschließlich die Steigerung der Wertschöpfung. Nicht jede Innovation dient jedoch der Allgemeinheit und sollte daher mit Steuermitteln ge- fördert werden. Weder sichern oder schaffen Innovatio- nen per se Arbeitsplätze, noch fördern sie stets wün- schenswerte Entwicklungen. Bestes Beispiel ist etwa die Pharmaindustrie, die mit Milliardenbeträgen Medika- mente für erfundene Krankheitsbilder oder ausgewie- sene Wohlstandskrankheiten entwickelt und bewirbt, nur weil diese kaufkräftige Nachfrage abschöpfen, während andere wichtige, globale Krankheiten vernachlässigt werden. Die Linke zeigt in ihrem Antrag einen alternati- ven Weg für die Pharmaentwicklung auf. Ja selbst Nano- technologie, zu welcher ebenfalls Anträge gestellt wur- den, muss differenziert bewertet werden. Schließlich sind auch Waffensysteme, Sportwagen oder Atomreaktoren Produkte, bei deren Entwicklung Deutschland führend ist und die, folgt man den Empfeh- lungen der Gutachter, steuerlich gefördert würden. Das will die Linke nun ganz und gar nicht. Technologieunab- hängige steuerliche Erleichterungen ohne jegliche Steue- rungswirkung halten wir für höchst problematisch. Politik steht in der Verantwortung, Forschungs- und Technologieförderung an einer sozial und ökologisch nachhaltigen, ergo gemeinnützigen Perspektive auszu- richten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26035 (A) (C) (B) (D) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir befinden uns in der dramatischsten Wirt- schaftskrise seit 1930. Die Wirtschaftskraft Deutsch- lands bricht dieses Jahr um 6 Prozent ein. Die Menschen sorgen sich um ihre Jobs, ihr Einkommen, ihre Zukunft. Nur wenn wir jetzt massiv in Forschung und Entwick- lung investieren, können wir es schaffen, stärker aus der Krise herauszukommen, als wir hineingegangen sind. Das sagen Sie, Damen und Herren von der Großen Koalition, auch. Nur leider handeln sie nicht entspre- chend. Ihre Politik ist teilweise gespenstisch unvernünftig: Sie stecken mit der Abwrackprämie 5 Milliarden Euro in die Schrottplätze dieser Republik. Sie verpulvern 6 Mil- liarden Euro in Einkommensteuersenkungen, die kon- junkturell verpuffen, die Schulden in die Höhe treiben, aber für die Innovationskraft dieses Landes gar nichts bringen. Solche Maßnahmen sorgen dafür, dass wir nicht stärker aus der Krise herauskommen, sondern schwä- cher. Die bisherige deutsche Forschungsförderung benach- teiligt massiv kleine und mittlere Unternehmen. An- tragsverfahren sind aufwendig und kompliziert. Viele in- novative Ideen können nicht gefördert werden, weil es kein entsprechendes Programm gibt. Kleine und mittlere Unternehmen haben besonders große Schwierigkeiten, Forschung und Entwicklung zu finanzieren. Das Ergebnis: Kleine und mittlere Unternehmen be- streiten nur 14 Prozent der Forschungs- und Entwick- lungsausgaben der Wirtschaft in Deutschland, obwohl sie einen Großteil aller Unternehmen ausmachen und das Rückgrat der Wirtschaft bilden. In Zeiten der Wirtschaftskrise fahren viele ihre For- schungsbudgets noch weiter zurück. Eine aktuelle Um- frage der Bertelsmann-Stiftung unter 2 500 Unterneh- men zeigt dies auf dramatische Weise: Zwischen 2005 und 2007 haben noch 72 Prozent der Unternehmen in Deutschland mindestens eine Produkt- oder Verfahrens- neuerung eingeführt, bis 2010 planen nur noch 62 Pro- zent der Unternehmen, weitere Neuerungen zu entwi- ckeln. Das lässt einen Einbruch der Innovationstätigkeit der Wirtschaft um 15 Prozent erwarten. Dabei brauchen wir gerade jetzt mehr Innovationen, um die Wettbe- werbsfähigkeit Deutschlands zu stärken und den Klima- wandel aufzuhalten. Deshalb wollen wir zusätzlich zur Projektförderung eine Steuergutschrift für Forschung und Entwicklung einführen, die folgende Eckpunkte umfasst: Anspruchs- berechtigt sind alle Unternehmen bis zu einer Größe von 250 Mitarbeitern, unabhängig von der Rechtsform; die Steuergutschrift beträgt 15 Prozent der nachgewiesenen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen; über- steigt die Steuergutschrift die Steuerschuld, wird der ent- sprechende Betrag an das Unternehmen ausgezahlt. Die grüne Steuergutschrift verbessert nachhaltig die Mög- lichkeiten für Unternehmen, Forschung und Entwicklung zu finanzieren. Sie stimuliert breitenwirksam und ergeb- nisoffen Innovationen und kommt auch jungen, innova- tiven Unternehmen, die noch Verluste schreiben, zugute. Wir Grünen haben damit die zentrale Empfehlung des EFI-Gutachtens 2009 aufgegriffen und ein konkretes Modell zur steuerlichen Forschungsförderung entwi- ckelt, das heute zur Abstimmung steht. Was machen die anderen Parteien? Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm die Einfüh- rung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung, bleibt aber sehr allgemein und nebulös. Leider gilt dies auch für ihren heute vorliegenden An- trag. Das ist zuwenig. Wer es ernst mit steuerlicher For- schungsförderung meint, muss sagen, welches konkrete Modell er umsetzen und wie er es finanzieren will. Bis 2013 klafft ein gigantisches Loch von über 300 Milliar- den Euro im Haushalt. Die FDP verspricht Einkommen- steuersenkungen von 35 Milliarden. Damit verspielt die FDP die letzten Fetzen finanzpolitischer Seriosität; das Versprechen, zusätzlich Forschung im Steuersystem in der Breite besserzustellen, ist alles andere als glaubwür- dig. Union und SPD haben zum Thema in den letzten Jah- ren nichts vorgelegt oder verabschiedet, fordern aber nun in ihren Wahlprogrammen eine steuerliche Forschungs- förderung. Ministerin Schavan plädiert seit längerem für steuerliche Forschungsförderung, aber erreicht hat sie nichts. Aufnahme in die Konjunkturpakete? Fehlan- zeige! Erarbeitung eines Konzeptes mit dem Koalitions- partner? Fehlanzeige! Aufnahme eines konkreten Mo- dells ins Wahlprogramm? Fehlanzeige! Nicht einmal eine präzise Vorstellung, was sie persönlich will, hat sie vorgelegt. Warme Worte und laue Absichtserklärungen helfen niemandem. Wir brauchen entschlossenes Han- deln, Frau Ministerin. Wir Grünen sind die einzige politische Kraft, die mit der Steuergutschrift ein konkretes Modell entwickelt hat, das zielgenau und finanzierbar ist. Wer ernsthaft For- schung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unter- nehmen einen Schub geben will, wer stärker aus der Krise herauskommen will, wer jetzt die Voraussetzungen für die Jobs von morgen schaffen will, der hat heute nur eine Wahl: unserem grünen Antrag zuzustimmen. Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Bildung und Forschung: Die Welt steht vor großen Herausforderungen mit Deutschland als eine führende Technologienation in der ersten Reihe. Wie kann unser Land im globalen Wettbewerb bestehen? Wie schaffen wir dauerhaft Arbeitsplätze? Woher kommt das neue Wachstum? Gerade in der Krise nimmt der interna- tionale Wettbewerb um Talente, um Technologien und Marktführerschaft an Härte zu. Nehmen Sie nur das Bei- spiel Korea, das seine Forschungsausgaben bis 2011 auf 5 Prozent des BIP steigern will. Auch der amerikanische Präsident Obama hat Ende April sein 3-Prozent-Ziel für Forschung und Wissenschaft ausgerufen. Er will Innova- tionen für Klima, Energie und Gesundheit massiv – auch durch den Einsatz enormer staatlicher Mittel – vorantrei- ben. Was bedeutet das für uns? Investitionen und verbes- serte Rahmenbedingungen für Bildung und Ausbildung, 26036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) für ein gestärktes Wissenschaftssystem und für mehr Forschung und Innovation sind die beste Krisenpolitik. Sie sind die Grundlage für sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wer jetzt an Forschung und Innovation spart, verschenkt ein Stück Zukunft. Deutschland steht im internationalen Vergleich noch sehr gut da – noch! In keinem anderen Industrieland ist der Anteil der forschungsintensiven Industrien und wis- sensbasierten Dienstleistungen an der Wertschöpfung höher als in Deutschland. Dieser Vorsprung lebt von zwei Ressourcen: von den Menschen und ihren Ideen. Wir haben eine herausragende Forschungs- und Wissen- schaftslandschaft sowie hochinnovative Unternehmen. Diese Bundesregierung hat Maßgebliches geleistet, um diesen Vorsprung zu sichern und auszubauen. Deutschland investiert wieder mehr in FuE. Seit 2005 haben wir die staatlichen Ausgaben für FuE um rund 3 Milliarden Euro erhöht, von 9 Milliarden auf rund 12 Milliarden Euro in 2009. Zusätzlich werden im Rah- men der Konjunkturpakete für 2009 bis 2011 weitere Mittel für FuE bereitgestellt. Es ist uns gelungen, allein das Budget des Bildungs- und Forschungsministeriums um 35 Prozent zu steigern. An dieser Stelle ein expliziter Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen – an erster Stelle den Bildungs- und Forschungspolitikern und na- türlich unseren Haushältern! Dass wir auf dem richtigen Weg sind, bestätigt uns auch die Expertenkommission Forschung und Innova- tion, EFI, deren Bericht uns heute vorliegt. Sie beschei- nigt dem deutschen Innovationssystem internationale Wettbewerbsfähigkeit und der Bundesregierung mit Blick auf die Hightech-Strategie die Herausforderungen erkannt und die richtige Initiative ergriffen zu haben. Die Experten stellen aber auch fest: Angesichts der aktuellen Prioritätensetzung auf Forschung und Innova- tion weltweit müssen wir jede Anstrengung – auch fi- nanzieller Ressourcen – wagen, um am Ende der aktuel- len Herausforderungen wettbewerbsfähiger zu sein als vorher. Eine große Tageszeitung überschrieb letzten Sonntag einen Artikel mit dem Credo: „Du sollst nicht an der Forschung sparen!“. Diesem Credo schließe ich mich an. Wir brauchen eine Stabilisierung der Forschungsaufwendungen beim Staat und in der Wirtschaft und eine nach vorne gerich- tete Forschungs- und Innovationspolitik. Dabei benötigen wir vor allem ein innovationsfreund- licheres Steuersystem: Zu einem Gesamtpaket gehören Verbesserungen, die den in Deutschland noch nicht genug entwickelten Wagniskapitalmarkt für junge innovative Unternehmen beleben ebenso wie die Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschungs- und Entwick- lungsausgaben. Die beiden Oppositionsanträge zur steu- erlichen FuE-Förderung zeigen – auch wenn sie in ihren Darstellungen für die Koalitionsfraktionen nicht zustim- mungsfähig sind –, dass wir hier ein gemeinsames Projekt für die nächste Legislaturperiode haben. Dieses Projekt sollten wir mit den Fachleuten zügig zur Entscheidungs- reife bringen und in der nächsten Legislaturperiode schnell umsetzen. Vor allem aber müssen wir das Erfolgsmodell „High- tech-Strategie“ mit seinem ressort- und fachpolitiküber- greifenden Ansatz konsequent fortführen. Denn neuer Wohlstand entsteht dort, wo für die bedeutenden Heraus- forderungen unserer Zeit Lösungen gefunden werden: Gesundheit/Ernährung, Klima und Energie, Sicherheit, und nachhaltige Mobilität. Hierbei werden wir aber nur dann erfolgreich sein können – das bestätigen alle Experten –, wenn wir stark in den Treibertechnologien sind und diese in Deutsch- land gezielt fördern. Hierzu gehören die optische Tech- nologie, die Mikro- und Werkstofftechnologie sowie in- novative Produktionstechnologien. Dazu gehören aber auch die Bio- und Nanotechnologie. In der Nanotechno- logie arbeiten in Deutschland über 60 000 Menschen in rund 750 Unternehmen und haben in 2007 einen Umsatz von 33 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das Weltmarkt- volumen für nanooptimierte Produkte wird für das Jahr 2015 auf 3 Billionen US-Dollar geschätzt. Lassen Sie uns dieses Potenzial für Deutschland nutzen. Nicht dass Sie mich falsch verstehen, ich möchte hier nicht einer ungebremsten Technikgläubigkeit das Wort reden. Wo Risiken durch und bei der Entwicklung neuer Produkte entstehen können, müssen wir diese klären und soweit wie möglich ausschließen. Hier können wir für mögliche neue Produkte auf bewährte rechtliche Rege- lungen wie das Arzneimittelrecht zurückgreifen. Die Klärung möglicher „Nebenwirkungen“ von Nanopro- dukten muss auch bei der Forschungsförderung ange- messen berücksichtigt werden; das ist doch selbstver- ständlich. Das BMBF tut dies bereits durch Projekte wie „Nanocare“, dessen Ergebnisse wir vor kurzem vorstel- len konnten. Aber wer nur Risiken sieht und unseren Spitzenwis- senschaftlern vermittelt, dass die Chancen und Ergeb- nisse ihrer Forschung eher unerwünscht sind, sendet das eindeutig falsche Signal. Wir brauchen Risikoforschung, aber vor allem brauchen wir „Chancenforschung“ in die- sen wichtigen Technologiefeldern. In dem vorliegenden Bericht der Bundesregierung „Forschung und Innovation für Deutschland“ werden die Maßnahmen und Leitlinien der Innovationspolitik dieser Bundesregierung, die die besondere Handschrift unserer Forschungsministerin Annette Schavan tragen, im Detail dargestellt. Die Erfolge der Hightech-Strategie sind un- übersehbar. Jetzt müssen wir konsequent nach vorne bli- cken und das Begonnene zielstrebig weiterentwickeln. Das Ziel heißt nicht nur Bildungsrepublik, sondern auch „Wissen- und Innovationsrepublik Deutschland“. Der Weg ist eine übergreifende und gebündelte Innovations- strategie, die Wirtschaft und Wissenschaft verbindet und Forschungsförderung in einem ganzheitlichen Ansatz mit Rahmenbedingungen zusammenführt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26037 (A) (C) (B) (D) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts und zu den Anträgen: – Moratorium für die elektronische Gesund- heitskarte – Das Recht auf informationelle Selbstbestim- mung bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gewährleisten (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal zusammenfassen, worüber wir hier, an einem der letzten Sitzungstage des Bundestages in der 16. Legislaturperiode, debattieren: Die FDP for- dert ein Moratorium der E-Card, bis die optimale Daten- sicherheit gewährleistet sei, die nach ihrer Auffassung zum heutigen Stand noch nicht erreicht sei. Bündnis 90/ Die Grünen fordern die Einhaltung des Datenschutzes und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das für Versicherte bzw. Patienten geltende Prinzip der Freiwilligkeit müsse auch für die Leistungserbringer gel- ten. Ihre gemeinsame Forderung bei der Beratung der Anträge im Gesundheitsausschuss war es, eine Anhö- rung zum Thema durchzuführen. In dieser Anhörung, die am 25. Mai dieses Jahres stattfand, gaben Sachver- ständige von 17 Verbänden sowie sechs Einzelsachver- ständige aus dem Gesundheitsbereich und dem Daten- schutz ihre Stellungnahmen ab. Verkürzt und zusammengefasst lautet das Ergebnis der Anhörung: Die überwiegende Mehrzahl der Verbände und Sachverständigen, ausdrücklich auch die Daten- schutzexperten, sehen die Datensicherheit weitestgehend und mit allen uns zur Verfügung stehenden Instrumenten als gewährleistet an. Es wurde bestätigt, dass das vorlie- gende Konzept der E-Card den Anforderungen eines mo- dernen Datenschutzes unter rechtlichen wie technischen Gesichtspunkten entspricht. Ob dezentrale oder zentrale Datenspeicherung, sei für die Datensicherheit unerheb- lich. Es wurde festgestellt, die E-Card sei um ein Vielfa- ches – genau gesagt hieß es zwanzigmal – sicherer als die Karten und Sicherheitsvorkehrungen von Banken. Ab- weichend davon sieht nur der Chaos-Computer-Club noch einen Verbesserungsbedarf bei den Sicherheits- anforderungen, den man in einer Frist von einem Jahr er- füllen könnte. Die Ausdehnung des Freiwilligkeitsprinzips für die Leistungserbringer wird vor allem von der Ärzteschaft gefordert: KBV, BÄK, BZÄK. Selbst die Fachleute und ausgewiesenen Experten, die von Berufs wegen sehr verantwortungsbewusst und kri- tisch überwachen, ob und wie der Datenschutz für die Bürger in unserem Land gewährleistet ist, und die immer wieder kritisch durchleuchten und kontrollieren, ob die Datensicherheit in allen Bereichen unserer Gesellschaft gegeben ist, plädieren für die Einführung der e-GK. Die- ses Ergebnis der Anhörung muss Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen, doch nachdenklich machen. Es zeigt Ihnen, wie wenig substanziell ihre Forderungen eigentlich sind. Es ist allzu offensichtlich, dass ihre Anträge, die Sie kurz vorm Ende der Legislaturperiode eingebracht haben, an den Haaren herbeigezogen sind. Sie sind offenbar dem anste- henden Wahlkampf geschuldet. Wir sind uns darüber einig und es ist unbestreitbar Konsens aller Fraktionen hier im Bundestag wie auch al- ler Akteure im Gesundheitswesen, dass der Umgang mit den Gesundheitsdaten ganz besonderer Sorgfalt bedarf und deshalb größtmögliche Datensicherheit im Umgang mit der E-Card gewährleistet sein muss. Wenn ich in die- sem Zusammenhang von größtmöglicher Datensicher- heit spreche, so deshalb, weil eine absolut vollkommene Datensicherheit auch bei der Verwendung herkömmli- cher Aufzeichnungen, zum Beispiel auf Karteikarten, allein vor dem Hintergrund, dass diese gestohlen werden können, nie und nirgends gegeben ist. Der Bundes- beauftragte für den Datenschutz sieht die Einführung der E-Card sogar als eine gute Chance, damit eine generelle Verbesserung des Datenschutzniveaus in unserem Ge- sundheitswesen zu erreichen. Weil wir die Datensicherheit sehr ernst nehmen, wurde die E-Card in enger Abstimmung mit dem Bundesbeauf- tragten für den Datenschutz entwickelt. Der Datenschutz- beauftragte wird auch in die weitere Entwicklung und Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte einge- bunden sein, uns unterstützen und bewährt kritisch kon- trollieren. Um den hohen Anforderungen der Datensi- cherheit und des Datenschutzes in vollem Umfang zu entsprechen, wurde ja auch die ursprünglich schon für das Jahr 2006 geplante flächendeckende Einführung der E-Card verschoben. Denn damals zeigten die Testergeb- nisse noch viele Unzulänglichkeiten, die zwischenzeit- lich behoben worden sind. Das ist auch Ihnen bekannt. Es ist absolut abwegig und irreführend, trotzdem von ei- ner übereilten Einführung der E-Card zu sprechen. Da die Datensicherheit der E-Card höchsten Anforderungen ent- spricht, gibt es keinen Anlass, das Vorhaben aus den von Ihnen vorgetragenen Gründen zu stoppen. Unter wirt- schaftlichen und finanziellen Aspekten wäre ein Stopp sogar insofern unverantwortlich, als sowohl die Selbst- verwaltung, die Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereinigungen als die Industrie bereits beträchtliche In- vestitionen getätigt haben und entsprechende Verpflich- tungen, die zu hohen Schadenersatzforderungen führen würden, eingegangen sind. Die in der Anhörung zu Wort gekommenen Gutachter haben uns in der Überzeugung bestärkt, dass die elektro- nische Gesundheitskarte in einem modernen Gesund- heitssystem unverzichtbar ist. Wir brauchen die elek- tronische Gesundheitskarte, damit die medizinischen Fortschritte und vor allem die Fortschritte der Medizin- technik in vollem Umfang und zum Vorteil der Patienten genutzt werden können. Die Probleme bei der Einführung der E-Card liegen – das bestätigte uns die Anhörung ebenfalls – nicht im Bereich der Informationstechnik und der Datensicher- heit. Die Probleme bestehen vielmehr bei der Akzeptanz der E-Card in der Ärzteschaft. So forderte Professor 26038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Dr. Christoph Fuchs für die Bundesärztekammer, es müsse noch verstärkte Überzeugungsarbeit zum Abbau von Vorbehalten und Misstrauen bei den Ärzten geleistet werden, weil der Nutzen der e-GK vielen Ärzten noch nicht klar sei. Ich bin deshalb derselben Auffassung, die in der Expertenanhörung unter anderem auch von der KZBV und ihrem Gutachter Dr. Günther Buchholz vor- gebracht wurde: Man wird in Zukunft die elektronische Kommunikation auch vermehrt im Gesundheitswesen benötigen, aber man braucht Zeit, um die Leistungsan- bieter, vor allem die Ärzte, damit vertraut zu machen. Wie wir ebenfalls in der Anhörung bestätigt bekamen, stehen die Apotheker dem Vorhaben E-Card bereits posi- tiv gegenüber. Das von der Ärzteschaft geforderte Prinzip der Freiwilligkeit ist allerdings eine Forderung, die mit dem Ziel einer flächendeckenden Einführung der E-Card für alle Versicherten respektive Patienten, wie sie bereits seit dem Jahr 2004 beschlossen und im SGB V verankert ist, nicht vereinbar ist. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen, möchte ich in diesem Zusammenhang wiederholen: Es ist und bleibt vollkommen unbestritten und wird auch von niemandem in Frage gestellt, dass die Patienten sel- ber und in eigener Verantwortung darüber entscheiden, in welchem Umfang Daten gespeichert oder gelöscht werden sollen und wem sie diese Daten zugänglich ma- chen wollen. Für den Versicherten gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Jeder Versicherte muss wissen, dass es al- lein seine persönliche und freiwillige Entscheidung ist, welche Daten gespeichert sind und wer sie lesen kann. Ich halte es aber für eine unrealistische Forderung, dass es darüber hinaus den Arztpraxen freigestellt sein soll, an der Nutzung der E-Card teilzunehmen oder nicht. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht funktionieren kann. Die Informationstechnik wird in allen Lebens- bereichen immer wichtiger, auch in der Medizin. Wir müssen nach meiner Überzeugung auf der Hut davor sein, dass viele sich durch die langwierige Diskussion um die E-Card auf eine Skepsis und Ablehnung gegen- über der Informationstechnik versteifen. Während sich die Debatte bei uns seit Jahren um die Einführung und Nutzung der E-Card dreht, schenken wir den Fortschrit- ten und Chancen der Telemedizin viel zu wenig Auf- merksamkeit. Wir lehnen die Anträge ab. Eike Hovermann (SPD): Ich will an dieser Stelle Herrn Dr. Zipperer zitieren, der sich in der öffentlichen Anhörung zur elektronischen Gesundheitskarte folgen- dermaßen äußerte: „Es werden im Zusammenhang mit der Chipkarte sehr oft entwicklungsbremsende Beden- ken vorgetragen …“ Glauben Sie wirklich, werte Kolle- gen und Kolleginnen von der Opposition, dass die Chip- karte und ihre Entwicklung durch ein Moratorium aufzuhalten oder zu verbessern ist? Ich sage nein. Im Gegenteil, die Entwicklungen im technischen Bereich schreiten europa- und weltweit stürmisch voran, die Si- cherheitsaspekte werden vermehrt umgesetzt, und das alles zum Nutzen von Beitragszahlern und Patienten. All die – wie Herr Dr. Zipperer schon sagte – ent- wicklungsbremsenden Bedenken schaden nur und kos- ten Geld, was völlig unnötig ist und im Grunde ja auch nichts verbessern kann, weil sich Verbesserungen immer nur aus den Erfahrungen in der Realität ergeben können. Nur mithilfe der Realität ist auch zu evaluieren. Wir sind auch hier in einem lernenden System, innerhalb dessen die Datenschutzvorschriften des § 291a SGB V ständig in dem Maße nachjustiert werden müssen, wie sich der technische Fortschritt weiterentwickelt. Welchen Nutzen hat die Karte? Erstens. Versiche- rungsbetrügereien in Millionenhöhe werden eingeengt. Zweitens. In Deutschland gibt es laut Experten pro Jahr 16 000 Todesfälle aufgrund von unüberschaubaren Mehr- facheinnahmen von Medikamenten. Insbesondere bei äl- teren, multimorbiden Menschen kann das zunehmend verhindert werden, wenn mittels Chipkarte eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Apotheken, Ärzten und Pa- tienten entsteht. Drittens. Die Karte kann im Notfall Leben retten. Da ist übrigens auch ein Foto in der Chipkarte ein wichtiger Baustein und für die Identifikation von großer Bedeu- tung. Viertens. Und was die Sicherheit betrifft, war diese im alten Versicherungskartensystem so löchrig wie der be- rühmte Schweizer Käse. Wer hier von der neuen Gesund- heitskarte hundertprozentige Sicherheit verlangt, orien- tiert sich nicht an der Realität des Versorgungsalltags. Wer diese Sicherheitsargumentation dennoch extensiv und abwehrend nutzt, spielt mit den Ängsten der Patien- ten und hilft ihnen letztlich nicht, sondern schadet sogar. Erinnert sei in diesem Zusammenhang insbesondere daran, dass das Angstszenario vom gläsernen Patienten von manchem Leistungserbringer vorgebracht wird, der nicht so gerne den gläsernen Arzt haben möchte. Denn im Zuge der Chipkarte werden natürlich auch Diagnosen und Therapieresultate auf Dauer einem höheren Druck in Bezug auf Qualität und Transparenz ausgesetzt sein, wenn der Patient dies will. Erinnert werden soll mit der Chipkarte auch an einen der beliebtesten Paragrafen des SGB V: § 140, inte- grierte Versorgung. Ohne eine intelligente Chipkarte und ohne die aus ihr hervorgehende elektronische Patienten- akte ist integrierte Versorgung nicht möglich. Daher ist es wichtig, dass wir nicht nur in Deutsch- land, sondern EU- und weltweit am Einsatz der elektro- nischen Gesundheitskarte festhalten und uns nicht von entwicklungsbremsenden Bedenkenträgern irremachen lassen, die derzeit eher den Wahlkampf vor Augen haben als die verbesserte Versorgung von Patienten. Am Ende soll eine Gefahr nicht unerwähnt bleiben: Im Zuge neuer Vertragsmöglichkeiten – ich erinnere hier nur an den § 73 b SGB V – wird die Gefahr von Insellö- sungen groß. Dieser Gefahr gilt es ständig mit großer Auf- merksamkeit entgegenzuwirken, damit insbesondere sek- torübergreifende Versorgungen endlich auch technisch möglich werden und die bisher feststellbare große Zu- stimmung von Versicherten zur Einführung der Chip- karte anhält und wächst. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26039 (A) (C) (B) (D) Eike Hovermann (SPD): Ich will an dieser Stelle Herrn Dr. Zipperer zitieren, der sich in der öffentlichen Anhörung zur elektronischen Gesundheitskarte folgen- dermaßen äußerte: „Es werden im Zusammenhang mit der Chipkarte sehr oft entwicklungsbremsende Beden- ken vorgetragen …“ Glauben Sie wirklich, werte Kolle- gen und Kolleginnen von der Opposition, dass die Chip- karte und ihre Entwicklung durch ein Moratorium aufzuhalten oder zu verbessern ist? Ich sage nein. Im Gegenteil, die Entwicklungen im technischen Bereich schreiten europa- und weltweit stürmisch voran, die Si- cherheitsaspekte werden vermehrt umgesetzt, und das alles zum Nutzen von Beitragszahlern und Patienten. All die – wie Herr Dr. Zipperer schon sagte – ent- wicklungsbremsenden Bedenken schaden nur und kos- ten Geld, was völlig unnötig ist und im Grunde ja auch nichts verbessern kann, weil sich Verbesserungen immer nur aus den Erfahrungen in der Realität ergeben können. Nur mithilfe der Realität ist auch zu evaluieren. Wir sind auch hier in einem lernenden System, innerhalb dessen die Datenschutzvorschriften des § 291a SGB V ständig in dem Maße nachjustiert werden müssen, wie sich der technische Fortschritt weiterentwickelt. Welchen Nutzen hat die Karte? Erstens. Versiche- rungsbetrügereien in Millionenhöhe werden eingeengt. Zweitens. In Deutschland gibt es laut Experten pro Jahr 16 000 Todesfälle aufgrund von unüberschaubaren Mehr- facheinnahmen von Medikamenten. Insbesondere bei äl- teren, multimorbiden Menschen kann das zunehmend verhindert werden, wenn mittels Chipkarte eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Apotheken, Ärzten und Pati- enten entsteht. Drittens. Die Karte kann im Notfall Leben retten. Da ist übrigens auch ein Foto in der Chipkarte ein wichtiger Baustein und für die Identifikation von großer Bedeu- tung. Viertens. Und was die Sicherheit betrifft, war diese im alten Versicherungskartensystem so löchrig wie der be- rühmte Schweizer Käse. Wer hier von der neuen Gesund- heitskarte hundertprozentige Sicherheit verlangt, orien- tiert sich nicht an der Realität des Versorgungsalltags. Wer diese Sicherheitsargumentation dennoch extensiv und abwehrend nutzt, spielt mit den Ängsten der Patien- ten und hilft ihnen letztlich nicht, sondern schadet sogar. Erinnert sei in diesem Zusammenhang insbesondere daran, dass das Angstszenario vom gläsernen Patienten von manchem Leistungserbringer vorgebracht wird, der nicht so gerne den gläsernen Arzt haben möchte. Denn im Zuge der Chipkarte werden natürlich auch Diagnosen und Therapieresultate auf Dauer einem höheren Druck in Bezug auf Qualität und Transparenz ausgesetzt sein, wenn der Patient dies will. Erinnert werden soll mit der Chipkarte auch an einen der beliebtesten Paragrafen des SGB V: § 140, inte- grierte Versorgung. Ohne eine intelligente Chipkarte und ohne die aus ihr hervorgehende elektronische Patienten- akte ist integrierte Versorgung nicht möglich. Daher ist es wichtig, dass wir nicht nur in Deutsch- land, sondern EU- und weltweit am Einsatz der elektro- nischen Gesundheitskarte festhalten und uns nicht von entwicklungsbremsenden Bedenkenträgern irremachen lassen, die derzeit eher den Wahlkampf vor Augen haben als die verbesserte Versorgung von Patienten. Am Ende soll eine Gefahr nicht unerwähnt bleiben: Im Zuge neuer Vertragsmöglichkeiten – ich erinnere hier nur an den § 73 b SGB V – wird die Gefahr von Insellö- sungen groß. Dieser Gefahr gilt es ständig mit großer Auf- merksamkeit entgegenzuwirken, damit insbesondere sek- torübergreifende Versorgungen endlich auch technisch möglich werden und die bisher feststellbare große Zu- stimmung von Versicherten zur Einführung der Chip- karte anhält und wächst. Dr. Konrad Schily (FDP): Das Ganze eines Pro- blemzusammenhangs spiegelt sich immer auch in seinen Teilen. Die Widersprüche, Ungereimtheiten und Schwie- rigkeiten, die sich bei einem einzelnen Teil ergeben, le- gen nicht nur die Annahme nahe, dass das Teil nicht passgenau konstruiert wurde, sondern sie können auch darauf hinweisen, dass das Ganze, das System, falsch angelegt ist. An den Schwierigkeiten, Widersprüchen und Ungereimtheiten, die wir bei der Entwicklung und Einführung der elektronischen Gesundheitskarte zu kon- statieren haben, zeigen sich meines Erachtens die systema- tischen Fehler in der Gestaltung des gesamten Gesund- heitssystems, wie es von der großen Koalition angelegt worden ist. Gewollt von der Politik war eine informationstechno- logische Lösung, die die Administration in der Kranken- versorgung vereinfachen, die Therapie durch das Vorhalten von Krankendaten unterstützen, den Datenfluss zwi- schen den an der Versorgung Beteiligten beschleunigen und vieles andere mehr bewirken sollte. Dies alles sollte die Kosten gegenüber dem jetzigen Aufwand senken und zudem alle Forderungen im Sinne der Datensicherheit und des individuellen Datenschutzes erfüllen. Was wissen wir heute, oder genauer: Was wissen wir heute alles nicht, obwohl wir als Mitglieder des Gesund- heitsausschusses doch – wenn auch in der Opposition – relativ nahe an der Problemlösung sein müssten? Wir wissen nicht, ob die Datensicherheit gegeben ist, ob die Kosten der Dokumentationsabläufe gesenkt werden – ei- niges spricht hier für eine Erhöhung – wir wissen nicht, ob überhaupt etwas vereinfacht wird. Einiges deutet auf das Gegenteil hin. So offenbaren die Ergebnisse beim Flä- chentest der elektronischen Gesundheitskarte, dass die anvisierte Möglichkeit der digitalen Kommunikation zwischen den Ärzten auf Basis der elektronischen Ge- sundheitskarte nicht in ausgereifter Form zur Verfügung steht. Darüber hinaus scheint die Prozedur der elektroni- schen Rezeptausstellung doppelt so viel Zeit zu bean- spruchen, wie dies bei einem handschriftlich ausgestell- ten Rezept der Fall ist. Zudem ist die Eintragung von Notfalldaten bei der digitalen Variante kompliziert und zeitaufwendig. Wir dürfen annehmen, dass die informationstechnische Konzeption der elektronischen Gesundheitskarte vor etwa 26040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) fünf Jahren erfolgte, und jeder weiß, dass der Stand der In- formationstechnologie heute gegenüber diesem Zeitraum weit fortgeschritten ist. Nicht anders ist es für mich zu er- klären, warum noch über persönliche Identifikationszah- len, PIN, nachgedacht wird und ob sie fünf- oder sieben- stellig sein sollen oder ob die Karte mit oder ohne Lichtbild Gültigkeit haben soll. Es gibt seit einiger Zeit technische Identifikationsverfahren, über das Muster unse- rer Hohlhandvenen, die technisch einfach, fertig entwi- ckelt und absolut fälschungssicher sind. Im Bankbereich und an anderen Stellen halten diese Verfahren bereits Ein- zug. Nebenbei bemerkt: Diese Verfahren sind so eindeutig wie unser Gencode, nur technisch viel einfacher, und sie lassen keinerlei Rückschlüsse auf kontextfremde Zusam- menhänge zu. Auch über die Kosten wissen wir nichts Genaueres. Weder über die Summen, die bereits bisher in die Ent- wicklung der elektronischen Gesundheitskarte investiert worden sind, noch über die zu erwartenden Kosten und die Dauer der Einführung der Karte. Hier gehen die Schätzungen seitens der Firma GEMATIK von einer Ver- doppelung der Kosten aus, also auf etwa 3 Milliarden Euro; schlimmstenfalls – so eine weniger optimistische Einschätzung – könnten sich die Kosten bis auf 14,1 Mil- liarden Euro steigern und die Einführung sich über acht bis zehn Jahre hinstrecken. So kann man es zumindest der Presse entnehmen. Wenn dem so ist – dem scheint so zu sein – werden wir für eine horrende Geldsumme der Ver- sicherten oder der Steuerzahler ein technisch völlig ver- altetes System in einigen Jahren installiert haben. Sieht so sachdienliche und verantwortungsvolle Gesundheitspoli- tik aus? Dies alles spricht für sich und für ein Morato- rium, das heißt ein Einhalten und Nachdenken bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Fragen wir uns nach den Gründen dieser Entwicklung, so erkennen wir, dass das gesamte Gesundheitssystem in seiner zunehmenden Ausrichtung auf eine einheitliche und staatlich gelenkte Krankenversorgung den Webfeh- ler im Teil und im Ganzen aufweist. „Der Staat ist der Hüter der sozialen Marktwirtschaft“, so Bundeskanzle- rin Merkel heute Vormittag in ihrer Regierungserklä- rung. Ich zitiere dies aus dem Gedächtnis. Sie hätte fort- fahren können: Wenn der Staat aber selber Unternehmer wird, gibt er seine Hüterfunktion auf und unterläuft die Gesetze der freien Marktwirtschaft. Unternehmen, die am Markt agieren, müssen sich am Markt bewähren. Und ich habe lang genug ein freigemeinnütziges Kran- kenhaus mit geleitet, um zu wissen, dass hier die Markt- bewährung nicht nur über den Preis geschieht, sondern dass die vielfältigsten Faktoren, harte und weiche – zum Beispiel technische Ausstattung einerseits und Zuwen- dung zu Patientinnen und Patienten andererseits –, je- weils für sich genommen und auch und in ihrer Kombi- nation, eine erhebliche Rolle bei der Bewährung am Markt spielen. Der Staat trifft aber immer machtpoliti- sche Entscheidungen und drängt als Unternehmer, wie alle Unternehmen, zum Monopol. Dem Staat gegenüber hat die beste Kartellbehörde keine Chance. Die Vermengung wirtschaftlicher Aktivitäten mit der Politik und insbesondere mit politischen Ideologien ist der Webfehler des Ganzen in der Gesundheitspolitik, und der Webfehler zeigt sich eben auch in der Frage der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Letzt- lich führt die staatliche Ausrichtung des Gesundheitssys- tems dazu, dass die einzelnen Menschen dem System unterworfen werden und nicht die Systeme sich dem Menschen anpassen müssen. Die Favorisierung staats- zentrierter Politik führt dazu, dass man nicht bemerken will oder kann, wie sehr der beschrittene Weg in die fal- sche Richtung führt. Weil man hier Widerspruch fürch- tet, macht man die Dinge intransparent und legt man die Kosten nicht offen; ich habe das eingangs erwähnt. Unfreiheit ist eben fortschrittsfeindlich. Die „Töchter der Freiheit: Wohlstand und Bildung“ – so Rudolf Virchow – können in der Unfreiheit nicht gedeihen. Rudolf Virchow, der große Pathologe des 19. Jahrhun- derts, stand ganz im Fortschrittsglauben seiner Zeit. Er glaubte, dass die Medizin eines Tages reine Naturwis- senschaft werde und einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Probleme des Proletariats leisten könne. In gewisser Weise begriff er die Medizin als eine soziale Wissen- schaft. Entsprechend diesem Gedanken war Politik für ihn nichts anderes als Medizin im Großen. Bismarck, sein Zeitgenosse, richtete seine Sozialgesetzgebung an jenen Menschen aus, die zum großen Teil weder lesen noch schreiben konnten. Über 100 Jahre später leben wir in einer völlig anderen Situation; aber es scheint mir, dass gewisse Ideologien sich aus dieser Zeit erhalten haben. Gleichwohl ist der Fortschrittsoptimismus, der im 19. Jahrhundert noch große Hoffnungen erregte, heute arg ramponiert. Die Welt nach Hiroshima sieht eben anders aus als vorher. Rudolf Virchow würde heute aus seinem großen liberalen und sozialen Engagement heraus die technische Normierung der Gesellschaft in jeder Hinsicht bekämpfen. Ein Letztes: Wir dürfen annehmen, dass technische Lösungen auch bei der elektronischen Gesundheitskarte, die den verschiedensten Forderungen gerecht würden, in einem freien Gesundheitswesen bereits angewendet und ständig weiterentwickelt werden. Ein Vorteil wäre, dass wir verschiedenste Lösungen hätten, deren Vor- und Nachteile die Einzelnen abwägen könnten. Dies alles verhindert der Monopolunternehmer Staat. Deshalb: ein Moratorium für die elektronische Gesundheitskarte! Im Hinblick auf den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen darf ich darauf hinweisen, dass diese Fraktion der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte da- mals zugestimmt hat. Nun wurde auch seitens der Grünen erkannt, dass damit gewichtige Probleme einhergehen, die in keiner Weise gelöst sind. Der FDP-Antrag ist viel grundsätzlicher; deshalb werden wir uns bei der Abstim- mung über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen der Stimme enthalten. Frank Spieth (DIE LINKE): Es gibt keine Daten, die zu 100 Prozent sicher sind. Alles, was irgendwo gespei- chert ist, kann gehackt werden. Und viele Daten, insbe- sondere persönliche Daten, wecken Begehrlichkeiten. Zu den sensibelsten Daten, die über jeden von uns ge- speichert sein können, gehören Daten über Krankheiten und Lebensgewohnheiten. Genau um diese Daten geht es heute. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26041 (A) (C) (B) (D) Wenn nun die Bundesregierung 80 Millionen dieser Datensätze auf einigen wenigen zentralen Servern spei- chern will, ist dies ein höchst riskantes Unternehmen. Ich zweifle gar nicht an, dass die Bundesregierung und die Gematik, die Betreibergesellschaft, die höchsten Si- cherheitsstandards anlegen will. Aber das zentrale Spei- chern weckt auf der einen Seite Begehrlichkeiten und ist auf der anderen ein Sicherheitsrisiko. Ein Arbeitgeber oder eine Versicherung würden natürlich liebend gerne etwas über Krankheiten derjenigen erfahren, die sich um einen Arbeitsplatz bewerben oder eine Versicherung ab- schließen wollen. Ein großes Interesse an diesen Ge- sundheitsdaten wird sicher auch die Pharma- und Medi- zinprodukteindustrie haben. Ein Beispiel: Die Daten auf dem Server müssen ver- schlüsselt sein. Jeder muss immer durch die Eingabe sei- ner PIN die Daten freischalten, damit sie entschlüsselt werden können. Wenn nun aber jemand die PIN vergisst, dann braucht man eine Ersatz-PIN, einen Ersatzschlüs- sel, der irgendwo hinterlegt sein muss, sonst wären die Daten futsch. Dieser Ersatzschlüssel bietet eine breite Angriffsfläche für Missbrauch. Zum einen kann jemand dort einbrechen, wo der Ersatzschlüssel gespeichert ist, und nicht nur diesen, sondern Tausende Datensätze aus- lesen. Oder aber Herr Schäuble, so er denn Innenminis- ter bleibt, kommt auf die Idee, dass Gesundheitsdaten zur Verbrechensbekämpfung herangezogen werden sol- len. Dann könnte er die Ersatzschlüssel per Gesetzesän- derung heranziehen. Der Schutz der Daten ist also rela- tiv, wie schon bei der Lkw-Maut zu sehen war. Ärzte, Datenschützer und Bürgerrechtler haben von Ihnen bereits gefordert, eine echte Prüfung dezentraler Speichermöglichkeiten durchzuführen und auf zentrale Server zu verzichten. Diese Vorschläge firmierten immer unter dem Schlagwort „USB-Stick“. Möglich sind aber auch Speichermöglichkeiten auf der Karte selbst, auch die bereits getroffenen Sicherheitsmaßnahmen und die angeschafften Geräte könnten dabei genutzt werden. Das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikations- systeme hat im Auftrag der Gematik nun herausgefun- den, dass elektronische Gesundheitskarten mit integrier- ter Speicherkarte durchaus geeignet sind. Man braucht wohl keine zentralen Server, im Übrigen stehen diese auch nicht im Gesetz. Der einzige Grund, derzeit stur an diesem Vorhaben festzuhalten, ist, dass nur so das von der Bundesregierung behauptete positive Kosten-Nut- zen-Verhältnis erreicht werden kann, da nur mit dieser Technik kommerzielle sogenannte Mehrwertdienste in- stalliert werden können. Nur über kommerzielle Anbie- ter können anscheinend die Milliardeninvestitionen wie- der reinkommen. Die Linke ist der Ansicht, dass der Datenschutz unbe- dingt Vorrang hat, auch Vorrang vor einer vorschnellen Einführung der Karte und Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Wenn die Koalition dies nicht berücksichtigt, verspielt sie damit die derzeit noch existierende Akzep- tanz. Eine Karte, die zudem nicht auf Freiwilligkeit bei Patienten und Therapeuten setzt, wird auch keine Ak- zeptanz finden und scheitern. Nach unserer Auffassung müssen zwei Grundbedin- gungen erfüllt sein: Erstens wollen wir, dass alle Patien- ten entscheiden können, welche Daten wem zur Verfü- gung gestellt werden. Die Daten müssen in den Händen der Patienten bleiben. Zweitens muss eine kommerzielle Nutzung ausgeschlossen werden. Drittens sollen die de- zentralen Speichermöglichkeiten ernsthaft weitergeprüft und für die Dauer dieser Prüfung selbstverständlich der Start der bisher geplanten Karte gestoppt werden. Auch wenn dies nicht häufig vorkommt: Der Antrag der FDP, ein Moratorium für die elektronische Gesund- heitskarte zu schaffen, entspricht fast eins zu eins den Positionen der Linken. Wir werden daher zustimmen. Der Antrag der Grünen ist halbgar. Er enthält zwar rich- tige Feststellungen, aber keine ausreichenden Schluss- folgerungen, zum Beispiel keine Ablehnung der Zentral- serverarchitektur. Nach meiner Auffassung wollen die Grünen, die eigentlich für die bisherige Lösung zur Ein- führung der elektronischen Gesundheitskarte sind, verlo- renes Vertrauen bei Bürgerrechts- und anderen Gruppen zurückerwerben, bleiben aber im Kern bei einem Schau- fensterantrag. Deshalb werden wir uns zu diesem enthal- ten. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Diskussion um die elektronische Gesundheitskarte ist durch technische, gesundheits- und industriepolitische Aspekte geprägt. So erklärte kürzlich ein führender Ver- treter der Ärzteschaft, dass die knappen Gelder im Ge- sundheitswesen anderswo dringender gebraucht würden. Und auch die private Krankenversicherung hat verlaut- bart, sich nicht mehr an den Kosten für den Ausbau der Infrastruktur für den geplanten Basis-Rollout zu beteili- gen. Außen vor bleibt die Frage, welchen Mehrwert die Karte für die Patientinnen und Patienten bringt. Gesundheitspolitischer Konsens ist, dass die Akteure im Gesundheitswesen besser zusammenarbeiten müssen. Häufig wissen die einen Ärzte nicht von den anderen Ärzten, es werden Doppelbefunde erstellt und lange Be- handlungspfade produziert. Das hilft weder den Patien- tinnen und Patienten noch den Leistungserbringern und Kostenträgern. Eine bessere Zusammenarbeit und die In- tegration der Versorgungsstrukturen sind dringend gebo- ten. Die elektronische Gesundheitskarte und die mit ihr verbundene Telematikinfrastruktur bilden hierfür die in- formationstechnischen Grundlagen. Die FDP fordert ein Moratorium für die elektronische Gesundheitskarte, um eine angeblich übereilte Einfüh- rung zu verhindern. Nicht nur wir Grünen, sondern viele Expertinnen und Experten sehen das nicht so. Im Rah- men der Anhörung zur elektronischen Gesundheitskarte machten Experten deutlich: Von einer übereilten Einfüh- rung der elektronischen Gesundheitskarte könne keine Rede sein. Die Kritik entzünde sich vielmehr daran, dass der Einführungsprozess zu langsam verlaufe. Wir Grünen lehnen ein Moratorium vor allem aus zwei Gründen ab. Wir befürchten, dass ein Ausstieg aus dem Umsetzungsprozess gleichbedeutend mit dem „Tod auf Raten“ dieses wichtigen Projektes wäre. Wichtiger aber ist ein zweiter Grund: Der Ausbau der elektroni- schen Gesundheitskarte wird viele Jahre dauern. Ihre de- taillierte Ausgestaltung wird sich erst in diesem Prozess ergeben können. An solch einem Lernprozess müssen 26042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) sich alle betroffenen Gruppen beteiligen können. Ein Moratorium hilft da nicht weiter. Tatsächlich bedient eine solche Forderung nur die technokratische Illusion, dass sich alles vorab auf der Expertenebene regeln und beheben ließe. Auf dieser Ebene hat sich die gesetzliche, organisatorische und technische Arbeit an der Karte aber schon über Jahre bewegt, die rechtlichen und techni- schen Voraussetzungen wurden geschaffen. Jetzt muss die Regie von den Experten auf die Anwenderinnen und Anwender übergehen. Die elektronische Gesundheitskarte erfüllt die Voraus- setzungen hierfür. Sie bildet mit ihren hohen Schutz- vorschriften einen Damm gegen die drohende Kommer- zialisierung von Patientendaten durch elektronische Patientenakten im Internet. Durch die Anwendung von Verschlüsselungstechnologien, die erforderliche doppelte Autorisierung durch Patient und Arzt sowie das Recht für die Versicherten, selbst zu entscheiden, welche Leis- tungserbringer auf die Daten zugreifen dürfen und welche nicht, bietet sie weitaus mehr Datenschutz und informa- tionelle Selbstbestimmung als die papiergebundenen Pa- tientenakten. Allerdings wird ihr Potenzial nur dann zu erschließen sein, wenn sie bei den Patientinnen und Pati- enten und auch bei den Anbietern von Gesundheitsleis- tungen auf Akzeptanz stößt. Voraussetzung dafür ist, dass ihre Onlineanwendung auch für die Ärzteschaft freiwillig ist, Barrierefreiheit für Ältere und Behinderte hergestellt wird und in Zusammenarbeit mit Patientenverbänden un- abhängige Unterstützungsangebote für die Patientinnen und Patienten entstehen. Dazu gehört auch, dass auf jeder Entwicklungsstufe der Karte eine Evaluierung unter Ein- beziehung aller Beteiligten stattfindet und notwendige Korrekturen vorgenommen werden. Das wird für die Zu- stimmung zur elektronischen Gesundheitskarte weitaus wichtiger sein als das Einhalten von Zeitplänen oder die Forderung nach einem Moratorium. Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Ferienzeit ist Zeugniszeit. Wir reden heute über einen FDP Antrag, dem in der Anhörung ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt wurde. Es wurde nicht nur bestätigt, dass ein Moratorium nicht begründet ist. Der Einzelsachverstän- dige Dr. Zipperer hat sogar von „entwicklungsbremsen- den Bedenken“ gesprochen, die in Ihrem Antrag vorge- tragen werden. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihre Forderungen überholt sind! Sie machen sich wie immer zum Sprachrohr der Besitzstandswahrer und Bedenken- träger. Die Experten in der Anhörung haben die Einschätzung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die In- formationsfreiheit bestätigt: Das Datenschutzkonzept der elektronischen Gesundheitskarte genügt den höchsten Ansprüchen und wird von vielen geradezu als vorbildlich bezeichnet. Auch die diesjährigen Beschlüsse des Deut- schen Ärztetags zeigen deutlich, dass die Ärzteschaft die Vorteile der modernen Informationstechnologien für das Gesundheitswesen sieht. Von einem Moratorium ist keine Rede! Die Ärzteschaft hat sich bereit erklärt, den Online- abgleich der Versichertendaten der Gesundheitskarte durchzuführen. Wichtig ist ihr die Freiwilligkeit der On- lineanbindung. Wir haben gemeinsam hier im Parlament die Rahmenbedingungen für die Einführung der elektro- nischen Gesundheitskarte verabschiedet. Auf dieser Basis hat der Rollout in der Startregion Nordrhein durch die vom Gesetzgeber beauftragte Selbst- verwaltung begonnen. Die Vertreter der Selbstverwaltung haben in der Anhörung bestätigt, dass die Arbeiten in Nordrhein plangemäß verlaufen. Diese erfolgreiche Ent- wicklung war nur möglich, weil alle Beteiligten das Pro- jekt mittragen und an einem Strang ziehen. Wenn es um die Verbesserung der Gesundheitsversor- gung von 80 Millionen Menschen in unserem Land geht, müssen wir Schritte nach vorne und nicht zurück ma- chen. Lassen Sie uns weiterführen, was wir gemeinsam begonnen haben! Jetzt geht es darum, diejenigen zu un- terstützen, die sich für den Fortschritt einsetzen und damit verantwortungsvoll umgehen. Daran werden die Menschen uns messen! Nach fünf Legislaturperioden scheide ich auf eigenen Wunsch aus dem Parlament aus und blicke auf eine sehr bewegte und erfüllte Zeit zurück. Ich möchte allen Kol- leginnen und Kollegen für die gute Kooperation und für ihre Beiträge und Anregungen herzlich danken. Dieser Dank gilt parteiübergreifend. Den Kolleginnen und Kol- legen wünsche ich für die neue Legislaturperiode eine glückliche Hand und verantwortliche Entscheidungen für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsre- gister und anderer vereinsrechtlicher Ände- rungen – Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereins- vorständen (Tagesordnungspunkt 16 a und b) Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Das Gute am Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen ist, dass er alles Schlechte im Bereich der Digitalisierung des Rechtsver- kehrs dieses Mal vermeidet. Anders als ähnliche Moder- nisierungsversuche – zuletzt im Bereich der Zwangsvoll- streckung – versteht der Entwurf die Segnungen der EDV zu nutzen, ohne zugleich ihre Flüche heraufzube- schwören. Für die vorgesehenen Änderungen im Vereinsrecht sehen wir diesmal insbesondere keine datenschutzrecht- lichen Risiken. Es ist zeitgemäß und sinnvoll, Vereinsan- meldungen künftig online zu ermöglichen. Es ist zeitge- mäß und sinnvoll, eine elektronische Registerführung neben dem Papierregister zu ermöglichen. Es ist ange- bracht, die vorgesehenen klarstellenden Änderungen und sprachlichen Anpassungen des Gesetzestextes vorzuneh- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26043 (A) (C) (B) (D) men. Es ist schließlich auch richtig, die Rechtsprechung zu Anmeldung und Liquidation von Vereinen endlich dorthin zu bringen, wo sie die Bürgerinnen und Bürger einfach nachlesen können: in das Gesetz. Meine Frak- tion wird dem Entwurf daher zustimmen. Ablehnen werden wir den Entwurf des Bundesrates zur Haftungsbegrenzung für ehrenamtlich tätige Vereins- vorstände, auch in der Fassung der nunmehr vorliegen- den Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses. Grundsätzlich halten auch wir eine Begrenzung der Haf- tung von ehrenamtlich Tätigen für wünschenswert. Un- ser Hauptkritikpunkt am Entwurf richtet sich darauf, dass die vorgeschlagene gesetzliche Haftungsbeschrän- kung im Ergebnis zulasten der Vereine und Vereinsmit- glieder geht; denn sie tragen über das Vereinsvermögen künftig das Haftungsrisiko für fahrlässige Schadens- handlungen ihrer Vorstandsmitglieder allein. Dies, ob- wohl sie das Schadensrisiko nicht in gleicher Weise be- einflussen können wie die Vorstandsmitglieder ihr Haftungsrisiko. Sie können die Vorstandstätigkeit nicht steuern, sollen aber haften. Die Vorstandsmitglieder hin- gegen können steuern, sollen aber nicht haften. Das ist nicht gerecht und auch nicht geeignet, zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements beizutragen. Hinzu kommt: Hat ein Vorstandsmitglied fahrlässig einen Schaden verursacht, kann die beschriebene Haftungsver- lagerung zur Zahlungsunfähigkeit gesunder Vereine füh- ren. So wird zwar das ehrenamtliche Vorstandsmitglied geschützt, zugleich jedoch der Verein und dessen Arbeit vernichtet. Weiter ist zu bedenken: Selbst ein Vereins- mitglied, das schuldloses Opfer einer Pflichtverletzung eines Vorstandsmitgliedes geworden ist, kann bei dieser Haftungsverlagerung unter Umständen leer ausgehen; denn ist der Verein ohne Vermögen, nützt dem Mitglied zukünftig auch ein vermögendes Vorstandsmitglied für die Schadensregulierung nichts mehr. Man sieht: Der Entwurf hat sich – trotz der erfolgten Zurechtstutzung durch den Rechtsausschuss – seine Ab- lehnung durch die Linke redlich verdient. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Präventionsgesetz auf den Weg bringen – Primärprävention umfassend stärken – Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben stärken – Gesellschaftliche Teilhabe für alle ermögli- chen – Eigenverantwortung und klare Aufgabentei- lung als Grundvoraussetzung einer effizien- ten Präventionsstrategie (Tagesordnungspunkt 17) Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): Die Präven- tion muss in unserem Gesundheitswesen einen höheren Stellenwert einnehmen. Darüber sind wir uns auch par- teiübergreifend einig. Aber wie? Wie stärken wir am besten das präventive Verhalten des Einzelnen und wie schaffen wir es, dass in unserem Gesundheitswesen der präventive Ansatz mehr Gewicht erhält. Zunächst einmal können wir feststellen, dass unser Gesundheitswesen außerordentlich erfolgreich ist. Die Lebenserwartung von Frauen und Männern ist kontinu- ierlich gestiegen und wird weiter steigen. Unsere Ge- sundheitspolitik hat seit vielen Jahren darauf hingewirkt, dass Krankenkassen wirksame Präventions- und Vorsor- geleistungen anbieten. So gibt es heute eine Vielzahl von Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen, unter ande- rem bei Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes, Krebs, bei Schwangerschaft und Kindern, der „Gesund- heits-Check-Up“, zahnmedizinische Prophylaxe und Schutzimpfungen. Diese Leistungen werden von den Krankenkassen bezahlt und sind von Zuzahlungen be- freit. Durch die Einführung des Bonusheftes für den re- gelmäßigen Zahnarztbesuch beispielsweise und die Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen hat sich die Zahngesundheit unter der Bevölkerung erheb- lich verbessert. Dennoch müssen wir feststellen, dass die großen Volkskrankheiten, wie die Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes und Erkrankungen des Stütz- und Be- wegungsapparates, in der Bevölkerung erheblich zuneh- men, obwohl ein großer Teil vermeidbar wäre. Deshalb haben wir uns als Union – und werden es auch in Zu- kunft tun – für ein besser abgestimmtes und qualitätssi- cheres Vorgehen im Rahmen der Prävention eingesetzt. Dazu brauchen wir Regelungen, die auf vorhandenen Strukturen aufbauen, Ressourcen bündeln, die koordi- nierend wirken, aber ohne den Aufbau neuer Institutio- nen auskommen. Drei Bereiche müssen wir dabei im Auge haben. Ers- tens: Die Eigenverantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit müssen wir stärker aktivieren. Dabei muss und sollte ihn auch sein Arzt und seine Krankenkasse unterstützen. Bessere Informationen und Aufklärung über seinen Gesundheitszustand und Anreizmodelle zur Beteiligung an Präventionsangeboten, wie es viele Kran- kenkassen bereits anbieten, sind für Patient und Versi- cherten eine lohnenswerte Sache in doppelter Hinsicht. Es dient der Gesundheit und es spart Kosten. Allerdings möchte ich hier auch anmerken, dass durch den jetzigen Morbi-RSA leider eine Situation für die Kassen entstan- den ist, bei der erfolgreiche Präventionsangebote die Kassen nicht mehr belohnen, sondern eher wirtschaftlich belasten. Hier müssen wir noch nach einem präventions- orientierten Anreizsystem suchen. Zweitens ist es sinnvoll, Präventionsprogramme und Gesundheitsförderungen dort anzubieten, wo sich die Menschen tagtäglich bewegen, in den Kindertagesstät- ten, in den Schulen, in den Betrieben. Da gibt es schon sehr gute Ansätze. Die betriebliche Gesundheitsförde- rung wird von den Menschen gern und gut angenom- men. Das sollten wir weiter ausbauen. Immer häufiger 26044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) gibt es Kooperationen zwischen Krankenkassen und Kindergärten und Schulen, um durch Bildungsarbeit so frühzeitig wie möglich bei unseren Kindern den Appetit auf gesunde Ernährung und die Lust an Bewegung zu wecken. Der zunehmende Alkoholmissbrauch unter Kindern und Jugendlichen ist für uns eine sehr beunruhigende Entwicklung. Ich hoffe sehr, dass die von der BZgA ge- startete Kampagne „ Kenn dein Limit“ hier sehr bald Er- folge zeigt. Gesundheitserziehung und Bewegungsförde- rung muss auch wieder eine verstärkte Rolle in der Bildung unserer Kinder und Jugendlichen einnehmen. Denn Gesundheitsförderung ist nicht alleinige Aufgabe des Gesundheitswesen. Prävention ist eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe. Drittens sollten wir wieder stärker durch gezielte Auf- klärungsarbeit und bundesweite Kampagnen das Be- wusstsein für Prävention gegenüber gesundheitlichen Gefahren stärken. Wir haben hierfür eine gut funktionie- rende Institution, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die gerade in der Aidsprävention sehr er- folgreiche Kampagnen durchgeführt hat. Ich glaube, dass wir hier noch viel Potenzial haben, unsere Bevölke- rung intensiver aufzuklären und zu informieren. So muss meines Erachtens das Thema Schutzimpfun- gen wieder stärker in den Fokus der Bevölkerung ge- rückt werden. Die aktuell weltweit kursierende Schwei- negrippe muss uns Anlass genug sein, die Gefahr von neuen Infektionskrankheiten nicht zu unterschätzen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich den aktuellen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, einen Na- tionalen Impfplan zu erarbeiten. Impfungen sind die wirksamste und kosteneffektivste medizinische Maß- nahme zum Schutz vor Infektionskrankheiten. Das müs- sen wir wieder deutlich kommunizieren. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jeder Einzelne ist jedoch in erster Linie für sich und seine Gesundheit selbst verantwortlich. Wir als Union setzen uns deshalb für die Aufwertung der Prävention durch klare Regelungen und Zuständigkeiten nach subsi- diären Prinzipen ein, um die Eigenverantwortung des Einzelnen zu stärken. Mit dieser Rede möchte ich mich aus dem Deutschen Bundestag verabschieden. In der Gesundheitspolitik ha- ben wir in dieser Legislatur für die Menschen in unserem Land viel bewegen können. Unser Gesundheitswesen wird jedoch eine immer währende Baustelle bleiben. Deshalb wünsche ich den Akteuren bei dessen weiterer Gestaltung alles erdenklich Gute. Dr. Margrit Spielmann (SPD): „Prävention ist die Zukunft der Medizin; sie war es immer und wird es im- mer sein.“ Das sagte einmal der berühmte Schweizer Politologe und Gesundheitsökonom Gerhard Kocher. Aktuelle Umfragen geben ihm recht. Laut des Mei- nungsforschungsinstituts Infas legen 88 Prozent der Thüringer und Saarländer Wert auf eine gesunde Ernäh- rung. Die Berliner haben da mit 80 Prozent noch Nach- holbedarf, was nicht nur am Genuss von zu viel Eisbein und Currywurst liegen dürfte. Zudem sind nach Anga- ben des Robert Koch-Instituts 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland übergewichtig. Bei rund ei- nem Drittel von ihnen ist es so ausgeprägt, dass man von Adipositas spricht. Die WHO geht sogar von einer Adi- positasepidemie in Europa aus. Danach steht zu erwar- ten, dass bis zum Jahr 2010 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung und 10 Prozent der Kinder und Jugendli- chen in Europa unter Adipositas leiden. Hier zeigt sich: Es gibt noch viel zu tun. Ich glaube, da sind wir uns alle einig, und darüber, dass es hier natürlich um weit mehr geht als die gesunde Ernährung. Verschie- dene Ansätze sind notwendig, um in allen Bereichen, wie zum Beispiel Sport und Bewegung, Alkoholkonsum und Früherkennung oder auch bei chronischen Erkrankungen, die Prävention zu stärken. So müssen Präventionsmaß- nahmen direkt vor Ort ihre Wirkung entfalten können. Nur durch direkte Angebote in den Lebenswelten errei- chen wir diejenigen, die die Prävention am dringendsten brauchen: sozial Schwache, Menschen mit Migrations- hintergrund und Arbeitslose. In zahlreichen Studien wird ein eindeutiger Zusammenhang zwischen sozialem Sta- tus, Bildungsstatus und Gesundheit hergestellt. Auch der Kongress „Armut und Gesundheit“ nimmt sich jedes Jahr dieser Problematik an. Dabei wurde und wird immer wie- der deutlich: Ohne Settingmaßnahmen geht es nicht. An Orten, wo Gesundheit von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt wird, dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben, kann Ge- sundheitsverhalten da beeinflusst werden, wo es ent- steht. Lebensstilbedingte Risiken können vermindert, ungleiche Inanspruchnahme durch neue Angebote auf- gefangen und Fähigkeiten vermittelt werden, damit die Menschen die Bedingungen ihrer Gesundheit selbst günstig gestalten können. Damit werden alle Menschen erreicht und nicht nur diejenigen, die ohnehin schon ein hohes Gesundheitsbewusstsein haben. Hier wurde schon viel getan. So stellt sich das Projekt „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ dem Trend „Wer arm ist, erkrankt häufiger und stirbt früher“ bewusst entgegen. Auch das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ greift direkt in die Lebenswelten ein und fördert zum Beispiel durch das Projekt Kiezdetektive die Kinderbeteiligung für eine gesunde und zukunftsfähige Stadt. Gerade die Kinder, vor allem die aus sozial schwa- chen Familien, leiden unter erhöhten Gesundheitsrisiken durch den Lebensstil und die Lebensumstände der Fami- lien. Deshalb hat für mich, als Berichterstatterin für Kin- der- und Jugendgesundheit, das gesunde Aufwachsen dieser kleinen Menschen besondere Priorität. Viele Jahre habe ich mich für eine Stärkung der Präventionsbemü- hungen im Bereich Kindergesundheit eingesetzt. Des- halb freue ich mich besonders, dass sich mein Engage- ment gelohnt hat und seit letztem Jahr das Hörscreening bei Neugeborenen und die zusätzliche Früherkennungs- untersuchung U7a Leistungen der GKV sind. Auch das Projekt „Adipositasprävention im Vorschulalter“ oder „Pfiffikus durch Bewegungsfluss“ in Brandenburg im Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26045 (A) (C) (B) (D) Rahmen des nationalen Aktionsplans „IN FORM“ sind Beispiele für ein gelungenes Engagement vor Ort. Wie schon gesagt, sind die vielen Erfolge in der Prä- ventionsarbeit kein Grund, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Auch heute sind noch zahlreiche Maßnah- men notwendig, um alle Menschen gleichermaßen zu unterstützen, ihre gesundheitlichen Ressourcen auszu- schöpfen, damit sie ein langes Leben ohne Krankheit bei bestem Wohlbefinden und Selbstständigkeit führen kön- nen. Der demografische Wandel macht diese Zielsetzung umso dringlicher. Ich glaube, dass die Situationsanalyse, die in den drei vorliegenden Anträgen vorgenommen wurde, dieser In- tention folgt. Die wesentlichen Forderungen sind somit in unserem Referentenentwurf bereits enthalten. Beson- ders der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt sich eng an die Vorschläge an, die gemeinsam in der letzten Legislaturperiode entwickelt wurden. Ande- rerseits wird darin aber die Schaffung von zentralen Strukturen auf Bundesebene vorgesehen, die steuernd in die Prozesse vor Ort eingreifen sollen. Zudem soll mehr Geld ausgegeben werden, bei Bündnis 90/Die Grünen 500 Millionen, bei der Fraktion Die Linke sogar 1 Mil- liarde Euro. Meine Damen und Herren, wie aber soll vor Ort die Bewegungsfreiheit und damit eine erfolgverspre- chende Arbeit der vielen verschiedenen Akteure gewähr- leistet werden, wenn alles von der Bundesebene einheit- lich und starr nach unten geregelt wird? Deswegen wollen wir, dass auf Landesebene entschieden und ge- steuert wird. Auch eine zentralisierte Mittelvergabe ist mit den bestehenden Strukturen im Bereich der Präven- tion kaum vereinbar. Somit sind alle drei Anträge bezüg- lich der grundlegenden Frage, der Gestaltung der Prä- ventionsstrukturen, unzulänglich. Die einzige Weg für eine erfolgreiche Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen liegt in der Formu- lierung einheitlicher Präventionsziele in einer definierten Qualität, die die Krankenkassen, die Rentenversiche- rung, die Arbeitsagentur und die Unfallversicherung ge- meinschaftlich und abgestimmt zu Präventionsleistun- gen bringen, kurz: ein Präventionsgesetz. Ungeachtet der großen Zustimmung der Verbände und Experten bei der Anhörung zum Präventionsgesetz hat die Union bisher jeden Versuch blockiert, dieses Gesetz noch in dieser Wahlperiode auf den Weg zu bringen. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen wird das Präventionsgesetz auch in der nächsten Legislaturperiode auf der Tagesordnung bleiben. Detlef Parr (FDP): Prävention ist eine gesellschaftli- che und zugleich eine individuelle Herausforderung. Je- der Einzelne in unserer Gesellschaft ist dafür verant- wortlich, durch eine gesundheitsbewusste Lebensweise der Entstehung von Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Die gesamtgesellschaftliche Aufgabe liegt nun darin, die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung zu verdeutlichen. Gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist es auch, Menschen, die aus sich selbst heraus nicht zu ei- nem gesundheitsbewussten Leben in der Lage sind, ziel- gerichtet darin zu unterstützen, gesundheitsbewusster zu leben. Zweimal wurde mit dem Entwurf eines Präventions- gesetzes versucht, eine vierte Säule in der Gesundheits- politik zu schaffen. Zumindest waren das die Pläne der Großen Koalition, wie es im Koalitionsvertrag zu lesen steht: „Die Prävention wird zu einer eigenständigen Säule der gesundheitlichen Versorgung ausgebaut. Mit einem Präventionsgesetz soll die Kooperation und Koordi- nation der Prävention sowie die Qualität der Maß- nahmen der Sozialversicherungsträger und -zweige übergreifend und unbürokratisch verbessert werden“. Beide Male – in der vorherigen und der jetzigen Le- gislaturperiode – ist dieser Versuch gescheitert, und ich sage: zum Glück. Denn ein Präventionsgesetz alleine – selbst wenn es auf über 100 Seiten zu Papier gebracht worden ist – macht uns nicht gesünder. Sinnvoller ist es, andere, unbürokratischere Wege zu gehen, als die Bundesregierung dies vorgehabt hat. Die Vorschläge von Ulla Schmidt hatten damals selbst die ei- genen Ressortkollegen nicht überzeugt. Diese plädierten eher für eine Ausweitung der Instrumentarien der Zu- sammenarbeit. Hier liegt der Hase im Pfeffer: Es kommt darauf an, bereits vorhandene Einrichtungen auf der Ebene des Bundes, der Länder, der Kommunen, der So- zialversicherungen und der Heilberufe und die bereits er- folgreich laufenden Projekte zu nutzen und diese weiter- zuentwickeln. Das geplante Präventionsgesetz hat die Verknüpfung bestehender Strukturen viel zu wenig berücksichtigt. Wenn der Gesetzgeber etwas für die Prävention tun will, muss er klar und deutlich sagen, welche Ziele er damit verfolgt, welche Prioritäten er setzt und wer für die ein- zelnen Aufgaben verantwortlich ist. Um diese klaren Aussagen hat sich auch der zweite, Ende 2007 vorge- legte, überarbeitete Entwurf gedrückt. Offensichtlich hat die Bundesregierung aus ihrem ers- ten Anlauf und der Debatte nichts gelernt. Was beson- ders auffällt: Auf natürlich gewachsene Strukturen, die bereits gut funktionieren, wird überhaupt nicht zurück- gegriffen. So hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die uns allen durch ihre zahlreichen Kampa- gnen in den letzten Jahren und ihre gute Arbeit im Auf- klärungsbereich ein Begriff ist, nach dem neuen Gesetz- entwurf überhaupt keine Funktion. Die FDP hat einen eigenen umfassenden Antrag erar- beitet, der klare Forderungen und Vorschläge für eine ef- fiziente Präventionsstrategie formuliert. Ich möchte nur einige davon beispielhaft nennen: Erstens. Definition klarer Zuständigkeit und Finanz- verantwortlichkeit für die einzelnen Präventionsbereiche unter Nutzung und Weiterentwicklung der bereits vor- handenen Einrichtungen auf Bundesebene, der Länder und Kommunen, der Sozialversicherungen und der Heil- berufe. Einzelne wichtige etablierte und renommierte In- stitutionen in diesem Bereich sind zum Beispiel das 26046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Robert-Koch-Institut, das Paul-Ehrlich-Institut und auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Schwerpunkte im Hinblick auf Aufklärung und Durch- führung bundesweiter Programme und Kampagnen setzt. Aufgabe der Krankenkassen ist neben der Sekundärprä- vention die Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen und Prophylaxeaktivitäten sowie Motivation ihrer Versi- cherten zu einem gesundheitsbewussten Leben. Ein ganz wichtiger Aspekt ist es, die Kompetenzen der im Ge- sundheitswesen Tätigen, insbesondere der Ärzte im Ver- trauensverhältnis Arzt/Patient, optimal zu nutzen. Die Länder und Kommunen werden aufgefordert, ihrer Ver- antwortung in ihrem Aufgabenbereich für Präventions- und Gesundheitsförderung nachzukommen, indem sie die Infrastruktur verbessern und zum Beispiel den öffentli- chen Gesundheitsdienst stärken sowie regionale Projekte und Kampagnen insbesondere in sozialen Brennpunkten durchführen. Zweitens. Sogenannte Multiplikatoren in Kindergär- ten, Schulen, Arztpraxen, psycho- und physiotherapeuti- schen Praxen sowie in Sportvereinen müssen weiterqua- lifiziert werden, da sie direkten Zugang zu Jugendlichen haben. Gesundheitsförderung muss im Kindesalter an- setzen. Drittens. Motivation der Bevölkerung zu gesundheits- bewusstem Verhalten durch gezielte und verständliche Information, durch Kampagnen, die auf Alltagssituatio- nen abstellen. Viertens. Koordination der Gesundheitsförderung und Präventionsaktivitäten durch den für den jeweiligen Be- reich zuständigen Träger auf der jeweils betroffenen Ebene. Ein Beispiel für gelungene Koordination ist die enge Kooperation von Krankenkassen und Unfallversi- cherung. Fünftens. Konzentration der Ressourcen auf die Ver- hinderung von vermeidbaren, besonders belastenden und besonders teuren Krankheiten, auf Kinder und Jugendli- che, Alleinerziehende sowie alte Menschen und sozial benachteiligte Gruppen. Dabei hat die Hilfe zur Selbst- hilfe einen hohen Stellenwert. Sechstens. Erarbeitung wissenschaftlich fundierter Präventionsprogramme sowohl im Hinblick auf Verhält- nis- als auch auf Verhaltensprävention. Siebentens. Bessere Nutzung der Kompetenzen und Strukturen des Sports im Hinblick auf die für den eigen- verantwortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit so wichtige körperliche Bewegung. Lassen Sie mich nochmals betonen: In Deutschland herrscht kein Präventionsnotstand. Es gibt zahlreiche Angebote in den unterschiedlichen Bereichen – sowohl der Primär- als auch der Sekundärprävention und der Gesundheitsförderung. Bewährte Kooperationen und Zusammenarbeit müssen weitergeführt werden können und müssen sich natürlich weiterentwickeln, ohne staat- liche Eingriffe. Dass die Akteure ihre Verantwortung ei- genständig wahrnehmen, zeigt sich in ständig neu lan- cierten Initiativen und Kampagnen zur Prävention. Diese sind häufig sehr langfristig angelegt, teilweise über Jahre. Ein vorbildliches jüngstes Beispiel ist die auf fünf Jahre angelegte Kampagne „Alkohol? Kenn dein Limit“ der BZgA, das der Verband der privaten Krankenversi- cherung e. V., PKV, mit jährlich 10 Millionen Euro un- terstützt. Die Kampagne soll junge Menschen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol motivieren und die Entwicklung riskanten Trinkverhaltens verhin- dern. Bekanntestes Beispiel, auf das ich kurz näher einge- hen möchte, ist sicher die „Gib-Aids-keine-Chance“- Kampagne. 1987 gestartet, ist sie die größte und um- fassendste Kampagne zur Gesundheitsprävention in Deutschland. Sie ist modellhaft für eine erfolgreiche, bundesweit öffentlichkeitswirksame Präventionsstrate- gie. Die Zusammenarbeit zwischen der BZgA als staat- liche Organisation, die die Allgemeinbevölkerung anspricht, und der Deutschen Aidshilfe als Selbsthilfeor- ganisation, die die von HIV besonderes betroffenen Gruppen anspricht, funktioniert hervorragend. Ohne die ausgezeichnete Kooperation mit zahlreichen Beteiligten wäre die Kampagne nicht so breit aufgestellt, wie sie es heute ist. Neben Fachinstitutionen und Beratungsfach- kräften in Gesundheitsämtern sind dies Aidshilfen und andere Beratungsstellen vor Ort, Lehrkräfte, die Ärzte- schaft, Apotheken und Reiseveranstalter und große Or- ganisationen wie der Deutschen AIDS-Stiftung oder die Deutsche Sportjugend. Auch der Verband der privaten Krankenversicherung unterstützt seit 2005 die Kampa- gne und ermöglicht zahlreiche zusätzliche präventive Maßnahmen. An diesem Beispiel können Sie sehen, dass die vor- handenen Strukturen funktionieren, und zwar gut und nachhaltig. Solche Projekte gilt es zu unterstützen und zu fördern! Und wir müssen gemeinsam daran arbeiten, mehr dieser Initiativen zur Prävention auf die Beine zu stellen. Dafür sollten wir die vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen verwenden. Wie beim Ge- sundheitsfonds Gelder der Beitragszahler zu sammeln und anschließend nach intransparenten Kriterien wieder zu verteilen, ist der falsche Weg. Im Februar 2008 ist der zweite Referentenentwurf des geplanten Präventionsgesetzes abgelehnt worden. Das ist gut so; denn ein Präventionsgesetz, wie es die Bun- desregierung vorgesehen hat, ist aus liberaler Sicht über- flüssig. Die Bedeutung der Prävention ziehen wir damit nicht in Zweifel. Es geht vielmehr darum, den besten Weg zur Stärkung der Prävention zu finden und diesen dann auch zu gehen. Es ist sinnvoller, Bewährtes nicht über Bord zu werfen, sondern das Bestehende zu stärken und weiterzuentwickeln. Das Schaffen neuer Strukturen, wie die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke dies in ihren Anträgen fordern, lehnt die FDP des- halb entschieden ab. Gesundheitsförderung und Prävention sind jeweils ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitssicherung in unserer Gesellschaft. Jeder Einzelne kann mit einer ge- sundheitsbewussten Lebensweise zu einer insgesamt ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26047 (A) (C) (B) (D) sünderen Gesellschaft beitragen. Eine Gesamtstrategie für Prävention und Gesundheitsvorsorge mit geeigneten Rahmenbedingungen befähigt den Einzelnen, mehr Ver- antwortung für die eigene und die Gesundheit anderer zu übernehmen. Dafür benötigen wir kein Gesetz. Ich hoffe, dass diese Einsicht sich in der neuen Legis- laturperiode durchsetzen kann. Ich hoffe außerdem, dass wir nicht einen dritten Entwurf für ein Präventionsgesetz vorgelegt bekommen. Ich würde mir sehr wünschen, dass es gelingt, die vorhandenen Potenziale zu nutzen, besser zu vernetzen und die bestehenden Institutionen nicht außen vor zu lassen, sondern in ihrer Arbeit weiter zu ermutigen, die sie zum Wohle der Gesellschaft aus- üben. Darin liegt die Chance, die wir nutzen müssen. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): „Die Prävention wird zu einer eigenständigen Säule der gesundheitlichen Versorgung ausgebaut. Mit einem Präventionsgesetz soll die Kooperation und Koordination der Prävention sowie die Qualität der Maßnahmen der Sozialversicherungsträ- ger und -zweige übergreifend und unbürokratisch verbes- sert werden. Hierzu sind die Aktionen an Präventionszie- len auszurichten. Bund und Länder müssen ergänzend zu den Sozialversicherungsträgern weiterhin ihrer Verant- wortung gerecht werden.“ Liebe Abgeordnete der CDU/CSU und SPD, erin- nern Sie sich noch? Dies waren Ihre Worte. in Ihrem Koalitionsvertrag vom November 2005. Am 23. Mai 2009 fasst das Deutsche Ärzteblatt die Aussagen von Rolf Schwanitz, parlamentarischer Staats- sekretär im Bundesministerium für Gesundheit, wie folgt zusammen: „Die Bundesregierung hat beim Kin- der- und Jugend-Ärztetag in Berlin eingeräumt, die Prä- vention in dieser Legislaturperiode nicht vorangebracht zu haben. So sei es weder gelungen, ein Präventionsge- setz noch die primäre Prävention als festen Bestandteil der Vorsorge zu etablieren.“ Im Klartext heißt das: Die Bundesregierung gesteht ein: Sie ist beim Präventions- gesetz völlig gescheitert! Die Schuld daran trägt maß- geblich die CDU/CSU. Gute Präventionspolitik ist So- zialpolitik, und gute Sozialpolitik ist Präventionspolitik. Doch von beidem ist die CDU/CSU weit entfernt, wie auch die Debatte um die Mehrwertsteuererhöhung zeigt. Ganz zu Schweigen von der FDP. Die will ja offen- sichtlich in Zukunft maßgeblich bei der Gesundheitspo- litik mitreden. Aber die FDP will Gesundheitspolitik als Wirtschaftspolitik betreiben. Und so liest sich auch ihr Antrag zur Prävention: „Eigenverantwortung, verant- wortungsbewusstes Verhalten, Gesundheitskampagnen, Konzentration auf die besonders teuren Erkrankungen usw.“ Mit einer vernünftigen, modernen Präventionspo- litik hat das wenig zu tun, aber viel mit Kostensenkung und Entsolidarisierung. Auch der Antrag der FDP vom Frühjahr zum Gesund- heitswesen macht deutlich: Die FDP will ihren Turboka- pitalismus, der uns gerade in diese Wirtschaftskrise ge- stürzt hat, auch im Gesundheitssystem verankern. Solidarität wird abgeschafft. Bei der FDP heißt es dazu immer, Solidarität sei keine Einbahnstraße. Übersetzt heißt das nichts anderes als: Die Reichen und Gesunden sollen endlich von der Soli- darität mit den Ärmeren und Kränkeren befreit werden. Das ist der Freiheitsbegriff der FDP. So ist klar, was von einer schwarz-gelben Koalition in der Gesundheitspoli- tik zu erwarten wäre: Entsolidarisierung, Rationierung, Privatisierung und Kapitalisierung – zulasten der Ge- sundheit der breiten Bevölkerung. Als die große Herausforderung der Gesundheitspoli- tik wird hingegen von den meisten Gesundheitswissen- schaftlern die soziale Ungleichheit von Gesund- heitschancen betrachtet. Der letzte Kinder- und Jugendbericht zeigt auf, wie unterschiedlich bereits die Gesundheits- und damit die Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen sind. Der Sachverständigenrat fordert in seinem vorgestern vorgelegten 2009er-Gutachten fol- gerichtig die Chancengleichheit bei Kindern herzustellen und Entwicklungschancen zu verbessern. Er konnte die beeindruckende Anzahl von 419 Programmen ermitteln, allerdings mit Defiziten im Hinblick auf die Zielorientie- rung, Gestaltung, Dauer und Qualitätssicherung. Die Programme sind unzureichend auf die sozial benachtei- ligten Zielgruppen ausgerichtet. Diesen blinden Aktio- nismus – diese Werbekampagnen des Gesundheitsminis- teriums – haben wir schon häufiger kritisiert. Der Antrag der Fraktion Die Linke wird den Ansprü- chen des Sachverständigenrats gerecht: In seinem Zen- trum steht die Verminderung sozial bedingter Gesund- heitschancen. Wir fordern eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik. Der Sachverständigenrat spricht von Ver- wirklichungschancen, die vor allem durch Sozial-, Ar- beits- und Bildungspolitik ermöglicht werden müssen. Modellprojekte müssen evaluiert und die guten Beispiele – Good Practice – umgesetzt und in die Fläche gebracht werden. Wir haben für unsere Forderungen viel Zustimmung von renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern und weiteren Fachleuten erhalten. Ich frage mich: Wann wird eine vernünftige Präventionspolitik in diesem Hause eine Mehrheit erreichen? An uns würde sie nicht scheitern, für uns steht die Chancengleichheit aller Menschen im Mittelpunkt. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Präventionspolitik hat uns die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode viel heiße Luft serviert. Ak- tionspläne, Kampagnen und Projekte wurden auf den Weg gebracht – mehr aber auch nicht. Die präventions- politische Bilanz lässt sich mit dem Motto „Viel Aktio- nismus und wenig Nachhaltigkeit“ umschreiben. Dabei hatte sich die Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, endlich ein Präventionsgesetz zu verab- schieden. Diesem Vorsatz kann ich nur zustimmen, fehlt es in Deutschland doch nach wie vor an nachhaltigen Strukturen in Form eines Präventionsgesetzes. Es folgte jedoch eine gesundheitspolitische Farce. Der im Bundes- gesundheitsministerium mit heißer Nadel gestrickte Re- ferentenentwurf verschwand schnell wieder in der Ver- 26048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) senkung. Zuletzt kamen aus diesem Hause nur zaghafte Ankündigungen, doch noch einen Anlauf zu unterneh- men. Die Union gibt ihre blockierende Haltung gegen- über einem Gesetz nicht auf. Unter dem Vorwand, ein Präventionsgesetz würde zu viel Bürokratie mit sich bringen, sperrt sie sich gegen eine Zusammenführung und gemeinsame Verwaltung der zur Verfügung stehen- den Gelder. Stattdessen sollen vor allem individuelle Präventionsangebote gefördert und zu einem Wettbe- werbsinstrument der Krankenkassen weiterentwickelt werden. Dieser Ansatz geht an der eigentlichen Zielstel- lung – sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu er- reichen – meilenweit vorbei. Für uns Grüne ist klar: Zu- mindest bei der Prävention in den Lebenswelten – also in den Schulen, Kindertagesstätten und Stadtteilen – sollte dieser Wettbewerb um Vorzeigeprojekte zugunsten einer kassenübergreifenden Poolung der Gelder aufgegeben werden. In guter Gesellschaft mit der Union befindet sich auch die FDP. Sie lehnt ein Präventionsgesetz ab, setzt auf in- dividuelle Angebote der Verhaltensprävention und sieht die Aufgabe des Staates vornehmlich in der Informa- tionsbereitstellung. Selbst bei der FDP müsste inzwi- schen angekommen sein, dass die Vermittlung von Infor- mationen zwar viel Geld kostet, insgesamt aber wenig bringt und die eigentliche Zielgruppe nicht erreicht. Punkten will die FDP auch mit medizinischen Präven- tionsangeboten, die ausgebaut werden sollen. In bewähr- ter Tradition wird damit Klientelpflege betrieben, die aus vielen Gründen nicht angebracht ist. Zum einen gehören medizinische Präventionsleistungen in der Arztpraxis zu den freien Leistungen, die nicht aus der morbiditätsorien- tierten Gesamtvergütung gezahlt werden. Zum anderen sollte ein Großteil der Prävention vor allem außerhalb des medizinischen Versorgungssystems erfolgen, denn dort liegen bekanntlich die Bedingungen für Gesundheit und Krankheit. Immerhin: Die Linke setzt sich mit ihrem Antrag für ein Präventionsgesetz ein und stellt viele sinnvolle For- derungen auf, zum Beispiel eine übergeordnete Koordi- nierungs- und Entscheidungsstelle einzurichten. Bei der Finanzierung jedoch fällt mir nur das Stichwort Maßlo- sigkeit ein. So sollen im Rahmen des Präventionsgeset- zes in den ersten vier Jahren jeweils 1 Milliarde Euro aus Steuergeldern verausgabt werden. Wie die Gelder aufge- bracht werden sollen, bleibt – wie fast immer bei der Linken – unklar. Für die grüne Bundestagsfraktion steht nach wie vor fest: Notwendig ist ein Präventionsgesetz, mit dem ein wirklicher Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen geleistet wird. Auf Bundesebene muss ein Entscheidungsgremium mit Finanzverantwortung eingerichtet werden. An der Finan- zierung – wir schlagen zunächst 500 Millionen Euro jähr- lich vor – müssen sich alle Sozialversicherungsträger, die private Kranken- und Pflegeversicherung sowie Bund, Länder und Kommunen beteiligen. An diese Forderung werden wir in der kommenden Legislaturperiode anknüp- fen, damit die Prävention nicht nur auf deklamatorischer Ebene politische Höhenflüge erlebt. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Fi- nanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht – Entwurf eines Gesetzes zur Schließung kre- ditwirtschaftlicher Aufsichtslücken (Tagesordnungspunkt 18) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Die Finanzmarkt- krise hat gezeigt: Die Finanzmärkte müssen reformiert werden. Dazu gehören natürlich Verbesserungen bei der Finanzaufsicht. Die wichtigsten und weitreichendsten Regelungen hierzu werden international und EU-weit er- folgen. Doch auch der nationale Gesetzgeber ist gefragt. Deshalb haben wir im vergangenen Oktober nicht nur entschlossen Maßnahmen ergriffen, um den deutschen Finanzmarkt zu stabilisieren. Wir haben auch damit be- gonnen, auf nationaler Ebene die Aufsicht an vielen Punkten neu zu justieren. Uns ging es dabei vor allem um zielgerichtete Ergänzungen der nationalen Aufsichts- regeln im Detail. Das Ergebnis unserer Arbeit in der Großen Koalition ist das nun zur abschließenden Bera- tung anstehende Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht. Wir stärken darin insbeson- dere die Befugnisse der BaFin als deutscher Allfinanz- aufsicht und erhöhen die Transparenz. Wir denken, dass wir sinnvoll und zielgerichtet die Aufsicht gestärkt haben, ohne überflüssige Bürokratie aufzubauen. Als Union war es dabei auch unsere Auf- gabe, unseren Koalitionspartner an einigen Stellen zu bremsen. Denn die undifferenzierte Ansicht der SPD „Viel hilft viel“ teilen wir nicht. Auch Aufsicht muss ef- fektiv und effizient sein. Die Produktion von Aktenber- gen bei der BaFin kann kein Selbstzweck sein. Zu nennen wären hier beispielsweise die vom Bundesfinanzministe- rium vorgeschlagenen Meldepflichten für Konzentra- tionsrisiken. Die Informationen liegen der Aufsicht be- reits jetzt vor. Bezogen auf den Versicherungsbereich wird der Kollege Flosbach sicherlich weitere Beispiele anführen können. Eine zweckmäßige Ergänzung der bestehenden Mel- depflichten stellt hingegen die sogenannte Leverage Ratio dar. Hierbei geht es um das nicht risikogewichtete Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital. Wie alle Kennzahlen betrachtet die Leverage Ratio zwar nur ei- nen Teilaspekt der Stabilität einer Bank. Für sich alleine genommen hat dieser Teilaspekt nur beschränkte Aussa- gefähigkeit. Im Zusammenhang mit anderen Informatio- nen vervollständigt die Leverage Ratio das Gesamtbild aber sinnvoll und zielführend. Detaillierte Untersuchun- gen am Fall der Schweizer UBS legen die Leverage Ra- tio als Ergänzung der risikogewichteten Eigenkapitalre- gulierung nahe. Und auch generell hat uns die Krise mit Nachdruck vor Augen geführt, dass große Hebel mit ho- hen, auch systemischen, Risiken einhergehen. Auf diese Risiken wird nun expliziter als bisher hingewiesen. In den letzten Wochen haben wir den Entwurf des Finanzministeriums an etlichen Stellen nachgebessert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26049 (A) (C) (B) (D) Wie bereits angesprochen, wurden Meldepflichten für Konzentrationsrisiken gestrichen. Zentraler ist jedoch eine wichtige Anpassung hinsichtlich der Anforderungen an Mitglieder von Kontrollgremien. Wir stellen nun auf die Sachkunde der Personen ab, nicht mehr auf die „fach- liche Eignung“. Wir haben damit Kritik aufgegriffen, die uns aus allen Richtungen erreicht hat. Die neue Regelung stellt eine sinnvolle Anforderung dar und verhindert gleichzeitig eine unsinnige Einschränkung des infrage kommenden Personenkreises. Anzumerken bleibt natür- lich eines: Auch die größte Sachkunde ist keine hinrei- chende Bedingung für ein effektives Kontrollgremium. Der Verwaltungsrat der IKB beispielsweise verfügte über herausragende Sachkunde. Geholfen hat es nicht viel, wie wir leidvoll erfahren haben. Wir haben außerdem klargestellt: Die BaFin kann die Abberufung von Mitgliedern in Kontrollgremien nur verlangen und nicht selber durchsetzen. Im Streitfall hat immer ein Gericht das letzte Wort. Die erweiterten Befugnisse der BaFin, Ausschüttun- gen zu unterbinden, finden nun auf längerfristige nach- rangige Verbindlichkeiten keine Anwendung. Hinter- grund: Diese Eigenkapitalinstrumente nehmen nicht am Verlust teil, sondern müssen nur im Insolvenz- oder Li- quidierungsfall nachrangig zurückgezahlt werden. Auch wird die Regelung zum Ring-Fencing ergänzt. Die BaFin informiert jetzt europaweit andere Aufsichts- behörden über ihre Schritte; ein wichtiger Beitrag zur notwendigen internationalen Kooperation der Behörden. Wir haben außerdem die Verhandlungen zum Gesetz genutzt, um die Leasingunternehmen nicht zu überfor- dern, die seit kurzem Millionenkreditmeldungen abgeben müssen. Das BMF hat uns zugesichert, dass die Nicht- meldung von Millionenkrediten erstmalig zum 15. Januar 2010 beanstandet werden wird. Auch der kommende Deutsche Bundestag wird sich mit Fragen der Finanzaufsicht beschäftigen müssen. Die vielfältigen internationalen Finanzmarktregulierungen auf G-20- und EU-Ebene müssen in nationales Recht umge- setzt werden. Daneben stehen weitere rein nationale Pro- jekte bevor. Als wichtigstes ist zu nennen: die Zusam- menlegung der deutschen Bankenaufsicht unter einem Dach, dem Dach der Deutschen Bundesbank. Dies haben wir als Union in unser Regierungsprogramm aufgenom- men, weil wir es für den nächsten folgerichtigen Schritt halten, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen. Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Die Regierun- gen der G 20 haben sich infolge der Finanzmarktkrise geeinigt, dass kein Finanzmarktakteur, kein Finanzpro- dukt und kein Finanzmarkt ohne Aufsicht und Regulie- rung bleiben soll. Wir unterstützen deshalb seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Entwurf zur Stär- kung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht. Im Laufe der Beratungen konnten wir zahlreiche Ver- besserungen durchsetzen, denn das Gesetz hatte Schlag- seite. Es bestand die Gefahr, dass Vorschriften, die für die Banken zutreffend sind, eins zu eins auch auf den Versicherungsbereich übertragen würden. Man konnte also den Eindruck gewinnen, dass es sich aktuell nicht um eine Bankenkrise, sondern um eine Versicherungs- krise handelte. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die sehr strengen Anforderungen, die Versicherungsunterneh- men in ihren Kapitalanlagen erfüllen müssen, haben we- sentlich dazu beigetragen, dass eine Finanzkrise im Ver- sicherungsbereich gerade nicht aufgetreten ist. Wir haben deshalb den Gesetzesvorschlag eingehend ge- prüft. Versicherungsunternehmen sind einer der größten Fi- nanzierer von Nachrangkapital für Banken. Dieses Kapi- tal wird fest verzinst, und die Erträge gehen zum ganz überwiegenden Teil auf das Konto der Versicherungs- nehmer, nicht auf das Konto der Aktionäre. Wir konnten hier in den Beratungen durchsetzen, dass ein Ausschüt- tungsverbot durch die BaFin für Erträge aus nachrangi- gem Kapital wieder aufgehoben wurde. Ansonsten hätte dieses Kapital den Banken nur noch zu deutlich erhöhten Konditionen oder gar nicht mehr zur Verfügung gestan- den. Auch für die Versicherungsunternehmen wurden zu Recht erhöhte Anforderungen an die Aufsichtsgremien eingeführt. Wichtig für uns war, dass die in der Versiche- rungsbranche übliche Spartentrennung auch in Aufsichts- gremien sowie bei der Besetzung der Geschäftsleiter Be- rücksichtigung findet. Denn Versicherungsunternehmen vereinigen nicht alle Versicherungssparten unter einem Dach, sondern für jede Sparte wird ein eigenes Versiche- rungsunternehmen gegründet. Mit Abstimmung der BaFin können deshalb auch Geschäftsleiter für mehrere Unternehmen bestellt werden. Wir haben auch darauf eingewirkt, dass nicht Regelun- gen eingeführt werden, die schon in kürzester Zeit wieder aufgehoben werden müssten. Denn die kommende euro- päische Solvency-II-Richtlinie wird zum Beispiel die Festlegung der Solvabilität bei Versicherungsunterneh- men auf eine komplett neue Grundlage stellen. Da dieser Richtlinienvorschlag bereits auf dem Tisch liegt, werden wir uns nach der Bundestagswahl unmittelbar damit be- schäftigen müssen. Wir konnten uns auch darauf einigen, bei Holdings eine angemessene Aufsicht einzurichten, auch wenn Hol- dings nur als reine Beteiligungsgesellschaften angelegt sind und auch keine Leitungsfunktion ausüben. Hier soll- ten die Beziehungen der Aufsichtsbehörde zu den Hol- dings auf eine rechtlich sichere Basis gestellt werden. Gleichwohl haben wir darauf bestanden, dass der büro- kratische Aufwand für die Holdings in einem angemesse- nen Verhältnis bleibt, die Aufsicht aber alle für sie wich- tigen Informationen erhält. Die Lehre aus der Finanzmarktkrise ist, dass eine Aufsicht präventiv handeln muss. Sie soll nicht erst dann handeln können, wenn es bereits zu spät ist. Unsere Auf- gabe ist es, für Stabilität im Finanzsektor zu sorgen, um den Bürger vor Fehlentwicklungen zu schützen. Mit die- sem Gesetz schaffen wir ein Stück mehr Stabilität und Sicherheit für unsere Bürger. 26050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Martin Gerster (SPD): Nach Plan sind wir in der letzten Sitzungswoche dieser Wahlperiode angekom- men – für mich der richtige Zeitpunkt, auf meine ersten vier Jahre im Deutschen Bundestag zurückzublicken und Bilanz zu ziehen. Wollte ich die größten Herausforde- rungen dieser vier Jahre unter einem Leitmotiv zusam- menfassen, ich würde die schwierige Abwägung von Freiheit und Sicherheit hervorheben. Denn diese kom- plexe Balance war für viele Entscheidungen kennzeich- nend, mit denen wir uns im Innenausschuss beschäftigen mussten, dem ich die ersten beiden Jahre der Legislatur angehörte, zum Beispiel wenn es um die Arbeitsmög- lichkeiten des Bundeskriminalamtes und die Weiterent- wicklung unserer Sicherheitsarchitektur ging. Eine ähnliche Problematik prägt auch jene Herausfor- derungen, denen wir in den vergangenen zwei Jahren im Finanzausschuss begegnen mussten: Ich spreche von der Unvereinbarkeit von maximaler Freiheit auf dem Markt und größtmöglicher Sicherheit für die Marktteilnehmer. Diese Unvereinbarkeit ist auch für die hochaktuelle Frage kennzeichnend, wie wir im Zuge der weltweiten Banken- und Wirtschaftskrise unsere Finanzarchitektur zukunftsfähig aufstellen sollten. Einen Teil der notwendigen Antworten enthält der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten wollen. Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Fi- nanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht“ leisten wir einen Beitrag, die Banken- und Versicherungsaufsicht effizienter zu machen, weil wir den möglichen Ursachen zukünftiger Krisen auf diesen Märkten vorbeugen wol- len, müssen und werden. Diesem Ziel dient eine ganze Reihe von Maßnahmen im Bereich des Kreditwesenge- setzes, KWG, und des Versicherungsaufsichtsgesetzes, VAG. Zunächst erhält die Bundesanstalt für Finanzdienst- leistungsaufsicht (BaFin) die Möglichkeit, von Institu- ten, die ihrer Aufsicht unterliegen, eine höhere Liquidi- tätsausstattung bzw. höhere Eigenmittel einzufordern, wenn diese auf nicht zu bewältigende finanzielle Risiken zusteuern. Stocken Banken ihre Eigenmittel durch staat- liche Hilfen auf, kann die BaFin ein Ausschüttungsver- bot für Gewinne auf diese Eigenmittelbestandteile ver- hängen. So wird verhindert, dass die Gläubiger dieser Banken aus Steuermitteln bedient werden. In Krisenfäl- len darf auch ein Zahlungsverbot zulasten konzerninter- ner Gläubiger verhängt werden. Das Gesetz beinhaltet zudem zusätzliche Meldepflichten, die der BaFin einen besseren Einblick in die Risikosituation der beaufsich- tigten Unternehmen erlauben sollen. Überdies ergreifen wir Schritte, den bislang zu wenig regulierten Freiverkehr der inländischen Börse besser zu kontrollieren und Anleger besser zu schützen. Und dort, wo Mitglieder von Aufsichtsgremien in ihrer Funktion versagen, wird es der BaFin zukünftig möglich sein, bei den entsprechenden Organen deren Abberufung zu ver- langen. Ich möchte an dieser Stelle insbesondere auf jene Teile des Gesetzes eingehen, die den Versicherungssek- tor betreffen. Gegen die hier getroffenen Regelungen gab es im Vorfeld einen grundlegenden Einwand. In zahlreichen Stellungnahmen wurde betont, die Branche sei nachweislich nicht schuld an der krisenhaften Ent- wicklung der vergangenen Jahre. Der Einwurf scheint auf den ersten Blick sicherlich gerechtfertigt: Tatsäch- lich wäre es falsch, die Versicherungswirtschaft für die derzeitigen Verwerfungen in der Wirtschafts- und Fi- nanzwelt verantwortlich zu machen. Dennoch: In diesem Gesetzentwurf geht es um Prävention. Und wenn wir dieses Ziel ernst nehmen, müssen wir auch in diesem – für das Gesamtsystem durchaus risikoträchtigen – Feld mögliche Hürden auf dem Weg zu wirksamen Aufsichts- mechanismen beseitigen. Dieses übergeordnete Ziel dul- det keine halbherzigen Kompromisse – frei nach dem Motto: Bitte gründlich waschen, aber bloß nicht nass machen! Die jetzt zum Beschluss anstehenden Änderungen im Bereich der Versicherungsaufsicht verfolgen mehrere Ziele: Gestärkt wird die Stellung des verantwortlichen Aktuars, dem es obliegt, Versicherungs-, Anlage- und Liquiditätsrisiken zu berechnen und zu bewerten. Auch verschärfen wir die Aufsicht über Versicherungsholding- Gesellschaften und verpflichten die Marktteilnehmer, vertiefte Informationen über die Kapitalmarktaktivitäten von Versicherungsgesellschaften und ihren Zweckgesell- schaften zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt wird durch das Gesetz die Zahl der Posten begrenzt, die eine einzelne Person in den Auf- sichtsgremien von Unternehmen der Finanz- und Versi- cherungsbranche wahrnehmen darf. Denn gerade in Kri- sensituationen gilt es zu verhindern, dass die Mitglieder der entsprechenden Gremien strukturell und zeitlich überfordert sind oder gar durch Interessenkonflikte in der Ausübung ihrer Funktion eingeschränkt werden. Im Zuge der Beratungen haben wir – insbesondere in- folge der Anhörung vom 27. Mai – zahlreiche Anregun- gen diskutiert und eine ganze Reihe von Feinjustierun- gen am Gesetzesentwurf vorgenommen. Dies betrifft vor allem die Frage der Qualifikationen, die wir den Mitglie- dern der Aufsichts- und Verwaltungsräte von Banken und Versicherungen gleichermaßen abverlangen. Hier haben wir den Begriff der „fachlichen Eignung“ durch das angemessenere Kriterium der „Sachkunde“ – ersetzt eine Lösung, die den vielen Aufsichtsratsmitgliedern aus der Kommunalpolitik gerecht wird, die beispielsweise in den Aufsichtsgremien von Sparkassen oder kommunalen Versicherungen seit Jahren kompetent mitwirken. Diese Regelung kommt auch den Arbeitnehmervertretungen entgegen, deren sachkundige Mitarbeit in den entspre- chenden Aufsichts- und Verwaltungsräten außer Frage steht. Insgesamt, denke ich, ist es uns gelungen, ein ausge- wogenes Gesetz auf den Weg zu bringen, das im Aufsichtsbereich notwendige Kursveränderungen antizi- piert, ohne die betroffenen Unternehmen in unzumutba- rer Weise zu gängeln. Mit den Maßnahmen stärken wir die nationalen Aufsichtsmechanismen, ohne die kom- menden europäischen Lösungen zu konterkarieren. Bis Solvency II endgültig umgesetzt ist, sind wir in Deutsch- land einfach einen kleinen Schritt voraus. Man mag das – mit viel Theaterdonner – als nationalen Alleingang kri- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26051 (A) (C) (B) (D) tisieren. Ich aber glaube: Mit dem gewonnenen Vor- sprung in Sachen Prävention können wir beruhigt auf Europa warten. Frank Schäffler (FDP): Der heutige Gesetzesbe- schluss besiegelt das Scheitern der Koalition bei der Re- form der Bankenaufsicht. Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag eine Neuordnung der Bankenaufsicht vorgenommen. Sie haben es auch durch ein von der Bun- desregierung in Auftrag gegebenes Gutachten schriftlich bekommen, dass die Bundesbank in der Bankenaufsicht gestärkt werden muss. Getan haben sie aber nichts, außer die Aufsichtsstruktur der Bundesanstalt für Finanzdienst- leistungsaufsicht, BaFin, etwas zu ändern; übrigens nur gezwungenermaßen als Konsequenz eines Korruptions- skandals bei der BaFin. Heute folgt nun die Ausweitung der BaFin-Kompe- tenzen. Dadurch soll die BaFin künftig auch die Mitglie- der von Kontrollgremien überprüfen können. Dazu hieß es im Gesetzentwurf zunächst, die Mitglieder müssten die entsprechende „fachliche Eignung“ aufweisen. Das ging der Koalition dann doch zu weit; deshalb wurde der Begriff der Sachkunde gewählt. Dieser, so heißt es nun in der Gesetzesbegründung, wird in § 12 Abs. 1 Sparkas- sengesetz NRW definiert. Dort heißt es aber: „Sach- kunde bedeutet dabei den Nachweis einer fachlichen Eignung …“. Ja, was soll denn nun gelten? Wir hätten es für besser gehalten, die Eigentümer ent- scheiden zu lassen, wen sie in ihre Kontrollgremien be- rufen, und hier nicht eine weitere Aufgabe der BaFin einzuführen. An dieser Regelung sieht man, dass die Ko- alition sich in Wortklaubereien verzettelt und den Blick für die Struktur verliert. Sie hat es versäumt, die deut- sche Bankenaufsicht rechtzeitig wetterfest zu machen, und in der Finanzkrise zahlt der deutsche Steuerzahler nun einen hohen Preis dafür. Wir schlagen vor, die bestehenden Aufsichtslücken zu schließen, indem die bislang zersplitterte deutsche Ban- kenaufsicht, BaFin und Bundesbank, zu einer Einheit zu- sammengeführt wird. Dabei kommt es auch darauf an, noch mehr höchstqualifizierte Finanzmarktexperten für die Aufsichtstätigkeit zu gewinnen. Wir fordern, die Ban- kenaufsicht der Deutschen Bundesbank zuzuordnen. Nur die Bundesbank hat in Deutschland die nötige Glaubwür- digkeit, diese Aufgabe zu bewältigen. Die Unabhängig- keit der Bundesbank bleibt natürlich gewährleistet. Wir haben sie auch bei der Einrichtung des Finanzmarktstabi- lisierungsfonds verteidigt. Soweit für die neuen Aufga- ben der Bundesbank ein Weisungsrecht zwingend erfor- derlich ist, wird es auf den klar abgegrenzten Bereich der Bankenaufsicht beschränkt. Die Union hat nun in ihr Wahlprogramm geschrieben, sie wolle die Bankenaufsicht konzentrieren. Das ist löb- lich, kommt aber zu spät. Wir sehen darüber hinaus eine Aufsichtslücke bei der KfW-Bankengruppe, da die KfW als einzige Bank nicht der Bankenaufsicht untersteht. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir diese Lücke schließen und die KfW anderen Fi- nanzinstitutionen des privatrechtlichen, genossenschaftli- chen und öffentlichrechtlichen Sektors gleichstellen. Für die hoheitliche Beaufsichtigung der KfW sollen im Sinne der Gleichbehandlung die gleichen Anforderungen wie für andere Großbanken gelten. Insbesondere die bislang bestehende und sachlich nicht begründete Ungleichbe- handlung zwischen der KfW und anderen öffentlich- rechtlichen Kreditinstituten, wie etwa den Landesbanken, wollen wir beseitigen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): So richtig es ist, die Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht zu stärken, so verkehrt ist das vorliegende Gesetz. Ich nenne Ihnen drei Gründe, warum dies so ist: Erstens: Das Gesetz verfehlt seinen Anspruch auf Prä- vention. Es ist nämlich so, dass die Vorschriften zur Ei- genkapitalunterlegung (Basel II) massiv unterwandert werden. Ein Grund dafür ist die viel zu weite Auslegung dessen, was als Eigenkapital gilt. Von der Aufsicht akzep- tiert sind auch Mischformen aus Eigen- und Fremdkapital – so zum Beispiel Genussrechte und Wandelanleihen. Die Finanzaufsicht will dieses schwache Eigenkapital – das sogenannte Nachrangkapital – im Krisenfall in die Ver- lusthaftung einbinden. Hier wäre es viel wirksamer, den Begriff des Eigenkapitals von vornherein enger zu fassen. Nur ausreichend Eigenkapital von hoher Qualität kann Geschäftsrisiken wirksam abfedern. Aber selbst dies ist allein nicht ausreichend: Eine wei- tere Voraussetzung für eine präventive Aufsicht ist die im- mer noch fehlende Zuständigkeit für Geschäftsmodelle. Denn wenn das Geschäftsmodell fehlläuft, hilft auch die Höhe des Eigenkapitals nicht viel. Hierzu schweigt das Gesetz. Auch bleibt der Blick der Aufsicht auf einzelne Institute beschränkt, statt weitaus gefährlichere systemi- sche Risiken zu erfassen. Statt sich zur Vogelperspektive aufzuschwingen, verteidigt die Aufsicht ihre Scheuklap- pen. Zweitens – und das bleibt unverändert der Haupt- grund, warum wir den Entwurf ablehnen –: Das Gesetz engt die demokratische Mitbestimmung ein. Denn: Lehnt der Aufsichtsrat das Verlangen der Finanzaufsicht ab, ein Mitglied abzuberufen, kann die Aufsicht dieses selbst ge- richtlich durchsetzen. Doch schließlich handelt es sich um demokratisch gewählte Gremien: Die Anteilseigener werden von der Hauptversammlung gewählt, die Arbeit- nehmervertreter von den Beschäftigten. Vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DBG) war zu hören, weder er noch die SPD seien mit dieser Befugnis der Aufsicht glücklich. Die CDU könne damit leben. Damit liegt die Vermutung nahe, dass SPD und CDU hier schlicht einer Ansage des Bundesfinanzministeriums folgen. Entscheidend ist, das Gesamtgremium zu sehen. Nicht jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied muss die gesamte Spannbreite der Aufgaben selbst erfüllen. Das wäre ge- rade das Gegenteil von funktionierender Arbeitsteilung. Vielmehr bringen die jeweiligen Gremiumsmitglieder ihre jeweilige Sicht ein: So achten kommunale Vertrete- rinnen und Vertreter darauf, dass Sparkassen und Kom- munalversicherer ihren öffentlichen Auftrag erfüllen. Wer kann besser einschätzen als sie, ob die flächende- ckende Kreditversorgung gewährleistet ist? Dass finanz- 26052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) technische Expertise allein in keinster Weise hinreichend ist, belegen Pleitebanken wie die Hypo Real Estate an- hand von Milliardenverlusten. Damit komme ich zum dritten Punkt. Das ist der Punkt, nach dem man im Gesetz vergeblich sucht – die Auf- sichtsratskultur. Das Gesetz leistet keinerlei Beitrag zu ei- ner besseren Aufsichtsratskultur. Doch gerade darauf kommt es an: Wie ist die Zusammenarbeit mit Wirt- schaftsprüferinnen und -prüfern organisiert? Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Finanzdienst- leistungsaufsicht und mit der Bundesbank? Wie können entscheidungsrelevante, komplexe Angaben allen Mit- gliedern in Aufsichtsgremien verständlich übermittelt werden? Diese Fragen gilt es zu beantworten. Die Linke lehnt das Gesetz ab, weil es die demokrati- sche Mitbestimmung einschränkt. Zugleich leistet das Gesetz weder einen wirksamen Beitrag zur Krisenprä- vention noch geht es das Kernproblem der Aufsichtsrats- kultur an. Es ist keinerlei Verlust, dieses Gesetz abzuleh- nen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es war wenige Tage vor der ersten Runde der missrate- nen milliardenschweren Rettung der Hypo Real Estate, als Finanzminister Steinbrück am 25. September 2008 in diesem Hohen Hause eine Regierungserklärung zur Fi- nanzmarktkrise abgab. Vor weniger als einem Jahr also, die Finanzkrise feierte damals ihr über einjähriges Beste- hen. Herr Steinbrück sagte damals: „Die USA sind der Ursprung der Krise, und sie sind der Schwerpunkt der Krise. Es ist nicht Europa, und es ist nicht die Bundesre- publik Deutschland.“ Und weiter: „Die mir wichtige Antwort ist eine stärkere Regulierung auf internationaler Ebene.“ „Denn“, so an anderer Stelle Finanzminister Steinbrück, „das Krisenmanagement in Deutschland hat bisher funktioniert.“ Dass Herr Steinbrück mit diesen Einschätzungen völ- lig danebenlag, wussten wir schon damals, können es aber inzwischen auch belegen: Denn die Krise ist kein allein US-amerikanisches Problem, sondern mindestens genauso stark auch unseres. Das wird niemand hier mehr ernsthaft bestreiten wollen. Das Krisenmanagement in Deutschland funktioniert nicht, es hat versagt. Das bele- gen beispielhaft die bisherigen Erkenntnisse des Unter- suchungsausschusses zur Hypo Real Estate. Und die richtige Antwort auf die Krise besteht nicht allein in stär- keren Regulierungen auf internationaler Ebene und ei- nem neuen Design der Weltfinanzarchitektur. Sondern eben auch auf nationaler Ebene muss gehandelt, muss die Aufsicht verbessert werden. Dass Letzteres inzwischen auch Herr Steinbrück so sieht und er somit seine eigene Einschätzung revidiert hat, belegt der vorliegende Gesetzentwurf zur sogenann- ten Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsauf- sicht. Leider kommt diese Einsicht reichlich spät: Bereits die Pleiten von IKB und Sachsen LB hätten genug An- lass gegeben zu schauen: Was können wir lernen? Was können wir besser machen? Wie können wir unsere Auf- sicht besser aufstellen? Wahrscheinlich hätte sich dann das eine oder andere milliardenschwere Desaster noch verhindern oder zumindest abmildern lassen. Worum geht es nun konkret im vorliegenden Gesetzes- entwurf? Erstens soll die präventive Kompetenz der Aufsicht gestärkt werden, beispielsweise indem künftig in Abhän- gigkeit der Geschäftsrisiken eine Erhöhung des Eigenka- pitals verlangt werden kann. Zweitens soll mit der Ein- führung neuer Berichtspflichten die Informationsbasis der Aufsicht verbessert werden. Drittens erhält die Auf- sicht mehr Eingriffsrechte in Krisensituationen. So kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Ba- Fin) künftig beispielsweise eine Sperre der Gewinnaus- schüttungen anordnen, wenn sich eine Bank in einer Schieflage befindet. Außerdem sollen die fachlichen An- forderungen an Aufsichtsräte von Banken und Versiche- rungen erhöht werden, und zwar gestaffelt nach Komple- xität der Geschäfte. Leider wird das Gesetz seinem Anspruch, die Lehren aus der Finanzmarktkrise zu ziehen, nicht gerecht. Denn das Gesetz geht entweder nicht weit genug, greift ins Leere oder packt die zentralen Reformbedarfe nicht an. So wollen Sie die sogenannte Leverage Ratio, also das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanzsumme, der Mel- depflicht unterziehen. Die Aufsicht verfügt über diese Daten aber schon längst. Hier eine Meldepflicht einzufüh- ren, kann man daher getrost unter „Aktionismus“ und „politischem Blendwerk“ verbuchen. In der eingangs zitierten Rede vom September 2008 war der Finanzminister übrigens in seiner Erkenntnis schon sehr viel weiter, als es der Gesetzentwurf von heute ist: Damals betonte der Minister, es sei ihm wich- tig, dass es zu einer Stärkung der Eigenkapitalanforde- rungen und der Liquiditätsvorsorge bei den Banken komme. Wieso haben Sie diese Erkenntnis nicht in den Geset- zestext gegossen? Ich teile nämlich Ihre Einschätzung: Mit höheren Eigenkapitalpflichten können wir die Ban- ken stabiler und krisenfester machen. Hoffen Sie hier auf internationale Vorgaben? Wenn ja: Warum? Denn dass man das Thema auch national anpacken kann, zeigt uns Großbritannien: Dort sollen neue Eigenkapital- und Li- quiditätsvorschriften so konzipiert werden, dass der ris- kante Eigenhandel von Geschäftsbanken stark reduziert wird. Der vorliegende Gesetzentwurf macht hierzu lei- der überhaupt keine Aussagen. Die zentralen Reformbedarfe packen Sie also gar nicht erst an. Das ist nicht nur beim Thema Eigenkapital- unterlegung so, sondern auch bei einem Problem, dass die Fachwelt unter dem Stichwort „too big to fail“ disku- tiert. Dabei geht es darum, wie künftig zu verhindern ist, dass Banken zu groß und zu vernetzt werden, als dass man sie nicht insolvent gehen lassen kann. In diesem Zusammenhang wäre auch sehr wichtig, endlich eine Reform des Insolvenzrechts für Banken an- zupacken, um die aus den jüngsten Bankenrettungen re- sultierenden Fehlanreize einzudämmen: Da bisher Gläu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26053 (A) (C) (B) (D) biger wie Eigentümer der Banken gerettet wurden, werden diese auch künftig riskante Bankenstrategien fi- nanzieren. So wird die Basis für künftige Risikoexzesse an den Finanzmärkten gelegt. Wichtig wäre eine Reform des (Vor-)Insolvenzrechts für Banken, um künftig bei Schieflagen verstärkt die Gläubiger in die Finanzierung von Lösungen einbeziehen zu können. Folge wäre eine wünschenswerte stärkere Kontrolle vom Markt hinsicht- lich der durch die Bank eingegangenen Risiken. Auch hierzu macht Ihr Gesetz keine Aussagen. Überdies wurden teils sinnvolle Vorschläge des Ge- setzentwurfs im Zuge der parlamentarischen Beratungen wieder entschärft. So fällt gegenüber dem ursprüngli- chen Gesetzentwurf Nachrangkapital nicht mehr unter die Ausschüttungssperren, die die Aufsicht bei Schiefla- gen künftig verhängen kann. Damit wird im Zweifel aus- geschüttet, was eigentlich im Sinne einer Stabilisierung des Instituts einbehalten werden sollte. Abschließend noch zwei Punkte, die mir sehr wichtig sind. Spätestens die Krise um die Hypo Real Estate (HRE) hat offengelegt, dass die Schnittstelle zwischen Aufsicht und Finanzministerium nicht funktioniert. Etliche War- nungen der Aufsicht zur Schieflage der HRE wurden ab- geheftet und archiviert statt ausgewertet. Zur entschei- denden ersten HRE-Rettungsrunde ist der Staatssekretär gefahren, ohne das vorhandene Wissen des eigenen Hau- ses auch nur zur Kenntnis genommen zu haben. Alterna- tive Rettungsszenarien wurden allenfalls zu spät geprüft. Und nicht zuletzt: Nach fast zwei Jahren Finanzkrise hatte das Finanzministerium noch immer keinen Krisen- stab, der das Know-how referats- und abteilungsüber- greifend hätte zusammenführen und bündeln können. Bevor diese Defizite nicht endlich behoben werden, wer- den Reformen zu einer verbesserten Aufsicht letztend- lich ins Leere laufen. Außerdem ist die qualitative und quantitative Perso- nalausstattung der Aufsicht völlig unzureichend. Das hat erst vor ein paar Wochen sogar Herr Sanio zugegeben. Solange Sie hier nicht endlich Nägel mit Köpfen machen – sprich: die Aufsicht personell so ausstatten, wie es nö- tig ist – so lange werden die zarten Verbesserungen, die an einigen wenigen Stellen auch in diesem Gesetz durch- schimmern, zu keinen besseren Ergebnissen führen. Denn bei zusätzlichen Kompetenzen, die das Gesetz der Aufsicht zuschreibt, braucht eine Behörde auch zusätzli- ches Personal. Das weiß jede Kommunalverwaltung, die verfassungsrechtlich abgesichert penibel darauf achtet, dass jede vom Land neu übertragene Aufgabe auch geld- wert vergolten wird, damit die übertragene Aufgabe auch geleistet werden kann. Bei Ihnen kommt mir es hingegen so vor, als ob Sie der Aufsicht die Quadratur des Kreises zutrauen: Ihr bekommt mehr Kompetenz und neue Aufgaben, aber bitteschön: die Aufgabenerle- digung schafft ihr mit den bisherigen Ressourcen, die so- wieso schon zu knapp sind. Das scheint mir Ihre gefähr- liche Logik zu sein, der ich allerdings überhaupt nicht folgen kann. Die Lehren aus der Finanzmarktkrise haben Sie also noch immer nicht gezogen – weder, was die Aufsicht und die Organisation des Finanzministeriums angeht, noch, was die Zusammenarbeit zwischen beiden angeht. Das Fatale daran ist auch: nach über zwei Jahren ist die Finanzmarktkrise noch immer nicht überstanden. Ihre halbherzigen Vorschläge sind daher eine echte Gefahr für unser Land. Meine Fraktion lehnt den Gesetzentwurf daher ab. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) – Entwurf eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz (Tagesordnungspunkt 19) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Über eine Absenkung des aktiven Wahlalters bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag haben wir in der aktuellen Wahl- periode bereits einmal debattiert. Die Grünen haben die Forderung zur Absenkung der Altersgrenze auf 16 Jahre schon in Gestalt eines Antrags eingebracht, den der Deutsche Bundestag am 4. Dezember 2008 in zweiter und dritter Beratung abgelehnt hat. Die Grünen haben dieselbe Forderung – nun ausgeweitet auf die Wahlen zum Europäischen Parlament – dann in der Gestalt des vorliegenden Gesetzentwurfs eingebracht, über den wir nun in zweiter und dritter Lesung beraten. Ich habe schon anlässlich der ersten Lesung zu diesem Gesetzent- wurf am 6. Mai 2009 die Haltung der CDU/CSU-Frak- tion erläutert und fasse sie hier noch einmal zusammen. Der Antrag der Grünen krankt daran, dass er keine überzeugenden Argumente dafür liefert, warum die Al- tersgrenze für das aktive Wahlrecht losgelöst werden soll von der zivilrechtlichen Volljährigkeit, die in Deutsch- land seit dem 1. Januar 1975 mit Vollendung des 18. Le- bensjahres eintritt. Ich sage es hier noch einmal: Die Volljährigkeit ist der entscheidende Anknüpfungspunkt dafür, dass jungen Menschen zivilrechtlich die volle Ver- antwortung für die Konsequenzen ihres Handelns zuge- mutet wird. Vor Eintritt der Volljährigkeit wird der junge Mensch vor nachteiligen Folgen seines Handelns ge- schützt, indem seine Erklärungen nur dann für ihn Wir- kung entfalten, wenn seine gesetzlichen Vertreter – in der Regel die Eltern – zustimmen. Dieses Konzept ist in sich schlüssig und wird für das Zivilrecht, also für das normale Alltagsleben, soweit ich es sehe von nieman- dem ernsthaft infrage gestellt. Auch die Grünen fordern ja in ihrem Antrag keineswegs eine andere Altersgrenze für die Volljährigkeit, sondern nur isoliert für das aktive Wahlrecht bei den Bundestags- und Europawahlen. Für die Festschreibung der Volljährigkeit mit Vollen- dung des 18. Lebensjahres gibt es gute Gründe, die letzt- lich in der fortdauernden Entwicklung und Reifung der jungen Menschen begründet sind. Diese Entwicklung ist 26054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) – selbstverständlich – ein kontinuierlicher, lebenslanger Prozess, der nicht mit bestimmten Stichtagen endet. Des- halb ist die Festlegung jeglicher gesetzlicher Alters- grenze, ob im Zivilrecht oder aber für das Wahlrecht, eine Entscheidung, die sehr gut begründet werden muss. Für das Wahlrecht kommt hinzu, dass das Grundgesetz in Art. 38 ganz ausdrücklich vom allgemeinen Wahl- recht ausgeht. Es handelt sich beim Wahlrecht um das fundamentale Bürgerrecht in einer Demokratie, das schon aus diesem Grunde – etwa durch Vorschreibung eines Mindestalters – nur eingeschränkt werden darf, wenn absolut durchschlagende Argumente dafür vorhan- den sind. Diese Argumente sind aber vorhanden, und ich halte sie nach wie vor für richtig und für absolut durch- schlagend. Das entscheidende Argument habe ich schon ange- deutet: Rechte und Pflichten sollten auch weiterhin zu- sammengehören: Wenn ein Minderjähriger die nachteili- gen Folgen seines Handelns im Zivilrecht nicht tragen muss, begründen wir das damit, dass er geschützt wer- den muss. Der dahinter stehende Gedanke ist, dass der Jugendliche in seiner persönlichen Reife und Urteilsfä- higkeit in aller Regel noch nicht so weit entwickelt ist, dass man ihn für alle nachteiligen Konsequenzen seines Tuns verantwortlich machen sollte. Wir muten dem Minderjährigen also im Zivilrecht und damit im Alltag nicht zu, für die negativen Folgen seines Handelns einzustehen. Sie werden mir aber zu- stimmen, dass die Ausübung des Wahlrechts in einer De- mokratie sicher von größerer Bedeutung ist als ein x-be- liebiger Kaufvertrag unter Privatleuten. Schon deshalb wäre es nicht schlüssig, für das Wahlrecht eine niedri- gere Altersgrenze vorzusehen, weil sie dem Minderjähri- gen volle Verantwortung und Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen zuordnen und zumuten würde, obwohl ihm diese Verantwortlichkeit in seinem privaten Le- bensumfeld nicht zugemutet wird. Das passt nicht zu- sammen. Die Volljährigkeit ist ferner auch die Grenze, ab der junge Männer nach dem Grundgesetz der Wehrpflicht unterliegen. Auch dies ist der besonderen Schutzbedürf- tigkeit der Minderjährigen geschuldet. Die wesentlichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten knüpfen somit gegenwärtig an der Altersgrenze von 18 Jahren an. Es wäre nicht konsequent, das aktive Wahlrecht als Teilbe- reich dieses Geflechts von Rechten und Pflichten aus diesem in sich schlüssigen System herauzulösen. Das aktive Wahlrecht und die Volljährigkeit würden dann auseinanderfallen, denn die Grünen fordern ja nicht gleichzeitig die Herabsenkung der Altersgrenze für die Volljährigkeit. Das überzeugt nicht. Belassen wir es des- halb bei dem bewährten Gleichlauf von staatsbürgerli- chen Rechten und Pflichten sowie zivilrechtlicher Ver- antwortlichkeit. Selbstverständlich verfügen schon Jugendliche über die Fähigkeit, sich über politische Zusammenhänge eine Meinung zu bilden und diese auch zu artikulieren. Das stellt doch niemand infrage. Ich begrüße es auch ganz außerordentlich, wenn sich junge Menschen für Politik interessieren und möglicherweise auch engagieren. Ich sehe auch die Politik in der Verantwortung, Jugendliche an politische Zusammenhänge heranzuführen. Bei vielen Gesprächen mit Jugendlichen habe ich aber nicht den Eindruck gewonnen, dass eine Herabsetzung des Wahl- alters bei den Bundestagswahlen zu ihren dringendsten Anliegen zählen würde. Im Gegenteil: Ich habe den Ein- druck, dass viele Jugendliche sehr wohl Verständnis für die jetzige Altersgrenze und die dafür sprechenden Gründe haben. Sehr wichtig ist es freilich, junge Menschen schritt- weise an politische Prozesse heranzuführen. Politische Bildung in der Schule, aber auch außerhalb, ist hier ohne jeden Zweifel von entscheidender Bedeutung. Viele junge Menschen nehmen diese Angebote auch wahr. Sehr viele Jugendliche nehmen im Übrigen auch in an- derer Form Verantwortung für die Allgemeinheit wahr, indem sie sich nämlich ehrenamtlich in Vereinen, Kir- chen, Jugendgruppen oder sonstiger Form engagieren. Junge Menschen sind nach einer Untersuchung des Bun- desfamilienministeriums zum Stand von 2004 erfreulich häufig in Vereinen und anderen Formen ehrenamtlich engagiert: In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen sind dies rund 36 Prozent. Weitere 43 Prozent in dieser Altersgruppe sind grundsätzlich bereit, sich ehrenamt- lich zu engagieren. Damit gehört diese Altersgruppe zu den am stärksten aktiven im Bereich des ehrenamtlichen Engagements. Diese Zahlen sprechen doch eine deutliche Sprache: Jugendliche nehmen schon heute zahlreiche bestehende Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe und zur Verantwortung für das Gemeinwesen wahr. Es ist des- halb eine absolut unzulässige Verkürzung der Tatsachen, wenn die Grünen in ihrem Antrag den Eindruck erwe- cken wollen, dass allein durch eine Absenkung des Wahlalters jungen Menschen eine angemessene bürger- schaftliche Teilhabe ermöglicht werden könnte. Das ist eine völlig unangebrachte Verengung des Blickwinkels, wenn es um die bürgerschaftliche Teilhabe und Verant- wortung junger Menschen geht. Ich wiederhole es noch einmal, um nicht missverstan- den zu werden: Es verdient volle Unterstützung, wenn sich junge Menschen bürgerschaftlich und auch politisch im engeren Sinne einbringen wollen. Selbstverständlich ist es wichtig und notwendig, junge Menschen schon frühzeitig über die Grundlagen und die Eckpunkte unse- rer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und über politische Zusammenhänge zu informieren. Die Schule, die außerschulische politische Bildung, aber auch die Eltern und natürlich auch die demokratischen politischen Parteien mit ihren Nachwuchsorganisationen sind hier gefragt. Auch wir Abgeordnete sind gefordert, mit jungen Menschen das Gespräch zu suchen und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Jugendliche nutzen die beste- henden Möglichkeiten zur bürgerschaftlichen Teilhabe und auch zur politischen Diskussion und zum politischen Engagement oft besser und in regerer Form, als es man- cher Kassandraruf glauben lassen will. Um noch auf einen letzten Gesichtspunkt einzugehen: Auch der Aspekt der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit, den die Grünen anführen, taugt nicht, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26055 (A) (C) (B) (D) um eine Herabsetzung des Wahlalters zu begründen. Ich begrüße es sehr, dass das Thema der Generationenge- rechtigkeit und der Nachhaltigkeit – inzwischen wohl fraktionsübergreifend – im Fokus der politischen Auf- merksamkeit angekommen ist. Es besteht nach meinem Eindruck Konsens, dass wir die Folgen politischer Ent- scheidungen für die jungen und die nachfolgenden Ge- nerationen ganz besonders sorgfältig im Blick haben müssen. Ich begrüße es deshalb auch ganz besonders, dass die Bundesregierung mit Wirkung zum 1. Juni 2009 die Nachhaltigkeitsprüfung als zwingenden Bestandteil jeder Gesetzesfolgenabschätzung bei Gesetzesvorhaben der Bundesregierung aufgenommen hat. Die Bundesre- gierung hat damit nicht zuletzt eine Forderung des Parla- mentarischen Beirats des Deutschen Bundestages für nachhaltige Entwicklung umgesetzt. Dies ist eine pas- sende und richtige Antwort auf die Herausforderungen, die sich durch die Generationengerechtigkeit stellen. Mit solchen Schritten sollten wir die Verantwortung der heu- tigen politischen Entscheidungsträger für die jungen und kommenden Generationen weiter stärken. Dagegen halte ich es für nicht zielführend, eine bessere Generationen- gerechtigkeit durch eine Absenkung der Altersgrenze für die Bundestagswahlen erreichen zu wollen, wie es die Grünen möchten. Ich bin davon überzeugt, dass Eltern bei ihrer Wahlentscheidung auch die Interessen und An- liegen ihrer Kinder mitberücksichtigen. Das ist ganz selbstverständlich. Vor diesem Hintergrund gibt es kei- nen Anlass, zu befürchten, dass die Anliegen der jungen Menschen nicht hinreichend bei den Wahlen zum Tragen kämen. Andererseits – das möchte ich bei dieser Gele- genheit ebenfalls sagen – wäre es aber auch nicht über- zeugend, den Eltern ein zusätzliches Stimmrecht gleich- sam in Treuhänderschaft für ihr Kind zu verleihen, denn es sollte beim Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl bleiben, welcher besagt, dass letztlich jeder Wahl- berechtigte nur für sich selbst wählen kann. Der Gleichlauf von aktivem und passivem Wahlrecht bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag mit der zivil- rechtlichen Volljährigkeit sowie mit den maßgeblichen staatsbürgerlichen Pflichten – insbesondere der Wehr- pflicht – hat sich hervorragend bewährt. Für diesen Gleichlauf sprechen bei weitem bessere Argumente als für die Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre. Lassen Sie uns dieses bewährte, in sich stim- mige Modell nicht ohne Not über Bord werfen. Klaus Uwe Benneter (SPD): Ich prophezeie Ihnen: Sie werden mit Ihren Gesetzentwürfen keinen Erfolg ha- ben, auch nicht in der letzten Bundestagssitzungswoche Donnerstagnacht. Natürlich sind wir Sozialdemokraten für Ihre Ideen erst einmal offen. „Demokratie stärken“ klingt gut. Wir wollen auch mehr Demokratie in unserer Gesellschaft, in der Arbeitswelt oder in den Universitäten. Deshalb set- zen wir uns für die Stärkung von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene ein, und wir wollen, dass Staatsangehörige aus Staaten, die nicht aus der Eu- ropäischen Union kommen, endlich auf kommunaler Ebene wählen dürfen; und in möglichst vielen Gemein- den auch 16-Jährige. Die Erfahrungen damit müssen wir uns genau anschauen. Über diese Ideen würde ich heute gern reden. Und über die CDU/CSU, die alle diese guten und wichtigen Initiativen blockiert, weil sie den Men- schen nicht traut. Demokratie stärken, ja, aber Symbolpolitik nein. Die Bündnisgrünen wollen mit ihrem Gesetzentwurf Jugend- lichen ab 16 Jahren das Wahlrecht für den Bundestag ge- ben. Ich bin da anderer Meinung. Die Argumente sind wirklich ausgetauscht. Ich habe immer gesagt, dass ich mich einer Diskussion nicht verschließen will. Aber be- vor wir das Grundgesetz ändern, müssen wir wirklich gute Gründe und noch bessere Argumente haben. Das, was hier in dem Antrag vorgetragen wird, überzeugt mich immer noch nicht. Die Kollegen der Bündnisgrünen begründen das Wahlrecht ab 16 Jahren damit, dass Jugendliche auch mit diesem Alter schon genug einsichtsfähig sind. Natür- lich sind sie das. Aber 14-Jährige doch auch! Warum ge- ben Sie dann nicht 14-Jährigen das Wahlrecht? 16 Jahre sind doch ganz beliebig. Ich erlebe in meinem Wahlkreis immer wieder Jugendliche, die ihre eigene politische Meinung haben und sie engagiert vertreten, viel mehr als mancher Erwachsener. Sie sind in Schülervertretun- gen, in Bürgerinitiativen, Jugendparlamenten oder bei Amnesty International aktiv. Von diesen Jugendlichen ist aber noch niemand an mich herangetreten und hat das Wahlrecht ab 16 oder 14 Jahren oder sogar von Geburt an gefordert. Offenbar leuchtet ihnen ein, dass ein Wahl- recht ab Volljährigkeit ein möglicher und gut vertretba- rer Anknüpfungspunkt ist. Die Volljährigkeit ist der Zeitpunkt, an dem ein Ju- gendlicher keine gesetzlichen Vertreter mehr hat und für seine Handlungen voll in Haftung genommen werden kann. Für jede CD, die sich ein Jugendlicher bis dahin gekauft hat, brauchte er die Genehmigung der Eltern. Auch beim Wehrdienst knüpft unsere Rechtsordnung an das Alter von 18 Jahren an. Es wäre auch ein unhaltbarer Zustand, wenn wir von jungen Frauen und Männern ver- langen, ihr Leben einzusetzen, sie aber nicht wählen las- sen. Mit 18 Jahren kann ein Jugendlicher zum ersten Mal nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden. Er kann seinen Führerschein machen oder ihm wird erlaubt, 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Und was für die Ju- gendlichen sicher ganz wichtig ist: Sie dürfen endlich solange ausgehen, wie sie wollen. Es gibt also eine ganze Reihe von Bereichen, in denen wir es für sinnvoll halten, 18 Jahre als das Alter zu bestimmen, zu dem Ju- gendliche rechtlich ihre volle Freiheit und Eigenverant- wortung gewinnen. Ich weiß, zwingend ist das Wahlalter ab 18 nicht. 1970 wurde es unter der sozialliberalen Koalition von Willy Brandt von der Volljährigkeit abgekoppelt. Von nun an konnten auch 18-Jährige wählen, obwohl die Volljährigkeit noch bei 21 Jahren lag. Fünf Jahre später wurde auch die Volljährigkeit auf 18 Jahre gesenkt. Den- noch bleibe ich dabei: Mit 16 zu wählen, aber keine Ver- träge allein verbindlich unterschreiben zu können, das ist paradox. Das passt nicht zusammen. 26056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Auch das zitierte Gesetz über die religiöse Kinderer- ziehung ist doch kein Argument für das Wahlrecht ab 16. Im Gegenteil: Dann müsste das Wahlalter auf 14 gesenkt werden. Denn nach diesem Gesetz dürfen Kinder mit 14 Jahren umfassend über ihre Religionsausübung ent- scheiden. Ja, warum eigentlich nicht schon mit 14 wäh- len? Die 79. Vollversammlung des Deutschen Bundesju- gendringes hat das so beschlossen. Die Bündnisgrünen möchten mit ihrem Antrag mehr Generationengerechtigkeit herstellen. Die Logik lautet da: Weil die Jugendlichen immer weniger und die Men- schen immer älter werden, bekommen die Jugendlichen mit dem Wahlrecht ab 16 eine stärkere Stimme gegen- über den Älteren. Liebe Bündnisgrüne, wollen Sie damit sagen, dass sich 50- oder 60-Jährige nicht für ein gerech- tes Bildungssystem, Jugendarbeitslosigkeit oder Stu- diengebühren interessieren, bloß weil sie selbst davon nicht mehr betroffen sind? Sagen Sie das bloß nicht zu laut! Da werden Ihnen eine Menge Senioren entschieden widersprechen, nicht nur die, die Enkel haben. Und das zu Recht. Das ist nicht logisch. Das ist eine wirklich ge- wagte Unterstellung. Mit diesem Argument kommen Sie nicht weiter. Ich fasse zusammen: Unsere Rechtsordnung knüpft mit guten Gründen das Wahlrecht an die Volljährigkeit und damit das Wahlalter 18 an. Die derzeitige Regelung in Art. 38 Grundgesetz stärkt das Bewusstsein, dass das Wahlrecht nichts Beliebiges ist, sondern die Basis der demokratischen Willensbildung. Dieses Recht ist von großer Tragweite für unser Gemeinwesen, muss etwas Besonderes bleiben und nicht irgendwelchem Zeitgeist unterstellt werden. Gisela Piltz (FDP): Zum vierten Mal binnen eines Jahres debattieren wir heute eine Initiative der Grünen zur Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre. Hinsichtlich des Grundanliegens des Antrages, politi- sche Partizipation zu fördern und Jugendliche an politi- sche Prozesse heranzuführen, haben wir Liberalen stets die Position der Grünen geteilt. Nicht geteilt wird von uns der durch die Grünen aufgezeigte Weg zur Errei- chung dieses Zieles. Mitzubestimmen ohne mitzuverant- worten ist und bleibt nach unserer Überzeugung genauso falsch wie Wählen allein um des Wählens willen. Die gesamte deutsche Rechtsordnung knüpft – mit ei- nigen wenigen Ausnahmen – die Gesamtheit aller Rechte und Pflichten an die Erreichung der Volljährig- keit. Die Volljährigkeit ist der Dreh- und Angelpunkt für Rechte und Pflichten des Einzelnen. Sie markiert den Zeitpunkt, zu dem ein junger Mensch vollständig für sich Verantwortung übernimmt und zu übernehmen hat. Insbesondere verfolgt auch das deutsche Strafrecht diese differenzierende Betrachtungsweise. Auch hier en- det der mögliche persönliche Anwendungsbereich des Ju- gendgerichtsgesetzes aus guten Gründen erst mit Errei- chen des 18., in manchen Fällen sogar erst mit Erreichen des 21. Lebensjahres. Kein Mensch würde hier auf die Idee kommen, bei jugendlichen Straftätern unter 18 Le- bensjahren ohne Wenn und Aber das Erwachsenenstraf- recht anzuwenden. Denn auch im Strafrecht ist der zen- trale Begriff der der Verantwortlichkeit. Natürlich müssen wir feststellen, dass ein großer Teil der jungen Leute heutzutage politisch reifer und gebilde- ter ist, als es noch vor Jahren oder Jahrzehnten der Fall war. Und selbstverständlich setzt mit dieser Fortentwick- lung eines großen Teils der Jugendlichen auch der politi- sche Denkprozess viel früher ein. Wenn Sie sich mit Ju- gendlichen unterhalten, werden Sie jedoch feststellen, dass nicht wenige gerade wegen ihres gewachsenen poli- tischen Verständnisses der Etablierung eines Wahlrechts im Teenageralter skeptisch gegenüberstehen. Die jungen Leute erkennen, dass Wahlen nicht nur Ausdruck per- sönlicher politischer Verantwortung sind, sondern dane- ben und vor allem auch Verantwortung für die Allge- meinheit. Gewähren wir den jungen Leuten doch die Möglichkeit, sich in Ruhe und ohne Druck eine politi- sche Meinung zu bilden. Denn auch wenn der Entwick- lungsstand der Jugendlichen heute höher ist als früher; die Gefahr, dass nicht wenige Teenager sich von ge- schickten Rednern schnell beeindrucken und schnell be- einflussen lassen, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Ein verfrühtes Wahlrecht, das im Zweifel dann als Wahlpflicht empfunden werden könnte, ist vor diesem Hintergrund nicht der Königsweg. „Wer Wahlen als Auf- putschmittel für Jugendliche betrachtet, verwechselt sie mit Coca Cola“, so hat es Herr Professor Dr. Gerd Roellecke nicht ganz unzutreffend in seinem Aufsatz (NJW 1996, 2773) auf den Punkt gebracht. Es müssen andere Wege gefunden werden, um Jugendliche an poli- tische Prozesse heranzuführen und für Politik zu begeis- tern. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich daher seit langem für die Etablierung von Jugendparlamenten in Schulen oder Gemeinden ein. Auch die verstärkte Förde- rung politischer Bildung ist nach unserer Einschätzung ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt hin zu mehr Eigenverantwortung und weg von der allgemein zu be- obachtenden Politikverdrossenheit. Denn das ist nach unserer Überzeugung der eigentliche Missstand und das eigentliche Problem, das wir vordringlich anpacken müssen. Die FDP-Bundestagsfraktion ist davon überzeugt, dass Politik nur unter Einbeziehung von Kindern und Ju- gendlichen zukunftsfähig gestaltet werden kann. Insofern ist die Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten auch auf Jugendliche grundsätzlich ein richtiger Schritt. Allein ein Stimmzettel vermag es indes nicht, der Stimme der nachfolgenden Generationen den nötigen Ton zu verlei- hen. Diana Golze (DIE LINKE): Die Debatte um die Ab- senkung des Wahlalters auf 16 Jahre in der letzten Sit- zungswoche und in der Nacht zum letzten Sitzungstag zu führen, steht sinnbildlich für die Scheinheiligkeit der Kinder- und Jugendpolitik der Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren. Die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen waren sich in der ersten De- batte zu diesem Antrag im Mai dann auch nicht zu schade, mit pauschalen und wiedergekäuten Textbaustei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26057 (A) (C) (B) (D) nen auf den Bestand des Wahlalters ab 18 zu pochen. Wahlweise beruft man sich auf die volle Strafmündig- keit, auf die Erreichung der vollen Geschäftsfähigkeit und am Ende gar auf die Wehrpflicht. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU/CSU-Fraktion, dann bleiben Sie doch bitte konsequent in Ihrer Rechtsauslegung. Ein 18-jähriger Mensch kann zum Wehrdienst herangezogen werden. Er kann nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, weil er mit 18 – um Herrn Mayer von der CDU/CSU-Fraktion zu zitieren – „die erforderliche persönliche Reife“ hat. Der gleiche Mensch ist nach Ihrer Logik aber nicht er- wachsen genug, um den vollen ALG-II-Regelsatz zu be- kommen. Obwohl er eigenständig ein Fahrrad kaufen kann, darf er nicht ohne Amt einen Mietvertrag unter- zeichnen. Es liegt auch in der nächsten Legislaturperiode in Ihrer Hand, die unsäglichen, entmündigenden Rege- lungen für unter 25-jährige ALG-II-Empfängerinnen und -empfänger zurückzunehmen. Doch das ist nicht das einzige Armutszeugnis, das Sie sich mit Ihren Begründungen gegen diesen Antrag lie- fern. Durchgängig haben Sie die Arbeit von Vereinen, Verbänden und Initiativen gelobt und als beste Möglich- keit für Kinder und Jugendliche, sich an Demokratie und an Gesellschaft zu beteiligen, bezeichnet. Sie hätten mit Ihrer Politik diesen Bereich stärken können. Stattdessen haben Sie aber genau da wieder und wieder den Rotstift angesetzt. Politische Bildung, Vermittlung von Demo- kratieverständnis gibt es aber nicht zum Nulltarif. Wer die Mitbestimmungsrechte stärken will, muss die Ju- gendhilfelandschaft in der Bundesrepublik stärken. In den vergangenen Jahren hat die Politik aber genau das Gegenteil getan. Die CDU/CSU-Fraktion spricht von einem Schaufensterantrag der Grünen und antwortet mit platten Wahlkampfthesen, die keinem Realitätstest standhalten würden. Das Wahlrecht ist ein wichtiges Mitbestimmungsrecht – in einer parlamentarischen Demokratie, wie wir sie ha- ben, sogar ein zentrales. Genau an dieser Stelle aber wird es scheinheilig. Denn wenigstens in einem bleibt Schwarz-Rot konsequent: bei der Verhinderung jeder Form von Ausweitung der Rechte von Kindern und Ju- gendlichen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und leider auch von der SPD, ich war sehr er- freut, bei Ihrem Debattenbeitrag zu vernehmen, dass Ih- nen die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sehr am Herzen liegt und Sie im Wahlkreis und vor Ihren Be- suchergruppen auch oft und gern darüber diskutieren. Meine Bitte an Sie ist: Diskutieren Sie es bitte endlich auch in den Fachausschüssen und im Plenum. Mit uns! Denn Beteiligungsrechte sind Kinderrechte. Über Kin- derrechte wollten Sie aber zum wiederholten Male am vergangenen Mittwoch im Familienausschuss noch nicht einmal debattieren. Mein Resümee für vier Jahre Große Koalition heißt daher: Kinder- und Jugendpolitik und insbesondere die Stärkung von Kinder- und Jugendbeteiligung hat in vier Jahren Große Koalition quasi nicht stattgefunden. Grundgesetzänderungen im Sinne von Kindern und Ju- gendlichen, die zur Stärkung und Einklagbarkeit ihrer Rechte führen, finden in diesem Hause auch im Jahr 2009 keine Mehrheit. Grundgesetzänderungen wie die Verankerung einer Schuldenbremse, die Investitionen in Bildung und Forschung – in Zukunft – verhindern und sich damit gegen die Interessen der kommenden Genera- tionen stellen, werden ohne große Nachfragen mit gro- ßer Mehrheit durchgewunken. Ob dies die Kolleginnen und Kollegen auch erzählen, wenn Sie mit Menschen im Wahlkreis sprechen oder mit den Jugendlichen, die den Bundestag besuchen, bleibt für mich fraglich. In Ihren Beiträgen in der Debatte um eine Absenkung des Wahlalters haben Sie es jedenfalls geflissentlich unter den Tisch fallen lassen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genera- tionengerechtigkeit ist für die Große Koalition ein Fremd- wort. Anstatt in die Köpfe junger Menschen und damit in die Zukunft zu investieren, werden auf den Schrottplätzen mehrere Milliarden Euro mit der Abwrackprämie ver- senkt. Dies ist nur ein eklatantes Beispiel für die Kurz- sichtigkeit aktueller politischer Beschlüsse, die zu einer nie dagewesenen Rekordneuverschuldung führen. Ein Grund für solche Entscheidungen, die besonders zulasten der Jüngeren gehen, liegt darin, dass junge Menschen bei Bundestagswahlen kein Stimmrecht ha- ben. Damit sich dieser Zustand im Zuge der demografi- schen Alterung der Gesellschaft nicht noch weiter ver- schärft, wollen wir das aktive Wahlalter bei Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre absenken. Junge Menschen sollen Demokratie aktiv erleben und auch per Wahlentscheidung mitgestalten können. Ju- gendliche sind die Generation mit der höchsten Bereit- schaft zu bürgerschaftlichem Engagement. Ihnen darf das Wahlrecht als zentrale Mitbestimmungsmöglichkeit nicht länger verweigert werden. Für unsere Forderung sprechen erst recht die Erkennt- nisse der Jugend- und Entwicklungsforschung: 16- und 17-Jährige besitzen die Urteilsfähigkeit und notwendige Reife, um verantwortungsvolle Wahlentscheidungen zu treffen – und deshalb brauchen sie ein aktives Wahl- recht! Gerade die SPD kann heute zeigen, ob ihr Vorsitzen- der Müntefering bei der Frage der Wahlaltersenkung nur Wahlkampf betrieben hat, als er sich unserer Forderung anschloss. Im „SPD-Regierungsprogramm“ für die nächste Legislaturperiode findet sich zum Wahlalter zu- mindest kein Wort. Deshalb werden wir Sie, aber auch die FDP, nicht an Ihren Worten messen, sondern an Ih- rem Abstimmungsverhalten. Die Absenkung des Wahlalters darf kein vorgescho- benes und folgenloses Gedankenspiel sein; denn das Wahlrecht ist die zentrale Form der Meinungsäußerung in unserer Demokratie. Mit unseren beiden Gesetzent- würfen zur Änderung des Grundgesetzes und des Bun- deswahlgesetzes legen wir einen konkreten und rechtlich zulässigen Vorschlag für eine Wahlalterabsenkung und damit für eine Stärkung unserer Demokratie vor. Alle Kolleginnen und Kollegen, die es mit der Forderung 26058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) nach mehr Generationengerechtigkeit und mehr demo- kratischer Beteiligung ernst meinen, lade ich herzlich ein, unseren Gesetzentwürfen zuzustimmen. Rechtliche Argumente gegen unseren Vorschlag sind nicht stichhaltig: Es ist nicht zwingend, das Wahlalter an die Volljährigkeit zu koppeln. In Deutschland wich das Wahlalter bereits mehrere Jahre von der Volljährigkeit ab, als es von 21 auf 18 Jahre gesenkt wurde. In vielen Bundesländern hat sich das Kommunalwahlrecht ab 16 Jahren bewährt. Wir sind überzeugt: was kommunal klappt, funktioniert auch auf Landes-, Bundes-und Euro- paebene. Wir wollen in der gesamten Gesellschaft mehr und frü- her Demokratie wagen. Die Wahlaltersenkung darf des- halb nicht isoliert diskutiert werden, sondern wird von uns als zentraler Baustein einer neuen Beteiligungskultur und umfassenden Demokratieförderung betrachtet. Durch die regelhafte Beteiligung der jungen Menschen in allen Kindertagesstätten, Bildungs- und Jugendeinrich- tungen müssen demokratische Spielregeln früh erlernt werden. Es ist geht deshalb absolut an der Sache vorbei, unseren Vorschlag alternativ zu anderen Partizipations- formen zu diskutieren. Besonders wichtig ist uns eine systematische Verstär- kung der politischen Bildung, für die die Senkung des Wahlalters eine wichtige Initialzündung sein könnte: Nach unserem Vorschlag soll die Wahlaltersenkung erst nach der im September stattfindenden Bundestagswahl in Kraft treten. In den Jahren bis zur folgenden Bundestagswahl könnten die Träger der Bildungsarbeit ihre wertvolle Ar- beit ausbauen, Konzepte gerade für politik- und bil- dungsferne Jugendliche entwickeln und die Jugendli- chen an politische Entscheidungsprozesse heranführen. Die so eingebettete Wahlalterabsenkung könnte un- sere demokratische Kultur insgesamt beleben und die Kenntnis über unser politisches System verbreitern. Diese Steigerung von Wissen und Transparenz beugt Po- litikverdrossenheit vor und macht Mut, sich selbst stär- ker in Entscheidungen einzubringen. Wir sollten den Jugendlichen heute die Möglichkeit geben, sich als selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger an der demokratischen Gestaltung unserer Gesellschaft zu beteiligen – es geht dabei schließlich um ihre eigene Zukunft. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (Ta- gesordnungspunkt 20) Ute Granold (CDU/CSU): Wir stimmen heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts ab. Das deutsche Erb- recht hat sich insgesamt bewährt und ist bei den Men- schen allgemein anerkannt. Deshalb gibt es für eine große und umfassende Reform keinen Bedarf. Wir be- schränken uns auf punktuelle Änderungen. Damit wollen wir das Erb- und Pflichtteilsrecht dem Wandel der gesell- schaftlichen Wertvorstellungen und der größeren Vielfalt der Lebensentwürfe anpassen. Die wesentlichen Ände- rungen betreffen die Modernisierung der Pflichtteilsent- ziehung und eine maßvolle Erweiterung der Stundungs- gründe. Neu ist zudem eine gleitende Ausschlussfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch – die sogenannte Pro-Rata-Lösung. Darüber hinaus erfolgen eine bessere Honorierung von Pflegeleistungen sowie die Anpassung der erb- und familienrechtlichen Verjährungsvorschriften an die Regelverjährung. Im Folgenden möchte ich die einzelnen Änderungen kurz erläutern: In der Öffentlichkeit ist die Neuregelung der Pflichtteilsentziehungsgründe auf großes Interesse gestoßen. Die Testierfreiheit gibt dem Erblasser das Recht, durch Verfügung von Todes wegen selbst über sei- nen Nachlass zu bestimmen und zu sagen, wer was nach seinem Tod erhalten soll. Der verfassungsrechtlich ga- rantierte Pflichtteil setzt jedoch der Testierfreiheit Gren- zen. Ausgehend von dieser verfassungsrechtlichen Vor- gabe regelt das Gesetz – und hieran wird sich auch nach der Reform nichts ändern –, dass dem Pflichtteilsberech- tigten grundsätzlich die Hälfte seines gesetzlichen Erb- teils – der sogenannte Pflichtteil – verbleiben muss. Nur in ganz wenigen Situationen kann ihm auch dieser Pflicht- teil entzogen werden. Die Gründe für eine Entziehung werden mit der Reform nunmehr modifiziert, um die Testierfreiheit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu stärken. Die Entziehungsgründe sollen glei- chermaßen für Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten sowie Lebenspartner gelten. Künftig sind also alle Personen ge- schützt, die dem Erblasser nahestehen, sodass eine Ent- ziehung möglich sein wird, wenn der Pflichtteilsberech- tigte einer dem Erblasser nahestehenden Personen nach dem Leben trachtet oder sie körperlich schwer misshan- delt. Darüber hinaus entfällt der Entziehungsgrund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“. Stattdessen ist eine Entziehung grundsätzlich möglich bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens ei- nem Jahr ohne Bewährung. Die vom Bundesrat favori- sierte Lösung, dass bereits eine zur Bewährung ausge- setzte Freiheitsstrafe zur Entziehung berechtigen soll, haben wir uns bewusst nicht zu eigen gemacht. Die Schwelle wäre in diesem Fall zu niedrig; denn grund- sätzlich muss gelten, dass eine Entziehung nur in Aus- nahmefällen gerechtfertigt ist, wenn in der Straftat ein schwerwiegender Verstoß gegen die Familiensolidarität zum Ausdruck kommt. Von großer Bedeutung für die Praxis dürfte die Moder- nisierung der Stundungsgründe sein. Sie waren bisher sehr eng ausgestaltet und nur den Pflichtteilsberechtigten, also insbesondere den Abkömmlingen und Ehegatten, eröffnet. Dies war unzureichend. Besteht beispielsweise das Vermögen des Erblassers im Wesentlichen aus einem Eigenheim, müssen die Erben dieses oft verkaufen, um so den Pflichtteil auszahlen zu können. Künftig soll da- her die Stundung unter erleichterten Voraussetzungen und für jeden Erben möglich bzw. durchsetzbar sein. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26059 (A) (C) (B) (D) Eine weitere zentrale Verbesserung stellt die sogenannte Pro-Rata-Lösung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch dar. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll den Berechtigten vor einer Aushöhlung seines Pflichtteils durch Schenkun- gen schon zu Lebzeiten durch den Erblasser schützen. Verringert der Erblasser sein Vermögen durch Schenkun- gen, kann der Pflichtteilsberechtigte vom Erben eine ent- sprechende Ergänzung seines Pflichtteils verlangen. Nach geltendem Recht bleibt die Schenkung unberücksichtigt, wenn zur Zeit des Erbfalls die Schenkung mindestens zehn Jahre zurückliegt. Stirbt der Erblasser jedoch früher, wird die Schenkung bei der Pflichtteilsberechnung voll berücksichtigt. Diese Alles-oder-Nichts-Lösung ist aus Sicht der übrigen Erben oder des in einem Vermächtnis Begünstigten ungerecht. Wir haben uns jetzt für eine dif- ferenziertere und damit gerechtere Regelung entschieden – die sogenannte Pro-Rata-Lösung. Demnach findet die Schenkung künftig für die Pflichtteilsberechnung gradu- ell immer weniger Berücksichtigung, das heißt, sie wird im ersten Jahr nach der Schenkung voll, im zweiten Jahr zu neun Zehnteln, im dritten Jahr zu acht Zehnteln usw. berücksichtigt. Liegt eine Schenkung mehr als zehn Jahre zurück, wird sie wie bisher gar nicht mehr berücksichtigt. Diese Neuregelung ist sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Praktikern auf große Zustimmung gestoßen. Keine Änderung wird es hingegen bei der Anrech- nung von lebzeitigen Zuwendungen auf das spätere Erbe geben. Das Gesetz enthält diesbezüglich eine gesetzliche Vermutung, ob und welche Zuwendungen des Erblassers an einen Abkömmling im Erbfall im Verhältnis zu den anderen Abkömmlingen auszugleichen sind. Demnach ist eine Zuwendung grundsätzlich nicht auszugleichen, es sei denn, dass der Erblasser bei der Zuwendung die Ausgleichung angeordnet hat. Will der Erblasser von den gesetzlichen Vermutungen abweichen, muss er dies also spätestens bei der Zuwendung erklären. Nachträg- lich kann der Erblasser keine Anordnung mehr über die Ausgleichung oder deren Ausschluss treffen. Der Regierungsentwurf sah auch hier eine Änderung vor. Demnach sollte der Erblasser die Möglichkeit erhalten, auch nachträglich die Ausgleichung anzuordnen oder auszuschließen. In den Beratungen waren wir uns jedoch einig, dass dem Empfänger nicht zugemutet werden darf, nach der Zuwendung möglicherweise über Jahrzehnte damit rechnen zu müssen, dass eine Anrechnung nach- träglich angeordnet wird – und zwar unter Umständen sogar ohne sein Wissen. In diesem Zusammenhang muss man auch bedenken, dass er bei Kenntnis der Anrechnung eine Schenkung möglicherweise von vornherein nicht an- genommen hätte. Im Interesse der Zuwendungsempfänger und der Rechtssicherheit haben wir daher vereinbart, das geltende Recht in diesem Punkt nicht zu ändern. Dem- nach erfolgt eine Anrechnung weiterhin nur, wenn der Erblasser diese bei der Schenkung ausdrücklich anord- net. Spätere Anordnungen sollen grundsätzlich nicht möglich sein. Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion besteht ein wichtiges Anliegen der Reform in der besseren Ho- norierung von Pflegeleistungen. Soweit der Erblasser den Pflegenden nicht in einem Testament oder Erbver- trag gesondert bedacht hat, bleibt der materielle Wert der Pflege in der Regel unberücksichtigt. Das geltende Recht sieht eine Ausgleichung der Pflegeleistung des Abkömmlings nämlich nur vor, wenn durch die Pflege auf ein berufliches Einkommen verzichtet wird. Statt wie bisher nur der Abkömmling sollte nach dem Regie- rungsentwurf künftig jeder gesetzliche Erbe einen Aus- gleich für Pflegeleistungen erhalten, und zwar unabhän- gig davon, ob er für die Erbringung auf ein eigenes Einkommen verzichtet hat. Die Höhe des Ausgleichs soll sich dabei nach dem zur Zeit des Erbfalls geltenden Pflegesatz richten. Nach Auffassung nahezu aller Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss wäre es vorzugswürdig gewesen, Pflegeleistungen durch ein dis- positives, das heißt entziehbares gesetzliches Vermächt- nis zu berücksichtigen. Die Union hat sich diesen guten und praktikablen Vorschlag in den weiteren Beratungen ausdrücklich zu eigen gemacht. Die Vorteile einer solchen Regelung liegen auf der Hand: Ein gesetzliches Ver- mächtnis würde den Kreis der Berechtigten über die Er- ben hinaus auch auf Lebensgefährten und Schwiegerkin- der sowie Eltern und Geschwister erweitern. Dies entspräche eher dem Grundgedanken, dass Pflegeleis- tungen durch nahestehende Menschen zumindest im Erbfall honoriert und durch das Erbrecht berücksichtigt werden sollten. Leider gab es in diesem Punkt Bedenken bei unserem Koalitionspartner. Eine Erweiterung des Kreises der An- spruchsberechtigten, wie im Regierungsentwurf vorge- sehen, aber auch die von uns bevorzugte Lösung über ein gesetzliches Vermächtnis hätte nach Auffassung der Kolleginnen und Kollegen zu einer Reihe von Folge- problemen und Abgrenzungsfragen geführt. Die Koalition hat sich daher darauf verständigt, weder das im Regierungsentwurf vorgesehene gesetzliche Erb- recht noch das von der Union präferierte gesetzliche Ver- mächtnis umzusetzen. Stattdessen haben wir uns am Ende auf eine „kleine Lösung“ verständigt: Die bisherige Rechtslage, nach der Pflegeleistungen nur im Rahmen einer Ausgleichung unter Abkömmlingen berücksichtigt werden können, soll zunächst grundsätzlich beibehalten werden. Um aber künftig eine Benachteiligung jener Ab- kömmlinge, die zusätzlich zu ihrer beruflichen Tätigkeit die Pflege übernehmen oder gar nicht berufstätig sind, auszuschließen, haben wir uns darauf verständigt, die Tatbestandsvoraussetzung „unter Verzicht auf berufliches Einkommen“ in § 2057 a BGB zu streichen. Damit erhal- ten dann alle pflegenden Abkömmlinge einen erbrechtli- chen Ausgleich – und zwar unabhängig davon, ob sie auf eigenes Einkommen verzichten. Aus Sicht der Union ist diese den Bedenken unseres Koalitionspartners geschuldete Lösung nicht optimal. Mit einem gesetzlichen Vermächtnis hätte der Kreis der Berechtigten über Abkömmlinge und Erben hinaus er- weitert und somit die häusliche Pflege in gerechter Weise gewürdigt und gestärkt werden können. Als Union haben wir jedoch trotz unserer Bedenken zugestimmt, um die gravierendste Ungerechtigkeit im bestehenden System – nämlich die Beschränkung auf berufstätige Abkömm- linge, die auf Einkommen verzichten – zu beseitigen. Wir 26060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) behalten uns aber ausdrücklich vor, diesen Punkt zu einem späteren Zeitpunkt nachzubessern. Es ist uns leider nicht gelungen, eine wichtige Verbes- serung zugunsten ehrenamtlicher Betreuer in das Gesetz aufzunehmen. Auf wiederholte Anregung des Bundesra- tes hin hatten wir uns zumindest im Kreise der Rechtspoli- tiker darauf verständigt, die Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Betreuer künftig steuerfrei zu stellen. Da- mit wollten wir die ehrenamtliche Betreuung stärken. Dies entspricht dem ausdrücklichen Ziel, das wir damals mit dem Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz ver- folgt haben. Wir würden somit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des ehrenamtlichen Engagements leisten. Darüber hinaus hätten wir die Landesjustizhaushalte we- gen der damit verbundenen Einsparungen bei der Vergü- tung von Berufsbetreuern nachhaltig entlastet. Leider gab es jedoch wegen der gegenwärtigen Haushaltskrise in der Koalition keine Mehrheit für eine solche steuerliche Privi- legierung. Dies bedauere ich ausdrücklich. Abschließend bleibt also festzuhalten: Wir verfügen über ein gutes und in der Praxis sehr bewährtes Erbrecht, das wir jetzt punktuell und damit zeitgemäß ändern. Die Union hält an ihrem Ziel fest, Pflegeleistungen künftig noch besser zu honorieren und ehrenamtliches Engagement – auch im Steuerrecht – weiter zu stärken. Dieses Ziel werden wir in der nächsten Legislaturperiode weiter ver- folgen. Dirk Manzewski (SPD): Wir debattieren hier heute zur späten Stunde über den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung zur Reform des Erb- und Verjährungsrechts. Um eines gleich vorwegzunehmen: Ich halte den Gesetzent- wurf, zumindest so, wie wir ihn heute hier verabschieden werden, für gelungen. Lassen Sie mich zunächst kurz auf die wesentlichen Neuerungen durch den Gesetzentwurf eingehen. Beim Pflichtteilsanspruch soll der Entziehungsgrund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“ entfal- len. Künftig soll dagegen die Verurteilung zu einer Frei- heitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zur Entziehung des Pflichtteils berechtigen, wenn es dem Erblasser unzumutbar ist, dem Verurteilten seinen Pflichtteil zu belassen. Bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs soll die Stundungsregelung zukünftig unter erleichterten Voraussetzungen und für jeden Erben durchsetzbar sein. Eine Schenkung soll bei Berechnung des Pflichtteils künftig graduell immer weniger Berücksichtigung fin- den, je länger sie zurückliegt: Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird demnach voll in die Berech- nung des Nachlasses einbezogen, im zweiten Jahr jedoch nur noch zu neun Zehntel usw. berücksichtigt. Die Verjährung für familien- und erbrechtliche An- sprüche soll in das bestehende System der Regelverjäh- rung integriert werden. Das Wahlrecht für pflichtteilsberechtigte beschränkte/ beschwerte Erben soll vereinfacht werden. Von nun an soll dem pflichtteilsberechtigten Erben ein generelles Wahlrecht zustehen. Er kann den Erbteil entweder mit allen Beschränkungen oder Beschwerungen annehmen oder den Erbteil ausschlagen und den Pflichtteil verlan- gen. Nicht alles aus dem Regierungsentwurf ist jedoch auch widerspruchslos übernommen worden. Anders als noch im Regierungsentwurf vorgeschlagen, muss die Anrech- nung einer Zuwendung auch weiterhin bereits vor oder bei der Zuwendung bestimmt werden. Soweit dies nach dem Regierungsentwurf zukünftig auch nachträglich möglich sein sollte, konnte dem nicht gefolgt werden, da unserer Auffassung nach das Vertrauen des Zuwendungs- empfängers, dass sich Zuwendungen nicht nachträglich auf die Höhe des Erbes auswirken, vorrangig zu schützen ist. Zu einem Kompromiss kam es bei der besseren Ho- norierung von Pflegeleistungen beim Erbausgleich. Nach geltendem Recht hat ein Abkömmling, der den Erblasser unter Verzicht auf berufliches Einkommen ge- pflegt hat, einen Anspruch auf Ausgleich, § 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB. Der Regierungsentwurf sah ursprünglich eine Erwei- terung des Personenkreises auf alle gesetzlichen Erben vor, unabhängig vom Verzicht auf Einkommen. Wir Rechtspolitiker der SPD hatten damit jedoch erhebliche Probleme. Zwar sind auch wir dafür, dass Pflege besser hono- riert werden soll, unserer Auffassung nach gehört die grundsätzliche Honorierung von Pflegeleistungen jedoch schon nicht systematisch in das Erbrecht; zumal die Vor- schrift des § 2057 a BGB zu einem Zeitpunkt gefasst wurde, als es weder die umfangreichen heutigen Mög- lichkeiten der Pflege noch die Pflegeversicherung hier- für gab. Hinzu kommt, dass wir erhebliche Probleme auf die Justiz zukommen sahen. Natürlich kennt jeder einen Fall aus seiner Nachbarschaft, wo das Gerechtigkeitsempfin- den es nicht als fair ansieht, wenn beim Erbfall zum Bei- spiel beide Kinder gleichbehandelt werden, obwohl nur eines der Kinder den Erblasser gepflegt hat. Aber unabhängig davon, dass dies ja vom Erblasser testamentarisch hätte berücksichtigt werden können, stellt sich schon die Frage, was eigentlich unter Pflege nach dem Regierungsentwurf zu verstehen ist. Würde man den Pflegebegriff des SGB nehmen, dann würde dies im Grunde genommen bedeuten, dass sich automatisch mit einer dortigen Veränderung auch jeweils das Erbrecht insoweit ändern würde. Das kann nun wirk- lich nicht gewollt sein. Ich kann mir aber auch lebhaft vorstellen, wie in Fa- milien Streit darüber ausbricht, ob nun eine Pflege im obigen Sinne vorlag oder nicht. Insbesondere wenn meh- rere Familienmitglieder Pflegeleistungen erbracht haben und wenn sich die Frage stellt, ob einer nun mehr als der andere entsprechende Pflegeleistungen erbracht hat. Unklar ist auch, wie die Situation zu beurteilen ist, wenn zwar eine Pflege erfolgt ist, mehrere Familienmit- glieder aber hierzu Teilbeiträge geleistet haben? Ebenso, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26061 (A) (C) (B) (D) wie die Situation zu beurteilen ist, wenn Pflegegeld be- zahlt wurde? Wenn das Pflegegeld weitergereicht wurde, scheint die Situation klar – da die Pflegeleistung der An- gehörigen dann abgegolten wäre –, aber ich kann mir auch hier lebhaft den Streit darüber vorstellen, ob es nun hierzu gekommen ist oder nicht. Unklar ist eigentlich auch, wie der Sachverhalt zu beurteilen ist, wenn neben den eigenen Pflegeleistungen diejenigen von Institutio- nen in Anspruch genommen worden sind. Wir haben es aber auch nicht als gerecht angesehen, dass man im Grunde genommen die Pflege – vom Wert des Nachlass abhängig – unterschiedlich werten würde. Gibt es Geld zu verteilen, wird Pflege honoriert, ist kein Nachlass vorhanden, erfolgt Pflege umsonst. Im Übrigen hätten wir es auch nicht als gerecht angesehen, wenn jah- relange unterschwellige Unterstützung, die noch nicht den § 2057 a Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt, nicht honoriert wird, eine kurzzeitige Pflege aber schon. Hinzu kommt aber auch noch, dass ich es als gesellschaftspolitisch ge- fährlich ansehe, wenn Dinge, die früher unter dem Begriff „Nächstenliebe“ liefen, monetarisiert werden. Im Übrigen sollte die Gefahr nicht unterschätzt wer- den, dass sich Angehörige, weil Geld im Spiel ist, ein- fach bei der Pflege überschätzen. Abschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass ja auch in der Fachwelt, die für eine entsprechende Rege- lung im Erbrecht plädierte, in vielen grundsätzlichen Fragen kein Konsens bestand. Das betraf zum Beispiel die Frage, wer eigentlich hiervon profitieren sollte. Nur die Abkömmlinge, die gesetzlichen Erben, oder aber zum Beispiel auch die Schwiegertochter? Wobei sich mir dann die Frage stellen würde: Wieso die Schwieger- tochter und dann nicht auch die beste Freundin oder die Nachbarin, die den gleichen Aufwand betrieben hat? Oder aber auch die grundsätzliche Frage, wie dies gere- gelt werden sollte, ob im Erbrecht oder als gesetzliches Vermächtnis. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Probleme über Probleme, und diese haben uns letztendlich zu dem Kompromiss veranlasst, lediglich einer vorsichtigen Öff- nung des bestehenden § 2057 a Abs. 1 BGB zuzustim- men. Das heißt, von dieser Vorschrift werden künftig auch diejenigen profitieren können, die gepflegt haben, ohne auf ihr eigenes berufliches Auskommen zu verzich- ten. Maßgebend war für uns insoweit, dass die hohen Er- fordernisse des § 2057 a BGB, um hier eine Honorierung zu erhalten, für uns insoweit ein Korrektiv darstellen. Ins- gesamt, glaube ich, liegt ein guter Gesetzesentwurf vor, um dessen Zustimmung ich Sie nun bitten möchte. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Am Ende dieser Legislaturperiode sei ein kurzer Blick zurück auf die Gesetzgebung im Bereich des Erb- und Familienrechts erlaubt. Dass sich in diesen Bereichen viel zum Positiven verändert hat, lag auch an den um- fangreichen, in der Zielrichtung richtigen Vorlagen aus dem Bundesjustizministerium, aber eben auch an der konstruktiven Mitarbeit meiner Fraktion und der übrigen Oppositionsfraktionen. Aus gutem Grund haben die Re- gierungsparteien insbesondere im Bereich des Familien- rechts den Konsens im Deutschen Bundestag gesucht. Dies zeigte sich vor allem durch intensive und sehr kon- struktive Berichterstattergespräche über alle Fraktions- grenzen hinweg. Dieser im Bundestag gefundene Kon- sens war auch nötig, um weitreichenden Änderungen gesellschaftspolitischen Rückhalt zu verleihen. Ich denke hier etwa an die Unterhaltsrechtsreform, aber auch an die FGG-Reform, die Reform des Versorgungs- ausgleichs und des Zugewinnausgleichs. Mit dem Ge- setz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts liegt nun gerade noch rechtzeitig das letzte Vorhaben aus dem Bereich des Erb- und Familienrechts vor. Alle diese Änderungen wurden notwendig, weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Werte- vorstellungen nachhaltig geändert haben. Das heutige Erbrecht stützt sich in seinen wesentlichen Zügen noch auf das Familienbild des 19. Jahrhunderts. Dieses Fami- lienbild hat sich in über 100 Jahren sehr verändert, in de- ren Verlauf die Verbreitung der häuslichen Gemeinschaft von verheirateten Eltern mit ihren minderjährigen Kin- dern stetig abnimmt. Das geltende Erbrecht hat sich si- cherlich in seiner Grundkonzeption bewährt. Die FDP- Bundestagsfraktion hat aber bereits in zwei Kleinen An- fragen, Drucksachen 15/3899 und 16/3222, in den Jah- ren 2004 und 2006 auf den Änderungsbedarf hingewie- sen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit seinem Beschluss vom 19. April 2005, 1 BvR 1644/00, intensiv mit dem Pflichtteilsrecht auseinandergesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass die wirtschaftliche Mindestbeteili- gung der Kinder am Nachlass als tragendes Strukturprin- zip des geltenden Pflichtteilsrechts durch die Erbrechts- garantie des Art. 14 Grundgesetz geschützt ist. Bei der konkreten einfachrechtlichen Ausgestaltung habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. So sei auch die Höhe des Pflichtteils nicht verfassungsrechtlich vorgegeben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagiert die Große Koalition nun endlich auf diese veränderten ge- sellschaftlichen Verhältnisse. Zum einen werden die Pflichtteilsentziehungsgründe modernisiert. Diese Pflichtteilsentziehungsgründe gelten künftig für alle Pflichtteilsberechtigten. Die bisherige Differenzierung nach Pflichtteil des Abkömmlings, El- ternpflichtteil und Ehegattenpflichtteil entfällt. Des Wei- teren wird der Kreis der vom Verhalten des Pflichtteils- berechtigten Betroffenen insoweit erweitert, dass nunmehr auch Lebenspartner, Stief- oder Pflegekinder erfasst werden. Deutlich überarbeitet wurde auch der Katalog der Entziehungsgründe. Darüber hinaus wird die starre Ausschlussfrist von zehn Jahren für Schenkun- gen beim Pflichtteilsergänzungsanspruch zugunsten ei- ner Pro-Rata-Lösung geändert. Diese Neuregelungen sind auch vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion zu be- grüßen. Zum anderen gab es weiteren Änderungsbedarf im Verjährungsrecht. Seit dem 1. Januar 2002 sind die Ver- jährungsvorschriften mit dem Schuldrechtsmodernisie- rungsgesetz mit einer Regelverjährung von drei Jahren 26062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) grundlegend neu geordnet worden. Für die familien- und erbrechtlichen Ansprüche galt bisher eine Sonderverjäh- rung von 30 Jahren. Die unterschiedliche Verjährung führte in der Praxis zu Wertungswidersprüchen und Schwierigkeiten bei der Abwicklung der betroffenen Rechtsverhältnisse. Auch hier kann ich die Unterstüt- zung der FDP-Bundestagsfraktion signalisieren. Dass diese Reform dennoch nicht so umfassend aus- fällt, wie sie ursprünglich angelegt war, ist wohl nicht zuletzt auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalitionsfraktionen zurückzuführen. Bereits im Fe- bruar 2008 wurde der Gesetzentwurf im Bundesrat ein- gebracht. Bereits vor über einem Jahr fand die erste Le- sung zu diesem Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag statt. Eine Anhörung des Rechtsausschusses des Deut- schen Bundestages wurde bereits im Oktober letzten Jahres durchgeführt. Gerade auch diese Sachverständi- genanhörung brachte jedoch so vielfältige Probleme zu- tage, dass eine gründliche Überarbeitung des Gesetzent- wurfes notwenig wurde. Dies betraf vor allem den Ausgleich von Pflegeleistungen, aber auch Bestimmun- gen zur nachträglichen Anrechnung. Im Bereich der Pflegeleistungen sah der Gesetzent- wurf vor, dass die Pflegeleistungen stärker und häufiger honoriert werden. Dazu sollten künftig alle gesetzlichen Erben und nicht nur Abkömmlinge ausgleichsberechtigt sein. Eine solche Erweiterung der Zahl der Ausgleichs- berechtigten warf jedoch eine Vielzahl von Folgeproble- men auf. Warum etwa sollte der Sohn des Erblassers ausgleichsberechtigt sein, die pflegende Schwiegertoch- ter jedoch nicht? Aus liberaler Sicht muss ich hier ganz klar sagen: Der Erblasser hat zu Lebzeiten die Möglich- keit, ein Testament zu verfassen, in dem sein letzter Wille niedergelegt ist. Wird er nicht tätig, ist eben auch diese Art der Testierfreiheit zu akzeptieren. Nach dem Gesetzentwurf sollte der Erblasser ferner bei allen lebzeitigen Zuwendungen nachträglich Anord- nungen über deren Ausgleichung oder den Ausschluss ihrer Ausgleichung treffen dürfen. Nach der bisherigen Rechtslage muss sich der Pflichtteilsberechtigte die Zu- wendungen des Erblassers zu Lebzeiten nur anrechnen lassen, wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Zuwendung eine Anrechnungsbestimmung getroffen hat. Der Vorschlag der Koalitionsfraktionen bezüglich dieser strittigen Punkte sieht nun so aus, alles beim Alten zu lassen, also keine Änderungen an dem bestehenden Rechtszustand vorzunehmen. Für den Wegfall der nach- träglichen Anrechnungsbestimmungen ist dies durchaus kritisch zu sehen. Eine solche Möglichkeit der nachträg- lichen Anrechnung griffe nicht unverhältnismäßig in die Dispositionsfreiheit des beschenkten Erben bzw. Pflicht- teilsberechtigten ein, sondern entspricht viel eher den Vorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Zwar ist zum Zeitpunkt der Zuwendung für den Beschenkten nicht voraussehbar, ob die Zuwendung zu erbrechtlichen Konsequenzen führt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, durch eine vertragliche Vereinbarung Rechtssicherheit zu schaffen. Auch die Sachverständigen in der Anhö- rung sprachen sich für die nachträgliche Anrechnungs- bestimmung aus, gingen teilweise in ihren Forderungen sogar weiter. Vor dem Hintergrund der Testierfreiheit ist auch die zentralste Beschränkung der Testierfreiheit, nämlich die Höhe des Pflichtteilsanspruchs von derzeit der Hälfte, zu hinterfragen. Ist es wirklich gerechtfertigt, dass immer 50 Prozent des gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil unan- tastbar sind? In den Beratungen des Rechtsausschusses des Bundesrates wurde zumindest angedacht, die Höhe des Pflichtteilsanspruchs auf ein Drittel zu reduzieren. Mit dieser Frage sollte sich der Bundestag weiter be- schäftigen. Ob die Neuregelungen zur Stundung die erwünschte Wirkung entfalten werden, bleibt abzuwarten. Nach dem Gesetzentwurf soll zukünftig jeder Erbe Stundung ver- langen können. Darüber hinaus wird die Schwelle, wann eine solche Stundung verlangt werden kann, herabge- setzt, indem nicht mehr auf das Merkmal der „unge- wöhnlichen Härte“, sondern auf eine „unbillige Härte“ abgestellt wird und indem die Interessen des Pflichtteils- berechtigten bei der Stundung nur noch „angemessen“ zu berücksichtigen sind. Diese geplanten Änderungen haben aber höchstens graduellen Charakter. Besonders deutlich werden die Probleme der fehlen- den Testierfreiheit dann, wenn ganze Unternehmen ver- erbt werden. Denn gerade mit Blick auf die Vererbung von Unternehmen kann die sofort eintretende Fälligkeit des Pflichtteilsanspruchs den Erben und damit das Un- ternehmen in einem ganz besonderen Maße belasten. Dadurch entstehende Liquiditätsengpässe können dazu führen, dass Unternehmen weit unter Wert und gegen den Willen des Erblassers verkauft werden müssen. Die- ses Problem betrifft insbesondere den deutschen Mittel- stand. Der Mittelstand ist der Jobmotor der deutschen Wirtschaft. Zerschlagungen von Unternehmen infolge der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zerstö- ren die Arbeitsplätze ganzer Belegschaften. Durch eine Herabsetzung des Pflichtteils ließe sich dieses Problem zumindest entschärfen. In der juristischen Fachliteratur immer wieder ange- sprochen wird auch ein Verweis auf die Regelungen im Bereich der Landwirtschaft. Dies beinhaltet insbeson- dere Bewertungsvorschriften, die den Ertragswert zu- grunde legen und damit in der Regel zu einer niedrigeren Bewertung führen. Das Thema Erbrecht wird also in der nächsten Legis- laturperiode erneut auf der Tagesordnung stehen müs- sen. Die durch den Gesetzentwurf vorgenommenen Än- derungen sind jedoch richtig und wichtig. Die FDP- Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf daher zu- stimmen. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Die beste ge- setzgeberische Änderung, die dem Erbrecht geschehen könnte, wäre dessen weitgehende Abschaffung. Sinnvoll wäre eine Begrenzung des Erbrechtes auf zu diskutie- rende Höchstbeträge für Zuwendungen an natürliche Personen. Sinnvoll wäre es, eine darüber hinausgehende Zuwendung von Riesenbeträgen nur noch für gesell- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26063 (A) (C) (B) (D) schaftliche und soziale Zwecke im Interesse der Allge- meinheit zuzulassen. Denn das Erbrecht steht im Wider- spruch zu dem Gedanken, dass allein die Leistungen eines Menschen über dessen Wohlstand entscheiden sol- len. Dabei ist Folgendes klarzustellen: Bei dieser Über- legung geht es nicht um Omas kleines Häuschen, son- dern um Riesenvermögen, die wie Adelstitel durch die Generationen weitergereicht werden. Bei uns ist einer der wichtigsten Wettkämpfe zunächst der Wettkampf der Geburtsurkunden. Denn er entscheidet über das tatsäch- liche Ausmaß von Leistungen, die ein Mensch nach sei- ner Geburt erbringen kann. Deswegen gilt: Wer in einer Leistungsgesellschaft le- ben will, der muss anerkennen, dass es keinerlei Leis- tung darstellt, als Kind wohlhabender Eltern das Licht der Welt zu erblicken. Erbschaft – das ist dann der letzte goldene Löffel, der einem in den Mund gesteckt wird. In einer Leistungsgesellschaft messen sich die Menschen mit ihrer Arbeit, mit ihrer geistigen Regsamkeit und mit ihren technischen oder künstlerischen Fähigkeiten. Beim bestehenden Erbrecht jedoch entsteht neues Ka- pital nicht aus Leistung, sondern schlicht aus altem, ge- erbtem Kapital. Das ist leistungsfeindlich. Das ist die Wirklichkeit, die auch mit dem Geist unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen ist. Denn Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes lautet: „Eigentum verpflichtet. Sein Ge- brauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit die- nen.“ Es ist schlicht allgemeinwohlwidrig, wenn Eigen- tum dazu dient, die ökonomische und gesellschaftliche Macht einzelner Unternehmerfamilien über Generatio- nen zu sichern – vor allem, wenn dabei zu berücksichti- gen ist, dass der Reichtum solcher Familiendynastien aus der Arbeitskraft vieler fleißiger Arbeitnehmer stammt. Der Anteil ihrer Arbeitsleistung, die dem Unter- nehmer als Profit zufließt, ist eine Enteignung der Ar- beitnehmer. Ihre Lohnarmut, also die Lohnarmut vieler, ist gleichzeitig der Kapitalreichtum einiger weniger. An solche Ungerechtigkeiten und Widersprüche mag man sich gewöhnen. Nur eines – meine ich – darf man nicht: Man darf diese Missstände nicht einfach ignorie- ren, und wie die Entwurfsverfasser im sozialdemokra- tisch geführten Justizministerium schreiben, es gebe am bewährten Erbrecht nur punktuellen Änderungsbedarf. Der Änderungsbedarf ist im Gegenteil ganz erheblich. Er betrifft das Erbrecht und dessen Grundannahmen als solche. Um diese Grundannahmen zu überdenken und sozial gerecht abzuändern, braucht es gesellschaftskriti- sche Aufmerksamkeit, Mut, Fantasie und Augenmaß. All das gehört zum politischen Erbe von Männern wie August Bebel, Adolf Arndt und Willy Brandt. Dieses Erbe sollte Maßstab für die gegenwärtige und zukünftige Politik der SPD sein. Nichts von dem ist zurzeit von den Männern und Frauen in der Führungsriege der SPD zu erwarten. Auch an Frau Zypries können solche Erwar- tungen nicht gestellt werden. Auch sie hat dieses sozial- demokratische Erbe lange ausgeschlagen. Das spiegelt auch der vorliegende Gesetzentwurf wi- der. Man kann ihn allein danach beurteilen, wie viel Richtiges im Falschen er dennoch zu leisten vermag. Dazu einige Einzelheiten: Der aus unserer Sicht rich- tige Ansatz, die Alterspflege des Erblassers stets zu ho- norieren, unabhängig davon, durch wen sie erbracht wurde, wurde nun gestrichen. Nun gibt es noch weniger Richtiges im Falschen. Richtig ist die Änderung am Ent- wurf des § 2057 a BGB. Denn damit entfällt die Benach- teiligung von gesetzlichen Erben, die die Pflege des Erb- lassers neben ihrer Berufstätigkeit gestemmt haben. Für sich betrachtet sinnvoll sind auch eine Reihe wei- terer rechtlicher Feinjustierungen. Es ist sicherlich sinn- voll, die langen Verjährungsregeln im Erbrecht zu än- dern, wenn sie im Verhältnis zur schuldrechtlichen Regelverjährung zu unbilligen Ergebnissen führen. Es ist sicherlich angebracht, die Entziehungs- und Anfech- tungsgründe für den Pflichtteil dem heutigen Verständnis von Moral und Sitte anzupassen. Es ist auch begrüßens- wert, einige, leider längst nicht alle, unzeitgemäße Un- terscheidungen von Lebenspartnerschaften und Ehen in- nerhalb des Erbrechts abzuschaffen. Das bestehende Erbrechtssystem wird mit diesen und weiteren Änderungen in sich wohl widerspruchsfreier werden. Aber das Erbrecht selbst bleibt als Widerspruch erhal- ten: zur behaupteten Leistungsgesellschaft und zur So- zialbindung des Eigentums. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Bundesverfassungsgericht anerkennt eine Mindestbetei- ligung der Erben am Nachlass als tragendes Struktur- prinzip des Pflichtteilsrechts und stellt sie unter den Schutz der Erbrechtsgarantie des Art. 14 in Verbindung mit Art. 6 des Grundgesetzes. Trotzdem bleiben dem Gesetzgeber Gestaltungsspielräume. Der Gesetzentwurf, den wir heute beschließen, nutzt diese Gestaltungsräume in notwendiger, aber auch ausreichender Weise. Die Modernisierung des Pflichtteilsentziehungs- rechts ist längst überfällig. Auch nach der Anhörung im Rechtsausschuss, die am 8. Oktober letzten Jahres statt- fand, mussten wir allerdings noch viele Monate warten, bis die Koalition die Sache jetzt endlich zum Abschluss bringt. Es ist höchste Zeit, dass der überholte Entziehungs- grund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“ gestrichen wird. Auch sonst gab es einige Unstimmig- keiten, die beseitigt wurden. Dass dabei die gleichge- schlechtlichen Lebenspartner in den Schutzbereich des § 2333 BGB nur versteckt als „ähnlich nahestehende Personen“ eingebunden werden, habe ich schon in der ersten Debatte kritisiert. Leider sind Sie darauf nicht ein- gegangen. Dies ist kleines Karo wie schon bei der Re- form des Opferentschädigungsrechts, als Sie die Schwu- len und Lesben hinter Paragrafenkaskaden versteckt haben. Die zeitlich gestaffelte Berücksichtigung früherer Zu- wendungen beim Pflichtteilsergänzungsanspruch – die sogenannte Pro-Rata-Lösung, welche die starre 10-Jah- res-Grenze ablöst, ist ebenfalls sinnvoll. 26064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) In einem wichtigen Punkt kann ich allerdings nicht von durchgreifender, auch nicht von ausreichender Mo- dernisierung sprechen. Das ist die erbrechtliche Berück- sichtigung von Pflegeleistungen. Hier hat die Koalition kalte Füße bekommen und wurde zur Koalition der Be- denkenträger, anstatt sicherlich vorhandene Probleme anzupacken und zu lösen. Man kann ja durchaus über andere Lösungsansätze wie im Steuerrecht nachdenken, nur muss man sie dann auch vorlegen, wenn man schon das gesellschaftliche Problem der Anerkennung familiä- rer und solidarischer Pflegeleistungen erkannt hat. Was jetzt zur Abstimmung steht, ist eine erbrechtliche Minilösung. Sie geht am Großteil der Betroffenen vor- bei. Selbst gegenüber dem Regierungsentwurf wurden noch Abstriche gemacht. Wir fanden schon den Regie- rungsentwurf unzureichend. Der Ausgleich von Pflege- leistungen bleibt auf gesetzliche Erben beschränkt. Die Koalition führt ihn wiederum auf Abkömmlinge zurück, statt das geltende Recht wenigstens auf Geschwister aus- zuweiten. Nur auf den Verzicht auf eigenes Einkommen soll es nicht mehr ankommen. Wenigstens werden damit Kinder, die neben der Pflege im Beruf bleiben, besserge- stellt. Wir meinen, es sollten alle gleich behandelt wer- den, die im Familienverband aus familiärer Solidarität pflegen, ob sie Erben werden oder nicht, ob sie Kinder sind oder nicht. Die Schwiegertöchter pflegen sehr oft, nicht selten auch nichteheliche Lebenspartnerinnen und -partner. Dieser Personenkreis leistet aufopferungsvoll gesellschaftlich wertvolle Arbeit und wird von Ihnen al- lein gelassen. Auch beim Maßstab für die zu berücksichtigende Höhe der Pflegeleistungen hat die Koalition den Schritt zur Orientierung an den Pflegesätzen nicht gewagt. Sie meint, dass sie damit Streit vermeidet. Stattdessen be- lässt sie es aber bei der bisherigen Billigkeitsregel, die nicht weniger streitanfällig ist. Die Frage zum Beispiel, wer in der Familie welche Pflegbeiträge geleistet hat, stellt sich bei der Billigkeitsregelung ebenso. Es ist schade, dass die Koalition hier nicht das fraktionsüber- greifende Gespräch gesucht hat, obwohl sie sich insge- samt ja viel Zeit ließ. Leider wurden auch die vernünftigen und guten Vor- schläge zur Begünstigung gemeinnütziger Stiftungen im Erbrecht überhaupt nicht aufgegriffen. Besonders bedauerlich finde ich, dass es nicht gelun- gen ist, endlich die Aufwandspauschale für ehrenamtli- che Betreuerinnen und Betreuer steuerfrei zu stellen, wie das für Übungsleiter längst der Fall ist. Ich weiß, dass die Rechtspolitiker der Koalition dafür große Sympathien gehabt hätten. Dass sie das mit ihren Finanzpolitikern rechtzeitig hätten klären müssen, ist aber ebenso klar. Wie konnte es also passieren, dass die gute Neuregelung schon in den Beschlussempfehlungen des Rechtsaus- schusses enthalten war, dann aber am Tag der Ausschuss- sitzung plötzlich zurückgezogen wurde? Da ist in der Schlussphase des Verfahrens in der Koalition doch wie- der einmal das Chaos ausgebrochen. Trotzdem ist unter dem Strich viel an Verbesserungen erreicht worden. Wir werden trotz unserer Kritik der Re- form zustimmen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Wir beraten heute in zwei- ter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts. Über dem Streit ums Erbe ist schon so manche Familie auseinan- dergebrochen. Zu weit gehen die Vorstellungen darüber auseinander, wem welcher Anteil am Nachlass gerech- terweise zustehen soll, und zwar gerade dann – aller- dings nicht nur –, wenn die Erblasserin oder der Erblas- ser kein Testament gemacht hat. Das ist häufig der Fall. Viele Bürgerinnen und Bürger kennen die Gestaltungs- möglichkeiten nicht, die ihnen das geltende Erbrecht bietet, und machen deshalb auch nur zurückhaltend da- von Gebrauch, die Nachfolge selbst zu regeln. Nach bis- herigen Erkenntnissen sind dies nur etwa knapp ein Drit- tel der Betroffenen. Ich bin überzeugt, dass eine vernünftige Regelung der Vermögensnachfolge so manchen Streit in der Familie vermeiden kann. Deshalb soll mit unserer Reform das Thema Erbrecht ins Blickfeld der Bürgerinnen und Bür- ger gerückt werden. Sinnvolle Regelungen zur Vermö- gensnachfolge setzen aber auch einen rechtlichen Gestal- tungsspielraum voraus, der es dem Einzelnen ermöglicht, seine Wünsche in einem Testament oder Erbvertrag um- zusetzen. Deshalb sollen die bestehenden Gestaltungs- möglichkeiten ausgebaut und die Testierfreiheit des Erb- lassers gestärkt werden. Dabei gilt: Wir brauchen kein neues Erbrecht. Wir brauchen Änderungen dort, wo sich in der Praxis ein Bedürfnis entwickelt oder sich das Recht als veraltet erwiesen hat. Hauptziele der Reform sind die Stärkung des Selbst- bestimmungsrechts und der Testierfreiheit. Dazu setzt unsere Reform an folgenden wesentlichen Punkten an: Es werden, wie seit langem gefordert, die Pflichtteilsent- ziehungsgründe überarbeitet. Dabei ist ein wesentlicher Ansatz die Erweiterung des Schutzbereichs der Entzie- hungsgründe. Im geltendem Recht ist es so: Richtet sich der Angriff des Pflichtteilsberechtigten gegen das Leben eines Beteiligten, ist der Schutzbereich am weitesten. Eine Entziehung des Pflichtteils ist möglich, wenn der Pflichtteilsberechtigte entweder dem Erblasser, seinem Ehegatten oder Lebenspartner oder einem anderen Ab- kömmling des Erblassers nach dem Leben trachtet. Bei schweren tätlichen Attacken, die „nur“ gegen die körper- liche Unversehrtheit und nicht gegen das Leben gerichtet sind, sieht das Gesetz eine Pflichtteilsentziehung ledig- lich dann vor, wenn der Erblasser oder sein Ehegatte, von dem der Pflichtteilsberechtigte zusätzlich abstam- men muss, angegriffen wurde. Misshandelt der Sohn des Erblassers seine Stiefmutter, so rechtfertigte dies bisher keine Pflichtteilsentziehung. Misshandelt der Sohn des Erblassers seine Schwester, so rechtfertigte dies bisher auch keine Pflichtteilsentziehung. Das ist ungerecht, und deshalb ändern wir das jetzt. Aber nicht nur am Schutzbereich, auch bei den Ent- ziehungsgründen setzt die Reform an. Wer kann noch et- was mit dem Begriff „ehrloser oder unsittlicher Lebens- wandel“ anfangen? Und warum kann ein solcher nur dem Kind vorgeworfen werden und nur hier die Pflicht- teilsentziehung rechtfertigen? Eltern oder Ehegatten dür- fen ohne pflichtteilsrechtliche Konsequenz „ehrlos oder Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26065 (A) (C) (B) (D) unsittlich“ leben. Und können wir heute noch ernsthaft vertreten, dass die Ermordung eines fremden Kindes kein ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel und damit auch kein Pflichtteilsentziehungsgrund ist? Die Pflichtteilsentziehungsgründe wollen wir in ge- nau diesen Punkten modernisieren. Künftig sollen alle Pflichtteilsentziehungsgründe für Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten und Lebenspartner gleichermaßen gelten. Eine Pflichtteilsentziehung soll möglich sein bei einem tätlichen Angriff gegen den Erblasser, seinen Ehegatten, Lebenspartner oder einen anderen Abkömmling. Da- rüber hinaus erweitern wir diesen Schutzbereich auch auf dem Erblasser ähnlich nahestehende Personen. Der Pflichtteilsentziehungsgrund des „ehrlosen oder unsittli- chen“ Lebenswandels entfällt. Stattdessen soll eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung künftig zur Pflichtteilsentziehung berechtigen, wenn die Pflichtteils- überlassung für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches soll für vergleichbare Taten gelten, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden. Der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts dient auch die Umwandlung der starren Ausschlussfrist für Pflicht- teilsergänzungsansprüche in eine gleitende Ausschluss- frist. Schenkungen des Erblassers können zu einem An- spruch auf Ergänzung des Pflichtteils führen. Derzeit werden Schenkungen dabei in voller Höhe berücksich- tigt, wenn seit der Schenkung noch keine zehn Jahre ver- strichen sind. Verstirbt der Erblasser auch nur einen Tag vor Ablauf der Frist, wird der Pflichtteilsberechtigte für die Berechnung seines Anspruchs so gestellt, als gehöre die Schenkung noch zum Nachlass. Verstirbt der Erblas- ser dagegen nach Ablauf der Frist, geht der Pflichtteilsbe- rechtigte im Hinblick auf die Schenkung leer aus. Für den Erben, der vorrangig zur Pflichtteilsergänzung verpflichtet ist, geht es damit um alles oder nichts. Das halte ich für ungerecht. Je mehr Jahre verstreichen, desto weniger soll die Schenkung künftig bei der Pflichtteilser- gänzung berücksichtigt werden. Ausgehend von den zehn Jahren soll die Schenkung pro Jahr mit einem Zehntel we- niger in Ansatz gebracht werden. Diese Regelung führt auch bei den zur Stärkung des bürgerschaftlichen Enga- gements so wichtigen Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen künftig zu mehr Planungssicherheit. Ein weiterer Reformpunkt besteht in der Stundung des Pflichtteilsanspruchs nach § 2331 a BGB. Viele äl- tere Ehepaare äußern in ihren Eingaben an das Bundes- ministerium der Justiz die Sorge, dass das hart erarbei- tete Häuschen bei Versterben eines Ehegatten verkauft werden müsse, um den Pflichtteil der Kinder zu bezah- len. Viele wissen nicht, dass wir bereits heute schon eine Regelung haben, die zumindest dem Ehegatten oder Le- benspartner in dieser Situation helfen kann: die Stun- dung des Pflichtteilsanspruchs. Allerdings sind die Vo- raussetzungen sehr eng. Die Regelung gilt nur für den pflichtteilsberechtigten Erben. Hier sind Erweiterungen notwendig. Deshalb soll die Möglichkeit der Stundung künftig jedem Erben eröffnet werden. Damit kann zum Beispiel die als Erbin eingesetzte Lebensgefährtin Stun- dung verlangen. Aber auch für Familienbetriebe kann diese Neuregelung nützlich sein. Wird der Betrieb nicht dem Sohn, sondern dem Neffen vererbt, kann die Gefahr der Zerschlagung des Betriebes wegen Zahlung des Pflichtteilsanspruchs durch eine Stundung abgewendet werden. Ein weiteres wichtiges Reformziel ist die bessere Ho- norierung von Pflegeleistungen beim Erbausgleich. Viele Angehörige erbringen bei der privaten Pflege ge- rade betagter Menschen wichtige Leistungen. Zwei Drit- tel der auf Pflege angewiesenen Personen werden zu Hause versorgt, und das in erster Linie von Familienmit- gliedern. Da die Pflege aufgrund der familiären Verbun- denheit erfolgt, treffen die Beteiligten in der Praxis aus Pietät oder um sich nicht dem Vorwurf der Erbschleiche- rei auszusetzen vielfach keine Vereinbarungen über ein angemessenes Entgelt. Der Gepflegte selbst sorgt aus den unterschiedlichsten Gründen auch nicht immer da- für, die ihm erbrachten Leistungen aus der Pflegeversi- cherung an die pflegenden Angehörigen weiterzuleiten. Hat der Erblasser kein Testament errichtet, in dem er die Pflege durch Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis hätte honorieren können, geht der pflegende Angehörige trotz der seinerseits erbrachten Leistungen oftmals leer aus. Er erhält zwar seinen Erbteil, aber dieser spiegelt bei mehreren Erben nicht die überobligatorisch erbrach- ten Leistungen im Vergleich zu den anderen Erben wi- der. § 2057 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der unter Abkömmlingen eine Anrechung von Pflegeleistungen er- möglicht, hilft häufig nicht weiter, denn die Regelung ist eng: Sie gilt nur, wenn der Abkömmling die Pflege unter Verzicht auf berufliches Einkommen geleistet hat. Weder wird damit der häufigste praktische Fall erfasst – die Tochter, die Mutter oder Vater pflegt – noch erhalten die- jenigen einen erbrechtlichen Ausgleich, die die Doppel- belastung von Pflege und Berufstätigkeit tragen. Diese Pflegeleistungen sollen nun unter erleichterten Voraus- setzungen honoriert werden: Künftig soll der Verzicht auf berufliches Einkommen als Voraussetzung für den Anspruch entfallen und damit die größte Ungerechtig- keit der bisherigen Regelung beseitigt werden. Die intensiven Diskussionen, die wir unter reger Be- teiligung der Öffentlichkeit gerade über diese Regelung geführt haben, haben neben der jetzt gefundenen Lösung einen weiteren positiven Effekt: Wir haben alle Betroffe- nen sensibilisiert. Wir haben den nötigen Impuls dafür gegeben, über diese wichtige Frage nicht nur nachzuden- ken, sondern sie hoffentlich auch in vielen Fällen ange- messen zu regeln. Denn in jedem Fall gilt: Eine gesetzli- che Vorschrift wird nie jeden Einzelfall genau treffen können. Besser ist immer eine individuelle Regelung, die der Erblasser selbst zu Lebzeiten durchdacht und am besten mit seinen Angehörigen erörtert hat. Ich freue mich auch, dass wir in einem anderen Punkt endlich mehr Rechtsklarheit herbeiführen werden. Mit der Anwendung der durch die Schuldrechtsreform im Jahr 2002 eingeführten neuen Regelverjährung auch auf die familien- und erbrechtlichen Ansprüche vereinheitli- chen wir die Verjährung weitreichend. Noch bestehende Wertungswidersprüche in der bisher geltenden Rechts- lage werden beseitigt. Es ist nicht einzusehen, dass ein 26066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) rechtlicher Betreuer seinem Betreuten immer 30 Jahre lang auf Schadensersatz haftet, wohlgemerkt erst ab dem Ende der Betreuung. Ein Rechtsanwalt haftet dagegen grundsätzlich nur drei Jahre. Das wollen wir ändern. Der Bürger kann sich künftig durchgängig an der Faustregel orientieren: Ansprüche, die ich kenne, muss ich inner- halb von drei Jahren gerichtlich geltend machen. Als Ergebnis der intensiven Beratungen in den Aus- schüssen können wir nun mit großer Mehrheit in diesem Hause ein Erb- und Verjährungsrecht beschließen, das die bewährten Grundstrukturen des Erbrechts erhält, aber behutsam etliche Schwachstellen korrigiert und den Bürgerinnen und Bürgern mehr Spielraum ermöglicht, ihren letzten Willen umzusetzen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Unterrichtungen: – Jahresbericht 2008 des Nationalen Normen- kontrollrates – Bürokratieabbau – Jetzt Entscheidungen tref- fen – Bericht der Bundesregierung 2008 zur An- wendung des Standardkosten-Modells und zum Stand des Bürokratieabbaus (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Bürokratie kostet Zeit, Bürokratie kostet Geld. Beides sind entscheidende Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unterneh- mens. Bürokratieabbau ist darum für uns eine zentrale Aufgabe, da er die Unternehmen aktiv entlastet. Bürokratieabbau ist mühsam. Das ist bekannt. Wolfgang Clement hat einmal gesagt, das sei Häuserkampf. Doch der Kampf lohnt sich. Bürokratieabbau ist nämlich das bestmögliche Konjunkturprogramm, das wir überhaupt machen können: Die Abschaffung von überflüssigen ge- setzlichen Regelungen, von veralteten Verfahrensweisen oder doppelten Statistikpflichten kostet uns, als Staat, keinen Cent. Aber die betroffenen Unternehmen profitieren in hohem Maße. Sie können Arbeitsabläufe effizienter gestalten und Betriebskosten einsparen. Kurz: Bürokra- tieabbau ist ein voller Gewinn. Die Bundesregierung hat im Zuge der Umsetzung ihres Programms für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung eine Vielzahl von Maßnahmen beschlossen und auf den Weg gebracht. Damit erreichen wir eine jährliche Entlas- tung für Unternehmen und Betriebe um mehr als 7 Mil- liarden Euro; das kostet den Steuerzahler und den Staat keinen einzigen Cent. Die im Rahmen des Konjunkturpro- gramms beschlossene Abwrackprämie hat ein Volumen von rund 6 Milliarden Euro und ist auf ein Jahr befristet. Diese beiden Zahlen zeigen, wie ich finde, sehr schnell sehr deutlich, wie viel Effizienz und Leistungssteigerung Bürokratieabbau in der Praxis tatsächlich bedeutet. Darum werden wir auch in der kommenden Legislaturperiode intensiv weiter daran arbeiten. Ein erster, entscheidender Schritt wird es sein, das Abbauziel von 25 Prozent noch einmal zu präzisieren. Wir verstehen dieses Ziel nämlich als eine Pflicht. Und darum wollen wir diese Pflicht des Gesetzgebers auch im NKR-Gesetz verbindlich verankern. Es ist sehr bedauerlich, dass die SPD sich hier in den letzten dreieinhalb Jahren massiv verweigert hat, aber nicht wirklich erstaunlich. Wer den Staat als Beamten- apparat versteht und dessen Erhalt sucht, statt sich für Reformen einzusetzen, der wird eben lieber weiter Pa- pierberge produzieren und Formularkriege anzetteln. Wir wollen diese Berge abtragen, wir wollen, dass sich Unternehmen, Verwaltungen und natürlich die Bürger auf das Wesentliche konzentrieren können. Darum machen wir uns stark für eine konsequente Fortsetzung des Pro- gramms für Bürokratieabbau in einer dann hoffentlich bürgerlichen Koalition. Neben dieser eindeutigen Selbstverpflichtung zum Nettoabbauziel werden wir uns darüber hinaus dafür ein- setzen, dass die Kompetenzen des Normenkontrollrates weiter ausgebaut werden. Die Kollegen von der FDP möchte ich gleich wieder beruhigen, denn ich rede nicht davon, den NKR damit zu beauftragen, Gesetzentwürfe aus den Fraktionen auf ihre Belastungen hin zu prüfen. Damit würden wir nur eines erreichen: den NKR lahm- legen und ihn mit völlig unnötiger und sinnloser Arbeit überlasten. Nein, ich rede von den sogenannten Minis- terverordnungen ohne Kabinettsbefassung. Eben weil sie nicht der Zustimmung des Bundeskabinetts bedürfen, fallen sie nicht unter § 4 Abs. 2 des NKR-Gesetzes und werden ergo nicht durchleuchtet. Das kann aber nicht sein, denn die bürokratische Belastungswirkung kann ebenso gra- vierend sein. Hier wollen wir ansetzen, hier werden wir die Befugnisse des Normenkontrollrates erweitern, um noch mehr Entlastungsvolumen zu erzielen. Genau darum werden wir noch einen Schritt weiter gehen. Wir wollen, dass der Normenkontrollrat in Zukunft Gesetzentwürfe auf alle Bürokratiekosten hin überprüft, die den Unternehmen entstehen können. Bisher wurde diese Arbeit von zwei Gremien übernommen. Dabei hat der NKR nur die Kosten berechnet, die durch Informa- tionspflichten entstehen können, das Bundeswirtschafts- ministerium alle anderen Kosten. Wir wollen, dass diese Prüfung ebenfalls vom NKR durchgeführt wird, und so das Verfahren noch schlanker machen. Dann haben wir zu ei- nem Gesetzentwurf eine Stellungnahme aus einem Guss vorliegen, die uns die finanziellen Belastungen gerade auch durch Dokumentations- oder Aufbewahrungs- pflichten beziffert. Warum müssen Bankbelege zehn Jahre aufbewahrt werden? Warum muss ich die alte Soft- ware aufheben und womöglich noch einen alten PC dazu, um die elektronischen Daten auch noch in zehn Jahren dem Finanzamt zeigen zu können? Wieso reichen da nicht die Belege? Gerade das Steuerrecht macht mit über 70 Prozent Anteil den Löwenanteil aus bei den Bü- rokratiekosten. Das muss sich ändern. Wie Sie wissen, ist Deutschland leider Weltmeister in Sachen Steuerfachliteratur – ein trauriger Rekord, auf den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26067 (A) (C) (B) (D) wir weder stolz sein können, noch sollten wir ihn einfach so akzeptieren. Es muss uns gelingen, unser Steuersys- tem dauerhaft und nachhaltig zu vereinfachen, um hier die Belastungen für die Bürger, für Verwaltung und Un- ternehmen deutlich zu reduzieren. Das heißt: Wir brau- chen nicht nur eine tarifäre Steuerreform, wir brauchen auch eine, die die Struktur ändert und deutlich einfacher macht. E-Government ist hier ein gutes Stichwort, ebenso wie ELENA. Beides sind zentrale Instrumente bei der Um- setzung von Bürokratieabbau, und beide helfen uns da- bei, die Unternehmen nachhaltig zu entlasten. Wir wollen eine moderne und schlanke Datenerfassung für Unter- nehmen und Verbände, Kommunen und Bürger. Wir wol- len den Menschen wertvolle Zeit ersparen. Dafür werde ich mich einsetzen. Garrelt Duin (SPD): Über Jahrzehnte hinweg war es in unserem Land sehr schwierig, das Bürokratieproblem zu erkennen, zu formulieren und es gar zu beseitigen. Mit dem Normenkontrollrat haben wir es erfolgreich ange- packt. Wir können drei Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkon- trollrates mit der Arbeit dieses unabhängigen Gremiums sehr zufrieden sein. Es wurden überflüssige Belastungen der Wirtschaft vermieden, und die Bundesregierung wird bei der Reduzierung der bestehenden Bürokratiekosten um 25 Prozent bis 2011 bereits ihr Zwischenziel bis Ende 2009 erreichen. Der Normenkontrollrat hat festgestellt, dass in Deutsch- land 10 404 Informationspflichten der Wirtschaft existie- ren, die Bürokratiekosten von rund 47,6 Milliarden Euro pro Jahr erzeugen. Die sind Kosten, die die Wettbewerbs- fähigkeit unserer Wirtschaft mindern und die wir reduzie- ren wollen. Bei dem Reduzierungsansatz allerdings fällt auf, dass von den Informationspflichten 9 230 aus natio- nalen Gesetzen und Verordnungen einschließlich des na- tional umgesetzten EU- und internationalen Rechts ent- standen sind. Immerhin 1 174 Informationspflichten stammen aus EU-Verordnungen, die direkt und unmittel- bar in Deutschland gelten. Nun stehen wir vor dem Problem, dass neben den 22,5 Milliarden Euro, die von uns als nationalem Ge- setzgeber verursacht wurden, circa 25,1 Milliarden Euro auf Regelungen zurückgehen, die durch EU- und inter- nationales Recht veranlasst wurden. Und diese Regelun- gen zu ändern ist der nächste große Schritt beim Büro- kratieabbau. Andere Kosten der Wirtschaftsförderung sind für den Staat wesentlich teurer. In Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs ist es be- sonders wichtig, die Kosten, die Bürgern und Unterneh- men durch neue Gesetze und Rechtsverordnungen entste- hen, möglichst gering zu halten. Wir stehen im globalen Standortwettbewerb, und daher geht es uns darum, neue Möglichkeiten zu nutzen, die Kostenfaktoren unserer Wirtschaft zu optimieren. Daher werden wir in Zukunft den Bürokratiekostenabbau für die Wirtschaft weiter vo- rantreiben. Die bisherige Arbeit, nämlich das Abschätzen der Bü- rokratiekosten bei neuen Regelungsvorhaben durch die Bundesregierung und die Überprüfung dieser Kosten durch den Normenkontrollrat, war erfolgreich. Aller- dings zeigt es sich auch, dass sich die wahrgenommenen Bürokratiebelastungen nicht nur auf Kosten aus Infor- mationspflichten zurückführen lassen. Belastungen, die durch den Vollzug von bundesrechtlichen Vorschriften der Wirtschaft entstehen, sind ebenso relevant. Daher ist es wichtig zu erkennen, wo weitere bürokratische Belas- tungen der Wirtschaft im Verborgenen liegen und wel- cher Weg zu einer weiteren Entlastung der Wirtschaft gegangen werden kann. Hier müssen wir zu einer ganz- heitlichen Betrachtung, von der bundes-, gegebenenfalls über die landesrechtliche Regelung bis hin zum Vollzug durch die zuständigen Stellen, kommen. Für den Vollzug bundesrechtlicher Vorschriften sind in Deutschland in der Regel die Länder und Kommunen bzw. die Kam- mern oder Sozialversicherungsträger zuständig. Unsere nächsten Schritte und Ziele beim Bürokratie- abbau sind auf einen Nenner zu bringen: Erstens. Wir wollen eine Festlegung in den einzelnen Bundesministerien zur Erreichung des Bürokratieabbau- ziels. Zweitens. Es sollen sämtliche auf Bundesrecht beru- henden Informationspflichten für das 25-prozentige Ab- bauziel gelten. Dies gilt auch für die Bundesgesetze, die wir aufgrund von EG-Richtlinien umsetzen. Drittens. Wirklich dauerhaft Bürokratie abbauen kön- nen wir nur, wenn wir unser Abbauziel als Nettoziel an- streben. Denn immer wieder werden durch neue Gesetze, die ja sehr begrüßenswert und notwendig sind, gleichzei- tig neue bürokratische Belastungen – quasi durch die Hintertür – eingeführt. Daher werden wir zukünftig da- rauf achten müssen, neue Belastungen durch zusätzliche Entlastungsmaßnahmen zu kompensieren. Viertens. Bürokratieabbau muss für alle spürbar und erfahrbar werden. Die Bundesregierung sollte daher ver- stärkt branchen- und gruppenspezifische Belastungen bei den Abbaumaßnahmen berücksichtigen. Fünftens. Wir wollen zukünftig im Vorblatt und in den Begründungen zu Gesetzentwürfen auch Angaben zu den weiteren Kosten und Bürokratiebelastungen der Wirtschaft und der Verwaltung mit aufnehmen. Erst dann wird wirklich deutlich, wie die Kosten der neuen Gesetze zu bewerten sind. Sechstens. Der weitere Erfolg des Bürokratieabbau- programms ist davon abhängig, inwieweit es gelingt, im Dialog mit Selbstverwaltungsträgern sowie Ländern und Kommunen auf die Notwendigkeit der bürokratischen Entlastungen hinzuweisen. Denn Bürokratiekosten sind ja nicht begrenzt auf das Bundes- und Europarecht. Bü- rokratische Kosten der Wirtschaft entstehen auch auf kommunaler und Länderebene und im Bereich der So- zialversicherungsträger ebenso. Birgit Homburger (FDP): Auf den letzten Drücker hat sich die Koalition in der letzten Sitzungswoche des 26068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Deutschen Bundestages doch noch dazu durchgerungen, spät nachts den Jahresbericht 2008 des Nationalen Nor- menkontrollrates sowie den Bericht der Bundesregie- rung 2008 zur Anwendung des Standardkosten-Modells und zum Stand des Bürokratieabbaus zu beraten, obwohl diese schon über ein Jahr vorliegen. Hätte es überhaupt noch eines Beweises bedurft, dann wäre er spätestens jetzt erbracht. Das Thema ist für die Bundesregierung und die schwarz-rote Koalition schlicht unwichtig. Eine große ausführliche Debatte, in der Bilanz gezo- gen werden könnte, scheuen Union und SPD hingegen. Das überrascht niemanden, sind die Ergebnisse doch mehr als dürftig nach vier Jahren sogenannter Großer Koalition und dem Projekt Bürokratieabbau, das Bun- deskanzlerin Merkel zu Beginn der Legislaturperiode noch zur Chefsache erklärt hat. Es wurden in den letzten vier Jahren beim Bürokratieabbau viele Täuschungs- manöver gestartet und wolkige Reden geschwungen; ei- nen wirklich spürbaren Abbau von Bürokratie gab es nicht. Stattdessen gab es sogar einen Zuwachs an Büro- kratie und dadurch bedingten Kosten. Am Ende der Le- gislaturperiode bleibt aus Sicht der FDP daher nur fest- zustellen, dass das von Schwarz-Rot groß angekündigte Projekt Bürokratieabbau gescheitert ist. Der Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrats für das Jahr 2008 ist für die Bundesregierung ein peinli- ches Dokument, listet es doch ihre Versäumnisse und Verfehlungen haargenau auf. Ich will an dieser Stelle nur eine kleine Auswahl der Kritikpunkte vortragen. Erstens rügt der Normenkontrollrat die fehlende Ge- samtstrategie beim Bürokratieabbau. Die Bundesregie- rung habe zwar Einzelmaßnahmen ergriffen, diese ergä- ben aber kein klares, verbindliches Gesamtkonzept, und inhaltliche und zeitliche Festlegungen fehlten. Zweitens habe sich die Bundesregierung nach wie vor nicht klar zur Definition des 25-prozentigen Abbauziels der Bundesregierung als Nettoziel bekannt. Die Koali- tionsfraktionen haben einen entsprechenden Gesetzent- wurf der FDP-Bundestagsfraktion entgegen anders lau- tender Ankündigung sogar hier im Deutschen Bundestag in der letzten Sitzungswoche abgelehnt. Drittens kritisiert der Normenkontrollrat, dass die Bundesregierung entgegen ihrer Ankündigung im letzten Jahresbericht kein Monitoring zur Bürokratiekostenent- wicklung beschlossen hat. Damit könnte jährlich eine Bilanzierung der beschlossenen Be- und Entlastungen vorgenommen werden, um Veränderungen bei den Büro- kratiekosten transparent sicherzustellen. Schließlich gibt es viertens keinen Bürokratieabbau für die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung. Hier habe die Bundesregierung nichts unternommen, obwohl dies dringend notwendig wäre. Im letzten Jahr hat die Ko- alition noch angekündigt, eine entsprechende Verände- rung der Prüfkompetenzen des Normenkontrollrats vor- zunehmen. Passiert ist nichts. Ohnehin wäre eine reine Ausweitung der Prüfkompetenzen des Normenkontroll- rats nicht besonders hilfreich, wenn die Bundesregierung – wie bei der Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform geschehen – die Kritik des Normenkontrollrats ignoriert. Man nennt so etwas Vogel-Strauß-Taktik. Sie ist für den Bürokratieabbau gänzlich ungeeignet. Nur um das noch einmal klarzustellen: Dieses schlechte Zeugnis und die Kritikpunkte hat nicht die Op- position der schwarz-roten Bundesregierung ausgestellt, sondern der von ihr eingesetzte Normenkontrollrat. Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, wenn sie die Kritik ernst genommen und die Empfehlungen des Normenkontrollrats befolgt hätte. Im Bericht der Bundesregierung 2008 zur Anwendung des Standardkosten-Modells und zum Stand des Büro- kratieabbaus erklärt die Bundesregierung vollmundig, bis 2009 die Hälfte ihres 25-Prozent-Abbauziels zu errei- chen. Den Beweis bleibt sie schuldig. Demnach beträgt die Entlastung für die Unternehmen rund 6 Milliarden Euro. Doch auch in diesem Bericht gibt die Bundesregie- rung keine Auskünfte über die in demselben Zeitraum verabschiedeten neuen Belastungen, die den Unterneh- men zusätzlich aufgebürdet wurden, und den daraus re- sultierenden Saldo. Auch verliert die Bundesregierung kein Wort darüber, wie der zweite Teil des 25-Prozent- Abbauziels erreicht werden könnte. Die FDP hat wie der Normenkontrollrat die Bundesregierung aufgefordert, entsprechend notwendige Vorarbeiten dafür vorzuneh- men, sodass bald nach der Bundestagswahl die neue Bundesregierung ein Abbaukonzept für weitere 12,5 Pro- zent vorlegen kann. Doch auch hier hat die Bundesregie- rung nichts unternommen und die Vorbereitungen ver- schlafen. Am Ende der sogenannten Großen Koalition aus Union und SPD zeigt sich, dass sie im Bereich Bürokra- tieabbau lediglich beim Ankündigen groß war. Die Chef- sache wurde zur Nebensache, und wirklich etwas bewegt wurde nicht. Für die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger gibt es keine spürbaren Entlastungen von Bürokratie. Das ist ein Versäumnis, für das CDU/CSU und SPD verantwortlich sind. Konsequentes Handeln wäre nötig gewesen, passiert ist nichts. Bleibt nur die Hoffnung auf die neue Bundesregierung im Herbst, die dem Bürokratieabbau dann den Stellenwert geben muss, den er verdient und den sich die Menschen in Deutsch- land wünschen. Die FDP wird sich weiter nachdrücklich dafür einsetzen, unnötige Bürokratie in Deutschland ab- zubauen. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Die Politik hat in den letzten Jahren in puncto Bürokratieabbau einen falschen Weg eingeschlagen. Das dokumentieren die vorliegenden Berichte der Bundesregierung und des Normenkontrollrates. Zum einen kümmerte sich die Große Koalition nur ein- seitig um die Interessen der Wirtschaft. Ein Bürokratieab- bau für die Bürgerinnen und Bürger blieb auf der Strecke. Dazu wurde keine einzige Maßnahme verabschiedet. Im- mer noch werden Millionen Menschen durch unwürdige Hartz-IV-Regelungen erniedrigt. Arbeitsloseninitiativen, die mithilfe öffentlicher Arbeitsmarktprogramme wie den Kommunal-Kombi Arbeitsplätze schaffen wollen, wer- den durch ungeheure bürokratische Auflagen behindert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26069 (A) (C) (B) (D) Schon allein deswegen ist der Bürokratieabbau der Bun- desregierung gescheitert. Zum anderen scheiterte die Regierung auch mit ihrer wirtschaftspolitischen Strategie. Große wirtschaftliche Wachstumseffekte versprach sie sich davon, angeblich „überflüssige“ Informations- und Statistikpflichten für die Unternehmen abzubauen. Mit der Krise liegt diese Strategie nun in Trümmern. Die Krise zeigt: Die Regierung hat völlig falsche Schwerpunkte gesetzt. Obwohl das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schon 2006 feststellte, die deut- sche Wirtschaft ist durch die amtliche Statistik weitaus geringer belastet als vielfach behauptet, machte sich die Bundesregierung daran, jede kleine Statistikpflicht bis ins letzte Detail zu durchleuchten. Wir meinen: Diese Energie hätte sie besser dafür ver- wendet, die Auftragslage und Finanzierungsbedingun- gen für die Unternehmen zu verbessern. Mit diesen zwei Problemen kämpft heute die Mehrzahl der mittelständi- schen Unternehmen. Die Linke hat hierauf klare und einfach zu realisie- rende Vorschläge. Um Aufträge zu schaffen, will sie ein Zukunftsprogramm auflegen mit Investitionen von 100 Milliarden Euro pro Jahr in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr. Zwei Millionen Arbeitsplätze könnten so neu entstehen. Um die Kredit- versorgung der Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, will sie den privaten Bankensektor in die öffentliche Hand überführen und, entsprechend den Sparkassen, auf das Gemeinwohl verpflichten. Und als akute Hilfe für in Not geratene Unternehmen, auch aus dem Mittelstand will sie einen Zukunftsfonds für eine nachhaltige Wirtschaft einrichten: 100 Milliar- den Euro für die zukunftsfähige, sozial-ökologische Ent- wicklung industrieller Arbeitsplätze. Damit unterstützt werden sollen Unternehmen, die ihre Produktion auf energie- und rohstoffeffiziente Verfahren und Qualitäts- produkte umstellen. Die Bundesregierung bleibt dagegen überzeugende und wirkungsvolle Antworten zur Krise schuldig. Sie stellt mit ihrem Bankenrettungsschirm den Finanzinsti- tuten Milliarden Euro zur Verfügung, ohne dass diese ihre Kreditvergabe nachhaltig verbessern. Sie hat mit ih- ren „Konjunktur-Paketen“ zu spät und zu vorsichtig rea- giert. Die Krise zeigt ferner: Der Bürokratieabbau der Bun- desregierung hat noch einen weiteren Pferdefuß. Unter dem Vorwand, „überflüssige“ Informationspflichten zu beseitigen, sind statistische Daten verloren gegangen, die wir für eine Krisenbewältigung dringend benötigen. So frage ich: War es ein Fortschritt, dass Betriebe mit 20 bis 50 Beschäftigten von der Meldepflicht zu den mo- natlichen Statistiken im verarbeitenden Gewerbe befreit wurden? Nein, denn nun fehlen uns aktuelle amtliche Daten zur Lage dieser Kleinstbetriebe! War es ein Fortschritt, dass Betriebe die bei ihnen ge- leistete Kurzarbeit der Agentur für Arbeit nur noch quar- talsweise statt monatlich melden? Nein, denn so können wir die tatsächliche aktuelle Entwicklung der Kurzarbeit nur schwer verfolgen. Die Bundesregierung und der Normenkontrollrat wei- gern sich, eine kritische Bilanz ihrer Arbeit der letzten Jahre zu ziehen. Aber ohne richtige Schlussfolgerungen aus der Vergangenheit lässt sich keine bessere Politik für die Zukunft machen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hatte sich zu Beginn ihrer Amts- zeit den Bürokratieabbau als Priorität auf die Fahnen ge- schrieben. Umgesetzt hat sie wenig. Ihr jetziges Ziel, bis 2011 die Bürokratie um 25 Prozent abzubauen, ist wenig ambitioniert. Und auch diese Entlastung wird mit den Trippelschritten der Mittelstandsentlastungsgesetze kaum erreicht. Der Normenkontrollrat weist in seinen Berichten darauf hin, dass bei einer bürokratischen Belastung von rund 48 Milliarden Euro durch die mit Bundesregelun- gen verbundenen Informationspflichten Abbaumaßnah- men in Höhe von 12 Milliarden Euro nötig seien. Hier- von sind bisher 6,58 Milliarden Euro beschlossen. Es bleibt also noch sehr viel zu tun! Andere sind da viel weiter: Die Niederlande haben in einer Legislaturperiode die Bürokratielasten um 25 Pro- zent abgebaut, 2006 Vollzug gemeldet und arbeiten jetzt schon an der nächsten Runde. Die deutsche Bundesre- gierung will bis 2011 dieses Ziel erreichen. Und selbst das ist mit den Trippelschritten, die sie mit ihren Mittel- standsentlastungsgesetzen vorlegt hat, noch nicht sicher. Auch Österreich ist da schon viel weiter. In Österreich werden wie in den Niederlanden die Bürokratieabbau- ziele in den Haushaltsplan integriert. Bei den Haushalts- beratungen geht es so immer auch um Bürokratieabbau, jeder Minister berichtet entsprechend. In Deutschland gibt es lediglich Quartalstreffen des Normenkontrollra- tes mit der Kanzlerin, aber keine regelmäßigen Termine mit dem Wirtschaftsminister. Dem Normenkontrollrat fehlen umfassende Kompe- tenzen, um den Bürokratieabbau voranzutreiben. So prü- fen, wie der Normenkontrollrat können müsste, darf er nicht. Wenn die Gesetze durch die Regierung ins Parla- ment eingebracht werden, gibt es eine Bürokratiekosten- einschätzung des Normenkontrollrates. Alles, was im parlamentarischen Verfahren in die Gesetze reingeschrie- ben wird, kann er aber nicht mehr prüfen. Wenn die Frak- tionen Gesetze einbringen, wird er nicht gefragt. Dafür gibt es im Bundestag – leider – keine Mehrheit. Gesetze, die vor Januar 2007 ins Parlament eingebracht worden sind, werden wie zum Beispiel der Gesundheitsfonds gar keiner Bürokratielastenmessung unterzogen. Wir brau- chen jetzt eine ehrliche Durchsicht aller geltenden ge- setzlichen Regelungen sowie aller neuen Beschlüsse des Bundestages auf ihre Bürokratiefolgen hin durch den Normenkontrollrat. Das muss nicht nur am Anfang, son- dern am Ende des parlamentarischen Verfahrens gesche- hen. Da bleiben die Anträge und Entwürfe der FDP zu weich. Wir brauchen nicht nur das Recht der Fraktionen, ihre Entwürfe überprüfen zu lassen. Das muss zur Regel werden. Sonst kann jede Bundesregierung weiter leicht 26070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) den Normenkontrollrat umgehen, indem ihre Entwürfe einfach über die Regierungsfraktionen eingebracht wer- den und die ihn dann einfach nicht anrufen. Aber das ist nicht das einzige Problem, darum ist der Gesetzentwurf der FDP eindimensional. Der Normen- kontrollrat kritisiert in seinem Jahresbericht selbst: Er kann sich nur auf Belastungen beziehen, die Wirtschaft, Bürgern und Verwaltung durch die Auferlegung von In- formationspflichten entstehen. Bürokratielasten sind aber weiter gefasst und umfassen auch die Belastungen durch Regelungen der Länder, der EU, der Sozialversicherungs- träger. Insgesamt geht der Normenkontrollrat von rund 85 Milliarden Euro Gesamtlasten für die Wirtschaft in Deutschland aus. Das trifft insbesondere kleine und mitt- lere Unternehmen. Sie geben 4 bis 6 Prozent ihres Umsat- zes für staatlich veranlasste Verwaltungskosten aus. Um diesen Problematiken wirksam zu begegnen, müssen wir insgesamt die Rolle des Normenkontrollrats überdenken und ausbauen. Vor allem müssen alle Regelungen so ge- fasst werden, dass sie für KMU auch handhabbar sind. Da ist die von der FDP vorgeschlagene Gesetzesänderung doch sehr zögerlich. Auch die vorgelegten FDP-Anträge weisen zwar teil- weise in die richtige Richtung. Zentrale Bürokratiepro- bleme wie die Gewerbeanmeldungen drängen und müss- ten zuvörderst angegangen werden. Eine Bündelung der Zuständigkeiten bei der Gewerbeanmeldung, die Schaf- fung eines einheitlichen Ansprechpartners oder die elek- tronische Gewerbeanmeldung machen Sinn. Aber die Problematik des Bürokratieabbaus geht noch weit über das hinaus, was die FDP hier thematisiert. Und es ist auch falsch, Umweltziele und Bürokratieabbau wie bei der Behandlung von Abfall gegeneinander auszuspielen. Umweltpolitik ist keine Gängelung der Wirtschaft, son- dern schafft zum Beispiel bei intelligenten Recycling- konzepten oder energetischer Gebäudesanierung neue Investitionsmöglichkeiten und Arbeitsplätze. Da verfällt die FDP einem alten Reflex. Bürokratieabbau ist der einfachere Hebel zur Wirt- schaftsförderung als Subventionen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen können umständliche Genehmi- gungs- und Antragsverfahren nur schwer bewältigen. Wir brauchen ein umfassendes Konzept für den Büro- kratieabbau, das Ressort für Ressort umgesetzt wird. Ne- ben der beschriebenen deutlichen Stärkung der Rechte des Normenkontrollrates umfasst das grüne Konzept zum Bürokratieabbau Vorschläge wie Kosten-Nutzen- Rechnungen für Gesetzesvorlagen, die Abschaffung der Generalunternehmerhaftung durch die Auftragnehmer für alle Subunternehmen, die Anhebung der Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter und die Weiterentwick- lung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Das soge- nannte Ersteinstellungsgebot bei sachgrundlosen Befris- tungen muss abgeschafft werden. Die Wartefrist, die zwischen zwei Arbeitsverhältnissen liegen muss, sollte maximal sechs Monate betragen, um Kettenbefristungen zu vermeiden. Damit ist auf unbürokratische Weise si- chergestellt, dass kein Missbrauch stattfindet. Eine be- fristete Wirkung von Gesetzesänderungen kann im Ein- zelfall nach Sachlage sinnvoll sein. Bündnis 90/Die Grünen haben noch weit umfassen- dere Vorschläge für einen konsequenten Bürokratieab- bau erarbeitet. In den halbherzigen Gesetzgebungsvor- schlägen der Großen Koalition wurden diese bislang ignoriert – nachdem ihnen zuvor Fachpolitiker der Frak- tionen persönlich Respekt gezollt hatten. Es bleibt also viel zu tun. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtsstaatlichkeit in Russland stärken (Zusatztagesordnungs- punkt 6) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir trotz der gedrängten Tagesordnung in den letzten Sitzungstagen dieser Legislaturperiode die Gele- genheit haben, über den vorliegenden Antrag zu spre- chen. Beide Themen sind mir ein äußerst wichtiges An- liegen: die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Russland und der erneute Strafprozess gegen den ehemaligen Jukos-Chef Michail Chodorkowski und seinen Partner, Platon Lebedew, in Moskau. Erst vor einer Woche habe ich selbst das Verfahren gegen Herrn Chodorkowski und Herrn Lebedew im Cha- mowniki-Bezirksgericht beobachtet. Mit meinem Be- such wollte ich die politische Bedeutung dieses Prozes- ses unterstreichen, sowohl mit Blick auf den konkreten Fall als auch wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für die Entwicklung Russlands. Aus dem, was ich in der kurzen Zeit beobachten konnte, vor allem aber aus den Studien der Prozessbeob- achtungsunterlagen, aus mehreren Gesprächen mit di- versen Anwälten der Angeklagten, zuletzt in Moskau mit dem Leiter des Anwälteteams, Wadim Kljugwant, aus den Berichten meiner Kollegen Frau Marieluise Beck und Markus Meckel, vor allem aber durch den jüngsten Bericht des Europarates fühle ich mich in der Sorge bestätigt, dass dieser Prozess in rechtsstaatlicher Hinsicht erhebliche Fragezeichen aufwirft und nicht den rechtsstaatlichen Bedingungen entspricht, zu denen sich Russland verpflichtet hat, und dass er für politische Ziele genutzt werden könnte. Aus diesen Gründen bedauere ich sehr, dass wir über dieses Thema unter so schwierigen Rahmenbedingungen debattieren müssen. Es hätte mehr Aufmerksamkeit ver- dient. Das ist nicht irgendein Thema unter „ferner lie- fen“, sondern für die Chancen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland grundlegend und damit auch für die Entwicklung von Europa von direkter Rele- vanz. Umso mehr bedauere ich, dass es unserem Koali- tionspartner so schwergefallen ist, einem Antrag zuzu- stimmen, der sich dezidiert mit dem Fall Chodorkowski und nicht nur allgemein mit der Rechtsstaatlichkeit in Russland befasst. Schon während der ersten Strafverfolgung von Michail Chodorkowski und Platon Lebedew 2003 bis 2005 hat der Europarat gravierende Verletzungen der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26071 (A) (C) (B) (D) russischen Strafprozessordnung und des Rechts auf ei- nen fairen Prozess festgestellt. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats kam damals zu der Schlussfolgerung, dass der russische Staat bei dem Pro- zess nicht in erster Linie strafrechtliche Ziele verfolgte, sondern einen politischen Gegner schwächen und sich wirtschaftliches Vermögen aneignen wollte. In seinem jüngsten Bericht zu juristischen Miss- brauchsfällen in Europa, der zur Hälfte Russland gewid- met ist, verweist der Europarat auf eine lange Reihe fort- bestehender Defizite im russischen Justizsystem und nennt den zweiten Chodorkowski-Prozess einen „emble- matischen“ Fall für russische Unternehmen, die einer „unerbittlichen Verfolgung“ durch die Strafbehörden ausgesetzt sind. Der Eindruck, dass dieser Prozess eine Reihe grundlegender Fragezeichen aufwirft, hat sich durch meinen Besuch des Verfahrens verfestigt. Diese betreffen vor allem die selektive Kriminalisierung eines Unternehmens wie auch die Anklage selbst. Der Vor- wurf der Unterschlagung der gesamten Fördermenge von drei Jukos-Tochterunternehmen über sechs Jahre im Wert von fast 20 Milliarden Euro erscheint wenig plausi- bel. Doch auch die Prozessführung der Staatsanwalt- schaft, die zum Teil aus Dokumenten selektiv und bruch- stückhaft vorträgt, und die Ablehnung fast aller Anträge der Verteidigung werfen Fragen auf. Wegen seiner Signalwirkung auf die Wirtschafts- und Rechtskultur in Russland ist der Chodorkowski- Prozess damit ein wichtiger Testfall für die von Präsi- dent Medwedew angemahnte Glaubwürdigkeit der russi- schen Justiz. Er ist aber auch ein Testfall für die Einhal- tung der Standards des Europarats, zu denen sich Russland verpflichtet hat. Präsident Medwedew hat es zu seinem wichtigsten Ziel erklärt, in seinem Land mehr Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit aufzubauen. Es ist der russische Präsident und nicht wir, der den Begriff vom russischen „Rechtsnihilismus“ geprägt hat. Auch ein Jahr nach Medwedews Amtsantritt bleibt die Entwicklung indes widersprüchlich. Es gibt eine Reihe hoffnungsvoller Entwicklungen im Wirtschaftsbereich oder im Straf- vollzugssystem. Dem stehen jedoch besorgniserre- gende Entwicklungen gegenüber, unter anderem die Einschränkung der Geschworenengerichtsbarkeit, die unaufgeklärten Morde an Journalisten und Menschen- rechtlern, die Verschärfung von Strafen für Delikte im Zusammenhang mit terroristischen Akten, aber auch die Neuregelung der Ernennung des Vorsitzenden des Ver- fassungsgerichts. Wenn Russland sein Ziel erreichen möchte, zu einer der fünf größten Weltwirtschaften aufzusteigen, müssen auch Investoren auf Rechtssicherheit und Rechtsstaat- lichkeit bauen können. Mehr Rechtsstaatlichkeit schafft mehr Investitionen. Vor allem aber müssen die Men- schen in Russland, die die wirtschaftliche Modernisie- rung voranbringen sollen, das Gefühl von Rechtssicher- heit haben. Bei der Modernisierung Russlands geht es nicht um einen technischen Prozess, sondern um eine ge- samtgesellschaftliche Aufgabe, die die Partizipation der ganzen Bevölkerung voraussetzt. Modernisierung erfor- dert nicht nur Investitionen und Know how. Modernisie- rung erfordert auch, dass der Staat freiheitliches Handeln und Gestalten sicherstellt durch Rechtsstaatlichkeit, durch deutlich weniger Korruption und Bürokratie, durch mehr Pluralismus in Politik und Gesellschaft. Für das Vertrauen zwischen Regierung und Gesellschaft ist die Frage der Rechtsstaatlichkeit ein entscheidender Faktor. So ist der zweite Chodorkowski-Prozess auch ein Testfall für die Modernisierungsfähigkeit Russlands. Aus diesen Gründen halte ich eine ständige Beobach- tung dieses Prozesses durch Vertreter der EU und des Europarates für unbedingt erforderlich, um eine differen- zierte Bewertung des Verfahrens sicherzustellen. Wir, das heißt Parlamentarier und Regierungen aus den Län- dern des Europarates, müssen auch weiterhin – im ange- messenen Ton – die rechtsstaatlichen Defizite in Russ- land offen ansprechen. Ich sehe dies keineswegs als „Schaufensterpolitik“, wie es der deutsche Außenminis- ter einmal genannt hat, sondern als Unterstützung des Kurses des russischen Präsidenten im Kampf gegen „Rechtsnihilismus“ und für mehr Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehört ebenso, dass die EU und insbesondere Deutschland Russland weiterhin den Ausbau der Zusam- menarbeit auf dem Gebiet des Justizwesens anbieten, wie wir es in unserem Antrag ebenfalls fordern. Markus Meckel (SPD): Ich freue mich sehr, dass es nach langem Ringen nunmehr gelungen ist, im Deut- schen Bundestag einen Antrag zur Lage der Rechtsstaat- lichkeit in Russland einzubringen. Ganz besonders be- grüße ich die Tatsache, dass sich auch die FDP und Bündnis 90/Die Grünen dem Entwurf der Koalitions- fraktionen angeschlossen haben und wir somit letzten Endes ein gemeinsames Signal senden können. Mit un- serem Antrag fordern wir nicht nur die Bundesregierung dazu auf, im Rahmen der bilateralen und der EU-Bezie- hungen sowie innerhalb von OSZE und Europarat auf eine substanzielle und nachhaltige Verbesserung der rechtsstaatlichen Lage in Russland zu drängen und des- sen Bemühungen nach Kräften zu unterstützen. Wir möchten auch ein deutliches Signal an Russland senden, um deutlich zu machen, dass wir im Deutschen Bundes- tag auch die inneren Entwicklungen in diesem Land sehr aufmerksam verfolgen. Das genaue Hinsehen ist auch wichtig angesichts der Intensität unserer Zusammenar- beit mit Russland. Zusammenarbeit bedeutet allerdings nicht, dass kritische Fragen ausbleiben müssen. Denn die innere Entwicklung gibt in der Tat weiterhin Anlass zur Sorge. Der Begriff „Demokratie“ ist infolge des ersten Transformationsjahrzehnts in der russischen Öffentlich- keit diskreditiert. Wladimir Putin beantwortete während seiner Präsidentschaft den Wunsch der Bevölkerung nach Stabilität, Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit mit einer Politik der Stärke. Dabei wuchs der Einfluss der Sicherheitsdienste und kremlnaher Eliten, vor al- lem der Staatsapparat und die Justizbehörden entwi- ckelten ein Eigenleben. Das autoritäre und hierarchi- sche System beförderte die Korruption. Russland erlebt seither politische Prozesse und Morde an Andersden- kenden. Die Bevölkerung misstraut den Sicherheits- 26072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) diensten, insbesondere der Miliz und den Justizbehör- den. Zu Recht hat der heutige Präsident Dmitrij Medwedew gesagt, dass in diesen Herausforderungen das Hauptproblem für die Entwicklung Russlands zu ei- nem modernen Staat liegt. Folgerichtig hat er erklärt, Reformen in diesem Bereich in Angriff zu nehmen. Diese Reformanstrengungen müssen sich allerdings an konkreten Fortschritten und deutlichen Signalen mes- sen lassen. Schon der erste Prozess gegen den früheren Jukos-Chef Michail Chodorkowski und seinen einstigen Geschäftspartner Platon Lebedew hat große internatio- nale Aufmerksamkeit erfahren und viel Kritik hervorge- rufen. Der derzeit laufende zweite Prozess wird daher umso mehr zum Testfall werden, obwohl schon jetzt Zweifel daran angebracht sind, ob die russische Justiz diesen denn bestehen wird. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass auch das neue Verfahren politisch motiviert ist. Die Anklage erscheint allein ob der Angaben zur ver- meintlich unterschlagenen Menge an Erdöl absurd, die in aneinandergereihten Waggons rund dreimal um die Erde reichen würde. Ich bin – wie zuletzt mehrere Kolleginnen und Kolle- gen – nach Moskau gereist, um den zweiten Prozess ge- gen Chodorkowski und Lebedew vor Ort zu beobachten. Dabei war es mir wichtig, zu zeigen, dass wir in Deutschland sehr genau verfolgen, wie sich die Reform- ankündigungen Präsident Medwedews auf dieses vielbe- achtete Verfahren auswirken. Meine persönlichen Ein- drücke im Gerichtssaal waren wenig ermutigend. Die beiden gesundheitlich angeschlagenen Angeklagten wer- den von schwer bewaffneten Einheiten in den Gerichts- saal geführt und im Inneren von vier verschiedenen uni- formierten Diensten bewacht. Sie verfolgen den Prozess in einem Kasten aus Panzerglas, gleich einem Aquarium. Mit ihren Anwälten können sie nur durch schmale Schlitze an der Seite des Glaskastens kommunizieren, kommen selbst kaum zu Wort. Dieser Sicherheitsaufwand ist – bedenkt man den Verfahrensgegenstand eines angeblichen Wirtschaftsver- brechens – schlichtweg entwürdigende Schikane und Behinderung ihrer Kommunikation mit den Verteidi- gern. Bereits seit Wochen trägt die Staatsanwaltschaft ihre Sichtweise des Falls vor, ohne dass die Verteidi- gung jeweils konkret reagieren kann. Eine ordentliche Verhandlung im Sinne eines Für und Wider kommt nicht zustande. Das Verfahren ist ein Testfall für die Ernsthaftigkeit der Reformanstrengungen und für die Glaubwürdigkeit Präsident Medwedews überhaupt. Klare Zeichen seinerseits und konkrete Schritte könnten die Gerichte ermutigen, frei und unabhängig zu entschei- den sowie etwaigen Manipulationen der Ermittlungsbe- hörden entgegenzutreten. Zugleich bleibt eine umfas- sende Justizreform unerlässlich, und Deutschland sowie unsere EU-Partner sollten ihn dabei nach allen zur Ver- fügung stehenden Möglichkeiten unterstützen. Lassen Sie mich auch auf einen weiteren Testfall ein- gehen. Der im Februar 2009 ergangene Freispruch der vier des Mordes an Anna Politkowskaja Beschuldigten „aus Mangel an Beweisen“ hatte mich einstweilen sehr positiv gestimmt. Denn es genügt eben nicht, der Öffent- lichkeit schnell die vermeintlich Schuldigen zu präsen- tieren. Die Geschworenen hatten damals mit ihrer ein- stimmigen Entscheidung mutig verdeutlicht, dass fehlerhafte Ermittlungen, der plötzliche „Verlust“ entlas- tender Beweismittel und die Ausübung von Druck auf sie selbst und die Angeklagten einem rechtsstaatlichen Strafverfahren unangemessen sind. Nun wird der Pro- zess gegen die vier Männer neu aufgerollt. Eine neuerli- che Beweisaufnahme wurde vom Obersten Gerichtshof untersagt, lediglich die Geschworenen werden ausge- tauscht. Ich halte dies für einen bedenklichen Fehler der Verantwortlichen in Politik, Justiz und Ermittlungsbe- hörden. Vieles deutet darauf hin, dass die wahren Hinter- gründe der Tat nicht aufgedeckt werden sollen. Ob die Angeklagten etwas mit dem Mord an Politkowskaja zu tun haben, steht zu beurteilen mir nicht zu. Kollegen und Angehörige der Ermordeten zweifeln jedoch daran, dass die Angeklagten den Mord verübt oder den Auftrag ge- geben haben. Wenig positiv sieht es auch bei der Zusammenarbeit Russlands mit der für den Menschenrechtsschutz in Eu- ropa zentralen Institution, dem Europarat, aus. Russland ist weiterhin der einzige Staat, der das 14. Zusatzproto- koll zur Europäischen Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert, womit eine Reform des Gerichtshofs ermög- licht und dieser in die Lage versetzt würde, der Flut von Beschwerden aus den neuen Mitgliedstaaten Herr zu werden. Zwar hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates auf ihrer Sitzung Ende April 2009 ein außergewöhnliches Vorgehen beschlossen. Bei aus- drücklicher Zustimmung aller anderen Mitgliedstaaten soll das Protokoll vorläufig in Kraft gesetzt werden – in allen Mitgliedstaaten außer Russland. Aber etwa ein Fünftel der jährlich eingehenden Beschwerden stammt aus der Russischen Föderation. Der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte muss wesentliche Mängel der russischen Justiz auffangen. Wir müssen im Deutschen Bundestag weiterhin auf- merksam die inneren Entwicklungen in Russland verfol- gen und unsere Regierung stets auffordern, im Dialog mit dem russischen Präsidenten und der russischen Re- gierung auch diese unangenehmen Fragen anzusprechen. Eine echte Partnerschaft, eine vertrauensvolle Zusam- menarbeit lebt von der Offenheit. Es wäre ein Fehler, bei all diesen Fragen auf Kritik zu verzichten. Es ist darüber hinaus auch äußerst wichtig, dass sich das neu gewählte Europäische Parlament diesen Fragen zuwendet und dass das Thema Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der EU-Russland-Beziehungen umfassend the- matisiert und gemeinsam in Angriff genommen wird. Doch vieles liegt zuallererst in der Hand Russlands. Die Glaubwürdigkeit Präsident Medwedews und seiner Reformagenda wird sich nicht zuletzt daran entscheiden, wie der Testfall Chodorkowski/Lebedew vor Gericht ausgeht. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Mit diesem Antrag, unterstützt von vier Fraktionen des Deutschen Bundestages, soll wenigstens zum Ende der Legislaturperiode die Russische Föderation im Mittel- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26073 (A) (C) (B) (D) punkt einer Debatte stehen. Dafür gibt es mehrere Gründe, die in diesem Antrag auch dargelegt sind: die Bedeutung als wichtiger und größter östlicher Nachbar der Europäischen Union, Russland als ständiges Mit- glied des UN-Sicherheitsrates und damit wichtiger Part- ner bei Entscheidungen, die Konfliktherde in unmittel- barer Nachbarschaft wie in Nahost und im Iran, aber auch an anderen Stellen dieser Welt betreffen. Die Russische Föderation ist der größte Mitgliedstaat des Europarates, damit kommt dem Europarat als supra- nationale Organisation eine besondere Bedeutung zu. Die Mitgliedschaft im Europarat setzt die Erfüllung völ- kerrechtlicher Verpflichtungen, niedergelegt in der Euro- päischen Menschenrechtskonvention, voraus. Dazu ge- hört unter anderem die Rechtsstaatlichkeit, die geprägt ist von der Unabhängigkeit der Justiz, fairen Verfahren vor dem Gericht, besonders im Strafprozess. Dazu ge- hört Rechtssicherheit für Investoren und ausländische Unternehmen, die sich in Russland niederlassen und sich auf Gesetze und eine Rechtspraxis, zum Beispiel im Handels-, Gesellschafts-, Banken- und allgemeinem Haftungsrecht, verlassen können müssen. Deshalb wird in diesem Antrag zu Recht die Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass sich die rechtliche Situation in der Russi- schen Föderation in den letzten Jahren längst nicht so entwickelt hat, wie das auch nach den Verpflichtungen des Europarates notwendig gewesen wäre. Positiv ist zu erwähnen, dass es Verbesserungen in der sozialen Absicherung von Richtern und Staatsanwälten in den vergangenen Jahren gegeben hat. Damit wurde das berechtigte Ziel verfolgt, der herrschenden Korrup- tion und Bestechung etwas den Boden zu entziehen. Weiter wurde ein Richterrat geschaffen, der sich mit der Ernennung, der Beförderung von Richtern und Diszipli- narmaßnahmen gegenüber Richtern befasst. Als jüngste Maßnahme wurde ein von der Generalstaatsanwaltschaft getrenntes Investigationskomitee errichtet, das Aufga- ben der Generalstaatsanwaltschaft zu übernehmen hat. Diese Bemühungen sind dringend notwendig, um die in der Tradition des sowjetischen Rechtssystems ste- hende Übermacht der Staatsanwaltschaft mit Dominanz in den Strafgerichtsverfahren abzubauen und die Staats- anwaltschaft auf gleiche Augenhöhe mit Richtern und Rechtsanwälten zu bringen. Trotz finanzieller Verbesse- rungen gibt es längst keine Unabhängigkeit der Justiz. Im Gegenteil: Die sogenannte Telefonjustiz ist an der Tagesordnung, was bedeutet, dass Richter in ihrer tägli- chen Arbeit Anweisungen von Direktoren ihres Ge- richts, dem Druck der Vertreter der Staatsanwaltschaft und politischen Anweisungen ausgesetzt sind. Die Zahl der entlassenen Richter ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Daran konnte auch der neu eingerichtete Justizrat nichts ändern, in dem Vertreter des Präsidenten großen Einfluss ausüben. Prominente Fälle haben immer wieder den Blick auf diese Missstände in der russischen Justiz gelenkt. Ein wirklich beeindruckender und erschreckender Fall ist der Prozess gegen die Verantwortlichen des früheren Jukos-Konzerns, gegen Chodorkowski, Lebedew und Pitschugin. In meinem Bericht für die Parlamentarische Versammlung des Europarates habe ich diese rechts- staatlichen Defizite minutiös mit Belegen dargelegt. Dieser Bericht hat zwar Chodorkowski, Lebedew und Pitschugin nicht helfen können, aber er hat andere russi- sche Staatsangehörige vor der Auslieferung nach Russ- land bewahrt. In mehreren Fällen in Großbritannien und in Zypern war dieser Bericht Grundlage für die Ablehnung der Auslieferungsersuchen der Russischen Föderation, weil die mit den Auslieferungsersuchen befassten Richter auf der Grundlage dieses Berichts die Gefahr sahen, dass keiner der betroffenen Personen ein auch nur annähernd rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten hatte und auch sein Leben nicht garantiert werden konnte. Der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew muss auch nüchterne Betrachter entsetzen, liegen doch diesem er- neuten Verfahren, in dem es Freiheitsstrafen bis zu 20 Jahren geben könnte, dieselben Sachverhalte und Fakten zugrunde wie beim ersten Prozess, nur bewertet man sie jetzt vollkommen anders als im ersten Verfah- ren. Da merkt jeder Jurist, dass das in sich nicht haltbar, widersprüchlich und deshalb willkürlich ist. Es ist deshalb besonders wichtig, die Verantwortli- chen in Russland mit Nachdruck aufzufordern, endlich den Rechtsnihilismus, den der eigene Präsident kritisiert, mit der Verbesserung des Justizsystems zu bekämpfen. Es muss endlich die Unabhängigkeit der Justiz, frei von politischen Einflüssen der Vorgesetzten garantiert wer- den. Es muss endlich eine unabhängige Entscheidung über die Einstellung, Beförderung und Entlassung von Richtern geben. Es muss dieses Bewusstsein der Unab- hängigkeit und der kritischen Analyse vorliegender Fälle mit der eigenständigen Bewertung des Sachverhalts in der Ausbildung, dem Studium und der Fortbildung ver- mittelt werden. Leider hat sich in den letzten Jahren die Entwicklung nicht in eine bessere, sondern in eine schlechtere Rich- tung bewegt. Es sollte eine ständige Beobachtung des Prozesses gegen Chodorkowski und Lebedew geben, am besten im Rahmen der Europäischen Union, aber auch angestoßen vom Ministerkomitee in der Parlamentari- schen Versammlung des Europarates. Das sollte Außen- minister Steinmeier tun. Mit ständigen Berichten sollte größtmögliche Transparenz in Deutschland und den eu- ropäischen Mitgliedstaaten hergestellt werden. In allen internationalen Gremien, in denen Russland Mitglied ist, sollten die rechtsstaatlichen Defizite Russlands themati- siert werden und die Einhaltung eingegangener Ver- pflichtungen von der russischen Regierung eingefordert werden. Ein funktionierendes Rechtssystem der Russischen Föderation liegt auch im deutschen Interesse, denn das gibt für Investitionen deutscher Unternehmen Rechtssi- cherheit und für Journalisten und Menschenrechtsvertei- diger aus Deutschland zumindest die große Chance, bei ihrer Arbeit nicht Opfer der Maßnahmen der Polizei zu werden. Schade, dass diese so wichtige Debatte, die die Menschen in Deutschland aufrütteln würde, so spät und damit nur mit zu Protokoll gegebenen Reden stattfindet. 26074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Monika Knoche (DIE LINKE): Wieder einmal ha- ben CDU/CSU, FDP, SPD und die Grünen einen Schul- terschluss gegen die Linken vollzogen. Interfraktionell ist dieser Antrag zu Russland nicht. Das ist keine Klage, sondern eine Feststellung zur mangelnden demokrati- schen Praxis der genannten Parteien im Bundestag. Dieser Text müsste eine veränderte Intention beinhal- ten, wollten wir ihn mittragen. Denn an allererster Stelle müsste hier die OSZE genannt werden. Sie ist die Orga- nisation, der Russland nicht nur angehört, sondern die sie mitbegründet hat. Sie ist vorrangig der Ort, an dem die Umsetzung von rechtsstaatlichen Prinzipien und die Vollendung von Menschenrechten begleitet wird. Zweifellos gehören Presse- und Meinungsfreiheit zu den zentralen Anforderungen moderner Menschen- rechtspolitik. Ein verlässliches Rechtsstaatssystem ist Garant für Bürgerrechte. Dazu hat sich Russlands Präsi- dent Medwedew bekannt, als er den Rechtsnihilismus anprangerte. Die Europäische Menschenrechtskonven- tion hält darüber hinaus Maßstäbe bereit, um das rechts- staatliche Handeln zu beurteilen. Auch steht russischen Bürgerinnen und Bürgern der Weg zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof offen. Dennoch gehört es zu einem aufgeklärten unideologi- schen Umgang mit Russland, dass Deutschland – wie bereits angestoßen – seine Angebote für eine Partner- schaft mit Russland erweitert und rechtsstaatliche Ent- wicklungen zu befördern hilft. Meines Erachtens kann aber die generelle Frage der Rückverstaatlichung und die politische Gestaltungskom- petenz im Bereich der fossilen Energiewirtschaft nicht auf die Strafrechtsfrage allein reduziert werden, wie dass bei diesem Antrag anklingt. Da Russland kaum produziert, viele Konsumgüter im- portiert und sein Staatswesen maßgeblich über den Roh- stoffexport finanziert, müssen gerechterweise auch die Rückverstaatlichungsmaßnahmen einer politischen Be- wertung zugeführt werden. Die Jelzin-Ära hat die Öko- nomie in ein großes Desaster geführt und dem Bevölke- rungsinteresse einen ganz schlechten Dienst erwiesen. Von der Verwendung der Steuereinnahmen und Gewinne der Energiewirtschaft wird künftig abhängen, ob Russ- land innergesellschaftliche Gerechtigkeit und Chancen- gleichheit herstellen kann. Was sich im Bereich des So- zial- und Gesundheitswesens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vollzogen hat, widerspricht dem Men- schenrecht auf Sicherung der Grundbedürfnisse. Hier soll nicht verschwiegen werden, dass insbeson- dere die anwachsende Zahl von Spritzdrogenabhängi- gen, Obdachlosen und mittellosen Rentnerinnen und Rentnern bewirkt, dass die sozialen Menschenrechte zur Makulatur werden. Allein der Zugang und die volle Ver- sorgung im Gesundheitswesen gehören mit zu den Erfor- dernissen eines sozialen Rechts- und Gemeinwesens. Meinungs- und Pressefreiheit schließlich – wie sie hier angemahnt wird – ist und bleibt OSZE-Verpflich- tung der russischen Regierung. Allerdings ist der kom- merzielle Mediensektor nicht automatisch ein Ausweis für Meinungsfreiheit. Man kann nicht über Russland sprechen, ohne auf die Folgen des faschistischen Krieges gegen die Sowjet- union hinzuweisen. Hat Gorbatschow die Vereinigung der beiden deutschen Länder ermöglicht, so sieht sich Russland heute verstärkt von der NATO eingekreist. Ohne intensive Partnerschaft mit Russland kann es keine gesamteuropäische Friedensordnung geben. Ein neues System europäischer Sicherheit ist deshalb zu schaffen. Mit Russland und den postsowjetischen Staaten muss es auf Abrüstung, Kooperation und vertrauensbildenden Maßnahmen beruhen. Russland gehört zu Europa. Auch deshalb muss die OSZE ihre, dem Gründungskonsens entsprechende, friedensstiftende, integrierende, koopera- tive Politik mit und zu Russland auf eine neue Stufe he- ben. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor einigen Wochen, genau am 27. April, beobachtete ich für zwei Tage den laufenden Prozess ge- gen Michail Chodorkowski und seinen früheren Partner Platon Lebedew. Es war ein kafkaeskes Szenario. Die Angeklagten sitzen in einem von bewaffneten Wächtern umstellten Glaskäfig, als handele es sich um gefährliche Terroristen. Den ganzen Tag las eine uniformierte Staats- anwältin mit monotoner Stimme aus der Anklageschrift vor. Dieses Szenario wiederholt sich seit Wochen täglich in ermüdender Eintönigkeit. Im Unterschied zum ersten Prozess ist dieser öffent- lich. Das kann man als Fortschritt sehen, aber auch als Demonstration. Denn der entstehende Eindruck ist der einer seelenlosen Maschinerie, deren Produkt feststeht: Der Staatsfeind Nummer eins wird vorgeführt, und der Staat bestraft ihn mit der für Staatsfeinde gebotenen Härte. Auch andere Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag haben sich diesem Eindruck ausgesetzt, wei- tere werden folgen, sicher auch aus den Parlamenten an- derer Länder. Das ist gut so, und es ist wichtig. Wir wis- sen nicht, ob diese Demonstrationen internationaler Aufmerksamkeit den Ausgang des Prozesses beeinflus- sen werden. Aber wir wissen, dass er den Angeklagten das Gefühl vermittelt, nicht vergessen zu sein. Genauso wichtig jedoch sind zwei weitere Adressa- ten: die russische unabhängige Zivilgesellschaft, für de- ren Mitgestaltungsanspruch stellvertretend Michail Chodorkowski in seinem Glaskäfig sitzt, und der russi- sche Staat, der seinen autoritären Herrschaftsanspruch demonstriert. Auch sie sollen sehen, dass sie begleitet und beobachtet werden. Michail Chodorkowski ist inzwischen längst zum Symbol für den Umgang des russischen Staates mit sei- nen unabhängigen Kritikern geworden. Kaum jemand, auch in Russland, bezweifelt das politische Motiv des Prozesses – in diesem zweiten noch eindeutiger als im ersten Prozess im Jahre 2005. Denn anders als damals geht es jetzt nicht mehr auch um die Umverteilung des Reichtums in Form der Zerschlagung des Jukos-Kon- zerns. Die ist längst erfolgt, und ihre Profiteure sind eben jene Gruppen im Umfeld des Kreml, die das Verfahren betrieben und vorentschieden haben. Dieser Vorgang hat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26075 (A) (C) (B) (D) viele weitere Menschen ins Gefängnis gebracht, von de- nen anzunehmen ist, dass sie Opfer der Kampagne gegen Chodorkowski wurden. Sie alle zu nennen, würde den Rahmen hier sprengen. Aber einige der weniger Bekann- ten seien stellvertretend erwähnt: Da ist zum Beispiel Wassili Aleksanjan, der frühere Geschäftsführer von Jukos. Er wurde 2006 verhaftet, kurz danach wurde eine HIV-Infektion festgestellt. An- gemessene medizinische Hilfe wurde ihm verweigert. Im Jahre 2008 wurde er nach einem Hungerstreik Chodorkowskis in einem Fachkrankenhaus angekettet. Seit Ende 2008 ist er, todkrank, auf Kaution frei. Ein schlimmer Fall ist auch der von Swetlana Bachmina, frü- her Juristin bei Jukos. Verhaftet Ende 2004, verweigerte man der zweifachen Mutter monatelang den Kontakt zu ihren Kindern. 2006 wurde sie zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt, die Strafe später um zwei Jahre verkürzt. Zum dritten Mal schwanger, wurde ihr die vorzeitige Entlassung verwehrt. Nach einer breiten öffentlichen Kampagne und einer Reue-Erklärung wurde sie schließ- lich im April 2009 freigelassen. Alexander Iwannikow, Bürgermeister einer Siedlung im Ural, in der auch Jukos-Töchter aktiv waren, wurde wegen Überschrei- tung seiner Befugnisse zugunsten dieser Firmen zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er in einem Straflager verbüßt. Auch Antonio Valdes-Garcia, Generaldirektor einer Jukos-Tochter, war zunächst nur Zeuge. 2005 wurde er verhaftet und offensichtlich schwer gefoltert. Er kam 2006 auf Kaution frei und floh nach Spanien. Andere Generaldirektoren von Tochterfirmen wie Sergej Shimkevich sitzen nach wie vor in Untersuchungshaft. Ein besonderer Fall ist Alexej Pitschugin, früher Mit- arbeiter des Sicherheitsdienstes von Jukos. Er wurde be- reits 2003 verhaftet und 2005 unter der Anklage, Mord- aufträge erteilt zu haben, zunächst zu 20 Jahren, später zu 24 Jahren und in einem weiteren Verfahren zu lebens- länglicher Haft verurteilt. Zurück zur Gegenwart. Jetzt geht es um eine Demons- tration der Macht. Chodorkowski verkörpert den Typus des aufgeklärten, emanzipierten und unabhängigen Staatsbürgers, den autoritäre Strukturen mehr fürchten als Armeen. Er steht für den Mitgestaltungsanspruch der Zi- vilgesellschaft, für demokratische Regeln und eine plura- listische Gesellschaft. Die Entwicklung eines derart mo- dernen Russland ist es, was die Putin’sche Doktrin der „gelenkten“ – nach innen – oder „souveränen“ Demokra- tie – nach außen – zu verhindern sucht. Angesichts dessen ist es – nebenbei bemerkt – verwunderlich, dass Amnesty International sich bis heute nicht dazu durchringen konnte, Chodorkowski als politischen Gefangenen anzu- erkennen. Das internationale Renommee dieser Organi- sation würde ihm und dem Thema der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Russland sehr helfen können. Der von Putin ausgewählte und vom Volk bestätigte neue Präsident Medwedew versuchte vom Beginn seiner Amtszeit an, den Eindruck eines im eben beschriebenen Sinne modernen Präsidenten zu vermitteln. Viele seiner Reden und manche seiner Erlasse belegen das. Entspre- chend groß waren die Erwartungen an ihn – zumindest im Ausland. Gleichwohl ist bisher nur wenig Verände- rung zu erkennen. Aber es bleibt richtig und sinnvoll, ihn und seine Politik an den selbst erklärten Maßstäben zu messen. Dies gilt im Übrigen über die Person Medwe- dews hinaus. Immerhin ist Russland Mitglied der OSZE und des Europarates. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: so notwendig die Kritik an Russland ist, so deutlich sie gerade im Fall Chodorkowski ausgesprochen werden muss – es geht nicht um eine pauschale Verurteilung Russlands. Vielmehr ist die Modernisierung Russlands unser Inte- resse, sowohl die wirtschaftliche wie die politische und gesellschaftliche. Ich meine sogar, dass auch führende russische Politiker wie Putin das wissen. Worum es geht, sind die Mittel und Wege, dorthin zu kommen. Kein Präsident kann die Dynamik umfassen- der Reformen dekretieren und dosieren. Nötig sind ge- sellschaftliche Bewegungen, und die brauchen Spiel- raum und Rechtssicherheit. Solange der Apparat an der Spitze davor Angst hat, wird er solche Dynamiken unter- drücken und damit wirksame Modernisierungen verhin- dern. Hoffen wir für Russland, für uns alle und nicht zu- letzt für Michail Chodorkowski, dass Präsident Medwedew das versteht und danach zu handeln im- stande ist. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Verordnung über Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von flüssiger Bio- masse zur Stromerzeugung (Biomassestrom- Nachhaltigkeitsverordnung – BioSt-NachV) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Die Verwen- dung nachwachsender Rohstoffe zur Energiegewinnung in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität ist unver- zichtbar zum Erreichen der ehrgeizigen Ausbauziele der Bundesregierung für erneuerbare Energien. Biomasse ist einer der wichtigsten und vielseitigsten regenerativen Energieträger in Deutschland. Die Ziele der Bundes- regierung, bis 2020 30 Prozent des Stroms, 15 Prozent der Wärme und 10 Prozent des Energiebedarfs für die Mobilität aus regenerativen Energien herzustellen, ist ohne einen massiven Ausbau der Biomassenutzung nicht möglich. In der Europäischen Union sollen im Jahr 2020 20 Prozent des Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen stammen. In Deutschland wurde 2008 auf 17 Prozent der Acker- fläche, das sind über 2 Millionen Hektar, Biomasse zur energetischen Nutzung angebaut. Hinzu kommt Bio- masse zur energetischen Verwendung aus forst- wirtschaftlicher Produktion. Für eine Ausdehnung der landwirtschaftlichen Bioenergieerzeugung sind noch Potenziale vorhanden, die aber naturgemäß begrenzt sind. So ist es richtig, im Rahmen der Aufhebung soge- nannter Flächenstilllegung bislang nicht mehr für land- wirtschaftliche Nutzung zur Verfügung stehende Flächen zum Anbau von Energiepflanzen freizugeben. 26076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) 278 000 Menschen waren 2008 im Bereich der erneu- erbaren Energien beschäftigt, 34,5 Prozent davon, 96 000, in der Bioenergiebranche. Bioenergie kann einen wichtigen Beitrag zum Klima- schutz leisten, da bei der Nutzung von Biomasse nur die Menge Kohlendioxid, CO2, in die Atmosphäre abgege- ben wird, die die Pflanzen aus der Atmosphäre entnom- men haben, um wachsen zu können. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums konnten 2008 durch die Nutzung erneuerbarer Energien die CO2-Emissionen um 111,6 Millionen Tonnen reduziert werden, davon allein rund 57,2 Millionen Tonnen, das sind 51 Prozent, durch die Nutzung von Biomasse. Die ökologische Sinnhaftigkeit und die ethische Ver- tretbarkeit des Einsatzes von Biomasse zur Energie- erzeugung wurden in den vergangenen Monaten in der Öffentlichkeit zunehmend kontrovers diskutiert. Die Energiebilanz für Anbau, Ernte und Transport der Bio- masse wurde genauso hinterfragt wie die Zerstörung wertvoller Naturräume und die Arbeitsbedingungen der Menschen, die in Drittländern auf entsprechenden Plan- tagen arbeiten. Vor dem Hintergrund, dass steigende Einfuhren von Biomasse und Biomasseerzeugnissen aus nicht der EU zugehörigen Ländern zu verzeichnen sind und Biomasse immer stärker international gehandelt wird, sind diese Diskussionen mehr als berechtigt. Bio- masse wird im Rahmen der internationalen Arbeitstei- lung insbesondere auch in tropischen Ländern angebaut. Der Anbau von Ölpalmen, Zuckerrohr und Soja wird in Ländern wie Brasilien, Indonesien und Argentinien im- mer größer. Die wachsende Nachfrage nach Rohstoffen zur ener- getischen Verwendung schafft für die Erzeugerländer, überwiegend sogenannte Drittwelt- und Schwellenlän- der, auf der einen Seite dringend benötigte Einkommens- quellen. Auf der anderen Seite birgt sie aber erhebliche Risiken für die Umwelt, für zahlreiche Tier- und Pflan- zenarten und nicht zuletzt für das Klima, das durch die Verwendung alternativer Energien eigentlich geschützt werden sollte. Ich nenne zum Beispiel Berichte über die gesetzeswidrige Abholzung von Regenwäldern in Asien. Schützenswerte Wälder in Malaysia wurden offenbar ohne Genehmigung vernichtet, mächtige Torfböden wur- den trockengelegt. Wir hören Berichte über Landnut- zungskonflikte zwischen örtlichen Bauern und großen Firmen, die Regen- und Torfwälder für Plantagen roden. Dabei sind Urwälder wie beispielsweise die Torfwälder Indonesiens für das globale Klima sehr wichtig. In die- sem Ökosystem wird mehrfach so viel Kohlenstoff wie in anderen Regenwäldern gebunden. Durch Holzein- schlag, Trockenlegung und Brandrodung der mächtigen Böden wird das klimaschädliche CO2 frei. Schließlich sind die Urwälder Heimat zahlreicher schützenswerter Arten, wie zum Beispiel der in Indonesien beheimateten Orang-Utans. Klar ist, dass die ehrgeizige deutsche und europäische Biomassepolitik nicht ohne Importe umgesetzt werden kann; im Übrigen würde das den Regeln des freien Welt- handels widersprechen, von denen Deutschland als „Ex- portweltmeister“ sehr profitiert. Daher muss auf ande- rem Weg vermieden werden, Anreize zum Raubbau an natürlichen Ressourcen zu setzen. Es bedarf deshalb ei- ner Privilegierung nachhaltig erzeugter Biomasse durch bestimmte Nachhaltigkeitsstandards. Die Notwendig- keit einer weltweiten Verbesserung der Nachhaltigkeits- standards hat zuletzt am 15. Mai 2009 die UN-Kommis- sion für nachhaltige Entwicklung in New York gefordert. Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg setzen wir heute mit der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverord- nung um. Mit dieser Verordnung wollen wir sicherstel- len, dass zur Stromerzeugung künftig nur Biomasse ein- gesetzt wird, die unter Beachtung verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien hergestellt wurde. Auf Initiative Deutschlands hat die Europäische Union im Dezember 2008 Nachhaltigkeitsanforderungen für die energetische Nutzung von Biomasse beschlossen. Diese Anforderun- gen bestimmen, wie Biomasse hergestellt sein muss, die als Pflanzenöl für die Strom- oder Wärmeerzeugung bzw. als Biokraftstoff eingesetzt wird. Mit dieser Richt- linie zu erneuerbaren Energien liegen nun einheitliche europäische Nachhaltigkeitsanforderungen vor, die in den kommenden 18 Monaten von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt werden. Standards im Interesse des Umwelt-, Klima- und Naturschutzes setzen nun fest, dass der Anbau der Pflanzen keine naturschutzfachlich besonders schützens- werten Flächen zerstört, zum Beispiel Regenwälder oder Feuchtgebiete, die sozialen Bedingungen beim Anbau, zum Beispiel die Einhaltung internationaler Arbeits- und Kinderschutzabkommen, erfasst werden und der Einsatz der Biomasse zur Energieerzeugung gegenüber fossilen Energieträgern mindestens 35 Prozent weniger Treib- hausgase freisetzt. Nach Anhörung der Länder und Verbände hat die Bundesregierung am 10. Juni 2009 die Biomassestrom- Nachhaltigkeitsverordnung beschlossen, die Nachhaltig- keitsanforderungen für flüssige Biomasse wie zum Bei- spiel Rapsöl, Palmöl oder Sojaöl festlegt, die nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG, vergütet wird. Zudem wird es in Kürze eine weitere – weitgehend in- haltsgleiche – Verordnung auf Grundlage des Biokraft- stoffgesetzes geben, die entsprechende Standards für Biokraftstoffe setzt. Der Verordnungsentwurf wurde am 19. Juni von der Europäischen Kommission notifiziert. Sie hat dabei ei- nige Änderungswünsche geäußert, die die Koalitions- fraktionen als Änderungsanträge in die Ausschussbera- tungen eingebracht haben. Zum einen betrifft das § 9, der insbesondere eine Do- kumentation der Auswirkungen auf die Boden- und Ge- wässerqualität vorsieht. Dort bat die EU um eine Still- haltefrist, um hier eine eigene Liste vorlegen zu können. Dieser Paragraf wurde deshalb in der uns vorliegenden Verordnung gestrichen; sein Inhalt ist uns aber nach wie vor ein zentrales Anliegen und wird, sobald der europäi- sche Entwurf vorliegt, eingefügt. Zum anderen betrifft das § 78, der Übergangsbestim- mungen vorsieht. Hier hat die EU Deutschland aus- drücklich gebeten, eine längere Anpassungsfrist in Be- tracht zu ziehen, um nicht durch die Einführung der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26077 (A) (C) (B) (D) Nachhaltigkeitsverordnung temporär größere Marktver- werfungen zu provozieren. Diese Sorge haben auch die beamteten Staatssekretäre des Bundesumweltministe- riums und des Bundeslandwirtschaftsministeriums am 8. Juni 2009 in einer Protokollnotiz zum Ausdruck ge- bracht. Sie haben anerkannt, dass die bis einschließlich zur Ernte 2009 erzeugte Ware noch nicht die neuen Nachhaltigkeitsstandards erfüllen kann, da die Standards bei ihrer Produktion noch gar nicht vorlagen. Somit dürfen die alt-erntige Ware und die Ernte 2009, die noch auf dem Feld steht, als Pflanzenöl auf Grund- lage des EEG verwendet werden, da sie ausgesät wur- den, als die Bedingungen der Nachhaltigkeitsverordnung noch nicht bekannt waren. Die CDU/CSU-Bundestags- fraktion begrüßt diese Regelung sehr, da die unverzicht- baren Standards für eine nachhaltige Nutzung flüssiger Biomasse gesetzt werden, aber zugleich die notwendige Investitionssicherheit für die Anlagenbetreiber gewähr- leistet werden kann. Die Verordnung tritt ab dem 1. Januar 2010 in Kraft. Die Übergangsregelungen laufen am 31. Dezember 2010 endgültig aus, sodass ab dem 1. Januar 2011 EU-weit die gleichen strengen Standards gelten. Der Nachweis über die nachhaltige Herstellung wird zukünftig mithilfe von Zertifizierungssystemen und Zertifizierungsstellen erfol- gen, kann aber übergangsweise auch mithilfe von Um- weltgutachterinnen und Umweltgutachtern erbracht werden. Jetzt gilt es, so schnell wie möglich Zertifizie- rungssysteme für den Nachweis und die Kontrolle der Nachhaltigkeit der Biomasseproduktion aufzubauen. Hier wurde bereits gute Vorarbeit geleistet. So fördert das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) seit eineinhalb Jahren ein Pilotprojekt zur Zertifizierung der nachhaltigen Biokraftstoffproduktion in der Praxis – ISCC, Internatio- nale Nachhaltigkeits- und Kohlenstoffzertifizierung. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten werden zeitnah Nach- weissysteme und entsprechende Datenbanken etabliert, um die Nachhaltigkeit der Biomasseproduktion zu bestä- tigen. Nur nachhaltig erzeugte und energieeffizient genutzte Biomasse kann einen überzeugenden Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz und zu einer stärkeren Versorgungssicherheit leisten. Mit dieser Verordnung setzen wir den Maßstab für die weitere Diskussion über eine nachhaltige Bioenergienutzung. Zudem haben wir sichergestellt, dass die Anforderungen für Anlagenbe- treiber, die Pflanzenöl zur Stromerzeugung einsetzen, auch praktisch umsetzbar sind. Marko Mühlstein (SPD): Heute ist ein guter Tag für den internationalen Umweltschutz, insbesondere für den Erhalt der tropischen Regenwälder. Denn mit der Verab- schiedung der vorliegenden Nachhaltigkeitsverordnung sorgen wir dafür, dass künftig keine aus Raubbau ge- wonnene Biomasse in Deutschland und auch in Europa zur Energieerzeugung genutzt wird. Einige gesellschaftliche Akteure haben in den letzten Monaten versucht, den Umweltschutz gegen den Einsatz erneuerbarer Energien auszuspielen. Dies dürfen wir nicht zulassen, denn Klimapolitik und regenerative Energien sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb freue ich mich, dass wir mit der Verabschiedung und Umsetzung der Nachhaltigkeitsverordnung den genann- ten, meist von Eigeninteressen geleiteten Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Denn die Verordnung ga- rantiert nicht nur den Schutz natürlicher Lebensräume wie Wälder oder Naturschutzflächen, sondern definiert auch die Regeln für eine nachhaltige landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Anbaugebiete in der ganzen Welt. Darüber hinaus schreiben wir vor, dass mit dem Ein- satz von Biomasse zur Stromerzeugung Treibhausgas- minderungen von bis zu 60 Prozent einhergehen müssen. Und mit der Verwendung von Massenbilanzsystemen gewährleisten wir, dass selbst die Herkunft einzelner Chargen nachweisbar ist und eine Vermischung von zer- tifizierter und nicht zertifizierter Biomasse ausgeschlos- sen wird. Aus meiner Sicht haben wir auch für den Einsatz der Rohstoffe aus der Ernte des laufenden Jahres eine trag- bare Lösung gefunden. Diese können im Jahr 2010 noch eingesetzt werden, auch wenn nicht alle formulierten Nachhaltigkeitskriterien erfüllt sind. Ich denke, dies ist auch für die Landwirte und Lieferanten eine gute Lö- sung. An dieser Stelle möchte ich dem Bundesumwelt- ministerium meinen herzlichen Dank aussprechen. Denn dass Nachhaltigkeitskriterien auf europäischer Ebene umgesetzt werden, ist nicht zuletzt dem Einsatz von Sigmar Gabriel und seinem Haus zu verdanken. Wir können mit Stolz sagen: In der Frage einer nachhaltigen Biomasseproduktion ist Deutschland Vorreiter! Gleich- zeitig fordere ich alle Beteiligten auf, an einer zügigen und wirkungsvollen Umsetzung der Nachhaltigkeitsver- ordnung mitzuarbeiten. Denn was die Frage einer nach- haltigen Bioenergieproduktion angeht, leisten wir echte Pionierarbeit. Für die Umweltpolitiker der SPD-Fraktion steht fest, dass dieselben Kriterien, die heute an die Produktion von Biomasse zur energetischen Nutzung gestellt werden, mittelfristig für alle Agrarbereiche Anwendung finden müssen: in der Futter- und Lebensmittelproduktion, aber auch in der Kosmetikindustrie. Denn gut 95 Prozent des umstrittenen Palmöls werden in diesen Bereichen verar- beitet und eben nicht für energetische Zwecke genutzt. Für eine solche umfassende Zertifzierung werden wir, mit Unterstützung vieler landwirtschaftlicher Produzen- ten, in der nächsten Legislaturperiode kämpfen. Die Erfüllung der heute zu beschließenden Nachhal- tigkeitskriterien trägt zum Schutz der Artenvielfalt auf unserem Planeten bei. Die Vorschriften zur Treibhaus- gasminderung sind echter Klimaschutz. Die zu erwarten- den leichten Kostensteigerungen für Hersteller, Liefe- ranten und Anlagenbetreiber wurden bei der Festsetzung der Vergütungssätze im Erneuerbare-Energien-Gesetz bereits berücksichtigt und sind vor dem Hintergrund der positiven Auswirkungen dieser Verordnung auf Mensch und Natur absolut vertretbar. 26078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Ich freue mich, dass es uns gemeinsam gelungen ist, diese Nachhaltigkeitsverordnung noch vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden, und möchte mich bei allen Beteiligten für die konstruktive Zusam- menarbeit bedanken. Michael Kauch (FDP): Die FDP-Bundestagsfrak- tion begrüßt, dass die Bundesregierung nun endlich eine Verordnung über die Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von flüssiger Biomasse zur Stromerzeugung vorlegt. Dies war im Blick auf die Planungssicherheit für die Erneuerbare-Energien-Branche überfällig. In der Vergangenheit ging die Herstellung von flüssi- ger Biomasse teilweise mit erheblichen Umweltzerstö- rungen, wie zum Beispiel Brandrodung von Regenwäl- dern und Zerstörung der Artenvielfalt, einher. Mithilfe der vorliegenden Verordnung versucht die Bundesregie- rung, sicherzustellen, dass fortan flüssige Biomasse, die zur Stromerzeugung eingesetzt wird, nur unter Beach- tung verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards hergestellt wird. Damit schafft die Bundesregierung endlich die Re- gelung, die Klarheit darüber bringt, wann Biomasse nach dem EEG vergütet werden soll. Zugleich gibt es aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion aber auch Kritik- punkte an dem Verordnungsverfahren. Die FDP-Bundes- tagsfraktion hätte sich insgesamt ein geordneteres parla- mentarisches Verfahren gewünscht – inklusive einer Anhörung, die jetzt kurzfristig nicht mehr realisierbar war. Es wird abzuwarten sein, ob die in der Verordnung vorgesehenen Übergangsfristen angesichts der Verzöge- rungen der Verordnungsgebung noch ausreichend sein werden. Die dazu von der Bundesregierung im Kabinett verabredete Protokollerklärung greift diese Problematik zwar ansatzweise auf. Aus Sicht der FDP-Bundestags- fraktion hätten die Übergangsfristen jedoch angepasst werden müssen, um den Belangen der betroffenen Un- ternehmen hinreichend Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ist aus Sicht der FDP-Bundestags- fraktion die Verordnung aber auch im Bereich des Schut- zes der Regenwälder kritisch zu bewerten. Denn die in der Verordnung in § 50 enthaltene Mindesthäufigkeit der Kontrollen von Plantagen durch die Zertifizierungsstel- len ist unzureichend. Die Bundesregierung trägt durch diese Bestimmung dazu bei, dass demnach nur 5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe, die Biomasse liefern, einer Kontrolle unterzogen würden. Bei statistischer Be- trachtung führt dies dazu, dass jeder Betrieb der in die- sem Bereich tätigen Unternehmen nur alle 20 Jahre kon- trolliert werden würde. Dies ist in Anbetracht der Situation für die aus Entwicklungsländern importierte Biomasse keinesfalls ausreichend. Die Verordnung begegnet diesem Umstand zwar mit der Möglichkeit einer Anpassung der Häufigkeit der Kontrollen an die jeweiligen Risiken, eine nähere Quan- tifizierung bleibt die Bundesregierung indes aber in der Verordnung schuldig. Nach Auffassung der FDP-Bun- destagsfraktion wird diese Regelung zu Kontrolllücken führen. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt demgegenüber, dass die Zertifizierung der europäischen Landwirte zwar erforderlich, aber durch die Anerkennung der Cross- Compliance sehr einfach ist. Diese Konstruktion ist nicht zuletzt auch deshalb von Vorteil, weil sie den Be- stimmungen der WTO hinreichend Rechnung trägt. Die Verordnung hat Licht und Schatten. Die FDP wird sich daher der Stimme enthalten. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Bundes- regierung hat uns eine dicke Verordnung vorgelegt, mit der die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards beim Import von Biomasse aus dem Süden durchgesetzt wer- den soll. Wir haben sie gelesen und sind zur Überzeu- gung gekommen, dass das nicht funktionieren wird. Schon allein die für Deutschland und die EU angestreb- ten Quoten für den Einsatz von Agrarkraftstoffen würden beim jetzigen Spritverbrauch das nachhaltige Potenzial unserer Anbauflächen um den Faktor drei übersteigen. Sie lassen sich nur erreichen, wenn massiv Agrarkraft- stoffe oder Biomasse aus tropischen Ländern importiert werden. Dazu kommt nun zusätzlich die Nachfrage nach Palm- und Sojaöl für den Strom- und Wärmebedarf, um den es ja in der vorliegenden Verordnung geht – als gäbe es keine Debatte um die erschreckenden Wirkungen vie- ler Agroenergien auf Tropenwälder und Welternährung. Stattdessen wird auf Zertifizierung gesetzt. Diese ist jedoch – das versichern uns die meisten NGOs – zur Er- folglosigkeit verurteilt; nicht nur wegen Korruption, ma- fiöser Strukturen und schwacher Überwachung in vielen Produzentenländern. Es sind vor allem die indirekten Verdrängungseffekte der Agroenergien, die Zertifizie- rungen ins Leere laufen lassen. So werden etwa in Brasi- lien neue Zuckerrohrfelder zur Ethanolproduktion fast nie auf Neurodungsflächen angebaut. Sie werden auf äl- teren Agrar- oder Weideflächen in Zentralbrasilien ange- legt. Es sind die zuvor darauf angebauten Pflanzungen – beispielsweise Sojaplantagen – oder aber Rinderher- den, die dann in den Regenwaldgürtel oder in den wert- vollen Cerrado im Norden wandern. Und dort führen die dann eben zu Abholzungen und Vertreibungen. Ähnlich ist die Situation bei Palmöl aus Indonesien. Dafür fallen zu einem erheblichen Anteil die Urwaldbäume indirekt. Wenn wir also Zuckerrohr oder Palmöl als Energiepflan- zen zertifizieren, geht das am eigentlichen Problem voll- kommen vorbei. Ferner führt die Vertreibung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern durch Großagrarier nicht nur zu massiven Menschenrechtsverletzungen, sondern vielfach auch dazu, dass die Betroffenen sich neues Land suchen. Nicht selten sind es Waldgebiete, die dann der Brandro- dung und anschließenden Besiedlung zum Opfer fallen. Insofern bestehen aus unserer Sicht zurzeit kaum Er- folgsaussichten für ein wirksames Zertifizierungssys- tem. Kein Wunder, dass der Verordnungsentwurf dieses enorme Problem der indirekten Verdrängung gar nicht erst aufgegriffen hat. Ja, noch schlimmer: Die im Ent- wurf vom 6. Februar noch enthaltenen Anforderungen an soziale Standards im § 9 und die entsprechende An- lage 3 verschwanden schrittweise in den verschiedenen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26079 (A) (C) (B) (D) späteren Entwürfen. Zum Schluss sollte nur noch doku- mentiert werden, dass Landnutzungsrechte gewahrt wer- den und der Anbau im Einzugsbereich des Betriebes keine negativen Auswirkungen auf die Nahrungsmittel- sicherheit hat. Und dieser Passus ist nun auch noch raus- geflogen, angeblich, weil die EU hier erst weitere Krite- rien entwickeln will. Uns wird hier angst und bange. Die Verordnung ist auf dem Weg, für die Sozialstandards gibt es aber überhaupt noch keine Lösungen. Da wird klar, was EU und Bundesregierung unter Nachhaltigkeit verstehen. Weder ILO-Arbeitsnormen noch der Schutz vor Vertreibung sind bislang durchgängig verankert. Schon deshalb muss man die Verordnung ablehnen. Zudem hapert es gewaltig am Kontrollmechanismus: Nach § 50 sollen jährlich gerade einmal 5 Prozent der Betriebe von den Zertifizierungsstellen kontrolliert wer- den. Das bedeutet nichts anderes als einen Zeitraum von 20 Jahren, bis alle mal an der Reihen waren. Ich frage mich, welche schwarzen Schafe dies in den Ländern des Tropengürtels von Raubbau und Vertreibung fernhalten soll. Aber auch für Europa sehe ich diese Frequenz sehr kritisch. Den Tropenwäldern, den darin lebenden Menschen sowie den von Vertreibung bedrohten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wäre am meisten geholfen, wenn das Grundproblem angegangen würde: der rasant anstei- gende Nachfragedruck der Industriestaaten nach Agrar- treibstoffen. Als wichtigste Maßnahmen müssen daher zunächst ein Importstopp für biogene Treib- und Kraft- stoffe in die EU verfügt und die Nachfrage auf ein ak- zeptables Maß reduziert werden. Das gilt umso mehr, als die Nachhaltigkeitsverordnung für Agroenergien auf Ebene der EU und auch der vorliegende Entwurf für Deutschland lediglich schwache ökologische Zielstel- lungen enthalten. So können Millionen Hektar Anbau- flächen, die vor 2008 gerodet wurden, als nachhaltig zer- tifiziert werden. Ferner ist das bis Anfang 2017 geltende Treibhausminderungspotenzial von lediglich 35 Prozent angesichts der geschilderten Auswirkungen viel zu nied- rig. Wie gesagt, haben zudem weder soziale Standards noch Menschenrechtsnormen in das vorgesehene Zertifi- zierungssystem Eingang gefunden. Deshalb lehnen wir die Verordnung ab. Wir bedauern, dass uns die anderen Fraktionen, einschließlich der Grünen, als Totalverwei- gerer hinstellen. Aber damit können wir leben. Denn wir sind der Überzeugung: Nachhaltiges Palmöl wird es in dem Umfang, um den es hier geht, nicht geben können. Die Verordnung ist somit – ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht – ein Schritt zur weiteren Abholzung der letz- ten Urwälder. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bio- energien sind eine Chance, Klimaschutz und Energie- sicherheit zu verbinden mit neuen Impulsen für eine um- welt- und sozialverträgliche ländliche Entwicklung bei uns und in den Ländern des Südens. Weltweit werden die Bioenergien ausgebaut – dieser Boom bringt aber auch eine Reihe ernster Probleme mit sich, denen sich die Politik heute stellen muss. Denn anders als erneuer- bare Energien aus Wind oder Sonne sind landwirtschaft- lich nutzbare Flächen und Wasser für den Anbau von Bioenergieträgern begrenzt. National wie international verstärkt die Nachfrage nach Bioenergien zusammen mit klimabedingten Ernte- ausfällen und der steigenden Lebensmittel- und Fleisch- produktion die Konkurrenz zwischen der Erzeugung von Lebensmitteln und Agrartreibstoffen. Der Druck auf Na- turschutzflächen und sensible Ökosysteme nimmt zu. Umweltverbände kritisieren zu Recht, dass die Rodung von Regenwäldern und die Umnutzung von Mooren zur Produktion von Palmöl für deutsche Blockheizkraft- werke in Malaysia und Indonesien unwiederbringliche Naturschätze zerstört und gewaltige Mengen klima- schädlicher Gase freisetzt – weit mehr, als durch die Palmölnutzung eingespart wird. Entwicklungsorganisa- tionen warnen zu Recht, dass der Bioenergieboom in zu- nehmendem Maß die globale Ernährungssicherheit ge- fährden und den Hunger in der Welt verstärken kann. Wir Grüne teilen diese Sorgen. Gerade weil wir über- zeugt sind, dass den Bioenergien eine wichtige Rolle in der Klima- und Energiepolitik zukommt, wenden wir uns mit Nachdruck gegen Fehlentwicklungen, die nach- haltige, dezentrale Bioenergieerzeugung in Misskredit zu bringen drohen und die ökologischen und sozialen Probleme verschlimmern, statt sie zu lösen. Die Nachhaltigkeitsverordnung ist ein dringend erfor- derliches Instrument, um die ökologischen und sozialen Schäden einzudämmen und die Akzeptanz EEG-vergü- teter Bioenergien zu erhöhen. Entscheidend ist, dass zum einen strenge Kriterien angelegt werden und zum ande- ren Zertifizierungs- und Kontrollsysteme weltweit ver- lässlich sind. Wie das geht, zeigt am ehesten das FSC für nachhaltige Holzprodukte. Im Vergleich dazu ist die vorgelegte Verordnung nur ein erster Schritt, der eine Reihe von Mängeln hat: Das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung BLE – ihm als zuständiger Behörde sind die Nachweise über die Nachhaltigkeit der Biokraftstoffe vorzulegen bzw. es entscheidet darüber, welche Zertifizierungsstellen aner- kannt werden – ist sehr landwirtschaftsnah und nicht vertraut mit Umwelt- und Sozialzertifikaten. Eine Einbe- ziehung des Umweltbundesamtes wäre besser. Zudem sind die vielen Wege, wie die Nachhaltigkeit nachgewie- sen werden kann, unübersichtlich und fehleranfällig. Ge- rade für kleinere Erzeuger darf der Bürokratieaufwand nicht zu groß werden. Außerdem ist fraglich, ob einzelne Stichproben ausreichen, um den nachhaltigen Anbau der Energiepflanzen wirklich nachweisen zu können. Auch reichen die Nachhaltigkeitskriterien nicht aus. So fehlen das Verbot von Gentechnik und die Vermei- dung von Monokulturen. Soziale Kriterien kommen praktisch nicht vor. Grünland wird nicht ausreichend ge- schützt – nur bei hoher biologischer Vielfalt –, und Ver- drängungseffekte anderer Landwirtschaftssysteme durch Energiepflanzenanbau werden bei der CO2-Bilanzie- rung nicht berücksichtigt. Daher ist die reale CO2-Min- derung fraglich. 26080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Wir fordern die Bundesregierung auf, in diesem Sinne nachzubessern. Die Akzeptanz der Bioenergien hat in den letzten zwei Jahren stark gelitten. Durch eine schlag- kräftigere Nachhaltigkeitsverordnung kann hier wieder Boden gutgemacht werden. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Aus- und Weiterbil- dung in der Tourismuswirtschaft verbessern (Zusatztagesordnungspunkt 8) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Kurz vor dem Ab- schluss der parlamentarischen Beratungen in dieser 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages freut es mich sehr, dass ein wichtiges Thema für die Zukunftsfä- higkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland den Weg auf die Tagesordnung des Parlaments findet: die Aus- und Weiterbildung in der Tourismuswirtschaft. Wir alle kennen verschiedenste Bereiche der Reise- branche. Als Dienstleister im besten Sinne des Wortes steht dabei der Mensch stets im Mittelpunkt einer ganzen Bandbreite an unterschiedlichen Tätigkeiten – vom Kell- ner bis zur Stewardess, vom Reisebusfahrer bis zur lie- benswürdigen Assistenz am Empfang eines Hotels. Ei- nige wenige Zahlen verdeutlichen die Bedeutung des Tourismus für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Bundesweit zählt die Reisebranche rund 2,8 Millionen Beschäftigte, es existierten Ende 2008 mehr als 113 000 Ausbildungsverhältnisse im Tourismus, und es wurden darüber hinaus in diesem Jahr mehr als 47 000 neue Ausbildungsverträge geschlossen. Davon entfallen allein über 43 000 auf das Gastgewerbe, das fast acht Prozent aller Ausbildungsplätze in Deutschland zur Verfügung stellt. Dieses ist eine bemerkenswerte und großartige Leistung der vielen vor allem inhabergeführten Hotels und Gasthöfe, die zwischen Sylt und Garmisch-Parten- kirchen und zwischen Aachen und der Sächsischen Schweiz zu einem großen Teil das Bild des Reiselandes Deutschland und seiner Kulturlandschaft prägen. Den Unternehmern, die sich ihrer Verantwortung für die nächste Generation stellen, gilt daher unser besonderer Dank. Qualifiziertes Personal mit einer fundierten Ausbil- dung, ein effizientes System beruflicher Weiterbildung und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen sind die unabdingbare Grundlage, ohne die der wirtschaftliche Erfolg der Tourismusbranche nicht gesichert werden kann. Dieses ist eine der Kernaussagen, die die Bundes- regierung in ihrem Tourismuspolitischen Bericht vom Februar 2008 in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt. Denn eines ist klar: Die Veränderungen der Kun- denansprüche und des Reiseverhaltens sowie immer wieder neue Kundengruppen aus Deutschland und der ganzen Welt veranlassen die Branche, sich ständig auf neue Gegebenheiten einzustellen. Gerade der Servicebereich und die Betreuung auslän- discher Gäste sind dabei ein wichtiges Aushängeschild für den Wirtschafts- und Tourismusstandort Deutsch- land, ja unser gesamtes Land. Denn wer von uns hat nicht selber schon einmal die Erfahrung gemacht, dass aus dem Verhalten einzelner Personen direkt auch auf den Charakter und das Verhalten einer ganzen Nation ge- schlossen wird. Es sind die täglichen Begegnungen in Restaurants, Hotels und Verkehrsträgern, die Besuchern stets in ganz besonderer Weise in Erinnerung bleiben. Ich bin mir sicher, dass gerade die Beschäftigten der Rei- sebranche um die daraus erwachsende besondere Verant- wortung ihres beruflichen Handelns wissen und dement- sprechend aufgeschlossen und gastfreundlich gegenüber unseren Gästen aus aller Welt auftreten. Als Konsequenz des demografischen Wandels und der zurückgehenden Schulabgängerzahlen ist bereits heute das Fehlen des Nachwuchses in touristischen Be- rufen zu beobachten. Um sich dieser Entwicklung er- folgreich zu stellen, muss der Reiz des „Arbeitsplatzes Tourismus“ weiter erhöht werden. Voraussetzung dafür sind eine bessere Qualifizierung im Tourismus und at- traktivere Arbeitsbedingungen. Durch die Tourismuswirtschaft wurden bereits in der Vergangenheit vielfältige und zahlreiche Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen, die gerade auch geringer qualifizierten Arbeitskräften die Möglich- keit einer Anstellung boten. Dies ist ein besonders wich- tiger und erfreulicher Aspekt, haben Jugendliche mit pro- blematischen Bildungsabschlüssen doch oftmals nur die Aussicht, in betriebsfernen Weiterbildungsprojekten „ge- parkt“ zu werden, anstatt sich tagtäglich im Wirtschafts- leben immer wieder neu behaupten zu müssen. Allerdings sollten wir im gleichen Atemzug unsere Jugendlichen auch immer wieder darauf hinweisen: Es geht nichts über gute schulische Leistungen! Daher werbe ich, wann immer ich mit jungen Menschen zusam- mentreffe, dafür, lieber einmal mehr auf einen Discobe- such zu verzichten und dafür das Schulbuch in die Hand zu nehmen. Dabei spielen vor allem sehr gute Fremd- sprachenkenntnisse eine entscheidende Rolle. Wenn sich die Erkenntnis, wie wichtig gute Bildung heutzutage ist, letztendlich beim Einzelnen durchsetzt, ist es leider manchmal schon zu spät und sind entstandene Defizite nur schwer oder gar nicht mehr auszugleichen. Beklagen Gewerkschaften im Hinblick auf die Touris- muswirtschaft das Vorkommen mangelhafter fachlicher Vermittlung von Ausbildungsinhalten, die Ableistung ausbildungsfremder Tätigkeiten und Überstunden sowie teilweise Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzge- setz, so verweist der Bundesverband des Deutschen Ho- tel- und Gaststättenverbandes auf die Herausforderun- gen, die durch eine nachlassende Ausbildungsreife junger Menschen und mangelnde Fähigkeiten der Schul- abgänger auftreten. Wenn wir auch in Zukunft auf eine leistungsfähige und lebenswerte Reisebranche zählen wollen, müssen die geschilderten Missstände so schnell wie möglich überwunden werden. Jede Seite hat dabei ihre Hausaufgaben zu machen! Für die Tourismuswirtschaft bleibt die Bereitstellung guter Ausbildungsmöglichkeiten und die Bewerbung etablierter sowie neuer Ausbildungsberufe eine zentrale Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26081 (A) (C) (B) (D) Aufgabe für die Zukunft. Dies gilt insbesondere für den 2005 neu geschaffenen Beruf des oder der „Kaufmanns oder -frau für Tourismus und Freizeit“, der über umfas- sende Kompetenzen zu vielfältigen Angeboten des Tou- rismusstandortes Deutschland und seiner Vermarktung verfügt. Ein gutes Beispiel für die Werbung gastgewerb- licher Ausbildungsberufe ist aber auch die Initiative „Gast-Star“. Zu ihr gehören 23 Ausbildungsunterneh- men, die sich in der Systemgastronomie unter dem Dach des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes zusam- mengefunden haben und die eine Informations- und Wissensplattform für potenzielle Auszubildende anbie- ten. Dabei hat sich unser einzigartiges „duales System“ in Deutschland – die Verbindung von Tätigkeit im Un- ternehmen und dem Besuch der Berufsschule – mehr als bewährt. Für das Gastgewerbe ist die Weiterbildung an Hotel- fachschulen sowie den Weiterbildungseinrichtungen der DEHOGA-Landesverbände von überragender Bedeu- tung. Wichtige Weiterbildungsangebote sind auch die be- rufsbegleitende Aufstiegsqualifikation des Bundes wie die gastgewerblichen Fachmeister mit den Ausrichtungen Küchenmeister, Restaurantmeister und Hotelmeister und der Veranstaltungsfachwirt sowie die Aufstiegsregelun- gen der IHK wie zum Beispiel Tourismusfachwirtin und Fachwirtin oder Fachwirt im Gastgewerbe. Außerdem gehören zur Qualifizierung auch Beratungs- und Finan- zierungsangebote im Bereich der Existenzgründung. Die Bundesregierung hat im Bereich der Aus- und Weiterbil- dung das Förderangebot in den vergangenen Jahren deut- lich ausgebaut. Mit der Ausweitung der förderfähigen Ausbildungsgänge und der Verbesserung der Förderleis- tungen im Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, dem sogenannten Meister-BAföG, haben heute deutlich mehr Menschen einen Anspruch auf mehr Leistungen. Hinzu kommt die Einführung der Weiterbildungsprämie als An- reiz zur Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung. Wir sind also auf dem richtigen Weg schon ein ganzes Stück vorangekommen. Die Wiedereinsetzung der Ausbilder-Eignungsverord- nung (AEVO) zum 1. August 2009 zur Sicherstellung der berufs- und arbeitspädagogischen Fertigkeiten, Kennt- nisse und Fähigkeiten der Ausbilderinnen und Ausbilder begrüßen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus- drücklich. Gleichzeitig weisen wir aber darauf hin, dass dies nur ein Schritt ist, die Attraktivität der Ausbildungs- berufe im gemeinsamen Interesse von Arbeitgebern und Auszubildenden zu erhöhen. Sowohl Fachhochschulen als auch Universitäten bie- ten schon heute vielfältige Tourismusstudiengänge an, in erster Linie im Tourismusmanagement – teilweise als in- ternationalen Studiengang – sowie in den Bereichen Tourismusgeografie und Management im Gesundheits- tourismus. Aufgrund ihrer starken Praxisorientierung sind für die Tourismusbranche dabei vor allem duale Studiengänge wichtig, die ein Studium an einer Hoch- schule oder Berufsakademie mit einer praktischen Aus- bildung in einem Unternehmen der Branche verknüpfen und gute Voraussetzungen für einen Übergang von der Ausbildung in den Arbeitsmarkt bieten. Dabei sind die Ausbildungswege und Abschlüsse an den einzelnen Uni- versitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien lei- der immer noch sehr unterschiedlich. Die im Tourismusbereich vermittelten Kernkompe- tenzen wie Weltoffenheit, Kommunikationsfähigkeit, Belastbarkeit und Flexibilität qualifizieren die Absol- venten touristischer Ausbildungsformen für einen Ein- satz in vielen anderen Bereichen der internationalen Wirtschaft. Wie wenige andere Wirtschaftsbereiche ist gerade die Tourismusbranche von großer internationaler Mobilität geprägt. Zur Stärkung der Attraktivität deut- scher Ausbildungsberufe und Studienabschlüsse ist da- her eine bessere Vergleichbarkeit und gegenseitige Aner- kennung von Berufsprofilen und Studienabschlüssen ein wichtiger Faktor. Dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, werden wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch in der Legislaturperiode des 17. Deutschen Bundestages ab Herbst 2009 ganz weit oben auf die Fahnen schrei- ben. So bleiben für die Zukunft noch viele wichtige The- men, die wir im Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages einer eingehenden Beratung zuführen wer- den: Es wäre beispielsweise im Hinblick auf die Ausbil- dung im Tourismusgewerbe sehr wünschenswert, die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg dazu zu bewegen, bereits bestehende Angebote so zu bündeln und zu kana- lisieren, dass eine klare Förderstruktur für Umschulun- gen und Weiterbildungen in den Segmenten der Touris- musbranche sichtbar wird. Dieses zu erreichen funktioniert nur in einem abge- stimmten Konzert verschiedener Akteure. Als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion werden wir uns auch in Zu- kunft engagiert in eine aktive Gestaltung der deutschen Tourismuspolitik einbringen. Viel konnte bereits erreicht werden, viel bleibt noch zu tun. Packen wir es gemein- sam an, für die Zukunft eines gastfreundlichen Deutsch- land, für das einmal mehr das altbewährte Motto gelten sollte: „Die Welt zu Gast bei Freunden!“ Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Heute debattieren wir über den von der SPD-Fraktion initiierten Koalitionsan- trag „Aus- und Weiterbildung in der Tourismuswirtschaft verbessern“. Ich freue mich, dass wir dieses wichtige Thema für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Tourismusbranche noch in dieser Wahlperiode auf- greifen. Dass der Antrag erst so spät in die Parlamentsbe- ratung kommt, ist aus Sicht der SPD-Fraktion allerdings bedauerlich. Als Berichterstatterin habe ich bereits im letzten Herbst unsere Positionen in die Verhandlung mit der Unionsfraktion eingebracht. Ich hätte mir deshalb eine frühere Debatte und vor allem auch eine Beteiligung der Ausschüsse gewünscht. Wichtig ist: Wir beschließen heute ein Forderungspa- ket an die Bundesregierung, das sowohl die Qualität als auch die Quantität der Aus- und Weiterbildung voran- bringt. Dass dies dringend notwendig ist, machen die Auswertungen sowohl der Gewerkschaften als auch der Bundesregierung deutlich. Der Ausbildungsreport 2008 des Deutschen Gewerk- schaftsbundes bescheinigt der Ausbildung im Hotel- und 26082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Gastgewerbe fehlende Qualität. Der DGB zeigt gleich mehrere Probleme auf: Ausbildungsinhalte werden oft nicht von ausgebildeten Fachleuten vermittelt. Die Ju- gendlichen werden häufig zu Tätigkeiten herangezogen, die nichts mit der eigentlichen Ausbildung zu tun haben. Auch Überstunden sind keine Ausnahme. Teilweise gibt es sogar Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz. Was hat das für Folgen? Die Chancen der Auszubil- denden, später auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ver- schlechtern sich. Viel zu viele Jugendliche brechen ihre Ausbildung ab, vor allem im Hotel- und Gaststättenge- werbe. Ein Beispiel: In 2006 haben 40 Prozent der Aus- zubildenden für den Beruf Restaurantfachfrau/-mann ih- ren Ausbildungsvertrag aufgelöst. Kein Wunder, dass in einigen Berufen schon der fehlende Nachwuchs beklagt wird. Für die SPD ist klar: Wir setzen uns für die Auszubil- denden ein, gerade jetzt in der Krise. Wir haben durch- gesetzt, dass Jugendlichen, ihren Ausbildungsplatz durch die Insolvenz ihres Betriebes zu verlieren denen droht, geholfen wird, ihre Ausbildung abzuschließen. Betriebe, die den Jugendlichen die Fortsetzung ihrer Ausbildung ermöglichen, erhalten einen Ausbildungsbo- nus. Wir helfen damit den Jugendlichen schnell und un- bürokratisch und spannen einen Schutzschirm über Aus- bildungsplätze. Wir halten an unserem Ziel fest, dass trotz Krise auch in diesem Jahr mindestens 600 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Wir erwarten, dass die Firmen nicht mit der Ausbildung nachlassen. Denn eines ist si- cher: Wenn die Konjunktur wieder anspringt, brauchen wir Fachkräfte. Arbeitsminister Olaf Scholz hat die Wirtschaftsverbände aufgefordert, ihre Anstrengungen zu verstärken. Die Wirtschaft muss und kann sich hier bewegen und vorausschauende Personalpolitik betrei- ben. Wir haben auch das Jugendarbeitsschutzgesetz gegen- über dem Koalitionspartner und der FDP verteidigt. Es gibt ja, seit das Gesetz in Kraft ist, also seit über dreißig Jahren, regelmäßig Versuche, den Jugendarbeitsschutz zu schleifen. Zuletzt hat der Hotel- und Gaststättenver- band gefordert, die Arbeitszeit für unter 18-Jährige von derzeit 22 auf 23 Uhr zu verlängern. Ich sage: Nicht mit uns. Der DEHOGA hat bisher nicht belegen können, dass ein Jugendlicher zwischen 22 und 23 Uhr noch et- was Neues lernt. Und: Kein Berufsschüler ist morgens im Unterricht hellwach, wenn er spät am Abend arbeiten musste. Meine Damen und Herren von der Union und der FDP, wir sagen Ihnen: Die Ausbildungsverantwortung des Betriebes und die Ausbildungsfähigkeit eines jungen Menschen müssen im Vordergrund stehen. Das Jugend- arbeitsschutzgesetz ist nicht dazu da, dass unter 18-Jäh- rige als billige Arbeitskräfte die Stühle hochstellen und als Letzte das Licht ausmachen. Das wäre kein gutes Si- gnal für die Branche. Neue motivierte Auszubildende gewinnen wir so nicht. Klar ist: Junge Menschen brauchen gute Perspektiven in der Tourismusbranche. Wir haben mehr als 110 000 Auszubildende in der Tourismuswirtschaft, für die Wirt- schaft und Politik Verantwortung tragen. Wir fordern deshalb von der Wirtschaft mehr Qualität in der Ausbil- dung. Ich freue mich, dass es uns bereits gelungen ist, die Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) zum 1. Au- gust 2009 wieder in Kraft zusetzen. Wer ausbildet, muss auch entsprechende berufs- und arbeitspädagogische Fertigkeiten vorweisen. Wir setzen uns mit dem vorliegenden Antrag für bes- ser abgestimmte Unterrichtsinhalte ein. Unterrichtsmate- rialien für Lehrerinnen und Lehrer sowie für die Auszu- bildenden sollten vereinheitlicht werden. Ein geeignetes Pilotprojekt wäre die Entwicklung eines Handbuchs für den neuen Ausbildungsberuf Kaufmann beziehungs- weise Kauffrau für Tourismus und Freizeit. Wichtig ist ebenfalls eine stärkere gegenseitige Aner- kennung der Berufs-, Fach- und Hochschulabschlüsse. Hier sind besonders die Länder gefordert. Aufbauende Übergänge sollten ermöglicht werden, damit sich die Absolventen im Tourismusbereich leichter weiterqualifi- zieren können. Wir schlagen auch vor, mit den Ländern eine bundeseinheitliche Weiterbildung von Berufsschul- lehrerinnen und -lehrern einzurichten. Mit Blick auf europäische Standards wollen wir, dass nach einer dualen Ausbildung der Erwerb eines interna- tional anerkannten Studienabschlusses möglich wird, wobei die Ausbildungsinhalte teilweise anerkannt wer- den. Nur so gewinnen wir dringend benötigte qualifi- zierte Nachwuchskräfte im Tourismus. Genauso wie gute Ausbildungsmöglichkeiten nötig sind, brauchen wir in der Tourismuswirtschaft gute Wei- terbildungsstrukturen. Wer im Hotel- und Gastgewerbe oder in der Reisebranche arbeitet, muss die Möglichkeit haben, sich während des gesamten Erwerbslebens opti- mal weiterzuentwickeln. Lebenslanges Lernen darf keine leere Worthülse sein. Beschäftigte und Unternehmen profitieren gleicher- maßen von guter Weiterbildung in der Branche. Betriebe sind auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Nur mit gutem und motiviertem Personal, das mehr Qualität und Service gewährleistet, werden wir den wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Tourismus- branche langfristig sichern. Das hat auch die Bundesre- gierung in ihrem Tourismuspolitischen Bericht von 2008 festgestellt. Die Formel lautet: Wer keine guten Ange- stellten hat, wird im Wettbewerb nicht bestehen. Man muss kein Experte sein, um festzustellen: Wer im Touris- mus arbeitet, braucht immer häufiger gute Fremdspra- chenkenntnisse und Erfahrungen im betriebswirtschaftli- chen Bereich, bei Marketing und Servicequalität. Leider haben wir in der Branche nur eine geringe Ta- rifbindung. Die Lobby für die Beschäftigten für eine gute berufliche Weiterentwicklung ist deshalb nicht groß, und Weiterbildung wird oft kleingeschrieben. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten hat festge- stellt, dass durchschnittlich nur 15 von 1 000 Beschäftig- ten im Gastgewerbe eine Weiterbildungsprüfung der IHK absolvieren. Von flächendeckender Weiterbildung sind wir meilenweit entfernt. Wir sagen: Die Unterneh- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26083 (A) (C) (B) (D) men müssen in die Pflicht genommen werden, ihren Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern die Teilnahme an Weiter- bildungen zu ermöglichen. Dazu gehören vor allem verbesserte Regelungen für die Freistellung. Wir brauchen bei der Weiterqualifizierung zudem bundesweite Ansätze, die eine kontinuierliche und syste- matische Qualifizierung ermöglichen. Das von der Bun- desregierung und dem Land Berlin geförderte Deutsche Seminar für Tourismus, DSFT, ist mit seinem überbe- trieblichen und überregionalen Angebot dafür eine wich- tige Institution. Besonders Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter aus kleinen und mittelständischen Betrieben der Branche können so qualifiziert werden. Wir wollen auch, dass die Bundesagentur für Arbeit bestehende Angebote so ausrichtet, dass eine klare För- derstruktur für Umschulungen und Weiterbildungen im touristischen Bereich entsteht. Rund 2,8 Millionen Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt vom Tourismus ab. Wir müssen gerade in der Krise alles dafür tun, die Arbeits- und Ausbildungsplätze in der Tourismusbranche zu halten. Gute Aus- und Wei- terbildungschancen sind dafür unerlässlich. Wir machen so den Arbeitsplatz Tourismus attraktiver und damit den Deutschlandtourismus zukunftsfest. Jens Ackermann (FDP): Zu Beginn möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich bei Ihnen herzlich für die Geburtstagsglückwünsche zu bedanken. Ich freue mich sehr, dass in der letzten Sitzungswoche noch einmal über die große Bedeutung der Aus- und Weiterbildung in der Tourismuswirtschaft gesprochen wird. Es steht außer Frage, dass gerade diesem Thema nicht genug Aufmerk- samkeit geschenkt werden kann. Im Antrag der Regierungskoalition liest man von all den Ideen zur Verbesserung der Ausbildung im Sektor der Tourismuswirtschaft, aber wer soll denn ausbilden, wenn nach und nach die ausbildenden Betriebe wegbre- chen. Wer soll die Absolventen der Fachhochschulen und Universitäten einstellen? Gerade die Tourismus- branche hat sehr unter der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent gelitten. Daher wollten und wollen wir Liberalen ein Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 Pro- zent für Gastronomie und Hotellerie. Aber genau das wird leider von der Koalition verhindert. Nach einer kurzen Aussprache wurde in der gestrigen Sitzung des Wirtschaftsausschusses unser Antrag zur Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Hotellerie und Gastronomie zum wiederholten Male auf Betreiben der Koalition abgesetzt. Auch im Finanzaus- schuss wurde der Antrag abgesetzt. Da es sich um die letzten Ausschusssitzungen in der letzten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages in dieser Legislaturperiode handelt, bedeutet dies, dass unser Vorstoß für mehr Wett- bewerbsfähigkeit des deutschen Gastgewerbes an Union und SPD gescheitert ist. Mit Verfahrenstricks hat die Ko- alition mehrfach die Beratung des FDP-Antrags verhin- dert. Da fragt man sich doch, wie es mit der Branche und vor allem mit den vielen Mittelständlern weitergehen soll. Ich fordere die CDU/CSU auf, sich vor der Wahl unmissverständlich für die Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für das Gastgewerbe zu positio- nieren. Der Antrag spricht davon, die Attraktivität der Ausbil- dung weiter zu erhöhen. Besitzt nicht ein krisensicherer Arbeitsplatz in heutigen Zeiten die größte Attraktivität? Aber aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situa- tion und der besonders schweren Situation zum Beispiel im Gastgewerbe und der Hotellerie scheuen sich immer mehr potenzielle Arbeitgeber, überhaupt noch einzustel- len, geschweige denn auszubilden. Neue Arbeits- und Ausbildungsplätze können nur durch eine konsequente Verbesserung der touristischen Rahmenbedingungen entstehen. Leider werden aber die notwendigen Freiräume für die überwiegend mittelständi- schen Unternehmen der Tourismuswirtschaft in Deutsch- land zunehmend durch eine ausufernde Bürokratie be- schnitten. Durch immer neue Regulierungen im ohnehin schon verkrusteten deutschen Arbeitsrecht wird die Schaffung neuer Jobs verhindert. Gerade im Bereich der Ausbildung kommt ein weiteres Problem hinzu – als hät- ten wir nicht schon genug –: die Arbeitszeiten für Jugend- liche. Im Jugendarbeitsschutzgesetz müssen die Arbeitszei- ten für Jugendliche von 22.00 auf 23.00 Uhr ausgedehnt werden. Das erhöht die Chancen von Haupt- und Real- schülern auf einen Ausbildungsplatz. Das wäre ein realer Schritt in Richtung Verbesserung der Ausbildung. Die Hotels müssen bei den Rundfunkgebühren und der Ka- belweiterleitung entlastet werden. Ich finde es unge- recht, einem Azubi noch das Trinkgeld besteuern zu wollen. Auch wir Liberalen im Deutschen Bundestag sind für die Stärkung der dualen Ausbildung, weil damit den tou- ristischen Wünschen und Bedürfnissen, zum Teil auch durch die Schaffung neuer Berufsbilder, entsprochen werden kann und soll. Das Deutsche Seminar für Frem- denverkehr, das die zentrale Weiterbildungseinrichtung in der deutschen Tourismuswirtschaft ist und für dessen angemessene Finanzierung auch in Zukunft gesorgt wer- den muss, hat hier eine Schlüsselfunktion. Alles in allem ist dieser Antrag gut gemeint, fasst er doch die Berichte der Tourismuswirtschaft der letzten Jahre gut zusammen und stellt insgesamt gute Ideen zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung in Aussicht. Dennoch ist er leider etwas unkonkret. Wer in einem An- trag ernsthaft nur „hinwirken“, „prüfen“ oder „anregen“ möchte, der macht den gesamten Antrag etwas schwam- mig. Aber – und da ist auch den Liberalen die Idee zu wertvoll, als sie nicht zu unterstützen – wir können dem Antrag zustimmen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Erst gestern erblickte der hier zur Diskussion stehende Antrag der Koalitions- fraktionen das Licht der Öffentlichkeit, und nur Kraft der parlamentarischen Mehrheit kam dieser Antrag noch kurzfristig auf die heutige Tagesordnung und soll nach Reden, die nur zu Protokoll gegeben werden – ohne wei- tere Erörterung im Tourismusausschuss – sofort abge- stimmt werden. Da schon seit längerem bekannt ist, 26084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) wann der Bundestag seine normale parlamentarische Ar- beit mit Blick auf Sommerpause und Bundestagswahl beenden wird, bleibt an die Adresse der Koalition die Frage, warum dieser Antrag nicht früher auf den Tisch kam und nun so eilbedürftig ist. Auch nachdem ich die- sen Antrag gelesen habe, kann ich diese Frage nicht be- antworten. Der Antrag enthält nichts, was nicht schon seit langer Zeit bekannt ist, und auch nichts, wo diese Bundesregierung anders als bisher handeln müsste, be- vor sie ihren Dienst quittiert. Ja, der Antrag ist nicht ein- mal wahlkampftauglich. Ich hoffe, dass viele Personen, die sich in der Touris- muspolitik und in der Tourismuswirtschaft engagieren, und vor allem die Menschen, die auf Gebieten des Tou- rismus lehren, lernen, studieren oder forschen, sich die- sen Antrag genauer ansehen. Er ist ein hervorragendes Beispiel, mit welcher inhaltlichen und sprachlichen Qua- lität, mit welchem Maß an Konkretheit, Umsetzbarkeit und Finanzierbarkeit die Regierungsfraktionen CDU/ CSU und SPD Tourismuspolitik betreiben. Ich bin auch gespannt, welchen Beitrag dieser Antrag bzw. der heu- tige Beschluss des Bundestages leisten wird, um die Aus- und Weiterbildung in der Tourismuswirtschaft im realen Leben zu verbessern. Das Thema der Aus- und Weiterbildung ist zu wichtig, um es mit einem solchen Antrag und ein paar ironischen Anmerkungen meiner- seits abzuhaken. Nehmen wir nur das Thema „Barrierefreier Touris- mus“ etwas genauer in Augenschein. In der UN-Behin- dertenrechtskonvention werden die Staaten aufgefordert, alles zu tun, damit Menschen mit Behinderungen umfas- send am Leben in der Gesellschaft teilhaben können. Die Teilhabe am Tourismus wird in der Konvention extra ge- nannt. Deswegen betrachte ich es als Erfolg, dass das Thema „Barrierefreier Tourismus“ sich im Tourismus- ausschuss durch die gesamte Wahlperiode gezogen hat und dort auch nicht nur das „Privatvergnügen“ eines ein- zelnen Abgeordneten war. Auch in den Tourismuspoliti- schen Leitlinien der Bundesregierung steht dieses Thema weit oben auf der Agenda. Im wirklichen Leben – und dies hat auch der Tourismusausschuss auf seinen Reisen mit mir sehr plastisch erfahren – gibt es noch viel zu tun, um eine durchgängig barrierefreie Tourismus- kette zu gewährleisten. Das beginnt bei der Planung und Buchung der Reise, setzt sich dann bei der An- und Ab- reise, der Mobilität vor Ort, der Barrierefreiheit im Ho- tel, den Gaststätten, touristischen Sehenswürdigkeiten und der örtlichen Infrastruktur fort. Immer wieder haben wir erlebt, dass das Personal in den touristischen Ein- richtungen sehr unsicher im Umgang mit Menschen mit Behinderungen ist, weil sie deren Bedürfnisse und An- forderungen nicht kennt und nur unzureichend und unge- nau Auskünfte über bestehende Barrieren in ihren Ein- richtungen und umliegenden touristischen Angeboten erteilen können. Wir haben Hotels und gastronomische Einrichtungen besucht, wo die Eigentümerinnen und Ei- gentümer mit viel Engagement und Geld versucht haben, ihre Einrichtung möglichst barrierefrei zu gestalten. Aufgrund fehlenden fachlichen Wissens kam es trotz- dem zu falschen, hässlichen oder unpraktischen Lösun- gen. Hier hätte der richtige Rat, zum Beispiel von ge- schulten Architektinnen und Architekten, und die Einbeziehung von Sachverstand von Vertreterinnen und Vertretern aus der Behindertenbewegung zum Teil mit deutlich weniger Aufwand und Geld Besseres bewirken können. Deswegen war für mich inakzeptabel, dass das Deut- sche Seminar für Touristik, DSFT, ein Verein, der seit vielen Jahren überwiegend von Steuergeldern lebt, Wei- terbildungsangebote zu allen möglichen Themen offe- rierte, aber fast nichts zum Thema „Barrierefreier Tou- rismus“. Persönliche Gespräche sowie Diskussionen im Tourismusausschuss und im Beirat des DSFT haben in- zwischen dazu beigetragen, dass das Thema einen ande- ren Stellenwert im Weiterbildungsprogramm des DSFT einnimmt – hier überwiegend nicht als Extra-Seminare, sondern implantiert – in Zusammenarbeit mit der NatKo – in viele andere Seminarangebote. Inakzeptabel bleibt für mich, dass die 1999 gegründete Nationale Koordinie- rungsstelle Tourismus für alle e. V., NatKo – ein Zusam- menschluss von sieben Behindertenverbänden – so ge- ringe Unterstützung der Bundesregierung erhält, und dies auch nicht durch das für Tourismus zuständige Wirt- schaftsministerium, sondern durch das Gesundheitsmi- nisterium. Dies sollte zu Beginn der nächsten Wahlpe- riode endlich geändert werden. Erstaunt war ich, als auf der ITB 2009 der Direktor ei- ner Fachhochschule in Niedersachsen, wo angehende Tourismuswissenschaftlerinnen und Tourismuswissen- schaftler studieren, an seinem Stand antwortete, dass für solche Nischenthemen wie „Barrierefreier Tourismus“ in einem sechssemestrigen Bachelor-Studium kein Platz sei. Die Leiterin der Berufsschule für Tourismus in Berlin be- klagte, dass dieses Thema in den vorhandenen Lehrbü- chern und -materialien keine bzw. nur eine untergeord- nete Rolle spiele. Wird sich dies nun mit dem vorliegenden Koalitionsantrag ändern? Ich glaube kaum, wenn ich mir anschaue, was die Koalition dazu in ihrem Antrag feststellt und von der Bundesregierung fordert. Auch zu anderen Fragen bestünde Diskussionsbedarf, zum Beispiel zu Ausbildungsangeboten für junge Men- schen mit Behinderungen oder für Menschen mit Migra- tionshintergrund. Da die Koalition daran scheinbar kein Interesse – mehr – hat, kann ich abschließend nur zusa- gen, dass die Linke dafür sorgen wird, dass das Thema in der nächsten Wahlperiode wieder auf die Tagesordnung kommt, und dies nicht erst wieder kurz vor der Wahl. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich muss schon sagen, dass der Zeitpunkt – auf den letz- ten Drücker –, zu dem die Koalitionsfraktionen einen solchen Antrag an die eigene Regierung stellen, prinzi- piell Grund genug für eine Ablehnung wäre. Doch auch wenn uns der Antrag in einigen Bereichen nicht weit ge- nug geht, tut ein Großteil der Forderungen dem Touris- musbereich inhaltlich sicher gut. Deshalb werden wir uns heute enthalten. Schade nur, dass der Antrag erst jetzt kommt. Urlaubsgäste sollen sich in einer Destination wohlfüh- len, und das hängt vor allem davon ab, wie die Leistungen an den Gast herangetragen werden. Die Tourismusunter- nehmen und deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen neh- men hier eine Schlüsselrolle ein. Schließlich sind die tou- ristischen Produkte vergleichbar, Menschen hingegen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26085 (A) (C) (B) (D) nicht. Das ist ein sehr wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Es ist deshalb richtig, einen Schwerpunkt der Ausbil- dungstätigkeit auf die Qualität der touristischen Akteure zu legen. Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir hier zu- kunftsorientierte Maßnahmen entwickeln müssen, denn der Tourismus hat Zukunft. Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf die touristische Wettbewerbsfähigkeit. Ausbildungskonzepte sollten sich daher an einer langfristig verwertbaren Grundbildung orientieren. Nur so kann die beruflich notwendige Flexi- bilität zwischen unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern auch branchenübergreifend gesichert werden. Da ist si- cherlich noch viel zu tun. Schlüsselqualifikationen, also persönliche Kompetenzen wie Freundlichkeit, Erschei- nungsbild, Organisations- und Improvisationstalent, die den Umgang mit dem Gast und auch die Leistungsbereit- schaft erfassen, müssen neben den Berufskompetenzen unbedingt im Vordergrund der Ausbildung stehen. Aber auch der Umweltschutz und das Ziel der Barrierefreiheit müssen stärker als bisher in die Ausbildung integriert werden. Dabei kommen mir die letzten beiden Aspekte in Ihrem Antrag eindeutig zu kurz. Aus- und Weiterbildung auf breitester Ebene ist ein wesentliches Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft. Wenn der Gast sich wohlfühlt, kommt er auch gerne wieder. Allerdings muss sich die Aus- und Weiterbildung in der Tourismusbranche auch auf einen wachsenden Onlinereisemarkt einstellen. Das wird vor allem das klassische Berufsbild des Reiseverkehrskauf- manns oder der Reiseverkehrskauffrau mehr und mehr verändern. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat erst letzte Woche veröffentlicht, dass immer mehr Deutsche in den Urlaub „surfen“. Der Onlinereisemarkt hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt. Inzwischen wird jeder vierte „Reise-Euro“ via Internet ausgegeben. Dabei wer- den Onlineportale gerade von Personen mit hohem Ein- kommen genutzt, ein kaufkräftiges Potenzial, welches vielen kleinen und mittelständischen Reisebüros verloren geht. Wir müssen den Aus- und Weiterbildungsbereich der Tourismuswirtschaft auch in der nächsten Legislatur im Auge behalten, denn nur mit qualitativen Alleinstellungs- merkmalen können wir unsere Marktposition gegen starke Wettbewerber behaupten. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhe- bung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG) (Zu- satztagesordnungspunkt 9) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Die Bewältigung und Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts be- schäftigt uns mehr als 64 Jahre nach dem Ende des ver- brecherischen NS-Regimes immer noch. Erneut befas- sen wir uns heute mit der Thematik der pauschalen Aufhebung von NS-Strafurteilen, und zwar von Urteilen gegen sogenannte Kriegsverräter. Eine pauschale Aufhebung von NS-Strafurteilen ist bereits in zwei Gesetzgebungsverfahren erfolgt. Durch § 1 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozia- listischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege – NS- AufhG – vom 25. August 1998 wurden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß ge- gen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhal- tung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Diese Globalklausel wurde durch Regelbeispiele in § 2 NS-AufhG konkretisiert, um die deklaratorische Fest- stellung durch die Staatsanwaltschaft, dass ein bestimm- tes Urteil aufgehoben ist, zu erleichtern. Für die von den Regelbeispielen nicht erfassten Fälle ist eine Einzelfall- prüfung durch die Staatsanwaltschaft erforderlich. Der Gesetzgeber hat diesen Katalog des § 2 NS-AufhG mit Gesetz vom 23. Juli 2002 – BGBl. I S. 2714 – nochmals erweitert und darin die §§ 175, 175 a RStGB sowie ein- zelne Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches, unter anderem Desertion, Feigheit vor dem Feind, unerlaubte Entfernung aufgenommen. Der Gesetzgeber hatte noch bei der letzten Änderung des NS-AufhG, also zu Zeiten, in denen Rot-Grün Regie- rungsverantwortung trug, bewusst davon abgesehen, Ver- urteilungen wegen Kriegsverrats nach dem Militärstraf- gesetzbuch – MStGB §§ 57, 59 und 60 – per se als nationalsozialistisches Unrecht zu qualifizieren und in den Katalog des § 2 NS-AufhG aufzunehmen. In der Ge- setzesbegründung – Drucksache 14/8276 – heißt es hierzu wörtlich: Es finden sich im MStGB eine ganze Reihe von Straftatbeständen, bei denen die Aufhebung des Ur- teils ohne Einzelfallprüfung nicht verantwortbar er- scheint. Beispielhaft seien hier der Kriegsverrat, die Plünderung, die Fledderei sowie die Misshandlung von Untergebenen genannt. Bei diesen Delikten ver- mag auch der Umstand, dass sie während eines völ- kerrechtswidrigen Angriffskrieges begangen wurden, keinen Anlass zur Rehabilitierung zu begründen. Aus diesen Gründen war die Aufnahme von genau zu benennenden Vorschriften des MStGB in die An- lage zu § 2 erforderlich. In dem Rohentwurf der Bundesregierung zu dem Ge- setzgebungsvorhaben war hinsichtlich des Kriegsverrats sogar noch folgender Satz enthalten: So erscheint der in Fällen des Kriegsverrats gege- bene Unrechtsgehalt (nicht auszuschließende Le- bensgefährdung für eine Vielzahl von Soldaten) äu- ßerst hoch. An dieser Sichtweise haben bisher alle Bundesregie- rungen und die jeweiligen politischen Mehrheiten im Deutschen Bundestag bis in diese Legislaturperiode hi- nein festgehalten. Ich zitiere aus der mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 15. Juni 2006 über- mittelten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine 26086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Anfrage der Fraktion Die Linke – Drucksache 16/1849 – zu der Frage, ob der Kriegsverrat im Nationalsozialis- mus verurteilenswert sei: Die Frage lässt sich nur im konkreten Einzelfall be- antworten. Dabei kommt es darauf an, ob infolge des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevöl- kerung und/oder deutschen Soldaten zu beklagen waren oder ob infolge des Verrats derartige Opfer gerade vermieden wurden. Der Gesetzgeber hat sich deshalb nach Auffassung der Bundesregierung zu Recht dafür entschieden, bei der Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Un- rechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) für diese Fälle eine pauschale Aufhebung abzuleh- nen und es bei der Einzelfallprüfung zu belassen. § 1 NS-AufhG erfasst u. a. strafgerichtliche Ent- scheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus „mili- tärischen“ Gründen ergangen sind. Dementspre- chend sind grundsätzlich auch Urteile wegen Kriegsverrats, die diese Voraussetzungen erfüllen, bereits heute durch Gesetz aufgehoben. Neuere Erkenntnisse von Historikern und Rechtswis- senschaftlern veranlassen uns nunmehr, diese Haltung aufzugeben. Alle bisher untersuchten Fälle zeigen, dass sowohl Soldaten als auch Zivilisten für ganz unterschiedliche Handlungen wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt wurden: eine politisch widerständige Gesinnung, Solida- rität mit verfolgten Juden, Hilfe für Kriegsgefangene oder Unbotmäßigkeiten gegenüber Vorgesetzten. Fälle, denen zufolge als „Kriegsverräter“ Verurteilte zum Nachteil Dritter gehandelt hätten, sind bislang nicht nachgewiesen worden. Deshalb muss man gegenwärtig davon ausge- hen, dass der Tatbestand des Kriegsverrats als Instrument der NS-Justiz fungierte, um willkürlich nahezu jedwedes politisch missliebige Verhalten mit dem Tode bestrafen zu können. Hinzu kommen neuerdings Stimmen aus der Rechts- wissenschaft, die den Tatbestand des Kriegsverrats, so wie ihn die Nationalsozialisten gestaltet hatten, für mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechterdings unverein- bar halten. Ein Gutachten, das das Bundesministerium der Justiz im Frühjahr 2009 bei dem ehemaligen Bun- desverfassungsrichter Hans Hugo Klein in Auftrag gege- ben hat, kommt aus folgenden Gründen zu diesem Schluss: Durch die Änderung des Militärstrafgesetzbuches vom 23. November 1934 wurde in § 57 MStGB auf den im Zuge der sogenannten Verratsnovelle vom 24. April 1934 zuvor drastisch verschärften § 91 b des Strafge- setzbuchs für das Deutsche Reich verwiesen und als al- leinige Strafdrohung die Todesstrafe eingeführt. Die Weite des Straftatbestands in Verbindung mit der absolu- ten Strafdrohung diente dem NS-Regime – so Klein – als Instrument „zur unnachsichtigen Verfolgung jeder der nationalsozialistischen ‚Bewegung‘ feindlich oder auch nur ablehnend begegnenden Gesinnung“. Aufgrund der praktisch unbegrenzten tatbestandlichen Voraussetzun- gen sei die Verhängung der Todesstrafe auch für ver- gleichsweise geringfügige Verstöße unausweichlich ge- wesen. Damit sei § 57 MStGB sowohl in Ansehung des Tatbestandes als auch der Rechtsfolgen mit dem rechts- staatlichen Bestimmtheitsgrundsatz unvereinbar. Unter Berücksichtigung dieser historisch-ethischen und juristischen Gründe halten wir eine pauschale Auf- hebung von Verurteilungen wegen „Kriegsverrats“ nun- mehr für geboten. Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute einen Gesetzentwurf der Koalition in das parlamentarische Verfahren einbringen, damit die Ehre der wegen des sogenannten Kriegsverrats Verurteilten wiederhergestellt werden kann. Der Appell, den ich an die Kolleginnen und Kollegen von der Union gerichtet habe, einen gemeinsamen Gesetzentwurf noch in dieser Wahlperiode zu ermöglichen, hatte Erfolg. Mit dem Gesetz, das wir heute auf den Weg bringen, heben wir alle Todesurteile gegen sogenannte Kriegsver- räter pauschal auf. Das ist eine richtige und – wie ich meine – überfällige Entscheidung, für die sich die SPD- Bundestagsfraktion seit langem eingesetzt hat. Deshalb ist das heute ein guter Tag für viele Opfer der NS-Justiz. Denn heute sorgen wir dafür, dass es endlich Gerechtig- keit für eine lange vergessene Opfergruppe gibt. Die vollständige Rehabilitierung der „Kriegsverräter“ ist das Ergebnis eines historischen Lernprozesses, manche haben schneller dazugelernt, bei anderen hat das etwas län- ger gedauert. Dass es am Ende dieser Legislaturperiode doch noch gelungen ist, auch unseren Koalitionspartner zu überzeugen, freut mich sehr. Historisch ist heute unstreitig: Der Zweite Weltkrieg war ein verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungs- krieg. Je länger er dauerte, desto länger dauerte das Ster- ben und Morden, desto mehr Menschen wurden zum Opfer des Naziregimes. Sie starben als Soldaten an der Front, als Bombenopfer in den deutschen Städten und in den Gaskammern der KZs. Wer bei diesem Krieg nicht mitmachte, wer sogar half, dass diese Barbarei früher beendet wurde, der han- delte nicht kriminell. Kriminell war vielmehr das Re- gime, das mit willfährigen Richtern und juristischen Gummiparagrafen im Rahmen einer „unbegrenzten Aus- legung“ – Bernd Rüthers – jeden zu Tode brachte, der bei dem Morden nicht mehr mitmachen wollte. Unrecht begingen nicht die Opfer, Unrecht begingen die Täter, und deshalb können diese Urteile keinen Bestand haben. Sie müssen pauschal aufgehoben werden. Was es mit diesem Delikt „Kriegsverrat“ und den Menschen, die deswegen verurteilt worden sind, auf sich hatte, war lange Zeit nicht bekannt. In früheren Ausei- nandersetzungen ging es um die Rehabilitierung von De- serteuren und „Wehrkraftzersetzern“. Der Tatbestand des Kriegsverrats spielte keine Rolle, zumal eine bis vor kur- zem herrschende Meinung dagegen angeführt werden konnte. So konnte es geschehen, dass in dem langen Ka- talog des Gesetzes zur Aufhebung des NS-Unrechts Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26087 (A) (C) (B) (D) zwar annähernd 100 Straftatbestände aufgelistet sind, aber der Kriegsverrat fehlt. Inzwischen wissen wir, was es mit diesem Delikt auf sich hat. Das verdanken wir der Studie der Militärhistori- ker Wolfram Wette und Detlef Vogel sowie dem juristi- schen Gutachten, das der frühere Bundesverfassungsrich- ter Hans Hugo Klein für das Bundesjustizministerium erstellt hat. Professor Klein zeigt, dass der Tatbestand des Kriegs- verrats von den Nationalsozialisten so verändert wurde, dass er den Anforderungen, die man an rechtsstaatliche Strafvorschriften stellen muss, nicht mehr genügte. Der Tatbestand war uferlos und unbestimmt. Er ermöglichte dem Regime, jede Form von abweichendem Verhalten oder auch nur kritischer Gesinnung unter dem Begriff des Kriegsverrats zu subsumieren. Auf der Rechtsfol- genseite war als einziges Strafmaß die Todesstrafe vor- gesehen. Dies führte dazu, dass schon geringste Verstöße die Tötung zur Folge hatten. Professor Klein kommt da- her zu dem Schluss, dass der Straftatbestand des Kriegs- verrats mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechter- dings unvereinbar war. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Untersu- chungen zur Urteilspraxis. Die Studie von Wolfram Wette zeigt, dass Soldaten und Zivilisten für ganz unter- schiedliches Verhalten hingerichtet worden sind: für politischen Widerstand, für Hilfe für verfolgte Juden oder für Unbotmäßigkeiten gegenüber Vorgesetzen. Die Studie von Professor Wette liegt uns seit Sommer 2007 vor. Seit dem Frühjahr dieses Jahres gibt es das Gutachten von Professor Klein. Beide zusammen ma- chen deutlich, dass kein Urteil, das wegen Kriegsverrat ergangen ist, rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Trotzdem war es nicht einfach, dieses Projekt zu einem guten Abschluss zu bringen. Mein Dank gilt daher allen, die sich für die vollständige Rehabilitierung der „Kriegs- verräter“ eingesetzt haben. Ich danke dem Verband der Opfer der NS-Militärjustiz um Ludwig Baumann, den engagierten Historikern wie Wolfram Wette und auch Helmut Kramer, der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und schließlich den Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen, die immer wieder Druck gemacht haben. Sie alle haben mit ihrem Engagement mitgehol- fen, dass auch jene Opfer der NS-Justiz endlich Gerech- tigkeit erfahren, die wir viel zu lange vergessen haben. Christine Lambrecht (SPD): Heute ist ein besonde- rer Tag, ein Tag, der für die Betroffenen ein Tag der Ge- nugtuung ist und hoffentlich hilft, Frieden mit dem eige- nen Schicksal zu schließen. Gewiss, nach unserem heutigen Kenntnisstand gibt es niemanden, der während der NS-Zeit wegen „Kriegsver- rats“ verurteilt wurde, der heute noch lebt. Die meisten wurden sofort hingerichtet. Doch auch Toten müssen wir Gerechtigkeit zukommen lassen. Wie viele Frauen hat es gegeben, die in der Nazizeit und auch danach damit leben mussten, dass sie von ih- rem Umfeld, den Nachbarn, dem Kaufmann, dem örtli- chen Polizisten oder vielleicht sogar eigenen Verwand- ten geschnitten und verachtet wurden, weil ihr Mann als „Kriegsverräter“ galt? Wie viele Kinder haben in dieser Zeit erleben müssen, dass sie von den Kindern der Nach- barschaft, in der Schule gedemütigt wurden, vielleicht sogar geschlagen und bespuckt, weil die Eltern der ande- ren Kinder über sie sagten, der Vater sei ein „Kriegsver- räter“ gewesen? Wie viele von ihnen haben über Jahr- zehnte versucht, den toten Vater von dieser Schmach freizumachen und ihn so darzustellen, wie er war: ein Mann, der als einfacher Soldat vielleicht ein kritisches Wort gesagt hat oder einfach nur kritische Kameraden nicht verraten hat oder der versucht hat, Kriegsgefange- nen oder Juden zu helfen, und der dafür sein Leben las- sen musste; verurteilt von „furchtbaren Juristen“, die aufgrund von Recht geurteilt haben, das angesichts sei- ner Menschenverachtung und Willkürlichkeit diesen Na- men nicht verdient hat? Wie viele sind dabei in Behörden, bei Staatsanwälten und Gerichten vor eine Wand gelaufen? Wie viele haben das erlittene Unrecht des Vaters und das eigene in sich hineingefressen und sind daran zerbrochen? Vor allem für diese Menschen setzen wir heute einen parlamentarischen Prozess in Gang, der zur vollständi- gen Rehabilitierung der in der NS-Zeit wegen Kriegsver- rats verurteilten Menschen führen wird, spät, sehr spät, aber doch nicht zu spät. Juristisch gesehen ist der Sachverhalt so nüchtern: Durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege – NS-AufhG – vom 25. August 1998 werden nach § 1 verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen aufgehoben, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Auf- rechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsre- gimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiö- sen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind. Die genannten Entscheidungen betreffen nach § 2 des Geset- zes unter anderem auch solche, die auf den in der Anlage zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG genannten gesetzlichen Vor- schriften beruhen. Nicht erfasst werden durch die Regelung aber bisher Verurteilungen wegen Kriegsverrats nach den §§ 57, 59, 60 des Militärstrafgesetzbuches, obgleich sie rechtsstaat- lichen Grundsätzen nicht entsprechen, weil sie tatbe- standlich nicht hinreichend bestimmt sind. Unser Entwurf sieht nun vor, die Strafvorschriften des Militärstrafgesetzbuches wegen Kriegsverrats ebenfalls in die Anlage zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG aufzunehmen, ein einfacher Schritt, der doch über 60 Jahre gedauert hat. Die Gründe dafür aufzuführen ist hier nicht der Platz. Ich möchte allen danken, die diesen Prozess ange- schoben und begleitet haben. Ich danke denen, die 60 Jahre keine Ruhe gegeben haben. Ich danke den Kolle- gen, die dieses Thema immer wieder in das parlamenta- rische Verfahren gebracht haben. Ich danke denen, die an den Texten gefeilt haben und die das Ganze in eine juris- tisch korrekte Form gebracht haben. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen, den Abgeordnetenbüros und in der Bun- 26088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) destagsverwaltung, die geholfen haben, dass der ganze Prozess immer fristgemäß und nach allen Vorschriften verlaufen ist. Ich danke vor allem den Kolleginnen und Kollegen, die unseren Gesetzesentwurf, nämlich einer Gruppe von Abgeordneten, unterzeichnet haben. Viele brauchten dazu ein wenig Mut. Doch damit konnten wir das fast schon gescheiterte Projekt noch einmal ins Rollen und schließlich zum Durchbruch bringen. Ich danke dabei ausdrücklich den Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU und FDP, die dafür gesorgt haben, dass dieser Ge- setzentwurf von Vertretern aller Fraktionen unterstützt wurde. Zu guter Letzt danke ich den Fraktionsspitzen, die trotz anfänglicher Bedenken und Einwände schließlich doch den Weg frei gemacht haben, damit wir die voll- ständige Rehabilitierung der Menschen, die wegen „Kriegsverrats“ verurteilt wurden, am 26. August 2009 beschließen können, sechs Tage vor dem 70. Jahrestag des Überfalls des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen, der den zweiten Weltkrieg auslöste und über 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Ich denke, das wird ein gutes Zeichen für alle Opfer des NS-Regimes und ihrer Hinterbliebenen, und es macht einmal mehr deutlich, dass sich der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung vor der Geschichte bewusst ist. Jörg van Essen (FDP): Ich habe mir lange überlegt, ob ich die mir zustehende Redezeit hier nutzen soll. Ich tue es nicht. In der Tat: Die Absicht dieses Gesetzent- wurfs ist uneingeschränkt ehrenwert und in ihrer Aus- sage auch richtig. Deswegen hat die FDP auch keinen Augenblick gezögert, diesen Gesetzentwurf mit einzu- bringen. Bei einem so sensiblen Thema wie dem Um- gang mit Opfern der NS-Diktatur ist die Gemeinsamkeit der demokratischen Fraktionen ein Wert an sich. Dennoch bleibt meine Sorge, dass von der heutigen Debatte das falsche Signal ausgehen könnte, nämlich, dass die NS-Unrechtsurteile noch in der Welt sind. Sie sind es nicht. Ich habe schon 2002 in der Debatte um das erste Änderungsgesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege klargestellt, dass es für die FDP selbst- verständlich ist, dass alle NS-Unrechtsurteile bereits 1998 aufgehoben worden sind. Noch zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition ist das erste Gesetz zur Aufhe- bung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Straf- rechtspflege auf den Weg gebracht worden. Nochmals: Der Deutsche Bundestag hat schon mit diesem Gesetz alles NS-Unrecht pauschal und ohne Begrenzung aufge- hoben. Meine Sorge ist: Gut gemeinte erneute Debatten verstören die Opfer eher, als dass sie helfen. Gleichzeitig möchte ich natürlich auch nicht den ge- ringsten Zweifel daran aufkommen lassen, dass auch meine Fraktion diese Schandurteile aus der NS-Zeit be- schämend findet. Deshalb tragen wir den Gesetzentwurf im Ergebnis auch mit. Die Opfer der NS-Unrechtsjustiz sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag diese Schandurteile nicht schützt. Erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung: Ich war sehr irritiert, wie schamlos die Linke in den letz- ten Wochen bei diesem Thema auf dem Rücken der Op- fer Politik betrieben hat. Ich war empört, wie die Opfer der für jeden anständigen Juristen beschämenden NS- Unrechtsjustiz für politische Strohfeuer von interessier- ter Seite nochmals zu Opfern gemacht wurden. Ich gebe gerne zu, dass ich mit großem Interesse die schlüssigen Ausführungen des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Professor Dr. Hans Hugo Klein, gelesen habe. Ich habe den Eindruck, dass es vor allem seinem Sachverstand und der nüchternen juristi- schen Analyse zu verdanken ist, dass wir heute diesen interfraktionellen Gesetzentwurf beraten können. Ich wäre dankbar, wenn ein Ergebnis dieses Gesetz- gebungsverfahrens wäre, dass in diesem Hohen Haus Ei- nigkeit darüber besteht, dass wirklich kein NS-Unrecht mehr im Raum steht. Die Welt darf darauf vertrauen, dass das deutsche Volk im Sinne der Präambel unseres Grundgesetzes als gleichberechtigtes Glied in einem ver- einten Europa dem Frieden der Welt dienen will. In un- serem Rechtsstaat gibt es keinen Platz für NS-Unrechts- urteile. Jan Korte (DIE LINKE): Am 18. September 1943 wurde der Soldat Adalbert von Springer wegen „Kriegs- verrat“ hingerichtet. Sein Vergehen: In einem Flugblatt hatte er Offiziere aufgefordert, den Krieg zu beenden. Ein Soldat, der versucht hatte, 13 jüdische Menschen vor ihrer Ermordung in Ungarn zu retten, wurde am 9. Mai 1944 wegen „Kriegsverrat“ hingerichtet. Der Gefreite Robert Albrecht setzte sich für britische Kriegsgefan- gene ein. Am 5. August 1942 wurde er deshalb wegen „Kriegsverrat“ zum Tode verurteilt. Und: Oberstleutnant Harro Schulze-Boysen, maßgeblicher Kopf der Wider- standsgruppe „Rote Kapelle“, wurde mit vielen anderen unter anderem wegen Kriegsverrat am 19. Dezember 1942 verurteilt und hingerichtet. Diese zuvor genannten Beispiele machen die ganze Dimension der heutigen Debatte deutlich. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als darum, diese bewun- dernswerten Menschen aus der Sphäre der Vorbestraft- heit und der Stigmatisierung zu befreien. Es geht darum, ihnen die Anerkennung und den Respekt des Bundesta- ges zu geben. Auch wenn nach heutigem Erkenntnis- stand keiner der sogenannten Kriegsverräter mehr leben dürfte, so wird durch die pauschale Rehabilitierung zu- mindest deren Angehörigen ein wichtiges Signal der An- erkennung zuteil. Die nunmehr vorliegenden Gesetzent- würfe tilgen einen weiteren Skandal in der Geschichte des Umgangs mit der NS-Justiz in der Bundesrepublik. Neben dieser Frage der praktischen Rehabilitierung bedeutet der heutige Tag aber auch eine unschätzbare Klarstellung: Die NS-Militärjustiz war unzweideutig Be- standteil der nationalsozialistischen Terror-, Willkür- und Vernichtungspraxis. Es gab keine saubere NS-Justiz und erst recht keine saubere NS-Militärjustiz. Es waren Mörder in Roben! Dieses heute ein für alle Mal klarzu- stellen, ist ein wichtiger Schritt. Bereits 1999 analysierte der Politologe Joachim Perels anhand eines wegweisen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26089 (A) (C) (B) (D) den Urteils des Bundessozialgerichts mit Blick auf die NS-Militärjustiz: Das Gericht erkennt, dass die – als Teil der diktatorischen Exe- kutivgewalt fungierende – Militärgerichtsbarkeit wesentlich keinen rechtsstaatlichen Charakter be- saß. Das Gericht charakterisiert die Militärjustiz mit dem Schlüsselbegriff Fraenkels als Teil des Maßnahmenstaates, der individuelle und kommuni- kative Rechtspositionen zu politischen Machtzwe- cken beliebig beseitigen kann. Durch dieses Urteil und durch das Engagement von kritischen Wissenschaftlern, kritischen Journalisten und nicht zuletzt durch Ludwig Baumann und seine „Bun- desvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“ konnte Stück für Stück die Lüge vom damaligen Recht, „was heute kein Unrecht sein könne“, zurückgedrängt. Trotzdem: Die Deserteure wurden erst 2002 gegen die Stimmen der CDU/CSU rehabilitiert, und die „Kriegs- verräter“ mussten weitere sieben Jahre warten – eben bis heute. Schon diese enormen Zeitabstände zeigen eines: Es ging und geht um geschichtspolitische Deutungen der NS-Zeit und besonders des Umgangs damit in der Ge- schichte der BRD. Auch die Anerkennung des Widerstandes des 20. Juli, der ja heute zur Staatsräson gehört, musste durch mutige Minderheiten erkämpft werden. In den 50er-Jahren gal- ten diese Leute als „Verräter“ und „Dreckschweine“. Erst der linke Sozialdemokrat und hessische General- staatsanwalt Fritz Bauer erkämpfte im berühmten Remer-Prozess einen anderen Blick. Er machte damals klar: Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begehe, berechtigt jedermann zur Notwehr. – Diese De- batten begleiteten die Geschichte der Bundesrepublik. Ich erinnere an die Debatten über die erste Wehrmachts- ausstellung, den Historikerstreit, die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure und eben die pauschale Rehabili- tierung der Kriegsverräter. Vor dreieinhalb Jahren hat die Fraktion Die Linke ei- nen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Bedenkt man, dass es um offenbare Un- rechtsurteile geht – die für jeden ersichtlich sind –, so waren diese Jahre ein wahrer Krimi, in dem oft nicht an der Sache orientiert diskutiert wurde, sondern in dem Parteitaktik dominierte. Auch das muss heute angespro- chen werden. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Linken waren bis auf die Linke und Bündnis 90/Die Grünen alle anderen Fraktionen gegen dieses Anliegen. Sätze, die in der damaligen Debatte gefallen sind, will ich Ihnen und mir heute ersparen. Die Linke hat immer wieder gesagt, dass sie sogar ihren Gesetzentwurf zu- rückziehen würde, wenn es einen entsprechenden Ge- setzentwurf gäbe, der das gleiche Ziel zum Inhalt hat. Denn nach einiger Zeit war das Anliegen nicht mehr um- stritten, sondern das Hauptproblem war der Entwurfs- verfasser. Schade, dass an solch einer Frage diese Spiel- chen stattgefunden haben! Trotzdem wird der Bundestag am Ende der 16. Wahl- periode nun dieses „letzte Tabu“ beseitigen. Dies wäre ohne beharrliche Diskussionen, ohne die Unterstützung kritischer Journalisten, ohne die Interventionen von Per- sönlichkeiten wie Bischof Huber oder Joachim Gauck, ohne das Engagement von Juristenvereinigungen und nicht zuletzt ohne das ständige Insistieren von Ludwig Baumann nicht möglich gewesen. Auch das Gutachten vom ehemaligen Verfassungsrichter Klein, CDU, hat den Druck noch einmal erhöht. Dass nach über drei Jahren des Diskutierens, des Ver- tagens, des Nervens und des Argumentierens alles inner- halb von einem Tag in den Bundestag kommt, hat auch etwas damit zu tun, dass die Grünen und einige ent- schlossene Mitglieder der SPD bereit waren, einen Ge- setzentwurf einer Gruppe von Abgeordneten zu initiie- ren, der das vorgeschobene und alberne Argument, einer Vorlage der Linken könne man nicht zustimmen, einfach umging. Dass am heutigen Tage nun auch die CDU/CSU bereit ist, die Kriegsverräter ohne Wenn und Aber zu re- habilitieren, ist ein Erfolg, und ich begrüße dies aus- drücklich. Auf Unverständnis stößt in der Gesellschaft aber die nach wie vor bestehende Verweigerungshaltung der CDU/CSU-Fraktion, einen gemeinsamen Gesetzent- wurf aller Fraktionen zur Rehabilitierung heute zu bera- ten. Kauder will die Linke ausgrenzen. Der parlamenta- rische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Dr. Norbert Röttgen, ließ erneut mitteilen, die Linke könne den von den anderen Fraktionen im Hause getragenen Gesetzent- wurf nicht mit einbringen, ausgerechnet die Fraktion, die vor Jahren einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf vorlegte, zu einem Zeitpunkt, als die Union in Person von Herrn Geis noch eine ganz und gar entgegengesetzte Position vertrat. Dies ist kleinkariert. Wir sagen: Sei es drum. Entscheidend ist heute, dass die Rehabilitierung zustande kommt. Das zählt. Fritz Bauer sagte vor vielen Jahren: „Ein Unrechts- staat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochver- ratsfähig.“ Und mit Blick auf die Kriegsverräter kann ich nur sagen: Der Verrat eines verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieges ist keine Straftat – sondern eine Heldentat. – Dies hat der Bundestag heute festgestellt. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ende gut, alles gut. So möchte man heute nur noch we- nige Stunden vor Beginn der parlamentarischen Som- merpause sagen. Ich gebe zu, ich bin erleichtert, dass es quasi in allerletzter Minute gelungen ist, ein wichtiges, ein notwendiges Gesetz auf den Weg zu bringen. Das ist gut für die Betroffenen, das ist aber auch gut für das Par- lament. Wir haben uns alle entschieden, wer die richtige und wer die falsche Seite in Angriffs- und Vernichtungs- krieg war. Bei der Rehabilitierung der Opfer des Zweiten Weltkriegs durfte nicht der Eindruck hängen bleiben, man sei zu keiner gemeinsamen Lösung zwischen den Fraktionen fähig. Die Hartnäckigkeit, mit der wir die vollständige Rehabilitierung dieser Opfergruppen betrie- ben haben, hat sich am Ende ausgezahlt. Was wir heute beschließen, ist längst überfällig. Wir hatten schon unter Rot-Grün dafür gestritten, auch die sogenannten Kriegsverräter zu rehabilitieren. Die dama- lige unselige Debatte über die Deserteure muss heute 26090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) nicht mehr geführt werden. Heute ist die militärge- schichtliche Forschung weiter und sie zeigt deutlich: Wegen Kriegsverrates wurde vor die Schranken der Ter- rorjustiz vor allem gezerrt, wer Gegner des Regimes war. Das konnte Konservative genauso treffen wie Sozialde- mokraten oder Kommunisten. Aufgrund § 57 Militärstrafgesetzbuch musste bei- spielsweise ein Soldat sterben, weil er für die Angehöri- gen eines KZ-Häftlings zwei Reichsmark gespendet hatte. In der Urteilsbegründung machten die Unrechts- richter aus der Spende von Deutschen für Deutsche eine angebliche Hilfe für die Sowjetunion. Und als Rechts- folge für einen Akt von Solidarität und Mitmenschlich- keit drohte der NS-Staat einzig die Todesstrafe an. Diese Rechtsprechung des Terrors erfordert geradezu zwin- gend, die darauf gestützten Urteile aufzuheben. Wir müssen diese Urteile pauschal aufheben. Die Ein- zelfallprüfung hat sich nicht bewährt, und sie wäre den Betroffenen auch nicht zumutbar. Die Sachverständigen haben überzeugend dargelegt, wie schwierig es ist, die damaligen Fälle neu aufzurollen. Es ist ein Unding, dass Lücken im Aktenbestand zulasten der Antragsteller ge- hen. Bei normalen Rehabilitationsverfahren mag das hinnehmbar sein. Aber Kriegsverrat war eben kein nor- maler Straftatbestand, sondern das war politisches Straf- recht des NS-Staates. Die Urteile gehören darum endlich aufgehoben. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Förderung von Ver- trauen, Sicherheit und Datenschutz in E-Go- vernment und E-Business (Zusatztagesord- nungspunkt 10) Clemens Binninger (CDU/CSU): Die Kommunika- tion über das Internet ist aus dem Alltag der Menschen nicht mehr wegzudenken. Mehr als zwei Drittel aller Haushalte in Deutschland haben inzwischen einen Inter- netzugang. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger nutzt die Angebote rege, die das Netz bietet. Man kom- muniziert per E-Mail, beteiligt sich an Diskussionsforen wie Abgeordnetenwatch oder bestellt Bücher und andere Produkte online. Neben den kommerziellen Angeboten der Wirtschaft wächst auch das Dienstleistungsangebot der öffentlichen Verwaltung im Netz zunehmend. Seinen Wahlschein oder eine zusätzliche Lohnsteuerkarte kann man beispielsweise in vielen Städten und Gemeinden in- zwischen online beantragen. Die elektronische Kommunikation ist deswegen so be- liebt, weil sie schnell und günstig ist. Alle Beteiligten pro- fitieren von den Vorteilen, die sie mit sich bringt gleicher- maßen. Dies gilt für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Behörden. Deswegen ist die Informa- tionstechnologie als Schlüsseltechnologie für unser Jahr- hundert so bedeutend wie die Eisenbahn für das 19. und das Auto für das 20. Jahrhundert. Unverzichtbare Grund- lage für die Nutzung elektronischer Kommunikationsmit- tel ist allerdings das Vertrauen der Menschen. Nur wenn elektronische Kommunikationsdienste hohen Standards hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz genügen, finden sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Nur wenn krimineller Missbrauch ausgeschlossen ist, sind Unter- nehmen und Behörden dazu bereit, den Bürgerinnen und Bürgern ihre Dienste auch elektronisch anzubieten. In der Frühzeit des Eisenbahnbaus gab es keine ein- heitlichen Standards. Jeder wählte die Spurbereite, die ihm am besten erschien. Aber bald folgten Richtmaße. Auch auf die Erfindung des Automobils folgte bald die erste Straßenverkehrsordnung. Damit es auf unseren Da- tenautobahnen nicht zu Unfällen, Staus oder Raserei kommt, brauchen wir auch für die elektronische Kommu- nikation Vorschriften. Um das Vertrauen in elektronische Kommunikationsmittel zu stärken und den elektroni- schen Geschäfts- und Verwaltungsverkehr weiter voran- zubringen, müssen wir eine digitale Raumordnung schaf- fen! Mit Stolz kann ich sagen, dass wir dabei in dieser Le- gislaturperiode ein ganzes Stück weitergekommen sind. Wir haben im Rahmen der Föderalismusreform eine ver- fassungsrechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der öffentlichen In- formationstechnik geschaffen. Wir haben den elektroni- schen Personalausweis eingeführt und wir haben das E-Government-Programm 2.0 aufgelegt. Außerdem haben wir in Friedrichshafen unter der Überschrift Bürgerportale ein viel beachtetes Pilotpro- jekt ins Leben gerufen, auf das ich näher eingehen will. Wirtschaft und öffentliche Verwaltung testen im Rahmen dieses Projekts neue Standards für die elektronische Kommunikation. In einem lebensechten Szenario wer- den dabei verschiedenste Anwendungsmöglichkeiten er- probt, beispielsweise rechtsverbindliche Abschlüsse von Versicherungspolicen oder die komplette Durchführung von Verwaltungsangelegenheiten über das Internet. Kern des Projekts ist ein sicheres Identifikations- und E-Mail- System. In einem Verbund staatlich zertifizierter, aber privat betriebener Anbieter sollen die Bürgerinnen und Bürger mittels sogenannter De-Mails die Möglichkeit er- halten, rechtsverbindlich über das Internet zu kommuni- zieren. Mittels De-Ident sollen sie sich außerdem im In- ternet elektronisch ausweisen können. Als weiteren Baustein beim Aufbau einer digitalen Raumordnung müssen wir zu Beginn der kommenden Legislaturperiode die rechtlichen Voraussetzungen für De-Mail und De-Ident schaffen. Dazu müssen wir eine gesetzliche Grundlage für Ausgestaltung und Betrieb durch akkreditierte Unternehmen erarbeiten und Stan- dards definieren. Der Grundsatz bei De-Mail lautet, so si- cher wie ein Brief, aber so einfach wie eine E-Mail. Dem- entsprechend sind einerseits hohe Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz zu stellen. Andererseits dür- fen dabei auch keine zu hohen Zugangshürden errichtet werden. Das gilt auch für De-Ident. Denn ein absolut si- cheres System nutzt überhaupt nichts, wenn es so kompli- ziert zu handhaben ist, dass die Bürgerinnen und Bürger keinen Gebrauch davon machen. Hier müssen wir einen gangbaren Mittelweg finden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26091 (A) (C) (B) (D) Sie sehen, wir sind als Gesetzgeber gefordert, das Pi- lotprojekt in Friedrichshafen aufmerksam zu begleiten. Denn wenn der 17. Deutsche Bundestag eine umfassende gesetzliche Grundlage für die elektronische Kommuni- kation zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Behörden beschließt, werden die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt von großem Wert sein. Ein wichtiges Thema ist auch die Einbettung von De- Mail und De-Ident in eine Gesamtstrategie. Die Union spricht sich dafür aus, den elektronischen Identitätsnach- weis mittelfristig in Kombination mit dem elektroni- schen Personalausweis zum allseits nutzbaren elektroni- schen Identitätsdokument weiterzuentwickeln. Zukünftig sollen öffentliche Stellen bei der Identifizierung der Bür- gerinnen und Bürger in der elektronischen Kommunika- tion den elektronischen Identitätsnachweis De-Ident ak- zeptieren und rechtsverbindliche Nachrichten über De- Mail empfangen und versenden. Teil einer Gesamtstrate- gie muss auch die Einbindung der neuen Dienste De- Mail und De-Ident in bereits bestehende Lösungen sein. Wir müssen beispielsweise sicherstellen, dass die neuen Standards mit dem elektronischen Gerichts- und Verwal- tungspostfach, dem Signaturgesetz und der EU-Dienst- leistungsrichtlinie harmonieren. Experten rechnen damit, dass in Deutschland allein mit De-Mail jährliche Einsparungen von einer bis einein- halb Milliarden Euro realisiert werden können. Die Er- sparnisse werden bei Bürgerinnen und Bürgern, Unter- nehmen und Verwaltungen aber nur ankommen, wenn das neue Angebot rege genutzt wird. Vertrauen, Sicher- heit und Datenschutz sind für De-Mail und viele andere Angebote unabdingbare Voraussetzungen. Um Vertrauen, Sicherheit und Datenschutz zu gewährleisten, schaffen wir Stück für Stück eine digitale Raumordnung für E-Go- vernment und E-Business. Damit stärken wir den IT- Standort Deutschland. Und wir bauen unsere Vorreiter- rolle aus, die wir durch die Einführung des elektronischen Personalausweises gewonnen haben. Dr. Michael Bürsch (SPD): Vor zwei Monaten haben wir in erster Lesung über ein Gesetz zur Einführung von Bürgerportalen debattiert. Dabei herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die Bemühungen der Bundesre- gierung im Zusammenhang mit dem „E-Government- Programm 2.0“ und der „Hightech-Strategie“ richtig und wichtig sind. Dazu zählt auch die Frage, wie Bürger und Unterneh- men auf sicherem Wege die elektronische Kommunika- tion untereinander und mit Behörden erledigen können. Im Zeitalter des Internets und der mittlerweile sehr ge- bräuchlichen Kommunikation via E-Mail gewinnt diese Frage zunehmend an Bedeutung. Wenn sich neue Me- dien wie E-Mail und Internet etablieren, dann ist es Auf- gabe des Gesetzgebers, verlässliche Rahmenbedingun- gen, insbesondere im Hinblick auf Datensicherheit und Datenschutz, für die Nutzung dieser Medien zu schaffen. Es geht um die Errichtung einer digitalen Raumordnung für die neuen und für viele Bürgerinnen und Bürger mit Unsicherheiten behafteten Kommunikationsmöglichkei- ten in den Weiten des World Wide Web. Ohne Vertrauen in elektronische Kommunikationsdienste wie etwa Inter- netprovider ist eine solche Ordnung nicht möglich. Das Gesetz zur Errichtung von Bürgerportalen dient daher der Aufstellung klarer, verbindlicher Regeln für die Kommunikation per E-Mail und ist insofern gut geeig- net, das notwendige Vertrauen zu schaffen. Rechtsver- bindliche Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern bzw. Wirtschaftsunternehmen einerseits und staatlichen Stellen andererseits erfordert die Garantie un- verfälschter Übermittlung sowie eindeutiger Identifizie- rung der Kommunikationspartner sowie die Möglichkeit einer rechtssicheren Zustellung elektronischer Doku- mente. Diesen Erfordernissen sollte der vorliegende Gesetz- entwurf gerecht werden: Er sieht gesetzliche Rahmenbe- dingungen und technische Grundlagen für die Schaffung sogenannter Bürgerportale im Internet vor. Diese Portale sollen wie eine Art E-Mail-Intranet funktionieren. Dazu müssen Privatpersonen oder Unternehmen ein elektroni- sches Postfach eröffnen, über das sie später mit staatli- chen Stellen kommunizieren können und das mit techni- schen Sicherheitsvorkehrungen versehen sein soll, sodass unbefugte Zugriffe durch Dritte unmöglich sind. Ein sicheres Postfach lässt sich wechselseitig für alle Angelegenheiten mit rechtlich verbindlichem Charakter nutzen, also etwa für Widersprüche gegen Steuerbe- scheide, Kaufverträge, Mahnungen usw. Die SPD-Fraktion unterstützt das Vorhaben der Bun- desregierung nach wie vor. Allerdings haben die Bera- tungen seit der ersten Lesung gezeigt, dass das Gesetz – vor allem angesichts der Kürze der zur Verfügung ste- henden Zeit – noch nicht beschlussreif ist. Eine Reihe of- fener Fragen bedürfen noch einer gründlicheren Klärung, sodass wir uns in der Koalition darauf verständigt haben, mit dem heute vorliegenden Antrag die Richtung für ein Gesetz in der kommenden Legislaturperiode vorzuschla- gen. Dabei steht für uns im Mittelpunkt, mit einer gesetzli- chen Regelung Sicherheit der Kommunikation und Rechtsverbindlichkeit zu gewährleisten und dabei mög- lichst geringe Zugangshürden für alle Nutzerinnen und Nutzer von Bürgerportalen bzw. De-Mail zu errichten. Elektronische Dienste müssen nutzerfreundlich und bar- rierefrei sein. Dabei muss zugleich ein hoher Daten- schutzstandard gewährleistet werden. Wie das im Ein- zelnen aussehen wird, kann das in Friedrichshafen geplante Pilotprojekt zur Einführung von Bürgerportalen zeigen. Sinnvoll wäre vor allem, wenn sich alle am Bür- gerportal interessierten Akteure an der Erarbeitung der gesetzlichen Rahmenbedingungen beteiligen. Gerade im Zeitalter der elektronischen Kommunika- tion müssen die etablierten Standards von Transparenz und Partizipation fortgelten. Daher unterstützen wir alle Bemühungen, mithilfe einer neuen digitalen Raumord- nung gleichberechtigte Teilhabe an der „Ressource Kom- munikation“ auch im 21. Jahrhundert zu sichern. Gisela Piltz (FDP): Der Antrag, den die Koalition hier vorlegt, ist schon an sich ein Armutszeugnis für die politische Handlungsfähigkeit der sogenannten Großen 26092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) Koalition. Sie hatten jetzt vier Jahre Zeit, sich um die Verbesserung und Stärkung des E-Governments zu küm- mern. Und dann kommen Sie in der letzten Sitzungswo- che in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit so einem An- trag. Um das Bürgerportalgesetz, über welches sich die Koalition nicht einig werden konnte, ist es nicht im Min- desten schade. Aber statt dann die Konsequenz aus den Zweifeln in den eigenen Reihen sowie von zahlreichen Experten zu ziehen und es einfach zu lassen, schreiben Sie einen Antrag, in dem Sie die Bundesregierung „bit- ten“, den Murks weiter zu betreiben. Da kann ich nur noch ungläubig den Kopf schütteln. In Ihrem Antrag gehen Sie genau auf dem Holzweg weiter, den Sie mit Ihrem Gesetzentwurf schon beschrit- ten hatten. Sie setzen auf das Mammutprojekt De-Mail statt auf von der Wirtschaft entwickelte funktionierende Standards für sichere elektronische Kommunikation. Es ist illusorisch, anzunehmen, dass eine Bundesbehörde besser geeignet ist, die Standards zu entwickeln, als Lö- sungen, die am Markt stetig fortentwickelt werden. Wenn die deutschen Behörden künftig unter Rückgriff auf die zahlreichen guten Lösungen am Markt die Nach- frage nach sicheren Kommunikationsstandards verstär- ken würden, wäre damit eine ordnungspolitisch saubere Lösung gefunden, die zudem eher Gewähr bietet, dass aktuelle Standards fortentwickelt werden. Der Staat ist nicht der bessere Anbieter von Technologien. Offensichtlich haben Sie wenigstens erkannt, dass es bei der Frage der förmlichen Zustellung mittels elektro- nischer Post Probleme gibt, die in dem früheren Gesetz- entwurf völlig unzureichend geregelt waren. Die Aus- wirkungen auf das Verwaltungsverfahren waren und sind nicht zu Ende gedacht angesichts dessen, dass die Koali- tion vier Jahre Zeit hatte, sich damit zu befassen, wie eine sinnvolle und notwendige Stärkung von E-Govern- ment aussehen könnte und wie sich das auf das Verwal- tungsverfahren auswirkt. Insbesondere haben Sie es ver- säumt, sich damit zu befassen, wie E-Government anwenderfreundlich und rechtssicher für die Bürgerin- nen und Bürger ausgestaltet werden kann. Einen zielfüh- renden Vorschlag vermag ich in Ihrem Antrag dazu nicht zu erkennen. Noch immer halten Sie an dem verfehlten Konzept fest, dass der elektronische Personalausweis mit der Funktion des elektronischen Identitätsnachweises mit De-Mail verknüpft werden soll. Damit konterkarieren Sie die angebliche „Freiwilligkeit“ der Nutzung dieser Funktion im Personalausweis. Denn die Folge wird sein, dass jeder, der nicht mehr Nummern ziehen will, ge- zwungen ist, den elektronischen Personalausweis inklu- sive der Identitätsfunktion zu verwenden. Damit ist die Freiwilligkeit nurmehr ein leeres Versprechen. Sichere Identifikation im E-Commerce und im E-Go- vernment ist erforderlich, um Vertrauen zu schaffen und Missbrauch vorzubeugen. Dass aber auch hier wieder der Staat der – einzige – Anbieter sein soll, erschließt sich aus ordnungspolitischer Sicht nicht, zumal auf dem privaten Markt durchaus entsprechende Technologien angeboten und entwickelt werden. Aus innenpolitischer Sicht, insbesondere mit Blick auf den Datenschutz, ist es erst recht nicht klug, zusätzliche und für den eigentli- chen Zweck nicht erforderliche Daten auf dem Personal- ausweis zu speichern. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den E-Personalausweis nach wie vor ab. Es ist aus Sicht des Datenschutzes unverantwortlich, diesen nun zur Voraussetzung für die Teilnahme an der modernen Verwaltung zu machen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat immer wieder be- tont, dass die Fortentwicklung und Stärkung von E-Go- vernment für eine moderne, leistungsfähige und bürger- freundliche Verwaltung von großer Bedeutung sind. Wir sind gerne bereit, an einer sinnvollen Gesamtstrategie konstruktiv mitzuarbeiten. In meiner Heimatstadt Düssel- dorf, in der die FDP seit Jahren Regierungsverantwortung trägt, ist E-Government kein leeres Wort, sondern leben- dige Verwaltungswirtschaft. Gerade vor dem Hintergrund der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie ist es ohnehin geboten, E-Government-Angebote, die auch von den Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen aus dem EU-Ausland genutzt werden können, nun zügig um- zusetzen. Hier eine Insellösung mit dem E-Perso und De- Mail zu schaffen, ist der falsche Weg. Ihren Antrag kann die FDP-Bundestagsfraktion daher nicht unterstützen. Jan Korte (DIE LINKE): Der Titel des Antrages der Koalition, der heute Gegenstand der Beratungen ist, klingt verheißungsvoll, fast könnte man meinen, Union und SPD wollten vor sich selber warnen. Und den ersten vier Sätzen im Feststellungsteil kann die Linke auch noch vollauf zustimmen. Dann allerdings wird es bereits kompliziert, und politisch geht es in die völlig falsche Richtung. Am Ende steht der Versuch, sich auf den letz- ten Drücker mit diesem Antrag quasi eine Blankovoll- macht für ein weiteres, in seinen Ausmaßen und Konse- quenzen noch überhaupt nicht abzusehendes Großprojekt zu erteilen. Doch der Reihe nach. Ihre Sorge gilt in erster Linie dem elektronischen Ge- schäftsverkehr. Das für diesen notwendige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die elektronischen Kommu- nikationsdienste ist nicht zuletzt durch die regelmäßig auftretenden Datenschutzskandale empfindlich gestört. Nun soll durch eine Gesamtstrategie, die unter anderem die Einführung eines elektronischen Identitätsnachwei- ses und einer elektronischen Signatur sowie von De- Mail und Bürgerportalen enthält, das Vertrauen wieder- hergestellt werden. Ihr Antrag liest sich dann auch wie ein Heilsversprechen. Sie suggerieren, dass sich mit ihren Projekten, die al- lesamt datenschutzrechtlich und technisch umstritten, teilweise noch nicht machbar und schon gar nicht praxis- erprobt sind, ein Höchstmaß an Sicherheit für Bürgerin- nen und Bürger sowie den Geschäftsverkehr im Netz er- reichen ließe. Aber Sie wissen es so gut wie ich: Jedem Menschen, der jemals einen Geldautomaten oder einen PC benutzt hat, ist klar, dass Computer regelmäßig ver- sagen. Einen absoluten Schutz vor Manipulationen kann und wird es nicht geben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 26093 (A) (C) (B) (D) Wenn man sich dann die Mühe macht und Ihre angeb- lich so sicheren neuen Lösungen hinterfragt und etwas genauer ansieht, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass etwas mehr Datensicherheit mit sehr viel mehr Überwachung, Monopolisierung von Programmen und Hardware erkauft werden soll. Mit Datenschutz, mit der Förderung von Vertrauen, die auch mit Vorleistungen staatlicherseits zu tun hätte, hat Ihr Antrag nichts im Sinn. Datenschutz ist natürlich unlösbar mit dem Aufkom- men der Computertechnologie und den immer größeren technischen Möglichkeiten, persönliches Verhalten auto- matisiert zu registrieren, personenbezogene Daten aus- zuwerten, miteinander zu verknüpfen und daraus Schlüsse zu ziehen, verbunden. Darüber hinaus gewinnt in einer digitalen Welt die Frage, wie bei elektronischen Diensten die Identität der Beteiligten festgestellt und ge- schützt werden kann und welche Daten dabei offenbart werden, immer mehr an Bedeutung. Identitätssicherung ist allerdings mehr als die bloße Identifizierung einer Person. Sie ist vielmehr die Sicherung individueller Frei- heit und Freizügigkeit, von unbeobachtetem Handeln und Wandeln bei gleichzeitigem Schutz gegen Betrug und Missbrauch. Die Sicherung von unbeobachtetem Handeln und der Schutz davor, dass Daten aus allen möglichen Bereichen über Bürgerinnen und Bürger zu Persönlichkeitsprofilen zusammengeführt werden, stellt eine Grundbedingung eines grundrechtskonformen ID- Managements dar. Sie hingegen versuchen, uns weiszu- machen, dass Identitätsmanagement eine umfassende Personalisierung, Registrierung und Kontrolle bedeutet. Meine Damen und Herren von der Regierungskoali- tion; das Gegenteil ist der Fall. Die in § 3 a des Bundesdatenschutzgesetzes enthalte- nen Vorgaben Datenvermeidung und Datensparsamkeit müssen der Maßstab sowohl für die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern mit staatlichen Stellen als auch bei kommerziellen Transaktionen jeder Art sein. Liest man Ihren Antrag kritisch, können einem schon erhebliche Zweifel kommen. Sie wollen unter dem Stichwort E-Government alle möglichen Behörden und Institutionen miteinander vernetzen. Wie dabei die „informationelle Gewaltenteilung“ bestehen bleiben soll, also die Trennung zwischen den von verschiedenen Verwaltungsbereichen für unterschiedliche Zwecke er- hobenen Daten, das behalten Sie für sich. Auch stellt sich nach wie vor die Frage, ob das von Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung getragene Projekt De-Mail ebenso wie DE-Safe technisch überhaupt ausge- reift genug sind, um damit Pilotprojekte zu starten. Die damit in Zukunft mögliche Verknüpfung des Identitäts- managements im Internet mit der schon angestrebten Er- fassung des Fingerabdrucks gibt gleichfalls nach wie vor großen Anlass zur Sorge. Das bislang eher aus Science- Fiction-Romanen bekannte Risiko eines Identitätsdieb- stahls oder seiner Verfälschung könnte schon sehr bald real werden. Bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Ein- führung eines elektronischen Personalausweises ver- kaufte uns die SPD-Fraktion die Freiwilligkeit der Ab- gabe von Fingerabdrücken noch als großen Sieg gegen CDU/CSU und für die Bürgerrechte. Angesichts des vor- liegenden Antrages und der darin in Zukunft möglich ge- wordenen Verknüpfung des geplanten sicheren Internet- verkehrs und der Abgabe von Fingerabdrücken im elektronischen Personalausweis ist der Koalitionskom- promiss aus 2008 ein Pyrrhussieg der SPD. Der Vertrau- ensvorschuss, den Sie einmal mehr von Bürgerinnen und Bürgern und auch von uns als Opposition verlangen, ist schlichtweg zu hoch. Die ganze Legislaturperiode ist ein einziges vernünftiges Argument dafür, dass Misstrauen in Ihre Projekte in diesem Bereich das einzig mögliche angemessene Verhalten ist. Zu mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger – das lässt sich schon heute prognostizieren, ohne dass man dafür ein Prophet sein muss – wird Ihre Gesamtstra- tegie nicht führen. Dies hat selbst BKA-Präsident Ziercke in Bezug auf die Einführung des E-Passes wie auch die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion einräumen müssen. Sie wollen jetzt, am letzten regulären Sitzungstag die- ser Wahlperiode und noch dazu zu nachtschlafender Zeit, eine Generalvollmacht für die Fortsetzung und Auswei- tung einer Hightech-Kommunikationsstrategie durch das Parlament peitschen, obwohl wesentliche Punkte Ihrer Strategie völlig unklar bleiben, rechtlich umstritten und noch dazu zahlreiche technische Fragen nach wie vor un- geklärt sind. Die Linke kann einer solchen an den Bedürf- nissen der Bürgerinnen und Bürger vorbeigehenden Si- cherheitspolitik nicht zustimmen. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es hat sich mir nicht erschlossen, welche politische Botschaft der großen Koalition sich hinter die- sem in aller Eile auf die Tagesordnung gesetzten Zusatz- punkt verbirgt. Wollen Sie jetzt für alle nachlesbar noch einmal doku- mentieren, dass Sie beim Thema E-Government außer ein paar Absichtserklärungen nichts Wesentliches vorzu- weisen haben, oder wollen Sie von dem völlig miss- glückten Projekt „Bürgerportale“ ablenken? Zum Ende der Legislaturperiode, in der letzten Sit- zungswoche, teilen Sie uns in einem Antrag mit, was die Aufgaben der kommenden Jahre sein sollten. Warum ha- ben Sie das E-Government-Programm 2.0 nicht in der Regierungszeit der großen Koalition – wie angekündigt – tatsächlich zumindest in einzelnen Projekten realisiert? Sie kommen zu der Erkenntnis, dass Vertrauen in Da- tenschutz und Datensicherheit gefördert werden muss, damit es eine Akzeptanz für E-Government und E-Busi- ness gibt. Prima, warum haben Sie diese Erkenntnis nicht umgesetzt, zum Beispiel in einem Gesetz für Bür- gerportale oder beim De-Mail-Projekt? Oder warum ver- weigern Sie trotz nicht enden wollender Datenschutz- skandale weiterhin klare verbraucherfreundliche Regeln für den Datenschutz in der Privatwirtschaft? Letztendlich legen Sie noch einmal fest, dass der elek- tronische Personalausweis mit dem umstrittenen Finger- 26094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 (A) (C) (B) (D) abdruck zukünftig der alleinige Schlüssel zum Zugang zum E-Government sein soll. Sie geben keine Garantie für eine End-zu-End-Verschlüsselung, die in der Hand der Nutzerinnen und Nutzer liegt. Unter E-Government verstehen Sie die permanente Pflicht, sich elektronisch identifizieren zu müssen, sie lassen den geheimen Blick der Sicherheitsbehörden in die De-Mail zu, sie schützen die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht vor einer weiteren Datensammelwut, wenn Sie sich zukünftig mit dem elektronischen Ausweis im E-Business identifizie- ren müssen. Ihre E-Government-Projekte sind weitere Überwachungs- und Ausforschungsprojekte. Wir wollen ein interaktives E-Government, und als ersten Schritt sollten die Ministerien der kommenden Bundesregierung Internetbürgerportale einrichten, auf denen es im Sinne der Informationsfreiheit möglich ist, per Mausklick grundsätzlich Einblick in die Akten zu nehmen. Wir wollen eine Bürgerkarte für das E-Govern- ment, bei denen allein die Nutzerinnen und Nutzer ent- scheiden, welche Informationen über Sie freigegeben werden; und wir wollen die Sicherheit, dass E-Govern- ment nicht heimlich überwacht wird. Erst, wenn Sie wirklich Datenschutz und Datensicher- heit schaffen, wird es Vertrauen in E-Government-Projekte wie De-Mail geben. Wer den elektronischen Ausweis durchsetzen will, indem er immer neue Kopplungen schafft, begeht Nötigung, und das ist das Gegenteil von Vertrauen schaffen. Ihren Antrag lehnen wir ab. Als Schlussbemerkung lassen Sie mich sagen: Ich finde es wenig demokratisch, wenn Sie hier als Zusatzpunkt, ohne Beratung in den Ausschüssen und ohne öffentliche De- batte in der letzten Sitzungswoche einer zukünftigen Re- gierung vorschreiben wollen, wo sie ihre Schwerpunkte legen soll. 230. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2009 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623000000

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-

ginnen und Kollegen!

Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt es einige amtli-
che Mitteilungen. Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass
der Abgeordnete Jörg Tauss als Mitglied aus dem Senat
des Vereins „Hermann-von-Helmholtz-Gemeinschaft
Deutscher Forschungszentren e. V.“ sowie als stellver-
tretendes Mitglied aus dem Beirat bei der Bundesnetz-
agentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post
und Eisenbahnen ausgeschieden ist. Als Nachfolger wer-
den der Kollege René Röspel im Senat und die Kollegin
Gabriele Lösekrug-Möller im Beirat vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann sind der Kollege Röspel und die Kollegin
Lösekrug-Möller gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Kritik der Bundesbank an überhöhten Kredit-

Rede
zinsen der deutschen Banken

(siehe 229. Sitzung)


ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu TOP 77)


a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ein-
kommensteuergesetzes

– Drucksache 16/7519 –

Beschlussempfehlung und Bericht de
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/13530 –
tzung

, den 2. Juli 2009

.01 Uhr

Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten
Martin Gerster

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Frauen stärken – Frieden sichern – Geschlech-
tergerechtigkeit in der Entwicklungszusam-
menarbeit und der Konfliktbearbeitung vo-
rantreiben

– Drucksachen 16/10340, 16/13505 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Christel Riemann-Hanewinckel
Dr. Karl Addicks
Heike Hänsel
Ute Koczy

text
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Entwicklungsländer bei der Bewältigung der
Wirtschafts- und Finanzkrise unterstützen

– Drucksachen 16/13003, 16/13706 –

Berichterstattung:
rdnete Jürgen Klimke
n Hilsberg
ut Königshaus
Hänsel
s Finanzaus-
Abgeo
Stepha
Hellm
Heike

Ute Koczy






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Gesundheit

(14. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Ände-
rung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zur
Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für
die Genehmigung und Überwachung von
Human- und Tierarzneimitteln und zur Er-
richtung einer Europäischen Arzneimittel-
Agentur in Bezug auf die Information der
breiten Öffentlichkeit über verschreibungs-

(inkl. 17498/ 08 ADD 1 und 17498/08 ADD 2)

Englisch)
KOM(2008) 662 endg.; Ratsdok. 17498/08

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Ände-
rung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaf-
fung eines Gemeinschaftskodexes für
Humanarzneimittel in Bezug auf die Infor-
mation der breiten Öffentlichkeit über ver-
schreibungspflichtige Arzneimittel
KOM(2008) 663 endg.; Ratsdok. 17499/08

– Drucksachen 16/11819 A.15, 16/11819 A.16,
16/13266 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Hennrich

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates über die Schutzdauer
des Urheberrechts und bestimmter verwand-

(inkl. 12217/08 ADD 1 und 12217/08 ADD 2)

KOM(2008) 464 endg.; Ratsdok. 12217/08

– Drucksachen 16/10286 Nr. A.21, 16/13674 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Paul K. Friedhoff, Patrick
Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kommunen bei der Finanzierung von Bahn-
übergängen entlasten

– Drucksache 16/13448 –

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Stefan Müller (Erlangen), Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Willi Brase, Ulla Burchardt,
Dieter Grasedieck, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth,
Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn),
Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrah-
mens

– Drucksache 16/13615 –

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W.
Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören
Bartol, Christian Carstensen, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Die Zulässigkeit von Kindertagesstätten in rei-
nen Wohngebieten verbessern

– Drucksache 16/13624 –

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 599 zu Petitionen

– Drucksache 16/13628 –

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 600 zu Petitionen

– Drucksache 16/13629 –

k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 601 zu Petitionen

– Drucksache 16/13630 –

l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 602 zu Petitionen

– Drucksache 16/13631 –

m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 603 zu Petitionen

– Drucksache 16/13632 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
n) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 604 zu Petitionen

– Drucksache 16/13633 –

o) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 605 zu Petitionen

– Drucksache 16/13634 –

p) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 606 zu Petitionen

– Drucksache 16/13635 –

q) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 607 zu Petitionen

– Drucksache 16/13636 –

r) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 608 zu Petitionen

– Drucksache 16/13637 –

s) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 609 zu Petitionen

– Drucksache 16/13638 –

t) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 610 zu Petitionen

– Drucksache 16/13639 –

u) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 611 zu Petitionen

– Drucksache 16/13640 –

v) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 612 zu Petitionen

– Drucksache 16/13641 –

w) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 613 zu Petitionen

– Drucksache 16/13642 –

x) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 614 zu Petitionen

– Drucksache 16/13643 –
y) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 615 zu Petitionen

– Drucksache 16/13644 –

z) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 616 zu Petitionen

– Drucksache 16/13645 –

ZP 3 Beschlussempfehlungen des Vermittlungsaus-
schusses

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

Änderung des Gesetzes zur Durchführung der
Gemeinsamen Marktorganisationen und der
Direktzahlungen

– Drucksachen 16/12231, 16/12517, 16/13081,
16/13607 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Zöller

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

Änderung des Gesetzes zur Regelung der Rechts-
verhältnisse der Helfer der Bundesanstalt Techni-
sches Hilfswerk

– Drucksachen 16/12854, 16/13016, 16/13358,
16/13608 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg

ZP 4 Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der
„Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“

– Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP

– Drucksache 16/13661 –

– Wahlvorschläge der Fraktionen DIE LINKE
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

– Drucksache 16/13705 –

ZP 5 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu Meinungs-
verschiedenheiten in der CDU/CSU über Steu-
ersenkungsvorhaben und deren Finanzierung

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtsstaatlichkeit in Russland stärken

– Drucksache 16/13613 –

ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Verordnung über Anforderungen an eine
nachhaltige Herstellung von flüssiger Bio-

(BiomassestromNachhaltigkeitsverordnung – BioSt-NachV)


– Drucksachen 16/13326, 16/13507 Nr. 2, 16/13685 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Marko Mühlstein
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Hans-Josef Fell

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter
Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Gabriele
Hiller-Ohm, Renate Gradistanac, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Aus- und Weiterbildung in der Tourismus-
wirtschaft verbessern

– Drucksache 16/13614 –

ZP 9 a)Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhe-
bung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in
der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG)


– Drucksache 16/13654 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan
Korte, Christine Lambrecht, Wolfgang Wieland
und weiteren Abgeordneten eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege

– Drucksache 16/13405 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

Förderung von Vertrauen, Sicherheit und Da-
tenschutz in E-Government und E-Business

– Drucksache 16/13618 –

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Silberhorn, Leo Dautzenberg, Otto Bernhardt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger,

(Heidelberg)

der SPD
Schadensersatzansprüche gegen die ehemali-
gen Vorstandsmitglieder der Hypo Real Estate
Holding AG
– Drucksache 16/13619 –

Ich mache auf die Rückgängigmachung einer Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam:

Der in der 97. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nunmehr
nicht mehr dem Innenausschuss (4. Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden.

Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan
Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion DIE LINKE einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Aufhebung natio-
nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Straf-
rechtspflege (2. NS – AufhGÄndG)

– Drucksache 16/3139 –
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 13 und 72 sollen getauscht
und die Tagesordnungspunkte 46 b, 77 a und 77 z abge-
setzt werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Das ist dann einvernehm-
lich so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zum G-8-Weltwirtschaftsgipfel vom 8. bis
10. Juli 2009 in L’Aquila

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist auch das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1623000100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

diesjährige G-8-Gipfel in L’Aquila findet in der nächsten
Woche statt und steht im Zeichen der größten globalen
Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte. Die Welt-
wirtschaft wird in diesem Jahr nach OECD-Schätzungen
um 2,2 Prozent schrumpfen und der Welthandel um sage
und schreibe 16 Prozent einbrechen. Deutschland als
exportorientierte Volkswirtschaft – zur Erinnerung:






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts hängen am
Export – ist davon besonders betroffen. Unser Export-
überschuss wird in diesem Jahr schätzungsweise um
über 100 Milliarden Euro zurückgehen.

Die Krise hat viele Regierungen zu außergewöhnli-
chen Maßnahmen gezwungen. Auch die Bundesregie-
rung, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben
entschlossen gehandelt: mit umfangreichen Maßnahme-
paketen zur Stabilisierung des Bankensektors – erst ges-
tern haben wir einen wichtigen Schritt zur Schaffung der
sogenannten Bad Banks unternommen – und mit Kon-
junkturpaketen in einer historisch einmaligen Größen-
ordnung von über 80 Milliarden Euro. Berücksichtigt
man auch die Wirkung der automatischen Stabilisatoren,
so gehört Deutschland weltweit zu den Ländern, die die
stärksten konjunkturellen Impulse gesetzt haben. Dies
hat sich auch in den Statistiken des IWF niedergeschla-
gen. Wir können wirklich sagen, dass wir unseren Bei-
trag zur Bekämpfung dieser Krise leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben im internationalen Rahmen eine klare Ver-
pflichtung für eine neue Finanzmarktverfassung auf
den Weg gebracht. All diese Maßnahmen haben wir na-
türlich in enger Abstimmung mit unseren wichtigsten
Partnern durchgesetzt.

Die G 8 sind einmal in einer Krise entstanden. Die
wichtigsten Industrieländer haben sich zusammenge-
schlossen, um ein Forum zu schaffen, auf dem über die
Zukunft der Weltwirtschaft gesprochen werden kann.
Der Gipfel in L’Aquila wird deutlich machen, dass das
G-8-Format nicht mehr ausreicht. Wir werden dort sozu-
sagen einen Vorbereitungstag als G 8 haben und dann an
den beiden anderen Tagen mit den sogenannten G 5
– den Schwellenländern Brasilien, China, Indien,
Mexiko und Südafrika – sprechen, uns im Kreis der
wichtigsten Wirtschaften treffen, um über den Klima-
schutz zu sprechen, und afrikanische Länder einladen,
um mit ihnen über die Zukunft des Kontinents zu reden.
Man sieht: Die Welt wächst zusammen. Die Probleme,
vor denen wir stehen, können von den Industriestaaten
nicht mehr allein gelöst werden.

Auf dem Gipfel werden wir uns mit der Bewältigung
der Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigen. Die
Gipfel von Washington und London im G-20-Format
waren erste wichtige Schritte in diese Richtung. Jetzt
geht es darum, diese Maßnahmen auch umzusetzen. Wir
beobachten – der Bundesfinanzminister hat schon darauf
hingewiesen –, dass die Banken in dem Moment, wo sie
eine gewisse Erholung spüren, sofort Abwehrreflexe ge-
gen die Durchsetzung weiterer Regulierung zeigen. Ich
sage: Wir werden – dazu gibt es hier einen breiten Kon-
sens – darauf beharren, dass wir wirklich eine neue Ver-
fassung für die internationalen Finanzmärkte bekom-
men, damit sich eine solche Krise nie wiederholt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sind wir aber mal gespannt!)


Als wir während unserer G-8-Präsidentschaft den
G-8-Gipfel in Heiligendamm ausgerichtet haben, haben
wir die bittere Erfahrung gemacht, dass keinerlei Bereit-
schaft dazu da war, eine Regulierung der Finanzmärkte,
zum Beispiel bei den Hedgefonds, durchzusetzen. Keine
zwei Jahre später – im Grunde ein Jahr später; da fing
das alles in massiver Weise an – hat sich herausgestellt,
dass dies ein großer Fehler war. Wir können uns deshalb
auch nach der Schaffung einer neuen Finanzmarktver-
fassung kein Erlahmen der Anstrengungen und keine
Rückkehr zu „Business as usual“ leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir die Prinzi-
pien der sozialen Marktwirtschaft weltweit verankern
müssen; denn es geht nicht nur um eine Regulierung ein-
zelner Produkte und um eine bessere Aufsicht, sondern
es geht um die grundsätzliche Herangehensweise. Es
geht um die Frage, was die Aufgabe des Staates ist. In
der sozialen Marktwirtschaft ist die Aufgabe des Staates,
Hüter der sozialen Ordnung zu sein, Hüter der gesell-
schaftlichen Ordnung zu sein. Genau dies muss umge-
setzt werden. Das geht nicht mehr in einem Land allein,
das geht nicht mehr in der Europäischen Union allein,
das muss international geschehen, und dem darf sich kei-
ner entziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden manchmal dafür gescholten, dass wir dies
immer wieder in den Mittelpunkt stellen. Ich will an die-
ser Stelle noch einmal daran erinnern, dass die Entwick-
lung der sozialen Marktwirtschaft zurückgeht auf die
Lehren aus der ersten Weltwirtschaftskrise, die Ende der
20er-Jahre, Anfang der 30er-Jahre herrschte. Hier waren
die europäischen Schlussfolgerungen gerade das, was
uns zur sozialen Marktwirtschaft geführt hat. Es geht ge-
nau um die Rolle des Staates: Er muss fairen Wettbe-
werb garantieren. Wir sollten deshalb, glaube ich, an ei-
ner Charta der nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung
arbeiten, in der wir solche Prinzipien zugrunde legen.
Wir sollten dies im September auf dem G-20-Gipfel in
Pittsburgh ein Stück weiterbringen.

Einige der Hausaufgaben, die sich aus den Londoner
Verpflichtungen ergeben, haben wir bereits gemacht.
Dazu gehört die Schaffung einer europäischen Finanz-
aufsicht; die Grundsatzbeschlüsse dafür haben wir beim
letzten Rat getroffen. Die Vereinigten Staaten von Ame-
rika haben ebensolche Vorschläge für eine bessere Regu-
lierung gemacht. Es kommt jetzt darauf an, dass die Auf-
sichtsbehörden, die es zum Beispiel in den Vereinigten
Staaten von Amerika und in der Europäischen Union ge-
ben wird, an die Banken nicht wieder unterschiedliche
Kriterien anlegen. Diese Kriterien müssen gleich sein,
damit wir ein vernünftiges Feld bekommen, auf dem ein
fairer Wettbewerb stattfinden kann. Eine Aufgabe wird
also die internationale Abstimmung sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir werden in L’Aquila natürlich auch darüber spre-
chen, dass die multilateralen Organisationen wie das
Financial Stability Board oder der IWF eine zusätzliche






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Bedeutung bekommen, um bewerten zu können, wie
sich die einzelnen Regionen aufstellen und ob Kriterien
vergleichbar sind; denn die allermeisten großen Finanz-
institute arbeiten grenz- und kontinentübergreifend, wes-
halb sie nach einheitlichen Maßstäben geführt werden
müssen.

Wir werden ebenfalls darüber sprechen müssen, wie
wir nach der Krise vorangehen. Eines ist klar: Die hohen
Risiken, die eingegangen wurden, um nicht nachhaltiges
Wachstum zu fördern, waren die Ursachen dieser Krise.
Es ist richtig, dass wir die Krise jetzt bekämpfen. Das
wird auch noch eine ganze Weile so anhalten. Aber wir
müssen international auch vereinbaren, wie wir weiter
für nachhaltiges Wachstum arbeiten, wenn wir den
Stand der Wirtschaftsentwicklung aus der Zeit vor der
Krise, also 2007, 2008, wieder erreicht haben.

Mit dem Beschluss über die Schuldenbremse haben
wir in Deutschland einen ganz wesentlichen Eckpunkt
gesetzt, der auch von der OECD ausdrücklich gewürdigt
wird. Wir sind aber weit und breit das einzige Land – das
muss ich so sagen –, das eine solche Art von Selbstbin-
dung getroffen hat, um nach der Mitte des nächsten Jahr-
zehnts einen ganz klaren und nachhaltigen Wachstums-
pfad zu begehen.


(Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Deshalb ist es wichtig, dass wir einerseits schnell aus der
Krise herauskommen, Herr Oppermann, und anderer-
seits wieder eine nachhaltige Entwicklung erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Punkt, durch den der weltwirtschaftliche Erho-
lungsprozess erheblich beeinflusst werden kann, ist die
Gefahr von protektionistischen Maßnahmen. Wir
müssen hier sehr aufpassen. Es gibt eine allgemeine Ver-
pflichtung aller Teilnehmerstaaten des Londoner Gip-
fels, keinen Protektionismus zuzulassen. Aber es gibt
eben Klauseln, die hier und da diese Gefahr in sich ber-
gen. Ob es nun „Buy American“ oder „Buy Chinese“ ist:
Wir müssen hierauf ein klares Augenmerk legen.

In den Verhandlungen auf dem G-8-Gipfel werden
wir uns noch einmal der Vollendung der Doha-Runde
zuwenden. Nach fast vier Jahren, die ich jetzt Bundes-
kanzlerin bin, mag man gar nicht mehr von dem immer
gleichen Projekt sprechen; aber es bleibt so dringlich,
wie es vor einigen Jahren war. Es muss ein Fortschritt
bei dieser Doha-Runde erreicht werden.


(Beifall des Abg. Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU])


Ich sehe, dass die neue amerikanische Administration
hier sehr viel offener ist. Ich hoffe, dass Indien nach der
Wahl und andere Länder ebenfalls die Bereitschaft zu
mehr Offenheit aufbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich denke, dass wir durch die Vielzahl von internatio-
nalen Konferenzen in diesem Jahr spätestens im nächs-
ten Jahr auch Klarheit über die Zukunft der verschiede-
nen Tagungsformate haben werden. Wir haben jetzt die
G 20, die G 8 und die G 5 sowie die Major Economies,
wie es so schön heißt, im Klimaschutz. Ich denke, dass
G 20 das Format sein sollte, das wie ein überwölbendes
Dach die Zukunft bestimmt. Hier gibt es eine gewisse
Repräsentativität zumindest der wirtschaftlich starken
Länder.

Um zu einer wirklichen Akzeptanz zu kommen, wird
es aber darauf ankommen, dass man weltweit eine enge
Verbindung zu den regionalen Wirtschaftsorganisationen
hält – sowohl zur Afrikanischen Union als auch zur
NAFTA, zu den lateinamerikanischen Organisationen
und zu den asiatischen Zusammenschlüssen –, um nicht
einzelne Länder auszugrenzen. Das Format G 8 wird ge-
nutzt werden, um Vorbesprechungen durchzuführen. Die
eigentlich relevanten, globalen Beschlüsse werden nach
meiner Überzeugung dann innerhalb eines größeren For-
mats gefällt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der zweite wichtige Punkt in L’Aquila wird das
Klima sein. Am Ende des Jahres findet in Kopenhagen
eine weltweite Klimakonferenz statt, auf der ein Nach-
folgeabkommen für Kioto verabschiedet werden soll,
das heißt ein Abkommen für die Zeit nach 2012 bis min-
destens zur Mitte des Jahrhunderts. Deshalb ist es gut,
dass der neue amerikanische Präsident, Barack Obama,
das Format der Treffen der großen Wirtschaften weiter-
führt und dass wir in L’Aquila die Verhandlungen in Ko-
penhagen vorbereiten können. Die dänischen Gastgeber
werden zu diesem Tagesordnungspunkt nach L’Aquila
kommen. Wir sehen eine bestimmte Bewegung, die uns
zuversichtlich macht, dass wir im Dezember zu Ergeb-
nissen kommen.

Ganz konkret meine ich damit die Gesetze, die in der
letzten Woche im amerikanischen Abgeordnetenhaus
verabschiedet wurden. Sie stellen zwar eine Trendwende
dar, bringen uns aber nicht automatisch zu dem Ziel, das
wir bis 2050 erreichen wollen. Deshalb wird es wichtig
sein, dass sich in den Dokumenten von L’Aquila noch
einmal ein ganz klares Bekenntnis zu dem 2-Grad-Ziel
findet. Dass diese Gesetze eine Trendwende bedeuten,
wird klar, wenn man sich einmal vor Augen führt, was in
den Vereinigten Staaten von Amerika bis jetzt hart er-
kämpft werden musste. In Heiligendamm waren wir
froh, als festgeschrieben wurde, dass wir ernsthaft be-
trachten wollen, ob wir eine Halbierung der CO2-Emis-
sionen bis 2050 zustande bringen. In L’Aquila werden
wir ein deutliches Bekenntnis zu dem 2-Grad-Ziel – dem
Ziel, dass sich die weltweite Temperatur um nicht mehr
als 2 Grad erhöht – formulieren.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: In welchem Zeitraum?)


– Bis 2050 selbstverständlich.

Wir werden außerdem – darin liegt das eigentliche
Arbeitsfeld bis Dezember – um mittelfristige Ziele rin-
gen müssen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben
mit diesem Gesetz das mittelfristige Ziel von 17 Prozent
Reduktion, bezogen auf den Zeitraum von 2005 bis
2020, beschlossen. Darin kommt natürlich zum Aus-






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
druck, dass die Vereinigten Staaten zwischen 1990 und
2005 diesbezüglich nichts gemacht haben. Ich glaube,
wir sollten die Diskussion ermutigend führen, weil wir
das Ziel ohne die Vereinigten Staaten von Amerika nicht
erreichen können. Deshalb spreche ich von einer Trend-
wende.

Immerhin ist in diesem Gesetz ein CO2-Zertifikate-
Regime vereinbart worden, wonach in Zukunft 85 Pro-
zent der CO2-Emissionen einer Zertifizierungspflicht un-
terliegen. Das ist sehr ambitioniert. Nach den Diskussio-
nen, die wir hier geführt haben, kann sich jeder vorstel-
len, dass die Erreichung dieses Ziels – auch mit Blick
auf den Senat – nicht ganz einfach sein wird.

Ich will dennoch sagen: Europa hat eindeutig die Füh-
rung. Wir wollen, bezogen auf 1990, sehr viel deutli-
chere Reduktionsziele erreichen. Mit diesem Führungs-
anspruch werden wir auch weiterhin diejenigen sein, die
ermutigen, antreiben und gemeinsam mit den Vereinig-
ten Staaten von Amerika die Schwellenländer in diese
Debatte einbeziehen.

Selbst wenn wir unsere CO2-Emissionen bis 2050
nicht nur um 80 Prozent reduzieren – wie Deutschland
und Amerika es wollen –, sondern um 100 Prozent, wäre
es bei dem jetzigen Anstieg der Emissionen nicht mehr
möglich, das 2-Grad-Ziel ohne die Schwellenländer zu
erreichen. Das wird Gegenstand der Diskussionen sein,
die wir mit unseren Partnern in Indien, China und in an-
deren Schwellenländern führen müssen.

Ein weiteres Thema wird die Entwicklungshilfe sein.
Diesbezüglich gibt es vielfache Versprechungen und
Verpflichtungen, die wir übernommen haben. Deutsch-
land ist inzwischen der zweitgrößte Zahler von Entwick-
lungshilfe weltweit. Das kann sich wirklich sehen lassen.
Wir haben unsere Entwicklungshilfeleistungen in der
Krise bewusst nicht reduziert, sondern wir haben das
Gegenteil getan. Wir sind der Meinung, dass wir diesen
Pfad weitergehen müssen.

Ich sage das nicht nur mit Blick darauf, dass viele
Menschen in den Entwicklungsländern viel härter von
der Krise betroffen sind als wir, sondern auch mit Blick
auf unsere Situation als Exportnation, die ein massives
Interesse an einer guten Entwicklung, zum Beispiel des
afrikanischen Kontinents, hat. Afrika hatte über die letz-
ten Jahre ein konstantes Wachstum von 5 Prozent. Dort
sind neue Märkte zu erschließen. Wenn dies nicht mehr
stattfindet, wenn das gesamte Kapital abgezogen wird,
dann geht es nicht nur den afrikanischen Ländern
schlechter, sondern dann fehlen auch uns Exportmög-
lichkeiten.

Wer sich einmal mit Flüchtlingsfragen – auch im Hin-
blick auf den afrikanischen Kontinent – befasst, wer sieht,
was im Süden Europas, was auf dem Mittelmeer los ist,
welche Arbeit die europäische Agentur FRONTEX da zu
leisten hat, der weiß, dass wir hier bei uns ein Riesenpro-
blem bekommen werden, wenn wir nicht für vernünftige
Lebensbedingungen vor Ort sorgen. Auch deshalb ist
Entwicklungshilfe wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wenn wir uns mit den afrikanischen Regierungschefs
treffen, wird die Ernährungssicherung ein besonderer
Schwerpunkt sein. Jedem sechsten Bürger auf der Welt
fehlt es an ausreichender Nahrung. Deshalb ist dieser
Punkt von großer Bedeutung. Deutschland hat sich an
dem globalen Partnerschaftsprogramm für Ernährung
kraftvoll beteiligt, und wir werden auch dafür einstehen,
dass dieses Programm weiterentwickelt wird. Ich sage:
In der jetzigen Zeit darf es hier keine Kürzungen geben,
sondern wir müssen diese Länder ganz entschieden un-
terstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Am ersten Abend des Gipfels in L’Aquila werden wir
uns mit den außen- und sicherheitspolitischen Fragen
beschäftigen, dies dann noch einmal zusammen mit den
G-5-Ländern. Hier steht das Thema Iran im Zentrum
der Diskussion. Wir sind Zeugen brisanter und vor allen
Dingen erschreckender Ereignisse geworden. Ich hoffe,
dass von dem Treffen die starke Botschaft der Geschlos-
senheit ausgeht, dass Demonstrations-, Bürger- und
Menschenrechte unteilbar sind und auch für den Iran
gelten, dass unsere Gedanken bei den Menschen sind,
die jetzt verhaftet werden – es werden täglich mehr –,
und dass wir auch alles daransetzen werden, diese Men-
schen nicht aus den Augen zu verlieren.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)


Ich weiß noch aus der Zeit der DDR, wie wichtig es
war, dass sich Menschen auf der Welt darum gekümmert
haben, wer in Bautzen oder Hohenschönhausen sitzt,
und dass man bestimmte Dinge nicht vergessen hat. Der
Iran muss wissen: Gerade in den Zeiten moderner Kom-
munikationsmittel werden wir alles daransetzen, diese
Menschen nicht aus den Augen zu verlieren und ihnen
so, wie wir können, zu helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Führung im Iran muss wissen: Wenn sie einen
vernünftigen Weg geht, dann wollen wir, dass der Iran
eine gedeihliche Entwicklung nimmt. Das gilt auch für
unseren Ansatz im Nuklearprogramm. Aber wenn das
nicht der Fall ist, dann werden wir uns auch nicht
scheuen, unsere Meinung zu sagen und auch mit denen
solidarisch zu sein, die wie die Angehörigen der briti-
schen Botschaft jetzt einzeln unter Druck gesetzt werden
sollen.

Natürlich bleibt das Thema Nuklearpolitik auf der
Tagesordnung. Ich habe mit dem amerikanischen Präsi-
denten Barack Obama letzte Woche ausführlich darüber
gesprochen und unterstütze noch einmal ausdrücklich
das Angebot von Präsident Obama zu Direktgesprächen
mit dem Iran. Wir werden das flankieren. Wir werden
sehr einig an die Sache herangehen.

Wir können nicht zulassen – weil die Situation im
Iran so ist, wie sie ist –, dass wir uns um das Thema nu-
kleare Bewaffnung des Iran nicht mehr kümmern. Das






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
wäre ganz falsch, und deshalb müssen wir hier einen in-
ternational abgestimmten Weg gehen.

Präsident Obama wird vor dem G-8-Gipfel zu einem
ausführlichen Besuch nach Moskau reisen. Ich wünsche
mir, dass dies ein erfolgreicher Besuch wird. Denn wir
wollen als Bundesregierung, aber auch als Deutscher
Bundestag eine enge Partnerschaft mit Russland. Wir
wollen, dass Russland auch in sämtlichen internationa-
len Konfliktfällen – von Iran über Afghanistan bis zu der
Frage Nordkorea – mit uns zusammenarbeitet.

Ein wichtiger Punkt der Gespräche wird die Abrüs-
tung und Rüstungskontrolle sein: Abrüstung im kon-
ventionellen Bereich und Rüstungskontrolle im umfas-
senden Sinne. Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir
auch auf dem G-8-Gipfel noch einmal darüber sprechen,
dass der Nichtverbreitungsvertrag im nächsten Jahr
wirklich gestärkt wird. Denn der Kampf gegen Prolifera-
tion im nuklearen Bereich ist eine der ganz großen He-
rausforderungen.

Wir werden in L’Aquila auch über Afghanistan spre-
chen. Unsere Trauer um die in der vergangenen Woche
gefallenen Soldaten eint uns in diesem Hause. Sie hat
uns erneut vor Augen geführt, dass wir hier weiterhin
vor großen, schwierigen und gefährlichen Herausforde-
rungen stehen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wahr!)


Aber ich sage auch: Ziel und Strategie des Einsatzes
der NATO und unseres zivilen Engagements sind ohne
vernünftige Alternative. Wir haben nach meiner Über-
zeugung mit der vernetzten Sicherheit den richtigen An-
satz. Wir haben auf dem NATO-Gipfel in Baden-Baden
und Straßburg darüber eine internationale und gemein-
same Haltung in der NATO gefunden. Wir haben das
Ziel, dass in Afghanistan die Streitkräfte und die Polizei-
kräfte die Sicherheit des Landes selber garantieren kön-
nen. Das geht heute noch nicht. Dazu bedarf es der inter-
nationalen Hilfe. Wir sind mit Einverständnis der
afghanischen Regierung in Afghanistan


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja! Richtig!)


– ich will das noch einmal betonen –, und wir werden
vor dieser Aufgabe nicht weglaufen, sondern wir werden
sie Schritt für Schritt erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Neben allem, was uns bedrückt, können wir sagen,
dass es Fortschritte gibt. Im August wird zum zweiten
Mal ein Präsident in Afghanistan gewählt. Ich hoffe,
dass diese Wahl zu einer Stärkung der Demokratie in Af-
ghanistan führen wird.

Große Sorgen bereitet uns natürlich – auch darüber
wird in L’Aquila gesprochen werden – die Situation in
Pakistan. Ohne eine vernünftige Entwicklung Pakistans
wird es in Afghanistan nicht zu einer Beruhigung kom-
men. Diese beiden Länder hängen, obwohl sie ganz un-
terschiedlich sind, auf das Engste miteinander zusam-
men. Die Europäische Union hatte mit dem
pakistanischen Präsidenten – der Bundesaußenminister
und ich haben das noch einmal auf bilateraler Ebene ge-
tan – gesprochen. Es ist unübersehbar, dass die Aufga-
ben riesig sind und deshalb eine internationale Strategie
dringend notwendig ist, die deutlich macht, wie wir mit
Pakistan umgehen.

Der letzte Punkt wird der Nahostfriedensprozess
sein. Hier sind wichtige Anregungen durch die Kairoer
Rede von Präsident Obama sowie die Aktivitäten des
Beauftragten Mitchell und des Nahostquartetts in der
Region gegeben worden. Ich glaube, es ist jetzt wichtig,
dass alle Seiten Zugeständnisse machen. Dazu gehören
die Fragen des Siedlungsbaus. Es muss nach meiner fes-
ten Überzeugung hier einen Stopp geben. Ansonsten
werden wir nicht zu einer Zweistaatenlösung kommen,
die wir dringend brauchen: zu einem jüdischen Staat Is-
rael und einem palästinensischen Staat, der in Sicherheit
leben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der G-8-Gipfel wird eine Zwischenetappe im Hin-
blick auf das G-20-Gipfeltreffen in Pittsburgh im Sep-
tember und die Kopenhagen-Konferenz im Dezember
sein. Ich habe das am Anfang dieses Jahres gesagt, und
ich sage das jetzt wieder: Aufgrund der Probleme, die
wir haben, aufgrund des Zeitplans, den wir in Bezug auf
das Klimaabkommen haben, und durch die Tatsache,
dass wir eine neue amerikanische Administration haben,
die viele Themen neu und anders angeht, wird dies ein
entscheidendes Jahr für die Frage sein, ob die Welt am
Ende dieses Jahres glaubt, dass wir global zusammenar-
beiten können, dass Politik die Globalisierung gestalten
will, oder ob wir eher Enttäuschung zurücklassen. Ich
darf Ihnen sagen: Die ganze Bundesregierung und auch
ich persönlich werden uns mit aller Kraft dafür einset-
zen, dass dies ein erfolgreiches Jahr ist, damit Politik
insgesamt den Anspruch erheben kann, dass die Globali-
sierung menschlich gestaltet wird.


(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Sie sollten lieber Ihren Beitrag zu all dem leisten, Herr
Trittin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Gipfel findet in L’Aquila statt, weil die Region
von einem schrecklichen Erdbeben erschüttert wurde. Es
ist inzwischen ein Ort des Wiederaufbaus und der Zuver-
sicht. Wir wollen gerade an diesem Ort gute Ergebnisse
erzielen. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal
darauf hinweisen, dass Deutschland beim Wiederauf-
bau in diesem Erdbebengebiet hilft, auch in der Stadt
Onna, in der am 11. Juni 1944 die Wehrmacht
17 unschuldige Zivilisten umgebracht hat. Nichts deutet
besser darauf hin, wie sich die Zeiten geändert haben, als
die Tatsache, dass Deutschland jetzt hilft, diesen Ort
wiederaufzubauen, auch die zerstörte Kirche. 90 Prozent
der Gebäude dort sind zerstört. Jede Familie hat ein Op-
fer zu beklagen. Ich glaube, wir zeigen damit die Solida-






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
rität, die heute auf der Welt notwendig ist, damit wir alle
besser leben können.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623000200

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält als Erster

der Kollege Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Frak-
tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1623000300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Regie-
rungserklärung zu jedem Punkt der Tagesordnung, die
auf dem G-8-Gipfel in L’Aquila ansteht, etwas gesagt.
Das soll auch so sein. Spannend ist aber, was gesagt
wird, und vor allen Dingen, wozu nichts gesagt wird.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Notwendig-
keit gesprochen, dass – das ist ein zentrales Anliegen
deutscher Politik – die Bankenaufsicht, sprich: die
Finanzmarktaufsicht, stärker reguliert werden muss. Wir
sind in der Tat in diesem Hause einer Meinung, dass es
international entsprechende Regeln braucht, gerade für
Finanzen und Finanzströme. Aber wer international eine
bessere Finanzmarkt- und Bankenaufsicht fordert,
muss sie erst einmal national – für uns: in Deutschland –
hinbekommen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Es ist jetzt die ich weiß nicht wievielte Regierungs-
erklärung, die die Bundesregierung seit dem Ausbruch
der Wirtschafts- und Finanzkrise zu dem Thema abgege-
ben hat. In Ihrer Regierungserklärung vom 7. Oktober
2008, im Herbst des letzten Jahres, haben Sie, Frau Bun-
deskanzlerin, eine Neuregelung der nationalen Banken-
aufsicht angemahnt und angekündigt. Bis heute bringen
Sie sie nicht zustande. Bis heute bleibt es bei der Zer-
splitterung der nationalen Bankenaufsicht in Finanzmi-
nisterium, BaFin und Bundesbank. Spannend bei sol-
chen Regierungserklärungen ist, wozu Sie nichts sagen,
weil Sie sich in Ihrer Regierung nicht mehr einigen kön-
nen. Die nationale Bankenaufsicht muss neu geregelt
werden. Sie ist eine der Ursachen für das Versagen der
Kontrollmechanismen, das zur Krise geführt hat. Wer in-
ternational mit Autorität auftreten will, der muss erst
einmal seine eigenen Hausaufgaben machen. Das haben
Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
nicht getan.


(Beifall bei der FDP)


Seit Monaten wird das immer und immer wieder von Ih-
nen angemahnt, aber nichts passiert.

Nehmen wir den nächsten Bereich. Natürlich ist es
richtig, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Regie-
rungserklärung für Ihre Bundesregierung die Not-
wendigkeit einer vernünftigen Klimapolitik unterstrei-
chen. Es ist auch richtig – wir begrüßen das –, dass Sie
das 2-Grad-Ziel in dieser Regierungserklärung noch ein-
mal benannt haben. Worüber Sie wiederum nicht gespro-
chen haben, ist das, worüber Sie nicht mehr sprechen
können, weil Sie sich auch darüber in dieser Regierung
nicht einig sind, nämlich wie man eine bessere Klima-
politik erreicht und welches die Instrumente sind, die Sie
international anbieten und über die Sie verhandeln wol-
len. Natürlich wollen wir auf mehr regenerative Ener-
gien setzen – gar keine Frage –; aber wir brauchen eben
auch einen Energiemix. Die Instrumente einer besseren
Klimapolitik liegen vor allen Dingen in der intelligenten
Energiepolitik.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])


Zur Energiepolitik sagen Sie in dieser Regierungserklä-
rung nichts, aber auch gar nichts, weil Sie sich nicht ei-
nig sind.

Deswegen sagen wir hier: Sie müssen in Ihrer Regie-
rung Klarheit schaffen. Was sagen Sie denn zur nuklea-
ren Energiegewinnung? Alle anderen G-8-Staaten setzen
im Interesse des Klimaschutzes auch auf die sichere
Kerntechnik.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Was sagen Sie, meine Damen und Herren von der Bun-
desregierung, dazu?


(Beifall bei der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: „Nein“ sagen wir dazu!)


Wir brauchen diese Überbrückungstechnologie. Es ist
am heutigen Tag wieder offensichtlich geworden, dass
Sie sich nicht einig sind. Wir sagen dazu: Was macht es
für einen Sinn, dass wir in Deutschland aus der moderns-
ten und sichersten Kerntechnik, die es auf der Welt gibt,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aussteigen, um am Tag danach den Strom aus sehr viel
unsichereren Kraftwerken aus dem Ausland einzukau-
fen? Energiemix ist die beste Antwort auf den Klima-
wandel.


(Beifall bei der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sehr gutes Thema!)


Es ist übrigens sehr interessant, wie auch hier darauf
reagiert wird. Das belegt meine These, dass Sie in Wahr-
heit in Ihrer Regierung nicht mehr zur Einigkeit finden.
Das hat man soeben in diesem Hause an der Reaktion
bemerkt. Am heutigen Tage hat Ihnen Ihr eigener Um-
weltminister in der Klimapolitik Widerstand entgegen-
gesetzt.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben etwas zum Thema
Abrüstung gesagt. Sie haben die Reise nach Washington
zu guten und erfolgreichen Gesprächen genutzt, was uns
freut. Aber wer zur Abrüstungspolitik etwas sagt, dann
jedoch beispielsweise die Initiative von Präsident
Obama in Prag in seiner Regierungserklärung völlig aus-
spart, der zeigt wiederum, dass zu wenig Einigkeit in der
Regierung bei fundamentalen internationalen Anliegen
Deutschlands herrscht.

Die Frage ist: Was tun Sie denn jetzt zur Unterstüt-
zung der Vision einer nuklearwaffenfreien Welt von Prä-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
sident Obama? Ist das auch eine Vision der Bundesregie-
rung? Was sagen Sie zur konventionellen und nuklearen
Abrüstung? Ich würde gerne von der Bundeskanzlerin,
wenn sie zu diesem Gipfel spricht, hören, dass sie Präsi-
dent Obama nicht nur besucht, sondern ihn beim Thema
Frieden und Abrüstung auch nachdrücklich unter-
stützt. Das hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer
Regierungserklärung sagen müssen.


(Beifall bei der FDP)


Was werden Sie auf nationaler Ebene beispielsweise
bezüglich der nuklearen Sprengköpfe, die noch in
Deutschland lagern, tun? Wird das ein deutscher Beitrag
zur Abrüstung und zu Friedensinitiativen in der Welt
sein? Werden Sie in Gespräche mit den Verbündeten ein-
treten, um die letzten verbliebenen nuklearen Spreng-
köpfe, die wir in Deutschland als Relikte des Kalten
Krieges haben, abzuziehen? Auch dazu gibt es keine ge-
meinsame Auffassung in der Regierung, und deswegen
wird dazu hier auch nichts gesagt.

Sie haben etwas zur Afrikapolitik gesagt. In der All-
gemeinheit kann man dem nur zustimmen. Sie haben
auch etwas zur Entwicklungshilfe gesagt. In der Allge-
meinheit kann man Ihnen im Großen und Ganzen nur zu-
stimmen. Aber Konkretes kommt auch dazu nicht.
Warum nicht? Weil Sie in der Regierungskoalition wie-
derum keine Einigkeit haben. Einfach nur zu sagen,
Deutschland gebe im internationalen Vergleich das
zweitmeiste Geld für Entwicklungshilfe aus, ist zu we-
nig. Es geht nicht nur darum, wie viel Geld man für die
Entwicklungshilfe ausgibt, sondern auch darum, wo und
bei wem es landet, ob es eine bessere Politik bewirkt, ob
es sich tatsächlich um eine humanitäre Hilfeleistung
handelt. Dass wir uns beispielsweise beim G-8-Gipfel
treffen und wir Deutsche G-20-Ländern, also Schwellen-
ländern, die mit uns bei G-20-Treffen am Tisch sitzen,
Entwicklungshilfe geben, ist keine vernünftige Entwick-
lungspolitik.


(Beifall bei der FDP)


Schließlich und letztens: Wenn man über die Wirt-
schafts- und Finanzkrise redet und sich in diesem Hause
darüber auseinandersetzt, was bei dem G-8-Gipfel in
L’Aquila besprochen wird, dann wäre es natürlich auch
notwendig, etwas zum nationalen Beitrag zur Wirt-
schafts- und Finanzpolitik zu sagen. Dazu ist überhaupt
nichts gesagt worden. Wir meinen, die paar Konjunktur-
pakete, die Sie verabschiedet haben, die oft genug am
Ziel vorbeischießen und mehr Steuergeldverschwendung
als ein Schaffen von Arbeitsplätzen bedeuten, sind zu
wenig. Sie sind auch für eine Regierungserklärung zu
wenig. Dementsprechend bleibt es doch bei der Frage,
was wir strukturell tun werden. Hillary Clinton hat als
Außenministerin einen bemerkenswerten Satz geprägt:
Never miss a good crisis. Also: Verpasse niemals die
Chancen der Krise. – Eine Krise ist immer schlimm. Das
einzig Gute an dieser Krise ist, dass uns der Problem-
druck wenigstens dazu zwingen müsste, jetzt die struktu-
rellen Veränderungen durchzusetzen, von denen wir in
Wahrheit seit vielen Jahren überzeugt sind, dass sie an-
gepackt werden müssen. Das ist der eigentliche Punkt,
den Sie völlig aussparen.
Seit Wochen streitet sich die Republik darüber, was
aus dem deutschen Steuersystem wird. Es gibt einen of-
fenkundigen Konflikt zwischen den Regierungsparteien
und in der Bundesregierung. Nichts wird dazu gesagt.
Was werden Sie denen, mit denen Sie jetzt am Verhand-
lungstisch sitzen, zu dem Begehren der Bürgerinnen und
Bürger auf Entlastung bei den Steuerabgaben sagen?
Welche Antwort werden Sie denen geben? Wird an dem
einen Tisch die Kanzlerin den Teilnehmern des G-8-
Treffens sagen: „Wir wollen die Steuerstrukturreform;
das ist unser Angebot an die Völkergemeinschaft, um
die Weltwirtschaft zu stabilisieren“ – und am anderen
Tisch der Bundesaußenminister das glatte Gegenteil
sagen? Dazu ist in dieser Regierung ebenfalls keine
Linie vorhanden. Die Regierungserklärungen gehen im
Grunde allgemein über die Probleme hinweg, weil Sie
sich im Konkreten nicht mehr einig sind.

Wir als FDP bleiben der Überzeugung, dass ein faires
Steuersystem nicht die Belohnung für einen Auf-
schwung, sondern die Voraussetzung für Wachstum,
Wachstumskräfte, bessere Konjunktur und damit übri-
gens auch für bessere und gesunde Staatsfinanzen ist.
Das ist der eigentliche Zusammenhang, über den gespro-
chen werden müsste.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir akzeptieren nicht, dass, obwohl wir mitt-
lerweile im OECD-Vergleich eine unvergleichlich hohe
Belastung in Form von Steuern und Abgaben für die Ar-
beitseinkommen, und zwar die kleineren und mittleren
Arbeitseinkommen, in Deutschland haben, dieses Thema
ausgespart wird. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass Sie seit nun fast vier Jahren Bundeskanzlerin sind.
Es ist die – jedenfalls geplant – letzte Regierungserklä-
rung, die Sie in dieser Legislaturperiode in diesem Ho-
hen Hause gehalten haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Abwarten!)


– Herr Kollege Kauder, ich habe ausdrücklich gesagt: in
dieser Legislaturperiode.


(Thomas Oppermann [SPD]: Was wollen Sie uns damit sagen?)


– Was ich Ihnen damit sagen will, ist geradezu offen-
sichtlich, Herr Kollege Oppermann.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Da Sie es erbitten, kann ich es auch etwas deutlicher for-
mulieren:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bitte!)


Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben jetzt
elf Jahre lang im Finanzministerium Verantwortung ge-
zeigt. Sie haben gezeigt, dass Sie es nicht können. Es ist
gut, dass Sie sich bald in der Opposition erholen werden.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Ist das alles, was Sie vorzubringen haben? Dafür werden Sie nicht gewählt!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
Für jede Regel, die Sie in der Finanzpolitik beklagen, ha-
ben Sie im Finanzministerium, das Sie in den letzten elf
Jahren sozialdemokratisch geführt haben, zu haften. Für
alles, was fehlt, müssen Sie sich bei sich selbst beklagen.


(Beifall bei der FDP)


Alles, was fehlt, haben Sie politisch zu verantworten.

Ich möchte zum Schluss auf das eingehen, was wirk-
lich notwendig ist und worum es aus unserer Sicht geht.
Sie haben vier Jahre in der sogenannten Großen Koali-
tion Regierungsverantwortung getragen. Wir stellen fest:
Sie sind für die größte Steuererhöhung, die es in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland je gegeben
hat, verantwortlich. Wir stellen fest: Noch nie hat eine
Regierung so viele Schulden gemacht wie Ihre Regie-
rung, und zwar in schlechten Tagen, aber auch in guten
Tagen.

Sie sagen, man dürfe in Deutschland nicht über die
Verhältnisse leben. Sie aber waren die Anführer einer
Politik, die dazu geführt hat, dass Deutschland über
seine Verhältnisse lebt. Sie haben gesagt, Sie wollen in-
vestieren, Sie wollen reformieren, Sie wollen sanieren.
Von dieser Regierung bleibt vielleicht die Abwrackprä-
mie übrig. Etwas anderes ist nicht zustande gekommen.
Die Staatsfinanzen sind ruiniert. Die Steuern und Abga-
ben sind hoch. Sie haben Ihre Aufgaben in diesen Jahren
nicht erfüllt. Es wird Zeit, dass wir eine Regierung be-
kommen, die gemeinsam in dieselbe Richtung denkt und
sich nicht lähmt, weil sie sich in den meisten Fragen
nicht mehr einigen kann.

Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623000400

Nächster Redner ist der Kollege Hans Eichel, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hans Eichel (SPD):
Rede ID: ID1623000500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wenn man den Kollegen Westerwelle hört,
meint man, die FDP sei niemals an Steuererhöhungen
beteiligt gewesen. Sie sind aber diejenige Partei, die in
der gesamten Geschichte der Bundesrepublik am längs-
ten mitregiert hat.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, leider! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Phantomschmerz!)


Sie sind die Partei, die die meisten Steuererhöhungen in
der Geschichte der Bundesrepublik mitbeschlossen hat.
Das ist die schlichte Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)


Übrigens: Am Ende Ihrer Koalition mit der Union
hatten wir einen Eingangssteuersatz von 25 Prozent.


(Joachim Poß [SPD]: 25,9! Fast 26!)

Jetzt, am Ende dieser Legislaturperiode, liegt er – nach
zwei Perioden Rot-Grün und einer Periode Großer
Koalition – bei 14 Prozent. Mit all dem hatten Sie nichts
zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als Sie die Regierung verlassen haben, hatten wir bei
der Einkommensteuer einen Spitzensteuersatz von
53 Prozent. Jetzt liegt er bei 45 Prozent. Gott sei Dank
wurden viele Ausnahmetatbestände beseitigt, damit die-
jenigen, die hohe Steuersätze zahlen sollen, sie auch
wirklich zahlen. Erst wir haben dafür gesorgt. Das war
nicht in Ihrer Zeit. Deswegen, Herr Westerwelle, ist das
langsam unglaubwürdig. Es kann passieren, was will, ob
die Konjunktur boomt oder in den Keller geht, Sie haben
nur eine Antwort und die lautet: Steuern runter.

Und was die OECD betrifft – wenn Sie sich das ein-
mal angesehen hätten, hätten Sie es festgestellt –: Es
sind nicht die Steuern, sondern die Sozialversicherungs-
beiträge, die das Problem ausmachen. Ich gebe zu: Ich
wäre vielleicht ein bisschen zurückhaltender gewesen,
als es darum gegangen ist, den Arbeitslosenversiche-
rungsbeitrag zu senken. Er ist von 6,5 Prozent auf
2,8 Prozent reduziert worden. So niedrig war er in der
Geschichte der Bundesrepublik seit Jahrzehnten nicht
mehr. Mit dieser Bilanz der Großen Koalition haben Sie
nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es macht aber wenig Sinn, immer wieder auf diese
Einzelheiten einzugehen. Deswegen sage ich: Sehr ge-
ehrte Frau Bundeskanzlerin, ich finde es sehr gut, dass
das Klimathema auf dieser Konferenz ein großes Thema
sein wird. So bitter die Finanzkrise ist und so lange wir
daran tragen werden: Die Klimakatastrophe ist ein viel
tiefer gehendes Problem. Da gab es Gedankenlosigkei-
ten. Zu meinen, wir könnten es uns wegen der Finanz-
krise nicht leisten, auf die Klimakatastrophe zu reagie-
ren, ist so falsch, wie etwas nur falsch sein kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE])


Alle Maßnahmen, die in dieser Phase nicht ergriffen
werden können, müssen über Konjunkturprogramme an-
geschoben werden. Das ist die Antwort.

Zur Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise will ich nur
eine Bemerkung machen. Die Schwellenländer und die
ärmsten Länder dieser Erde sehen es so, dass diese Krise
ihren Ausgang in den Industriestaaten genommen hat
– das trifft ja auch zu –, nämlich in den Vereinigten Staa-
ten und in Europa. Wir sind auch am meisten betroffen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Und verantwortlich!)


Die großen Schwellenländer in Asien und Lateinamerika
kommen möglicherweise – Gott sei Dank, kann man da
sagen – besser durch diese Krise hindurch; nur die Aller-






(A) (C)



(B) (D)


Hans Eichel
ärmsten sind wieder richtig getroffen. Darauf muss eine
Antwort gegeben werden, und zwar eine solidarische.

Deswegen bin ich sehr froh über das, was Sie, Frau
Bundeskanzlerin, zu den Dialogforen gesagt haben. G 8
hat für die Zukunft in der Tat nur noch so weit eine Be-
rechtigung, wie die reichsten Länder dieser Erde, die In-
dustrieländer, dort ihre besondere Verantwortung wahr-
nehmen. Aber G 8 ist nicht mehr das Format, in dem die
globalen Themen, mit denen wir es zu tun haben, be-
sprochen und gelöst werden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist das Zukunftsformat G 20 und nicht ir-
gendetwas zwischen G 8 und G 20. Denn irgendetwas
dazwischen lässt die ganze islamische Welt außen vor,
was nicht angeht, auch wenn sie wirtschaftlich vielleicht
noch nicht so bedeutend ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist
meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. Gestatten
Sie mir ein paar wenige persönliche Bemerkungen.

Wenn man über vier Jahrzehnte politische Mandate
ausgeübt hat, muss man sich natürlich irgendwann ent-
scheiden, zu sagen: Es müssen Jüngere ran. Das wird
hier geschehen. Aber man wird kein unpolitischer
Mensch. Das ist nach einer so langen Zeit nicht möglich.
Ich werde mich weiter ziemlich intensiv auch mit
Grundsatzfragen der Politik in der Evangelischen Aka-
demie Tutzing und bei Stiftungen beschäftigen. Dieses
politische Leben hat mir unglaublich viele Chancen ge-
geben, Einblicke zu nehmen und Einsichten über das zu
gewinnen, was im internationalen, im globalen Bereich
passiert. Das muss man auch ein Stückchen weitergeben.

Die Bemerkungen, die ich jetzt machen will, sind kri-
tisch. Verstehen Sie das bitte gleichzeitig immer auch als
selbstkritisch; alles andere wäre nicht in Ordnung.

Wir haben die schlimmste Finanz- und Wirtschafts-
krise seit 80 Jahren. In dieser leben wir. Ich weiß noch
sehr gut, dass uns gesagt wurde – die Zeiten habe ich als
Finanzminister erlebt –: Was heißt hier „Staaten“? Die
Finanzmärkte werden euch raten; Ratingagenturen wer-
den den Staaten Noten erteilen. – Meine Damen und
Herren, wo hat das geendet? In einem völligen Desaster
ebendieser Märkte und zum Beispiel ebendieser Rating-
agenturen!


(Lachen bei der LINKEN)


Das ist die schlichte Wahrheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir in diesem Hause haben unglaubliche Mittel, Steu-
ermittel der Bürger, einsetzen müssen. Das geschah nicht,
um die Finanzmarktakteure zu retten. Aber funktionie-
rende Finanzmärkte sind die Voraussetzung dafür, dass
die Wirtschaft überhaupt funktioniert. Das war der ein-
zige Grund, mit dem man das rechtfertigen konnte.

Wir haben aber auch erlebt: Wir sind handlungsfähig.
Das war ein gutes Erlebnis. Nur: Es darf dabei nicht blei-
ben. Ich bin sehr froh über das, was Sie, Frau Bundes-
kanzlerin, zum Thema „Staat und Markt“ gesagt haben.
Es gibt nach dieser Krise kein „Weiter so!“. Man hat
schon wieder den Eindruck, als ob insbesondere die
Finanzmarktakteure glauben, die nächste Party könne
beginnen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Das darf nicht passieren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Riesenproblem ist, Einigkeit zu erzielen, zum
Beispiel in der Europäischen Union. Ich weiß, wovon
ich rede. Da wird die Frage gestellt: Was habt ihr denn
versucht, um Regulierungen zu erreichen? Wir wissen
ganz genau, wie es im Fall der Entwicklung der City of
London und über ganz lange Zeit auch – ich freue mich
über den Wechsel in den Vereinigten Staaten – der Wall
Street gewesen ist.

Die Schulden, die wir gemacht haben, müssen bezahlt
werden. Es ist wunderbar, wenn Parteien trotz dieses
Schuldenbergs versprechen – er beläuft sich in der
nächsten Wahlperiode auf etwa 400 bis 500 Milliarden
Euro –, keine Steuern zu erhöhen. Es ist noch viel schö-
ner, wenn versprochen wird, die Steuern zu senken.
Glauben tun das die Bürger nicht, und sie haben recht
damit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir machen es doch!)


Sie ahnen sehr genau, dass die Rechnung bezahlt werden
muss. Die entscheidende Frage wird sein, wer sie be-
zahlt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir machen doch Steuersenkungen!)


– Herr Kollege Kauder, in dem Paket sind für das
nächste Jahr Steuersenkungen von 28 Milliarden Euro
vorgesehen. Das muss man gelegentlich auch einmal sa-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also! Wir machen es doch!)


Mehr, Herr Kauder, ist wirklich nicht zu machen. Das
wissen auch alle Beteiligten.

Das, worüber ich mir – genau wie Sie alle – nach mei-
nem Ausscheiden aus dem Bundestag die meisten Sor-
gen machen werde, ist der unglaubliche Vertrauensver-
lust, den wir als Politiker in der Bevölkerung erlitten
haben.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja! 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung!)


Wir alle sind – das sage ich ganz kritisch und auch
selbstkritisch – an dem Vertrauensverlust, den wir erlit-
ten haben, selbst schuld. Darauf gibt es nur eine Ant-
wort: Wir sollten den Bürgern mehr zutrauen. Wir soll-
ten ihnen zutrauen, die Wahrheit auszuhalten, die zum






(A) (C)



(B) (D)


Hans Eichel
Beispiel nach dieser Krise heißt, dass diese Krise auch
bezahlt werden muss. Mit solchen Sprüchen wie denen
von Herrn Westerwelle ist der Krise nicht zu begegnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir den Bürgern mehr zutrauen, dann heißt das
auch: Wir müssen uns mehr zutrauen. Der nächste Bun-
destag wird nicht nur darüber zu entscheiden haben, wie
die Krise bezahlt wird, sondern auch darüber, wer sie be-
zahlt. Da kann ich nur noch eines sagen: Sorgen Sie bitte
dafür, dass der soziale Zusammenhalt in diesem Lande
nicht verloren geht!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das wird eine ganz entscheidende Bewährungsprobe für
den Deutschen Bundestag und für uns alle in der Politik
sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke
mich sehr für die viele schöne kollegiale Zusammen-
arbeit. Selbstverständlich hat es auch viel Streit gegeben,
und es hat ebenso Verletzungen gegeben. Aber alles in
allem muss ich sagen: Es hat auch viel freundschaftliche
Zusammenarbeit und Wertschätzung über Parteigrenzen
hinweg gegeben. Dafür bedanke ich mich herzlich. Ich
wünsche allen, die in der aktiven Politik bleiben, alles
Gute für die schwere Arbeit, die vor ihnen liegt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623000600

Lieber Kollege Eichel, ich möchte Ihnen im Namen

des ganzen Hauses für den großen persönlichen Einsatz
herzlich danken, den Sie über etwa vier Jahrzehnte in
vielen herausragenden öffentlichen Ämtern auf kommu-
naler Ebene, auf Landesebene und im Deutschen Bun-
destag, in der Bundespolitik geleistet haben, verbunden
mit allen guten Wünschen für Ihre persönliche Zukunft.


(Beifall)


Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind Ihnen die Krawatten ausgegangen?)



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623000700

Herr Kollege Eichel, auch ich darf Ihnen viel Glück

für Ihre Zukunft wünschen. Als Ihr Nachfolger – in der
Rednerliste natürlich – möchte ich dies besonders beto-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Die Bundeskanzlerin hat eine Regierungserklärung
zu den Themen des G-8-Gipfels abgegeben. Sie hat zehn
Themen oder mehr angesprochen. Ich kann mich aus
Zeitgründen nur einem Thema zuwenden, der Finanz-
krise.

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-
rung den Satz wiederholt, man habe im internationalen
Rahmen eine klare Verpflichtung für eine neue Finanz-
marktverfassung auf den Weg gebracht. Ich möchte
betonen, dass solche Erklärungen seit mindestens
20 Jahren auf internationaler Ebene abgegeben werden.
Die Frage ist also nicht, ob heute wieder solche Erklä-
rungen abgegeben werden, sondern die Frage muss lau-
ten: Was soll konkret wann und wo geschehen? Dazu ha-
ben wir leider überhaupt nichts gehört.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte drei Quellen zitieren, um das zu beleuch-
ten. Die erste Quelle ist der Präsident des BDI. Er sagt:

Ich fürchte, dass auf den globalen Finanzmärkten
das Kasino schon wieder eröffnet wird.

Ich will es präzisieren: Es ist bereits wieder eröffnet. Das
ist das große Problem unserer Zeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Kasino läuft ohne jede Einschränkung weiter.

Die zweite Quelle ist ein Artikel des Spiegel von die-
ser Woche, in dem es schlicht und einfach heißt:

Die Notenbanken teilen den Kreditinstituten Re-
kordsummen zu, doch die geben die Milliarden
nicht weiter. Der Wirtschaft droht eine Kredit-
klemme – während die Banken mit dem Geld glän-
zende Geschäfte machen.

Es wäre doch das Mindeste gewesen, dass die Bundes-
kanzlerin auf diesen Sachverhalt eingeht und einmal
Vorschläge macht, wie die Kreditklemme überwunden
werden kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist doch kaum zumutbar, wenn Allgemeinplätze in
Serie abgelassen werden, ohne dass die drängendsten
Probleme unserer Zeit auch nur angedeutet, geschweige
denn irgendwelche Lösungsansätze hierfür vorgetragen
werden.

Meine letzte Quelle ist ein Kommentar in der Süd-
deutschen Zeitung zu den Regulierungsmaßnahmen in
den USA:

Minister Geithner verzichtet darauf, die Zahl der
Regulierungsbehörden in den USA zu reduzieren.
Es bleibt bei dem schädlichen Wirrwarr. Viele Ban-
ken hatten die unzähligen Lücken im System meis-
terhaft genutzt und missbraucht.

Wenn Sie jetzt auf europäischer Ebene neue Behörden
schaffen, besteht die Gefahr, dass dieses Urteil auch in
vollem Umfang auf die Regulierungsvorschläge der EU
zutrifft. Viele Behörden garantieren eben nicht automa-
tisch eine Regulierung. Sie schaffen eher Wirrwarr, und
damit wird den Banken die Möglichkeit gegeben, wei-
terhin das System zu unterlaufen.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Meine Damen und Herren, ich hätte erwartet, dass die
Bundeskanzlerin wenigstens einen Vorschlag macht, wie
denn international für Regulierung gesorgt werden soll –
wenigstens einen einzigen. Leider haben wir keinen ge-
hört. Deshalb möchte ich drei Vorschläge, die es auf in-
ternationaler Ebene gibt, noch einmal in Erinnerung ru-
fen:

Erstens. Wir sind der Überzeugung, dass eine Wech-
selkursstabilisierung stattfinden muss. Es gibt derzeit
auch Wechselkurskrisen; über diese wird viel zu wenig
geredet. Es ist nötig, Bandbreiten insbesondere zwischen
den Leitwährungen festzulegen. Es wäre eine interes-
sante Frage, wie sich die Bundesregierung zu diesem in-
ternational seit vielen Jahren gemachten Vorschlag stellt.

Zweitens. Wir brauchen eine Regulierung des Kapi-
talverkehrs. Wer wissen will, wie das geht, möge sich
die Regulierung der 80er-Jahre ansehen. Da gab es einen
regulierten Kapitalverkehr. Oder er nehme die unge-
zählten Stellungnahmen auch von Leuten, die von der
Deregulierung profitiert haben, zur Kenntnis, zum Bei-
spiel von Herrn Soros, und äußere sich dann dazu, in
welcher Form er den internationalen Kapitalverkehr re-
gulieren will. Wer dazu aber keinen einzigen Vorschlag
bringt, ist nicht in der Lage, eine sachgemäße Antwort
auf die gegenwärtige Krise zu geben.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: 80 Punkte!)


Drittens. Wenn es nicht gelingt, die wichtigsten Leit-
währungen über diese Regulierungen in ein vernünftiges
Verhältnis zueinander zu bringen, dann muss man auf
den Vorschlag der Sonderziehungsrechte zurückgreifen,
also auf den Vorschlag, den US-Dollar durch eine andere
Leitwährung zu ersetzen. Es würde mich interessieren,
ob die Regierung solche Vorschläge überhaupt einmal
zur Kenntnis genommen und darüber diskutiert hat und,
wenn ja, welche Stellung sie dazu bezieht. Ich stelle hier
aber fest, dass es zwar das hehre Bekenntnis gibt, auf in-
ternationaler Ebene irgendetwas zum Besten zu wenden,
aber kein einziger Vorschlag gemacht wurde, wie das
denn geschehen könnte. Die Bundesregierung hat inter-
national völlig versagt.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie national!)


Nun kommen wir zur Regulierung auf nationaler
Ebene. Es ist ja das übliche Spiel, dass man, wenn man
national nichts zustande bringt, auf die internationale
Ebene ausweicht. Ich habe hier aus dem Spiegel-Artikel
den Satz „Die Notenbanken teilen den Kreditinstituten
Rekordsummen zu“ erwähnt. Davon kommt aber nichts
bzw. – ich muss mich präzisieren – viel zu wenig beim
Mittelstand an. Man muss doch sagen, was man ange-
sichts dessen tun will. Unsere Antwort ist klar: Wie nach
der großen Depression in den Vereinigten Staaten und
wie nach der Krise in Schweden ist jetzt eine staatliche
Kontrolle des Bankensektors dringend notwendig, sonst
bekommt man die Krise in Deutschland nicht in den
Griff. Auch die Kreditklemme wird man sonst nicht in
den Griff bekommen.


(Beifall bei der LINKEN)

Es sind nämlich immer noch Risiken in einem Ausmaß
in den Bilanzen, dass ein ordentliches Geschäft über-
haupt nicht möglich ist. Die Analyse des Spiegel, also
nicht die der Fraktion der Linken, sagt ja alles: Das
Geld, das die Notenbanken ausgeben, kommt schlicht
und einfach nicht in der Realwirtschaft an. Es wäre jetzt
aber nicht nur wichtig, die Banken zu stabilisieren, son-
dern noch viel wichtiger wäre es, die Realwirtschaft zu
stabilisieren. Wenn Sie nicht dafür sorgen, dass das Geld
auch bei dieser ankommt, versagen Sie auch in diesem
Punkt, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre schön, wenn Sie sich dazu durchringen könn-
ten und es gelingen würde, die Banken in staatliche Re-
gie zu übernehmen. Selbst Professor Sinn – er ist doch
Ihr Hauptratgeber – schlägt Ihnen das vor; dafür könnte
man ihm auf Knien danken. Es wäre jetzt an der Zeit,
dass Sie darüber nachdenken. Sie könnten einfach ein-
mal experimentelle Ansätze nutzen und den schwedi-
schen Weg einschlagen; die Schweden haben das ja
hinbekommen. Aber Sie lassen weiterhin eine Bank
– ich muss das immer wieder betonen –, die Sie mit
18 Milliarden Euro unterstützen und am Leben erhalten,
krumme und sogar kriminelle Geschäfte machen. Damit
ist schon an diesem einen Fall der Commerzbank bewie-
sen, dass Sie völlig ungeeignet sind, die Krise in den
Griff zu bekommen oder gar zu lösen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte noch einmal wiederholen, welche Regu-
lierungen auf nationaler Ebene notwendig sind – es
könnte ja sein, dass irgendjemand doch einmal dazu
Stellung nimmt –:

Erstens. Wir müssen die kriminellen Geschäfte mit
Steueroasen unterbinden. Das ist national regelbar, und
das ist auch überhaupt kein Problem. Man muss solche
Geschäfte mit Strafe belegen. Warum sagen Sie dazu
nichts? Warum reden Sie nur wolkig über die Köpfe der
Menschen hinweg? Es wird weiterhin Geld in Steuer-
oasen verschoben, und es werden weiterhin kriminelle
Geschäfte gemacht. Sie sind die Hehlerin bzw. der Heh-
ler dieser Geschäfte. Sie sollten sich endlich dieser Frage
stellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Es werden weiterhin Geschäfte außerhalb
der Bilanz getätigt, weil die entsprechende nationale
Regulierung fehlt. Auch hier möchte ich daran erinnern:
Da man in der Lage war, die Zweckgesellschaften natio-
nal zu erlauben, ist man auch in der Lage, sie national
wieder zu untersagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Mindeste, was hier geschehen müsste, wäre, Klar-
heit in den Bilanzen zu schaffen.

Drittens. Es ist ja abenteuerlich: Wir haben mittler-
weile sehr viel über die Giftpapiere gehört, und das ist
eigentlich eine harmlose Umschreibung. Es hört sich so
an, als wäre lediglich ein Gift in den Bankensektor ge-
flossen. Nein, es sind vielmehr Konstrukte, die Verant-






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
wortlichkeiten zuweisen. Aber dass diese Giftpapiere
auch heutzutage noch einfach so mir nichts, dir nichts
überall gehandelt werden, ist kaum zu glauben. Selbst
Banken, die zu 100 Prozent in Bundesbesitz sind, han-
deln weiterhin mit verbrieften Krediten. Diese Banken
interessiert es überhaupt nicht, was Sie hier erzählen. Sie
handeln einfach weiter mit diesen Giftpapieren. Ich for-
dere hier für meine Fraktion, den Handel mit solchen
Schrott- bzw. Giftpapieren zu untersagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme viertens zur Regulierung der Hedge-
fonds. Diesen Punkt hat die Kanzlerin immerhin allge-
mein angesprochen. Hier wüssten wir gerne konkret, wie
dies aussehen soll. Da geht es in erster Linie um die un-
geheure Hebelwirkung und die daraus resultierenden
Folgen. Hierzu muss man eine Regulierung konkret vor-
schlagen und hier in der Bundesrepublik anfangen. So
kann es doch nicht weitergehen, weil das Wirken der
Hedgefonds letztendlich zum Verlust von vielen Arbeits-
plätzen führt, um einmal den Zusammenhang an dieser
Stelle deutlich zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus Zeit-
gründen möchte ich einen weiteren Punkt nur kurz an-
sprechen: Hier wird des Öfteren der Klimawandel ange-
führt. Auch dieser hat etwas mit der Finanzkrise zu tun.
Denn das Stichwort Deregulierung hat auch etwas mit
der Frage, wie international gewirtschaftet worden ist, zu
tun. Ich möchte es noch deutlicher sagen: Solange
25 Prozent Rendite die Ziele der Akteure auf den Fi-
nanzmärkten sind, ist eine nachhaltige CO2-Reduzierung
bis 2050 eine pure Illusion.


(Beifall bei der LINKEN)


Solche Renditeziele zwingen dazu, die Kosten zu ex-
ternalisieren, wie es so schön im Fachchinesisch heißt.
Sie zwingen dazu, den Umweltschutz zu vernachlässi-
gen, weil der Umweltschutz als lästiger Kostenfaktor be-
trachtet wird. Deshalb ist eine Umkehr bei den interna-
tionalen Renditevorgaben Voraussetzung, wenn man ein
nachhaltiges Wirtschaften in Angriff nehmen will.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist interessant, dass bei solchen Regierungserklä-
rungen immer wieder gesagt wird: Wir wollen alles tun,
damit sich eine solche Krise nie wieder wiederholt. –
Diesen Satz habe ich auch von der Kanzlerin, die übri-
gens weg ist, gehört. Ich möchte wissen, was sie damit
bezweckt


(Zurufe von der CDU/CSU: Sie ist hier! – Ihnen fehlt der Überblick!)


und wem sie damit imponieren will. Ich möchte es hier
einmal sagen, Herr Präsident: Wenn ein Regierungschef
auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene eine Erklä-
rung abgibt, dann ist es parlamentarische Gepflogenheit,
dass er sich auch die Ausführungen der Opposition dazu
anhört. Wer dies nicht tut, verrät schlicht und einfach,
dass er parlamentarische Gepflogenheiten nicht kennt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] – Zurufe von der CDU/CSU: Sie sitzt doch hinten!)


– Ich weiß nicht, wo ich die Frau Bundeskanzlerin su-
chen soll.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie ist doch da!)


Sie äußert so oft, dass Deutschland gestärkt aus der
Krise hervorgehen wird. Ich wünsche mir, dass Sie inso-
weit gestärkt aus der Krise hervorgehen, dass Sie sich
kritische Reden anhören können. Das wäre die Mindest-
voraussetzung für eine Kanzlerin, damit sie gestärkt aus
der Krise hervorgehen kann.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie sind aber sehr kurzsichtig!)


Wir haben in den letzten Jahren vor allem eines fest-
gestellt: Verantwortungsloses Handeln nicht nur im Ban-
kensektor, sondern auch in der Realwirtschaft hat immer
mehr Arbeitsplätze zerstört. Ich erinnere an die Fälle, die
in aller Munde sind, in denen mit dem Industrievermö-
gen spekuliert worden ist: Schaeffler, Porsche, Merckle –
auch tragische Fälle sollen hier genannt werden.

Unsere Antwort auf diese Krise ist die, dass die Be-
legschaften in Zukunft stärker an all diesen Entscheidun-
gen beteiligt werden müssen. Denn wir sind von einem
zutiefst überzeugt: Einzelne, die ein Milliardenvermö-
gen ihr Eigen nennen, werden es auch in Zukunft nicht
unterlassen, weiter zu spekulieren, sondern nur die Ge-
samtbelegschaft, die haftet und um die Existenz ihrer
Arbeitsplätze fürchtet, wird solche unverantwortlichen
Spekulationen verhindern. Das ist für uns die entschei-
dende Antwort auf die Finanzkrise.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die
Frage ist zunächst einmal, ob wir zu regulieren bereit
sind. Ich stelle hier fest, dass ich von der Bundeskanzle-
rin keinen einzigen Regulierungsvorschlag gehört habe.
Sie hat sich damit das denkbar schlechteste Zeugnis aus-
gestellt.

Die zweite Frage ist: Wer soll eigentlich die Zeche
für die Krise zahlen? Ich muss anerkennen, dass
Westerwelle immerhin etwas vorsichtiger geworden ist.
Er redet jetzt von einem fairen Steuersystem.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das mache ich schon seit vielen Jahren!)


Ich weiß nicht, ob Sie die Akzentverschiebung bemerkt
haben. Er hat anscheinend erkannt, dass Steuersenkungs-
versprechen in der jetzigen Situation mehr oder weniger
albern und lächerlich sind.

Die entscheidende Frage ist aber die: Wer soll die Ze-
che für diese Krise zahlen? Alles, was wir gehört haben
– zum Beispiel in Sachen Mehrwertsteuer –, deutet da-






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
rauf hin, dass Sie wie bisher weitermachen wollen. Dies
wird die entscheidende Auseinandersetzung der kom-
menden Monate sein. Es darf nicht sein, dass Arbeitneh-
mer, Rentner und sozial Bedürftige die Zeche für dieses
verantwortungslose Handeln zahlen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623000800

Nächster Redner ist der Kollege Laurenz Meyer,

CDU/CSU-Fraktion.


Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1623000900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Debatte, die wir heute führen, findet an einem Wende-
punkt dieser Krise statt. Wir sind allgemein der Mei-
nung, dass wir einen gewissen Tiefpunkt erreicht haben.
Jetzt geht es darum, einen Weg aus der Krise zu finden
und langfristig die Weichen dafür zu stellen – auch inter-
national –, dass es zu einer solchen Krise nicht wieder
kommt.

Ich will zu Beginn zwei Argumente aufgreifen, die
hier schon vorgetragen wurden. Herr Westerwelle, es
war ein bisschen kurz gesprungen und unnötig, wie Sie
sich in Ihrer Rede dazu geäußert haben, was wir für die
deutsche Wirtschaft gemacht haben. Dass wir so gut da-
stehen – auch international, wie sich jetzt zeigt –, hat
wesentlich damit zu tun, dass die deutschen Unterneh-
men sowohl durch die Unternehmensteuerreform als
auch durch die Senkung der Sozialabgaben in einer her-
vorragenden Ausgangslage sind. Insbesondere die guten
Wachstumsraten, die wir in den letzten Jahren gehabt ha-
ben, haben zu einer verbesserten Eigenkapitalquote ge-
führt. Aus all diesen Gründen können sich die deutschen
Unternehmen in dieser Krise verantwortungsvoll verhal-
ten. Diesen Unternehmen, insbesondere den mittelstän-
dischen Unternehmen, muss man dafür danken – ich tue
dies im Namen meiner Fraktion –, dass sie sich für ihre
Mitarbeiter und deren Familien auf solch verantwor-
tungsvolle Weise einsetzen. Dass von der Kurzarbeit so
großer Gebrauch gemacht wird, hätte man eigentlich
nicht erwarten können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will ganz klar sagen, dass wir diesen Weg weiter-
gehen müssen. Wir haben bestimmte Punkte in dieser
Koalition eben nicht so umsetzen können, wie wir woll-
ten. Ich nenne die Stichworte Wagniskapital, For-
schungsförderung und all das, was damit zusammen-
hängt. Angesichts der schwierigen Situation, in der
Industrieprodukte und Industrieexporte besonders be-
troffen sind, bekennen wir uns klipp und klar zum Indus-
trieland Deutschland.

Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, der in den
vergangenen Tagen eine große Rolle gespielt hat und si-
cherlich in den kommenden Wochen noch eine große
Rolle spielen wird. Ich sage an die Adresse der Banken
in unserem Land, insbesondere an die Adresse der Ban-
ken, denen wir mit einem Schutzschirm geholfen haben
oder die in kommunaler Obhut sind: Wer in dieser Lage
stärker auf Wertpapiere setzt und ein „Weiter so!“ propa-
giert, aber nicht in erster Linie die Verantwortung für die
Kreditversorgung von Unternehmen, insbesondere die
von kleinen und mittleren Unternehmen, übernimmt, der
hat seine Aufgabe nicht richtig verstanden. Dagegen
müssen wir angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Herr Eichel, Sie haben sich zu den Themen Steuern
und sozialer Zusammenhalt geäußert. Es ist richtig,
dass der soziale Zusammenhalt gerade in einer solchen
Situation von enormer Bedeutung ist. Aber mit Blick auf
Steuermaßnahmen in der nächsten Legislaturperiode
sage ich: Hier ist ein Stück weit das Gerechtigkeitsge-
fühl der Menschen betroffen. Der normale Arbeitnehmer
in unserem Land, der Facharbeiter, die Krankenschwes-
ter und der Handwerker, hat das Gefühl, dass wir uns
schwerpunktmäßig zu viel mit denen beschäftigen, die
Transferleistungen empfangen, und zu wenig mit denen,
die den Karren aus dem Dreck ziehen sollen. Steuerliche
Maßnahmen müssen durchgeführt werden, um auch
deutlich zu machen, dass diese Menschen im Mittel-
punkt der Politik in der nächsten Legislaturperiode ste-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Verehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vor zwei
Jahren in Heiligendamm die Themen Klimapolitik und
Finanzmärkte angesprochen. Vielleicht war es noch zu
früh dafür; auf jeden Fall waren die Vereinigten Staaten
und Großbritannien noch nicht in der Lage, auf diese
Themen adäquat einzugehen. Diese Themen stehen jetzt
wieder bzw. immer noch an. Ich bin sicher, dass es gut
ist – Sie haben das angesprochen –, wenn über die Re-
geln der sozialen Marktwirtschaft, über die Prinzipien
Freiheit, Wettbewerb, Leistung, Verantwortung und ins-
besondere Nachhaltigkeit international stärker diskutiert
wird. Gerade die Nachhaltigkeit wird eine große Rolle
spielen. Gegen dieses Prinzip hat man sich in der Ver-
gangenheit versündigt. Die Beschleunigung der Pro-
zesse, die durch Entwicklungen im Medienbereich ver-
stärkt wurde, hat sicher dazu geführt, dass in einer
solchen Art und Weise kurzfristig optimiert wurde, dass
das Ganze langfristig Schaden nehmen musste.

Deswegen sind insbesondere die Gedanken, die die
Bundeskanzlerin nach meinem Eindruck als Einzige in
dieser Form vorgetragen hat, wichtig und zu beachten:
Was passiert eigentlich gegen Ende der Programme, die
jetzt weltweit laufen? Wir müssen aufpassen, dass am
Ende der Programme keine neuen Einbrüche stehen. Wir
müssen aufpassen – das wissen insbesondere diejenigen,
die sich mit der Philosophie und der Wirtschaftstheorie
von Keynes beschäftigt haben –, dass am Ende nicht
wieder solche Kanten entstehen, wie wir sie jetzt hatten.
Letztlich war der Auslöser für die jetzige Krise ein gi-
gantisches Konjunkturprogramm in den USA, wie wir es
aus der Geschichte nicht gekannt haben. Deswegen müs-
sen jetzt die Weichen für einen gleitenden Übergang ge-
stellt werden. Es müssen die Weichen für offene Welt-
märkte – Stichwort: Doha-Runde – gestellt werden, und
die Weichen müssen so gestellt werden, dass insbeson-






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

dere beim Klimaschutz am Ende des Jahres verbindli-
che Ergebnisse herauskommen.

Wir begrüßen es sehr, dass in den Vereinigten Staaten
ein Umdenken – ich sage das ganz bewusst – begonnen
hat; denn wenn die Vereinigten Staaten nicht deutlich
umsteuern, wird man die übrigen Länder, insbesondere
die Schwellenländer, nicht dazu bewegen können, mit-
zuziehen. Das heißt, wenn die G-8-Staaten nicht zu
wirklich verbindlichen Ergebnissen kommen, werden
die Schwellen- und Entwicklungsländer ganz bestimmt
nicht bereit sein, den Prozess zu unterstützen. Ich sage
aber auch ganz klar – das gilt für Deutschland wie für
Europa –: Bei den Abmachungen muss es sich um welt-
weit verbindliche und kontrollierbare Vereinbarungen
handeln. Ich befürchte, dass die große Zustimmung in
unserer Bevölkerung zu den Klimazielen der Regierung
sehr schnell umschlagen könnte, wenn man den Ein-
druck hätte, dass Deutschland alleine vorwegmarschiere,
man die Ziele ohnehin nicht erreichen könne und man
zusätzlich erhebliche Wettbewerbsnachteile und Belas-
tungen in Kauf nehmen müsse. Dann hätten wir diesel-
ben an der Spitze der Bewegung gegen diese Ziele, die
das Erreichen dieser Ziele vorher lautstark eingefordert
haben. Wir haben das im letzten Jahr bei den nachwach-
senden Rohstoffen deutlich erleben können.


(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Was sagten Sie gerade? Frau Höhn, es hat mich ge-
freut, dass Sie sich wieder einmal zu Wort gemeldet ha-
ben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623001000

Es besteht offenkundig ein wechselseitiges Interesse

an dem Stellen und der Beantwortung einer Zwischen-
frage.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf ich?)


– Frau Kollegin Höhn, Sie haben das Wort.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623001100

Herr Meyer, Sie haben wiederholt gesagt, dass Kli-

maschutz Arbeitsplätzen entgegensteht und dass man
in Sachen Klimaschutz zurückstecken muss, weil Ar-
beitsplätze gefährdet sind. Warum können Sie nicht end-
lich einsehen, dass Klimaschutz Arbeitsplätze schafft,
dass sogar Wirtschaftsvertreter zunehmend sagen, dass
sie Millionen von Arbeitsplätzen im Umweltbereich
schaffen können? Warum sehen Sie nicht die Chancen,
sondern betonen immer vor allen Dingen die Risiken des
Klimaschutzes? Ich muss ehrlich sagen: Das kann ich
nicht verstehen. Sie müssten es eigentlich besser wissen.


Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1623001200

Verehrte Frau Höhn, wahrscheinlich handelt es sich

um ein akustisches Problem; denn ein intellektuelles
Problem mag ich Ihnen ungern unterstellen. Ich habe das
überhaupt nicht gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe allerdings gesagt – ich glaube, auch das ist seit
Adam Riese ziemlich bekannt –, dass man jeden Euro
nur einmal ausgeben kann.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab bei Adam Riese noch keinen Euro!)


– Bei Adam Riese gab es noch den Taler; aber das ist in-
zwischen unser Euro. – Diese Tatsache dürfen wir nicht
vernachlässigen. Das heißt, wenn der Staat und die Bür-
ger in die Bereiche des Klimaschutzes investieren, dann
können sie das, was sie ausgegeben haben, nicht für et-
was anderes ausgeben. Hier findet also eine Verlagerung
von Arbeitsplätzen statt – diese halten wir für sinnvoll –
hin zu den neuen Bereichen, die wir in großem Maße
und nachhaltig unterstützen. Natürlich fallen in den an-
deren Bereichen aufgrund ausfallender Nachfrage Ar-
beitsplätze weg; das darf man nicht unterschlagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Wenn wir das machen sollen und wenn das zum Errei-
chen der Klimaziele sinnvoll ist – dieser Meinung sind
wir –, dann muss es international geschehen, und zwar
international verbindlich. Es hat keinen Sinn, Klimaziele
national erreichen zu wollen. Wer das behauptet, streut
den Menschen Sand in die Augen oder möchte irgend-
welche Ideologien vertreten, aber nicht Klimaziele errei-
chen. Wir brauchen eine international verbindliche und
kontrollierbare Umsetzung der Klimaziele, und zwar
weltweit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin ganz sicher, dass wir nur dann, wenn die
Grundvoraussetzungen – neue Strukturen und mehr
Transparenz an den Finanzmärkten, kontrollierbare Pro-
dukte und Aufsichtsbehörden auch auf der internationa-
len, auf der europäischen Ebene – jetzt umgesetzt wer-
den und wenn wir bei der Erreichung der Klimaziele
wesentlich vorankommen, mit unseren Stärken als In-
dustrieland wieder eine Chance haben. In der nächsten
Legislaturperiode müssen wir dafür Folgendes tun: Wir
müssen Investitionen in Innovationen und in Bildung
vornehmen, und wir müssen die Arbeitnehmer unterstüt-
zen durch eine Aufwertung und eine Richtigstellung ih-
rer Wichtigkeit als diejenigen, die den Karren bei uns
ziehen und die Leistungen erbringen, damit unser So-
zialstaat insgesamt auch in Zukunft funktionsfähig sein
kann.

Das alles liegt vor uns. Wer hier ein „Weiter so!“ pro-
pagiert, dem werden wir entschieden entgegentreten, sei
es auf nationaler Ebene – ich habe eben den Bankenbe-
reich genannt, wo gewisse Tendenzen erkennbar sind –,
sei es auf internationaler Ebene. Deswegen wünschen
wir der Bundeskanzlerin, dass sie die Kraft hat, das, was
sie über zwei Jahre intensiv vertreten hat, bei den kom-
menden Konferenzen – beginnend in der kommenden
Woche in Italien – umzusetzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623001300

Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623001400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-

deskanzlerin – –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sitzt hier!)


– Danke für den Hinweis; wenn sie ihren Stuhl jetzt
schon freiwillig räumt, ist man ja froh, festzustellen, wo
sie überhaupt ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hier!)


Es wäre auch schön, wenn sie von dort aus zuhören
würde, statt die Interna der CDU/CSU zu besprechen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist die erste Runde nach der Regierungserklärung! Das gehört sich! Da hat sie recht!)


– Wie Herr Kollege Westerwelle sagt: In der ersten
Runde gehört es sich so.

Frau Merkel hat von einem entscheidenden Jahr ge-
sprochen. Sie hat jedoch zu jedem Punkt in ihrer Rede in
der Art eines überfliegenden Bundesadlers gesprochen.
Ich sage aber ganz klar: Frau Merkel, es reicht nicht, als
Naturwissenschaftlerin die Welt mit ihren Naturgesetz-
mäßigkeiten jetzt einfach zu beschreiben und dann zu sa-
gen, dieses Jahr sei wichtig. Jeder Tag ist wichtig, Frau
Merkel, und noch wichtiger ist, dass man selber eine
Richtung und ein Ziel vor Augen hat und dass man dann
entsprechend führt. Das tun Sie nicht. Das haben Sie hier
heute auch nicht getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


– Doch, Herr Kauder, das stimmt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)


Sie beschreiben hier Dinge. Sie beschreiben so schön,
man müsste sich wieder einmal mehr mit sozialer Markt-
wirtschaft beschäftigen. Ihre ganze Rede zeigt, dass Sie
gar nicht gemerkt haben, dass wir in der Finanzpolitik
und in der Wirtschaftspolitik einen Epochenwechsel
aufgrund der Klimakrise und der Hungerkrise haben.

Sie haben gar nicht gemerkt, wie sehr sich die Politik
der USA durch Barack Obama verändert hat. Ich muss
Ihnen ehrlich sagen: Es gehört wirklich einiges dazu,
nach all dem, was bei uns in der Finanz-, der Wirt-
schafts- und der Klimapolitik versäumt wurde, zu sagen:
Wir möchten die USA ermutigend führen. – Das ist der
Beweis dafür, dass Frau Merkel nicht verstanden hat,
dass die USA und andere Länder längst losgegangen
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist ja wohl ein Witz! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was ist los?)

– Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie
brauchen das, was von der grün-roten Regierung in die-
sem Land angerichtet


(Lachen bei der CDU/CSU – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: „Angerichtet“ ist das richtige Wort! Sehr treffend!)


und in Bewegung gesetzt wurde, jetzt nicht zu verdre-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle – Bei Ihnen herrscht wohl immer Stammtischniveau. – Wir haben 1,8 Millionen Jobs im Bereich der Umwelttechnologie und fast 300 000 Arbeitsplätze auf dem Gebiet erneuerbarer Energien geschaffen. Was haben Sie damals gemacht? Sie haben nur darüber geredet, sind aber nie losgegangen. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wir hatten damals das Problem zu bewältigen, dass es 5 Millionen Arbeitslose gab, Frau Künast! Vergessen Sie das bitte nicht!)


In diesen Politikbereichen ist seit vier Jahren Still-
stand zu verzeichnen. China, Indien, Südkorea und die
USA schließen, obwohl sie einen gewissen Rückstand
haben, zu uns auf oder überholen uns sogar. Sie haben
unsere Technologieführerschaft aufs Spiel gesetzt. Das
ist die Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind wohl blind! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Wo waren Sie in den letzten vier Jahren? – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Was? Es wird ja immer besser!)


Wir brauchen jetzt eine Green Economy. Selbst Ban
Ki-moon fordert dies. Neulich haben in New York
20 UN-Organisationen diese Forderung erhoben, und
selbst die Weltbank vertritt seit einiger Zeit diese Auf-
fassung. Heute hat die Kanzlerin gesagt: Ich freue mich,
dass Deutschland und die USA gemeinsam für eine
Charta des nachhaltigen Wirtschaftens eintreten. – Frau
Merkel, das haben Sie zum wiederholten Male erzählt.
Passiert ist aber nichts. Wir wollen keine Ankündigun-
gen nach dem Motto „Im Himmel ist Jahrmarkt“. Wir
sind der Meinung, dass Sie jetzt endlich einmal losgehen
müssen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie doch den Anfang und gehen Sie!)


Frau Merkel, Sie wissen selbst, dass in Ihrer Politik
Mängel vorhanden sind. Ich habe mir einmal die Rede,
die Sie in der letzten Woche beim Bundesverband der
Energie- und Wasserwirtschaft gehalten haben, durchge-
lesen. Dort haben Sie sehr schön formuliert – jetzt kön-
nen Sie wieder laut johlen, meine Herren von der Union –,
wenn man sich die Konjunkturprogramme der USA und
Chinas vor Augen halten würde, könne man feststellen,
dass man in diesen Ländern beides im Blick habe: die
grüne Erneuerung der Wirtschaft und die Ankurbelung
der Binnenkonjunktur. Dann hat die Kanzlerin gesagt:






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
Diesen Weg sollten auch wir beschreiten. – Frau Merkel,
das hätten Sie längst tun können!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Wo sind jetzt eigentlich Ihre Zwischenrufe, meine Her-
ren?


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie sprechen aus der Froschperspektive, Frau Kollegin!)


Frau Merkel ist, wie gesagt, der Meinung, dass die
USA strukturell weiter sind als wir. Das sagen Sie aller-
dings erst jetzt, nachdem Ihre Regierung, ohne soziale
und ökologische Kriterien zu beachten, 80 Milliarden
Euro herausgehauen hat, zum Beispiel für eine Ab-
wrackprämie oder für neue Bestellkataloge von Versand-
häusern, bei denen letztlich doch niemand bestellt.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Oh nein! Jetzt bringen Sie wirklich alles durcheinander!)


Frau Bundeskanzlerin, eines geht nicht: Sie können
nicht nur mit milden Worten fordern, man müsse hier
weiterhin die soziale Marktwirtschaft fördern, wäh-
rend man über die soziale – ich füge hinzu: die ökologi-
sche – Marktwirtschaft auf internationaler Ebene erst ir-
gendwann in der Zukunft diskutieren müsse. Die Frage,
was man unternehmen muss, um nicht auf Kosten kom-
mender Generationen zu leben, wird hier und heute und
auch in Deutschland entschieden. Darauf kommt es an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Frau Merkel, spielen immer noch das alte Spiel
„Klimaschutz gegen Arbeitsplätze“. Ich sage Ihnen ei-
nes: Von Ihnen hört man schöne Worte, allerdings immer
in sehr allgemeiner Form. Als es aber Ende letzten Jah-
res darum ging, klare Kante zu zeigen und innerhalb der
Europäischen Union das weitere Vorgehen abzustim-
men, waren Sie diejenige, die den Klimaschutz gegen
Arbeitsplätze gestellt hat. Damals haben Sie hier und an-
dernorts versprochen – Zitat –:

Der EU-Gipfel wird keine Klimaschutzbeschlüsse
fassen, die in Deutschland Arbeitsplätze … gefähr-
den. Dafür werde ich sorgen.

Damit haben Sie die europäische Klimaschutzpolitik
verwässert.

Frau Merkel, Sie hätten zumindest sagen können,
dass wir in Deutschland neue Arbeitsplätze schaffen.
Aber Sie verhalten sich nach dem Motto „Ich darf mich
nicht trauen, loszugehen“. Sie haben das vorhandene
Geld nicht so investiert, dass in diesem Land und in der
Europäischen Union ein Schwung entsteht und neue Ar-
beitsplätze geschaffen werden.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn da?)


Wir sagen Ihnen: Innerhalb von vier Jahren kann man in
diesem Land zwar nicht nur, aber auch durch Energie-
und Klimapolitik 1 Million neue Arbeitsplätze schaffen.

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Interessant! Brutto oder netto?)


Darauf kommt es an. So setzt man eine ökologisch-so-
ziale Marktwirtschaft in die Tat um.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen die Richtung vorgeben, haben sich aber
selber nie entschieden, wofür Sie stehen. Sie reden vom
Primat der Politik, haben das Primat der Politik in den
letzten vier Jahren und gerade in den letzten zwölf Mo-
naten aber nicht an sich gezogen und genutzt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Das Primat der Politik zeigt sich nicht am Ansteigen der
Zahl der Gesetze, das Primat der Politik zeigt sich daran,
dass man sich selber fragt – der Kollege Eichel hat das
angesprochen –: Was ist unsere soziale Aufgabe und
Verantwortung? Was ist unsere Verantwortung gegen-
über nachfolgenden Generationen? Was ist unsere Ver-
antwortung beim Erhalt unserer natürlichen Lebens-
grundlagen? Wenn man dieses in Gesetze gießt, darf
aber nicht Herr Ackermann der Autor sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann, meine Damen und Herren, muss man wirklich auf
Neuausrichtung setzen, auf nachhaltiges Wirtschaften,
auf Reformen jetzt, und darf nicht wie Sie sagen: Wir
sollten uns jetzt nach den USA und China richten.

Wir haben in diesem Land ein Minus von
438 Milliarden Euro. Mindestens genauso stark wie das
Minus ist die Politikverdrossenheit in diesem Land ge-
stiegen, weil man nicht erkennen kann, dass in Zeiten
der Krise die Politik – Sie haben es nicht gemacht – sich
ein Herz nimmt und sagt: Wir bestimmen jetzt, wie Ge-
meinwohlorientierung und Generationengerechtigkeit in
Gesetze gegossen werden. – Frau Merkel, wie kann man
hier über soziale Marktwirtschaft reden, sich gleichzeitig
aber dazu treiben lassen, trotz dieses Minus von
438 Milliarden Euro Steuererleichterungen für Besser-
verdienende zu versprechen? Herr Meyer, Sie haben ge-
sagt: Man kann das Geld nicht zweimal ausgeben.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Recht hat er!)


Welchen Teil von diesem Minus von 438 Milliarden
Euro wollen Sie denn ein zweites Mal ausgeben für die
versprochenen Steuersenkungen? Sie haben doch erklärt,
dass das nicht geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE])


Wenn ich in diesem Saal einmal nach rechts schaue,
sehe ich die Partei, die Frau Merkel immer treibt. Da
kann ich nur sagen: Diese Doublebind-Aktivitäten ken-
nen wir nur zu gut: Hier fordern Sie immer, die Steuern
zu senken und finanziell nicht einzugreifen. Doch wer ist
überall, wohin der Bundesadler mit dem Geldsäckel
fliegt, ob in Nordrhein-Westfalen, in Hessen oder am
Ende in Bayern, ob bei Opel oder bei Quelle, der Erste,






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
der sich beim Bundesadler hinten an den Bürzel hängt
und zustimmt? Es ist immer die FDP. So viel zu Ihrer
Glaubwürdigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin,
Lobesreden über sich selber halten und eine Art Füh-
rungsanspruch international behaupten kann man erst,
wenn man den Acker zu Hause bestellt hat. Ich will Ih-
nen zwei, drei Punkte nennen, wo Sie das, auch in Ihrer
Rede, nicht getan haben.

Erstens, bei der Finanzmarktregulierung. Sie haben
beim G-20-Gipfel in London gesagt: Kein Staat, kein
Produkt, kein Institut soll unreguliert bleiben. – Jetzt
macht Barack Obama eine umfassende Finanzmarkt-
reform, stellt alle wichtigen, systemrelevanten Institute
unter eine Aufsicht, macht den Stresstest für Banken,
verstaatlicht, zwingt die Banken zur Kooperation. Und
was passiert hier? Frau Merkel, wo bleibt die einheitli-
che Bankenaufsicht? Wo bleibt die Bankenaufsicht, die
alle Produkte zertifiziert und notfalls nicht auf den Markt
lässt? Wo bleibt der Schutz der Verbraucher? Wo bleiben
Regelungen, die verhindern, dass so eine Krise wieder
passiert?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen sitzen wir auf Bürgschaften und Beteiligun-
gen, und es gibt immer noch keine Neuausrichtung.
Staatsgelder werden gegeben, und die gleichen Banken
investieren immer noch und haben Dependancen in
Steueroasen. So nicht, Frau Merkel! Das ist keine neue
Politik, und das ist auch nicht soziale Marktwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns Ihre Wirtschaftspolitik an! Von der
Charta für nachhaltiges Wirtschaften, die Sie so
schön versprochen haben, war schon oft die Rede. Sie
reden hier von der Bekämpfung des Hungers, sagen,
dass wir uns um Afrika kümmern müssen. Das ist alles
richtig. Aber wenn man das will, Frau Merkel, darf man
nicht zeitgleich sagen, dass wir sofort einen Abschluss
der WTO-Verhandlungen brauchen. So, wie der Stand
der WTO-Verhandlungen im Augenblick ist, ginge das
zulasten der am wenigsten entwickelten Länder. Wer den
Hunger bekämpfen will, wer die Ernährung sichern will,
der muss bei der WTO dafür sorgen, dass die Industrie-
länder einen neuen Vorschlag machen, einen Vorschlag,
bei dem anders gewirtschaftet wird, sozial und ökolo-
gisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie tun auf der einen Seite so, als wollten Sie den Hun-
ger bekämpfen, auf der anderen Seite wollen Sie aber
mit der WTO das Gleiche noch einmal tun.

Ich habe es schon gesagt: Sie haben die Klimaziele
zur Erreichung von mehr Klimaschutz verwässert. Sie
haben es nicht geschafft, für den Gipfel in L’Aquila et-
was vorzulegen, mit dem wirklich dafür gesorgt wird,
dass für die Zukunft – für den Gipfel in Kopenhagen und
die Gespräche dort – Vorgaben gemacht werden. Statt-
dessen wollen Sie mehr Braunkohlekraftwerke bauen
und die Atomkraftwerke länger am Netz lassen. Auch
das ist keine soziale und ökologische Marktwirtschaft.

Meine Damen und Herren, wir erwarten – und zwar
kohärent: mit nationaler und internationaler Politik –,
dass Sie in L’Aquila wirklich für Klimaschutz und einen
Erfolg in Kopenhagen eintreten, dass Sie eine Finanzie-
rungszusage für die Entwicklungsländer geben und die-
ses Geld auch zahlen, weil nur dann die anderen in Ko-
penhagen mitmachen werden – nicht mehr und nicht
weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623001500

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623001600

Ich komme zu meinen letzten Sätzen. – Frau Merkel,

Sie haben die letzte Regierungserklärung abgegeben. Sie
haben in dieser Legislaturperiode gesagt, Sie wollten
dem Land dienen. Wenn ich zurückschaue, sehe ich aber
keinen Aufbruch, sondern Stillstand.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo schauen Sie hin?)


Es wird Zeit für eine Regierung, die eine gemeinsame
Richtung hat. Es wird Zeit für eine Regierung, die den
Menschen keine Steuerlügen und auch keine alten Re-
zepte auftischt. Es wird Zeit für eine Regierung, die den
Mut und die Courage hat, mit einer ökologisch-sozialen
Vision tatsächlich den Umbau dieses Landes zu organi-
sieren,


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Dann brauchen Sie gar nicht anzutreten!)


weil nur so die Jobs entstehen, auf die die Menschen
warten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623001700

Das Wort erhält nun der Kollege Jörg-Otto Spiller für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1623001800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wie lange wird die weltweite Rezession noch
andauern? Wann kommt Deutschland aus der Krise he-
raus? Welche Konsequenzen sind zu ziehen – auch über
die bloße Krisenbewältigung hinaus?

Erste Lichtschimmer sind erkennbar – der Kollege
Meyer ist schon darauf eingegangen –: Die Auftragsein-
gänge in der deutschen Industrie, die seit dem Herbst
2008 massiv zurückgegangen sind, haben sich stabili-
siert, aber mehr als die Stabilisierung des Rückgangs
– so nenne ich es einmal – ist dabei noch nicht erreicht.
Am Arbeitsmarkt sind die Auswirkungen bisher erfreu-






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller
licherweise moderat geblieben. Allerdings zeigt sich bei
näherer Betrachtung, dass dabei insbesondere ein Instru-
ment hilfreich war – ich muss sagen, dass die Regierung
hier gut gehandelt hat; in diesem Falle an vorderster
Stelle der Arbeitsminister Olaf Scholz –,


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Von ihm hat man lange nichts mehr gehört! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Gibt es den noch?)


nämlich die Verlängerung der Bezugszeit des Kurzarbei-
tergeldes, was sehr zum Auffangen der Beschäftigungs-
probleme beigetragen hat.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Aber: Es gibt 1,4 Millionen Kurzarbeiter.

Beim Übergang hin zu einer hoffentlich besseren kon-
junkturellen Entwicklung darf keine Rückkehr zur Rou-
tine erfolgen. Diese Krise ist nicht einfach nur ein Kon-
junktureinbruch, sondern sie ist durch eine weltweite
Finanzkrise ursächlich verschärft worden.

Der Bundesbankpräsident hat vor kurzem darauf hin-
gewiesen, dass es nicht angemessen ist, wie es gelegent-
lich geschieht, hier von einem Erdbeben zu sprechen
oder das Ganze mit einem Tsunami zu vergleichen. Das
waren keine Naturgewalten. Ich zitiere Herrn Weber:

Von Naturgewalten kann jedoch nicht die Rede sein
… Es ist eine von menschlichen Fehlleistungen ver-
ursachte Katastrophe.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Daran ist er nicht ganz unschuldig! Auch die Regierung nicht!)


Ich gehe noch einen Schritt weiter: Es handelte sich
nicht nur um Fehlleistungen Einzelner, sondern um das
Scheitern des marktradikalen Modells.


(Beifall bei der SPD)


Der Finanzmarkt braucht Regeln: internationale Re-
geln, durchsetzbare Regeln. Es muss auch darum gehen,
falsche Anreize zu beseitigen, beispielsweise bei der
Vergütung des Managements.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung hat bemerkenswerterweise, wie
ich finde, schon viel erreicht. Bei dem letzten G-20-Tref-
fen in London ist die Konkretisierung von gemeinsamen
Regeln für den internationalen Finanzmarkt verabredet
worden. Daran wird aber weiter gearbeitet werden müs-
sen. Ich wage einmal die Prognose: Wenn sich das lange
hinzieht, dann wird die Zahl derjenigen, die sagen: „Wir
knüpfen an das Vergangene an, die Krise ist ja bewäl-
tigt“, massiv zunehmen. Wir müssen das Eisen schmie-
den, solange es heiß ist.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage in Abwandlung eines bekannten Wortes von
Georges Clemenceau: Das Finanzsystem ist zu wichtig,
als dass man es den Bankern überlassen könnte.


(Beifall bei der SPD)

Herr Westerwelle, der spätere Schwiegervater von
Theodor Heuss, Georg Friedrich Knapp, hat 1905 sein
Buch „Staatliche Theorie des Geldes“ veröffentlicht. Da-
mals nannten sich Professoren, die Makroökonomie an
deutschen Universitäten lehrten, noch Staatswissen-
schaftler.


(Ortwin Runde [SPD]: Ja, die waren es sogar noch!)


Der erste Satz dieses Buches lautet: „Das Geld ist ein
Geschöpf der Rechtsordnung.“ In der FDP, die Sie füh-
ren, hätte dieser Mann keine Chance gehabt.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben bei aller trotzigen Lernunwilligkeit der
letzten Jahre heute nur leichte Anzeichen von Nachdenk-
lichkeit – es könnte doch notwendig sein, dass der Staat
eine Aufgabe mit Blick auf die Finanzmärkte hat – er-
kennen lassen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie tun ja so, als ob die FDP in den letzten elf Jahren regiert hätte!)


Sie befinden sich offenbar doch in einem, ich sage ein-
mal: Erkenntnisprozess. Ich wünsche Ihnen dabei viel
Erfolg. Es hat allerdings auch sehr lange gedauert. Sie
haben jahrelang versucht, uns einzureden, alles Übel
komme von zu vielen staatlichen Regeln und zu vielen
staatlichen Eingriffen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ihr habt es euch einreden lassen!)


Sie haben in den ersten Monaten nach der Krise ver-
sucht, alle Probleme abzuwälzen, indem Sie die These
formuliert haben, es handele sich eigentlich nur um ein
Behördenversagen, nicht etwa um eine Krise des Ban-
kensystems.

Zum Abschluss möchte ich allerdings auch sagen:
Der Verlust an Vertrauen in das Bankensystem war so
groß, dass staatliche Stabilisierungsmaßnahmen in ei-
nem Umfang erforderlich waren, den eigentlich niemand
von uns gewollt hat. Aber es kann nicht auf Dauer das
Geschäftsmodell der Banken sein: Wenn etwas schief
geht, wird der Staat es schon richten.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen müssen wir so schnell wie möglich zu einem
System mit klarer Verantwortung zurückkehren. Versa-
gen muss dann auch sanktioniert werden.


(Beifall bei der SPD)


Gestatten Sie auch mir eine letzte, persönliche Be-
merkung: Ich möchte mich bei Ihnen allen für das leb-
hafte Interesse bedanken, das Sie seit langem an meinem
Wahlkreis haben.


(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Welcher ist das denn?)


Es ist allerdings auch der interessanteste, den das Land
zu bieten hat: Berlin-Mitte. 28 Jahre lang verliefen durch
diesen Wahlkreis die Berliner Mauer und der Todesstrei-
fen. Das ist nicht vergessen. Das relativiert auch ein






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller
Stück weit, Herr Kollege Lafontaine, die jetzige Pro-
blemlage. Dieses Land ist schon mit größerem System-
versagen gut klargekommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich werde Ihnen natürlich auch weiter verbunden
bleiben. Wenn allerdings demnächst der Bundeskanzler
seine Regierungserklärung abgibt, werde ich einen Platz
auf dem Rang haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Setzen Sie den Herrn Steinmeier nicht so unter Druck! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Bundeskanzlerin!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623001900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Michael

Meister, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1623002000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte zunächst einmal dem Kollegen Hans
Eichel im Namen meiner Fraktion für die Zukunft alles
Gute wünschen. Wir waren in den finanzpolitischen De-
batten nicht immer einer Meinung, aber ich glaube, wir
hatten einen fairen Umgang. Deshalb wünsche ich Ihnen
im Namen meiner Fraktion alles Gute für Ihre Zukunft,
Herr Eichel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Lieber Herr Spiller, ich freue mich, wenn wir Sie im
Herbst wiedersehen. Ich habe bisher nicht gewusst, dass
Sie sich so darauf freuen, der Bundeskanzlerin Angela
Merkel Ihr Ohr zu leihen. Herzlichen Dank, dass Sie so
gesinnt sind!


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist eine weite Interpretation!)


Bei allen drei Krisen, die uns momentan begegnen
– die Finanzkrise, die Konjunkturkrise und die Struktur-
krise in einigen Branchen –, sind wir als Nation, die als
Exportweltmeister am stärksten in den internationalen
Handel integriert ist, massiv von dem betroffen, was bei
der internationalen Konferenz der G-8-Staaten bzw. G-8-
plus G-5-Staaten verabredet wird, weil unsere eigene
Zukunft am meisten von der Frage abhängt, ob es hier zu
belastbaren Ergebnissen kommt. Deshalb ist es wichtig,
dass wir hier gemeinsam über diese Frage diskutieren.

Ich will zu Beginn feststellen, dass wir als Land in der
Krise handlungsfähig sind. Das ist eine wichtige Voraus-
setzung dafür, dass wir unsere Stimme bei solchen De-
batten erheben können. Der Blick nach vorne mag
manchmal die Leistung, die hinter einem liegt, etwas
verstellen, Herr Westerwelle. Deshalb möchte ich darauf
hinweisen, dass wir im letzten und im vorletzten Jahr in
Deutschland ausgeglichene gesamtstaatliche Haushalte
hatten. Das ist eine große Leistung dieser Koalition, die
uns die Möglichkeit gibt, uns mit der Frage zu beschäfti-
gen: Wie kommen wir aus der Krise heraus?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Schulden habt ihr gemacht!)


Wir diskutieren über die Frage: Wie können wir neue
Arbeitsplätze schaffen? Wir haben in den vergangenen
drei Jahren in Deutschland 1,5 Millionen neue Arbeits-
plätze geschaffen. Diese Wachstumsstrategie, die wir
begonnen haben, müssen wir mit neuen internationalen
Rahmenbedingungen in der Zukunft konsequent weiter-
führen, um den Menschen in Deutschland die Perspek-
tive zu bieten, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Das ist
unsere Verantwortung an dieser Stelle.

Wir haben uns massiv auf die Zukunft ausgerichtet,
weil wir trotz aller Nöte in den Haushalten dafür gesorgt
haben, dass wir stärker in die Zukunft investieren. Ich
nenne den Ausbau von Forschung und Entwicklung. Vor
der Krise, in der Krise und, wie ich meine, auch nach der
Krise muss das ein Hauptfeld sein. Wir müssen mehr für
Forschung und Entwicklung tun, um unseren Beitrag
dazu zu leisten, aus dieser Krise herauszukommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir internationale Diskussionen führen, dann
sollten wir uns, denke ich, selbst vergewissern, ob wir
dafür eine eigene Position und einen klaren Kurs haben.
Aus meiner Sicht ist die soziale Marktwirtschaft durch
diese Krise nicht infrage gestellt. Die soziale Marktwirt-
schaft mit ihren Prinzipien ist vielmehr die Antwort auf
diese Krise. Das sollten wir als Deutsche auf den inter-
nationalen Konferenzen klar und deutlich vertreten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg van Essen [FDP]: Die SPD klatscht nicht!)


Deshalb habe ich mich heute Morgen etwas über Frau
Kollegin Künast geärgert, die Anstand in der Debatte
eingefordert und bemerkt hat, dass angeblich einige
nicht anwesend sind, aber jetzt, wenn es vielleicht ange-
messen wäre, den anderen Rednern zu lauschen, selber
durch Abwesenheit auf sich aufmerksam macht.

Frau Künast, Sie haben die soziale Marktwirtschaft
infrage gestellt. Deshalb sage ich klar und deutlich: Wir
als Union halten an der sozialen Marktwirtschaft fest,
und wir wollen diese Prinzipien bei den internationalen
Konferenzen durchsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, wir müssen den Hinweis, den der Kollege
Eichel gegeben hat, ernst nehmen. Wir werden als Euro-
päer nur dann eine Chance haben, uns bei diesen Konfe-
renzen bemerkbar zu machen, wenn wir mit einer ge-
schlossenen europäischen Position auftreten.


(Ortwin Runde [SPD]: Das ist richtig!)


Die Hinweise, die aus der City of London kommen, sehe
ich als hochgradig gefährlich dafür an.


(Beifall des Abg. Jörg-Otto Spiller [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister
Bei der ersten Finanzkrise, die wir jetzt erleben, ha-
ben die Menschen akzeptiert, dass wir mit einem guten
Krisenmanagement reagieren. Eine zweite Finanzkrise
mit gutem Krisenmanagement würden sie uns nicht
mehr nachsehen. Wir sind jetzt in der Pflicht, einen
neuen Rahmen für die Finanzmärkte zu schaffen, der
eine bessere Krisenprävention bietet. Wenn wir das
nicht leisten, dann werden wir als Politiker in unserer
Glaubwürdigkeit und Verantwortung infrage gestellt
werden. Das dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht darum, dass wir neues Vertrauen in die Fi-
nanzmärkte organisieren. Wir sind, glaube ich, die Einzi-
gen, die das können. Es gibt bedauerlicherweise keinen
anderen, der dafür sorgen kann. Mir geht es in der De-
batte nicht um mehr oder weniger Regeln oder darum,
ob alles geregelt werden soll oder ob es überhaupt keine
Regeln geben soll. Das ist nicht die entscheidende Frage.
Vielmehr muss es um die Frage gehen, wie wir bessere
Regeln finden können, die die Wahrscheinlichkeit einer
neuen Krise verringern. Wir dürfen keine Regeln aufstel-
len, die möglicherweise dazu führen, dass wir in eine
neue Krise laufen. Darüber müssen wir debattieren. Wir
sind gerne bereit, darüber zu streiten.

Ich glaube, der Weg, der in Heiligendamm angelegt
worden ist, ist richtig. Wir brauchen mehr Transparenz.
Es muss klar sein, was geschieht. Halbwahrheiten und
Halboffenheit sind nicht hinreichend. Wir brauchen
volle Transparenz.

Wir müssen selbstkritisch, aber auch mit Blick nach
draußen sagen: Wir brauchen national und international
eine bessere Aufsicht für den Finanzsektor. Wir müssen
das nicht nur in Deutschland durchsetzen – die Dualität
sehe ich an dieser Stelle kritisch –, sondern auch dazu
kommen, dass in Europa und international eine abge-
stimmte Aufsicht stattfindet. Die Aufsicht darf nicht
plötzlich an den nationalen Grenzen enden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Vergütungssysteme müssen zudem so ausgerich-
tet werden, dass die Menschen Interesse an einem nach-
haltigen Erfolg und nicht an kurzfristiger und ungesun-
der Gewinnmaximierung haben. Wir haben nun die
Chance, dafür zu sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich gebe der Frau Bundeskanzlerin mit auf den Weg:
Sie hat die ausdrückliche Unterstützung meiner Fraktion
auf dem Gipfel in L’Aquila. Dabei darf nicht nur über
diese Fragen geredet werden. Wir brauchen vielmehr Er-
gebnisse am Ende des Gipfels, damit wir wirklich glaub-
würdig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen bei diesem Prozess die Menschen mit-
nehmen. Die Menschen werden wir nicht mitnehmen,
wenn wir sie gegeneinander ausspielen. Wir müssen ver-
suchen – ich bin sehr optimistisch, da die Stimmung in
unserem Land trotz Krise noch immer gut ist –, die Men-
schen zu motivieren, gesellschaftlich geschlossen aus
der Krise herauszukommen; das kann gelingen. Wir soll-
ten alles unterlassen, was unsere Gesellschaft spaltet,
und alles dafür tun, dass alle motiviert sind, gemeinsam
nach vorne zu gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will drei Punkte ansprechen, die ich für zentral
halte.

Erstens. Wir brauchen nicht nur in Europa, sondern
auch weltweit stabile Währungen. Darüber muss drin-
gend gesprochen werden. Entscheidend sind folgende
Fragen: Wie unabhängig – hier blicke ich vor allem in
Richtung USA – sind die Zentralbanken? Halten wir an
den Zielen von Maastricht fest oder nicht? Darüber wird
in Europa diskutiert. Ich bin der Meinung, dass wir auch
in der Krise an diesen Zielen festhalten müssen. Wir ha-
ben mit der Schuldenbremse ein vorbildliches Zeichen
gesetzt. Unser Weg führt nicht in den Schuldenstaat. Wir
wollen die Krise bekämpfen. In diesem Zusammenhang
weise ich darauf hin, dass wir international nicht kriti-
siert werden, weil wir zu viel tun und zu viele Schulden
machen, sondern weil wir angeblich zu wenig tun. Tat-
sächlich haben wir genau über den Finanzrahmen nach-
gedacht. Trotzdem wird die Situation nach der Krise ex-
trem schwierig sein. Es wird nicht leicht sein, aus ihr
herauszukommen. Aber es ist eine Mär, dass wir unver-
antwortlich handeln. Wir tun das Notwendige, aber auch
nicht mehr. Das ist verantwortliche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans Eichel [SPD])


Der zweite eng mit den Staatshaushalten verknüpfte
wichtige Punkt ist die Geldwertstabilität. Die Geld-
wertstabilitätspolitik der Notenbanken und die Finanz-
politik der öffentlichen Hand müssen Schritt für Schritt
wirken. Auch wir haben hier Verantwortung. Ich persön-
lich gehe davon aus, dass die Notenbanken zu einem
Zeitpunkt, zu dem wir alle noch mit der Bewältigung der
Krise befasst sind, möglicherweise schon dabei sind,
über die Geldwertstabilität nachzudenken. Ich appelliere
an die Kollegen in diesem Haus, diese Rolle der Noten-
banken zu akzeptieren und nicht zu rufen: Ihr tut das Fal-
sche! – Die Notenbanken tun das Richtige. Wir müssen
unter den Rahmenbedingungen arbeiten, die sie setzen.
Wir dürfen diese nicht infrage stellen.

Der dritte Punkt betrifft die offenen Märkte. Mich
verärgern wahnsinnig Slogans wie „Buy American“ und
protektionistische Ansätze in der Automobilindustrie. In
einigen Staaten wird gezielt etwas für heimische Herstel-
ler getan. Ich glaube, dagegen muss vorgegangen wer-
den; denn wenn die Märkte abgeschottet werden, wird
sich die Krise verschärfen und es wird nach der Krise
nicht leichter, sondern schwieriger, eine Wachstumsstra-
tegie zu verfolgen. Das hilft übrigens nicht nur uns als
Exportnation, es hilft auch den Schwachen, über die wir
diskutieren; denn auch sie werden nur dann eine Chance
haben, stärker am Welthandel und an der Weltproduktion






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister
beteiligt zu sein, wenn es offene Märkte gibt. Sie werden
keine Chance haben, wenn Abschottung stattfindet. Des-
halb sind offene Märkte nicht nur für uns, sondern auch
für die Schwächeren wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich hoffe, dass es uns gelingt, eine neue Finanzmarkt-
architektur zu schaffen. Ich glaube, dass wir in einer
Umbruchsituation sind. Manch einer von außerhalb, der
uns in den vergangenen Jahrzehnten belächelt und ge-
fragt hat, was denn die Deutschen mit ihrer sozialen
Marktwirtschaft wollen, wird möglicherweise erkennen,
dass diese eine richtige Grundlage ist. Wir haben jetzt
die Chance, Frau Bundeskanzlerin, dies in den Gesprä-
chen deutlich zu machen. Ich würde mich freuen, wenn
uns das gemeinsam auf dem schwierigen Weg, der vor
uns liegt, gelingen würde.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623002100

Ortwin Runde ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1623002200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ort

und Zeitpunkt dieser internationalen Konferenz sind aus
meiner Sicht gut gewählt; denn wenn man sich die Re-
aktionsmuster auf Erdbeben und auf Weltwirtschafts-
und Finanzkrisen ansieht, dann stellt man fest, dass
beide den gleichen Abläufen folgen. Insofern könnte die
Tagung in einem Erdbebengebiet in Italien Anlass für
entsprechende Reflexionen der Teilnehmer dieser Kon-
ferenz sein. Jedes Erdbeben löst Tragödien aus, bei je-
dem Erdbeben wird nach den Ursachen gefragt. Nicht
selten kommen die gleichen Antworten, die die enorme
Zerstörungskraft erklären sollen: die kaum vorherseh-
bare Stärke des Bebens, die Fehler bei der Baukonstruk-
tion, die schließlich zum Einsturz von Gebäuden geführt
haben, Schlamperei oder Pfusch am und beim Bau, das
Unterwandern von Regeln durch Private, um eine gute
staatliche Aufsicht zu umgehen, das alles nicht selten
von Renditegier getrieben. Das sind die üblichen Erklä-
rungsmuster bei Erdbeben.

Nach dem ersten Schock kommt dann das Verspre-
chen, es in Zukunft besser machen zu wollen, damit sich
eine solche Katastrophe nicht wiederholen kann. Der
letzte Satz könnte von der Frau Bundeskanzlerin sein.
Das habe ich auch heute hier wieder so gehört.

Die Frage ist: Lernen denn die Politiker aus solchen
Situationen? Frau Bundeskanzlerin, ich muss sagen, es
wäre wenig angemessen, wenn der italienische Minister-
präsident die Kulisse von L’Aquila benutzen würde, um
sich als sozialer Wiederaufbauer feiern zu lassen. Das
wäre angesichts der beachtlichen Dreistigkeit, dass er
die Lage der überlebenden Opfer von L’Aquila in den
provisorischen Zeltstätten mit einem Campingurlaub
verglich, wirklich ein ganz starkes Stück. Das geht nicht.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir an die Finanzkrise denken, dann muss man
sagen, dass die gegenwärtige Situation hoch wider-
sprüchlich ist. Wir befinden uns noch mitten in der
Krise. Es ist nicht so, dass die Regeln, die auf dem G-20-
Gipfel in London deklariert wurden, schon umgesetzt
wären. Wir erleben gegenwärtig vielmehr, dass die Euro-
päische Zentralbank den Banken 440 Milliarden Euro
für 12 Monate mit einem Zinssatz von 1 Prozent zur Ver-
fügung gestellt hat, damit sie den Unternehmen besser
Kredite geben können. Was tun die Banken?
135 Milliarden Euro davon geben sie mit einem Zinssatz
von 0,25 Prozent wieder zurück. Das heißt, das Ver-
trauen der Banken untereinander ist nach wie vor nicht
vorhanden. Sie kommen ihrer eigentlichen Funktion,
Kredite an Unternehmen und Personen zu geben, nach
wie vor nicht nach.

Deswegen sind wir zu so etwas wie Bad-Bank-Lösun-
gen gezwungen, wobei man feststellen muss, dass es
problematisch ist, wenn man über Zweckgesellschaften
die schlechten Teile ausgliedert, von den guten Teilen
trennt. Denn diese Zweckgesellschaften haben seinerzeit
genau zu den Krisen geführt, mit denen wir gegenwärtig
zu tun haben. Das ist ein Stück weit der Versuch, den
Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Das erfordert
nicht nur starken Glauben, sondern auch konsequentes
Handeln, wenn das gut gehen soll. Denn das bedeutet,
dass man für die Zukunft einen Rahmen für die Finanz-
märkte, für die Finanzinstitutionen haben muss, der sol-
che Exzesse, solche Verhaltensweisen, wie wir sie erlebt
haben, für die Zukunft unmöglich macht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier gibt es einige positive Anzeichen. Dennoch
meine ich, die Politik macht sich in all diesen Debatten
Schwierigkeiten aufgrund der Konkurrenzgelüste. Poli-
tik muss, wenn der Staat eine andere Rolle gegenüber
den Märkten einnehmen will, selbstbewusster sein und
ihrem Gestaltungsanspruch anders gerecht werden. Das
hat dieser Bundestag in den letzten Wochen nach der
Krise in einer Reihe von Gesetzgebungsvorhaben ge-
macht. Die ersten Reaktionen, die es von allen Parteien
gemeinsam gegeben hat, sind dafür beispielhaft. Hand-
lungsfähigkeit des Staates ist da von diesem Parlament
gezeigt worden. Die Aufstellung von Regeln für Mana-
gergehälter, die Entwicklung anderer Anreizsysteme,
eine neue Definition von Managerhaftung sowie die Be-
kämpfung von Steuerhinterziehung und Steueroasen
sind wichtige Schritte, auf die man ein Stückchen stolz
sein kann.


(Beifall bei der SPD)


Die Situation der Finanzmärkte ist aber nach wie vor
hochkritisch. Die USA wurden gerade als Gegenbeispiel
zu Deutschland gelobt, dass dies dort angeblich so gut
geregelt ist. Wenn dort den Banken ermöglicht wird, sich
aus der staatlichen Einflussnahme herauszukaufen, die
großen Banken Gelder zurückgeben, um der Regulie-






(A) (C)



(B) (D)


Ortwin Runde
rung des Staates zu entgehen, und die Wettbewerber, die
Investmentbanker wieder anfangen, wie die Croupiers in
den Kasinos tätig werden zu wollen, dann stimmt mich
das allerdings hochnachdenklich.


(Beifall bei der SPD)


Die amerikanische Bankenaufsicht als Beispiel zu neh-
men, verrät wenige Kenntnisse. Wenn man sieht, wie
zerfasert dort die Aufsicht ist, dann sind wir weit weg
von vernünftigen Verhältnissen.

Bei dem G-8-Gipfel wird es darauf ankommen, dass
das, was damals beim G-20-Gipfel in London begon-
nen worden ist, in einem Prozess weitergeführt wird,
dass die verschiedenen Teilnehmer, angefangen von den
Briten über die Amerikaner bis zu allen anderen, die
Grundsätze, die sie sich beim G-20-Gipfel vorgenom-
men haben, jetzt auch umsetzen und nicht schon wieder
aufgrund der Konkurrenz der Finanzplätze jede konkrete
und konsequente Regulierung erschweren und unmög-
lich machen. Hier kommt auf den Gipfel wirklich eini-
ges zu.

Im Gegensatz zu Erdbeben handelt es sich hier um
eine von Menschen gemachte Krise. Deswegen ist es
Menschen auch möglich, Vorkehrungen zu treffen, damit
zukünftig eine solche Krise nicht mehr eintritt. Ich hoffe,
dass insoweit der Gipfel erfolgreich sein wird.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1623002300

Das Wort erhält der Kollege Dr. Georg Nüßlein,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall des Abg. Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU])



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1623002400

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der

G-8-Gipfel wird wie auch diese Debatte im Zeichen der
Krise stehen. Ursachen für diese Krise gibt es etliche.
Weil es bisher noch nicht deutlich hervorgehoben wurde,
möchte ich an dieser Stelle unterstreichen: Die meisten
Ursachen liegen nicht in Deutschland. Zu den Ursachen
zählen fehlende Finanzmarktkontrollen – insbesondere
in den USA –, gekaufte Ratingagenturen, Beleihung bis
zum letzten Dachziegel, Vernachlässigung von Risiko-
Rendite-Zusammenhängen sowie verbriefter Lug und
Trug.

Ich kann all das auch ohne Aufzählung formulieren:
In einigen Ländern praktiziert man Wirtschaftsmodelle
– oder hat dies zumindest getan –, die auf jegliche Steu-
erungsinstrumente der Märkte verzichten. Man fährt
dort also ohne die Leitplanken der sozialen Marktwirt-
schaft. Das ist das Problem. Ich hebe dies deshalb so
deutlich hervor, weil es interessierte Kreise, insbeson-
dere auf der linken Seite, gibt, die so tun, als wäre die so-
ziale Marktwirtschaft das Problem. Nein, das ist sie
nicht. Wären andere Nationen unserem Erfolgsmodell
der sozialen Marktwirtschaft stringent gefolgt, hätten
wir diese Verwerfungen heute nicht. Gleiches gilt für die
Reform der internationalen Finanzmärkte. Die Bundes-
regierung unter Angela Merkel hat sich bereits bei ihrer
G-8-Präsidentschaft vor zwei Jahren für eine bessere Fi-
nanzmarktregulierung eingesetzt. Leider geschah dies
nicht mit dem notwendigen und gewünschten Erfolg.

Gestatten Sie mir, dass ich zunächst einmal den
Blick auf Deutschland richte. In guten Tagen konnte
die unionsgeführte Regierung unser Land in vielen Be-
reichen weit nach vorne bringen. In guten Tagen – das
sage ich an die Adresse der Grünen, weil ich die Rede
von Frau Künast noch im Ohr habe – haben wir
Deutschland nach langen Jahren des Stillstands wieder
zur Wachstumslokomotive Europas gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mehr als 1 Million neue Arbeitsplätze wurden ge-
schaffen. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf dem
niedrigsten Stand seit über zwölf Jahren. Ohne die Krise
hätten wir mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit be-
reits im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Haushalt er-
reicht. Das war eine gute Ausgangsposition, die wir in
guten Tagen geschaffen haben. Ich sage aber ganz offen:
Niemand hat geglaubt, dass wir diese Ausgangslage so
sehr strapazieren müssen.

Noch vor einem Jahr hat niemand gedacht, dass wir
so häufig über zusätzliche Milliardenausgaben disku-
tieren müssen und das Wort Milliarde überhaupt über
unsere Lippen gehen wird. Dies geschah aber nicht aus
Leichtfertigkeit, sondern mangels Alternativen. Das for-
muliere ich insbesondere an die Adresse der FDP, die
das Privileg der Opposition so strapaziert. Sie sagt, dass
hier Furchtbares passiert, zeigt aber nicht auf, was sie an
unserer Stelle alternativ machen würde. Sie muss sich
mehr Verantwortungsbewusstsein zulegen, um fähig zu
sein, nach der Wahl mit uns zu regieren.

Noch vor einem Jahr hat niemand gedacht, welche
Anstrengungen wir dieser Tage unternehmen müssen,
um die Banken funktionsfähig zu halten. Noch vor ei-
nem Jahr hat niemand daran gedacht, dass gerade die
Kurzarbeit zu den wirkungsvollsten und wichtigsten ar-
beitsmarktpolitischen Instrumenten zählen wird, um Ka-
pazität und Kompetenz nach der Krise sicherzustellen,
gerade und besonders im Mittelstand.

Ich sage ganz offen: Natürlich kosten diese nationalen
Anstrengungen Geld. Ich meine aber, dass angespannte
Haushalte letztendlich kein Politikverbot sein können.
Der Durchschnittsverdiener in Deutschland verzweifelt
nicht an den öffentlichen Haushalten und an den öffentli-
chen Kassen, sondern an der eigenen. Ihm ist die Finanz-
krise im eigenen Haushalt doch viel näher als die Fi-
nanzkrise der Volkswirtschaft. Deshalb muss die Politik
ihn entlasten. Es gibt keine Alternative. Das sind im Üb-
rigen keine Wahlkampfversprechen. Das ist Realität. Der
Kollege Eichel hat selber zugegeben, dass wir auf einem
guten Wege sind und mit 28 Milliarden Euro jetzt schon
Entlastungen bringen.

Die Verankerung der Schuldenbremse war eine
Pflicht gegenüber der jungen Generation, aber insbeson-
dere auch wichtig als Beispiel für andere Nationen. Die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
Stabilität der Währung – Kollege Meister hat es ange-
sprochen – treibt niemanden so sehr um wie – aufgrund
der gemachten Erfahrungen – die Deutschen. Auch hier-
bei muss Politik ein hohes Maß an Verlässlichkeit zei-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich fordert eine globale Krise auch globale Ant-
worten. Wichtig bei der Bekämpfung der aktuellen Krise
sind vor allem offene Märkte. Protektionismus mauert
eine Wirtschaft ein. Ich halte es für bemerkenswert, dass
Angela Merkel einen Schwerpunkt ihrer Regierungser-
klärung auf die Themen „Entwicklungshilfe“ und „Kli-
maschutz“ gelegt hat. Ich weiß, dass das die Grünen är-
gert – man hat das bei der Rede von Frau Künast ganz
deutlich gespürt –, weil ihnen die Klimakanzlerin die
Butter vom Wahlkampfbrot nimmt. Es würde auch mich
bewegen, wenn ich meine Überflüssigkeit so deutlich
spürte wie Sie bei den Grünen.


(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Es ist evident, dass gerade die Entwicklungs- und
Schwellenländer besonders leiden. Den Hunger zu be-
kämpfen, ist zunächst Christenpflicht, aber es ist auch
ein Gebot der politischen Vernunft; denn ein Fünftel der
Menschheit kann weder psychisch noch physisch in
Frieden leben, wenn es vier Fünfteln auf der Welt
schlecht geht. Das ist so ähnlich wie mit den Steuerent-
lastungen. Es gibt kein Politikverbot. Es wäre politisch
weder akzeptabel noch verantwortlich, mit Blick auf den
Haushalt die Entwicklungshilfe zurückzuführen.

Allerdings: Nicht mit bilateralen, sondern nur mit
multilateralen Lösungen können Entwicklungs-, Schwel-
len- und Industrieländer einen fairen Interessenausgleich
erreichen. Gerade für die Lösung der weltweiten Finanz-
und Wirtschaftskrise – unter dieser Krise leiden die Ent-
wicklungsländer besonders – ist es wichtig, dass Doha
bald Erfolge vermelden kann.

Ähnliches gilt im Übrigen für den Klimaschutz.
Auch der funktioniert nur global. Ich möchte Ihnen ein
Beispiel sagen. Der europäische Emissionshandel be-
günstigt russisches Gas und verteuert heimische Kohle.
Das reduziert zunächst den CO2-Ausstoß in der EU.
Russland allerdings nutzt Kohle mit veralteter Technolo-
gie, um Gas zu substituieren, das dann teuer in die EU
exportiert wird. Klimaschutz funktioniert eben nur welt-
weit. Die Kanzlerin hat das heute richtig akzentuiert und
wird das auch in L’Aquila tun. Die Froschperspektive
der Grünen ist hier jedenfalls nicht angemessen.

Bereits 2007 hat die Bundeskanzlerin beim Gipfel in
Deutschland zu Recht darauf hingewiesen, welch große
Rolle die Schwellenländer für eine intakte Weltwirt-
schaft spielen, und das Format „G 8 plus G 5“ als the-
menbezogenen Dialog der G 8 mit den großen Schwel-
lenländern initiiert. Das war eine Initiative dieser
Bundeskanzlerin. In den Arbeitsgruppen „Investitio-
nen“, „Geistiges Eigentum“, „Energie“ und „Afrika“
wurden viele Schritte aufeinander zu getan.
In L'Aquila soll eine gemeinsame Erklärung abgege-
ben werden, eine Erklärung mit dem Bekenntnis zu offe-
nen Märkten, zur Förderung der Investitionsfreiheit und
zu Entwicklungsprinzipien. Es geht darum, den in Heili-
gendamm erfolgreich begonnenen Prozess fortzusetzen;
denn nur gemeinsam können wir die Herausforderungen
der aktuellen Krise meistern, und nur gemeinsam kön-
nen wir die globalen Probleme der Menschheit lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623002500

Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1623002600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen und

Kolleginnen! Eines ist unstrittig: Die Entwicklungslän-
der sind an der jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise
ganz unschuldig – diese Krise ging von der Wall Street
aus –, aber sie sind doppelt betroffen, zum einen des-
halb, weil ihre eigene Wirtschaft darunter leidet und Ar-
beitsplätze bei ihnen wegbrechen, aber zum anderen
auch deshalb: Arbeitsmigranten, die in Industrieländern
leben und oft in fragilen Arbeitsverhältnissen beschäftigt
sind, werden in solchen Zeiten als erste entlassen, sodass
ihre Überweisungen in die Heimatländer ausbleiben. In
einigen Ländern, zum Beispiel in Jamaika, machen diese
Zahlungen 20 Prozent des Bruttonationaleinkommens
aus. Deswegen haben wir eine Verpflichtung, diesen
Menschen besonders beizustehen. Nur 1 Dollar pro Tag
zum Leben bedeutet bei einer vierköpfigen Familie, dass
sie nicht woanders einsparen kann, weil das Geld für Le-
bensmittel ausgegeben werden muss. Und wenn dann
nur noch die Hälfte zur Verfügung steht, kann das direkt
zum Hungertod führen.

Die Anzahl der Hungernden auf der Welt ist auf-
grund der Finanz- und Wirtschaftskrise auf 1 Milliarde
Menschen angestiegen. Die Europäische Union, die
OECD-Länder und die G-8-Staaten haben sich mehr-
mals dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2015 die Anzahl der
hungernden Menschen zu halbieren. Sie haben in Glen-
eagles und Heiligendamm bekräftigt, bis zum Jahr 2010
0,51 Prozent und 2015 sogar 0,7 Prozent des Bruttoso-
zialproduktes für die Entwicklungshilfe zur Verfügung
zu stellen. Frau Bundeskanzlerin, wir müssen jetzt se-
hen, dass wir in Italien alle Länder dazu anhalten, diese
Versprechen einzuhalten. Das sind wir den Ärmsten der
Armen schuldig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Vor zehn Jahren fand der G-8-Entschuldungsgipfel
in Köln statt. Dort hat unsere Ministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul die Initiative hervorragend vorangetrie-
ben. Aus diesem Grund können jetzt 30 Millionen Kin-
der unter anderem in Afrika wieder zur Schule gehen.
Das war ein wichtiges Signal. Genauso wichtig ist es
jetzt, dass auch in diesem Jahr auf dem G-8-Gipfel ein






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sascha Raabe
Zeichen gesetzt wird. Die Glaubwürdigkeit steht auf
dem Spiel. Wir müssen zu unseren Versprechen stehen.
Das Leben von Millionen von Menschen steht auf dem
Spiel. Deswegen müssen wir sehen, dass wir diesen G-8-
Gipfel in Italien wirklich zu einem Erfolg führen.


(Beifall bei der SPD)


Es bereitet uns Sorge, dass ausgerechnet Italien als
Gastgeber die Mittel für Entwicklungshilfe kürzt, seine
Versprechen bricht und die Ärmsten der Armen buch-
stäblich verhungern lässt. Mir ist es schnurzegal, mit
wem Silvio Berlusconi Poolpartys feiert oder wem er
Geschenke macht. Das ist nicht der Skandal. Aber es ist
eine Schande, wenn Silvio Berlusconi die Menschen in
Afrika im Stich lässt, sie verhungern lässt und seine Ver-
sprechen gegenüber den Ärmsten der Armen bricht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Das dürfen wir ihm nicht durchgehen lassen. Ich bin

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1623002700
Bevor Sie nette Fotos
beim Cappuccino-Trinken mit Herrn Berlusconi machen
lassen, werden Sie ihm – ich kenne Sie – reinen Wein
einschenken. Sie werden ihm sagen: Silvio, so geht es
nicht. Du hältst erst einmal deine Versprechen ein. Dann
können wir schöne Fotos machen lassen und Cappuccino
trinken. – Ich vertraue Ihnen, Frau Bundeskanzlerin.
Hauen Sie mit der Faust auf den Tisch! Sagen Sie ihm
die Meinung! Wir wollen, dass dieser Gipfel ein Erfolg
wird.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir in Deutschland haben in den letzten Jahren – da-
rauf haben Sie zu Recht hingewiesen – unsere Verspre-
chen eingehalten. Trotz der schwierigen Situation haben
wir die Mittel im Haushalt für Entwicklungszusammen-
arbeit erhöht. Wir werden uns jetzt daran messen lassen,
dass wir 2010 die Mittel für Entwicklungshilfe tatsäch-
lich auf 0,51 Prozent des Bruttosozialproduktes steigern.
Wir als SPD haben das in unser Wahlprogramm aufge-
nommen. In Ihrem Programm ist immerhin das 0,7-Pro-
zent-Ziel enthalten.

Anders als die Kollegen, die hier vorher ihre Ab-
schiedsreden gehalten haben, bin ich voraussichtlich
auch in der nächsten Legislaturperiode wieder dabei.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind auch Parteivorsitzende.
Ich freue mich, wenn ich dann hier im Plenum überprü-
fen kann, ob Sie aus der Opposition heraus unserem
Haushalt zustimmen werden, um das 0,51-Prozent-Ziel
durchzusetzen, oder gemeinsam mit uns in der Regie-
rung dafür stimmen werden. Den Ärmsten der Armen ist
das letztlich völlig wurst. Hauptsache, wir halten unsere
Zusagen ein. Ich bin mir sicher, hier besteht Einigkeit
darüber, das bis zur nächsten Legislaturperiode zu errei-
chen.


(Beifall bei der SPD)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtig gesagt, dass
wir bei den WTO-Verhandlungen sehen müssen, dass
sich die USA und Indien bewegen. Hier geht es wieder
um die Glaubwürdigkeit. Wenn wir wollen, dass auch
ein Land wie Indien einem WTO-Abschluss zustimmt,
dann müssen wir in der Europäischen Union aufhören,
den Export von Milchprodukten zu subventionieren;
denn wir wollen nicht nur faire Preise für die Milchbau-
ern in Deutschland, sondern auch für die Milchbauern in
Indien und Afrika. Dieses Ziel können wir nur zusam-
men erreichen. Deswegen müssen wir glaubwürdig blei-
ben und uns entsprechend verhalten.


(Beifall bei der SPD)


Ein letzter Punkt, den ich im Zusammenhang mit dem
G-8-Gipfel ansprechen möchte. Sie setzen sich sehr da-
für ein, eine Charta für nachhaltiges Wirtschaften zu
vereinbaren. Das unterstützen wir. Auch unsere Ministe-
rin, Heidemarie Wieczorek-Zeul, fordert bei den Verein-
ten Nationen die Schaffung eines Rates für wirtschaftli-
che, soziale und ökologische Entwicklung. Auch diese
Idee haben Sie unterstützt.

Wir sollten beim G-8-Gipfel ein deutliches Zeichen
setzen, dass wir auch im Welthandel ökologische und so-
ziale Mindeststandards weltweit durchsetzen wollen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623002800

Kollege Raabe, achten Sie bitte auf die Zeit.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1623002900

Genauso wichtig wie Mindestlöhne in Deutschland

sind faire und gerechte Löhne auf der ganzen Welt. Des-
halb hoffe ich, dass wir das beim G-8-Gipfel in Italien
hinbekommen – im Sinne der Menschen hierzulande,
aber auch im Sinne der Ärmsten der Armen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623003000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13606.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert,
Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau),
Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Sport fördert Integration

– Drucksachen 16/13177, 16/13578 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Swen Schulz (Spandau)

Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert,
Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Dagmar Freitag, Swen Schulz

(Spandau), Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Max
Stadler, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

Unterstützung der Bewerbung der Landes-
hauptstadt München zur Ausrichtung der
XXIII. Olympischen und XII. Paralympischen
Winterspiele 2018

– Drucksachen 16/13481, 16/13649 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert,
Norbert Barthle, Antje Blumenthal, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag,
Dr. Peter Danckert, Martin Gerster, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Duale Karrieren im Spitzensport fördern und
den Hochschulsport strategisch weiterentwi-
ckeln

– Drucksachen 16/10882, 16/13057 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag,
Dr. Peter Danckert, Martin Gerster, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Gesellschaftliche Bedeutung des Sports
– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Positive Auswirkungen des Sports auf die
Gesellschaft nutzen und weiter fördern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Maßnahmen für eine moderne und zu-
kunftsfähige Sportpolitik auf den Weg brin-
gen

– Drucksachen 16/11217, 16/11174, 16/11199,
16/13058 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Bericht des Ausschusses für Bildung, For-

(18. Ausschuss)


Technikfolgenabschätzung (TA)


TA-Projekt: Gendoping

– Drucksachen 16/9552, 16/13059 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar,
Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Alle Formen von Diskriminierungen themati-
sieren – Bürgerrechte von Fußballfans stärken –
Für einen friedlichen und integrativen Fuß-
ballsport

– Drucksachen 16/12115, 16/13504 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten

– Drucksachen 16/13175, 16/13579 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Rauen für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1623003100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue
mich darüber, dass wir heute in der Kernzeit eine De-
batte zum Thema Sport führen können, in der wir einige
Dinge etwas grundsätzlicher ansprechen können.

Ich war immer und bin nach wie vor überzeugt davon,
dass einem Kind, einem jungen Menschen nichts Besse-
res passieren kann, als Sport in einer Mannschaft zu
betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier lernt es, sich einzuordnen, sich unterzuordnen, aber
auch sich durchzusetzen – eine hervorragende Schulung
fürs Leben. Durch Sport werden logisches Denken wie
auch praktische Fertigkeiten, die Fähigkeit zum nonver-
balen Ausdruck wie auch Willensstärke entwickelt – Ei-
genschaften, die die geistige und körperliche Entwick-
lung des Menschen enorm befördern. Sport führt zur
gesunden Balance zwischen sozialem Miteinander und
angemessener Durchsetzungsfähigkeit.

Eine der überzeugendsten Anhörungen für mich im
Sportausschuss war die zum Thema „Sport und Gesund-
heit“. Die Wissenschaftler haben zu Recht den schlech-
ten Gesundheitszustand unserer Kinder aufgrund man-
gelnder Bewegung angeprangert. Zu viele Kinder sitzen
zu häufig viel zu lange vor dem Fernseher oder an ihren
Computern. Sie werden dadurch bewegungsunfähig und
träge; das ist vielfach mit Krankheiten verbunden und
hat unübersehbare Folgen für die Kosten unseres Ge-
sundheitswesens in der Zukunft. Die Wissenschaftler ha-
ben aber auch unisono nachgewiesen, dass es einen
engen Zusammenhang zwischen Bewegungsfähigkeit
und der Aufnahmefähigkeit für andere Lernziele gibt.
Ihre Ausführungen gipfelten in der Feststellung: Ein
Kind, das nicht greifen kann, kann auch nicht begreifen.

Die gängige Unart, Sportstunden in der Schule als
Puffer für Ausfallstunden zu verwenden, oder auch die
Neigung von Eltern, ihre Kinder vom Schulsport zu be-
freien, sind wegen ihrer negativen Auswirkungen auf
das gesamte Leben des Kindes nicht häufig genug anzu-
prangern. Wir als Sportpolitiker dürfen dies nicht hin-
nehmen. Wir bleiben aufgefordert, das Bewusstsein für
die Zusammenhänge zwischen Sport, Bewegung, Lern-
fähigkeit und Gesundheit zu schaffen bzw. zu schärfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die vor einigen Jahren auch von Teilen des Parla-
ments gestellte Forderung, Sportler, die Risikosportar-
ten betreiben, mit Zuschlägen bei den Krankenkassen zu
belegen, ist, liebe Freunde, so abwegig wie die Forde-
rung, Menschen nach ihrer Schuhgröße zu besteuern.


(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Auch dank der Sportpolitiker ist dieses Thema Gott sei
Dank heute vom Tisch, und fast alle Krankenkassen sind
heute bereit, sportliche Aktivitäten ihrer Mitglieder aus
eigenem Interesse heraus zu fördern. Das war ein weiter
Weg, der dafür in den letzten Jahren zurückgelegt wer-
den musste.

Sport ist ein zwischenmenschliches Bindeglied, das
über die Familienbande hinausgeht: eine Klammer, die
aus kleinen sozialen Einheiten ein großes Ganzes bis hin
zur staatlichen Gemeinschaft zusammenschweißt. Ich
denke beispielsweise an die Fußballweltmeisterschaft
von 1954 oder auch die riesige Bewegung anlässlich der
Weltmeisterschaft im Jahre 2006, im Rahmen derer wir
auf großen Fanmeilen nationale Gemeinsamkeiten erle-
ben durften.

Deshalb ist es fast eine Selbstverständlichkeit, dass
dieses Parlament über alle Parteigrenzen hinweg die Be-
werbung Münchens für die Olympischen Winterspiele
im Jahre 2018 voll und ganz und mit allen seinen Mög-
lichkeiten unterstützt, um diese Spiele nach Deutschland
zu holen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Basis für die breite Sportbewegung in Deutschland
sind die circa 91 000 Vereine und die vielen Menschen,
die sich aus purer Hingabe und ohne Eigensinn in ihrer
Freizeit ehrenamtlich oder für eine geringe Aufwands-
entschädigung im Sport engagieren. Insofern ist es rich-
tig und wichtig, dass der Gesetzgeber immer wieder die
Stellschrauben justiert, um diese ehrenamtliche Tätigkeit
zu befördern und nicht unnötig durch Bürokratie zu be-
hindern. Dies war in jüngster Zeit die Anhebung der
Übungsleiterpauschale. Ferner wurden die Vereins-
freigrenzen für Körperschaft- und Gewerbesteuer auf
35 000 Euro erhöht, und heute Abend werden wir die ge-
setzliche Begrenzung der Haftung von ehrenamtlichen
oder geringfügig vergüteten Vereinsvorständen beschlie-
ßen; diesen Punkt haben wir in der Sportpolitik lange
diskutiert und angestrebt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sport ist nicht nur die schönste Nebensache der Welt,
sondern Sport ist Teil der wesentlichen Natur eines jeden






(A) (C)



(B) (D)


Peter Rauen
Menschen und unverzichtbarer Bestandteil unserer Ge-
sellschaft.

Ich werde nach 23 Jahren mit dieser Wahlperiode aus
dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Dies ist aber
nicht meine letzte Rede; diese werde ich heute Nachmit-
tag für den Ausschuss für Arbeit und Soziales halten.

Ich möchte mich jedoch hier bei den Sportpolitikern
für das stets faire und zielgerichtete Miteinander bedan-
ken, das ich in den letzten Jahren als Vorsitzender und
stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses erle-
ben durfte.

Wenn es um den Sport geht, ist die Einigkeit über alle
Parteigrenzen hinweg weit größer als in anderen Politik-
bereichen. Bleiben Sie bitte auch in Zukunft bei dieser
Grundhaltung. Denn das ist gut für den Sport, gut für die
Menschen in unserem Lande und gut für Deutschland.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623003200

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Detlef Parr

das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1623003300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für den

einen – Peter hat es gesagt – ist Sport die schönste Ne-
bensache der Welt: Wohlfühlelixier, Lebensbegleiter und
Orientierungshilfe. Für den anderen hat er nicht diese
herausragende Bedeutung. Für den Dritten ist er Leis-
tungsherausforderung mit der Aussicht auf persönlichen
Erfolg, und für den Vierten besteht der Sport nur aus
Auswüchsen, die es auf Teufel komm raus zu skandali-
sieren gilt: Geldgier, Randale, Leistungsmanipulation.
Zwischen öffentlicher Wahrnehmung und veröffentlich-
ter Meinung liegen oft Welten.

Am Montag wurden unsere U-21-Fußballer Europa-
meister.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Dies ist ein Musterbeispiel für die integrative Kraft des
Sports. Die Siegerdusche der Jungprofis kam aus Mine-
ralwasserflaschen. Wir erlebten bodenständige Freude
der deutschen Nachfahren aus ganz unterschiedlichen
Kulturen. Das ist das Ergebnis einer Sportentwicklung,
auf die wir stolz sein dürfen.

Wir? – Das sind zunächst einmal Millionen Ehren-
amtliche, die Woche für Woche den Sportbetrieb auf-
rechterhalten. Das sind manchmal despektierlich behan-
delte Sportfunktionäre, die in den Vereinen und
Verbänden Verantwortung übernehmen. Das sind Sport-
politiker in Städten und Kreisen, im Land und im Bund,
die sportfreundliche Rahmenbedingungen schaffen und
die Finanzen sichern. Das sind Privatpersonen und Un-
ternehmen, die als Mäzene oder Sponsoren die staatli-
che Finanzierung wesentlich ergänzen, und das sind die
Medien, die die Sportentwicklung ins Licht der Öffent-
lichkeit rücken.

Wir – gestern haben wir, Peter Danckert, während der
Feierstunde im Reichstag noch darüber gesprochen –
sind eine Sportfamilie, in der man sich versteht und in
der es auch einmal knirscht, etwa beim Thema Doping.
Zweifellos ist Doping eine Geißel des Hochleistungs-
sports. Aber ist es richtig, aktuell den Reitsport pau-
schal zu verurteilen, wie viele das mit anderen Sportar-
ten bereits getan haben, wenn es Regelverstöße, ja auch
Betrug in Grenzbereichen gegeben hat? Vorgestern bei
der Eröffnung des CHIO in Aachen wurde wieder deut-
lich: Der Reitsport lebt. Er bietet ästhetische Bilder von
Tier und Mensch im Einklang. Er zeigt begeisterte Ama-
teurreiterinnen und -reiter. Der Verband hat konsequent
und schnell reagiert, die Aktiven haben offene Worte ge-
sprochen. Reagieren wir also angemessen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, und rufen nicht wieder lautstark
gleich nach dem Staatsanwalt!


(Beifall bei der FDP)


Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht
Professor Udo Steiner spricht zu Recht von einem sport-
politischen Elchtest bei den Dopingkontrollmethoden.
Sein Richterkollege Professor Jahn sieht den Einsatz von
Strafrecht nur als Ultima Ratio, als absolut letztes Mittel
im Kampf gegen Doping.

Aktuell sind wir dabei, eine neue Sau durchs Dorf zu
treiben – Reizwort Materialdoping. Ist es wirklich die
Minimierung des Faktors Mensch, die das Geschäft von
Einrichtungen wie dem IAT in Leipzig oder dem FES in
Berlin oder Sportartikelherstellern bestimmt, denen wir
jetzt nach der Weiterentwicklung von Schwimmanzügen
das Handwerk zu legen haben? Bleibt der Mensch hier
wirklich auf der Strecke?

Wir waren uns eigentlich immer darin einig, dass For-
schung und Entwicklung zum Sportbereich und zum in-
ternationalen Wettbewerb gehören und von uns gefördert
werden müssen. Sicherlich sollte das Reglement der
Fachverbände rechtzeitig reagieren und Grenzen setzen.
Aber wo fangen wir an, wo hören wir auf? Die Diskus-
sion über Gendoping ist ebenfalls mit Bedacht zu führen.
Ich warne vor überhasteten, oberflächlichen Reaktionen.

Eindeutige Grenzen müssen wir uns in einem anderen
Bereich setzen. Wer in der öffentlichen sportpolitischen
Debatte zum Beispiel den DFB-Präsidenten einen „un-
säglichen Demagogen“ nennt, mag sich auf die Presse-
freiheit berufen können. Hier sind aber die Grenzen des
Anstands überschritten.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Wer einen Staatssekretär dazu zwingt, sich schriftlich
gegen einen Zeitungsartikel als bewusst ehrverletzend zu
wehren, überschreitet die Grenzen des guten Ge-
schmacks. Wer in Interviews unsachliche persönliche
Angriffe startet und damit das Fernbleiben von einer
Veranstaltung provoziert, trägt nichts zum kritischen
Schulterschluss von Sport und Politik bei. Das muss der
Vergangenheit angehören.






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sportgroßveranstaltungen gehören zum Salz in der
Suppe der Angebote in unserer Gesellschaft. Die Fuß-
ball-WM 2006 hat einen enormen Schub im Selbstver-
ständnis von uns Deutschen bewirkt; Peter hat bereits
darauf hingewiesen. Das waren schöne Wochen. Von der
Leichtathletik-WM im August in Berlin, Dagmar
Freitag, erwarten wir neuen Schwung.

Das gilt auch für die Bewerbung Münchens für die
Olympischen Winterspiele 2018. Erstmals würden in
einer Region nach Sommerspielen auch Winterspiele
stattfinden, ein weltweit bisher einmaliges Ereignis. Die
Konkurrenz, insbesondere die koreanische mit Pyeong-
chang als Bewerber, schläft nicht. Deshalb müssen wir
unsere Bewerbung zu einer nationalen Sache machen
und frühzeitig um breite Zustimmung werben. Die FDP
stimmt dem entsprechenden Antrag zu. Detailfragen
müssen wir sachgerecht im Laufe des Verfahrens klären.
Wenn wir jetzt Bedenken hochstilisieren, brauchen wir
uns gar nicht erst auf den Weg zu machen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sport und Gesundheit gehören zusammen. Die Zu-
nahme des Übergewichts in unserer Gesellschaft und der
damit verbundenen Juniordiabetes – der Begriff allein ist
schon absurd – bei Kindern und Jugendlichen ist alar-
mierend. Die Sportvereine haben bereits darauf reagiert.
Inzwischen bieten rund 30 Prozent von ihnen Pro-
gramme zur Gesundheitsförderung, Prävention und Re-
habilitation unter anderem in Kooperation mit Kranken-
kassen an – Tendenz steigend. Dieser Trend basiert auf
Eigeninitiative der Vereine. Wir brauchen also kein Prä-
ventionsgesetz zur Gängelung und zu bürokratischer
Umverteilung vorhandener Mittel.


(Beifall bei der FDP)


Auch die Zusammenarbeit des DOSB mit der Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung klappt vor-
züglich. Die Aktionswoche „Alkoholfrei Sport genie-
ßen“ ist ein gutes Beispiel und dient der konsequenten
Umsetzung des Jugendschutzgesetzes. Die „Rauchfrei“-
Kampagne kann ohne gesetzliche Vorschriften ebenso
zum Ziel eines sportlichen und gesundheitsorientierten
Lebensstils führen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Unfassbar!)


Die FDP mahnt noch einmal die notwendigen Initiati-
ven im Schulsport an, die nach der Sprint-Studie seit
Jahren überfällig sind. Der Schulsport legt die entschei-
denden Grundlagen für den Breitensport und damit auch
für den Leistungssport. Diese Studie darf nicht länger in
der Schublade vor sich hin schimmeln. Sie muss endlich
zu politischem Handeln führen.


(Beifall bei der FDP)


Die Diskussion über den „Goldenen Plan Ost“ hat ge-
zeigt, dass auch im Westen der Zustand unserer Sport-
stätten große Sorgen bereitet. Ohne Sportstätten kein
Schulsport und kein Sport im Verein. Ein „Goldener
Plan Deutschland“ ist dringend geboten. Die Konjunk-
turpakete hätten zum Einstieg genutzt werden können.
Die Bundesregierung hat diese Chance leider durch zu
enge Auflagen vertan.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja wohl ein Ding!)


Ein neuer Anlauf ist nötig. Dabei müssen wir auch die
Frage nach den Normen stellen. Eine Nummer kleiner
und damit preiswerter, wäre in vielen Fällen vielleicht
hilfreich.

Noch ein Wort zum Antrag „Sport fördert Integra-
tion“: ja, aber nicht nur der Migrantenfamilien, wie es in
diesem Antrag herausgearbeitet wird. Wir sind sehr
glücklich darüber, dass der Sport von Menschen mit kör-
perlicher und geistiger Behinderung immer mehr in die
Mitte unserer Gesellschaft rückt. Der Deutsche Behin-
dertensportverband und die Special Olympics leisten
hierzu einen unschätzbaren Beitrag, der kontinuierliche
Unterstützung verdient.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verabschiede
mich ähnlich wie Peter Rauen heute als Sprecher meiner
Fraktion für die Sport-, die Sucht- und die Drogenpoli-
tik. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen im
Sport- und im Gesundheitsausschuss Dank sagen für
spannende Jahre. Sie haben viel Geduld mit meinem
Temperament gehabt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Na ja, wenn es nur das gewesen wäre!)


Wir haben uns nichts geschenkt, aber gerade dadurch
viel gegeben. Dafür danke ich Ihnen allen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss noch eine persönliche Bitte an den
nächsten Bundestag: Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lasst den Menschen in unserer Gesellschaft ihre Eigen-
verantwortung. Lasst ihnen die Freiheit, ihr Leben selbst
zu bestimmen. Wir verhindern keinen Amoklauf durch
ein Verbot von Computerspielen. Wir verhindern die
schmutzige Kinderpornografie nicht durch eine Sper-
rung von Internetseiten.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Da kann man auch anderer Meinung sein!)


Wir verhindern Alkoholmissbrauch nicht durch Werbe-
und Verkaufsverbote. Wir verhindern, um zum Sport zu-
rückzukehren, kein Doping durch die strafrechtliche
Verfolgung unserer Aktiven. Wir verhindern solche
Missstände und Fehlentwicklungen nur durch Aufklä-
rung, Information und Prävention.

Wir müssen mit unserer Politik die Köpfe der Men-
schen erreichen, viel stärker aber noch ihre Herzen. Mit
Herz und Verstand kann die überwältigende Mehrheit in
unserem Land ihre Probleme selbst und in der Gemein-
schaft lösen. Vergessen wir bei all dem Netzwerkeln






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
über Taktik und Strategie nicht die Mitmenschlichkeit
und den Gemeinsinn. Sie, und nicht der Staat als Super-
nanny, sind der Schlüssel zu einer lebenswerten Gesell-
schaft.

Glück auf für uns alle, und als Düsseldorfer sage ich:
Macht et jot! Danke!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623003400

Kollege Parr, die guten Wünsche des gesamten Hau-

ses begleiten Sie in Ihren neuen Lebensabschnitt, auch
wenn ich vernommen habe, dass die meisten der Kolle-
ginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, die
Sie angesprochen haben, die Debatte zu den einzelnen
Themen mit Ihnen gerne fortgesetzt hätten.

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Freitag für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1623003500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Ende einer Legislaturperiode ist Anlass genug, ei-
nen kurzen Blick zurückzuwerfen und Bilanz zu ziehen.
Dabei fällt der Blick zwangsläufig auf die große, offene
Flanke: Doping. Es geht um eine wirklich erfolgverspre-
chende Bekämpfung des Dopings, weil es verheerende
Auswirkungen auf den gesamten Sport hat.

Lieber Kollege Parr, Sie wissen, dass ich besonders
gerne nach Ihnen im Plenum spreche, weil Sie immer so
wunderbare Vorlagen liefern. Ich glaube nicht, dass Re-
lativierungen bei der Bewältigung des Dopingproblems
weiterhelfen. So einfach, wie es im Reitsport nach Ihren
Worten zu sein scheint, ist es, glaube ich, nicht. Deshalb
werden wir uns mit der gebotenen Konsequenz auch die-
ser Sportart zuwenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Detlef Parr [FDP]: Aber sachlich und nicht polemisch!)


Lassen Sie mich einen kurzen Blick auf den Bericht der
Schäfer-Kommission werfen. Dieser Bericht müsste
auch dem Letzten die Augen geöffnet haben. Er hat uns
Einblicke in ein zutiefst perfides, verkommenes Doping-
system geliefert, in dem alle – ich betone: alle – ein ein-
ziges Ziel eint: zu manipulieren und zu betrügen,


(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])


und zwar den Konkurrenten, die Zuschauer, die Sponso-
ren, die gesamte Gesellschaft und natürlich auch sich
selbst.

All das ist unweigerlich mit der Zerstörung der
Grundwerte des Sports verbunden. In diesem üblen Spiel
bleiben die Sportler eben nicht außen vor. Dies ist wun-
derbar nachzulesen in den Offenbarungen des überführ-
ten Dopers Bernhard Kohl vor wenigen Tagen in der
Neuen Zürcher Zeitung. Auf die Frage, ob das Profileben
ohne Doping nicht viel angenehmer sei, antwortete er
folgendermaßen – ich zitiere –:

Viel angenehmer. Wie viel Zeit ich für das Thema
verwendete, wie oft ich mir überlegen musste, wie
ich negativ sein kann in Tests – das sind schlimme
Momente, aber sie gehören dazu … Das Doping
muss zu deinem Körper passen … du musst für dich
selber das perfekte Doping herausfinden.

Noch Fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen?


(Detlef Parr [FDP]: Ja! Viele!)


Doping funktioniert nur mit Wissen des Sportlers. Aber
die Selbstwahrnehmung von Dopern ist offensichtlich
eine andere. Frank Mantek, Trainer von Olympiasieger
Matthias Steiner, berichtete, dass er Pillen bekam, die er
nahm, ohne zu fragen. Es waren Anabolika. Bald merkte
er, was in seinem Körper vorging:

Da ging die Post ab.

So sagte er wörtlich. Es habe aber für ihn keine Alterna-
tive gegeben, außer aufzuhören. Er sagte weiter:

Ich wollte aber Leistungssport machen.

Und die Mittel hätten ihn seinem sportlichen Ziel näher-
gebracht.

Was sagt er zum Schluss?

Ich bin Opfer, nicht Täter.

Was für ein Unfug. Wer sich an Betrug durch Doping
beteiligt, ist Täter und kein Opfer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Daher bedarf die Frage nach Opfern und Tätern sehr
wohl einer differenzierten Betrachtung, und zwar um der
wirklichen Dopingopfer willen. Dass es sie gibt, bestrei-
tet niemand.

In zugegebenermaßen seltenen Fällen lohnt ein Blick
nach Bayern,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück!)


hier insbesondere auf die Bemühungen der bayerischen
Justizministerin, Beate Merk.


(Detlef Parr [FDP]: Sie ist gescheitert!)


Lieber Herr Kollege Barthle, ich darf Sie bitten, herzli-
che Grüße nach Bayern auszurichten. Ich sage Ihnen
jetzt, warum.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir hätten ihn zwar gerne, aber er gehört nach BadenWürttemberg!)


– Herr Ramsauer, ich freue mich, dass auch Sie anwe-
send sind. Ich will Sie gerne bitten, Frau Merk zukünftig
zu unterstützen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich mache nie etwas anderes!)







(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Freitag
Frau Merk hat einen guten Anti-Doping-Gesetzentwurf
vorgelegt. Frau Merk mahnt ständig die Umsetzung die-
ses Anti-Doping-Gesetzes an. Sie hat unsere volle Un-
terstützung.


(Detlef Parr [FDP]: Fehler werden durch Wiederholung nicht richtig!)


– Lieber Detlef Parr, das ist kein Fehler.


(Detlef Parr [FDP]: Fehler werden durch Wiederholung nicht besser!)


Ich mache nur deutlich, woran die CSU-Ministerin
Merk scheitert: am Bundesrat – er ist bekanntlich
unionsdominiert – und an der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion. Herr Dr. Ramsauer, ich finde, Sie sollten in Ih-
rer eigenen Truppe ein wenig Unterstützung für Ihre Mi-
nisterin organisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderes Thema. Lieber Detlef Parr, da kommen
wir zu einem ganz spannenden Punkt: Stichwort Kon-
junkturpaket.


(Detlef Parr [FDP]: Ja! Energetische Maßnahmen!)


Ich habe die kleinkarierte Mäkelei zur Kenntnis genom-
men. Für die Kommunen allerdings ist es ganz wichtig,
Mittel aus diesem Konjunkturpaket auch für den Sport-
stättenbau nutzen zu können.


(Detlef Parr [FDP]: Sprechen Sie einmal mit dem Landessportbund!)


Wir, die Koalitionspolitiker, haben einen Antrag in den
Bundestag eingebracht, durch den vorgesehen wird, die
Nutzung der Mittel auch für Sportstätten zu ermögli-
chen. Das ist uns bekanntlich gelungen. Leider nicht ge-
lungen ist die rasche Umsetzung vor Ort. Was lässt die
schwarz-gelbe Landesregierung in Düsseldorf in Person
ihres Innenministers, FDP, hierzu verlauten? Wörtlich
aus einer Debatte des Landtages vom vergangenen
Freitag:

Wenn es Probleme bei der Umsetzung gibt, dann
liegen sie beim Bund.

So Wolf vergangene Woche im Landtag.


(Detlef Parr [FDP]: Da hat er doch recht!)


Die Bremse bestehe darin, dass sich der Bund geweigert
habe, das Geld direkt an die Städte weiterzuleiten.


(Heiterkeit bei der SPD)


Diese Aussage macht mich einigermaßen fassungslos.
Der Mann ist Innen- und damit auch Verfassungsminis-
ter,


(Zuruf von der SPD: Hat aber keine Ahnung!)


weiß aber ganz offensichtlich nicht, dass es laut Verfas-
sung keine direkten Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Kommunen gibt.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Die FDP braucht Nachhilfe!)

Lieber Detlef, sprich einmal mit deinem Innenminister.
Ich empfehle ihm ganz dringend einen Blick ins Grund-
gesetz.


(Fritz Rudolf Körper [SPD], zu Abg. Detlef Parr [FDP] gewandt: Oh! Er geht in sich! Man merkt es!)


Das Stichwort, Herr Minister Wolf, heißt Kooperations-
verbot.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch eine gute Bi-
lanz – meine Kollegen werden noch einige Punkte auf-
greifen – ist nie gut genug. Meine Fraktion wäre bei der
Dopingbekämpfung gerne weiter gegangen. In dieser
Frage sind wir an unserem Koalitionspartner und an gro-
ßen Teilen des organisierten Sports gescheitert. Hinzu
kommt – das betrifft die Gesundheitspolitik –, dass das
Präventionsgesetz gescheitert ist. In dieser Frage wuss-
ten wir den organisierten Sport allerdings an unserer
Seite. Die Forderung, Sport und Kultur als Staatsziele
ins Grundgesetz aufzunehmen, bleibt auf der Tagesord-
nung


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623003600

Kollegin Freitag, achten Sie bitte auf die Zeit.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1623003700

– ebenso wie die Frage: Wie weit soll der Gesetzgeber

bei der Dopingbekämpfung gehen? Ich sage Ihnen: Er
wird weiter gehen müssen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU] und Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623003800

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Katrin Kunert das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623003900

Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Vertreterinnen und Vertreter des Sports! Liebe
Gunhild Hoffmeister! Auf der Zielgeraden dieser Wahl-
periode absolvieren wir heute einen Mehrkampf. Gerade
in den letzten Tagen wurde immer wieder auf die soge-
nannte Fraktion Sport im Bundestag hingewiesen, da wir
alle den Sport würdigen. Was die Anträge, die heute ab-
schließend beraten werden, angeht, kann ich feststellen:
Meine Fraktion kann zumindest ihre Überschriften un-
terstützen. Die Überschriften der Anträge benennen Pro-
bleme und einzelne Aspekte, die im Sport eine Rolle
spielen oder bei denen der Sport die Rolle spielt. In den
Anträgen wird aber überhaupt nicht reflektiert, dass der
Sport nur so gut funktionieren kann, wie es die Gesell-
schaft zulässt. So werden die Anträge nette Lippenbe-
kenntnisse bleiben, in dieser Legislaturperiode aber
nicht mehr in Angriff genommen werden können. Es






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
bleibt abzuwarten, wie sich der neue Bundestag zu die-
sen Anträgen verhält.

Die Linke sagt: Es fehlt ein Sportfördergesetz des
Bundes, in dem der Sport als Ganzes gesehen wird und
das den Bund zu einem konsequenten und verbindlichen
Handeln anleitet.


(Beifall bei der LINKEN)


Das will ich Ihnen an drei Beispielen deutlich machen.

Erstes Beispiel: die gesellschaftliche Bedeutung des
Sports. Im Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Si-
tuation richtig beschrieben, indem die vielen Funktionen
des Sports benannt werden. Aber die angeführten Forde-
rungen haben nur appellarischen Charakter. Wir appel-
lieren nämlich immer nur an Gremien, den Sport weiter-
hin zu unterstützen.

Da die Gesellschaft den Sport würdigt, müssen wir
uns die Frage stellen: Erreichen die Funktionen des
Sports, die wir immer benennen, alle Menschen im
Land? Haben alle gleichermaßen Zugang zum Sport?
Können Migrantinnen und Migranten, Frauen und Men-
schen mit Behinderung an allen sportlichen Angeboten
teilhaben?

In Sachsen werden an Kinder der dritten Klassen Gut-
scheine für Jahresmitgliedschaften in Sportvereinen ver-
geben, weil man erkannt hat, dass der Geldbeutel der
Eltern mit darüber entscheidet, ob Kinder Zugang zu
Sportangeboten haben. Im Hinblick auf das Bildungs-
system beklagen wir immer wieder, dass der Geldbeutel
der Eltern darüber entscheidet, ob ein Kind einen höhe-
ren Bildungsabschluss erreicht oder nicht. Im Kinder-
und Jugendbereich des Leistungssports ist die Situation
allerdings genauso.

In Sachsen-Anhalt kostet ein Internatsplatz an der
Landessportschule 230 Euro im Monat. Das ist selbst für
Normalverdiener nicht gerade aus der Portokasse zu be-
zahlen. Wie aber stellt sich die Situation für ein Kind,
das aus einer einkommensschwachen Familie kommt,
dar? Ich habe Ihnen schon oft von Bianca erzählt, die
diese 230 Euro nur aufbringen kann, weil private Spen-
derinnen und Spender diesen Betrag übernehmen.
Dieses Mädchen wurde von der ARGE aus der Bedarfs-
gemeinschaft herausgerechnet. Ich sage: Das ist ein
Skandal! Der Geldbeutel der Eltern darf nicht darüber
entscheiden, ob Kinder und Jugendliche an weiterfüh-
rende Sportschulen gehen können.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eigentlich hätte man diesen Fall bis zum Schluss „durch-
klagen“ müssen; denn es ging um eine zweckgebundene
Zuweisung. Ich finde, dieses Beispiel macht deutlich,
dass wir über diese Themen gesamtgesellschaftlich dis-
kutieren müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im kürzlich vorge-
stellten Sportentwicklungsbericht werden die Entwick-
lungen der Vereinslandschaft im Sport und ihre
Probleme deutlich. Die Bereitschaft, Verantwortung in
Vereinen zu übernehmen, nimmt ab, es fehlt an Übungs-
leitern, der Leistungssport ist leider auch nicht mehr so
attraktiv wie früher, und die Vereine haben zunehmend
finanzielle Probleme. 15,3 Prozent der Vereine sind in
ihrer Existenz gefährdet, weil sie finanzielle Lasten nicht
mehr schultern können. In Buna zum Beispiel hat ein
Sportverein einen Kredit aufnehmen müssen, um eine
Insolvenz abzuwenden.

Die 127 000 Sportstätten in Deutschland werden zu
66 Prozent durch die Kommunen, zu 32 Prozent durch
die Länder und zu 1,6 Prozent durch den Bund gefördert.
Schaut man sich die derzeitige Finanzsituation der Kom-
munen an, erkennt man: Der Bund muss den Kommunen
endlich ausreichende Finanzen verlässlich zur Verfü-
gung stellen. Immer mehr Aufgaben werden vom Bund
auf die Kommunen übertragen, das Geld wird ihnen aber
nicht weitergegeben. Den Kommunen dann vorzuwer-
fen, sie könnten mit Geld nicht umgehen, das ist nicht
hinnehmbar.

Auch wenn ich mich wiederhole: Es ist nicht kleinka-
riert, darauf hinzuweisen, dass das Konjunkturpaket II
gerade bei Sportstätten kaum Anwendung findet,


(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)


weil die Kriterien streng gestrickt sind. Das muss man so
sagen. Wir haben uns das vor kurzem in den Sportverei-
nen und in den Kommunen angeschaut.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Frau Kunert, wir würden Sie gern aufklären, wenn Sie das wünschen!)


– Du kannst gerne mit in die Sportvereine kommen.
Petra Sitte und ich, wir waren in Halle unterwegs und
haben es uns von den Leuten in den Sportvereinen erklä-
ren lassen. Ihr müsst auch einmal schauen, was ihr be-
schließt!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Gesellschaftliche Bedeutung erfordert auch gesamt-
gesellschaftliche Verantwortung. Die Linke lehnt den
Antrag der Koalition ab. Die Linke bleibt dabei: Wir
brauchen ein Sportfördergesetz des Bundes, in dem ver-
bindlich geregelt wird: Erstens. Zugang für alle zum
Sport, sowohl zum Breiten- als auch zum Spitzensport.
Zweitens. Weiterentwicklung des Schulsports, und zwar
nach bundeseinheitlichen Qualitätsstandards. Drittens.
Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen.
Viertens. Sicherung des Sports, gerade vor dem Hinter-
grund der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Zweites Beispiel. Sport fördert die Integration. Die
Funktion des Sports bei der Integration ist unbestritten.
Viele Forderungen im Antrag der Koalition sind begrü-
ßenswert. Dass Sie in Ihrem Antrag so großen Wert auf
die Würdigung des Sports im Nationalen Integrations-
plan legen, ist allerdings kritisch zu sehen. Im Nationa-
len Integrationsplan wird der Sport zwar hervorgehoben;
zu einer erfolgreichen Integrationspolitik gehört aber
mehr als Projektarbeit. Es fehlen so wichtige Fakten wie
Einbürgerungsrechte und Einbürgerungsentwicklungen
und Wahlrecht. Ein kommunales Wahlrecht für Dritt-
staatler haben Sie in diesem Haus vor einigen Wochen






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
abgelehnt. Das Recht, zur Wahl zu gehen, bedeutet auch
Teilhabe und Integration von Menschen mit Migrations-
hintergrund. Auch eine Rücknahme der Einschränkun-
gen beim Ehegattennachzug und die Integration von
Flüchtlingen fehlen.

Laut Ihrem Antrag wollen Sie den Sport für die inter-
nationale Verständigung nutzen. Das strenge Visums-
recht und seine Praxis versagen aber Sportlerinnen und
Sportlern, die keine Spitzensportler sind, die Einreise.
So hat man im Zusammenhang mit der Fußballweltmeis-
terschaft 2006 Mannschaften aus Ghana und Nigeria zur
Teilnahme am Straßenfußball in Kreuzberg nicht einrei-
sen lassen. Wenn man den Sport hervorheben will, muss
man das gesamtgesellschaftlich betrachten und auch die
Praxis sehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen an einem Beispiel aus Bitterfeld deut-
lich machen, wie Integration aussieht, wenn man nur
nach den Intentionen Ihres Antrages geht: Eine vietna-
mesische Familie lebt seit 1992 in Deutschland. Alle
ihre drei Kinder sind hier geboren. Sie sind in Sportver-
einen integriert, nehmen an dem Programm „Integration
durch Sport“ teil. Die beiden Mädchen sind Landesmeis-
terinnen im Turnen. Diese Familie sollte letztes Jahr
ausgewiesen werden. Durch die Einreise mit neuen Pa-
pieren über ein Drittland leben sie jetzt legal in Deutsch-
land. Wir sagen: Diskriminierungsfreie Integrationspoli-
tik sieht anders aus, liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie versuchen, durch den Sport Probleme zu lösen,
die der Sport allein nicht lösen kann. Der Sport kann die
Lösung von Problemen positiv begleiten, aber gerade in
Fragen der Integration braucht es mehr als Projekte; ich
sage das, ohne die Bedeutung des Sports kleinreden zu
wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke sagt: In einem Sportfördergesetz des Bundes
kann auch die Integration entsprechend verankert wer-
den.

Drittes Beispiel. Duale Karriere im Spitzensport
fördern und den Hochschulsport strategisch weiterentwi-
ckeln. Die Große Koalition will mit ihrem Antrag errei-
chen, dass sich die Akteure des Bildungssystems ihrer
Verantwortung für die Athletinnen und Athleten bewuss-
ter werden. Wenn ich jetzt Ihrer Logik folge, mich also
nur auf den Sport konzentriere, muss ich sagen: Ja,
Sportlerinnen und Sportler müssen bessere Bedingungen
vorfinden, um Sport – Training, Wettkampf – und Stu-
dium unter einen Hut zu bekommen. Sie müssen auch
nach der Sportkarriere eine Zukunft haben.

Im derzeitigen Hochschulsystem, Frau Freitag, haben
aber nicht nur Sportlerinnen und Sportler Probleme, ihr
Studium in der Regelzeit abzuschließen. Studierende mit
Kind, Studierende aus einkommensschwachen Familien,
Studierende mit einer Behinderung, ausländische Studie-
rende und Studierende, die einen Familienangehörigen
pflegen, haben genau die gleichen Probleme, ihr Stu-
dium in der Regelzeit abzuschließen.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Warum haben Sie der BAföG-Erhöhung nicht zugestimmt?)


Heute müssen 60 Prozent der Studierenden nebenbei
jobben, weil das BAföG nicht ausreicht, und nur
29 Prozent bekommen überhaupt BAföG.

Hier liegt einiges im Argen. Deshalb fordert die
Linke, dass allen Studierenden gute Zugangsbedingun-
gen zum Studium garantiert werden, und der Zugang
muss auch für alle gleichermaßen gestaltet werden. Es
reicht also nicht, eine Nische in einem System zu verbes-
sern, um eine bestimmte Gruppe besserzustellen – es ist
ja richtig, dass sie den Sport in Ruhe ausüben sollen –,
sondern man muss das gesamte System verbessern, da-
mit sich auch alle wirklich frei entfalten können. Das
muss für alle zutreffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern die Verbesserung der sozialen Situation
von Studierenden, das Verbot von Studiengebühren, die
Möglichkeit eines umfassenderen BAföGs, und wir sa-
gen auch, dass das Studium nicht die Fortsetzung der
Schule sein darf. Studierende brauchen mehr Freiräume.
Die Präsenzzeiten müssen verringert werden, und wir
sollten den Ausbau von Möglichkeiten eines Teilzeitstu-
diums im Blick haben. Auch das – die Vereinbarkeit von
Sport und Berufsausbildung oder Arbeit – ist in einem
Sportfördergesetz festzuschreiben.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Fami-
lie des Sports sagen: Lieber Peter Rauen, ich schätze
dich sehr, und ich werde dich im Sportausschuss vermis-
sen, wenn ich denn dort weiter arbeite.

Diese viel beschworene Einigkeit über Parteigrenzen
hinweg ist ein Problem. Deutschland bewirbt sich für die
Olympischen Spiele 2018, und ihr formuliert in eurem
Antrag, das sei ein nationales Anliegen. Es gab erst ein-
mal in der Geschichte der Olympischen Spiele den Fakt,
dass ein Land von Olympischen Spielen ausgeschlossen
wurde, weil der olympische Gedanke sehr groß ist.

Ich frage die CDU/CSU-Fraktion, wann sie endlich
ihren unsäglichen Beschluss zurücknimmt bzw. aufhebt,
nichts, aber auch gar nichts in diesem Deutschen Bun-
destag gemeinsam mit den Linken zu verabschieden.
Das ist mein Wunsch für die nächste Legislaturperiode;
denn ansonsten macht ihr euch unglaubwürdig.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623004000

Das Wort hat der Kollege Winfried Hermann für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623004100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch die
lange Latte an Anträgen, die heute zur Verabschiedung
ansteht, wird deutlich, wie groß und breit das Spektrum






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
des Sportausschusses in den vergangenen Monaten und
in dieser Legislaturperiode war. Ich glaube, wir können
zu Recht sagen, dass wir nahezu jedes brennende Pro-
blem im Sport aufgegriffen und über fast alle Probleme
zumindest diskutiert haben. Ich glaube, das ist wirklich
ein großes Verdienst dieses Ausschusses und auch derje-
nigen, die jetzt gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])


Es war uns stets wichtig, dass Sportler mit und ohne
Handicaps gleich behandelt werden und dass wir sie in
gleicher Weise auch in diesem Ausschuss engagiert be-
handeln. Ich will heute aber keine lange Bilanz über das
ziehen, was wir alles gemacht haben, was gut gewesen
ist und was schlecht war, sondern ich möchte eher eine
Bilanz ziehen im Sinne von: Was ist unbefriedigend,
nicht gut erledigt und noch anstehend, oder was haben
wir wirklich nicht geschafft? – Es gibt hier einige
Punkte, die gewissermaßen auch Teil der Arbeitsliste der
Nächsten im Sportausschuss sind:

Erster Punkt. Sport und Prävention, Sport und Re-
habilitation. Wir haben eigentlich einen Konsens darü-
ber, dass der Sport hier eine wichtige Bedeutung hat. Ich
bedauere es für die Grünen aber außerordentlich, dass es
uns nicht gelungen ist, ein Präventionsgesetz zu verab-
schieden, und zwar nicht, weil wir glauben, dass man al-
les mit Gesetzen regeln kann, Kollege Parr – das ist nicht
der Ansatz –, sondern weil mit dem Entwurf eines Prä-
ventionsgesetzes ein moderner Präventionsgedanke mit
einem modernen Ansatz auch für den Sport entwickelt
wurde. Es geht um Lebenswelten und Lebensstile; dort
wird angesetzt. Mit diesem Präventionsgesetz wäre eine
neue finanzielle Grundlage in Form eines Präventions-
fonds geschaffen worden, mit dem die Präventionsarbeit
durch den Sport für alle hätte ermöglicht und finanziert
werden können.

Das ist der eigentliche Schaden; das bedauern wir.
Das ist ein Auftrag, den der nächste Deutsche Bundestag
unbedingt aufgreifen muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das steht aber in Ihrem Gesetzentwurf nicht drin!)


Zweiter Punkt. Die internationale Dimension des
Sports. Auch darüber haben wir diskutiert. Ich glaube,
es gibt hier einen breiten Konsens darüber, dass der
Sport friedensstiftend sein kann, zur Völkerverständi-
gung beitragen und helfen kann, Vorurteile abzubauen.
Durch den Sport kann eine ganze Menge geleistet wer-
den – auch in den internationalen Beziehungen. Das tut
er aber nicht automatisch und von selber. Ich finde, hier
haben wir insgesamt noch einen ziemlichen Nachholbe-
darf.

Es wird auf Dauer nicht reichen, nur die Mittel für das
Auswärtige Amt etwas zu erhöhen und ein paar Trainer-
lehrgänge mehr durchzuführen, vielmehr glaube ich,
dass wir ein umfassendes Gesamtkonzept dafür brau-
chen, wie wir den Sport sozusagen als Friedensarbeit
bzw. Friedensprojekt ausbauen können.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!)


Ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass es ein gro-
ßer Fehler ist, dass im Haushalt des BMZ keine Extra-
mittel für den Aufbau des Sports in den Entwicklungs-
ländern vorhanden sind, als Beitrag zum Aufbau der
Zivilgesellschaft in diesen Ländern.

Das ist dringend notwendig und überfällig. Auch das
ist ein Projekt für die nächste Legislaturperiode.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dritter Punkt: Sport und Integration. Wenn Minister
Schäuble über Sport redet und dabei ein bisschen ins
Schwärmen kommt, dann sagt er eigentlich immer, dass
es in der Gesellschaft kaum etwas gibt, das besser inte-
grieren kann als Sport.


(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: So ist es!)


Da gebe ich ihm auch vollkommen recht. Das ist absolut
richtig. Aber wenn wir das erkennen, dann, finde ich,
sind die gerade einmal 6 Millionen Euro, die seit Jahren
für Integrationskurse im Sport ausgegeben werden,
ziemlich dürftig – insbesondere angesichts dessen, was
wir vom Sport erwarten und in einigen Bereichen für
Sport ausgeben. Ich war unlängst in Kreuzberg in dem
berühmten Türkiyemspor-Club. Das ist ein berühmter
Multikulti-Sportclub, der viel Integrationsarbeit leistet.
Wenn Sie dort hingehen, dann erfahren Sie, dass solche
Vereine, in denen viel ehrenamtliche Arbeit geleistet
wird, mit der großen Integrationsaufgabe, die an sie her-
angetragen wird, völlig überfordert sind. Sie brauchen
keine komplette staatliche Alimentierung – darum geht
es nicht –, sondern sie brauchen mehr Förderung und
professionelle Unterstützung, damit sie ihre ehrenamtli-
che Arbeit in diesem Bereich besser leisten können. Des-
halb: mehr Geld für Integrationsarbeit im Sport.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben immer wieder über Sportstätten gespro-
chen. Manche von uns sagen dann: Wir brauchen einen
goldenen Plan. – Ich sage Ihnen: Wir brauchen keinen
goldenen Plan.


(Detlef Parr [FDP]: Warum darf man das denn nicht einen goldenen Plan nennen?)


Wir brauchen eine Zukunftskonzeption für die Entwick-
lung von Sportstätten und Bewegungsräumen, und zwar
für 2020, in der der demografische Wandel und neue
Formen der Bewegung und der Bewegungskultur be-
rücksichtigt und in der auch ökologische Fragen wie Kli-
mawandel und Klimaschutz mit bedacht und mit entwi-
ckelt werden. Das wäre eine neue Dimension; das ist
eine neue Aufgabe für den nächsten Deutschen Bundes-
tag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Meinen Sie, da reichen vier Jahre?)


Die Kollegin Freitag hat in den Mittelpunkt ihrer
Rede zu Recht den Kampf gegen Doping gestellt. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
glaube, das ist und bleibt eine Daueraufgabe. Der Sport-
ausschuss muss sich als die Institution verstehen, die an
erster Stelle gegen Doping im Sport kämpft, und zwar
sehr konsequent. Aber es wird auch hier nicht ausrei-
chen, nur die Mittel für die NADA zu erhöhen, was ich
ausdrücklich begrüße und wofür ich immer gekämpft
habe. Das ist absolut richtig. Aber nur die Mittel für die
NADA zu erhöhen, das ist nicht genug. Wir brauchen
auch mehr Mittel für die Prävention. Ich bedaure es, dass
wir immer noch nur gerade mal 300 000 Euro für Prä-
vention ausgeben. Das ist ein Witz angesichts der Tatsa-
che, dass alle sagen: Das ist das Wichtigste. – Dann müs-
sen auch mehr Mittel in die Prävention investiert
werden. Das würde zeigen, dass man es ernst meint.

Wir müssen auch deutlich machen, dass öffentliche
Mittel zurückgezogen werden, wenn Sportorganisatio-
nen gegen Anti-Doping-Richtlinien verstoßen, wenn sie
im eigenen Verband bei den Trainern nicht konsequent
gegen Doping vorgehen. Wir müssen ein Exempel statu-
ieren, wenn Politik glaubwürdig sein will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Deutschland muss ganz klar sein: Nur absolut saube-
rer Sport kann mit öffentlicher Förderung rechnen.

Ein weiterer Punkt betrifft gewissermaßen eine Öff-
nung der Themenbereiche des Sportausschusses. Wir ha-
ben uns mit vielen Fragen beschäftigt, aber tendenziell
haben wir uns sehr stark mit dem herkömmlichen Brei-
ten- und Spitzensport befasst. Es gibt aber neben den
olympischen Disziplinen viele nicht olympische Diszi-
plinen, die in der Gesellschaft übrigens eine sehr große
Bedeutung haben. Es gibt zahlreiche Massensportarten,
zum Beispiel Klettern, Akrobatik, Tanzen oder Inline-
skaten. Ich glaube, eine moderne Sportpolitik muss auch
diesen Bereich von Bewegung und Bewegungskultur
besser reflektieren und aufgreifen und sich Gedanken
darüber machen, wie man diese Formen, die genauso
sinnvoll und richtig sind wie die anderen Formen von
Sport und Bewegung, besser unterstützen und fördern
kann. Auch das ist eine Zukunftsaufgabe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der letzte Punkt betrifft die Bewerbung von München
zur Ausrichtung der Olympischen Winterspiele in
2018. Wir Grüne diskutieren darüber – das sage ich ganz
offen –, wir haben eigentlich ein Herz für den Sport und
eigentlich auch für die Olympischen Spiele.


(Zuruf von der SPD: Eigentlich! – Detlef Parr [FDP]: Aber! Das ist das überflüssige Aber!)


Wir würden die Olympischen Spiele gerne in München
durchführen, aber wir knüpfen das an Kriterien. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, man kann nicht einfach nur
bedingungslos Geld rausschmeißen für eine Olympiade,
von der man nicht weiß, was dabei rauskommt.


(Zurufe von der SPD: Das ist doch Unsinn!)


Darum geht es auch nicht. Ich hoffe, dass auch ihr be-
stimmte Kriterien und Voraussetzungen erfüllt wissen
wollt. Unsere Kriterien sind: Es muss klargestellt wer-
den, dass bei diesen Winterspielen, die in einer ökolo-
gisch hochsensiblen alpinen Region stattfinden sollen,
alles getan wird, damit in dieser sensiblen Natur kein
Schaden durch Sportstättenbau, durch die Spiele selbst,
die Gäste usw. angerichtet wird. Das ist für uns ein wich-
tiges Kriterium, und das ist in der Konzeption noch nicht
sichergestellt. Wir erwarten immer noch eine umfas-
sende Umweltkonzeption. Wenn sie vorliegt, kann man
sie beurteilen und dann auch entscheiden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite wichtige Gesichtspunkt ist, dass Mobilität
bzw. Verkehr klimaneutral und ökologisch organisiert
sein muss. Auch hier gibt es bisher nur ein großes Ver-
sprechen; in der Konzeption wurde noch nicht belegt,
wie dies gewährleistet werden soll.

Beim letzten Punkt geht es um Geld. Die Finanzie-
rung muss transparent sein. Es kann nicht sein, dass die
internationalen Sportorganisationen wie das IOC einen
Haufen Geld einkassieren und am Ende die Kommunen
und das Land zahlen. Auch hierbei müssen wir genau
darauf achten, woher die Mittel kommen und wohin sie
fließen. Dabei ist Transparenz gefragt. Auch hier ist
noch nicht alles klargestellt worden. Deswegen fordern
wir, dass zunächst alles geklärt werden muss. Dann wer-
den wir entscheiden, ob wir dem Vorhaben zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Ich habe es immer genos-
sen, dass wir im Sportausschuss eine offene und öffentli-
che Debatte führen; denn der Sportausschuss tagt über-
wiegend öffentlich. Damit hat er etwas geschafft, was
viele andere Ausschüsse nicht hinbekommen haben: die
Themen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Ich hoffe sehr, dass auch der nächste Sportausschuss
so offen diskutiert und die Themen des Sports so offen
aufgreift und dass er nicht nur gut diskutiert und ab und
zu gute Anhörungen durchführt, sondern auch konse-
quent Konzepte entwickelt, um die Probleme zu lösen.

Ich bedanke mich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623004200

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Bernd

Heynemann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Bernd Heynemann (CDU):
Rede ID: ID1623004300

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Zu unserem Antrag „Gesellschaftli-
che Bedeutung des Sports“ dürfte es eigentlich keine an-
dere Auffassung geben, aber es ist schon manchmal be-
merkenswert, welche Werte sich eine Gesellschaft sucht.
Wir sind uns im Sportausschuss fraktionsübergreifend
einig, dass der Sport eine sehr zentrale Rolle im gesell-
schaftlichen Leben spielt. Ein jeder kann bei sich selbst
überprüfen, wie der Sport täglich in sein Leben eingreift
bzw. wie jeder Einzelne seinen Tag mit Sport organisiert.






(A) (C)



(B) (D)


Bernd Heynemann
Ob Freizeitsport, Vereinssport oder die Funktionärstätig-
keit: Der Sport ist der rote Faden in der Gesellschaft.

Wir haben es so beschrieben: Wer Sport treibt, lernt,
Regeln zu akzeptieren und den Gegner zu achten. Dabei
werden auch Werte vermittelt. Aber wir wissen, dass in
unserer heutigen Gesellschaft gerade der Sport im früh-
kindlichen Alter – du hast es bereits angesprochen,
Detlef –, im Vorschulalter und auch in den ersten Schul-
jahren zum Teil vernachlässigt wird. Die Sprint-Studie
und andere Untersuchungen haben ergeben, dass es da-
durch zu motorischen Defiziten kommt, die uns als Ge-
sellschaft in Form von Krankheiten oder anderen Behin-
derungen in späteren Jahren wieder auf die Füße fallen.

Es geht also nicht nur um den Sport an sich, sondern
auch um eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, Gesund-
heitsvorsorge und auch um die Organisation von Er-
folgserlebnissen. Es ist schon angesprochen worden,
dass die deutsche U-21-Mannschaft soeben den Europa-
meistertitel errungen hat. Man kann Matthias Sammer
nur gratulieren, der immer wieder eine Siegermentalität
eingefordert hat. Der Sport prägt, egal ob in der Kreis-
klasse, im Verbandsmaßstab oder im internationalen
Maßstab.

Der Sport ist ein unverzichtbares Element aktiver
Gesundheitsvorsorge geworden. Gerade in einer Ge-
sellschaft, die heute nur noch auf kurzfristigen Erfolg,
egoistisches Denken und Ellenbogenmentalität ausge-
richtet ist, bringt der Sport die Menschen wieder zusam-
men, lässt sie gemeinsame Zeiten erleben und schafft da-
mit Bindungen.

Sport – ich sagte es bereits – ist aber nicht nur aktive
Teilnahme an der Bewegung, sondern Sport ist auch, als
Funktionär oder Betreuer zu wirken. Wir können fest-
stellen, dass viele Funktionäre – ob Übungsleiter, Be-
gleiter oder Betreuer – nicht nur gebraucht werden, son-
dern manchmal diejenigen sind, die den ganzen Laden
am Laufen halten. Viele Sportler und auch Eltern haben
mir gesagt, dass sie für diese ehrenamtliche Tätigkeit
sehr dankbar sind und auch wissen, dass dann, wenn
diese Betreuung und Anleitung fehlen, häufig in Pro-
blemgebieten die Sportschuhe mit den Springerstiefeln
getauscht werden.

Es ist ein sehr wichtiger gesellschaftspolitischer An-
satz, den Sport und damit auch das Ehrenamt in ihrer Be-
deutung aufzuwerten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich glaube, man kann sagen: so wie der Sport, so die Ge-
sellschaft. Sie sollte aktiv, motivierend, selbstbewusst,
zielstrebig, kreativ und erfolgreich sein.

Der Sport hat auch eine nicht zu unterschätzende Vor-
bildwirkung. Die sportlichen Vorbilder resultieren aus
der Leistungspyramide, von der Breite bis hin zur Spitze.
Das beste Beispiel, wie motivierend für alle die Helden
des Sports sind – das wurde schon angesprochen –, ha-
ben wir 2006 mit unserem Fußballsommermärchen und
2008 mit dem Handballwintermärchen in Deutschland
erleben können – Begeisterung, Patriotismus, Euphorie –,
ein gemeinschaftliches Erfolgserlebnis, das weit über
den sportlichen Wert hinausging. Die Helden des Sports
sind die Helden des Alltags. Sie motivieren Millionen, es
ihnen gleichzutun, und setzen Akzente. Was wären wir
ohne unsere Idole wie Becker,


(Ute Kumpf [SPD]: Ob Becker das richtige Idol ist?)


Graf, Beckenbauer, Weißflog und viele andere mehr? Sie
repräsentieren die Werte des Sports und sind damit auch
ein Spiegel der Gesellschaft.

Wir, der Deutsche Bundestag, speziell der Sportaus-
schuss, setzen uns weiterhin für die Stärkung des Sports
ein und wissen, dass die finanziellen Mittel, die von uns
bereitgestellt werden, nicht nur der Spitze, sondern auch
der Breite zugutekommen. Die technische Basis als Vo-
raussetzung für das Sporttreiben aller Bürger zu schaf-
fen, ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Land und
Kommune. Wir sind auf einem guten Weg. Die Gesell-
schaft, die diesen Sport will und die den Sport braucht,
muss umfassend Hilfe – auch zur Selbsthilfe – geben
und sich ihre Erfolge organisieren.

Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623004400

Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1623004500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ih-
nen ein paar Namen aus der Zeitung vorlesen: Jerome
Boateng, Dennis Aogo, Sami Khedira,


(Ute Kumpf [SPD]: VfB Stuttgart!)


Mesut Özil, Gonzalo Castro, Änis Ben-Hatira


(Zurufe von der SPD: U 21!)


und Ashkan Dejagah. – Die Sportexperten der SPD-
Fraktion kennen sich aus.


(Heiterkeit bei der SPD)


Aber die Namen sind auch darüber hinaus bekannt. Es
handelt sich um die Namen von Fußballnationalspielern,
und zwar von deutschen Fußballnationalspielern. Das ist
ein schönes Beispiel dafür – das wurde schon erwähnt –,
welche Kraft der Sport hat. Er bringt Menschen zusam-
men. Er unterscheidet nicht nach Arm und Reich, nach
Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Sport integriert und
vermittelt Werte wie Respekt, Teamwork und Fair Play.
Aber das macht der Sport nicht automatisch; das dürfen
wir in den Debatten, die wir führen, nicht vergessen.
Man muss das schon gut machen und den Sport entspre-
chend gestalten. Dass das gut gemacht wird, ist in aller-
erster Linie das Verdienst der Millionen Ehrenamt-
lichen in Deutschland, der Menschen, die sich in ihrer
Freizeit um den Sport, andere Menschen, die Gesell-






(A) (C)



(B) (D)


Swen Schulz (Spandau)

schaft kümmern. Diese Ehrenamtlichen haben unser al-
ler Dank und Anerkennung verdient.


(Beifall im ganzen Hause)


Bei allem, was im Sport zweifelsohne gut läuft, gibt
es einige Dinge, um die wir uns als Politikerinnen und
Politiker noch kümmern müssen. Wir haben viel für die
Ehrenamtlichen getan, gerade in dieser Legislatur-
periode. Ich erinnere an das Programm „Hilfen für Hel-
fer“, die Übungsleiterpauschale und anderes mehr. Peter
Rauen hat es bereits angesprochen: Heute werden wir
verbesserte Regelungen für die Haftung von ehrenamtli-
chen Vereinsvorständen verabschieden.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr gut ist das!)


Aber manchmal gibt es Probleme, bei deren Lösung
Trainer und Betreuer noch mehr Unterstützung brau-
chen. Wir haben in unserem Antrag „Sport fördert Inte-
gration“ einen entsprechenden Impuls gesetzt. Es gibt
manchmal Schwierigkeiten mit Kindern, Jugendlichen,
Erwachsenen und Eltern, die Ehrenamtliche in der Frei-
zeit nicht gut klären können. Dabei brauchen sie tatsäch-
lich Hilfe. Wir wollen, dass die Ehrenamtlichen künftig
verstärkt professionelle Hilfe abrufen können; denn wir
wollen die Ehrenamtlichen in ganz schwierigen Situatio-
nen, wie sie häufig im wahren Leben auftreten, nicht al-
leine lassen.

Es gibt ein Grundproblem: Nicht alle haben die
Chance, in einen Sportverein einzutreten. Es gibt soziale
und kulturelle Hürden. Das hat manchmal etwas mit dem
Geld zu tun, das die Familien haben oder auch nicht. Das
hat manchmal auch etwas mit religiösen Motiven zu tun.
Wir wollen – wir haben das in unserem Antrag „Sport
fördert Integration“ formuliert; das ist der erste und
wichtigste Punkt auf unserer Agenda – einen Aktions-
plan „Sport für alle“ gemeinsam mit den Ländern, den
Kommunen, dem organisierten Sport und den gesell-
schaftlichen Gruppen ins Leben rufen, damit wirklich
alle die Chance auf Teilhabe am Sport bekommen. Das
ist ein wichtiger Beitrag für die Menschen und auch für
die Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in unserem Antrag verschiedene Punkte
aufgelistet, die ich jetzt nicht alle ausführlich darstellen
kann. So ist es zum Beispiel wichtig, dass wir den Sport
in den Städtebau mit einbeziehen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!)


Es braucht Sport- und Bewegungsräume für Kinder und
Jugendliche.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Soziale Stadt!)


– Wir haben das Förderprogramm „Soziale Stadt“; darin
muss der Sport integriert werden. – Dafür müssen aber
auch Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ich will in diesem Zusammenhang ein Thema anspre-
chen, auf das ich immer wieder von den Vereinen hinge-
wiesen werde, und zwar den Lärmschutz. Ich habe
schon vor einiger Zeit einen Kreuzberger Fußballverein
besucht. Er hat seit Jahrzehnten mitten in einem Wohn-
gebiet einen großen Fußballplatz und daneben noch ei-
nen kleinen Platz als Trainingsgelände. Hunderte von
Kindern und Jugendlichen aus 25 oder 30 verschiedenen
Nationen treiben dort Sport. Der Verein leistet eine her-
vorragende Integrationsarbeit. Weil das Gelände mitten
in einem Wohngebiet ist, gibt es in der Nachbarschaft
Wohnhäuser. Es sind Leute neu in diese Häuser eingezo-
gen und haben angefangen, sich über den Lärm zu be-
schweren. Sie haben geklagt und teilweise Recht bekom-
men. Das kann einfach nicht sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Danckert [SPD]: Sport ins Grundgesetz!)


Diese Klagen haben dazu geführt, dass die Spielzeiten
eingeschränkt wurden und dass der Trainingsplatz nicht
mehr genutzt werden kann. Gleichzeitig stehen zig Kin-
der und Jugendliche auf der Warteliste, die Mitglied des
Vereins werden und Sport treiben wollen. Zurzeit stehen
sie auf der Straße. Was werden sie dort wohl tun? Es
kann nicht sein, dass die Mittagsruhe wichtiger ist als die
Zukunft und die Integration der Kinder und Jugendli-
chen in diesem Land. Ich glaube, da müssen wir etwas
ändern.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir haben in unserem Antrag den Auftrag an die Bun-
desregierung formuliert, sich mit den Ländern zusam-
menzusetzen, um eine Lösung herbeizuführen. Ich gehe
davon aus, dass dieser Auftrag engagiert ausgeführt
wird.


(Beifall bei der SPD)


Ich hatte am Anfang meiner Rede Namen von deut-
schen Nationalspielern vorgelesen. So viele fremdlän-
disch, ausländisch klingende Namen in einer deutschen
Nationalmannschaft fallen heute noch vielen auf. Irgend-
wann einmal wird es ganz normal sein. Es wird keiner
auch nur einen Gedanken daran verschwenden, es wird
Realität sein. Das ist der Zustand, den wir anstreben soll-
ten. Das, was der Sport macht, strahlt auf die Gesell-
schaft aus. Der Sport ist Vorreiter der Integration, und
das ist großartig.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623004600

Das Wort hat der Bundesminister des Innern,

Dr. Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In vie-
len Beiträgen der Debatte, die wir heute gegen Ende der
Legislaturperiode führen, wurde auf die große gesell-
schaftliche Bedeutung hingewiesen, die der Sport in un-
serem Land und für unser Land hat. Dazu trägt ganz
sicher auch bei, dass wir in dieser Familie des Sportaus-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
schusses – denn das ist er schon ein wenig, wie wir ges-
tern beim 40-jährigen Jubiläum gesehen haben – bei al-
len Unterschieden ein hohes Maß an Gemeinsamkeit in
dieser grundsätzlichen Frage haben. Dafür möchte ich
mich als der innerhalb der Regierung Zuständige aus-
drücklich zum Ende dieser Legislaturperiode bedanken.

Es ist viel zu den Werten, die der Sport vermittelt, und
zu dem, was der Sport für die Gesundheit der Menschen,
angefangen vom Kindesalter bis ins Seniorenalter, be-
deutet, gesagt worden. Wir haben große Fortschritte er-
zielt und haben – auch wenn wir weiter daran arbeiten
müssen – den Sport für Menschen in allen Sonderberei-
chen, insbesondere für Behinderte, wesentlich vorange-
bracht. Ich finde, dass das Parlament nicht nur im Laufe
dieser Legislaturperiode einen großen Beitrag dazu ge-
leistet hat.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, welch
große integrierende Kraft der Sport über alle sozialen
Schichten und alle Gruppen der Bevölkerung hinweg
hat. Das gilt auch für Menschen, deren Vorfahren bzw.
Eltern aus anderen Teilen der Welt zu uns gekommen
sind. Es gibt in der Breite kaum ein besseres Instrument.
Ich bleibe voller Dankbarkeit für das, was der Sport für
unser Land und für uns alle leistet, auch wenn Sie, Herr
Kollege Hermann, das als Schwärmen bezeichnen. Ich
habe noch in Erinnerung, was alles vor dem Sommer-
märchen öffentlich befürchtet wurde und welche Äuße-
rungen es gab. Selbst wenn es mit zwei Straßenfußbal-
lern ein Problem gegeben hat,


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Mannschaften!)


war es am Ende doch so, dass, gemessen an dem, was
vorher geredet wurde, die Wirklichkeit in unserem Land
von aller Welt so gesehen worden ist, wie sie ist, und
nicht so, wie sie manche Miesmacher immer wieder
falsch darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden – Kollege
Schulz hat es zuletzt noch einmal getan – und das gehört
mit zu dem ganz Großartigen, was der Sport in unserem
Lande und für unsere Gesellschaft leistet: nämlich auf
die ehrenamtliche Organisation des Sports – auf die Frei-
heit im Sport, die sich gerade auch in der Freiheit und
Eigenverantwortung der autonomen Sportorganisationen
ausdrückt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Prinzip des Freiwilligen, des Ehrenamtlichen kann
überhaupt nicht hoch genug als Voraussetzung für den
Zusammenhalt einer freiheitlich verfassten Gesellschaft
eingeschätzt werden. Auch dies leistet der Sport in einer
ganz außergewöhnlichen Weise. Deswegen müssen wir
die Autonomie und die Eigenverantwortung des
Sports wieder und wieder schützen und achten.

Wir dürfen auch nicht glauben, wir wüssten alles bes-
ser und könnten alles, weil wir es doch so gut meinen.
Vielleicht sind wir manchmal in der Gefahr, es zu gut zu
meinen und deshalb die Autonomie des Sportes eher ein-
zuschränken. Deswegen müssen wir unsere Verantwor-
tung wieder und wieder einschränken.

Herr Kollege Parr, in aller Verbundenheit zu Ihrer
letzten sportpolitischen Rede in diesem Hohen Hause
bin ich bezüglich der Regeln ein bisschen anderer Mei-
nung als Sie. Ich meine schon, dass wir Regeln brau-
chen.


(Detlef Parr [FDP]: Regeln ja!)


– Dann habe ich Sie falsch verstanden. – Jede Freiheits-
ordnung lebt davon, dass sie Regeln hat. Diese Regeln
müssen eingehalten werden, und irgendjemand muss da-
für sorgen, dass sie eingehalten werden. Sonst zerstört
sich jede freiheitliche Ordnung selbst. Das haben wir bei
den Finanzmärkten gesehen, das werden wir – dies sage
ich Ihnen voraus – im Internet erleben, und das erleben
wir beim Sport mit dem Doping.

Frau Kollegin Freitag, an dieser Stelle dürfen wir
nicht aufhören. Das wird uns übrigens lange begleiten.


(Dagmar Freitag [SPD]: Ja!)


Es betrifft ja gar nicht spezifisch den Sport. Wir Men-
schen neigen dazu, durch Übertreibung, durch Überspit-
zung das Großartige, das wir haben, immer auch zu zer-
stören. Deswegen ist die eigentliche Frage – hier sind
wir nicht einer Meinung –: Kann der Staat alle diese Fra-
gen wirklich lösen, oder ist es nicht besser, wenn er sich
ein Stück weit auf das zurückzieht, was er kann, auch im
Sinne von Subsidiarität, und diejenigen unterstützt, die
näher dran sind, wenn er sich also für die Eigenverant-
wortung und Autonomie des Sports einsetzt?


(Zuruf der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


– Deswegen müssen wir es richtig kombinieren. – Wir
unterstützen ja den Sport im Kampf gegen Doping. Das
ist völlig unstreitig. Wir haben die Mittel für die NADA
und für die Forschung gegen Doping erhöht. Dies muss
auch weitergehen. Aber wir dürfen nicht den Fehler ma-
chen, dass wir der Gesellschaft gewissermaßen die Illu-
sion vermitteln: Der Staat kümmert sich, jetzt haben wir
ein Strafgesetz und damit ist sie ihre Verantwortung los. –
Das wäre genau das Falsche. Nein, wir brauchen beides.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sprechen Sie einmal mit Juristen und anderen, die mit
Strafrecht zu tun haben, darüber, warum die Funktion
des Strafrechts begrenzt sein muss, damit wir nicht ein
zentrales Merkmal unserer abendländischen Freiheitsge-
schichte aufgeben. Ich bin lange genug in meinem Leben
Jurist, um festzustellen, dass es eine Illusion ist, zu glau-
ben, allein das Strafrecht und die staatlichen Strafverfol-
gungsbehörden könnten das Dopingproblem lösen. Das
geht in die falsche Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin dankbar, dass der Kollege Ramsauer seine Mi-
nisterin in dieser Frage völlig unterstützt. Mit den ge-
setzlichen Regelungen und den staatlichen Mitteln, bis
hin zum Bundeskriminalamt, unterstützen wir die Be-
kämpfung von Doping und der damit verbundenen kri-
minellen Organisationen. Wahr ist, dass nicht alle Sport-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
ler nur Opfer sind. Wir sollten bei mancher auf die
Vergangenheit gerichteten Debatte ein bisschen darauf
achten – das habe ich gestern anlässlich des Jubiläums
des Sportausschusses schon gesagt –, dass es nicht zu
neuen Verletzungen zwischen Ost und West in unserem
so lange geteilten und doch seit schon 20 Jahren wieder-
vereinigten Land kommt. Keiner hat einen Grund dafür,
nur auf den anderen zu zeigen. Wir haben schließlich ge-
sehen, dass es Doping im gesamten Land gibt.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das ist aber eine frühe Erkenntnis!)


– Das sage ich schon seit langem; das glauben Sie gar
nicht. Sie haben vielleicht nicht immer so genau zuge-
hört, wie auch ich Ihnen vielleicht nicht immer so genau
zugehört habe. Ich sage es aber trotzdem. Besser man
sagt es heute, als gar nicht. Es ist jedenfalls wichtig.

Ich warne nur vor der Illusion, zu glauben, dass wir
das Problem allein durch strafrechtliche und gesetzgebe-
rische Lösungen bewältigen können. Nein, wir müssen
die autonome Organisation des Sports weiterhin stützen.
Ich glaube, dass in den letzten Jahren die Einsicht ge-
wachsen ist – auch in den internationalen Sportorganisa-
tionen –, dass Doping eine der großen Bedrohungen für
den internationalen Sport geworden ist.

Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, die mir
wichtig ist. Viele Menschen sind zwar ungeheuer faszi-
niert von Spitzenleistungen im Sport. – Meist wird in
diesem Zusammenhang vom Fußball gesprochen; auch
ich bin ein großer Fußballanhänger. Nachdem Tommy
Haas das Halbfinale von Wimbledon erreicht hat, wird
vielleicht auch der Tennissport wieder mehr Aufmerk-
samkeit auf sich ziehen. – Aber wir sollten die Breite des
Sports, die vielen Sportarten nicht aus dem Blick verlie-
ren.

Wir sollten ebenfalls anerkennen, welch große Bei-
träge der autonome Sport leistet, um den Zusammenhalt
der Gesellschaft zu erhalten, und welch große Erfolge er
dabei erzielt. Wir sollten alles dafür tun – auch kartell-
rechtlich und europarechtlich –, dass die Autonomie des
Sports gestärkt und nicht geschwächt wird. Ansonsten
werden wir am Ende unter den Gesichtspunkten Markt
und Wettbewerb nur noch einen hoch kommerzialisier-
ten Spitzensport mit ein paar Millionären haben, wäh-
rend der andere Sport Not leidet. Das ist nicht der Sport,
den wir wollen. Deswegen müssen wir ihn stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vor diesem Hintergrund ist es besser, wir verstehen
unsere Verantwortung im Sinne von Subsidiarität. Dies
gilt übrigens nicht allein für den Bund, sondern auch für
die Länder und Kommunen. Im Rahmen der Ordnung
des Grundgesetzes leisten Länder und Kommunen viel
mehr für den Sport als der Bund. Dieser hat, von Spe-
zialbereichen und der Förderung des Spitzensports auf
nationaler Ebene abgesehen, keine umfassenden Zustän-
digkeiten; auch das muss man sagen.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Herr Kol-
lege Schulz, wir sollten uns aufgrund der mit einer be-
sonders klagefreudigen Bevölkerungsschicht gemach-
ten Erfahrungen – nicht nur in Berlin, aber speziell in
Berlin – für die nächste Legislaturperiode gemeinsam
vornehmen, darauf zu achten und zu erreichen, dass wir
im Hinblick auf imissionsrechtliche Aspekte – welche
Gesetze das auch immer sind – den Sport und vor allem
Einrichtungen, die für Kinder vorgesehen sind, stärker
privilegieren. Es muss klar sein, dass Lärm in diesem
Zusammenhang keine Nachbarschaftsbeeinträchtigung
ist. Die schlimmste Nachbarschaftsbeeinträchtigung
wäre, wenn es keinen Sport, keine Sportstätten und keine
Kinder mehr in unserem Land gäbe.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623004700

Das Wort hat der Kollege Martin Gerster für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1623004800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die gesellschaftliche Bedeutung des
Sports ist so groß, dass wir mit Worten eigentlich kaum
beschreiben können, wie groß sie ist. Aber was der Sport
kann und welche Werte wir mit ihm verbinden, ist schon
in einigen Redebeiträgen deutlich geworden. Es geht nicht
nur um Leistung, sondern auch um Integration – der Kol-
lege Swen Schulz hat das, wie ich finde, sehr eindrucks-
voll geschildert –, um Prävention, aber auch um faires
Miteinander und Respekt vor dem anderen. Deswegen
ist es so wichtig, dass wir das bewahren und den Sport
fördern. Wir müssen aufpassen, weil Gefahren vorhan-
den sind, weil es Feinde gibt, die die Grundwerte des
Sports bekämpfen wollen und die Axt an das anlegen
wollen, was wir mit dem Sport verbinden.

Es gibt aus meiner Sicht zwei große Probleme, zwei
große Herausforderungen. Doping ist an erster Stelle zu
nennen. Wir müssen alles daransetzen, um den Machen-
schaften, die dahinterstecken, die unseren Sport gefähr-
den können, wirklich etwas entgegenzusetzen. Dagmar
Freitag hat schon etwas dazu gesagt, und Peter Danckert
wird auch noch darauf eingehen.

Das zweite wichtige Thema, bei dem ich eine große
Gefahr für den Sport sehe, ist die Diskriminierung. Wir
beobachten seit Jahren die Entwicklung, dass Rechts-
extreme den Sport, insbesondere den Fußball, missbrau-
chen wollen, um ihre gefährlichen Ideologien zu verbrei-
ten. Wir müssen alles daransetzen, diesen Bestrebungen
eine klare Absage zu erteilen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für mich war es sehr eindrucksvoll, im Sportaus-
schuss zu hören, welche Umtriebe es da gibt. Ich bin
sehr dankbar dafür, dass der organisierte Sport, der
DOSB, die Sportverbände und die Vereine sowie letzt-
lich auch der DFB, hier ein klares Signal setzt. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Martin Gerster
denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mit unseren
Fanprojekten setzen wir ein klares Signal gegen Rechts-
extremismus im Sport. Das ist eine wichtige Aufgabe.

Ich bin dankbar dafür, dass sich jetzt auch die Landes-
regierung von Baden-Württemberg an der Drittelfinan-
zierung, an der Finanzierung durch die jeweilige Kom-
mune, das Land und den DFB, beteiligt, sodass die
Vereine in Baden-Württemberg bei den Fanprojekten
mitmachen können. Das ist eine wichtige Sache. Um
auch das deutlich zu machen: Ich finde es richtig, dass
wir von Bundesseite aus die Koordinierungsstelle für die
Fanprojekte in Frankfurt, die bei der Deutschen Sportju-
gend angesiedelt ist, finanziell stärker unterstützen.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist eine ganz wichtige Sache, dass wir die Sozialarbeit
in den Vereinen voranbringen und unsere Ehrenamtli-
chen für den Kampf gegen Rechtsextremismus in diesem
Bereich fit machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein zweiter Punkt zur Diskriminierung. Wir in der
Sportpolitik hier im Deutschen Bundestag müssen dafür
sorgen, dass Menschen mit Behinderungen vom Sport
nicht ausgegrenzt werden. Herr Minister Schäuble, Sie
haben beim Festakt gestern darauf hingewiesen, dass der
Sportausschuss des Deutschen Bundestages sich in den
letzten Jahren große Verdienste dabei erworben hat, dass
Menschen mit Handicaps tatsächlich am Sport teilhaben
können. Es ist auch wichtig gewesen, dass wir den Deut-
schen Behindertensportverband in den letzten Jahren
wieder auf Vordermann bringen konnten. Ich weise da-
rauf hin, dass der Stabwechsel beim Behindertensport-
verband noch nicht einmal zwei Wochen her ist.

An dieser Stelle will ich – ich denke, im Namen von
uns allen – noch einmal Danke sagen an Karl Hermann
Haack, der in schwieriger Situation viel für den Behin-
dertensport in unserem Land getan hat. Er hat für seine
Arbeit Beifall von uns verdient. Es waren nicht gerade
einfache Zeiten, aber er hat das Richtige getan.


(Beifall im ganzen Hause)


Friedhelm Julius Beucher, sein Nachfolger, ist auf der
Tribüne anwesend. Friedhelm, ich grüße dich und wün-
sche dir als ehemaligem Kollegen alles Gute, eine glück-
liche Hand und viel Erfolg für die wichtigen Weichen-
stellungen. Ich denke, du hast große Herausforderungen
vor dir. Wir brauchen barrierefreie Sportstätten, und na-
türlich müssen wir unsere Sportlerinnen und Sportler so
ausstatten, dass sie ihren Sport auch ausüben und das
kostenträchtige Equipment finanzieren können.

Ich kann mich noch an ein sehr eindrucksvolles Ge-
spräch bei den Paralympics in Peking erinnern. Ein Teil-
nehmer aus meinem Wahlkreis, Ralph Brunner, Roll-
stuhlfahrer, hat mir erzählt, nach langem Kampf habe er
es geschafft, monatlich 50 Euro an Unterstützung von
der Sporthilfe zu bekommen. Für die 50 Euro ist er zwar
dankbar, aber davon kann er sich nicht einmal einen Satz
Reifen für den Rollstuhl kaufen.

Ich glaube, es muss unser Ziel im Deutschen Bundes-
tag sein, hier weiter voranzugehen und diese Sportlerin-
nen und Sportler so auszustatten, dass wir nicht von Dis-
kriminierung sprechen müssen, dass sie wirklich auf
Augenhöhe mit den anderen an internationalen Wettbe-
werben teilnehmen können. Das heißt auch, Möglichkei-
ten für eine duale Karriere zu schaffen: für die Teilneh-
mer an den Olympischen Spielen genauso wie für die
Teilnehmer der Paralympics.

Dazu gehört für mich im Übrigen auch, dass wir die
Deaflympics besser unterstützen. Ich habe es als Ar-
mutszeugnis empfunden, dass für die Deaflympics von
den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und
ZDF keine Sendeminute bereitgestellt wurde. Hier ist
wiederum die Politik gefordert, dafür eine Lanze zu bre-
chen und mitzuhelfen, dass wir ein Stück weit in eine
neue Ära eintreten und auch die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer der Deaflympics in den Medien und in der
deutschen Öffentlichkeit Beachtung finden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623004900

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Fischbach für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1623005000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sport tut gut und fördert die Fitness und das Wohlbefin-
den. Es gibt kein Medium, das darüber nicht berichtet.
Wir kennen sogar die Personal Trainer der großen Stars.
Aber worüber sehr wenig berichtet wird, ist die gesamt-
gesellschaftliche Bedeutung und vor allen Dingen die in-
tegrative Bedeutung des Sports. Ich möchte gerne, ob-
wohl der Kollege Schulz schon darauf hingewiesen hat,
noch einmal auf die Integrationsaspekte des Sports zu
sprechen kommen.

In der Bundesrepublik gibt es heute rund 7 Millionen
Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft.
Das sind immerhin 8,1 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Jeder fünfte Einwohner unseres Landes hat einen Migra-
tionshintergrund. Bei den unter 25-Jährigen ist es mitt-
lerweile schon jeder Vierte. Das zeigt: Wir stehen hier
vor einer großen Herausforderung, die wir anzugehen
haben. Wir müssen die Integration, die wir schon auf den
Weg gebracht haben, verbessern. Ich glaube, dafür gibt
es kein besseres Mittel als den Sport; denn Sport ist ge-
lebte Integration.

Herr Schulz, Sie haben deutlich gemacht, dass es hier
mehrere Ebenen gibt. Integration bedeutet Teilhabe am
Sport. Sie haben die Namen der Fußballer der U 21 auf-
gelistet. Sie hätten sich sicherlich schwergetan, wenn Sie
die Namen einer Frauenmannschaft hätten aufzählen
müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Kommen Sie mal nach Saarbrücken!)


– Zu Ihnen komme ich gleich noch, aber an anderer
Stelle. – Das zeigt, dass es wichtig ist, Frauen viel stär-
ker einzubinden. Dieses große Feld muss bearbeitet wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie schaffen wir es, dass Migrantinnen, Mädchen mit
einem Migrationshintergrund, nicht nur am Sportunter-
richt teilnehmen, sondern auch in Führungsverantwor-
tung kommen? Das gilt für beide Geschlechter, für die
männlichen wie die weiblichen Migranten. Es ist ganz
wichtig, dass wir die Führungsebene, die Vorstände, viel
stärker mit Migranten besetzen und hier vorankommen.
Das würde ich sehr gerne unterstützen. Das machen wir
auch deutlich mit dem, was wir in unserem Antrag for-
muliert haben.

Wenn wir über Sport als Integrationsmöglichkeit
sprechen, dürfen wir die Sportvereine nicht vergessen.
Sie sind die Orte, wo sich junge Menschen treffen und
wo sie eine Menge lernen. Wir haben gerade schon ge-
hört, dass dort Werte vermittelt werden und Integration
gelebt wird. Die jungen Menschen müssen Verantwor-
tung und den Respekt voreinander lernen. Wir werden
deshalb nicht müde werden, die Sportvereine zu stärken
und ihnen die Möglichkeit zu geben, integrativ zu wir-
ken.

Frau Kunert, ich schätze Sie sehr. Ich glaube, dass Sie
das, was Sie hier sagen, ernst meinen. Aber dann ist es
wichtig, dass man die eigenen Vorstellungen da, wo man
etwas bewirken kann, auch umsetzt. Deshalb verstehe
ich nicht, dass Sie im Doppelhaushalt in Berlin die Mit-
tel für die Sportverbände im zweistelligen Bereich ge-
kürzt haben und dass Sie Schwimmbäder schließen, was
den Schulsport fast unmöglich macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rot-rote Kahlschlagspolitik!)


Ich würde mir wünschen – bei allem Verständnis für Ihre
Äußerungen –, dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass
vor Ort diese Möglichkeiten vorhanden sind.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wer hat denn die hohen Schulden in Berlin zu verantworten?)


Das ist, wie ich denke, ganz wichtig. Hier könnten Sie
intensiv Einfluss nehmen und auch etwas erreichen.


(Zuruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Mit-
gliedschaft in Sportvereinen und überhaupt das Führen
eines sportlichen Lebensstils ist eine zentrale Gesund-
heitsressource – das sagt nicht nur der 13. Kinder- und
Jugendbericht, das wissen wir auch. Durch Training
werden motorische Fähigkeiten genutzt und gestärkt;
Bewegung wird gefördert.

Ich glaube, es ist wichtig, dass unseren Kindern der
Zugang zum Sport nicht an den Stellen, wo er ihnen
leicht ermöglicht werden kann, verwehrt wird. Deshalb
ist es wichtig, auch den Schulsport zu stärken, und es ist,
wie ich glaube, auch richtig und wichtig, im Sportaus-
schuss unsere Verantwortung für den Breitensport, ob-
wohl wir ja eigentlich nicht für diesen zuständig sind,
nicht zu vernachlässigen, sondern auch diesen zu thema-
tisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist kaum zu bestreiten, dass die Sportvereine zum
Gemeinwohl beitragen, nicht nur im integrativen Be-
reich, sondern auch bezogen auf die Gesamtbevölke-
rung. Rund 2,1 Millionen Menschen engagieren sich in
Sportvereinen; es werden allerdings 1,4 Millionen Posi-
tionen von Männern besetzt. Angesichts dessen – das
sage ich an dieser Stelle noch einmal – wäre ich froh,
wenn es uns gelingen würde, Frauen noch stärker einzu-
binden.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Es würde auch guttun – ich schaue jetzt einmal zur
DOSB-Riege auf der Tribüne hoch –, wenn der weibli-
che Einfluss in den Führungsriegen ein wenig stärker
wäre.


(Detlef Parr [FDP]: „Frauen gewinnen!“-Kampagne nicht vergessen!)


– Genau.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das richtet sich auch an die FDP!)


Ich habe gerade gesagt, die Bundesregierung und der
Bundesinnenminister werden die Verantwortung, die wir
auch für den Breitensport haben, nicht vergessen. Wir
haben bereits 1989 das Programm „Integration durch
Sport“ aufgelegt, das mittlerweile in fast 500 Stütz-
punktvereinen sportliche Angebote unterstützt.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 20 Jahren kann man etwas Neues auflegen!)


Ich glaube, auch das ist ein Punkt, an dem wir weiterar-
beiten sollten und wofür wir werben sollten. Das steht
auch in unserem Antrag. Deshalb werbe ich dafür, dass
Sie unseren Antrag „Sport fördert Integration“ unterstüt-
zen.

Schließen möchte ich mit einem Wort von Ringelnatz.
Er hat einmal gesagt:

Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine,
Kürzt die öde Zeit,
Und er schützt uns durch Vereine
Vor der Einsamkeit.






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
In diesem Sinne: Stärken wir den Sport und unsere Ver-
eine!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623005100

Das Wort hat der Kollege Peter Danckert für die SPD-

Fraktion.


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1623005200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Ich möchte zu Beginn meiner kurzen Rede zunächst
einmal den Spitzen der Koalitionsfraktionen danken,
dass sie uns zu so prominenter Zeit, allerdings am Ende
der Legislaturperiode,


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Aber immerhin!)


75 Minuten Redezeit eingeräumt haben. Ich danke also
Herrn Kauder – ihm kann ich es jetzt nicht mehr persön-
lich sagen – und Herrn Struck, vertreten durch Fritz
Rudolf Körper.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, das muss angesichts der umfangreichen Ta-
gesordnung, die heute bis weit über Mitternacht hinaus-
reicht, auch einmal gesagt werden: Dass wir hier einein-
viertel Stunden über den Sport reden dürfen, ist etwas
ganz Besonderes.

Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um mich bei
unserem Bundesinnenminister, dem Sportminister, sehr
herzlich dafür zu bedanken, dass er uns in den letzten
vier Jahren in so positiver Weise begleitet hat. Ich weiß,
Ihr Herz schlägt für den Sport.


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Auch für den SC Freiburg!)


Ich denke aber, auch angesichts der hohen Prominenz
des organisierten Sports, über die ich mich sehr freue, ist
es wichtig, zu sagen, dass das Innenministerium uns im-
mer positiv begleitet hat. Das gilt auch für Staatssekretär
Bergner, der regelmäßig an unserer Seite sein konnte,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


für Herrn Dr. Kass und die von ihm geleitete Abteilung
und seinen Vorgänger Herrn Pöhle. Die Zusammenarbeit
war immer sehr erfolgreich. Man konnte hören, dass de-
ren Herz für den Sport schlug. Wir waren mit der Arbeit
sehr zufrieden.

Ich freue mich auch, dass heute eine Reihe von Kolle-
gen zu Wort gekommen sind, die mit ihrer Schlussrede
hier noch Akzente gesetzt haben. Lieber Detlef, dein
Vermächtnis werden wir in unseren Herzen bewahren;
ich würde fast sagen: verschließen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Fritz Rudolf Körper [SPD]: Schön formuliert!)

Vermutlich nicht alle werden das, was du gesagt hast, zur
Richtschnur ihres Handelns in der 17. Legislaturperiode
machen,


(Detlef Parr [FDP]: Das habe ich auch nicht erwartet!)


aber wir denken an dich. Die Zusammenarbeit mit dir
war immer durch interessante Wortduelle geprägt. Das
gehört mit zur parlamentarischen Arbeit. Alles andere
wäre dröge.

Wolfgang Grotthaus von der SPD-Fraktion ist jetzt
nicht da. Er bereitet sich in seinem Büro wahrscheinlich
auf seine Schlussrede vor.

Ich möchte mich speziell an meinen Freund Peter
Rauen wenden. Peter, ich habe es zwar bereits gestern
während der Feierstunde gesagt, aber ich möchte es
heute noch einmal vor der deutschen Öffentlichkeit sa-
gen: Du hast dich in vielfältiger Weise um den Sport ver-
dient gemacht. Ich danke dir vor allen Dingen für deine
Arbeit hier im Parlament, als Ausschussvorsitzender, als
mein Vorgänger, und als mein Stellvertreter. Wir haben
super zusammengearbeitet, und ich hoffe, dass der per-
sönliche Kontakt erhalten bleibt, damit die Arbeit in die-
sem Sinne fortgeführt werden kann.


(Dagmar Freitag [SPD]: Eine echte Männerfreundschaft!)


Herzlichen Dank dafür, Peter Rauen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke still an einige, die heute möglicherweise
ihre letzte Rede gehalten haben. Ich wünsche ihnen, dass
ihre Hoffnungen in Erfüllung gehen und sie weiterhin
Mitglied des Parlaments sein werden. Sie müssen dafür
kämpfen. Denn die Wahlkreise sind umstritten. – Mehr
möchte ich zu dem Thema nicht sagen.

Sehr verehrter Herr Minister Schäuble, Sie haben hier
ein Stichwort genannt, das ich eigentlich nicht behan-
deln wollte, nämlich Doping und strafrechtliche Sank-
tionen. Als ehemaliger Strafverteidiger bin ich weit da-
von entfernt, zu glauben, dass man mit Strafrecht alles
regeln könnte – gar keine Frage. Trotz eines umfangrei-
chen Strafgesetzbuches wird gegen Gesetze verstoßen.
Dies ist allerdings kein Grund, nicht auch in diesem Zu-
sammenhang das Strafrecht mit ins Spiel zu bringen, und
darum ging es.


(Beifall bei der SPD)


Es war eine ganze Zeit lang so – da es meine letzte
Rede in dieser Legislaturperiode ist, möchte ich sie nicht
mit besonderen Hinweisen garnieren –, dass der Sport
die Dinge regelt, weil er einfach näher an ihnen dran ist.
Dazu sage ich schlicht: Der Sport konnte nur die Fälle in
den Blick nehmen, in denen eine positive Dopingprobe
Hinweise darauf gab,


(Dagmar Freitag [SPD]: So ist es!)


dass dort etwas geschehen ist. Mehr konnte der Sport
nicht machen. Der Sport konnte weder Hausdurchsu-
chungen machen noch Zeugenvernehmungen durchfüh-
ren.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt – wir haben
dann ja auch einen Kompromiss gefunden –, dass wir
das Strafrecht an dieser Stelle nachjustieren. Unserer
Auffassung nach ist das zu wenig gewesen, aber ich
danke Klaus Riegert dafür, dass wir zumindest das er-
reicht haben, was wir hier auf den Weg gebracht haben.
Das möchte ich anerkennen.

Ich bin allerdings der Meinung, dass wir noch mehr
hätten tun müssen. An die bayerische Staatsministerin
richte ich meinen herzlichen Dank für ihre Bemühungen,
dieses Thema noch umfassender zu behandeln. Das ist
der richtige Weg, und wahrscheinlich kommen wir eines
Tages dazu. Wir müssen dieses Thema Hand in Hand be-
wältigen.

Der Sport muss machen, was er auch machen kann.
Ich glaube allerdings, dass seine Möglichkeiten recht be-
grenzt sind. Dabei wünsche ich mir, dass vom IOC mehr
Mittel beispielsweise für die WADA zur Verfügung ge-
stellt werden. 25 Millionen Dollar sind nämlich ein lä-
cherlicher Betrag, und angesichts des Vermögens des
IOC könnte man diese Summe locker verdoppeln oder
verdreifachen.


(Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


12,5 Millionen Dollar fließen von allen Nationen der
Welt in die WADA. Auch dies ist ein lächerlicher Be-
trag. Das ist zwar ein guter Anfang an dieser Stelle, aber
nicht mehr. Hier müssen wir ansetzen und weiterarbei-
ten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben etliches geschafft, und heute Abend wird
der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär, der sich
gerade mit Karl Diller unterhält – –


(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Nur über den Sport, Peter!)


– Nur über den Sport. Etwas anderes hatte ich auch gar
nicht erwartet.


(Heiterkeit)


Wir werden heute Abend im Deutschen Bundestag
ein Gesetz verabschieden, an dem wir alle mitgearbeitet
haben. Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass die
Parlamentarier das Heft in die Hand genommen haben.
Ich bedanke mich bei allen, die ich sehe, insbesondere
bei Klaus Riegert, Peter Rauen, Jürgen Gehb, Dagmar
Freitag und Fritz Rudolf Körper, die an dieser Stelle
nicht das mitgemacht haben, was vorgesehen war; ich
möchte hier keinen besonderen Hinweis in Richtung
Bundesregierung geben.

Wir haben die Initiative aufgegriffen und etwas gere-
gelt, was wirklich gut ist für die Ehrenamtlichen im
Sport. Wir haben nämlich eine Beschränkung der Haf-
tung der Vereinsvorstände und Stiftungsvorstände
durchgesetzt und damit einem Anliegen des organisier-
ten Sports Rechnung getragen. Wir werden hier Haf-
tungserleichterungen beschließen, die sehr wichtig sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623005300

Kollege Danckert, achten Sie bitte auf die Zeit?


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1623005400

Ja. – Ich darf mich bei allen, die mit mir im Sportaus-

schuss zusammengearbeitet haben, bedanken. Ich weiß,
dass die Arbeit mit mir nicht immer leicht war. Aber ich
habe versucht, mein Bestes zu geben. Einigen hat es ge-
fallen, anderen hat es nicht so sehr gefallen. Jeder muss
seinen Stil finden. Ich habe diese Sache gerne gemacht.
Diejenigen, denen ich auf die Füße getreten habe, bitte
ich heute um Nachsicht. Ich habe nun einmal ein ent-
sprechendes Temperament. Bei denjenigen, denen die
Arbeit gefallen hat, bedanke ich mich. Es war eine
schöne Zeit mit euch.

Ich nehme heute keinen Abschied; denn ich komme
wieder – jedenfalls wenn der Wähler es will.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623005500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD mit dem Titel „Sport fördert Integration“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13578, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/13177 anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP mit
dem Titel „Unterstützung der Bewerbung der Landes-
hauptstadt München zur Ausrichtung der XXIII. Olym-
pischen und XII. Paralympischen Winterspiele 2018“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13649, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 16/13481
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlussempfehlung des
Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Duale Karrieren im
Spitzensport fördern und den Hochschulsport strategisch
weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13057, den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/10882 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 d: Beschlussempfehlung des
Sportausschusses auf Drucksache 16/13058. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Antrages der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/11217 mit
dem Titel „Gesellschaftliche Bedeutung des Sports“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11174 mit dem Ti-
tel „Positive Auswirkungen des Sports auf die Gesell-
schaft nutzen und weiter fördern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenom-
men.

Noch Tagesordnungspunkt 5 d. Schließlich empfiehlt
der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussemp-
fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11199 mit dem Ti-
tel „Maßnahmen für eine moderne und zukunftsfähige
Sportpolitik auf den Weg bringen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 e: Beschlussempfehlung des
Sportausschusses zu dem Bericht des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ge-
mäß § 56 a der Geschäftsordnung mit dem Titel „Tech-
nikfolgenabschätzung (TA) – TA-Projekt: Gendoping“.
Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13059, in Kenntnis des ge-
nannten Berichts auf Drucksache 16/9552 eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der FDP-
Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 f: Beschlussempfehlung des
Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Alle Formen von Dis-
kriminierungen thematisieren – Bürgerrechte von Fuß-
ballfans stärken – Für einen friedlichen und integrativen
Fußballsport“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13504, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/12115 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.

Tagesordnungspunkt 5 g: Beschlussempfehlung des
Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Dopingvergangenheit
umfassend aufarbeiten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13579, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/13175 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-
Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 76 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Monika Lazar, Claudia Roth (Augs-
burg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen glei-
chen Geschlechts

– Drucksache 16/13596 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Es handelt sich um eine Überweisung im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist so beschlossen.

Interfraktionell ist vereinbart, den Tagesordnungs-
punkt 77 p – Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
studentischen Mobilität – von der Tagesordnung abzu-
setzen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 77 b bis 77 o, 77 q
bis 77 y und 77 aa bis 77 tt sowie die Zusatzpunkte 2 a
bis 2 z auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir den






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Hinweis, dass von uns jetzt sehr viel Konzentration ge-
fordert ist. Wir haben viele Seiten abzuarbeiten.

Tagesordnungspunkt 77 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtli-
nie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungs-
diensterichtlinie sowie zur Neuordnung der
Vorschriften über das Widerrufs- und Rück-
gaberecht

– Drucksache 16/11643 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13669 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13669, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/11643 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/13669 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13698.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 77 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/
783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die
Anwendung des Grundsatzes der gegenseiti-
gen Anerkennung auf Einziehungsentschei-

(Umsetzungsgesetz Rahmenbeschluss Einziehung)


– Drucksache 16/12320 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13673 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Klaus Uwe Benneter
Dr. Peter Danckert
Dr. Matthias Miersch
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13673, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12320 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in
zweiter Beratung angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 d:

Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck

(Köln), Wolfgang Wieland, weiteren Abgeord-

neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verbesserung der sozialen Situation
von Ausländerinnen und Ausländern, die
ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben

– Drucksache 16/445 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/13493 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13493, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/445 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Tagesordnungspunkt 77 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Sevim Dağdelen, Kersten Naumann, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE

Für die unbeschränkte Geltung der Men-
schenrechte in Deutschland

– Drucksachen 16/1202, 16/13493 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13493 die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/1202. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Christian Ahrendt,
Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Den Kommunen an den Grenzen zu Polen und
der Tschechischen Republik die Zusammenar-
beit mit diesen Ländern erleichtern

– Drucksachen 16/456, 16/9696 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stephan Eisel
Dr. Margrit Wetzel
Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Rainder Steenblock

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/9696, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/456 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

15 Jahre nach Änderung des Grundrechts auf
Asyl – Für einen rechtsstaatlichen Umgang
mit Schutzsuchenden in Deutschland und in
der Europäischen Union

– Drucksachen 16/8838, 16/10512 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/10512, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/8838 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik –
Von der Verpackungsverordnung zur Wert-
stoffverordnung

– Drucksachen 16/8537, 16/11974 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Horst Meierhofer
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11974, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8537 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Mehrwegsysteme durch Lenkungsabgabe auf
Einwegverpackungen stützen

– Drucksachen 16/11449, 16/11985 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Horst Meierhofer
Hans-Kurt Hill
Sylvia Kotting-Uhl

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11985, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11449 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 j:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst,
Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Mitbestimmungsrechte von Kindern und Ju-
gendlichen erweitern – Partizipation umfas-
send sichern

– Drucksachen 16/7110, 16/12984 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Katharina Landgraf
Sönke Rix
Miriam Gruß
Diana Golze
Ekin Deligöz

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/12984, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7110 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 k:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Visumfreie Einreise türkischer Staatsangehö-
riger für Kurzaufenthalte ermöglichen

– Drucksachen 16/12437, 16/13313 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13313, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12437 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 l:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae,
Peter Hettlich, Christine Scheel, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Zügig Grundsteuerreform auf den Weg brin-
gen

– Drucksachen 16/1147, 16/13445 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Scheel

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13445, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1147 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623005600

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 77 m:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Winfried Hermann, Bettina Herlitzius,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Besteuerung von Dienstwagen CO2-effizient
ausrichten und Privilegien abbauen

– Drucksachen 16/10978, 16/13447 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Scheel

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13447, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10978 abzu-
lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer
ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 n:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth

(Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bleihaltige Jagdmunition verbieten

– Drucksachen 16/13173, 16/13529 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Gerhard Botz
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13529, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13173 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 o:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Martina Bunge, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Vielfalt der Lebensweisen anerkennen und
rechtliche Gleichbehandlung homosexueller
Paare sicherstellen

– Drucksachen 16/5184, 16/13668 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Daniela Raab
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13668, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/5184 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.

Tagesordnungspunkt 77 q:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Keine Lobbyisten in den Ministerien

– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Birgitt Bender, Alexander Bonde, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz herstellen – Empfehlungen des
Bundesrechnungshofes zur Mitarbeit von
Beschäftigten aus Verbänden und Unterneh-
men in obersten Bundesbehörden zügig um-
setzen

– Drucksachen 16/9484, 16/8762, 16/13660 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Michael Hartmann (Wackernheim)

Dr. Max Stadler
Petra Pau
Wolfgang Wieland

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seine Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13660 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9484
mit dem Titel „Keine Lobbyisten in den Ministerien“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8762 mit
dem Titel „Transparenz herstellen – Empfehlungen des
Bundesrechnungshofes zur Mitarbeit von Beschäftigten
aus Verbänden und Unternehmen in obersten Bundesbe-
hörden zügig umsetzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 77 r:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Karin Binder, Dr. Barbara Höll, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Effektiven Diskriminierungsschutz verwirk-
lichen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Markus

Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das europäische Antidiskriminierungsrecht
weiterentwickeln

– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Beratung
der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk,
Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Europäisches Jahr der Chancengleichheit
für alle

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

(Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der
Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung euro-
päischer Richtlinien zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung

– Drucksachen 16/9637, 16/8198, 16/7536,
16/2033, 16/13675 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Christine Lambrecht
Mechthild Dyckmans
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13675 die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/9637 mit dem Titel „Effektiven Diskri-
minierungsschutz verwirklichen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8198
mit dem Titel „Das europäische Antidiskriminierungs-
recht weiterentwickeln“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Ent-
schließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/7536 zu ihrer Großen Anfrage
mit dem Titel „Europäisches Jahr der Chancengleichheit
für alle“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Entschließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/2033 zu der dritten Beratung
des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Umsetzung
europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grund-
satzes der Gleichbehandlung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Frak-
tion und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 77 s:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Entschließungsantrag der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Thilo Hoppe, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung
durch die Bundeskanzlerin zum Europäi-
schen Rat am 19./20. März 2009 in Brüssel
und zum G-20-Gipfel am 2. April 2009 in Lon-
don

– Drucksachen 16/12298, 16/13626 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Bärbel Höhn

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13626, den Entschließungsan-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/12298 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 t:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Zukunft schaffen, Bildung stärken – Bildungs-
politische Herausforderungen als gesamtstaat-
liche Aufgabe ernst nehmen

– Drucksachen 16/12687, 16/13587 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marcus Weinberg
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Krista Sager

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13587, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12687 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Tagesordnungspunkt 77 u:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(20. Ausschuss)

Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter
Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Renate
Gradistanac, Siegmund Ehrmann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Tourismuskooperation und Jugendaustausch
mit den neuen EU-Staaten fördern

– Drucksachen 16/12730, 16/13580 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Renate Gradistanac
Jens Ackermann
Dr. Ilja Seifert
Bettina Herlitzius

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13580, den Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12730
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der FDP-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 v:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Bettina
Herlitzius, Winfried Hermann, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Carsharing-Stellplätze baldmöglichst privile-
gieren

– Drucksachen 16/12863, 16/13582 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13582, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12863 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 77 w:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Barth,
Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Umsetzung der Bologna-Beschlüsse kritisch
begleiten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Bologna-Reform verbessern – Studienquali-
tät erhöhen und soziale Dimension stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Problem der ungenutzten Studienplätze in
zulassungsbeschränkten Studiengängen um-
gehend lösen – Staatsvertrag jetzt vereinba-
ren

– Drucksachen 16/11910, 16/12736, 16/12476,
16/13586 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Cornelia Pieper
Cornelia Hirsch
Kai Gehring

Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/11910 mit dem Titel: „Um-
setzung der Bologna-Beschlüsse kritisch begleiten“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-
Fraktion und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12736 mit
dem Titel: „Bologna-Reform verbessern – Studienquali-
tät erhöhen und soziale Dimension stärken“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltun-
gen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/12476 mit dem Titel: „Problem der ungenutz-
ten Studienplätze in zulassungsbeschränkten Studien-
gängen umgehend lösen – Staatsvertrag jetzt vereinba-
ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
ist dagegen? – Enthaltungen? – Diese Beschlussempfeh-
lung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitions-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
fraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 x:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Arbeitslosengeld I in der Krise befristet auf
24 Monate verlängern

– Drucksachen 16/13368, 16/13627 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Nahles

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13627, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/13368 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 y:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Renate
Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Bahnanbindung für den Flughafen Berlin
Brandenburg International optimieren und
beschleunigen

– Drucksachen 16/13397, 16/13653 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg Vogelsänger

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13653, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13397 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 aa:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)


Übersicht 14

über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
– Drucksache 16/13676 –
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 bb:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Erste Verordnung zur Durchführung des Bun-

(Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen – 1. BImSchV)

– Drucksachen 16/13100, 16/13263 Nr. 2.1,
16/13678 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Kauch
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13678, der Verordnung auf
Drucksache 16/13100 zuzustimmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 77 cc:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Weiterentwicklung des bun-

(AusglMechV)

– Drucksachen 16/13188, 16/13263 Nr. 2.2,
16/13651 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Dirk Becker
Michael Kauch
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13651, der Verordnung auf
Drucksache 16/13188 zuzustimmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 dd:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Grünbuch TEN-V: Überprüfung der Politik

Ein besser integriertes transeuropäisches Ver-
kehrsnetz im Dienst der gemeinsamen Ver-
kehrspolitik
KOM(2009) 44 endg.; Ratsdok. 6135/09

– Drucksachen 16/12188 Nr. A.25, 16/13585 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13585, in Kenntnis der Unter-
richtung eine Entschließung anzunehmen. Auch über
diese Beschlussempfehlung müssen wir abstimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-
Fraktion.

Tagesordnungspunkt 77 ee:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut

(Bayreuth)

der FDP

Neubau der Dresdner Bahn beschleunigen –
Schienenanbindung Berlin Brandenburg In-
ternational

– Drucksache 16/13183 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ist dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Antrag ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 77 ff:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Michael Kauch, Otto
Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Innovativen Lärmschutz an Schienenwegen
erproben – Strecke Emmerich–Oberhausen
zur Teststrecke machen

– Drucksache 16/13179 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit mehrheit-
lich abgelehnt.

Tagesordnungspunkte 77 gg bis 77 tt; das sind die
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 77 gg:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 585 zu Petitionen

– Drucksache 16/13453 –
Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 585 ist damit mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 hh:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 586 zu Petitionen

– Drucksache 16/13454 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Auch die Sammelübersicht 586 ist mit den Stim-
men des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 ii:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 587 zu Petitionen

– Drucksache 16/13455 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 587 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 77 jj:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 588 zu Petitionen

– Drucksache 16/13456 –

Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 588 ist damit einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 77 kk:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 589 zu Petitionen

– Drucksache 16/13457 –

Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 589 ist damit angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion
und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 77 ll:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 590 zu Petitionen

– Drucksache 16/13458 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 590 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Tagesordnungspunkt 77 mm:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 591 zu Petitionen

– Drucksache 16/13459 –

Wer ist dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 591 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 77 nn:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 592 zu Petitionen

– Drucksache 16/13460 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 592 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 77 oo:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 593 zu Petitionen

– Drucksache 16/13461 –

Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Die Sammelübersicht 593 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 pp:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 594 zu Petitionen

– Drucksache 16/13462 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 594 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 77 qq:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 595 zu Petitionen

– Drucksache 16/13463 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 595 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-
Fraktion und der Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 77 rr:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 596 zu Petitionen

– Drucksache 16/13464 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 596 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 ss:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 597 zu Petitionen

– Drucksache 16/13465 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 597 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 77 tt:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 598 zu Petitionen

– Drucksache 16/13466 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 598 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen.

Nun kommen wir zum Zusatzpunkt 2 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ein-
kommensteuergesetzes

– Drucksache 16/7519 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/13530 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten
Martin Gerster

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13530, den Gesetzent-
wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7519 ab-
zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Zusatzpunkt 2 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Frauen stärken – Frieden sichern – Geschlech-
tergerechtigkeit in der Entwicklungszusam-
menarbeit und der Konfliktbearbeitung vor-
antreiben

– Drucksachen 16/10340, 16/13505 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Christel Riemann-Hanewinckel
Dr. Karl Addicks
Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13505, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10340 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen ange-
nommen.

Zusatzpunkt 2 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Entwicklungsländer bei der Bewältigung der
Wirtschafts- und Finanzkrise unterstützen

– Drucksachen 16/13003, 16/13706 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Stephan Hilsberg
Hellmut Königshaus
Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13706, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13003 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der FDP-Fraktion.
Zusatzpunkt 2 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Vorschlag für eine Verordnung des Euro-
päischen Parlaments und des Rates zur Än-
derung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004
zur Festlegung von Gemeinschaftsverfah-
ren für die Genehmigung und Überwa-
chung von Human- und Tierarzneimitteln
und zur Errichtung einer Europäischen
Arzneimittel-Agentur in Bezug auf die In-
formation der breiten Öffentlichkeit über
verschreibungspflichtige Humanarzneimit-

(inkl. 17498/08 ADD 1 und 17498/08 ADD 2)

KOM(2008) 662 endg.; Ratsdok. 17498/08

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur
Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur
Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für
Humanarzneimittel in Bezug auf die Infor-
mation der breiten Öffentlichkeit über ver-
schreibungspflichtige Arzneimittel
KOM(2008) 663 endg.; Ratsdok. 17499/08

– Drucksachen 16/11819 A.15, 16/11819 A.16,
16/13266 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Hennrich

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tungen eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gibt es
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegen-
stimmen der Fraktion der FDP und Enthaltung der Frak-
tion Die Linke angenommen.

Zusatzpunkt 2 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates über die Schutzdauer
des Urheberrechts und bestimmter verwand-

(inkl. 12217/08 ADD 1 und 12217/08 ADD 2)

KOM(2008) 464 endg.; Ratsdok. 12217/08

– Drucksachen 16/10286 Nr. A.21, 16/13674 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Zusatzpunkt 2 f:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Paul K. Friedhoff, Patrick
Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Kommunen bei der Finanzierung von Bahn-
übergängen entlasten

– Drucksache 16/13448 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist damit abgelehnt mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 g:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Stefan Müller (Erlangen), Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Willi Brase, Ulla Burchardt,
Dieter Grasedieck, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth,
Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn),
Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gestaltung des Deutschen Qualifikationsrah-
mens

– Drucksache 16/13615 –

Dazu liegen drei Erklärungen zur Abstimmung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von den
Kollegen Petra Sitte, Cornelia Hirsch und Volker
Schneider.1) Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ist da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 h:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W.

1) Anlage 2
Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören
Bartol, Christian Carstensen, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Die Zulässigkeit von Kindertagesstätten in rei-
nen Wohngebieten verbessern

– Drucksache 16/13624 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Ist jemand dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten 2 i bis 2 z. Es
handelt sich um weitere Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Zusatzpunkt 2 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 599 zu Petitionen

– Drucksache 16/13628 –

Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 599 ist mit den Stim-
men des ganzen Hauses angenommen.

Zusatzpunkt 2 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 600 zu Petitionen

– Drucksache 16/13629 –

Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 600 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen.

Zusatzpunkt 2 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 601 zu Petitionen

– Drucksache 16/13630 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 601 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 602 zu Petitionen

– Drucksache 16/13631 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 602 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Zusatzpunkt 2 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 603 zu Petitionen

– Drucksache 16/13632 –

Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 603 ist einstimmig an-
genommen.

Zusatzpunkt 2 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 604 zu Petitionen

– Drucksache 16/13633 –

Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 604 ist damit angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 605 zu Petitionen

– Drucksache 16/13634 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 605 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 606 zu Petitionen

– Drucksache 16/13635 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 606 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
der FDP und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 607 zu Petitionen

– Drucksache 16/13636 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 607 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke.
Zusatzpunkt 2 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 608 zu Petitionen

– Drucksache 16/13637 –

Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 608 ist damit angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion.

Zusatzpunkt 2 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 609 zu Petitionen

– Drucksache 16/13638 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 609 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 t:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 610 zu Petitionen

– Drucksache 16/13639 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthält sich
jemand? – Die Sammelübersicht 610 ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 u:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 611 zu Petitionen

– Drucksache 16/13640 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 611 ist damit angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 v:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 612 zu Petitionen

– Drucksache 16/13641 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 612 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Zusatzpunkt 2 w:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 613 zu Petitionen
– Drucksache 16/13642 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 613 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 x:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 614 zu Petitionen
– Drucksache 16/13643 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 614 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 y:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 615 zu Petitionen
– Drucksache 16/13644 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 615 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

Zusatzpunkt 2 z:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 616 zu Petitionen
– Drucksache 16/13645 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Sammelübersicht 616 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen.

Nun kommen wir zu den Zusatzpunkten 3 a und 3 b;
es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Ver-
mittlungsausschusses.

Ich rufe zunächst Zusatzpunkt 3 a auf.

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

Änderung des Gesetzes zur Durchführung der
Gemeinsamen Marktorganisationen und der
Direktzahlungen
– Drucksachen 16/12231, 16/12517, 16/13081,
16/13607 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Zöller

Der Berichterstatter im Bundesrat ist Herr Staats-
minister Geert Mackenroth.

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu sonstigen Erklä-
rungen gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Dies gilt auch für die noch folgende weitere Beschluss-
empfehlung des Vermittlungsausschusses. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses auf der Drucksache 16/13607? – Wer ist dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 b auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

Änderung des Gesetzes zur Regelung der
Rechtsverhältnisse der Helfer der Bundes-
anstalt Technisches Hilfswerk

– Drucksachen 16/12854, 16/13016, 16/13358,
16/13608 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg

Der Berichterstatter im Bundesrat ist Herr Staats-
minister Jörg-Uwe Hahn.

Wird hierzu das Wort zu einer Berichterstattung oder
einer Erklärung gewünscht? – Auch das ist nicht der
Fall.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 16/13608? – Wer ist dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der
„Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“

– Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP

– Drucksache 16/13661 –

– Wahlvorschläge der Fraktionen DIE LINKE
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

– Drucksache 16/13705 –

Wir stimmen zuerst über den Wahlvorschlag der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/13705 ab. Wer stimmt für diesen Wahl-






(A) (C)



(B)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
vorschlag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Wahlvorschlag ist damit mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion abge-
lehnt.

Wir stimmen nun über den Wahlvorschlag der Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Druck-
sache 16/13661 ab. Wer stimmt für diesen Wahlvor-
schlag? – Wer ist dagegen? – Enthält sich jemand? – Der
Wahlvorschlag ist damit angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt haben wir den
Abstimmungsmarathon konzentriert über die Bühne ge-
bracht. Ich danke Ihnen für die Disziplin.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin!)


Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu Meinungs-
verschiedenheiten in der CDU/CSU über Steu-
ersenkungsvorhaben und deren Finanzierung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623005700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Jetzt haben Sie mich

damit überrascht, dass die Aktuelle Stunde doch noch
anfängt.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Mit einer Stunde Verzug!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in
den letzten Wochen doch gewundert. Angesichts der
Zahlen des Haushaltsentwurfs 2010 und der dazugehöri-
gen mittelfristigen Finanzplanung auf der einen Seite
und der Beschlüsse der FDP sowie der Diskussionen bei
der CDU auf der anderen Seite ist mir als einfachem Ge-
müt aufgefallen: Das passt nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD])


Es gibt eine gigantische Neuverschuldung. Wir kom-
men im Jahr 2010 nicht auf die 86 Milliarden Euro, die
im Haushaltsentwurf stehen. Wenn man die Mittel für
den SoFFin und andere Dinge dazurechnet, kommt man
auf eine realistische Neuverschuldung des Bundes von
100 Milliarden Euro. In den fortfolgenden Jahren geht
das so weiter.

Dies geht mit zusätzlichen Risiken wie der Unter-
finanzierung aller Sozialversicherungskassen einher. Ich
möchte das in meinen fünf Minuten Redezeit nicht wei-
ter ausführen; aber es betrifft die Rente, die Krankenver-
sicherung und die Bundesagentur für Arbeit. Man hat
übrigens nichts davon, jetzt Kredite auszugeben wie bei
der Krankenversicherung, wo 4 Milliarden Euro in den
Gesundheitsfonds geflossen sind.

Ein weiteres zusätzliches Risiko besteht dadurch, dass
extreme Wachstumsannahmen die mittelfristige Finanz-
planung stabilisieren sollen. Ab 2011 sollen es 1,9 Pro-
zentpunkte sein. Ein solches Wachstum haben wir zu-
letzt nur in den Jahren 2002 und 2007 erreicht. Weiterhin
soll es in den Folgejahren gigantische Ausgabenkürzun-
gen geben. Das sind sehr optimistische Annahmen, unter
denen die Riesenschulden wenigstens gehalten werden
können sollen.

Die Herrschaften von den Gelben aber treiben die
Schwarzen gemütlich vor sich her und führen uns die
Oper auf: Wir senken dennoch die Steuern. Macht ja
nichts; auf die eine oder andere Milliarde kommt es
schließlich nicht an.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Auf die Milliarde kommt es heute sehr wohl an!)


Was Sie da vorbereiten, nenne ich einen organisierten
Wählerbetrug, weil Sie die Steuersenkung, deren war-
men Wind Sie genießen wollen, auf der Grundlage die-
ser Haushaltsdaten in der Praxis nie und nimmer gestal-
ten und in die Tat umsetzen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der FDP und von der
Union, zusätzlich versprechen Sie mehr Investitionen in
Bildung. Ich habe noch keinen Niebel oder wie sie alle
heißen, auch niemanden von der Union, gehört, der nicht
davon redet. Außerdem versprechen Sie Investitionen in
den Klimaschutz. Darüber hinaus fordert die FDP in der
Föderalismuskommission II nicht nur eine Schulden-
bremse, sondern ein absolutes Schuldenverbot. Ich sage
es noch einmal: Was Sie da erzählen, passt nicht zusam-
men.

Die Ein-Punkt-Partei FDP – Steuern senken; das ist
der eine Punkt – hat angesichts der Zahlen des Haus-
haltsentwurfs 2010 mit dem Steuerprogramm, das sie
aufgestellt hat, schon jetzt den Bruch ihrer Wahlverspre-
chen organisiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die CDU eifert dem nach, spürt aber, dass es so nicht
geht. Die Äußerungen von Oettinger und anderen sind
nur ein Reflex, keine gerechnete Antwort darauf, dass et-
was an dem, was Sie jetzt dennoch ins Wahlprogramm
geschrieben haben, faul ist. Die Leute fragen übrigens in
den Veranstaltungen – ich nehme an, dass auch die Kol-
legen von der Union gefragt werden –, wer diese Krise
eigentlich bezahlen soll. Das ist eine Frage, die sich auf-
drängt und auf die Sie sich im Wahlkampf alle einstellen
dürfen.

Eine Antwort lautet, dass die nächsten Generationen
bezahlen sollen. Das sagt man nicht so gerne; aber
Schulden machen heißt, dass unsere Kinder dafür zahlen
müssen. Deshalb müssen wir jetzt energisch gegensteu-
ern. Die andere Antwort heißt laut Oettinger Mehrwert-

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn
steuererhöhung. Das halten wir für einen völlig verkehr-
ten Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Mehrwertsteuer schon kräftig erhöht. Wir
werden aus der Konjunkturkrise nicht herauskommen,
wenn wir so etwas noch einmal machen.

Die richtige Antwort ist, dass wir uns die Frage stel-
len müssen, ob nicht diejenigen, die viel haben, einen
größeren Beitrag zur Tilgung der Schulden und Zinsen
leisten müssen. Deswegen sind wir zum Beispiel nicht
nur für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, sondern
auch für eine zeitlich befristete Abgabe auf große Ver-
mögen. Denn Sie können niemandem in der Gesellschaft
erklären, dass die Großen die Krise angerichtet haben
und die Kleinen jetzt dafür bezahlen sollen. Das ist nicht
gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist auch nicht mit einem christlichen Gerechtigkeits-
begriff zu vereinbaren.

Wer Steuersenkungen verspricht und sich nicht auf
die Frage einlässt, wie das bezahlt werden soll, der kann
nur einen Weg gehen – das ist Ihr versteckter Weg –: Er
wird in den Sozialsystemen kürzen; denn darin steckt
viel Geld des Bundes. Nach dem, was FDP und CDU be-
schlossen haben, sind sie keine Steuersenkungsparteien,
sondern Sozialkürzungsparteien, sollten sie – was ich
nicht hoffe – in der nächsten Legislaturperiode regieren.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623005800

Nach meiner Rednerliste ist der Kollege Otto

Bernhardt der nächste Redner.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Auf dem letzten Zettel steht Manfred Kolbe!)


Offenbar liegt mir eine falsche Liste vor. Da der Kollege
Hans Michelbach bereitsteht und in der Fraktion wohl
vereinbart ist, dass er jetzt reden soll, erteile ich ihm das
Wort.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1623005900

Frau Präsidentin, vielen Dank! – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Kuhn, mit Kassandrarufen bewälti-
gen wir die Krise sicher nicht. Wir müssen den Men-
schen Orientierung geben, für Wachstum sorgen und
neue Sicherheit erreichen. Das sind die Voraussetzungen
für die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzmarkt-
krise.

Dafür haben wir am Sonntag einstimmig ein Regie-
rungsprogramm für 2009 bis 2013 beschlossen. Darüber
werden die Menschen in 88 Tagen zu entscheiden haben.
Ich bin ganz sicher, dass sie uns ihr Vertrauen schenken
und unserem Dreiklang von Konsolidieren, Investieren
und Entlasten ihre Zustimmung geben werden. Denn das
ist der richtige Ansatz, die richtige Konzeption, um diese
Krise zu bewältigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden mit dem Regierungsprogramm die schlei-
chenden Steuererhöhungen durch die kalte Progression
zurückführen, eine flachere Tarifkurve für die Entlastung
der Mittelschicht bis zur Spitzensteuersatzschwelle von
60 000 Euro schaffen und den Eingangssteuersatz von
14 Prozent auf 12 Prozent senken.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie haben keine Gegenfinanzierung aufgezeigt! Keine einzige! Wie bezahlen Sie das?)


Wir dürfen angesichts der Wirtschafts- und Finanz-
marktkrise keine Steuerpolitik der ruhigen Hand und
keine leistungsfeindliche Bereicherung des Staates prak-
tizieren. Eine Steuerreform ist deshalb notwendig. Sie ist
ökonomisch sinnvoll, für das Wachstum nötig und im
Rahmen dieses Dreiklangs auch machbar. Aus diesem
Grunde muss sie weiter als Kernziel auf der politischen
Agenda bleiben. Nichts zu tun und auf die Haushaltsent-
wicklung wie das Kaninchen auf die Schlange zu
schauen, wäre völlig fatal. Sie müssen wie ein Kauf-
mann zunächst investieren und werben, um Anreize zu
schaffen. So überwinden Sie in einem Unternehmen eine
Krise. Genauso muss es in dieser Krise der Staat ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen eine wachstumsfreundliche Steuerpoli-
tik, die Kaufkraft und Investitionen begünstigt. Mit Steu-
ersenkungen lässt sich die Wirtschaft stärker stimulieren,
sodass anschließend der Staat auch wieder mehr einneh-
men wird. Ein Erfolgsprogramm ist ein Policy-Mix, ein
Dreiklang von Schuldentilgung, Investitionen und steu-
erlicher Entlastung. Ohne neues Wachstum kommen wir
nicht aus der Krise und erreichen keine Konsolidierung.

Zwei von drei Menschen in Deutschland halten Steu-
ersenkungen für das beste Mittel gegen die Krise. Dem
kann man nur zustimmen. Die Menschen spüren, was
notwendig ist. In unserem jetzt beschlossenen Bürger-
entlastungsgesetz sind Steuerentlastungen schon vorge-
sehen. Im Jahr 2010 wird es mit diesem Bürgerentlas-
tungsgesetz eine erste Steuerentlastung geben. Allein
durch die Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbei-
trägen werden die Bürger um 9 Milliarden Euro entlas-
tet.

Es wird gesagt, in der Krise könne es keine Steuer-
erleichterungen geben. So wie es jetzt für 2010 beschlos-
sen ist, muss es natürlich bis 2013 weitergehen. Was
heute in der Krise richtig ist, kann doch morgen nicht
falsch sein. Deswegen ist es wichtig, dass wir eine Steu-
ervereinfachung und eine Veränderung der Steuerkurve,
insbesondere bei der Progression, beschlossen haben.
50 Prozent der oberen Steuerzahler zahlen schon heute
93 Prozent des Einkommensteueraufkommens. Es kann
doch nicht sein, dass bei Lohnerhöhungen zum Infla-
tionsausgleich nicht die Arbeitnehmer, sondern nur der
Fiskus begünstigt wird.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Hans Michelbach
Die Menschen müssen das Gefühl haben: Leistung
lohnt sich. Insbesondere muss deutlich sein, dass von
Lohnerhöhungen in dieser Zeit mehr Netto vom Brutto
übrig bleibt und nicht bei 1 Prozent Lohnerhöhung
2 Prozent mehr Steuern zu zahlen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist der falsche Weg. Wir brauchen einen ökonomi-
schen Ansatz für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Dann werden wir aus dieser Krise herauskommen.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Richtig!)


Eine Verweigerungshaltung und eine Politik der ruhigen
Hand wären völlig fatal für unser Land. Das, was wir
jetzt beschlossen haben, ist der richtige Ansatz. Deswe-
gen werden wir dafür die Zustimmung der Bürger und
der Wirtschaft bekommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623006000

Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Jetzt erklär es dem Kuhn mal!)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1623006100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Die Irritationen der Union
über die Steuerpläne scheinen ein zeitweiliges Ende ge-
funden zu haben. Als FDP begrüßen wir ausdrücklich,
dass sich nunmehr auch die Union klar zu Steuersenkun-
gen bekennt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist leider richtig, dass wir eine Wirtschaftskrise ha-
ben. Es ist leider richtig, dass wir eine Finanzkrise ha-
ben. Ebenso ist leider richtig, dass die Nettoneuverschul-
dung so hoch ist und sein wird, wie sie noch nie in
unserem Lande war. Aber wenn wir Arbeitsplätze erhal-
ten wollen, wenn wir Arbeitsplätze schaffen wollen,
dann brauchen wir Wachstum. Wenn wir Wachstum wol-
len, müssen wir uns doch fragen, ob wir dieses Wachs-
tum durch Steuersenkungen oder Steuererhöhungen
erhalten. Wir als FDP sagen klipp und klar: Steuererhö-
hungen beschädigen das Wachstum; Steuererhöhungen
wirken gegen Beschäftigung. Das ist der Grund, warum
wir gegen Steuererhöhungen sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ins-
besondere von der SPD: Bei der letzten Bundestagswahl
hat sich die SPD für ihr Versprechen wählen lassen, die
Steuern nicht zu erhöhen. Sie hat sich vehement gegen
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen und
erklärt, dass sie eine Mehrwertsteuererhöhung – sie
sprach sogar von einer „Merkelsteuererhöhung“ – nicht
mitmachen würde. Nach der Wahl haben sich die Sozial-
demokraten mit der Union auf eine 3-prozentige Mehr-
wertsteuererhöhung geeinigt. Das war die höchste Steuer-
erhöhung, die es jemals in der Geschichte unseres Lan-
des gegeben hat.


(Beifall bei der FDP)


Wenn Ihr Kanzlerkandidat Steinmeier nunmehr erklärt,
wer von Steuersenkungen rede, veräpple die Bevölke-
rung,


(Beifall des Abg. Ortwin Runde [SPD])


dann muss er sich doch fragen lassen, wie er selbst und
die SPD bei der letzten Bundestagswahl mit der Bevöl-
kerung umgegangen sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn sich Ihr Parteivorsitzender Franz Müntefering in
der Großen Koalition darüber beklagt, dass es unfair sei,
dass die SPD an dem gemessen werde, was sie in Wahl-
kämpfen gefordert habe, dann zeigt dies doch das ge-
samte Dilemma der SPD: Sie sind wortbrüchig gegen-
über dem Wähler geworden. Sie haben sich für eine
andere Politik wählen lassen, als Sie sie beschlossen ha-
ben. Sie haben sich komplett disqualifiziert, Werturteile
über andere Parteien überhaupt abzugeben.


(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Alles Stuss!)


Die Wählerinnen und Wähler in unserem Land, Herr
Poß, sehen das im Übrigen genauso. Mit Ihrem Kurs ge-
gen Steuererhöhungen erreichten Sie bei der letzten
Bundestagswahl ein Ergebnis von 34,2 Prozent; bei der
Europawahl haben Sie nun 20,8 Prozent erhalten. Das ist
die Quittung der Wähler für eine unglaubwürdige Politik
der Sozialdemokraten in Hessen, aber auch hier im
Bund.


(Beifall bei der FDP Joachim Poß [SPD]: Ach, Herr Thiele!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ei-
nen fundamentalen Unterschied zwischen den privaten
und den öffentlichen Haushalten: Jeder private Haushalt
schaut zuerst, was er einnimmt. Wenn er weniger ein-
nimmt, kann er weniger ausgeben. Bei den öffentlichen
Haushalten ist es leider genau umgekehrt: Zuerst werden
die Ausgaben festgelegt, und dann muss dafür das Geld
her. Wenn so die Bürger in unserem Lande haushalten
würden, wenn so die Unternehmen in unserem Lande
wirtschaften würden, dann wären die Bürger und auch
die Unternehmen pleite. Das kann nicht richtig sein.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


SPD, Linkspartei und Grüne sehen das Wohl des
Staates insofern nur darin, die Steuern zu erhöhen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Wie heißt es immer: Man kann nur das ausgeben, was man eingenommen hat!)







(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
Warum reden eigentlich alle nur von Steuererhöhungen
und von Steuermehreinnahmen des Staates zulasten der
Bürger und der Wirtschaft, Herr Kuhn? Warum wird
nicht auch einmal von Sparen und von Kürzen öffentli-
cher Ausgaben gesprochen?


(Beifall bei der FDP – Simone Violka [SPD]: Dann sagen Sie doch mal, wo! Bei den Sozialhilfeempfängern?)


Wenn jetzt von der SPD die Behauptung aufgestellt
wird, Steuersenkungen für Bürgerinnen und Bürger
seien nicht möglich, dann ist damit politisch etwas ganz
anderes gemeint:


(Ute Kumpf [SPD]: Sie reden viel Stuss!)


Sie wollen weitermachen mit der Steigerung der Staats-
ausgaben. Der Stimmenkauf von der Abwrackprämie bis
zur Rentenerhöhung wird zum politischen Prinzip erho-
ben. Niemandem wehe und allen wohl – das ist das Prin-
zip der Großen Koalition, und zwar in guten wie in
schlechten Zeiten. Das kann nicht funktionieren.


(Beifall bei der FDP – Simone Violka [SPD]: Die FDP ist gegen Rentenerhöhungen!)


Eine Steuerreform für ein einfacheres und faires Steu-
ersystem ist nicht nur nötig, sie ist auch möglich. Nur
muss man sich an die Staatsausgaben heranwagen.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie wollen Leistungen streichen!)


Natürlich tut das Streichen von Subventionen weh; na-
türlich ist der Verkauf von Staatsbesitz nicht ohne Wi-
derstände möglich. Das haben wir ja bereits vor einigen
Jahren erlebt, als wir seitens der FDP den Antrag gestellt
haben, die IKB zu verkaufen. Rot-Grün hat genau dieses
abgelehnt. Mit welchem Ergebnis? Die IKB hat eine
Pleite sondergleichen hingelegt, und die Quittung dafür
haben Sie einfach an die Steuerzahler weitergereicht.
Das ist eine Politik, die wir nicht wollen. Wir wollen ei-
nen klaren ordnungspolitischen Rahmen. Dafür setzen
wir uns ein.


(Beifall bei der FDP – Simone Violka [SPD]: Einmalige Einnahmen, dauerhafte Ausgaben!)


Die Große Koalition ist vor vier Jahren mit dem
Motto angetreten: Investieren, Sanieren, Reformieren.
Die Bilanz sieht komplett anders aus: Der Haushalt ist
ruiniert, der Steuerzahler wird abkassiert, und das Ge-
sundheitssystem ist deformiert. Das ist die Situation, vor
der wir heute in unserem Lande stehen.


(Beifall bei der FDP)


Die Politik der Großen Koalition ist gescheitert, und
wir als FDP stehen für eine marktwirtschaftliche Erneue-
rung unseres Landes und einen Politikwechsel. Dafür
haben wir in dieser Periode geworben, und dafür werden
wir bis zum Wahltag werben. Wir benötigen zum Wohle
der Bevölkerung, zum Wohle der Arbeitsuchenden und
zum Wohle der Beschäftigten in unserem Lande eine an-
dere Mehrheit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dafür werbe ich auch mit!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623006200

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Joachim

Poß das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1623006300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu

Herrn Thiele möchte ich jetzt nicht einmal ein Wort ver-
lieren. Das lohnt sich wirklich nicht.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist aber schade! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das waren doch schon fünf!)


Vielmehr möchte ich etwas zu Frau Merkel sagen, die
als Bundeskanzlerin im Bundeskabinett vor wenigen Ta-
gen einen Haushaltsentwurf und eine Finanzplanung hat
beschließen lassen, die bis 2013 eine Neuverschuldung
des Bundes von rund 300 Milliarden Euro vorsieht. Es
gibt Schätzungen, die darüber hinausgehen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vorgelegt vom Finanzminister!)


– Ja, aber unter der Leitung von Frau Merkel.


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Vorgelegt vom Finanzminister – in Klammern: SPD!)


Wer diese hohe Verschuldung wieder abbauen will,
kann nicht zusätzlich zu den Steuersenkungen, die diese
Koalition bereits beschlossen und die Herr Thiele ver-
schwiegen hat, weitere Steuersenkungen vornehmen
wollen. Wir haben in diesem Jahr Steuersenkungen von
16,5 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr werden es
28 Milliarden Euro sein. Ein Teil davon ist auf das Bür-
gerentlastungsgesetz zurückzuführen. Im Jahre 2011 ha-
ben wir eine Steuerentlastung von über 30 Milliarden
Euro als Teil unserer konjunkturellen Strategie.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sie haben die Steuern anscheinend nur gesenkt!)


Es ist auch richtig so, dass wir diese Steuersenkungen
beschlossen haben, aber mehr geht eben angesichts der
Explosion der Verschuldung in unserem Land nicht.
Mehr wäre verantwortungslos.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sagen Sie mal was zur Mehrwertsteuererhöhung und zur Glaubwürdigkeit!)


Es geht allerdings nicht, dass Frau Merkel am Montag
im Kabinett dies für die nächsten Jahre so feststellt


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wenn Sie die Kanzlerin angreifen, gibt es aber Ärger!)


und am Sonntag beim gemeinsamen Treffen von CDU
und CSU als Parteichefin ein Wahlprogramm beschlie-
ßen lässt, das deutliche Steuersenkungen verspricht. Un-






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß
seriöser und verantwortungsloser kann Politik wohl
kaum auftreten.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Poß, Sie müssen sich besser informieren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Wer behauptet, er könne alles gleichzeitig erreichen,
also den Abbau der Neuverschuldung, Steuersenkung
und Zukunftsinvestitionen, nimmt weder sich selbst
noch die Bürgerinnen und Bürger ernst, denen ein sol-
ches Wahlprogramm angeboten wird. So etwas kannten
wir bisher nur von der Spaßpartei FDP, bei der ja gesell-
schaftspolitische Verantwortungslosigkeit ein zentraler
Programmpunkt ist.


(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ein Stuss!)


Nun sieht sich zu meinem Bedauern unser Koalitions-
partner CDU/CSU offenbar gezwungen, hier in einen
Wettlauf einzutreten. Es ist unverantwortlich, solche
Steuersenkungen auf Pump zu versprechen. Das ist
Populismus, der auf Dauer auch die Grundlagen unseres
demokratischen Verständnisses erschüttert. Ein solch ge-
planter und langfristig angelegter Wahlbetrug ist einma-
lig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)


Gesellschaftspolitische Verantwortungslosigkeit kann
doch wohl nicht die Antwort auf die schwerste wirt-
schaftliche Krise in der Geschichte der Republik sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das haben die Bürgerinnen und Bürger nicht verdient,
und dagegen werden wir Sozialdemokraten uns mit aller
Kraft wehren.

Offenkundig verabschiedet sich die Union mit ihren
Steuersenkungsversprechen von der Politik, mit der die
Große Koalition in den letzten Wochen und Monaten der
Krise entschlossen und wirksam entgegengetreten ist.
Wer angesichts der genannten Haushaltsdefizite zusätzli-
che Steuersenkungen verspricht, der kann und will künf-
tig nicht mehr so viel zur Sicherung von Arbeitsplätzen
in Deutschland tun, wie wir dies in den letzten Monaten
getan haben. Übrigens geschah dies in dieser Koalition
immer auf Druck und Vorschlag der SPD.

Nur wenige Wochen nachdem wir hier im Deutschen
Bundestag nach jahrelangen Vorarbeiten in der Födera-
lismuskommission eine Schuldenbremse im Grundge-
setz verankert haben, fallen CDU und CSU – von der
FDP gar nicht zu reden – wieder genau in das Verhal-
tensmuster zurück, das in den letzten 40 Jahren ständig
zum Anstieg der Staatsverschuldung geführt hat, meine
Damen und Herren. Anstatt nach einer Rezession erst
einmal im Aufschwung die Steuermehreinnahmen zum
Ausgleich der unvermeidlichen Defizite zu verwenden,
werden noch während der Krise diese zukünftigen Mehr-
einnahmen wieder verteilt, und der Staat bleibt auf den
Schulden sitzen.

Wir waren in der Koalition in den Jahren 2005 bis
2008 mit einem anderen Verhaltensmuster erfolgreich:
In allen Aufschwungjahren wurden erhebliche Steuer-
mehreinnahmen realisiert. Damit wurden die Neuver-
schuldung und ebenso das strukturelle Defizit zurückge-
fahren. Die Wahlversprechen von CDU und CSU zeigen,
dass eine Rückkehr zu dieser Politik wirksamer Haus-
haltskonsolidierung nur mit der SPD möglich ist. Das
werden wir in den nächsten Wochen klarstellen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623006400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623006500

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was hier abläuft, ist ein demokratiefeindliches
und wirklich schändliches Schauspiel auf Kosten der
Bürgerinnen und Bürger.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sagt ausgerechnet die PDS!)


Es ist eine einstudierte, vielfach erprobte Vernebelungs-
taktik: Einerseits werden wahlkampftaktisch motivierte
Steuersenkungen versprochen. Andererseits wird die Be-
völkerung mental auf steuerliche und soziale Grausam-
keiten in der nächsten Wahlperiode vorbereitet. Den Bo-
den hierfür bereiten Sie mit einzelnen Wissenschaftlern
und Wirtschaftsverbänden.

Die gigantische Neuverschuldung wurde schon mehr-
fach genannt. Natürlich fragen sich die Bürgerinnen und
Bürger: Wer soll das bezahlen? Frau Bundeskanzlerin
mimt die Beinharte: Keine Steuererhöhungen nach der
Bundestagswahl! Wenn ich Nein sage, ist es ein Nein.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Bravo!)


Nicht einmal die Bild-Zeitung, die Ihnen weiß Gott
wohlgesonnen ist, glaubt Ihnen noch. Sie verlangt viel-
mehr eine schriftliche Erklärung dazu. Dass die Bild-
Zeitung einen schriftlichen Steuerschwur verlangt, hat
schon eine neue Qualität.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie versprechen frisch-fröhlich weitere Steuersenkun-
gen in Höhe von 15 Milliarden Euro. Das ist Wolkenku-
ckucksheim und nichts anderes. Das Entscheidende ist:
Geld wäre da. Das sagt Ihnen die Linke. Man muss aber
bereit sein, das Geld da zu holen, wo es durch Ihre Poli-
tik – Sie alle zusammen waren daran beteiligt – in den
letzten Jahren massiv angehäuft wurde. Wenn man das
tut, dann hat man eine Chance, wirtschaftlich gut zu ar-
beiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre Versprechen sind ein Wolkenkuckucksheim und
nichts anderes.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
Ich will ein Beispiel nennen, das ich sehr treffend
finde. Vor 22 Jahren, also 1987, waren die Bezüge ei-
nes DAX-Vorstandes mit durchschnittlich 446 000
Euro 14-mal so hoch wie die eines Arbeiters. Heute ist
der Unterschied auf das 52-Fache angewachsen. Das ist
das Ergebnis der Politik sowohl von Rot-Grün – ich er-
wähne nur die Senkung des Spitzensteuersatzes – als
auch von CDU/CSU und FDP.


(Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Komisch, dass es in Berlin nicht besser ist!)


Heute verdient ein Vorstandsmitglied eines DAX-notier-
ten Unternehmens im Schnitt 3,33 Millionen Euro. Aber
Sie wollen nicht ran an eine tatsächliche Reform der Ein-
kommensteuer, die sozial gerecht ist, mit der man den
Progressionsbauch abflacht, zu einer linearen Besteue-
rung kommt und den Spitzensteuersatz erhöht. Sie wol-
len nicht ran an eine Vermögensbesteuerung. Die Ver-
mögenden selber machen Ihnen Vorschläge und sagen,
dass eine Vermögensabgabe durchführbar ist. Das alles
lehnen Sie aber ab.

Was bleibt noch an Maßnahmen übrig? Es ist völlig
klar; das pfeifen die Spatzen von den Dächern und kann
in jeder Zeitung täglich nachgelesen werden: Es bleiben
Steuererhöhungen, Erhöhungen der Sozialabgaben und
drastische Kürzungen bei den Sozialleistungen. Ich finde
es schon interessant, dass die bereits angekündigten Kür-
zungen bei den Sozialleistungen nicht dementiert wur-
den. Bisher wurden nur Steuererhöhungen dementiert.

Natürlich geht es um die Mehrwertsteuer. Eine Erhö-
hung würde alle treffen. Aber es trifft vor allem diejeni-
gen, die heute für Minilöhne schuften müssen, und dieje-
nigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, weil die
Arbeitsplätze nicht in ausreichender Zahl vorhanden
sind. Vor allem diese Menschen zahlen die Zeche. Herr
Poß, wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit
Steinen werfen. Wer hat denn diese Mehrwertsteuererhö-
hung gemeinsam mit der CDU/CSU durchgesetzt?


(Beifall bei der LINKEN)


Das waren schließlich Sie!


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Beispiel Abgeltungsteuer. Der eine oder andere Ein-
kommensmillionär hat vielleicht 1 Million Euro ganz
normal auf dem Sparbuch liegen.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Vielleicht Herr Gysi! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oskar durch seine Bild-Zeitungs-Honorare!)


– Regen Sie sich nicht so auf!


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir regen uns nicht auf!)


Vor der Abgeltungsteuer hat er ordentlich Steuern
zahlen müssen, weil der Spitzensteuersatz gegriffen hat:
112 500 Euro Steuern auf Zinseinnahmen in Höhe von
250 000 Euro.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lafontaines Bild-Zeitungs-Honorare!)


Heute muss er nur noch 62 500 Euro zahlen, weil Sie die
Abgeltungsteuer durchgebracht haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was für einen Zinssatz haben Sie denn da angesetzt?)


Herr Steinbrück hat das so begründet: Ehe die gar nichts
zahlen, nehmen wir lieber ein bisschen weniger. Sie ha-
ben die Reichen und Vermögenden in dieser Gesellschaft
massiv entlastet.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht Herr Lafontaine mit dem Gewinn? Führt er ihn an Ihre Partei ab?)


Die Mehrwertsteuer war ein Mittel zur Gegenfinanzie-
rung. Das ist mit uns nicht zu machen.

Sie glauben anscheinend, dass dieser Streit, dass das,
was Sie hier abliefern, Menschen motiviert. Dazu kann
ich Ihnen nur sagen: Das ist und bleibt demokratiefeind-
lich. Sie veralbern die Bevölkerung und verkaufen sie
für blöd. Das ist mit uns nicht zu machen.

Wenn Sie den Umsatz stärker besteuern wollen, wa-
rum besteuern Sie dann bitte schön nicht den Kapitalver-
kehr? Warum führen wir nicht eine Börsenumsatzsteuer
ein, die Milliarden in die Bundeskasse spülen würde?
Das könnten Sie doch machen.

Ich glaube, nun ist endgültig klar, was Bundeskanzle-
rin Angela Merkel meint, wenn sie sagt, dass Deutsch-
land gestärkt aus der Krise hervorgehen wird. Ihr
Deutschland, das sind die Reichen, die Vermögenden
und die großen Unternehmen. Die Masse der Bevölke-
rung darf das dann zahlen. Die einen wollen Sie stärken,
und die anderen werden dafür zur Kasse gebeten. Das ist
eine riesengroße Wahllüge.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623006600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der

Kollege Manfred Kolbe.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1623006700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben die seit vielen Jahrzehnten schwerste Finanz-
und Wirtschaftskrise in Deutschland.


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Die nächste bereiten Sie schon vor!)


Die Menschen erwarten ehrliche Antworten und keine
gegenseitigen Beschimpfungen, gerade von uns im
Deutschen Bundestag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wie war das mit dem Glashaus?)


Ehrliche Antworten erwarten die Menschen auch von
der Opposition, Herr Kuhn. In Ihrem Redebeitrag haben






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Kolbe
Sie uns und alle anderen beschimpft, aber eine ehrliche
Antwort habe ich Ihrem fünfminütigen Redebeitrag
nicht entnehmen können. Die einzige Antwort war: Er-
höhung des Spitzensteuersatzes. Wissen Sie eigentlich,
ab welchem Betrag der Spitzensteuersatz heute greift?
Das sind 52 000 Euro jährlich. Das ist viel Geld. Das ist
ein gutes Gehalt, aber das sind nicht Superreiche. Das ist
eine etwas zu billige Antwort. Das war eine Antwort auf
dem Niveau der Linken. Die Grünen sind da sonst bes-
ser.

Sie haben uns organisierten Wählerbetrug vorgewor-
fen. Das kann ich nur zurückweisen. Schauen Sie sich
einmal die Koalitionsvereinbarung an, die die Sozialde-
mokraten und die Union vor vier Jahren geschlossen ha-
ben.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aus zwei mach drei!)


Wir haben diese Koalitionsvereinbarung sauber abgear-
beitet. Wir haben uns im Wesentlichen an das gehalten,
was wir dort angekündigt haben.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Großen und Ganzen, nicht?)


Das fing in der Tat sehr schmerzhaft an: mit einer Um-
satzsteuererhöhung. Für die Union kann ich aber sagen:
Wir haben dies im Wahlkampf angekündigt. Wir alle ha-
ben diese Mehrwertsteuererhöhung in Podiumsgesprä-
chen verteidigt. Wir wussten, dass das nicht populär war.
Wir haben den Wähler aber nicht täuschen wollen. Wir
haben vor vier Jahren diese Mehrwertsteuererhöhung an-
gekündigt.

Herr Koalitionspartner Poß, ehe Sie der Bundeskanz-
lerin – ich zitiere Sie – Wahlbetrug


(Joachim Poß [SPD]: Vorbereitung!)


oder die Vorbereitung eines Wahlbetrugs vorwerfen,


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit war das!)


was ich entschieden zurückweise, sollten Sie auf das
schauen, was Sie vor vier Jahren gesagt haben. Ihre Ar-
gumentation steht auf verdammt schwachen Füßen.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hat der Poß einmal recht gehabt! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Poß hat nicht oft recht!)


Schauen wir uns die Koalitionsvereinbarung doch
einmal an: Wir haben die Reform der Unternehmensbe-
steuerung durchgeführt. Wir haben einen Körperschaft-
steuersatz von 15 Prozent erreicht. Die Gesamtbelastung
der Körperschaften liegt bei knapp 30 Prozent. Wir ha-
ben wieder ein international wettbewerbsfähiges Körper-
schaftsteuerrecht. Wir haben auch eine ganze Reihe von
Entlastungen bei der Einkommensteuer durchgeführt,
zuletzt mit dem Konjunkturpaket. Wir haben das Kinder-
geld und die Kinderfreibeträge erhöht. Wir haben die
Möglichkeiten des Absetzens haushaltsnaher Dienstleis-
tungen, insbesondere von Handwerkerrechnungen, ver-
bessert. Wir haben eine Abgeltungsteuer eingeführt und
die Abgaben in ganz erheblichem Umfang gesenkt. Ich
denke nur an den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung:
Wir sind mit dem Beitragssatz von 6,5 auf 2,8 Prozent
heruntergegangen. Das ist eine Entlastung in Höhe von
30 Milliarden Euro; das bedeutet minus 500 Euro für
den durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt. Dies alles
haben wir bei gleichzeitiger Konsolidierung des Staats-
haushaltes bewerkstelligt. Wenn wir nicht die internatio-
nale Finanz- und Wirtschaftskrise gehabt hätten,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh je!)


die nun wahrlich nicht allein in der Verantwortung der
Bundesregierung liegt –


(Joachim Poß [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)


– nein, das habe ich Ihnen auch nicht vorgeworfen; ich
habe Ihnen nur die Vorbereitung des Wahlbetrugs vorge-
halten –, dann hätte der Bundesfinanzminister einen neu-
verschuldungsfreien Haushalt vorlegen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in der Tat Haushaltskonsolidierung und maß-
volle Entlastungen vereinbart, Herr Kuhn. Das ist das
Ergebnis der letzten vier Jahre.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich darf noch einen ganz anderen Punkt nennen, der
mir als Berichterstatter immer am Herzen liegt: die Be-
kämpfung der Steuerhinterziehung. Was hat denn Rot-
Grün in acht Jahren gegen die Steuerhinterziehung ge-
tan?


(Lydia Westrich [SPD]: Viel!)


Ich weiß nicht, ob Ihnen etwas einfällt. Mir fällt da we-
nig ein.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Dein Gesichtsausdruck muss auch ins Protokoll!)


Ich denke an diesen verkorksten § 370 a der Abgaben-
ordnung, den wir haben wieder aufheben müssen. Au-
ßerdem war eine Amnestie vorgesehen, die 5 Milliarden
Euro bringen sollte und dann bei 300 Millionen Euro
hängen blieb.


(Joachim Poß [SPD]: Herr Kolbe, was ist denn im Bundesrat blockiert worden?)


– Herr Poß, jetzt wollte ich gerade einmal die Gemein-
samkeiten betonen.

Diese Koalition, Herr Poß, hat in den letzten vier Jah-
ren Entscheidendes gegen die Steuerhinterziehung auf
den Weg gebracht, und zwar Union und SPD gemein-
sam.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das habt ihr aber nicht erfunden!)


Wir müssen uns nicht Wahlbetrug vorhalten lassen. Wir
werden auch in Zukunft gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern ehrlich sein. Dieses Wahlprogramm ist ein Pro-






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Kolbe
gramm der Ehrlichkeit. Wir sagen ganz deutlich: Haus-
haltskonsolidierung hat Priorität. Wir können die Schul-
den nicht auf die nächste Generation verlagern.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie aber doch!)


Dazu zwingt uns übrigens auch verfassungsrechtlich die
Schuldenbremse, die wir beschlossen haben und die
ganz entscheidende Auswirkungen haben wird.

Wir haben maßvolle Steuerentlastungen in den Raum
gestellt – übrigens ohne eine Zeitangabe –, weil wir sie
für sinnvoll halten. Herr Poß, ich frage Sie noch einmal:
Halten Sie es für sinnvoll, dass wir die kalte Progression
abfedern?


(Joachim Poß [SPD]: Das ist überhaupt nicht die Frage!)


Das steht in unserem Regierungsprogramm; Sie sollten
das einmal nachlesen. Wir wollen die schleichende Steu-
ererhöhung abmildern. Wir wollen den Eingangssteuer-
satz von 14 auf 13 und vielleicht einmal auf 12 Prozent
senken. Wir wollen die Einkommensgrenze, ab der der
Spitzensteuersatz gilt, die jetzt bei 52 000 Euro liegt,
maßvoll absenken.


(Joachim Poß [SPD]: Wir haben auch Vorschläge mit Gegenfinanzierung!)


Wir wollen das Ehegattensplitting im Grundsatz bewah-
ren. Wir wollen den Kinderfreibetrag auf 8 004 Euro er-
höhen. Das sind maßvolle Steuererleichterungen, die wir
in Aussicht stellen. Das ist eine ehrliche und leistungsge-
rechte Steuerpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin überzeugt, der Wähler wird der Union dies hono-
rieren.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623006800

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623006900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Kolbe, Sie haben gerade die Wirkung der Schul-
denbremse gelobt. Ich finde, diese kann nur funktionie-
ren, wenn man eine Fahrerin hat, die sie vom Gaspedal
unterscheiden kann. Die aktuelle Situation des Haushalts
macht deutlich, dass nirgendwo Schulden gebremst wer-
den, sondern im Gegenteil: Sie häufen den größten
Schuldenberg auf, den diese Republik jemals erlebt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir diskutieren heute vor dem Hintergrund konkreter
Milliardenlöcher über die Fragen: Was sind ehrliche An-
sagen gegenüber den Menschen? Auf welche Ansagen
von Politik können sie sich verlassen? Sie als Union be-
haupten hier ernsthaft, Sie könnten Steuerentlastungen
in Höhe von 15 Milliarden Euro versprechen. Bei der
FDP verliert man ein bisschen den Überblick. Ich weiß
nicht, wo Sie inzwischen sind: 50 Milliarden Euro,
100 Milliarden Euro oder gar keine Steuern mehr.

Im Kern muss man all diejenigen, die Steuersenkun-
gen versprechen, fragen: Wie soll das bewerkstelligt
werden?


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wachstum!)


Sie sagen uns heute: Gegenfinanzierung braucht man
nicht, wir machen das mit Wachstum.


(Simone Violka [SPD]: So wie Kohl! Das ist schon einmal schiefgegangen!)


Das ist, historisch betrachtet, ein erfolgreiches Modell,
wenn ich das einmal zynisch sagen darf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Entscheidende ist: Man muss sich einmal an-
schauen, wie viel Fantasie bezüglich des künftigen
Wachstums schon in den Zahlen enthalten ist, die heute
auf dem Tisch liegen. Ihr Kabinett hat diese Woche den
Haushalt 2010 beschlossen. Im Finanzplan ist folgende
Wachstumsentwicklung für diese Republik vorgesehen:
dieses Jahr – das wissen wir alle – minus 6 Prozent,
nächstes Jahr laut Ihrem Kabinettsentwurf 0 Prozent.
Das ist eine interessante Wachstumsentwicklung. Ab
dem Jahr 2011 und in den folgenden Jahren rechnen Sie
durchgängig mit einem Wachstum von 1,9 Prozent. Das
ist mutig. Ich frage einmal in den Raum: Wer von Ihnen
ist in der Lage, mehr als zwei der letzten 20 Jahre zu
nennen, in denen diese Republik annähernd 2 Prozent
Wachstum generiert hat? Sie sind also der Auffassung,
dass wir direkt nach der Krise für eine Rekordzahl von
Jahren ein Rekordwachstum erzielen werden, das wir in
den letzten Jahrzehnten nur sehr selten erreicht haben.
Nur indem Sie diese Rechnung aufstellen, schaffen Sie
es, über den von Ihnen genannten Zeitraum den Rekord-
betrag zusätzlicher Verschuldung in Höhe von 300 Mil-
liarden Euro zu rechtfertigen. Gleichzeitig erzählen Sie
uns, dass Sie infolge von Steuersenkungen – Stichwort:
Laffer-Kurve und Ihr ganzer Theoriescheiß –


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das war aber unparlamentarisch, Herr Kollege!)


in der Lage sein werden, über das Rekordwachstum von
2 Prozent hinaus zusätzliches Wachstum zu generieren.
Mit Verlaub, wie viel Unehrlichkeit wollen Sie den Leu-
ten eigentlich noch zumuten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Ortwin Runde [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Ich finde, an dieser Stelle muss man sich die Zahlen
einmal so ansehen, wie sie sind. Die Neuverschuldung
des Bundes beträgt in diesem und im nächsten Jahr
100 Milliarden Euro. Weil es für die Leute langsam
schwierig wird, das Jonglieren mit Milliardenbeträgen
überhaupt noch nachzuvollziehen, füge ich hinzu: Wir
reden über einen Bundeshaushalt in der Größenordnung
von etwas mehr als 300 Milliarden Euro. Das sage ich,
damit Sie ein Gespür dafür bekommen, welch riesige






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde
Neuverschuldung von dieser Koalition unter Zugrunde-
legung positiver Wachstumserwartungen – sie sind posi-
tiver als die Prognosen aller Wirtschaftsforschungsinsti-
tute – aufgenommen wird. Darauf weise ich auch
deshalb hin, damit Sie einschätzen können, wie realis-
tisch es ist, auf eine derart hohe Neuverschuldung zu re-
agieren, indem man die Einnahmen, die heute schon
nicht reichen, steigert, indem man sie senkt. Das ist die
Logik, die uns die Union vorexerzieren will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie wissen genau, an wem Sie sich versündigen. In
der aktuellen HWWI-Studie werden sogar die Jahr-
gänge, die besonders betroffen sind, erwähnt. Die
Hauptlast Ihrer Verschuldung sollen die Jahrgänge zwi-
schen 1980 und 2000 tragen. Es ist spannend, sich vor
Augen zu führen, was der Betrag von 310 Milliarden
Euro, den Sie in Ihrem Finanzplaner als Neuverschul-
dung ausweisen, bedeutet. Wenn man ausrechnet, wel-
che zusätzliche Zinslast dieser Betrag zur Folge hat,
heißt das, dass wir ab dem Jahre 2014 jedes Jahr etwa
11 Milliarden Euro zusätzliche Zinsen machen. Das sind
11 Milliarden Euro, die, egal wer regiert, jedes Jahr für
Investitionen fehlen werden.

Sie nennen, wie gesagt, den Betrag von 310 Milliar-
den Euro. Verschwiegen haben Sie dabei allerdings die
Bankenrettung, die milliardenschwer auf dem Steuerzah-
ler lastet, und die angeblichen Investitionen im Rahmen
Ihres Konjunkturpaketes, die Sie in Schattenhaushalten
verstecken. Wenn man all dies mitberücksichtigt, kommt
man, betrachtet man den gesamten Zeitraum, auf einen
Betrag von 438 Milliarden Euro. Dann ist man, was die
zusätzliche jährliche Zinsbelastung ab 2014, die Sie pro-
duziert haben, angeht, schwuppdiwupp bei genau
15 Milliarden Euro. Diesen Betrag wollen Sie durch
Steuersenkungen verdoppeln. Mit Verlaub, das glaubt
Ihnen kein Mensch.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623007000

Für die Bundesregierung erteile ich nun der Parla-

mentarischen Staatssekretärin Nicolette Kressl das Wort.

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1623007100


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Titel der heutigen Aktuellen Stunde lautet „Haltung
der Bundesregierung zu Meinungsverschiedenheiten in
der CDU/CSU über Steuersenkungsvorhaben und deren
Finanzierung“. Natürlich ist es nicht Aufgabe der Bun-
desregierung, sich zu Debatten oder Meinungsverschie-
denheiten in Parteien oder Fraktionen zu äußern oder
diese zu kommentieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau! Ende der Rede!)

Allerdings gehört zu den Aufgaben der Bundesregie-
rung, die Grundlagen einer klaren Analyse deutlich zu
machen, auch einer Analyse der Frage, ob im Hinblick
auf Steuersenkungen gewisse Möglichkeiten bestehen
und, wenn ja, welche.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Dann aber von 2005 an!)


Ich möchte betonen: Für die Beantwortung der Frage,
welche Entscheidungen in der Steuerpolitik getroffen
werden können, ist diese Analyse sehr wichtig.

Für diese Grundlagenanalyse muss man drei Kriterien
heranziehen. Anhand dieser drei Kriterien möchte ich
deutlich machen, wo wir uns im Moment befinden.

Die erste Frage, die beantwortet werden muss, ist:
Welche Steuerentlastungen hat es schon gegeben und
welche wird es durch bereits gefasste Beschlüsse noch
geben? Die zweite Frage ist: In welcher wirtschaftlichen
Situation bewegen wir uns? Die dritte Frage ist: In wel-
cher Haushaltssituation befinden wir uns? Lassen Sie
mich zu diesen drei Punkten ein paar Fakten nennen.

Wie sieht es bei der Steuerentlastung aus? Bereits
jetzt belaufen sich die steuerlichen Entlastungen in die-
ser Legislaturperiode auf rund 25 Milliarden Euro.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Hat es eigentlich auch Belastungen gegeben?)


Dazu kommt noch das Bürgerentlastungsgesetz, das
rund 10 Milliarden Euro Entlastung bringt.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ist nur entlastet worden? – Gegenruf von der CDU/CSU: Nur entlastet!)


Um das noch einmal deutlich zu machen: Wir reden hier
nicht von einer einmaligen Entlastung, sondern von ei-
ner Entlastung, die jedes Jahr gilt. – Das bedeutet, dass
wir in dieser Legislaturperiode bei insgesamt 35 Milliar-
den Euro Entlastung sind.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Netto oder Saldo?)


– Herr Thiele meint, er könne durch die Frage nach den
Belastungen einen Punkt machen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja! Sagen Sie doch einmal dazu etwas!)


Die Wahrheit ist – in aller Ruhe, Herr Thiele –, dass mit
diesen Entlastungen die Steuerquote von 22,5 Prozent
auf 21,5 Prozent fällt. Damit ist Ihre Frage, ob das Netto
ist, beantwortet.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, sie ist leider nicht beantwortet!)


Insofern haben Sie sich mit dieser komischen Zwischen-
bemerkung keinen Gefallen getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – CarlLudwig Thiele [FDP]: Haben Sie nie Steuern erhöht? Sagen Sie doch einmal etwas zur Mehrwertsteuer!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
Die Steuerquote fällt also. Wir können natürlich da-
rüber diskutieren, ob das auf Dauer der richtige Weg ist.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen?)


Herr Thiele, Sie haben so getan, als würden die Steuer-
einnahmen an den Moloch Staat, in ein dunkles Loch,
fließen. Das ist aber nicht die Wahrheit. Deshalb will ich
noch einmal klarstellen – es ist wichtig, dass man das
den Menschen deutlich macht –: Steuern werden einge-
nommen, um zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer zu
bezahlen, um jungen Menschen die Chance auf Bildung
zu geben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)


Steuern werden eingenommen, um zum Beispiel Ver-
kehrsinfrastruktur zu finanzieren, um unserer Wirtschaft
die richtigen Bedingungen für Wachstum zu geben. Sie
sollten sich einmal überlegen, wie viel Politikverdros-
senheit Sie erzeugen, wenn Sie hier immer so tun, als
wären staatliche Maßnahmen des Teufels.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das habe ich überhaupt nicht gesagt!)


Es muss die richtige Mischung auf den Weg gebracht
werden. Das haben wir gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – CarlLudwig Thiele [FDP]: Das sehe ich überhaupt nicht! Sagen Sie einmal etwas zur Glaubwürdigkeit!)


Das zweite Kriterium: In welcher wirtschaftlichen Si-
tuation bewegen wir uns? Sie wissen, dass wir uns in ei-
ner Wirtschaftskrise befinden, die wir nicht nur in dieser
Höhe, sondern auch in dieser Form noch nicht erlebt ha-
ben. Diese Tatsache hat die Bundesregierung dazu be-
wogen, zwei Konjunkturpakete mit einer Mischung aus
steuerlichen Entlastungen und Investitionsunterstützung
auf den Weg zu bringen. Ich will noch einmal darauf
hinweisen, dass eines der Herzstücke das Konjunkturpa-
ket für kommunale Investitionen in Höhe von 10 Milliar-
den Euro gewesen ist. Dieses Konjunkturpaket ist – das
ist mir wichtig – orientiert an einer nachhaltigen Ent-
wicklung, indem wir beispielsweise massiv in Bildungs-
infrastruktur investieren. Hier erzielen wir eine sofortige
konjunkturelle Wirkung und verstärken gleichzeitig die
Chance für die jungen Menschen auf Bildung noch ein-
mal nachhaltig.

Diese Maßnahmen mussten wir, um konjunkturpoliti-
sche Wirkung zu erzielen, durch neue Schulden finanzie-
ren. Damit bin ich beim dritten Kriterium, über das wir
reden sollten. Wir treffen diese Entscheidung jetzt. Wir
konnten das übrigens aufgrund der Haushaltskonsolidie-
rung der letzten Jahre. Stellen Sie sich vor, wir hätten sie
nicht gemacht! Dann hätten wir jetzt die Freiräume für
diese Möglichkeiten nicht gehabt. Wir haben uns für
eine höhere Schuldenaufnahme entschieden. Gleichzei-
tig – das muss uns klar sein – müssen wir uns dafür
entscheiden, für die kommenden Generationen den Kon-
solidierungspfad in den nächsten Jahren wieder aufzu-
nehmen. Wir müssen uns überlegen, ob breit verteilte
Steuerentlastungen und Konsolidierungspfad zusam-
mengehen. Ich bin der Überzeugung, dass es angesichts
der notwendigen Konsolidierung sehr wichtig ist, dass
jetzt niemand der Versuchung erliegt, sehr populistisch
den Menschen überall Steuerentlastungen zu verspre-
chen; denn wir sehen nicht, wie man das generationen-
gerecht finanzieren kann.


(Beifall bei der SPD)


Im nächsten Jahr werden wir nach jetziger Planung
86 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen müs-
sen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 100 Milliarden Euro!)


Dieser Betrag wird langsam sinken, aber die Verschul-
dung wird 2013 immer noch um 300 Milliarden Euro
höher sein als im Moment. Das bedeutet, wir müssen al-
les daransetzen, dass wir weder die Handlungsfähigkeit
des Staates noch die Gestaltungsmöglichkeiten der jun-
gen Menschen einschränken, die nach uns politische
Verantwortung tragen. Wir sind in der Verantwortung,
beides so auf den Weg zu bringen, dass wir eine sinn-
volle Politik unterstützen.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Ich habe
gesagt, dass wir als Regierung eine Analyse schuldig
sind. Einen Teil davon habe ich beschrieben. Wer diese
Fakten seriös zur Kenntnis nimmt, der muss auch zu den
entsprechenden seriösen und ehrlichen Schlussfolgerun-
gen kommen – auch in den Parteien, was ich hier nicht
zu kommentieren habe. Die Wählerinnen und Wähler
werden dann entscheiden, wo nach ihrer Überzeugung
seriöse, ernsthafte und ehrliche Konzepte vorgestellt
werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da sind sie bei uns genau richtig!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623007200

Nächster Redner ist der Kollege Christian Freiherr

von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1623007300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, durch die heutige Debatte wurde gezeigt: Es
gibt keinen Steuerstreit in der Union.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie einmal Ihrem Landesvorsitzenden! Herr Oettinger wird Ihnen danken!)


Wir haben unser Wahlprogramm am Sonntag einstimmig
verabschiedet. Dadurch haben wir gezeigt: CDU und
CSU kämpfen gemeinsam für eine seriöse steuerliche
Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Christian Freiherr von Stetten
Herr Kuhn, wenn Sie unser einstimmig verabschiede-
tes Wahlprogramm aufmerksam gelesen hätten,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann es auswendig!)


dann hätten Sie gemerkt, dass wir alles, was wir in der
Finanz- und Steuerpolitik verändern und fortentwickeln
wollen, unter der Überschrift „Einfach, niedriger und ge-
rechter“ tun.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Gute Überschrift!)


Sie hätten dann ebenfalls gemerkt, dass es nicht nur da-
rum geht, die Bürger weniger zu belasten, sondern dass
es vor allem auch darum geht, dass es einfacher wird


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr macht es euch ziemlich einfach! Das stimmt schon!)


und dass die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft auch
ohne eine Steuerberaterausbildung verstehen, was sie je-
des Jahr unterschreiben. Denn nur, wenn sie das Steuer-
system in Gänze verstehen, empfinden sie es auch als
gerecht.

Ich glaube, eine unserer Hauptaufgaben in den nächs-
ten vier Jahren muss es sein, das Steuersystem transpa-
rent zu machen, damit der Bürger weiß, warum wir Steu-
ern einziehen, und er nachvollziehen kann, in welcher
Höhe ihn das betrifft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


Dies gilt selbstverständlich auch bei den Unterneh-
mensteuern. Wenn ein Unternehmen Gewinne macht,
dann muss es selbstverständlich einen Teil seines Ge-
winns in Form von Steuern abführen, um mitzuhelfen,
unser Staatswesen zu finanzieren.


(Lydia Westrich [SPD]: Das ist doch toll! – Simone Violka [SPD]: Gutes System!)


Jetzt kann man darüber streiten, ob der Steuersatz hoch
genug ist oder ob wir ihn weiter senken sollten, aber ei-
nes muss doch völlig klar sein: Wenn ein mittelständi-
sches Unternehmen gar keine Gewinne mehr macht,
wenn es also, wie zum Beispiel jetzt in der Krise, mit
seinen Mitarbeitern ums Überleben kämpft, dann darf
der Staat dieses Unternehmen nicht durch zusätzliche
Substanzsteuern zerstören und am Weiterarbeiten hin-
dern. Denn sonst kann auf uns die Problematik zukom-
men, dass Unternehmen durch Substanzsteuern zerstört
werden und der Staat anschließend durch Darlehen und
Zuschüsse wieder helfen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP] – Lydia Westrich [SPD]: Sie wollen also doch die Gewerbesteuer abschaffen!)


– Ich habe den Zwischenruf aus der SPD sehr wohl ge-
hört.

Wir sind ja noch einige Wochen in der gemeinsamen
Koalition.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Bis morgen müssen wir noch koalitionstreu sein!)


Deswegen hätte ich mich mit dem eigentlichen Problem,
nämlich der SPD, heute nicht beschäftigt, aber nachdem
der Kollege Poß, der gerade gegangen ist


(Simone Violka [SPD]: Er kommt gleich wieder!)


– hoffentlich kommt er rechtzeitig wieder –, die Bundes-
kanzlerin von diesem Pult aus doch stark angegriffen
hat, darf man hierzu die Wahrheit sagen, wenn wir auf
den Grund der heutigen Debatte zurückkommen:

CDU und CSU sind sich völlig darüber einig, was
richtig und wichtig für unser Land ist. Es kann sein, dass
es einen Streit zwischen der SPD und der Union darüber
gibt, in welche Richtung wir in den nächsten Wochen
und Monaten laufen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Koalition des Stillstands! Da läuft nichts!)


Herr Poß, die Wahrheit ist, dass Sie sich monatelang ge-
weigert haben, die krisenverschärfenden Elemente bei
der Unternehmensteuerreform zu korrigieren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es! Sehr richtig!)


Wir haben uns jetzt in letzter Sekunde gemeinsam über
einige Punkte verständigt, die wichtig und dringend not-
wendig waren. Bei der Zinsschranke haben wir die Frei-
grenze von 1 Million Euro auf 3 Millionen Euro angeho-
ben. Wir haben bei der Verlustverrechnung einiges
verbessert und auch die Istbesteuerung bei Unternehmen
mit einem Umsatz bis zu 500 000 Euro bundeseinheit-
lich verbessert.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber das meiste befristet!)


Wichtig zu betonen ist dabei, dass wir die Regelungen
zu diesen Maßnahmen im Gesetz mit einer Beschrän-
kung versehen haben, sodass diese Regelungen auslau-
fen. Es wäre sicherlich gut gewesen, wenn in dieser De-
batte einer der SPD-Redner erklärt hätte – Frau
Westrich, Sie haben ja noch die Möglichkeit, hier einzu-
greifen und das klarzumachen –, wie man sich die Zu-
kunft vorstellt, wenn diese Gesetze auslaufen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – Gabriele Frechen [SPD]: Dann ist die Krise vorbei!)


– Die Krise ist in diesem Bereich noch lange nicht vor-
bei.


(Lydia Westrich [SPD]: Wie wollen Sie denn dann Steuern senken?)


Wir hoffen, dass Sie dazu gleich etwas sagen.

Substanzsteuern, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gibt es auch noch in anderen Bereichen: Ich denke nur an
die gewerbesteuerliche Zurechnung bei Mieten und
Pachten. Das ist bisher nicht geändert worden. Der Bür-
ger versteht, dass ein Verpächter für die Pachtzahlungen,






(A) (C)



(B) (D)


Christian Freiherr von Stetten
die er bekommt, Gewerbesteuer zahlt, wenn er Gewinne
macht. Aber nicht verstanden wird, dass ein Pächter für
gezahlte Gewerbesteuer auch noch veranlagt wird und
selbst dann Gewerbesteuer zahlen muss, wenn das ge-
samte Unternehmen keinen Gewinn gemacht hat.


(Gabriele Frechen [SPD]: Weil die Mieten zu hoch sind!)


Das können Sie den Betroffenen nicht erklären.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Haben Sie dagegengestimmt, oder wie war das? – Simone Violka [SPD]: Jetzt wird es ja noch schöner!)


Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Diskus-
sion um die Kaufhauskette Karstadt bin ich gespannt, in-
wiefern das Gesetz und die zusätzliche Steuerbelastung
zu dem jetzigen Ergebnis des Unternehmens geführt ha-
ben, das Steuern zahlen musste, obwohl es keine Ge-
winne gemacht hat.

Ich möchte noch kurz zwei Punkte ansprechen.

Erstens. Wir haben in den letzten Wochen noch einige
Verbesserungen beim Agrardiesel durchgesetzt. Auch
diese sind nur auf 2008 und 2009 beschränkt. Wir wollen
im nächsten Jahr weitere Verbesserungen erreichen.

Der zweite Punkt ist auch in unserem Wahlprogramm
erwähnt: Wir wollen die Erbschaft- und Schenkung-
steuer fortentwickeln. Wir wollen nach der Wahl – hof-
fentlich mit anderen Mehrheiten – das verbessern, was
wir mit den Sozialdemokraten nicht verbessern konnten.
Man kann in aller Freundschaft sagen: Das, was von Fi-
nanzminister Steinbrück zum Schluss noch durchge-
drückt worden ist, kommt bei den Wählern – zumindest
in meinem Wahlkreis – nicht an, nicht bei den Unterneh-
mern und auch nicht bei den Belegschaften, die gerne in
Familienunternehmen arbeiten und die wissen wollen,
wo ihr Unternehmen in Zukunft steht. Sie wollen ge-
meinsam mit den Familienunternehmen für eine Ände-
rung sorgen. Wir werden dies nach der nächsten Bundes-
tagswahl mit hoffentlich guten Mehrheiten machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Unglaublich!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623007400

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Lydia

Westrich.


(Beifall bei der SPD)



Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1623007500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eigentlich bin ich ziemlich deprimiert da-
rüber, welche Märchenstunden wir von Herrn
Michelbach gehört haben. Die Meinung von Herrn
Stetten kannte ich ja schon lange; darüber habe ich mich
also nicht so sehr gewundert. Aber ich hätte doch ge-
dacht, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion über das Wochenende und in den
letzten Tagen besonnen hätten.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber enttäuscht! Kein Abschiedsgeschenk?)


Wir haben vier Jahre lang in der Koalition im Finanz-
ausschuss, so finde ich, gute Arbeit geleistet. Das ist hier
schon mehrfach erwähnt worden. Ich kann gar nicht alle
Steuergesetze, die wir verabschiedet haben, aufzählen.
Joachim Poß hat ebenso wie die Parlamentarische
Staatssekretärin darauf hingewiesen. Es waren wichtige
Entscheidungen wie die Erbschaftsteuerreform, auch
wenn Sie sie immer noch nicht lieben. Sie sichert den
Ländern weiterhin notwendige Einnahmen. Das ist ganz
einfach. Das Unternehmensteuerreformgesetz stärkt die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Durch die
Stabilisierung der Gewerbesteuer haben wir unseren
Kommunen die Luft zum Investieren gegeben, die sie
jetzt ganz dringend brauchen. Deswegen halten wir an
dieser Besteuerung fest. Das waren gute Gesetze.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben kleine Einkommen entlastet und Familien
mit der Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfrei-
betrags geholfen. Wir haben gestritten wie die Kesselfli-
cker; und das war auch gut so. Aber wir sind auch immer
zu einem akzeptablen Ergebnis gekommen. Die boo-
mende Konjunktur hat unserer maßvollen Politik bis zur
Finanzkrise im Endeffekt recht gegeben.

Die Finanzkrise hat eigentlich uns alle gelehrt, dass es
mit das Wichtigste unserer Arbeit hier ist, Herr Thiele
– auch wenn Sie das nie glauben –, den Staat stark und
handlungsfähig zu halten, wie wir das auch bisher ge-
meinsam vertreten haben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das wollen wir auch! – Gegenruf der Abg. Gabriele Frechen [SPD]: Aber ohne Steuern! – Ingrid ArndtBrauer [SPD]: Als Ehrenamtliche!)


Aber an Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, scheint der Lernprozess der letzten vier
Jahre spurlos vorbeigegangen zu sein. Das hätte ich
nicht erwartet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben es
nicht verdient, dass Sie, unbeleckt von allen Erfahrun-
gen, weiter nach Steuersenkungen rufen, obwohl Sie die
Zahlen des Haushalts genauestens kennen. Wir jonglie-
ren doch täglich mit Milliardenbeträgen und werden
morgen Gesetzentwürfe verabschieden, bei denen uns ob
der Höhe der Belastungen, die eventuell auf uns zukom-
men können, selber schwindlig wird.

Sie machen die Menschen sowieso schon schwindlig
und versprechen jetzt noch Steuersenkungen. Aber wie
sollen sie aussehen? Sie versprechen denjenigen Steuer-
senkungen – darüber bin ich sehr enttäuscht, Herr
Bernhardt –, bei denen sie in Zeiten der Krise Ihrer An-
sicht nach anscheinend am besten aufgehoben sind,
nämlich den Beziehern großer Einkommen, die sich um






(A) (C)



(B) (D)


Lydia Westrich
ihre Zukunft, ihren Arbeitsplatz und die Finanzierung ih-
res kleinen Häuschens keine Sorgen machen müssen.
Die von Ihnen so genannten Leistungsträger wollen Sie
entlasten, nicht die Krankenschwester, den Feuerwehr-
mann oder den Schichtarbeiter. Der Müllmann mit sei-
nem niedrigen Einkommen wird von Ihrer geplanten
Steuersenkung nicht profitieren. Sie haben vorhin be-
schrieben, wen Sie entlasten wollen, Herr Kolbe. Der
Müllmann ist anscheinend kein Leistungsträger. Seine
Kinder aber werden die von Ihnen geplanten Steuerent-
lastungen für Reiche irgendwann zurückzahlen müssen.
Denn in dieser Situation kann das alles nur auf Pump ge-
schehen.


(Beifall bei der SPD)


Ihr Konzept – sollte es jemals Wirklichkeit werden –
wird unseren Staat zerreißen. Die Diskussion Ihrer Par-
teifreunde zeigt, wohin Ihr Weg führen soll. Sie erhöhen
die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Produkte, die
alle brauchen: Kinder, Familien, Rentner, Groß- und
Kleinverdiener. Sie brauchen sie jeden Tag, von der Ba-
bynahrung bis zur Zeitung. Die Milliarden Cents, die
vom Haushaltseinkommen der Familien abgespart wer-
den, geben Sie dann den Gastwirten. Diese haben bereits
erklärt, dass sie eine mögliche Steuersenkung, die sie
schon lange fordern – die CSU unterstützt das mächtig –,
nicht für eine Senkung ihrer Preise nutzen wollen, son-
dern dass sie in ihre Unternehmen investieren müssten.
Es wird also nichts mit billigerer Pizza für die Familien.
Sie können sich wegen der höheren Ausgaben für Le-
bensmittel den Restaurantbesuch dann sowieso nicht
mehr leisten.

Ich habe schon zehn Briefe erhalten, in denen Kultur-
organisationen darum bitten, noch in dieser Woche im
Bundestag zu bekräftigen, dass uns geistige Nahrung in
unserer Kulturnation so viel wert ist, den bisherigen er-
mäßigten Steuersatz beibehalten zu wollen. Sie haben
Sie und Ihre Vorstellungen, Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, ernst genommen, ja sie haben Angst
davor, was ihnen unter einer CDU/CSU-Regierung
blühen könnte. Deshalb verlangen sie jetzt noch die Be-
stätigung vom alten Bundestag. Nicht nur die Kultur-
schaffenden sollten vor dem Versprechen einer unverant-
wortlichen Steuerpolitik Angst haben.

Sie haben leider in all diesen Jahren nichts gelernt.
Das ist mehr als traurig. Dass die FDP in ihrem Glauben
an die Zauberkräfte des Marktes, wie Herr Thiele sie
wieder beschrieben hat, selbst durch die Finanzkrise
nicht erschüttert werden kann, verwundert mich nicht.
Ich erlebe täglich im Finanzausschuss, dass sie selbst die
gravierendsten Managementfehler noch in Mängel der
Politik umdeutet. Es ist manchmal verheerend.

Die FDP braucht keinen starken Staat – das sehe ich
ein –,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Doch! Wir sind für einen starken Staat!)


der den Schwachen helfen und die Schwächen der Ge-
sellschaft ausgleichen kann. Sie ziehen ungeniert die
Schecks auf die Zukunft mit Forderungen nach Steuer-
senkungen in großem Stil. Der Markt wird es schon rich-
ten, und diejenigen, die auf der Strecke bleiben, haben es
nicht anders verdient: Das ist Ihre Meinung.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was war denn eigentlich mit der Mehrwertsteuer, Frau Westrich?)


Die Linke schlägt mit ihren ausufernden Forderungen
in die gleiche Kerbe. Sie schwächt den Staat in gleicher
Weise. Dass Sie sich diesem gefährlichen Spiel ergeben,
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ent-
täuscht mich zutiefst.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623007600

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1623007700

Unsere Bürgerinnen und Bürger brauchen Klarheit

und die Sicherheit, dass der Staat eingreifen kann, wenn
es notwendig ist. Mit dem Steuerkonzept der CDU/CSU
ist das nicht mehr gewährleistet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623007800

Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1623007900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Thema dieser Aktuellen Stunde sind Meinungs-
verschiedenheiten in der CDU/CSU über Steuersen-
kungsvorhaben. Die Debatte hat gezeigt: Es gibt in der
CDU/CSU keine Meinungsunterschiede über dieses
Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind uns einig und haben uns entschlossen, in der
nächsten Legislaturperiode eine Einkommensteuerre-
form einzuführen. Das steht in unserem Programm, und
das werden wir machen.

Dass es im Vorfeld der Verabschiedung von Parteipro-
grammen unterschiedliche Auffassungen gibt, ist in al-
len Parteien der Fall. In der SPD wurde lange über die
Frage gestritten, ob man eine Vermögensteuer in das
Programm aufnehmen soll. Letztlich wurde entschieden,
sie nicht aufzunehmen. In der Tat hat man bei uns über
die Frage diskutiert: Ist es sinnvoll, eine große Einkom-
mensteuerreform aufzunehmen? Wir haben uns dann
entschieden, dies zu tun.

Im Vorfeld gab es einige Irritationen; das gebe ich zu.
Ich selber habe aber nie gefordert, den ermäßigten Mehr-
wertsteuersatz zu streichen. Das wäre auch eine blöde
Forderung; denn dieser stellt eine starke soziale Kompo-
nente dar. Ich habe gesagt – das wiederhole ich; das steht
auch in unserem Programm –: Wir überprüfen, ob die
Verteilung von ermäßigtem und vollem Mehrwertsteuer-
satz, die 1968 festgelegt wurde, heute noch in allen






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
Punkten zeitgemäß ist. In den Diskussionen wird oft als
Beispiel angeführt, dass auf Katzenfutter ein ermäßigter
Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7 Prozent und auf Mi-
neralwasser der volle Mehrwertsteuersatz in Höhe von
19 Prozent erhoben wird. Ich sage sehr deutlich: Ich sehe
hier nicht viel Spielraum; denn ich kenne fast nur Wün-
sche, den Mehrwertsteuersatz von 19 auf 7 Prozent zu
senken. Man hat aber kaum die Chance, bei bestimmten
Produkten den Mehrwertsteuersatz von 7 auf 19 Prozent
anzuheben, wenn man nicht in eine schwierige Gefechts-
lage kommen will.

Ich stelle allerdings auch fest: Die Große Koalition
hat nicht nur Steuern erhöht, wie immer gesagt wird. Da-
mit haben wir angefangen; das ist richtig. Aber wir
haben zum Beispiel die Unternehmensteuern in erhebli-
chem Umfang gesenkt. Das haben wir getan, um Ar-
beitsplätze zu sichern und zu schaffen. Der Erfolg in den
ersten drei Jahren hat uns recht gegeben. Wir haben uns
bei der Unternehmensteuerreform auf ein Entlastungs-
volumen von 5 Milliarden Euro geeinigt. Durch das Bür-
gerentlastungsgesetz, das letzte große Gesetzeswerk,
entlasten wir zum 1. Januar kommenden Jahres die Wirt-
schaft noch einmal um 3 Milliarden Euro und die Bürger
um 10 Milliarden Euro.

Das entscheidende Problem in der Diskussion über
eine Steuerreform ist schlicht der Tatbestand: Wenn wir
nichts täten, wie einige sagen, oder sogar Steuererhöhun-
gen vornähmen, bedeutete dies, dass die Bürger, wenn
sie nur Gehaltserhöhungen in Höhe der Inflationsrate er-
hielten – sie hätten faktisch nicht mehr –, relativ und ab-
solut mehr Steuern zahlten. Dies ist aus unserer Sicht
kontraproduktiv. Dies soll es mit uns nicht geben. An-
dere Länder haben übrigens einen Tarif auf Rädern, der
automatisch an die Inflationsrate angepasst wird.

Die Grünen haben mich ein bisschen enttäuscht. Sie
wollen nicht nur den Spitzensteuersatz erhöhen, sondern
denken auch – so ist zu hören – über eine Vermögensab-
gabe für Reiche nach. Wir sollten hier vorsichtig sein,
selbst wenn solche Forderungen populär sind. Wer die
Zahlen kennt, weiß: Die 10 Prozent in Deutschland, die
die meisten direkten Steuern zahlen, zahlen weit über die
Hälfte. Wenn Sie wissen wollen, wohin es führt, wenn
wir hier übertreiben, dann empfehle ich Ihnen, einen
Blick in die Statistik zu werfen und festzustellen, wohin
Deutsche auswandern. Sie wandern in erster Linie nicht
mehr nach Kanada oder Australien aus. An erster Stelle
steht vielmehr die Schweiz und an zweiter Stelle Öster-
reich.


(Joachim Poß [SPD]: Was wollen Sie uns damit sagen? – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch die Steueroasen trockenlegen!)


Viele, die in Deutschland im Sport und in der Kunst
umjubelt werden, zahlen längst keine Steuern mehr bei
uns. Wenn wir die Steuerkurve in der Spitze noch stärker
ansteigen lassen, werden wir erleben, dass noch mehr
Gutverdienende Deutschland verlassen und wir dann mit
höheren Steuersätzen weniger Geld einnehmen. Dazu
sind wir nicht bereit. Wir wollen die Leistungsträger ent-
lasten.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Steueroasen trockenlegen!)


Das werden wir gemeinsam mit der FDP – ich habe fest-
gestellt, dass das mit den Grünen nicht geht – in der
nächsten Legislaturperiode durchführen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623008000

Die Kollegin Simone Violka von der SPD-Fraktion ist

die nächste Rednerin.


(Beifall bei der SPD)



Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1623008100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Selbst wenn man nach dieser Debatte von
dem ausgeht, was Herr Bernhardt gerade gesagt hat,
nämlich dass es keinen Steuerstreit in der Union gibt,
muss man fragen: Ist das, was im Wahlprogramm der
Union steht, tatsächlich ernst gemeint? Im Vorfeld hat
sich Herr Oettinger geäußert und eine Anhebung des er-
mäßigten Mehrwertsteuersatzes gefordert, während an-
dere genau das Gegenteil wollten und Steuersenkungen
gefordert haben. Es gab auch Kollegen in Ihren Reihen,
die die Idee hatten, drei Mehrwertsteuersätze einzu-
führen. Ein sehr hilfreicher Beitrag zur Steuerver-
einfachung! Auch der Ministerpräsident von Sachsen,
Stanislaw Tillich, hat noch vor Wochen vehement gegen
eine Steuersenkung gewettert, und jetzt verteidigt er sie
genauso vehement. Herr Tillich ist flexibel; auch das
wissen wir.

Richtig chaotisch wird es, wenn Herr Pofalla sagt:
Das sind alles zu vernachlässigende Einzelmeinungen.
Wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest, dass es
sich um Ministerpräsidenten und Landesvorsitzende
handelt. Das sind zum Teil auch regionale CDU-Vorsit-
zende. Das sind keine kleinen Parteimitglieder ohne Ein-
fluss. Es wäre mir neu, wenn jemand in einer solchen
Position in der CDU/CSU in Berlin keinen Einfluss
hätte. Wenn das so wäre, würde Herr Seehofer wahr-
scheinlich sehr kribbelig werden und sich fragen, wie es
mit dem Einfluss von Bayern in Berlin weitergeht.

Deshalb sollte man ganz genau hinschauen. Dann
kommt man nämlich zu dem Ergebnis, dass diese Män-
ner – es waren nur Männer – reflexartig schlicht und er-
greifend gesagt haben: Wenn wir das, was wir im Wahl-
programm festschreiben, finanzieren wollen, brauchen
wir Steuererhöhungen. – Das ist nicht verwerflich, son-
dern das ist eine ganz normale Reaktion. Wesentlich ver-
werflicher ist es in meinen Augen, wenn man jetzt so tut,
als hätten sie unrecht, und man weiter an den Vorschlä-
gen zu Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen fest-
hält – das steht so im Wahlprogramm –, ohne eine Ge-
genfinanzierung vorzuschlagen. Diese Steuersenkungen
werden übrigens ohne genauen Fahrplan für irgendwann
einmal in Aussicht gestellt. Wahrscheinlich will man das
vom Wohlverhalten der Wählerinnen und Wähler abhän-
gig machen nach dem Motto: Wenn du schön lieb bist






(A) (C)



(B) (D)


Simone Violka
und brav jubelst, dann überlegt sich Tante Merkel, ob du
vom Weihnachtsmann Steuersenkungen bekommst.

Aber auch das funktioniert nur mit einer Gegenfinan-
zierung. Wenn man diesen Punkt betrachtet, dann stellt
man fest, dass es keine gibt. Stattdessen gibt es Mehraus-
gaben für Bildung, Mehrausgaben für Familien, Mehr-
ausgaben für den sozialen Bereich und Mehrausgaben
für den Umweltbereich. Einzelnen Maßnahmen kann
man in vielen Bereichen zustimmen, aber doch nur dann,
wenn eine Gegenfinanzierung dahintersteht. Aber auch
hier Fehlanzeige! Stattdessen gibt es einen Rückfall in
altbekannte Zeiten: Mehrausgaben und Steuersenkungen
werden mit der Hoffnung auf eine Konjunkturbelebung
verbunden. Das ist grob fahrlässig und hat schon zu
Helmut Kohls Zeiten zu einem enormen Aufwuchs der
Staatsverschuldung geführt, an der wir noch heute knab-
bern und an der zukünftige Generationen noch knabbern
werden, weil das Ganze nicht funktioniert hat.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da gab es wohl andere Gründe!)


– Wenn es andere Gründe gegeben hat, dann sollte man
das im Vorfeld ehrlich sagen. Aber man hat gesagt, dass
die Gründe bekannt seien, man auf die Konjunkturbele-
bung setze und das deshalb kein Problem sei.


(Zuruf von der CDU/CSU: Noch einen Beitritt wird es nicht geben!)


Das Wachstum ist ausgeblieben, und deshalb haben wir
nach wie vor ein Problem.

Den Gestaltungsspielraum heute und auch für kom-
mende Generationen einzuschränken – das geschah
schon damals –, halte ich für grob fahrlässig. Niemand
käme auf die Idee, einen Kredit aufzunehmen und als
einzige Rückzahloption auf einen Lottogewinn zu spe-
kulieren; dieses Risiko ist den Menschen viel zu hoch.
Es gibt natürlich eine kleine Chance, dass das funktio-
niert; aber wenn es nicht funktioniert, dann sitzt man auf
einem großen Haufen Schulden, für den man sein Leben
lang geradestehen muss. Genau auf diese Idee kommt
die CDU/CSU, und die FDP klatscht auch noch fleißig
Beifall. Das ist die Einladung zu einer finanziellen und
wirtschaftlichen Geisterfahrt, für die die Bürgerinnen
und Bürger im Land erst das Ticket kaufen müssen und
anschließend für den Schaden und die Heilkosten in Haf-
tung genommen werden – und das alles für das windige
Versprechen, dass irgendwann einmal die Steuern ge-
senkt werden.

Was geschieht denn, wenn das alles nicht funktio-
niert? Worin besteht denn dann die Gegenfinanzierung?
Der größte Posten in unserem Haushalt ist das Geld für
die Sozialsysteme. Sagen Sie doch, wo Sie kürzen wol-
len! Die FDP hat schon damals den Hartz-IV-Gesetzen
nicht zugestimmt, weil sie ihr nicht weit genug gegangen
sind und die Leute in den Augen der FDP noch zu viel
Geld bekommen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Bitte?)


Da sieht man doch, wohin es geht. Aber hallo!

(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wer hat denn die Mehrwertsteuer erhöht?)


Statt solche steuerpolitischen Jo-Jo-Aktionen durchzu-
führen,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Zu der Mehrwertsteuererhöhung sagt keiner in der SPD etwas!)


sollten Sie Ihre Kraft und Ihren Gestaltungswillen lieber
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung einsetzen.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Finanzausschuss wirklich Wochen und
Monate gekämpft – mein Kollege Lothar Binding kann
ein Lied davon singen –,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kann der singen? Das ist mir neu!)


dass das endlich zum Abschluss kommt. Wir waren da
nicht im Bremserhäuschen, sondern das waren die ande-
ren. Das ist der Bereich, wo die Milliarden verloren ge-
hen. Wenn wir von diesen Leuten, die nicht mehrbelastet
werden sollen, sondern die schlicht und ergreifend nur
das tun sollen, was jeder Steuerbürger macht, nämlich
seine Steuern ordentlich zu zahlen, das einfordern, was
im Gesetz steht, dann gibt es mit Sicherheit auch wieder
Spielraum für Ausgaben, die wir uns wünschen, die wir
uns aber noch nicht leisten können, solange wir das Geld
nicht im Säckchen haben.

Das sollte man den Leuten sagen. Sie können damit
anfangen, das mit umzusetzen. Wir werden es ja im Bun-
desrat sehen. Der Bundesrat hat das Ganze schon einmal
blockiert. Wir haben wahrscheinlich noch vor Beendi-
gung der Sommerpause Gelegenheit, im Bundesrat zu
sehen, ob Sie dazu bereit sind oder nicht.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623008200

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1623008300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe vergleichbare Aktuelle Stunden in früherer und
jüngerer Zeit öfter mit bestreiten müssen. In der Regel
dienen sie mehr dem Augenblick und nicht sozusagen
der Geschichtsschreibung. Trotzdem müssen sie stattfin-
den, weil sowohl das Parlament als auch die Öffentlich-
keit das dringende Bedürfnis hat, Licht in Fragestellun-
gen zu bringen, die sie bewegt. Das ist auch hier so. Hier
geht es eigentlich gar nicht in erster Linie um die Steuer-
politik, sondern um Wahrhaftigkeit unmittelbar vor
Wahlen. Das ist ein ganz ernstes Thema. Ich werde keine
Wetten darüber abschließen, was die Union in Regie-
rungsverantwortung steuerpolitisch macht. Bei der FDP
habe ich ein bisschen mehr Klarheit. Aber ich finde es
beachtlich, in welcher Art und Weise Versprechen zele-
briert werden und man sich gleichzeitig Schlupflöcher
lässt, sich von den Versprechen zurückzuziehen.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

Die gesamte Führung der Union im Bund – der
Kollege Poß hat darauf hingewiesen – hat einem Bun-
deshaushalt zugestimmt, der in der mittelfristigen
Finanzplanung eine steigende Neuverschuldung bis zu
300 Milliarden Euro im Jahre 2013 vorsieht, in der Steu-
ersenkungen nicht vorkommen. Es ist nicht einmal der
Versuch einer Steuersenkung unternommen worden, aus-
genommen das, was wir bereits vorher mit einer Entlas-
tungswirkung von 28 Milliarden Euro gemeinsam be-
schlossen haben. Das ist angesichts der ökonomischen
Schwierigkeiten eine beachtliche Zahl.

Sie versprechen jetzt eine große Steuerreform im Um-
fang von 15 Milliarden Euro. Das ist ungeheuerlich. Die
Entlastung, die wir gerade gemeinsam beschlossen ha-
ben, ist doppelt so hoch, wenn man das überhaupt „Steu-
erreform“ nennen würde. Sie glauben, die Menschen
kapieren nicht die Dimension. Sie versprechen Entlas-
tungen für alle, bieten ein Placebo und schreiben gleich-
zeitig dahinter: Wann das denn eintritt, das weiß nur der
Herrgott. – Das ist ungefähr so wie die biedere Hausfrau,
die ordentlich den Haushalt zusammenzieht, aber abends
das Röckchen lüpft und, wenn die Leute an sie heran-
wollen, sagt: Nein, heute nicht! Mal sehen, vielleicht
morgen. – Das ist Ihre Grundhaltung. Das ist eine ganz
merkwürdige Wahlstrategie.


(Ute Kumpf [SPD]: Kollege Schultz, was ist das für ein Vergleich?)


– Ich habe das ja als System gemeint, nicht als Person.


(Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Das ist ein sehr missglückter Vergleich!)


– Es ist ja verstanden worden.


(Ute Kumpf [SPD]: Was hat er für ein Verständnis, was Frauen angeht?)


Ich sehe ja auch, dass sich innerhalb der Union ver-
antwortungsvolle Leute ebenfalls mehr oder weniger
Sorgen über diesen Kurs machen. Der Ministerpräsident
von Schleswig-Holstein, Carstensen, erklärt in einem
Anfall von Erleuchtung:

Ich wäre sehr dankbar, wenn es nach der Bundes-
tagswahl nicht zu Steuergeschenken kommt. Man
sollte nicht so tun, als seien Steuern etwas Böses.

Ich finde, er hat in zwei Sätzen eine Grundweisheit
zusammengefasst, die Sie sich in Ihr Stammbuch schrei-
ben können. Auch ein Ministerpräsident wie Oettinger
hat große Probleme damit, Steuerversprechen zu ma-
chen. Im Gegenteil: Er spielt mit merkwürdigen Steuer-
erhöhungen, nämlich der Erhöhung des ermäßigten
Mehrwertsteuersatzes. In derselben Woche wird aus der
gleichen Ecke dann allerdings gefordert, dass die Gas-
tronomie auf den ermäßigten Steuersatz heruntergefah-
ren wird. Diese Ungereimtheiten sind dem Tagesge-
schäft geschuldet. Aber trotzdem unterstreiche ich:
Oettinger macht sich Sorgen über die Entwicklung der
Staatsfinanzen. Ich finde es auch sehr richtig, dass sich
einer der Erfinder der Föderalismusreform II Gedanken
darüber macht. Denn die Schuldenbremse, die wir einge-
baut haben, ist mit den Versprechungen, die Sie letztend-
lich gemacht haben, nicht zu halten.


(Beifall bei der SPD)

Aber auch aus der Werkstatt des Kollegen Fuchs ist
einiges zu hören. Er als Mittelstandsvertreter hat nicht
nur ein eigenes Programm mit 43 Milliarden Euro Ent-
lastung, sondern sagt auch noch, dass das alles problem-
los zu finanzieren ist. Er nennt, wie viele andere, nur
zwei Punkte; ich halte diese im Übrigen für merkwürdig.
Erstens. Die Streichung der Entwicklungshilfe für
China; das sind 80 Millionen Euro und somit ein nen-
nenswerter Deckungsbeitrag für die 43 Milliarden Euro,
die er versprochen hat.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Für uns ist das viel Geld!)


Zweitens. Der Verzicht auf Beteiligung an Mondfahrt-
programmen. Das sind die einzigen Deckungsvor-
schläge.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein, es sind 400 Sparvorschläge! Wann sagen Sie etwas zur Mehrwertsteuer?)


– Ja, bei Ihnen. Ich rede gar nicht über Sie. Das ist gar
nicht notwendig und auch zwecklos.

Fuchs, der CDU-Vorsitzende in Rheinland-Pfalz
Baldauf und der Generalsekretär in Baden-Württemberg
Strobl haben in diesen Tagen gefordert, den Solidaritäts-
zuschlag abzuschaffen. Das widerspricht der Haltung der
Bundesregierung völlig. Das wäre auch unverantwort-
lich, sowohl angesichts der allgemeinen Krise als auch
der noch notwendigen Leistungen für den Osten. Trotz-
dem wird diese Forderung einfach in den Raum gestellt.
Glauben Sie, dass Sie, indem Sie einfach so weiterma-
chen, einen Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Politik leis-
ten?

Herr Thiele, Sie haben eben gefragt, was die SPD
zum Thema Mehrwertsteuer sagt. Als Ausscheidender
möchte ich etwas dazu sagen: Wir haben das beschlos-
sen, weil es zu diesem Zeitpunkt notwendig war, etwas
für die Staatsfinanzen zu tun. Es geschah auch ange-
sichts der damals befürchteten Situation, dass uns der
Himmel auf den Kopf fällt. Was die Frage der apodikti-
schen Ablehnung einer solchen Maßnahme angeht, muss
ich sagen: Es hat sich gerächt. Denn die Wähler fanden
die Kehrtwende, die wir gemacht haben, überhaupt nicht
witzig.

Wir haben daraus gelernt und sagen heute: Gerade bei
zentralen Fragen wie die der Steuerbelastung und der
Staatsfinanzierung sollte man nach Möglichkeit die
Wahrheit sagen. Das hat auch etwas mit Schlüsselerleb-
nissen zu tun, die in unserer Geschichte stattfanden. Wir
stehen nun aber vor der kommenden Bundestagswahl.
Sie machen aus meiner Sicht sehr große Fehler, weil Sie
den Mund voll nehmen und dabei genau wissen, dass Sie
Ihre Versprechen nicht halten können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623008400

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 6 a
bis 6 c:

a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Energieaußenpolitik der Bundesregierung

– Drucksachen 16/10386, 16/13276 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhun-
dert

– zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Knoche, Hans-Kurt Hill, Heike Hänsel, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Konsequente Energiewende statt Militarisie-
rung der Energieaußenpolitik

– zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute
Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit

– Drucksachen 16/6796, 16/8881, 16/8181,
16/9826 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine zukunftsfähige Energieaußenpolitik

– Drucksache 16/13611 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623008500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Schultz, auch wenn es Ihre letzte Rede war: Sie
sollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie die FDP
und die CDU wirklich kritisiert haben oder ob Sie mit
Ihrem Vergleich nicht eher die Frauen in diesem Lande
herabgesetzt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

Wir haben für die Debatte zur Energieaußenpolitik
eine Aussage des Außenministers zum Anlass genom-
men, die lautet: Die Energieaußenpolitik müsse wieder
so etwas wie Chefsache werden. Wir haben also eine
Große Anfrage gestellt und wissen jetzt, wer Chef in der
Energieaußenpolitik ist. Es ist nicht Herr Steinmeier,
sondern Freiherr zu Guttenberg. Die Große Anfrage
wurde vom Wirtschaftsministerium beantwortet. Wie es
in solchen Unternehmen so ist, weiß der Chef nicht im-
mer alles, was im Betrieb so passiert.

Lieber Herr Hintze, wir hatten zum Beispiel nachge-
fragt, wie es mit der Förderung von Projekten der erneu-
erbaren Energien im Ausland aussieht. Es gibt zum Bei-
spiel das Projekt „Erneuerbare Energien auf den
Galapagos-Inseln“, das vom BMZ und dem Umweltmi-
nisterium über die GTZ gefördert wird. Dem Wirt-
schaftsministerium ist davon ausweislich der Großen
Anfrage nichts bekannt. Ich finde es bezeichnend – auch
wenn es sich nur ein kleines Beispiel handelt –, dass das
federführende Ministerium dieser Bundesregierung in
einer so existenziellen und strategischen Frage keine
Übersicht über das hat, was in anderen Häusern passiert.
Das war meine erste Feststellung. Ich finde es falsch,
dass es in diesem Lande keine Kohärenz in der Energie-
außenpolitik gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Interessant ist, wie das Wirtschaftsministerium defi-
niert, was Energieaußenpolitik ist. Demzufolge gehe es
in einem sich weltweit verschärfenden Wettbewerb um
Energieressourcen darum, Chancen besser nutzen zu
können. Da frage ich mich, ob das Auswärtige Amt die-
ses Verständnis tatsächlich teilt.

Hat es sich nicht schon herumgesprochen, dass die
Strategie, Energiesicherheit dadurch zu erreichen, dass
alle gegeneinander rennen und jeder auf seinen eigenen
Vorteil bedacht ist, in einer Welt begrenzter Ressourcen
automatisch zum Scheitern verurteilt ist? Hat man nicht
begriffen, dass die Vorstellung, im Wettlauf vorne sein
zu müssen, nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit
führt? Ist nicht bekannt, dass der Wettlauf um das iraki-
sche Öl – nach dem Motto „Wie kommt unser Öl unter
deren Sand?“ – ein Konzept gewesen ist, das grausam
gescheitert ist?

Hat es sich in der Bundesregierung nicht herumge-
sprochen, dass es Energiesicherheit nicht in nationaler
Form gibt – weder für Deutschland noch für die EU,
Russland, Saudi Arabien oder Herrn Chávez –, sondern
nur gemeinsam? Es gibt sie nur, wenn wir es schaffen,
einen vernünftigen Ausgleich zwischen Angebot und
Nachfrage sowie zwischen Herstellern, Exporteuren und
Importeuren begrenzter Ressourcen hinzubekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Vorstellung, dass man das als einen Wettlauf or-
ganisieren kann, ist wirklich abenteuerlich, und sie wird
auch den zentralen Sicherheitsproblemen, die diesbezüg-
lich eine Rolle spielen, nicht gerecht. Wir müssen alles
tun, um den Wettbewerb um knappe Ressourcen zu min-
dern, statt ihn anzustacheln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
Wir müssen alles tun, um einseitige Abhängigkeiten
zu mildern. Das geht nicht nur, indem man noch mehr
Pipelines baut. Die Nabucco- oder die Nord-Stream-
Pipeline mögen für sich genommen sinnvoll sein. Es
muss aber im Kern eine Strategie entwickelt werden, die
auf der einen Seite Ländern, die in bitterer Armut leben,
den Zugang zu Energie ermöglicht – das ist neben dem
Zugang zu sauberem Wasser eine zentrale Voraussetzung
für Entwicklung und die Überwindung von Armut – und
auf der anderen Seite den Nachfragedruck auf begrenzte
Ressourcen mindert. Das ist eine widersprüchliche und
sehr komplizierte Aufgabe.

Aber diese Aufgabe werden wir nicht bewältigen
können, wenn wir als ein Land mit einem erheblichen
Energiebedarf – pro Kopf liegt er weit über dem Welt-
durchschnitt – so tun, als könnten uns die anderen egal
sein und als müssten wir hauptsächlich schneller als die
anderen Länder sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt aber auch andere wichtige Bereiche. Man ex-
portiert und ist energieaußenpolitisch nicht untätig.
Diese Bundesregierung hat den Weg dafür frei gemacht,
Atomtechnologie nach Indien zu exportieren. Diese
Bundesregierung hat mit Zustimmung des Umweltmi-
nisteriums – angeblich ist man in der Atomfrage ja zer-
stritten – ein neues Kooperationsabkommen mit Brasi-
lien über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der
Atomenergie geschlossen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist erstaunlich, dass Sie in ein Land, das 90 Prozent
seines Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt und
das über riesige Gas- und Ölvorräte verfügt, die Techno-
logie zur vollständigen Beherrschung des Brennstoff-
kreislaufes, zur Wiederaufarbeitung und zur Anreiche-
rung exportieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die haben die doch schon!)


Das ist proliferationspolitischer Wahnsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem ist es energiepolitischer Unsinn, weil we-
der Brasilien noch andere auf diese Weise ihren Energie-
bedarf decken können. Denn eine Nischentechnologie,
die heute gerade einmal 3 Prozent der auf der Welt ver-
brauchten Endenergie bereitstellt, wird die Energienöte
der sich entwickelnden Welt nicht beheben können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen die Internationale Energie-Agentur öff-
nen und sie von einer Veranstaltung allein der Industrie-
länder zu einer, bei der alle Länder mit am Tisch sitzen,
machen. Sie prognostiziert, dass wir es mit einer Verdop-
pelung des weltweiten Energiebedarfs bis zum Jahr 2030
zu tun haben. Das ist die Herausforderung. Lassen Sie
uns im Hinblick darauf nicht über Seitenthemen spre-
chen.
Was ist die erste Aufgabe für uns? Die Grundaufgabe
der Energieaußenpolitik ist es, den Nachfragedruck zu
mindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kann nicht sein, dass die entwickelten Länder im-
mer noch über 50 oder 60 Prozent des Gases und Öles
für 15 Prozent der Weltbevölkerung beanspruchen.
Wenn wir eine solche Entwicklung einleiten wollen,
dann müssen wir den Nachfragedruck mindern. Das geht
nur mit einer Strategie, die auf mehr erneuerbare Ener-
gie, mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparung
setzt.

Das Interessante ist: Diese Strategie führt im Ergebnis
dazu, dass unsere Abhängigkeit von Importen drastisch
gemindert wird. Würden wir das Ziel erreichen, bis 2030
die Treibhausgasemissionen in Europa um 40 Prozent zu
reduzieren, dann würde unsere momentane Abhängig-
keit in Europa von Energieimporten von über 75 Prozent
auf unter 50 Prozent sinken. Das ist praktische Energie-
außenpolitik. Das ist etwas anderes, als sich in energie-
politischen Fragen gegenseitig zu blockieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623008600

Ich gebe dem Parlamentarischen Staatssekretär Peter

Hintze das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1623008700


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Energiepolitik der Bundesregierung zeich-
net sich durch Versorgungssicherheit, Ressourcenscho-
nung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit aus.

Nun haben die Grünen eine beachtliche Arbeit geleis-
tet. Sie haben eine Große Anfrage mit 273 Fragenkom-
plexen und insgesamt annähernd 1 000 Einzelfragen ge-
stellt. Da ich Herrn Trittin gut zugehört habe, was ich
immer mit Gewinn tue, muss ich zu dem Schluss kom-
men, dass alle Kraft in diese 1 000 Fragen gegangen ist
und dass die Kraft nicht mehr ausreichte, die Antworten
zu lesen. Sonst hätte er hier eben eine andere Rede ge-
halten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Er ist nur auf einen einzigen Punkt eingegangen, der
sich in der Tat auf Seite 1 unserer gründlichen und inner-
halb der gesamten Bundesregierung abgestimmten über
250 Seiten umfassenden Antwort befindet. Selbst der
Versuch, die Antwort zur Frage 2 der Grünen paraphra-
sierend wiederzugeben – er hat ungefähr 38 Zeilen auf
zweieinhalb Zeilen zusammengeschrumpft –, hat zur to-
talen Verfehlung des Inhalts geführt. Wenn das schon auf
Seite 1 so losgeht, dann ist es natürlich kein Wunder,
dass die Schlussfolgerungen, die Sie aus dem nicht gele-
senen Rest ziehen, falsch sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1623008800
Selbst die Antwort auf Seite 2,
lieber Herr Kollege Trittin, macht nicht nur deutlich,
dass wir die Antworten in der Bundesregierung gründ-
lich abgestimmt haben, sondern dass unsere Energiepoli-
tik zentrales Element unserer Zukunftssicherung im glo-
balen und europäischen Kontext ist, abgestimmt in der
Wirtschaftspolitik, in der Umweltpolitik, in der Politik
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in
der Außenpolitik, in der Forschungspolitik, in der Si-
cherheitspolitik, dass wir einen sehr kohärenten Ansatz
haben.

Vielleicht ist der eine oder andere Kollege bereit, die
über 250 Seiten durchzuarbeiten, die in gründlichem und
respektvollem Eingehen auf Ihr Fragerecht entstanden
sind. Dann könnten Sie zu dem Schluss kommen, dass es
auf der Welt kein Industrieland gibt, das eine derartig
positive energiepolitische Bilanz hat wie wir in Deutsch-
land. Darauf können wir in der Großen Koalition stolz
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Alles, was Sie hier einfordern, ist von dieser Regie-
rung auf den Weg gebracht worden: Energieeinsparung,
Energieeffizienz, Ausbau erneuerbarer Energien, Versor-
gungssicherheit. Das in dieser Legislaturperiode be-
schlossene Integrierte Energie- und Klimaprogramm der
Bundesregierung ist das umfassendste Maßnahmenpa-
ket, das hierzu je beschlossen wurde. Der unter deut-
scher Ratspräsidentschaft beschlossene energiepolitische
Aktionsplan der EU bildet heute das Fundament für eine
Energieaußenpolitik der EU, die mit einer Stimme
spricht.


(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])


– Herzlichen Dank.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


– Am Ende der Legislaturperiode freut sich der Redner
nach einem spannenden Tag natürlich auch über einzel-
nen Zuspruch.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der einzige Zuspruch, Herr Hintze!)


– Dieser Zuspruch hatte inhaltlich ein höheres Gewicht
als Ihre ganze Rede. Das muss man bei dieser Gelegen-
heit einmal sagen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Prioritäten in unserer Energieaußenpolitik sind
klar. Wir müssen Energiequellen, Energielieferanten und
Transportwege weiter diversifizieren. Wir müssen noch
mehr Energie sparen und diese effizienter nutzen. Wir
brauchen einen ausgewogenen Energiemix. Dazu gehört
auch der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir
intensivieren auch den Dialog mit Erzeuger-, Transit-
und Verbraucherländern, um weltweit die Rahmenbedin-
gungen für Investitionen in eine effiziente und klimaver-
trägliche Energieversorgung zu verbessern.
Der schwelende Transitstreit zwischen Russland und
der Ukraine führt uns deutlich vor Augen, wie wichtig
ein breit gefächertes Angebot an Bezugsquellen ist. Da-
rum unterstützt die Bundesregierung die deutsche Ener-
giewirtschaft, wenn es darum geht, die bestehende
Energieinfrastruktur sicherer zu machen, ihre Störungs-
und Krisenanfälligkeit zu verringern und neue Versor-
gungskorridore zu entwickeln. Zu den neuen und wichti-
gen Infrastrukturinvestitionen im Gasbereich zählen die
Nord-Stream-Pipeline und die Nabucco-Pipeline – in
beiden Fällen bemühen sich ja prominente Persönlich-
keiten um qualifizierte Beratung; das ist zu begrüßen –,


(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fand ich jetzt einen guten Hinweis!)


über die in stärkerem Maße Gas aus Zentralasien verfüg-
bar würde.

Zusätzlich zu unseren traditionellen Lieferanten von
Kohlenwasserstoffen – Russland, Norwegen und Groß-
britannien – haben wir neue Partner in Afrika und Zen-
tralasien gewonnen. Zur Deckung des Zusatzbedarfs bei
Gas in Europa wird auch LNG an Bedeutung gewinnen.

Um mit Lieferunterbrechungen bei der Gasversor-
gung innerhalb Europas zukünftig besser umgehen zu
können, hat die Bundesregierung in der EU wichtige Ini-
tiativen ergriffen. Diese betreffen auf Verbrauchs- und
Importstrukturen der Mitgliedstaaten abgestellte Min-
deststandards für die Krisenvorsorge, die Möglichkeit,
künftig zentrale Gaspipelines flexibler nutzen zu kön-
nen, sogenannte Reverse Flows, und eine Intensivierung
der regionalen Zusammenarbeit der Gaswirtschaft.

Deutschland ist weltweit Vorreiter bei erneuerbaren
Energien. Bei der Stromerzeugung haben wir bereits ei-
nen Anteil von circa 15 Prozent; bis 2020 sollen es min-
destens 30 Prozent werden. Bei Energieeffizienz und er-
neuerbaren Energien haben deutsche Unternehmen
weltweit vielfach die Technologie- und Systemführer-
schaft erlangt, die sich in Exporterfolgen niederschlägt.
Mit den Exportinitiativen „Erneuerbare Energien“ und
„Energieeffizienz“ unterstützt die Bundesregierung ge-
zielt deutsche Unternehmen und die weltweite Verbrei-
tung deutscher Spitzentechnologie, gerade auch in
Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Deutsche
Energie-Agentur engagiert sich in Effizienzpartnerschaf-
ten, unter anderem mit Russland, Indien, China oder in
Zentralasien, für konkrete Pilotprojekte.

Der im Antrag der hochgeschätzten FDP geforderte
Dialog mit Produzenten- und Transitländern


(Rainer Brüderle [FDP]: Sehr richtig!)


ist ebenfalls im Gange. Die Bundesregierung flankiert
die Arbeit unserer Unternehmen durch die Pflege enger
wirtschaftlicher und politischer Beziehungen zu unseren
Energiepartnerländern. Energiepartnerschaften zum bei-
derseitigen Vorteil sind wesentlicher Bestandteil unserer
Energieaußenpolitik. Ein Beispiel dafür ist die Zusam-
menarbeit mit Russland und die geplante Russisch-Deut-
sche Energieagentur; aber auch das 2006 gegründete






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Peter Hintze
Deutsch-Indische Energieforum mit Schwerpunkten bei
Kraftwerksmodernisierung, erneuerbaren Energien, de-
zentraler Energieversorgung und Clean Development
Mechanism verdeutlicht, wie, lieber Herr Trittin, Ener-
gieaußenpolitik, Entwicklungspolitik und Klimapolitik
der Bundesregierung ineinandergreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Die Redezeit erlaubt es mir nicht, auf das Galapagos-
Problem einzugehen,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habe ich Sie erwischt! Herr Hintze, geben Sie es zu!)


aber um dieses eine Beispiel, verehrter Herr Kollege
Trittin, für die angeblich nicht vorhandene Kohärenz zu
finden, mussten Sie Ihren Globus schon ziemlich gründ-
lich absuchen.

Darüber hinaus engagiert sich die Bundesregierung
auch multilateral im G-8-Rahmen in der Internationalen
Energie-Agentur und dem Internationalen Energieforum
für freie, offene und transparente Energiemärkte. Das In-
ternationale Energieforum erarbeitet unter deutschem
Ko-Vorsitz seit dem vergangenen Jahr Vorschläge, wie
wir bei der Ölpreisbildung mehr Transparenz erreichen
und preistreibende Effekte des Handels mit spekulativen,
auf Energieressourcen basierenden Finanzprodukten ein-
schränken können.

Die Bundesregierung verfolgt eine aktive, kohärente
und erfolgreiche Energieaußenpolitik.


(Rainer Brüderle [FDP]: Man merkt nur nichts!)


Wir verfolgen das wichtige Ziel, in enger Zusammen-
arbeit mit unseren Partnern in Europa und in der Welt für
eine sichere, preisgünstige und klimaschonende Energie-
versorgung in Deutschland zu sorgen. Darauf bin ich
stolz. Darauf können wir alle stolz sein. In diesem Sinne
können wir weiterarbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Amen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623008900

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin

Gudrun Kopp.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1623009000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und

Damen! Am Ende dieser Legislaturperiode haben wir
ein wichtiges Thema auf der Tagesordnung, nämlich die
Energieaußenpolitik. Unter diesem Begriff sollten in der
Tat die Energie-, Außen-, Sicherheits-, Umwelt- und
Entwicklungshilfepolitik zusammengefasst werden. All
das versucht die FDP-Bundestagsfraktion auf den Weg
zu bringen. Seit 2007 treibt sie die Bundesregierung in
diese Richtung an. Es ist nicht so, dass die Bundesregie-
rung schon ein kohärentes Konzept verfolgte und
wüsste, wohin die Reise geht.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die Frau Kopp recht!)


Ich habe nicht jede Seite der Großen Anfrage der
Grünen durchgelesen, aber das meiste ist ziemlich in-
haltsleer und beschreibt das, was eigentlich sein müsste,
aber noch längst nicht in die Realität umgesetzt worden
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Eine Bundesregierung, die innerhalb der EU, aber
auch weltweit eine Zusammenarbeit in Energiefragen, in
Entwicklungshilfefragen und in sicherheitspolitischen
Fragen fordert, sich allerdings zu Hause im Deutschen
Bundestag – so drückte es die SPD-Kollegin vorhin aus –
in jedem Themenbereich wie die Kesselflicker streitet,
weist eine alles andere als gute Bilanz auf.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie für eine Wahrnehmung?)


Ich nenne ein paar Beispiele. Innerhalb dieser Bun-
desregierung ist die Frage der Verlängerung der Laufzei-
ten für die Kernkraftwerke überhaupt noch nicht beant-
wortet und fern jeden Konsenses. Lieber Herr Kollege
Trittin, ich glaube nicht, dass wir anderen Staaten vor-
schreiben können – das ist auch richtig so –, wie diese
als entwickelte Industriestaaten ihre Energiesicherheit
betreiben und somit den Umweltschutz integrieren.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Sie waren gegen den US-Indien-Atomdeal! Da waren wir doch mit der FDP einer Meinung, haben sogar einen gemeinsamen Antrag gemacht!)


Gestern fand zum 50. Jahrestag des Atomforums in
Deutschland ein Festakt statt, zu dem die Kanzlerin als
Rednerin eingeladen war. Sie hat dort ein flammendes
Plädoyer für die fortgesetzte Nutzung des Stroms aus
Kernenergie gehalten. Das finden wir richtig, und das
findet auch die Unterstützung der FDP. Allerdings ist
dies im eigenen Haus eine hochstrittige Frage, und daran
wird sich auch nichts ändern.

Der Ministerkollege Trittin versteigt sich in einer
Rede,


(Rainer Brüderle [FDP]: A. D.!)


die an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist, indem er ges-
tern sagte, das Atomforum gehöre auf den Misthaufen
der Geschichte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ich nicht! Das war Herr Gabriel! Da hat er recht, aber er war es trotzdem!)


– Entschuldigung, das stimmt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Wer ist Gabriel?)


Völlig unerledigt ist zweitens die Endlagerfrage. Ich
erinnere an die letzte Sitzungswoche und die letzten






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
Tage, als die ersten Versuche, einer neuen Technologie
den Weg zu bahnen, kläglich gescheitert sind. Es ging
um die CO2-Abscheidung bei der Kohleverstromung,
also um die sogenannte CCS-Technologie. Diese war als
Technologieexport gerade mit Blick auf China gedacht,
um eine saubere Nutzung von Kohle auf den Weg zu
bringen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie über das nahe niedersächsische Ausland?)


Genauso war es bei der Umsetzung der Energieeffi-
zienzrichtlinie. Auch an dieser Stelle konnten Sie sich
nicht einigen. Es gibt kein Konzept zur nötigen deut-
schen Netzagentur, geschweige denn ein integriertes
Konzept, wie wir wenigstens europaweit die Netze zu-
sammenführen können. Darüber hinaus sind wir noch
weit entfernt vom nötigen Energiebinnenmarkt.

Das alles kann man mit folgender Aussage unterstrei-
chen: Diese Bundesregierung hat in Wahrheit weder na-
tional noch europaweit und schon gar nicht weltweit ein
konsistentes Energiekonzept. Das ist mehr als peinlich.


(Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Klaus Barthel [SPD]: Jetzt würden wir gerne etwas über Ihr Konzept hören!)


Wir haben einen Antrag zur Energieaußenpolitik ein-
gebracht und in diesem Antrag sehr deutlich aufgezeigt,
wie eine solche Politik unserer Meinung nach auszuse-
hen hat. Wir fordern ein Klimaschutzregime, das effek-
tiv, wettbewerbskonform und kosteneffizient ist. Wir
möchten, dass zum Beispiel der begonnene Kioto-Pro-
zess um eine globale Technologiezusammenarbeit er-
gänzt wird.

Wir möchten ein Konzept zur Sicherung und Identifi-
zierung der kritischen Energieinfrastrukturen, und wir
wollen einen Ausbau der Netzkapazitäten für Strom und
Gas.

Ferner finden wir, dass die Energieaußenpolitik und
die Außenwirtschaftspolitik kohärent gestaltet werden
müssen, um den Weg für deutsche Firmen in ausländi-
sche Märkte politisch zu begleiten. Auch an dieser Stelle
geschieht herzlich wenig.

Zu den eben angesprochenen Energieleitungen will
ich noch bemerken, dass manchmal Gegensätze zwi-
schen der Nord-Stream-, der South-Stream- und der
Nabucco-Gaspipeline aufgebaut werden. Ich finde es
richtig, jede Möglichkeit der Diversifizierung von Ener-
gietransportleitungen zu nutzen und auf diesem Gebiet
eine verstärkte Zusammenarbeit voranzutreiben. Wir
sollten ohne Ideologie da herangehen, um unsere Abhän-
gigkeit von Energieimporten, die in der Zukunft noch
enorm steigen wird, zu vermindern.


(Beifall bei der FDP)


Ein wirklich interessantes Projekt, an dem sich
deutschlandweit und auch weltweit einige Firmen betei-
ligen werden, ist das Desertec-Projekt. Im Rahmen
dieses Projektes sollen in Nordafrika und im Mittelmeer-
raum riesige Solarthermieanlagen entstehen. Auf der ei-
nen Seite kann damit die Eigenversorgung Nordafrikas
mit Strom aus erneuerbaren Energien sichergestellt wer-
den – das ist mit Blick auf die Entwicklungshilfepolitik
sehr interessant –, und auf der anderen Seite kann im
begrenzten Rahmen – man muss sehen, in welchem Um-
fang Leitungen gelegt werden können – der auf diese
Weise erzeugte Strom mithilfe einer speziellen Übertra-
gungstechnik nach Europa transportiert werden.

Es ist ein interessantes Projekt, das dazu beiträgt, wei-
terhin zu diversifizieren trotz aller politischen Probleme,
die es möglicherweise mit den Partnerländern an der ei-
nen oder anderen Stelle gibt. Ich unterstreiche ganz aus-
drücklich, dass solcherlei politische Differenzen, die an
der einen oder anderen Stelle bestehen, dadurch über-
wunden werden können, dass wir in der Energiepolitik
Grenzen überschreiten, Kooperationen bilden und zu der
Einsicht kommen, dass die Sicherstellung des Wohlstan-
des weltweit nur durch eine vertrauensvolle Zusammen-
arbeit möglich ist und nicht durch ein ständiges Gegen-
einander. Darin liegt eine sehr große Chance.

Für die FDP-Bundestagsfraktion möchte ich sagen:
Wir möchten alle Chancen auf dem Gebiet der Energie-
sicherheit nutzen. Dazu gehört, dass wir zuerst deutsch-
landweit, aber dann sicherlich auch europa- und welt-
weit entsprechende Konzepte aufstellen. Ich bin ganz
sicher, das wird der Außenpolitik guttun und nebenbei
der Friedenssicherung einen guten Dienst erweisen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623009100

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1623009200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Wir haben es mit einer Serie von Anträgen der Op-
position und auch mit einer Großen Anfrage der Grünen
zu – nicht nur, aber im Wesentlichen – energieaußenpoli-
tischen Fragen zu tun. Ich möchte aber unterstreichen,
dass es zu der Großen Anfrage eine substanzielle Ant-
wort der Bundesregierung gibt, mit der sich die Bundes-
regierung unter Federführung des Bundeswirtschafts-
ministeriums eine Menge Arbeit gemacht hat. Dafür
einen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Antwort, die zwar unter der Federführung des
Wirtschaftsministeriums, aber in enger Abstimmung mit
anderen Häusern entstanden ist, zeigt, dass es durchaus
eine abgestimmte Energieaußenpolitik innerhalb der
Bundesregierung gibt. Sie zeigt auch, dass wir in dieser
Legislaturperiode einen sehr viel deutlicheren Akzent
auf diesen Punkt gelegt haben, als es in vorherigen Le-
gislaturperioden der Fall gewesen ist. Deswegen einen






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
herzlichen Dank für die Große Anfrage. Sie ermöglicht
es uns, noch einmal sehr deutlich auf unsere Erfolgsbi-
lanz der letzten Jahre hinzuweisen.


(Beifall bei der SPD – Gabriele Groneberg [SPD]: Eine Steilvorlage!)


Wenn man die Begriffe Außenpolitik und Energie-
außenpolitik hört, dann denkt man sehr schnell an das
Auswärtige Amt und den Außenminister. Man kann in
der Tat sagen, dass der Bundesaußenminister schon sehr
früh in dieser Legislaturperiode deutlich gemacht hat,
dass für ihn die Energieaußenpolitik ein Kernfeld ist.
Das war Anfang 2006, also in den ersten Monaten dieser
Koalition, der Fall, als er anlässlich der Münchner Si-
cherheitskonferenz eine Grundsatzrede gehalten hat. Er
hat das auch durch Strukturveränderungen in seinem
Haus dokumentiert, indem er dort unter anderem eine
abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe „Energieaußen-
politik“ installiert hat. Ich denke, diese Dinge zeigen
sehr deutlich, dass diese Bundesregierung und das Au-
ßenministerium verstanden haben, dass die Energie-
außenpolitik deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient,
als sie in den vergangenen Jahren bekommen hat.


(Beifall bei der SPD)


Die Bundesregierung hat diesen Schwerpunkt im
Jahr 2007, als sie den Vorsitz in der G 8 innehatte, deut-
lich werden lassen. Energieaußenpolitik war bei den G-8-
Sitzungen ein ganz wesentliches Thema. Wir sind voran-
gekommen. Wir haben in sehr vielen Punkten Überein-
stimmung erzielen können, gerade im Zusammenhang
mit der Klimapolitik. Ich glaube, dass das in sehr star-
kem Maße der Initiative der deutschen Bundesregierung
zu verdanken ist. Es freut uns natürlich, dass wir das
dank der Großen Anfrage und der Anträge an dieser
Stelle noch einmal deutlich machen können. Vielen
Dank dafür!

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im
Jahr 2007 sind infolge des sehr starken Drucks der Bun-
desregierung, insbesondere des Bundesumweltministeri-
ums und des Kanzleramtes, ein Klima- und Energiepaket
der EU, ein Energieaktionsplan und ein Schwerpunkt-
programm zur Energieaußenpolitik verabschiedet wor-
den. Dieses Programm hat es uns ermöglicht, unsere na-
tionale Energieaußenpolitik in eine von uns wesentlich
mitgestaltete EU-Energieaußenpolitik einzubetten.

Erwähnt worden ist hier auch – das ist in der Tat nur
eine Facette der Energiepolitik – die große Importabhän-
gigkeit der EU und Deutschlands bei Öl, Gas und Kohle.
Gerade im Bereich des Erdgases ist das in den letzten
Jahren deutlich geworden. Der Gaskonflikt zu Beginn
dieses Jahres zwischen Russland und der Ukraine hat
noch einmal deutlich gemacht, in welch starkem Maße
wir von Erdgasimporten und insbesondere von Importen
aus Russland abhängig sind. Im Zusammenhang mit die-
ser Krise ist aber auch deutlich geworden, dass diese
Bundesregierung und die Unternehmen in Deutschland
die Jahre seit 2006, als es erstmals eine solche krisen-
hafte Zuspitzung in der Ukraine gab, gut genutzt haben.
Es gab kein Mengenproblem beim Gas. Die deutsche
Bevölkerung und die deutschen Unternehmen wurden
mit Gas versorgt, auch in den Tagen dieser Krise. Mehr
noch: Deutsche Unternehmen haben wesentlich dazu
beigetragen, dass es auch in den Nachbarländern
Deutschlands keine Engpässe gab. Wir haben dazu bei-
getragen, dass die Gasversorgung auch dort ununterbro-
chen funktioniert hat.


(Beifall bei der SPD)


Das ist sicherlich auch ein Erfolg deutscher Politik; denn
wir haben uns bei diesen Vorsorgemechanismen ganz er-
heblich eingeschaltet.

Allerdings sind auch Defizite deutlich geworden. Wir
haben beobachten können, dass es in Südosteuropa zu
Versorgungsengpässen kam. Dadurch ist klar geworden,
dass wir bessere Netzverbindungen und Lückenschlüsse
in Nord-Süd-Richtung brauchen. Es ist gehandelt wor-
den: Die Europäische Union hat unverzüglich ein Pro-
gramm aufgelegt, um genau diese Lückenschlüsse zu fi-
nanzieren. Insgesamt hat dieses Programm ein
Milliardenvolumen. Wir sind also, sollte sich ein solcher
Vorfall wiederholen, bestens vorbereitet.

Das reicht allerdings nicht. Uns ist klar, dass Präven-
tion angesagt ist. Prävention heißt in diesem Fall, dass
die EU aus der Zuschauerrolle in die Moderatorenrolle
wechseln muss, gerade beim Konflikt innerhalb der
Ukraine. Das ist inzwischen geschehen, und zwar auch
aufgrund der Einflussnahme und des Drucks Deutsch-
lands in Brüssel. Es hat mehrere Konferenzen gegeben,
die alle nicht einfach waren. Meine Prognose: Am Ende
wird ein Beteiligungsmodell stehen. Das ukrainische
Gastransportsystem wird saniert, und zwar durchaus
auch mit Geldern europäischer Unternehmen. Dieses
Modell wird eine Beteiligung der entsprechenden Unter-
nehmen am Gastransport in der Ukraine vorsehen, übri-
gens auch eine Beteiligung der russischen Seite. Ein sol-
ches Modell, bei dem alle drei Seiten beteiligt sind, führt
zu gleichlaufenden Interessen. Alle haben dann ein Inte-
resse am kommerziellen Erfolg dieser Pipeline. Das ist
die beste Basis dafür, dass diese Pipeline in Zukunft im-
mer gut mit Gas gefüllt sein wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben heute in dieser Debatte schon ein paar
Worte über eine andere Pipeline gehört, über die Nord-
Stream-Pipeline. Ich denke, auch da ist es gut, dass sich
die deutsche Bundesregierung – auch ehemalige Mitglie-
der der Bundesregierung – um dieses Projekt kümmern.
Dies ist im deutschen, aber auch im europäischen und im
russischen Interesse. Die Russen wissen: Sie brauchen
diese Pipeline, um ihr Gas langfristig absetzen zu kön-
nen und entsprechende Einnahmen zu erzielen. Die
Westeuropäer wissen: Sie brauchen diese Pipeline, um
den langfristigen Gasbezug sichern zu können.

Es wird sehr darauf ankommen, die Anrainerstaaten
im laufenden Prozess noch mehr als bisher mit ins Boot
zu nehmen und auch die Umweltfragen, insbesondere
bezüglich der Ostsee, zu klären. Das ist auf dem Weg.
Ich bin ganz optimistisch, dass das funktionieren wird.
Diese Pipeline wird nicht von einer Seite, nicht von den
Russen allein, finanziert, sondern von beiden Seiten,
vom Lieferanten genauso wie von den Empfängerlän-






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
dern. Das ist eine gute Basis für den ökonomischen Er-
folg dieses Projekts und dafür, dass die Gasversorgung
für Europa in Zukunft funktionieren wird.

Ein Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass das
Gas, das fließen soll, vorher gefördert werden muss. Wir
haben ein massives Interesse daran, dass auch in Zeiten
der Krise – Russland ist noch stärker in der Krise als wir
hier in Europa – die Förderinvestitionen in Russland ge-
tätigt werden. Geld westeuropäischer Unternehmen ist
da durchaus willkommen. Russland ist aufgefordert, die
Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass es für europäi-
sche Unternehmen attraktiv ist, sich dort zu beteiligen
und zu investieren. Nur so können engere Partnerschaf-
ten und Verflechtungen entstehen. Nur so ist es möglich,
dass sich die Russen in Europa, beispielsweise in
Deutschland, im Downstream-Bereich, im Endkunden-
geschäft – das wollen sie ja – betätigen können.

Es gäbe weit über das Thema Gas hinaus noch viel
zur Energieaußenpolitik zu sagen. Es gibt noch eine
Rednerin unserer Fraktion, die sich insbesondere den
Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz wid-
men wird. Deswegen danke ich Ihnen hier für Ihre Auf-
merksamkeit und darf meine Rede beenden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623009300

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623009400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Trittin, ich bin bei vielem, was Sie gesagt
haben, bei Ihnen.


(Rainer Brüderle [FDP]: So fängt es an!)


Aber eines steht fest: Die deutsche Energieaußenpolitik
ist damals von SPD und Grünen militarisiert worden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– So sieht es aus; sie wurde militarisiert.

Fest steht: Um an Kohle, Öl, Gas und Uran zu kom-
men, scheut auch der heutige Außenminister vor der Be-
teiligung an Kriegen nicht zurück. Das ist Fakt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Hinzu kommt die ungebremste weltweite Verbren-
nung fossiler Energieträger, die zudem Hauptursache des
Klimawandels ist. Die Folgen der globalen Erwärmung
sind heute Trinkwassermangel und Ernteausfälle welt-
weit. Für Millionen von Menschen bedeutet das Hunger,
Elend und Heimatlosigkeit. Viele Regionen der Welt
treiben von Krise zu Krise. Konflikte verschärfen sich,
und der Kampf um Wasser und Ressourcen gehört in
vielen Ländern, zum Beispiel in vielen Ländern Afrikas,
zum Alltag. China, die USA und Russland erhalten Öl-
und Gaszusagen gegen Waffenlieferungen. Ich nenne
nur ein Beispiel: Libyen. So entsteht ein Pulverfass nach
dem anderen. Die Bundesregierung betreibt Aufrüstung,
weil sie fossile Energiequellen und die Transportwege
sichern will.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Die weltweite Militarisierung der Energieaußenpoli-
tik ist unübersehbar – das ist kein Quatsch, Herr Pfeiffer –,
und Deutschland und Europa beteiligen sich daran. Als
NATO-Mitgliedstaat akzeptiert Deutschland das Neue
Strategische Konzept der NATO, das die Verfolgung
ökonomischer Interessen glasklar zu einer militärischen
Aufgabe erklärt. Auf knappe Ressourcen und Klimafol-
gen reagiert die NATO nicht etwa mit Abrüstung oder
Alternativen, sondern mit Atombomben. Ich zitiere:

Nukleare Streitkräfte werden weiterhin eine we-
sentliche Rolle spielen.

Auf der Strecke bleiben dabei Frieden, Menschenrechte
und eine sichere und nachhaltige Versorgung mit Ener-
gie.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Partei fordert eine radikale Energiewende hin
zu erneuerbaren Energien. Die Umstellung auf eine
nachhaltige Energieversorgung ist eine Überlebensfrage.
Sie ist eine zentrale Investition in ein friedliches
21. Jahrhundert. Wer heute auf erneuerbare Energien
setzt und dieses Wissen mit Schwellen- und Entwick-
lungsländern teilt, wird sich morgen nicht an Kriegen
um Öl und Gas beteiligen. Machen wir uns endlich un-
abhängig von Öl, Gas und Uran!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage: Eine dezentrale Vollversorgung mit erneuer-
baren Energien ist bis 2040 machbar. Hören Sie doch
einfach auf Ihre eigenen Experten, zum Beispiel auf den
Sachverständigenrat für Umweltfragen. Nur so bremsen
wir den Klimawandel, und nur so schaffen wir eine
friedliche Energieaußenpolitik.

Wer weiter auf Atomstrom setzt, bringt nicht nur uns
alle in Gefahr, sondern stiftet auch instabile Staaten zum
Missbrauch der Kernenergie an. Die angeblich friedliche
Nutzung der Atomkraft ist und bleibt für mich die Ein-
stiegsdroge zum Bau der Atombombe. Wer Atomkraft-
werke länger laufen lassen will und den Ausbau erneuer-
barer Energien damit gezielt bremst, wie es CDU/CSU
und FDP tun, erweist der Friedenspolitik einen Bären-
dienst,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


lässt aber die Kassen der Energiekonzerne richtig klin-
geln.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Gleiche gilt für das absurde Herumzocken im
Hinblick auf den Bau neuer Gaspipelines nach Westeu-
ropa. Den Preis für diesen kostspieligen Unsinn, promi-






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill
nent ausgetragen zwischen SPD-Altkanzler Schröder in
Sachen Nord Stream und dem Altgrünen Fischer in Sa-
chen Nabucco, zahlen ausschließlich die Verbraucherin-
nen und Verbraucher.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die profitieren davon!)


Nabucco, das Prestigeobjekt der EU, soll
9 Milliarden Euro kosten, obwohl nicht ein einziger Ku-
bikmeter der Erdgaslieferungen aus den Förderregionen
sicher ist. In diesem Fall nenne ich als Beispiel Tadschi-
kistan.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie meinen wohl Turkmenistan! Die Tadschiken wären froh, wenn sie Gas hätten!)


Klug wäre es, diese Mittel in Maßnahmen zur Schaf-
fung von mehr Energieeffizienz und in den schnelleren
Ausbau erneuerbarer Energien zu stecken. Stattdessen
soll Erdgas aus Krisenregionen bezogen werden. Der
ehemalige grüne Außenminister muss aufpassen, dass er
nicht sehenden Auges in eine gut bezahlte Falle tappt
und nebenbei noch Kriege befördert. Am Ende wird es
ohnehin von Russland kontrolliertes Gas sein, das, durch
welche Röhre auch immer, nach Deutschland kommt.

Entscheidend ist, die Abhängigkeit vom Gas zu sen-
ken. Das geht nur, wenn wir den wertvollen Rohstoff
Gas nicht einfach in Gebäuden verheizen. Statt Einzel-
heizungen brauchen wir hierzulande Fernwärmenetze
und Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige
Strom- und Wärmeerzeugung in dezentralen Gaskraft-
werken zur Unterstützung einer schnell wachsenden Ver-
sorgung durch erneuerbare Energien.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Sehr interessant! Gaspipelines brauchen wir nicht, aber Gaskraftwerke brauchen wir! Unglaublich!)


Das ist ohne Weiteres möglich. Die vorhandenen Ge-
setze und Fördermaßnahmen reichen aus, um den Gas-
verbrauch im Gebäudebereich zu halbieren, wenn die
Bundesregierung sie nur umsetzen würde. Mit den so
eingesparten Mengen könnte ein erdgasbefeuerter Kraft-
werkspark um ein Drittel vergrößert werden, und durch
das steigende Wärmeangebot hocheffizienter Kraft-
Wärme-Kopplungsanlagen würde der Gasverbrauch so-
gar deutlich sinken. Deshalb sage ich: Kluge Energienut-
zung ist auch Friedenspolitik. Das muss der Maßstab ei-
ner vorausschauenden und nachhaltigen Energiepolitik
sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wichtig ist: Wir müssen unser energietechnologisches
Wissen mit den Ländern des Südens, zum Beispiel den
Ländern Afrikas, vorbehaltlos teilen. Erneuerbare Ener-
gien müssen Bestandteil einer Friedens- und Entwick-
lungspolitik sein. Eine Möglichkeit ist das Projekt De-
sertec, bei dem es um ein Sonnenkraftwerk in der Sahara
geht.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber den Leitungsbau werdet ihr doch auch verhindern, oder?)


Auf den Punkt gebracht, Herr Kollege: Wer weiter
fossile und atomare Großprojekte finanziert, schadet
dem Klima und befördert Konflikte in vielen Regionen
der Welt. Investitionen in Sonne, in Wind und in Bio-
masse sichern Klimaschutz und vor allen Dingen das
friedliche Zusammenleben der Völker.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623009500

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1623009600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke,
heute, in der letzten regulären Sitzungswoche, ist eine
gute Gelegenheit, einmal über Energieaußenpolitik zu
sprechen. Die Initiative der Grünen ist zu loben, weil wir
da erläutern können, was bisher geschah. Staatssekretär
Hintze hat dargestellt, was unternommen wurde, aber
auch, was die zukünftigen Herausforderungen sind. Ich
möchte versuchen, aus Sicht der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion auf die Herausforderungen einzugehen.

Es ist festzustellen, dass die Reserven und die Res-
sourcen an fossilen Energieträgern länger ausreichen
werden, als man dachte; das wurde uns erst vor wenigen
Tagen noch einmal statistisch unterlegt. Das ist die gute
Nachricht.

Andererseits wird die Energieimportabhängigkeit von
ganz Europa in den nächsten zwanzig Jahren drastisch
zunehmen. Ganz Europa ist auf dem Weg dorthin, wo
Deutschland bereits heute ist, nämlich bei einer Ener-
gieimportabhängigkeit von fast 100 Prozent bei Erdöl
und von 80 Prozent, 90 Prozent bei Erdgas. Deshalb sind
wir gut beraten, uns nicht auf die Zahlen zu verlassen,
sondern darauf mit einer kohärenten und konsistenten
Energieaußenpolitik zu reagieren.

Die Volatilität nimmt zu. Wir beobachten weltweit
– leider; auch durch die Finanz- und Wirtschaftskrise und
trotz gegenteiliger Beteuerungen im Bereich der G 20 –
Renationalisierungen. Beispielsweise sind von den
25 Top-Ölgesellschaften der Welt 16 vollkommen unter
staatlicher Kontrolle und weitere unter staatlichem Ein-
fluss. Diese Tendenz wird zunehmen. Auch der Protek-
tionismus nimmt gerade in dieser Wirtschafts- und
Finanzkrise zu. Darauf müssen wir uns einstellen.

Auch konzentrieren sich die Ressourcen und Reser-
ven vor allem auf die sogenannte strategische Ellipse,
also den Bereich um Russland und den gesamten Nahen
und Mittleren Osten, wo sich ja – denken wir an das
Stichwort „Versorgungssicherheit“ – nicht nur vergnü-
gungsteuerpflichtige Regionen und Länder befinden.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
Wir stehen an einer Zäsur. Das Jahr 2008 war das
erste Jahr, in dem die Entwicklungs- und Schwellenlän-
der mehr Energie als die OECD-Länder verbraucht ha-
ben. Das wird so bleiben. In zwanzig, dreißig Jahren
werden sie sogar 70 Prozent der Energie verbrauchen
und die OECD-Länder 30 Prozent. 1970 war das Ver-
hältnis noch genau umgekehrt.

Noch heute haben 2 Milliarden bis 3 Milliarden Men-
schen keinen Zugang zu modernen Formen von Energie
wie Strom, Wärme, Kühlung oder Mobilität, wie wir sie
in Deutschland oder in Europa genießen.

Auch die Energiesicherheit – die Stichworte „Iran“
und „Libyen“ sind bereits gefallen – wird ein Thema
sein.

Die größte Herausforderung, vor der die Menschheit
steht, wird jedoch der Klimaschutz sein. Klimaschutz
lässt sich nicht national erreichen, Klimaschutz ist eine
weltweite Aufgabe.

Das sind die Herausforderungen, vor denen wir ste-
hen und auf die eine Energieaußenpolitik Antworten ge-
ben muss. Was sind die Antworten aus Sicht der Union?
Ich möchte einige kurz skizzieren.

Der Königsweg – Energieeffizienz – muss an erster
Stelle beschritten werden. Das ist eine Win-win-Situa-
tion: Alle Beteiligten können Geld sparen, es hilft dem
Klima, es erhöht die Versorgungssicherheit und kann
beispielgebend sein für die gesamte Welt. Ich glaube, da
sind wir uns schnell einig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen eine Diversifizierung, und zwar eine
Diversifizierung bei den Transportwegen, Lieferquellen
und Energieträgern. Nur mit einer solchen Diversifizie-
rung sind wir in der Lage, die gerade angesprochenen
Herausforderungen hinsichtlich der fossilen Energien zu
meistern. Insofern können wir nicht genug Pipelines ha-
ben, egal ob Nord Stream, Nabucco oder South Stream.
Wir brauchen alle, wenn wir die Herausforderungen, die
vor uns liegen, annehmen wollen.

Hier kann es auch schnell einmal sein, dass die Ener-
gieaußenpolitik quasi wieder zur deutschen Innenpolitik
wird. Herr Fischer ist seit dieser Woche aktiv. Herr
Schröder steht für Nord Stream, Herr Fischer für Na-
bucco. Ich bin einmal gespannt, wofür Herr Gabriel und
vielleicht auch Herr Trittin in der nächsten Legislatur-
periode auf diesem Gebiet tätig sein werden. Insofern ist
die Energieaußenpolitik schnell auch einmal deutsche
Innenpolitik – zumindest vergangene deutsche Innen-
politik.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht werde ich ja auch einen Job in der Bundesregierung annehmen!)


Jetzt aber dazu, was weitere Diversifizierungen sind.
Ich nenne das Thema LNG. Es geht also nicht nur um
Pipelines, sondern auch um den Transport mit Schiffen:
hoch verdichtet und entsprechend heruntergekühlt.
Wir müssen auch die Chance nutzen, die durch das
Biogas geboten wird. Das Biogas kann nicht nur inner-
halb der Europäischen Union, sondern auch in angren-
zenden Ländern erzeugt und über das vorhandene Pipe-
linesystem gut und nachhaltig transportiert werden, das
heißt, es bieten sich ganz neue Möglichkeiten, fossile
Energien von heute über eine solche Infrastruktur in Zu-
kunft mit erneuerbaren Energien zu verbinden.

Es ist beispielsweise möglich, Biogas beizumischen.
Es ist auch möglich, dort Wasserstoff beizumischen, der
beispielsweise auch an anderer Stelle erzeugt werden
könnte. Dieses Biogas, das hierher transportiert wird,
kann wiederum für alle Sektoren verwendet werden: Es
kann Strom erzeugt werden, es kann für die Erwärmung
oder die Kühlung genutzt werden, es kann zur Sicher-
stellung der Mobilität verwendet werden, indem bei-
spielsweise mithilfe entsprechender Verfahren aus Bio-
gas Treibstoff hergestellt wird, und es kann auch für die
Elektromobilität genutzt werden. Das sind die Antwor-
ten, die wir dort suchen und finden müssen.

Die Energieprobleme sind auch nicht nur bilateral zu
lösen. Hier sind enge Grenzen gesetzt. Ansätze dafür hat
Herr Staatssekretär Hintze vorhin ja dargelegt.

Die Energieaußenpolitik ist für mich zunächst auch
europäische Innenpolitik. Es ist unsere allererste Auf-
gabe, dass wir den europäischen Binnenmarkt und den
Wettbewerb im Energiebereich stärken. Wir müssen die
Infrastruktur weiter ausbauen. So, wie wir transeuropäi-
sche Netze auf der Schiene und der Straße haben, brau-
chen wir auch transeuropäische Netze hinsichtlich der
Energieversorgung. Hier sind zum Beispiel auch der
Vertrag von Lissabon und andere Dinge wichtig. Dieser
muss bald vorliegen, damit wir dort klare Zuständigkei-
ten und Aufgaben haben.

Herr Trittin, hier stimme ich Ihnen in der Tat zu – das
fällt mir schwer, das gebe ich zu; es kommt auch nicht so
oft vor –: Sie haben vorhin gesagt, wir hätten noch keine
kohärente Energiepolitik. Diese hatten wir auch nicht,
als Sie Umweltminister waren. Die Zuständigkeiten wa-
ren damals nämlich auch aufgeteilt. Heute sind die Zu-
ständigkeiten noch immer aufgeteilt. Deshalb wollen
und brauchen wir – das haben wir erkannt, und das steht
in unserem Regierungsprogramm – eine Energiepolitik
aus einem Guss, mit der die verschiedenen Kompeten-
zen gebündelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gudrun Kopp [FDP])


Damit müssen wir zu Hause anfangen, nämlich bei
uns in Deutschland. Diese Energiepolitik müssen wir
dann kohärent auch in Brüssel vertreten, und wir müssen
von Brüssel aus dafür sorgen, dass Europa mit einer
Stimme spricht und dieses nach außen vertritt, weil die
Nachfragemacht Europas entsprechend abnehmen wird.
Deshalb ist das sehr wichtig.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623009700

Herr Kollege.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1623009800

Ich hätte zwar noch viel zu sagen, Frau Präsidentin,

aber ich komme zum Schluss.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623009900

Aber Sie haben nicht mehr die Zeit, viel zu sagen.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1623010000

Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen schließen:

Die Energieaußenpolitik ist vor allem auch Entwick-
lungspolitik. Es ist vorhin angesprochen worden: Bei
Desertec geht es nicht nur darum, den Strom hierher zu
bringen, sondern das ist auch eine Chance, vor Ort Win-
win-Situationen zu erreichen.

Last but not least ist die Energieaußenpolitik insbe-
sondere auch Wirtschaftsförderung und Wirtschaftspoli-
tik, weil wir durch die Energieeffizienz unserer Techno-
logien und die ganzen Technologien, die es in der
Industrie gibt – –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623010100

Herr Kollege, Sie wissen aber schon, dass Sie auf

Kosten Ihres nachfolgenden Kollegen reden?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1623010200

Nein, das weiß ich nicht. Dann komme ich sofort zum

Schluss.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623010300

Ich gebe der Kollegin Gabriele Groneberg, SPD-

Fraktion, das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1623010400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ein Konsens über die Notwendigkeit einer kohärenten
Energieaußenpolitik ist wohl da. Das hat die Debatte ge-
zeigt. Aber die Vorstellungen darüber, wie diese kohä-
rente Energieaußenpolitik gestaltet werden soll, gehen
offensichtlich ganz weit auseinander.

In dieser Legislaturperiode, Herr Pfeiffer, haben – im
Gegensatz zur letzten – immerhin einige Debatten zu
diesem Thema stattgefunden. Ich habe einfach einmal
unter diesem Stichwort nachgeschaut. Hier im Plenum
sind wir also schon einige Schritte weiter.

Ganz unbescheiden will ich an dieser Stelle einmal
darauf hinweisen, dass es diese Koalition gewesen ist,
die bereits am 17. Januar 2007 einen Antrag vorgelegt
hat, der sich intensiv mit dem Feld Energie- und Ent-
wicklungspolitik auseinandergesetzt hat. Frau Kopp,
deshalb verstehe ich überhaupt nicht, dass Sie sagen, Sie
bearbeiten dieses Feld seit 2007 ganz intensiv. Das kam
erst zehn Monate nach unserem Antrag, das möchte ich
an dieser Stelle nur kurz erwähnen.

(Beifall bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Das war doch nur ein Teil!)


Wenn Sie dann von uns abschreiben, mag uns das recht
sein. Das bestätigt uns zumindest in dem, was wir ma-
chen.


(Zuruf von der FDP: Da kann man doch nichts abschreiben!)


Vieles von dem, was wir damals eingebracht und mit
der Mehrheit im Haus verabschiedet haben, ist von der
Bundesregierung auf den Weg gebracht und umgesetzt
worden und findet sich jetzt sinnigerweise in den Anträ-
gen der Opposition wieder. Damit wird unsere Hand-
lungsweise bestätigt. Das beruhigt schon.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Energieaußenpolitik – das will ich hier noch
einmal deutlich sagen – beinhaltet vor allem das Inter-
esse an der Vermeidung von Zielkonflikten, Herr Hill.
Denn eine Lösung im Energiebereich werden wir natio-
nal oder international nur erreichen, wenn wir sektor-
übergreifende und multilaterale Strategien entwickeln.
Deshalb ist es notwendig, dass die Politikbereiche Ent-
wicklungs-, Energie-, Sicherheits- und Klimaschutzpoli-
tik miteinander verzahnt werden. Herr Trittin, die Bei-
spiele, die Sie genannt haben, mag es durchaus geben.
Das heißt aber nicht, dass dadurch die große Linie und
die Erfolge, die wir vorzeigen können, kleingeredet wer-
den können. Unser politikfeldübergreifender Ansatz be-
deutet nach unserem Verständnis nämlich nicht, dass
Entwicklungspolitik Mittel zum Zweck wird. Das ist
ganz wichtig. Das ist von Ihnen aber gar nicht erwähnt
worden.

Entwicklungspolitik soll eben nicht Mittel zum
Zweck sein, um die Sicherheit fossiler Rohstoffimporte
zu gewährleisten. Diese Vorstellung wiederum finden
wir im Antrag der FDP wieder. Sie entwerfen eine Ener-
gieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert, die genau von
diesem Gedanken getragen wird: die Gewährleistung der
eigenen Versorgungssicherheit. Die Diversifizierung
wird hier zuerst hinsichtlich der Bezugsquellen fossiler
Energie gesehen, es geht weniger um die Diversifizie-
rung der Energiequellen an sich. Das macht den Unter-
schied aus. Bei Ihnen ist eine Überbetonung fossiler
Energieträger festzustellen. Auch Ihr wenig innovativer
Vorschlag, den Ausstieg aus der Kernenergie zu revidie-
ren, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, zeugt lei-
der von einer Politik für das Energiemuseum.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen heute eine nachhaltige und ressourcen-
schonende Energiepolitik; diese ist vor allem mit Blick
auf die unterschiedlichen Bedrohungen durch den Kli-
mawandel wichtig. Herr Pfeiffer hat darauf hingewiesen.
Bestandteil einer modernen Energie- und Klimapolitik
ist sicherlich nicht eine Renaissance der Atomenergie.
Das will ich an dieser Stelle deutlich feststellen.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
Wenn wir über einen politikfeldübergreifenden An-
satz reden, dann kann man am Beispiel der Kernenergie
sehr wohl deutlich machen, was wir darunter verstehen.
Wir folgen dem Grundsatz unserer Politik in der ent-
wicklungspolitischen Zusammenarbeit mit unseren Part-
nerländern. Das heißt: Für uns ist es selbstverständlich,
dass Projekte im Bereich Kernenergie wegen ihrer Risi-
ken in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit we-
der bilateral noch im Rahmen von Korbfinanzierung von
uns unterstützt werden. Wir sind aus solchen Verträgen
auch schon ausgestiegen. Auch das zeichnet – das muss
man durchaus sagen – die Politik dieser Koalition aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Großer Fehler!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Entwicklungspoli-
tik ist für uns immer auch globale Strukturpolitik. Das
heißt, eine zukunftsweisende Entwicklungspolitik muss
auch zu entwicklungsfreundlichen internationalen Rah-
menbedingungen beitragen. Wenn wir Politik so verste-
hen, dass wir gleichzeitig Hilfe für diejenigen leisten
wollen, die dringend unsere Unterstützung brauchen,
dann heißt das für uns, dass wir vor allem auch im Be-
reich der Energiepolitik, bei der Anpassung an den Kli-
mawandel Unterstützung leisten und Hilfe anbieten müs-
sen.

Den Antrag der Linksfraktion halten wir in diesem
Punkt – ganz ehrlich, Herr Hill – für absolut entbehrlich.
Sie beweisen damit und auch mit Ihrer Rede hier leider
Gottes wieder einmal, dass Sie die real existierende Poli-
tik in Deutschland vollkommen ausblenden. Sie haben in
den letzten Jahren offensichtlich weder gelesen noch zu-
gehört.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Die von Ihnen geforderte Energiewende ist längst ein-
geleitet worden.

Wenn es denn hilft, zur Erinnerung für Sie: Vor zehn
Jahren haben wir mit Beginn der rot-grünen Koalition
– ich komme noch auf den ehemaligen grünen Koali-
tionspartner zu sprechen – einen Paradigmenwechsel ein-
geleitet; um das an dieser Stelle noch einmal klarzustellen.
Es ist uns gelungen – das ist ein Erfolg der SPD –, diesen
Paradigmenwechsel unter dieser Koalition nicht wieder
rückgängig zu machen. Dafür stehen wir heute, und da-
rüber sind wir auch froh.


(Beifall bei der SPD)


Dass wir eine weltweite Energiewende hin zu einem
stärkeren Einsatz erneuerbarer Energien und zu einer ef-
fizienteren Nutzung von Energie brauchen, spielt in un-
serer Entwicklungspolitik schon seit vielen Jahren eine
entscheidende Rolle. Deshalb freut es mich besonders,
dass uns die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer
Großen Anfrage die Möglichkeit gegeben hat, die ganze
Palette umfassend darzustellen. In der Tat ist die Ant-
wort der Bundesregierung ein dickes Paket mit einer um-
fassenden Darstellung, wie man sie sich nicht besser
wünschen kann. Ich kann dem Kollegen Hintze nur recht
geben: Das war eine massive Kleinarbeit, für die man
dankbar sein kann.

Auch ich hätte mir einen Hinweis darauf gewünscht,
lieber Jürgen Trittin, dass das unter Rot-Grün aufgelegte
Programm eine Erfolgsstory ist. Das ist von Ihnen leider
nicht gewürdigt worden.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Mutter hat mir beigebracht, dass Eigenlob stinkt!)


Insofern wäre das an dieser Stelle durchaus einen Kom-
mentar wert gewesen. Die Versprechen, die Bundeskanz-
ler Schröder 2002 beim Weltgipfel in Johannesburg
gegeben hat, wurden nämlich in der Zwischenzeit weit
übertroffen. Die von uns gemachten Zusagen von
500 Millionen Euro im Bereich erneuerbare Energien in
der internationalen Zusammenarbeit wurden bereits in-
nerhalb von drei Jahren erfüllt. In dem vorgesehenen
Zeitraum von 2003 bis 2007 wurden in der bilateralen
Zusammenarbeit insgesamt 1,3 Milliarden Euro für er-
neuerbare Energien zugesagt. Ich finde, das kann sich
sehen lassen.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben diese Politik auch in der Großen Koalition
fortgeführt. Allein für 2009 stehen ODA-fähige Neuzu-
sagen von rund 625 Millionen Euro bereit. Das ist ein
Erfolg.

Ebenfalls sehr erfolgreich war die bei der KfW ange-
legte Sonderfazilität für erneuerbare Energien und Ener-
gieeffizienz, die sogenannte 4-E-Sonderfazilität. Hier
war die Nachfrage ebenfalls so groß, dass die Mittel be-
reits innerhalb von drei Jahren – statt wie geplant inner-
halb von fünf Jahren – komplett ausgeschöpft waren.
Unsere Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat
durchgesetzt, dass die Geltungsdauer dieser Fazilität bis
2011 verlängert wird.

Im Übrigen ist diese Fazilität ein Teil der neu ins Le-
ben gerufenen Initiative für Klima und Umweltschutz,
kurz IKLU. Bei IKLU handelt es sich um eine Weiter-
entwicklung der angemahnten Kohärenz, Herr Trittin:
Förderbereiche sind neben erneuerbaren Energien und
Energieeffizienz auch der industrielle Umweltschutz und
– das ist ganz wichtig – Maßnahmen zur Anpassung an
den Klimawandel.

Wie erfolgreich hier investiert worden ist, zeigen
auch die neusten Berechnungen des Netzwerks REN 21.
Demnach hat die KfW Entwicklungsbank im Jahr 2008
bei der Finanzierung erneuerbarer Energien in Entwick-
lungsländern sogar die Weltbank überrundet und steht
nun auf Platz eins. Ist das etwa keine positive Bilanz?


(Beifall bei der SPD)


Dass Ihnen das nicht so gut gefällt, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, weil es zurzeit nicht in
die politische Landschaft passt, mag zwar sein, ist aber
nicht zu ändern.

Als ich Ihren Antrag gelesen habe, war ich betroffen,
dass Sie Deutschland ein Versagen bei der Gründung der
Internationalen Agentur für erneuerbare Energien – kurz






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
IRENA – unterstellen. Darüber war ich schwer ent-
täuscht.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die IRENA ist jetzt in Abu Dhabi!)


Denn eigentlich war das doch unser Baby. Wir haben
dies seit Jahren im Parlament gefordert. Endlich ist es
umgesetzt worden. Die Gründungskonferenz im Januar
war ein voller Erfolg. 76 Länder sind sofort beigetreten.
Seit letztem Montag, seit 29. Juni, sind es 136 Länder,
darunter so große Länder wie Australien, Japan und end-
lich auch die USA. Wenn das kein Erfolg ist!


(Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abu Dhabi!)


– Genau, Abu Dhabi.

Ich bekomme ein Zeichen, dass ich zum Ende kom-
men muss. Ich will nur noch kurz auf Abu Dhabi einge-
hen. Wenn 136 Länder darüber entscheiden, wo die
Agentur ihren Sitz haben soll und die Standortfrage klä-
ren, dann ist es gut, wenn Abu Dhabi Sitz der Agentur
wird, aber wir das Technologiezentrum nach Bonn be-
kommen. Das ist ein großer Erfolg, weil wir uns mit un-
serer Technik für erneuerbare Energien gut profilieren
können. Wenn Wien ein Verbindungsbüro für Kontakte
zu den Vereinten Nationen erhält, dann ist das, denke
ich, eine gerechte und vernünftige Lösung. Man möchte
gerne alles bei sich verorten.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623010500

Frau Kollegin.


Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1623010600

Das ist keine Frage. Aber wir können damit zufrieden

sein.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623010700

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1623010800

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die

Russen haben Erdgas und Erdöl. Die Norweger haben
Erdgas. Die Schweden haben Wasserkraft. Die Franzo-
sen haben Atomkraft. Und wir Deutsche? Wir haben die
Diskussion und in absehbarer Zeit eine veritable Strom-
lücke.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In den nächsten Jahren gehen 17 deutsche Atomkraft-
werke mit einer installierten Leistung von 20 000 Mega-
watt bzw. 20 Gigawatt vom Netz. Die deutsche Energie-
wirtschaft schätzt den Erneuerungsbedarf bei den
Kraftwerkskapazitäten in Deutschland auf 30 Gigawatt
bzw. 30 000 Megawatt. Die Deutsche Energie-Agentur,
dena, stellt in einem Gutachten fest, dass im Jahre 2020,
gleichbleibenden Energieverbrauch vorausgesetzt, die
Differenz zwischen Energieerzeugung bzw. Kraftwerks-
leistung und Jahreshöchstlast 15 800 Megawatt beträgt,
also knapp 16 Gigawatt bei einer Energieerzeugung von
80 Gigawatt in Deutschland insgesamt.

Zur Stromerzeugung in Deutschland tragen die Atom-
kraft mit 22 Prozent, die Steinkohle mit 22 Prozent, die
Braunkohle mit 24 Prozent, Gas mit 12 Prozent und die
erneuerbaren Energien – Wasserkraft, Windkraft, Bio-
masse und Fotovoltaik – mit ungefähr 10 Prozent bei.
Die erneuerbaren Energien sind in den letzten Jahren mit
10 Milliarden Euro – zu zahlen von allen Stromverbrau-
chern – subventioniert worden. Wenn es bei dieser
Stromlücke bleibt – diese lässt sich schlecht wegdisku-
tieren –, stellt sich die Frage, wie sie geschlossen werden
soll, woher die neuen Anlagen kommen sollen und wel-
che Leistung sie erzeugen werden. Atomstrom wird
wahrscheinlich nicht mehr infrage kommen, genauso
wenig wie die Kohle. Es gibt starke Widerstände gegen
neue Kohlekraftwerke. Die neue Technologie CCS wird
es in Deutschland wahrscheinlich nicht geben.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, darüber sollten wir mal reden!)


Es gibt auch Widerstände gegen Windkraftanlagen. Oft
heißt es: Bitte nicht vor der Haustür! Bitte nicht im Meer
vor der schönen Insel Sylt! Biomasseanlagen wollen wir
auch nicht haben, weil sie stinken. – Man kann in
Deutschland so gut wie folgenlos gegen alles sein, auch
gegen neue Stromtrassen. Denn die Politik soll sich da-
rum kümmern, wie der Strom in die Steckdose kommt,
hoffentlich kostengünstig und 24 Stunden am Tag.

Bei Betrachtung dieser Tatsachen stellt sich die Frage,
wie es weitergehen wird. Es bleiben eigentlich nur noch
Gaskraftwerke übrig, um die Energielücke zu schließen.
Das hat zwei Konsequenzen für Deutschland, aber auch
für Europa: Unsere Abhängigkeit von Gasimporten wird
drastisch zunehmen. Deutschland ist zurzeit zu 34 bzw.
35 Prozent von Gaslieferungen aus Russland abhängig.
Diese Abhängigkeit wird wahrscheinlich auf über
40 Prozent steigen. Die Europäische Union ist zurzeit zu
57 Prozent von Gaslieferungen aus Ländern außerhalb
der Europäischen Union abhängig. Diese Abhängigkeit
wird wahrscheinlich auf über 70 Prozent steigen. Eine
Abhängigkeit Europas bzw. Deutschlands von Russland
ist nicht problematisch, wohl aber, dass das Gas durch
Leitungen zu uns kommt, die zu 80 Prozent durch die
Ukraine verlaufen. Wir werden daher ständig in den un-
geklärten Konflikt zwischen Gazprom und der Ukraine
hineingezogen und laufen jeden Winter Gefahr, zur Gei-
sel zu werden.

Als Alternative bleiben zwei zusätzliche Pipelines
– das wurde bereits angesprochen –: zum einen die
Nabucco-Pipeline, um kaspisches Gas nach Europa zu
bringen, und zum anderen die Ostseepipeline. Es wäre
wünschenswert, dass sich nicht nur ehemalige große
Staatsmänner um diese Projekte verdient machten, son-
dern dass auch Europa und die Bundesregierung diese
beiden Projekte viel stärker vorantrieben. Des Weiteren
wäre es wünschenswert – das hat schon mein Kollege
Pfeiffer angesprochen –, dass einer konsistenten Ener-






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Grund
gieaußenpolitik eine kohärente Energieinnenpolitik vo-
rausginge. Es wäre wünschenswert, dass die neue Bun-
desregierung die Zuständigkeiten für die Energiepolitik
in einem Ministerium – noch besser: in einem Energie-
ministerium – bündelte, damit wir hier besser vorankom-
men als in der Vergangenheit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623010900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 16/9826. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6796 mit dem
Titel „Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei
Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/8881 mit dem Titel
„Konsequente Energiewende statt Militarisierung der
Energieaußenpolitik“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen des Hau-
ses angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8181
mit dem Titel „Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Rest der Stimmen des Hauses angenommen.

Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13611 mit dem
Titel „Für eine zukunftsfähige Energieaußenpolitik“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und Gegenstimmen des Bündnis-
ses 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des 1. Untersuchungsausschusses nach
Artikel 44 des Grundgesetzes

– Drucksache 16/13400 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting)

Michael Hartmann (Wackernheim)

Dr. Max Stadler
Dr. Norman Paech
Hans-Christian Ströbele

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Siegfried Kauder, CDU/CSU-Fraktion.

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herkules brauchte für das Einfangen der Kerynitischen
Hirschkuh ein geschlagenes Jahr. Wir brauchten, um un-
sere Aufgabe zu bewältigen, über drei Jahre. In 60 Be-
weisaufnahmesitzungen mit insgesamt 400 Stunden ha-
ben wir 140 Zeugen vernommen, es fielen 5 700 Seiten
Vernehmungsprotokolle an. Es war eine große Aufgabe,
die uns der Deutsche Bundestag übertragen hat. Wir hat-
ten insgesamt sechs Aufgabenkomplexe abzuarbeiten.
Wir haben tiefe Einblicke in die Arbeiten des Bundeskri-
minalamts und der Geheimdienste Deutschlands erlangt.
Die Mitarbeiter dieser Dienste leisten eine wertvolle Ar-
beit für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland. Dafür müssen wir ihnen außerordentlich
dankbar sein. Die Arbeit ist gut gemacht worden, wie-
wohl wir zu dem Ergebnis gekommen sind, dass man ei-
niges noch verbessern könnte.

Wir haben aber auch Einblick in den amerikanischen
Weg, Terrorismus zu bekämpfen, bekommen. Guan-
tánamo, Rendition und Waterboarding sind Begriffe, die
ich mit nichts Gutem verbinden kann.


(Beifall im ganzen Hause)


Das ging Murat Kurnaz nicht anders. Die Frage, die hier
gestellt werden wird – auch wir im Untersuchungsaus-
schuss haben versucht, sie zu ergründen –, ist: Hätte man
Murat Kurnaz früher aus Guantánamo abholen können?
Musste es so lange dauern, bis die Kanzlerin Angela
Merkel dafür gesorgt hat, dass er aus Guantánamo ent-
lassen wurde? Sie werden bei der Erörterung dieser
Frage sehr schnell feststellen, dass ein Untersuchungs-
ausschuss kein Gericht ist. Ich hätte mir aber manchmal
gewünscht, Vorsitzender Richter einer Großen Strafkam-
mer zu sein.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das hat man gemerkt!)


Ein Untersuchungsausschuss ist ein politisches Kampf-
mittel. Da gibt es am Ende kein Urteil, sondern politi-
sche Beurteilungen, und es findet sich jeder im Ergebnis
der Beweisaufnahme wieder.

Es war eine umfangreiche Aufgabe, die wir zu bewäl-
tigen hatten. Eine weitere Frage, die zu beantworten war,
war: Hat Rot-Grün unter Kanzler Schröder und
Steinmeier der Bevölkerung die Unwahrheit gesagt?
Wurde der Wähler bei der Frage, ob sich Deutschland
am Krieg der Amerikaner im Irak beteiligt hat oder
nicht, belogen? Auch dazu werden Sie politische Wer-
tungen hören. Ich bin mir sicher, dass sich auch dabei
wieder ergeben wird, dass wir kein Gericht sind, dass






(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

wir kein Urteil fällen, sondern dass es politische Beurtei-
lungen geben wird.

Die Arbeit im Untersuchungsausschuss war außeror-
dentlich umfangreich. Ein weiterer Komplex wird hier
eher nicht angesprochen werden, nämlich die soge-
nannte Journalistenbespitzelung. Auf die hat der Deut-
sche Bundestag mit dem Gesetz zur Neuordnung der Te-
lekommunikationsmaßnahmen bereits angemessen
reagiert. Die Rechte der Journalisten sind hinreichend
geschützt. Sie brauchen Quellen nicht offenzulegen.
Auch die Politik hat darauf reagiert, indem man nicht
mehr wie früher Journalisten als Quellen nutzt.

Mir war von Anfang an klar, dass man einen derart
umfangreichen Untersuchungsausschuss mit einem ge-
wissen Konzept über die Hürden bringen muss. Gleich
am Anfang habe ich mit den Ausschussmitgliedern Ver-
einbarungen getroffen, dass wir kein Themen-Hopping
machen. Wir haben einen Komplex nach dem anderen
abgearbeitet. Dies hat weitgehend gut funktioniert. Am
Ende darf ich festhalten, dass die Zusammenarbeit mit
allen Ausschussmitgliedern zwar hin und wieder an-
strengend gewesen ist, aber, da auf einer sachlichen Ba-
sis debattiert wurde, immer zu Ergebnissen geführt hat.
Ich danke den Obleuten aller Fraktionen für die koopera-
tive Zusammenarbeit. Ich danke allen Ausschussmitglie-
dern und insbesondere dem Stenografischen Dienst, der
es mit uns bei den Wechseln zwischen öffentlichen,
nichtöffentlichen und geheimen Sitzungen nicht immer
leicht hatte.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vor allem wenn die Leute nicht gut deutsch sprachen!)


Wir wurden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Deutschen Bundestages hervorragend begleitet. Das gilt
auch für das Ausschusssekretariat, insbesondere Herrn
Dr. Berg, dem ich für seine kooperative Zusammenarbeit
außerordentlich danke.


(Beifall im ganzen Hause)


Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht. Jede
Maßnahme muss durch einen Beschluss vorbereitet wer-
den, und der Ausschussvorsitzende hat eine außerordent-
lich schwache Position. Das heißt, er muss sich, wenn er
nicht scheitern will, mit dem Ausschuss bei allen Fragen
arrangieren. Ich kann mich noch daran erinnern, als das
Thema anstand, einen Ermittlungsbeauftragten zu instal-
lieren, der uns die Arbeit erleichtern sollte. Hier bin ich
beim Lesen des Gesetzestextes schier verzweifelt; der
Eingeweihte weiß, was ich meine. Wenn man sich § 10
des Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes
anschaut, der besagt, welche Prozedur zu bewerkstelli-
gen ist, um einen Ermittlungsbeauftragen zu installieren,
dann erkennt man sofort: Kooperatives Zusammenarbei-
ten ist leichter. So habe ich mich von Anfang an dazu
entschlossen, nicht zu polarisieren, sondern den Vorsitz
des Ausschusses möglichst neutral wahrzunehmen. Ich
bin der Auffassung, dass dies für den Ausschuss gut ge-
wesen ist.

Am Ende bleiben für mich Fragen, die wir in diesem
deutschen Parlament vielleicht einmal diskutieren soll-
ten: Kann man die Arbeit eines Untersuchungsausschus-
ses nicht effizienter gestalten? Braucht man dazu drei
Jahre? Bedarf es eines Abschlussberichtes von 1 400
Seiten? Ich komme zu folgendem Ergebnis: Wenn man
die Position des Ausschussvorsitzenden stärkt, wenn
man ihm das Recht gibt, flexibler über Redezeiten zu
verfügen, wäre einiges einfacher. Es war mir hin und
wieder – zugestandenermaßen – ein Dorn im Auge, dass
die Redezeiten nach der sogenannten Berliner Stunde
vergeben wurden. Die kleinen Fraktionen hatten geringe
Redezeiten. Ich kann mich an die eine oder andere Fra-
gerunde des Kollegen Ströbele erinnern, wo ich den si-
cheren Eindruck hatte, dass nur noch eine Frage fehlte,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine?)


bis er sich in einem Bereich zufriedengestellt fühlte. Ich
konnte sie aber nicht mehr zulassen, weil seine Zeit ab-
gelaufen war.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit von Ströbele ist nicht abgelaufen! – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seine Zeit ist nicht abgelaufen! – Weitere Zurufe)


– Ich korrigiere mich hiermit: Seine Fragezeit war abge-
laufen. Dann ist er sicherlich zufrieden. – Da kann ich
mir durchaus eine Änderung vorstellen.

Ich habe auch überlegt, ob es gut ist, dass der Vorsit-
zende und der stellvertretende Vorsitzende eines Unter-
suchungsausschusses aus einer Regierungskoalition
kommen. Das bedeutet nicht, dass ich etwas gegen den
stellvertretenden Vorsitzenden einzuwenden gehabt
hätte; aber es gibt im Untersuchungsausschuss das soge-
nannte Vorsitzendenverfahren, bei dem „Geheim“ einge-
stufte Akten nur von den Vorsitzenden eingesehen wer-
den können. Die Akzeptanz wäre größer, wenn der
stellvertretende Vorsitzende aus einer Oppositionsfrak-
tion gekommen wäre. Ich könnte mir auch durchaus vor-
stellen, diesen beiden mehr Rechte einzuräumen. Auch
das würde zu einer Verfahrensbeschleunigung führen.

Darüber hinaus ist meines Erachtens der Aspekt über-
legenswert, ob man einem Untersuchungsausschuss
nicht ein Zeitfenster vorgibt, innerhalb dessen er seine
Arbeit erledigt haben muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das führt zu ein bisschen mehr Druck für die Untersu-
chungsausschüsse. Ist die Arbeit nicht erledigbar, muss
man einen Zwischenbericht erstellen und dem Parlament
Rechenschaft ablegen, warum es länger dauert. – Sie se-
hen, ich habe mir durchaus Gedanken gemacht, wie man
einen Untersuchungsausschuss effizienter gestalten
kann.

Ich hoffe, ich habe diese Arbeit ordentlich über die
Hürden gebracht. Ich bin der Meinung, dass der Aus-
schuss insgesamt effizient gearbeitet hat. Über die Er-
gebnisse wird man lange streiten können. Ich freue mich
schon auf die Redebeiträge, die sicherlich genauso kon-
trovers ausfallen werden wie die im Untersuchungsaus-






(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

schuss. Ich danke allen, dass sie mir genügend Spiel-
raum für die Führung dieses Untersuchungsausschusses
gelassen haben, und hoffe, dass sie unter meiner Leitung
nicht zu stark gelitten haben.

Danke schön.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623011000

Ich gebe das Wort dem Kollegen Max Stadler, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1623011100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Dieser Untersuchungsausschuss war notwendig,
und er war erfolgreich. Wir haben zahlreiche neue Er-
kenntnisse zutage gefördert. Nur ein Untersuchungsaus-
schuss konnte es leisten, die verschiedensten Vorgänge
minutiös zu überprüfen. Aus Sicht der FDP kam er am
Ende zu einem klaren Ergebnis. Dieses Ergebnis lautet:
Nach dem 11. September 2001 sind leider auch in
Deutschland wiederholt rechtsstaatliche Grundsätze bei
der Gefahrenabwehr massiv verletzt worden. Der Grund
hierfür liegt in einer Fehlentwicklung im Denken; denn
die Bundesregierung war der Meinung, die Rechte Ein-
zelner müssten hinter einer vermeintlichen Staatsräson
zurücktreten. Das ist die Hauptursache all der Fälle, bei
denen etwas schiefgelaufen ist und die wir untersucht
haben.

Heute gab es zu unserer Debatte eine gewisse Be-
gleitmusik aus dem Bundesinnenministerium. Dort hat
aufgrund terroristischer Bedrohungen eine Konferenz
stattgefunden. Es ist richtig, dass sich die Sicherheitsbe-
hörden darüber Gedanken machen. Es ging dort auch um
die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen.
Das ist selbstverständlich eine Grundaufgabe der Sicher-
heitsbehörden. In einem Rechtsstaat müssen sich Nach-
richtendienste und Polizei aber an die Regeln halten, die
ihnen dieses Hohe Haus und die Verfassung vorgeben.


(Thomas Oppermann [SPD]: Machen sie auch!)


Es darf keine Sicherheitspolitik zulasten der Grund-
rechte geben. Genau das mussten wir aber im Ausschuss
feststellen.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Wo denn?)


– Die wesentlichen Ergebnisse nenne ich Ihnen gerne,
Herr Kollege Oppermann.

Erstens. Der Bundesnachrichtendienst hat rechtswid-
rig Journalisten bespitzelt. Das war ein Eingriff in Per-
sönlichkeitsrechte und in die Pressefreiheit.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das war vor unserer Zeit! Da war die FDP noch an der Regierung!)

Es war eine Provokation gegenüber dem Deutschen
Bundestag, dass diese Praxis fortgesetzt worden ist, in-
dem E-Mails einer Journalistin erfasst worden sind, kurz
nachdem der Bundestag diese Praxis des BND öffentlich
kritisiert hatte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Die rot-grüne Bundesregierung hat durch
den Bundesnachrichtendienst vor und während des Irak-
kriegs Informationen aus Bagdad gewinnen und an die
USA übermitteln lassen. Diese Informationen waren für
die Kriegsführung durchaus von Bedeutung. Damit hat
die damalige rot-grüne Bundesregierung ein zentrales
Wahlversprechen gebrochen, nämlich sich nicht am Irak-
krieg zu beteiligen. Das ist in diesem Ausschuss ganz
deutlich geworden.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Damit machen Sie sich doch lächerlich!)


Drittens. Das offizielle Nein der früheren Bundesre-
gierung zum Irakkrieg führte zugleich dazu, dass man
keine zusätzlichen Streitpunkte mit den USA riskieren
wollte. Joschka Fischer brachte dies in Bezug auf die
Verschleppung des unschuldigen deutschen Staatsange-
hörigen Khaled el-Masri durch die Amerikaner deutlich
zum Ausdruck. Der frühere Außenminister Fischer
wurde in der Zeit vom 21. Dezember 2005 zitiert:

El-Masris wegen wollte Berlin nicht den großen
Krach anzetteln.

Er hat der befreundeten Nation aber nicht einmal den
dezenten Hinweis gegeben, dass die Methoden der
Bush-Administration zur Terrorabwehr nicht unsere Me-
thoden sind.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil dies so war, sind wir der Auffassung: Es reicht
nicht aus, sich im Bundestag in Resolutionen für die
Schließung von Guantánamo auszusprechen. Auch das
Handeln der Behörden in Einzelfällen muss an unseren
eigenen rechtsstaatlichen Maßstäben gemessen werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Viertens. Als zwei Beamte des Bundeskriminalamts
Herrn Khafagy kurz nach dem 11. September 2001 in
Bosnien vernehmen sollten, lehnten sie eine Verneh-
mung vor Ort ab, weil Khafagy unter folterähnlichen
Umständen inhaftiert war. Das rechtsstaatliche Gewissen
war zu diesem Zeitpunkt noch intakt. Die richtige Ent-
scheidung der beiden Beamten lautete, dass es keine In-
formationsgewinnung um jeden Preis geben darf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das war ein richtiger Grundsatz.

Fünftens. In der Folgezeit kam es zu einem Paradig-
menwechsel in der deutschen Sicherheitspolitik. Es galt






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Stadler
der von Otto Schily hier im Plenum oft vertretene
Grundsatz: „In dubio pro securitate“ – im Zweifel für die
Sicherheit.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Jetzt sind Sie aber bei Visa, Herr Stadler!)


– Nein. – Es ist eigentlich selbstverständlich, dass man
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger eintritt;
aber dieser Grundsatz führte in der Praxis dazu, dass die
Grundrechte Einzelner nicht mehr geachtet wurden. Das
Grundgesetz verlangt aber eine Sicherheitspolitik unter
Beachtung der Grundrechte, nicht unter ihrer Verletzung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Zweifel für die Freiheit – das ist der Geist der Verfas-
sung. Dagegen ist verstoßen worden.

Ich nenne aus Zeitgründen nur ein einziges Beispiel,
das verdeutlicht, wozu dieser Denkansatz geführt hat. Er
hat zu einer von der Mehrheit im Bundestag getragenen
Gesetzgebung geführt, die das Bundesverfassungsge-
richt immer wieder korrigieren musste, beispielsweise
das verfehlte Luftsicherheitsgesetz.

Sechstens. Der Paradigmenwechsel im Denken wirkte
sich auch auf das Regierungs- und Behördenhandeln
aus. Gegen Murat Kurnaz lagen keine stichhaltigen Be-
weise, sondern nur vage Verdachtsmomente vom Hören-
sagen vor. Da setzte aber die unerbittliche Logik des Prä-
ventionsstaates ein. Die rot-grüne Bundesregierung setzte
sich nicht etwa für die Freilassung von Kurnaz aus Gu-
antánamo ein, sondern verfügte – ganz im Gegenteil –
eine Wiedereinreisesperre. Die schreckliche Wirkung
war eine Art Verbannung auf Verdacht. Diese Verdachts-
mentalität war prägend für die Sicherheitspolitik.

Murat Kurnaz war ironischerweise einer der Gewin-
ner der Bundestagswahl 2005, weil die Bundeskanzlerin
Angela Merkel und der Außenminister Frank-Walter
Steinmeier ihn nach jahrelanger Folter und Inhaftierung
aus Guantánamo herausholten.


(Beifall bei der FDP)


– Moment, meine Damen und Herren. – Warum Kanz-
leramtschef Frank-Walter Steinmeier 2002 nicht einmal
den Versuch unternommen hat, Kurnaz aus Guantánamo
freizubekommen, bleibt für die FDP nach wie vor völlig
unbegreiflich. Ein Wort der Entschuldigung gab es bis
heute nicht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623011200

Herr Kollege Stadler.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1623011300

Ich komme zum Schlusssatz, Frau Präsidentin.

Ralf Dahrendorf hat in seinem letzten Buch vor der
Gegenaufklärung als Reaktion auf den Terrorismus ge-
warnt. Diese Mahnung sollten wir ernst nehmen. Wir
müssen eine Sicherheitspolitik betreiben, die sich an den
Werten der Aufklärung und des Grundgesetzes orien-
tiert. Wenn der Untersuchungsausschuss dazu einen Bei-
trag geleistet hat, dann hat sich die viele Arbeit gelohnt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/ CSU])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623011400

Ich gebe das Wort dem Kollegen Michael Hartmann,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1623011500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses hat es
bereits ausgeführt: Es waren drei lange Jahre mit Ver-
handlungen, Vernehmungen und Diskussionen zu sechs
Themenkomplexen. Alles wurde gründlich und am
Schluss in durchaus großer Kollegialität abgewickelt.
Diese wurde vom Vorsitzenden gefördert und von na-
hezu allen Mitgliedern des Ausschusses gezeigt. Des-
halb will auch ich mit einem Dank an den Ausschuss, an
das Ausschusssekretariat, an die Kolleginnen und Kolle-
gen sowie an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter be-
ginnen. Es sind schon tolle Leute, die einen in einem
Untersuchungsausschusses unterstützen. Vielen Dank
dafür!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Alle Komplexe – bis auf einen, den Journalistenkom-
plex – befassten sich mit den Reaktionen Deutschlands
und der westlichen Welt auf die schrecklichen An-
schläge vom 11. September. Deshalb möchte ich uns al-
len noch einmal vor Augen führen, wie die Situation da-
mals war. Es war die Hamburger Zelle um Mohammed
Atta, von der die dramatischen Anschläge in den USA
ausgegangen waren. Ganz Deutschland, die ganze west-
liche Welt war in Aufregung. Natürlich hatte man in den
USA und anderswo sehr wohl im Auge, dass Deutsch-
land Ausgangspunkt der Anschläge war.

Deshalb war es richtig, dass wir mit US-amerikani-
schen Stellen und mit anderen befreundeten Staaten im
Interesse unserer eigenen Sicherheit gut und eng zusam-
mengearbeitet haben. Es war überhaupt eine gute Zu-
sammenarbeit der westlichen Welt im Kampf gegen den
Terror. Wie dramatisch das war, scheinen viele, die der-
zeit als Pharisäer und Schriftgelehrte auftreten, verges-
sen zu haben. Ich bin froh, dass in jener Zeit genauso
entschlossen wie besonnen, genauso freiheitlich wie
konsequent agiert wurde durch den damaligen Bundesin-
nenminister Otto Schily und die damalige Bundesregie-
rung, vor allem aber durch die vielen Beamtinnen und
Beamten des mittleren, gehobenen oder höheren Diens-
tes unserer Sicherheitsorgane. Wir haben allen Grund,
ihnen – auch im Rückblick – Danke schön zu sagen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU])


Dieser Dank ist auch deshalb notwendig – Herr Kol-
lege Dr. Stadler, Sie sind darauf eingegangen –, weil die






(A) (C)



(B) (D)


Michael Hartmann (Wackernheim)

Sicherheitslage in Wirklichkeit nicht so entspannt ist,
wie wir uns es gemeinsam wünschen würden. Man muss
deshalb immer sehr aufpassen, dass in Debatten, wie wir
sie nun zu führen haben, nicht zu viel Porzellan zerbro-
chen wird. Am besten ist es, wenn kein Porzellan zerbro-
chen wird. Wir brauchen nämlich gut funktionierende,
hoch motivierte und engagierte Menschen in diesen Be-
hörden, denen wir mit dem Ausschuss als politischem
Kampfinstrument nicht in die Beine treten dürfen, Herr
Kauder. Eigentlich geht es doch darum, sie zu unterstüt-
zen.

Deshalb greife ich gerne den Fall Khafagy auf, lieber
Herr Dr. Stadler, den Sie eben erwähnt haben. Herr
Khafagy war – in München lebend, aber mit ägypti-
schem Pass – auf dem Balkan auf übelste Weise von US-
Truppen festgesetzt worden. Dabei wurde er misshan-
delt. Davon wussten wir, die deutsche Seite, nichts, als
uns das Angebot gemacht wurde, ihn dort nicht nur zu
besuchen, sondern auch zu befragen. Das ist dann ge-
schehen. Das Befragerteam ist ordnungsgemäß hinge-
reist; denn es wäre möglich gewesen, dass wir Erkennt-
nisse darüber erzielen, ob er eine Bedrohung für
Deutschland darstellt oder Erkenntnisse über Bedrohun-
gen hat. Dann stellte man aber fest, ohne die Person ge-
sehen zu haben, dass die Dokumente blutverschmiert
waren. Es wurde klar, dass dieser Mensch übel behandelt
worden war. Deshalb war es gut und richtig und keine
Frage eines langen Abwägens, dass die Beamten sich
gegen eine Vernehmung entschieden haben. Dazu
brauchten sie keine Extrarichtlinien oder besondere An-
weisungen. Das sind gute deutsche Polizei- und Sicher-
heitsbeamte gewesen, die ohne zusätzliche Anweisung
gehandelt haben.


(Wolfgang Gunkel [SPD]: So ein Selbstverständnis haben die!)


Das zeigt, dass Deutschland auch in dieser Ära korrekt
und positiv gehandelt hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Max Stadler [FDP]: Damals noch!)


Ich übertrage das auch auf alle weiteren Fälle, die wir
im Ausschuss zu behandeln hatten. Auch dort gab es
kein Mitmachen, kein Dulden oder ein Akzeptieren des
überzogenen Agierens der Vereinigten Staaten von Ame-
rika. Wenn dieser Untersuchungsausschuss sich mit ei-
nem Skandal befasst hat, dann ist das der Skandal, dass
die damalige Bush-Administration in ihrem berechtigten
und notwendigen Kampf gegen den Terror jedes Maß
verloren hat und nicht den Terror bekämpft hat, sondern
durch Abu Ghureib und Guantánamo Generationen von
Terroristen gezüchtet hat. Das ist das Fehlverhalten, das
wir öffentlich anzuprangern haben.

Das gilt auch für den Fall des Murat Kurnaz. Dieser
Mann war – wenn wir ehrlich sind – nicht gerade engels-
gleich. Angeblich um seine religiöse Bildung zu vertie-
fen, reiste er wenige Wochen nach dem 11. September
ausgerechnet ins pakistanische Bergland. Um seine reli-
giöse Bildung zu vertiefen, war er mit Springerstiefeln,
Khakihosen und Feldstecher ausgerüstet. Ausgerechnet
um seine religiöse Bildung im pakistanischen Bergland
wenige Wochen nach dem 11. September zu vertiefen,
ist dieser Mann mit einem Ticket gereist, das von einem
bekannten Gefährder bezahlt wurde. Um seine religiöse
Bildung zu vertiefen, hat dieser Mensch, der kein Wort
Arabisch spricht – er ist türkischer Staatsbürger –, bei
vielen Adressen angeklopft, wurde aber immer wieder
abgewiesen. Um nicht missverstanden zu werden: Das
rechtfertigt nicht für eine Sekunde das, was ihm wider-
fahren ist, nachdem er in die Hände der US-Streitkräfte
geraten war.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Ich sage das deshalb, weil es zu jener Zeit richtig war,
dass deutsche Sicherheitsbehörden wenige Wochen nach
dem 11. September der Meinung waren, dass er eine ge-
fährliche Figur sei, eine Figur, die man im Blick behal-
ten müsse. Das war gut, richtig und notwendig.


(Beifall bei der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Guantánamo – Steinmeier! Steinmeier – Guantánamo!)


– Wenn Sie versuchen würden, Ihre Gedanken zu
ordnen, dann würden Sie feststellen, liebe Kollegin
Dağdelen, dass Guantánamo eine Einrichtung der USA
war. Die damalige Bundesregierung hat sehr früh und
sehr deutlich – übrigens unter heftigem Protest der da-
maligen Opposition – gegen dieses menschenrechtswid-
rige Lager interveniert.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Was?)


– Es gab Briefe, sehr geehrter Herr Stadler, und Stellung-
nahmen, beispielsweise durch Außenminister Fischer.
Diese haben wir auch im Ausschuss behandelt. Darauf-
hin gab es wütende Reaktionen der damaligen Opposi-
tion, die forderte,


(Dr. Max Stadler [FDP]: Was? Nein!)


dass man doch nicht in einer solchen Sicherheitslage ge-
schmäcklerisch mit diesem Thema umgehen sollte.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Wieder einmal etwas Falsches aufgeschrieben!)


Wie dem auch sei, meine Damen und Herren, ich sage
eines: Wer sich im Jahre 2005 für die Freilassung des
Herrn Kurnaz – der so zu bewerten war, wie ich es sagte
– eingesetzt hat, der sollte sich heute wahrhaftig nicht
anstellen, wenn es darum geht, Personen, die eindeutig
unschuldig sind, hier in Deutschland im Zuge eines hu-
manitären Aktes aufzunehmen. Hier können wir unsere
Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.


(Thomas Oppermann [SPD]: So ist es!)


Gut, wenn die Kanzlerin gemeinsam mit Bundesaußen-
minister Steinmeier für Herrn Kurnaz gekämpft hat,
noch besser, wenn wir jetzt die Leute, die die USA frei-
lassen wollen und die nicht in ihre Heimatländer zurück-
kehren können, ausnahmsweise im Zuge eines humani-
tären Aktes aufnehmen. Helfen Sie mit dabei, damit wir
das gemeinsam hinbekommen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Hartmann (Wackernheim)

Ich sage das vor allem in Richtung der Innenpolitiker der
Union.

Der größte Aufreger – anscheinend nicht für Frau
Dağdelen, sondern für die breite Öffentlichkeit – war in
der Tat das Thema Bagdad. Deshalb möchte ich einen
Moment lang auch an die tatsächliche Geschichte erin-
nern. Es war so, dass sich Deutschland eindeutig und
unmissverständlich von diesen illegitimen und men-
schenrechtswidrigen Kriegsbemühungen der US-ameri-
kanischen Seite abgewandt hatte.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist jetzt widerlegt!)


Deshalb war es auch klar, dass wir es in dieser Zeit sehr
schwer hatten, eigene Informationen zu erhalten. Des-
halb war es richtig, dass wir damals mit eigenen Agenten
in Bagdad präsent waren, um ein eigenes Lagebild zu er-
halten.


(Widerspruch bei der FDP – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die haben Sie weitergegeben!)


Das war ebenfalls gut, richtig und notwendig. Diese In-
formationen, die wir erhalten haben,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sie weitergegeben an die USA!)


wurden zu keinem Zeitpunkt genutzt, um die taktisch-
operative Kriegsführung der USA zu unterstützen. Wer
im Ausschuss dabei war – ich hatte den Eindruck, Sie
seien dabei gewesen –, kann sich vielleicht dunkel daran
erinnern, dass jede einzelne Meldung, die das SET aus
Bagdad geliefert hat,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)


von mir dem relevanten Zeugen 38B präsentiert wurde.
Keines dieser Daten hat dazu gedient, um die taktisch-
operative Kriegsführung zu unterstützen.

Ich sage Ihnen noch eines: Die USA hätten uns auch
gar nicht gebraucht. Sie haben unsere Unterstützung in
der Zeit auch gar nicht gewollt. Das Verhältnis war nicht
gerade freundschaftlich.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Aha! Habt ihr denen die Daten aufgedrängt?)


Sie hätten uns erstens nicht gebraucht, weil sie selbst mit
nahezu 100 eigenen sogenannten Rockstars in Bagdad
unterwegs waren, und zweitens, weil sie mit Drohnen
und anderen technischen Möglichkeiten jeden Parksün-
der in Bagdad ermitteln konnten. Da sollen die zwei
Agenten, die im Keller der französischen Botschaft wäh-
rend der Bombenangriffe um ihr Leben fürchten muss-
ten, tatsächlich Kriegsrelevantes geliefert haben? Das ist
absurd und grotesk.


(Beifall bei der SPD)


Eines verstehe ich nicht, Herr Ströbele: Ich kann zwar
nachvollziehen, warum die Union in der Form agiert,
wie sie agiert – sie will nämlich den Kanzlerkandidaten
der SPD beschädigen –,


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das macht ihr schon selber!)


ich kann aber nicht nachvollziehen, dass Sie einer Des-
avouierung der damaligen rot-grünen Friedenspolitik die
Hand reichen. Das werde ich niemals verstehen, sehr ge-
ehrter Herr Ströbele.


(Beifall bei der SPD)


Gut, Sie kommen zu dem Ergebnis, die bösen Schurken
waren bei der SPD, aber Fischer, der reine Tor, schwebte
damals durch die Hallen des Auswärtigen Amtes, nichts-
wissend und nichtsahnend. Wer soll Ihnen das eigentlich
glauben, Herr Ströbele? Überlegen Sie einmal, ob Sie
sich da nicht ganz falsche Themen und ganz falsche
Bündnispartner ausgesucht haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie irgendeine Erkenntnis, die dagegen spricht?)


In Richtung der Union sei eines gesagt: Wer mag,
kann gerne das Thema „Agenten in Bagdad“ zum Wahl-
kampfschlager erheben. Ich freue mich darauf, einmal
darüber zu diskutieren, wer damals unter Inkaufnahme
von Nachteilen und Repressionen bereit war, eine konse-
quente Friedenspolitik durchzusetzen und durchzuhal-
ten, oder wer damals bei George W. Bush auf dem Schoß
saß und ihm versicherte, nicht alle in Deutschland wür-
den so wie Rot-Grün denken, und die Meinung vertrat,
ein Kriegseinsatz sei möglicherweise nötig und Deutsch-
land solle sich daran beteiligen.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Die einen haben geredet, die anderen gehandelt!)


Ich bin froh, dass wir zwei Agenten in Bagdad hatten,
um uns ein eigenes Lagebild machen zu können. Ich bin
froh, dass wir niemals auch nur einen Soldaten nach
Bagdad geschickt haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie, meine Damen und Herren, werden keinem Sozialde-
mokraten den Stolz darauf nehmen können, dass sich die
SPD damals eindeutig als Friedenspartei erwiesen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Untersu-
chungsausschuss mit ganz spannenden Phänomenen ist
zu Ende gegangen. Da gab es Zeugen aus den USA, ehe-
malige Geheimdienstmitarbeiter, ehemalige Offiziere,
die gravierende Vorwürfe erhoben haben und alles ins
Wanken hätten bringen können. Aber wenn es ernst
wurde, sind sie trotz Vorladung nicht erschienen. Dies ist
spannend, interessant und bemerkenswert auch in puncto
Glaubwürdigkeit der Aussagen.

Wir befinden uns nun am Ende eines Untersuchungs-
ausschusses, der viele Feststellungen getroffen hat, die
man bereits in uralten Berichten an das Parlamentarische
Kontrollgremium nachlesen konnte. Aber, sehr geehrter
Herr Stadler, wir sind auch am Ende eines Untersu-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Hartmann (Wackernheim)

chungsausschusses, dem es gelungen ist, diesen wirklich
skandalösen Fall der Journalistenbespitzelung aufzuar-
beiten. Er hat es geschafft, dass die parlamentarische
Kontrolle unserer Nachrichtendienste verbessert und op-
timiert wurde. Das ist gutes und konstruktives Zusam-
menarbeiten im Interesse unserer inneren Sicherheit, und
so sollten wir weitermachen, wenn sich der Pulverdampf
verzogen hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623011600

Ich gebe dem Kollegen Dr. Norman Paech für die

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623011700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sie haben es gehört: Es waren drei Jahre harte Arbeit,
und auch ich frage mich natürlich, ob sie erfolgreich war.
Lieber Kollege Hartmann, es ist ganz anders. Denn unser
Befund über die Rolle der Regierung und der Sicher-
heitsdienste ist miserabel ausgefallen.

Um es zusammenzufassen: Seitdem die Terrorismus-
bekämpfung ab dem 11. September 2001 zu einem zen-
tralen Element der deutschen Innen- und Außenpolitik
geworden ist, hat bei Regierung und Sicherheitsbehör-
den eine erschreckende Erosion der Maßstäbe des
Rechtsstaats und der Vorstellungen der Rechtsstaatlich-
keit eingesetzt.

Der Krieg gegen den Terror, den die USA ausgerufen
haben, hat die Bundesregierung in eine vollkommen
falsch verstandene Bündnistreue zu ihrem NATO-Part-
ner geführt und sie letztlich zum Komplizen schwerer
Menschenrechtsverletzungen gemacht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung hat nämlich nicht nur der CIA


(Thomas Oppermann [SPD]: Sie argumentieren immer noch aus der Perspektive des Warschauer Paktes!)


pauschale Überflugsrechte über deutsches Territorium
und logistische Unterstützung bei ihren Verschleppungs-
flügen Terrorverdächtiger gewährt. Vielmehr hat sie
durch eigene Vernehmungen der Verschleppten und In-
haftierten selbst von der Folter profitiert. Die Bundesre-
gierung hat Hilfe für die Inhaftierten in ihrer wirklich
menschenrechtswidrigen Situation unterlassen, aber zu-
gleich Personendaten an die USA und an Staaten, die
überhaupt keinen Datenschutz kennen, weitergeleitet.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Das ist leider wahr!)


Und schließlich hat sie den USA direkte und auch aktive
Beihilfe in ihrem Krieg gegen den Irak im Jahr 2003 ge-
leistet.

Ich will Ihnen das an vier Beispielen kurz erläutern.
Erstens. Anfang Dezember 2001 wurde der Deutsch-
Syrer Mohammed Haydar Zammar von US-Kräften in
Marokko entführt und nach Syrien gebracht. Nach
Marokko war Zammar Ende Oktober von Hamburg aus
gereist, obwohl der Generalbundesanwalt zu der Zeit
gegen Zammar wegen Mitgliedschaft in einer terroristi-
schen Vereinigung nach § 129 a StGB ermittelt hat. Er
war der massiven Unterstützung von al-Qaida und auch
der massiven Unterstützung des und Kontakten zum
Osama-bin-Laden-Netzwerk verdächtig.

Er stand zwar unter ständiger Beobachtung, erhielt
aber in Hamburg ohne Weiteres und ohne Probleme ei-
nen Reisepass, obwohl ihm der Pass nach den geltenden
Bestimmungen des Passgesetzes hätte vorenthalten wer-
den müssen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wieso denn? Das war ein freier Bürger!)


Seine Reisedaten wiederum wurden den USA und auch
Marokko übermittelt. Und erst diese rechtswidrige Er-
möglichung der Ausreise Zammars aus Deutschland
nach Marokko


(Thomas Oppermann [SPD]: Wieso rechtswidrig? Wir sind doch nicht in der DDR! Wir haben Reisefreiheit, Herr Kollege!)


hat ihn dort in die Situation gebracht, die dann zu der
Entführung nach Syrien führte.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine rechtswidrige Ausreise! – Weitere Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Lesen Sie das im Bericht nach. All das ist dokumen-
tiert.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623011800

Herr Kollege, der Herr Kollege Oppermann würde

gerne eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623011900

Gerne.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1623012000

Herr Kollege Paech, ist Ihnen bekannt, dass in der

Bundesrepublik Deutschland allgemeine Reisefreiheit
herrscht?


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Ausreisefreiheit!)


– Auch Ausreisefreiheit. – Ist Ihnen auch bekannt, dass
jemandem, gegen den nichts vorliegt, die Gewährung ei-
nes Passes nicht verweigert werden kann?


(Dr. Max Stadler [FDP]: Aber es werden doch zurzeit dauernd Ausreisesperren verhängt!)


Ich bitte Sie, einmal darzustellen, warum die Ausstel-
lung eines Passes an Herrn Zammar eine rechtswidrige
Maßnahme gewesen sein soll.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623012100

Herr Oppermann, Sie sind Jurist. Sie werden daher si-

cherlich § 7 des Passgesetzes kennen. Darin heißt es,
dass ein Pass zu versagen ist,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann!)


wenn ein Verdacht auf Gefährdung der Sicherheit
Deutschlands, also beispielsweise ein Terrorismusver-
dacht, vorliegt. Das heißt, es ist nicht nur „kann“,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nein! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn!)


sondern das ist dann so. Dann wird der Pass verweigert.

Diese Prüfung ist gemacht worden. Obwohl wegen
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung er-
mittelt wurde, hat man gesagt, dass eigentlich nichts vor-
liegt. Das ist rechtswidrig.


(Beifall bei der LINKEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man ihm den Pass verweigert hätte, dann hätten Sie auch gesagt, dass es rechtswidrig ist!)


Sie wissen auch: Nachdem Zammar dann von den
Amerikanern nach Syrien verschleppt worden war,
wurde er in syrischer Haft – er befindet sich noch heute
dort – gefoltert. Es war schon damals bekannt, dass es in
Syrien dieses Foltergefängnis gibt. Dennoch reisten Be-
amte des Bundeskriminalamtes nach Syrien, befragten
Zammar und haben ihre Erkenntnisse danach dem Gene-
ralbundesanwalt übermittelt. Das ist ein Hohn auf ein
rechtstaatliches Verfahren und ein Hohn auf das Folter-
verbot.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623012200

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Stadler?


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623012300

Ja.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1623012400

Herr Kollege Professor Paech, Sie haben gerade dar-

gestellt, dass es ziemlich eigenartig anmutet, dass man
jemandem, der verdächtig war, die Ausreise gestattet
hat. Man hat am Flughafen sogar einen Beamten plat-
ziert, der überprüfen sollte, ob er wirklich ausreist. Dann
ist derjenige spurlos von der Bildfläche verschwunden.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: In Marokko!)


Jetzt haben viele, die sich mit dieser Thematik wahr-
scheinlich noch nicht befasst haben, empört reagiert und
sich gefragt, wie man denn auf die Idee kommen könnte,
jemandem einen Reisepass zu verweigern. Der Spiegel
hat am 30. Mai 2009, also vor Kurzem, auf Seite 19 un-
ter der Überschrift „Ausreiseverbot nach Pakistan“ be-
richtet, es sei nach Erkenntnissen einer Arbeitsgruppe
von Polizisten und Verfassungsschützern eine stark ver-
mehrte Reisetätigkeit zu beobachten. Weiter heißt es
wörtlich:

Wenn möglich, wollen die Sicherheitsbehörden ihre
Abreise verhindern, indem die Polizei beispiels-
weise den Reisepass einzieht.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist Praxis im Jahr 2009.

Stimmen Sie mit mir überein, dass man sich zumin-
dest Gedanken darüber machen kann, warum das, was
2009 von den Sicherheitsbehörden praktiziert wird, im
damaligen Fall nicht praktiziert wurde und der Betrof-
fene dann anschließend verschleppt worden ist?


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623012500

Das ist mir bekannt. Der Fall, den Sie zitieren, ist

nicht der erste Fall seiner Art. Schon bei anderen Gele-
genheiten – zum Beispiel dann, wenn Oppositionelle zu
G-8-Treffen reisen wollten – ist Personen die Ausreise
verboten worden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir doch nicht gut!)


Das ist Praxis. In diesem Fall ist es sogar so, dass zwei
BKA-Beamte zur Passstelle nach Hamburg gefahren
sind, um sich zu erkundigen, ob dort etwas vorliegt. Als
dieses verneint wurde, waren sie zufrieden. Diese Beam-
ten haben auch am Flughafen nachgefragt und zurückge-
meldet, dass nichts vorliegt und eine Ausreise möglich
ist. Die entsprechenden Daten wurden an die USA und
Marokko übermittelt. Schließlich kam es dazu, wozu es
kommen musste, nämlich dass die Personen nach Syrien
entführt und dort gefoltert wurden. Dieser Weg ist wider
jegliches rechtstaatliche Verfahren. Man wusste, dass sie
in Syrien im Gefängnis Far-Filastin gefoltert wurden.
Dieses ist ein Hohn auf das Folterverbot. Das ist die Tat-
sache.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte jetzt das zweite Beispiel nennen. Das
Schicksal des Bremers Murat Kurnaz ist Ihnen weithin
bekannt. Wir werfen der damaligen Regierung vor, dass
sie auch ihn trotz Kenntnis seiner menschenunwürdigen
Inhaftierung vernehmen ließ, ohne irgendetwas gegen
seine skandalöse Verhaftung zu unternehmen und ohne
ihm aus dieser gegen alle Menschenrechte verstoßenden
Situation zu helfen. Darüber hinaus haben sich deutsche
Behörden bis 2006 geweigert, Murat Kurnaz wieder in
Deutschland aufzunehmen. Auch das zeugt von einer
Verwilderung der rechtsstaatlichen Vorstellungen. Au-
ßerdem zeugt der Umgang mit diesem Menschen von er-
heblichen moralischen Defiziten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein drittes Beispiel. Bereits Wochen nach den An-
schlägen von jenem September kam es zu den ersten
Entführungen deutscher Staatsbürger. Die Bundesregie-
rung erfuhr von diesen illegalen Verschleppungen noch
im selben Jahr. Gleichwohl versorgte sie die US-Behör-
den intensiv mit ihren Erkenntnissen über die Ver-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norman Paech
schleppten. Ja, sie hat das Netz der Verschleppungsflüge
der USA über Jahre gefördert, nämlich dadurch, dass sie
einfach weggehört und weggesehen hat, wenn die CIA
deutschen Luftraum und deutschen Boden nutzte. Was
ist das für ein Verständnis von Souveränität, wenn man
sie opfert, um illegale Verschleppungsflüge zu ermögli-
chen?

Ein viertes Beispiel. Die Untersuchungen haben ein-
deutig ergeben, dass die Bundesregierung mit dem Ein-
satz ihrer BND-Mitarbeiter in Bagdad wie in Doha einen
sehr konkreten und sehr aktiven Beitrag zu der Kriegs-
führung der USA geleistet hat. Herr Hartmann, das ha-
ben uns selbst Militärs, die dabei gewesen sind, bestä-
tigt. Die permanente Versicherung, man habe sich nur
auf die Weitergabe sogenannter Non-Targets beschränkt,
hat sich als vollkommen substanzloses Gerede herausge-
stellt. Nicht umsonst – auch daran ist zu erinnern – ha-
ben diese BND-Mitarbeiter von der US-Heeresführung
wegen ihrer wertvollen Tätigkeiten nicht ganz unwich-
tige Verdienstmedaillen bekommen. Noch schlimmer ist
Folgendes: Der Krieg war nicht nur ein Bruch des Ver-
sprechens der SPD, sich nicht am Krieg zu beteiligen,
sondern der Krieg war eindeutig völkerrechtswidrig,


(Beifall bei der LINKEN)


und jede Beteiligung daran war ebenfalls ein schwerer
Verstoß gegen das Völkerrecht.

Die Frage ist natürlich, wer für all diese Verfehlun-
gen, für diesen Verlust an rechtsstaatlichem Bewusstsein
verantwortlich ist. Auf jeden Fall natürlich die Spitzen
der Sicherheitsbehörden, aber auch der damalige Chef
des Kanzleramtes und Beauftragte der Bundesregierung
für die Sicherheitsbehörden, der jetzige Außenminister
Steinmeier, der es offensichtlich vorzieht, sich das
Ganze heute bei Phoenix anzuschauen. Der Außenminis-
ter war über alle Verschleppungsfälle frühzeitig infor-
miert. Spätestens seit der Inhaftierung von Kurnaz im
Januar 2002 wusste er von der illegalen Verschleppungs-
praxis der USA. Er war dafür verantwortlich, dass die
rechtsstaatlichen Maßstäbe in geradezu rasantem Tempo
einer falsch verstandenen Loyalität und Bündnisver-
pflichtung gegenüber den USA geopfert wurden. Viel
schlimmer ist: Bis heute behauptet er trotz ganz eindeuti-
ger Beweise des Ausschusses, dass er erst 2005 von all
dem sicher gewusst habe. Dieses beharrliche Leugnen
– ich will es einmal vorsichtig ausdrücken – ist beileibe
keine Empfehlung für weitere, vielleicht sogar höhere
Regierungsverantwortung.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wir können ja Diether Dehm zum Kanzler machen!)


Was folgt daraus? Wir stellen drei Forderungen auf:

Erstens. Die Linke fordert eine peinlich genaue Kon-
trolle aller Flugbewegungen der CIA, und zwar auch auf
den Militärstützpunkten der USA. Zudem fordern wir
ein strafbewehrtes Verbot, deutsches Hoheitsgebiet für
Gefangenentransporte zu nutzen.

Zweitens. Wir fordern, dass Befragungen von Perso-
nen, die unter Bedingungen inhaftiert sind, die Folter
gleichen, definitiv verboten werden. Bis heute sind Be-
fragungen ohne Haftbefehl in ausländischen Haftanstal-
ten nicht generell untersagt. Es besteht nicht einmal die
Pflicht, dass man sich vorher informiert, welche Zu-
stände in diesen Gefängnissen herrschen. Das ist unhalt-
bar und verletzt die absolute Pflicht, der Folter keinen
Vorschub zu leisten.

Letztens. Die Kontrolle der Geheimdienste ist nach
wie vor lückenhaft. Daran hat sich nichts Entscheiden-
des durch das, was die Presse das jüngste „Reförmchen“
des Parlamentarischen Kontrollgremiums nennt, geän-
dert. Nach wie vor sind die Rechte der Minderheiten völ-
lig unzureichend.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das sieht die Bundesregierung aber anders!)


Dies ist eines der größten Defizite, die wir während un-
serer Arbeit im Untersuchungsausschuss erfahren muss-
ten. Lesen Sie sich einmal die Voten der Koalition
durch! Dann werden Sie merken, dass die Opposition –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623012600

Herr Kollege!


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623012700

– ich komme gleich zum Ende – die einzige Kraft

war, die einen wirklichen Aufklärungswillen gehabt hat.
Dieser wurde aber nicht nur durch die restriktive Infor-
mationspolitik der Regierung, sondern zum Teil auch
durch massive Blockade seitens der Koalitionsfraktionen
behindert.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623012800

Herr Kollege, Sie wollten jetzt zum Ende kommen.


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623012900

Ich bin mehrmals unterbrochen worden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623013000

Ich habe für diese Zeit die Uhr gestoppt; die Redezeit

ist da nicht weitergelaufen. Sie hatten sowieso mehr Re-
dezeit. Ich bitte Sie, jetzt nur noch einen Schlusssatz zu
sagen.


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623013100

Wo die Kontrolle bei der Mehrheit wirklich zur Weiß-

wäsche verkommt, müssen die Rechte der Minderheiten
gestärkt werden.

Ein allerletztes Wort. Diese Untersuchung wird nur
dann erfolgreich sein, wenn sich die Regierung in Zu-
kunft wieder auf die rechtsstaatlichen Prinzipien besinnt
und die Reformen, die wir machen, durchsetzt.

Und ein allerletztes Wort des Dankes – –


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623013200

Herr Kollege, ich schalte Ihnen jetzt das Mikrofon ab.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623013300

Gut, dann werde ich den Dank an meine Mitarbeiterin

Sandra Obermeyer und meinen Mitarbeiter Jens
Lehmann zu Protokoll geben.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Nicht zu fassen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1623013400

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Christian

Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich glaube, am Anfang muss ich zwei Sätze dazu
sagen – das wollte ich eigentlich gar nicht –, was Auf-
gabe eines Untersuchungsausschusses ist. In einem Un-
tersuchungsausschuss, Herr Kollege Hartmann, geht es
nicht darum, dass die einen die Regierung gesundbeten
und weißwaschen, während die anderen sagen: Wir müs-
sen die „bashen“, wir müssen alles auf sie abladen und
ihnen alles Böse unterstellen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht Herr Hartmann das aber!)


Bündnis 90/Die Grünen und ich selber haben damals
diesen Untersuchungsausschuss gefordert, obwohl wir
wussten, dass es zentral um die Zeit der rot-grünen
Koalition ging; denn wir wollten aufklären. Wir haben
gesagt: Ohne Ansehen von Personen, Parteien und Re-
gierungskonstellationen klären wir auf.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Deshalb schonen Sie Fischer!)


Wir wollen die Fakten auf den Tisch bekommen, Fakten,
die wir leider damals im Parlamentarischen Kontrollgre-
mium nicht aufklären konnten. Deshalb stehe ich jetzt
hier und versuche, nüchtern ein Ergebnis vorzutragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wie das Ihre Art ist!)


Ich werde – das muss ich Ihnen leider sagen, Herr
Kollege Paech – hier jetzt nicht den Vorwurf gegen die
damaligen Behörden oder gar die damalige Bundesregie-
rung richten, dass sie jemanden haben ausreisen lassen,
der angegeben hatte, aus familiären Gründen wolle er
nach Marokko reisen. Genauso wenig werde ich mich
dem anschließen, Herr Kollege Stadler, was ich in Ihrem
Bericht lese: Die Mitglieder der rot-grünen Bundesregie-
rung haben die Akteneinsicht im Untersuchungsaus-
schuss verweigert. Dazu kann ich nur sagen: Da muss
zeitlich etwas durcheinander gegangen sein; denn die
rot-grüne Koalition gab es nicht mehr, als der Untersu-
chungsausschuss eingerichtet worden ist.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind im falschen Film!)

Man sollte nicht immer versuchen, die Schuld nur nach
Parteizugehörigkeit, Opposition und Koalition, zu ver-
teilen. Es bleibt genug übrig.

Bevor ich in die Einzelheiten gehe, stelle ich als Ers-
tes fest, dass eine erhebliche Verantwortung bei den
Bundesregierungen der 90er-Jahre liegt im Fall der Jour-
nalistenbeobachtung, bei der rot-grünen Bundesregie-
rung, aber auch bei der neuen Bundesregierung, die seit
2005 am Ruder ist. Einen Vorwurf mache ich allen. Er
betrifft unsere Möglichkeiten als Parlament, die Bundes-
regierung und die ihr unterstellten Sicherheitsdienste zu
kontrollieren. Wir alle haben übereinstimmend festge-
stellt, dass alle Bundesregierungen ihren Verpflichtun-
gen, das Parlamentarische Kontrollgremium oder gar
dieses gesamte Parlament zu informieren und uns Kon-
trollmöglichkeiten zu geben, nicht nachgekommen sind.
Das geht so nicht. Das ist eine Missachtung des Parla-
ments. Wenn über solch wichtige Vorkommnisse und be-
sondere Vorgänge nicht informiert wird, kann man sich
das Parlamentarische Kontrollgremium auch sparen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt komme ich auf die einzelnen konkreten Punkte
zu sprechen – Herr Kollege Hartmann, an dieser Stelle
muss ich mich mit Ihnen auseinandersetzen –: In Bagdad
waren damals zwei deutsche Soldaten im Dienst des
Bundesnachrichtendienstes, und ein weiterer deutscher
Soldat im Dienst des Bundesnachrichtendienstes war
beim US-Hauptquartier in Katar. Die beiden Soldaten,
die in Bagdad waren, haben Informationen geliefert, von
denen man schlechterdings nicht sagen kann, dass sie
nicht militärische Objekte oder mögliche Angriffsziele
betrafen. Sie betrafen unter anderem die Republikani-
schen Garden, Zwillingsgeschütze, einen Offiziersklub
der Luftwaffe und ein Ausweichquartier des irakischen
Geheimdienstes; das sind nicht gerade humanitäre Ob-
jekte. Die Informationen, die ich Ihnen genannt habe,
wurden von den beiden Soldaten nach Deutschland und
an das US-Hauptquartier weitergeleitet.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das ist entscheidend!)


Wer immer noch nicht glaubt, dass es sich um mögli-
che militärische Ziele handelte, der sollte folgende Mel-
dung, die diese Soldaten kurz vor Ende des Krieges aus
Bagdad geschickt haben, lesen: Bei uns um die Ecke, in
der Straße neben der Botschaft, befinden sich Militär-
quartiere, offenbar Quartiere von Würdenträgern des Mi-
litärs. Dieser Meldung haben sie hinzugefügt: „Bitte
nicht mit Artillerie oder mit Raketen angreifen, sondern
mit Special Forces“. Offensichtlich fürchteten sie, dass
sie, wenn man diese Ziele mit der Luftwaffe angreift, zu
den Kollateralschäden gehören.

Lassen Sie mich aus den zahlreichen Mails, die ver-
sandt worden sind, ein zweites Beispiel anführen. Der
Gardist schrieb aus dem CENTCOM, dass er nicht ver-
steht, warum die Meldungen immer so spät kommen, da
auf eine Anfrage nach gewissen Standorten in der Regel
konkrete Operationen vor Ort folgen. Er wollte die ent-
sprechenden Meldungen also viel zeitnaher bekommen.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Christian Ströbele

(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Aber er hat sie nicht bekommen!)


Er hat deshalb gefordert, dass die Meldungen schneller
verschickt werden.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Noch einmal: Er hat sie nicht bekommen!)


Das ist nicht zu bestreiten oder infrage zu stellen. Das
sollte man auch nicht leugnen, sondern man sollte die
Frage stellen, wer die Verantwortung dafür trägt, dass
der Bundesnachrichtendienst die Kriegführung der USA
im Irak konkret unterstützt hat.

Mir tut leid, dass das Ganze geschehen ist. Auch ich
erkenne hier einen erheblichen Widerspruch zu der Poli-
tik, die ich vertreten habe und die die rot-grüne Koalition
vertreten hat. Ich kann nur sagen: Ganz offensichtlich
sind Teile des Bundesnachrichtendienstes außer Kon-
trolle geraten. Wenn man das nicht zur Kenntnis nimmt,
wird man so etwas auch in Zukunft nicht verhindern
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das ist Geschichtsklitterung!)


Die Verantwortung dafür trägt der damalige Chef des
Kanzleramtes, der von den Einzelmeldungen wahr-
scheinlich nichts gewusst hat; jedenfalls gibt es keine ge-
genteiligen Beweise. Dennoch trägt er die politische
Verantwortung dafür, dass die Weisungen, die er aus
dem Kanzleramt erteilt und an Herrn Hanning gegeben
hat, ganz offensichtlich nicht nach unten weitergeleitet
worden sind und deren Einhaltung nicht genügend kon-
trolliert worden ist. Das ist eine Schuld, mit der er zu-
rechtkommen muss. Deswegen hätte ich ihn gern heute
hier gesehen.

Jetzt komme ich zu einem anderen Punkt, der hier be-
reits mehrfach erörtert worden ist: zur Lieferung von
Informationen des Bundeskriminalamtes und des Bun-
desnachrichtendienstes an die Amerikaner. Dass die Si-
tuation damals schwierig war, weiß auch ich. Trotzdem
müssen wir kritisieren, dass das Bundeskriminalamt und
der Bundesnachrichtendienst seinerzeit ohne gesetzliche
Grundlage, sogar unter Verstoß gegen die damalige ge-
setzliche Grundlage vorhandene Informationen schran-
kenlos an die USA weitergegeben haben.

Im Fall Zammar, aber auch im Fall Kurnaz wurden
diese Informationen sogar in Vorhaltungen und Verneh-
mungen, die unter Folter durchgeführt wurden, benutzt.
Somit hat man auch Vernehmungen unter Folter unter-
stützt. Dass man damals konkrete Informationen über
den in einem syrischen Geheimgefängnis sitzenden
Zammar gar an den syrischen Geheimdienst geben
konnte, übrigens wiederum schrankenlos, verstehe ich
bis heute nicht.

Ich meine: Der Bundesnachrichtendienst hat sich da-
mals schuldig gemacht, hat sich verwickelt in die Kriegs-
führung der USA, die ohne Rücksicht auf das Völker-
recht und ohne Rücksicht auf die Menschenrechte diesen
Krieg gegen den Terrorismus geführt haben. Das müssen
wir kritisieren, und damit müssen wir uns auseinander-
setzen. Wir müssen sehen, wie wir damit in Zukunft bes-
ser umgehen können.


(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Zögerlicher Applaus!)


Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung ma-
chen. Ich glaube, die damals in der Bundesregierung
Verantwortlichen, die damals im Innenministerium Ver-
antwortlichen, die damals im Kanzleramt Verantwortli-
chen, haben die schwierige Situation nicht gemeistert,
haben die rote Linie mehrfach überschritten.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Ja!)


Sie haben damit – das muss man feststellen – schwere
Verantwortung auf sich geladen.

Ich sage aber auch: Wir sollten nicht hochmütig sein!
Wir alle, die wir hier sitzen, und auch die Medien in
Deutschland haben nicht die notwendige Sensibilität da-
für gezeigt, wie man in einer solchen Situation mit den
Menschenrechten und dem Völkerrecht umgehten muss.
Auch wir hatten Informationen: Es gab Meldungen. Es
gab Warnungen von Amnesty International. Wir hatten
erste Hinweise auf den Fall Kurnaz und den Fall Zammar,
haben darauf aber nicht genügend reagiert. Diese Kritik
ziehe ich mir auch persönlich an.

Ich frage mich – diese Frage sollten wir alle uns stel-
len –, ob ich beim nächsten Mal, auch wenn es un-
bequem ist, nicht mehr Courage zeigen kann, die Ein-
haltung des Völkerrechts und die Achtung der
Menschenrechte öffentlich einzufordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623013500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Kristina Köhler von

der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1623013600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

CDU/CSU hatte in diesem Untersuchungsausschuss eine
schwierige Aufgabe: Auf der einen Seite stand der Wille
nach umfangreicher Aufklärung der Vorwürfe gegen die
rot-grüne Bundesregierung, und auf der anderen Seite
stand mit der SPD unser Koalitionspartner im Zentrum
der Kritik. Nun muss man einander in einer Koalition
nicht unbedingt schonen; aber man geht auch nicht hin
und stellt Sachverhalte, an denen es begründete Zweifel
gibt, als Tatsachen dar. Diese Art der Skandalisierung ist
ein Mittel der Opposition; daran wollen wir uns auch
heute halten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verkompliziert wurde die Sache auch dadurch, dass
eine der Hauptfiguren des Untersuchungsausschusses
der Zeuge Frank-Walter Steinmeier war. Es ist ganz klar,
dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten verteidigt und
versucht, ihn zu beschützen. Lieber Michael Hartmann,
auch Sie haben eben versucht, all das, was die Union






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden)

sagt, als Wahlkampfgerede abzutun. Das kann ich nicht
verhindern. Aber ich kann eines sagen: Was wahr ist, das
ist wahr, und das gilt auch in einem Wahljahr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Man muss feststellen, dass die Koalitionspartner in
zentralen Fragen zu unterschiedlichen Bewertungen ge-
kommen sind. Beginnen wir in Bagdad. Über die Rolle
des BND in Bagdad haben meine Vorredner bereits ge-
sprochen. Fakt ist: Es gab zwei BND-Agenten in
Bagdad, und sie haben Informationen an die USA wei-
tergeleitet. Fakt ist auch: Das alles geschah trotz des
Wahlversprechens von Gerhard Schröder aus dem
Jahr 2002, dass sich Deutschland weder direkt noch indi-
rekt am Irakkrieg beteiligen werde.


(Dirk Niebel [FDP]: Er hat gelogen!)


Die zentrale Frage für uns war: Welche Informationen
wurden weitergegeben, und bedeutete diese Weiterlei-
tung, dass sich Deutschland doch indirekt am Irakkrieg
beteiligt hat? Die Konsequenz ist klar: Wenn es eine in-
direkte Kriegsbeteiligung gab, dann kam Rot-Grün 2002
nur durch eine Wahllüge an die Regierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit „Lüge“ sollte man vorsichtig sein! Dazu gehört ein Vorsatz!)


Die Aufgabe, diese Fragen zu beantworten, hatte der
ehemalige Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordina-
tor Steinmeier. Er war dabei unglaubwürdig. Ich will das
an drei Punkten deutlich machen.

Erstens. Herr Steinmeier hat es so dargestellt, als sei es
in erster Linie, primär, darum gegangen, Nichtziele – völ-
kerrechtlich geschützte Objekte wie Botschaften, Kran-
kenhäuser etc. – an die USA zu melden. Fakt ist: Tat-
sächlich betrafen weniger als 10 Prozent der Meldungen
solche völkerrechtlich geschützten Objekte.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig!)


Das war eindeutig nicht der Schwerpunkt der Meldun-
gen; das war ein untergeordneter Aspekt. Steinmeier
zeichnete hier ein anderes Bild, und das macht ihn un-
glaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Steinmeier behauptete, man habe die ge-
sammelten Informationen primär für ein eigenes Lage-
bild benötigt. Nun ist vollkommen klar: Es ist ein wichti-
ges und legitimes Anliegen der Bundesregierung, sich
um ein eigenes Lagebild zu kümmern. Deswegen gibt es
auch keine grundsätzliche Kritik meiner Fraktion an dem
Einsatz der beiden BND-Agenten in Bagdad; das sage
ich ausdrücklich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623013700

Frau Kollegin Köhler, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ströbele?

Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1623013800

Wir haben uns jetzt dreieinhalb Jahre lang so viele

Fragen gestellt. Lassen Sie mir jetzt einmal diese acht
Minuten, um mein Fazit vorzutragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie zehn Minuten reden können! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD], an den Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Das will sie vielleicht gar nicht!)


Die Frage ist jedoch, wozu die rot-grüne Bundesre-
gierung präzise Koordinaten von Stellungen irakischer
Flugabwehrkanonen, Flugabwehrraketen und anderer
militärischer Einrichtungen brauchte. Diese Informatio-
nen konnte nur einer wirklich gebrauchen, und das wa-
ren die USA. Die USA waren mit den gelieferten Infor-
mationen offenkundig sehr zufrieden. Sie haben den
beiden BND-Agenten eine Auszeichnung verliehen,
nämlich die höchste Auszeichnung für Nichtkombattan-
ten. Jedem der beiden BND-Agenten wurde in einer
Laudatio gedankt für die – ich zitiere wörtlich –

… wichtigen Informationen, die er dem Zentral-
kommando der Vereinigten Staaten zur Unterstüt-
zung der Kampfhandlungen im Irak zur Verfügung
stellte …


(Dirk Niebel [FDP]: Dafür hätten wir doch gar keinen Ausschuss mehr gebraucht!)


Ich will hier gar nicht auf dieser Unterstützung der
Kampfhandlungen herumreiten; schließlich ersetzt eine
Laudatio keinen Untersuchungsausschuss. Es ist aber
eindeutig Fakt: Die USA wollten Informationen; die
USA haben Informationen angefordert; die USA haben
Informationen vom deutschen Nachrichtendienst erhal-
ten, und die USA waren glücklich mit diesen Informatio-
nen.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Mit Koordinaten! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Finden Sie das jetzt gut oder schlecht?)


Drittens – das ist der wichtigste Punkt –: Der damals
zuständige Kanzleramtschef Steinmeier gab die Parole
aus, es dürften keine Informationen mit operativ-militä-
rischer Bedeutung an die USA weitergeleitet werden.
Das war also die Messlatte, die wir zu prüfen hatten.
Steinmeier behauptete dann, diese Messlatte sei nicht
gerissen worden. Es wurden aber Informationen an die
USA weitergegeben, etwa die Positionen von Flugab-
wehrstellungen, die Koordinaten von Schützengräben,
der Zustand von Brücken, der Zustand eines bereits
bombardierten Offiziersklubs und die Koordinaten von
Stellungen der Republikanischen Garde, der Elitetruppe
von Saddam Hussein. Haben diese Informationen etwa
keine militärisch-operative Bedeutung? Das habe ich
Herrn Steinmeier im Untersuchungsausschuss gefragt.
Was antwortete Herr Steinmeier? Er sagte mir, er könne
das nicht beurteilen, er sei nämlich kein militärischer
Experte, sondern – ich zitiere wörtlich – „nur Oberge-
freiter der Bundeswehr – und das im Jahr 1974“.


(Dirk Niebel [FDP]: Was heißt hier „nur“?)







(A) (C)



(D)


Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden)

Was denn nun? Der Kanzlerkandidat Steinmeier
sagte, diese Informationen hätten keine militärisch-ope-
rative Bedeutung gehabt, der Obergefreite a. D.
Steinmeier sagte, er könne nicht einschätzen, ob diese
Informationen militärisch-operative Bedeutung hatten.
Wem von beiden sollen wir denn jetzt Glauben schen-
ken?


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Dem Chef des Kanzleramts, de Maizière!)


Fakt ist: Einer dieser beiden Steinmeiers lügt.

Deswegen halte ich fest: Es wurden Informationen
von militärischer Relevanz an die USA weitergegeben.
Die rot-grüne Bundesregierung hat während des Irak-
kriegs ein doppeltes Spiel gespielt. Deutschland hat sich
indirekt am Krieg im Irak beteiligt. Die Aussage von
Gerhard Schröder aus dem Jahr 2002 war nichts anders
als eine Wahllüge, und für diese Wahllüge trägt auch
Frank-Walter Steinmeier politische und moralische Ver-
antwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Joseph Fischer aber auch!)


Kurz noch zu einem weiteren Punkt, zum Fall des
Bremers Murat Kurnaz. Hier sagen wir nicht, dass der
Ausschuss beweisen konnte, dass ein Angebot vorlag,
Murat Kurnaz freizulassen. Wir wissen nicht, ob
Deutschland damals eine Chance hatte, Murat Kurnaz
freizubekommen. Nur: Chancen muss man sich auch er-
arbeiten. Ich kann nicht feststellen, dass sich das Bun-
deskanzleramt hierbei besonders angestrengt hat,


(Beifall der Abg. Dr. Max Stadler [FDP] und Elke Reinke [DIE LINKE])


und zwar im Gegensatz zum Auswärtigen Amt – das
muss man sagen –: Dort hat man sich damals offensiv
für eine Freilassung von Murat Kurnaz eingesetzt.

Schlaglichtartig wird die Haltung des Kanzleramtes
deutlich, wenn man sich eine Notiz anschaut, die an eine
E-Mail der deutschen Botschaft in Washington ange-
hängt war. Ein Mitarbeiter von Steinmeier hat geschrie-
ben – ich zitiere wörtlich –:

Wenn die Botschaft Interesse an MK [Murat
Kurnaz] bekundet, muss doch auf US-Seite der
Eindruck entstehen, wir wollen ihn zurückhaben.
Scheint mir etwas unkoordiniert zu verlaufen.

Das ist an Zynismus kaum zu überbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Das ist ja unglaublich!)


Dies hat sich erst unter der Kanzlerschaft Angela
Merkels geändert. Um den Anwalt von Murat Kurnaz zu
zitieren:

Das war eine Situation, wie wenn ein Schalter um-
gelegt worden ist. Plötzlich liefen die Kontakte zum
Kanzleramt und Auswärtigen Amt so, wie ich mir
das vorher immer gewünscht habe.
Meine Damen und Herren, offensichtlich lagen im Fall
Kurnaz Welten zwischen dem humanitären Anspruch
von Rot-Grün und der tatsächlichen humanitären Hilfe
im Einzelfall.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)


Ohnehin hat der Untersuchungsausschuss gezeigt:
Bei Rot-Grün liegt Schein und Sein weit auseinander –
bis hin zur Wahllüge.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623013900

Das Wort hat jetzt der Kollege Hellmut Königshaus

von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1623014000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Ströbele, das mit Rot-Grün erklärt sich so: Es
gab vorher den Visa-Untersuchungsausschuss. Dort ha-
ben wir genau die gleichen Verhaltensweisen seitens der
grünen Mitglieder der Bundesregierung erlebt. Übrigens
war Joschka Fischer bei der Debatte über den Abschluss-
bericht hier ebenfalls nicht anwesend. Wir haben ihn ge-
nauso vermisst; Jerzy Montag wird sich daran erinnern.
Es sind also die gleichen Verhaltensweisen. Deshalb
sollten wir diesen Punkt etwas vorsichtiger angehen.

Was die Union angeht: Das klang eben sehr gut. Wir
hätten uns gewünscht, dass die Union nicht erst drei Mo-
nate vor der Bundestagswahl, sondern schon etwas frü-
her etwas mehr Aufklärungsintensität, etwas mehr Auf-
klärungsinteresse zeigt. Aber ich weiß, dass Sie das nicht
durften.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Der Aufklärungswille der Koalition war – um es ein-
mal vorsichtig zu sagen – insgesamt sehr gebremst. Zu-
nächst wurde ein angeblich vollständiger Bericht, der
alle Fakten enthalten sollte, vorgelegt, verbunden mit der
Behauptung, ein Untersuchungsausschuss sei damit
nicht mehr erforderlich. Dieser Bericht musste Punkt für
Punkt, Stück für Stück korrigiert werden, bis wir ein völ-
lig neues Bild bekommen haben. Die Herausgabe von
Akten wurde in ungeahntem Ausmaß verweigert. Das,
was wir vorher im Visa-Untersuchungsausschuss erlebt
haben, wurde noch weit übertroffen. Es gab Schwärzun-
gen in den Akten, die zum Teil an schwarze Messen er-
innert haben.


(Thomas Oppermann [SPD]: Dann waren Sie aber der Priester – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist Herrn de Maizières Schuld!)


Ich glaube, wir haben viele Dinge schon vergessen,
zum Beispiel den großen Datenverlust bei der Bundes-
wehr im Zusammenhang mit den dortigen Aufklärun-
gen. Selbst der Tagesspiegel, der mit der Koalition bei
diesem Thema sonst immer sehr nachsichtig war, hat da-
mals geschrieben, mit den Daten sei wohl auch das Ver-

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
trauen gelöscht worden. Ich glaube, das ist eine Feststel-
lung, der wir uns noch heute anschließen können.


(Beifall bei der FDP)


Selbst jetzt, wo wir von den Vorfällen dort wissen und
die Verdachtsmomente kennen, wird nichts getan, um
der Frage nachzugehen, ob es in Europa Geheimgefäng-
nisse gibt, ob beispielsweise in den Coleman Barracks
bestimmte Bereiche abgesondert waren, ob dort Leute
gefoltert wurden, wie manche Indizien zumindest andeu-
ten. Im Ausschuss konnten wir das aus verschiedenen
Gründen nicht klären: wieder keine Daten und kein Inte-
resse. Wenn man die Bundesregierung gefragt hat, dann
hat sie uns dazu ebenfalls keine Auskünfte gegeben; al-
lenfalls hat sie nichtssagende Erklärungen abgegeben.
Das zeigt: Das war und ist eine gezielte, bis heute andau-
ernde Verweigerung von Aufklärung.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Deutlich wird dies insbesondere an einem äußeren
Umstand, den man leicht nachvollziehen kann. Es sind
Haftbefehle gegen die bekannten Entführer erlassen
worden; aber die Bundesregierung leitete sie nicht wei-
ter. Auch dies zeigt, wie wenig Interesse an der Aufklä-
rung tatsächlich besteht.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Damals gab es – das ist eben schon dargestellt worden –
eine Solidarität aufseiten von Rot-Grün in Form von ge-
meinsamem Wegsehen, Verschweigen und vorsätzli-
chem Nichtwissen nach dem Vorbild der drei Affen:
nichts hören, nichts sehen und dann, wenn man etwas
weiß, nichts sagen. Was haben wir denn mit Otto Schily
erlebt? Botschafter Coats sagt: Wir haben jemanden ent-
führt, offenbar den Falschen, aus Versehen; aber du
darfst niemandem etwas weitererzählen. Was macht Otto
Schily, immerhin Innenminister und damit auch Verfas-
sungsminister? Er sagt niemandem etwas darüber. Das
ist Strafvereitelung im Amt. So kann das doch nicht lau-
fen.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


Ich will auch die Frage der CIA-Flüge ansprechen. Es
wurde immer behauptet, das alles sei der Bundesregie-
rung und dem Minister, der als Kanzleramtschef mit den
Geheimdiensten vertraut war, erst später bekannt gewor-
den; man habe das alles erst 2004 erfahren. Es war aber
alles schon vorher – seit 2002 – in allen möglichen Zei-
tungen zu lesen.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Genau!)


Es stand auf der Homepage von EUCOM – dessen Sitz
ist Stuttgart –, dass sich das Hauptquartier an den Rendi-
tions, der Verbringung von Gefangenen nach Guan-
tánamo, beteiligt. Die Bundesregierung behauptet, sie
habe von all dem nichts gewusst. Das ist doch ein Ar-
mutszeugnis für den Umgang der Bundesregierung mit
den Nachrichtendiensten.

Was hat die Bundesregierung getan, nachdem sie da-
von erfahren hatte? Sie hat seitdem nichts getan, und sie
kann uns auch nicht garantieren, dass so etwas nicht wie-
der passieren kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623014100

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1623014200

Es tut mir leid, Herr Präsident. Ich habe das Signal

gesehen und komme zum Schluss.

Das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts
lehrt uns, dass jeder in diesem Hause – auch aufseiten
der Koalition – die Verpflichtung hat, seinen Aufgaben
nachzukommen und die Regierung nicht nur zu unter-
stützen, sondern auch zu kontrollieren. Wenn wir diese
Erkenntnis in Zukunft auch auf Untersuchungsaus-
schüsse übertragen, dann schaffen wir in der Öffentlich-
keit ein besseres und, wie ich finde, verlässlicheres Bild
von der Arbeit dieses Parlamentes.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623014300

Das Wort hat der Kollege Johannes Jung von der

SPD-Fraktion.


Johannes Jung (SPD):
Rede ID: ID1623014400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich kann mich sehr genau an den Tag erinnern, an
dem ich – damals noch nicht Mitglied des Deutschen
Bundestages – als langjähriger Abonnent der Süddeut-
schen Zeitung auf Seite 3, glaube ich, einen der ersten
großen Berichte über die Entführung des deutschen
Staatsbürgers el-Masri gelesen habe. Ich hätte mir da-
mals nicht träumen lassen, dass mir als Mitglied eines
solchen Untersuchungsausschusses einmal das Opfer
dieser Entführung leibhaft gegenübersitzt und ich die
Gelegenheit habe – um es einmal so auszudrücken –, mit
diesem Herrn, mit diesem Landsmann über diesen un-
glaublichen Vorgang zu sprechen und zu versuchen, ein
bisschen Licht ins Dunkel zu bringen.

Wir sollten im Rahmen dieser Debatte auch einmal
feststellen, dass es weniger die Mitglieder des Deutschen
Bundestages waren, die Licht ins Dunkel gebracht ha-
ben, als vielmehr die unnachlässig arbeitenden Damen
und Herren der Staatsanwaltschaft, in diesem Fall der
Staatsanwaltschaft München, auch im Verein mit Berufs-
kolleginnen und -kollegen aus Italien und Spanien. Das
sind für mich die wenigen Lichtblicke der dreijährigen
Arbeit dieses Untersuchungsausschusses. Deshalb ist es
angemessen, ihnen von dieser Stelle aus im Rahmen die-
ser Debatte dafür Respekt und der Anerkennung auszu-
sprechen.


(Beifall bei der SPD und der FDP)


Wer zu Recht bemängelt, dass im sogenannten Kampf
gegen den Terror die Rechtsstaatlichkeit beachtet wer-
den muss – sie hat durch staatliches Handeln allzu oft






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Jung (Karlsruhe)

gelitten –, der muss froh sein, dass es aufseiten der drit-
ten Gewalt noch einige gibt – ich hoffe, es gibt sie zu-
hauf –, die das Maß nicht verlieren.

Im krassen Gegensatz dazu stand nach meinem Emp-
finden – ich habe das seinerzeit zum Ausdruck gebracht –
der Auftritt des Vertreters der Bundesanwaltschaft, als es
um die Causa Mannheim, die Coleman Barracks, ging.
Dieser Herr kam mit einer – freundlich beschrieben –
Nonchalance daher – ich habe das damals Nihilismus ge-
nannt – und hat auf beharrliches Nachfragen aller Mit-
glieder des Untersuchungsausschusses, ungeachtet der
Fraktionszugehörigkeit und der mutmaßlichen Verteidi-
gungsstellung, in der man sich bei diesem taktischen
Spiel befand, schulterzuckend zu verstehen gegeben, dass
Interesse weder an diesem Thema noch daran bestand
– das ist aus meiner Sicht das eigentlich Schlimme –, der
Öffentlichkeit darzulegen – das war eine öffentliche Sit-
zung –, weshalb die Bundesanwaltschaft möglicher-
weise überhaupt nicht zuständig ist. Die Gelegenheit
wurde nicht genutzt, sich ein bisschen verständlich zu
machen. Dann wären wir auf die durchaus interessanten
Themen zu sprechen gekommen: Welche internationalen
Vertragsverpflichtungen haben wir? Sind sie heute noch
angemessen? Ich glaube, dann hätten wir die Chance ge-
habt, eine andere politische Diskussion zu führen.

Als Außenpolitiker haben sich mir noch ein paar an-
dere Fragen gestellt. Wie ist es zum Beispiel um die Sou-
veränität eines kleinen und phasenweise instabilen Lan-
des wie Mazedonien bestellt, das offenkundig durch
einen mächtigen Verbündeten dermaßen unter Druck ge-
setzt werden kann, dass die rechtsstaatliche Entwicklung
in diesem Land – das ist ein durchaus interessantes
Thema – erhebliche Rückschläge erleidet, und das zulas-
ten eines ausländischen, eines deutschen Staatsbürgers?

Nun muss ich aber sagen – das erleben wir heute wie-
der –, dass das große Taktieren in diesem Untersu-
chungsausschuss überhandgenommen hat. Ich möchte
auf das eingehen, was Frau Köhler stellvertretend für
zwei, drei andere zum Besten gegeben hat. Leider
spricht hier das ganz große schlechte Gewissen wegen
der Debatte in der eigenen Partei seinerzeit – das gilt
übrigens teilweise auch für die FDP –, wie man es mit
der Loyalität zur Bush-Administration und der Frage
„Krieg oder Frieden im Irak?“ halten soll. Am heutigen
Tag, an dem die US-Truppen langsam, aber sicher abzie-
hen, muss ich feststellen: Mit Ihnen damals in der Regie-
rung würden wir bestenfalls in diesen Tagen aus dem
Irak abziehen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist eine Frechheit, so etwas zu behaupten!)


Die rot-grüne Regierungskoalition hat damals dafür ge-
sorgt, dass wir uns dort nicht engagieren. Das ist die
schlichte Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn ich höre, wie einige über die Brillanz und die
Effizienz der beiden BND-Beamten in Bagdad reden,
muss ich annehmen: Wenn es doppelt so viele gewesen
wären, dann hätten wir offensichtlich auch die Ölfelder
in Kirkuk besetzt.

Dabei möchte ich auf einen Punkt aufmerksam ma-
chen, der in der Tat ernst zu nehmen ist und der viel-
leicht in der politischen Debatte unter den Tisch gefallen
ist. Wer wie die beiden BND-Beamten in Bagdad statio-
niert ist, weiß nicht, was tatsächlich passieren wird – al-
les ist völlig ereignisoffen –, und kommt unweigerlich in
eine gewissensmäßig sehr diffizile Situation: Leite ich
das, was ich weiß, komplett oder nur dosiert weiter? Die
einzige Entlastung, die wir anbieten konnten, war, dass
– richtigerweise – nur nach Pullach weitergeleitet wurde.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623014500

Herr Kollege Jung, erlauben Sie zum Schluss Ihrer

Rede – Ihre Zeit ist abgelaufen – eine Zwischenfrage?
Dann würde sich Ihre Redezeit verlängern.


Johannes Jung (SPD):
Rede ID: ID1623014600

Ich führe noch diesen Gedankengang zu Ende. Dann

kann der Kollege Königshaus seine Frage stellen.

Automatisch entsteht eine diffizile Situation: Was ma-
che ich mit den Informationen, die selbstverständlich
kriegsverkürzend sein können, die Opfer vermeiden hel-
fen können?


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Auf einmal!)


– Nein, das sage ich nicht auf einmal. Versuchen Sie,
mitzudenken! Denken Sie nicht nur in Ihren Schubladen!
– Da auch diese Frage gestellt und beantwortet werden
musste, haben wir zumindest dafür gesorgt, dass nur
nach Pullach gemeldet wurde und die beiden BND-Be-
amten in Bagdad in dieser Sache nichts selbst entschei-
den mussten.

Nun die Frage des Kollegen Königshaus.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623014700

Bitte eine kurze Frage und eine kurze Antwort. Die

Zeit ist längst abgelaufen.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1623014800

Wie erklären Sie, Herr Kollege Jung, sich dann die

Tatsache, dass die beiden Beamten die höchste Aus-
zeichnung der Vereinigten Staaten für nichtamerikani-
sche Militärangehörige, die überhaupt zu vergeben ist,
bekommen haben, und zwar ausdrücklich mit der Be-
merkung „für außergewöhnliche Verdienste“ im Zusam-
menhang mit Kampfhandlungen? Wie erklären Sie sich
das angesichts einer doch offenbar völlig bedeutungslo-
sen und irrelevanten Aktion?


(Wolfgang Gunkel [SPD]: Falscher Vorhalt!)



Johannes Jung (SPD):
Rede ID: ID1623014900

Da auch wir als Mitglieder einer Regierungsfraktion

ein großes Aufklärungsinteresse haben, haben wir uns
diese Frage natürlich ebenfalls gestellt und herausgefun-
den, dass diese Medaillen zigtausendfach verliehen wer-






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Jung (Karlsruhe)

den, aber nicht für Kampfhandlungen, wie Sie gerade
sagten.


(Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Doch, Kampfhandlungen steht drin! – Hellmut Königshaus [FDP]: Das steht ausdrücklich in der Urkunde!)


– Das schauen wir noch einmal zusammen nach. – Fakt
ist, dass sie zigtausendfach verliehen werden.


(Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Natürlich ist von Kampfhandlungen die Rede!)


Damit ist die Frage eigentlich beantwortet: keine Rele-
vanz. Uns hätte auch noch interessiert, wie es tatsächlich
dazu gekommen ist. Deshalb wollten wir einige dieser
famosen Zeugen aus der US-Army und den US-Diensten
hören, die sich so nebulös und gezielt zu einem be-
stimmten Zeitpunkt in der bundesdeutschen Presse geäu-
ßert haben. Aber leider sind sie nicht aufgetaucht, ob-
wohl wir sie geladen hatten. Dann hätten wir alle das
genauer erfahren. So bleibt Ihnen leider Platz zur Speku-
lation.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623015000

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege

Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1623015100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die heutige De-
batte zeigt wieder einmal sehr eindrucksvoll, dass die
Bewertung der Notwendigkeit, der Sinnhaftigkeit und
auch der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses
durchaus auseinandergeht. Ich möchte aber – hoffentlich
für alle – feststellen, dass es ein wichtiges Ergebnis des
BND-Untersuchungsausschusses gibt, nämlich dass das
Instrument des Untersuchungsausschusses ein außeror-
dentlich bedeutsames, wichtiges parlamentarisches Gut
ist.


(Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])


Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses ist ein
wichtiges Minderheitenrecht. Ich möchte für uns alle im
Ausschuss in Anspruch nehmen, dass wir in den mehr
als drei Jahren, in denen wir in dem Untersuchungsaus-
schuss arbeiten durften – das war sehr arbeits- und zeit-
aufwendig, teilweise auch nervenaufreibend –, die Ar-
beit insgesamt außerordentlich ernst genommen und sehr
seriös betrieben haben. Ich möchte dies insbesondere für
die Unionsbundestagsfraktion in Anspruch nehmen. An-
ders als von einigen Vorrednern behauptet, haben wir
unser Aufklärungsinteresse deutlich zum Ausdruck ge-
bracht, nicht immer zum Wohlgefallen unseres Koali-
tionspartners.

Gleichwohl muss man feststellen: Auch wenn der Un-
tersuchungsausschuss meines Erachtens durchaus ein
Beispiel für hochqualitativen Parlamentarismus ist, gibt
es Verbesserungsbedarf. Es gibt Verbesserungsbedarf,
was das Gesetz zur Regelung des Parlamentarischen Un-
tersuchungsausschusses betrifft. Das ist schon angespro-
chen worden. Ich halte das Verfahren der Berliner
Stunde nach wie vor für anachronistisch und vollkom-
men unsinnig. Es stimmt eben nicht, was von manchen
behauptet wurde, nämlich dass manche Fragen von Ver-
tretern der kleinen Parteien nicht gestellt werden durften.
Am Ende des Tages durfte jede Frage gestellt werden.
Die Frage war nur, wann. Ich halte es wirklich für voll-
kommen widersinnig, dass ein Fragefluss unterbrochen
wird. Ich glaube, man sollte hier zu einer anderen Vorge-
hensweise übergehen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben unsere Aufgabe sehr ernst genommen, was
sich auch darin niederschlug, dass wir das Gesetz zur
parlamentarischen Kontrolle unserer Geheimdienste und
der Nachrichtendienste novellieren mussten, sowohl was
das Formelle als auch was das Materiell-Rechtliche an-
belangt. Wir haben die Novelle mit deutlicher Mehrheit
im Deutschen Bundestag verabschiedet. Auch in dieser
Hinsicht haben wir einen wichtigen Auftrag, den dieser
Untersuchungsauftrag hatte, erfolgreich umgesetzt.

Eines möchte ich über alle Themenkomplexe hinweg
festhalten: Es gibt keinerlei Hinweise, dass die Bundes-
regierung und Vertreter der deutschen Sicherheitsbehör-
den direkt oder indirekt an der Entführung, an der Ver-
schleppung oder an der Folter der Personen, mit denen
wir uns auseinandersetzen mussten, beteiligt waren. Um
es klar festzuhalten: All diesen Personen – Murat
Kurnaz, Khaled el-Masri, Khafagy, Zammar – ist außer-
ordentlich großes Unrecht widerfahren. Sie sind gefol-
tert, misshandelt und gedemütigt worden, teilweise über
Jahre hinweg. Das ist in keiner Weise zu rechtfertigen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber es gibt – das möchte ich festhalten – keine Hin-
weise, dass deutsche Sicherheitsbehörden an diesen
Misshandlungen in irgendeiner Form beteiligt waren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch das war ein wichtiges Ergebnis dieses Untersu-
chungsausschusses.

Es ist immer leicht, Dinge nach sechs oder sieben Jah-
ren zu beurteilen.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sehr wahr!)


In der Retrospektive ist so etwas immer einfacher.
Gleichwohl muss man festhalten: Geheimdienste heißen
nun einmal Geheimdienste, weil sie geheim vorgehen.
Deswegen muss man, was die Transparenz und die Öf-
fentlichkeit der Arbeit der Geheimdienste anbelangt, im-
mer gewisse relative Maßstäbe ansetzen. Das sollten wir
uns ins Stammbuch schreiben.

An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich und ganz
bewusst den Sicherheitsbehörden danken. Die Einsätze
waren zum Teil hochgefährlich, teilweise lebensgefähr-






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

lich. Die beiden BND-Agenten, die ja einer der Haupt-
knackpunkte in diesem Untersuchungsausschuss waren,
haben einen lebensgefährlichen Einsatz gewagt. Ihnen
gilt der ausdrückliche Dank des gesamten Parlamentes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Weil zuletzt ein etwas sonderbarer Zungenschlag in
die Debatte kam, möchte ich eines feststellen: Lieber
Herr Kollege Jung, ich halte es für unanständig und un-
redlich, uns als Unionsbundestagsfraktion zu unterstel-
len, wir wären für den Einsatz von deutschen Bundes-
wehrsoldaten im Irak gewesen. Das Gegenteil war der
Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie als rot-grüne Bundesregierung haben sich als Erste
aus der Allianz der Weltgemeinschaft gegen Saddam
Hussein verabschiedet.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das stimmt!)


Das war ein großer Fehler. Ihnen ist jetzt ganz deutlich
vor Augen geführt worden, dass die Mär, die Sie dem
deutschen Wähler vor der Bundestagswahl 2002 erzählt
haben, nämlich dass Sie die großen Friedensfürsten und
wir die großen Kriegstreiber sind, ein für alle Mal ad ab-
surdum geführt wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist festgestellt worden: Deutschland war am Irak-
krieg beteiligt, zumindest indirekt in der Form, dass zwei
BND-Mitarbeiter während des Irakkrieges einen, wie
gesagt, hochgefährlichen, lebensgefährlichen Einsatz ge-
wagt haben. Ich betone noch einmal: Ich rechtfertige im
Nachhinein diesen Einsatz. Aber Sie haben die Wahl ge-
wonnen,


(Johannes Jung [Karlsruhe] [SPD]: Ja, das ist das Ärgerliche!)


indem Sie eine List angewandt haben. Sie haben die
deutschen Wählerinnen und Wähler 2002 hinters Licht
geführt und aufgrund dieser Wahllüge die Bundestags-
wahl 2002 für sich entschieden.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein
wichtiger Komplex war die Frage, ob und inwiefern
Journalisten durch den BND bespitzelt wurden. Auch
hier hat sich der Untersuchungsausschuss meines Erach-
tens seine Meriten verdient. Es ist klargemacht worden,
dass zum Teil Journalisten großes Unrecht widerfahren
ist. Insbesondere die Pressefreiheit ist in Teilbereichen
mit Füßen getreten worden, um es ganz deutlich zu sa-
gen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU])


An der Stelle möchte ich der Hoffnung Ausdruck verlei-
hen, dass die Zusage des Bundesnachrichtendienstes gilt,
dass zum einen Journalisten nicht mehr als Quellen ge-
führt und zum anderen im Inland Journalisten nicht mehr
bespitzelt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623015200

Herr Kollege Mayer, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Ströbele?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1623015300

Selbstverständlich; wie könnte ich diese verwehren!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623015400

Bitte schön, Herr Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, heute wurde bereits mehrfach von Lüge
geredet. Sie selber sind ja Jurist und Rechtsanwalt. Eine
Lüge ist immer eine bewusste Erklärung der Unwahr-
heit.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Offenkundig! Vorsatz! – Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Im besonders schweren Fall!)


– Ja, Vorsatz. – Bezüglich des Bagdad-Einsatzes habe
ich selber festgestellt, dass dies eine Unterstützung war.
Aber wenn Sie dem Herrn Steinmeier – ich bin nicht un-
bedingt bekannt dafür, dass ich mich immer auf seine
Seite stelle – vorwerfen, er habe damals bewusst die Un-
wahrheit gesagt, also gelogen, dann müssten Sie eigent-
lich einen Beleg dafür haben, dass er darüber informiert
gewesen ist, welche Informationen aus Bagdad nach
Pullach und von dort an das US-Hauptquartier weiterge-
geben worden sind. Sonst sollten Sie mit dem Begriff
„Lüge“ in diesem Zusammenhang sehr vorsichtig sein.
Ich habe nach solchen Beweisen gefragt und gesucht.
Wir haben auch Zeugen dazu vernommen. Ich kenne sol-
che Beweise nicht. Können Sie mir welche nennen?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1623015500

Vielen Dank für die Frage, lieber Herr Kollege

Ströbele. Sie wissen, ich komme aus Altötting, dem ka-
tholischsten Wallfahrtsort Deutschlands. Deswegen
zitiere ich auch gern aus der Bibel. In der Bergpredigt
steht: An ihren Taten sollt ihr sie messen. – An dieser
Stelle möchte ich unseren früheren Bundeskanzler
Schröder zitieren, der in einer Fernsehansprache am
20. März 2003 – das war der Tag, an dem die Luftan-
griffe der US-Amerikaner auf den Irak begonnen haben –
gesagt hat: „Deutschland beteiligt sich nicht an diesem
Krieg.“ Wenige Wochen zuvor, am 13. Februar 2003,
hatte er in seiner Regierungserklärung gesagt, es gebe
keine direkte oder indirekte Beteiligung an diesem
Krieg.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das war gelogen!)


– Das war offenkundig gelogen; das haben wir im Unter-
suchungsausschuss durch sehr intensive und akribische
Arbeit zutage gefördert.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat die Unwahrheit gesagt!)







(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

Ich muss an der Stelle ganz offen sagen: Herr
Steinmeier hat in dieser Zeit eine sehr verantwortungs-
volle Position innegehabt. Er war der Koordinator der
Sicherheitsbehörden.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er es gewusst?)


Es ist davon auszugehen, dass ihm bekannt war, dass
sich zwei BND-Mitarbeiter während des Irakkriegs in
Bagdad aufgehalten haben. In Bagdad gab es zu dieser
Zeit nicht allzu viele ausländische Agenten. Bagdad war
damals ein hochsensibles Gebiet und großes Kriegsfeld.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er es gewusst oder nicht?)


Es war keine Selbstverständlichkeit, zwei BND-Mitar-
beiter in dieses schwierige Gefechtsfeld zu schicken.


(Wolfgang Gunkel [SPD]: Antworten Sie doch mal auf die Frage!)


Ich nehme an, dass der Koordinator der Sicherheits-
behörden und der Nachrichtendienste in Deutschland
und somit auch das Bundeskanzleramt davon Kenntnis
hatten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nehmen Sie an!)


Deswegen hat sich die rot-grüne Bundesregierung, der
Sie damals angehörten, einer Wahllüge schuldig ge-
macht hat;


(Wolfgang Gunkel [SPD]: Sie haben keine Beweise!)


denn Sie haben immer versucht, uns weiszumachen,
Deutschland wäre keinesfalls am Irakkrieg beteiligt. Tat-
sächlich war genau das Gegenteil der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Setzen, Sechs!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte zum Ende etwas versöhnlichere Töne anschla-
gen und eine Lanze für unsere Sicherheitsbehörden bre-
chen. Der Fall Khafagy wurde bereits erwähnt. Herr
Ströbele, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass der
BND außer Kontrolle geraten sei.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Teile!)


– Auch wenn Sie sagen, dass nur Teile des BND außer
Kontrolle geraten sind, trifft dies nicht zu. Es werden
Fehler gemacht. Im Parlament werden Fehler gemacht;
das haben wir vom Bundesverfassungsgericht vor zwei
Tagen deutlich vor Augen geführt bekommen. Es wer-
den überall Fehler gemacht. Es werden natürlich auch in
einer Behörde wie dem BND mit ungefähr 7 000 Mitar-
beitern Fehler gemacht. Insgesamt aber üben die Sicher-
heitsbehörden – insbesondere die Nachrichtendienste in
Deutschland, vor allem der Bundesnachrichtendienst –
eine außerordentlich schwierige, hochverantwortungs-
volle und sehr seriöse Tätigkeit aus.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt mit den Journalisten?)


Das gilt auch für die beiden Bundeskriminalamtsmitar-
beiter, die Herrn Khafagy hätten vernehmen sollen. Sie
haben sofort aufgehört, weitere Anstrengungen zu unter-
nehmen,


(Wolfgang Gunkel [SPD]: Sehr richtig!)


als sie sahen, dass die Papiere blutverschmiert und die
Asservaten mit Blut kontaminiert waren, und haben so-
fort die Rückreise angetreten. Das ist meines Erachtens
ein herausragendes und bemerkenswertes Beispiel für
das sehr verantwortungsbewusste Handeln unserer Si-
cherheitsbehörden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns doch einig, Herr Kollege!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623015600

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Mayer.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1623015700

In diesem Sinne darf ich Ihnen ganz herzlich für die

kooperative und sehr interessante Zusammenarbeit in
den letzten drei Jahren danken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623015800

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich dem Kollegen Thomas Oppermann von der
SPD-Fraktion das Wort.


(Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Jetzt kommt der Joker!)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1623015900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Im Jahre 2005 hat diese Bundesregierung – nicht die
rot-grüne Bundesregierung, sondern die Große Koalition –
einen Bericht mit den Stimmen der CDU-Minister und
-Ministerinnen einstimmig beschlossen. Dieser Bericht
an das Parlamentarische Kontrollgremium enthält zwei
wesentliche Grundaussagen: Erstens. Die deutschen Be-
hörden haben beim Krieg gegen den Terror die rote Linie
zu keinem Zeitpunkt überschritten. Zweitens. Deutsch-
land war nicht Kriegspartei im Irakkrieg. Wenn Sie, Frau
Köhler und Herr Mayer, jetzt zu einer etwas anderen Be-
wertung kommen, ist das ganz offenkundig dem näher
rückenden Wahltermin geschuldet.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU] Nein, der Wahrheit geschuldet!)


Eigentlich wollte ich jetzt gar nicht mehr über den
Irakkrieg sprechen. Er ist schon so lange her; aber seine
negativen Wirkungen sind noch allgegenwärtig. Die Si-
cherheitslage Israels hat sich verschlechtert, der Iran hat
eine Vormachtstellung bekommen, die Auseinanderset-
zung in Afghanistan ist schwieriger geworden usw.






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Oppermann

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Umso schlimmer, dass wir da mitgemacht haben!)


Dieser Krieg war falsch, und diesen Krieg haben wir da-
mals politisch nicht gewollt; die Regierung hat ihn nicht
gewollt.


(Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Aber ihn unterstützt! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir haben ihn nicht gewollt, aber daran teilgenommen!)


Das sah bei der damaligen Opposition allerdings
ganz anders aus. Die CDU-Fraktionsvorsitzende
Dr. Angela Merkel hat sich in einem Namensartikel in
der Washington Post unter der Überschrift „Gerhard
Schröder spricht nicht für alle Deutschen“ ganz klar für
die Option des Krieges geöffnet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie daran Zweifel haben, Frau Köhler, dann zi-
tiere ich einmal die heutige Bundeskanzlerin aus der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 22. De-
zember 2002:

Die Union steht zu allen bisherigen politischen und
militärischen Maßnahmen, dem Aufbau einer
glaubwürdigen Drohkulisse gegenüber dem Irak
und, das sage ich deutlich, auch der Bereitschaft, in
letzter Konsequenz notfalls auch militärische Mittel
einzusetzen.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Hört! Hört!)


Mit anderen Worten: Sie waren kriegsbereit. Vor dem
Hintergrund finde ich es nicht sonderlich überzeugend,
wenn Sie hier unsere Ablehnung des Krieges in Zweifel
ziehen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ihr habt daran teilgenommen!)


Das kann insbesondere nicht auf Grundlage der Tatsa-
che geschehen, dass wir zwei BND-Mitarbeiter in
Bagdad hatten. Sie waren da völlig zu Recht.


(Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Ach Gott, jetzt kommt die Story! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihr habt mitgemacht!)


Die Bundesregierung brauchte ein eigenes Lagebild. Im
Übrigen war eines völlig klar: Obwohl wir gegen den
Krieg waren und trotz der damit verbundenen enormen
Belastung der deutsch-amerikanischen Beziehungen
durften die Bündnisverpflichtungen nicht infrage gestellt
werden. Die Bundesregierung hat damals ganz offen
Folgendes getan: Die amerikanischen Militäreinrichtun-
gen in Deutschland wurden während des Irakkrieges von
deutschen Sicherheitskräften bewacht,


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Selbstverständlich! Wir kommen ja nicht aus dem Bündnis raus!)

der US-Regierung wurden Überflugrechte eingeräumt,
und selbstverständlich haben die USA auch ihre militäri-
schen Stützpunkte in Deutschland für den Irakkrieg nut-
zen können. Es war völlig klar, dass wir in diesem Kon-
flikt nicht neutral waren. Aber wir haben den Amerika-
nern in der operativen Kriegsführung nicht geholfen. Es
ist keine Bombe auf Bagdad gefallen, es ist keine Rakete
im Irakkrieg abgeschossen worden,


(Dr. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Das ist auch nicht der Maßstab!)


die auf Informationen der BND-Mitarbeiter zurückgeht.


(Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ihr habt die Koordinaten geliefert! – Gegenruf des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: So ein Unsinn!)


Frau Köhler, wenn Ihre Fraktion damals hätte ent-
scheiden müssen, dann wären nicht zwei BND-Beamte
in Bagdad gewesen, sondern dann wären Tausende von
Bundeswehrsoldaten dort gewesen. Das wäre ein Drama
geworden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sagen, das sei ein Doppelspiel, dann spiele
ich Ihnen den Ball gerne zurück. Wissen Sie, was ich
doppelzüngig finde? Sich erst bei George W. Bush ein-
schleimen und dann Barack Obama ganz toll finden!


(Beifall bei der SPD – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist Ihrer unwürdig, Herr Oppermann!)


Ich finde es gut, dass Deutschland es geschafft hat,
beim Kampf gegen den Terrorismus die rechtsstaatlichen
Prinzipien zu wahren. Ich hatte im Ausschuss manchmal
den Eindruck – daran bin ich wieder erinnert worden, als
Sie, Herr Paech, und auch Sie, Herr Stadler, gesprochen
haben –, als sei dieser ein Tummelplatz für Gesin-
nungsethiker, die alle noch keine echte politische Verant-
wortung getragen haben, aber höchst moralische An-
sprüche formulieren, die so hoch sind, dass ihnen am
Ende niemand gerecht werden kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war auch völkerrechtswidrig!)


Wer Verantwortung für die Sicherheit der Menschen
trägt, der kann sich nicht mit Gesinnungsethik zufrieden-
geben, sondern der muss sich entscheiden. Wir haben
uns für höchstmögliche Sicherheit in Deutschland und
die gleichzeitige uneingeschränkte Geltung der Grund-
rechte entschieden. Das ist nicht vielen Ländern im Anti-
terrorkampf gelungen. Auch den Amerikanern ist das
nicht gelungen; ihnen ist beides misslungen. Deshalb
sollten wir bei der Bewertung der Arbeit der Sicherheits-
organe fair sein. Diese Fairness lassen Sie vermissen,
wenn Sie ausgerechnet am Beispiel von Herrn Zammar
aufzeigen wollen, dass wir offenkundig mit amerikani-
schen Agenten kollaboriert hätten, um Herrn Zammar zu
verschleppen und möglicherweise der Folter auszulie-
fern. Herr Zammar wollte aus Hamburg ausreisen. Sein
Reiseziel war Marokko. Er hat angegeben, dass er sich in
Marokko von seiner marokkanischen Frau scheiden las-






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Oppermann
sen will. Kein deutsches Recht, Herr Stadler, erlaubt
oder gebietet es, dass ihm aufgrund dieser Tatsache ein
Pass verweigert oder seine Reise- und Ausreisefreiheit
eingeschränkt wird. Ich wundere mich, dass Sie eine sol-
che Position vertreten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Max Stadler [FDP]: Sie wissen, dass das Gegenteil wahr ist!)


Dass die Linke historisch gesehen mit der Reise- und
Ausreisefreiheit Probleme hat, war mir immer klar.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Unterste Schublade! Sie tun so, als würden Sie das nicht verstehen!)


Aber die FDP und die Linkspartei unterstellen hier
Handlungen, die nicht dem geltenden Recht entsprechen.
Natürlich steckt eine Absicht dahinter, und die ist leicht
zu durchschauen, Herr Stadler.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Ihre aber auch!)


Sie unterstellen, die deutschen Behörden hätten ge-
wusst, dass in Marokko CIA-Agenten warten, um
Herrn Zammar festzusetzen und nach Syrien zu ver-
schleppen. Dafür haben Sie aber keine Belege. Deshalb
konstruieren Sie juristische Argumente in Bezug auf das
Passgesetz. Sie haben keine Beweise! Wer keine Be-
weise hat und solche Behauptungen aufstellt, diffamiert
und verhält sich intellektuell unredlich. Sie verhalten
sich in hohem Maße intellektuell unredlich, wenn Sie
sich an solchen Kampagnen beteiligen.


(Dr. Norman Paech [DIE LINKE]: Der Verdacht ist nicht ausgeräumt!)


Die deutschen Sicherheitsorgane haben es nicht ver-
dient, dass ihre Arbeit so unfair dargestellt und bewertet
wird. Deshalb bin ich froh, dass der Untersuchungsaus-
schuss – er war zwar nicht notwendig, aber doch erfolg-
reich – für die vielen Anschuldigungen, Behauptungen
und Diffamierungen am Ende keinerlei Belege gefunden
hat, wie auf den circa 3 400 Seiten des Abschlussbe-
richts dokumentiert wird. Das ist ein gutes Ergebnis die-
ses Ausschusses und auch ein gutes Ergebnis für unseren
Rechtsstaat. Ich bin froh, dass diese Debatte nach über
drei Jahren zu Ende ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Das kann ich mir vorstellen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623016000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des 1. Untersuchungsausschusses auf
Drucksache 16/13400. Der Ausschuss empfiehlt, den
Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags
zum Bundeshaushaltsplan für das Haushalts-

(Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2009)


– Drucksachen 16/13000, 16/13386 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)


– Drucksachen 16/13588, 16/13589 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als
erster Rednerin der Kollegin Erika Ober von der SPD-
Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Erika Ober (SPD):
Rede ID: ID1623016100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bis vor wenigen Wochen hätte ich es mir nicht
träumen lassen, dass ich als neues Mitglied des Haus-
haltsausschusses im Deutschen Bundestages eine Rede
zu einem zweiten Nachtragshaushalt halten werde.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Und das fast ganz ohne Bundesregierung!)


Es ist – auch ohne Bundesregierung – eine ungewöhnli-
che Rede; denn es ist eine doppelte Rede: Ich halte die
erste Rede in dieser Legislatur, und es wird auch meine
letzte als Abgeordnete des Deutschen Bundestages sein.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Doppeltes Jubiläum!)


– Doppeltes Jubiläum, Herr Kollege.

Ich halte diese Rede zu einem Zeitpunkt, an dem sich
die deutsche Wirtschaft in der schärfsten Rezession der
Nachkriegszeit befindet. Damit haben sich die Rahmen-
bedingungen für die Haushaltspolitik ganz entschieden
geändert. Die Notwendigkeit von zwei Nachtragshaus-
halten weist auf eine Ausnahmesituation hin. Mit ihnen
haben wir umgehend auf die Herausforderungen der
Krise reagiert. Dazu musste im Ausschuss jeweils über
Milliardenbeträge beraten werden. Auch für langjährige
Mitglieder im Haushaltsausschuss sind diese Summen
sicherlich außergewöhnlich.

Gestatten Sie mir, bevor ich auf den aktuellen Haus-
halt eingehe, einen Rückblick auf die vergangenen
Haushalte. Der Rückblick zeigt, dass unser finanzpoliti-
sches Konzept stimmig war. Hätten wir in den vergange-
nen Jahren nicht erfolgreich und mit Augenmaß konsoli-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Erika Ober
diert, hätte die Krise den Bundeshaushalt mit noch viel
größerer Wucht getroffen.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben den Haushalt Schritt für Schritt saniert.
Wir haben die Neuverschuldung des Bundes im Laufe
dieser Legislaturperiode deutlich zurückgeführt. Im
Jahre 2005 belief sich die Neuverschuldung des Bundes
noch auf 31,2 Milliarden Euro. Mit einer Neuverschul-
dung in Höhe von 11,5 Milliarden Euro haben wir im
Jahre 2008 das niedrigste Niveau seit der Wiedervereini-
gung erreicht. Auch die strukturelle Lücke, also die
Summe aus Neuverschuldung und Privatisierung sowie
ähnlichen Einmalmaßnahmen, haben wir ein ganzes
Stück weit schließen können. Noch im Jahre 2005 belief
sich diese Lücke auf 51,4 Milliarden Euro. Sie wurde bis
zum Jahre 2008 auf 18,1 Milliarden Euro reduziert.

Gleichzeitig haben wir wichtige Politikfelder voran-
getrieben: Wir haben massiv in Forschung und Bildung
sowie in Familien investiert. Wir haben die klassischen
Investitionen auf hohem Niveau verstetigt. Wir sind
auch unseren internationalen Verpflichtungen nachge-
kommen und haben unsere Ausgaben für die Entwick-
lungshilfe spürbar gesteigert.


(Beifall bei der SPD)


Die Finanzkrise, die ihren Ursprung in den USA
hatte, und die daraus folgende weltweite Wirtschafts-
krise haben zu einem Einbruch der Nachfrage aus dem
Ausland geführt. Die Folgen der globalen Krise machen
vor uns nicht halt, und die Wirtschaft des Exportwelt-
meisters Deutschland ist davon besonders heftig betrof-
fen. Das Bruttoinlandsprodukt wird, so die Erwartung,
real um 6 Prozent schrumpfen. Auch im nächsten Jahr
wird die Krise fortwirken. Das Wachstum wird dann mit
0,5 Prozent voraussichtlich nur leicht positiv ausfallen.
Auch bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
zeigen sich die Auswirkungen der Finanz- und Wirt-
schaftskrise. Der Arbeitsmarkt wird von der Krise mit
zeitlicher Verzögerung getroffen werden.

Die Krise wirkt sich unmittelbar auf die Haushaltspo-
litik aus. Der im Frühsommer 2008 erstellte Regierungs-
entwurf sah noch eine Nettokreditaufnahme in Höhe von
10,5 Milliarden Euro vor. Das wäre die niedrigste der
vergangenen Jahre gewesen. Wegen schlechterer Steuer-
einnahmen, geringerer Privatisierungserlöse infolge un-
günstigerer Märkte und des im November auf den Weg
gebrachten ersten Konjunkturpaketes „Beschäftigungssi-
cherung durch Wachstumsstärkung“ wurden die parla-
mentarischen Beratungen mit einer Neuverschuldung in
Höhe von 18,5 Milliarden Euro abgeschlossen.

Die parlamentarischen Beratungen im Herbst 2008
ließen die Ausnahmesituation für die Haushaltspolitik
sichtbar werden. Die Entwicklung zur Jahreswende
machte konjunkturbedingte Belastungen sowie ein zwei-
tes Konjunkturpaket und dadurch eine weitere Erhöhung
der Neuverschuldung unumgänglich. Der Ende Februar
2009 in Kraft getretene erste Nachtragshaushalt weist
deshalb eine Neuverschuldung in Höhe von 36,9 Mil-
liarden Euro aus.
Weitere Steuermindereinnahmen sowie konjunkturbe-
dingte zusätzliche Ausgaben für den Bereich der sozia-
len Sicherung zwingen uns jetzt, noch mehr neue Schul-
den aufzunehmen. So wird sich die Nettokreditaufnahme
im Bundeshaushalt in diesem Jahr auf rund 49 Milliar-
den Euro belaufen.

Die haushaltspolitische Redlichkeit gebietet es, in
diesem Zusammenhang auch die im Zuge der Finanz-
und Wirtschaftskrise errichteten Sondervermögen – den
Investitions- und Tilgungsfonds, ITF, und den Sonder-
fonds Finanzmarktstabilisierung, SoFFin – zu nennen.
Beide Sondervermögen verfügen über eine eigene über-
jährige Kreditermächtigung. Darüber, in welcher Höhe
diese im laufenden Jahr in Anspruch genommen werden,
kann man im Vorhinein nur spekulieren. Sicher ist aber,
dass die gesamte Neuverschuldung des Bundes im lau-
fenden Jahr weit über 50 Milliarden Euro liegen wird.

Und die Krise wird im Bundeshaushalt weiter fortwir-
ken. Nach dem Entwurf des Haushaltes 2010 wird die
Neuverschuldung des Bundes im nächsten Jahr eine ein-
malige Höhe von 86,1 Milliarden Euro erreichen. Die
Neuverschuldung des Bundes wird in diesem und in den
nächsten Jahren eine Dimension erreichen, die wir uns
so alle nicht gewünscht haben und die wir uns so alle
auch nicht haben vorstellen können.

Nur: Was wäre die Alternative gewesen? – Ich bin
überzeugt, es besteht hier in diesem Hause ein allgemei-
ner Konsens, dass wir keine Alternative haben. Denn
man darf einer Krise eines solchen Ausmaßes nicht hin-
terhersparen. Man muss agieren und nicht reagieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Gegenteil, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren: Eine expansive Finanzpolitik, wie sie die Große Ko-
alition verfolgt, ist der einzig richtige Weg, um die wirt-
schaftliche Talfahrt gezielt abzufedern und mittel- und
langfristig höhere gesamtstaatliche Folgekosten zu ver-
meiden. Ohne unsere expansive Finanzpolitik würde un-
sere Wirtschaft noch stärker schrumpfen. Ohne ein ge-
zieltes Gegensteuern würde die Rezession noch länger
dauern,


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)


und ohne die von der Großen Koalition getroffenen
Maßnahmen wären die Kosten für unser Land und für
unsere Bürgerinnen und Bürger noch weit höher.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb ist es richtig, dass wir erstens die automati-
schen Stabilisatoren voll wirken lassen. Steuerminder-
einnahmen und rezessionsbedingte zusätzliche Ausga-
ben für die Systeme der sozialen Sicherung nehmen wir
bewusst hin. Steuererhöhungen und Kürzungen bei den
Sozialausgaben wären angesichts der wirtschaftlichen
Lage reines Gift. Sie wären verantwortungslos und wür-
den die Krise nur verschärfen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Erika Ober
Zweitens ist es richtig, dass wir mit unseren beiden
Konjunkturpaketen gezielt wichtige Impulse setzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir investieren schwerpunktmäßig in staatliche Infra-
struktur und entlasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber
durch Steuer- und Abgabensenkungen. Als Beispiele
möchte ich an dieser Stelle die Wiedereinführung der
Pendlerpauschale und die steuerliche Absetzbarkeit der
Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nennen.
Sie stehen stellvertretend für die Entlastungen der Bür-
gerinnen und Bürger in Höhe von 21,4 Milliarden Euro
ab dem Jahre 2010.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das haben Ihnen die Gerichte aufgedrückt!)


– Richtig, die Wiedereinführung der Pendlerpauschale
ist die Folge einer Gerichtsentscheidung, das andere aber
nicht. Vielen Dank für den Einwurf.

Das stützt unsere Binnenkonjunktur nachhaltig, und
dies ist in Anbetracht des schwierigen weltwirtschaftli-
chen Umfeldes umso wichtiger. Die SPD-Fraktion wird
deshalb dem zweiten Nachtragshaushalt zustimmen.

Die Auswirkungen der Krise haben einen ausgegli-
chenen Bundeshaushalt zwar in weite Ferne rücken las-
sen, aber einen Haushalt ohne neue Schulden aufzustel-
len, muss dennoch unser Ziel bleiben. Dazu soll die in
der vergangenen Sitzungswoche neu beschlossene
Schuldenregel ein wichtiger Baustein sein.

Der Finanzplan bis zum Jahre 2013 sieht mit Blick
auf die neue Schuldenregel eine schrittweise Rückfüh-
rung der Neuverschuldung des Bundes vor. Sie wird al-
lerdings im Jahre 2013 mit rund 46 Milliarden Euro im-
mer noch auf einem Niveau sein, das wir vor Ausbruch
der Finanz- und Wirtschaftskrise als vollkommen inak-
zeptabel betrachtet hätten. Wer hier trotzdem Spielräume
für weitere Steuersenkungen erkennt, leidet ganz offen-
sichtlich unter Realitätsverlust.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bis 2016 werden wir die strukturelle Neuverschul-
dung Schritt für Schritt auf 0,35 Prozent des Brutto-
inlandsproduktes zurückführen müssen. Dies wird ein
hartes Stück Arbeit sein, und ich wünsche allen, die als
Abgeordnete weiter dabeibleiben werden, bereits jetzt
viel Kraft und Erfolg bei dieser Umsetzung. Und lassen
Sie mich ergänzen: Als Ärztin wünsche ich Ihnen allen,
dass Sie gesund bleiben, damit Sie diese Arbeit leisten
können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623016200

Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1623016300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Arbeit hier im Plenum habe ich mir immer so vorge-
stellt, dass man Argumente unter den Fraktionen und na-
türlich auch mit der Regierung austauscht. Angesichts
der hohen Neuverschuldung und dieses zweiten Nach-
tragshaushalts, der 30 Milliarden Euro neue Schulden
vorsieht, empfinde ich es schlicht und ergreifend als ei-
nen parlamentarischen Skandal, dass auch dieses Mal
der Bundesfinanzminister nicht anwesend ist.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schon bei der Einbringung dieses Nachtragshaushalts
war er nicht anwesend.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er wusste, dass Sie reden, Herr Kollege! Dann wäre ich auch nicht gekommen!)


Man kann über den früheren Finanzminister Theo
Waigel sagen, was man will; auch er musste unange-
nehme Tatsachen hier vortragen. Aber er war präsent
und hat sich der Diskussion gestellt, während Herr
Steinbrück immer kneift.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe allerdings nach dem Zuruf des Kollegen
Kampeter und angesichts der Abwesenheit der Regie-
rungsmitglieder den Eindruck – lassen Sie mich auch das
sagen –, dass sich die Regierung gerade in voller Auflö-
sung befindet. Anders kann man ein solches Verhalten
nicht erklären.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits einen Monat
nachdem wir den Bundeshaushalt verabschiedet hatten
– das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las-
sen –, musste die Regierung schon den ersten Nachtrags-
haushalt vorlegen. Nun geht es um den zweiten Nach-
tragshaushalt. Es ist ohne Frage so – das wollen wir
nicht bestreiten –, dass wir uns in einer Finanz- und
Wirtschaftskrise befinden. Wir sind in schwerem Wetter.
Ein Nachtragshaushalt wäre sicherlich auch notwendig
gewesen, wenn wir an der Regierung beteiligt wären.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Selbst die FDP hat es gemerkt!)


Allerdings wäre eine Neuverschuldung in dieser
Höhe nicht notwendig – das ist unsere Auffassung –,
wenn Sie in den letzten Jahren, also zu Zeiten einer gu-
ten Konjunktur, nicht entscheidende haushaltspolitische
Fehler begangen hätten. Sie hatten unglaublich hohe
Steuermehreinnahmen aufgrund der guten Konjunktur
und aufgrund der Erhöhung der Mehrwertsteuer, die wir
abgelehnt hatten. Was aber haben Sie gemacht? Sie ha-
ben 100 Milliarden Euro neue Schulden während Ihrer
Regierungszeit aufgenommen. Das sollte hier nicht ver-
schwiegen werden.


(Beifall bei der FDP)


Die Koalition hat eine große Chance verspielt, den
Haushalt zu sanieren. Die Mehrwertsteuererhöhung um
drei Punkte in der Phase der boomenden Konjunktur






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Jürgen Koppelin
brachte sehr viel Geld in die Staatskasse. Allerdings war
die Mehrwertsteuererhöhung – das zeigen die Zahlen
von damals – eine bedeutende Konjunkturbremse. Ohne
diese Erhöhung hätten wir wahrscheinlich am Ende
mehr Steuereinnahmen gehabt.

Herr Kollege Poß, ich habe Ihren Beitrag im Rahmen
der Aktuellen Stunde gehört. Ich kann mir folgende Be-
merkung nicht verkneifen: Da Sie jedes Mal von
Wählerbetrug sprechen, wenn wir Steuersenkungen for-
dern – ich komme nachher noch darauf zurück –, habe
ich Ihnen dieses frühere Wahlplakat der SPD mitge-
bracht. Darauf heißt es: „Am 18. September verhindern:
Konjunkturbremse Merkelsteuer“ Dieses Plakat schenke
ich Ihnen nachher. Sie können es sich dann in Ihrem
Büro an die Wand hängen und sich dann mit dem Thema
Wählerbetrug auseinandersetzen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie sind heute richtig originell!)


Wo lag das Problem in dieser Koalition? Anstatt mas-
siv die Neuverschuldung zu drücken, hat die Koalition
Milliarden für Vorhaben bereitgestellt, die dem einen
oder dem anderen Koalitionspartner wichtig waren. Da-
für haben Sie auch noch Schulden gemacht. Dieses Geld
war der Kitt dieser Koalition. Nichts anderes hat den La-
den zusammengehalten. Das muss man in aller Deutlich-
keit sagen. Jeder konnte sich reichlich bedienen. Das ha-
ben wir in den letzten Tagen – ich komme darauf noch
zurück – auch im Haushaltsausschuss erlebt.

Nun sitzt die Koalition in der Schuldenfalle. Die Bür-
gerinnen und Bürger, die Steuerzahler, stellen sich die
Frage: Wie kommt die Regierung aus dieser Schulden-
falle wieder heraus? Der Bundesfinanzminister hätte
heute Rede und Antwort stehen und den Bürgern erklä-
ren können, wie man aus der Schuldenfalle heraus-
kommt. Stattdessen stellt die Regierung selber Fragen.
Politiker werden aber gewählt, damit sie Fragen beant-
worten können und nicht, wie diese Regierung, selber
Fragen stellen.

Mit diesem Nachtragshaushalt steigt die Nettokredit-
aufnahme um 50 Milliarden Euro. Ich will Ihnen ein
kleines Beispiel nennen, das zeigt, Herr Kollege Poß
– ich weiß gar nicht, warum ich immer auf Sie zurück-
komme –,


(Joachim Poß [SPD]: Sind Sie nett!)


wie Sie mit dem Geld umgehen. Die Abgeordneten der
Opposition im Haushaltsausschuss haben erst gestern
Unterlagen zum Nachtragshaushalt bekommen. Sie hat-
ten also nicht viel Zeit, darüber zu beraten, was die Kol-
legen von der Koalition natürlich tagelang tun konnten.
Darin jedenfalls findet sich eine Position in Höhe von
40 Milliarden Euro


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 40 Millionen!)


– Entschuldigung, 40 Millionen Euro; man ist ja fast
schon in einem Zahlenrausch – für Aluminiumwerke.
Man hört auch gerüchteweise, die SPD wollte eigentlich
100 Millionen Euro bereitstellen. Die Begründung dafür
ist, dass der Strompreis in Deutschland über dem in
Europa liegt. Man müsse diese Subvention zahlen, damit
unsere Unternehmen konkurrenzfähig bleiben. Was ist
das für eine Haushaltspolitik? Machen Sie lieber eine
bessere Steuerpolitik und versuchen Sie nicht, über den
Haushalt den Unternehmen Subventionen vorne und hin-
ten reinzuschieben. Das will ich sehr deutlich sagen.
Was Sie da gemacht haben, ist ein einziger Skandal und
auch umweltpolitisch nicht akzeptabel.


(Beifall bei der FDP)


Im Haushaltsausschuss habe ich den Bundesfinanz-
minister, der hier nicht Stellung bezieht, gefragt: Wie
werden bei dieser Neuverschuldung in der Spitze unsere
Zinsen aussehen? Die Antwort des Bundesfinanzminis-
ters lautete – das muss man wissen –: In der Spitze sind
es 53 Milliarden Euro jährlich an Zinsen. Für unsere Zu-
schauerinnen und Zuschauer zum Vergleich: Nach dem
Haushaltsplan 2010 – der liegt im Entwurf vor – bekommt
zum Beispiel das Bundeswirtschaftsministerium im
nächsten Jahr 6,3 Milliarden Euro, das Verkehrsministe-
rium 26 Milliarden Euro, das Verteidigungsministerium
31 Milliarden Euro, das Familienministerium 6,4 Mil-
liarden Euro und das Bildungsministerium 10 Milliarden
Euro. Für Zinsen werden im Haushaltsjahr 2010 demge-
genüber 53 Milliarden Euro ausgegeben. Wissen Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, damit bilden die Zinsen
für Ihre Schulden die zweitgrößte Position nach dem
Etat des Ministers für Arbeit und Soziales.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das sind auch Ihre Schulden!)


Das ist ein Skandal. Das ist gegenüber kommenden
Generationen nicht zu verantworten. Sie wagen es ja
noch nicht einmal, der Bevölkerung deutlich zu sagen,
wer das eines Tages zahlen muss. Inzwischen gibt es
Gutachten, die besagen, dass die Generation der zwi-
schen 1980 und 2000 Geborenen das zahlen muss. Nein,
liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie hoffen auf eine gute
Konjunktur. Ihr Motto ist: hoffen, hoffen, hoffen. Viel-
leicht klappt das alles, dann können wir mehr einneh-
men, und dann können wir auch die Schulden abbauen. –
Das ist nicht der richtige Weg. Nach Auffassung der
FDP – das haben wir in den Haushaltsberatungen immer
gesagt – brauchen wir einen Staat der Bescheidenheit.
Als FDP sind wir der Meinung, dass man sich genau an-
schauen muss, wo auf der Ausgabenseite Einsparungen
vorgenommen werden können.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sagen Sie einmal konkret, wo!)


Wenn wir uns für Steuersenkungen, für eine Entlas-
tung der Bürger einsetzen wollen – das werden wir
durchsetzen –, werden wir um eine Betrachtung der Aus-
gabenseite nicht herumkommen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Haben Sie überhaupt einen einzigen Antrag zum Nachtragshaushalt gestellt, Herr Kollege?)


Die Sozialdemokraten drücken sich davor, sich die Aus-
gabenseite im Haushalt anzuschauen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein einziger Antrag von der FDP! – Johannes Kahrs [SPD]: Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dann mach doch einen Vorschlag! – Weitere Zurufe von der SPD)





(A) (C)


(B) (D)


Herr Präsident, habe ich noch das Wort?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623016400

Ja.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1623016500

Der Kollege Kampeter darf heute wahrscheinlich

nicht reden und macht deswegen so viele Zurufe.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein einziger Antrag von der FDP!)


Sie müssten sich die Ausgabenseite anschauen, und
dann müssten wir uns einmal darüber unterhalten, wel-
che Ausgaben sinnvoll und welche weniger sinnvoll
sind. Diese Diskussion scheuen Sie. Das ist Ihr Problem.
Es führt aber kein Weg darum herum: Wir müssen uns
zwischen sinnvollen und nicht so sinnvollen Ausgaben
entscheiden. Wir müssen uns über Kürzungen unterhal-
ten.


(Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Nennen Sie ein Beispiel!)


Wir müssen uns darüber unterhalten, welche Aufgaben
der Staat hat. Hat der Staat nicht zu viel an sich gezogen,
was er jetzt bezahlen muss? Wir sind der Meinung, dass
wir in einer Schuldenfalle stecken. Mit dieser Bundes-
regierung werden wir auf keinen Fall aus dieser Schul-
denfalle herauskommen. Wir lehnen den Nachtragshaus-
halt ab.

Zum Schluss darf ich sagen – das ist mein letzter Satz –:


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist Ihre letzte Rede!)


Ich weiß, dass der eine oder andere von uns Mitgliedern
des Haushaltsausschusses aus dem Bundestag ausschei-
det;


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie nicht?)


einige davon sprechen in dieser Debatte. Meine Fraktion
und ich wünschen allen Kolleginnen und Kollegen, die
jetzt ausscheiden, alles Gute, Gesundheit und alles, was
sie sich für ihren kommenden Lebensabschnitt wün-
schen. Es hat manchmal heftige Auseinandersetzungen
gegeben, aber die Zusammenarbeit mit allen, egal ob
von der Koalition oder der Opposition, war in all den
Jahren angenehm. Insofern: Glück auf! Ich weiß – Kol-
lege Poß kennt diese Tradition der Haushälter nicht –,
dass wir auch weiter Kontakt halten werden. Davon bin
ich fest überzeugt. Alles Gute für Sie persönlich!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hörst du jetzt auf, Jürgen? Abschiedsrede oder was? Du wolltest nur einmal von uns Beifall haben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623016600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Susanne Jaffke-Witt

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Susi, zeig es ihnen!)



Susanne Jaffke (CDU):
Rede ID: ID1623016700

Unser charmanter Jürgen, er heischt immer nach Bei-

fall. Das macht er geschickt. Im Ausschuss ist er mit-
unter ein kleiner Filibuster, aber wir mögen das.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-
nen zweiten Nachtragshaushalt für einen laufenden Etat
zu verabschieden, macht keinem Haushälter Freude. Ich
glaube, dass wir über die Ursachen in der Debatte heute
Vormittag ausführlich und umfänglich diskutiert haben.
Ja, wir befinden uns ohne Zweifel in einer der schwers-
ten Krisen weltweit. Wir befinden uns in einer Rezes-
sion. Gemessen am BIP minus 6 Prozent „Wirtschafts-
wachstum“ – das ist ein historischer Tiefstand. Ja, diese
Krise hat ihren Ursprung im amerikanischen Finanzsys-
tem. Ja, auch deutsche Finanzinstitute haben spekuliert.
Ja, die Finanzkrise hat sich auf die Realwirtschaft ausge-
wirkt; sie ist in der Realwirtschaft angekommen.

Ich bin der Kanzlerin besonders dankbar, dass sie
heute Morgen in der Debatte nochmals klar und deutlich
Stellung bezogen und darauf hingewiesen hat, dass sie
beim kommenden G-8-Gipfel seitens Deutschlands in-
tensiv auf eine Regulierung der Finanzmärkte hinwirken
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn wir sind uns sicher alle einig: Eine Wiederholung
einer solchen Krise muss ausgeschlossen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir sind uns sicher auch darin einig, dass durch diese
Krise das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht erheb-
lich gestört ist


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider wahr!)


und dass wir nun mit diesem zweiten Nachtrag zum
Bundeshaushalt darauf reagieren müssen. Wir müssen
über eine Rekordneuverschuldung in Höhe von 49 Mil-
liarden Euro befinden; das ist wohl wahr. Natürlich wol-
len wir damit auch ein Stück öffentliche Investitionen
befördern, sei es im Straßenbau, bei der Sanierung von
Kulturgütern


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


oder vor allen Dingen bei Sanierungen im Hinblick auf
den Klimaschutz.

Die größten Positionen im Etat machen aber immer
wieder unsere sozialen Sicherungssysteme aus.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auch das ist wahr!)


So werden beispielsweise der Etat des Gesundheitsmi-
nisteriums um 4 Milliarden Euro und der des Sozialmi-
nisteriums um 1,6 Milliarden Euro aufgestockt.






(A) (C)



(B) (D)


Susanne Jaffke-Witt

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider wahr! Jaffke hat recht!)


Dabei handelt es sich um die vielgerühmten automati-
schen Stabilisatoren, die wir damit wirken lassen. Aber
– das möchte ich an dieser Stelle besonders erwähnen –
wenn wir nicht ab dem Jahr 2006 eine erfolgreiche Kon-
solidierungspolitik – vor allen Dingen durch die CDU/
CSU – betrieben hätten, könnten wir heute über diese
zugegebenermaßen nicht erfreuliche Neuverschuldung
nicht beschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut, dass die Jaffke das klargestellt hat!)


Diese Anpassungen im Bundeshaushalt sind notwendig,
da wir die bereits erwähnten automatischen Stabilisato-
ren wirken lassen und keine desaströse Sparorgie vor-
nehmen.


(Zuruf von der FDP: Ach nein!)


Wir haben in diesem Haushalt die von der Großen
Koalition angestoßenen Maßnahmen zur Sicherung von
Beschäftigung und Stabilität abgebildet.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das unterscheidet uns von den unsozialen Konzepten der FDP!)


Damit sind erhebliche Minderungen von Steuer- und
Beitragseinnahmen verbunden; die Kollegin hat darauf
hingewiesen. Damit sind aber auch Erhöhungen von
Ausgaben verbunden, durch die Beschäftigung gesichert
und geschaffen werden soll und durch die die Grundlage
für einen späteren Konjunkturaufschwung verbessert
wird. Es gibt also keine Alternative zu dieser Neuver-
schuldung.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider auch wahr!)


Wir wissen auch, dass wir aufgrund dieser Neuver-
schuldung die Defizitkriterien des Maastricht-Vertrages
nicht einhalten werden. Zukünftige Haushalte werden
also weiterhin einem besonderen Ehrgeiz der sparsamen
Mittelausgaben unterliegen. Dem kommt sicher zugute,
dass uns eine Einigung zwischen Bund und Ländern ge-
lungen ist, im Grundgesetz eine Schuldenbremse zu ver-
ankern. Zur Realisierung dieser Schuldenbremse ab dem
Jahr 2011 wird es der Anstrengung aller in unserem fö-
deralen Staatswesen bedürfen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Dies ist eine besondere Herausforderung für die neuen
Bundesländer. Sie müssen und wollen ab 2019 auf eige-
nen Füßen stehen, und sie haben sich mehrheitlich in die
Solidargemeinschaft der Geber- und Empfängerländer
zur Realisierung der Schuldenbremse eingebracht.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Ich begrüße das ausdrücklich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn in der Zukunft politisches Handeln noch mög-
lich sein soll und wir die junge Generation nicht überfor-
dern wollen, werden die nächsten Haushalte für die dann
Verantwortung tragenden Kolleginnen und Kollegen ein
Kraftakt. Der in dieser Woche häufig beschriebene Ver-
gleich, dass das Wort „Krise“ im Chinesischen auch mit
„Chance“ übersetzt werden kann, sollte zum Maßstab
der zukünftig Handelnden, aber nicht nur der Haushälter
allein werden.

Ich werde an den zukünftigen Haushalten nicht mehr
mitwirken. Nach nun fast 20-jähriger Tätigkeit als Haus-
hälterin werde ich nicht wieder kandidieren. Dabei muss
ich sagen, dass ich eigentlich zufällig Haushälterin ge-
worden bin.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber eine gute!)


Ich kam am 18. März 1990 in die letzte frei gewählte
Volkskammer –


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die erste und letzte!)


– in die erste und letzte frei gewählte Volkskammer;
danke, Kurt – und wurde dort dem Haushaltsgremium
zugeschlagen.

Durch die Hilfe vieler Kollegen aus der gestandenen
CDU/CSU-Bundestagsfraktion konnte ich viel lernen.
Ich durfte im Ausschuss Deutsche Einheit mitwirken,
und ich habe aktiv am Einigungsvertrag mitarbeiten dür-
fen. Seit dem 3. Oktober 1990 bin ich Haushälterin im
Deutschen Bundestag. Jeweils am 3. Dezember eines
Jahres bin ich wiedergewählt worden: zuerst für den
Wahlkreis 270 – für die Südländer: von Anklam am Stet-
tiner Haff bis an die Müritz – und nach der Wahlkreisre-
form für den Wahlkreis 18, wiederum vom Stettiner Haff
bis an die Müritz, allerdings einschließlich der Stadt
Neubrandenburg.

Unterschiedlichste Themenbereiche durfte ich im
Haushaltsausschuss betreuen: Frauen und Jugend, das
Finanzressort mit dem Treuhand-Etat, das Innenressort
und zum Schluss das Verteidigungsressort. Auch die
spannende Zeit von der Einheit Deutschlands bis zum
Umzug nach Berlin habe ich mitmachen dürfen. Außer-
dem habe ich eine Reihe gestandener Ausschussvorsit-
zender erleben dürfen: von Rudi Walther, Helmut
Wieczorek und Adolf Roth bis hin zu Otto Fricke, der
den Generationswechsel eingeleitet hat.

Ich sage allen Kollegen für die kurze oder lange Zu-
sammenarbeit Dank. Dank sage ich natürlich insbeson-
dere meiner AG. Ich wünsche euch allen für die Zeit bis
zur Wahl und denjenigen, die diese schwierige Aufgabe
in Zukunft zu bewältigen haben, auch für die Zeit da-
nach alles Gute! Ich sage es in meiner Heimatsprache:
Holt juch fuchtig!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623016800

Frau Kollegin Jaffke-Witt, ich darf mich bei Ihnen im

Namen des ganzen Hauses für die langjährige und gute
Zusammenarbeit bedanken. Wir wünschen Ihnen für Ih-
ren weiteren Lebensweg alles Gute!


(Beifall)


Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch von der
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623016900

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Der zweite Nachtragshaushalt des
Jahres 2009 ist eine Zeitbombe, die erst nach der Bun-
destagswahl in die Luft gehen wird. Die Bundesregie-
rung überschuldet sich in einer atemberaubenden Ge-
schwindigkeit. Die gesamten Steuereinnahmen brechen
im Vergleich zum Vorjahr so heftig ein wie noch nie in
der bundesdeutschen Geschichte. Der Haushaltsexperte
der CDU geht von einer historischen Neuverschuldung
des Bundes in der Größenordnung von insgesamt
90 Milliarden Euro aus. In dieser Summe sind die Kre-
dite des Finanzmarktstabilisierungsfonds und des Ban-
kenrettungsschirms sowie das kommunale Investitions-
programm enthalten. Für die Bürger und uns lautet die
zentrale Frage: Wer soll diese Schulden eigentlich be-
zahlen?


(Beifall bei der LINKEN)


Weder CDU/CSU noch FDP beantworten diese Frage
ehrlich. Im Gegenteil, sie versprechen für die nächste
Legislaturperiode weitere Steuersenkungen in Höhe von
15 Milliarden Euro.


(Johannes Kahrs [SPD]: Unglaublich!)


Meine Damen und Herren von der rechten Seite dieses
Hauses, das ist eine neue Dimension von Populismus,


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)


die die Bürger in diesem Land noch nie erlebt haben.


(Beifall bei der LINKEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Populismus versteht sie etwas!)


Die Antwort auf die entscheidende Frage, wie diese
Schulden bezahlt werden sollen, sollte, wie schon 2005,
eigentlich erst nach der Bundestagswahl gegeben wer-
den. Sie lautet: durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Doch dummerweise hat sich Ministerpräsident Oettinger
vor kurzem verplappert.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht der oft!)


Er forderte, den verminderten Mehrwertsteuersatz von
7 auf 9,5 Prozent anzuheben.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Ach! Das ist doch schon lange aus der Welt!)

Das hieße, dass jeder Bürger, der Butter, Brot, Wurst
oder Käse kauft, von der Regierung zwangsverpflichtet
wird, die Kosten der Finanzkrise zu tragen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich, was Sie da sagen!)


Schlimmer noch: Der Vorsitzende des Wissenschaftli-
chen Beirats des Bundesfinanzministeriums befürwor-
tete eine 2-prozentige Mehrwertsteuererhöhung


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist dann immer noch weniger als in Frankreich und Holland!)


und erklärte gegenüber dem Handelsblatt vom 22. Juni
dieses Jahres – für den Fall, dass Sie das nachlesen
möchten –, dass diese Einnahmen auch zur Senkung der
Unternehmensteuer verwendet werden könnten.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Wenn Sie das SED-Vermögen herausrücken würden, könnten wir uns das alles ersparen!)


Ich wiederhole – hören Sie bitte gut zu –: Die Bürger
sollen nicht nur die Maßnahmen zur Bekämpfung der Fi-
nanzkrise und der Bankenkrise finanzieren. Nein, sie
sollen auch noch zur Ader gelassen werden, damit die
Unternehmensteuer weiter gesenkt werden kann. Noch
nie haben Politiker und sogenannte Experten vor einer
Wahl so unverschämt die Enteignung der Bürger gefor-
dert. Wir, die Linke, stellen uns dem entgegen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie bitte? Ihr wart doch die Enteignungspartei! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Genau! Ihr seid die Oberenteigner!)


Die Kanzlerin hat nun ein sogenanntes Machtwort ge-
sprochen: Keiner habe die Absicht, nach der Wahl die
Mehrwertsteuer zu erhöhen.


(Zuruf von der FDP: Das ist wie bei der Maut!)


Die Kanzlerin wird zitiert: Mit mir ist eine Steuererhö-
hung in der nächsten Legislaturperiode nicht zu machen.
Mit ihr vielleicht nicht; aber was ist mit einem Kanzler
Merz oder Koch?

Die FDP, die sich ja schon in der nächsten Bundesre-
gierung sieht, hat in ihrem Entschließungsantrag die
Haushaltspolitik der Bundesregierung scharf kritisiert,
ohne jedoch selbst einen einzigen konkreten Vorschlag
zu machen. Ihr Antrag, meine Kollegen von der FDP, ist
augenscheinlich aus einem veralteten Ökonomielehr-
buch abgeschrieben.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Was habe ich da verstanden? Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


Sie gehen in keiner Weise auf die aktuelle Lage in unse-
rem krisengeschüttelten Land ein. Sie vermitteln den
Eindruck, größere Sparanstrengungen in den vergange-
nen Jahren hätten die enorme Verschuldung, die wir jetzt
krisenbedingt erleben, verhindern können. Sie nennen
keine konkreten Beispiele; aber wir alle wissen ja, was






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
die FDP meint: Sozialabbau, Sozialabbau, Sozialabbau.
Das ist mit uns, der Linken, nicht zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Entschließungsantrag der Grünen wird die Haus-
haltslage in ihrer Dynamik und Dramatik korrekt be-
schrieben. Die Grünen weisen zu Recht darauf hin, dass
dieser Haushalt nur wenig transparent ist.


(Beifall des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber auch die Grünen sagen nicht, wer den Schulden-
berg abtragen soll.

Wir als Linke werden immer mit dem unredlichen
Vorwurf attackiert, unsere Forderungen seien unbezahl-
bar


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


und wir würden nicht an die nächste Generation denken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das, meine Damen und Herren, ist falsch. Es sind die
Regierungsparteien, die weder über die Bezahlbarkeit
ihrer verworrenen Rettungspolitik nachdenken noch sich
für die nächste Generation interessieren.


(Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Die vier Grundrechenarten haben Sie nicht gelernt! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir hätten es einfacher, wenn wir nicht die Folgekosten des Sozialismus zu tragen hätten!)


Die Wahrheit ist: Jede Partei, die nach der Wahl die
Regierungsverantwortung übernimmt, muss die Steuern
erhöhen, um die Schulden abzubauen. Die Linke ist die
einzige Partei, die ganz klar sagt,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die zweimal umbenannte SED sagt gar nichts klar!)


wer die Zeche zahlen soll.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen nicht die Steuer auf Brot, Butter und Milch
erhöhen. Nein, wir wollen, dass zum Abbau der Schul-
den diejenigen herangezogen werden, die sich in den
letzten 20 Jahren eine goldene Nase verdient haben.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das SED-Vermögen in der Schweiz!)


Das ist der richtige Weg, und dies werden wir vorantrei-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo sind denn die Parteimilliarden?)


Ein Kommunalpolitiker, der jetzt häufiger interviewt
wird, warf der Linken vor, dass wir die Reichen enteig-
nen wollen. Das ist Unsinn. Wir wollen, dass endlich
Schluss ist mit der Enteignung der Mehrheit der Bevöl-
kerung durch eine gierige Minderheit.

(Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das stellt die Wahrheit auf den Kopf! Schauen Sie sich doch einmal an, wer bei uns die Steuern zahlt!)


Mit dem zweiten Nachtragshaushalt versuchen Sie
nicht im Ansatz, der dramatischen Situation, in der sich
unser Land befindet, gerecht zu werden. Er ist schon
heute Makulatur, übrigens genauso wie das Wahlpro-
gramm von CDU und CSU.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Lassen Sie sich von dem saarländischen Bohemien nicht so am Nasenring herumführen!)


Auf Seite 3 des Wahlprogramms von CDU und CSU
steht – ich darf zitieren –:

Wir haben gezeigt, dass wir die Finanzen sanieren
können. Erstmals seit langem haben wir 2007 einen
ausgeglichenen Gesamthaushalt der öffentlichen
Hände erreicht.

Sie wollen den Wählern – das wäre eine Meisterleistung –
im Sommer 2009 Schnee von 2007 verkaufen. Aber da-
mit werden Sie kaum jemanden überzeugen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die haushaltspolitische Bilanz dieser Koalition ist
nicht, wie es dargestellt wurde, positiv, sondern negativ.
Mit Ihrem Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, sind Sie
auf der ganzen Linie gescheitert.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Nicht nur beim Haushalt!)


– Nicht nur beim Haushalt; da haben Sie recht, Herr Kol-
lege.

Sie können die Schuld nicht allein auf die gierigen
Bankmanager schieben. Auch die Koalition ist für die
Krise verantwortlich. Wir haben das schon heute Mor-
gen bei der Diskussion über den G-8-Gipfel gesehen: Sie
haben das Finanzkasino geöffnet; aber außer schönen
Worten haben Sie bisher kaum etwas getan,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


um wenigstens Spielregeln für die Zocker zu erlassen.
Es wird weiter gezockt. Sie schauen zu und halten hier
schöne Reden; aber Sie machen keine konkreten Vor-
schläge, wie der Zockerei endlich ein Ende gemacht
werden kann.


(Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal das Ergebnisprotokoll des Londoner Gipfels!)


Wir als Linke verlangen, dass gegengesteuert wird. Es
muss endlich Schluss sein mit der Umverteilung von un-
ten nach oben. Wir werden diese Forderung immer wie-
der erheben. Wir werden beitragen zur Aufklärung in
diesem Land, damit die Menschen am 27. September
wissen, wem sie guten Gewissens ihre Stimme geben
können.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

(Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich höre zwar nicht jede Ihrer Reden; aber bisher kam jedes Mal dieser Satz!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623017000

Das Wort hat jetzt die Kollegin Anna Lührmann von

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623017100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vor fünf Jahren bin ich in den Haushaltsaus-
schuss gewählt worden. Ich muss sagen, dass ich schon
sehr stolz war, als meine Fraktion mit dem Wunsch an
mich herantrat, dass ich in den Haushaltsausschuss gehe,
weil dem Haushaltsausschuss im Parlament allgemein
ein sehr großer Respekt entgegengebracht wird. Die
Haushälter gelten als eine sehr verschworene Gemein-
schaft und vor allen Dingen als sehr gründliche Arbeiter
und auch Wächter der Steuergelder. Es gibt stundenlange
Berichterstattergespräche und Haushaltsausschusssit-
zungen bis tief in die Nacht. Deswegen war ich sehr
stolz, diesem Gremium anzugehören.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Du hast auch gut hineingepasst!)


– Danke schön.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt könnte die Rede eigentlich aufhören! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU] gewandt: Das hätten Sie gerne!)


– Ja, das hätten Sie gerne, genau. Sie ahnen schon, was
jetzt kommt.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich bin ich noch immer in gewissem Maße stolz
darauf, dem Haushaltsausschuss anzugehören; aber nicht
nur ich, sondern auch viele andere sind der Meinung,
dass der Haushaltsausschuss und auch das Budgetrecht
des Parlaments unter dem Druck der Finanzmarkt- und
Wirtschaftskrise signifikant an Bedeutung verloren ha-
ben. Ich muss leider auch sagen, dass sich die Mentalität
im Ausschuss leider etwas zum Schlechteren verändert
hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


Ich will das hier einmal an drei Beispielen deutlich
machen:

Erstes Beispiel. Es ist ja ein hohes Grundprinzip unse-
rer Verfassung, dass das Parlament und nicht die Regie-
rung das Budgetrecht hat. Das ist auch sehr wichtig, weil
wir in der Lage sein sollten, mit dem Steuergeld, das uns
anvertraut wurde, verantwortungsvoll umzugehen.
Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, der Rettungs-
schirm für Banken, wurde verabschiedet. Das Volumen
der Bürgschaften und Kredite betrug insgesamt 500 Mil-
liarden Euro, die zugegebenermaßen nicht unbedingt
vollständig in Anspruch genommen werden müssen;
hoffentlich geschieht dies nur in geringer Größenord-
nung. Was sind dabei die Befugnisse des Haushaltsaus-
schusses? Er hat fast keine.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Nein, nein!)


– Ich habe „fast keine“ gesagt.

Es gibt ein Gremium zur Finanzmarktstabilisierung,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie hätten die Zeit am Freitagvormittag dort verbringen müssen! Dann wüssten Sie, wie intensiv die Kontrolle ist!)


das freitagmorgens geheim tagt. Mein Obmann sitzt da-
rin. Er wird dort sicherlich gut arbeiten, aber es ist ge-
heim. Er kann mir kein einziges Wort darüber berichten.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Lesen Sie doch die Zeitung! Da steht es drin!)


Wie soll ich denn mein Kontrollrecht hier vernünftig
ausüben, wenn er mir nichts erzählen darf?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Bonde spricht doch immer mit dem Handelsblatt! Er soll einmal mit Ihnen reden!)


Zweites Beispiel: der Deutschlandfonds. Darin sind
die Großbürgschaften für Unternehmen wie Opel und
andere zusammengefasst. Das Volumen beträgt 115 Mil-
liarden Euro. In diesem Umfang sind Kredite und Bürg-
schaften möglich.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das alles steht in der Zeitung! Ich weiß gar nicht, was da geheim sein soll!)


Welche Rechte hat der Haushaltsausschuss, der die Bud-
gethoheit des Parlaments ausüben soll? Er hat das Recht
zur Kenntnisnahme.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, das wollten wir so!)


– Das wollten Sie so. Ich halte das aber für falsch, weil
das mit den Grundprinzipen der parlamentarischen De-
mokratie nicht zu vereinbaren ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP] und Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist Gewaltenteilung!)


Es ist unsere Aufgabe, zu kontrollieren,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das tut das Gremium auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Anna Lührmann
was die Regierung mit den Geldern der Steuerzahler
macht, und wir haben die Hoheit über den Haushalt. Hier
werden Summen, die wir, wenn wir ehrlich sind, in nor-
malen Haushaltsverhandlungen noch nicht einmal bewe-
gen könnten, „rausgehauen“,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da wird nichts „rausgehauen“!)


ohne dass der Haushaltsausschuss explizit mitentschei-
den kann. Das finde ich falsch, und das zeugt auch nicht
von einem verantwortungsvollen Umgang mit den Steu-
ergeldern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP] und Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein verantwortungsloser Umgang mit der Wahrheit! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP], an den Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU] gewandt: Jetzt lass sie doch einmal ausreden!)


Drittes Beispiel. In der Haushaltspolitik bzw. unter
Haushaltspolitikern galt ja immer die Maxime der mög-
lichst sparsamen und effizienten Mittelverwendung; das
ist in der Bundeshaushaltsordnung so festgeschrieben.
Es gibt daher immer viele Nachfragen und Diskussionen
über die Prioritätensetzung. Dann kam die Krise, und es
wurde gesagt: Es muss investiert werden. Das ist ja auch
richtig.

Wofür geben Sie das Geld aber aus? Sie geben zum
Beispiel 5 Milliarden Euro für die Abwrackprämie aus.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist gut so!)


5 Milliarden Euro sind ja eine gewaltige Summe. Das ist
so viel wie das Elterngeld und der Kinderzuschlag zu-
sammen und doppelt so viel, wie Sie im Jahr für den Kli-
maschutz ausgeben. 5 Milliarden Euro landen einfach
auf dem Schrottplatz. Trotzdem wollen Sie mir sagen,
dass Sie sparsam und effizient mit den Mitteln umge-
hen? Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP] – Johannes Kahrs [SPD]: Denken Sie an die Arbeitsplätze!)


In den letzten Sitzungen des Haushaltsausschusses
haben wir Diskussionen über Kulturdenkmäler erlebt,
wobei es zugegebenermaßen um ein geringeres Volumen
ging. Auch hier werden Gelder nach nicht nachvollzieh-
baren Maßstäben ausgegeben.

Ein Beispiel: Das Seltersmuseum im Hochtaunuskreis
erhält 1,8 Millionen Euro für seinen Fast-Neubau. Wa-
rum das so ist, konnte mir niemand beantworten. Das
soll sozusagen unter der Maßgabe des Konjunkturpaktes
geschehen, wonach jetzt Geld ausgegeben werden soll.
Es gibt Keynesianisten, die sagen, man könne theore-
tisch auch Löcher buddeln und wieder zuschütten; das
schaffe auch Arbeitsplätze und sei damit konjunkturell
wirksam. Warum geben Sie aber so viel Geld für das
Seltersmuseum?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


Ich komme übrigens aus Lich, wo auch das Bier her-
kommt. Das ist meine Heimatstadt, dort wurde ich gebo-
ren. Warum finanziert man nicht auch ein Museum für
das Licher Bier? Das kann mir hier keiner beantworten.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Warum haben die keinen Antrag gestellt? – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommen auf Ideen! Die anderen machen das einfach!)


Das ist vielleicht ganz lustig; aber das, was gestern in
der Haushaltsausschusssitzung geschah, war nicht mehr
lustig. Wir haben dort über den Nachtrag zum zweiten
Nachtragshaushalt verhandelt. Das ist an und für sich
schon eine krasse Sache; zugegebenermaßen kann das in
der Krise notwendig werden. Sie haben noch nachmit-
tags eine Vorlage aus der Schublade gezogen, die eine
zusätzliche Neuverschuldung von 1,5 Milliarden Euro
vorsah. Das wurde einfach so, ohne großes Aufhebens,
aus der Schublade gezogen und verteilt. Ich würde sa-
gen, da galt das Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es
sich ganz ungeniert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Das gilt erst recht, wenn man sich anschaut, was sich
in der Vorlage verbirgt, ohne dass in den zuständigen
Gremien gründlich darüber beraten wurde.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das Bürgerentlastungsgesetz wurde gründlich beraten!)


Die Vorlage sieht 85 Millionen Euro an Subventionen
für die energieintensive Großindustrie vor. Darin sind
Stromkostenzuschüsse für die Stahlwerke in Eisenhüt-
tenstadt und Salzgitter enthalten. Die Stahlwerke be-
kommen dicke Subventionen, und das alles in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Es geht doch ums Energiesparen!)


Ich verstehe auch die inhaltliche Zielsetzung der Bun-
desregierung nicht. In den USA lässt sie sich als Klima-
schutzhelden feiern; hier zu Hause werden klimaschädli-
che Subventionen einfach so im Haushaltsausschuss
durchgedrückt,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


ohne dass es bis jetzt – ich hoffe, das ändert sich – je-
mand mitbekommen hätte.

Zum Schluss gehe ich auf ein anderes wichtiges
Haushaltsprinzip ein: Klarheit und Wahrheit. Wir reden
jetzt über einen Nachtragshaushalt, der eine Nettokredit-
aufnahme von 49 Milliarden Euro vorsieht; aber die
Wahrheit ist noch viel schlimmer. Mit den Sondervermö-
gen haben Sie lauter Schattenhaushalte aufgestellt: die






(A) (C)



(B) (D)


Anna Lührmann
ganzen Konjunkturpakete, die Bankenrettungspläne, der
Wirtschaftsfonds, über den ich gerade geredet habe. Die-
ses Sondervermögen ist in den 49 Milliarden Euro nicht
enthalten. Wir gehen deshalb davon aus, dass wir in die-
sem Jahr eine Neuverschuldung von 90 Milliarden Euro
erreichen werden. Das ist wirklich eine krasse Zahl. Das
schnürt künftigen Generationen, aber auch den Politike-
rinnen und Politikern, die in der nächsten Legislatur-
periode die Verantwortung tragen, die Handlungsspiel-
räume ab.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das zeigt ja, dass Sie keine Ahnung von Zahlen haben!)


Ich gehöre dem nächsten Bundestag nicht mehr an.
Ich werde also nicht vor der schwierigen Aufgabe ste-
hen, diese Suppe auszulöffeln. Ich hoffe aber sehr, dass
dieser unkontrollierte Ausgabenrausch ein Ende haben
wird, dass sich der Bundestag wieder auf nachhaltige In-
vestitionen konzentriert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Wunsch, den ich hier zum Schluss äußern
möchte.

Zum Schluss möchte ich mich auch in aller Form ver-
abschieden. Ich möchte mich für die gute Zusammenar-
beit jenseits der inhaltlichen Auseinandersetzungen be-
danken. Als ich 2002 als jüngste Abgeordnete, mit
19 Jahren, in den Bundestag gewählt worden bin, habe
ich gleich gesagt, dass ich erst einmal höchstens zwei
Legislaturperioden hier vertreten sein möchte, weil ich
auch andere Lebens- und Berufserfahrungen sammeln
möchte. Ich werde hier jetzt kein Resümee ziehen; dafür
fühle ich mich noch etwas zu jung. Wer weiß, vielleicht
stehe ich eines Tages wieder hier.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])


Ich bedanke mich in aller Form bei den Kolleginnen
und Kollegen, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
im Ausschuss und insbesondere bei den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern in meinem Abgeordnetenbüro,
ohne die ich das alles nicht geschafft hätte und die ich
deshalb namentlich erwähnen möchte. Mein Dank geht
an Katja Borns, Heiko Engling, Ole Barnick, Christian
Wussow, Klaus Strzyz, Evrim Kaynak und Kerstin
Lyrhammer sowie an alle Ehemaligen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623017200

Frau Kollegin Lührmann, ich darf Ihnen im Namen

des ganzen Hauses für die gute Zusammenarbeit über
zwei Legislaturperioden hinweg Dank sagen. Sie sind
noch jung, Sie haben noch einen langen Lebensweg vor
sich. Ich hoffe, dass Sie einen schönen Lebensweg vor
sich haben und dass wir heute lediglich Ihre vorerst
letzte Rede erlebt haben. Vielen Dank.


(Beifall)

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bettina Hagedorn von
der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1623017300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Zu Beginn muss ich ein paar Sätze zu
meinen Vorrednern sagen. Ich fange mit Ihnen an, Herr
Kollege Koppelin. Sie haben auf den Schuldenberg hin-
gewiesen. Ich glaube, wir können sagen, dass er eine Be-
lastung für uns alle ist. Allerdings haben Sie verschwie-
gen, dass dieser Schuldenberg seit 1969 aufgetürmt
worden ist und dass mehr als die Hälfte der Zeit die FDP
mitregiert hat. Seit 1969 wurden keine Haushalte mehr
verabschiedet, in denen mehr eingenommen als ausgege-
ben wurde. Der Schuldenberg hat sich allmählich aufge-
türmt.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ich gebe Ihnen mal die Zahlen!)


– Ich habe die Zahlen, danke schön.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aber Sie haben sie aus dem Willy-Brandt-Haus bekommen! Die sind falsch!)


Ich leide sehr wohl auch darunter; aber es ist völlig ver-
antwortungslos von Ihnen, dass Sie versuchen, sich ei-
nen schlanken Fuß zu machen und die Verantwortung
nur einem bestimmten Kreis von Abgeordneten anzu-
hängen. Dagegen verwahre ich mich.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aber Sie regieren seit elf Jahren!)


Die Kollegin Lötzsch hat die Zeitbombe kritisiert. Es
ist etwas ganz Neues, dass Sie Mehrausgaben skandali-
sieren. Ausgerechnet Sie! Sie haben zwar gefragt: „Wer
soll das alles bezahlen?“, und dazu Vorschläge unterbrei-
tet, von denen Sie genau wissen, dass sie in Bundestag
und Bundesrat – sie brauchten in beiden Häusern die
Mehrheit – nicht mehrheitsfähig sind. Damit sind sie un-
realistisch. Antworten habe ich aber von der Opposition
bisher nicht gehört.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Ich gebe Ihnen in einem einzigen Punkt recht. Ich will
Ihnen gerne zugestehen, dass in dieser Haushaltssitua-
tion die Forderung nach Steuersenkungen Populismus
ist. Meine Kolleginnen Frau Jaffke und Frau Ober sind
ausführlich auf die Zahlen zum Nachtragshaushalt ein-
gegangen, die ich mir deshalb sparen kann. Ich möchte
aber angesichts der Neuverschuldung eines ansprechen:
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass heute verdächtig
viele Frauen am Rednerpult stehen. Lieber Kollege
Koppelin, Frauen, die Kinder und Enkelkinder haben,
müssen Sie über Nachhaltigkeit und die Verantwortung
gegenüber künftigen Generationen nichts erzählen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das gilt aber auch für Männer! – Zuruf von der FDP: Warum halten Sie sich dann nicht daran?)







(A) (C)



(B) (D)


Bettina Hagedorn
Ich denke dabei zum Beispiel an meine persönliche
Situation. Ich habe drei Söhne. Sie sind 25, 28 und
30 Jahre alt. Alle drei sind Handwerker, die hart für ih-
ren Lohn arbeiten, brav Steuern zahlen und denen keine
gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Ihnen werde
ich erklären müssen, was wir heute tun.

Am nächsten Sonntag wird meine erste Enkeltochter
getauft. Heute haben Mädchen eine statistische Lebens-
erwartung von 100 Jahren. Die kleine Leni wird – wie
übrigens auch Deine Tochter, liebe Anna – später den
Schuldenberg abtragen müssen, der über 40 Jahre aufge-
türmt worden ist. Wenn ich in ihre Augen schaue, dann
wird die Verantwortung für künftige Generationen plas-
tisch.

Wir alle, die wir gemeinsam in der Großen Koalition
diesen Nachtragshaushalt aufgestellt haben, haben es
uns nicht leicht gemacht. Dass Sie zugestanden haben,
dass Sie das alles auch hätten tun müssen, wenn Sie
heute Regierungsverantwortung tragen würden, ist das
einzige, was ich an Ihrer Rede wirklich gut fand, Herr
Koppelin. Denn wir wollen mit diesem Nachtragshaus-
halt und den darin vorgesehenen Mehrausgaben zur An-
kurbelung der Konjunktur gerade im Bereich Arbeits-
markt Menschen in Lohn und Brot halten, statt – wie wir
es sonst nämlich tun müssten – die Arbeitslosigkeit zu
bezahlen. Das Wegbrechen der Einnahmen sowohl auf
der Steuerseite als auch bei den sozialen Sicherungssys-
temen ist der eigentliche Grund dafür, dass wir diesen
Nachtragshaushalt beschließen müssen.

Allerdings haben wir in Deutschland die Angewohn-
heit, uns häufig noch ein bisschen schlechter zu reden,
als wir wirklich sind. Darum lohnt ein Blick in eine Vor-
lage, die gestern im Haushaltsausschuss verteilt worden
ist. Dabei geht es um die Bewertung der EU-Kommis-
sion zu dem Haushaltsdefizit in Europa. Wenn man sich
das genau anschaut, dann kann man sehen, wo Deutsch-
land steht. Dann wird das Defizit sichtbar, das wir unbe-
stritten haben und das größer ist als jedes Defizit, das wir
in der Vergangenheit gekannt haben. Darum ist die He-
rausforderung so groß.

Dennoch stehen wir im Vergleich mit Nachbarländern
wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Öster-
reich besser da. Ich will gar nicht darauf eingehen, dass
wir selbstverständlich viel besser dastehen als Griechen-
land, Spanien, Portugal und Polen. Du hast das Defizit
mit 6 Prozent angegeben, Susi Jaffke. Das ist eine un-
glaublich große Zahl. Aber man sollte vielleicht eines
wissen: Die Schulden im Haushalt von Theo Waigel
1996, der mit 40 Milliarden Euro die höchste Nettokre-
ditaufnahme aufwies, wurden gemacht, als es ein
Wachstum von plus 1 Prozent gab. Jetzt beträgt es minus
6 Prozent. Aber in Großbritannien – das große Great Bri-
tain – beträgt das Wachstum 2009 minus 11,5 Prozent.
2010 werden es voraussichtlich minus 13,8 Prozent sein.
Dieses Land der Privatisierung, dieses Zentrum der Fi-
nanzwirtschaft, das für eine freie, ungefesselte Markt-
wirtschaft und eine minimale soziale Absicherung seiner
Bevölkerung steht, kommt mindestens doppelt so
schlecht durch die Krise wie Deutschland. Unter den
Ländern, denen es nach dieser Statistik besser geht, be-
finden sich Dänemark, Schweden und Finnland, also
nordische Länder, die genau das Gegenteil eines anglo-
amerikanischen Gesellschaftsmodells pflegen und sich
gemeinsam, parteiübergreifend zu einem starken, hand-
lungsfähigen Staat sowie zu hohen Staatseinnahmen und
Steuerquoten als Voraussetzung für Investitionen in Bil-
dung und Forschung, starke soziale Sicherungssysteme
und eine wirklich solidarische Gesellschaft bekennen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Kollege Koppelin, Sie haben vorhin davon ge-
sprochen, dass Sie auf die Ausgabenseite schauen wol-
len. Ihr sogenanntes Sparbuch, das Sie uns jedes Mal
zeigen, kennen wir.


(Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])


– Nein, es handelt sich um 6 Milliarden bis 8 Milliarden
Euro, wenn überhaupt. Schließlich enthält es auch Ver-
tragsbrüche.

Abgesehen davon können Sie mit diesen 6 Milliarden
bis 8 Milliarden Euro gegen die Löcher, die sich im Mo-
ment auftun, nicht ansparen.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sie machen doch gar nichts!)


Wenn Sie dennoch behaupten, es tun zu wollen, obwohl
ein großer Teil der Ausgaben zum Beispiel durch unsere
sozialen Sicherungssysteme gesetzlich gebunden ist,
dann ist das praktisch die Ankündigung, genau dort ein-
zugreifen. Das bedeutet, Herr Kollege Koppelin, dass
Sie in Wahrheit die Axt an den Sozialstaat, wie wir ihn
in Deutschland kennen, anlegen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Kolleginnen und Kollegen haben viele Zahlen
bereits genannt. Daher will ich zusammenfassend nur ei-
nes sagen: Vor einem Jahr hat die Regierung den Haus-
halt 2009 aufgestellt. Heute, wo wir den zweiten Nach-
tragshaushalt verabschieden, haben wir es mit einem
Steuereinnahmeminus von in der Summe 23,2 Milliar-
den Euro zu tun. Daran wird deutlich: Wir haben ein
Einnahmeproblem, das einen Nachtragshaushalt erfor-
derlich macht. Auf die Ausgaben für den Arbeitsmarkt
und die sozialen Sicherungssysteme hast du, liebe Susi,
schon zu Recht hingewiesen.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich auf meine Fa-
milie zurückkommen, mit der ich meine Rede begonnen
habe. Ich habe bereits gesagt, dass wir uns die angekün-
digten Steuersenkungen in dieser Situation nicht leisten
können und dass man den Menschen etwas vormacht,
wenn man das Gegenteil behauptet. Denn an dem demo-
grafischen Faktor kommt keine Partei, die in diesem
Land Verantwortung trägt, vorbei. Vor knapp fünf Wo-
chen konnten wir den 85. Geburtstag meines Vaters fei-
ern,


(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


der seit 27 Jahren Pensionär ist. 1960 lag die durch-
schnittliche Rentenbezugsdauer wegen der deutlich






(A) (C)



(B) (D)


Bettina Hagedorn
niedrigeren Lebenserwartung bei neun Jahren. Heute hat
sich die Bezugsdauer mit 17 Jahren fast verdoppelt.
Meine Mutter ist 80 Jahre alt.


(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


Vor zehn Tagen feierten wir den 104. Geburtstag meiner
Oma.


(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


Ich finde, es ist ein Grund, sich zu freuen, dass die
Menschen länger gesund bleiben und lange eine hohe
Lebensqualität haben. Daran, wie die Politik im Gesund-
heits- und Pflegebereich mit der älteren Generation um-
geht, wird sich künftig messen lassen, wie wir es mit
dem Schutz der Würde des Menschen halten.


(Beifall bei der SPD)


Wer unsere bewährten Sozialleistungen – auf diese soll-
ten wir alle gemeinsam stolz sein; denn fast alle Parteien
haben in den letzten Jahrzehnten daran mitgewirkt, sie
aufzubauen und zu erhalten – nicht infrage stellen will,
muss den Menschen die Wahrheit sagen: Für Steuersen-
kungen ist kein Spielraum.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Gute Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623017400

Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt Rossmanith von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Guter Mann! – Bettina Hagedorn [SPD]: Er erhöht die Männerquote!)



Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1623017500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Sicherlich gibt es schönere Momente,
als hier zu stehen und den Bürgerinnen und Bürgern in
unserem Lande sagen zu müssen, dass wir einen zweiten
Nachtragshaushalt vorlegen. Es gibt sicher schönere
Themen, und das ist kein erfreuliches Ereignis. Ich hätte
es übrigens gewiss nicht kritisiert, wenn – bei allem Re-
spekt vor unserem Parlamentarischen Staatssekretär Karl
Diller – auch der Finanzminister anwesend gewesen
wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Oder jemand vom Kanzleramt!)


Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen für Ihre Arbeit.
Das möchte ich vorneweg sagen, weil ich mich jetzt auf
das Thema beschränken will. Danksagungen hat es
schon gegeben, und dem Dank möchte ich mich hiermit
anschließen.

Die Situation ist, wie sie ist: Wir haben eine Finanz-
krise. Dass eine Finanzkrise immer auch eine Wirt-
schaftskrise nach sich zieht, steht außer Frage. Das darf
man nicht einfach so laufen lassen, sondern man muss
Maßnahmen ergreifen, die natürlich etwas kosten. Man
muss also Geld in die Hand nehmen. Das ist bedauerlich,
aber in dieser Situation unabweisbar. Es ist einfach er-
forderlich. Deshalb sollten wir nicht polemisieren oder
uns gegenseitig angreifen, sondern wir sollten in solch
einer Situation zusammenstehen und die Realitäten aner-
kennen. Das sollten wir in aller Ehrlichkeit den Bürge-
rinnen und Bürgern von dieser Stelle aus sagen. Wahl-
kampf können wir draußen in den Städten, in den
Gemeinden und in den Dörfern führen. Der ist notwen-
dig; das steht außer Frage. Aber hier sollten wir unserer
Verantwortung gerecht werden. Dafür sind wir gewählt
worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Keinen freut es, und ich hätte lieber etwas anderes ge-
sagt, als mitzuteilen, dass wir mit einer Gesamtsumme
von 303,3 Milliarden Euro im Haushalt 2009 erstmals
die Schallmauer von 300 Milliarden Euro durchbrechen
werden. Es ist auch nicht schön, dass sich die Nettokre-
ditaufnahme in diesem Jahr auf 49 Milliarden Euro be-
laufen wird, nicht auf 50 Milliarden Euro, lieber Kollege
Koppelin.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Kommt noch!)


Dazu muss ich sagen, dass man den Antrag der FDP auf
Drucksache 16/13688 schon deshalb ablehnen muss,
weil er inhaltlich falsch ist – wir müssten geradezu einen
Verfassungsbruch begehen –, denn Sie legen den Antrag
mit der Begründung vor, dass die Nettokreditaufnahme
in diesem Jahr 47,6 Milliarden Euro betragen wird.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das habt ihr doch erst gestern verbessert!)


– Zu eurem Antrag sage ich nichts mehr. Man hätte ihn
auch verbessern können. Ein Antrag sollte immer auf
dem neuesten Stand sein. Wir mussten gestern – das ist
richtig – noch eineinhalb Milliarden Euro einstellen.

Aber die Situation ist nun einmal so, wie sie ist. Ich
muss Ihnen sagen, dass Sie etwas gänzlich vergessen ha-
ben – ich bin der Kollegin Hagedorn dankbar, dass sie
darauf hingewiesen hat –: Wir geben immerhin ein Dar-
lehen von 4 Milliarden Euro dieser Summe an den Ge-
sundheitsfonds, und 1,6 Milliarden Euro stellen wir für
das Arbeitslosengeld II zur Verfügung. Damit entlasten
wir die Bürgerinnen und Bürger; denn das Geld kommt
diesen Menschen zugute. Das sage ich, weil es immer
heißt, dass wir von den Kleinen mehr als von den Gro-
ßen verlangen. Nein, das ist bei Gott nicht so.

Gestern hatten wir eine relativ lange Sitzung des
Haushaltsausschusses. Wir haben uns viel Mühe gege-
ben und haben schon im Vorfeld um ein gutes Ergebnis
gerungen. Man kann sicher darüber streiten, ob die eine
oder andere Maßnahme notwendig ist. Aber einige Maß-
nahmen dienen der Energieeffizienz, dem Umweltschutz
usw. usf. Wenn sie der Umwelt dienen, dann sagt man,
die 40 Millionen Euro sollen es halt sein.

Gott sei Dank sind jetzt auch die wirtschaftswissen-
schaftlichen Institute der Meinung, dass nach diesem si-






(A) (C)



(B) (D)


Kurt J. Rossmanith
cherlich sehr schlimmen Jahr 2009 die Talsohle erreicht
ist und wir – beginnend mit dem Jahr 2010, spätestens
mit 2011 – Wirtschaftswachstum haben werden, um all
das, was wir vorhaben, umzusetzen, nämlich dass die
Arbeitslosigkeit nicht weiter steigt, sondern abgebaut
wird, und dass in der Einkommensbesteuerung im Be-
reich der kalten Progression ein Regulator eingeführt
wird. Wir wollen – das hat die Linke offensichtlich nicht
verstanden – den Eingangssteuersatz senken. Das wird
die niedrigen Einkommen entsprechend entlasten.

Deswegen schlage ich vor und bitte Sie, die beiden
Entschließungsanträge, zum einen von Bündnis 90/Die
Grünen und zum anderen von der FDP – zum FDP-An-
trag habe ich bereits gesagt, dass allein der Zahlenfehler
ein Grund ist, diesen abzulehnen –, abzulehnen und an-
sonsten dem Nachtragshaushalt und damit dem Haushalt
2009 Ihre Zustimmung zu geben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623017600

Herr Kollege Rossmanith, auch Ihnen darf ich im Na-

men des ganzen Hauses für die langjährige Zusammen-
arbeit danken. Sie waren seit 1980 über acht Legislatur-
perioden hinweg im Deutschen Bundestag. Ich wünsche
Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute.


(Beifall)


Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Norbert Barthle von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1623017700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wenn man als letzter Redner
zu einem Thema spricht, dann haben die Vorredner in
der Regel zur Sache schon alles gesagt. Aber es ist eben
noch nicht von allen etwas gesagt worden. Ich würde
deshalb gerne die Gelegenheit nutzen, nicht noch einmal
auf die Details des Nachtragshaushaltes einzugehen,
sondern diese Debatte etwas abzurunden.

Zunächst möchte ich auf die Kritik der Kollegin
Lührmann von den Grünen eingehen. Frau Lührmann,
ich gestehe Ihnen eines zu: Wenn in Zeiten einer Krise
– dass wir es mit der größten Krise zu tun haben, die
diese Republik je erlebt hat, ist unbestritten; in den 70er-
Jahren hatten wir 0,9 Prozent, jetzt minus 6 Prozent
Wirtschaftswachstum; eine solche Rezession gab es
noch nie – Regierung und Parlament schnell handeln
müssen, dann kann es durchaus sein, dass man Gesetze
sehr schnell durch den Bundestag durchziehen muss.
Deswegen will ich Ihnen gerne zugestehen, dass in dem
einen oder anderen Fall, auch in diesem Fall, die Bera-
tungszeit nicht ganz so lang war, wie sie es üblicher-
weise ist. Da haben Sie ein Stück weit recht.

Nicht recht haben Sie bezüglich Klarheit und Wahr-
heit. Mit diesem Nachtragshaushalt bilden wir genau die
Dinge ab, die andernfalls durch außerplanmäßige oder
überplanmäßige Ausgaben über Regierungsvollzug vor-
genommen würden, sozusagen am Parlament vorbei.
Erst im Nachhinein würden wir sie zur Kenntnis bekom-
men. Deshalb ist es richtig und dient es der Haushalts-
klarheit und -wahrheit, wenn wir diese Dinge jetzt in den
ohnehin vorliegenden Nachtragshaushalt packen. Das
sieht das Haushaltsgesetz so vor; das müssen wir so ma-
chen. Insofern wahren wir durchaus das Budgetrecht des
Parlaments, das auch ich als eines der vornehmsten
Rechte unseres Parlamentes betrachte. Darauf achten wir
sehr sorgsam. – Das zu diesem Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich etwas zu der Kritik der Linken sa-
gen, die fragen: Wer soll das alles bezahlen? Außerdem
hat ihrer Auffassung nach die Koalition Schuld an dieser
Krise. Liebe Frau Kollegin Lötzsch, Sie haben gehört,
dass wir in Deutschland nahezu die Hälfte unseres Brut-
toinlandsprodukts über die Außenwirtschaft erzielen.
Wir sind wie keine andere Nation in dieser Welt – die
nächsten sind die Japaner mit etwa 25 Prozent, die USA
erzielen gerade einmal 10 bis 15 Prozent des BIP über
Außenwirtschaft – auf funktionierende Außenwirt-
schaftsbeziehungen angewiesen. Diese Krise ist eine
weltweite Krise. Wenn Sie der Koalition die Schuld an
dieser Krise in die Schuhe schieben wollen, dann frage
ich Sie, wie wir diese weltweite Krise verursacht haben
könnten. Mir ist das unerklärlich. Das passt nicht zusam-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte noch etwas zur FDP sagen. Herr Kollege
Koppelin, Sie haben die Höhe der Neuverschuldung, der
Nettokreditaufnahme, kritisiert. Natürlich ist es als
Haushälter nicht erfreulich, eine höhere Nettokreditauf-
nahme vornehmen zu müssen. Ein Blick über unsere
Grenzen hinaus lehrt uns aber – Frau Hagedorn hat Eng-
land angesprochen –, dass Amerika, England, Frank-
reich, Italien und andere Länder noch wesentlich mehr
machen als wir. Von dort wird kritisiert, dass wir zu we-
nig machen. Wenn die Opposition uns kritisieren würde,
dass wir zu wenig machen und mehr tun sollten, dann
hätten wir Schwierigkeiten, die richtigen Argumente
vorzubringen. Sie kritisieren aber, dass wir zu viel ma-
chen. Aus meiner Sicht ist das eigenartig und kleines
Karo. Anscheinend ist das Ausmaß dieser Krise bei der
Opposition noch gar nicht angekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte auf das, was die Kollegin Hagedorn ange-
sprochen hat, zurückkommen. Welche Konsequenzen er-
geben sich aus dieser neuen hohen Verschuldung, auf die
wir uns auch in den kommenden Jahren einstellen müs-
sen? Ich höre immer wieder – wie aus einer Drehorgel –,
dass es keinen Spielraum für Steuersenkungen gibt.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist auch keiner!)


Im Rahmen des Bürgerentlastungsgesetzes haben wir
gemeinsam mit der SPD eine Verschiebung des Steuerta-
rifs nach rechts beschlossen, um die kalte Progression et-






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Barthle
was abzumildern. Das ist eine Steuersenkung. Wenn Sie
mir jetzt sagen können, dass das der Finanzminister aus
der Hosentasche bezahlt, dann glaube ich Ihrer Kritik. Er
bezahlt aber auf Pump, mit neuen Schulden. Was lernen
wir also daraus?


(Zuruf von der SPD: Sie wollen Steuersenkungen!)


Steuersenkungen zulasten neuer Schulden, beschlossen
von der Großen Koalition, sind gut.


(Zuruf von der SPD: Auf Pump! – Bettina Hagedorn [SPD]: Die ist doch befristet!)


Steuersenkungen, vorgeschlagen von der CDU, sind un-
möglich. Das geht nicht. – Das hat keine innere Logik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den kommenden Jahren müssen wir diejenigen
Menschen in diesem Lande, die uns aus der Krise he-
rausführen können – das sind diejenigen, die Tag für Tag
arbeiten und Steuern zahlen –, aus der kalten Progres-
sion befreien. Wir müssen ihnen das Geld, das sie ver-
dient haben, lassen. Wir dürfen es nicht über die kalte
Progression wieder wegsteuern. Deswegen müssen wir
dieses Momentum aus dem Steuerrecht entfernen. Das
wollen wir. Das ist gut und richtig; denn das hilft uns aus
der Krise heraus.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623017800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über
die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundes-
haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009. Der Haus-
haltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf den Drucksachen 16/13588 und 16/13589, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
16/13000 und 16/13386 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die FDP-Fraktion, die Fraktion Die Linke und die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13688? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13689

(neu)? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der

Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Die Alterssicherung der Selbständigen verbes-
sern

– Drucksache 16/11672 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Erwin Lotter für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Erwin Lotter (FDP):
Rede ID: ID1623017900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine Damen und Herren! Freiheit und Verantwor-
tung sind die Leitmotive liberalen Handelns. Das gilt
auch für die Arbeitsmarktpolitik und für die Sozialpoli-
tik. Als Gesetzgeber sind wir in der Verantwortung, allen
Bürgerinnen und Bürgern einen fairen Zugang zur Al-
tersvorsorge zu ermöglichen. Wir wollen aber auch die
Freiheit, dass jeder selbst entscheiden kann, welche
Form der Altersvorsorge er gerne möchte.


(Beifall bei der FDP)


Bei den angestellten Arbeitnehmern gibt es die ge-
setzliche Altersvorsorge, die private Vorsorge und die
betriebliche Vorsorge. Bei den Selbstständigen dagegen
besteht Handlungsbedarf. Selbstständige Erwerbstätig-
keit gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung.
Sie ist eine Konsequenz des Strukturwandels von der
Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. 2008 haben
schon 4,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger ihr Ein-
kommen mit selbstständiger Tätigkeit erwirtschaftet.
Eine besondere Bedeutung haben dabei die sogenannten
Soloselbstständigen, also Einpersonenunternehmen. Ihr
Anteil hat sich in den vergangenen Jahren rasant vergrö-
ßert. Sie stellen mittlerweile mehr als die Hälfte aller
Selbstständigen in Deutschland.

Soloselbstständige sind in den verschiedensten Beru-
fen tätig, zum Beispiel als Handwerker, Ärzte, Journalis-
ten, Taxifahrer oder Landwirte. Viele dieser Einperso-
nenunternehmen erwirtschaften aber vor allem am
Anfang der Selbstständigkeit nur ein sehr geringes Ein-
kommen. So bezieht ein Drittel dieses Personenkreises
ein Monatseinkommen von nur 1 100 Euro. Da ist es na-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Erwin Lotter
türlich naheliegend, dass man zunächst nicht an die Al-
tersvorsorge denkt, sondern diese auf später verschiebt.

Aber es kann sehr lange dauern, bis es dazu kommt,
oder auch nie stattfinden, wenn sich die Unternehmung
als Misserfolg herausstellt. Die Folge sind Lücken in der
Rentenbiografie, die später gar nicht oder nur mit erheb-
lichem finanziellen Aufwand zu kompensieren sind.
Deshalb müssen wir die Altersabsicherung der Selbst-
ständigen verbessern und an die Bedürfnisse einer
Dienstleistungsgesellschaft im 21. Jahrhundert anpas-
sen.


(Beifall bei der FDP)


Wir wollen verhindern, dass Selbstständige später auf
Grundsicherung angewiesen sind, und treten deshalb für
eine Versicherungspflicht Selbstständiger ein. Die
Selbstständigen sollen aber selbst entscheiden können,
wie sie sich versichern:


(Beifall bei der FDP)


freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung, privat
oder in einer Kombination aus beidem. Denn die Ein-
kommens- und Vermögenssituation eines jeden Selbst-
ständigen ist anders. Deshalb macht es gerade keinen
Sinn, einen Selbstständigen in die gesetzliche Renten-
versicherung zu zwingen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Ach! Und was ist da anders bei den Erwerbstätigen?)


Es ist deshalb auch konsequent, selbstständigen
Handwerkern sowie Hebammen und Entbindungspfle-
gern die freie Wahl der Versicherungsform zu ermögli-
chen.


(Beifall bei der FDP)


Es gibt keinen Grund, sie weiter in die gesetzliche Rente
zu zwingen. So wie wir diesen eine private Altersabsi-
cherung ermöglichen sollten, sollten wir auch anderen
Gruppen von Selbstständigen den Verbleib in ihren Al-
terssicherungssystemen, zum Beispiel den berufsständi-
schen Versorgungswerken, garantieren.

Selbstständige stehen im Alter vor den gleichen He-
rausforderungen wie Nichtselbständige. Durch die stei-
gende Lebenserwartung wird der Lebensabend immer
länger. Umso niedriger fallen aber auch die Renten aus,
wenn nicht während der Erwerbsphase deutlich höhere
Beiträge eingezahlt werden, als es heute der Fall ist.
Deshalb wurde mit der Riester-Förderung für angestellte
Arbeitnehmer ein Anreiz zu privater Vorsorge geschaf-
fen. Diesen Anreiz müssen wir auch Selbstständigen ge-
währen. Gerade die Soloselbstständigen und Kleinunter-
nehmer, die keine großen Rücklagen bilden können,
würden von diesem Förderinstrument stark profitieren.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb müssen wir die Riester-Förderung für Selbst-
ständige öffnen.

Zu den abzusichernden Altersrisiken zählt aber zwei-
fellos auch die Gefahr der Erwerbsunfähigkeit oder Er-
werbsminderung. Daher soll jeder Versicherungsnehmer
bei der Rürup- oder Riester-Rente frei wählen können,
welcher Anteil der Beiträge in den Schutz gegen Er-
werbsminderung und welcher Teil in die Lebensstan-
dardsicherung fließt. Es geht um Wahlfreiheit bei der
Vorsorge.

Mit diesen Vorschlägen bekennen wir Liberale uns zu
unserer sozialen Verantwortung für Selbstständige.


(Beifall bei der FDP)


Wir begrüßen es, dass immer mehr Menschen in die
Selbstständigkeit starten und ihre Geschäftsideen umset-
zen. Deshalb müssen wir Rahmenbedingungen schaffen,
die es Selbstständigen in gleicher Weise wie Angestell-
ten ermöglicht, für das Alter vorzusorgen. Besonders
wichtig ist dies für Familien; denn dann sind auch noch
Partner und Kinder von Erfolg oder Misserfolg der
Selbstständigkeit abhängig.

Mit unseren Regelungen zur Alterssicherung Selbst-
ständiger verschaffen wir also noch weit mehr Menschen
Spielräume für soziale Sicherheit als allein den Selbst-
ständigen. Deshalb bitte ich um Unterstützung für unse-
ren Antrag.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018000

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter

Rauen das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1623018100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem
Antrag möchte die FDP den Aufbau der Alterssicherung
für Selbstständige verbessern. Für die einzelnen Forde-
rungen haben meine Fraktion und ich sehr viel Sympa-
thie und Verständnis.

Über einige Punkte muss man jedoch reden, zum Bei-
spiel über die Aufhebung der Pflichtversicherung für
selbstständige Handwerker. Ohne die Pflicht hätte ich als
junger Unternehmer, als 21-, 22-Jähriger, nie daran ge-
dacht, in eine Versicherung einzubezahlen; vielmehr
hätte ich für das Geld eher Maschinen gekauft. Man
muss also darüber reden, ob eine Aufhebung der Versi-
cherungspflicht sinnvoll ist.

Dass dieser Antrag in der letzten Sitzungswoche die-
ser Wahlperiode diskutiert wird, macht eines klar, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Es ist ein reiner
Schaufensterantrag mit Blick auf die Bundestagswahl in
wenigen Wochen. Es gibt keinerlei Chancen, ihn in die-
ser Wahlperiode gesetzeskonform umzusetzen. Deshalb
werden wir ihn ablehnen.

Dennoch sollten wir über die Struktur der Selbststän-
digkeit in Deutschland und die sich daraus ergebenden
Folgen ernsthaft diskutieren. Von 2001 bis 2007 hat sich
die Zahl der Selbstständigen insgesamt um 530 000 er-
höht, obwohl die Zahl der Selbstständigen mit Beschäf-
tigten im gleichen Zeitraum fast gleich geblieben ist.
Das heißt im Umkehrschluss: Die Zunahme ist fast aus-






(A) (C)



(B) (D)


Peter Rauen
schließlich bei den Einmann- oder Einfraubetrieben zu
verzeichnen. Ende 2007 war die Zahl der Selbstständi-
gen ohne Beschäftigte mit 2 323 000 um fast 500 000
höher als die Zahl der Selbstständigen mit Beschäftigten.

Mit der Verschärfung der Finanzmarkt- und Wirt-
schaftskrise im September 2008 können wir ein deutlich
ansteigendes Interesse an Existenzgründungen beobach-
ten. Der Grund ist offensichtlich: Wie schon in den Jah-
ren 2004 und 2005 liegt das gesteigerte Gründungsinte-
resse vor allem in einer drohenden Erwerbslosigkeit be-
gründet. Auf den Punkt gebracht: Steigende Arbeitslo-
sigkeit beflügelt Gründungsinteressen. Für 56 Prozent
der Teilnehmer an IHK-Gründungsberatungen war Ar-
beitslosigkeit das ausschlaggebende Gründungsinte-
resse.

Die FDP schreibt in ihrem Antrag, dass 2007 laut
Gutachten des Sozialbeirates 37 Prozent der Soloselbst-
ständigen über ein monatliches Nettoeinkommen von
weniger als 1 100 Euro verfügt hätten. Das sind 860 000
Personen. Glauben wir wirklich, dass dieser Personen-
kreis in der Lage ist, sich ausreichend gegen Krankheit,
Unfall oder Pflegefall – ganz zu schweigen von einer Al-
tersvorsorge, die später auch trägt – zu versichern?
Schließlich müsste ein 35 Jahre alter Selbstständiger
30 Jahre lang jeden Monat einen Beitrag von 1 000 Euro
in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlen, um
eine Rente von etwa 1 700 Euro monatlich zu erhalten.
Hier gibt es ein breites Feld – davon bin ich zutiefst
überzeugt –, um das wir uns in der Sozialpolitik küm-
mern müssen.

Leider scheiterten in den letzten Jahren viel zu viele,
weil es oft an den unverzichtbaren betriebswirtschaftli-
chen Kenntnissen fehlte, das Marktpotenzial überschätzt
wurde und oft keine stabile Finanzplanung gegeben war.
Hier rächt sich unübersehbar die Vernachlässigung von
wirtschaftspraktischem Unterricht an Schule und Uni-
versität. Über die Möglichkeit zur beruflichen Selbst-
ständigkeit steht in vielen Schulbüchern nämlich über-
haupt nichts, oder sie wird nur dann angeraten, wenn
Arbeitslosigkeit droht. Häufig wird das Bild des Unter-
nehmers sogar einseitig negativ dargestellt. Darum soll-
ten besonders an der Praxis, also am richtigen Leben
orientierte Gründerseminare in Schulen und Universitä-
ten zur Pflicht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin überzeugt davon, dass solide Selbstständigkeit
der sicherste Weg aus der Krise, vor allem aus der Be-
schäftigungskrise sein wird. Das wird im Wesentlichen
nur über die kleinen und mittleren Betriebe gehen. Die
zuletzt verfügbaren Zahlen sind dafür ein schlagender
Beweis. Allein die Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern
stellten 2007 mit 6,5 Millionen Beschäftigten ein Viertel
aller Beschäftigten und damit deutlich mehr als die ge-
samte Industrie; denn die Betriebe mit über 500 Mitar-
beitern hatten lediglich 5,7 Millionen Beschäftigte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Ende die-
ser Legislaturperiode scheide ich nach 23 Jahren aus
dem Deutschen Bundestag aus. Gestatten Sie mir, dass
ich in dieser letzten Rede ein Grundanliegen anspreche,
das mich sowohl als Unternehmer als auch als Parlamen-
tarier immer angetrieben hat und das auch zu dem heuti-
gen Thema passt.

Für mich war Mittelstandspolitik gleichzeitig immer
auch Arbeitnehmerpolitik. Es war für mich nie ein Wi-
derspruch, neun Jahre lang Bundesvorsitzender der Mit-
telstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und
CSU und gleichzeitig Mitglied der CDA zu sein, obwohl
manche mir das vorgehalten haben. Warum auch? Als
gelernter Maurer habe ich in den ersten Jahren meiner
Selbstständigkeit körperlich mitgearbeitet, und mir war
immer klar, dass ich als Unternehmer nur erfolgreich
sein kann, wenn es auch meinen Leuten gut geht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt, dass sie gut verdienen, ihre Familie ernähren
können und sich auch sonst etwas leisten können. Die
Einstellung meiner Mitarbeiter war von dem Motto ge-
prägt: Wenn es unserem Chef gut geht, geht es auch uns
gut. Ich weiß, dass diese soziale Miteinander und das
Verständnis füreinander die Regel in mittelständischen
Betrieben ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt auch Ausnahmen, aber diese Ausnahmen bestäti-
gen nur die Regel.

Ich kenne aber auch die Regeln der Marktwirtschaft.
Aufträge und damit Beschäftigung kann man nur so
lange sichern, wie die Kunden bereit und in der Lage
sind, den Preis für die geleistete Arbeit oder das Produkt
zu zahlen. Ich habe deshalb mein ganzes Politikerleben,
egal, in welcher Funktion, dafür gekämpft, dass die
Bruttoarbeitskosten niedrig bleiben und gleichzeitig die
Nettoeinkommen der Arbeitnehmer steigen, und zwar
kräftiger, als dies in den letzten 20 Jahren der Fall war.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider ist mir das nicht oder nur unzureichend gelungen.
Es ist in den letzten Jahren zwar gelungen, die Sozialver-
sicherungsbeiträge zu stabilisieren und sogar etwas zu
reduzieren. Durch die Eingriffe in die sozialen Kassen in
den letzten zwei Jahren, aus welchen Gründen auch im-
mer, werden zulasten der Nettoeinkommen der Arbeit-
nehmer und der Bruttoarbeitskosten die Beiträge aber
wahrscheinlich wieder steigen.

Ich mache mir darüber große Sorgen, dass in den letz-
ten acht Jahren in Deutschland aus der ehemals starken
Mittelschicht – das sind Arbeiter und Selbstständige
gleichermaßen – mehr als 5 Millionen Menschen in die
armutsgefährdete Schicht abgedriftet sind und damit, in
welcher Form auch immer, am Tropf des Staates hängen.
Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass durch Verfas-
sungsgerichtsurteil die alte Kilometerpauschale wieder
eingeführt wurde und zukünftig die Krankenkassenbei-
träge steuerlich abgesetzt werden können.






(A) (C)



(B) (D)


Peter Rauen
Es ist auch gut und richtig, dass im Rahmen der Kon-
junkturprogramme der Lohn- und Einkommensteuertarif
in zwei Stufen nach rechts verschoben wird. Dennoch
bleibt dieser Tarif zutiefst arbeitnehmerfeindlich. Es ist
nicht in Ordnung, dass ein Facharbeiter mit 17 Euro
Stundenlohn von 100 Euro Lohnerhöhung im Monat je
nach Steuerklasse und Familienstand nur zwischen
43 und 48 Euro übrig behält, für den Unternehmer aber
gleichzeitig Bruttokosten in Höhe von circa 125 Euro
anfallen.

Diese Ungerechtigkeit kann man nur beseitigen, wenn
die kalte Progression endgültig abgeschafft wird. Das ist
sie erst dann, wenn der Tarifverlauf zwischen Eingangs-
steuersatz und Spitzensteuersatz linear verläuft, der Tarif
auf Räder gestellt wird und mindestens alle zwei Jahre
der Inflation angepasst wird. Für mich ist dies ein Fall
von Gerechtigkeit, von zukunftsgerichteter Wachstums-,
Konjunktur- und Wirtschaftspolitik und nicht von eng-
stirnigen haushalterischen Betrachtungen.

Wir haben keine Bodenschätze, die den Wohlstand
mehren könnten. Wir haben in Deutschland für Wachs-
tum, Wohlstand und Beschäftigung nur eine Ressource:
Das ist der Mensch mit seiner Intelligenz, seinem Fleiß,
seiner Strebsamkeit, egal ob als Arbeitnehmer oder
Selbstständiger. Diese Tugenden kann man aber auf
Dauer nur befördern, wenn derjenige, der arbeitet, im-
mer mehr hat, als derjenige, der aus welchen Gründen
auch immer nicht arbeitet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich,
dass Sie mir noch einmal zugehört haben. Ich habe in
diesen 23 Jahren viele prächtige, beeindruckende Men-
schen kennengelernt – über die Parteigrenzen und über
die Parlamentsgrenzen hinaus. Ich durfte in vielen Poli-
tikbereichen und in verschiedenen Funktionen mitgestal-
ten, und dafür bin ich sehr dankbar.

Besonders bedanken möchte ich mich bei Ihnen und
bei vielen, die jetzt nicht im Saal sind oder sein können.
Ich denke da auch an Kollegen, die bereits aus dem Bun-
destag ausgeschieden sind. Ich bin dankbar dafür, dass
viele menschliche Bindungen aus dieser Zeit diesen Tag
überdauern werden.

Wir können uns in der Sache ruhig streiten und unter-
schiedlicher Meinung sein. Das ist wesentlicher Be-
standteil der Demokratie. Wichtig ist jedoch der Respekt
vor dem politisch Andersdenkenden, der im Zweifelsfall
auch das Beste für die Menschen in unserem Land will.
In diesem Sinne möchte ich mich von Ihnen verabschie-
den und ganz herzlich bedanken.


(Beifall im ganzen Hause)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018200

Kollege Rauen, das gesamte Haus würdigt Ihre 23-jäh-

rige Tätigkeit und wünscht Ihnen für diesen neuen Le-
bensabschnitt alles Gute, Gesundheit und vielleicht auch
den Freiraum für das eine oder andere, für das in den
letzten 23 Jahren keine Zeit war.


(Beifall)

Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die FDP stellt in ihrem Antrag fest, dass die Alterssiche-
rung der Selbstständigen gegenwärtig nicht ausreichend
geregelt sei. Hier findet sie die Zustimmung der Linken.

Weiter wird ausgeführt, es liege im Interesse der All-
gemeinheit, dass auch die Selbstständigen eine so weit
ausreichende Altersvorsorge betreiben, dass sie im Alter
nicht auf die Grundsicherung angewiesen seien. Abgese-
hen davon, dass aus Sicht der Linken niemand im Alter
auf Grundsicherung angewiesen sein sollte, findet die
FDP auch hier unsere uneingeschränkte Zustimmung.
Und auch ihren Verweis auf die besondere Problematik
von Soloselbstständigen finden wir richtig und wichtig.

Ergänzend könnten wir noch darauf hinweisen, dass
in der AVID-Studie – das steht für Altersvorsorge in
Deutschland – Personen mit einem niedrigen Altersein-
kommen fast dreimal so lange Phasen der Selbstständig-
keit in ihrem Erwerbsleben aufgewiesen haben wie
Personen mit einem höheren Alterseinkommen. Kurz
gesagt: Selbstständigkeit ist ein wesentliches Risiko für
Altersarmut.

Damit enden dann aber auch die Gemeinsamkeiten.
Sie fordern, dass es den Selbstständigen im Rahmen ei-
ner Pflicht zur Versicherung freigestellt werden soll, ob
sie sich privat, gesetzlich oder durch eine Kombination
aus beidem im Alter absichern wollen. Wieso soll dies
eigentlich nur für Selbstständige und nicht auch für an-
gestellte Erwerbstätige gelten?


(Beifall bei der LINKEN)


Vor allem wollen Sie den Selbstständigen wahrschein-
lich den Zugang zur hochsubventionierten Riester-Rente
eröffnen.

Nun kenne ich den Kollegen Kolb – ich denke, dass er
der geistige Vater dieses Antrags ist; heute ist er leider
nicht da – als jemanden, der sich akribisch mit Daten
und Fakten auseinandersetzt. Insofern kann ich mir
kaum vorstellen, dass er das in Ihrem Antrag zitierte
Gutachten des Sozialbeirats nicht gründlich gelesen
hätte. Dann hätte ihm nämlich folgender Satz zu denken
geben müssen:

Die Einkommenssituation einer steigenden Zahl
von Soloselbstständigen deutet aber auf eine be-
grenzte Sparfähigkeit hin …

Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass viele
Soloselbstständige finanziell gar nicht in der Lage sind,
sich individuell abzusichern. Da hilft bei einem Einkom-
men von 1 100 Euro, das rund 40 Prozent dieser Selbst-
ständigen beziehen, nun wirklich keine Riester-Rente
mehr weiter.

Das eigentliche Problem, nämlich die bestehenden Si-
cherungsdefizite aufgrund der niedrigen Erwerbsein-
kommen, wird in Ihrem Antrag völlig ausgeblendet.






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

Übrigens könnten darüber auch die Grünen und die SPD
einmal sehr gründlich nachdenken; denn in deren Re-
gierungszeit fiel der massive Anstieg der Zahl der zu
Dumpinglöhnen arbeitenden Selbstständigen, verur-
sacht durch die enorme Ausweitung des Niedriglohnsek-
tors im Zuge und als Ergebnis der von ihnen beschlosse-
nen Hartz-Gesetze.

Insoweit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, geht es in Ihrem Antrag nicht wirklich um einen
wirksamen Schutz gegen Altersarmut für Selbstständige.
Begreifen Sie doch endlich: Mit Privatisierung und der
Individualisierung von Lebensrisiken lösen Sie die Pro-
bleme nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie sich doch endlich einmal etwas anderes ein-
fallen als diese immer gleiche Leier! Es ist bei Ihnen
offensichtlich immer noch nicht angekommen. Dass
Menschen, die in fondsgebundene Riester-Verträge ein-
gezahlt haben, zwischen 20 und 80 Prozent des einge-
zahlten Betrages verloren haben, dass die Betriebsrenten
in den Niederlanden vor der Pleite stehen und dass in
den USA über 4 Billionen US-Dollar in den Renten- und
Pensionskassen verloren gegangen sind, interessiert die
FDP anscheinend nicht. Letztlich wollen Sie der Versi-
cherungswirtschaft durch die Zufuhr neuer Kunden drin-
gend benötigtes frisches Kapital verschaffen.

Außerdem: Was heißt schon Wahlfreiheit in der ge-
setzlichen und privaten Altersvorsorge? Wer sich die
private Altersvorsorge nicht leisten kann, nimmt die So-
lidarität der gesetzlichen Rentenversicherung in An-
spruch. Die anderen machen sich einen schlanken Fuß in
berufsständischen Versorgungswerken.

Aus Sicht der Linken ist es höchste Zeit, die Privati-
sierungs- und Individualisierungstendenzen in der Al-
tersvorsorge zu stoppen, die vergangenen Leistungskür-
zungen in der gesetzlichen Rente zurückzunehmen und
die staatliche Subventionierung der Riester-Rente end-
lich zu beenden. Das wäre die Lösung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018400

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1623018500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Peter Rauen, von Maurer zu Maurer: Mach et jut! Die
SPD-Fraktion und auch die Mitglieder des Ausschusses
für Arbeit und Soziales haben gerne mit dir zusammen-
gearbeitet, auch wenn du sehr streitbar warst. Viele von
uns werden deine außerordentlich angenehme Art ver-
missen. Mach et jut! Bleib gesund!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Sehr geehrter Herr Lotter, Sie haben vorhin in Ihrer
Rede gezeigt, welches Verhältnis Sie zu dem solidari-
schen, paritätisch finanzierten Sicherungssystem in un-
serem Land haben. Das fand ich sehr bezeichnend. Denn
Sie haben im Zusammenhang mit den Handwerkern ge-
sagt, dass man sie in die gesetzliche Rentenversicherung
zwingt. Sie tun so, als sei es eine Strafe, in diesem Land
rentenversichert zu sein. Wenn wir uns beispielsweise
die Entwicklung in Amerika anschauen, wo sich die
Menschen nur privat für das Alter absichern können,
dann muss man doch feststellen: Es gibt kein besseres
System, um vor Altersarmut geschützt zu sein, als die
gesetzliche, paritätische und umlagefinanzierte Renten-
versicherung. Das ist doch völlig klar.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


Aber dies zeigt, wie Ihr Verhältnis zu diesem solidari-
schen und paritätisch finanzierten System ist. In Ihrem
Antrag machen Sie deutlich – da hat Volker Schneider
völlig recht –, dass nach Ihrer Meinung Individualisie-
rung und Privatisierung die Maxime sein sollen nach
dem Motto: Jeder kümmert sich um sich selbst, dann ist
jedem geholfen. Das funktioniert eben nicht. Wir haben
in unserem Land die besseren Systeme. Das beweist sich
gerade jetzt in der Krise.

Gehen wir nun in die Details. So viel Sorgen Sie sich
in Bezug auf die Soloselbstständigen machen – in Bezug
auf die Altersvorsorge haben Sie da durchaus recht –, so
viel Sorgen könnte man sich auch um die machen, die
für Niedrigstlöhne arbeiten müssen und denen keine ge-
setzlichen Mindestlöhne zugestanden werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber um diese Menschen machen Sie sich weniger Sor-
gen. Sie machen sich vielmehr darüber Gedanken, wie
auch Selbstständige die Vorteile, die wir bei der Förde-
rung der Riester-Rente eingeräumt haben, in Anspruch
nehmen können, allerdings ohne dass sie gegenüber der
Versichertengemeinschaft in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung verpflichtend solidarisch sein müssen. In Ih-
rem Antrag schlagen Sie genau das vor.

Das wird an dem Punkt „Öffnung der Riester-Rente
für Selbstständige“ sehr deutlich. Sie sprechen von
Wahlfreiheit. Diejenigen, die in der gesetzlichen Renten-
versicherung sind, können die Riester-Rente in An-
spruch nehmen, und zwar aus folgendem Grund: Wir
haben festgestellt, dass das Leistungsniveau der gesetzli-
chen Rentenversicherung nach und nach sinkt. Um einen
Ausgleich zu schaffen, haben wir die Riester-Rente ein-
gerichtet. Damit die Menschen die Riester-Rente nutzen,
fördern wir sie. Das ist der entscheidende Punkt. Die
Leute, die gesetzlich versichert sind, sind Teil einer
Solidargemeinschaft, die zum Beispiel auch die Er-
werbsminderung absichert. Sie wollen den Vorteil an
Selbstständige weitergeben, die Verpflichtung, in der ge-
setzlichen Versicherung solidarisch zu sein, wollen Sie
aber auf jeden Fall vermeiden. Das kommt bei Ihnen
heraus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Anton Schaaf
Ich sage für meine Fraktion: Wir wollen die Pflicht-
versicherung für Handwerker nicht aufgeben. Die ge-
setzliche Rentenversicherung ist in der Tat die beste Al-
tersvorsorge für Geringverdiener; denn sie haben als
Soloselbstständige nicht das Einkommen, mit dem man
sich privat vernünftig und adäquat absichern kann. Des-
wegen ist die Solidargemeinschaft die bessere und siche-
rere Alternative. Das ist der entscheidende Punkt.

Wir sind der festen Überzeugung, dass es das Sinn-
vollste wäre, dafür zu sorgen, dass insbesondere alle So-
loselbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung
einzahlen, weil das, was sie einzahlen müssen, von ih-
rem Verdienst abhängt. Das ist in der Tat leistbar. Bei
privaten Altersvorsorgesystemen ist die entscheidende
Frage: Welche Rendite kann man erzielen? Je mehr man
einzahlt, desto höher die Rendite, und für eine gute Ren-
dite braucht man hohe Einzahlungen. Aber wie soll man
bei dem, was Sie gesagt haben – ein Drittel der Solo-
selbstständigen hat nur 1 100 Euro –, privat vorsorgen?
Wie sollen sie das bei dem Einkommen schaffen? Das
wird nicht funktionieren. Deswegen sind wir der festen
Überzeugung – daran halten wir fest –, dass Soloselbst-
ständige besser in die gesetzliche Rentenversicherung
einzahlen und wir die Wege öffnen sollten.

Wenn man in die gesetzliche Rentenversicherung ein-
zahlt, kann man übrigens auch die Riester-Förderung in
Anspruch nehmen. Da gibt es einen unmittelbaren Zu-
sammenhang; das muss man wissen.


(Dirk Niebel [FDP]: Wenn man Arbeitgeberund Arbeitnehmerbeiträge zahlen muss, wie soll man das leisten?)


– Herr Niebel, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ein
Selbstständiger müsste dann in der Tat den vollen Bei-
trag zahlen. Man muss sicherlich einen Weg finden, da-
mit sich die Menschen ordentlich absichern können.
Völlig klar ist aber auch – und das muss auch Ihnen klar
sein –: Wenn ein Soloselbstständiger im Schnitt
1 100 Euro hat – das gilt für etwa ein Drittel –, kann er
sich nicht adäquat absichern; das ist doch völlig klar.


(Dirk Niebel [FDP]: Wenn Sie davon 20 Prozent in die Private geben, haben Sie mehr, als wenn Sie 20 Prozent in die Gesetzliche geben! Das ist das Problem!)


Man wird damit niemals ein ausreichendes Altersein-
kommen erarbeiten können. Das ist der entscheidende
Punkt. Die Wahlfreiheit, die Sie einräumen wollen, be-
steht in dem entsolidarisierenden Faktor, den Sie ein-
bauen wollen. Die Leute, die in der Gesetzlichen sind
und zu Recht eine Riester-Förderung bekommen, erhal-
ten diese als Kompensation, weil wir das Leistungs-
niveau absenken. Wenn man aber nicht in der Gesetzli-
chen ist und diesen Weg nicht mitgehen muss, dann
sollte man sich auf der anderen Seite den Vorteil auch
nicht sichern dürfen. Übrigens gibt es auch noch die Ba-
sisrente für Selbstständige als zusätzliches Instrumenta-
rium, um sich gefördert zusätzlich etwas aufzubauen.

Ich glaube, das sind die wesentlichen Punkte, die an-
zusprechen sind. Wir haben den Vorschlag gemacht, die
Erwerbstätigenversicherung einzuführen: Alle zahlen
auf Basis aller Einkommensarten in die gesetzliche Ren-
tenversicherung und in alle anderen gesetzlichen Siche-
rungssysteme ein. Das würde diese Sicherungssysteme
leistungsstark machen, die Solidarität und vor allem die
Parität erhalten, was ein ganz wichtiges Element ist.

Sie sind auf einem völlig anderen Weg. Das haben Sie
heute auch an einer anderen Stelle zum Ausdruck ge-
bracht. In der Debatte über den Nachtragshaushalt hat
Herr Koppelin hier gesagt: In dieser Krise hätten wir, an-
statt mehr Schulden zu machen, besser darüber nachge-
dacht, wo wir im Haushalt mehr sparen können.


(Andrea Nahles [SPD]: Wo denn?)


Dann ist aufgezählt worden, welche Haushaltstitel es
gibt. Bei den Familien will man natürlich nichts kürzen,
und bei Bildung will man auch nichts kürzen. Dann sind
wir ganz schnell beim Sozialetat, beim Etat des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Ich hätte es gerne
gesehen, wenn Herr Koppelin hier ganz klar benannt
hätte, was er im Bereich „Arbeit und Soziales“, im
Sozialetat, real einsparen möchte. Da haben wir zum
Beispiel einen Zuschuss in Höhe von 79 Milliarden Euro
an die gesetzliche Rentenversicherung. Sparen wir an
diesem Beitrag, oder sparen wir am Arbeitslosengeld II?
An welcher Stelle wollen Sie denn einsparen? Ich sage
Ihnen: Wir können im Moment verdammt froh sein, dass
wir einen leistungsfähigen Staat und leistungsfähige so-
ziale Sicherungssysteme haben. Bei uns brauchen die
Menschen keine Angst zu haben, dass am nächsten Ers-
ten ihre Rente nicht kommt. Sie wird zuverlässig und
pünktlich gezahlt. Sie bleiben diese Antworten schuldig.

Herr Koppelin, wenn man das, was Sie hier treiben, in
Kombination mit dem sieht, was die Union jetzt be-
schlossen hat – Steuersenkungen –, wird das hochspan-
nend. Sie sagen: Wir senken in dieser Situation die Steu-
ern und sparen gleichzeitig im Haushalt. Das heißt im
Klartext: Sie müssen am Sozialetat sparen. Sagen Sie
den Menschen ehrlich, dass Sie den Sozialetat in der
nächsten Legislaturperiode kürzen wollen, sofern Sie
hier tatsächlich Regierungsverantwortung übernehmen
können. Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass Sie,
wenn die Menschen erkennen, was Sie vorhaben, nicht
in der Lage sein werden, Regierungsverantwortung zu
übernehmen.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ich erkläre dir das einmal!)


Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018600

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP hat mit ihrem Antrag eigentlich ein wichtiges
Anliegen aufgegriffen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
– Ich sagte: eigentlich. Klatschen Sie nicht zu früh.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Der Anfang war schon einmal gut!)


Es geht um die fehlende Absicherung von Selbststän-
digen und Freiberuflern im Alter. Dabei – jetzt hören Sie
auf, zu klatschen – entstehen schnell Zweifel, ob es der
FDP tatsächlich um Lösungen zugunsten der sogenann-
ten neuen oder Soloselbstständigen geht, von denen
mehr als ein Drittel weniger als 1 100 Euro verdient, wie
wir wissen.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie haben doch das Gesetz zur Scheinselbstständigkeit gemacht, als Sie an der Regierung waren!)


Die Forderungen der FDP stehen in einem eigenarti-
gen Kontrast zur Lebensrealität dieser Gruppe,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


der vor allen Dingen die Zahlungskraft fehlt. Der Sozial-
beirat und der Sachverständigenrat haben einen Korrek-
turbedarf bei der Alterssicherung der sogenannten neuen
Selbstständigen angemahnt. Dabei geht es nicht um die
klassischen Selbstständigen, die üblicherweise gut abge-
sichert sind. Die Warnung vor steigender Altersarmut
bezieht sich auf die Soloselbstständigen.

Wir teilen die Einschätzung, dass bei vielen Existenz-
gründungen abhängige und selbstständige Erwerbsfor-
men zunehmend fließender geworden sind. Beide Er-
werbsformen werden häufig für eine begrenzte Zeit
ausgeübt; abgesichert ist aber in der Regel nur die Zeit
der Lohnarbeit. Die meisten bringen ausschließlich ihre
eigene Arbeitskraft ein, besitzen wenig Eigenkapital und
verdienen wenig. Die Mehrzahl der Selbstständigen ist
nicht Mitglied in einem gesetzlichen Pflichtsystem der
Alterssicherung.

Aus der Studie „Altersvorsorge in Deutschland“ wis-
sen wir, dass Personen mit niedrigen Alterseinkommen
lange Phasen der Selbstständigkeit in ihrer Erwerbsbio-
grafie aufweisen. Viele dieser Selbstständigen können
nicht aus eigener Kraft eigenständig für das Alter vorsor-
gen. Die FDP hat in ihrem Antrag den Begriff „Alters-
armut von Selbstständigen“ vermieden, obwohl es doch
eigentlich genau darum geht; dieses Wort findet sich in
ihrem Antrag nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe mich deshalb gefragt: Geht es Ihnen um eine
bessere Absicherung von kleinen Selbstständigen, die zu
wenig verdienen und deshalb nicht ausreichend für das
Alter vorsorgen können?


(Zuruf des Abg. Dr. Erwin Lotter [FDP])


Die FDP geht aber auf die fehlenden materiellen Mög-
lichkeiten dieser Selbstständigen gar nicht ein. Statt-
dessen behaupten Sie, die bestehenden Regelungen wür-
den Selbstständige am Aufbau einer ausreichenden
Altersvorsorge hindern. In dieser Logik wollen Sie unter
anderem die Pflichtversicherung von selbstständigen
Handwerkern, Hebammen und Entbindungspflegern
aufheben. Werden wir damit wirklich weniger Selbst-
ständige haben, die im Alter auf Grundsicherung ange-
wiesen sind, Herr Kollege Lotter? Mit Sicherheit nicht.
Dieser Vorschlag von Ihnen ist kontraproduktiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir Grünen fordern eine obligatorische Rentenversi-
cherungspflicht für alle Selbstständigen und Freiberuf-
ler, die in kein anderes Alterssicherungssystem einzah-
len. Wir sind uns mit vielen Experten und Expertinnen
darin einig, dass es heute viel mehr Selbstständige gibt,
die nicht aus eigener Kraft ausreichend für ihr Alter vor-
sorgen können. Deshalb muss der Schutzcharakter aus-
geweitet werden und darf nicht noch verengt werden,
wie Sie das wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Historisch wurden genau aus diesem Grund Hausan-
gestellte, Erzieher, Handwerker und Hebammen zu
Pflichtversicherten gemacht. Die Sicherung vor Armut
im Alter muss in der ersten Säule, also in der gesetzli-
chen Rentenversicherung, garantiert werden. Die geän-
derten Erwerbsstrukturen, aber auch die Vernichtung
von Altersvermögen im Kontext der Bankenkrise ver-
deutlichen: Der Schutzgedanke bei der gesetzlichen Al-
terssicherung muss auf einen größeren Personenkreis
ausgeweitet werden und darf nicht verengt werden, wie
Sie das in Ihrem Antrag fordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern deshalb kurzfristig die Weiterentwick-
lung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Er-
werbstätigenversicherung und langfristig den Ausbau zu
einer Bürgerversicherung, wie das gerade der Kollege
Schaaf geäußert hat. Wer ein kleines Einkommen hat,
soll nach dem Konzept der Grünen, dem Progressivmo-
dell, weniger Sozialversicherungsbeiträge entrichten als
leistungsfähigere Versicherte.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Nach
unserem grünen Rentenkonzept sollen auch Selbststän-
dige mit geringem Einkommen eine Hochwertung ihrer
Versicherungsentgelte erhalten. So kann die Altersarmut
von Selbstständigen verhindert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir lehnen den Antrag der FDP ab.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11672 an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)


Beteiligung deutscher Streitkräfte am Ein-
satz von NATO-AWACS im Rahmen der
Internationalen Sicherheitsunterstützungs-

(International Security Assistance Force, ISAF)

der NATO auf Grundlage der Resolution
1386 (2001) und folgender Resolutionen, zu-
letzt Resolution 1833 (2008) des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen

– Drucksachen 16/13377, 16/13597 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck (Bremen)



(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/13680 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Omid Nouripour

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Walter Kolbow für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1623018800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Unterstützung
des ISAF-Einsatzes durch das NATO-Frühwarnsystem
AWACS über Afghanistan nach sehr gründlicher Bera-
tung heute mit großer Mehrheit zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das vorgelegte Mandat ist inhaltlich begründet. Es fügt
sich in den vorgegebenen ISAF-Rahmen und in die in-
ternationalen Anstrengungen zur Stabilisierung, zur Ent-
wicklung und zum Wiederaufbau des Landes ein. Der
Einsatz findet zudem die ausdrückliche Zustimmung der
afghanischen Regierung.

Wir stimmen dem Mandat auch deshalb zu, weil die
Bundesregierung durch Herrn Staatsminister Erler und
Herrn Verteidigungsminister Jung in der ersten Lesung
überzeugend dargelegt hat, dass die in Afghanistan der-
zeit praktizierte Luftraumüberwachung hinter dem stän-
dig wachsenden zivilen wie militärischen Flugaufkom-
men zurückgeblieben ist und dass diese Entwicklung
anhalten wird. In Prognosen der NATO wird für die nahe
Zukunft ein weiteres starkes Wachstum um das Drei- bis
Fünffache vorausgesagt.

Die afghanische Regierung ist demgegenüber auf ab-
sehbare Zeit nicht in der Lage, eine funktionsfähige
Flugsicherung aufzubauen. Die AWACS-Flugzeuge sind
das beste Mittel, um hier kurzfristig Abhilfe zu schaffen.
Sie werden im Rahmen von ISAF ausschließlich im
afghanischen Luftraum eingesetzt. Sie sollen den gesam-
ten Luftverkehr über Afghanistan sicherer machen und
auch die militärische Operationsführung von ISAF un-
terstützen. Denn auch die Zahl der militärischen Flugbe-
wegungen wird in den nächsten Monaten weiter wach-
sen. Das ist angesichts des Aufwuchses von ISAF-
Kräften im laufenden Jahr, insbesondere infolge der Ab-
sicherung der Präsidentschaftswahlen, und angesichts
zusätzlich angekündigter US-Truppen absehbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass es
wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass eine verbesserte
Luftraumkoordinierung auch dem Schutz deutscher Sol-
daten, sowohl der Piloten und der Besatzungen unserer
Flugzeuge als auch der Soldaten am Boden, dient, die in
Notsituationen auf Unterstützung aus der Luft angewie-
sen sind. Des Weiteren ist der AWACS-Einsatz durch die
Verbesserung der Flugsicherheit auch dem Schutz der af-
ghanischen Bevölkerung und der zivilen Helfer dienlich.

Im Zusammenhang mit den aktuellen Diskussionen
sollte auch darauf hingewiesen werden, dass NATO-
AWACS weder eine Bodenaufklärungs- noch eine Feu-
erleitfunktion hat, sondern lediglich navigatorische Un-
terstützung leistet. NATO-AWACS kann auch keine dau-
erhafte Lösung darstellen, weil wir in diesem Rahmen
auch Ausbildung und Vorbereitung im Hinblick auf die
zivile Luftsicherung in Afghanistan betreiben. Das ist
richtig, notwendig und gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es ist für mich persönlich
sehr berührend, dass wir am heutigen Tage, an dem drei
in Afghanistan gefallene Soldaten beigesetzt werden,
eine weitere Einsatzentscheidung treffen müssen. Unsere
Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Familien
und bei den Kameraden der Toten.

Mich berührt dieser Tag umso mehr, als ich nach par-
lamentarischer Arbeit in 29 Jahren Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag auf dem Gebiet der Verteidigungs-
und Sicherheitspolitik heute die letzte Rede vor dem
Deutschen Bundestag halten darf.

Ich erinnere mich – und ich setze mich damit ausei-
nander –, dass ich aus meiner politischen Funktion und
Verantwortung heraus von dieser Stelle aus häufig, ja zu
häufig den Tod von Soldaten beklagen musste.

Bis 1989 waren es meist Manöver-, Dienst- und Ver-
kehrsunfälle, die den Tod von Soldaten verursachten. Ab






(A) (C)



(B) (D)


Walter Kolbow
1993 starben Soldaten bei Auslandseinsätzen. 1993
wurde beim Einsatz in Phnom Penh in Kambodscha Sa-
nitätsfeldwebel Alexander Arndt ermordet. 2001 haben
Aufständische Oberstabsarzt Dieter Eißing im Rahmen
seines Einsatzes bei der UNMIG-Mission in Georgien
im Hubschrauber abgeschossen. Eißing war der Erste in
einem vom Deutschen Bundestag zu verantwortenden
Einsatz gefallene Soldat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von den seit 1992 in
die Auslandseinsätze entsandten 260 000 Soldatinnen
und Soldaten starben insgesamt 81 Soldaten. 106 wur-
den durch Fremdeinwirkung verwundet. Darüber hinaus
kamen 31 Soldaten durch natürlichen Tod, Suizid und
den Umgang mit Fundmunition ums Leben.

Heute haben wir von drei in Afghanistan gefallenen
Soldaten Abschied nehmen müssen. In diesem bedrü-
ckenden Zusammenhang wird debattiert, ob ISAF und
damit Deutschland in Afghanistan Krieg führt. Diese
Diskussion ist aus meiner Sicht zumindest missverständ-
lich, in jedem Fall ist sie inhaltlich verkürzt und hilft uns
politisch nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie hilft weder den Soldatinnen und Soldaten noch den
Menschen in Afghanistan. Meines Erachtens erlauben
weder die rechtlichen Grundlagen der Operation ISAF
noch die völkerrechtlich gültigen Definitionen die Be-
zeichnung „Krieg“.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen: Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr setzen heute zur See, in der
Luft und am Boden auch ihr Leben ein, um die ihnen
vom Deutschen Bundestag erteilten Aufträge zu erfül-
len. Das Mandat des Bundestages für ISAF, das bis
13. Dezember 2009 befristet ist, beschreibt den Auftrag
wie folgt:

Der ISAF-Einsatz hat unverändert das Ziel, Afgha-
nistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so
zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen
Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten
Nationen und anderes internationales Zivilpersonal,
insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und
humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren
Umfeld arbeiten können.

Das ist unser Auftrag an die Soldatinnen und Soldaten.

Regierungsfeindliche und zur Gewaltanwendung be-
reite afghanische und ausländische Kräfte versuchen,
ebendies zu verhindern. Sie stehen in einem asymmetri-
schen Konflikt mit der afghanischen Regierung und der
internationalen Gemeinschaft. Die regierungsfeindlichen
Kräfte können auf unterster taktischer Ebene sowie
räumlich und zeitlich eng begrenzt Kräftegleichheit, in
Ausnahmefällen auch zahlenmäßige Überlegenheit er-
reichen. Der Auftrag der Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr ist in diesen Situationen nur durch Kampf
zu erfüllen. Der Kampf erfolgt nach taktischen Grund-
sätzen, die auch in einem Krieg anzuwenden wären.

Peter Struck hat als Verteidigungsminister, aber auch
danach immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich
beim ISAF-Einsatz um einen Kampfeinsatz handelt, bei
dem Soldaten verletzt und getötet werden können und
auch in die Lage kommen können, selbst töten zu
müssen. Dennoch befinden sich die Soldatinnen und
Soldaten – mir ist das auch für meine und unsere Arbeit
wichtig – nicht im Krieg, sondern in einem Stabilisie-
rungseinsatz, was Sie, Herr Bundesverteidigungsminis-
ter, als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt
heute auch noch einmal richtig ausgesagt haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Krieg dürfte jede Form von Gewalt angewendet
werden, sofern sie nicht dem Kriegsvölkerrecht wider-
spricht. Im Stabilisierungseinsatz ist jede Form von Ge-
waltanwendung verboten, soweit sie durch das Mandat
der Vereinten Nationen nicht ausdrücklich zugelassen
wird.


(Beifall bei der SPD)


Bei der Anwendung militärischer Gewalt muss man sich
daher ausschließlich an den restriktiven Vorgaben des
Mandats orientieren, die in einem Operationsplan unter
Berücksichtigung festgelegter Einsatzregeln, der soge-
nannten Rules of Engagement, umgesetzt worden sind,
die für alle ISAF-Kräfte verbindlich sind. Ich meine,
dass diese Unterscheidung wichtig ist und im Haus he-
rausgearbeitet werden muss; denn dadurch wird die mili-
tärische Gewaltanwendung nach kriegsähnlichen takti-
schen Grundsätzen auf die wenigen Situationen
begrenzt, in denen sich die regierungsfeindlichen Kräfte
der Auftragserfüllung durch die Soldatinnen und Solda-
ten der Bundeswehr mit Waffen und Sprengmitteln in
den Weg stellen.

Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen klaren
und politisch legitimierten Auftrag. Wir müssen – das ist
unsere Pflicht – ihnen alle erforderlichen Mittel zur Ver-
fügung stellen, damit sie diesen Auftrag erfüllen können.
Das schließt auch gegebenenfalls den Einsatz von
schweren Waffen mit ein. Daraus darf aber nicht die Fol-
gerung abgeleitet werden, dass jetzt Krieg ist. Das ist ein
veralteter Reflex aus den Zeiten des 20. Jahrhunderts.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wer generell vom Krieg in Afghanistan spricht, der
kann einer Entgrenzung der Anwendung militärischer
Mittel Vorschub leisten, die im krassen Gegensatz zum
Mandat der Vereinten Nationen stehen würde. Diesem
Risiko sollte man sich nicht aussetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So klar es ist – das wollte ich darlegen; ich hoffe, dass
ich das konnte –, dass wir uns nicht im Krieg befinden,
so verständlich und nachvollziehbar ist es, dass es für
den einzelnen Soldaten, der im Feuerkampf steht und um
sein Leben und um das Leben seiner Kameraden kämpft,
keinen Unterschied macht, ob er dies im Stabilisierungs-






(A) (C)



(B) (D)


Walter Kolbow
einsatz oder im Krieg tut. Mit diesem Gefühl darf weder
unbedacht umgegangen noch darf es instrumentalisiert
werden. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten
schuldig.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daher sollte eine politische Diskussion über die Eskala-
tion bei den Wirkmitteln sorgsam geführt und auf keinen
Fall zu einem Hinterfragen der mandatsrechtlichen Vo-
raussetzungen für diesen Einsatz genutzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass unsere Soldatinnen und Soldaten von
uns erwarten dürfen, dass die Herausforderungen des
Einsatzes klar angesprochen werden. Wir verlangen von
unseren Soldaten die Erfüllung ihres Auftrags unter wid-
rigen klimatischen und gesundheitlichen Bedingungen,
teilweise unter erheblicher psychischer und physischer
Belastung. Sie leisten Hervorragendes, und ihre Leistun-
gen, die sie in unser aller Namen erbringen, verdienen
Anerkennung.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen möchte ich als einer, der immer auf dem
Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gear-
beitet hat, meine letzte Rede vor dem Deutschen Bun-
destag auch dazu nutzen, die weitere Unterstützung für
unsere Männer und Frauen aus diesem Haus heraus
– von Politik und Gesellschaft – zu erbitten, damit sie in
schwierigen Lagen selbstbewusst und sicher bestehen
können. Ich habe die Bundeswehr und die Menschen, die
in ihr und für sie arbeiten, in diesen 29 Jahren als Parla-
mentarier in den Mittelpunkt meiner politischen Arbeit
stellen dürfen. Es war mir immer wichtig, dass die Bun-
deswehr nicht nur in der Gesellschaft verankert ist, son-
dern dass auch die Gesellschaft unsere Bundeswehr als
einen wichtigen sicherheitspolitischen Bestandteil dieser
Republik wahrnimmt und akzeptiert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Bundeswehr ist nämlich nicht nur eine Streit-
macht; sie ist eine Parlamentsarmee, unsere Armee, in
der Bürgerinnen und Bürger in Uniform und als Zivilbe-
schäftigte ihren Dienst für unser Land und unsere Ge-
sellschaft leisten. Sie verdient alle Zuwendung und mehr
als freundliches Desinteresse.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, mit Abgeordne-
ten aller Fraktionen Freundschaften zu begründen, bei
unterschiedlichen Positionen Respekt füreinander zu er-
arbeiten, manchmal – das war in der rot-grünen Koali-
tion, aber auch in der Großen Koalition so – mit zusam-
mengebissenen, knirschenden Zähnen. Unter dem Strich
haben die Koalitionen, in denen ich als Parlamentari-
scher Staatssekretär oder jetzt als stellvertretender Frak-
tionsvorsitzender mitarbeiten durfte, für die Streitkräfte
gearbeitet und die Ansprüche der Streitkräfte erfüllt. Ge-
ben wir uns Mühe, dies weiterhin zu tun! Nutzen wir
weiterhin die Möglichkeit, mit denen, die in Verantwor-
tung stehen – mit den Inhabern der Befehls- und Kom-
mandogewalt, der militärischen Führung und der politi-
schen Führung in diesem Land –, für unsere Streitkräfte
zu wirken!

Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles erdenklich
Gute.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623018900

Kollege Kolbow, ich nehme Ihren letzten Satz auf.

Ich denke, ich spreche im Namen des gesamten Hauses,
wenn ich Ihnen für den nun beginnenden neuen Lebens-
abschnitt alles erdenklich Gute wünsche.


(Beifall)


Für die Fraktion der FDP spricht nun die Kollegin
Birgit Homburger.


(Beifall bei der FDP)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1623019000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben heute über den Einsatz von AWACS zur Luft-
raumüberwachung und Koordinierung des Luftverkehrs
in Afghanistan zu entscheiden. Diejenigen von uns, die
schon mehrfach in Afghanistan waren, wissen: Wir kön-
nen froh sein, dass in diesem Luftraum noch nichts pas-
siert ist.


(Beifall bei der FDP)


Es gibt in diesem Bereich keine zivile Luftraumüber-
wachung. Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Deutsch-
land stellt für ISAF in ganz Afghanistan einen großen
Teil des Lufttransports zur Verfügung. Wir haben des-
halb ein hohes Eigeninteresse an einem geordneten Luft-
verkehr. Diese Fähigkeit wird sowohl unseren Soldatin-
nen und Soldaten als auch den ISAF-Partnern und den
zivilen Flugzeugen mehr Sicherheit und Schutz bringen.
Deshalb sagen wir: Diese Fähigkeit ist notwendig. Die
FDP-Bundestagsfraktion stimmt also dem Mandatsan-
trag der Bundesregierung zu.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In den letzten Wochen ist immer wieder öffentlich,
aber auch intern argumentiert worden, diese Maßnahme
sei insbesondere wegen des zivilen Flugverkehrs nötig.
Immer wieder wurde die Fluglinie Frankfurt–Kabul ins
Gespräch gebracht. Ich habe diese krampfhafte Suche
nach Begründungen im zivilen Bereich als einen weite-
ren Versuch der Desinformation gewertet. Ich möchte
alle darum bitten, die Lage deutlich darzustellen. Das Ei-






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
geninteresse, den Flugverkehr zum Schutz der militäri-
schen Luftfahrt zu entflechten und zu regeln, ist nicht
weniger legitim als der Schutz der zivilen Luftfahrt. Im
Gegenteil: Wir sind das unseren Soldatinnen und Solda-
ten schuldig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Linke behauptet, dass diese Luftraumüberwa-
chung zu mehr Luftunterstützung führen wird und damit
mehr Tote bedeutet. Ich sage hier in aller Klarheit: Das
Gegenteil wird der Fall sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die AWACS-Flugzeuge haben keine Fähigkeit zur Erd-
zielzuweisung. Das müsste man bei Ihnen von der Lin-
ken in der Fraktion einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

Wer in der Region Stabilisierung erreichen will,
schafft das allerdings nicht nur von außen; darüber ha-
ben wir schon mehrfach diskutiert. Deshalb und weil die
AWACS-Aufklärung auch weit über Afghanistan hinaus
in den Luftraum anderer Länder hinein möglich ist, ha-
ben wir vonseiten der FDP-Fraktion die Bundesregie-
rung darum gebeten, frühzeitig Kontakt mit Pakistan und
dem Iran aufzunehmen. Uns wurde ursprünglich signali-
siert, dass diesem Wunsch entsprochen werden soll.
Deswegen war ich sehr erstaunt, als uns gestern ein Ver-
treter des Auswärtigen Amtes erklärte, dass man Kon-
sultationen mit Pakistan und dem Iran nicht für nötig
halte. Warum hat das Auswärtige Amt Herrn Mützelburg
zum Sonderbeauftragten für Afghanistan und Pakistan
benannt, wenn Konsultationen in so einer zentralen
Frage für unnötig gehalten werden?


(Beifall bei der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regie-
rung, es geht sicherlich nicht um eine förmliche Konsul-
tation; aber es ist eine Frage der politischen Klugheit,
diese Länder zu informieren, um Missverständnissen
vorzubeugen und daraus resultierende Schwierigkeiten
zu vermeiden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir erwarten von der Bundesregierung in Zusammen-
arbeit mit der afghanischen Regierung und den interna-
tionalen Partnern Anstrengungen zur Etablierung einer
bodengestützten Luftraumüberwachung. Wir können sie
nicht auf Dauer mit AWACS-Flugzeugen durchführen;
das ist uns allen klar. Deswegen sind wir unzufrieden mit
der Auskunft der Bundesregierung, die zwar sagt, dass
die Lufthafeninfrastruktur in Afghanistan in den nächs-
ten zwei Jahren deutlich ausgebaut werden soll, aber
völlig offen lässt, bis wann eine zivile bodengestützte
Luftraumüberwachung geschaffen werden soll. Wir er-
warten, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Bundesregierung, dass Sie entsprechende Anstrengun-
gen unternehmen. Denn Sie wissen genauso gut wie wir,
dass der Einsatz, den wir heute beschließen, die Luft-
raumsicherung nicht auf Dauer gewährleisten kann.


(Beifall bei der FDP)

Der Kollege Kolbow hat es schon angesprochen:
Heute fand die Trauerfeier für die drei gefallenen Solda-
ten statt. Sie haben im Einsatz für Frieden und Wieder-
aufbau in Afghanistan ihr Leben gelassen. Ich denke, wir
sollten auch in einer solchen Debatte wie heute sagen,
dass der Deutsche Bundestag in Gedanken bei den Fami-
lien und bei den Kameraden ist, und ihnen unser Beileid
aussprechen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte zum Abschluss kurz auf die Situation in
Afghanistan eingehen. Kollege Kolbow hat sich dazu
ebenfalls gerade geäußert. Ich denke, das ist angesichts
des Diskussionsverlaufs der letzten Tage auch notwen-
dig. Wir alle wissen, dass die Situation in Afghanistan
schwierig ist. Uns allen war klar, dass die Phase vor den
afghanischen Wahlen und auch vor den deutschen Parla-
mentswahlen besonders kritisch werden würde. Deshalb
möchte ich an dieser Stelle deutlich machen, dass wir
von der Bundesregierung erwarten, dass die Anstrengun-
gen zur Verbesserung von Ausrüstung und Ausstattung
beschleunigt werden.

Auch ich teile die Auffassung des Kollegen Kolbow,
dass es niemandem, der sich vor Ort im Einsatz befindet,
weiterhilft, wenn wir hier eine Debatte darüber führen,
ob es ein Krieg ist oder nicht. Aber wir erwarten, dass
der Bundesverteidigungsminister wie auch die Bundes-
regierung klar sagen, um was es sich handelt.

Sie haben wieder den Begriff „Stabilisierungseinsatz“
benutzt. Es geht zwar um die Stabilisierung in Afghanis-
tan, aber es steht außer Frage, dass sich die Soldatinnen
und Soldaten dort in einem Kampfeinsatz befinden. Wir
erwarten, dass das von der Bundesregierung offensiv
thematisiert wird, weil sonst die Situation beschönigt
wird. Nur dann, wenn man offensiv argumentiert, erhält
man auch Akzeptanz und Unterstützung für diesen Ein-
satz bei der Bevölkerung.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme zum Schluss. Die Soldatinnen und Solda-
ten im Einsatz brauchen Rückendeckung für die große
Herausforderung und ihre exzellente Arbeit unter
schwierigen Bedingungen. Das ist die Aufgabe von uns
allen; es ist aber insbesondere eine Aufgabe der Bundes-
regierung. Deswegen möchte ich damit schließen, dass
ich denjenigen, die vor Ort im Einsatz sind, in unser aller
Auftrag ein herzliches Dankeschön sage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019100

Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1623019200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Die Vorredner haben schon darauf hingewiesen:






(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden
Heute Vormittag hat in Bad Salzungen die offizielle
Trauerfeier für die drei Soldaten stattgefunden, die in
Wahrnehmung ihres Auftrages, im Einsatz für den Frie-
den und gegen den Terror, in Afghanistan gefallen sind.
Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion
den Angehörigen, Freunden und Kameraden der drei
Soldaten unsere aufrichtige Anteilnahme und unser Mit-
gefühl aussprechen.

Es ist nachvollziehbar, dass die Kameraden der drei
gefallenen Soldaten ihren Einsatz in Kunduz persönlich
als einen Kriegseinsatz empfinden. Um ihren Auftrag zu
erfüllen, der der Sicherheit unseres Landes dient, sehen
sie sich immer häufiger in Kämpfe und Gefechte verwi-
ckelt, was mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben
verbunden ist, wie der Tod dieser drei Soldaten zeigt. Es
ist trotzdem falsch, von Krieg zu sprechen. Deutschland
und die NATO befinden sich nicht im Krieg gegen Af-
ghanistan. Im Gegenteil: Die Bundeswehr ist Teil von
ISAF, der Internationalen Sicherheits- und Unterstüt-
zungstruppe in Afghanistan. Wir unterstützen die demo-
kratisch gewählte afghanische Regierung bei der Erfül-
lung ihres Auftrags. Wir sind dort zur Unterstützung und
Durchsetzung des Völkerrechts, mit einem Mandat der
Vereinten Nationen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Taliban dagegen versuchen, mit terroristischen
Methoden, feigen und hinterhältigen Sprengfallen, men-
schenverachtenden Selbstmordattentaten sowie Entfüh-
rungen und bewaffneten Überfällen auf Einrichtungen
des Staates wie Schulen, Regierungsgebäude oder Poli-
zeistationen den Wiederaufbau des Landes zu verhin-
dern. Wir sollten dieses verbrecherische Tun der Tali-
ban nicht dadurch aufwerten, dass wir von Krieg
sprechen und den Eindruck erwecken, als käme ihnen
der Kombattantenstatus zu. In den 70er-Jahren hat die
Terrororganisation RAF in der Bundesrepublik Deutsch-
land ähnlich argumentiert wie die Taliban heute. Auch
die RAF-Terroristen haben von uns erwartet, dass wir sie
als Kombattanten ansehen, und haben entsprechende
Rechte für sich eingeklagt. Aber sie sind keine Kombat-
tanten, sondern nichts anderes als gemeine Verbrecher
gewesen. Das gilt genauso für die Taliban.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von Krieg zu sprechen, ist eine falsche Darstellung
unseres Einsatzes. Von Anfang an haben wir, die Frak-
tionen, die dem Einsatz zustimmen, und die Bundesre-
gierung deutlich gemacht, dass es sich um einen
Kampfeinsatz handelt. Insofern ist die Kritik, die von der
FDP vorgetragen wird, unzutreffend. Aber genauso klar
ist immer wieder gesagt worden, dass die Aufgabe in Af-
ghanistan eben nicht allein mit militärischen Mitteln zu
erfüllen ist. Es geht um den Aufbau des Landes, der mi-
litärisch abgesichert werden muss. Das Militär kann für
eine gewisse Zeit ein sicheres Umfeld schaffen. In die-
sem sicheren Umfeld müssen dann der Aufbau und die
Stabilisierung des Landes stattfinden. Das gelingt in ei-
nigen Regionen unseres Einsatzgebietes in ganz beein-
druckender Weise. Ich denke zum Beispiel an die Region
Masar-i-Scharif. Dort hat sich die Sicherheitslage nicht
verschlechtert. Im Gegenteil: Einige sprechen sogar von
einer Verbesserung.

Wir haben über Jahre an unsere amerikanischen Ver-
bündeten appelliert, nicht von einem War on Terror,
nicht von einem Krieg gegen den Terror zu sprechen. Ich
weiß, dass dieser Begriff im Amerikanischen eine an-
dere Konnotation hat als im Deutschen. Aber selbst un-
sere britischen Freunde haben immer wieder darauf hin-
gewiesen, dass es sich nicht um einen War, einen Krieg
handelt. Ein amerikanisches Sprichwort lautet: „Wenn
man einen Hammer hat, dann fangen alle Probleme an,
wie Nägel auszusehen“. Wir müssen eine solche Veren-
gung unseres Denkens vermeiden. Deswegen ist es
wichtig, darauf hinzuweisen, dass das, was wir in Afgha-
nistan tun, kein Krieg ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Entwicklung ist ohne Sicherheit nicht möglich. Das gilt
ganz sicherlich nicht für einen Kriegseinsatz.

Es ist richtig, dass gefordert wird, dass wir eine ehrli-
che Debatte über die Beteiligung der Bundeswehr am
ISAF-Einsatz in Afghanistan führen. Wir müssen das
auch tun, damit sich die Soldaten und ihre Angehörigen
bei ihrer schwierigen Aufgabe unterstützt fühlen. Es
steht meiner Ansicht nach völlig außer Frage, dass sich
die im Raum Kunduz eingesetzten Soldaten in einer
kriegsähnlichen Situation befinden und dass das mit ho-
hem persönlichem Risiko verbunden ist. Das ändert aber
nichts an der strategischen Zielsetzung des Einsatzes:
Aufbau und Stabilisierung Afghanistans.

Ein Grund für die verstärkten Angriffe, denen unsere
Soldaten ausgesetzt sind, ist das wachsende amerikani-
sche Engagement im Süden und Osten, wodurch der
Druck auf die Taliban erhöht wird, die versuchen, in den
Norden auszuweichen. Die Aufgabe der Bundeswehr
muss sein, die afghanischen Verbände im Norden des
Landes dabei zu unterstützen, dass sich die Taliban nicht
in unserem Zuständigkeitsbereich festsetzen können.
Die Taliban können nur besiegt werden, wenn sie in
ganz Afghanistan besiegt und aus dem afghanisch-pakis-
tanischen Grenzraum vertrieben werden. Selbstverständ-
lich müssen die in Afghanistan eingesetzten Bundes-
wehreinheiten alle zur Verfügung stehenden Mittel
erhalten, um ihre Aufgaben auch unter den neuen, er-
schwerten Bedingungen erfüllen zu können. Ich habe
den begründeten Eindruck, dass sowohl die zivile als
auch die militärische Führung der Bundeswehr sich die-
ser Verantwortung bewusst sind und dieser Aufgabe
nachkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In Afghanistan haben wir es nach wie vor mit nur ge-
ring entwickelten staatlichen Institutionen, mit Korrup-
tion und Drogenhandel in Kombination mit islamistisch
motiviertem Extremismus zu tun. Afghanistan hat mit
Pakistan eine Nuklearmacht als Nachbarn, der ange-
sichts der Finanz- und Wirtschaftskrise der Staatsbank-
rott droht. Wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung






(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden
gemacht, dass die Gefahren für unser Land und für uns
in Europa nicht an Grenzen haltmachen. Diesen Gefah-
ren stellen sich unsere Soldaten tapfer. Tapferkeit setzt
Verwundbarkeit voraus. Die Gefahren für die Freiheit
und das Recht unseres Volkes kennen keine geografi-
schen Grenzen mehr. Deswegen ist es richtig, festzustel-
len, dass die drei Soldaten für das Recht und die Freiheit
unseres Volkes in Afghanistan gefallen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019300

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Monika Knoche das Wort.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und

Damen! Die USA starteten heute früh eine Großoffen-
sive im Süden Afghanistans. Der NATO-Einsatz ist
schon lange keine Ziviloperation mehr. OEF, das nicht
von der UN gedeckte Kampfmandat, und ISAF sind
schon lange miteinander verwoben. Es ist richtig: Es
handelt sich nicht um einen Krieg wie im 19. oder
20. Jahrhundert, aber es handelt sich um den sogenann-
ten asymmetrischen Krieg, und in diesem asymmetri-
schen Krieg ist als Allererstes die Zivilbevölkerung das
Opfer.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Manfred Grund [CDU/CSU]: Der Taliban!)


Deshalb sprechen wir von Krieg. Die Betroffenen, so-
wohl die Soldatinnen und Soldaten als auch die afghani-
sche Bevölkerung, empfinden das als nichts anderes als
einen Krieg.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke verweigert die Zustimmung zu diesem
AWACS-Mandat. Mit den drei bis vier AWACS-Maschi-
nen sollen zunehmende Luftverkehrsbewegungen ge-
schützt werden; so sagt die Bundesregierung. Das Wort
„zivil“ ist hierbei völlig fehl am Platz. Schließlich han-
delt es sich nicht um Charterflüge für Touristen, sondern
um Flüge zum Transport von Militärgütern und Solda-
ten, deren Zahl zunimmt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dirk Niebel [FDP]: Und die sollen kollidieren?)


Es geht in Wirklichkeit um militärische Luftoperationen.
Sie sollen intensiviert werden. Die Militäroperationen
sollen reibungslos stattfinden können. Das ist Sinn und
Zweck des Einsatzes der AWACS-Flugzeuge.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das ist eine neue Eskalationsstufe. Es wird zwar von
Luftsicherheit gesprochen, gemeint sind aber gezielte
Luft-Boden-Operationen. Dabei sollen die AWACS-
Flugzeuge mithelfen. Es ist klar zu sagen: Wollte man
Ziviles, wollte man keine Kriegsführung, würde man bo-
dengestützter Luftraumüberwachung den Vorzug geben.
Das aber tun Sie nicht. So können wir nur einen Schluss
ziehen: Mehr Militärschläge, mehr Krieg – allein darum
geht es. Und dafür braucht man eine verbesserte Organi-
sation.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Bundesregierung muss endlich die Wahrheit aus-
sprechen: Deutschland befindet sich im Krieg. Das heu-
tige Mandat bedeutet noch mehr Krieg. Niemand kann
abstreiten, dass die USA seit einiger Zeit die Kampfzone
auf Pakistan ausgeweitet haben. Zwar steht in dem heuti-
gen Mandat, dass es auf Afghanistan beschränkt bleiben
solle. Wichtig ist aber die Frage nach den Drohnen. Wie
wird diese von Ihnen beantwortet? Im Verteidigungsaus-
schuss kamen keine aufklärenden Antworten. Können
Sie ausschließen, dass grenzüberschreitende Daten der
AWACS-Flüge für Drohnenangriffe genutzt werden? Für
uns ist das eine ernste Frage, weil es für Pakistan kein
völkerrechtliches Mandat gibt.

Eines ist vollkommen klar: Der Einsatz der AWACS-
Flugzeuge wird zu weiteren Opfern in der Zivilbevölke-
rung führen. Eine Fortführung dieses Krieges – dem wi-
dersprechen wir ganz entschieden – wird nicht zum Frie-
den führen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Frieden und Sicherheit für das kriegsgeschundene afgha-
nische Volk können nur erreicht werden, wenn der Krieg
beendet wird. Auch Demokratie kann nur erreicht und
der Fundamentalismus nur bekämpft werden, wenn die-
ser Einsatz beendet wird.

Vor vier Jahren habe ich in diesem Haus eine Exitstra-
tegie eingefordert und dargestellt, wie sie mit der Bevöl-
kerung und den Anrainerstaaten erreicht werden kann.
Dieser Tage forderte der CSU-Abgeordnete Ramsauer
nach dem beklagenswerten Tod der drei deutschen Sol-
daten eine Exitstrategie.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht er schon seit Jahren!)


Ich unterstütze alle Beweggründe, den Krieg zu been-
den. Es muss aber endlich die politische Einsicht wach-
sen, dass die NATO gescheitert ist. Die NATO hat keine
Berechtigung, sich in Afghanistan festzusetzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die NATO ist bei der afghanischen Bevölkerung zuneh-
mend verhasst, weil sie ihre Angehörigen tötet und ihnen
die Perspektive auf eine selbstbestimmte Politik und Ge-
sellschaftsordnung nimmt. Militärisch ist der Terror oh-
nehin nicht zu besiegen. Politisch sind Demokratie, Frei-
heit der Frauen und Antifundamentalismus vom Westen
nicht durchsetzbar. Das ist nicht zuletzt deshalb der Fall,
weil der Westen als Besatzungsmacht wahrgenommen
wird.






(A) (C)



(B) (D)


Monika Knoche

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


US-Präsident Obama setzt diesen völlig irrigen und
falschen Weg fort und verstärkt den Krieg. 100 000 Sol-
daten sollen alsbald dort sein. Sie sollen eine Aufstands-
bekämpfung durchführen. Der Einsatz von Bodentrup-
pen wird verstärkt. Nicht selten wird es dazu kommen,
dass sich Soldaten aus misslichen Lagen herausbomben
lassen. Dazu braucht man die Luftüberwachung. Ich
habe bereits gesagt: Die wechselseitige Einflussnahme
und das Zusammenkommen von ISAF und OEF haben
schon dazu geführt, dass sich deutsche Soldaten mitten
in Bodenoperationen befinden.

Wir werden dem AWACS-Mandat nicht zustimmen
und fordern auch heute ganz deutlich: Deutsche Soldaten
müssen aus Afghanistan abgezogen werden!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie da-

rauf aufmerksam, dass wir in dieser Debatte noch drei
Redner haben. Ich bitte diejenigen, die vor der namentli-
chen Abstimmung unabweislich Gespräche führen müs-
sen, dies außerhalb des Plenarsaals zu tun. Ansonsten
sind genügend Sitzgelegenheiten in diesem Plenarsaal,
sodass wir auch diesen drei Kollegen die entsprechende
Achtung entgegenbringen können.


(Dirk Niebel [FDP]: Gratulieren Sie doch auch Frau Knoche zu ihrer letzten Rede!)


Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623019600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der ersten Lesung vor 14 Tagen habe ich schon eini-
ges zu den beiden folgenden Schlüsselfragen gesagt:
Erstens: Ist der Einsatz von AWACS-Flugzeugen für die
Schaffung von mehr Flugsicherheit notwendig? Zwei-
tens: Führen sie zu mehr Krieg? Wichtige Fragen muss
man beantworten. Meine Prüfung und weitere Informa-
tionen haben ergeben: Der Bedarf bei der Flugsicherung
hat sich erhärtet.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Es gab in den letzten Jahren bei den Flugbewegungen
einen Zuwachs von 25 Prozent. In den Jahren zuvor hat
es zahlreiche kritische zivile Begegnungen bzw. Beina-
heunfälle gegeben. Man muss feststellen, dass der Flug-
verkehr immer wieder unterbrochen werden muss, weil
keine guten Sichtflugbedingungen herrschen. Dies ist für
alle Nutzer des Luftraumes von erheblicher Bedeutung.

Ich möchte wiederholen, was ich in meiner Rede vor
14 Tagen bereits gesagt habe: Die AWACS-Flugzeuge
ordnen den Luftraum für alle Nutzer; das ist ihre Fähig-
keit und ihre Aufgabe. Ob mehr Luftangriffe geflogen
werden und ob es mehr Ziviltote gibt, liegt nicht an den
AWACS-Flugzeugen, sondern an der Strategie der ISAF
und insbesondere der USA sowie an deren taktischer
Umsetzung. Das ist der Knackpunkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesen Tagen komme ich zu einem anderen Ergeb-
nis, als ich zum Beispiel vor einem Jahr gekommen
wäre. Die Aussagen der verschiedenen Ebenen der ame-
rikanischen Führung sind inzwischen eindeutig: A und O
ist der Schutz der Bevölkerung. Wenn dieser nicht ge-
währleistet wird, kann man alles andere vergessen. Dies
gilt inzwischen auch für die taktischen Weisungen.
Überall dort, wo ein Risiko für die Bevölkerung besteht,
will man keine Luft-Boden-Einsätze durchführen.

Ich mache es jetzt so, wie ich es in den letzten Jahren
gemacht habe: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass
solche Fragen immer nach bestem Wissen und Gewissen
geprüft werden müssen. Man darf dabei nicht auf etwas
anderes Rücksicht nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Mein schlichtes Ergebnis lautet: Für die sehr kritische
Flugsicherheit sind diese Geräte unabdingbar; denn die
stationäre Flugsicherheit ist zurzeit nur lokal gewährleis-
tet. Sie kann erst in einigen Jahren aufgebaut werden; da
ist mehr Energie notwendig. Abhilfe ist aber hier und
heute gefragt.

Ich komme zur Beantwortung der zweiten Frage: Die
Befürchtung der Beihilfe zur Eskalation durch den Ein-
satz der AWACS-Flugzeuge halte ich für unbegründet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von daher sind die AWACS-Flugzeuge für mich etwas
anderes als die Tornados. Damals habe ich keine Zustim-
mung empfohlen. Jetzt werde ich mit der Mehrheit mei-
ner Fraktion zustimmen. Andere Mitglieder meiner
Fraktion werden sich aus legitimen Gründen der Stimme
enthalten oder auch den Antrag ablehnen.

Dieses punktuelle Votum ändert nichts an meiner
größten Beunruhigung, die Entwicklung in Afghanistan,
und auch nichts an meiner großen Beunruhigung über
die diesbezügliche Politik der Bundesregierung. Ihre
Äußerungen – so muss ich immer wieder feststellen –
sind von Selbstzufriedenheit geprägt. Offenbar ist der
Ernst der Lage in Afghanistan bei der Regierung noch
nicht angekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wo ist im achten Jahr des Afghanistan-Engagements
eigentlich eine ehrliche Zwischenbilanz? Die Leute fra-
gen zu Recht: Warum wird es immer schlechter? Da
muss man eine nüchterne und ehrliche Antwort geben.
Wo sind überprüfbare Zwischenziele für die deutschen
Aufbauanstrengungen im Norden? Wo ist der forcierte






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
Polizeiaufbau? Wie kann es geschehen, dass im vorigen
Jahr in der Provinz Kunduz 537 afghanische Polizeistel-
len gestrichen wurden? Da soll man sich nicht wundern,
wenn sich Aufständische in den verschiedenen Distrik-
ten festsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zusammengefasst muss ich sagen: Beim Thema Af-
ghanistan ist bei der Bundesregierung viel zu viel Halb-
herzigkeit zu erkennen. Das ist gerade in der jetzigen Si-
tuation brandgefährlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Seit 1994 habe ich im Bundestag erhebliche Umbrü-
che in der deutschen Friedens- und Sicherheitspolitik
miterlebt. Manchmal war es sehr schwierig, und es kann
sein, dass die nächsten Wochen und Monate noch einmal
um einiges schwieriger werden. Als umso ermutigender
habe ich es erfahren, welche neuen Friedensfähigkeiten
wir im Bundestag aufbauen konnten und wie vielen
Menschen, Friedenspraktikern mit Herz und Verstand
ich in Krisenregionen begegnen durfte.

Ich möchte ausdrücklich den verschiedenen Ressorts
danken, dem Entwicklungshilfeministerium,


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


dem Innenministerium und den Polizisten, dem Außen-
ministerium und den Diplomaten sowie dem Verteidi-
gungsministerium und den Soldaten, die das genaue Ge-
genteil von dem tun, was die Wehrmacht angestellt hat.
Ihnen allen gilt mein ausdrücklicher Dank!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich danke Ihnen und euch allen für die hervorragende
sowohl menschliche als auch politische Zusammenar-
beit, die es immer wieder – natürlich nicht immer – gab.
Ich danke meiner Fraktion für ihr Vertrauen, meinen
Mitarbeiterinnen und meiner lieben Frau Angela.

Danke.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019700

Kollege Nachtwei, es begleiten auch Sie die guten

Wünsche des gesamten Hauses in Ihren neuen Lebens-
abschnitt. Ich habe das heute schon mehrfach zu Kolle-
ginnen und Kollegen gesagt und mit einigen auch da-
rüber gesprochen, dass ich noch keine bessere
Beschreibung für den Zustand gefunden habe, in dem
Sie sich zukünftig wiederfinden werden. Alles, alles
Gute!

(Beifall – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir Veteranen wünschen auch euch alles Gute!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole
meine Bitte, auch den nachfolgenden Rednern noch die
notwendige Aufmerksamkeit zu widmen und sich auf
die folgende namentliche Abstimmung sitzend vorzube-
reiten.

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn die Politik Getriebene statt Gestalterin ist – egal
auf welchem Gebiet –, dann ist etwas aus dem Ruder ge-
laufen. Mit dem heutigen Antrag der Bundesregierung,
AWACS-Flugzeuge über Afghanistan einzusetzen, wird
dies in besonderer Weise deutlich.

Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr geht inzwi-
schen in das achte Jahr. Der Fraktionsvorsitzende der
SPD bereitete die Bürger im Spiegel-Streitgespräch auf
weitere zehn Jahre vor. Was Anfang 2002 als Absiche-
rungsmission für die Interimsregierung im Raum Kabul
seinen Anfang nahm, wurde Schritt für Schritt auf das
ganze Land ausgedehnt. Inzwischen sind die Maßnah-
men der schleichenden Ausdehnung des Kriegseinsatzes
nicht mehr zu übersehen.

Ich habe den Eindruck, dass die Verantwortlichen der
Bundesregierung Getriebene ihrer ideologisierten und
völlig falschen Vorstellung vom Charakter des Wider-
standswillens der Afghanen sind. Unter den afghani-
schen Aufständischen sind sicherlich auch Kriminelle;
das ist nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg kein Wun-
der. Aber der Charakter des afghanischen Widerstandes
liegt darin, dass die Afghanen keine Fremdherrschaft
wollen. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es kommt nicht darauf an, wie Herr Jung oder die Mehr-
heit dieses Hauses das sehen wollen, sondern wie die Af-
ghanen das Problem der Fremdherrschaft sehen.

Im Verantwortungsbereich der Bundeswehr findet im-
mer weniger von dem statt, wofür der Bundestag das
Mandat ursprünglich erteilt hat: die Aufbauhilfe. Sollten
nicht die Tornados und die schnelle Eingreiftruppe die
Rahmenbedingungen dafür verbessern? Das Gegenteil
ist eingetreten, und wir haben Ihnen das vorausgesagt.
Nun kommen Sie mit dem Argument, dass AWACS auch
der Sicherheit der Bevölkerung diene. Hören Sie doch
auf, die Öffentlichkeit zum Narren zu halten! Der Ein-
satzzweck von AWACS ist die Optimierung der Luft-
kriegsführung. Das ist die Wahrheit, und alles andere ist
Nebelkerzenwerfen!


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland und seine Soldaten geraten immer tiefer
in den Schlamassel hinein. Am Mittwoch ist im Verteidi-
gungsausschuss offen darüber gesprochen worden, wann
die Kampfhubschrauber Tiger und weitere Kampfpanzer






(A) (C)



(B) (D)


Gert Winkelmeier
Marder in Afghanistan eingesetzt werden können. Ein
mögliches Datum wäre das zweite Quartal 2011.

Wenn der nächste Bundestag die Armeeeinsätze nicht
endlich stoppt, dann werden wir noch sehr viel mehr tote
junge Menschen in Afghanistan zu beklagen haben. Die
Zahl der Artikel über PTBS-Geschädigte und Versiche-
rungen, die im Falle eines Todes in Afghanistan nicht
zahlen wollen, werden zunehmen.

Ich halte es für unverantwortlich, dass Politiker der
FDP mittlerweile fordern, eigene Flugzeuge für den
Close Air Support, also die Luftnahunterstützung deut-
scher Truppen im Kampf, einzusetzen. Die Folgen wer-
den sogenannte Kollateralschäden sein, und das deut-
sche Volk wird beim afghanischen Volk an Ansehen
enorm verlieren. Das alles wird riskiert, damit Deutsch-
land weiter seinen Weg als Juniorweltmacht an der Seite
der USA gehen kann.

Ich zitiere den ehemaligen CDU-Politiker Todenhö-
fer, der im Spiegel-Streitgespräch von dieser Woche
sagte:

Ich glaube, dass unsere Soldaten in Afghanistan aus
falsch verstandener Solidarität zu den USA sterben.

Genau so ist es.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen muss die Bundeswehr umgehend schrittweise
abgezogen werden, und es muss mit einem ausschließ-
lich zivilen Wiederaufbauprogramm und politischen
Verhandlungen begonnen werden, an denen alle Seiten
beteiligt sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623019900

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun die Kol-

legin Dorothee Bär für die Unionsfraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1623020000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurück zur
Sachlichkeit: In der vergangenen Woche wurde uns allen
noch einmal deutlich und auf tragische Weise vor Augen
geführt, dass die Lage in Afghanistan weit davon ent-
fernt ist, stabil zu sein. Drei junge Bundeswehrsoldaten
sind bei einem Angriff bewaffneter Aufständischer am
Hindukusch gefallen. Die Trauerfeier für sie hat uns
heute sehr bewegt. Auch ich möchte betonen, dass un-
sere Gedanken und Gebete bei den Familien sind, denen
wir viel Kraft und Gottes Segen schicken.

Aus diesem schrecklichen Ereignis und den lebensge-
fährlichen Herausforderungen, mit denen sich unsere
Bundeswehrsoldaten konfrontiert sehen, dürfen wir aber
nicht die falschen Schlussfolgerungen ziehen. Wir dür-
fen unser Engagement in Afghanistan nicht aufgeben!

Herr Kollege Nachtwei, Sie haben leider Gottes auch
einige Worte der Kritik geübt. Ich hätte auch etwas an
Ihrer Rede zu kritisieren gehabt, aber nachdem es Ihre
letzte Rede im Deutschen Bundestag ist, verzichte ich
darauf.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie großzügig! – Iris Gleicke [SPD]: Wetten, dass er keine Angst davor gehabt hätte?)


Die Menschen vor Ort vertrauen auf uns. Wir haben Ver-
antwortung übernommen, und wir dürfen sie jetzt nicht
im Stich lassen, weil ein Rückzug zum jetzigen Zeit-
punkt das Land zurück in die Hände der Taliban werfen
und alles bisher Geleistete zerstören würde.

Die Stabilität Afghanistans wirkt sich unmittelbar auf
unser Leben in Deutschland aus: Wenn Terroristen in
Afghanistan ungestört tun und lassen können, was sie
wollen, dann wird es nicht lange dauern, bis Terroristen
wieder vom afghanischen Staatsgebiet aus gegen den
Westen agieren. Taliban und al-Qaida sind weiterhin in
Afghanistan aktiv. Ein einseitiger Rückzug der Bundes-
wehr aus Afghanistan, wie ihn beispielsweise Die Linke
fordert, wäre nur im Interesse der fundamentalistischen
Terroristen, die wieder einen sicheren Rückzugsort hät-
ten.

Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die Bundes-
wehr weiterhin in Afghanistan präsent ist und dort wert-
volle Arbeit sowohl für die Menschen vor Ort als auch
für uns in Deutschland leistet. Hierbei muss jedoch für
uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Si-
cherheit unserer Soldaten im Vordergrund stehen, die
fern der Heimat einen wichtigen Beitrag zum Schutz un-
seres Landes leisten.

Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Kollegen
und Kollegen, heute haben wir hier die Gelegenheit, un-
seren Soldaten zu zeigen, dass sie in Afghanistan nicht
alleine sind, dass die deutsche Öffentlichkeit hinter ih-
nen steht und bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen, die
ihre Sicherheit im Einsatzgebiet erhöhen. Das sind wir
unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig.

Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge dient in erster Li-
nie dem Schutz unserer Piloten, der Flugzeugbesatzun-
gen sowie unserer Soldatinnen und Soldaten; denn der
Luftverkehr in Afghanistan nimmt täglich zu, und die
Bundeswehr führt 51 Prozent der Flüge für den Trans-
port von Material und Personal im afghanischen Staats-
gebiet durch. Aber auch für unsere Polizisten, unsere
Entwicklungshelfer und unsere Diplomaten bedeutet der
Einsatz der AWACS-Flugzeuge einen Gewinn an Schutz
und Sicherheit.

Wir sind uns der Verantwortung bewusst, die wir als
Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegenüber un-
seren Soldaten haben. Derzeit leisten 3 693 Angehörige
der Bundeswehr ihren Dienst in Afghanistan. Es ist un-
sere Pflicht, alles dafür zu tun, das Risiko ihres Einsatzes
so minimal wie möglich zu halten, indem wir die Maß-
nahmen ergreifen, die dazu dienen, ihre Sicherheitslage
zu verbessern. Das muss unsere Priorität sein.

Solche Scheindebatten, wie sie in der vergangenen
Woche von einigen initiiert wurden, sind hierbei fehl am
Platz und lenken von den wahren Herausforderungen ab.






(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Bär
Durch falsche Begrifflichkeiten dürfen wir die Taliban
weder moralisch noch rechtlich aufwerten. Natürlich
sind unsere Soldaten in schwere Kampfhandlungen ver-
wickelt. Bei den Taliban handelt es sich jedoch nicht um
Kriegsgegner, sondern um Verbrecher und Terroristen –
um nichts anderes!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Verehrte Kollegen, die Zunahme der Angriffe steht
offensichtlich im Zusammenhang mit der afghanischen
Präsidentschaftswahl. Sie richten sich aber auch an die
deutsche Öffentlichkeit. Die Taliban versuchen, durch
Gewalt und Terror gegen deutsche Soldaten Einfluss auf
die Politik in unserem Land zu nehmen. Das dürfen wir
ihnen nicht erlauben.

Im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten und der
Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande möchte ich
Sie bitten, diesem Mandat Ihre Stimme zu geben. Ich
wünsche mir ein einstimmiges Votum; denn das ist das
Mindeste, was wir für sie tun können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623020100

Ich schließe die Aussprache.

Mir liegen vom Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-
Fraktion, vom Kollegen Wolfgang Börnsen, Unionsfrak-
tion, und vom Kollegen Omid Nouripour, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, Erklärungen nach § 31 der Ge-
schäftsordnung vor. Wir nehmen diese zu Protokoll.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von
NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13597, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 16/13377 anzunehmen.

Inzwischen liegt mir eine weitere Erklärung zum Ab-
stimmungsverhalten nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung vor; sie stammt von der Kollegin Kerstin Müller,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir nehmen auch
diese Erklärung zu Protokoll.1)

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, bitte ich, sich zu vergewis-
sern, dass Ihr Name auf der Abstimmungskarte steht.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an den
vorgesehenen Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Da dies nicht der Fall ist,

1) Anlage 3
schließe ich jetzt die Abstimmung. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Beratungen fort, und zu diesem Zwe-
cke bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Platz
zu nehmen.


(Unruhe)


– Ich werde den nächsten Tagesordnungspunkt erst dann
aufrufen, wenn wir die Beratungen fortsetzen können.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Erhöhung des Schonvermögens im Alter für
Bezieher von Arbeitslosengeld II
– Drucksachen 16/5457, 16/12912 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1623020200

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Das ganze Haus stimmt wohl zu, dass es
grundsätzlich Sinn macht, die private Altersvorsorge
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Falle der
Arbeitslosigkeit besser zu schützen und damit auch ei-
nen wichtigen Beitrag zur Vorsorge gegen eine später
drohende Altersarmut zu leisten. Es macht dagegen kei-
nen Sinn, Altersvorsorge, die zu einem zusätzlichen Al-
terseinkommen führen soll, auf das Arbeitslosengeld II
anzurechnen, wenn ein steuerfinanzierter Grundsiche-
rungsbedarf im Alter dadurch vorprogrammiert wird.

Deshalb haben wir Sozialdemokraten in unserem
Wahlprogramm für die Bundestagswahl in 87 Tagen ein-
deutig festgelegt: Vermögen, das der privaten Altersvor-
sorge dient, wird nicht auf das Arbeitslosengeld II ange-
rechnet. Voraussetzung ist, dass unwiderruflich mit
Beginn des Ruhestandes eine monatliche Rente garan-
tiert wird. Wir wollen keine Begrenzung, keine Euro-Be-
träge in einem Gesetzentwurf und auch keine Vernebe-
lung der Zielsetzung.

Angesichts der Wirklichkeit, meine Damen und Her-
ren, sind solche Festlegungen überflüssig. Dass die
Linke in ihrem Antrag nach dem typisch taktischen Mus-

2) siehe Seite 25751 C






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Stöckel
ter heute den konkreten Vorschlag des NRW-Sozialmi-
nisters Laumann aus der CDU übernimmt, wundert uns
zwar schon, aber es ist nicht unser Problem. Wir lehnen
Ihren Antrag ab, weil wir mehr wollen, und nicht nur,
weil in ihm Details und Beträge festlegt werden, die
nicht sachgerecht sind. Schließlich führt bereits der Titel
auf eine falsche Fährte. Es geht hier nicht allgemein um
eine Erhöhung von Schonvermögen im Alter, sondern
um den Schutz der privaten Altersvorsorge für alle Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in jedem Alter. Das
sollte meines Erachtens auch für Schüler, Auszubil-
dende, Studenten und Soloselbstständige gelten.


(Beifall bei der SPD)


Sie werden wesentlich stärker von den Brüchen in ihren
Arbeitsbiografien betroffen sein.

Während das Rentenniveau sinken wird, steigen die
Ansprüche an den Lebensstandard. Diejenigen, die aus
ihrem Einkommen Rücklagen für ein späteres Ruhe-
standseinkommen ab Renteneintritt bilden, werden heute
mit erheblichen Mitteln staatlich gefördert. Sie sollen
auch dafür belohnt werden. Nicht nur die Riester-Rente
als private Eigenvorsorge, sondern auch die betriebliche
Altersvorsorge ist heute eine nicht mehr wegzudenkende
Säule einer subsidiären Sicherung des Lebensstandards
im Alter. Das gilt – in noch nicht ausreichendem Maße –
auch für Geringverdiener und Transferleistungsberech-
tigte, die nur geringste Eigenbeiträge dazu leisten müs-
sen.

Wenn ein 1968 geborener Arbeitnehmer im Jahre
2035 mit 67 Jahren seinen Ruhestand antritt, wird das
Nettorentenniveau in Deutschland nicht wie derzeit
67 Prozent, sondern maximal 52 Prozent betragen – bei
vollen 45 Beitragsjahren. Um im Alter 24 Jahre lang
500 Euro im Monat aus privaten Ersparnissen zu haben,
muss er – bei konservativer Anlage – stolze 737 Euro
monatlich zurücklegen, wenn er zehn Jahre vor dem Ru-
hestand mit dem Sparen beginnt. Wer 30 Jahre vorher
angefangen hat, braucht dafür „nur“ 178 Euro im Monat
aufzubringen.

Das Problem der Mehrheit der jetzigen und zukünfti-
gen Arbeitnehmer ist deshalb nicht die Rente mit 67, die
ab 2029 gesetzlich gilt. Denn es ist den meisten klar,
dass bei fortlaufend steigender Lebenserwartung die Le-
bensarbeitszeit nicht stagnieren kann. Aber weitere flan-
kierende Maßnahmen für altersgerechte Arbeit und
Übergänge und für die Stärkung der privaten und be-
trieblichen Altersvorsorge bleiben unausweichlich.

Der Antrag der Linken will suggerieren, er würde
eine wesentliche Verbesserung im Vergleich zur derzeiti-
gen Lage bewirken. Die Fakten sprechen aber eine ganz
andere Sprache: Mit dem heute bereits gesetzlich gere-
gelten Schonvermögen käme ein Ehepaar – er 63 Jahre
alt, mit einer privaten Lebensversicherung; sie 62 Jahre
alt, mit einer privaten Rentenversicherung und beide vor
dem 1. Januar 1948 geboren – auf ein geschütztes Ver-
mögen von mindestens 97 750 Euro. Pro Person sind das
nach Adam Riese 48 875 Euro. Zu diesem Schonbetrag
sind zu addieren, falls zutreffend, eine Riester- oder
Rürup-Rente und eine betriebliche Altersvorsorge als
Direktversicherung. Ich rechne Ihnen das auf Wunsch
gerne vor und nenne Ihnen auch die wesentlichen Ver-
besserungen beim Schonvermögen, die wir mit den so-
genannten Hartz-IV-Reformen unter Rot-Grün und in
der Großen Koalition vorgenommen haben.

Es war richtig, dass wir zunächst einen Schwerpunkt
mit den Vermögensgrundfreibeträgen für Familien – das
sind immerhin zusätzlich 3 100 Euro pro Kind – gesetzt
haben. Der Antrag der Linken, würde er Gesetz, wäre
also keine Verbesserung, sondern eine erhebliche Ver-
schlechterung für dieses Ehepaar. Sie sollten also besser
vermeiden, auf jeden Rechentrick von Rüttgers,
Laumann und Co. hereinzufallen.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Was?)


Die Schonvermögen sind beim Arbeitslosengeld II
dem Grunde nach wie bei der früheren Arbeitslosenhilfe,
allerdings deutlich großzügiger als vor der Hartz-IV-Re-
form. Dies trifft vor allem auf die ehemaligen Empfän-
ger von Arbeitslosenhilfe zu. Ich gebe allerdings zu
– und das ergibt erst das gesamte Bild –, dass die ge-
schützten Altersvorsorgevermögen von Personen, die
nach dem 1. Januar 1948 geboren sind, heute erheblich
geringer sind.


(Zurufe von der LINKEN: Ah!)


Aber eine Gegenfinanzierung der theoretischen Vorteile
von Jüngeren mit einer konkreten Benachteiligung der
Älteren – nichts anders bedeutet nämlich Ihr Antrag –
machen wir jedenfalls nicht mit. Wir schlagen vor – ich
wiederhole das –, die Altersvorsorgerücklagen insge-
samt bei der Anrechnung auf Grundsicherungsleistung
freizustellen.

Für die jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer ist nicht das dringlichste Problem ein höheres
Schonvermögen im Arbeitslosengeld-II-Bezug, sondern
die Frage, wie sie überhaupt aus einem regelmäßigen,
zum Leben ausreichenden Einkommen Vermögen bilden
können, um für das Alter vorzusorgen. Die Jüngeren
sind in erheblich größerem Ausmaß als die ältere Gene-
ration von Einstiegsproblemen, prekären Beschäfti-
gungsverhältnissen und Brüchen in der Arbeitsbiografie
betroffen. Sie werden zudem die Folgen der Finanzkrise
und das heute garantierte hohe sozialstaatliche Siche-
rungsniveau der Älteren in besonderem Maße über Steu-
ern und Beiträge zu tragen haben.

Zudem sind 3 Millionen Haushalte, mehrheitlich Ar-
beitnehmer- oder Erwerbslosenhaushalte, überschuldet.
Diese Menschen leben an der Pfändungsgrenze, und ein
erheblicher Teil von ihnen erhält Leistungen nach dem
SGB II. Angesichts der wichtigsten Aufgabe eines vor-
sorgenden Sozialstaates, nachhaltig Chancen-, Vertei-
lungs-, Leistungs- und Generationengerechtigkeit zu
organisieren, greifen diese Debatte und die vorgeschla-
genen Instrumente viel zu kurz.

Neben den demografischen Herausforderungen und
Belastungen für die beitrags- und steuerfinanzierten so-
zialen Sicherungssysteme bleibt es auch in Zukunft da-
bei – jedenfalls auf absehbare Zeit –, dass das Niveau
der Alterseinkommen von der Wirtschaftskraft, das heißt






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Stöckel

Anke Eymer (Lübeck) Uda Carmen Freia Heller Andreas G. Lämmel
CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann

Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler


(Wiesbaden)

Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek

Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Ja Ilse Falk Michael Hennrich Dr. Norbert Lammert
von der Wettbewerbsfähigke
und der Wertschöpfung aus
beitseinkommen, abhängig is
die zwar verfassungsgemäß
niedrigem Niveau, hilft niem

Deshalb bleibt unser Ziel
Aktivierung, Qualifizierung
werbsfähigen Arbeitsuchende
aller politischen Anstrengung


(Beifall bei Abgeo Deshalb wollen wir die beste Ausbildung für alle Kinder Arbeitnehmerinnen und Arb wir gute Arbeit, die fair bez macht, die den tatsächlichen dürfnissen angemessen ist u altersgerecht gestaltet ist. Liebe Kolleginnen und Ko destag werde ich nicht mehr schließe ich eine Rückkehr a Ich danke Ihnen aus diesem A freundschaftliche Zusammen Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 460 nein: 81 enthalten: 15 it, dem Beschäftigungsgrad Produktivkapital und Art. Eine Sozialstaatsgarantie, umgesetzt wird, aber auf andem. die Vollbeschäftigung. Die und Integration der ern muss in den Mittelpunkt en gestellt werden. rdneten der SPD)


Frühförderung, Schule und
und Weiterbildung für alle
eitnehmer. Deshalb wollen
ahlt wird, die nicht krank

Lebensumständen und Be-
nd familienfreundlich und

llegen, dem nächsten Bun-
angehören. So, wie ich bin,
llerdings nicht absolut aus.
nlass für die zumeist gute,

arbeit und für den fruchtba-

Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
ren Streit über Parteigrenzen
alles Gute. Glück auf!


(Beifall bei der SPD so der CDU/CSU, der FDP BÜNDNISSES 90/DIE Vizepräsidentin Petra P Ihnen, Kollege Stöckel, al Lebensweg. Die Wünsche de ten Sie. (Beif Bevor wir die Debatte Tagesordnungspunkt 10 zurü Schriftführerinnen und Schrif nis der namentlichen Abstim empfehlung des Auswärtigen trag der Bundesregierung Streitkräfte am Einsatz von – das betraf die Drucksachen abgegebene Stimmen 557. M nen und Kollegen gestimm stimmt, und es gab 15 Enthal fehlung ist angenommen. Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen-Esser hinweg. Ich wünsche Ihnen wie bei Abgeordneten , der LINKEN und des GRÜNEN)


au:
les Gute für Ihren weiteren
s gesamten Hauses beglei-

all)

fortsetzen, komme ich zu
ck und gebe das von den
tführern ermittelte Ergeb-
mung über die Beschluss-

Ausschusses zu dem An-
zur Beteiligung deutscher
NATO-AWACS bekannt
16/13377 und 16/13597 –:
it Ja haben 461 Kollegin-

t, mit Nein haben 81 ge-
tungen. Die Beschlussemp-

Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. h.c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Manfred Zöllmer

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)

Angelika Brunkhorst






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau

Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch

Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour

Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus

Monika Lazar
Dr. Wolfgang Strengmann-
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde

Das Wort hat der Kollege
die FDP-Fraktion.


(Beifall bei Heinz-Peter Haustein (F Verehrte Frau Präsidentin! men und Herren! Deutschlan (Beifall bei der FDP so der CDU/CSU Brigitte Pothmer Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Nein CDU/CSU Peter Albach Wolfgang Börnsen Dr. Peter Gauweiler Willy Wimmer SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Klaus Barthel Dr. Axel Berg Marco Bülow Dr. Reinhold Hemker Petra Hinz Ulrich Kasparick Ernst Kranz Jürgen Kucharczyk Hilde Mattheis Sönke Rix René Röspel Wolfgang Spanier Dr. Rainer Tabillion Heinz-Peter Haustein für der FDP)


(Bönstrup)


DP):
Meine sehr verehrten Da-

d ist ein schönes Land:

wie bei Abgeordneten
und der SPD)
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte

herrliche Landschaften, fleißi
soziales Netz.

Das heißt aber nicht, dass
nicht verbessern kann, zum B
hat gesagt: Die Rente mit 67
nen flexiblen Rentenanstieg
sundheitskasse haben wir g
fonds ist nicht das Gelbe v
wieder in erster Linie Arzt u
stellter sein.
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe

fraktionslose Abgeordnete

Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Wolf Bauer
Manfred Kolbe

SPD

Dr. Wilhelm Priesmeier
Ewald Schurer

FDP

Uwe Barth
Dr. Edmund Peter Geisen
Frank Schäffler

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Markus Kurth
Claudia Roth (Augsburg)

Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Josef Philip Winkler

ge Menschen und ein gutes

man das gute soziale Netz
eispiel die Rente. Die FDP

muss weg. Wir brauchen ei-
. Zur Kranken- bzw. Ge-
esagt: Dieser Gesundheits-
om Ei. Die Ärzte müssen
nd nicht Verwaltungsange-
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff

Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz (Herborn)

Thilo Hoppe
Fritz Kuhn
Renate Künast
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Dr. Marlies Volkmer
Dr. Wolfgang Wodarg

FDP

Dr. h.c. Jürgen Koppelin

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm

Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Heinz-Peter Haustein

(Beifall bei der FDP)


Die Pflegeversicherung muss endlich umgestellt werden
und effektivere Strukturen erhalten.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Peter, erzähl doch nicht den ganzen Unsinn, den die dir aufgeschrieben haben!)


Auch bei der Berufsgenossenschaft müssen wir etwas
tun: Das Leistungsrecht muss reformiert werden. Nicht
zu vergessen das ALG I. Wir haben schon längst gefor-
dert, diese Strukturen aufzulösen – Stichwort: Nürnberg –,
die Arbeitslosigkeit dezentral zu verwalten und dafür zu
sorgen, dass es weniger Arbeitslose gibt.


(Beifall bei der FDP)


Und dann haben wir noch Hartz IV. Hartz IV wurde von
Rot-Grün mit heißer Nadel, etwas übereilt, gestrickt. Es
hat viele Mängel.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Deshalb wollt ihr das noch kürzen!)


Das sieht man daran, dass es dazu ständig Gerichtspro-
zesse und Urteile gibt und dass die Gerichte sogar Rich-
ter einstellen mussten, damit man Hartz IV überhaupt in
den Griff bekommt.

Es gibt noch einen weiteren Mangel: Dieser betrifft
das Schonvermögen. Das Schonvermögen in Höhe von
250 Euro – das hat damals schon unser Freund und Ge-
neralsekretär, Dirk Niebel, bei den Verhandlungen ange-
mahnt – ist zu niedrig. Jetzt fordert die Linke 700 Euro.
Wir fordern 750 Euro,


(Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der SPD und der LINKEN: Ah!)


allerdings bei einem Systemwechsel hin zum Bürgergeld
und weg von Hartz IV.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch einmal: Hartz IV gehört abgeschafft, und das li-
berale Bürgergeld gehört eingeführt. Wenn man die über
100 verschiedenen Sozialleistungen aus 40 verschiede-
nen Stellen zusammenfasst, spart man Bürokratie. Dann
gibt es nur noch einen einzigen Ansprechpartner: das
Finanzamt. Das ist eine wesentliche Erleichterung und
auch viel fairer.

Wie sieht jetzt das Problem mit dem Schonvermögen
aus? Ich kenne einen Handwerksmeister, der nach
35 Jahren redlicher Arbeit durch die Finanz- und Wirt-
schaftskrise ins Strudeln gekommen, in Hartz IV gefal-
len und durchgerutscht ist. Er muss bis 250 Euro pro Le-
bensjahr alles aufbrauchen, ehe er überhaupt eine
Leistung bekommt. Das kann doch so nicht wahr sein.


(Beifall bei der FDP – Frank Spieth [DIE LINKE]: Doch! Gut, dass die FDP das auch noch erkennt!)


Die Leute werden durch Hartz IV dermaßen in die Enge
getrieben, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr heraus-
kommen. Wir wollen mit unserem liberalen Bürgergeld
erreichen, dass sich Arbeit wieder lohnt und ein Anreiz
gesetzt wird, sich Arbeit zu suchen, statt von der solida-
rischen Gemeinschaft diese Sozialhilfe – nennen wir
Hartz IV einmal so – zu erhalten. Freunde, dort müssen
wir etwas tun!


(Zuruf von der FDP: Richtig!)


Es kann nicht sein, dass wir 45 Milliarden Euro für
Hartz IV ausgeben und trotzdem alle unzufrieden sind.


(Beifall bei der FDP)


Die einen sagen: Die Regelsätze sind zu niedrig. Die an-
deren sagen: Ich gehe von früh bis spät arbeiten und
habe fast weniger als jemand, der in Hartz IV ist, vor al-
lem dann, wenn noch Kinder dabei sind. So kann das
nicht sein. Arbeit muss sich lohnen. Einer, der arbeitet,
muss mehr bekommen als einer, der nicht arbeitet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da sind wir bei dem Hauptpunkt unseres liberalen
Wahlprogramms. Das heißt: Arbeit muss sich wieder
lohnen. Arbeitsplätze schaffen, ist das Gebot der Stunde.
Einige fragen da wieder: Wie wollt ihr das denn finan-
zieren?


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Durch Steuersenkung wird das alles finanziert!)


Uns wird zum Beispiel unterstellt, es sei doch nicht
möglich, Steuern zu senken. Herr Struck sagt bereits
jetzt, obwohl noch gar nicht gewählt worden ist – die
Wahl ist erst am 27. September dieses Jahres –, dass die
Kollegen von der Union und wir Wahlbetrüger seien.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Die Union nehmen wir in dieser Woche noch aus! – Zuruf von der FDP: Das soll er zurücknehmen!)


Dabei hat ja die SPD vor vier Jahren im Wahlkampf im-
mer wieder gesagt: Mit uns gibt es keine Mehrwertsteuer-
erhöhung, mit uns gibt es keine Merkels-Steuer, wir ma-
chen das nicht.


(Dirk Niebel [FDP]: Lügner!)


Sie hat das auch noch begründet. Dann sagt ihr jetzt zu
uns, dass wir Wahllügner seien. Hier verkennt ihr etwas.
Was ich selber denk und tu, trau ich jedem andern zu.
Das sollte sich Herr Struck einmal merken.


(Beifall bei der FDP)


Wir haben die Ziele, dass die Wirtschaft angekurbelt
wird, dass sich Arbeit lohnt, dass Arbeit fair ist und dass
es aufwärts geht in unserem Land.

Liebe Freunde, in diesem Sinne ein herzliches „Glück
auf!“ aus dem Erzgebirge.


(Beifall bei der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Das war der Werbeblock!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623020300

Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1623020400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es gibt im Sozialrecht zwei
Prinzipien, die von großer Bedeutung sind: Erstens. Wer
vom Staat Geld haben möchte, muss hilfebedürftig sein.
Zweitens. Man muss zunächst einmal die eigenen Mittel
einsetzen. Das gilt für das gesamte steuerfinanzierte So-
zialrecht, also auch für den Bereich des SGB II, für das
Arbeitslosengeld II und für das Sozialgeld.

Dieser Regel sind die Prinzipien der Eigenverantwor-
tung und der Subsidiarität zugrunde gelegt. Doch die
Hilfsbedürftigen müssen nicht alles einsetzen. Ein Teil
bleibt verschont. Wer Arbeitslosengeld II beantragt und
nach 1947 geboren wurde, darf für sich und seinen Part-
ner je 150 Euro pro Lebensjahr behalten, mindestens
3 100 Euro; zusammen darf man also etwa 9 750 Euro
behalten. Wer vor 1948 geboren ist, kommt auf eine ma-
ximale Summe von 33 800 Euro. Konkret heißt das für
jemanden, der heute 58 Jahre alt ist, dass er summa sum-
marum 8 700 Euro behalten darf. Leben zwei Personen
in einer Bedarfsgemeinschaft, sind es 17 000 Euro. Hin-
zukommen Freibeträge und Härtefallregelungen.

In Ihrem Antrag fordern Sie, die Linke, nun eine Er-
höhung der Freibeträge für die Altersvorsorge im
Sozialgesetzbuch II. Dieses Anliegen hält die CDU/
CSU, wie ich im Ausschuss bereits vorgetragen habe,
grundsätzlich für berechtigt. Wir dürfen in der heutigen
Debatte nicht vergessen, dass wir über Sätze beim
Schonvermögen sprechen, die im Jahre 2004 festge-
schrieben wurden. Wir dürfen auch den damaligen Kon-
text nicht aus den Augen verlieren: Es gab 5 Millionen
Arbeitslose, und es ging um die Zusammenlegung
zweier Hilfesysteme – der Arbeitslosenhilfe und der So-
zialhilfe –, mit dem erklärten Ziel, die Sätze zu vereinfa-
chen und Kongruenz herzustellen. Wir dürfen außerdem
nicht übersehen, dass eines unserer Ziele darin bestand,
die Menschen zu aktivieren, also auch einen gewissen
Druck auszuüben und so dafür zu sorgen, dass die Be-
troffenen zunächst ihr angespartes Geld einsetzen.

Heute haben wir eine völlig andere Situation. Das
SGB II ist ein lernendes System. Wir stellen fest, dass
aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen und finanz-
politischen Lage in unserem Land auch Menschen, die
bereits ordentlich Vorsorge für ihr Alter betrieben haben,
vielleicht eine Lebensversicherung oder ein kleines
Häuschen besitzen, ihren Arbeitsplatz verlieren. Diesen
Menschen wollen wir helfen, damit sie nicht schon jetzt
ihr Erspartes einsetzen müssen. Sie sollen das Geld, das
sie für ihre Altersvorsorge zurückgelegt haben, das sie
selbst verdient und erwirtschaftet haben, behalten kön-
nen. Es hat etwas mit Menschenwürde zu tun, dass man
zunächst das Geld, das man selbst erwirtschaftet hat, ein-
setzt, bevor man im Alter möglicherweise auf Transfer-
leistungen des Staates angewiesen ist.

Wir können die Diskussion über das Schonvermögen
nicht führen, ohne gleichzeitig über das Thema Alters-
armut zu diskutieren. Wenn wir über die Altersarmut, die
wahrscheinlich auf uns zukommt, wenn wir nicht bald
handeln, diskutieren, dann müssen wir auch die Situation
der kleinen und einfachen Mittelständler im Blick haben,
von denen sehr viele bereits ihr gesamtes Vermögen ein-
gesetzt haben. Wir müssen überlegen, was zu tun ist, um
zu verhindern, dass auch sie eines Tages, nachdem sie
jahrelang selbstständig tätig waren, von Transferleistun-
gen des Staates abhängig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist sinnvoll, Hilfebedürftigen dieses Geld zu belassen,
damit sie im Alter aufgrund eines geringen Freibetrages
für die Altersvorsorge nicht auf Sozialleistungen ange-
wiesen sind.

Diese Diskussion beginnt nicht erst heute, weil ein
Antrag der Linken vorliegt. Diese Diskussion findet
schon seit längerer Zeit statt, auch innerhalb unserer Par-
tei und unserer Fraktion. Auch die CDU Nordrhein-
Westfalen und die CDA haben eine Erhöhung des
Schonvermögens gefordert.


(Beifall des Abg. Bodo Ramelow [DIE LINKE])


Wie Sie wissen, haben wir diese Forderung in unser
Wahlprogramm aufgenommen. Auch wir sind dafür, die
Höhe des Schonvermögens anzupassen. Hier könnten
wir sogar schon einen Schritt weiter sein, lieber Kollege
Stöckel. Wenn die SPD etwas schneller nachgedacht
hätte, hätten wir in dieser Frage bereits den einen oder
anderen Fortschritt erzielen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, dass wir insgesamt gut beraten sind, die-
sen Weg zu gehen, aber nicht auf der Grundlage des vor-
liegenden Antrages, der aus der Hüfte geschossen ist,
sondern auf der Grundlage eines vernünftigen und or-
dentlich ausgearbeiteten Gesetzentwurfs, in dem auch
Lebenssituationen wie die, die ich gerade geschildert
habe, berücksichtigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Laumann dazu? – Zuruf von der LINKEN: Ihr hättet dafür doch drei Jahre Zeit gehabt! Was war los?)


Eine solche Gesetzesinitiative muss das grundsätzli-
che Ziel verfolgen, das für die Altersvorsorge notwen-
dige Schonvermögen aufzustocken. Es ist nämlich alle-
mal menschenwürdiger und zufriedenstellender, aus
selbsterwirtschaftetem Geld Rentenansprüche abzulei-
ten, als vom Staat abhängig zu sein. Diesen Bogen müs-
sen wir daher weiter spannen, und wir müssen auch die-
jenigen in den Blick nehmen, die ich vorhin erwähnt
habe: Unternehmer, Kleinunternehmer und Selbststän-
dige, die oft nicht genug Vorsorge betreiben konnten.

Interessant an dem Antrag, der uns vorliegt, ist, dass
die Linken, jedenfalls soweit ich das sehe, zum ersten
Mal bestätigen, dass private Vorsorge betrieben werden
muss.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das war ein Versehen! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Vielleicht kapieren sie doch etwas!)







(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling
Bislang waren Riester-Vorsorge und jede andere private
Form von Vorsorge des Teufels. Ich freue mich, dass in
Ihrem Antrag der neue Denkansatz einmal deutlich wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Zweiten finde ich sehr interessant, dass Sie den
Begriff „Anrechnung“ in Ihr Vokabular aufgenommen
haben. Anrechnen kann man etwas nur, wenn jemand et-
was hat. Ich erinnere mich an viele Debatten der vergan-
genen vier Jahre in diesem Hohen Haus, in denen Sie
uns erzählt haben, dass Leute, die auf Unterstützung
nach dem SGB II angewiesen sind, gar nichts mehr
haben. Ich bitte Sie: Erinnern Sie sich bei künftigen
Diskussionen – übrigens auch bei der Diskussion über
die Abwrackprämie – daran, dass es offensichtlich doch
möglich ist, dass jemand, der Unterstützung nach dem
SGB II erhält, noch etwas hat, dass das SGB II nicht
armmacht, sondern vor absoluter Armut schützt und be-
wahrt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das SGB II ist ein lernendes System. Wir haben, seit-
dem es in Kraft ist – seit 2005 –, unsere Erfahrungen
gesammelt. Wir haben diese Erfahrungen in die Grund-
sicherung einfließen lassen. Wir sind nach der Bundestags-
wahl dazu aufgerufen – davon bin ich fest überzeugt –, im
System nachzujustieren. Als Nächstes brauchen wir eine
Reform der Organisation des SGB II.

Ich will auf einige Punkte aufmerksam machen, die
ich für wichtig halte:

Zurzeit sind 3,41 Millionen Menschen erwerbslos.
Dies ist trotz der Weltwirtschaftskrise gegenüber dem
Sommer 2005 immer noch ein Rückgang um über
1,2 Millionen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten ist gegenüber dem Vorjahr auf 27,4 Mil-
lionen angestiegen; das sind 70 000 mehr. Dass sich seit
der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
viel getan hat, zeigt ein Blick in die Statistik, insbeson-
dere auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Im
Mai 2009 hatten wir trotz der Weltwirtschaftskrise im-
mer noch über 1 Million Arbeitslose weniger als im
November 2005, übrigens auch weniger ältere Langzeit-
arbeitslose, weil viele Ältere wieder in Beschäftigung
gekommen sind oder in Beschäftigung gehalten wurden.
Gegenüber November 2005 haben wir über 750 000 so-
zialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr.

Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit war er-
folgreich. Seit der Novellierung des SGB II wurde sie
mehr als halbiert. Mittlerweile gibt es kaum noch einen
Jugendlichen im SGB-II-Bereich, der länger als drei
Monate arbeitslos ist. Für eine bessere Betreuung der
Menschen vor Ort wurden zusätzliche Eingliederungs-
und Verwaltungsmittel geschaffen.

Meine Damen und Herren, in den letzten vier Jahren
sind vielfältige Initiativen ergriffen worden. Ich glaube,
dass sich die Bilanz der Regierung in dieser Frage sehen
lassen kann. Wir werden in diesen Fragen weiterarbeiten
müssen, damit wir den Menschen gerecht werden und
damit wir erreichen, wofür das SGB II eigentlich da ist:
Menschen zu aktivieren und zu mobilisieren, dass sie
wieder in Beschäftigung kommen, damit sie mit ihrer ei-
genen Hände und ihres eigenen Kopfes Arbeit den Le-
bensunterhalt für sich und ihre Familie verdienen kön-
nen. Das ist allemal ein lohnenswertes Ziel, für das wir
uns gemeinsam einsetzen sollten.

Ich danke Ihnen herzlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623020500

Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623020600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine der ersten Aussagen der Kanzlerin in der Finanz-
krise bezog sich auf die Ängste von Sparerinnen und
Sparern. Deren Spareinlagen seien sicher, so Frau
Merkel.

Eine Gruppe kann die Kanzlerin dabei nicht gemeint
haben, nämlich diejenigen, die im Zuge dieser Krise ihre
Arbeit verlieren oder schon verloren haben und nicht
schnell genug eine neue Beschäftigung finden, sodass
sie irgendwann auf den Bezug von ALG II angewiesen
sind; denn diese Menschen werden ihre Ersparnisse
oberhalb der nicht gerade üppigen Freigrenzen einsetzen
müssen und damit verlieren. Mit der Arbeitslosigkeit
werden in diesen Fällen nicht nur kurzfristig Lebensper-
spektiven zerstört; durch die Inanspruchnahme von Ver-
mögen, das speziell für die Altersvorsorge aufgebaut
wurde, wird ihnen vielmehr auch die Hoffnung auf ein
finanziell abgesichertes Leben im Alter geraubt. Deshalb
fordert die Linke in ihrem Antrag, den Freibetrag für die
Altersvorsorge von 250 Euro auf 700 Euro je Lebensjahr
– bei maximal 45 000 Euro insgesamt – anzuheben.


(Beifall bei der LINKEN)


Kollege Stöckel, eine Anhebung von 250 Euro auf
700 Euro als eine Verschlechterung zu verkaufen, ist
schon eine tolle Sache.

Nun wundere ich mich ein bisschen über die Diskus-
sion; denn Sie trauen sich hier plötzlich nicht mehr, all
das zu wiederholen, was Sie im Vorfeld in Bezug auf
Populismus so gerne gesagt haben. Ich greife das aber
trotzdem gerne auf; denn dieser Vorwurf ist alles andere
als originell und gerade in Bezug auf dieses Thema auch
alles andere als intelligent. Schauen wir uns doch einmal
an, wer noch alles dem Populismus frönt:

Wir wollen mehr Sicherheit für Arbeitnehmer, die
ihren Arbeitsplatz verlieren und wegen der welt-
weiten Krise keinen neuen Arbeitsplatz finden kön-
nen. … Deshalb ist der Freibetrag beim Schonver-
mögen im SGB II zu erhöhen.

So steht es im Wahlprogramm der CDU für die nächste
Bundestagswahl.






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

Wer das zahlenmäßig etwas genauer haben möchte,
der muss sich die Beschlüsse des Dresdner Parteitages
von 2006 anschauen. Dort forderte die CDU, das Schon-
vermögen pro Lebensjahr auf 700 Euro bei maximal
45 000 Euro insgesamt zu erhöhen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir lernen: 700 Euro Linke ist populistisch; 700 Euro
CDU ist nicht populistisch.

In der Beschlussempfehlung zu dem vorliegenden
Antrag, lieber Kollege Schiewerling, liest sich Ihre Posi-
tion etwas anders als das, was Sie hier vorgetragen ha-
ben; denn Sie begründen dort Ihre Ablehnung damit
– ich zitiere –:

Man müsse aber auch bedenken, dass nach dem
vorliegenden Antrag ein Ehepaar mit 90 000 Euro
eigenem Vermögen staatliche Hilfe bekomme.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie brauchen
drei Jahre, um festzustellen, dass zweimal 45 000 Euro
90 000 Euro ergibt, oder haben Sie das feststellen kön-
nen, indem Sie unseren Antrag gelesen haben? Oder sind
45 000 Euro, gefordert von der CDU, etwas anderes als
45 000 Euro, gefordert von den Linken?


(Beifall bei der LINKEN)


Am Rande bemerkt: In unserem Antrag geht es nicht um
irgendwelches Vermögen, sondern ausschließlich um
Vermögen für die Altersvorsorge.

Gänzlich unpopulistisch ist natürlich das, was die
Freundinnen und Freude der SPD in ihrem Wahlpro-
gramm versprechen:

Vermögen, das der privaten Altersvorsorge dient,
wird nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet.
Voraussetzung ist, dass unwiderruflich mit Beginn
des Ruhestandes eine monatliche Rente garantiert
wird.

Der Kollege Stöckel hat eben erklärt, dass es keine
Grenzen gibt, sondern dass für die Anrechnung oder
Nichtanrechnung lediglich der Auszahlungsmodus ent-
scheidend ist.


(Rolf Stöckel [SPD]: Ja, natürlich!)


Bis dahin, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, hät-
ten Sie doch immerhin schon einmal die Freibeträge an-
heben können – nicht, dass die Wirtschaftskrise schon
vorbei ist, bevor Sie anfangen, das umzusetzen, was Sie
in Ihrem Wahlprogramm versprechen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz ehrlich: Wer soll Ihnen diese Versprechen noch
glauben? Hier und heute hätten CDU und SPD die Mög-
lichkeit, den Menschen ganz ernsthaft und ganz konkret
wieder eine Perspektive dafür zu geben, dass sie einen
Rest an finanzieller Sicherheit für das Alter behalten
können, wenn sie schon ihren Arbeitsplatz durch die
Krise verlieren.

Sie werden genau dies nicht tun, und Sie werden auch
Ihre diesbezüglichen Wahlversprechen brechen. Ich ahne
schon, dass es Franz Müntefering wieder unfair finden
wird, dass man die SPD nach der Wahl an das erinnert,
was sie vor der Wahl versprochen hat.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623020700

Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit.


Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623020800

Ich komme wirklich zu meinem letzten Satz. – Es

bleibt zu hoffen, dass Ihnen die Menschen eine ange-
messene Antwort auf diese Politik an der Wahlurne ge-
ben werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Deshalb sind Ihre Zahlen in den letzten Wochen ja auch nach oben gegangen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623020900

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623021000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass ich hier ein-
mal erleben muss, dass die Fraktion Die Linke und die
CDU faktisch identische Vorschläge machen und dann
auch noch von der FDP überboten werden. Wer hätte das
gedacht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinz-Peter Haustein [FDP]: Da haben Sie nicht richtig zugehört!)


Ich will mich auf drei zentrale Anmerkungen be-
schränken:

Erstens. So, wie die Debatte über das private Schon-
vermögen für die ergänzende Altersvorsorge hier geführt
worden ist, könnte teilweise der Eindruck aufgekommen
sein, dass es ohne eine private Alterssicherung über-
haupt nicht mehr geht. Ich will feststellen: Die gesetzli-
che Rentenversicherung bildet die erste Säule der Alters-
vorsorge; es ist unser aller Aufgabe und Ziel, sie zu
stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Diese Säule unterliegt nämlich nicht den Schwankungen
des Kapitalmarkts. In den USA haben die staatlichen
Pensionsfonds, die private Anlagen enthielten, 50 Pro-
zent ihres Wertes verloren. Die gesetzliche Rentenversi-
cherung zahlt keine Provisionen an private Finanzbera-
ter. Außerdem sind ihre Verwaltungskosten niedrig. Des-
wegen legen wir, Bündnis 90/Die Grünen, gerade mit
Blick auf die Geringverdienenden großen Wert darauf,
diese Säule zu stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Markus Kurth
Zum Beispiel wollen wir die Rentenanwartschaften von
langjährig Geringverdienenden aufwerten, damit diese
Menschen eine Garantierente erhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Der Antrag der Fraktion Die Linke geht
zweifellos in die richtige Richtung.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Fraktion hat bereits in den Verhandlungen um das
Sozialgesetzbuch II stets betont – das können Sie in den
Protokollen nachlesen –: Wer mehr private Verantwor-
tung für die Altersvorsorge fordert, muss ein höheres
Schonvermögen etwa für den Fall garantieren, dass
Langzeitarbeitslosigkeit eintritt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Drittens. Auch wenn der Antrag der Linken in die
richtige Richtung geht, ist das Bessere der Feind des Gu-
ten. Meine Fraktion hat ein anderes Modell entworfen,
das unstetigen Lebensverläufen besser gerecht werden
und für eine größere Sicherheit der privaten Altersvor-
sorge sorgen kann: das sogenannte Altersvorsorgekonto,
das wir schon vor Jahren vorgeschlagen haben. Wir ha-
ben den Vorschlag gemacht und machen ihn nach wie
vor, dass bis zu 3 000 Euro im Jahr von einer Person
steuerfrei eingezahlt und angelegt werden können. Das,
was sich in der Schutzhülle des Altersvorsorgekontos
befindet, ist dem Zugriff des Jobcenters, etwa bei Lang-
zeitarbeitslosigkeit, entzogen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist dann möglich, in diesem Altersvorsorgekonto
verschiedene Anlageformen zu bündeln, etwa die
Riester-Rente und Direktversicherungen. Es ist möglich,
verschiedene Anlagen dorthin umzuschichten und zu in-
tegrieren. Es ist auch möglich – das ist meiner Fraktion
ebenfalls wichtig –, gewisse Qualitätsanforderungen an
Produkte der privaten Altersvorsorge zu stellen, damit
sie in das Altersvorsorgekonto integriert werden können.
Ich denke an Transparenz für die Anleger oder gewisse
Mindeststandards sozialer und ökologischer Natur. Wir
können hier für eine vernünftige, maßvolle Regulierung
dieser zusätzlichen Säule der Altersrückstellungen sor-
gen. Ich glaube, das ist zielführender als die bloße Rück-
kehr zu der Regelung, die vor dem 31. Dezember 2002
gegolten hat.

Wir werden Ihren Antrag nicht ablehnen. Aber wir
werden, weil wir die besseren Vorschläge haben, auch
nicht zustimmen, sondern uns enthalten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623021100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussfassung des Ausschusses
für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Erhöhung des Schonvermögens im
Alter für Bezieher von Arbeitslosengeld II“. Zur Ab-
stimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung des Kollegen Christoph Strässer vor.1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/12912, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/5457 abzulehnen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann er-
öffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gege-
ben.2)

Wir setzen die Beratungen fort. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich darf Sie bitten, Ihre Gespräche vor
dem Plenarsaal zu führen, damit wir uns auf die weitere
Debatte konzentrieren können.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Friedensmis-
sion der Vereinten Nationen im Sudan

(UNMIS) auf Grundlage der Resolution

1590 (2005) des Sicherheitsrates der Verein-
ten Nationen vom 24. März 2005 und Folge-
resolutionen

– Drucksachen 16/13395, 16/13598 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen)

Brunhilde Irber
Marina Schuster
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck (Bremen)



(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/13681 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Omid Nouripour

b) – Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)


1) Anlage 4
2) Ergebnis Seite 25760 C






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-
Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf
Grundlage der Resolution 1769 (2007) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen

– Drucksachen 16/13396, 16/13599 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen)

Brunhilde Irber
Marina Schuster
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck (Bremen)



(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/13682 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Omid Nouripour

Über beide Beschlussempfehlungen werden wir spä-
ter namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1623021200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Das Elend in Darfur hat die Welt in
den letzten Jahren aufgerüttelt wie kaum eine andere
Krise auf der Welt. Das gilt besonders für den amerikani-
schen Kontinent. Neben diesem humanitären Drama ver-
blassen oft die übrigen Krisen und Probleme, unter de-
nen die Menschen im Sudan seit Jahrzehnten zu leiden
haben, zum Beispiel im Südsudan, wo UNMIS im Ein-
satz ist. Die Hauptaufgabe von UNMIS sind die Umset-
zung und die Kontrolle des 2005 zwischen dem Norden
und dem Süden geschlossenen umfassenden Friedensab-
kommens, des CPA. Beide Regierungen – sowohl die
nordsudanesische unter Umar al-Baschir als auch die
südsudanesische Autonomieregierung von Salva Kiir –
bekennen sich zu diesem Abkommen.

Vier Jahre sind nun seit Abschluss des CPA vergan-
gen. Trotzdem hat sich die Aussicht auf eine baldige
friedliche Regelung des Nord-Süd-Konflikts in den letz-
ten Monaten leider verschlechtert. Die ursprünglich für
diesen Monat vorgesehenen Wahlen mussten auf das
kommende Jahr verschoben werden. Wir hoffen, dass es
dann zu Wahlen kommt. Stein des Anstoßes sind die Er-
gebnisse der Volkszählung. Der Zensus hat dem Südsu-
dan eine Bevölkerungszahl attestiert, die weit unterhalb
des erwarteten Ergebnisses lag. Deshalb hat Präsident
Salva Kiir dieses Ergebnis nicht anerkannt. Es bedeutet
nämlich, dass die bisherige Zuteilung nationaler Res-
sourcen, die Aufteilung der Erdöleinnahmen, und damit
zugleich das Streben des Südens nach Unabhängigkeit
infrage gestellt werden. Schwindende Einnahmen aus
dem Erdölsektor infolge der Wirtschaftskrise belasten
die Lage zusätzlich. Diese finanzielle Misere schwächt
die südsudanesische Regierung und fördert die Zersplit-
terung der Rebellengruppen. Das hat zum Wiederauffla-
ckern von Kämpfen in der Region geführt. Das destabili-
siert natürlich die Gesamtsituation.

UNMIS ist dazu da, die fragile Situation zu stabili-
sieren, die Zivilbevölkerung zu schützen und zu ermög-
lichen, dass die NGOs ihre Arbeit tun können. Ohne
UNMIS wird es keine Wahlen im Sudan geben. Ohne
Wahlen wird es kein Referendum geben, und ohne Refe-
rendum keinen stabilen Sudan. Deshalb sollten wir hier
mit einem Comprehensive Approach herangehen und
neben der militärischen Komponente insbesondere den
Aufbau von Verwaltung, Polizei, Infrastruktur und Zivil-
gesellschaft vorantreiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die Wahlen sollten deutlich mehr direkt implemen-
tierte Programme zum Kapazitätsaufbau der kleineren
Parteien, zur Wählererziehung und zur langfristigen Be-
gleitung des Wahlprozesses aufgelegt werden; denn nur
freie und faire Wahlen können langfristig den Frieden im
Sudan sichern.

Nun zu Darfur. Leider sind heute, 18 Monate nach
Beginn der Mission, erst zwei Drittel der insgesamt
26 000 Einsatzkräfte vor Ort. Dies ist absolut kritikwür-
dig. Dennoch ist UNAMID mit fast 16 000 Einsatzkräf-
ten eine der größten humanitären Missionen weltweit.
Die Einsatzkräfte trugen aktiv dazu bei, dass die huma-
nitäre Situation in den letzten Monaten stabil geblieben
ist, obwohl die nordsudanesische Regierung als Antwort
auf die Ausstellung des Haftbefehls gegen al-Baschir die
ausländischen Hilfsorganisationen des Landes verwiesen
hat und sich die Menschenrechtssituation dadurch ver-
schlechtert hat.

Auch beim Aufbau von UNAMID gibt es positive Si-
gnale, die gerne übersehen werden. So hat sich die Zu-
sammenarbeit zwischen AU und den VN einerseits und
der sudanesischen Regierung andererseits erheblich
verbessert. Im Dezember wurde ein Dreiparteienaus-
schuss gebildet, der die Widerstände al-Baschirs gegen
UNAMID teilweise abgefedert hat. Parallel zu diesen
politisch-administrativen Fortschritten konnten die Lo-
gistik vor Ort sowie die Ausbildung und die Ausstattung
der afrikanischen Kontingente durch das Engagement in-
ternationaler Geber, darunter auch Deutschland, verbes-
sert werden. Das trägt allmählich Früchte. Zahlreiche
afrikanische Einheiten konnten nach Abschluss ihrer
Ausbildung endlich in das Einsatzgebiet verlegt werden.

Es klappt also, wenn alle helfen. Deshalb mein Appell
an Bundesregierung und Parlament: In Anbetracht der






(A) (C)



(B) (D)


Brunhilde Irber

Dr. Stephan Eisel Peter Hintze Katharina Landgraf
CDU/CSU

Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler


(Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum

Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ja Anke Eymer (Lübeck) Robert Hochbaum Dr. Max Lehmer
gewaltigen Aufgaben, die U
zu bewältigen haben, ist es
beiden Mandate zu verlänge
trag geleistet werden, der de
an den beiden Missionen hina


(Beifall bei der SPD so der CDU/CSU und des B GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Ko
Rede hier im Deutschen Bun
mich bei meiner parlamentari
terstützt haben, und bitte S
nicht!


(Beifall bei der SPD so der CDU/CSU, der FDP BÜNDNISSES 90/DIE Ich möchte mit einem schließen. Es heißt: Viele kle Orten, die viele kleine Schri der Welt verändern. Herzlichen Dank. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 538; davon ja: 390 nein: 53 enthalten: 95 NAMID und UNMIS noch nicht ausreichend, nur die rn; vielmehr muss ein Beiutlich über die Beteiligung usgeht. wie bei Abgeordneten ÜNDNISSES 90/DIE llegen, dies ist meine letzte destag. Ich danke allen, die schen Arbeit für Afrika unie: Vergessen Sie Afrika wie bei Abgeordneten , der LINKEN und des GRÜNEN)


afrikanischen Sprichwort
ine Leute an vielen kleinen
tte tun, können das Gesicht

Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn

(Beifall bei der SPD, de und dem BÜNDNIS 90 bei Abgeordneten der LI Vizepräsidentin Gerda H Frau Kollegin Irber, ich da Arbeit im Deutschen Bunde perioden hinweg und wünsch Lebensweg alles erdenklich Freiraum, den jeder von uns aktiven Zeit nicht so sehr zur (Beif Bevor ich der nächsten R gebe ich Ihnen das von d Schriftführern ermittelte Er Abstimmung über die Besc schusses für Arbeit und So Fraktion Die Linke über die E gens im Alter für Bezieher v kannt. Abgegebene Stimme stimmt 390, mit Nein haben gab es 95. Damit ist die Besc men. Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen-Esser Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken r CDU/CSU, der FDP /DIE GRÜNEN sowie NKEN)


asselfeldt:
nke Ihnen herzlich für Ihre
stag über vier Legislatur-
e Ihnen auf Ihrem weiteren
Gute, vielleicht auch den
braucht und den er in der
Verfügung hat. Alles Gute!

all)

ednerin das Wort erteile,
en Schriftführerinnen und
gebnis der namentlichen
hlussempfehlung des Aus-
ziales zu dem Antrag der
rhöhung des Schonvermö-
on Arbeitslosengeld II be-

n 538. Mit Ja haben ge-
gestimmt 53, Enthaltungen
hlussempfehlung angenom-

Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h.c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h.c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Manfred Zöllmer

FDP

Carl-Ludwig Thiele






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst Enthalten

Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen

Nicole Maisch
Jerzy Montag
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann

Wir fahren nun in der Deb
nerin erteile ich der Kollegi
FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP s Weisskirchen [W Sehr geehrte Frau Präsiden Kollegen! 2006 habe ich – d schluss des CPA, des Nord-S Sudan besucht, auch den Süd auch mit den Bundeswehra Juba ihren Dienst tun. Ich m ren Soldaten, aber auch den H beit, die sie unter sehr schwie ganz herzlich danken. CDU/CSU Uda Carmen Freia Heller SPD Dr. Marlies Volkmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich atte fort. Als nächster Redn Marina Schuster für die owie des Abg. Gert iesloch] [SPD])

Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1623021300
tin! Liebe Kolleginnen und
as war kurz nach dem Ab-
üd-Friedensvertrages – den
sudan, und dort Gespräche

ngehörigen geführt, die in
öchte an dieser Stelle unse-

elfern vor Ort für ihre Ar-
rigen Bedingungen leisten,
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)



(Beifall bei der FDP, de BÜNDNIS 90/DIE GR geordneten der SPD)


Es wird in der Öffentlichkeit
tan diskutiert. Ich wünsche m
auch über den Sudan geführ
der Soldaten, die dort ihren
werden.

Ich habe bei den Gespräch
versicht verspürt, dass es vo
sam. Leider ist bis jetzt, dre
kein tragfähiger stabiler Fried
tionaler Bemühungen auf de
nen. Gerade den Menschen i
ser, und der Frieden zwisch
fragil. Jüngst flammten auch
der auf. In Khartoum sitzt Pr
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

r CDU/CSU und dem
ÜNEN sowie bei Ab-

gerade viel über Afghanis-
ir, dass eine solche Debatte
t wird und die Leistungen
Dienst tun, hier anerkannt

en vor Ort eine gewisse Zu-
rangeht, wenn auch lang-

i Jahre später, immer noch
e eingetreten, trotz interna-
n unterschiedlichsten Ebe-
n Darfur geht es nicht bes-
en Nord und Süd ist sehr
die Konflikte in Abyei wie-
äsident Bashir fest im Sat-
Nein

SPD

Wolfgang Gunkel
Ottmar Schreiner

FDP

Frank Schäffler

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen

Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionslose Abgeordnete

Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt

Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann






(A) (C)



(B) (D)


Marina Schuster
tel. Er ignoriert den Haftbefehl des Internationalen Straf-
gerichtshofs und bekommt auch noch Beifall von der
Arabischen Liga. Die politische Gesamtsituation ist also
wirklich alles andere als hoffnungsvoll.

Nun zu den Mandaten. Die FDP-Bundestagsfraktion
wird beiden Mandaten zustimmen. Aber ich sage auch
klar: Dass wir zustimmen, kann nicht heißen, dass wir
die Augen vor den Herausforderungen, mit denen wir
umgehen müssen, verschließen.


(Beifall bei der FDP)


Das betrifft zum einen die Truppenzahl. Die Truppe hat
immer noch nicht ihre volle Stärke erreicht. Das heißt, es
gibt immer noch keine voll einsatzfähige UNAMID-
Truppe. Ich frage die Bundesregierung, wie sie Sorge da-
für trägt, dass die Mandate ein Erfolg werden, was sie
aus der Vergangenheit lernt und vor allem welche politi-
schen Initiativen sie jetzt auf den Weg bringen wird.
Denn die Bundesregierung macht es sich zu einfach,
wenn sie die Mandate dem Parlament zur Zustimmung
vorlegt, ohne ihr Engagement auf eine strategische Basis
zu stellen und ohne klar zu sagen, wofür sie sich einsetzt
und welche Initiativen sie voranbringt.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die USA haben mit dem neuen Sonderbeauftragten
jetzt die politische Führung übernommen. Man hat zu ei-
ner Konferenz in Washington eingeladen und die Kon-
fliktparteien an einen Tisch gebracht. Man hat ihnen das
Zugeständnis abgerungen, dass die Schiedsentschei-
dung akzeptiert wird. Das ist ein sehr wichtiger Schritt
für die Befriedung im Sudan. Aber wir müssen darauf
achten, dass sich die Parteien an diese Zusage halten. Ich
stelle fest: Wenn es darum geht, neue Initiativen auf den
Weg zu bringen, stellt sich die Bundesregierung hinten
an.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dabei hat sie gute Kontakte in die Region. Sie hat auch
Kontakte zum Sonderbeauftragten. Mich würde interes-
sieren, wie sie die Initiativen unterstützt, wie sie das be-
stärken will und wie sie mit anderen Playern in der Re-
gion umgeht, zum Beispiel mit China. Wir alle wissen,
dass China eine wesentliche Rolle spielt. Mich würde
auch interessieren, welche Kommunikationskanäle nach
Peking genutzt werden, um eine konstruktive Politik ein-
zufordern.

Klar ist, dass wir alle Beteiligten in die Pflicht neh-
men müssen: Bashir für den Zugang für Helfer und
Blauhelme, aber auch die Rebellenführer und ebenso die
AU, die an ihre Gründungscharta erinnert werden muss;
denn sie soll sich dort viel mehr einbringen, als sie das
bisher tut.

Ich wiederhole daher meinen Appell – stellvertretend
an Herrn Jung, da der Herr Außenminister nicht anwe-
send ist –: Der Sudan muss höher auf der politischen
Agenda stehen und angemessener berücksichtigt wer-
den. Nach der Antwort der Bundesregierung auf unsere
Kleine Anfrage zum Sudan ist das alles doch sehr frag-
würdig. Auf die Frage, ob die Einrichtung einer Flugver-
botszone für Darfur thematisiert werde, heißt es, kon-
krete Vorschläge lägen nicht vor. Auf die Frage, ob es
Druckmittel gegenüber der Regierung in Khartoum
gebe, wurde geantwortet, man habe den Botschafter ein-
bestellt; weitere Sanktionen seien international kein
Thema. Immerhin seien bei anhaltender Nichtkoopera-
tion der sudanesischen Regierung EU-autonome Maß-
nahmen zu erwägen. Was wie wann umgesetzt wird,
wird uns in der Antwort auf die Kleine Anfrage nicht
mitgeteilt.

Ich komme zum Schluss. Weder Bashir noch die Re-
bellen dürfen die internationale Gemeinschaft länger ge-
geneinander ausspielen. Nur wenn wir auf diplomati-
scher Ebene vorankommen, können die Missionen ihre
eigentliche Kraft entfalten. Die deutsche Bundesregie-
rung könnte politisch mehr mitreden, wenn sie wollte.
Ich wünsche mir den Willen und auch die Ausdauer, den
Sudan-Konflikt endlich oben auf die politische Agenda
zu setzen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623021400

Nächster Redner ist der Kollege Hartwig Fischer für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1623021500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben darüber zu entscheiden, ob zwei Mandate ver-
längert werden sollen. Diese zwei Mandate beschäftigen
uns seit Jahren.

Ich stimme nicht mit der Einschätzung des Auswärti-
gen Amtes überein, dass sich die Situation im Sudan ver-
bessert hat. Wer sich im Südsudan umsieht und sieht,
wie dort das Morden wieder beginnt, wer sieht, dass
2 Millionen Menschen in der Hoffnung auf das CPA in
ihre Heimat zurückgekehrt sind, wer wie wir im vergan-
genen Jahr gesehen hat, wie die Rückführung von
Flüchtlingen zum Stocken kam, als in Kenia nach den
Wahlen der Konflikt ausbrach, die Dieselpreise um das
Vierfache anstiegen und die Menschen wieder verunsi-
chert waren, wer die Dorfführer aus Uganda, wo diese
Flüchtlinge waren, gesehen hat, die in den Südsudan zu-
rückgegangen sind, um sich über die aktuelle Situation
zu informieren, und den Flüchtlingen in Uganda emp-
fohlen haben, trotz der schwierigen Situation zurückzu-
gehen, der ist sicherlich mit mir der Auffassung, dass die
begleitenden Maßnahmen im Südsudan deutlich ver-
stärkt werden müssen, um den Menschen eine Perspek-
tive zu geben.

Wenn das CPA und das Referendum nicht zum Erfolg
werden, dann wird das Gemetzel im Südsudan wieder
beginnen und dann werden die Menschen nach der
Flucht nicht wieder in diese Region zurückkehren. Wir






(A) (C)



(B) (D)


Hartwig Fischer (Göttingen)

brauchen aber die Menschen in dieser Region zur Stabi-
lisierung. Deshalb ist es dringend notwendig, dass
UNMIS entsprechend gestärkt wird und den Zensus so
umsetzen kann, dass er auch von der Bevölkerung ak-
zeptiert wird, weil der Zensus Grundlage für die Vorbe-
reitung des Referendums ist.

UNMIS ist das eine Mandat. Ich meine, wir können
dafür aus dem Entwicklungsetat mehr ausgeben. Wir ha-
ben den Etat so erheblich aufgestockt, dass wir meiner
Meinung nach an der einen oder anderen Stelle die
Budgethilfe etwas kürzen und diesen wichtigen Bereich
durch Projektunterstützung stabilisieren können, um die
Übergangsverfassung stärker zum Wirken zu bringen.

Lassen Sie mich das zweite Mandat ansprechen. Wir
als CDU/CSU-Fraktion werden natürlich beiden Manda-
ten zustimmen. Aber in Darfur geht das Sterben jeden
Tag weiter. Herr Bashir hat null Interesse an einer Stabi-
lisierung in Darfur; in diesem Punkt bin ich anderer Mei-
nung als die Freundschaftsgruppe, die in Washington ge-
tagt hat. Wer sieht, wie sich die Situation in den
Flüchtlingslagern in den letzten Wochen und Monaten
verändert hat, wer weiß, dass sich in Nyala immer noch
über 100 000 Flüchtlinge befinden und in der Trocken-
zeit jeden Tag mindestens fünf Kinder sterben – in der
Regenzeit vervierfacht sich diese Zahl –, wer weiß, dass
die Situation in den drei Lagern in Abu Shock mit über
100 000 Menschen instabil ist, der sollte ein Interesse
daran haben, dass UNAMID stabil ist und seinen Auf-
trag ausführen kann. Deshalb ist es richtig, dass wir die
Afrikanische Union über das Peacekeeping Center in
Accra, Ghana, mit Kapazität ausstatten und damit den
Menschen eine Chance geben, gut ausgebildet dort ein-
gesetzt zu werden.

Bashir hat auch kein Interesse daran, dass die Hilfs-
transporte in den Flüchtlingslagern tatsächlich ankom-
men. Die Hilfstransporte werden zwar begleitet; ein
Drittel kommt aber gar nicht oder nicht rechtzeitig an.
Verschiedene Hilfsorganisationen, darunter Amnesty,
Brot für die Welt, der EED und die Gesellschaft für be-
drohte Völker, haben einen Appell an alle Fraktionen ge-
schickt. Die Entwicklungshelfer dieser Organisationen
sind vor Ort und können uns daher einen sachgerechten
Bericht erstatten. Wir stehen in der Verantwortung, die-
sen Menschen zu helfen.

Als wir vor fünf Jahren, am 4. Juni 2004, das erste
Mal in einem der Flüchtlingslager waren, mit den Men-
schen zusammenkamen und sahen, wie es um die Ver-
sorgung steht, haben wir uns Gedanken gemacht. Wir
haben dann gemeinsam beschlossen: Es muss eine ge-
meinsame Verantwortung und eine Verbesserung der
dortigen Situation geben. Seitdem haben sich die Nah-
rungsmittelrationen für die Menschen in diesem Flücht-
lingslager zeitweise um die Hälfte reduziert, zurzeit um
etwa ein Drittel. Das liegt sowohl daran, dass ein Teil der
Mittel nicht zur Verfügung steht, als auch daran, dass die
Transporte nicht ankommen. Ich appelliere an alle, sich
dafür einzusetzen, dass der Sudan – egal ob Darfur oder
Südsudan – auf der Agenda der diplomatischen Verhand-
lungen ganz oben steht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Menschen haben eine Perspektive verdient.

Ich möchte Ihnen die Lage im Südsudan einmal ver-
ständlich machen. Im Südsudan begann der Krieg vor
über 25 Jahren. Dort sind innerhalb eines halben Jahres
Millionen Menschen geflohen und haben dann 20 Jahre
in Flüchtlingslagern in Kenia, Zentralafrika oder Uganda
gelebt. Von diesen Menschen sind nun 2 Millionen wie-
der in ihre Heimat zurückgekehrt und haben Hoffnung.
Darunter befinden sich unglaublich viele, die nie etwas
anderes als die Flüchtlingslager kennengelernt haben,
weil sie in den Lagern geboren worden sind. Wenn wir
diese Menschen nun enttäuschen, weil nicht gemeinsam
gehandelt wird, führt das nach meiner Überzeugung zu
einer Katastrophe und destabilisiert eine Region, in der
wir durch Somalia und durch den Konflikt mit Äthiopien
schon genügend Probleme haben.

Ich möchte den Helferinnen und Helfern sowie der
Bundeswehr vor Ort ausdrücklich danken. Ich glaube,
dass es in Afrika generell mehr Licht als Schatten gibt.
Ich bin der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie in ihrer
Regierungserklärung heute Morgen noch einmal deut-
lich gemacht hat, dass wir gemeinsam Verantwortung
tragen, und zwar nicht nur dann, wenn wir die Schiffe im
Mittelmeer und die ertrunkenen Flüchtlinge sehen, die
diesen Weg aus existenzieller Not beschreiten.

Lampedusa ist eines der Signale und Fanale, für die
wir gemeinsam Verantwortung tragen. Wir werden nur
etwas erreichen, wenn wir auf dem afrikanischen Konti-
nent nachhaltig handeln, nicht nur aus humanitären
Gründen, sondern auch mit Blick auf die Zukunft von
ganzen Generationen; das liegt auch in unserem eigenen
Interesse. Deshalb bitte ich Sie, diesen Mandaten zuzu-
stimmen, weil sie die Grundlage für eine nachhaltige
Entwicklung sind.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623021600

Nächster Redner ist der Kollege Hüseyin Aydin für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623021700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sollten uns nichts vormachen: In dieser Debatte zur
Mandatsverlängerung für die UN-Mission im Sudan
geht es gar nicht um die Konflikte und Kriege in Afrikas
größtem Land. Ich halte das für höchst problematisch.
Was hier stattfindet, ist eine Ersatzhandlung für einen
konsequenten und strategisch geplanten Umgang mit
dem Sudan, der eigentlich bitter notwendig wäre. Hören
Sie auf, der Öffentlichkeit vorzumachen, dass Sie mit
der Entsendung von 31 Soldaten einen nachhaltigen Bei-
trag zur Konfliktmilderung im Sudan leisten würden!


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Hüseyin-Kenan Aydin
Politische und diplomatische Initiativen sind geboten,
um auf die sich abzeichnende Eskalation der zahlreichen
Konflikte im Land reagieren zu können. Meine Fraktion
hat ihre Position zur UNAMID und UNMIS bereits
mehrfach dargelegt. Daran hat sich nichts geändert.

Während man über den Sinn und die Wirkung des
UN-Einsatzes im Süden durchaus diskutieren kann, ist
die Intervention in Darfur aus vielen Gründen ein Fehl-
schlag und trägt kaum etwas zur Konfliktminderung bei.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb wird meine Fraktion die Beteiligung an
UNAMID ablehnen, während sich einige meiner Kolle-
ginnen und Kollegen und ich selbst im Fall von UNMIS
enthalten werden. Doch die Mandatsfrage ist, wie ich be-
reits andeutete, nicht das eigentliche Thema, das uns be-
schäftigen sollte. Vielmehr möchte ich die Bundesregie-
rung fragen, welche diplomatischen Aktivitäten sie
gegenüber dem Sudan zu entfalten gedenkt. Bisher kann
ich nicht erkennen, dass es in der Bundesregierung ein
angemessenes Interesse gibt, sich eingehend und dauer-
haft mit einem der bedeutendsten Konflikte in Afrika zu
beschäftigen.

Ich fordere Sie auf: Positionieren Sie sich endlich!
Wie stehen Sie zur unbeirrten Unterstützung Frankreichs
für das Regime von Idriss Déby im Tschad? Sind Sie der
Meinung, dass die neokoloniale Politik unseres Nach-
barlandes einer Konfliktbeilegung zuträglich ist? Sorgen
Sie dafür, dass die sich widersprechenden Interessen in-
ternationaler Akteure in Bezug auf den Sudan klar be-
nannt werden, und formulieren Sie Ihre eigenen Interes-
sen; denn wir kennen sie nicht!


(Beifall bei der LINKEN)


Initiieren Sie eine Sudan-Politik auf europäischer Ebene,
die diesen Namen auch verdient! Bisher ist der EU-Be-
auftragte für den Sudan, Torben Brylle, nicht wie sein
Vorgänger durch wirksame Initiativen aufgefallen.

Die Ursachen für Kriege, Vertreibung und sporadisch
aufflammende Konflikte im Sudan – nicht nur im Wes-
ten und Süden, sondern auch in anderen Landesteilen –
sind sicherlich vielfältig und komplex. Doch eines ist ih-
nen allen gemeinsam: Die ungleiche Machtverteilung
zwischen dem Zentrum in Khartoum und der dort ton-
angebenden militärischen und wirtschaftlichen Elite ei-
nerseits und politisch sowie sozial marginalisierten Re-
gionen andererseits schafft die Grundlage für Armut,
Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit, die letztlich zu
Krieg führen.

Wir fordern einen umfassenden und langfristig ange-
legten gesellschaftlichen Dialog, der allen relevanten
Bevölkerungsgruppen im Sudan ein Podium zur Formu-
lierung ihrer Positionen bietet. Dieser Wunsch gilt für
Dafur, für den Süden, aber auch für den Osten Sudans.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem halten wir es für dringend geboten, den
Sudan und dessen Konflikte aus einer regionalen Per-
spektive zu analysieren und entsprechend darauf zu
reagieren. Aufseiten der Bundesregierung ist höchste
Eile geboten, endlich eine Politik gegenüber der gesam-
ten Region am Horn von Afrika und dem Sudan zu ent-
wickeln. Ein zweites Somalia wäre eine Katastrophe –
für die Sudanesen und ihre Nachbarländer.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623021800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

die Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will gleich zu Beginn für meine Fraktion klarstellen:
Aus unserer Sicht sind UNAMID und UNMIS zwar
keine ausreichende Antwort auf die Frage, wie der
Friede im Sudan wiederhergestellt werden kann, aber sie
sind ein notwendiger Bestandteil einer Friedenslösung.
Deshalb werden wir den beiden Mandaten zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Verehrter Herr Aydin, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Linksfraktion, wenn Sie hier großspurig er-
klären, dass Sie die Völkerrechtspartei seien,


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das sind wir!)


dann müssen Sie auch endlich einmal internationale Ver-
antwortung innerhalb der UNO übernehmen, statt diese
Mandate immer aus innenpolitischen, populistischen
Gründen abzulehnen. Das ist nämlich Ihr einziger
Grund.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich finde, es ist ein Armutszeugnis, dass Sie nicht
einmal bereit sind, einfache Blauhelmmandate des
UNO-Sicherheitsrates wie UNMIS zu akzeptieren. Bei
UNMIS geht es um eine Beobachtermission. Sie haben
die 31 deutschen Soldaten angesprochen, die derzeit ein-
gesetzt werden. Anscheinend wissen Sie nicht, dass bei
UNMIS 10 000 Soldaten und Polizisten stationiert sind
und übrigens auch 3 600 zivile Angestellte. Es ist eine
Mission, die in großem Umfang zivile Aufgaben beim
Flüchtlingsschutz, bei der Demobilisierung usw. leistet.

Man muss im Bundestag deutlich klarstellen: Wenn
man solche Missionen ablehnt, dann kann man sich nicht
als Völkerrechtspartei bezeichnen, weil man keine Ver-
antwortung in der UNO übernimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Diese Behauptung wurde von Ihrer Kollegin Frau
Hänsel noch getoppt – auch das muss ich erwähnen; lei-
der wurden die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Müller (Köln)

beim letzten Mal zu Protokoll gegeben –, die den vom
Internationalen Strafgerichtshof – eine Errungenschaft
des internationalen Rechtssystems; Grundlage ist ein
verbindlicher Sicherheitsratsbeschluss – erlassenen
Haftbefehl gegen Bashir in ihrer Rede als kontraproduk-
tiv bezeichnet, weshalb er abzulehnen sei.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist interessant!)


Ich sage Ihnen: Das ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer.
Die Opfer fordern Gerechtigkeit, gerade von der UNO,
gerade durch ein internationales Rechtssystem. Ihre Be-
hauptung, eine Völkerrechtspartei zu sein, ist wirklich
eine lächerliche Farce.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


In Darfur herrscht immer noch die größte humanitäre
Krise weltweit: 300 000 Tote, 2,7 Millionen Vertriebene;
zwei Drittel der Bevölkerung sind von internationaler
Hilfe abhängig. Herr Kollege Fischer und andere haben
es bereits erwähnt: Auch der Frieden im Südsudan rückt
leider wieder in weite Ferne, und zwar trotz des guten
und umfassenden Friedensabkommens von 2005, des so-
genannten CPA.

Lassen Sie mich es zugespitzt formulieren: Die Ex-
perten warnen bereits davor, dass das CPA vor dem Kol-
laps steht. In Darfur gab es in den letzten Monaten mehr
als 1 200 Tote, und die Zahl der Binnenflüchtlinge ist in
ganz kurzer Zeit um 20 000 hochgeschnellt. Leider ist es
so, dass UNAMID und UNMIS daran wenig ändern. Ich
glaube, ein Grund dafür ist, dass die internationale Poli-
tik bis heute immer noch keinen ausreichenden politi-
schen Willen zeigt, neben einer Friedensmission – sie ist
eine Voraussetzung – eben auch ein nachhaltiges Frie-
densengagement und Gerechtigkeit für die Opfer voran-
zutreiben.

Die Wahrheit ist: Nicht nur mangels eines Friedens-
prozesses kann UNAMID die Menschen in Darfur nicht
ausreichend schützen, sondern auch deshalb nicht, weil
die internationale Staatengemeinschaft selbst nach an-
derthalb Jahren immer noch nicht ihre Zusagen erfüllt
hat. Ich muss an dieser Stelle auch die Bundesregierung
kritisieren; denn Sie schaffen es gerade einmal, zwei von
250 zugesagten Soldaten zu entsenden, und das inner-
halb von eineinhalb Jahren. Wir haben eben von den
Missständen gehört. Herr Fischer, Sie haben es selber
angesprochen. So kann es nicht weitergehen. Die Bun-
desregierung muss den von ihr zugesagten Beitrag leis-
ten und die Zahl an Soldaten entsenden, die notwendig
ist, damit UNAMID die Menschen wirksam schützen
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es fehlen auch noch 18 Hubschrauber. Es ist ein Trau-
erspiel, dass man selbst angesichts eines Völkermordes
nicht in der Lage ist, auf internationaler Ebene
18 Hubschrauber zu mobilisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letzter Satz zu UNMIS: UNMIS hat als Beobach-
termission der eskalierenden Gewalt im Südsudan wenig
entgegenzusetzen. Diese Mission muss dringend ge-
stärkt werden, mit Blick auf den Schiedsspruch zu
Abyei, die Wahlen 2010 und das Referendum 2011.

Hierzu noch ein wichtiger Gedanke.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623021900

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich bin gleich fertig. – Deutschland ist eine der Ga-
rantiemächte des CPA. Deshalb muss Deutschland poli-
tische Initiativen wie die der USA jetzt intensiv unter-
stützen. Möglicherweise werden wir sonst im Jahre 2011
nach den Referenden, Herr Fischer, die Geburtsstunde
eines neuen Failing State erleben, ein Auseinanderfallen
des Sudan. Verglichen mit den Gefahren von Terroris-
mus und Instabilität, für das Horn von Afrika ist die
Piraterie vor der Küste Somalias, über die wir zurzeit de-
battieren, nur ein kleines Vorspiel. Auch im internationa-
len Interesse müssen wir daher zur Stabilisierung des
Sudan beitragen. Die Menschen hoffen auf uns; sie set-
zen auf uns. Lassen Sie uns ihre Erwartungen nicht ent-
täuschen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623022000

Als nächster Redner hat der Kollege Gert

Weisskirchen für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1623022100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrte Damen und

Herren! Für die SPD-Bundestagsfraktion darf ich – und
das zum letzten Mal – sagen: Wir werden den Mandaten
zustimmen. Aber ich habe eine herzliche Bitte an alle
Kolleginnen und Kollegen – und das ist doch Konsens
und Ergebnis der Debatte, Herr Fischer –: Bitte nehmen
Sie diese Mandate zum Anlass – das gilt besonders dann,
wenn es im nächsten Jahr, in 2010, im Sudan zu Wahlen
kommt –, das Engagement, das wir jetzt im Zusammen-
hang mit der Zustimmung zu den Mandaten zeigen, zu
nutzen, damit der Sudan eine Chance hat, beim Friedens-
prozess eine eigene Entwicklung zu nehmen. Nutzen Sie
diese Chance, nachdem diese Mandate verabschiedet
worden sind! Tragen Sie dazu bei, dass der Sudan eine
Chance erhält, sich anders zu entwickeln, um von den
Zuständen, die der Kollege Fischer beschrieben hat,
wegzukommen! Der Sudan darf nicht im Strudel der Ge-
walt verschwinden. Die Menschen haben ein Recht da-
rauf, ihren Frieden zu erarbeiten.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss auch sa-
gen – und das weiß niemand besser als die Bundesregie-
rung, die Bundeskanzlerin und die Entwicklungsministe-






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)

rin –: Es gibt Regionen in Afrika, die eine andere
Entwicklung genommen haben. Sie haben sich positiv
entwickelt. Viele Regionen Afrikas haben aufgeschlos-
sen, damit die Menschen in diesen Regionen bessere
Chancen für ihr Leben haben, lieber Kollege Fischer.
Das Land Sudan hat das innere Potenzial, zu Wachs-
tumsregionen Afrikas, zum Beispiel Südafrika, aufzu-
schließen. Unternehmen Sie bitte alles, damit der Sudan
nicht versinkt angesichts dessen, was Bashir mit den
Menschen vorhat! Helfen Sie mit, dass diese Region
eine bessere Chance hat als bisher, liebe Kolleginnen
und Kollegen!

Zwei Drittel der Menschen, die in Afrika befragt wor-
den sind, sprechen sich für Demokratie aus. Die Jünge-
ren fordern von den autoritären alten Machteliten, dass
sie sich dem Willen der gut ausgebildeten und klugen
jungen Menschen in Afrika beugen. Wir müssen ihnen
mit unserem Engagement helfen, damit sie ihre Zukunft,
besser und demokratisch, selbst bestimmen können. Es
ist unsere Pflicht hier im Deutschen Bundestag, ihnen zu
helfen.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich, wenn ich darf, zum Schluss Fol-
gendes sagen – das sage ich jetzt mit Blick auf die
Bundeskanzlerin –: Nehmen Sie und die gesamte Bun-
desregierung bitte das auf, was Willy Brandt uns allen
gemeinsam gesagt hat, als es darum ging, was die Auf-
gabe Europas ist. Die Aufgabe Europas ist, aufklärend
zu wirken, dafür zu sorgen, dass sich Frieden, Freiheit
und Demokratie durchsetzen. Das ist unsere Aufgabe
und unsere Pflicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der
Deutsche Bundestag muss immer an der Seite der Frei-
heit und der Demokratie stehen. Das ist unsere Ver-
pflichtung gegenüber der Geschichte und der Zukunft
der Menschheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623022200

Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich nun

der Kollegin Hänsel zu einer Kurzintervention das Wort.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623022300

Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte auf Frau

Müller eingehen, weil sie mich direkt bezüglich der Be-
urteilung des Haftbefehls gegen al-Bashir angesprochen
hat. Für mich ist Folgendes entscheidend: Wir müssen
uns überlegen, wie wir zu einer Friedenslösung im
Sudan kommen. Dazu brauchen wir natürlich auch al-
Bashir.

Ich finde es sehr interessant, dass ich noch nie gehört
habe, dass Kriegsverbrecher in der Regierung von Af-
ghanistan sitzen, die Blut an den Händen haben. Von
Ihnen kommt niemand auf die Idee, diese als Kriegs-
verbrecher anzuklagen. Denn sie sind Ihre Verhand-
lungspartner. Diese Kriegsverbrecher, die übelste Ver-
brechen begangen haben, werden selbst ins
Entwicklungsministerium eingeladen; das ist bekannt.
Ich habe jedoch noch nie gehört, dass Sie gesagt haben:
Diese Leute müssen mit Haftbefehl gesucht werden. –
Im Gegenteil: Sie argumentieren damit, dass Sie diese
Leute zwecks strategischer Ausrichtung in Afghanistan
brauchen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal, was Sie da sagen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623022400

Frau Kollegin Müller, bitte.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Hänsel, ich bin schon erstaunt, dass Sie jetzt da-
rüber entscheiden wollen, welcher Kriegsverbrecher
oder Diktator dieser Welt dem internationalen Recht un-
terliegt oder nicht und wer vor den Internationalen Straf-
gerichtshof zu treten hat. Ich darf Sie darauf aufmerksam
machen: Es gibt internationales Recht. Es gibt das Rom-
Statut zum Internationalen Strafgerichtshof. Es gibt ei-
nen Beschluss des Sicherheitsrats, in dem der Internatio-
nale Strafgerichtshof aufgefordert wird, ein Ermittlungs-
verfahren im Sudan einzuleiten und zu untersuchen, wer
für die Verbrechen in Darfur verantwortlich ist.

Es ist nicht unsere Sache, sondern allein Sache der
Richter und der Staatsanwaltschaft, darüber zu entschei-
den, ob ein Haftbefehl erlassen wird oder nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sie können doch nicht einerseits behaupten, Sie seien
die Völkerrechtspartei, sich andererseits aber hier hin-
stellen und sagen, es interessiere Sie nicht, was das Völ-
kerrecht vorsieht und wie die Institutionen zu arbeiten
haben. Schließlich haben viele Regierungen sehr müh-
sam daran mitgearbeitet – und auch Deutschland hat
über viele Regierungen fraktionsübergreifend intensiv
daran mitgewirkt –, dass es diesen Internationalen Straf-
gerichtshof überhaupt gibt. Ich bleibe dabei: Er ist eine
Errungenschaft, und er schafft Gerechtigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Grütters [CDU/CSU])


Und wenn Sie einmal mit den Menschen in Darfur re-
den – auch hier sind Sie ignorant –, dann werden Ihnen
selbst die Menschen in den Flüchtlingslagern sagen, dass
sie Gerechtigkeit durch das internationale Recht wollen
und dass sie diese Verfahren vor dem Internationalen
Strafgerichtshof fordern. Gerechtigkeit ist für jeden Frie-
den notwendig. Nicht wir haben zu entscheiden, welcher
Diktator in Den Haag landet und sich dort zu rechtferti-
gen hat. Das bestimmen weder Sie noch ich, sondern nur
das internationale Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623022500

Ich schließe nun die Aussprache. Wir kommen zu den

Abstimmungen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Zunächst Tagesordnungspunkt 12 a: Es geht hier um
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, also
um das UNMIS-Mandat.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13598, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 16/13395 anzunehmen. Wir
stimmen nun über diese Beschlussempfehlung nament-
lich ab. Ich möchte bereits jetzt darauf hinweisen, dass
wir unmittelbar im Anschluss an diese Abstimmung
noch über einen weiteren Bundeswehreinsatz namentlich
abstimmen werden.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? – Das
scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, auszuzählen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1)

Wir setzen die Abstimmungen fort.

Tagesordnungspunkt 12 b: Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre-
gierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation
in Darfur. Es geht um das UNAMID-Mandat. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13599, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 16/13396 anzunehmen. Auch über diese
Beschlussempfehlung wird namentlich abgestimmt.

Ich gehe davon aus, dass alle Urnen noch besetzt sind. –
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Sind noch Kolleginnen und Kollegen im Saal, die ihre
Stimmkarte für die zweite namentliche Abstimmung
unter diesem Tagesordnungspunkt nicht abgegeben ha-
ben? – Das ist nicht der Fall. Die Abstimmung ist ge-
schlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, auszuzählen. Auch dieses Ergebnis wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)

Ich würde die Beratungen gerne fortsetzen und darf
Sie deshalb bitten, Ihre Gespräche vor dem Saal zu füh-
ren.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 72 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strei-

1) Ergebnis Seite 25771 C
2) Ergebnis Seite 25773 B
chung des Optionszwangs aus dem Staatsange-
hörigkeitsrecht

– Drucksache 16/12849 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/13556 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler

Auch über diesen Gesetzentwurf werden wir später
namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Reinhard Grindel für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1623022600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft darf
keine Eintrittskarte für Integrationsbemühungen sein,
sondern sie muss am Ende eines erfolgreichen Integra-
tionsprozesses stehen. Dieser Grundsatz galt für die
CDU/CSU-Fraktion immer.

Es ist richtig: Mit der sogenannten Optionsregelung
ist dieser Grundsatz nahezu durchbrochen worden.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Richtig so!)


Anders als bei der Einbürgerung muss der Optionsver-
pflichtete keinerlei Integrationsleistungen erbringen. Er
muss nicht deutsch sprechen können. Er kann kriminell
sein. Das Grundgesetz muss er auch nicht achten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie jeder Deutsche!)


Das Einzige, was der Gesetzgeber verlangt, ist, dass er
sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr entscheidet,
Ja zur deutschen Staatsangehörigkeit zu sagen, und die
Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes seiner Eltern
niederlegt. Das ist praktisch die einzige Integrationsleis-
tung, die er erbringen muss.

Ich sage für unsere Fraktion: Ja, diese Integrations-
leistung wollen wir sehen. Die muss erbracht werden.
Diese Entscheidung muss jemand, der auf Dauer als
Deutscher mit uns leben will, treffen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Warum?)


Aus dieser Pflicht wollen wir ihn nicht entlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
Im Kern geht es bei diesem Thema um die Frage, wel-
che Vorstellung von Integration wir haben. Dazu sagt der
Kollege Josef Winkler bei Abgeordnetenwatch:

Integration bedeutet Teilhabe durch gleiche Rechte
und Pflichten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Sebastian Edathy [SPD]: So ist es!)


Mal ganz abgesehen davon, dass der Doppelstaatsbürger
wesentlich mehr Rechte als der Nurdeutsche hat –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Wieso das denn? – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Neiddebatte!)


er kann jederzeit, wenn es ihm bei uns nicht mehr ge-
fällt, die Koffer packen und abhauen, während der Nur-
deutsche unentrinnbar mit unserem Staat und der deut-
schen Staatsgewalt verbunden ist –, finde ich, dass dieser
Integrationsbegriff viel zu kurz greift. Integration setzt
Sprachkompetenz und die Akzeptanz gemeinsamer
Werte voraus, die wir uns nicht gegeben haben, sondern
die Teile unserer abendländischen Kultur sind, in die
man sich einzufügen hat.

Der Kollege Wolfgang Bosbach hat heute Morgen bei
einem Termin von einer Reise nach Kanada berichtet,
bei der er als Gast an einem Kurs für Neuzuwanderer
teilgenommen hat.


(Rüdiger Veit [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass er auswandern wollte!)


Er hat die Kursteilnehmer gefragt, weshalb sie den Kurs
besuchen und welche Erwartungen sie damit verbinden.
Darauf haben sie geantwortet: To be a good Canadian.
Wir würden uns wahrscheinlich nicht trauen, die Posi-
tion zu vertreten, dass jemand in unserem Land richtig
integriert ist, wenn er sagt: Ich will ein guter Deutscher
werden. Obwohl ich provozierend fragen würde: Warum
eigentlich nicht? Aber es ist doch wohl völlig klar, dass
ich so viel Bekenntnis zu unserem Staat verlangen darf,
dass der Betroffene zumindest Ja sagt zu unserer Staats-
bürgerschaft und sich von der seiner Eltern trennt. Daran
darf es keinen Zweifel geben. Das darf der Staat verlan-
gen, um das ganz klar zu betonen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Wieso?)


Der Kampf um die doppelte Staatsbürgerschaft
kommt mir vor wie der letzte Kampf der Multikultigläu-
bigen;


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


nichts von den Ausländern verlangen, alles dulden, und
der fromme Glaube: Wer in Deutschland geboren ist, der
integriert sich automatisch.


(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mit dieser Haltung ist Rot-Grün grandios gescheitert,
Frau Kollegin Roth. Das können Sie unweit des Reichs-
tags täglich besichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der frühere Innenminister Otto Schily hat 1999 das
Optionsmodell damit begründet, dass es zum Beispiel
türkischstämmigen Schülern nicht zumutbar sei, dass bei
einer Klassenreise nach England alle deutschen Kinder
problemlos fahren können, während die türkischstämmi-
gen Kinder ein Visum brauchen, das vielleicht zu spät
erteilt wird. Dass die Schüler, insbesondere wenn es sich
um Mädchen handelt, gar nicht mitfahren dürfen, weil
die Eltern es verbieten und damit die Integration er-
schweren, daran ist damals überhaupt nicht gedacht wor-
den. Aber das ist die Realität, der wir uns heute stellen
und auf die wir Antworten geben müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein weiteres großes Problem!)


Wenn jetzt argumentiert wird, dass wir Kinder, wenn
wir sie zur Option zwingen, in einen Konflikt mit ihren
Eltern treiben, dann sage ich: Eine solche Konstellation
ist Indiz dafür, dass es keine ausreichende Integration
gibt. Da darf der Staat doch nicht vor mangelnder Inte-
gration kapitulieren. Da sorge ich doch durch die Dis-
kussion mit den Eltern über die Frage, wie man sich bei
der Optionsregelung entscheidet, dafür, dass man sich
vielleicht erstmals Gedanken macht, welche Erwartun-
gen man an sein Leben in Deutschland hat und inwieweit
man in unserer Gesellschaft ankommen will. Es gehört
doch zur Integrationsbereitschaft der Eltern, dass sie ak-
zeptieren und zulassen, dass sich ihr Kind für die deut-
sche Staatsbürgerschaft und damit gegen ihre eigene ent-
scheidet.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch schon volljährig!)


Der Optionszwang ist nicht integrationsfeindlich. Im
Gegenteil: Auf ihn zu verzichten, wäre eine Kapitulation
vor Integrationsdefiziten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Debatte führen wir reichlich früh; denn das Op-
tionsmodell greift erst seit letztem Jahr. Es haben sich
erst ganz wenige sogenannte Optionskinder entschieden.
Es gibt bisher keinen Fall, bei dem uns in irgendeiner
Weise bekannt wäre, dass es große seelische Qualen und
massive Entscheidungskonflikte gegeben hätte,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Ärger kommt noch!)


sondern ganz im Gegenteil: Nahezu alle, die bisher vor
die Wahl gestellt wurden, haben sich für die deutsche
Staatsangehörigkeit entschieden. Wir müssen dazu er-
muntern, Ja zu Deutschland zu sagen. Wir können ihnen
zum Beispiel sagen, dass sie nicht nur das Recht auf
volle politische Partizipation haben, sondern dass dieje-






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
nigen, die sich bisher haben einbürgern lassen, laut
jüngsten Untersuchungen wirtschaftlich deutlich erfolg-
reicher sind.

Wir brauchen eine Willkommenskultur; das ist rich-
tig. Aber ich kann nur fragen: Wer hat denn bisher Ent-
sprechendes gemacht? Zum Beispiel hat die Bundes-
kanzlerin im Bundeskanzleramt in einer sehr
eindrucksvollen Veranstaltung Staatsbürgerschaftsur-
kunden verliehen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Sie machen Symbolpolitik! Wir haben das Staatsbürgerschaftsrecht geändert! Das ist der Unterschied!)


Ich kann nur sagen: Eine solch eindrucksvolle Veranstal-
tung hat bisher kein SPD-Kanzler und erst recht kein
Grüner zustande gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es möglich gemacht!)


Dieses Zeremoniell haben diese ausländischen Mitbür-
ger, die sich zur deutschen Staatsbürgerschaft bekannt
haben, nicht, wie es von der Opposition gesagt wird, als
Showveranstaltung verstanden, sondern sie und ihre Ver-
wandten haben das als eine ganz große und bedeutende
Stunde in ihrem Leben verstanden und als genau das, als
was es von uns gedacht war: als ein Zeichen für ihr An-
kommen, als ein Willkommen und als Zeichen dafür,
dass sie zu uns gehören und auf Dauer unter uns leben
sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wir lehnen die dop-
pelte Staatsbürgerschaft auch wegen der Loyalitätskon-
flikte, die sich daraus ergeben, ab.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Die Kampagne gegen die Optionsregelung unterstützt
zum Beispiel der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde,
Herr Kolat, der beide Staatsbürgerschaften besitzt. Wenn
wir von Loyalitätskonflikten sprechen, dann werden wir,
wie das auch gerade geschieht, von Frau Roth und ande-
ren belächelt. Ich sage Ihnen: Ihnen gefriert das Lächeln
– mir ist das passiert –, wenn Sie mit türkischen Minis-
tern zum Beispiel über die Frage der Notwendigkeit der
verpflichtenden Deutschkenntnisse beim Familiennach-
zug diskutieren. Sie stellen dann fest, dass die Minister,
Ihre Gesprächspartner, Sprechzettel haben, die von
Herrn Kolat stammen. Dieses Politisch-über-die-Bande-
Spielen, türkische Minister intern so zu positionieren
und zu munitionieren, dass sie Druck auf unsere Minis-
ter ausüben können, um in der deutschen Diskussion Er-
folge zu erzielen, ist genau das, was wir als Loyalitäts-
konflikte bezeichnen und nicht wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das braucht der türkische Minister bestimmt nicht!)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623022700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Edathy?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1623022800

Ja, selbstverständlich.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Oh! Haben sie Herrn Edathy etwa keine Redezeit gegeben? Darf er nicht mehr für die SPD sprechen?)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1623022900

Herr Kollege Grindel, da Sie gerade namens Ihrer

Fraktion ausgeführt haben, dass Sie Mehrstaatigkeit als
großes Problem betrachten, möchte ich Sie fragen: Ent-
spricht es erstens auch Ihrem Kenntnisstand, dass Mehr-
staatigkeit bei der Einbürgerung von Erwachsenen in-
zwischen in bis zu 50 Prozent der Fälle akzeptiert wird
und dass es zweitens ein Fakt ist, dass alle Kinder, die
aus binationalen Haushalten kommen, dauerhaft Mehr-
staater sind, ohne dass es irgendwo ablesbar zu Proble-
men kommt?

Wieso, Herr Kollege Grindel, ist es vor diesem Hin-
tergrund sinnvoll, dass wir Kinder, die aufgrund ihrer
Geburt in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft
erworben haben, möglicherweise im Alter von 23 Jahren
zwangsweise ausbürgern, obwohl die ganz überwie-
gende Zahl dieser jungen Menschen eine dauerhafte
Lebensperspektive in Deutschland hätte? Wieso soll das
integrationspolitisch sinnvoll sein? Ist das unter integra-
tionspolitischen Gesichtspunkten nicht, wie es meine
Fraktion beurteilt und wie es auch die Grünen beurteilen,
absolut kontraproduktiv?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1623023000

Meine Antwort auf Ihre erste Frage: Integrationspoli-

tisch verlangen wir von denjenigen, die die deutsche
Staatsbürgerschaft erhalten, zum Beispiel, dass sie
deutsch sprechen, wirtschaftlich integriert sind und in
der Vergangenheit nicht straffällig geworden sind.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist bei Babys aber ein bisschen schwierig!)


Das ist ein Zugeständnis an diejenigen, die hier geboren
und aufgewachsen sind. Mehr verlangen wir nicht. Das
Einzige, was wir verlangen, ist, dass sie sich entschei-
den, ob sie auf Dauer die deutsche Staatsangehörigkeit
haben wollen oder die ihrer Eltern. Erklären Sie mir ein-
mal, warum es in integrationspolitischer Hinsicht nicht
sehr sinnvoll ist, diese Entscheidung, die natürlich auch
ein Stück weit Bekenntnis zu unserem Land und zu einer
dauerhaften Perspektive in unserem Land ist, auch wei-
terhin zu verlangen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Zweite, Herr Edathy: Man muss Gleiches gleich
und Ungleiches ungleich behandeln. Es ist doch ein ge-
waltiger Unterschied, ob es um ein Kind aus einer bina-






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel

spiel um das Problem: Was ist eigentlich mit den Options-
pflichtigen – Herr Edathy, das ist eine weitere Fall- Zunächst zu Tagesordnungspunkt 12 a, Beschluss-
Land auf immer und ewig verlassen und deren Kinder,
die sie vor ihrem 23. Lebensjahr bekommen, sogar per
Abstammung deutsche Staatsbürger sind, obwohl sie mit
unserem Land möglicherweise nie etwas zu tun haben
werden? Das ist im Hinblick auf das Staatsbürger-
schaftsrecht ein Bruch mit unserer Rechtstradition.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 540;
davon

ja: 487
nein: 39
enthalten: 14

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, dem
UNMIS-Mandat: abgegebene Stimmen 542. Mit Ja ha-
ben gestimmt 487, Neinstimmen 39 und Enthaltungen
16. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen-Esser
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann

Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler


(Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
gruppe, die man in den Blick nehmen muss –, die unser empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
tionalen Ehe, in der ein Elter
jemanden aus der Europäisc
Mehrzahl der Fälle von Mehr
lich dadurch, dass Menschen
EU-Staaten stammen, heirate


(Josef Philip Winkler GRÜNEN]: Aha! So erk verlust!)


Insofern kann ich nur sagen
Menschen zum europäische
ob sie deutsche Eltern haben
zungen nicht gegeben sind.


(Sebastian Edathy [SPD Frage doch überhau Sie wissen ganz genau, d in den Fällen, in denen die N chen Staatsbürgerschaft nich nern, aus humanitären Gründ CDU und CSU haben in ih kündigt, die praktischen Erfa modell auszuwerten und mö seiner Umsetzung zu behebe nteil Deutscher ist, oder um hen Union geht. Die große staatigkeit entsteht schließ, die aus den verschiedenen n. [BÜNDNIS 90/DIE lärt sich Ihr Realitäts : Es ist etwas anderes, ob n Staatenverbund gehören, oder ob all diese Vorausset ]: Das hat mit meiner pt nichts zu tun!)


ass wir die Mehrstaatigkeit
iederlegung der ursprüngli-
t möglich ist, etwa bei Ira-
en hinnehmen.

ren Wahlprogrammen ange-
hrungen mit dem Options-
gliche Schwierigkeiten bei
n. Dabei geht es zum Bei-

(Josef Philip Winkler GRÜNEN]: Z Wir müssen prüfen, ob diese werden sollte, natürlich imm sungsrechtlich Zulässigen. Liebe Kolleginnen und Ko Einbürgerung steht am Ende gelungenen Integrationsproz rung hat so viel für die Integ desregierung in den letzten v Fördern und Fordern. Wir fo zu unserem Land. Deshalb pflicht bleiben. Herzlichen Dank fürs Zuh (Beifall bei de Vizepräsidentin Gerda H Bevor ich dem nächsten möchte ich Ihnen gerne das und Schriftführern ermittelte chen Abstimmungen zu d 12 a und 12 b mitteilen. [BÜNDNIS 90/DIE um Glück!)


Regelung nicht korrigiert
er im Rahmen des verfas-

llegen, es bleibt dabei: Die
und nicht am Anfang eines
esses. Keine Bundesregie-
ration getan wie diese Bun-
ier Jahren. Integration heißt
rdern ein klares Bekenntnis
muss es bei der Options-

ören.

r CDU/CSU)

asselfeldt:
Redner das Wort erteile,
von den Schriftführerinnen
Ergebnis der namentli-
en Tagesordnungspunkten






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter

Rolf Stöckel

Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan

Gudrun Kopp

Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl

Jerzy Montag

Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill

Oskar Lafontaine

Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Manfred Zöllmer

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen

Tagesordnungspunkt 12 b
Auswärtigen Ausschusses zu
gierung zur Fortsetzung de
deutscher Streitkräfte an der
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter

, Beschlussempfehlung des
dem Antrag der Bundesre-
r Beteiligung bewaffneter
AU/UN-Hybrid-Operation
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Willy Wimmer (Neuss)


SPD

Gregor Amann
Petra Hinz (Essen)


FDP

Dr. h. c. Jürgen Koppelin

DIE LINKE

Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann

in Darfur, also das UNAMID
men 531. Jastimmen 479, N
tungen 2.
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionslose
Abgeordnete

Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Wolf Bauer

FDP

Dr. Heinrich L. Kolb

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Dr. Hakki Keskin
Michael Leutert
Bodo Ramelow
Paul Schäfer (Köln)

Frank Spieth
Dr. Axel Troost

-Mandat: abgegebene Stim-
einstimmen 50 und Enthal-
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler

Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch

Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 530;
davon

ja: 478
nein: 50
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen-Esser
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler


(Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Manfred Zöllmer

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Willy Wimmer (Neuss)


SPD

Gregor Amann
Petra Hinz (Essen)


FDP

Dr. h. c. Jürgen Koppelin

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Grünen ab. Es hat keinen Sinn, ein Gesetz zu ändern, für
dessen Wirkung es noch keinerlei verwertbare Daten


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

gibt. Wir sollten die Wirkun
hinreichend lange beobachte
vor Ende der Legislaturperio
rumzuschrauben. Es ist sin
wie sich diese Regelung au
man rechtliche Anpassungsm

In Deutschland aufgewach
es nach Auffassung der Grün
Volljährigkeit für die deutsc
entscheiden. Die Grünen nen
tionszwang. Als linksideolo
Grünen mit der Wahlfreiheit,
g des bestehenden Rechts
n und evaluieren, statt kurz
de an der Gesetzgebung he-
nvoll, Erfahrungsberichte,
swirkt, abzuwarten, bevor
öglichkeiten prüft.

senen jungen Menschen ist
en nicht zumutbar, sich bei
he Staatsangehörigkeit zu

nen das – konsequent – Op-
gische Partei tun sich die
der Kompetenz des Indivi-
Integration in die deutsche
lingen, wenn man sich mit g
chen Pflichten wie die ander
sche Gesellschaft integriert.
erschwert die politische Int
chen,


(Hartmut Koschyk [CDU wenn Migranten mit Doppels tum verfallen, man könne gleichzeitig angehören. Migr dass genau dies nicht möglic sein noch ganz dort bleiben Gesellschaft kann nur geleichen Rechten und glei en Staatsbürger in die deut Doppelstaatsangehörigkeit egration in einigen Berei /CSU]: Sehr richtig!)


taatsangehörigkeit dem Irr-
politisch zwei Nationen
antenschicksale zeigen oft,
h ist: Wer weder ganz hier
will, ist – unabhängig vom
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte

Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)


Damit können wir die Debatte fortsetzen.

Nächster Redner ist der Kollege Hartfrid Wolff für die
FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt beginnt die Debatte erst!)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war

gut, Frau Präsidentin, dass Sie zwischendurch Ergeb-
nisse verlesen haben; ein bisschen Sachlichkeit tut der
Debatte gut.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann mal los, Herr Kollege!)


Die Grünen fordern die Abschaffung des Options-
modells. Die FDP hat dieses Modell seinerzeit vorge-
schlagen. Anders war es damals nicht möglich, die
Unionsparteien zu einer Öffnung des deutschen Staats-
angehörigkeitsrechts in Richtung des Jus Soli, also in
eine moderne Richtung, zu bewegen. Ideologische Ver-
bohrtheit auf beiden Seiten – wir haben eben ein Beispiel
dazu gehört –, war damals nicht anders aufzubrechen. Es
war ein entscheidender Erfolg der FDP, insbesondere
von Dr. Max Stadler, der damals die Verhandlungen
führte, dass wir hier weitergekommen sind.


(Beifall bei der FDP)


Aber nicht nur deshalb lehnen wir den Vorstoß der
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionslose
Abgeordnete

Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Wolf Bauer

FDP

Dr. Heinrich L. Kolb

duums, sich entscheiden zu dürfen, offenbar schwer,
Herr Winkler.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Ruhe jetzt mal!)


Anders als Kinder deutscher Eltern sollen die Betref-
fenden durch Doppelstaatsangehörigkeit privilegiert
werden. Warum diese Bevorzugung ausgerechnet mit ei-
nem Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz begründet
wird, gehört zu den Mysterien der Politik der Grünen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kläre ich gleich noch auf!)


Die Grünen meinen, dass Migranten emotionale Bin-
dungen an ihr Herkunftsland ausgerechnet in Form der
Staatsangehörigkeit beibehalten können sollen; deshalb
soll die deutsche Staatsangehörigkeit, quasi als An-
hängsel, zusätzlich möglich sein. Diese Stärkung von
emotionalen Bindungen an das Herkunftsland durch
doppelte Staatsangehörigkeit ist in einigen Bereichen
kontraproduktiv. Es ist bezeichnend, dass die Grünen
die Bindungen an das Zielland – Deutschland – konse-
quent vernachlässigen und allein an die Bindung an das
Herkunftsland der Eltern anknüpfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier sei nochmals darauf hingewiesen: Es geht um
die Staatsangehörigkeit, es geht nicht um die jeweilige
Kultur der Eltern und der Kinder.






(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

formalrechtlichen Status – nirgendwo als gleichberech-
tigter Mitbürger akzeptiert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!)


Die Grünen tun so, als ob Migration allein eine geo-
grafische Standortveränderung wäre.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „Migration“ denn übersetzt?)


Das ist gefährlicher Unfug. Jeder, der sich mit Migration
auseinandergesetzt hat, weiß, dass dazu mehr gehört, als
dass sich jemand einfach von A nach B bewegt.

Gerade im Hinblick auf individuelle Freiheitsrechte
wie die negative Religionsfreiheit, Emanzipation, Frau-
enrechte und demokratische Kultur würde ich mir wün-
schen, dass die Grünen ihre sonst so demonstrativ zur
Schau gestellte Fortschrittlichkeit gerade gegenüber dem
Migrantenmilieu nachdrücklich einforderten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lest doch unsere Beschlüsse dazu!)


Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen
der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls
die Akzeptanz von Migranten. Das ist sowohl für den
Erfolg der Integration als auch für etwaige weitere An-
passungen des Staatsangehörigkeitsrechts kontraproduk-
tiv. Diese sehen wir durchaus auch – gerade in Richtung
einer liberaleren Form der Staatsangehörigkeit.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Eine entsetzlich langweilige Rede! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das jetzt die Rückkehr zur Sachlichkeit ist: Wie sieht dann Polemik aus?)


Die Grünen haben die Diskussion der letzten fünf
Jahre zum Thema „Toleranz durch Wegschauen“ ver-
schlafen


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


und wollen blind den Weg forcieren, durch den die Inte-
grationsprobleme in Deutschland, aber auch in Frank-
reich und den Niederlanden sowie anderswo überhaupt
erst mit verursacht wurden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Wir brauchen mehr gesteuerte Zuwanderung und Of-
fenheit von beiden Seiten.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen auch mehr „Verwertbarkeit“!)


Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn, die Einhaltung der
Werte des Grundgesetzes ist ein Muss. Mit diesen Wer-
ten sollten wir für die deutsche Staatsangehörigkeit wer-
ben. Die Grünen und auch die Linken ergehen sich in ih-
ren Anträgen hingegen stets in Vorschlägen dafür, wie
die deutsche Staatsangehörigkeit immer leichter erwor-
ben werden können soll. Die deutsche Staatsangehörig-
keit soll billiger gemacht und damit entwertet werden.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das stimmt doch gar nicht, Herr Kollege!)


Dies läuft einem wichtigen Teil einiger Integrations-
bemühungen zuwider. Die FDP lehnt diesen Antrag des-
halb ab.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war zu 100 Prozent sachlich! Das hat man gemerkt!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623023100

Nächster Redner ist der Kollege Rüdiger Veit für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber nicht noch einmal so etwas!)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1623023200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vielleicht darf man die zeitlichen Abläufe und
historischen Wahrheiten wieder ein bisschen gerade-
rücken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war die rot-grüne Mehrheit damals im Bundestag,
die sich Ende des Jahres 1998 und weiter im Jahre 1999
aufgemacht hat,


(Dirk Niebel [FDP]: Wer hat es vorgeschlagen?)


dieses Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahre 1913,
das voll von wilhelminischem Zeitgeist, von völkischem
Gedankengut war, endlich zu entrümpeln und dahin ge-
hend europatauglich zu verändern, dass wir zum Jus Soli
gekommen sind, nach dem Motto: Wer hier als Kind von
ausländischen Eltern geboren wird, die sich hier langjäh-
rig rechtsmäßig aufhalten, der hat kraft Geburt auch die
deutsche Staatsbürgerschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Eine historische Leistung!)


Herr Kollege Grindel, es war nicht diese Bundes-
regierung – auch nicht die jetzige Mehrheit der Großen
Koalition –, die am meisten für Integration getan hat,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ach! – Sebastian Edathy [SPD]: So ist es!)


sondern es waren wiederum die damalige rot-grüne
Parlamentsmehrheit und die Regierung, die die Voraus-
setzungen für die Integrationskurse kraft Gesetzes über-
haupt erst geschaffen und die entsprechenden Haushalts-
mittel bereitgestellt haben.






(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eine glatte Fehleinschätzung! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] gewandt: Nein, so ist es!)


– Herr Kollege Kauder, wenn Sie so freundlich sind, ein-
mal die damaligen Haushaltsmittel mit den heutigen zu
vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass ich recht
habe.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Abgeflossene Mittel! Die sind jetzt höher! Und nicht das, was im Haushalt steht!)


Herr Kollege Grindel, ich komme jetzt einmal zu der
Frage, wie es mit den Integrationsbemühungen gerade in
Ihrer Fraktion weitergegangen ist. Nun war ich nach
dem Motto „Wer weiß, wozu es gut ist, wenn einen
Schicksalsschläge ereilen“ in der Großen Koalition ganz
froh darüber, dass wenigstens einige in der Union – übri-
gens auch Sie – ein bisschen vom Saulus zum Paulus ge-
worden sind und die Integration mit vorangetrieben ha-
ben.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Was?)


Nachdem ich Ihren heutigen Redebeitrag gehört habe,
muss ich leider sagen, dass das ein annähernd fieberhaf-
ter, anfallsartiger Rückfall in frühere Gedankenvorstel-
lungen war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: „Fieber“ ist gut! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das im Paulusjahr! Schlecht!)


Ich finde das übrigens nicht lustig und auch nicht be-
grüßenswert, weil ich gehofft habe, dass wir in all den
Jahren ein bisschen weiterkommen und dass angesichts
von Wahlkämpfen nicht mehr versucht wird, Politik zu-
lasten von Migrantinnen und Migranten zu machen.
Dazu komme ich gleich noch einmal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Wolff, damit auch das klar wird: Es wa-
ren nicht Sie, die uns damals sozusagen die CDU zuge-
führt haben, damit sie dem Gesetz freundlicherweise zu-
stimmt, sondern Sie waren es, deretwegen wir unseren
ursprünglichen Gesetzentwurf ändern mussten.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Brüderle!)


Wegen Rheinland-Pfalz und der Zustimmungsbedürftig-
keit durch dieses Bundesland – die damalige Koalition
dort bestand aus Sozialdemokraten und Freien Demokra-
ten – mussten wir den Optionszwang mit in das Gesetz
aufnehmen.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sie sind vernünftig geworden! Das ist doch okay!)

Wir haben das damals sehr ungern getan. Wir waren kei-
neswegs überzeugt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und haben geahnt, dass es verwaltungsrechtliche Pro-
bleme und selbstverständlich auch Probleme für die Be-
troffenen selbst geben würde.

In der damaligen Debatte haben alle unsere Redner
– zum Beispiel Otto Schily und vor allen Dingen
Michael Bürsch –, aber auch alle Redner der Grünen
– ich habe das in den Protokollen sicherheitshalber noch
einmal nachgeschaut: Kerstin Müller, Marieluise Beck,
Claudia Roth und Cem Özdemir – gesagt: Wir mussten
das leider so machen, weil wir sonst diesen historischen
Schritt bei der Veränderung des Staatsangehörigkeits-
rechts überhaupt nicht hätten gehen können.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig! Genau so war es!)


Deswegen sagen wir auch heute: Eigentlich gehört die-
ses Optionsmodell ersatzlos aufgehoben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Seien Sie doch froh!)


Eine entsprechend klare Aussage ist auch in unserem
Wahlprogramm enthalten.

Wir machen uns jetzt auf den Weg, dafür die entspre-
chenden Mehrheiten zu gewinnen. Leider reicht es nicht
aus, im Bundestag Mehrheiten zu haben; auch hier sind
wir auf den Bundesrat angewiesen. Allein das macht
deutlich: Auch wenn wir wegen des gemeinsamen Ge-
dankens möglicherweise bereit wären, die vom vorzeiti-
gen Zerfall bedrohte Koalition tatsächlich loszuwerden,
indem wir dem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen,
würde dies – das ist der entscheidende Punkt – in der Sa-
che nichts mehr nützen.

Noch einmal: Worum geht es eigentlich? Damals ha-
ben wir mit dieser Regelung erreicht, dass bis heute un-
gefähr 300 000 Kinder ausländischer Eltern deutsche
Staatsbürger sind und zugleich die Staatsbürgerschaft ei-
nes Elternteils besitzen. In ungefähr 40 000 Fällen wurde
erfolgreich davon Gebrauch gemacht – der Antrag
musste bis Ende des Jahres 2000 gestellt sein –, für ein
Kind unter zehn Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft
zu beantragen. Die Kinder in dieser Fallkonstellation in
der Zahl von ungefähr 3 000 im letzten Jahr sind jetzt
18 Jahre alt geworden. Die Betroffenen müssen sich
zwischen der deutschen Staatsbürgerschaft und der ihrer
Eltern entscheiden. Ich finde es fast zynisch, wenn dann
der Kollege Grindel sagt: Wir verlangen von ihnen doch
gar nicht mehr, als sich von der Staatsangehörigkeit ihrer
Eltern loszusagen; das ist doch das Mindeste, was sie tun
müssen, um ihren Integrationserfolg unter Beweis zu
stellen. – Wir reden hier nämlich über in Deutschland
geborene, hier aufgewachsene, integrierte Kinder, die in
erster Linie Deutsche sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Rüdiger Veit LINKEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche Kinder! Sehr richtig! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dann müssen die Eltern ja nichts dagegen haben!)





(A) (C)


(B) (D)


Wir bringen diese Kinder in einen Konflikt mit ihren Fa-
milien, mit der Kultur ihrer Eltern, wenn wir sie zwin-
gen, die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern abzulehnen und
abzulegen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wieso das denn?)


Diese „Quälerei“ – Kollege Wiefelspütz bezeichnete es
in der Frankfurter Rundschau vom 24. Juni richtiger-
weise als „bürokratisches Monstrum, das Menschen
quält“ – ist eigentlich längst abzuschaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dafür werden wir uns einsetzen.

Herr Kollege Grindel, liebe Kollegen von der CDU/
CSU, nachdem Sie grundsätzliche Ausführungen dazu
gemacht haben, wie verderblich eine doppelte Staatsbür-
gerschaft ist, kann ich es Ihnen leider nicht ersparen, da-
ran zu erinnern, wie sich damals, bevor wir 1998 im
Bundestag eine Mehrheit von Rot-Grün erreicht haben,
das geltende Recht in der Realität dargestellt hat. Wer
auch immer die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben
wollte – vorzugsweise türkische Staatsbürger –, ging
zum Konsulat oder zur Botschaft seines Herkunftslandes
und sagte dort: Ich will Deutscher werden und nicht
mehr Türke sein. Dann wurde gesagt: Jawohl, das ist
kein Problem; tu uns und dir selber doch den Gefallen,
wiederzukommen und auch die türkische Staatsbürger-
schaft zu erlangen, sobald du die deutsche Staatsbürger-
schaft hast.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist völkerrechtswidrig!)


Das war die Realität. Ich persönlich kenne keinen ein-
zigen Menschen türkischer Abstammung, der nicht auf
diesem Wege die doppelte Staatsbürgerschaft erlangt
hat. Es war kein anderer als Bundeskanzler Kohl, der da-
mals seinem türkischen Amtskollegen gesagt hat: Tun
Sie mir doch bitte den Gefallen und sorgen Sie dafür,
dass die türkischen Konsulate und Botschaften in
Deutschland nicht offensiv dafür werben, dass die Be-
troffenen, nachdem sie in Deutschland eingebürgert wor-
den sind, die türkische Staatsbürgerschaft wiedererlan-
gen können. – Es war kein anderer als Bundeskanzler
Kohl, der unter damals geltendem Recht die Türkei ge-
beten hat, eine andere Praxis zu verfolgen. Es war also
ein bisschen verlogen, dass Sie gesagt haben: Das, was
Rot-Grün macht, ist ganz schrecklich.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wieso das?)


Kollege Edathy hat es schon gesagt: Mehr als
50 Prozent haben in der Vergangenheit eine doppelte
Staatsbürgerschaft erworben; sie werden es auch in Zu-
kunft tun. Das erlaubt das Gesetz, das wir gemacht ha-
ben. Daher kann niemand verstehen, warum man das
verteufelt. Wenn wir aber schon über die Frage der
Wahrhaftigkeit reden, möchte ich an dieser Stelle auf
Folgendes aufmerksam machen: Im Dezember 1998 hat
der damalige Kandidat für das Amt des hessischen Mi-
nisterpräsidenten, Roland Koch, als aufgrund der Umfra-
gen ziemlich sicher war, dass er niemals Ministerpräsi-
dent wird, eine Werbeagentur beauftragt und sie gefragt,
was er jetzt machen könne.


(Dirk Niebel [FDP]: Das war der Ministerpräsident, der gegen Ypsilanti gewonnen hat!)


Sie kamen dann auf die Idee, die Doppelpasskampagne
zu starten. So wurde das damals gemacht. Das war der
Hintergrund.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ypsilanti!)


Das war nicht nur in besonderer Weise verlogen vor dem
Hintergrund der rechtlichen Realität der betreffenden
Menschen, sondern auch ausländerfeindlich und ist da-
her abzulehnen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ypsilanti! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war schäbig! Das war ausländerfeindlich!)


Wir, die damaligen Mehrheiten im Deutschen Bun-
destag, haben keine Veranlassung, unsere Auffassung,
die wir hier mehrfach dargelegt haben, jetzt zu wechseln.
Wir ringen für andere Mehrheiten, um entsprechende
Gesetzesänderungen vorzunehmen. Jetzt in den letzten
paar Sitzungstagen des Parlaments noch etwas auf Initia-
tive von Bündnis 90/Die Grünen loszutreten, macht kei-
nen Sinn – ich bitte sehr um Verständnis –,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja nicht erst heute eingebracht!)


weil das Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislatur-
periode nicht mehr abgeschlossen werden kann und weil
wir vor allen Dingen bei der jetzigen Besetzung auch
niemals in der Lage sein werden, die Zustimmung im
Bundesrat zu erhalten.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses!)


Deswegen ist das leider, Herr Kollege Winkler, derzeit
eine ziemlich nutzlose Übung.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir könnten heute die zweite und dritte Beratung durchführen! Selbstverständlich!)


Es mag zwar Spaß machen, auf den letzten Metern die-
ser Koalition selbige vielleicht noch einmal im Abgang
zu stellen. Aber wir können uns dieser Lust und Laune
leider nicht ergeben, sondern bleiben bis zum Schluss
dabei.

Danke sehr.






(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit

(Beifall bei der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: War das jetzt die letzte Rede von Herrn Veit im Bundestag? Hört er auf? Nein? Schade!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623023300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen

für die Fraktion Die Linke.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623023400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren!

Alle Deutschen dürfen mit der Vollendung des
18. Lebensjahres wählen – und manche werden zu
einer Wahl gezwungen: Sie sind in Deutschland ge-
boren und aufgewachsen. Sie leben als Deutsche in
Deutschland. Doch im Unterschied zu ihren gleich-
altrigen Landsleuten müssen sie sich für oder gegen
die Staatsangehörigkeit ihres Landes entscheiden:
Zehntausende junge Erwachsene fallen in den kom-
menden Jahren unter den Optionszwang

– wie richtigerweise schon dargestellt wurde –

des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes. Sie sind
Deutsche auf Abruf – bis zum Widerruf …

In den kommenden Jahren werden Tausende, ab
2018 Zehntausende von jungen Menschen, die in
Deutschland geboren, als Deutsche aufgewachsen
sind und hier arbeiten, wählen und leben, von Amts
wegen aufgefordert, sich für eine ihrer Staatsange-
hörigkeiten zu entscheiden …

Der bürokratische Aufwand ist enorm, komplizierte
Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsverfahren sind
vorprogrammiert und das integrationspolitische Si-
gnal ist fatal: Ihr gehört nicht ganz, nicht auf Dauer
und nicht so wie andere dazu, ihr seid Deutsche auf
Abruf. Wir wollen und dürfen aber diese jungen
Menschen mit ihren zahlreichen Talenten nicht ver-
lieren. Weil sie zu uns gehören. Und wir zu ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das war ein Zitat aus einem Aufruf, der letzte Woche
vorgestellt worden ist. Zu den Unterzeichnern gehören
die ehemaligen Ausländerbeauftragten der Bundesregie-
rung Cornelia Schmalz-Jacobsen – ja, die FDP hatte mal
bessere Zeiten –, Dr. Liselotte Funcke und Marieluise
Beck sowie die Vorsitzende des Paritätischen Gesamt-
verbandes, der Präsident des Deutschen Kinderhilfswer-
kes, der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD,
der Vorsitzende des Bundesvorstandes der Arbeiterwohl-
fahrt und die Präsidentin des Deutschen Bundestages
a. D., Frau Professor Dr. Rita Süssmuth.

Ich finde, es ist an der Zeit, den Optionszwang abzu-
schaffen. Deshalb unterstützen wir selbstverständlich
den Gesetzentwurf der Grünen.

Ich möchte noch eines hinzufügen. Herr Veit, Sie ha-
ben den Grünen vorgeworfen, dass man das Ganze nicht
so kurzfristig bewerkstelligen könne. Ich möchte aber an
dieser Stelle daran erinnern, dass wir am 10. Dezember
2007 eine Anhörung im Innenausschuss zum Einbürge-
rungsrecht durchgeführt haben, in der sich alle Sachver-
ständigen – auch die der CDU/CSU und der FDP – dafür
ausgesprochen haben, die Optionspflicht abzuschaffen,
weil sie weltweit ein Unikat ist.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


– Es gibt sie nirgendwo anders.

Daraufhin haben wir im Mai 2008 einen Antrag ein-
gebracht, über den im November 2008 abgestimmt
wurde. Also hätten Sie die Gelegenheit gehabt, unserem
Antrag zuzustimmen, wenn Sie denn wirklich für die
Abschaffung der Optionspflicht waren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Da unser Antrag vor gut einem halben Jahr mit den
Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP im Plenum des
Deutschen Bundestages abgelehnt wurde, muss der vor-
liegende Gesetzentwurf der Grünen als überflüssiges
Wahlkampftheater gedeutet werden.


(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?)


Denn das heutige Abstimmungsergebnis wird dem vor
einem halben Jahr entsprechen. Die Argumente sind aus-
getauscht. Sie haben alle gehört.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Ich habe doch noch gar nichts gesagt!)


Bei der Problembeschreibung fehlt Folgendes: Das
Hohelied auf die rot-grüne Regierungszeit wurde unter
anderem vom Kollegen Veit – der Gesetzentwurf lässt
vermuten, dass das auch der Kollege Winkler tun wird –
schon gesungen. Es zeigt sich aber, dass es einen ent-
scheidenden Mangel gab, nämlich den Optionszwang.
Ja, Sie haben recht: Die Aufnahme von Elementen des
Jus Soli in das Staatsangehörigkeitsgesetz im Jahr 2000
war überfällig. Aber die Novellierung des Staatsangehö-
rigkeitsgesetzes im Jahr 2000 ging auch mit Gesetzes-
verschärfungen einher. Die Erhöhung der Gebühren, die
Sprachanforderungen und der Wegfall der Inlandsklau-
sel, all das hat mittelfristig dazu geführt, dass die Zahl
der Einbürgerungen zurückgegangen ist, und zwar nicht
wegen der Optionspflicht, sondern wegen Ihrer Ver-
schärfung der Einbürgerungskriterien. Deshalb sollte
man auch die rot-grüne Regierungszeit kritisch sehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


An die Adresse der FDP gerichtet: Es fällt mir nichts
mehr ein. Sie hatten schon liberalere Zeiten. Sie hatten
Leute wie Cornelia Schmalz-Jacobsen, die den Aufruf
zur Abschaffung des Optionszwangs unterzeichnet hat.
Da die Bundesregierung bis heute einen integrationspoli-
tischen Diskurs betreibt – genauso wie in den letzten
Jahren –, der sich als verkappter Rassismus erweist –


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt ist es aber gut!)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623023500

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623023600

– Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss –, frage

ich mich, wie man mit dem Vorurteil weitermachen
kann, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit Vorteile
bietet; das finde ich unerhört. Wir haben das 1999, als
ein rassistischer Wahlkampf geführt wurde, bemerkt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623023700

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623023800

Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Grünen selbst-

verständlich zu. Ich hoffe, dass er eine Mehrheit im Bun-
destag findet.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623023900

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Josef Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ich will eingangs etwas zu den Vorred-
nern sagen; das ist der Vorteil, wenn man der letzte Red-
ner ist.

An den Kollegen Grindel gerichtet: Sie haben ein
flammendes Plädoyer für eine Willkommenskultur à la
Unionsfraktion gehalten. Sie haben sich dazu verstiegen,
zu sagen, diejenigen, die eine doppelte Staatsbürger-
schaft hätten, seien gegenüber denjenigen, die nur
deutsch seien, besonders privilegiert, weil sie das Recht
hätten, sich aus diesem Land zu verabschieden. Das war
meiner Meinung nach völlig daneben und an Peinlich-
keit nicht zu überbieten. Das entspricht erst recht keiner
Willkommenskultur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, zu
dem, was der Kollege Wolff eben abgezogen hat:


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede!)


Die FDP soll angeblich eine liberale, weltoffene Partei
sein. Was Sie hier gemacht haben, war nichts anderes als
national-liberales Volkstheater,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: So ein Unsinn! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Mensch, Josef, hast du was genommen?)


und dies vor dem Hintergrund, dass sich Ihre ehemaligen
Integrationsbeauftragten Liselotte Funcke und Cornelia
Schmalz-Jacobsen gemeinsam mit unserer Integrations-
beauftragten der rot-grünen Bundesregierung,
Marieluise Beck, in der vergangenen Woche öffentlich
für die sofortige Abschaffung des Optionszwangs ausge-
sprochen haben. Das ist an Peinlichkeit für die FDP
wirklich nicht mehr zu überbieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD], an die FDP gewandt: Eine Schande ist das! Schämen Sie sich!)


Die größte anzunehmende Lücke in der Integrations-
politik fehlt auch heute wieder, nämlich die Integrations-
beauftragte der Bundesregierung.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist eine Blamage! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist sie denn?)


Nicht nur, dass sie das Anliegen nicht unterstützt. Sie ist
nicht einmal da. Alle ihre Amtsvorgängerinnen unter-
schreiben den Aufruf, nehmen sich Zeit, erarbeiten Pa-
piere und erheben politische Forderungen. Aber die Ein-
zige, die nicht im Hause ist, wenn über diese Themen
debattiert wird, ist Frau Staatsministerin Professor
Böhmer. Herr Kollege Grindel, da nutzt es auch nichts,
wenn sie feierliche Zeremonien mit 30 Mann im Kanz-
leramt macht. Hier im Deutschen Bundestag muss die
Integrationsbeauftragte Rechenschaft über ihre Arbeit
ablegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie sitzt am runden Tisch!)


Weil Sie, Herr Kollege Wolff, nicht verstanden haben,
dass es hier auch um Gleichberechtigung geht, will ich
es Ihnen jetzt erklären. Es widerspricht unserer Auffas-
sung nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung, wenn
einige Kinder, die deutsch sind, dem Optionszwang un-
terliegen und quasi „Deutsche light“ – auf Probe – sind,
während andere Kinder, die einen deutschen Pass haben,
diesem Zwang nicht unterliegen.

Ein Beispiel: Nuri und Elif, zwei Jugendliche, die in
Deutschland geboren sind. Sie haben wie ihre Klassen-
kameraden im Gymnasium einen deutschen Pass – und
eben auch den türkischen. Kurz nach ihrem
18. Geburtstag erreicht Elif ein überaus kompliziert ver-
fasstes Schreiben der Einbürgerungsbehörde, das sie vor
eine Wahl der ganz besonderen Art stellt. Wenn sie nicht
erkläre, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit behal-
ten wolle und diejenige ihrer Eltern aufgebe, werde sie
die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verlieren.
Nuri hingegen hat ein solches Schreiben nicht bekom-
men, weil sich seine Eltern inzwischen haben einbürgern






(A) (C)



(B) (D)


Josef Philip Winkler
lassen und es deswegen hingenommen wird, dass er sei-
nen türkischen Pass behält. Wie soll man diesen integra-
tionspolitischen Unsinn den jungen Leuten in diesem
Land auch nur im Ansatz erklären?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Im Übrigen, an die Kollegen von der FDP gerichtet:
In der Anhörung, die wir dazu im Gesetzgebungsverfah-
ren hatten, waren es nur die Sachverständigen von der
Union, die sich gegen die sofortige Streichung des Op-
tionszwangs ausgesprochen haben. Sogar Ihre eigenen
Sachverständigen sind da offensichtlich anderer Auffas-
sung als Sie. Jetzt gilt es, Flagge zu zeigen.

Das sage ich, Herr Kollege Veit, auch in Ihre Rich-
tung: Ihr Märtyrertum nimmt mich zwar seit Jahren mit,
aber wer über Gesetzentwürfe oder über Anträge ab-
stimmt, die für die gute Sache sind, der sollte kein Mär-
tyrertum für sich in Anspruch nehmen, sondern er sollte
sich überlegen, was er jetzt bei der Abstimmung tut.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623024000

Bevor wir zur Abstimmung kommen, hat der Kollege

Dr. Keskin zu einer Kurzintervention das Wort.


Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623024100

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Josef Winkler, die-

sen Entwurf eines Gesetzes zur Streichung des Options-
zwangs begrüße ich sehr. Er bestätigt aber die Tatsache,
dass von der rot-grünen Koalition seinerzeit ganz offen-
sichtlich substanzielle Fehler im Gesetz gemacht worden
sind.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Veit in aller Ausführlichkeit erklärt! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bundesrat!)


– Moment, Moment! – Es ist auch zu begrüßen, dass Sie
diese Fehler sehen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben wir von Anfang an gesehen!)


Diese Fehler führen leider Gottes dazu, dass sich die
Einbürgerungszahlen, seit dieses Gesetz in Kraft getre-
ten ist, nahezu halbiert haben. Ich hoffe, dass Sie mir in
diesem Sinne recht geben und dass diese Fehler in naher
Zukunft entsprechend korrigiert werden, und zwar so-
wohl von der SPD als auch von den Grünen.

Danke sehr.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623024200

Herr Kollege Winkler, bitte.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Werter Kollege Keskin, der historische Abriss, wie
das Gesetz entstand, wurde in der Debatte vom Kollegen
Veit etwas genauer dargelegt, als es der Kollege Grindel
gemacht hat. Insofern will ich das nicht wiederholen.

Ich will nur sagen: Es ist zu bedauern, dass die Ein-
bürgerungszahlen auf einem Tiefstand angekommen
sind. Das liegt aber nicht an den Fehlern des rot-grünen
Staatsbürgerschaftsrechts, sondern das liegt daran, was
die jetzige Bundesregierung – an der Spitze wäre gern
die Integrationsbeauftragte, nur fehlt sie immer bei den
integrationspolitischen Debatten – im Staatsbürger-
schaftsrecht geändert hat. Ich stimme zu, dass das zu be-
klagen ist, aber ich bitte, die Schuldzuweisung an die zu
richten, die in den letzten Jahren hier die Verantwortung
getragen haben. Das sind die Unionsfraktion und die
SPD-Fraktion und die zuständige Beauftragte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann nur noch einmal sagen: Es war im Bundesrat
ein Kompromiss, sogar ein schmerzlicher Kompromiss,
weil wir wussten, dass diese Optionsregel irgendwann
geändert werden muss und dass es schwierig werden
würde. Was einmal im Gesetzbuch steht, ist nicht wieder
so schnell herauszubekommen. Aber hätten Sie mir poli-
tisch wirklich empfehlen wollen, dass es bei der alten
Regelung im Staatsbürgerrecht bleibt, dass die Kinder,
die in Deutschland geboren sind, nicht Deutsche sind,
sondern dass das Ganze nach dem Blutsrecht wie seit
1913 geregelt wird? Das war keine Alternative für uns.
Da mussten wir diese Kröte schlucken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1623024300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsange-
hörigkeitsrecht. Mir liegt eine Erklärung zur Abstim-
mung nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegin
Frau Laurischk vor.1) Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13556,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/12849 abzuleh-
nen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Ver-
langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführer, die Plätze an den Urnen
einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? –
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führer, auszuzählen. Das Ergebnis wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)

1) Anlage 9
2) Ergebnis Seite 25786 D






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wir setzen die Beratungen fort. Ich darf diejenigen,
die den weiteren Beratungen folgen wollen, bitten, Platz
zu nehmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623024400

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit 2009

und

Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksache 16/12900 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Marion Seib,
Stefan Müller (Erlangen), Michael Kretschmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten René Röspel,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Nanotechnologie – Gezielte Forschungsför-
derung für zukunftsträchtige Innovationen
und Wachstumsfelder

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Nanotechnologie für die Gesellschaft
nutzen – Risiken vermeiden

– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nanotechnologie-Bericht vorlegen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Hans-Josef Fell, Birgitt Bender,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nanotechnologie – Forschung verstärken
und Vorsorgeprinzip anwenden

– Drucksachen 16/12695, 16/7276, 16/4757,
16/7115, 16/13593 –

Berichterstattung:
Abgeodnete Marion Seib
René Röspel
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Priska Hinz (Herborn)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu

(Herborn)

rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Innovationskraft von kleinen und mittleren
Unternehmen durch steuerliche Förderung ge-
zielt stärken

– Drucksachen 16/12894, 16/13646 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Kolbe

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Monika Knoche, Heike Hänsel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Öffentlich finanzierte Pharmainnovationen
zur wirksamen Bekämpfung von vernach-
lässigten Krankheiten in den Entwicklungs-
ländern einsetzen

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Mitteilung der Kommission an das Europäi-
sche Parlament und den Rat zum Fort-
schrittsbericht über das Programm „Part-
nerschaft Europas und der
Entwicklungsländer im Bereich klinischer

(inkl. 15521/08 ADD 1 und 15521/ 08 ADD 2)

KOM(2008) 688 endg.; Ratsdok. 15521/08

– Drucksachen 16/12291, 16/11517 A.35, 16/13595 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Kretschmer
René Röspel
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Priska Hinz (Herborn)


e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Angelika Brunkhorst, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Nanotechnologien — Schlüssel zur Stär-
kung der technologischen Leistungskraft
Deutschlands

– Drucksache 16/13450 —

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Es handelt
sich um die Reden der folgenden Kolleginnen und Kol-
legen: Marion Seib, CDU/CSU, René Röspel, SPD,






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Cornelia Pieper, FDP, Dr. Petra Sitte, Die Linke, Priska
Hinz, Bündnis 90/Die Grünen und des Parlamentari-
schen Staatssekretärs Thomas Rachel für die Bundesre-
gierung.1)

Tagesordnungspunkt 14 a. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/12900 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 14 b. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache
16/13593. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck-
sache 16/12695 mit dem Titel „Nanotechnologie – Ge-
zielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Inno-
vationen und Wachstumsfelder“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der FDP-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7276 mit dem Titel „Na-
notechnologie für die Gesellschaft nutzen – Risiken ver-
meiden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen der Linken und bei Enthaltung von
FDP und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4757
mit dem Titel „Nanotechnologie-Bericht vorlegen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP
gegen die Stimmen von der Linken und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7115
mit dem Titel „Nanotechnologie – Forschung verstärken
und Vorsorgeprinzip anwenden“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion und der Linken angenommen.

Tagesordnungspunkt 14 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Innovationskraft von kleinen
und mittleren Unternehmen durch steuerliche Förderung
gezielt stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13646, den

1) Anlage 10
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/12894 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 14 d. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung zum Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Öffentlich finanzierte Pharmainnovationen
zur wirksamen Bekämpfung von vernachlässigten
Krankheiten in den Entwicklungsländern einsetzen“.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13595, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12291 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP gegen die Stimmen von der Linken und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung hat in seine Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13595 die Unterrichtung durch die
Bundesregierung über eine Mitteilung der Kommission
an das Europäische Parlament und den Rat zum Fort-
schrittsbericht über das Programm „Partnerschaft Euro-
pas und der Entwicklungsländer im Bereich klinischer
Studien“ einbezogen. Zu dieser Vorlage soll jetzt eben-
falls ein Beschluss gefasst werden. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13595 empfiehlt
der Ausschuss, in Kenntnis der Mitteilung der Kommis-
sion an das Europäische Parlament und den Rat zum
Fortschrittsbericht über das Programm „Partnerschaft
Europas und der Entwicklungsländer im Bereich klini-
scher Studien“ eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Linken angenommen.

Tagesordnungspunkt 14 e. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13450 mit
dem Titel „Die Nanotechnologien – Schlüssel zur Stär-
kung der technologischen Leistungskraft Deutschlands“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller Frak-
tionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr

(Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad

Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Moratorium für die elektronische Gesund-
heitskarte

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt
Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung bei der Einführung der elektronischen
Gesundheitskarte gewährleisten

– Drucksachen 16/11245, 16/12289, 16/13650 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rolf Koschorrek

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu nehmen. Findet das Ihre Zustimmung? –
Das ist der Fall. Es handelt sich um die Reden der Kol-
leginnen und Kollegen Dr. Rolf Koschorrek, CDU/CSU,
Eike Hovermann, SPD, Dr. Konrad Schily, FDP, Frank
Spieth, Die Linke, Birgitt Bender, Bündnis 90/
Die Grünen, und der Parlamentarischen Staatssekretärin
Marion Caspers-Merk für die Bundesregierung.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf
Drucksache 16/13650. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11245
mit dem Titel „Moratorium für die elektronische Ge-
sundheitskarte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von FDP und den Lin-
ken angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12289
mit dem Titel „Das Recht auf informationelle Selbstbe-
stimmung bei der Einführung der elektronischen Ge-
sundheitskarte gewährleisten“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung von FDP und Linken ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erleichterung elektronischer Anmeldun-
gen zum Vereinsregister und anderer vereins-
rechtlicher Änderungen

– Drucksache 16/12813 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13542 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Carl-Christian Dressel

1) Anlage 11
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Hans-Christian Ströbele

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
grenzung der Haftung von ehrenamtlich täti-
gen Vereinsvorständen

– Drucksache 16/10120 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13537 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Daniela Raab
Dr. Peter Danckert
Joachim Stünker
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Hans-Christian Ströbele

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
tem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär
Alfred Hartenbach das Wort.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1623024500


Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben in Deutschland ein bürger-
schaftliches Engagement, das sich sehen lassen kann. Es
findet vor allen Dingen in Vereinen und Verbänden, aber
auch in Stiftungen seinen Ausdruck. Unser Vereinsrecht
bietet sowohl den Vereinen als auch den Stiftungen eine
gute rechtliche Basis, und es bietet auch einen guten
rechtlichen Rahmen. Allerdings haben wir in der Ver-
gangenheit festgestellt, dass man das noch verbessern
kann.

Gerade kleine Vereine, die stärker von bürgerschaftli-
chem Engagement getragen werden als große Vereine,
haben Mühe, ihre Vorstände, jedenfalls diejenigen, die
Verantwortung zu tragen haben, ordentlich zu besetzen.
Das liegt vor allen Dingen daran, dass viele mittlerweile
fürchten, dass sie in die Haftung genommen werden und
aufgrund dieser Haftung möglicherweise an ihr eigenes
Vermögen oder das Vermögen ihrer Firma gehen müs-
sen. Ich persönlich habe mich lange um eine Lösung be-
müht, aber es war etwas schwierig, dies – ich sage das
deutlich – im Inneren des Hauses zu vermitteln.

Zum Glück kam ein Gesetzentwurf des Bundesrates.
Das Bundesministerium der Justiz hat sich zunächst ab-
wartend verhalten. Aber man kann im Laufe einer Bera-
tung klüger werden. Man kann im Laufe einer Beratung
auch noch etwas verbessern. So habe ich viele Gesprä-
che mit Vereinsvorständen und Vereinsmitgliedern in
meinem Wahlkreis geführt. Wir hatten dann bei uns im
Bundesministerium der Justiz eine Besprechung mit Ab-
geordneten der Koalition – Herr Ströbele wird mich






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach

lässigkeit – also nicht mehr für einfache Fahrlässigkeit –
gegenüber ihrem Verein haften. Sie können sich durch

GRÜNEN]: Ach, deswegen müssen wir um
Mitternacht noch hier sitzen!)
lassen.

Ich halte das für einen guten und richtigen Weg; denn
so können wir unseren Freunden in den Sportvereinen,
in anderen Vereinen, vor allen Dingen auch in sozialen
Vereinen und Stiftungen anbieten: Ihr könnt euch wieder
engagieren, ohne dass ihr um euer Vermögen fürchten
müsst.


(Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nur die FDP klatscht!)


Wir haben einen weiteren Gesetzentwurf eingebracht,
in welchem die elektronische Anmeldung zum Vereins-
register ermöglicht werden soll. Wir wissen, dass viele,
auch kleine, Sportvereine bereits am Netz sind und die-
ses Angebot sehr gerne annehmen würden. Nur: Bisher
geht es noch nicht. Im Gesetzentwurf bieten wir das an.

Wir bieten den Ländern – das ist sehr wichtig – Fol-
gendes an: Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt und mög-
lichst viele von der elektronischen Anmeldung zum Ver-
einsregister Gebrauch machen, soll im Land ein
Internetportal angeboten werden, wo man das Vereinsre-
gister ebenso abfragen kann wie das Handelsregister.
Das ist eine einfache, saubere und klare Lösung.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU] – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wieder klatscht fast nur die FDP!)


Warum rede ich hier? Ich hatte einmal einen väterli-
chen Freund in der hessischen SPD, mittlerweile ein al-

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 524;
davon

ja: 93
nein: 429
enthalten: 2

Ja

SPD

Dr. Lale Akgün

Angelika Graf (Rosenheim)

Dr. Reinhold Hemker
Johannes Jung (Karlsruhe)

Mechthild Rawert
Dr. Wolfgang Wodarg

FDP

Sibylle Laurischk

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Das Justizministerium hat ein Übriges getan. Wir
möchten, dass Vereinsarbeit leichter wird, dass die Men-
schen in den Vereinen Hilfen bekommen. So haben wir
einen Leitfaden zum Vereinsrecht herausgegeben. Seit
heute kann man ihn bei uns bestellen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ich hätte ihn auch gerne!)


Man kann ihn auch im Internet bestellen. In diesem Leit-
faden finden Sie alles: von der Gründung des Vereins
über den täglichen Betrieb bis hin zur „Beerdigung“ des
Vereins. So weit soll es aber nicht kommen. Deswegen
gibt es den Leitfaden.

Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie mir zugehört
haben. Ich glaube, heute Abend machen wir zwei richtig
gute Gesetze.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623024600

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,

gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zu dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/
Die Grünen zur Streichung des Optionszwanges aus dem
Staatsangehörigkeitsrecht, Drucksachen 16/12849 und
16/13556, bekannt: abgegebene Stimmen 525. Mit Ja ha-
ben gestimmt 93, mit Nein haben gestimmt 430, Enthal-
tungen 2. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt.

Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill

Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
die Satzung von der Haftung gegenüber Dritten befreien
nachher fragen, wer das gew
mit denen aus dem Sportauss

Ich bin dem Kollegen Pet
ginnen und Kollegen des S
schusses sehr dankbar, dass
wollen den Gesetzentwurf de
Lieber Peter Danckert, deine
dazu geführt, dass sich auch
Das Bundesministerium der
rungshilfe angeboten, die auc
die letztlich dazu führt, dass
antwortung tragen, nur noch
esen ist –, vor allen Dingen
chuss.

er Danckert und den Kolle-
port- und des Rechtsaus-
sie klar gesagt haben: Wir
s Bundesrates übernehmen.
Standfestigkeit hat letztlich
bei uns etwas bewegt hat.
Justiz hat eine Formulie-
h akzeptiert worden ist und
künftig Vorstände, die Ver-
für Vorsatz und grobe Fahr-
ter Mann von 80 Jahren – de
der immer zu mir gesagt hat:
rede darüber! Weiterhin hat e
mel und läute die Schelle!


(Hans-Christian Ströbel GRÜNEN]: Deshalb mü ternacht noch sitzen!)


Das tue ich hiermit klar und
Ströbele, der diesem Geset
wird, weiß, was er Gutes verp


(Hans-Christian Ströbel r damalige Justizminister –, Mein Lieber, tue Gutes und r gesagt: Schlage die Trom e [BÜNDNIS 90/DIE ssen wir hier um Mit deutlich, damit auch Herr zentwurf nicht zustimmen asst. e [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer Volker Schneider Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer Dirk Fischer Axel E. Fischer (Karlsruhe Land)





(A) (C)


(B) (D)


(Saarbrücken)


(Reutlingen)


(Bönstrup)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen-Esser
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler


(Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Manfred Zöllmer

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


fraktionsloser
Abgeordneter

Henry Nitzsche

Enthalten

SPD

Gabriele Lösekrug-Möller
Gesine Multhaupt






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Jetzt gebe ich der Kollegin Mechthild Dyckmans von
der FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Mechthild Dyckmans (FDP):
Rede ID: ID1623024700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen, die Sie um diese Zeit – darüber freue ich mich sehr –
doch noch sehr zahlreich anwesend sind.


(Zuruf von der FDP: Es ist doch noch früh!)


Heute ist ein guter Tag für alle, die sich ehrenamtlich im
Verein engagieren.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ja, deswegen sind wir auch noch da!)


Diesen Worten der Ministerin auf der Internetseite des
Bundesjustizministeriums kann ich für die FDP-Fraktion
nur zustimmen.


(Beifall bei der FDP)


Allerdings möchte ich Folgendes nicht verschweigen – der
Staatssekretär Herr Hartenbach hat es schon gesagt –: Es
hat ganz erheblicher Anstrengungen bedurft, um dieses
Ergebnis zu erreichen. Es gab einen Vorschlag aus Ba-
den-Württemberg und dem Saarland. Die Stellungnahme
der Bundesregierung dazu war zunächst: Die Bundesre-
gierung hält es nicht für gerechtfertigt, besondere zivil-
rechtliche Haftungsbegrenzungen für Vereinsvorstände
einzuführen. – Wäre es also nach dem ursprünglichen
Willen der Bundesregierung gegangen, hätte es diese
Haftungserleichterungen nicht gegeben.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die Ministerin und danach der Staatssekretär! – Ute Kumpf [SPD]: Es gilt das Struck’sche Gesetz!)


Dann wäre der heutige Tag vielleicht nicht ein so guter
Tag für all diejenigen geworden, die sich ehrenamtlich in
Vereinen engagieren.

Ich hätte mich gefreut, wenn sich die Bundesjustizmi-
nisterin auch bei anderen rechtspolitischen Initiativen
Baden-Württembergs und anderer Länder mit FDP-Re-
gierungsbeteiligung so aufgeschlossen gezeigt hätte.
Denn dann hätte es vielleicht noch mehr solcher guter
Tage gegeben, und die rechtspolitische Bilanz der Bun-
desjustizministerin wäre vielleicht noch besser ausgefal-
len,


(Zuruf von der SPD: „Noch besser“?)


sodass zu Recht von einer „Renaissance der Rechtspoli-
tik“ – so auch der Titel des Buches der Ministerin – die
Rede hätte sein können.


(Zuruf von der SPD: Spätestens dann! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Haben Sie es gelesen?)


Wir sind aber am Ende einer Wahlperiode, und da
sollte man großzügig sein. Deshalb will ich es dabei be-
wenden lassen und meiner Hoffnung Ausdruck verlei-
hen, dass die heute zu beschließenden Gesetze tatsäch-
lich eine Verbesserung bringen werden. Die Weichen
scheinen mir dafür richtig gestellt. Das Gesetz zur Be-
grenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereins-
vorständen hat im Gesetzgebungsverfahren noch Verbes-
serungen erfahren. Hierzu zähle ich die Ausweitung der
Haftungsbegrenzung für Vereinsvorstände, die für ihre
Tätigkeit eine geringe, steuerfreie Vergütung erhalten,
sowie die Ausweitung der Haftungsbegrenzung auf die
Stiftungsvorstände. Zu begrüßen ist auch, dass die ur-
sprünglich vorgesehenen sozial- und steuerrechtlichen
Haftungsbegrenzungen nicht weiter verfolgt wurden.

Mit dem heutigen Gesetz wird also – wir haben es
schon mehrfach gehört – die Haftung von Vereinsvor-
ständen begrenzt. Nicht erfasst ist dagegen die Haftung
der Vereinsmitglieder untereinander. Gegenwärtig gilt
hier der allgemeine Grundsatz: Vereinsmitglieder unter-
einander haften für Vorsatz und jegliche Art von Fahrläs-
sigkeit. Dadurch setzen sich insbesondere solche Ver-
einsmitglieder einem erhöhten Haftungsrisiko aus, die
sich ganz besonders stark im Verein engagieren. Auch
hierzu gab es bereits 2006 eine Bundesratsinitiative aus
Baden-Württemberg, wonach auch Vereinsmitglieder
untereinander nur für diejenige Sorgfalt einstehen soll-
ten, welche sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden
pflegen.

Die Frage der Haftung von Vereinsmitgliedern unter-
einander ist aber nach wie vor nicht geklärt. Sie sollte
bei einer weiteren Reform des Vereinsrechts wieder auf-
gegriffen werden. Denn für uns steht fest: Mit den heute
zu beschließenden Gesetzen kann die Modernisierung
des Vereinsrechts nicht abgeschlossen sein. Es ist zwar
ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber es ist
noch viel mehr zu tun. Insbesondere müssen wir uns des
Problems annehmen, dass Vereine heute kaum noch
ohne wirtschaftliche Nebentätigkeit arbeiten können.
Hier gibt es noch Regelungsbedarf. Denn das Vereins-
recht lässt diese Frage heute noch vollständig offen, und
das führt zu schwierigen Wertungsfragen und Rechtsun-
sicherheit, weil die Gerichte diesen Punkt völlig unter-
schiedlich behandeln.

Das zweite Gesetz, das wir heute hier verabschieden,
das Gesetz zur Erleichterung elektronischer Anmeldun-
gen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher
Änderungen, ist ebenfalls zu begrüßen. Wichtig ist hier
insbesondere, dass wir die elektronische Anmeldung
nicht als Pflicht vorschreiben. Denn es ist gerade für
kleinere Vereine besonders wichtig, dass sie auch zu-
künftig weiterhin entscheiden können, in welcher Form
sie die Anmeldung vornehmen wollen. Das begrüßen
wir ausdrücklich. Somit ist es tatsächlich ein guter Tag
für alle, die ehrenamtlich in Vereinen tätig sind.


(Beifall bei der FDP und der SPD – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sehr schön gesagt! Das hätte man nicht schöner sagen können!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623024800

Das Wort hat nun der Kollege Stephan Mayer von der

CDU/CSU-Fraktion.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1623024900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn man die Me-






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

dien verfolgt, dann möchte man den Eindruck gewinnen,
dass die Große Koalition am Ende ist, dass die Große
Koalition nichts mehr zutage fördern kann. Dass dem
nicht so ist, zeigen die jetzige Debatte und die Verab-
schiedung der jetzt zur Beschlussfassung anstehenden
Gesetze.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So spät kann das nichts werden!)


Wir haben – das sage ich ganz offen –, von der Öffent-
lichkeit leider zu wenig beachtet, in dieser Periode im
Bereich des Vereinsrechts und der weiteren Stärkung eh-
renamtlichen Engagements durchaus Sehenswertes und
Beachtenswertes hervorgebracht.


(Beifall bei der SPD und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: „Bürgerschaftliches Engagement“ heißt das!)


Wir haben vor zwei Jahren das Gesetz zur weiteren
Stärkung ehrenamtlichen Engagements verabschiedet
und damit insbesondere den Hunderttausenden ehren-
amtlich Tätigen in Deutschland wirklich signalisiert,
dass wir es mit der Stärkung ehrenamtlichen Engage-
ments ernst meinen. Wir haben die Ehrenamtspauschale
in Höhe von 500 Euro eingeführt, von der durchaus rege
Gebrauch gemacht wird. Wir haben im Stiftungsrecht ei-
niges zum Positiven verändert.


(Ute Kumpf [SPD]: Die Übungsleiter dürfen Sie nicht vergessen!)


Wir haben die Freigrenzen hinsichtlich der steuerlichen
Absetzbarkeit deutlich erhöht.

Mit den heute zur Beschlussfassung anstehenden Ge-
setzen wird zwar am Ende der Legislaturperiode, aber
durchaus noch rechtzeitig ein weiterer Meilenstein im
Bereich der Verbesserung des Vereinsrechts gesetzt.

Wenn man – viele von Ihnen tun dies – sich regelmä-
ßig mit ehrenamtlich Tätigen oder mit Personen, die sich
eigentlich gerne ehrenamtlich engagieren würden, unter-
hält, dann wird häufig als Argument gegen ein ehren-
amtliches Engagement vorgebracht, dass man dann mit
einem Bein im Gefängnis stehe und dass die Haftungsre-
gelungen für ehrenamtlich Tätige zu streng seien. Des-
wegen war es meiner Meinung nach richtig, dass wir uns
mit dem Gedanken beschäftigt haben, ob man bei ehren-
amtlich Tätigen zumindest in der Außenhaftung die
Maßstäbe etwas reduziert.

Um auch eines ganz klar zum Ausdruck zu bringen:
Damit werden nicht die Rechte derjenigen reduziert, die
beispielsweise bei Übungsleiterstunden im Sportverein
oder bei Vereinsausflügen zu Schaden kommen. Natür-
lich bleibt die Haftung des Vereins bestehen – um dies
ganz klar zum Ausdruck zu bringen. Aber – ich glaube,
das war der richtige Schritt – die Haftung der ehrenamt-
lich Tätigen im Verein, der Vorstände und auch der
Übungsleiter, wird auf ein Maß reduziert, das erträglich
ist, nämlich auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vom Übungsleiter steht nichts drin! Wo steht da was vom Übungsleiter?)

Ich glaube, es ist unstreitig, dass diese beiden Haftungs-
stufen nicht ausgenommen werden können. Aber im Be-
reich der leichten und mittleren Fahrlässigkeit ist es rich-
tig, die Haftung entsprechend zu reduzieren.

Dies wird insbesondere bei den 93 000 Sportvereinen,
die wir in Deutschland haben, dazu führen, dass die Haf-
tungsregelungen kein Grund mehr sind, sich für eine Tä-
tigkeit als Schatzmeister, als Vereinsvorstand oder als
Beisitzer in einem Vorstand nicht zur Verfügung zu stel-
len.

Wir reduzieren die Haftung natürlich nur für Ehren-
amtliche in gemeinnützigen Vereinen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Gemeinnützig“ steht auch nicht drin! Sie verwechseln den Bundesratsentwurf mit dem jetzigen!)


Man darf also maximal 500 Euro pro Jahr an Entgelt be-
kommen. Das ist genau der Betrag, der als Ehrenamts-
pauschale ausgereicht wird. Diese Regelung gilt also
nicht für nicht ehrenamtlich Tätige im Verein.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der häufig zu einem Är-
gernis geführt hat, wird bereinigt. Bei der Gründung ei-
nes Vereins war es bisher so, dass alle Gründungsmit-
glieder persönlich beim Amtsgericht erscheinen
mussten. Das hat natürlich häufig für Unverständnis ge-
sorgt. Ich glaube, deswegen ist es richtig, dass wir jetzt
die Möglichkeit eröffnen, dass ein Vereinsmitglied – in
den meisten Fällen wird dies der neugewählte Vereins-
vorsitzende sein – mit Einzelvertretungsvollmacht beim
Amtsgericht erscheint und für alle anderen Vereinsmit-
glieder die Gründung vornimmt. Auch das ist ein wichti-
ger Beitrag zur Entbürokratisierung im Vereinsrecht.

Es war so, dass sich die Parlamentarier von der Gro-
ßen Koalition – das kann man mit Recht sagen, lieber
Kollege Peter Danckert – sehr schnell einig waren. Das
zuständige Ministerium hat uns dann richtigerweise, wie
es der Staatssekretär schon erwähnt hat, die notwendige
Formulierungshilfe zur Hand gegeben. Ich darf auch sa-
gen, dass das Bundesjustizministerium zunächst etwas
geschoben werden musste. An dieser Stelle möchte ich
mich aber ganz herzlich für die dann erfolgte sehr enga-
gierte Mithilfe und Unterstützung seitens des Bundesjus-
tizministeriums bedanken.

Einen weiteren wichtigen Punkt regeln wir im Rah-
men dieser beiden Gesetze auch noch. In Zukunft ist es
möglich – das Zeitalter der neuen Technologien geht na-
türlich auch an der Vereinswelt nicht vorbei –, dass eine
Anmeldung oder eine Änderung im Vereinsregister auf
dem elektronischen Weg durchgeführt wird. Auch hier
halten wir Anschluss an die modernen Kommunika-
tionstechnologien. Damit machen wir klar: Uns ist es
wirklich ernst mit der Stärkung des ehrenamtlichen En-
gagements. Jeder spricht gerne darüber in Sonntagsre-
den. Wir können nun mit Fug und Recht behaupten, dass
wir in dieser Legislaturperiode Entscheidendes zur Stär-
kung des ehrenamtlichen Engagements vorangebracht
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

Im Rahmen des Gesetzes zur weiteren Stärkung des
ehrenamtlichen Engagements nimmt der Bund 400 Mil-
lionen Euro im Jahr in die Hand,


(Ute Kumpf [SPD]: „Bürgerschaftlich“ heißt das, Kollege!)


um die Zehntausenden von gemeinnützigen Vereinen in
Deutschland zu stärken. Ich glaube, wir können allesamt
stolz darauf sein und dies vor den Wählerinnen und
Wählern vertreten. Ich würde mich freuen, wenn mög-
lichst viele seitens der Oppositionsfraktionen diesen bei-
den sehr gelungenen Gesetzentwürfen ihre Zustimmung
erteilen würden. Ich würde es sehr bedauern, wenn dem
nicht so wäre.

Wie gesagt: Die Große Koalition hat im Bereich des
Vereinsrechtes wirklich Wort gehalten. Ich darf mich für
die sehr konstruktive und sehr konsensuale Zusammen-
arbeit in diesem Bereich bei den Kolleginnen und Kolle-
gen ganz herzlich bedanken. Man kann wirklich mit
Stolz sagen: Heute ist – das gilt auch zu dieser späten
Stunde – ein guter Tag für die ehrenamtlichen gemein-
nützigen Vereine in Deutschland.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623025000

Die Rede des Kollegen Wolfgang Nešković von den

Linken nehmen wir zu Protokoll.1)

Jetzt hat der Kollege Hans-Christian Ströbele vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Mayer, dem vielen Eigenlob schließe ich
mich nicht an. Es ist auch nicht erforderlich, weil Sie
sich selber schon genug gelobt haben.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ehre, wem Ehre gebührt! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Sie sollen sich auch nicht selber loben, Herr Ströbele!)


Dieser Gesetzentwurf ist ungeeignet für so viel Eigenlob
und auch für Lob von mir. Deshalb kommt da auch
nichts.

Auch wir sind dafür, das ehrenamtliche Engagement
zu stärken.


(Ute Kumpf [SPD]: Der redet auch von „ehrenamtlich“: bürgerschaftlich!)


Auch wir haben dafür eine ganze Reihe von Vorschlägen
gemacht. Aber was Sie hier machen, ist der falsche Weg.
Man muss sich einmal folgende Situation vorstellen: Es
entsteht ein Schaden durch ein schuldhaftes Verhalten ei-
nes Vorstandsmitgliedes, meinetwegen auch nur durch
ein fahrlässiges Verhalten. Wer übernimmt denn nun die-
sen Schaden? Der Schaden ist ja nicht dadurch weg, dass

1) Anlage 12
Sie in den Gesetzentwurf hineinschreiben, dass der Vor-
stand nicht dafür haftet. Irgendeiner muss doch dafür
haften.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Der Verein!)


– Wenn Sie jetzt gesagt hätten: „Der Staat übernimmt die
Haftung“, hätten wir darüber reden können. Aber so ist
das ja nicht. – Irgendeiner muss dafür haften, entweder
die Mitglieder – das einzelne Mitglied bleibt auf seinem
Schaden sitzen –, Angestellte oder Dritte. Dieses Pro-
blem haben Sie nicht gelöst, sondern einfach verlagert.

Wir wissen, dass heute nicht nur der nette, kleine
Turnverein um die Ecke als Verein konstruiert ist, son-
dern dass es auch große Wirtschaftsunternehmen mit
Umsätzen in Millionenhöhe und vielen Angestellten
gibt, die Vereine sind. Durch fahrlässiges Verhalten eines
Vorstandsmitglieds kann da schon ein erheblicher Scha-
den entstehen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das gilt doch nur für ehrenamtlich Tätige! Das gilt nicht für wirtschaftlich Tätige!)


Da fragt man sich: Wer haftet für diesen Schaden? Blei-
ben die Leute darauf sitzen, oder gibt es Dritte oder
Vierte, die dafür haften?

Deshalb, Herr Kollege Hartenbach, und nicht, weil
die Bundesregierung ihre Meinung nicht auch einmal än-
dern darf, kritisieren wir den Gesetzentwurf. Frau Kolle-
gin Dyckmans, Sie haben aus der Stellungnahme der
Bundesregierung zitiert, warum sie den Bundesratsent-
wurf abgelehnt hat. Wenn Sie weiterzitiert hätten, hätten
Sie die richtigen Sätze vorgelesen – jetzt zitiere ich –:

Zur Entlastung der Vorstandsmitglieder müssten die
Vereine und Vereinsmitglieder ein höheres Scha-
densrisiko tragen.

Das sagte die Bundesregierung.
Verursacht ein Vorstandsmitglied erhebliche Schä-
den, können die Haftungsbegrenzung und der An-
spruch auf Freistellung von Ansprüchen aufgrund
einfach fahrlässiger Schädigung Dritter zur Zah-
lungsunfähigkeit auch gesunder Vereine führen

(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Das ist doch Schnee von gestern!)

oder erhebliche finanzielle Folgen für ein Vereins-
mitglied haben, das schuldloses Opfer einer Pflicht-
verletzung des Vorstandsmitglieds wurde.

Das war damals die Begründung. Diese Begründung
ist bis heute nicht widerlegt worden. Sie gilt heute noch
genauso. Dass der Kollege Danckert den Kollegen
Hartenbach, wie ich gehört habe, so sehr beeindruckt hat


(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Sie haben nicht zugehört!)


oder ihm so zugesetzt hat, dass er und die anderen sich
gefügt haben, das mag ja sein, aber das entwertet diese
Argumente doch nicht.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Was wollen Sie jetzt eigentlich?)


Sie haben nichts dazu gesagt, wer diesen Schaden trägt.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Christian Ströbele
Weil wir das nicht wie Sie regeln wollen, wollen wir
den alten, den bewährten Rechtszustand in diesem Punkt
– es geht immer um den verschuldeten Schaden – beibe-
halten.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Es gibt Vereinshaftpflichtversicherungen!)


Wenn man ehrenamtliches Engagement auch in Vor-
ständen fördern will, kann man darüber reden. Ich hoffe,
Sie wollen ehrenamtliches Engagement auch aufseiten
der Vereinsmitglieder fördern und dafür sorgen, dass
möglichst viele Vereinsmitglieder werden, auch wenn
sie sich damit einem Schadensrisiko aussetzen. Sie wol-
len die Vorstände entlasten und diese Posten dadurch at-
traktiver machen. Darüber kann man reden. Aber dafür
muss man andere Regelungen finden als die, die Sie ge-
funden haben. Das ist der falsche Weg. Diesbezüglich
folgen wir der ursprünglichen Auffassung der Bundes-
regierung und sagen: Nein, danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623025100

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

das Wort der Kollege Dr. Peter Danckert von der SPD-
Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1623025200

Vielen Dank. – Herr Präsident! Lieber Kollege

Ströbele, das ist seltsam: 93 000 Vereine applaudieren,


(Ute Kumpf [SPD]: Das sind 150 000!)


die Dachorganisation ist zufrieden, der DOSB ist zufrie-
den, und die Ehrenamtlichen schicken uns Mails, weil
sie zufrieden sind; nur die Grünen finden ein Haar in der
Suppe.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Sie finden es ja nicht! Sie suchen nur!)


Das ist beklagenswert.

Ich finde, diese Debatte heute Abend ist angebracht,
und ich finde es gut, dass nur vereinzelt Reden zu Proto-
koll gegeben werden, weil das, was heute hier verab-
schiedet wird, nicht nur für die Ehrenamtlichen etwas
Besonderes ist, sondern es sich hierbei auch um eine be-
sondere Stunde des Parlaments handelt. Wir haben ge-
hört, welchen Weg dieser Gesetzentwurf genommen hat:
Anlässlich der ersten Lesung war der Ministerpräsident
des Saarlandes, Peter Müller, noch selbst anwesend.
Jetzt, wo ein von ihm initiierter Gesetzentwurf abschlie-
ßend behandelt wird, hat er leider keine Zeit dafür. Das
bedauern wir natürlich.

Wichtig ist aber, dass wir hier festhalten – das ist
schon gesagt worden –: Der Entwurf des Bundesrates,
der auf eine Initiative der Bundesländer Baden-
Württemberg und Saarland zurückgeht, sollte eine Beer-
digung zweiter Klasse erfahren. Das ist ganz klar. Das
ergibt sich aus der Stellungnahme. Doch dieses Gesetz
wollte nicht einer alleine, sondern wollten viele. Die we-
sentlichen Vertreter der Koalition im Sportausschuss und
im Rechtsausschuss haben gesagt: Augenblick, wir wol-
len mit der Bundesjustizministerin darüber reden. Wir
haben eine ausführliche Debatte geführt, und wir haben
eine Einigung gefunden, die jetzt Eingang in die Formu-
lierungshilfe gefunden hat. Ich finde, das ist der richtige
Weg. Die Haftungsbeschränkung von ehrenamtlich täti-
gen oder nur mit einer geringfügigen Vergütung ausge-
statteten Vorstandsmitgliedern soll auf Vorsatz und
grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden. Das ist sachge-
recht. An dieser Stelle kommt niemand zu kurz.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer trägt denn den Schaden?)


Die Außenstehenden, über die Kollege Ströbele ge-
sprochen hat, haben weiter einen unbegrenzten An-
spruch; da ist überhaupt keine Haftungsbegrenzung ver-
einbart. Es geht nur um die ehrenamtlich tätigen
Vorstandsmitglieder. Sie sollen zulasten des Vereins eine
Beschränkung erfahren. Das ist ein wichtiger Beitrag zu
ihrer Tätigkeit.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Verein aber nichts mehr hat?)


Darüber haben wir uns geeinigt. Die Ausführungen, die
die Kollegen Hartenbach und Mayer dazu gemacht ha-
ben, sind völlig zutreffend. Ich will meine Redezeit des-
halb anlässlich der späten Stunde hier nicht bis zur letz-
ten Minute auskosten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bedanke mich bei allen, die mitgewirkt haben.
Wir verabschieden einen guten Gesetzentwurf zur Haf-
tungsbeschränkung von ehrenamtlich tätigen Vorstands-
mitgliedern in Vereinen und Vorständen von Stiftungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Gisela Piltz [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623025300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Ver-
einsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13542, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/12813 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Be-
grenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereins-
vorständen. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13537, den Ge-
setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/10120 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.

Wenn ich das richtig sehe, sind die Reden zu allen
weiteren Tagesordnungspunkten zu Protokoll gegeben
worden. Allerdings müssen wir die Abstimmungen vor-
nehmen. Es handelt sich um rund 100 Seiten; es können
auch etwas mehr sein. Deswegen bitte ich um Ihre Ge-
duld. Wir müssen das jetzt abwickeln. Ich hoffe, dass
mich nicht die Stimme verlässt im Laufe des Prozesses.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Oder der Schlaf überkommt! – Zuruf von der LINKEN: Wir machen durch bis morgen früh!)


– Ja, das wäre nett; aber ich hoffe, wir schaffen es
schneller.

Jetzt geht es los. Ich hoffe, die Stenografen akzeptie-
ren, dass es jetzt relativ schnell geht; aber es ist ja nicht
kompliziert.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt
Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald
Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Präventionsgesetz auf den Weg bringen –
Primärprävention umfassend stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Gesundheitsförderung und Prävention als
gesamtgesellschaftliche Aufgaben stärken –
Gesellschaftliche Teilhabe für alle ermögli-
chen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Eigenverantwortung und klare Aufgabentei-
lung als Grundvoraussetzung einer effizien-
ten Präventionsstrategie

– Drucksachen 16/7284, 16/7471, 16/8751,
16/13071 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Hermann-Josef Scharf

Die Reden der Kolleginnen und Kollegen Hermann-
Josef Scharf, Dr. Margrit Spielmann, Detlef Parr,
Dr. Martina Bunge und Birgitt Bender werden zu Proto-
koll genommen.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 16/13071. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7284
mit dem Titel „Präventionsgesetz auf den Weg bringen –
Primärprävention umfassend stärken“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/7471 mit dem Titel „Gesundheitsförderung und
Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben stärken –
Gesellschaftliche Teilhabe für alle ermöglichen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP
gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8751
mit dem Titel „Eigenverantwortung und klare Aufgaben-
teilung als Grundvoraussetzung einer effizienten Präven-
tionsstrategie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist die
Beschlussempfehlung bei Gegenstimmen der FDP-Frak-
tion mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt-
und der Versicherungsaufsicht

– Drucksachen 16/12783, 16/13113 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Frank
Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeord-

1) Anlage 13






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
neten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Schließung kre-
ditwirtschaftlicher Aufsichtslücken

– Drucksache 16/12884 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/13684 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Jörg-Otto Spiller
Frank Schäffler

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Wir nehmen die Reden zu Protokoll. Es handelt sich
um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Leo
Dautzenberg, Klaus-Peter Flosbach, Martin Gerster,
Frank Schäffler, Dr. Axel Troost und Dr. Gerhard
Schick.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht. Der
Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13684, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12783 und
16/13113 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Oppositionsfraktionen in zweiter Beratung an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13690. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen aller übri-
gen Fraktionen abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der FDP zur Schließung kreditwirt-
schaftlicher Aufsichtslücken. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13684, den Gesetzentwurf der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/12884 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustim-
mung der FDP-Fraktion mit den Stimmen aller anderen
Fraktionen abgelehnt. Die dritte Beratung entfällt.

1) Anlage 14
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katrin
Göring-Eckardt, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38)


– Drucksache 16/12344 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katrin
Göring-Eckardt, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Herabsetzung des Wahlalters im Bundes-
wahlgesetz und im Europawahlgesetz

– Drucksache 16/12345 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/13247 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting)

Klaus Uwe Benneter
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Jan Korte
Wolfgang Wieland

Zu Protokoll nehmen wir die Reden von Stephan
Mayer, Klaus Uwe Benneter, Gisela Piltz, Diana Golze
und Kai Gehring.2)

Mir wurde gerade mitgeteilt, dass alle Fraktionen vor-
geschlagen haben, die Namen der Redner nicht zu verle-
sen.


(Beifall)


Wenn sichergestellt ist, dass die Redebeiträge im Proto-
koll erscheinen, können wir darauf verzichten.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung
von Art. 38 des Grundgesetzes. Der Innenausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13247, den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12344 abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der
FDP bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und des
Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Die dritte Bera-
tung entfällt.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Herabsetzung des Wahlalters
im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz. Der In-
nenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13247, den Gesetzent-

2) Anlage 15






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/12345 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Zustimmung der Linken und von Bündnis 90/Die Grü-
nen. Die dritte Beratung entfällt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:1)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Erb- und Verjährungs-
rechts

– Drucksache 16/8954 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13543 –

Berichterstattung:
Abgordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Dirk Manzewski
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13543, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/8954 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen
mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der
Linken.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmen-
verhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Die Mitte stärken – Mittelstand ins Zentrum
der Wirtschaftspolitik rücken

– Drucksachen 16/12326, 16/13148 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 16

Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1623025400

Wir befinden uns momentan in der tiefsten Rezession

seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Dass es
momentan außergewöhnliche Zeiten sind, steht außer
Frage. Doch gerade jetzt gilt es, trotz dieser Turbulenzen
die Nerven zu behalten.

In Ihrem Antrag fordern Sie zum wiederholten Male
eine Ausweitung der Maßnahmen, um ein mittelstands-
freundlicheres Klima in Deutschland zu schaffen. Ganz
konkret fordern Sie beispielsweise die Abschaffung der
Gewerbesteuer und die Senkung der Einkommensteuer.
Eine Antwort darauf, wie Sie Ihre Maßnahmen aber kon-
kret gegenfinanzieren wollen, bleibt die FDP uns erneut
schuldig.

Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise hat
die Bundesregierung bereits Ende des vergangenen Jah-
res Maßnahmenpakete geschnürt, durch die Schäden in
unkalkulierbarer Größenordnung von der Wirtschaft und
der Allgemeinheit abgewendet werden konnten. Wir ha-
ben uns dabei zu Recht jedem blinden Aktionismus wi-
dersetzt.

Die FDP erheitert uns in regelmäßigen Abständen mit
grandiosen Ideen. Kollege Brüderle forderte noch kürzlich,
das Bundeswirtschaftsministerium in „Mittelstandsminis-
terium“ umzubenennen. Den Sinn dahinter verschweigen
Sie uns bis heute. Der Mittelstand ist – das betonen Sie in
Ihrem Antrag vollkommen richtig – die Herzkammer un-
serer Volkswirtschaft. Er ist eben „keine Recheneinheit“,
sondern vielmehr der Motor und tragende Säule unseres
Landes. Mittelstand bedeutet eben auch Wirtschaft und
Technologie. Darum trägt das zuständige Ministerium zu
Recht diese Bezeichnung. Denn die mittelständischen
Unternehmen leisten einen enormen Beitrag im Bereich
der Technik und Innovationen in allen Bereichen unserer
Wirtschaft.

Dass Mittelstandspolitik eine Querschnittsaufgabe ist,
hat die Bundesregierung vielfach unter Beweis gestellt;
ich nenne hier beispielhaft die 2006 gestartete Mittel-
standsinitiative oder das 2008 gestartete Zentrale Inno-
vationsprogramm Mittelstand. Um Innovationsprozesse
fortsetzen und Arbeitsplätze erhalten zu können, haben
wir ganz bewusst die Mittel zur Finanzierung der Tech-
nologie- und Innovationsprojekte des Mittelstands auf
670 Millionen Euro aufgestockt. Hinzu kommt eine Erhö-
hung der Mittel für das ZIM für die Jahre 2009 und 2010
um insgesamt 900 Millionen Euro.

Zusätzlich ist es uns in dieser Legislaturperiode mit
den drei Mittelstandsentlastungsgesetzen gelungen, die
bürokratischen Hemmnisse für die kleinen und mittleren
Unternehmen deutlich zu reduzieren. Seit Beginn des
Programms für Bürokratieabbau haben wir mehr als 200
überflüssige Gesetze und Rechtsverordnungen gestri-
chen. Alles in allem erreichen wir damit eine Entlastung
der Wirtschaft um jährlich 7 Milliarden Euro.

Doch nach wie vor trägt Deutschlands Wirtschaft
jährliche Bürokratielasten in Höhe von rund 40 Milliar-
den Euro. Wir haben daher in unserem Regierungspro-
gramm, das CDU und CSU am Montag gemeinsam vor-
gestellt haben, festgeschrieben, alle nationalen Statistik-


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs
und Berichtspflichten bis 2011 netto um 25 Prozent abzu-
bauen.

Infolge des Konjunktureinbruchs haben wir besonnen
und zielgerichtet agiert. Mit dem Kredit- und Bürg-
schaftsprogramm haben wir ein 115-Milliarden-Euro-
Programm für den Mittelstand auf den Weg gebracht.
Damit ist es uns möglich, bestehende Finanzierungslü-
cken zu schließen – allerdings nur dann, wenn das Unter-
nehmen eine langfristige Perspektive hat und unver-
schuldet, nur wegen der Krise, in Existenznot geraten ist.

Im Fokus unserer Maßnahmen stehen die Entlastung
der Bürger und Unternehmen sowie die Sicherung der
Beschäftigungserfolge der vergangenen Jahre. 2009 und
2010 fordern sie Investitionen und Aufträge von Unter-
nehmen, privaten Haushalten und Kommunen in einer
Größenordnung von rund 50 Milliarden Euro. Davon
profitiert besonders der Mittelstand.

Zusammen mit den bereits im Oktober 2008 beschlos-
senen Maßnahmen zur Senkung der steuerlichen Belas-
tungen werden wir unserer Verantwortung gerecht, auch
in solch stürmischen Zeiten das Schiff zu steuern, um den
Menschen eine Perspektive für die Zukunft und zur Über-
windung der Konjunkturschwäche zu geben.

Liebe Kollegen von der FDP, ich halte es für ange-
bracht und richtig, über das Thema Steuersenkungen zu
sprechen. Doch jetzt ist gewiss keine Zeit für Mätzchen.
In unserem Regierungsprogramm sprechen wir uns ganz
bewusst für eine Senkung des Einganssteuersatzes von 14
auf 12 Prozent aus. Darüber hinaus wollen wir, dass der
Spitzensteuersatz erst ab 60 000 Euro greift statt schon
ab knapp 53 000 Euro. Um die Auswirkungen der soge-
nannten kalten Progression zu mildern, wollen wir die
Tarifeckwerte absenken. Dadurch werden nicht nur Ar-
beitnehmer, sondern gerade auch die im Mittelstand
überwiegenden Personenunternehmer entlastet. Dies ist
ein pragmatischer Ansatz gegen die leistungsfeindlichen
Auswirkungen der kalten Progression.

Unser klares Bekenntnis zur Schuldenbremse trägt
besonders der Verantwortung für die künftigen Genera-
tionen Rechnung. Angesichts der konjunkturellen
Schieflage dürfen wir nicht die Frage der Generationen-
gerechtigkeit auf die lange Bank schieben. Nur die Schul-
denregel eröffnet uns eine nachhaltige Finanzpolitik, die
unseren Kindern und Enkeln keine ständig wachsenden
Schuldenberge hinterlässt.

Mittelstandspolitik war und ist ein Markenzeichen der
Union. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Ihren Antrag, geschätzte Kollegen von der FDP, nehme
ich daher gerne zur Kenntnis, Ihre Forderungen haben
wir aber längst in die Tat umgesetzt.


Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1623025500

Unbestritten sind mittelständische Unternehmer und

Unternehmen die Stütze der deutschen Wirtschaft. Sie
stellen die Mehrzahl der Arbeitsplätze und Ausbildungs-
plätze und bringen die meisten Innovationen hervor. Ich
denke, niemand in diesem Haus bestreitet das. Eine
„Geisteshaltung“ ist der Mittelstand aber nicht. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich versichere
Zu Protokoll
Ihnen, auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ste-
hen morgens früh auf, auch Arbeitnehmer treffen Vor-
sorge, auch Arbeitnehmer bauen ihre Existenz auf eige-
nes Risiko und müssen selbst Vorsorge treffen. Und auch
Arbeitnehmer verdienen den Respekt aller. Diese Tugen-
den nur mittelständischen Unternehmern nachzusagen
entbehrt jeder Grundlage. Gerade die letzten Monate ha-
ben doch gezeigt, dass es auf die gesellschaftliche Ver-
antwortung und das Augenmaß aller Akteure in der Wirt-
schaft ankommt – seien sie nun Arbeitnehmer oder
Unternehmer.

Weil wir um die Bedeutung mittelständischer Unter-
nehmen für unsere Wirtschaft wissen, stehen sie auch im
Fokus aller Wirtschaftsförderinstrumente, sei es in der
Investitionsförderung, den KfW-Programmen oder bei
der Innovationsförderung. Wir haben den Mittelstand
auch von Steuern und Abgaben entlastet. Dazu zählen die
Unternehmensteuerreform 2008 und die Senkung der So-
zialversicherungsbeiträge. Wir haben die Unterneh-
mensgründung durch die GmbH-Reform erleichtert und
durch drei Mittelstandsentlastungsgesetze den Bürokra-
tieabbau eingeleitet. Wir fördern haushaltsnahe Dienst-
leistungen durch die Absetzbarkeit von Handwerkerleis-
tungen. Wir haben mit dem Forderungssicherungsgesetz
erleichterte Vorauszahlungen für die Forderung von Ab-
schlagszahlungen eingeführt und die Fälligkeit von Ver-
gütungsansprüchen verbessert.

Die beiden Konjunkturprogramme kommen vor allem
dem Mittelstand zugute durch die Aufstockung der KfW-
Programme und des CO2-Gebäudesanierungspro-
gramms. Das kommunale Investitionsprogramm stützt
die mittelständische Bauwirtschaft, bessere Abschrei-
bungsmöglichkeiten schaffen finanzielle Spielräume.
Viele Maßnahmen der Wirtschaftsförderung sind allein
nur für den Mittelstand gedacht. Besonders zu erwähnen
ist das Zentralprogramm Innovativer Mittelstand, das
bei den Innovationskräften mittelständischer Unterneh-
men ansetzt und dieses Potenzial gezielt fördert.

Ich kann daher nicht erkennen, wo der Mittelstand be-
nachteiligt wäre. Ganz im Gegenteil: Er steht im Fokus
der Wirtschaftspolitik. Auch weiterhin kommt es darauf
an, die Rahmenbedingungen für den Mittelstand zu ver-
bessern. Dazu zählen für uns eine gute Bildungs- und
Forschungspolitik und eine leistungsfähige Infrastruktur.
Auch die Einführung neuer Regeln auf den Finanzmärk-
ten bringt Mittelständlern mehr Sicherheit für ihr unter-
nehmerisches Handeln. Auf diesem Weg wollen wir als
SPD fortfahren.


Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1623025600

Wir fordern in unserem Antrag die Schaffung eines

mittelstandsfreundlichen Klimas in der bundesdeutschen
Politik. Der bisher mit den Mittelstandsentlastungsgeset-
zen eingeschlagene Weg ist grundsätzlich richtig, aber er
muss mutiger und konsequenter fortgesetzt werden.

Gerade in der derzeitigen Krise ist es Aufgabe der
Politik, den Belangen der mittelständischen Wirtschaft
besser Rechnung zu tragen: Die Mittelständler waren
vor der Krise stark und können es auch nach der Krise
sein, wenn die Politik der Koalition die Sorgen der Un-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Paul K. Friedhoff
ternehmer ernst nimmt, anstatt weiter Probleme auszu-
sitzen.

An erster Stelle muss der Abbau meist unnötiger und,
in Krisenzeiten erst recht, wachstumshemmender Büro-
kratie stehen. Gemeint sind nicht nur überflüssige Be-
richts- und Statistikpflichten. Der Abbau solcher Büro-
kratie ist das, worauf mittelständische Unternehmer
einen Anspruch haben und was sie auch erwarten. Der
Kostenaufwand, den diese unzähligen Pflichten zu Anträ-
gen, Berichten, Genehmigungsverfahren und Statistiken
bedeuten, schmerzt in der Krise noch mehr als sonst. Ein
mutiger und schneller Bürokratieabbau, der diesen Na-
men wirklich verdient, würde mehr bewirken als weitere
Konjunkturpakete.

Der Normenkontrollrat ist ein erster Anfang, um über-
flüssige Bürokratie zu vermeiden. Allerdings wurde er
nicht, wie von der FDP gefordert, beim Parlament als
Selbstkontrolle eingerichtet, sondern bei der Regierung
im Bundeskanzleramt. Diese Konstruktion birgt den Feh-
ler in sich, dass Gesetzentwürfe aus dem Parlament we-
gen der Gewaltenteilung nicht auf die Bürokratiekosten
überprüft werden können. Hier bleibt Korrekturbedarf.
Da außerdem ständig neue Gesetze hinzukommen, soll-
ten sie mit einem Verfallsdatum versehen werden. So
läuft der Gesetzgeber nicht Gefahr, zeitweilig erforderli-
che Gesetze unnötig lange in Kraft zu lassen, ohne sie
rechtzeitig wieder abzuschaffen. Zum Ablauf des Gültig-
keitszeitraumes soll der Gesetzgeber das Gesetz auf seine
Notwendigkeit überprüfen und verlängern können. Auf
diese Weise kann er die fortlaufende Legitimität der Vor-
schriften sicherstellen.

Mindestens ebenso belastend wie diverse neue
Gesetze ist jedoch das bestehende unflexible Arbeits-
recht. Diese Flexibilität ist von zentraler Bedeutung.
Wenn ein Unternehmen daran gehindert ist, schnell und
angemessen auf Konjunktureinbrüche zu reagieren, ist
im schlimmsten Fall der Fortbestand des Unternehmens
gefährdet. Wenn viele Aufträge wegbrechen und das
Eigenkapital schrumpft, sind starre Rahmenbedingungen
hochgefährlich. Ein starres Arbeitsrecht macht Unter-
nehmen nicht krisenfest – ganz im Gegenteil, es raubt ih-
nen die Reaktionsmöglichkeiten und bringt sie in Gefahr.
Davon haben auch Arbeitnehmer, die von den vielen gut
gemeinten Gesetzen geschützt werden, nichts. Was nützt
ihnen der hochregulierte und hochentlohnte Arbeitsplatz,
wenn das Unternehmen nicht überlebt? Betriebliche
Bündnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern,
mit denen Arbeitsplätze gesichert werden können, müssen
auf die Tagesordnung. Gerade in schwierigen Zeiten sind
es am ehesten die unmittelbar Betroffenen vor Ort, die
die Notwendigkeiten für ihren Betrieb am besten kennen.

Zu einer guten Mittelstandspolitik gehört auch eine
Beständigkeit der Rahmenbedingungen. Dagegen ist das
am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Bauforderungs-
sicherungsgesetz ein Paradebeispiel für die Verunsiche-
rung der mittelständischen Wirtschaft: Die Bundesregie-
rung selbst musste in ihrer im Mai 2009 vorgelegten
Neufassung des Gesetzes einräumen, dass durch die No-
vellierung vom Januar 2009 die Unternehmen in der
Praxis vor Umsetzungsproblemen stünden, die „erhebli-
Zu Protokoll
chen bürokratischen Aufwand und darüber hinaus un-
vorhergesehene Liquiditätsprobleme“ verursachten. Da
sich aber auch hier die Koalitionspartner nicht endgültig
verständigen konnten, wurde die Reform vom Mai 2009
im Juni 2009 wieder zurückgenommen. Jetzt gilt im We-
sentlichen wieder das mittelstandsfeindliche Gesetz vom
1. Januar 2009 – bürokratisch und praxisfremd –, das
viele Bauunternehmen im täglichen Geschäft behindert,
wenn es dies nicht sogar unmöglich macht. Das Baufor-
derungssicherungsgesetz muss in der nächsten Wahl-
periode wieder auf die Tagesordnung.

Die Liste der Ungereimtheiten zulasten der mittelstän-
dischen Wirtschaft ließe sich hier noch weiter fortsetzen –
als einziges weiteres Beispiel ist an dieser Stelle noch die
weiterhin geltende lebensfremde Eichpflicht für Wegstre-
ckenzähler an Mietfahrzeugen zu nennen. Tachometer an
modernen Fahrzeugen arbeiten unbestritten ausreichend
präzise; deshalb wollte der Gesetzgeber die antiquierte
Eichpflicht im Dritten Mittelstandsentlastungsgesetz auf-
heben. Dennoch verschwand diese beabsichtigte Ab-
schaffung einer sinnlosen Sonderlast wieder aus dem Ge-
setzentwurf, wohl weil die Bundesregierung eine
Gesamtreform des Eich- und Messwesens plante. Da die
aber leider nie erfolgte, müssen deshalb heute noch die
Autovermieter eine zusätzliche Belastung von rund
70 Millionen Euro für das absurde Eichen von Wegstre-
ckenzählern aufbringen. Auch dieses Gesetz muss gleich
zu Beginn der nächsten Wahlperiode auf die Tagesord-
nung.

Die Marktwirtschaft ist ein lernendes System, dies gilt
auch für die jetzige Krise – die nicht die erste und nicht
die letzte Krise ist, die wir durchstehen. Dort, wo in unse-
rem Wirtschaftssystem Fehler gemacht wurden, müssen
wir die notwendigen Lehren ziehen. Dennoch ist die so-
ziale Marktwirtschaft das überlegene Wirtschaftssystem,
an dem wir Liberale festhalten.

Damit wir auch aus dieser Krise schnell herauskom-
men, muss von der Politik ein Signal ausgehen, das den
mittelständischen Unternehmen wieder Zuversicht gibt.
Aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, heißt nun,
mit konkreten Schritten, wie sie in zahlreichen Anträgen
der FDP bereits formuliert und gefordert wurden, den
Mittelstand zu stärken.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623025700

Die Linke lehnt den vorliegenden Antrag der FDP ab.

Mit ihren Vorschlägen hält die FDP weiter Kurs auf
Steuer- und Abgabensenkung, auf Privatisierung und will
die Mitbestimmung abbauen.

Die jetzige Politik hat uns in diese Krise gebracht. Sie
ist gescheitert. Sie kann deshalb keine Antwort auf die
Krise sein.

Natürlich schlägt die Krise auch auf die mittelständi-
sche Wirtschaft. Manchmal liest man, der Mittelstand sei
wegen seiner Binnenmarktorientierung nicht so stark
von der Krise und dem Exporteinbruch betroffen. Das ist
in zweierlei Hinsicht falsch. Zum einen gibt es im indus-
triellen Gewerbe viele mittelständische Zulieferer, deren
Produktion am Export hängt und die jetzt erhebliche Pro-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sabine Zimmermann
bleme haben. Zum anderen hat die Krise längst die Bin-
nenwirtschaft erreicht. Auch in der Dienstleistungswirt-
schaft und im Einzelhandel schrumpfen die Umsätze.

Tatsache ist: Die Lage vieler mittelständischer und
kleiner Unternehmen ist bedrohlich. Noch nie hat der
Mittelstand seine Geschäftslage so schlecht beurteilt wie
in dieser Krise. Das zeigt das letzte KfW-Ifo-Mittel-
standsbarometer. Und es drohen immer mehr Unterneh-
menspleiten, mehr als 500 000 Arbeitsplätze sind in Ge-
fahr.

Kleine und mittlere Unternehmen leiden – ähnlich wie
die Großindustrie – unter zwei Grundproblemen: erstens
unter schlechten Finanzierungsbedingungen, zweitens
unter fehlenden Aufträgen. Im Gegensatz zur Bundesre-
gierung hat die Linke auf beide Probleme klare, überzeu-
gende und wirkungsvolle Antworten.

Stichwort: Finanzierung.

Viele Unternehmen erhalten derzeit keine Kredite
mehr oder die Banken fordern horrende Zinsen. Vier von
zehn Unternehmen beklagen eine restriktive Kreditver-
gabe. Jedes fünfte hat Probleme, überhaupt einen Kredit
zu erhalten. Offensichtlich wirkt der Bankenrettungs-
schirm ebenso wenig wie andere Maßnahmen der Regie-
rung für den Finanzsektor. Die Milliarden Euro nehmen
die Banken gerne, ändern aber nichts an ihrer Kreditver-
gabe. Das kann nicht sein!

Die Linke fordert als Sofortmaßnahme, die Großban-
ken zu vergesellschaften. Nur so kann eine Kreditklemme
vermieden werden. Nur so können die Banken in Staats-
besitz im öffentlichen Interesse angewiesen werden, wie-
der Kredite zu ordentlichen Konditionen zu vergeben.
Nur so wird vielen kleinen und mittleren Unternehmen
geholfen, statt dass ohne Auflagen weiteres Geld in den
Bankensektor gesteckt wird.

Stichwort: fehlende Aufträge.

Mit dem Einbruch der Konjunktur fehlen vielen mittel-
ständischen Unternehmen schlicht Aufträge. Im Bau-
gewerbe sind die Aufträge in den ersten vier Monaten
dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent ein-
gebrochen, im verarbeitenden Gewerbe der Umsatz um
22 Prozent. Es muss deshalb darum gehen, die Nach-
frage schnell und nachhaltig anzukurbeln. Die Bundesre-
gierung hat hier zu spät, zu wenig und in die falsche
Richtung gegengesteuert.

Für einen Kurswechsel sind zwei Maßnahmen zentral.
Zum einen: Wir brauchen ein staatliches Zukunftspro-
gramm von mindestens 100 Milliarden Euro für Investi-
tionen in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruk-
tur und Verkehr. Das bringt zwei Millionen Arbeitsplätze
und verbessert die Lebenslage vieler Menschen. Die
Folge: Beim Handel, auch bei den Warenhäusern, gäbe
es wieder höhere Umsätze und die Arbeitsplätze wären
wieder sicherer.

Zum anderen brauchen wir eine Umverteilung zuguns-
ten der breiten Masse der Bevölkerung. Ein gesetzlicher
Mindestlohn von zehn Euro ist einzuführen, der Regelsatz
bis zur Abschaffung von Hartz IV auf 500 Euro zu erhöhen.
Zu Protokoll
Dies umzusetzen bedeutet, die Nachfrage auf dem
deutschen Binnenmarkt um über 30 Milliarden Euro zu
erhöhen, mit entsprechend positiver Wirkung für die vie-
len kleinen und mittleren Unternehmen.

Wir stehen in den nächsten Monaten vor einer Gefahr:
Neben einzelnen Großunternehmen stehen Tausende mit-
telständische Firmen auf der Kippe und damit Hundert-
tausende Arbeitsplätze. Es darf kein „Weiter so“ geben!

Die Bundesregierung sollte unsere Vorschläge ernst-
haft prüfen. Nur fürchte ich, Union und SPD sind eher
damit beschäftigt, zu überlegen, wie sie trotz gegenteili-
ger Versprechungen nach der Wahl die Mehrwertsteuer
anheben können. Das wäre nicht nur eine soziale Kata-
strophe, sondern auch Gift für die Binnenwirtschaft. Eine
starke Linke kann helfen, dagegen wirksam vorzugehen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623025800

Dieser Antrag nimmt zwar vordergründig das auch für

Bündnis 90/Die Grünen wichtige Anliegen auf, Wirt-
schaftspolitik mittelstandsorientiert auszurichten. Aller-
dings bietet die FDP hier nur einen Schaufensterantrag
mit seit Jahren bekannten Textbausteinen. So fehlen ge-
rade für mittelständische Unternehmen besonders zen-
trale Punkte. Um den Bürokratieabbau effektiv durchzu-
setzen, muss der Normenkontrollrat aufgewertet werden.
Bisher darf er nur Regierungsvorlagen prüfen, und auch
das nur am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens.

Wir brauchen eine mittelstandsgerechte Ausgestal-
tung des Vergaberechts. Der Rechtsschutz auch bei klei-
nen Aufträgen muss für die bietenden Unternehmen si-
cher sein. Wir wollen ermöglichen, Unterlagen bis zum
Ende des Vergabeverfahrens nachzureichen und auch
Fehler korrigieren zu können, statt schon am Anfang in
einer Zettelflut zu ertrinken. Wir wollen, dass sich gerade
kleine und mittlere Unternehmen in Präqualifizierungs-
verfahren immer gleich für mehrere Vergabeverfahren
qualifizieren können.

Eine engagierte Mittelstandspolitik heißt auch eine
bessere Förderung der Existenzgründung etwa durch Mi-
krokredite. Mehr Unterstützung für Gründerinnen und
Gründer ist dringend notwendig. Grüne Wirtschaftspoli-
tik will das Gründungsgeschehen beleben. Denn: In den
letzten Jahren ist der Trend zur Existenz- und Unterneh-
mensgründung rückläufig. Wir brauchen Raum für neue
Ideen und Unternehmen und wollen Gründungen för-
dern, nicht gängeln. Sie sind die Voraussetzung für inno-
vatives Wirtschaften. Darum brauchen wir eine kleintei-
lige, dezentrale und regionale Förderung, die für kleine
und mittlere Unternehmen passt.

Bündnis 90/Die Grünen setzen auch auf mehr Enga-
gement der Unternehmen für Innovationen und wollen
mit einer Steuergutschrift von 15 Prozent für alle For-
schungs- und Entwicklungsausgaben kleine und mittel-
ständische Unternehmen fördern. Zudem brauchen wir
die dienstleistungsorientierte Weiterentwicklung der
IHKen und Handwerkskammern und eine engagierte
Wettbewerbspolitik, die klar gegen Oligopole zum Bei-
spiel in den Bereichen Energie oder Lebensmittelhandel
vorgeht.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
Statt in diesem Sinne ein umfassendes mittelstandspo-
litisches Konzept zu bieten, greift die FDP in die Motten-
kiste ihrer altbekannten Mantras wie Steuersenkung,
durch die Verlagerung auf Länderebene Schwächung der
Erbschaftsteuer, Förderung von Lohndumping, Erschwe-
rung der Gründung von Betriebsräten, Aufweichung des
Kündigungsschutzes, Absage an Mindestlöhne und pau-
schale Gewerkschaftsschelte. Eine verantwortungsbe-
wusste und durchdachte Mittelstandspolitik sieht anders
aus.

Der Antrag zeigt, dass die FDP mit ihrer platten De-
regulierungsrhetorik nichts aus der Wirtschaftskrise ge-
lernt hat und nach wie vor glaubt, dass ein unregulierter
Turbokapitalismus zu mehr Arbeitsplätzen, Wirtschafts-
wachstum und Mittelstandsorientierung führen würde.
Und sie bleibt bei ihrem Aberglauben, dass ein Staat,
dem nach einer massiven Neuverschuldung im Rahmen
der Konjunkturpakete die Finanzbasis entzogen wird, im
Sinne des Mittelstandes und einer innovativen Wirt-
schaftspolitik noch handlungsfähig wäre. Das Gegenteil
ist der Fall. Darum lehnen wir diesen Antrag ab. Eine
nachhaltig wirksame und verantwortungsbewusste Mit-
telstandspolitik: Dafür stehen Bündnis 90/Die Grünen,
aber nicht die FDP.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623025900

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13148, den An-
trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12326 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion ange-
nommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:1)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch den Nationalen
Normenkontrollrat

Jahresbericht 2008 des Nationalen Normen-
kontrollrates

Bürokratieabbau – Jetzt Entscheidungen
treffen

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Bericht der Bundesregierung 2008 zur An-
wendung des Standardkosten-Modells und
zum Stand des Bürokratieabbaus

– Drucksachen 16/10039, 16/10285 Nr. 15,
16/11486, 16/13146 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Garrelt Duin

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 17
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
16/13146 zu der Unterrichtung durch den Nationalen
Normenkontrollrat „Jahresbericht 2008 des Nationalen
Normenkontrollrates. Bürokratieabbau – Jetzt Entschei-
dungen treffen“ und zu der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung „Bericht der Bundesregierung 2008 zur
Anwendung des Standardkosten-Modells und zum Stand
des Bürokratieabbaus“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kennt-
nis der Unterrichtungen eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

Dr. Gregor Gysi, Dr. Gesine Lötzsch, Kersten
Naumann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Gleichberechtigte Entschädigung von Strah-
lenopfern in Ost und West schaffen – Umfas-
sendes Radaropfer-Entschädigungsgesetz ein-
führen

– Drucksachen 16/8116, 16/13662 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Brüning
Hedi Wegener
Birgit Homburger
Paul Schäfer (Köln)

Winfried Nachtwei


Monika Brüning (CDU):
Rede ID: ID1623026000

Nach der ersten Lesung im Januar dieses Jahres be-

schäftigen wir uns heute erneut mit der sogenannten
Radarstrahlenproblematik. Ich möchte mit einem Dank
beginnen, einem Dank an den Parlamentarischen Staats-
sekretär Christian Schmidt, der in den vergangenen
Monaten zusammen mit den Berichterstattern aller Frak-
tionen, dem Deutschen Bundeswehrverband und dem
Bund der Radargeschädigten mit viel Engagement alles
darangesetzt hat, bestmögliche Lösungen für noch aus-
stehende Anliegen im Zusammenhang mit der Radarthe-
matik zu finden.

Bereits seit 2000 befassen wir uns im Deutschen Bun-
destag mit der Frage, inwieweit Soldaten durch Radarge-
räte Gesundheitsschäden erlitten haben. Eine durch den
Verteidigungsausschuss eingerichtete Expertenkommis-
sion erarbeitete hierzu einen ausführlichen Bericht. Die
in diesem Bericht erstellten großzügigen Kriterien bilden
bis heute die Grundlage für die Bearbeitung und Ent-
scheidung der Radarfälle.

Die Empfehlungen der Expertenkommission werden
eins zu eins umgesetzt, ohne dass im Einzelfall konkret
nachgewiesen werden muss, dass die jeweiligen Erkran-
kungen tatsächlich auf die konkrete Tätigkeit an Radar-
geräten zurückzuführen sind. Darüber hinaus wurde die
Interpretation der Anerkennungskriterien des Berichts


(A) (C)



(B) (D)


Monika Brüning
zugunsten der Betroffenen immer wieder ausgedehnt. Ich
nenne an dieser Stelle nur das Stichwort: Konkurrenzri-
siko.

Der Antrag der Fraktion Die Linke, den wir heute be-
raten, beinhaltet eine zentrale Forderung, und zwar die
Einführung eines umfassenden Radaropfer-Entschädi-
gungsgesetzes. Ein solches Vorhaben wurde bereits 2001
durch die betroffenen Ressorts umfassend geprüft. Im Er-
gebnis wurde seinerzeit von einem solchen Sondergesetz
Abstand genommen. Ein wesentlicher Grund für diese
Entscheidung ist die Tatsache, dass für die möglicher-
weise betroffenen Personen bereits Rechtsvorschriften
bestehen. Diese Vorschriften sehen Leistungen bei einer
durch dienstliche Tätigkeiten bedingten gesundheitlichen
Schädigung vor.

Erlauben Sie mir, die wesentlichen Rechtsvorschriften
kurz in Erinnerung zu holen. Für die Soldaten der Bundes-
wehr handelt es sich um Versorgungsansprüche wegen
einer – strahlenbedingten – Wehrdienstbeschädigung
nach den Bestimmungen des Soldatenversorgungsgeset-
zes, für Beamte um Regelungen des Beamtenversor-
gungsgesetzes und für Arbeitnehmer um Vorschriften der
gesetzlichen Unfallversicherung. Ehemalige Soldaten
der NVA können einen Anspruch auf Dienstbeschädi-
gungsausgleich nach dem „Gesetz über einen Ausgleich
für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet“ – das so-
genannte Dienstbeschädigungsausgleichsgesetz – gel-
tend machen.

Bei der Radarstrahlenproblematik handelt es sich um
eine sehr komplexe und sensible Thematik. Hierbei ist es
selbstverständlich, dass subjektive und emotionale Mo-
mente immer wieder mit einfließen. Es war deshalb von
Anfang an unser vorrangiges Interesse, eine bestmögli-
che Lösung für alle Betroffenen zu finden. Aber – und das
möchte ich dieser Stelle auch einmal mit Nachdruck be-
tonen – eine allumfassende Lösung kann es nicht geben.
Die Beweislage ist aufgrund fehlender Dokumentationen
und nicht mehr nachkonstruierbarer Arbeitsplatzbe-
schreibungen sehr schwierig. Darüber hinaus sind Ver-
gleiche mit ähnlichen Personengruppen aus dem zivilen
Bereich nicht möglich. Die vom Gesetzgeber getroffenen
Versorgungsregelungen sowie die Kriterien des Berichts
der Radarkommission bilden deshalb nach wie vor die
geeignete und sachgerechte Grundlage für die Bearbei-
tung, Entscheidung und Entschädigung in den Radarfäl-
len sowohl von Angehörigen der Bundeswehr als auch
der ehemaligen NVA.

Im Einigungsvertrag und im Zuge der Gesetzgebung
zur Überleitung von Ansprüchen nach dem Recht der
DDR wurde die Entscheidung getroffen, ehemalige An-
gehörige der NVA nicht in die Versorgung nach dem Sol-
datenversorgungsgesetz aufzunehmen. In Bezug auf die
in den Versorgungssystemen erworbenen Ansprüche und
Anwartschaften auf Leistungen wurde des Weiteren die
Systementscheidung getroffen, die Rentenansprüche aus
Sonderversorgungssystemen ausschließlich in nur eine
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu über-
führen. Die bestehenden Unterschiede in den Versor-
gungsvorschriften ehemaliger Angehöriger der NVA im
Vergleich zu Angehörigen der Bundeswehr basieren so-
Zu Protokoll
mit auf gesetzlich gewollten Unterscheidungen! Der vor-
liegende Antrag der Fraktion Die Linke und die darin
enthaltene Forderung nach einem umfassenden Radar-
Opferentschädigungsgesetz ist deshalb abzulehnen.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich bei Ih-
nen allen für die gute Zusammenarbeit in den letzten Jah-
ren zu bedanken. Dies wird meine letzte Rede im Parla-
ment sein, denn ich werde in der 17. Legislaturperiode
nicht wieder für den Deutschen Bundestag kandidieren.
Für die zukünftigen Herausforderungen und Aufgaben
wünsche ich Ihnen viel Erfolg und persönlich alles Gute.


Hedi Wegener (SPD):
Rede ID: ID1623026100

In den vergangenen Jahren haben wir Verteidigungs-

politiker uns immer wieder mit dem Thema Radarschä-
den auseinandergesetzt. Ein wesentlicher Aspekt der
Angelegenheit ist, dass der Dienstherr seiner Fürsorge-
pflicht in vollem Umfang gerecht wird. Das bedeutet,
dass der Dienstherr dafür Sorge zu tragen hat, dass die
Soldatinnen und Soldaten, sollten sie im Dienst und in
unserem Auftrag Schaden erlitten haben, versorgt sind
und ihnen der entstandene Schaden ersetzt wird. Einen
vollen Ersatz bei körperlichen Schäden oder gar
Krebserkrankungen kann es kaum geben. Umso wichti-
ger ist es, die Geschädigten nicht alleinzulassen oder ih-
nen gar das Gefühl zu geben, sie wären lästig.

Auf Druck des Verteidigungsausschusses wurde am
30. August 2002 eine unabhängige Expertenkommission
eingesetzt, die die Zusammenhänge zwischen Strahlen-
einwirkungen und gesundheitlichen Gefährdungen un-
tersuchen und Empfehlungen abgeben sollte, wie mit den
Sachverhalten umgegangen werden sollte. Ausdrücklich
ist der Auftrag erteilt worden, die Auswirkungen im Be-
reich früherer Einrichtungen der Bundeswehr und glei-
chermaßen der NVA zu untersuchen.

Am 24. September 2003 billigte der Verteidigungsaus-
schuss die Stellungnahme des BMVg zum Abschlussbe-
richt der Radarkommission, in dem das BMVg explizit
zusagte, „die Empfehlungen unter Ausschöpfen aller
rechtlichen Möglichkeiten und Ermessensspielräume im
Prinzip eins zu eins umzusetzen, um damit den drängen-
den Anliegen der betroffenen Antragsteller bestmöglich
Rechnung zu tragen.“

Die Kriterien für die Anerkennung von Versorgungs-
ansprüchen, die die Radarkommission festgelegt hat,
gelten somit für alle gleichermaßen, Ost und West, Bun-
deswehr und NVA. Für eine gesetzliche Regelung zu ei-
ner Gleichbehandlung, wie sie der Antrag der Fraktion
Die Linke fordert, besteht also keinerlei Notwendigkeit,
und der Antrag ist daher abzulehnen.

Gleiches gilt aus Sicht meiner Fraktion im Übrigen
auch für die im Antrag genannten Probleme beim Kausa-
litätsnachweis. Die Radarkommission empfiehlt eine
grundsätzliche Anerkennung qualifiziert erkrankter Per-
sonen, soweit sie nachweislich im vom Bericht festgeleg-
ten Zeitraum an den betreffenden Radargeräten gearbei-
tet haben.

Als weiteres Argument für die Forderung nach einem
Radaropfer-Entschädigungsgesetz wird die unterschied-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hedi Wegener
liche Behandlung aufgrund unterschiedlicher Versor-
gungssysteme angeführt. Grundlage dieser tatsächlich
unterschiedlichen Behandlung sind jedoch die Bestim-
mungen des Einigungsvertrages vom 31. August 1991.
Damals wurde die Systementscheidung getroffen, die
Rentenansprüche aus Sonderversorgungssystemen aus-
schließlich in nur eine Rente der gesetzlichen Rentenver-
sicherung zu überführen. Der Gesetzgeber hat damals
entschieden, die ehemaligen Angehörigen der NVA nicht
in die Versorgung nach Soldatenversorgungsgesetz auf-
zunehmen. Die Ansprüche der Soldatinnen und Soldaten
der ehemaligen NVA auf Entschädigungszahlungen sind
also ausschließlich nach dem übergeleiteten DDR-Recht
im Rahmen sozialversicherungsrechtlicher Abgeltung zu
beurteilen. Gleiches gilt für ehemalige Wehrpflichtige
der NVA.

Die SPD-Fraktion sieht keinerlei Anlass, die grund-
sätzlichen Entscheidungen des Einigungsvertrages in
diesem Punkt zu verändern. Eine Ungleichbehandlung
der Opfer nach dem Radarbericht ist nicht gegeben, und
somit besteht auch keine Notwendigkeit für das von der
Linken geforderte Gesetz.

Allerdings – das betone ich an dieser Stelle ausdrück-
lich – ist der Umgang seitens des BMVg mit der gesam-
ten Problematik ein Lehrstück dafür, wie eine Verwaltung
mit politischen Vorgaben des Parlaments umgeht und
Vorgaben des Ministers und der Staatssekretäre aushe-
belt. Ich selbst habe mich mit der Thematik von 2002 bis
2005 intensiv auseinandergesetzt. Mein Kollege Rolf
Kramer, dem an dieser Stelle ausdrücklich Dank gebührt,
hat den Kampf als Berichterstatter bis heute fortgeführt.
Ohne ihn und seine Mitstreiter im Ausschuss wären wir
vermutlich heute wieder bei einem Zustand wie vor dem
Jahr 2001.

Wenn ich es nicht selber miterlebt hätte, hätte ich es
nicht geglaubt. Aber einige Beamte im BMVg haben kon-
sequent jegliche politische Entscheidung hintertrieben
und umgangen. Das BMVg hat eine Umsetzung des Ra-
darberichts eins zu eins zugesagt. Das scheint aber nicht
für jeden zu gelten. Die Opfer, deren Schicksal schwer
genug ist, wurden in jeder Hinsicht bei ihrem Kampf um
ihre rechtmäßigen Ansprüche behindert. Hat ein Gericht
Akteneinsicht angeordnet, war der Schlüssel zum Akten-
schrank weg. Hat der Staatssekretär eine Auslegung zu-
gunsten der Betroffenen zugesagt, tauchten Fakten aus
dem Nichts auf, und die Entscheidung wurde konterka-
riert. Und so weiter und so weiter. So ist die Frage:
Können wir es zulassen, dass seit mehr als sechs Jahren
verhindert wird, dass die Beschlüsse der gewählten
Volksvertreter umgesetzt werden?

Die Beschlüsse des Parlaments und der Regierung
wurden hintertrieben und umgangen. Ein gutes Beispiel
ist erneut der Bericht des BMVg an den Verteidigungs-
ausschuss. Hier wird ausgeführt, der Radarkommissions-
bericht habe keinerlei Zusammenhang zwischen Radar-
strahlenexposition und Krebserkrankungen der Bediener
festgestellt. Dabei beruhen ganz im Gegenteil die Emp-
fehlungen der Kommission auf genau diesem wissen-
schaftlich nachgewiesenen Zusammenhang.
Zu Protokoll
Ich sehe eine ganz wichtige Aufgabe für die nächste
Legislaturperiode für das Parlament, vor allem für den
nächsten Verteidigungsminister. Es muss der Verwaltung
wieder klar vor Augen geführt werden, wer legitimiert
die Entscheidungen trifft und wer sie umzusetzen hat.
Entscheidungen werden nicht aus dem hohlen Bauch
heraus getroffen, sondern nach Abwägung aller Argu-
mente, auch derjenigen, die die Beamten eines Ministe-
riums liefern. Das ist ihre Aufgabe. Ist aber die politische
Entscheidung getroffen worden, sollte es selbstverständ-
lich sein, dass diese auch umgesetzt wird. Dazu sind Mit-
arbeiter verpflichtet.

Ich finde es gut, dass die Idee der Gründung einer Stif-
tung wieder aufgenommen und erneut verfolgt werden
soll. Das war schon am Ende der letzten Legislatur-
periode eine Überlegung des damit beschäftigten und
sehr engagierten Parlamentarischen Staatssekretärs
Walter Kolbow.

Dass ich ausgerechnet meine letzte Rede im Deut-
schen Bundestag zu diesem schwierigen Thema ohne
grundlegende positive Perspektiven halte, ist schade. Es
zeigt aber auch, wie intensiv, lange, ausführlich und be-
harrlich wir als Politiker an diesem Thema arbeiten.
Dem nächsten Ausschuss wünsche ich also Mut zu un-
konventionellen Entscheidungen.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1623026200

Die FDP setzt sich bereits seit Anfang des Jahres 2001

für eine großzügigere Entschädigung der Radarstrahlen-
opfer ein. Die PDS-Fraktion als Vorgängerin der Frak-
tion Die Linke hat dieses Anliegen der FDP-Bundestags-
fraktion zu jener Zeit nicht mitgetragen. Das wird die
FDP-Bundestagsfraktion aber nicht davon abhalten,
heute dem Antrag auf Gleichbehandlung von Radarop-
fern in Ost und West bei der Entschädigung zuzustimmen.

Dabei sind für die FDP zwei Gründe maßgeblich.
Zum einen ist die Bundeswehr in den Jahren seit dem
Mauerfall und der Wiedervereinigung zur Armee der
Einheit zusammengewachsen. Dieses Zusammenwach-
sen ist Anfang des Jahres 2008 dahin gehend vollendet
worden, dass die Besoldung der Soldatinnen und Solda-
ten aus den neuen Bundesländern auf das Tarifniveau ih-
rer Kameradinnen und Kameraden aus den alten Bun-
desländern angehoben wurde. Auch aus diesem Grunde
sollte bei den Radargeschädigten aus Ost und West der
Gedanke der Armee der Einheit angewandt werden. Eine
Ungleichbehandlung der Radaropfer widerspricht die-
sem Gedanken.

Zweitens hat die Bundesregierung den Radaropfern
der Bundeswehr eine großherzige und unbürokratische
Unterstützung zugesichert. Darüber hinaus hat sie zuge-
sichert, dass die Empfehlungen der Radarkommission,
die im Jahr 2003 dem Verteidigungsausschuss vorgelegt
wurden, eins zu eins umgesetzt würden.

Es ist bekannt, dass die Praxis des Bundesministe-
riums der Verteidigung in der Anerkennung von Radar-
fällen ehemaliger Soldaten und Angestellter der Bundes-
wehr zu großem Unmut bei den Betroffenen und ihren
Angehörigen führt. Nach Auskunft der Bundesregierung



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
an den Deutschen Bundestag wurden rund 36 Prozent
der Anträge aus dem Bereich der ehemaligen NVA ge-
stellt. Während die Anerkennungsquote bei allen ent-
schiedenen Anträgen 14,2 Prozent betrug, lag sie bei den
Anträgen aus dem Bereich der ehemaligen NVA lediglich
bei 6,6 Prozent. Ein Grund für diese große Diskrepanz in
der Anerkennung ist nicht ersichtlich. Vielmehr lassen
diese Zahlen Fragezeichen aufkommen, inwiefern sich
die Bundesregierung an ihre eigenen Zusicherungen
hält, Radaropfer großherzig und unbürokratisch zu un-
terstützen. Es ist deshalb verständlich, wenn sich die in
der NVA von Radarstrahlen Geschädigten als Opfer
zweiter Klasse fühlen. Das muss sich ändern.

Gefragt ist folglich eine zügige politische Lösung, die
im Sinne der Ankündigungen des Bundesministeriums
der Verteidigung den Geschädigten hilft und sie nicht
weiter allein lässt.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623026300

Ein wenig mehr Gerechtigkeit – um nicht mehr und

nicht weniger geht es in unserem Antrag zur Einführung
eines umfassenden Radaropfer-Entschädigungsgesetzes.
Der Umgang der Bundesregierung und vor allem des
Verteidigungsministeriums mit den Strahlenopfern in Ost
und West spricht Bände darüber, wie weit es wirklich her
ist mit der deutschen Einheit und der Fürsorge gegen-
über dem eigenen Personal. Das Aktivvermögen der NVA
wurde gerne übernommen. Die NVA-Waffen eigneten
sich zur Pflege der Beziehungen mit anderen Staaten und
wurden zum Beispiel nach Indonesien exportiert.

Anders bei dem NVA-Personal. Hier wurde von An-
fang an darauf geachtet, dass sie nicht die gleichen Ver-
sorgungs- und Soldansprüche wie das Bundeswehrperso-
nal erhielten. Man muss sich das einmal vorstellen: Erst
18 Jahre nach dem Mauerfall und erst auf Druck der
Oppositionsparteien wurde die Angleichung des Soldes
im Osten an den Westen vereinbart. Da ging es um
„Peanuts“ im Vergleich zu den gigantischen Beschaf-
fungsvorhaben, die in schöner Regelmäßigkeit von den
Regierungsparteien durchgewinkt werden.

Die Radargeräte der NVA und der Bundeswehr waren
insbesondere in den 60er- und 70er-Jahren hochgefähr-
lich für das Bedienungspersonal. Sie wurden ohne aus-
reichenden Schutz einem enormen Risiko ausgesetzt, was
bei vielen zu schweren Erkrankungen und zum Tod ge-
führt hat. Sowohl die Betroffenen als auch die Angehöri-
gen sind davon ausgegangen, dass der Staat hier seiner
Fürsorgepflicht nachkommt.

Ein Trugschluss, wie sich zeigt. Von den etwa 3 750
bekannt gewordenen und beantragten Entschädigungsre-
gelungen wurden nur etwas mehr als 700 im Sinne der
Antragsteller entschieden. Und selbst das hält das Vertei-
digungsministerium bis heute für eine äußerst kulante
Auslegung der Bestimmungen. Ihrer Lesart nach wäre
die Regierung gesetzlich zu weitaus weniger verpflichtet.
Dies gilt insbesondere für die Strahlenopfer der NVA.
Die Bundesregierung hat selber erklärt, dass die unter-
schiedliche Behandlung von ehemaligen NVA- und Bun-
deswehrsoldaten vom Gesetzgeber so gewollt sei. Erhält
ehemaliges NVA-Personal eine Unfallrente, wird dies im
Zu Protokoll
Unterschied zur Bundeswehr auf die Altersrente ange-
rechnet. Bei den NVA-Strahlenopfern wurden fast
20 Prozent der Anträge ehemaliger Angehöriger und Be-
schäftigter der NVA bzw. von deren Hinterbliebenen auf-
grund fehlender Rechtsgrundlage abgelehnt. Sowohl der
Petitionsausschuss als auch der Wehrbeauftragte haben
sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, diese
Ungleichbehandlung endlich zu beenden.

De facto hat sich seit dem Abschlussbericht der Ra-
darkommission 2003 seitens des Verteidigungsministe-
riums nichts bewegt. Die Interessenvertretungen der Ra-
daropfer in Ost und West müssen mühsam von Instanz zu
Instanz klagen. Aus den Gesprächen der Betroffenen geht
klar hervor, dass das Verteidigungsministerium und des-
sen Sachverständige – um es diplomatisch auszudrücken –
nicht immer hilfreich sind. Sie reizen alle verfügbaren
Rechtsmittel aus, legen Gutachten vor, von denen sie wis-
sen, dass diese wissenschaftlich anfechtbar sind, oder er-
schweren die Einsichtnahme in die Akten. Es ist ein zyni-
sches Spiel auf Zeit, und es drängt sich der Verdacht auf,
dass es vor allem darum geht, die früheren Versäumnisse
der Verwaltung zum Schutz der Soldaten zu vertuschen
und natürlich Geld zu sparen.

Deswegen halten wir es für absolut notwendig, die
Bundesregierung endlich dazu zu zwingen, ein Radarop-
fer-Entschädigungsgesetz vorzulegen. Sowohl die Un-
gleichbehandlung muss eine Ende haben als auch der
allgemeine Umgang des Verteidigungsministeriums mit
den Radarstrahlengeschädigten beider Streitkräfte.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623026400

Seit 2001 ist im Verteidigungsministerium bekannt,

dass Soldaten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA
an Radargeräten gearbeitet hatten, die lebensgefährliche
Strahlen aussendeten, an denen viele teilweise schwer
oder auch tödlich erkrankten. Gegenüber Soldaten und
ehemaligen Soldaten, die entweder zu Zeiten des Ost-
West-Konflikts ohne eigenes Wissen oder auch heute in
den Auslandseinsätzen ihre Gesundheit und ihr Leben
riskieren, hat der ehemalige Dienstherr eine Fürsorge-
pflicht, stehen Politik und Parlament in einer besonderen
Verantwortung, dem berechtigten Anspruch auf Entschä-
digung und Versorgung aller betroffenen Soldaten und
ihrer Hinterbliebenen rasch und vollständig nachzukom-
men. Das ist eine Vertrauensfrage von Soldaten und Sol-
datinnen gegenüber der Bundeswehr, der Politik und den
Parlamentariern.

Mit der 2002 auf Empfehlung des Verteidigungsaus-
schusses eingesetzten unabhängigen Expertenkommis-
sion hatte sich die damalige Bundesregierung grund-
sätzlich auf den richtigen Weg gemacht. In ihrem
Abschlussbericht formulierte die Kommission großzü-
gige Kriterien für die Anerkennung auf Entschädigungs-
und Versorgungsleistungen für radarstrahlenerkrankte
ehemalige Soldaten der Bundeswehr und der NVA. Auch
der damalige Verteidigungsminister Scharping hatte eine
„streitfreie und großherzige Lösung“ angekündigt. Das
Verteidigungsministerium sicherte zu, die Empfehlungen
der Kommission eins zu eins umzusetzen. Mittlerweile
kann von einer großzügigen und unbürokratischen Lö-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
sung für betroffene Soldaten sowie deren Angehörige und
Hinterbliebene aber wohl keine Rede mehr sein. Die An-
erkennungszahlen lassen zumindest Zweifel an einer
Eins-zu-eins-Umsetzung aufkommen. Von den 3 700 Ver-
sorgungsanträgen wurden 720 zugunsten geschädigter
Soldaten beschieden. Das ist gerade einmal jeder Fünfte.
Demgegenüber wurden 2 700 Anträge abgelehnt. Etwa
250 Anträge sind noch offen. Sie befinden sich meist im
Klage- oder Widerspruchsverfahren. Angesichts des lan-
gen Weges zur Anerkennung auf Wehrdienstbeschädi-
gung und des oft zermürbenden juristischen Dauerstreits
um Versorgungsleistungen sind der Frust und das Unver-
ständnis vieler radargeschädigter Soldaten und ihrer
Hinterbliebenen nur allzu verständlich. Im Dialog mit
den Betroffenen muss eine politische Lösung gefunden
werden. Die Frage einer Stiftungslösung halte ich daher
auch noch nicht für abschließend beantwortet. Eine Stif-
tungs- oder Fondslösung wäre aber auch aus einem wei-
teren und, wie ich meine, nicht weniger bedeutendem Ar-
gument zu überlegen. In eine Fonds- bzw. Stiftungslösung
könnten auch alle diejenigen im Auslandseinsatz geschä-
digten Soldaten und Soldatinnen einbezogen werden, bei
denen eine Versorgung nicht bzw. nicht angemessen mög-
lich ist. Angesichts der derzeitigen und absehbaren Ent-
wicklungen von Auslandseinsätzen müssen wir hier künf-
tig viel mehr tun.

Von Anfang an haben wir Grünen uns dafür einge-
setzt, dass die Empfehlungen der Radarkommission ohne
Wenn und Aber umgesetzt werden. Dort wird eine versor-
gungsrechtliche Gleichstellung für Strahlenopfer der
Bundeswehr und der NVA sowie deren Hinterbliebene
gefordert. Aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen
geschieht dies bislang aber nicht. Für viele Betroffene ist
das nicht nachvollziehbar. Während Radargeschädigte
der Bundeswehr Leistungen nach Soldaten- und Bundes-
versorgungsgesetz erhalten, bekommen ehemalige NVA-
Soldaten Leistungen aus der Unfallrente. Anders als für
Hinterbliebene von radargeschädigten ehemaligen Bun-
deswehrangehörigen gibt es zudem für Hinterbliebene
von betroffenen NVA-Soldaten keine eigene Zusatzver-
sorgung. Damit wird der Gleichheitsgrundsatz des
Grundgesetzes zulasten der Hinterbliebenen ehemaliger
NVA-Soldaten untergraben. Die bisherigen Rechtsgrund-
lagen reichen ganz offensichtlich nicht aus. Wir Grünen
werden deshalb dem Antrag der Fraktion Die Linke für
ein umfassendes Radaropfer-Entschädigungsgesetz zu-
stimmen. Allerdings – und das will ich an dieser Stelle
auch ganz klar sagen – fallen auf den Antrag der Frak-
tion Die Linke dunkle Schatten. In der Begründung ihres
Antrags fordert die Fraktion Die Linke, dass die Bundes-
regierung sich ihrer Verantwortung stellen müsse und
nicht nur die Aktiva, sondern auch die Passiva der NVA
übernehmen müsse. Was die Fraktion Die Linke dabei
verschweigt: Angesichts der Tatsache, dass die Partei
Die Linke in großen Teilen Nachfolgepartei der SED ist,
muss auch sie sich ihrer Verantwortung für radargeschä-
digte Soldaten der NVA und deren Hinterbliebene stellen.
Das aber wird mit keinem Wort erwähnt. Schließlich
– und das muss ebenso deutlich gesagt werden – macht
sich die Fraktion Die Linke völlig unglaubwürdig, wenn
sie sich nicht im selben Maße auch für die Rehabilitation
und Entschädigung für die Opfer des SED-Regimes und
deren Hinterbliebene einsetzt. Auf diesem Auge aber
scheint die Fraktion Die Linke blind zu sein. Für uns
Grüne gilt: Vorrang haben Geschädigte und deren Hin-
terbliebene. Wir wollen, dass radargeschädigte Soldaten
in Ost und West gleichberechtigt entschädigt werden. Aus
diesem und nur aus diesem Grund stimmen wir dem An-
trag der Fraktion Die Linke zu.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623026500

Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungs-

ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13662, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/8116 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 c auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte
von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren

(2. Opferrechtsreformgesetz)


– Drucksache 16/12098 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Rechte von Verletzten und

(2. Opferrechtsreformgesetz)


– Drucksache 16/12812 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung des Schutzes der Opfer von
Zwangsheirat und schwerem „Stalking“

– Drucksache 16/9448 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung des Opferschutzes im Strafprozess

– Drucksache 16/7617 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13671 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Dr. Matthias Miersch
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623026600

Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Opferinteressen ernst nehmen – Opferschutz
stärken

– Drucksachen 16/7004, 16/13671 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Dr. Matthias Miersch
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordne-
ten Sibylle Laurischk, Irmingard Schewe-Gerigk,
Dr. Konrad Schily und weiteren Abgeordneten ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der
Genitalverstümmelung

– Drucksache 16/12910 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13667 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Sibylle
Laurischk, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Konrad Schily
und weiterer Abgeordneter liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion Die Linke vor.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1623026700

Mein Kollege Siegfried Kauder hat bereits das heute

zur Abstimmung stehende 2. Opferrechtsreformgesetz
umfassend erläutert. Ich möchte mich daher hier auf den
Aspekt der Genitalverstümmelung beschränken. Die Ko-
alition hat sich dieser Problematik bereits im vergange-
nen Jahr angenommen und den Antrag „Wirksame Be-
kämpfung der Genitalverstümmelung von Mädchen und
Frauen“ mit einem 20-Punkte-Plan verabschiedet. Da-
rin werden eine Reihe von Maßnahmen genannt, die aus
unserer Sicht erforderlich sind, um Mädchen und Frauen
wirksamer vor Genitalverstümmelungen zu schützen.

Unter gesetzgeberischen Gesichtspunkten haben wir
damals die Bundesregierung aufgefordert, für die Sicher-
stellung der Verlängerung der Verjährungsvorschriften
für die Opfer zu sorgen, die zum Tatzeitpunkt noch nicht
volljährig waren. Diese sollen noch nach dem Erreichen
der Volljährigkeit die Möglichkeit haben, selbst Anzeige
zu erstatten. Denn nach dem bisherigen Recht ist es so,
dass die Verjährungsfrist bei einer Genitalverstümme-
lung, die den Straftatbestand einer gefährlichen oder
schweren Körperverletzung erfüllt, maximal zehn Jahre
beträgt und bereits mit der Beendigung der Tat beginnt. Ist
das Opfer also jünger als acht Jahre, läuft die Verjährungs-
frist ab, bevor das Opfer volljährig ist. Dies darf nicht
sein. Auf Drängen der Union enthält der vorliegende
Entwurf nun eine Änderung, die diese Vorgabe eins zu
eins umsetzt: § 225 StGB, also die Misshandlung von
Schutzbefohlenen, soll in die Ruhensregelung des § 78
Abs. 1 Nr. 1 StGB einbezogen werden. Die Verjährung
ruht damit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des
Opfers, wenn die Genitalverstümmelung zugleich den
Straftatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen
erfüllt. Darüber hinaus werden aber auch die gefährliche
und die schwere Körperverletzung einbezogen, soweit
diese Tatbestände durch dieselbe Tat verwirklicht wer-
den, durch die § 225 StGB erfüllt wird. Das bedeutet
also, dass auch die Verjährung der gefährlichen und
schweren Körperverletzung dann ruht, wenn zumindest
ein an der Tat Beteiligter bzw. eine Beteiligte zugleich
den Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen
erfüllt. Dies dürfte so gut wie immer der Fall sein; denn
in der Praxis erfolgt die Genitalverstümmelung meist mit
Wissen und unter Duldung eines Elternteils. Obwohl die
Eltern nicht selbst unmittelbar an der Körperverletzung
mitwirken, machen sie sich damit zumindest einer Miss-
handlung von Schutzbefohlenen strafbar.

Mit dieser nun vereinbarten Änderung von § 78 StGB
hat sich der heute ebenfalls zur Abstimmung stehende
Entwurf der Kolleginnen und Kollegen Laurischk,
Schewe-Gerigk und Schily erledigt. Ich hatte bereits in
der ersten Beratung hierzu ausgeführt, dass wir eine ex-
plizite Aufnahme der weiblichen Genitalverstümmelung
in den Katalog der schweren Körperverletzung wegen
der damit immer verbundenen erhöhten Mindeststrafe
als problematisch erachten. Unsere Lösung bietet hier
den entscheidenden Vorteil, dass wir die Verjährungsvor-
schriften unter Einbeziehung der gefährlichen und
schweren Körperverletzungsdelikte anpassen, ohne selbst
diese Tatbestände ändern zu müssen. Damit werden wir
den Bedenken der Experten und auch Betroffenen ge-
recht, die uns darauf hingewiesen haben, dass eine solche
Strafverschärfung unter Umständen aus Sicht der Opfer
sogar kontraproduktiv wirkt. Eine Mindestfreiheitsstrafe
von drei Jahren und die damit zwingend einhergehende
Ausweisung der Familienangehörigen könnte nämlich in
vielen Fällen die Opfer von einer Anzeige abhalten. Dies
wollen wir aber gerade nicht. Wir sind daher zu dem Er-
gebnis gekommen, die Straftatbestände nicht zu verän-
dern.

Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen,
dass die Genitalverstümmelung immer auch zumindest
den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung
erfüllt. Den Gerichten steht somit der gleiche Strafrah-
men mit einer Höchststrafe von zehn Jahren zur Verfü-
gung. Das gibt den Strafverfolgungsbehörden ein flexi-
bles Instrument an die Hand, um auf die Taten
angemessen zu reagieren. Bei diesen sensiblen, im Nah-
bereich der Familie stattfinden Verletzungen ist dies ein
wichtiger Vorteil, den der Entwurf der Kolleginnen und
Kollegen aus der Opposition leider nicht bietet.

Die darüber hinaus geforderte Ergänzung der Vor-
schriften zur Auslandsstrafbarkeit lehnen wir ebenso ab.
Man muss hier ganz klar sagen: So wünschenswert auch


(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
eine Verfolgung sein mag, die geforderte Erweiterung
wäre faktisch lediglich symbolischer Natur, da den deut-
schen Strafermittlungsbehörden die Ressourcen fehlen,
um diese Straftaten im Ausland zu verfolgen. Eine ent-
sprechende Gesetzesänderung würde die Glaubwürdig-
keit des deutschen Strafrechts infrage stellen, wenn von
vornherein feststeht, dass eine Strafverfolgung aus prak-
tischen Gründen nicht realistisch ist. Aus diesen Grün-
den lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

Jetzt kommt es darauf an, die erforderlichen Maßnah-
men jenseits der Gesetzgebung weiter zu forcieren. Nur
wenn uns dies gelingt, können wir die Mädchen und jungen
Frauen wirksam vor diesen schrecklichen Verletzungen
und Verstümmelungen schützen. Die Koalition hat mit
ihrem 20-Punkte-Plan bereits einen wichtigen Schritt ge-
tan. Die weitere Umsetzung verlangt nun von uns allen
gemeinsame Anstrengungen.

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Die am 1. Februar 1877 verkündete Strafprozessord-
nung – StPO – sah eine aktive Teilhabe des Individualop-
fers am Strafverfahren nicht vor. Der Strafprozess war
rein täterorientiert, und das blieb lange so. Ich kann mich
noch an Zeiten erinnern, als selbst kindliche Opferzeu-
gen in ihrer tatbedingten Betroffenheit auf Gerichtsfluren
als persönliche Beweismittel „vorgehalten“ wurden. Es
ist im Wesentlichen Opferschutzorganisationen zu ver-
danken, dass die Rechtspolitik begann, verstärkt den Fo-
kus auf die Bedürfnisse der Opfer zu richten. Immer wie-
der und beharrlich forderte insbesondere der Weiße Ring
eine bessere Beteiligung des Opfers am Strafverfahren
ein.

Die Diskussion um das am 18. Dezember 1986 ver-
kündete Opferschutzgesetz wurde begleitet von enga-
gierten Einwendungen der Strafverteidiger, die wie
Schünemann in der NStZ 86/193 mit der „Stunde des Op-
fers“ die Beschuldigtenrechte in Gefahr sahen. Auch
Richter und Staatsanwälte zeigten Skepsis unter dem
Blickwinkel der Verfahrensökonomie. Daran, dass es im
Strafverfahren in erster Linie um die Schuld oder Un-
schuld des Beschuldigten geht, hat sich nichts geändert,
und es darf sich daran auch nichts ändern. Gerade das
Opferschutzgesetz aus dem Jahr 1986 hat gezeigt, dass
die Berücksichtigung von Opferrechten nicht zu einem
Paradigmenwechsel geführt hat. Die Zeiten aber, dass
Tatopfer, zum zweiten Mal traumatisiert den Gerichts-
saal verlassen, sind zum Glück vorbei und dies, ohne
dass Beschuldigtenrechte über Gebühr tangiert wurden
und der Wahrheitsfindung Schaden zugeführt worden
wäre.

Eine weitere Stärkung der Opferrechte brachte das
Opferrechtsreformgesetz aus dem Jahr 2004, insbeson-
dere im Bereich der Schadenswiedergutmachung. Straf-
gerichte müssen seither über Schmerzensgeldansprüche
des Opfers im Strafverfahren entscheiden.

„Sicherheit schaffen – Opfer schützen“ lautet inso-
weit die Devise der Großen Koalition. In konsequenter
Umsetzung dieser Maxime hat die Große Koalition im
Jahr 2006 das 2. Justizmodernisierungsgesetz, mit wel-
Zu Protokoll
chem bei Sexualdelikten und Verbrechen die Nebenklage
auch im Jugendstrafverfahren zugelassen wurde, verab-
schiedet. Vor wenigen Wochen wurde das Recht der Op-
ferentschädigung reformiert und der Rechtsanspruch des
Opfers auf staatliche Entschädigung auch bei Straftaten
im Ausland kodifiziert.

Abgerundet wird dieses Bild nun mit dem 2. Opfer-
rechtsreformgesetz, das, auf Initiativen der Länder beru-
hend, langjährige strafrechtspolitische Forderungen des
Weißen Rings aufgegriffen hat. Der Katalog der neben-
klagefähigen Delikte wird um die Zwangsheirat – § 240
Abs. 4 StGB –, das schwere Stalking – § 238 Abs. 3 StGB –,
den Wohnungseinbruch – § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB –,
Raub- und Erpressungsdelikte – §§ 249 bis 255 StGB –
und den räuberischen Angriff auf Kraftfahrer – § 316 a
StGB – erweitert. Dabei hat sich der Gesetzgeber für ein
abgestuftes Zulassungstableau entschieden. Beim Groß-
teil der Straftaten hat das Opfer einen Anspruch auf Zu-
lassung der Nebenklage; § 395 Abs. 1 StPO. Bei einem
kleineren Teil müssen besondere Gründe, zum Beispiel
die schweren Folgen der Tat, eine Interessenwahrneh-
mung bedingen; § 395 Abs. 3 StPO. Gerade weil bei der
an zweiter Stelle genannten Gruppe dem Gericht ein Er-
messen zugebilligt wird, hätte ich mir gewünscht, dass
dem Opfer gegen eine ablehnende Entscheidung ein
Rechtsmittel eingeräumt wird. Dies ist nach § 396 Abs. 2
Satz 2 StPO nicht der Fall. Erfahrungsgemäß führen
aber nicht rechtsmittelfähige Opferrechte zu einem laxen
Umgang durch die Gerichte. Der Gesetzentwurf weitet in
einem dreistufigen Zulassungstableau auch die Möglich-
keiten, dem Opfer einer Straftat einen Opferanwalt auf
Staatskosten beizuordnen, aus. Im ersten Rang sind es
besonders gravierende Straftaten, die einen Anspruch
auf einen Opferanwalt auf Staatskosten eröffnen. Im
zweiten Rang setzt eine Zulassung schwere körperliche
oder seelische Schäden des Opfers voraus, und im dritten
Rang wird sichergestellt, dass Verletzte, die bei Antrag-
stellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
auch bei Sexualvergehen einen Opferanwalt bekommen.

In der Diskussion um die Verabschiedung des 2. Op-
ferrechtsreformgesetzes wurde die ersatzlose Streichung
der Beleidigung – § 185 StGB – und der einfachen Kör-
perverletzung – § 223 StGB – aus dem Katalog der ne-
benklagefähigen Delikte thematisiert. Letztlich kam aber
die Große Koalition zu dem übereinstimmenden Ergeb-
nis, dass dem Opfer auch Sachverhalte, die strafrechtlich
die Voraussetzungen eines Stalkings – § 238 StGB – nicht
erfüllen, als Beleidigung eine Intensität erlangen kön-
nen, die eine Beteiligung des Opfers am Strafverfahren
geboten erscheinen lassen. Dies gilt auch für Körperver-
letzungsdelikte. Das 2. Opferrechtsreformgesetz sollte
eben nicht zu einer Einschränkung bestehender Opfer-
rechte führen. Dies wäre eine schlechte Botschaft gewe-
sen.

Der Gesetzentwurf stärkt weiterhin Informations-,
Schutz- und Teilhaberechte des Opfers. So sieht § 58 a
StPO nunmehr vor, dass die Vernehmung eines Zeugen
bis zum 18. Lebensjahr – bisher 16 Jahre – auf Bild-Ton-
Träger aufgezeichnet wird, um diesen Opferzeugen eine
Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersparen. Das
wird aber nichts daran ändern, dass sich Gerichte mit



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)

der Umsetzung der Vorschriften zur Videovernehmung
nach § 58 a, § 255 a Abs. 2 StPO und der audiovisuellen
Vernehmung in der Hauptverhandlung – § 247 a StPO –
schwertun. Langfristig wird deshalb zu überlegen sein,
ob insoweit das richterliche Ermessen nicht mit zwingen-
deren Vorgaben eingeschränkt werden muss.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts vom 9. Oktober 2007 zu § 406 h
StPO wird auch darüber nachzudenken sein, ob nicht die
reversible Ausgestaltung der Opferrechte eine bessere
Akzeptanz und Berücksichtigung dieser Vorschriften her-
beiführt. Der Staat darf sich nämlich nicht damit begnü-
gen, dass opferschützende Vorschriften in Gesetzen ihren
Niederschlag finden. Er muss auch dafür sorgen, dass sie
angewendet werden.

Es ist begrüßenswert, dass die FDP-Bundestagsfrak-
tion mit einem eigenen Antrag das Gesetzgebungsvor-
haben der Großen Koalition begleitet und damit doku-
mentiert, dass der Opferschutzgedanke auch bei ihr
angekommen ist. Die FDP rennt damit aber offene Türen
ein. Der Antrag geht im Wesentlichen auf Opferbelange
ein, die in unserem Gesetzentwurf bereits ihren Nieder-
schlag gefunden haben. Wir können der FDP nur eine
Rücknahme des eigenen Antrags und Zustimmung zum
Entwurf des 2. Opferrechtsreformgesetzes anraten.

Im Interesse von Tatopfern wünsche ich mir eine breite
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Es wäre aber ein
noch besseres Signal, wenn dieses Gesetz nicht nur breite
Zustimmung fände, sondern im Deutschen Bundestag
einstimmig verabschiedet würde.


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1623026800

Mit dem vorliegenden Gesetz für ein 2. Opferrechtsre-

formgesetz verabschiedet der Deutsche Bundestag ein
weiteres Gesetz, das das Strafverfahren modifiziert. Es
knüpft an die Verbesserungen für Opfer in Strafverfahren
an, die bereits unter rot-grüner Bundesregierung vor al-
lem durch das Opferrechtsreformgesetz vom 1. Septem-
ber 2004 erreicht wurden.

Das Gesetz ist in der Anhörung von allen Sachver-
ständigen grundsätzlich begrüßt worden. Gleichzeitig ist
darauf hingewiesen worden, dass die Stärkung der Op-
fer- und Zeugenrechte im Strafverfahren stets die Stel-
lung und die Rechte des Beschuldigten bzw. des Ange-
klagten im Blick haben müsse. Hier dürfe es nicht zu
einer einseitigen Verlagerung kommen. Ich möchte des-
halb bereits an dieser Stelle ausdrücklich an die Bundes-
länder appellieren: Wir haben hier vor einigen Wochen
deutliche Verbesserungen im Untersuchungshaftrecht
mit großer Mehrheit beschlossen. Wir haben zum Bei-
spiel in großem Einvernehmen die frühzeitige Beiord-
nung eines Verteidigers und gleichzeitig die Verständi-
gung im Strafverfahren geregelt. Gerade die frühzeitige
Beiordnung eines Verteidigers – das zeigen zahlreiche
wissenschaftliche Studien – führt zu einer deutlichen Re-
duzierung der Untersuchungshaft und bringt damit
gleichzeitig für die Bundesländer trotz Mehraufwendun-
gen bei den Vergütungen der Verteidiger eine unter dem
Strich deutliche finanzielle Entlastung. Nunmehr deutet
sich an, dass der Bundesrat bei diesen Gesetzen den Ver-
Zu Protokoll
mittlungsausschuss anrufen möchte, was angesichts der
bevorstehenden Bundestagswahl dazu führen könnte,
dass diese zentralen Gesetze, die an sich nicht zustim-
mungspflichtig sind, der Diskontinuität zum Opfer fallen.

Gerade weil wir hier jetzt den Opferschutz stärken,
müssen wir in unseren Parteien dafür werben, dass auch
die Gesetze, die vor allem die Stellung des Beschuldigten
und Angeklagten betreffen, Wirklichkeit werden. Ich bitte
alle Kolleginnen und Kollegen, in den kommenden Tagen
in den Landesregierungen dafür zu werben. Vielleicht
hilft der Hinweis, dass wir hier im vorliegenden Gesetz
nun auch wichtige Forderungen des Bundesrates mit be-
rücksichtigt haben.

Das vorliegende Gesetz bringt den Ausbau der Rechte
des Opfers und des Zeugen im Strafverfahren. Exempla-
risch will ich nennen:

Künftig können beispielsweise Opfer von sexueller
Nötigung, Raub oder Zwangsheirat als Nebenkläger auf-
treten.

Wir vergrößern den Kreis derjenigen, die – unabhän-
gig von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit – einen Op-
feranwalt auf Staatskosten beanspruchen dürfen. Gerade
dadurch sichern wir einerseits die konsequente Interes-
senswahrnehmung, andererseits schaffen wir aber auch
eine gute Grundlage, durch die professionelle Begleitung
der potenziellen Täter- und Opferseite besser zu konflikt-
schlichtenden Verabredungen zum Beispiel im Rahmen
des Täter-Opfer-Ausgleichs zu gelangen.

Wir setzen zudem die Altersgrenze für Aussagen min-
derjähriger Opfer und Zeugen vor Gericht von derzeit
16 Jahren auf 18 Jahre herauf. Mit der neuen Schutzal-
tersgrenze werden künftig 17-Jährige von den speziellen
die Jugend schützenden Vorschriften erfasst.

Ferner haben wir die Beiordnung eines Rechtsanwalts
als Zeugenbeistand besonders schutzbedürftiger Zeugen
vereinfacht. Gleichzeitig haben wir die Rechte von Zeu-
gen bei der polizeilichen Vernehmung eindeutiger be-
stimmt: Neu ist, dass Zeugen in bestimmten Fällen ihren
Wohnort nicht angeben müssen. Diese Angabe muss auch
nicht mehr in die Anklageschrift aufgenommen werden.

Klargestellt haben wir überdies, dass Verletzte, die in
einem anderen EU-Mitgliedstaat Opfer einer Straftat ge-
worden sind, diese Tat in Deutschland anzeigen können.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass wir eine klare Ver-
besserung der Opfer- und Zeugenrechte erreicht haben,
wie es auch durch die Sachverständigen in der Anhörung
gewürdigt worden ist.

Ich möchte schließlich darauf hinweisen, dass wir das
Gesetz zum Anlass genommen haben, auch die Situation
von Opfern einer Genitalverstümmelung zu verbessern.
Dazu haben wir die strafrechtliche Verjährungsfrist für
Betroffene verlängert, die zum Tatzeitpunkt noch nicht
volljährig waren. Damit haben minderjährige Mädchen
noch nach Erreichen der Volljährigkeit die Möglichkeit,
selbst Anzeige zu erstatten. Auch dieser Schritt stellt eine
deutliche, aber unstreitig auch notwendige Verbesserung
von Opfern entsprechender Straftaten dar.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Matthias Miersch
Nun zu einem anderen Bereich. Ich will nicht ver-
schweigen, dass wir lange diskutiert haben, inwieweit bei
Verstößen gegen gewerbliche Schutzrechte die Nebenkla-
gebefugnis gemäß § 395 StPO beibehalten werden sollte.
Wir belassen es nunmehr beim Status quo, erhöhen je-
doch die Voraussetzungsschwelle bei den Beleidigungs-
delikten durch die Verschiebung in den Absatz drei.

Wir werden uns künftig nicht zuletzt aufgrund der Dis-
kussion der Rechteinhaber gewerblicher Schutzrechte
auf der Ebene der Europäischen Union auch im Deut-
schen Bundestag mit der Frage beschäftigen müssen, ob
der Bereich der gewerblichen Schutzrechte nicht primär
Angelegenheit des Zivilrechts sein muss. Die Überlastun-
gen einiger Staatsanwaltschaften mit entsprechenden
Verfahren zeigen, dass die Behörden an ihre Grenzen sto-
ßen. Auf der anderen Seite sind die berechtigten Interes-
sen der Rechteinhaber selbstverständlich zu berücksich-
tigen. Ich meine, wir sollten die Entwicklung im
Strafrecht bzw. im Strafverfahren auch durch die Beibe-
haltung der Nebenklagebefugnis aufmerksam beobach-
ten.

Abschließend möchte ich noch zu einem Punkt kom-
men, der ebenfalls künftig näher beleuchtet werden
sollte: In § 58 a Abs. 1 Satz 2 Strafprozessordnung ist
nunmehr die Aufzeichnung einer Zeugenaussage auf
Bild-Ton-Träger bei Personen unter 18 Jahren unter be-
stimmten Voraussetzungen mit einer Soll-Vorschrift ver-
sehen. Damit sollen zum Beispiel mehrmalige belastende
Aussagesituationen vermieden werden. Auch in der
Sachverständigenanhörung haben wir erörtert, dass von
einer entsprechenden Regelung und der damit verbunde-
nen authentischen Dokumentation der Strafprozess
grundsätzlich profitieren kann. Es ist insoweit unter an-
derem vom Deutschen Anwaltsverein vorgeschlagen
worden, diese Form der Dokumentation über den Ent-
wurf hinausgehend grundsätzlich – oder zumindest in
weiteren, bestimmten Fallkonstellationen – obligatorisch
vorzusehen. Allerdings sind von den Praktikern bei einer
zu breiten Einführung Umsetzungsprobleme befürchtet
worden, sodass ich froh bin, dass das Bundesjustizminis-
terium in den Beratungen zugesichert hat, in bestimmten
Landgerichtsbezirken im Rahmen von Kapitaldelikten
entsprechende Pilotprojekte durchführen zu wollen. Das
ist ein wichtiger und positiver Schritt, um später auf
Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse über die wei-
tere Modifikation des § 58 a nachdenken zu können.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass mit dem
vorliegenden Gesetz das deutsche Strafverfahrensrecht
weiter verbessert wird. Im Zusammenspiel mit den
gleichzeitigen Verbesserungen im Bereich der Rechte des
Beschuldigten bzw. des Angeklagten ergibt sich ein ad-
äquates Bild, sodass ich abschließend noch einmal an
den Bundesrat appellieren möchte, dieses Bild auch zu
realisieren.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1623026900

Die Bundesregierung hat einen Themenschwerpunkt

für die Rechtspolitik in der 16. Wahlperiode überschrie-
ben mit dem Motto „Sicherheit schaffen – Opfer schüt-
zen“. Mangelnden Aktionismus bei der Vorlage von Si-
Zu Protokoll
cherheitsgesetzen kann man der Bundesregierung
wahrlich nicht vorwerfen. Den Opferschutz hingegen
hat die Bundesregierung erst zu Ende der Wahlperiode
entdeckt. Es hat viele Jahre gedauert, bis die Bundesre-
gierung endlich bereit war, die Forderung der FDP-
Bundestagsfraktion aufzunehmen, das Opferentschädi-
gungsgesetz zu ergänzen, um auch solchen Staatsbür-
gern, die Opfer eines Terroranschlags im Ausland wer-
den, einen Entschädigungsanspruch zuzubilligen. Ich bin
froh, dass es in diesem Jahr doch noch gelungen ist, hier
zu einer Einigung zu kommen. Auch der Beschluss, den
der Deutsche Bundestag heute über das 2. Opferrechts-
reformgesetz fasst, erfolgt kurz vor Schluss der Wahlpe-
riode. Zeitweise bestand sogar die Gefahr, dass die Ver-
abschiedung der Initiative aus Verfahrensgründen zu
scheitern drohte. Ich bin dankbar dafür, dass es frak-
tionsübergreifend gelungen ist, sich auf ein parlamenta-
risches Beratungsverfahren zu einigen, das zum Ende
doch noch einen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens
ermöglicht.

Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem 2. Opfer-
rechtsreformgesetz zustimmen. Der Opferschutz steht
schon seit vielen Jahren im Mittelpunkt liberaler Rechts-
politik. Die Qualität eines Rechtsstaats zeigt sich auch
darin, wie mit den Opfern im Strafverfahren umgegangen
wird. Die Liberalen haben sich immer für einen mög-
lichst schonenden Umgang mit Gewaltopfern im Straf-
prozess ausgesprochen. Selbstverständlich hat jeder an
einem Strafverfahren Beteiligte einen Anspruch auf einen
fairen Umgang. All zu oft werden dabei jedoch die Inte-
ressen des Opfers vergessen. Bereits in der 13. Wahlpe-
riode hat der Deutsche Bundestag eine erhebliche Ver-
besserung der rechtlichen, tatsächlichen und psycholo-
gischen Situation von Opfern und Zeugen durchgesetzt.
Auch das Opferrechtsreformgesetz, das der Gesetzgeber
in der 15. Wahlperiode verabschiedet hat, führt zu einer
stärkeren Berücksichtigung der Interessen der Opfer im
Strafverfahren. Es ist eine gute Tradition im Deutschen
Bundestag, dass Initiativen zur Stärkung des Opferschut-
zes von einer breiten Mehrheit des Hauses getragen wer-
den. Alle Initiativen, die tatsächlich die Situation der Op-
fer verbessert haben, sind daher von der FDP-
Bundestagsfraktion auch unterstützt worden. Dies gilt
auch für den Gesetzentwurf, den wir heute verabschie-
den. Es freut mich sehr, dass die Bundesregierung einige
der Forderungen in ihren Entwurf aufgenommen hat, die
Gegenstand des Antrags der FDP-Bundestagsfraktion
„Opferinteressen ernst nehmen – Opferschutz stärken“
sind. Dies betrifft insbesondere die Ausweitung der Mög-
lichkeiten zur Hinzuziehung eines Opferanwalts sowie
die erweiterten Informationspflichten gegenüber dem
Opfer. Wichtig sind aus Sicht der FDP auch die Änderun-
gen zur Ausweitung der Nebenklage. Wir haben zu dem
Gesetzentwurf eine interessante Sachverständigenanhö-
rung durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Sach-
verständigen ganz überwiegend die Zielsetzung des Ge-
setzentwurfs begrüßt haben. Dennoch sind auch einige
Punkte angesprochen, bei denen die Sachverständigen
Änderungsbedarf angemahnt haben. Dies betrifft insbe-
sondere die Möglichkeiten zum Ausschluss des Zeugen-
beistandes sowie die Änderung in § 112 a Abs. 1 StPO
zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Ich bedaure,



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jörg van Essen
dass die Bundesregierung die Anregungen der Sachver-
ständigen in ihrer Formulierungshilfe nicht ausreichend
berücksichtigt hat. Stattdessen ist man eher den Vor-
schlägen des Bundesrates zur Einschränkung des Rich-
tervorbehaltes gefolgt. Entscheidend für das Abstim-
mungsverhalten meiner Fraktion ist jedoch, dass die
Gesamtrichtung des Gesetzentwurfes der Linie der FDP
zur Stärkung der Rechte von Opfern im Strafverfahren
folgt. Dies ist ein wichtiges rechtspolitisches Signal.

Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ent-
hält über die Änderungen in der Strafprozessordnung hi-
naus auch eine Regelung zur Genitalverstümmelung im
Strafgesetzbuch. Ich bin meinem Kollegen Konrad Schily
außerordentlich dankbar, dass er mit seinem Gruppenan-
trag diese wichtige Debatte im Bundestag angestoßen
hat. Ich freue mich daher sehr, dass die Bundesregierung
den Handlungsauftrag aufgenommen hat und eine eigene
Regelung zur Genitalverstümmelung vorgelegt hat. Die
Bundesregierung hat sich dazu entschieden, eine Rege-
lung mit einem eng begrenzten Anwendungsbereich vor-
zuschlagen. Es wird darauf verzichtet, einen neuen
Straftatbestand zu schaffen. Auch die FDP-Bundestags-
fraktion ist der Auffassung, dass die Genitalverstümme-
lung bereits nach geltendem Recht strafbar ist und ein
neuer Straftatbestand im Ergebnis über eine rein symbo-
lische Wirkung nicht hinaus gehen würde, und daher we-
der notwendig noch dem Problem angemessen ist. Der
Vorschlag der Regierung sieht vor, die Misshandlung von
Schutzbefohlenen in die Ruhensregelung des § 78 b
Abs. 1 Nr. 1 StGB aufzunehmen, um einen Verjährungs-
eintritt vor Volljährigkeit des Opfers sicher auszuschlie-
ßen. Die Anknüpfung an § 225 StGB berücksichtigt die
Tatsache, dass die Opfer von Genitalverstümmelungen
weit überwiegend minderjährige Mädchen sind. Durch
die Bezugnahme auf § 225 StGB werden alle von der
Strafvorschrift erfassten Delikte künftig bei der Verjäh-
rungsregelung berücksichtigt. Damit wird über die Geni-
talverstümmelung hinaus auch der Schutz von misshan-
delten Kindern ausgebaut. Ich bin froh, dass dieses
wichtige Signal von der Entscheidung, die der Deutsche
Bundestag heute trifft, ausgeht. Die FDP-Bundestags-
fraktion ist der Auffassung, dass die Lösung, die die Bun-
desregierung vorschlägt, zielgenau ist und die Situation
der jungen Frauen verbessern wird. Es wird damit si-
chergestellt, dass die Strafverfolgung auch noch nach Er-
reichen der Volljährigkeit der Opfer erfolgen kann.
Nachdem der Bundestag bereits seit langer Zeit mit der
Frage gerungen hat, wie der Gesetzgeber bei der Be-
kämpfung der Genitalverstümmelung tätig werden kann,
bin ich sehr froh, dass wir diese Diskussion heute mit ei-
nem sehr überzeugenden Ergebnis zum Abschluss brin-
gen.

Insgesamt ist der Gesetzentwurf, den wir heute verab-
schieden, ein Meilenstein bei der Stärkung von Opfer-
rechten. Ich verbinde mit der heutigen Debatte die Hoff-
nung, dass der Geist dieses Gesetzes und die Beachtung
der Interessen und Rechte der Opfer in Strafverfahren
auch für den 17. Deutschen Bundestag zu einer Leit-
schnur in der Rechtspolitik werden wird.
Zu Protokoll

Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623027000

Dem Bundestag liegt ein ganzes Bündel an Gesetzes-

vorlagen vor, die vermeintlich Opferinteressen und Op-
ferrechte verbessern sollen. Doch das tun sie weitgehend
nicht. Wir sind uns einig: Opfern von Straftaten ist beizu-
stehen und ihnen ist der gebotene Schutz und die Für-
sorge des Staates zu sichern. In diesem Sinne kann die
Linke auch dem Leitbild, das dem Antrag der FDP zu-
grunde liegt, zustimmen. Aber: Es bestehen erhebliche
Bedenken bezüglich der Umsetzungsvorstellungen, wie
sie namentlich im Entwurf für das zweite Opferrechtsre-
formgesetz der Bundesregierung und in den Regelungs-
vorschlägen des Bundesrates zur Stärkung des Opfer-
schutzes niedergelegt sind.

Zentraler Kritikpunkt ist, dass die gesetzgeberische
Motivation zum Opferschutz unseres Erachtens gerade
dort auf den Kopf gestellt ist, wo er am nötigsten ist.
Nämlich dort, wo es um die Betroffenheit der Schwächs-
ten geht. Denn der vermeintlich angestrebte Schutzreflex
wird ins Gegenteil verkehrt und wirkt sich gar in Gefähr-
dung aus. In diesem Punkt wird die systematische Fehl-
steuerung des strafrechtsorientierten Umsetzungskon-
zepts besonders deutlich. Das Problem stellt sich dabei
sowohl in gesamtsystematischer Sicht als auch im Hin-
blick auf die sensible Statik und das Wirksystem des mo-
dernen rechtsstaatlichen Strafrechts. Der Gesetzgeber
darf nicht einfach die Maximen, Funktions- und Wirk-
weise und die beabsichtigte Beschränktheit des Straf-
rechts im Regelungseifer vernachlässigen oder etwa fol-
genreich verschieben. Er muss vielmehr darauf achten,
dass das scharfe Schwert des Strafrechts dem Staat nicht
im Handumdrehen entgleitet. Die Linke hält deshalb an
einer progressiven, aber gleichsam strafrechtskritischen
Haltung fest.

Mit den Worten des Kriminologen und ehemaligen Rich-
ters am Bundesverfassungsgericht Winfried Hassemer ge-
sprochen, ist es „von zentraler Bedeutung, dass das
Strafverfahren nicht, wie es früher einmal war, in die
Hände des Opfers zurückgelegt wird. Es muss auf jeden
Fall beim Gewaltverbot für das Opfer bleiben – das ist
der Kern des modernen Strafrechts. Dem Opfer ist unter-
sagt, Rache zu nehmen. Ohne dieses Prinzip kann es
keine Gerechtigkeit geben. Jegliche Änderung an diesem
Prinzip würde unserem Gerechtigkeitsempfinden fla-
grant zuwiderlaufen.“ Daraus folgt für die Linke, dass
sehr darauf geachtet werden muss, die Balance des Straf-
verfahrens nicht peu á peu aufzuheben.

Wo bei Opferrechten nachjustiert wird, müssen im
Sinne eines fairen Verfahrens und der Waffengleichheit
die Beschuldigtenrechte nachgestellt werden. Denn es ist
klar: Erst das Strafverfahren soll gerade und vor allem
objektiv ermitteln, ob der Beschuldigte Täter der vorge-
worfenen Tat ist und derjenige, der vorgibt, in seinen
Rechten durch den Beschuldigten betroffen zu sein, auch
wirklich Opfer ist. Keinesfalls darf aber das Paradigma
des Strafverfahrens auf den Hund kommen. Denn je mas-
siver Opferrechte ausgeweitet werden, desto weniger ist
sichergestellt, dass die Täterfeststellung am Ende des
Verfahrens (nur) auf ermittelten Tatsachen und nicht auf
einer Übermacht des Opfers im Verfahren beruht.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Das Argument, dass die Nebenklage der Staatsanwalt-
schaft wertvolle Unterstützung leiste, taugt nur zum Be-
weis, dass das System unterfinanziert ist und eine Staats-
anwaltschaft kaum noch personelle und sachliche
Ressourcen für eine effiziente Verfolgung hat. Wir sind
gegen eine haushälterisch bedingte Quasiprivatisierung
des Strafverfahrens und den Wiedereinzug des Rachege-
dankens auf dem Ticket des Opferschutzes.

Einzelregelungen des Gesetzes sind darüber hinaus
zum Teil misslungen. So wird vollkommen indiskutabel
der Untersuchungshaftgrund der Wiederholungsgefahr
„präzisiert“, im Kern jedoch erweitert. In Anbetracht
der berechtigten Forderungen nach der Abschaffung die-
ses polizeilich-präventiven Haftgrundes ist diese Ände-
rung geradezu skandalös. Die Erweitung der Nebenkla-
geanschlussbefugnis sowie die Ausweitung durch einen
Auffangtatbestand sind gleichermaßen nicht angezeigt.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die durchaus sinnvolle
Herausnahme der gewerblichen Schutzrechte aus dem
Katalog der Nebenklagedelikte im ursprünglichen Ent-
wurf nunmehr durch die Formulierungshilfe – es war
nicht anders zu erwarten; der Druck durch Lobbyver-
bände aus der Wirtschaft war massiv – wieder aufgeho-
ben wurde.

Wir wiederholen daher unsere Forderungen: Wer Op-
ferschutz ernst nimmt, stattet die Justiz mit den personel-
len und sachlichen Mitteln aus, um Strafverfolgung effek-
tiv zu gewährleisten; der sorgt für Beratungsstellen und
psychologische Betreuungsangebote; der fördert beste-
hende Instrumente wie den Täter-Opfer-Ausgleich. Von
formalen Rechten im Strafprozess werden Wunden nicht
heilen. Eine Stärkung der Opferposition ließe sich etwa
auch durch die Erweiterung der Antragsdelikte errei-
chen, sodass etwa in familiären oder anderen engeren
persönlichen Bezügen die Selbstbestimmung des Opfers
Vorrang erhält. Allerdings hat hier in letzter Zeit eher
eine Entmachtung der Individuen zugunsten einer Er-
mächtigung der staatlichen Verfolgungsbehörden statt-
gefunden.

Mit diesem Blick ins Strafrechtsgrundsätzliche ist
aber nicht Genüge getan. Ich habe noch ein paar Sätze
zu den sozialen Phänomenen des Stalking, der Zwangs-
heirat und der Genitalverstümmelung zu verlieren.

Für die Linke gilt unmissverständlich, dass Opfer
Schutz brauchen und einen Anspruch darauf haben. Das
gilt auch in Fällen von Nachstellung, Einschüchterung
und Gewalt, seien es Kinder, Frauen oder Männer. Doch
lässt sich dem vordergründig sozialen Phänomenen des
Stalking, der Zwangsverheiratung und der Genitalver-
stümmelung nach Auffassung der Linken nicht mit immer
neuen Schärfungen des Strafrechts in adäquater Weise
begegnen. Denn entweder führt die Dauer von Verfahren
– siehe oben – am Ziel eines raschen, effektiven Opfer-
schutzes vorbei, wenn sie denn überhaupt auf einer
rechtsstaatlich einwandfreien Grundlage stattfinden. Ich
erinnere da an unsere Debatte zum Stalking-Straftatbe-
stand. Oder aber die Maßnahme schießt von vornherein
in hohem Bogen, teilweise billigend in Kauf genommen,
über ihr Ziel hinaus. Für die Fälle der Zwangsverheira-
tung und der weiblichen Genitalverstümmelung kann da-
Zu Protokoll
rin der genauso untaugliche wie menschliche Schicksale
verhöhnende Versuch gesehen werden, eine Integrations-
politik mit dem Strafrecht zu betreiben.

Die Linke unterstützt nachdrücklich das Ziel, die un-
menschliche und frauenverachtende Praxis der Genital-
verstümmelung zu bekämpfen. Allerdings ist der vorlie-
gende interfraktionelle Gesetzentwurf ein erneutes
Beispiel dafür, dass das Strafrecht kein geeignetes Mittel
zur Lösung gesellschaftlicher Probleme ist. Es steht zu
befürchten, dass die schädlichen Nebenfolgen des Ge-
setzentwurfs dessen positive Folgen weit überwiegen.
Hierdurch droht letztlich das Mädchen, dessen Schutz
beabsichtigt wird, zur eigentlichen Leidtragenden zu
werden. Familiärer Hintergrund, gesellschaftliche Ein-
bettung und die sozioökonomischen Bedingungen der
Handlungsweisen der Beteiligten werden hingegen aus-
geblendet. Vielmehr wird mit aus der Hüfte geschossenen
Law-and-Order-Antworten sozialen Fragen begegnet.
Der steinige Weg der Präventions- und Aufklärungsar-
beit wird um den Preis der Abschiebung und doppelter
Traumatisierung gemieden.

Unsere Position zum Gruppenantrag über die Strafbar-
keit der Genitalverstümmelung, Drucksache 16/12910,
haben wir aktuell in einem Entschließungsantrag formu-
liert, der die Forderungen und Vorschläge unseres Antra-
ges „Weibliche Genitalverstümmelung verhindern –
Menschenrechte durchsetzen“, Drucksache 16/4152, er-
neut aufgreift. Sonach ist das Problem nicht das Fehlen
eines Straftatbestandes. Dass eine Verfolgung regelmä-
ßig ausbleibt, ist einmal mehr ein Vollzugsproblem. Die
beabsichtigte Regelung schafft hingegen neue inakzep-
table Probleme. Die Ausgangsfrage, wie das Verbot
weiblicher Genitalverstümmelung vor dem Hintergrund
der familiären Tatkonstellation überhaupt wirksam
durchgesetzt und täter- und opfergerecht zu lösen ist,
bleibt unbeantwortet. Die Folge der Änderung wäre eine
regelmäßige Straferwartung von drei Jahren für die tat-
beteiligten Eltern genauso wie für die oder den Ausfüh-
renden, mit verheerenden aufenthaltsrechtlichen Folgen.
Eine Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe
zieht nach § 53 Aufenthaltsgesetz zwingend die Auswei-
sung des Täters nach sich. Lediglich im Falle von nach
§ 55 Aufenthaltsgesetz privilegierten Personen kommt
eine Herabstufung zur Regelausweisung in Betracht.
Aufgrund der Abhängigkeit des aufenthaltsrechtlichen
Status des Kindes von dem der Eltern droht damit das
Opfer mit seinen Eltern gemeinsam ausgewiesen zu wer-
den. Hierdurch würde nicht nur aufgrund der medizini-
schen und sozialen Gegebenheiten in vielen der betroffe-
nen Ländern die Verletzung des Opfers noch vertieft.

Die Bekämpfung von Genitalverstümmelung durch
Ausweisung und Abschiebung lehnt die Linke deshalb ab.

Schließlich begegnet die Erstreckung des deutschen
Strafanspruchs durch die angestrebte weltweite Geltung
völkerrechtlichen Bedenken. Bedeutete es doch letztlich
einen Übergriff in die Souveränitätsrechte fremder Staa-
ten, wenn deren Staatsangehörige sich unerwartet und
unvorhersehbar der Strafgewalt der BRD ausgesetzt sä-
hen, wenn die Person, an der die Handlung vorgenom-
men wird, zur Zeit der Handlung ihren gewöhnlichen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Stel-
len Sie sich vor, ein in Deutschland niedergelassener Arzt
würde sich wegen einer in Deutschland ausgeführten Be-
handlung an einem Staatsangehörigen seines Reiselan-
des plötzlich aufgrund der dortigen Rechtslage nicht im
Hotel, sondern im Polizeigewahrsam wiederfinden.

Anstelle strafrechtlicher Sanktionssymbolik und Exis-
tenzen vernichtender Abschiebung, ist für uns ein prä-
ventiv-aufklärungsorienierter Lösungsansatz der rich-
tige Weg. Ein erster Schritt zu einem wirkungsvollen
Opferschutz wäre ein an den realen Interessen der Opfer
ausgerichtetes Asyl- und Aufenthaltsrecht, um den Lei-
den der betroffenen Mädchen entgegenzutreten. Auf eu-
ropäischer Ebene sollte ein einheitlicher Abschiebestopp
für Mädchen und Frauen, die eine Genitalverstümme-
lung erlitten haben oder denen eine solche droht, be-
schlossen werden. Zudem dürften Länder, in denen Geni-
talverstümmelung verbreitet ist, nicht als sichere
Drittstaaten eingestuft werden.

Zu einer differenzierteren Betrachtung und guten Pro-
blemlösung zum Thema Zwangsheirat hatte meine Frak-
tion vor sattsam drei Jahren mit ihrem Antrag „Für einen
Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen, für die
Stärkung ihrer Rechte und die längerfristige Bekämpfung
der Ursachen patriarchaler Gewalt“ unter der Drucksa-
che 16/1564 eingeladen. Auch dieser wurde bekanntlich
abgelehnt. Stattdessen ist die Bundestagsmehrheit den
kostengünstigen, aber verheerenden Irrweg einer straf-
rechtlichen Lösung letztlich sozialer und ökonomischer
Probleme gegangen.

Demgegenüber ist aber nach wie vor wichtig zu beto-
nen, dass Zwangsverheiratung lediglich eine Form patri-
archaler Gewalt ist. Allerdings haben Zwangsverheira-
tungen von Frauen und Mädchen besonders mit
Migrationshintergrund erst in den letzten Jahren eine
größere Beachtung in der Öffentlichkeit erlangt. Genau-
ere und verlässliche Zahlen und Erkenntnisse über den
Umfang und die Gestalt von Zwangsheiraten in Deutsch-
land liegen dessen ungeachtet immer noch nicht vor. Fest
steht jedoch, dass die konkret Betroffenen dringender
Hilfe und Unterstützung bedürfen, denn das Recht auf
Selbstbestimmung und freie Wahl der Lebenspartnerin
oder des Lebenspartners ist ein unteilbares Menschen-
recht.

Ein Maßnahmekatalog zur grundlegenden Stärkung
der Rechtsposition und Handlungsoptionen der Opfer
von Zwangsverheiratungen beinhaltet: aufenthaltsrecht-
liche Korrekturen und Maßnahmen zu ihrem effektiven
Schutz, zur Beratung und Information sowie allgemeine
Präventions-, Schulungs- und Aufklärungsmaßnahmen.
Jedoch dürfen Maßnahmen zur Verhinderung von
Zwangsheiraten und Genitalverstümmelung und zum
Schutz der Opfer nicht zu ungerechtfertigten Pauschali-
sierungen und zur Ausgrenzung von Migrantinnen und
Migranten in Deutschland instrumentalisiert werden. So
wenig wir der damaligen strafrechtsorientierten Lösung
etwas abringen konnten, so wenig Anlass sehen wir
heute, erneut diese Stell- bzw. Daumenschraube zu dre-
hen.
Zu Protokoll
Unser Fazit: Eine gute Motivation wird zur fragwürdi-
gen Legitimation teilweise schlecht durchdachter und
ausgeführter, dafür umso nebenfolgenreicherer Maßnah-
men. Der so wichtige Opferschutz wird somit zur kleinen
Münze einer realitätsfernen Symbolpolitik, nach dem
schlichten Motto: Die tun was!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Den Opferschutz zu stärken, ist ein wichtiges grünes
Ziel, dem wir uns schon in rot-grüner Zeit verschrieben
haben. 2004 haben wir das 1. Opferrechtsreformgesetz
verabschiedet und dabei die Rolle der Opfer als schutz-
würdige Subjekte im Strafprozess unter anderem mit ei-
ner Ausweitung der Informationsrechte der Nebenklä-
ger und des Anspruchs auf eine kostenlose Beiordnung
eines Opferanwalts gestärkt. Gleichzeitig haben wir je-
doch auch damals schon eine Gesamtreform der Straf-
prozessordnung gefordert, die bis heute nicht gekom-
men ist. Leider wurde aus dem vorgelegten 2. Op-
ferrechtsreformgesetz kein – dringend notwendiges –
Strafprozessreformgesetz.

Stattdessen bleibt mir heute nur zu sagen, dass eine
Reform von strafprozessrechtlichen Regelungen, mit der
– wie im vorgelegten Gesetzentwurf – nur die Rechte der
Opfer ausgebaut und nicht endlich auch die Rechte der
Beschuldigten und der Verteidigung gestärkt und durch
mehr Partizipation an die gewandelte Bedeutung des Er-
mittlungsverfahrens angepasst werden sollen, nur unaus-
gewogen sein kann. Eine Reform der StPO aus einem
Guss konnte bzw. wollte die Große Koalition aber nicht
anpacken. Das jetzt vorgelegte Stückwerk an neuen Re-
gelungen bleibt einseitig und bringt das Gleichgewicht
der Balance zwischen Opfer- und Beschuldigtenrechten
ins Wanken.

Abgesehen davon sind zwar viele Regelungen des uns
vorliegenden Gesetzentwurfs wie die Ausweitung der Ne-
benklageberechtigung auf Opfer von Zwangsheirat, Nö-
tigung zu sexuellen Handlungen und zum Schwanger-
schaftsabbruch sowie Kinderhandel oder die Ausweitung
der kostenlosen Beiordnung eines Opferanwalts begrü-
ßenswert. Jedoch wurden auch einige äußerst fragwür-
dige Regelungen trotz großer Bedenken aus Fachkreisen
umgesetzt, die wir strikt ablehnen: So wurde trotz ein-
dringlicher Warnungen durch Experten in der Anhörung
die heute schon von vielen höchst kritisch gesehene Re-
gelung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr nach
§ 112 a StPO anstatt eingedämmt oder abgeschafft noch
weiter ausgeweitet. Darüber hinaus ist die Große Koali-
tion vor der Lobby der Musikindustrie eingeknickt und
hat die Nebenklage bei Urheberrechtsverletzungen wie-
der in den Gesetzentwurf zurückgebracht, dagegen aber
die Beleidigung als zu unwichtig wieder entfernt. Diese
Gewichtung halte ich für falsch. Die Streichung beim Ur-
heberrecht und gewerblichen Schutzrechten hätte eine
Konzentration der Ressourcen auf besonders schwerwie-
gende Fälle bewirkt.

Im Zusammenhang mit dem Reformgesetz diskutieren
wir heute auch über den Straftatbestand der Genitalver-
stümmelung. Es handelt sich hierbei um eine schwere



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
Menschenrechtsverletzung, die irreparable körperliche
und seelische Schädigungen bei den Mädchen hinter-
lässt. Ich kämpfe seit vielen Jahren dafür, dass die Geni-
talverstümmelung auch als ein deutsches Problem er-
kannt und im Strafgesetzbuch explizit genannt wird. Ich
freue mich sehr, dass wir es geschafft haben, einen Grup-
pengesetzentwurf vorzulegen.

Der Umgang mit diesem Gesetzentwurf hat mich je-
doch stark verwundert. Wir kann es sein, dass ein inter-
fraktioneller Gesetzentwurf von der Koalition einfach
abgeblockt und in den Ausschüssen von der Tagesord-
nung genommen wird? Die genannten Begründungen
sind haarsträubend und einfach nur lächerlich.

Gestern entnahm ich der Presse: „Große Koalition
geht härter gegen Genitalverstümmelung vor“. Das ist
schon ganz schön unverschämt, wenn wir die Blockaden
der letzten Wochen und den minimalen Regelungsgehalt
ihres Gesetzes sehen. Darin geht es ausschließlich um
die Verlängerung der Verjährung durch ein Ruhen bis
zum 18. Geburtstag der Betroffenen. Das ist nur ein ers-
ter Schritt, den wir in unserem Gesetzentwurf auch for-
dern. Für eine erfolgreiche Bekämpfung müssen wir aber
weitere Schritte gehen. Wir fordern eine ausdrückliche
Aufnahme der grausamen Praktik in den Straftatbestand
der schweren Körperverletzung. Hierfür möchte ich an
dieser Stelle noch einmal eindringlich werben. Sechs der
acht Sachverständigen haben sich in der Ausschussanhö-
rung dafür ausgesprochen. Die Gesetzesänderung wäre
ein deutliches und wichtiges Signal an die Eltern, an Ärz-
tinnen und Ärzte und die Betroffenen.

Die Kritik der Linken an unserem Gesetzentwurf läuft
ins Leere. Auch wir wissen, dass das Strafrecht allein
nicht ausreichend ist, um Genitalverstümmelung wirk-
sam zu bekämpfen. Alle weitergehenden Forderungen
waren in unserem Antrag aus dem Jahr 2006 bereits ent-
halten, der hier aber leider abgelehnt wurde.

Wir bleiben bei unserer Forderung, dass Genitalver-
stümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten im
Strafgesetzbuch aufgenommen werden muss. Nur so kann
die hohe Anzahl der Beschneidungen, zu denen das Kind
ins Ausland geschickt wird, in jedem Fall auch in
Deutschland geahndet werden. Selbst wenn eine Tat
schon in Deutschland geplant, aber dann im Ausland
durchgeführt wurde, wird dieser Plan kaum nachweisbar
sein.

Die Bedenken, dass die Eltern aufgrund der restrikti-
ven Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsrechts aus-
gewiesen werden könnten und es dadurch zu einer Tren-
nung von Eltern und Kind kommen könnte, werden kaum
real werden. Einer solchen Trennung stehen bereits jetzt
Abschiebehindernisse, insbesondere durch die europäi-
sche Menschenrechtskonvention, entgegen.

Der Vorstoß der Koalition ist nicht ausreichend, ihr
Verhalten im parlamentarischen Prozess nicht demokra-
tisch. Für das Wohl der Mädchen rufe ich Sie dazu auf:
Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf!
Zu Protokoll
A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1623027100


Der Deutsche Bundestag beschließt heute über das
2. Opferrechtsreformgesetz. Dieses Gesetz, das wir auch
als Regierungsentwurf eingebracht haben, ist ein wichti-
ges Gesetz für Menschen, die Opfer und Zeugen von
Straftaten geworden sind. Wir wollen ihnen mit diesem
Gesetz helfen, die mit einem Strafverfahren verbundenen
Belastungen noch besser zu bewältigen. Das halte ich
schon deshalb für enorm wichtig, weil uns unser Rechts-
staat dazu verpflichtet, faire Verfahrensregelungen für
alle an einem Strafverfahren Beteiligten zu schaffen –
und dazu gehören auch die Opfer von Straftaten, die oh-
nehin schon durch die Tat selbst oft stark belastet sind.
Der Opferschutz im Strafverfahren ist mir deshalb ein
besonders wichtiges Anliegen.

Mit dem 2. Opferrechtsreformgesetz bauen wir auf
den Verbesserungen des Opferrechtsreformgesetzes von
2004 auf und bündeln diverse Initiativen zur Verbesse-
rung des Opferschutzes im Strafverfahren in einem in
sich stimmigen Gesamtkonzept. Dabei haben wir auch
zwei Initiativen des Bundesrates in unser Gesamtkonzept
integriert, über die heute auch beschlossen werden soll.
Diese beiden Initiativen haben sich durch unser Konzept
erledigt, da unser Gesetzentwurf über die Vorschläge des
Bundesrats hinausgeht, noch mehr Menschen den erfor-
derlichen Schutz bietet und zudem weitere Verbesserun-
gen enthält.

Wir nehmen neben den Opfern von Straftaten auch die
Zeugen in den Blick und richten unser Augenmerk beson-
ders auch auf die jugendlichen Opfer und Zeugen.

Zum Schutz der Verletzten regeln wir die Vorschriften
zur Nebenklagebefugnis und zur Beiordnung eines Op-
feranwalts insgesamt neu und richten beide konsequen-
ter als bisher am Schutzbedürfnis der Opfer von Strafta-
ten aus. Wir wollen, dass hauptsächlich Opfer, die
schwer unter den Folgen der Tat zu leiden haben, diese
Möglichkeiten in Anspruch nehmen können.

Daneben haben wir zahlreiche Verfahrensvorschriften
überarbeitet, damit Verletzte ihre Rechte in der Praxis
zukünftig einfacher und effizienter wahrnehmen können.

Im Bereich des Zeugenschutzes regeln wir erstmalig
im Gesetz die Möglichkeit, einen Zeugenbeistand in An-
spruch zu nehmen. Das ist verfassungsrechtlich schon
lange anerkannt und sollte daher auch endlich auf eine
tragfähige gesetzliche Grundlage gestellt werden. Dane-
ben wollen wir auch die Daten von Zeugen im Strafver-
fahren besser schützen. Wir haben deshalb Vorschriften
erarbeitet, die sicherstellen, dass die Wohnanschriften
von gefährdeten Zeugen erst gar nicht in die Akte gelan-
gen oder – soweit dies später erforderlich wird – aus ihr
wieder entfernt werden können.

Zudem wollen wir einen besseren Schutz für jugendli-
che Opfer und Zeugen, indem wir die Schutzaltersgrenze
in verschiedenen jugendschützenden Normen der Straf-
prozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes
von bisher 16 auf nunmehr 18 Jahre anheben. Es geht hier
etwa um den Ausschluss der Öffentlichkeit, die Verneh-
mung des Zeugen nur durch den Gerichtsvorsitzenden und



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
manches mehr. Wir wollen, dass auch die 16- und 17-Jäh-
rigen diesen Schutz in Anspruch nehmen können, denn
ihr Belastungserleben unterscheidet sich nach Berichten
aus der Praxis wenig von dem der 15-Jährigen.

Mit einer im parlamentarischen Verfahren noch hinzu-
gekommenen Änderung des § 78 b StGB setzen wir zu-
dem ein deutliches Zeichen gegen die Genitalverstümme-
lung bei Kindern und Jugendlichen. Bei diesen Taten
beginnt die Verjährungsfrist jetzt erst mit der Volljährig-
keit der Opfer zu laufen. Diese Regelung soll nicht nur
eine umfassendere Verfolgung dieser Taten ermöglichen,
sondern auch abschreckende Wirkung entfalten.

Der Deutsche Bundestag zeigt mit diesem Gesetzent-
wurf ganz deutlich, dass die Belange von Opfern und
Zeugen im Strafverfahren den ihnen gebührenden hohen
Stellenwert einnehmen. Ich freue mich sehr, dass es ge-
lungen ist, den Gesetzentwurf noch in dieser Legislatur-
periode zur Abstimmung zu stellen. Denn so kann dafür
gesorgt werden, dass Opfer und Zeugen baldmöglichst
von den im Gesetzentwurf vorgesehenen und auch nach
Angaben der Opferhilfeorganisationen dringend erfor-
derlichen Verbesserungen profitieren. Ich hoffe hierbei
auf Ihre Unterstützung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623027200

Tagesordnungspunkt 24 a. Wir kommen zur Abstim-

mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und
SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der
Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13671, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 16/12098 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP
gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, der möge
sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte von
Verletzten und Zeugen im Strafverfahren.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13671, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 16/12812 für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes zur Verbesserung des Schutzes der Opfer von
Zwangsheirat und schwerem „Stalking“.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13671, den
Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/9448
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grü-
nen und Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abge-
lehnt.

Damit entfällt die dritte Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes zur Stärkung des Opferschutzes im Strafprozess.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe d sei-
ner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bun-
desrates auf Drucksache 16/7617 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen
und Enthaltung der Linken abgelehnt.

Die dritte Beratung entfällt damit.

Tagesordnungspunkt 24 b. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel: „Opferinteressen ernst nehmen – Opfer-
schutz stärken“.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13671, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7004
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen von FDP und Linken und Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 24 c. Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Abgeordneten Sibylle Laurischk,
Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Konrad Schily und weite-
rer Abgeordneter zur Änderung des Strafgesetzbuches –
Strafbarkeit der Genitalverstümmelung.

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13667, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 16/12910 abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt bei Zu-
stimmung von Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeord-
neten Sibylle Laurischk und bei Enthaltung der FDP-
Fraktion.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und der Abgeordneten Dr. Tackmann und Wunderlich!)


– Und der Abgeordneten Dr. Tackmann und Wunderlich.
Vielen Dank, das ist mir entgangen. – Damit entfällt die
dritte Beratung.


(Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU] meldet sich zur Geschäftsordnung.)


– Ja.






(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1623027300

Herr Präsident, ich möchte namens der CDU/CSU-

Fraktion Sitzungsunterbrechung beantragen, weil wir
eine Fraktionssitzung durchführen müssen.


(Widerspruch bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623027400

Dem Wunsch kann ich dann nur entsprechen. Haben

Sie irgendeine Vorstellung, wann wir fortfahren können?


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1623027500

Das werde ich nach Rücksprache mit unserer Fraktions-

führung mitteilen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623027600

In Anbetracht der Tageszeit ist das, was Sie hier bie-

ten – das muss ich schon sagen –, eine ziemliche Zumu-
tung.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Eine Unverschämtheit ist das! Es ist fünf vor zwölf, im wahrsten Sinne des Wortes!)



Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1623027700

Für 30 Minuten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623027800

Für 30 Minuten. Dann wiedereröffnen wir die Sitzung

um 0.25 Uhr.

Die Sitzung ist unterbrochen.


(Unterbrechung von 23.56 bis 0.25 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623027900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Da jetzt sehr viele Kolleginnen und Kollegen anwe-
send sind, die vorher keine Gelegenheit hatten, an der
Abstimmung teilzunehmen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


will ich in Erinnerung rufen, dass wir noch bei Tages-
ordnungspunkt 24 sind, und zwar bei Tagesordnungs-
punkt 24 c. Dabei geht es um den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit
der Genitalverstümmelung. Wir kommen zur Abstim-
mung über einen Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/13691. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist damit bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen.

Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 25:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Kein Genmais-Anbau gegen den Willen der
Bürger in der EU

– Drucksachen 16/13398, 16/13663 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Wir haben vorhin beschlossen, die Namen der Red-
ner, die ihre Reden zu Protokoll gegeben haben, nicht
mehr vorzulesen.


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1623028000

Die Frage, ob, in welcher Form und unter welchen

Rahmenbedingungen wir in Deutschland und Europa die
Grüne Gentechnik nutzen wollen, haben wir stets mit ei-
nem besonderen Hintergrund zu diskutieren. Dieser Hin-
tergrund lautet Verantwortung. Diese Verantwortung
wird aus dem uns vorliegenden Antrag der Grünen mal
wieder nicht deutlich. Es wird ideologisch argumentiert,
statt dass man wissenschaftlich fundiert und verantwor-
tungsbewusst diskutiert und die Bevölkerung informiert.
Die Bevölkerung muss aufgeklärt und informiert, nicht
getäuscht und verängstigt werden.

Wir müssen über die Chancen der Grünen Gentechnik
reden, wie wir sie besser erforschen können und wie ihre
Potenziale genutzt werden können. Selbstverständlich
müssen wir dabei die Ängste und Sorgen der Menschen
ernst nehmen. Wir müssen ausschließen, dass Schäden
für die menschliche Gesundheit und die Umwelt durch
Gentechnik entstehen können.

Genau aus diesem Grund brauchen wir erst recht um-
fassende Forschungsanstrengungen; denn generelle An-
bauverbote, wie die Grünen sie fordern, behindern den
Forschungsstandort Deutschland, verhindern den Zu-
gang zu neuer Technologie, fördern weltweite Monopoli-
sierung und gefährden die Nutzung biotechnologischer
Innovationen für Züchter, Landwirte und Verbraucher.

Forschung und Züchtung brauchen zuverlässige Rah-
menbedingungen, damit diese ohne ideologische Scheu-
klappen wissenschaftsbasiert arbeiten können, damit
Praxis und Theorie in der Sicherheits- und Anwendungs-
forschung funktionieren. Wir tragen Verantwortung für
die weltweite Bevölkerung, die von unseren Erfahrungen
und unserem Wissen profitieren kann. Daher bin ich auch
sehr erleichtert darüber, dass das BVL vor kurzem den
Versuchsanbau für gentechnisch veränderte Gerste der
Justus-Liebig-Universität Gießen genehmigt hat, nach-
dem im letzten Jahr die Anbauflächen von „Ökoaktivis-
ten“ mutwillig zerstört worden waren. Ebenso sinnvoll
finde ich die Entscheidung des BVL, dass die Freisetzung
der gentechnisch veränderten Kartoffel Amflora erneut
erlaubt worden ist. Diese Kartoffel produziert ein vielfa-
ches Mehr an industriell nutzbarer Stärke als eine her-
kömmliche Kartoffel. Jetzt gilt es zu erforschen, ob die


(A) (C)



(B) (D)


Johannes Röring
Kartoffel tatsächlich die ihr zugeschriebenen Eigen-
schaften besitzt und langfristig in der industriellen Stär-
keproduktion eingesetzt werden kann und dadurch die Ef-
fizienz und Effektivität im Anbau erhöht und demzufolge
eine bessere Nutzung der vorhandenen, knapp bemesse-
nen weltweiten Ackerfläche gelingen kann.

Denn ich kann nur immer wieder betonen – auch wenn
das einige von Ihnen nicht wahrhaben wollen –, dass die
verfügbare Anbaufläche für landwirtschaftliche Pro-
dukte weltweit pro Erdenbewohner dramatisch abneh-
men wird. Sie wird sich laut wissenschaftlicher Progno-
sen bis zum Jahr 2050 halbieren, auf dann 2 000 m2 pro
Erdenbürger. Das sind Fakten, die wir nicht ignorieren
dürfen.

Auch Bundesumweltminister Gabriel scheint sich die-
ser Fakten bewusst zu sein, sonst hätte er vor einiger Zeit
hier im Plenum nicht ebenfalls die Amflora-Zulassung
unterstützt. Ansonsten ist unser Koalitionspartner ja
meist bemüht, das Thema Grüne Gentechnik ebenso ab-
zulehnen, wie es die Grünen tun. Oder aber Herr Kelber
findet die Zeit, die Unionsabgeordneten als Lobbyisten
zu diffamieren. Auch an dieser Stelle geht von mir die
Forderung an die SPD, ein wenig mehr Sachpolitik als
Populismus zu betreiben.

Aber zurück zum Thema. Wir haben die Verantwor-
tung, in einer sich schnell verändernden Welt den Men-
schen zu helfen, die nicht wie wir im Überfluss leben und
sich höchstens Gedanken machen müssen, was und nicht
ob sie ausreichend Wasser und Nahrung zur Verfügung
haben. Die Zahl der weltweit Hungernden und die der
Mangelernährten nimmt ja bekanntlich eher zu als ab.

Damit ist es unabdingbar, die Leistungsfähigkeit unse-
rer Kulturpflanzen und damit die Effizienz der Land-
wirtschaft entscheidend zu steigern, so zum Beispiel
für Pflanzen mit verbessertem Nährstoffgehalt, höherer
Energiedichte, größerer Widerstandsfähigkeit gegen kli-
matischen Stress oder Widerstandsfähigkeit gegen
Schädlinge und Krankheiten und damit der Möglichkeit
zur Vermeidung von Ertrags- und Qualitätsverlusten.
Auch ökologische Vorteile wie reduzierter chemischer
Pflanzenschutz und verbesserter Erosionsschutz sind zu
nennen. Vor diesen Fakten dürfen wir die Augen nicht
verschließen, wenn wir das weltweite Hungerproblem in
den Griff bekommen wollen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Debatte über Risiken
und Chancen der Gentechnik sorgsam und wissenschaft-
lich fundiert geführt werden muss, dass wir Forschung
und Anwendung brauchen. Denn die gesundheitliche Un-
bedenklichkeit und die Umweltsicherheit der gentech-
nisch veränderten Pflanzen sind hinsichtlich der Beur-
teilung eines möglichen Anbaus von entscheidender
Bedeutung. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflan-
zen ist nur dann verantwortbar, wenn mögliche Restri-
siken dauerhaft auf ein kalkulierbares Maß reduziert
werden. Hierzu müssen auch weiterhin strengste Über-
prüfungen im Zulassungsverfahren sowohl der gentech-
nischen Veränderung als auch der einzelnen Pflanzen-
sorte erfolgen. Wir dürfen aber auch nicht die Chancen
außer Acht lassen; denn verantwortliche, nachhaltige
und zielgerichtete Politik ist mehr als einseitige Ideolo-
Zu Protokoll
gie, wie sie durch den vorliegenden Antrag dargestellt
wird.

Abschließend möchte ich noch einen für mich persön-
lich wichtigen Punkt ansprechen. Ich mache mir große
Sorgen, dass durch die Art und Weise dieser Debatte fal-
sche Signale gesendet werden und junge Menschen sich
nicht mit diesem Zukunftsthema beschäftigen, sondern
sich davon abwenden und wir zukünftige Chancen ande-
ren überlassen. Stattdessen müssen wir bei den jungen
Menschen in Schule und Ausbildung die Neugier für die
weltweiten Zukunftsthemen wecken, damit sie erkennen
können, dass sie in Deutschland eine berufliche Zukunft
in diesem Themenfeld haben. Wir müssen junge Men-
schen für die Zukunftsthemen begeistern; denn nur da-
durch können besonders bei uns in Deutschland Lösun-
gen für die Herausforderungen von morgen gefunden
werden. Da der Antrag der Grünen genau das Gegenteil
beabsichtigt, kann ich den Antrag ohne große Bedenken
ablehnen.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1623028100

Das Thema Grüne Gentechnik hat uns in dieser Legis-

laturperiode oft beschäftigt. Davon zeugen an die 25 De-
batten, die wir hier im Plenum des Deutschen Bundesta-
ges dazu gehabt haben.

Beschäftigt hat uns die Grüne Gentechnik, weil dieses
Thema die Bürgerinnen und Bürger sehr bewegt. Unge-
fähr 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher
lehnen den Anbau von genveränderten Pflanzen ebenso
ab wie die Verwendung in der Lebensmittelproduktion.
Für ihre Interessen haben wir uns eingesetzt und werden
dies auch weiterhin tun. Und für sie wurde in dieser Le-
gislaturperiode viel erreicht. Ich will nur die beiden
wichtigsten Punkte nennen:

Erstens. Der Anbau der Maissorte MON810, der bis-
her einzigen bei uns zu kommerziellen Zwecken angebau-
ten gentechnisch veränderten Pflanze, wurde gestoppt.
Wir haben darüber mehrfach diskutiert, die SPD hatte
den Anbaustopp lange gefordert; denn die Hinweise auf
negative Umweltauswirkungen und Effekte, auch auf
Nichtzielorganismen wie Bienen oder Schmetterlinge,
mehrten sich. Wir haben es deshalb sehr begrüßt, dass
Ministerin Aigner den MON810-Anbau endlich verboten
hat, aber wir erwarten auch, dass sie sich auch auf EU-
Ebene gegen eine Verlängerung der Zulassung einsetzt.

Zweitens. Mit der neuen Kennzeichnung „Ohne Gen-
technik“ haben wir die Möglichkeit geschaffen, tierische
Produkte wie Eier und Milch auszuzeichnen, bei denen
bewusst auf die Verfütterung von gentechnisch veränder-
ten Pflanzen verzichtet wurde. Das Angebot an „Ohne-
Gentechnik“-Produkten steht noch am Anfang, es muss
größer und breiter werden. Aber die ersten Anbieter mel-
den bereits, dass es sich lohnt: Produktion ohne Gentech-
nik wird vom Verbraucher honoriert. Kein Wunder, er-
möglicht sie doch Verbraucherinnen und Verbrauchern
endlich, auch außerhalb des Ökosegments Erzeugnisse
von Tieren auszuwählen, bei denen auf die Verfütterung
von GVO-Pflanzen verzichtet wurde. Ich danke Ministe-
rin Aigner ausdrücklich dafür, dass wir dies gemeinsam
auf den Weg gebracht haben: Mit dem am Montag dieser



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
Woche beschlossenen einheitlichen Label und der Infor-
mationskampagne dazu wird dieser Markt boomen. Da-
von bin ich überzeugt, denn die Verbraucher wollen sol-
che Produkte.

All das haben wir erreicht, obwohl die Arbeitsgrund-
lage eine schwierige war; denn in Sachen Grüne Gen-
technik liegen zwischen CDU/CSU und SPD nicht selten
Welten. Und so mussten wir leider manchmal feststellen,
dass die CDU/CSU-Fraktion sich nicht immer an das ge-
bunden fühlt, was zwischen den Koalitionspartnern aus-
gehandelt worden war. Allzu bereitwillig haben Kollegin-
nen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion sich von
Agrokonzernlobbyisten instrumentalisieren lassen und
mit unrichtigen Darstellungen versucht, die „Ohne-Gen-
technik“-Kennzeichnung in Misskredit zu bringen.

Mit der CDU/CSU-Fraktion Gentechnikpolitik zu ma-
chen gleicht dem Versuch, einen Wackelpudding an die
Wand zu nageln. Wir haben dies hier alles schon disku-
tiert, in Bayern gegen und in Berlin für die Grüne Gen-
technik, das ist die Strategie der CSU.

In München fordert die CSU Verbindlichkeit für gen-
technikfreie Regionen, in Berlin verweigerte sie ent-
sprechenden Antragsentwürfen von uns, mit denen
diese Forderung hätte umgesetzt werden können, die
Unterstützung. Gleiches gilt für die Forderung nach ei-
ner Überarbeitung des EU-Zulassungsverfahrens. Wenn
es an die Realisierung solcher Forderungen geht – Fehl-
anzeige. All unseren Entwürfen verweigerten CDU/CSU
die Unterstützung.

Und dann am 13. Mai im Plenum: Während die Ein-
bringung eines gemeinsamen Antrags der Koalitions-
fraktionen an CDU und CSU scheiterte, stimmten plötz-
lich einige Abgeordnete der CSU dem Antrag der Grünen
zu. Ohne dass dies vorher angekündigt wurde und nach
Lösungen zum Beispiel in Form eines gemeinsamen An-
trags gesucht werden konnte. Während die Abgeordneten
der SPD-Fraktion sich der Verlässlichkeit gegenüber
dem Koalitionspartner verpflichtet sahen und trotz in-
haltlicher Übereinstimmungen schweren Herzens den
Antrag der Grünen ablehnten, kalkulierte die CSU, dass
sie sozusagen gefahrlos zustimmen konnte, ohne dass der
Antrag damit Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Mit einer solchen Eierei beim Koalitionspartner kann
man nicht arbeiten, bei diesem Schlingerkurs ist es un-
möglich, die nötigen gemeinsamen Initiativen, zum Bei-
spiel Schaffung von Rechtsverbindlichkeit für gentech-
nikfreie Regionen, auf den Weg zu bringen oder auch nur
sich auf ein Abstimmungsverhalten auf EU-Ebene zu ei-
nigen.

Das gibt Anlass zur Sorge, denn auf EU-Ebene stehen
in nächster Zeit einige Entscheidungen an. Und wenn ich
mir das frisch beschlossene CDU/CSU-Wahlprogramm
anschaue, ist Besserung nicht in Sicht. Dort heißt es
nämlich:

Die Politik muss die Sorgen der Bürger bei grüner
Gentechnik ernst nehmen und darf keine unnötigen
Risiken eingehen.
Zu Protokoll
Unkonkreter geht es wohl kaum. Ich habe es bereits
eingangs gesagt: Die große Mehrheit der Bevölkerung
lehnt die Grüne Gentechnik ab, und dies nicht nur bei
uns, sondern in der gesamten EU. Wir haben uns immer
für ihre Interessen eingesetzt und werden dies auch wei-
terhin tun. Wir sind der Meinung, dass man den Men-
schen die Grüne Gentechnik nicht aufzwingen darf.

Gestern wurde bekannt, dass die Europäische Be-
hörde für Lebensmittelsicherheit, die EFSA, auch gegen
eine erneute Zulassung von MON810 keinerlei Sicher-
heitsbedenken hegt. Das Thema wird uns also weiter be-
schäftigen. Viele Studien kommen zu einem ganz anderen
Ergebnis. Weil negative Umwelteffekte eben nicht auszu-
schließen sind, hat Ministerin Aigner aus guten Gründen
den kommerziellen Anbau von MON810 in Deutschland
gestoppt. Wer es ernst meint mit dem Vorsorgeprinzip,
wer „keine unnötigen Risiken eingehen“ und „die Sor-
gen der Bürger ernst nehmen“ will, der muss sich gegen
eine Verlängerung der Zulassung von MON810 engagie-
ren und dafür einsetzen, dass am Verbot von MON810
festgehalten wird. Heute ist die letzte Gelegenheit dazu,
dies in diesem Parlament und in dieser Legislaturperiode
zu tun. Ich hoffe, dass wir sie alle gemeinsam nutzen.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1623028200

Politik, die man gegen die Wünsche der Menschen

macht, kann scheitern. Damit ist klar: Wenn die Bürge-
rinnen und Bürger mehrheitlich gentechnisch veränderte
Pflanzen und Nahrungsmittel ablehnen, sollten wir als
Politikerinnen und Politiker das in unserer Entscheidung
mit berücksichtigen.

Allein: Das reicht nicht. Es gibt eine Vielzahl auch
wissenschaftlicher, sozioökonomischer und wirtschaftli-
cher Gründe, den kommerziellen Anbau gentechnisch
veränderter Pflanzen nicht zuzulassen. Darüber haben
wir in den letzten Jahren an dieser und anderen Stellen
genug diskutiert.

Umso begrüßenswerter ist der am 25. Juni 2009 von
der österreichischen Regierung präsentierte Vorschlag,
dass zukünftig die EU-Staaten allein darüber entschei-
den sollen, ob sie den Anbau gentechnisch veränderter
Pflanzen zulassen oder nicht. Ohne Abstriche ist dieser
Vorschlag zu unterstützen. Es kann nur schaden, wenn
die Europäische Union gegen den Willen einzelner Mit-
gliedstaaten versucht, auch diese Länder zur Zulassung
und zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen bzw.
Organismen zu zwingen.

Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Bundesregie-
rung mit diesem verbraucherschutzfreundlichen Vor-
schlag auf europäischer Ebene profiliert hätte, so, wie
wir als SPD das seit langem vorschlagen. Die zuständige
Ministerin Ilse Aigner scheint jedoch lieber zu reagieren,
als im Sinne der Verbraucher und Bauern aktiv zu han-
deln.

Bei mir drängt sich nach der Debatte der vergangenen
Tage auf EU-Ebene der Eindruck auf, dass die Forde-
rung im vorliegenden Antrag der Grünen, Mitgliedstaa-
ten zu unterstützen, die nationale Anbauverbote erlassen
haben, bereits Mehrheitsmeinung der EU-Umweltminis-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
ter ist. So verstehe ich die ausschließlich positiven Reak-
tionen auf den Vorstoß Österreichs.

Bedauerlich ist, dass die österreichische Regierung
nicht auch das Zulassungsverfahren für gentechnisch
veränderte Organismen in den Blick genommen hat. Nur
ein transparentes und wissenschaftlich fundiertes Verfah-
ren zur Zulassung garantiert Akzeptanz. Ich denke, wir
alle begrüßen daher die Aussage von dem Generaldirek-
tor Umwelt der EU-Kommission, Karl Falkenberg, der
gesagt hat, dass man das Zulassungssystem für gentech-
nisch veränderte Organismen „möglichst bald“ überar-
beiten werde.

Diese Signale aus der EU-Kommission machen offen-
kundig, dass entgegen der Auffassung der Fraktionen der
FDP und CDU/CSU wohl doch Reformbedarf beim Zu-
lassungsverfahren besteht. Ich fordere die Bundesregie-
rung auf, sich aktiv in die Überarbeitung des Zulassungs-
systems einzubringen.

Wir haben hervorragende Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in Deutschland, die in diesem Bereich
arbeiten. Im Sinne der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher muss dieser Sachverstand auf EU-Ebene einge-
bracht werden. Hierzu zähle ich ausdrücklich auch die
vielen Verbände und Einrichtungen, die sich kritisch mit
gentechnisch veränderten Organismen auseinanderset-
zen. Auch diese Gruppen verfügen über wichtiges Exper-
tenwissen, das durch die Regierung und die EU-Kommis-
sion genutzt werden sollte.

Sehr gespannt bin ich auf den Bericht über die Einbe-
ziehung von sozioökonomischen Kriterien bei der Zulas-
sung von gentechnisch veränderten Organismen, den
EU-Umweltkommissar Dimas vorlegen wird. Der
Wunsch meiner Fraktion ist, dass die Bundesregierung
den Inhalt dieses Berichts aktiv aufgreifen wird. Viel zu
lange wurden sozioökonomische Kriterien in der Debatte
über gentechnisch veränderte Pflanzen nur stiefmütter-
lich behandelt.

Als Forschungspolitiker sehe ich die großen Chancen,
die Gentechnologie bei Pflanzen bietet. Wir können noch
so viel mehr über Pflanzen und Organismen lernen. Aber
man muss strikt zwischen Grundlagenforschung und
agrarindustrieller Ausbringung in Umwelt und Natur
trennen. Allerdings sind meines Erachtens noch viel zu
viele Fragen ungeklärt, sodass die irreversible, großflä-
chige Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen
nicht erfolgen sollte. Wir alle wollen mehr Forschung,
denn diese schafft notwendiges Wissen, insbesondere in
der Biologie.

Darauf, warum wir allerdings trotz wissenschaftlicher
Bedenken und gegen den mehrheitlichen Willen der Be-
völkerung gentechnisch veränderten Pflanzen zum
Durchbruch auf dem Acker verhelfen sollen, haben we-
der FDP noch CDU/CSU eine überzeugende Antwort.
Dies sieht man auch daran, dass die CSU plötzlich öf-
fentlichkeitswirksam die Agro-Gentechnik ablehnt, auf
Bundesebene gemeinsam mit der CDU aber wiederholt
das Gentechnikgesetz lockern wollte. Glaubwürdige Po-
litik sieht anders aus.
Zu Protokoll
Was ist nun von den anderen, konkreten Forderungen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu halten? Solange
es wissenschaftlich begründete Bedenken gegen den An-
bau von MON810 gibt, muss im Sinne des Vorsorgeprin-
zips das Verbot des Anbaus bestehen bleiben. Auch dür-
fen keine anderen Sorten zugelassen werden, bei denen
ähnliche Bedenken wie bei MON810 bestehen. Wo kämen
wir denn auch hin, wenn wir bei MON810 ein Verbot er-
lassen, bei anderen Sorten trotz ähnlicher Bedenken aber
dem Anbau zustimmen würden? Die Forderungen im An-
trag von Bündnis 90/Die Grünen halte ich für sinnvoll
und berechtigt.

Die Wählerinnen und Wähler werden im September
auch entscheiden können, wie mit der Agro-Gentechnik
weiter verfahren werden soll. Die Position der SPD ist
jedenfalls klar.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1623028300

Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wollen

wohlschmeckende und gesunde Lebensmittel, sie wollen
den Schutz und Erhalt unserer Natur und unserer Kultur-
landschaft. Dies wird durch unsere Gesetze und ihren
Vollzug sehr weitgehend gewährleistet. Unsere Lebens-
mittel hatten zu keiner Zeit eine höhere Qualität als
heute.

Bei dem Antrag der Grünen muss man zwangsläufig
an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ den-
ken. Immer wiederholt sich der gleiche Tagesablauf. Das
ist genauso mit der Gentechnikpolitik der Grünen: Angst
machen, wissenschaftliche Ergebnisse, die ihren politi-
schen Vorstellungen widersprechen, nicht zur Kenntnis
nehmen, die Wissenschaftler, die politisch unerwünschte
Ergebnisse publizieren, persönlich verunglimpfen. Am
Ende steht dann die Forderung nach einem Verbot.

Der heutige Antrag der Grünen, mit dem der Anbau
einer bewährten Maissorte verboten werden soll, und der
in ähnlicher Form bereits mehr als zehnmal gestellt wor-
den ist, ist genauso überflüssig wie seine Vorgänger.
Durch den Anbau einer seit zehn Jahren weltweit pro-
blemlos angebauten Maissorte ist kein Schutzgut gefähr-
det. Wer Menschen Angst macht, macht sie unfrei, will sie
bevormunden, will sie manipulieren. Ziel grüner Politik
ist nicht der Schutz der Bürgerinnen und Bürger, sondern
ihre Manipulation. Der Blick dieser Politikerinnen und
Politiker richtet sich nicht auf Mensch und Natur, son-
dern auf die Ergebnisse von Umfragen.

Wir wollen dagegen, dass Landwirte selbst entschei-
den, welche der zugelassenen Sorten sie zur Lebensmit-
telproduktion, zur Fütterung ihrer Tiere, zur Beschickung
von Biogasanlagen anbauen. Wir wollen, dass die Ver-
braucherinnen und Verbraucher beim Einkauf entschei-
den, welche Lebensmittel sie bevorzugen. Das wollen die
Grünen nicht. Grünes Gutmenschentum will entscheiden,
was gut ist für die Kuh von Bauer Piepenbrink. Das lehnt
die FDP ab.

Besondere Unterstützung hat die grüne Verbotspolitik
erfahren durch die schwarz-rote Koalition, die von ihr
getragene Bundesregierung und insbesondere die Minis-
terinnen Aigner und Schavan, die das allein politisch



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
motivierte Verbot von MON810 zu verantworten haben.
Ministerin Aigner, CSU, folgt den Spuren ihres Vorgän-
gers Horst Seehofer. Ihre eigene Meinung hat sie bei ih-
rem Landesvorsitzenden abgegeben. Er hatte 2008 das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit angewiesen, entgegen der Fachmeinung der Be-
hörde den Verkauf von MON810 zu verbieten. Ministerin
Aigner gab diesem Vorbild folgend die Anweisung für
den Verbotserlass. Der Wissenschaftsjournalist Thomas
Deichmann hat dies in einem Artikel in der Zeitschrift
„Novo“ aufgedeckt und ausführlich dargelegt. Wissen-
schaftliche Fakten, die ein Verbot begründen, gibt und
gab es nicht. Obere Bundesbehörden, Fachbehörden
werden damit zum verlängerten Arm der Parteipolitik.
Die Existenz von Fachbehörden wird damit infrage ge-
stellt.

Für diese Bundesregierung gilt, was die Süddeutsche
Zeitung am 30. Juni über Gentechnikgegner schreibt:
„Die Gegner setzen mehr auf Stimmung als auf Fak-
ten.“; sowie: „Für die Gruselshow werden Gerüchte zu
Gewissheiten.“

Eine französische Forschergruppe hat kürzlich in ei-
ner Veröffentlichung der Bundesregierung ins Stamm-
buch geschrieben, dass sie in ihrer Entscheidung das
vorhandene Wissen über Bt-Mais ignoriert habe. Schlim-
mer noch, einer der Autoren der von der Bundesregie-
rung angeführten und in Methodik und Auswertung so-
wie Bewertung der Ergebnisse sehr fragwürdigen Studie
ist inzwischen Mitarbeiter des Bundesamtes für Natur-
schutz. Der Schaden, den diese Bundesregierung für
Deutschland, sein Ansehen als Wissenschaftsstandort
verursacht hat, ist unermesslich.

Mit dem Schüren unbegründeter Ängste treiben ver-
schiedene Organisationen, Grüne und auch Mitglieder
dieser Bundesregierung Arbeitsplätze in Forschung und
Wirtschaft aus dem Land. Ministerin Schavan hat die
Freiheit von Forschung und Lehre der Ideologie geop-
fert. Das Handeln dieser Bundesregierung liefert den
Nährboden für kriminelle Feldzerstörungen militanter
Gentechnikgegner. Deutschland verkommt im Bereich
der Biotechnologie zur Provinz. Die Folge ist, dass deut-
sche Wissenschaftler an internationalen Projekten im Be-
reich der Biotechnologie nicht mehr teilnehmen können.
Es ist fachlicher Unsinn, wenn die CSU auch noch for-
dert, die Zulassung der Gentechnik in die Regionen zu
verlagern. Geradezu peinlich sind die Anbiederungs-
versuche von Herrn Söder an die Phalanx der Gentech-
nikgegner. Er war sich nicht einmal zu schade, den
rechtskräftig verurteilten Landwirt Percy Schmeiser ein-
zuladen.

Es ist gut, dass es dennoch Wissenschaftler gibt wie
Professor Karl-Heinz Kogel von der Universität Gießen,
der trotz aller Anfeindungen, aller Zerstörungen seiner
Freisetzungsversuche sagt: „Die Wahrheit setzt sich im-
mer durch.“ Die FDP ist auf der Seite der Wahrheit.

Die Grünen und immer mehr auch die CSU müssen
sich fragen lassen, welche Existenzberechtigung eine
Partei hat, deren mit besonderem Engagement und durch
Kampagnen verbreitete Thesen sich über kurz oder lang
Zu Protokoll
als falsch erweisen. Die Forderungen von Verboten von
PC, PET-Flasche und Handy überdauerten nur kurz den
politischen Alltag. Der Abschied von der Verdammung
der Nutzung von gentechnisch veränderten Organismen
zur Produktion von Arzneimitteln, Vitaminen, Aminosäu-
ren und Enzymen brauchte etwas mehr Zeit. Der Schaden
für Deutschland war entsprechend größer. In absehbarer
Zeit wird ein grüner Abgeordneter oder eine grüne Abge-
ordnete hier im Plenum erklären, dass die Nutzung der
Gentechnik zur Züchtung von Kulturpflanzen selbstver-
ständlich auch von den Grünen aus ganzem Herzen be-
fürwortet werde, und hinzufügen, aber Risiken würden
dagegen von einer anderen Innovation ausgehen.

Die FDP lehnt den vorliegenden Antrag ab.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623028400

Die Grünen strecken mit dem vorliegenden Antrag

eine Hand in Richtung SPD aus. Die Forderungen des
Antrags werden seit langem von Linken, Grünen und So-
zialdemokraten wiederholt. Bisher hat sich die SPD-
Fraktion allerdings immer den Fesseln des Koalitions-
vertrags gebeugt und gegen jegliche Einschränkung bei
der Agrogentechnik gestimmt. Doch das Thema ist viel zu
wichtig, um sich weiterhin von der Union zurückhalten
zu lassen. Seien Sie mutig, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen der SPD, und stimmen Sie für eine gentechnikfreie
Landwirtschaft und Imkerei.

Wir, die Linke, können die Forderungen unterstützen,
auch wenn sie nicht neu sind, in diesem Haus schon
mehrmals debattiert wurden und uns auch nicht konse-
quent genug sind.

Wir stimmen überein, dass keine neuen gentechnisch
veränderten Pflanzen in der EU zugelassen werden sol-
len. Die Grünen allerdings schränken diese Forderung
ein. Die Bundesregierung soll transgene Pflanzen ableh-
nen, für welche „die gleichen Bedenken wie für MON810
gelten“. Bedeutet das im Umkehrschluss: Die Grünen
sind für die Genkartoffel Amflora? Ich hoffe, das meinen
Sie nicht wirklich so. Es muss doch Grundsatz bleiben:
Aus Vorsorgegründen müssen alle gesundheitlichen und
ökologischen Risiken berücksichtigt werden und nicht
nur die, die wir beim MON810 bereits kennen.

Die Linke lehnt die Agrogentechnik konsequent ab,
erst recht, weil sie in den Händen der Saatgutmultis be-
sonders gefährlich ist. Das haben wir in unserem Bun-
destagswahlprogramm klar und deutlich formuliert.
Gentechnisch veränderte Pflanzen bringen der Mensch-
heit keine wirklichen Vorteile, aber den Saatgutkonzer-
nen erhebliche Gewinne. Die vermeintlichen Verspre-
chen wie höheren Erträgen, weniger Pestiziden oder
gesünderen Nahrungsmitteln stehen zwar in den Hoch-
glanzwerbebroschüren, erfüllen sich aber in der Realität
nicht. Ganz im Gegenteil, stattdessen werden durch Mon-
santo, BASF und Co. die gentechnikfreie Landwirtschaft,
Imkerei, Umwelt und nicht zuletzt die Gesundheit von
Mensch und Tier gefährdet. Einzig die CSU in Bayern
scheint in letzter Zeit aus der Koalition von Genlobbyis-
ten in Union und FDP ausscheren zu wollen, zumindest
bis zur Bundestagswahl.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Vergangene Woche haben die EU-Umweltministerin-
nen und -minister einen Vorschlag von elf EU-Mitglied-
staaten beraten. Der von Österreich initiierte Vorschlag
galt den nationalen Anbauverboten. Aktuell dürfen die
Mitgliedstaaten einzelne Anbauverbote nur dann aus-
sprechen, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine
Gefährdung durch Genpflanzen belegen. Ministerin
Aigner hat aus diesem Grund den Anbau von Genmais
MON810 in Deutschland verboten. Das war gut. So ha-
ben wir die Möglichkeit, in diesem Sommer etwas weni-
ger emotional über die Risikotechnologie Agrogentech-
nik zu debattieren. Ich hoffe, das Verbot bleibt auch nach
der Bundestagswahl bestehen und dient als positives Bei-
spiel für weitere EU-Mitgliedstaaten.

Die Linke streitet für ein Europa ohne Agrogentech-
nik. Wir stehen klar an der Seite der Menschen in den
Mitgliedstaaten und nicht auf der Seite der internationa-
len Saatgutmultis. Die Agrogentechnik wird aus guten
Gründen mehrheitlich abgelehnt. Daher muss jede Mög-
lichkeit genutzt werden, ihre gewollte oder ungewollte
Ausbreitung zu verhindern. WTO und Saatgutkonzerne
haben mithilfe der bürgerlichen Parteien einen fakti-
schen Gentechnikzwang durchgesetzt. Die Linke ist der
Auffassung, dass die EU-Mitgliedstaaten – im Interesse
ihrer Bevölkerung und dem Vorsorgegedanken verpflich-
tet – das Recht haben müssen, sich dagegen zur Wehr zu
setzen. Wir unterstützen daher die Stärkung des Rechts
auf nationale Anbauverbote auch bei vorliegender EU-
Zulassung von Genpflanzen, vor allem, da diese Zulas-
sungsverfahren seit langem in der Kritik stehen.

Die Linke fordert den rechtlich gesicherten Verzicht
auf Agrogentechnik in Deutschland und Europa. Solange
das noch nicht erreicht ist, müssen Zulassungs- und
Kennzeichnungsvorschriften so streng sein, dass die Inte-
ressen der gentechnikfreien Landwirtschaft und Imkerei
gesichert bleiben. Das schließt auch ein Umdenken bei
den importierten Sojafuttermitteln ein. Regionale Ei-
weißfutterpflanzen müssen so schnell wie möglich Gen-
Soja aus Brasilien ersetzen. Für die Linke bleibt ein Eu-
ropa ohne Agrogentechnik das Ziel. Dafür werden wir
auch in der nächsten Legislatur weiter streiten. Dem An-
trag stimmen wir zu, auch wenn er keinen wirklichen Er-
kenntnisfortschritt bringt.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623028500

Nach dem Verbot von MON810 haben Umwelt- und

Verbraucherverbände, Imker und gentechnikfrei wirt-
schaftende Landwirte aufgeatmet. Leider war dieser Er-
folg nur ein Etappensieg, wie die aktuelle Entscheidung
der EU-Lebensmittelbehörde EFSA zu MON810 zeigt,
und deswegen ist unser Antrag so topaktuell. Obwohl
selbst die EFSA in ihrem Gutachten mögliche Risiken
durch MON810 – zum Beispiel auf Schmetterlinge und
Wasserorganismen – nicht ausschließen kann, erteilt sie
dem insektengiftigen Mais einen Persilschein – mit dem
Vorbehalt, eine Gefährdung von Schmetterlingen müsse
verhindert werden. Doch leider können weder Bienen
noch Schmetterlinge lesen, und die Vorgaben zeigen ein-
mal mehr, dass es den Experten an Umweltkompetenz
fehlt. Vollkommen fehlen bei der EFSA-Bewertung natür-
lich die sozioökonomischen Risiken durch einen
Zu Protokoll
MON810-Anbau – zum Beispiel durch die Kosten, die
gentechnikfrei wirtschaftenden Landwirten zur Vermei-
dung von Verunreinigungen entstehen. Man kann nur
hoffen, dass die EU-Gremien vor ihrer Entscheidung
über eine Verlängerung der MON810 noch zusätzliche
– und vor allem unabhängige – Wissenschaftsmeinungen
einholen. Und wir fordern, dass sich die Regierung
Deutschlands – wie in unserem Antrag – auf EU-Ebene
gegen eine Verlängerung der MON810-Zulassung aus-
spricht.

Die Bundesregierung muss sich ebenso gegen die in
der EU anstehenden Entscheidungen über die Zulassung

(Bt11 von Syngenta und Bt1507 von Pioneer)

Risiken gelten wie für MON810: Alle drei Maissorten
enthalten das Bt-Gift, das nachgewiesenermaßen Nicht-
zielorganismen wie Marienkäferlarven, Wasserflöhe und
Köcherfliegenlarven schädigt. Auf Grundlage dieser Er-
kenntnisse hat Ministerin Aigner den Genmais MON810
verboten. Ein Rollback bei Bt-Pflanzen dürfen wir daher
auf keinen Fall zulassen. Zusätzlich sind die beiden
neuen Genmaislinien Bt11 und Bt1507 noch resistent ge-
gen den Herbizidwirkstoff Glufosinat, der wegen seiner
extremen Giftigkeit nach der neuen EU-Pestizidverord-
nung vom Markt genommen werden muss.

Es ist ein Skandal, dass bei der Risikobewertung von
Genmais durch die Behörden nicht auch die mit den
Pflanzen komibinierten Herbizide untersucht werden und
keine Gesamtbewertung vorgelegt wird. Die Hinweise
auf die Gefährlichkeit dieser Totalherbizide sind besorg-
niserregend. So sind laut einer Untersuchung der Uni-
versität Buenos Aires und einer französischen Studie seit
der massiven Ausweitung des Gen-Soja-Anbaus und da-
mit der Verwendung des Totalherbizids Roundup mit dem
Wirkstoff Glyphosat die Schädigung von Amphibien und
des Bodenlebens durch das Herbizid aufgetreten. Ebenso
sind eine stark gestiegene Rate von Missbildungen,
Krebs und weitere gravierende Gesundheitsschäden zu
beobachten. Da immer mehr Unkräuter auftreten, die ge-
gen Roundup resistent sind, müssen immer höhere Men-
gen und zusätzliche Herbizide eingesetzt werden. Diese
Entwicklungen müssen untersucht und dürfen nicht wei-
ter ignoriert werden.

Es ist vor diesem Hintergrund völlig absurd, wenn Mi-
nisterin Schavan in der „Financial Times Deutschland“
behauptet, es gäbe keine wissenschaftlichen Belege für
gesundheitliche oder ökologische Schäden durch die
grüne Gentechnik. Damit unterstellt Frau Schavan sogar
ihrer Kollegin Aigner aus der eigenen Fraktion, keine
faktenbasierte Entscheidung getroffen zu haben. Natür-
lich gibt es wissenschaftliche Belege für Risiken – wie ja
auch das neueste EFSA-Gutachten zu MON810 oder die
Stellungnahme zu Amflora zeigt. Aber diese Belege wer-
den ignoriert oder einfach als „nicht relevant“ von den
Behörden eingestuft. Das ist alles andere als die Wah-
rung des Vorsorgeprinzips beim Umgang mit Genpflan-
zen, wie es das deutsche und auch das EU-Recht eigent-
lich ausdrücklich vorsehen.

Inzwischen haben Deutschland und fünf weitere EU-
Staaten aufgrund neuer Gefahrenerkenntnisse den An-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
bau von MON810 verboten. Es zeichnet sich bereits
breite Unterstützung für eine Initiative Österreichs ab,
nationale Anbauverbote für GVO auch auf der Grund-
lage sozioökonomischer Auswirkungen zu ermöglichen.
Wie ein Gutachten im Auftrag der grünen Bundestags-
fraktion ergeben hat, sind rechtliche Handlungsspiel-
räume des Bundes und der Kommunen bei der Unterstüt-
zung und Absicherung gentechnikfreier Regionen
durchaus vorhanden.

Zu den negativen sozioökonomischen Folgen der
Agrogentechnik zählen auch Kosten für gentechnikfrei
wirtschaftende Bauern und Lebensmittelwirtschaft, die
durch Agrogentechnik verursacht werden, wie eine Stu-
die des Bundes der ökologischen Lebensmittelwirtschaft

(BÖLW) zeigt. Kontaminationen bei Saat- und Erntegut

durch nichtverkehrsfähige GVO belaufen sich alleine bei
den bekanntgewordenen Fällen inzwischen auf mehrere
Milliarden US-Dollar. Die Kosten für Systeme zum Er-
halt der gentechnikfreien Lebensmittelproduktion in der
EU und Japan werden auf 100 Millionen US-Dollar jähr-
lich geschätzt; für ein mittelständisches Unternehmen
sind das circa 100 000 Euro pro Jahr. Auch für Bauern
bedeutet Agrogentechnik steigende Kosten: Die Saatgut-
kosten bei Mais und Soja, wo die Gentechnik bereits eine
erhebliche Rolle spielt, sind innerhalb der letzten drei
Jahrzehnte weltweit auf das Fünffache gestiegen – bei ei-
ner Steigerung des Ertrags um den Faktor 1,7, die vor al-
lem auf Züchtungsfortschritte der konventionellen Aus-
gangssorten beruht. Bei Weizen und Reis, wo Gentechnik
keine kommerzielle Rolle spielt, stiegen die Preise paral-
lel zum Ertrag. Einen nennenswerten Beitrag zur Er-
tragssteigerung konnte die Agrogentechnik selbst bislang
nicht leisten, Fortschritte hierbei kommen bislang fast
ausschließlich durch die konventioneller Züchtung.

Auch die versprochenen Arbeitsplätze liefert die Agro-
gentechnik nicht. Während früher immer mal wieder Stu-
dien mit irgendwelchen dubiosen Hochrechnungen zu
Arbeitsplatzpotenzialen erschienen, ist es hier in letzter
Zeit sehr ruhig geworden mit derartigen Versprechun-
gen. Man kann nur hoffen, dass auch die Union inzwi-
schen dazugelernt hat, die noch in den späten 90er-Jah-
ren durch ihren damaligen Forschungsminister Rüttgers
bis zu 9 Millionen Arbeitsplätze versprach. Dagegen
zeigte schon 2006 eine Studie der Uni Oldenburg, dass es
weniger als 500 Beschäftigte im privatwirtschaftlich fi-
nanzierten Bereich der Agrogentechnik gibt.

Der kanadische Farmer Percy Schmeiser berichtet ak-
tuell in Deutschland auf Veranstaltungen mit tausenden
Teilnehmern von seinen Erfahrungen mit der Agrogen-
technik. Schmeisers Lebenswerk, die Züchtung guter
Rapssorten, wurde durch Einkreuzung von Genraps des
Konzerns Monsanto zerstört. Die Rapsernte wurde al-
lein durch diese Kontamination zum Eigentum von
Monsanto. Zur Durchsetzung seiner Patentansprüche
schreckt Monsanto auch nicht vor dem Einsatz schwar-
zer Sheriffs, Detektive und Denunziationsprämien zu-
rück. So wird Zwietracht und Misstrauen unter den
Landwirten gesät. US-Landwirte, die unter Monsanto
und seinen Detektiven auf dem Acker und den Klagen vor
Gericht zu leiden haben, klagten darüber erst kürzlich
recht prominent platziert in der „FAZ“ und warnten
deutsche Landwirte davor, sich – vollkommen unnötig –
auf Monsanto und seine „Angebote“ einzulassen.

CDU, CSU und SPD haben wie die FDP in den letzten
Monaten deutlich gemacht, dass sie sich vom Leitbild ei-
ner mittelständischen und bäuerlichen Landwirtschaft
verabschiedet haben. Elemente ihrer Ausrichtung auf die
Industrialisierung der Landwirtschaft sind ihr mangeln-
der Widerstand gegen eine Zulassung von Klonfleisch,
das Einknicken vor Bayer und Co in Sachen Biopatent-
recht trotz dringendem Änderungsbedarf, die Genehmi-
gung von Freilandversuchen mit der Genkartoffel Am-
flora, die nur den Interessen der BASF und nicht der
Erforschung von Risikofragen dienen, und eine völlig
verfehlte Milchpolitik, die den gesamten Wirtschaftsbe-
reich und Tausende von Arbeitsplätzen zerschlägt.

Wir Grüne wollen diesen Weg einer Industrialisierung
der Landwirtschaft auf Kosten von Bauern, Imkern, Um-
welt und Verbrauchern stoppen. Wir messen CDU, CSU
und SPD nicht an schönen Worten in Sonntagsreden und
Wahlkämpfen, sondern an ihrem Verhalten in Brüssel,
wenn es um Entscheidungen zur Agrogentechnik geht.
Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung auf EU-
Ebene aktiv gegen die Verlängerung von MON810 ein-
setzt, wie wir es in unserem Antrag fordern. Es reicht
nicht, wenn CSU- und SPD-Abgeordnete lediglich Fens-
terreden gegen die Agrogentechnik halten. Wir erwarten,
dass sie dann auch unserem Antrag hier im Parlament
zustimmen, der nichts anderes fordert als das, was sie
selbst bei Veranstaltungen zur Agrogentechnik fordern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623028600

Es liegen fünf Erklärungen nach § 31 unserer Ge-

schäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1)

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/13663, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/13398 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion,
eines Teils der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen, einer gewissen Zahl von Abge-
ordneten der SPD und einer Stimme aus dem Bereich der
CDU/CSU. Damit ist die Mehrheit klar. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich darf darauf hinweisen, dass wir noch über einen
großen Packen von Beschlussempfehlungen und Ent-
schließungen abstimmen müssen. Wer daran teilnehmen
will, ist herzlich eingeladen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-

1) Anlagen 5 und 6






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
führung einer Modellklausel in die Berufsge-
setze der Hebammen, Logopäden, Physiothe-
rapeuten und Ergotherapeuten

– Drucksache 16/9898 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksache 16/13652 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jens Spahn


Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1623028700

Das Gesundheitssystem in Deutschland unterliegt ei-

nem großen Wandel. Diese Veränderungen wirken sich
auch auf die Anforderungen an die Beschäftigten in den
Pflege- und Heilberufen aus. Deshalb wird mit dem Ge-
setz zur Einführung einer Modellklausel in verschiedene
Berufsgesetze den Bundesländern ermöglicht, zeitlich
befristete Änderungen der Ausbildungsstrukturen vorzu-
nehmen und im Rahmen von Modellprojekten neue Aus-
bildungsmöglichkeiten an Hochschulen zu erproben. Da-
durch können richtungweisende Erkenntnisse für die
Weiterentwicklung der Ausbildungen gewonnen werden.
Wir erhöhen damit die Wettbewerbsfähigkeit dieser Aus-
bildungen im europäischen Vergleich und fördern die
europaweite Mobilität.

Mit dem Krankenpflegegesetz wurde bereits 2003 für
die Berufe in der Gesundheits- und Krankenpflege bzw.
in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege eine Mo-
dellklausel zur zeitlich befristeten Erprobung von Ausbil-
dungsangeboten, die der Weiterentwicklung der Pflege-
berufe unter Berücksichtigung der berufsfeldspezifischen
Anforderungen dienen sollen, geregelt. Die damit ge-
machten positiven Erfahrungen können jetzt auch in an-
deren Berufsfeldern eingesetzt werden.

Mit dem vorliegenden Gesetz wird nun auch bei der
Ausbildung der Hebammen, der Logopäden, der Physio-
therapeuten und der Ergotherapeuten den Ländern die
Möglichkeit eröffnet, in Abweichung zu den gegebenen
Ausbildungsstrukturen eine Weiterentwicklung der Aus-
bildungssysteme zu erproben. Die Modellerfahrungen
sollen Bund und Ländern als Grundlage für die Fortent-
wicklung der Berufsgesetze dienen. Diese ist insbeson-
dere erforderlich, um die Ausbildungen dieser Berufe im
europäischen Vergleich wettbewerbsfähig zu machen und
die berufliche Mobilität deutscher Berufsangehöriger zu
fördern.

Der Gesetzentwurf folgt den Beschlüssen der 80. Ge-
sundheitsministerkonferenz, die sich im Jahr 2007 mit
dem Thema beschäftigt und den Bund einstimmig gebe-
ten hat, Modellklauseln analog zum Krankenpflegegesetz
in die Berufsgesetze der übrigen nichtärztlichen Heilbe-
rufe aufzunehmen. Ein besonderer Bedarf wurde zu-
nächst für die Berufe der Hebammen, der Logopäden,
der Physiotherapeuten und der Ergotherapeuten gese-
hen. In den meisten dieser Berufsausbildungen befinden
sich heute bereits im Rahmen der Fachschulausbildung
zu einem sehr hohen Anteil Schülerinnen und Schüler mit
Fachhochschulreife oder Abitur. Zudem bieten diese Be-
rufe die Möglichkeit der Entwicklung eigener Fach-
expertisen in Abgrenzung zur ärztlichen Tätigkeit.

Die Modellprojekte sind bis zum Jahr 2017 zeitlich
begrenzt und unterliegen einer sorgfältigen Evaluation.
Somit können mehrere Ausbildungsjahrgänge gestartet
werden und es existiert eine gute Datenbasis, um die Mo-
dellprojekte zu bewerten. Im Gesetz wird sichergestellt,
dass alle Modelle, die vor 2017 gestartet sind, auch be-
endet werden können. Somit haben alle Teilnehmerinnen
und Teilnehmer die Garantie, zu einem Berufsabschluss
zu kommen. Dies ist wichtig, da die jungen Absolventin-
nen und Absolventen ihre berufliche Zukunft darauf stüt-
zen.

Die genaue Ausgestaltung der Modelle, zum Beispiel
in Bezug auf die Ziele, Dauer, Art und die allgemeinen
Vorgaben, sind jeweils von den Ländern eigenverant-
wortlich festzulegen. Die Länder kümmern sich auch um
die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung. Um
die in den Ländern unterschiedlich ausgestalteten Mo-
dellprojekte vergleichen zu können, wird das Bundes-
ministerium für Gesundheit für die Evaluation einen Kri-
terienkatalog vorlegen. Der Deutsche Bundestag wird
vom Ministerium zum 31. Dezember 2015 einen Ergeb-
nisbericht der Modellvorhaben erhalten, um auf dieser
Grundlage rechtzeitig vor Auslaufen der Regelung ent-
scheiden zu können, wie die Ausbildungen dauerhaft ge-
staltet werden sollen.

Bei der Entwicklung neuer Ausbildungswege an
Hochschulen ist das Ziel aber nicht, die herkömmlichen
Berufsausbildungen an Fachschulen zu ersetzen, son-
dern sie im Gegenteil zu ergänzen. So besteht die Chance
gerade darin, dass eine neue Stufe zusätzlich gewählt
werden kann. Dies kann – gerade auch in Zeiten von sin-
kenden Schülerzahlen – die Attraktivität der Heilberufe
weiter steigern.

Gerade auch für die Beteiligung an Forschung und
Lehre ist es wichtig, dass die nichtärztlichen Heilberufe
unter den veränderten Anforderungen des heutigen Ge-
sundheitswesens eine eigene Fachexpertise entwickeln.
Damit kann auch dazu beigetragen werden, die fachliche
Kompetenz im Sinne der Patienten weiterzuentwickeln
und sie auf der Grundlage wissenschaftlicher Ergebnisse
auch belegen zu können.

Mit der Möglichkeit, neue Ausbildungsformen in Mo-
dellen zu erproben, bieten wir nicht nur den angehenden
Hebammen, den Logopäden, den Physiotherapeuten und
den Ergotherapeuten die Möglichkeit eines zusätzlichen
attraktiven Ausbildungsweges, sondern sorgen auch da-
für, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten
in Deutschland noch besser werden kann. Ich bitte Sie
deshalb, diesem Gesetz zuzustimmen.


Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Rede ID: ID1623028800

Die Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und

Ergotherapeuten werden meist den nichtärztlichen Heil-
berufen, Heilhilfsberufen, Heilergänzungsberufen oder
auch medizinischen Assistenzberufen zugeordnet. Wuss-
ten Sie, dass diese Berufsbezeichnungen von den betrof-
fenen Berufsgruppen oftmals als diskriminierend emp-


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Spielmann
funden werden? Und: Warum ist das so, und was können
wir dagegen tun?

Kommen wir also zur ersten Frage. Zahlreiche Struk-
turreformen im Gesundheitswesen haben in den vergan-
genen Jahren zu weitreichenden Veränderungen in der
beruflichen Praxis und in der Ausbildung von Ärzten,
aber eben auch von nichtärztlich tätigen Berufsgruppen
geführt. Letztere übernehmen in der Praxis zunehmend
mehr Verantwortung für die Prävention, Heilung, Reha-
bilitation und Pflege der Patienten. So besteht die Auf-
gabe zum Beispiel eines Logopäden nicht nur in der Dia-
gnostik und Therapie von Kommunikationsstörungen,
die sich auf die Sprachentwicklung, Sprech- und Stimm-
störungen beziehen. Vielmehr übernimmt er auch prä-
ventive Aufgaben wie Information und Beratung, um die
Entstehung oder die Verschlechterung einer Störung zu
verhindern. Dazu zählen auch Maßnahmen zur Früherken-
nung einer sich abzeichnenden Störung bei Erwachsenen
und Kindern durch eine Beratung der Eltern oder eine
Reihenuntersuchung im Kindergarten. Zudem erfolgt ne-
ben der Diagnostik eine umfassende Evaluation. So wer-
den situations- und altersgerechte Therapiepläne zum
Beispiel bei Aphasie und Schlaganfällen selbstständig
und eigenverantwortlich erstellt und deren Effektivität
umfassend ausgewertet. Außerdem übernehmen sie die
Beratung von Patienten und Angehörigen zu Rehabilita-
tions- oder sozialbetreuenden Maßnahmen.

Die Liste der Tätigkeitsfelder ließe sich noch lang
fortführen und ohne Weiteres auf die anderen genannten
Berufsgruppen übertragen. Ich denke aber, dass ich Sie
nicht mit langatmigen Aufzählungen quälen muss, um zu
zeigen, dass die Palette von Tätigkeiten nicht nur groß
und vielfältig, sondern auch in hohem Maße verantwor-
tungsvoll ist. Dieses hohe Maß an Verantwortung, wel-
ches der ärztlichen zunehmend gleicht, wird aber durch
die aktuellen Berufsbezeichnungen und die damit ver-
bundenen rechtlichen Regelungen nicht angemessen wi-
dergespiegelt.

Was ist nun die Lösung dieser mangelnden Anerken-
nung? Ich sage: Akademisierung! Auf das große Leis-
tungsspektrum mit den gewachsenen Verantwortlichkei-
ten muss mit der Möglichkeit der Ausweitung der
theoretischen Grundlagen angemessen reagiert werden.
Das heißt nicht, dass der praktische Teil der Ausbildung
angetastet wird, sondern dass innerhalb der schulischen
Ausbildung neue Wege eröffnet werden. Bereits heute be-
finden sich in den meisten dieser Berufsgruppen zu sehr
hohem Anteil Abiturienten. Auch hier böte die Akademi-
sierung die Anpassung bereits bestehender Möglichkei-
ten an die Praxis.

Außerdem ist deutlich geworden, dass sich die Tätig-
keiten der genannten Berufsgruppen und der Ärzte oft-
mals überschneiden und diese quasi Hand in Hand ge-
hen. Zudem wird die schnittstellenübergreifende
Koordinierung der Behandlung durch die aktuelle Ge-
sundheitsreform ja gerade forciert. Vor allem zur Verbes-
serung der Qualität in der Versorgung chronisch Kran-
ker wurden Instrumentarien im Gesetz verankert, die für
alle an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen von
praktischer Bedeutung sind. Zum Beispiel werden die
Zu Protokoll
Disease-Management-Programme von ärztlichen und
nichtärztlichen Leistungserbringern gemeinsam – koor-
diniert und kooperativ – durchgeführt. Dabei ist doch für
eine qualitätssichernde und reibungslose Zusammenar-
beit eine Begegnung auf Augenhöhe unabdingbar. Die
Akademisierung eröffnet genau diese Möglichkeit. Sie
bietet die Chance, vorhandene Hierarchieebenen zwi-
schen ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbrin-
gern im Gesundheitswesen zu überprüfen und neu festzu-
legen. Diese neuen Kooperationsbeziehungen sollten in
gemeinsamer Verantwortung für die Gesundheit der Pa-
tienten und der Bevölkerung entwickelt werden. Die Aus-
bildung auf einem höheren Niveau und damit eine bes-
sere Qualifikation verbindet also den Anspruch eines
effizienten und wirkungsvollen Gesundheitswesens mit
der qualitativ hochwertigen Behandlung der Patienten.

Hinzu kommt, dass die derzeitige deutsche Ausbil-
dungssituation in den therapeutischen Gesundheitsfach-
berufen im internationalen Kontext eine Ausnahme dar-
stellt. Das heißt, Bachelor- und Masterstudiengänge
bilden international den Standard. Hier hinken wir also
sehr weit hinterher, sodass sich die Frage stellt, wie es
sich in Zukunft mit der Arbeitsmarktfähigkeit dieser Be-
rufe verhalten wird. So besteht die Gefahr, dass Men-
schen, die in diesem Bereich eine akademische Ausbil-
dung machen wollen, ins Ausland abwandern und
danach auch dort bleiben. Dies hätte für uns einen Fach-
kräftemangel zur Folge, wodurch wir im Vergleich zum
europäischen Ausland im Grunde nicht mehr zukunftsfä-
hig wären. Zumindest langfristig können wir dann das
Niveau im Hinblick auf Qualität, Effizienz und Wirksam-
keit im europäischen Vergleich nicht mehr halten.

Die gegenwärtige deutsche Ausbildungssituation
führt also zu einer Benachteiligung der genannten Be-
rufsgruppen. Die gewünschte Mobilität kommt nicht zu-
stande, weil deutsche Berufsangehörige im Ausland wei-
tere Schulungen und andere Maßnahmen durchlaufen
müssen, um dort voll anerkannt zu sein. Vielmehr sollte
es aber zu einer Mobilität in beide Richtungen kommen,
also die Möglichkeit für deutsche Berufsangehörige be-
stehen, durch die Öffnungsklausel direkt in das europäi-
sche Netz integriert zu werden. Andererseits soll es für
Berufsangehörige aus anderen europäischen Ländern at-
traktiver werden, in Deutschland ihren Beruf auszuüben.
Damit würde man auch dem genannten Problem des
Fachkräftemangels wirkungsvoll begegnen.

Die Medizinalfachberufe, wie sie richtig heißen, sind
heute bei der Leistungserbringung auf einem Niveau an-
gelangt, das der theoretischen und akademischen Absi-
cherung bedarf, wenn die Angehörigen dieser Berufe die
Patienten so behandeln können sollen, wie es der gesell-
schaftliche Bedarf verlangt und wie das im Ausland eben
auch bereits übliche Praxis ist.


Dr. Konrad Schily (FDP):
Rede ID: ID1623028900

Die Medizin insgesamt und in ihren Teilbereichen

entwickelt sich in Forschung, Diagnostik und Therapie
immer weiter. Es ist zu sehen, dass dieser Entwicklungs-
prozess in den nächsten Jahren anhalten wird. Was für
die Medizin insgesamt gilt, gilt auch für ihre Teilberei-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Konrad Schily
che, und es gilt auch für die mit der ärztlichen Tätigkeit
verbundenen Berufe, insbesondere für die in diesem
Gesetz genannten Hebammen, Logopäden, Physiothera-
peuten und Ergotherapeuten.

Aus der Zunahme des Wissens und der Fähigkeiten
folgen die Notwendigkeit der qualitativen Anhebung der
Ausbildung einerseits und die Möglichkeit zu einer
eigenständigen Forschung in diesen Bereichen anderer-
seits. Darauf wurde insbesondere von Sachverständigen
in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf vom 26. Mai
2009 hingewiesen. In dieser Anhörung wurde auch deut-
lich gemacht, dass durch die Anhebung in der Qualität
der Ausbildung die Praxisanteile nicht zu kurz kommen
dürfen. Deshalb begrüßen wir, dass seitens der Großen
Koalition der praktische Teil der Ausbildung durch ent-
sprechende Änderungsanträge Berücksichtigung gefun-
den hat.

Die Modellklausel, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen
ist, ermöglicht es den Ländern, eine Weiterentwicklung
der Ausbildungsstrukturen zu erproben. Das schafft die
notwendige Flexibilität, ohne sofort neue Strukturen zu
zementieren. Zu begrüßen ist deshalb auch, dass in dieser
Erprobungsphase eine Evolution der Maßnahmen erfolgen
soll, sodass man sich nach Beendigung ein abschließen-
des Urteil über die Umstrukturierung machen und even-
tuelle Konsequenzen ziehen kann. Die Fraktion der FDP
stimmt deshalb diesem Gesetzentwurf zu.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623029000

Es gibt gute Gründe dafür, dass auch für nichtärztli-

che Heilberufe die Ausbildungen an Hochschulen mo-
dellhaft erprobt werden. Denn auch für Hebammen, Lo-
gopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten gilt:
Ihr Arbeitsalltag wird immer komplexer, die Anforderun-
gen an das benötigte Fachwissen, das technische Know-
how und die Notwendigkeit, wissenschaftliche Studien zu
verstehen, wachsen. Es geht aber auch um den Anspruch,
über eine wissenschaftliche Qualifikation dieser Gesund-
heitsfachberufe die wissenschaftliche Forschung auf de-
ren fachliche Interessen auszurichten.

Wir begrüßen, dass die Koalition unsere Kritik an dem
ursprünglichen Gesetzentwurf sowie die Bedenken der
zuständigen Fachgewerkschaft und der Krankenkassen
zumindest teilweise aufgegriffen und dazu Änderungsan-
träge eingebracht hat. Jetzt ist eine wissenschaftliche Be-
gleitung dieser Modelle vorgesehen. Die Modellprojekte
werden zeitlich befristet, und zur Vermeidung einer Zer-
splitterung des Berufsbilds bleiben die Ausbildungs- und
Prüfungsordnungen unverändert erhalten. Dies alles
wird von der Fraktion Die Linke unterstützt.

Wir verstehen allerdings nicht, warum Sie lediglich
für vier Berufsgruppen – nämlich für Hebammen, Logo-
päden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten – solche
Modellprojekte vorsehen. Können Sie ein vernünftiges
Argument nennen, warum Sie Rettungsassistenten, medi-
zinisch-technische Assistentinnen, pharmazeutisch-tech-
nische Assistenten, Diätassistenten und Orthoptistinnen
von solchen Modellprojekten ausschließen?
Zu Protokoll
Wir halten es für nicht akzeptabel, dass Sie den mögli-
chen Umfang der Teilnehmerzahlen solcher Modellpro-
jekte unbegrenzt lassen. Wenn Sie diese Kompetenz den
Ländern übertragen, gefährden Sie unter Umständen die
schulischen Angebote. Falls nämlich in manchen Bun-
desländern in den Modellprojekten sehr große Teilneh-
merzahlen zugelassen werden, können die Schulen die
Schotten dichtmachen, weil dieses Ausbildungsangebot
nicht mehr nachgefragt würde. Deshalb bedarf es klarer
Vorgaben gegenüber den Bundesländern, auch hinsicht-
lich der Ziele der Projekte. Dazu haben Sie keine Vorga-
ben gemacht.

Es ist auch nicht hinzunehmen, dass Sie für angehende
Hebammen, die im Rahmen der Modellprojekte studie-
ren, die Ausbildungs- und Vergütungsregelungen außer
Kraft setzen. Es liegt doch auf der Hand: Studierende, die
kostenlos in der fachpraktischen Ausbildung in Kranken-
häusern arbeiten, verdrängen die Auszubildenden aus
den Fachschulen. Denn für diese ist eine Ausbildungs-
vergütung zu zahlen. Damit werden die Fachschulen zu-
sätzlich gefährdet.

Ich hoffe, dass wir uns in einem Punkt einig sind: dass
wir gemeinsam für den Erhalt der Fachschulausbildung
in den vorgenannten Gesundheitsberufen eintreten, dies
unabhängig vom Ausgang der Modellprojekte. Sollten
die Ergebnisse der Modellvorhaben positiv sein, kann die
wissenschaftliche Ausbildung nur als zusätzliches Ange-
bot neben der fachschulischen Ausbildung stehen.

Es wäre im Sinne der Patienten und der Heilberufler,
wenn Sie unsere Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren
noch berücksichtigen würden. Da aber davon auszuge-
hen ist, dass hier keine Änderungen mehr vorgenommen
werden, können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustim-
men. Das Anliegen wird von uns unterstützt, aber – wie
so oft in dieser Legislaturperiode – kommen Sie mit hal-
ben Lösungen, die zwar besser sind als gar keine, aber in
keinem Falle ausreichen. Deshalb werden wir uns ent-
halten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
wird sich bei der Abstimmung über den vorliegenden Ge-
setzentwurf des Bundesrates enthalten.

Die Koalition hat sich sehr lange Zeit bis zur Verab-
schiedung dieses Gesetzes mit seinem doch eher über-
schaubaren Umfang genommen. Der Gesetzentwurf des
Bundesrates ist am 2. Juli auf den Tag ein Jahr alt. Im
vergangenen September ging er in die erste Lesung. Erst
im März dieses Jahres wurde der Entwurf dann erstmals
im Gesundheitsausschuss aufgerufen, bis er nun heute in
deutlich veränderter Form wohl mit der Mehrheit der
Stimmen der Koalition verabschiedet wird. Trotz dieser
ungewöhnlich langen Zeit sind einige Probleme bis zum
Schluss nicht befriedigend oder gar nicht gelöst worden.

Ich möchte aber mit einigen positiven Anmerkungen
beginnen. Wir Grüne haben von Beginn der Beratungen
an gesagt, dass wir das Anliegen des Gesetzentwurfes im
Grundsatz unterstützen. Angesichts der demografischen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Scharfenberg
Entwicklung, sich wandelnder Familien- und Gesell-
schaftsstrukturen steigen die Anforderungen an die Ge-
sundheits- und Heilberufe. Es gilt, diese Berufe in
Deutschland auch innerhalb der Europäischen Union
auf Augenhöhe mit den anderen Mitgliedstaaten zu brin-
gen. Die inzwischen seit Jahren geführte Debatte über
die Neuordnung der Gesundheitsberufe, auch was ihr
Verhältnis zueinander betrifft, muss endlich auch in der
Praxis Früchte tragen.

Es ist deshalb richtig, andere Formen von Ausbil-
dungsangeboten, zum Beispiel an Hochschulen, zu er-
proben. Allerdings war der Gesetzentwurf des Bundesra-
tes handwerklich eher schlampig und wenig überzeugend
gestrickt. So blieb im Entwurf völlig unklar, was denn ei-
gentlich das genaue Ziel solcher Modellklauseln sein
soll, welchen Umfang und welche Dauer sie haben sol-
len. Von einer wissenschaftlichen Begleitung und Aus-
wertung der Modelle, die freilich zwingend notwendig
ist, war ebenfalls keine Rede. Zum anderen drohte nach
dem Entwurf ein föderaler Flickenteppich von Modell-
vorhaben, weil die Länder die Modelle im Wesentlichen
nach ihrem Gusto hätten ausgestalten können.

Mit den – wieder einmal in letzter Sekunde einge-
brachten – Änderungsanträgen der Großen Koalition
werden die meisten dieser Probleme auf recht gute Art
und Weise gelöst. Das begrüßen wir. Die nunmehr einge-
fügten Bestimmungen über Zielvorgaben, Dauer, Art und
die wissenschaftliche Begleitung der Modellvorhaben
scheinen uns sinnvoll zu sein. Zwar liegt die Durchfüh-
rung der Modelle weiterhin bei den Ländern, sodass
auch weiterhin föderale Abweichungen denkbar sind. Es
ist aber zu hoffen, dass sie sich dadurch im Rahmen hal-
ten, dass bei den Modellen nur sehr eingeschränkt von
den Inhalten der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungs-
ordnung abgewichen werden darf. Auch die vorgesehe-
nen bundeseinheitlichen Richtlinien für die wissenschaft-
liche Begleitung sind in diesem Kontext richtig.

Das reicht jedoch nicht aus, damit wir diesem Gesetz
zustimmen können. Für bedenklich halten wir etwa die
Änderung des Hebammengesetzes. Diese sieht vor, dass
für Teilnehmerinnen solcher Modellvorhaben die Rege-
lungen zum Ausbildungsverhältnis außer Kraft gesetzt
werden. Das wird, wenn auch nur im Rahmen von zeitlich
befristeten Modellen, eine erhebliche Benachteiligung
der Studierenden gegenüber den Auszubildenden bedeu-
ten, da sie zum Beispiel keine Ausbildungsvergütung er-
halten. Ein Nebeneinander unbezahlter Studierender und
bezahlter Auszubildender, die aber zumindest ähnliche
Tätigkeiten ausüben, halte ich für bedenklich. Hierdurch
könnten Schulstandorte womöglich gefährdet werden,
weil für die Kliniken die unbezahlten Studierenden at-
traktiver sind.

In diesem Zusammenhang weisen wir auch darauf hin,
dass der quantitative Umfang der Modellvorhaben im
Gesetz nicht geregelt wird. Wie viele solcher Modelle
also in den einzelnen Ländern ins Leben gerufen werden,
ist nicht absehbar. Womöglich kommt es zu einer Mo-
dellinflation. Dies könnte auch hinsichtlich der ange-
sprochenen Problematik im Hebammengesetz durchaus
von Bedeutung sein.
Zu Protokoll
Ich möchte auch erwähnen, dass einige weitere Ge-
sundheitsberufe, wie beispielsweise die Diätassistentin-
nen und -assistenten oder Orthoptistinnen und Orthop-
tisten, während des Gesetzgebungsverfahrens und bei
der öffentlichen Anhörung zum Ausdruck gebracht ha-
ben, dass sie Modellklauseln für ihre Berufsgruppen
ebenfalls wünschenswert fänden. Dies hat die Koalition
nicht berücksichtigt. Wir hätten uns dafür zumindest eine
Begründung gewünscht, zumal die Bundesregierung
selbst in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf
auf das Problem hingewiesen hat, dass in dem Gesetz ei-
nige Gesundheitsberufe fehlen.

Alles in allem sind dies für uns Grüne zu viele unge-
klärte Aspekte, die uns eine Zustimmung zu diesem Ge-
setz nicht möglich machen.

R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1623029100


Mit ihrem Gesetzentwurf haben die Länder eine Dis-
kussion aufgegriffen, die auch in Deutschland seit eini-
ger Zeit und intensiv geführt wird: die Diskussion um die
Akademisierung der Ausbildungen in den Gesundheits-
fachberufen. Mit dem Gesetzentwurf mit Modellklauseln
für vier Berufe, die Hebammen, Logopäden, Physiothe-
rapeuten und Ergotherapeuten, ist diese Thematik aufge-
griffen und eine modellhafte Erprobung vorgeschlagen
worden. Aber wie die Bundesregierung in ihrer Stellung-
nahme bereits gesagt hat, fehlten dem Gesetzentwurf we-
sentliche Elemente. Das hat auch die Anhörung gezeigt.
Deshalb beraten wir heute einen überarbeiteten Entwurf,
der, wie ich finde, einen wesentlichen Beitrag zur Weiter-
entwicklung der Berufe leisten kann.

Es ist gelungen, die Modellklauseln zu präzisieren,
indem festgelegt wird, in welchem Umfang von den Min-
destanforderungen an die Ausbildung abgewichen wer-
den darf. Dabei bleibt die praktische Ausbildung er-
halten, in der die für die Berufsausübung wichtigen
praktischen Kompetenzen erworben werden. Im theoreti-
schen und praktischen Unterricht wird hingegen die
Möglichkeit gegeben, Neues zu erproben.

Bei der Genehmigung der Modellvorhaben werden die
Länder genau zu prüfen haben. Sie haben Ziele festzule-
gen, sie haben für eine wissenschaftliche Begleitung und
Auswertung zu sorgen. Wir wollen auch in Zukunft klare
Berufsbilder; deshalb werden für die Evaluation einheit-
liche Richtlinien erarbeitet, die das Bundesministerium
für Gesundheit im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Die Modellklauseln werden befristet. Rechtzeitig vor
ihrem Auslaufen wird das Bundesministerium für Ge-
sundheit dem Deutschen Bundestag über die Ergebnisse
berichten. Er wird dann entscheiden, wie es weitergehen
soll.

In der Hebammenausbildung wird die besondere Be-
deutung der Praxis nochmals verdeutlicht. Die prakti-
sche Ausbildung ist an Krankenhäusern sicherzustellen.
Die Regelungen zur Ausbildungsvergütung und zum Aus-
bildungsvertrag gelten in der Hebammenausbildung
nicht für Modelle an Hochschulen. Der Berufsverband
hat hierzu sein Einverständnis signalisiert.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1623029200
Es ist meine Überzeugung, dass
mit dem vorliegenden Gesetz eine sinnvolle Erprobung
akademischer Ausbildungsstrukturen in den therapeuti-
schen Berufen und dem Hebammenberuf möglich wird.
Ich hoffe, dass die Beteiligten verantwortungsvoll damit
umgehen, denn die Absolventinnen und Absolventen stüt-
zen ihre berufliche Zukunft darauf.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623029300

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-

schlussempfehlung auf Drucksache 16/13652, den Ge-
setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/9898 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der FDP bei Enthaltung der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Enthaltung der Linken und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt
Müller-Sönksen, Harald Leibrecht, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Erweiterung des Rom-Statuts des Internatio-
nalen Strafgerichtshofs – Verweigerung und
Behinderung von humanitärer Hilfe bestrafen
– Drucksachen 16/11186, 16/13497 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Wolfgang Gunkel
Florian Toncar
Michael Leutert
Josef Philip Winkler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dr. Karl Addicks, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Für ein kohärentes und effizientes Konzept
der deutschen humanitären Hilfe
– Drucksachen 16/7523, 16/13304 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Josef Philip Winkler

Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1623029400

Wir beraten heute abschließend über zwei Anträge der

FDP. Der erste fordert eine Erweiterung des Rom-Statuts
des Internationalen Strafgerichtshofes, nach der die Ver-
weigerung und Behinderung von humanitärer Hilfe be-
straft werden soll. Im zweiten entwickelt die FDP kon-
zeptionelle Vorstellungen zur Weiterentwicklung der
deutschen humanitären Hilfe. Ich werde Ihnen im Einzel-
nen erläutern, warum wir beiden Anträgen nicht zustim-
men können.

Vor dem Hintergrund des Verhaltens der birmanischen
Militärregierung nach dem Zyklon „Nargis“ im Mai
2008, der Verweigerung externer Hilfe für die Bevölke-
rung Simbabwes durch Präsident Robert Mugabe sowie
der Haltung Nordkoreas und des Sudans in Bezug auf
eine Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft
fordert die Fraktion der FDP im vorliegenden ersten An-
trag die Bundesregierung dazu auf, einen Änderungsan-
trag innerhalb des Vorschlagsrechts der Mitgliedstaaten
oder der Vertragsrevisionskonferenz einzubringen, um
durch eine Aufnahme der Verweigerung und Behinde-
rung humanitärer Hilfe als Straftatbestand in das Rom-
Statut des Internationalen Strafgerichtshofs – IStGH –
solche Regierungen zukünftig wirksamer zur Rechen-
schaft ziehen bzw. zum Einlenken zwingen zu können.
Grundsätzlich stimme ich hier mit der Beurteilung der
Ausgangslage überein. Es ist in der Tat unbefriedigend,
dass die internationale Staatengemeinschaft noch über
keine ausreichend wirksamen Instrumente verfügt, um
eine Regierung, die humanitäre Hilfe für die eigene Be-
völkerung verweigert oder behindert, zum Einlenken zu
zwingen.

Allerdings ist der FDP-Antrag in dieser Form nicht
der richtige Weg, um ein passendes Instrument zu schaf-
fen. Hauptkritikpunkt ist dabei aus meiner Sicht, dass der
Antrag in seiner Begrifflichkeit zu unscharf ist. Aus ihm
geht nicht deutlich hervor, ob die Verweigerung oder Be-
hinderung humanitärer Hilfe als Gefährdungs- oder Er-
folgsdelikt den Verbrechen gegen die Menschlichkeit im
Römischen Statut hinzugefügt werden soll. Eine Kodifi-
zierung als Gefährdungsdelikt findet insoweit keine Basis
im geltenden Völkerrecht und wäre deshalb eine Neukri-
minalisierung. Bei einer Ausgestaltung als Gefährdungs-
delikt bestünde die Gefahr, das Statut mit Delikten min-
derer Schwere zu überfrachten und so der Aufgabe des
IStGH, „die schwersten Verbrechen, welche die interna-
tionale Gemeinschaft als Ganzes berühren“, zu verfol-
gen, nicht gerecht zu werden. Insoweit käme allenfalls
eine Erweiterung der Strafbarkeit des „Aushungerns der
Zivilbevölkerung“ vom internationalen auf den nichtin-
ternationalen bewaffneten Konflikt – also im Rahmen der
Kriegsverbrechen; Art. 8 – in Betracht.

Gegen eine Ausgestaltung als Erfolgsdelikt spricht
darüber hinaus, dass hierdurch wohl kein weitergehen-
der Rechtsschutz im Vergleich zur geltenden Rechtslage
zu erwarten ist. Voraussetzung wäre in jedem Fall, dass
die allgemeine Voraussetzung der Verbrechen gegen die
Menschlichkeit – nämlich das Vorliegen eines ausge-
dehnten und systematischen Angriffs – nachgewiesen
wird. Gelingt dieser Nachweis, wäre die Todesverursa-
chung durch die Verweigerung oder Behinderung huma-


(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
nitärer Hilfe von Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a – vorsätzliche
Tötung – bzw. gegebenenfalls Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b
– Ausrottung – bereits im IStGH-Statut erfasst.

Darüber hinaus ist ganz grundsätzlich zu berücksich-
tigen, dass eine Änderung des Römischen Statuts ein sehr
komplexes und zeitaufwendiges Vorhaben ist. Die derzeit
108 Vertragsstaaten müssen sich auf eine solche Ände-
rung einigen und diese dann ratifizieren. So sind bei-
spielsweise die laufenden Verhandlungen zum „Verbre-
chen der Aggression“ nicht einfach. Es bedarf noch
großer Anstrengungen, diesen Tatbestand bis zur soge-
nannten Überprüfungskonferenz im kommenden Jahr un-
ter Dach und Fach zu bekommen. Durch die Aufnahme
weiterer kontroverser Themenkomplexe in diese Bera-
tungen könnte dieses Ziel gefährdet werden. Außerdem
darf nicht vergessen werden, dass gerade Staaten wie
Birma dem Römischen Statut noch gar nicht beigetreten
sind.

Deshalb können wir dem ersten FDP-Antrag, über
den wir hier heute beraten, nicht zustimmen.

Der zweite vorliegende Antrag der FDP-Fraktion ent-
wickelt auf Basis des Prüfberichtes des Entwicklungs-
ausschusses der OECD – DAC-Peer-Review, 2005 – eine
Kritik am deutschen System der humanitären Hilfe.

Zu den einzelnen Forderungen der FDP ist Folgendes
zu sagen:

In der Beschlussempfehlung zur Unterrichtung der
Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im
Ausland 2002 bis 2005 haben wir in einer Entschließung
aus Sicht der Großen Koalition die Linien skizziert, nach
denen die Politik der Bundesregierung im Bereich der
humanitären Hilfe in der 16. Wahlperiode – also nach
Rot-Grün – weiterentwickelt werden sollte. Ein Blick in
die Bilanz der humanitären Hilfe im vergangenen Jahr
macht deutlich, dass die Bundesregierung diese Ziele
engagiert aufgegriffen hat:

Die Bundesregierung hat die Finanzmittel für die hu-
manitäre Hilfe aufgestockt. Das Jahr 2008 war ein Jahr
großer humanitärer Herausforderungen. Naturkatastro-
phen wie der Zyklon Nargis in Myanmar, das verhee-
rende Erdbeben in China, Überschwemmungen in Indien
und Brasilien oder die Wirbelstürme in der Karibik ha-
ben die Gefahren ungezügelter Naturgewalten erneut ge-
zeigt. In den politisch komplexen Krisen Afrikas, aber
auch in Afghanistan und Irak verhindern ungelöste Kon-
flikte eine Verbesserung der prekären humanitären Lage
der dort lebenden Menschen. Der Konflikt in Georgien
oder zuletzt die Choleraepidemie in Simbabwe stehen für
neue Krisen, die zusätzliche humanitäre Anstrengungen
erforderten. Erschwerend hinzu kamen die Finanz- und
Nahrungsmittelpreiskrise, die die Kosten der Hilfe er-
höht und die Spendenbereitschaft beeinträchtigt haben.

Trotz dieser nicht einfachen Rahmenbedingungen hat
die internationale Gemeinschaft durch schnelle und ziel-
gerichtete Hilfe reagiert. Mit über 10 Milliarden US-Dol-
lar wurden – mit Ausnahme des Tsunami-Jahres 2005 –
mehr Mittel mobilisiert als jemals zuvor. Für die Bundes-
regierung hat das Auswärtige Amt dabei sowohl bei der
internationalen Koordinierung als auch bei der konkre-
Zu Protokoll
ten Hilfe eine aktive Rolle gespielt. Mit den für humani-
täre Hilfsmaßnahmen zur Verfügung stehenden
118,5 Millionen Euro wurden 329 Einzelprojekte in über
70 Krisengebieten weltweit finanziert. In der Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5490 hatten wir als mit-
tel- bis langfristiges Ziel eine Aufstockung der Mittel von
rund 50 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro definiert.
Dieses Ziel wurde also bereits in dieser Wahlperiode
mehr als erfüllt.

Zusätzlich wurden die Nichtregierungsorganisationen
in erheblichem Umfang eingebunden. Die Umsetzung
der bereits angesprochenen 329 Einzelprojekte erfolgte
zu einem Großteil über deutsche Nichtregierungsorgani-
sationen. Rund 50 Prozent der Mittelzuwendungen im
Jahr 2008 flossen an deutsche NROen. Ohne den Einsatz
dieser Organisationen und ihrer Mitarbeiter in den Kri-
sengebieten hätte die Effektivität, aber auch die Unab-
hängigkeit deutscher humanitärer Hilfe nicht gewähr-
leistet werden können. Ein enger operativer und
konzeptioneller Austausch ist durch die Sitzungen des
zweimonatlich tagenden Koordinierungsausschusses für
humanitäre Hilfe sichergestellt. Weitere wichtige Partner
sind internationale Hilfsorganisationen wie das Interna-
tionale Komitee vom Roten Kreuz – IKRK – und der Hohe
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen – UNHCR –,
die durch ihre Erfahrung und weltweite Präsenz die Kon-
tinuität humanitärer Hilfe sicherstellen. Die Bundesre-
gierung engagiert sich darüber hinaus fortdauernd für
die deutschen NROen bei internationalen Gebern, unter
anderem gegenüber ECHO sowie dem Nothilfefonds der
VN, CERF. Dies ist auch in der öffentlichen Anhörung
des Ausschusses am 28. Februar 2007 deutlich gewor-
den.

Darüber hinaus wurde die Evaluierung der Mittelver-
wendung verbessert. Durch verstärkte eigene Evaluie-
rungsmaßnahmen sowie die Ausrichtung einer inter-
nationalen Konferenz im Auswärtigen Amt im Dezember
2008 zu diesem Thema wurde sichergestellt, dass die
Hilfe bei den bedürftigsten Zielgruppen ankommt. Da-
rüber hinaus ist der Aufbau eines kohärenten, abge-
stimmten Evaluierungssystems mittels einer AA/BMZ-
Arbeitsgruppe in vollem Gange. Im Rahmen eines drei-
stufigen Konzeptes wurden bzw. werden die freiwilligen
Leistungen an internationale Organisationen evaluiert
sowie eine Gesamtbewertung der deutschen humanitären
Hilfe in ausgewählten Ländern und eine Stärkung unab-
hängiger Evaluierungseinheiten in den Ressorts initiiert.
Auf Bitte des Haushaltsausschusses des Bundestages
wurde dieser zweimal ausführlich über dieses Thema un-
terrichtet.

Auch dem Bereich der Katastrophenvorsorge wurde
erhebliche Aufmerksamkeit gewidmet. Die beste Hilfe
blieb auch 2008 diejenige, die vorbeugend dem Entste-
hen neuer humanitärer Notlagen entgegenwirkt. Entspre-
chend hat das Auswärtige Amt mit rund 10 Millionen
Euro 46 Projekte der Katastrophenvorsorge finanziert.
Im Rahmen des Humanitären Minenräumens wurden mit
12,2 Millionen Euro 35 Vorhaben zum Schutz der Zivilbe-
völkerung und zur Wiedernutzbarmachung landwirt-
schaftlicher Flächen unterstützt. Katastrophenvorsorge
ist also bereits ein integraler Bestandteil der humanitä-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
ren Hilfe. Die Leitlinien des Auswärtigen Amtes zur För-
derung von Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge im
Ausland haben in den knapp zwei Jahren ihres Bestehens
ihren Praxistest bestanden.

Die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts – AA –
und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung – BMZ – im Schnittpunktbe-
reich zwischen humanitärer Hilfe und entwicklungs-
orientierter Not- und Übergangshilfe hat sich bewährt.
Bei der Koordinierung dieser Arbeitsteilung müssen ein
fließender Übergang von der Soforthilfe zur entwick-
lungsorientierten Nothilfe sowie eine nahtlose An-
schlussfinanzierung sichergestellt werden. Mit den im AA
angesiedelten bewährten Institutionen – dem Arbeitsstab
Humanitäre Hilfe und dem Koordinierungsausschuss
Humanitäre Hilfe – stehen bereits Instrumente zur Koor-
dination zwischen den staatlichen Stellen und den zivilen
Organisationen zur Verfügung. Eine institutionelle Zu-
sammenfassung aller Abteilungen im AA ist folglich nicht
notwendig.

Das Förderkonzept humanitäre Hilfe des Auswärtigen
Amtes deckt bereits alle wesentlichen der im FDP-An-
trag genannten Kriterien einer Strategie ab. Zugleich er-
möglicht eine regelmäßige Fortschreibung des Förder-
konzeptes das flexible Reagieren auf Veränderungen in
der humanitären Praxis, zum Beispiel die stärkere Be-
rücksichtigung von Aufwendungen für die Sicherheit
humanitärer Helfer. Darüber hinaus gibt es starkes
Engagement in der Praxis für die Umsetzung der huma-
nitären Prinzipien, sowohl im Rahmen der eigenen Zu-
wendungen als auch im internationalen – VN/EU – Kon-
text.

Aus diesen Gründen lehnen wir auch den zweiten hier
beratenen FDP-Antrag ab.


Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1623029500

Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegen-

den Antrag nicht zu.

Zwar ist es an sich überfällig, dass sich auch das Ple-
num des Deutschen Bundestags mit dem seit 2003 tätigen
Ständigen Internationalen Strafgerichtshof und seiner
Arbeit befasst.

Es ist auch wichtig, über eine mögliche Erweiterung
des Römischen Statuts zu diskutieren, gerade weil die für
das Frühjahr 2010 vorgesehene Revisionskonferenz der
Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs in-
haltlich vorbereitet werden muss.

Auf dieser Konferenz soll ja über die Aufnahme der
Aggressionsverbrechen in den Katalog schwerster Straf-
taten, die bei Vorliegen der vom Römischen Statut im Üb-
rigen vorgesehenen Voraussetzungen durch den Interna-
tionalen Strafgerichtshof verfolgt werden können,
beschlossen werden. Bisher sind diese Straftaten im Rö-
mischen Statut zwar vorgesehen; wegen des Fehlens ei-
ner ausformulierten und akzeptierten Konvention ist es
bisher nicht zur Implementierung des im Römischen Sta-
tut enthaltenen Auftrags gekommen. Die Arbeiten der Ex-
pertenkommission zur Ausarbeitung einer Aggressionskon-
Zu Protokoll
vention stehen kurz vor ihrer Vollendung, sodass mit einer
Beschlussfassung der IStGH-Vertragsstaaten auf der Re-
visionskonferenz gerechnet werden kann. In den letzten
Jahren hat es zudem immer wieder Vorschläge gegeben,
den Katalog der internationalen Straftaten zu erweitern.
In diesem Zusammenhang sind nicht nur Straftaten des
internationalen Terrorismus, des Internationalen Men-
schenhandels und des internationalen Drogenhandels er-
wähnt worden; vielmehr gibt es auch Vorschläge, dem
IStGH die Zuständigkeit für die Verfolgung von schwers-
ten internationalen Straftaten gegen UN-Bedienstete zu-
zuordnen.

Zu allen diesen Fragen enthält der heute zur Behand-
lung anstehende Antrag der Fraktion der Kollegen von
der FDP jedoch nichts. Er beschäftigt sich zwar durchaus
mit dem Internationalen Strafgerichtshof und auch mit
dem Römischen Statut. Er tut dies leider nicht im Hinblick
auf die eben aufgezeigten wichtigen Fragen, sondern be-
schränkt sich in nicht übermäßig gründlicher Weise auf
die Forderung, die Begehung von schwersten Mensch-
heitsverbrechen nach dem Katalog des Römischen Statuts
in einigen Fällen auch dann zu verfolgen, wenn sie durch
Unterlassen, also durch Nichthandeln erfolgen. Die
ausgewählten Beispiele sind natürlich dazu geeignet,
Empörung hervorzurufen, da wohl jeder Mensch die Be-
hinderung oder Verweigerung von vorhandener interna-
tionaler humanitärer Hilfe als Unrecht ansieht. Dies je-
doch auf dem Weg der Veränderung des Römischen
Statuts strafbar zu machen, würde erheblich gründlichere
Überlegungen voraussetzen.

Beides – also die Nichtbehandlung der unmittelbar
anstehenden Fragen und die nicht ausreichende Behand-
lung des Problems von Unterlassen als Gleichsetzung
mit schwersten internationalen Straftaten des Römischen
Statuts – machten den vorliegenden Antrag als solchen
nicht zustimmungsfähig.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1623029600

Der zur Abstimmung vorliegende Antrag der FDP-

Bundestagsfraktion beinhaltet vor allem eines: die wie-
derkehrende Kritik an der deutschen entwicklungspoliti-
schen Zusammenarbeit sowie die Infragestellung der
Effizienz der deutschen humanitären Hilfe. Die Bundes-
regierung wird aufgefordert, eine umfassende und kohä-
rente Strategie für die humanitäre Hilfe zu entwickeln.
Weiter bemängeln die Antragsteller die Aufteilung der
Zuständigkeiten für die humanitäre Hilfe auf zwei Bun-
desministerien, das Bundesministerium für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, sowie das
Auswärtige Amt, AA, was die Effektivität und Effizienz
der Arbeit torpediere. Logischer Schluss dieser Feststel-
lung sei, das BMZ als eigenständiges Bundesministerium
aufzulösen und in den Zuständigkeitsbereich des AA zu
integrieren. Dies ist eine Forderung, mit welcher die
FDP die herausragenden Leistungen des BMZ im Be-
reich der humanitären Hilfe sowie der Entwicklungszu-
sammenarbeit ignoriert. Die Bedeutung einer herausge-
hobenen Stellung in Form eines Bundesministeriums und
eines sichtbaren Akteurs der humanitären Hilfe wird von
der FDP damit deutlich unterschätzt.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christoph Strässer
Auch das Gesamtvolumen der für humanitäre Hilfe
zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel sei den qualita-
tiv und quantitativ ansteigenden Notsituationen nicht an-
gemessen und die Beteiligung der Nichtregierungsorga-
nisationen nicht ausreichend.

Ich kann mich der kritischen Einschätzung der Effi-
zienz der deutschen humanitären Hilfe nicht anschließen
und möchte mich entschieden gegen eine Abschaffung
des BMZ als eigenständigen Akteur – denn nichts ande-
res bedeutet die Integration der humanitären Hilfe in den
Geschäftsbereich des AA – aussprechen. Gerne möchte
ich auf diese beiden inhaltlichen Schwerpunkte des An-
trages der FDP eingehen und darlegen, dass diese jegli-
cher Basis entbehren.

Die Antragsteller unterstellen den für humanitäre
Hilfe beziehungsweise entwicklungsorientierte Not- und
Übergangshilfe zuständigen Bundesministerien wegen
ihrer Aufteilung mangelnde Kohärenz und Effizienz. Es
findet eine Trennung der Verantwortungsbereiche durch
die Zweckbestimmungen der jeweiligen Haushaltstitel im
Haushaltsplan statt. Das ist zutreffend. Gleichwohl wer-
den die inhaltliche Ausgestaltung und die situationsan-
gemessene Reaktion auf humanitäre Notlagen durch
diese finanzpolitische Trennung keineswegs negativ tan-
giert. Vielmehr gibt es auf Arbeitsebene eine enge Zu-
sammenarbeit und Abstimmung zwischen den Ressorts,
unter anderem durch gegenseitige Beteiligung, Einbin-
dung der Auslandsvertretungen sowie durch Arbeitsbe-
sprechungen und Beteiligung des BMZ an den Sitzungen
des Koordinierungsausschusses Humanitäre Hilfe beim
AA. Somit ist eine größtmögliche Kohärenz der humani-
tären Not- und Übergangshilfe gewährleistet, und nega-
tive Auswirkungen auf die Empfänger der benötigten
Hilfe vor Ort sind nicht zu erwarten.

Ich darf auch darauf hinweisen, dass die von der FDP
geforderte bessere Verzahnung von Not- und Übergangs-
hilfe und anschließender Entwicklungszusammenarbeit
bei einer Integration der humanitären Hilfe oder gar des
gesamten Arbeitsbereiches des BMZ in das AA kaum ziel-
führend sein dürfte. Das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit bedarf ei-
genständiger Strukturen und Handlungsbereiche, um die
der Not- und Übergangshilfe folgenden Projekte struktu-
riert und mit größtmöglichem Effekt für die Menschen
vor Ort realisieren zu können. Schließlich würde die Ab-
schaffung des BMZ als eigenständiges Bundesministe-
rium die bisherigen Bemühungen Deutschlands, Ent-
wicklungszusammenarbeit als eigenständiges Politikfeld
zu etablieren, konterkarieren. Wenn man auf eine umfas-
sende und kohärente Strategie für die Entwicklungszu-
sammenarbeit aufbauen möchte, darf man nicht damit
beginnen, die sichtbaren und notwendigen Akteure dieser
Politik in den Hintergrund zu rücken.

Gerne möchte ich auch auf die geäußerte Kritik an
den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln einge-
hen und darlegen, dass die von der Bundesregierung er-
griffenen Maßnahmen ihren Beitrag zu einer effektiven
und effizienten Politik leisten.

Die geforderte Erhöhung der Mittel für die humani-
täre Hilfe ist obsolet, da diese bereits über die vergange-
Zu Protokoll
nen zwei Jahre in den Haushaltsplänen realisiert wurde.
Die von der FDP befürchtete Kurzfristigkeit der Mittel-
erhöhung und fehlende Verstetigung finanzieller Unter-
stützung kann somit nicht festgestellt werden. Im Ge-
genteil: In den Jahren 2008 und 2009 konnte der Mit-
telansatz erfreulicherweise gesteigert werden. Ich bin
überzeugt, dass wir trotz der momentanen Wirtschafts-
und Finanzkrise auch für das Haushaltsjahr 2010 diesen
klaren Kurs beibehalten werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich kurz die eben-
falls im Antrag aufgegriffene Kritik an den bestehenden
Konzepten zur Konfliktprävention und Katastrophenvor-
beugung beleuchten. Wir haben zur nachhaltigen Entlas-
tung der humanitären Hilfe bereits wichtige Schritte im
Bereich der Krisenprävention ergriffen. Ein elementarer
Bestandteil war die deutliche Erhöhung der finanziellen
Mittel für vorbeugende Maßnahmen und Projekte. In
2009 haben wir diesen Etat um fast 30 Millionen Euro er-
höhen können.

Die im Antrag aufgelisteten finanziellen Defizite bei
der humanitären Hilfe insgesamt und der Präventions-
maßnahmen im Besonderen erscheinen auf Grundlage
dieser Zahlen nicht verifizierbar.

Der vorliegende Antrag ist aufgrund seiner zeitlichen
Distanz zwischen seiner Einbringung Ende des Jahres
2007 und den inzwischen erfolgten Maßnahmen in vielen
Kritikpunkten obsolet. Die geforderte kontinuierliche
Steigerung der Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe und
Maßnahmen der Not- und Übergangshilfe wurde durch
die Bundesregierung bereits realisiert.

Aber auch inhaltlich ist dieser Antrag zurückzuwei-
sen. Die Forderung nach einer kohärenten, effizienten
und nachhaltigen Politik im Bereich der humanitären
Hilfe und gerade der damit im Zusammenhang stehenden
Entwicklungszusammenarbeit kann nur durch ein eigen-
ständiges Bundesministerium erfüllt werden. Im Übrigen
entspricht die Integration einzelner bisheriger Arbeits-
felder des BMZ in den Arbeitsbereich des AA wohl kaum
der geforderten Kohärenz und dürfte zugleich auch der
geforderten Effizienzsteigerung nicht zuträglich sein.

Mit den bestehenden Konzepten, Programmen und fi-
nanziellen Mitteln befinden wir uns auf einem richtigen
Weg zu effizienter und effektiver humanitärer Hilfe für
Menschen in Not. Aktuell besteht aus Sicht der SPD-Bun-
destagsfraktion daher keine Notwendigkeit, Veränderun-
gen an den derzeitigen Maßnahmen vorzunehmen. Daher
ist der Antrag der FDP-Bundestagsfraktion abzulehnen.


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1623029700

Gegenstand dieser Debatte sind zwei Anträge, die die

FDP-Fraktion vorgelegt hat. Einerseits geht es um die
Erweiterung des Rom-Statuts des Internationalen Straf-
gerichtshofs. Andererseits geht es um die Steigerung der
Effizienz der deutschen humanitären Hilfe. Obwohl beide
aus unterschiedlichen Bereichen stammen, weisen sie
jedoch eine deutliche Verbindung auf.

Der Antrag zur Erweiterung des Rom-Statuts des In-
ternationalen Strafgerichtshofs ist vor dem Hintergrund



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
entstanden, dass in einigen Staaten autoritäre Regierun-
gen nach Naturkatastrophen oder während bewaffneter
Konflikte internationalen Hilfsorganisationen vorsätz-
lich den Zugang zur notleidenden Zivilbevölkerung ver-
wehrt haben.

Ein besonders schockierendes Beispiel war die Weige-
rung der Militärführung Birmas, nach der Naturkatastro-
phe durch den Wirbelsturm Nargis im Mai 2008 dringend
benötigte humanitäre Hilfsleistungen in die verwüstete
Zone des Irrawaddy-Deltas zuzulassen. Die Junta, die
hinter der Präsenz ausländischer Katastrophenhelfer
Agenten westlicher Regierungen sehen wollte, verbot den
Experten, ins Land einzureisen, oder beschränkte deren
Bewegungsfreiheit auf die Stadt Rangun. Die Machthaber
beschlagnahmten sogar die wenigen Hilfslieferungen,
die sie überhaupt ins Land ließen, obwohl es zahlreiche
Opfer der Katastrophe gab. Hunderte Logistiker und
Katastrophenexperten saßen in den Nachbarländern fest,
weil ihnen keine Visa erteilt wurden. US-Militärflugzeuge
mit Hilfsgütern wurden abgewiesen. Nach offiziellen bir-
manischen Regierungsangaben vom 24. Juni 2008 starben
durch den Zyklon 84 537 Menschen; 53 836 gelten als
vermisst. Hilfsorganisationen gehen teils von einer noch
höheren Opferzahl aus.

Die Empörung über das Verhalten der birmanischen
Militärjunta war weltweit groß; denn es kann als gesi-
chert angesehen werden, dass ein Teil der Opfer durch
schnelle und effektive humanitäre Hilfsmaßnahmen hätte
gerettet werden können. Das Verhalten der birmanischen
Militärführung, die Tausende Bürger des eigenen Landes
willentlich dem Tod preisgab, muss Konsequenzen haben.

Derzeit ist es im Rahmen des Rom-Statuts des Internatio-
nalen Strafgerichtshofs nicht möglich, die politisch Ver-
antwortlichen der birmanischen Junta für diese schwere
Menschenrechtsverletzung strafrechtlich zur Verantwor-
tung zu ziehen, da das Rom-Statut nur einige sehr eng
definierte Straftatbestände ahndet. Die vorsätzliche Vor-
enthaltung humanitärer Hilfe zählt bisher nicht dazu.

Um in künftigen Fällen die politisch Verantwortlichen
zur Rechenschaft ziehen zu können, ist es notwendig, das
Rom-Statut dahin gehend zu erweitern, dass die Verwei-
gerung und Behinderung humanitärer Hilfe unter Strafe
gestellt wird. Daher fordert die FDP, dass Deutschland bei
der nächsten Vertragsrevisionskonferenz einen Antrag für
eine entsprechende Änderung des Rom-Statuts vorlegt.
Eine solche Konferenz ist erstmals sieben Jahre nach In-
krafttreten des Rom-Statuts möglich. Dies ist seit dem
heutigen Tag, dem 2. Juli 2009, erstmals möglich. Daher
sollte die Bundesregierung keine Zeit verstreichen lassen
und eine dahin gehende Initiative inhaltlich und politisch
vorbereiten.

Es freut mich, dass der vorliegende Antrag der FDP
auf breites Interesse bei den anderen Fraktionen gestoßen
ist und es Gespräche gab, um zu einer interfraktionellen
Initiative zu gelangen. Umso unverständlicher ist es,
dass es bei einem Thema, bei dem es keine grundsätzli-
chen Meinungsverschiedenheiten gab, nicht möglich
war, eine gemeinsame Lösung zu finden. Offensichtlich
lag das Problem in den Reihen der Koalitionsfraktionen.
Die SPD-Fraktion wollte Ergänzungen im Antragstext
Zu Protokoll
vornehmen, die die CDU/CSU-Fraktion postwendend
ablehnte. Diese fruchtlosen Verhandlungen kann man
nur als weiteres Zeugnis der Handlungsunfähigkeit der
aktuellen Koalition betrachten.

Abseits der unerfreulichen koalitionsinternen Ränke-
spiele hat der Antrag die Bedeutung von humanitärer Hilfe
in Konflikt- und Katastrophensituationen unterstrichen.
Daher ist es umso wichtiger, dass Deutschland die Mittel,
die es für humanitäre Hilfsmaßnahmen zur Verfügung
stellt, effizient einsetzt. Damit möchte ich eine Brücke
schlagen zum zweiten Antrag, der heute zur Debatte steht.
Es geht dabei um das System der deutschen humanitären
Hilfe. Humanitäre Hilfe muss schnell und wirksam erfol-
gen. Sie ist vergleichbar mit einem Rettungsring, der ei-
nem Ertrinkenden zugeworfen wird. Da darf nichts
schiefgehen, Reibungsverluste müssen auf ein absolutes
Minimum reduziert werden. Seit Jahren leidet die deut-
sche humanitäre Hilfe jedoch an Effizienzproblemen.

Aus liberaler Perspektive sind sieben Schritte notwen-
dig, um zu einer Verbesserung des Systems humanitärer
Hilfe zu gelangen. Zunächst muss die Bundesregierung
eine kohärente Strategie in der humanitären Hilfe erarbei-
ten und verfolgen. Dies hat bereits die OECD im Jahr
2005 eingefordert. Ohne eine Strategie, die den Beteiligten
im Staat und in den Organisationen der Bürgergesell-
schaft Orientierung bietet, ist es nicht verwunderlich,
dass Ineffizienzen in der deutschen humanitären Hilfe
entstehen.

Hinsichtlich der staatlichen Akteure ist ein grundsätz-
liches Manko, dass die humanitäre Hilfe auf zwei Minis-
terien, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
BMZ, aufgeteilt ist. Die daraus resultierenden Doppel-
strukturen führen zu unnötigen Kosten und einer unklaren
Kompetenzverteilung. Die OECD hat auch dies in unge-
wöhnlich klaren Worten kritisiert. Ich zitiere aus dem
DAC-Peer-Review von 2005:

Diese zweigleisige Managementstruktur hat zur
Folge, dass die Summe der Einzelelemente kleiner ist
als der potentielle Gesamteffekt. Die Konsequenz ist,
dass die verschiedenen mit der humanitären Hilfe
befassten Stellen sowohl untereinander als auch
von den anderen Abteilungen der beiden Ministerien
isoliert sind. Das schränkt deren Fähigkeit ein, der
komplexen Natur der heutigen Notsituationen und
Katastrophen gerecht zu werden, und beeinträchtigt
somit die Effektivität der Hilfe. Auf diese Weise wird
nicht nur die Synchronisierung von Aktionen im
Rahmen der humanitären Hilfe, sondern auch deren
Verknüpfung mit der Entwicklungszusammenarbeit
erschwert.

Die Zersplitterung der humanitären Hilfe auf zwei Mi-
nisterien ist der Kern des Problems. Daher tritt die FDP
für eine Zusammenfassung der Organisationsstruktur der
deutschen humanitären Hilfe im Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes ein. Auch vor diesem Hintergrund
bekräftigt die FDP ihre grundsätzliche Überzeugung,
dass eine Integration des BMZ in das Auswärtige Amt ein
notwendiger Schritt ist. Er würde Synergieeffekte nicht nur
im Bereich der humanitären Hilfe ermöglichen, sondern



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
auch die Verzahnung von Entwicklungszusammenarbeit
mit den Zielen der deutschen Außenpolitik verbessern.

Hinsichtlich der finanziellen Ausstattung freue ich mich,
dass der Haushaltstitel des Auswärtigen Amts für humani-
täre Hilfemaßnahmen im Ausland von circa 50 Millionen
Euro auf nunmehr circa 100 Millionen verdoppelt wurde.
Dies war ein überfälliger Schritt.

Jedoch ist insgesamt darauf zu achten, dass bei der
wachsenden Bedeutung staatlicher Hilfsorganisationen
sowie der Organisationen der Vereinten Nationen die
privaten Hilfsorganisationen der Bürgergesellschaft nicht
ins Hintertreffen geraten. Im Vergleich zu großen inter-
nationalen Organisationen besitzen Nichtregierungsor-
ganisationen zumeist den Vorteil, kleiner, flexibler und
unbürokratischer zu sein. Ihnen muss eine Erhöhung der
Mittel in erster Linie zugutekommen. Dabei ist darauf zu
achten, dass die Nichtregierungsorganisationen einen Ei-
genanteil bei der Förderung durch die Bundesregierung
leisten. Während das Auswärtige Amt dies einfordert, ist
dies beim BMZ noch nicht der Fall. Das muss sich ändern.

Auch bei der humanitären Hilfe gilt der Grundsatz,
dass Prävention besser als Schadensbehebung ist. Daher
muss auch in der deutschen humanitären Hilfe ein größe-
rer Schwerpunkt auf vorbeugende Aspekte gelegt werden.
Dies gilt insbesondere für die Arbeit in Regionen, in denen
regelmäßig Naturkatastrophen vorkommen, wie beispiels-
weise der Karibik. Dabei ist darauf zu achten, dass die
Hilfe nach dem Grundsatz Hilfe zur Selbsthilfe angelegt
ist.

Letztlich muss sich die deutsche humanitäre Hilfe einer
unabhängigen Gesamtevaluierung stellen, für die trans-
parente und unbürokratische Regeln gelten müssen. Ziel
muss es sein, die sachgerechte Verwendung der Finanz-
mittel zu überprüfen, Missbrauch abzustellen und Rei-
bungsverluste zu beheben.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Antrag einen syste-
matischen Gesamtansatz zur Verbesserung des Systems der
deutschen humanitären Hilfe bietet. Auch wenn die Steige-
rung der Mittel, die dem Auswärtigen Amt zur Verfügung
stehen, eine erfreuliche Neuerung darstellt, bestehen wei-
terhin unnötige Effizienzprobleme. Diese müssen zügig
behoben werden. Der Antrag ist daher in keiner Weise
überholt, wie dies bei der Beratung im federführenden
Ausschuss vonseiten der Koalitionsfraktionen angedeutet
wurde. Die notleidenden Menschen in Krisen- und Kata-
strophenzonen, die auf deutsche humanitäre Hilfe ange-
wiesen sind, werden es Deutschland danken, wenn unser
Land sein Hilfsangebot noch weiter verbessert.


Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623029800

Humanitäre Hilfe ist – ganz grob – Handeln für in Not

geratene Menschen. Daher spielen sonstige politische
Kriterien wie Interessen, Opportunitäten usw. keine
Rolle. Auch Kriterien wie Effizienz müssen dahin gehend
geprüft werden, ob sich dahinter nicht doch weiterge-
hende politische Vorentscheidungen verbergen. Dieser
Verdacht kann sich einem aufdrängen.

Sicher muss bei Entscheidungen unter Ressourcen-
knappheit immer auch darauf geachtet werden, dass ein
Zu Protokoll
Mitteleinsatz nicht nur nicht wirkungslos bleibt, sondern
optimale Ergebnisse erzielt, erst recht bei humanitärer
Hilfe. Aber das wird doch nicht der alleinige Zweck des
Antrags sein, uns das noch einmal in Erinnerung zu ru-
fen.

In der Tat muss bei genauerem Hinsehen das eine oder
andere Fragezeichen gemacht werden. Es gibt eine Reihe
von Ereignissen, die humanitäre Hilfe erfordern, wo
dann zum Beispiel das Rote Kreuz aktiv ist. Beim besten
Willen ist das aber keine unbürokratische Organisation.
Aber noch ernstere Fälle wie Naturkatastrophen haben
zuweilen einen Einsatz von Armeekapazitäten erforder-
lich gemacht, weil die Katastrophengebiete anders nicht
mehr erreicht werden konnten. Als bürgernahe Organisa-
tion kann man Armeen aber nicht bezeichnen. Entweder
Sie meinen das wirklich so, was Sie als Kriterien für Ef-
fizienz benennen – dann haben Sie das Problem, Hilfe in
einem Erdbebengebiet versagen zu müssen – oder Sie
schreiben etwas schnellschüssig.

Nur um einem vielleicht hier aufkeimenden Verdacht
entgegenzutreten: Ich habe nichts gegen Nichtregie-
rungsorganisationen. Aber hier sehe ich schon einen
Konflikt zu Ihrer Forderung nach dem Eigenmittelanteil.
Die Großorganisationen, die Sie nicht so mögen, haben
mehr Eigenmittel.

Schließlich das Kriterium der Vorbeugung von Krisen.
Es ist klar, dass Sie hier bewaffnete Konflikte meinen, die
humanitäre Notlagen erzeugen können. Würden Sie, da
ein Ende des Nahostkonflikts nicht wirklich abzusehen
ist, humanitäre Hilfe in Gaza verweigern? Was machen
Sie mit Konflikten – sagen wir der sich nach Pakistan
ausweitende Afghanistan-Krieg, in den Deutschland so-
gar involviert ist? Dort sind nach Angaben des UNHCR
immerhin 2,4 Millionen Menschen auf der Flucht.

Das kontrastiert mit der haushaltspolitischen Forde-
rung, den Etat des einschlägigen Haushaltstitels anzuhe-
ben. Dagegen kann natürlich niemand etwas einwenden.
Aber was nützt das eigentlich, wenn Sie so viele Hürden
für die Abrufung von Mitteln einbauen?

Die eigentliche Großleistung versteckt sich ja in der
Umschichtungsforderung. Von der Entwicklungshilfe
wollen Sie Mittel zur humanitären Hilfe umschichten.
Nun wissen Sie aber, dass Deutschland noch immer nicht
die Selbstverpflichtung auf 0,7 Prozent BIP erfüllt hat.
Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend
ist, dass Sie nicht sehen wollen, dass nur eine langfristige
und auf eigenständige ökonomische Entwicklung ange-
legte wirtschaftliche Zusammenarbeit Krisen vermeiden
kann, die in humanitäre Katastrophen münden. Sie ver-
bauen mit Ihrer Forderung genau noch das, was Sie als
wichtig für die Gewährung humanitärer Hilfe angesehen
haben.

Sagen wir es ganz offen: Da ich als Mitglied des
Haushaltsausschusses eben auch für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit mit zuständig bin, ist es mir keineswegs
entgangen, dass Ihr politisches Projekt im Abschmelzen
der Mittel für wirtschaftliche Zusammenarbeit besteht.
Das ist Ihr Ziel. Hier taucht es versteckt unter Betrach-
tungen zur Effizienz humanitärer Hilfe auf. Aber wenn



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Michael Leutert
das Effizienz ist, dann ist meine Fraktion eben gegen Ef-
fizienz, zumindest gegen Ihr Verständnis dieses Begriffs.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Uns liegen heute zwei Anträge der FDP-Fraktion vor,
deren Themen auch meine Fraktion für außerordentlich
wichtig hält.

In ihrem Antrag „Erweiterung des Rom-Statuts des In-
ternationalen Strafgerichtshofs – Verweigerung und Be-
hinderung von humanitärer Hilfe bestrafen“ legen Sie,
meine Damen und Herren von der FDP, dar, dass die
Weigerung einer Regierung, bei Hungersnöten externe
humanitäre Hilfe zur Rettung der Bevölkerung zuzulas-
sen, zurzeit nach dem Völkerrecht nicht strafbar ist. Sie
greifen damit ein Problem auf, dessen schreckliche Fol-
gen wir im Mai letzten Jahres in Birma/Myanmar sehen
konnten, als der Zyklon „Nargis“ 130 000 Menschen in
den Tod riss und weite Teile des Landes verwüstete. Die
Militärregierung ließ die dringend benötigte und von der
internationalen Gemeinschaft unmittelbar angebotene
humanitäre Hilfe erst mit großer Verzögerung und erheb-
lichen Behinderungen zu. Auch im Sudan, besonders in
der Krisenregion Darfur, und in Simbabwe haben die Re-
gime Omar al-Bashir und Robert Mugabe immer wieder
die Arbeit der internationalen Hilfsorganisationen ge-
stoppt. Sie nehmen dadurch bewusst eine weitere Ver-
schlechterung der humanitären Lage der Zivilbevölke-
rung in Kauf.

Wir können dieses Problem nicht allein durch die Auf-
nahme eines neuen Straftatbestandes in das IStGH-Statut
lösen. Dies ist eine generelle Frage der „Responsibility
to protect“, die von der Politik ein vorbeugendes Han-
deln zum Schutz der Menschen verlangt. Schwierigkeiten
bereitet letztlich aber auch die Tatsache, dass die ge-
nannten Staaten das IStGH-Statut gar nicht ratifiziert ha-
ben. Man wäre also darauf angewiesen, dass der Sicher-
heitsrat der VN diese Fälle – wie schon Darfur – an den
IStGH überweist. Grundsätzlich sollten wir uns aber da-
vor hüten, den engen Aufgabenbereich des IStGH unbe-
dacht zu erweitern und so zu verwässern. Das könnte den
bestehenden internationalen Konsens zum IStGH letzt-
lich sogar gefährden.

Dennoch ist es richtig, dass hier eine Strafbarkeitslü-
cke geschlossen werden sollte. Wir Grüne haben uns im-
mer mit Nachdruck für die Bekämpfung der Straflosig-
keit, für den Internationalen Strafgerichtshof und das
Völkerstrafgesetzbuch eingesetzt. Deshalb stimmen wir
diesem Antrag zu.

Mit dem zweiten Antrag, der uns heute vorliegt, wird
ein Strategiewechsel zur Verbesserung der deutschen hu-
manitären Hilfe gefordert. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der FDP, grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Wir
brauchen eine umfassende Strategie für die humanitäre
Hilfe, um die Zersplitterung der humanitären Hilfe in
Deutschland auf verschiedene Ministerien zu beenden,
die ein aufeinander abgestimmtes Vorgehen unmöglich
macht. Das kritisiert der DAC-Peer-Review zu Recht. So-
wohl innerhalb der humanitären Hilfe als auch beim
Übergang von humanitärer Hilfe zur Übergangshilfe und
schließlich zur Entwicklungszusammenarbeit ist eine
bessere Koordination bei der Vergabe von Mitteln an
Hilfsorganisationen nötig. Dazu müssen die Kommuni-
kationskanäle zwischen dem Koordinationsausschuss im
Auswärtigen Amt und dem Referat für Not- und Über-
gangshilfe im BMZ dringend verbessert werden.

Allerdings teile ich den Lösungsvorschlag der FDP so
nicht. Zum einen halten wir es generell für weitaus sinn-
voller, bei schlechter Koordination nicht einfach Zustän-
digkeiten zu bündeln, sondern die Koordination zu ver-
bessern. Darüber hinaus sollte sich die Politik stärker
darauf beschränken, die notwendigen Rahmenbedingun-
gen zu schaffen, damit humanitäre Hilfsorganisationen
möglichst unparteilich, unabhängig und neutral den
Menschen helfen können. Das Argument der FDP, dass
Deutschland nur 2,7 Prozent der ODA für humanitäre
Hilfe aufwendet und dass dies im OECD-Durchschnitt
– 7 Prozent – zu wenig ist, ist zwar richtig. Aber wir wol-
len, dass die Mittel für die humanitäre Hilfe insgesamt
wachsen und nicht einfach nur mehr Tortenstücke vom
ODA-Kuchen für die humanitäre Hilfe abgeschnitten
werden.

Aus diesen und anderen Gründen können wir diesem
Antrag so nicht zustimmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623029900

Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt

27 a: Der Ausschuss für Menschenrechte und humani-
täre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13497, den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/11186 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Wenn Sie einverstanden sind, verzichte ich auf die ge-
naue Kennzeichnung, wer wie abgestimmt hat, und lege
nur die Mehrheitsverhältnisse dar. Das verkürzt den Pro-
zess noch einmal.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Da es keinen Widerspruch gibt, verfahre ich so. Das
ist schon vorher so gemacht worden.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 b. Der
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/13304, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/7523 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Enthaltungen!)


– Das ist egal. Ich lege nur noch die Mehrheitsverhält-
nisse dar.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

gierung






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen
Kulturpolitik 2007/2008

– Drucksachen 16/10962, 16/13621 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler
Monika Griefahn
Harald Leibrecht
Monika Knoche
Dr. Uschi Eid


Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1623030000

Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist fester

Bestandteil und Kernelement unserer Außenpolitik. Sie
wird gerne als dritte Säule der Außenpolitik bezeichnet,
aber im Grunde genommen ist sie durch ihren ressort-
übergreifenden Ansatz eher eine Art umfassender Violin-
schlüssel für unsere Außenpolitik geworden. Über den
unmittelbaren Wirkungskreis hinaus zielt die auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik auf die Vertiefung und Stär-
kung unserer Beziehungen zu den Gesellschaften und
Menschen in anderen Staaten. Durch sie können wir die
Köpfe und vor allem die Herzen der Menschen erreichen
und nachhaltige und dabei glaubwürdige Außenpolitik
betreiben. Dies liegt im deutschen außenpolitischen Inte-
resse, da die internationale Zusammenarbeit in Kultur
und Bildung dauerhafte Beziehungen schafft, auf die wir
uns auch langfristig verlassen können

Die Große Koalition hat sich schon in ihrem Koalitions-
vertrag zum Ziel gesetzt, mehr Elan und Bewegung in die
auswärtige Kulturpolitik zu bringen und hat es nachweis-
lich nicht bei einer bloßen, gutgemeinten Absichtserklä-
rung belassen. Die auswärtige Kulturpolitik ist unter der
Großen Koalition wieder Chefsache geworden. Sowohl der
Außenminister Frank-Walter Steinmeier als auch die
Bundeskanzlerin Angela Merkel haben von Anfang an
bei Auslandsreisen stets darauf geachtet, deutsche Kultur-
institutionen im Ausland, Goethe-Institute, Auslandsschu-
len aber auch deutsche Auslandsgemeinden der Kirchen
zu besuchen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel betonte
in ihrer Regierungserklärung am 30. November 2005:
„Unsere kulturelle Vielfalt ist einzigartig … Unsere Kul-
tur ist die Grundlage unseres Zusammenhaltes. Deshalb
ist Kulturförderung für diese Regierung keine Subven-
tion. Sie ist eine Investition, und zwar eine Investition in
ein lebenswertes Deutschland.“

Das hohe persönliche Interesse dieser beiden Koali-
tionsrepräsentanten signalisierte von Anfang an den
nachgeordneten Verwaltungen die neue Prioritätenset-
zung für deren Umgang mit dem Thema. Die Wiederein-
setzung des Unterausschusses für Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik durch die Große Koalition, den es
nach dem Krieg in fast allen Legislaturperioden mit nur
kurzen Unterbrechungen gab, war eine konsequente Ver-
schiebung der parlamentarischen Befassung mit der
auswärtigen Kulturpolitik zum Auswärtigen Ausschuss
als dem Ausschuss, der auch die Gelder für diesen Be-
reich bereitstellt. Diese Maßnahme hat sich in dieser Le-
gislaturperiode bei den Verhandlungen über den Haus-
halt der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik als
richtig erwiesen, da es in einer Reihe von Fällen gelun-
gen ist, trotz angespannter Haushaltslage in fast allen
Bereichen Kürzungen zu vermeiden und in vielen Berei-
chen sogar mehr Geld für die Umsetzung neuer Aufga-
ben zu erhalten.

Zwischen 1998 und 2005 waren die Haushaltsmittel
für die auswärtige Kulturpolitik massiv gesunken. Im
Jahr 2005 war der absolute Tiefpunkt erreicht. Mit einer
Steigerung um 3,8 Prozent gegenüber 2006 hatte die Ko-
alition bereits im ersten Haushalt einen Aufwärtstrend
eingeleitet und diesen Weg konsequent fortgesetzt. Für
den Haushalt des Jahres 2008 gelang gar eine Aufsto-
ckung der Ansätze für die auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik um 15,6 Millionen Euro. Während Außen-
minister Josef Fischer in seiner Amtszeit zwischen 1998
und 2002 noch die Schließung von 17 Goethe-Instituten
zu verantworten hatte, so gibt es nun unter der Großen
Koalition elf Neueröffnungen. Das sind gute Ansätze, die
sich durchaus sehen lassen können und zeigen, dass wir
das Gebot einer grundsätzlichen Trendwende sehr ernst
genommen haben.

Nehmen Sie beispielsweise den gemeinsamen Antrag
von Union und SPD zur Stärkung der Goethe-Institute,
für die sich, ausgehend von einer Krise, eine große
Chance ergab. Nach ausführlichen Beratungen und einer
großen Anhörung in unserem Unterausschuss, in der Kri-
tik und Anregungen in Sachen Goethe-Institut gebündelt
und offen ausgesprochen wurden, hat der Deutsche Bun-
destag eine institutionelle und personelle Neuorganisa-
tion des Goethe-Institutes auf den Weg gebracht. Der fi-
nanzielle und strukturelle Abbau wurde nicht nur
gestoppt, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Die Mittel
der Goethe-Institute wurden aufgestockt, auch um neue
Aufgaben in neuen Schwerpunkten der Welt wahrnehmen
zu können. Gleichzeitig hatte der Bundestag ausdrück-
lich klargestellt, dass sich eine veränderte regionale
Schwerpunktsetzung nicht zum Nachteil für Europa und
damit gegen unser kulturelles und wirtschaftliches Um-
feld auswirken darf. Durch regelmäßige gemeinsame Sit-
zungen mit dem Präsidium des Goethe-Instituts, in denen
Angelegenheiten von weitreichender Bedeutung gemein-
sam besprochen werden, hat sich ein guter und vertrau-
ensvoller Gedankenaustausch entwickelt. Durch die mit
dem Goethe-Institut vereinbarte Teilnahme des Unter-
ausschusses an den Regionalleiterkonferenzen des Insti-
tutes erhalten die Parlamentarier nun auch regelmäßig
persönliche Berichte und Einschätzungen von den einzel-
nen Instituten aus aller Welt und können schneller und
zielgerichteter als bisher auf Entwicklungen reagieren.

Nehmen Sie als weiteres Beispiel für die gestiegene
Bedeutung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
die regelmäßigen und sehr guten Fachkonferenzen des
Auswärtigen Amtes. Die Konferenz „Menschen bewegen –
Kultur und Bildung in der deutschen Außenpolitik“
wurde nahezu von allen Feuilletons deutscher Zeitungen
als „Leuchtfeuer“ herausgestellt und begründete den
Anfang einer guten Tradition, die anschließend durch
eine Reihe von weiteren guten Veranstaltungen und Kon-
ferenzen ergänzt und fortgeführt wurde.

Ganz wichtig: Unter der Großen Koalition sind das
Bewusstsein für die deutsche Sprache und das Interesse an


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Gauweiler
ihr wieder gestiegen. Das sehen die offenen Linken ge-
nauso wie die verschwiegenen Rechten positiv. Die Zahl
der ausländischen Studenten in Deutschland ist seit 2004
um 65 Prozent gestiegen. Deutschland belegte zwischen-
zeitlich den dritten Platz bei den beliebtesten Studien-
standorten in der Welt. Wir müssen es als positive Tatsache
erwähnen, dass in der Zwischenzeit in Osteuropa neben
dem Englischen das Deutsche eine Lingua franca gewor-
den ist. Das Goethe-Institut teilt uns mit, dass in den USA
2,5 Prozent der Menschen deutsch sprechen. In den Staa-
ten der GUS liegt dieser Anteil bei über 38 Prozent. Das
sind Zahlen, an denen wir nicht einfach vorbeigehen kön-
nen. Auch im Sprachlichen gilt: Stammkundschaft geht
vor Laufkundschaft.

Dabei haben wir nicht den Blick nach innen verloren.
Auch im Inland wird die Bedeutung der deutschen Spra-
che leichtfertig außer Acht gelassen. So hat sich der Un-
terausschuss Anfang dieses Jahres über die Regelung
hinsichtlich der Verwendung der deutschen Sprache bei
von Deutschland initiierten, ausgerichteten oder bezu-
schussten Konferenzen – am Beispiel der Münchner Si-
cherheitskonferenz – auf dem Sektor der Verteidigung,
Sicherheit und Friedenserhaltung informieren lassen und
anschließend eine Änderung der Sprachregelung auf die-
ser Konferenz erreicht.

Ein weiteres großes Projekt, das die Koalitionsfraktio-
nen auf den Weg gebracht haben, war eine Initiative zur
Verbesserung der Situation der Auslandsschulen. Die
auswärtige Kultur- und Bildungspolitik verfügt mit ihrem
großen Netz deutscher Auslandsschulen nicht nur über
das älteste, sondern auch über ein überaus erfolgreiches
und nachhaltiges Instrument in diesem Bereich. Dieses
wurde durch die Beschlüsse der Großen Koalition nach-
haltig unterstützt und gefördert. Das Auswärtige Amt hat
in dieser Legislaturperiode eine Initiative ins Leben ge-
rufen, deren Ziel es ist, ein weltumspannendes Netz von bis
zu 1 000 Partnerschulen – PASCH – der Bundesrepublik
Deutschland zu schaffen, die exzellenten Deutschunter-
richt und eine verstärkte Vermittlung von Informationen
über Deutschland anbieten. Inzwischen sind es wegen
der immensen Nachfrage sogar über 1 300 Schulen, die
an dieser Initiative teilnehmen. Es handelt es sich dabei
nicht ausschließlich um einen gesteigerten „Export“
deutscher Sprache und Kultur, sondern auch darum, die
Basis langfristiger und stabiler Beziehungen der Schüle-
rinnen und Schüler zu Deutschland zu legen und die
Schulen untereinander zur Kooperation anzuregen.

Die deutsche auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
ist unter der Großen Koalition nicht nur wiederbelebt
worden, sie hat sich auch in wichtigen Punkten verändert.
Heute begreift Deutschland seine auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik noch stärker als Beitrag zu Krisenprä-
vention, Menschenrechtsschutz und Demokratieförde-
rung.

Ich finde es gut, dass Kulturpolitik zunehmend als In-
strument der Konfliktverhütung wahrgenommen wird.
Ich erinnere mich noch gut daran, was mir Herr
Barenboim auf die Frage „Herr Professor, was sagen
Sie, wenn eingewendet wird, dass die Idee Ihres israe-
Zu Protokoll
lisch-arabischen Orchesters furchtbar naiv ist?“ geant-
wortet hat. Er sagte: „Möglicherweise stimmt das. Das,
was wir machen, ist ziemlich naiv. … Aber zu erwarten,
dass sich die Menschen besser vertragen, nachdem man
erst ganze Stadtteile der jeweils anderen Seite dem Erd-
boden gleichgemacht hat und danach in die übliche Kon-
ferenzdiplomatie eingetreten ist, halte ich für noch viel
naiver.“

Wir hatten uns nicht ohne Grund mit großer Hilfe des
Auswärtigen Amtes in Kairo mit den Kulturattachés der
Botschaften und den Ortsbeauftragten der Mittlerorgani-
sationen aus Ländern des Nahen Ostens, aus Israel
ebenso wie aus den arabischen Ländern getroffen, um
gerade auch deren Ideen zur Entschärfung einer Kon-
fliktzone zu hören. Uns wurde eine Fülle von Vorschlägen
und bereits laufenden Projekten dargelegt, wie durch den
deutsch-nahöstlichen Kulturdialog versucht wird, einen
Beitrag zur friedlichen Konfliktlösung in der Region zu
leisten, die allein mit den klassischen Elementen der Ver-
handlungsdiplomatie kaum jemals zu befrieden sein
wird.

Um bei aktuellen außenpolitischen Krisen auch den
wichtigen Blick in die jeweiligen Gesellschaften zu erhal-
ten, hat der Unterausschuss beschlossen, dass bei allen
aktuellen außenpolitischen Krisen und Konfliktherden
vom Auswärtigen Amt jeweils berichtet werden muss,
was in den betreffenden Ländern an Instrumenten der
auswärtigen Kulturpolitik genutzt wird und wo in diesen
Bereichen Ansatzmöglichkeiten bestehen, zur Konfliktlö-
sung beizutragen. So ließ sich der Unterausschuss unter
anderem über die Medien- und Kulturpolitik der Islami-
schen Republik Afghanistan und die Arbeit der deutschen
Kulturmittler in diesem Krisenland berichten.

Insgesamt führte die von der Großen Koalition einge-
leitete Renaissance der auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik zu einem intensiveren Blick auf die wichti-
gen und beeindruckenden Projekte der verschiedenen
Mittlerorganisationen in der auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik. Wir stellten fest, dass überall in der aus-
wärtigen Kulturpolitik, Bildungspolitik und Kunstpolitik
von deutschen Exekutiven wunderbare Schätze zu heben
sind, aber viele voneinander nichts wissen, und dass es
hier immer wieder der Koordination bedarf. Dazu tragen
die vom Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik initiierten Regionalkonferenzen bei. Anlie-
gen ist es, die Fülle von hervorragenden Leistungen die-
ser Mittlerorganisationen zu bündeln und damit ein
gemeinsames Interesse voranzutreiben: die langfristige
Vertiefung und Stärkung unserer Beziehungen zu den Ge-
sellschaften und Menschen in anderen Staaten.

Und noch etwas ist deutlich geworden: Die Förderung
des gegenseitigen Verständnisses der Völker durch Ver-
mittlung von Kenntnissen über die verschiedenen kultu-
rellen und religiösen Wurzeln fördert das friedliche Zu-
sammenleben der Menschen. Immer mehr durchdringen
Fragen von Kultur- und Bildung alle gesellschaftlichen
Bereiche. Es wird immer deutlicher spürbar, dass die
Globalisierung auch eine kulturelle Dimension hat, die
es zu gestalten gilt.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1623030100

Die Legislaturperiode geht zu Ende und mit ihr vier

höchst erfolgreiche Jahre für die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik. Das liegt insbesondere an Frank-Walter
Steinmeier, der die AKBP wieder auf das politische Ta-
bleau gehoben hat.

Nach einer langen Durststrecke unter Joschka Fischer
sind endlich das Interesse und die Wertschätzung von
Kunst und Kultur wieder in die Außenpolitik der Bundes-
regierung eingekehrt. Das zeigt nicht zuletzt auch der
hohe finanzielle Aufwuchs im AKBP-Haushalt. Ich bin
für das Engagement des Außenministers sehr dankbar,
denn dadurch hat auch unsere parlamentarische Arbeit
wieder einen Nährboden gefunden, und wir konnten viel
voranbringen in der auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik.

Wie gut diese Zusammenarbeit funktioniert, machen
die letzten zwei Jahre deutlich, in denen wir nicht nur das
Goethe-Institut auf neue starke Beine gestellt haben, son-
dern uns auch für die deutschen Schulen im Ausland be-
sonders engagiert haben. Diese Erfolgsgeschichte
schreiben wir auch in diesem Jahr fort. 2009 ist das Jahr
der Außenwissenschaft. Unser Dialog mit anderen Kul-
turen funktioniert ganz entscheidend über die Brücken
von Studium und Wissenschaft. Wir haben also gemein-
sam einen wirklich großen Schritt getan, auf den wir stolz
sein können.

In den vier Jahren gab es unter den Fachpolitikern al-
ler Fraktionen immer eine ausgesprochen fruchtbare und
kollegiale Zusammenarbeit, für die ich mich herzlich be-
danken möchte. In der letzten Wahlperiode war die
AKBP ja noch beim Kulturausschuss direkt angesiedelt.
Ich denke, der Unterausschuss, den wir als gemeinsamen
Unterausschuss des Kulturausschusses und des Auswär-
tigen Ausschusses angesiedelt haben, hat sich bewährt.
Hier haben wir uns im Detail mit den einzelnen Feldern
der AKBP beschäftigen können, und gleichzeitig haben
sich beide Hauptausschüsse auch immer wieder mit der
Thematik befasst.

An dieser Stelle möchte ich Frank-Walter Steinmeier
und dem gesamten Auswärtigen Amt danken. Der Außen-
minister war mehrfach in beiden Hauptausschüssen, das
letzte Mal war er gerade gestern im Auswärtigen Aus-
schuss, um über die Kultur zu sprechen. Der Außenminis-
ter und ausdrücklich auch sein ganzes Haus haben uns
im Unterausschuss immer sehr kompetent beraten, die
Ausschussreisen vorbereitet, und sie standen in allen
Fragen zur Verfügung. Vielen Dank dafür.

Einen weiteren Dank will ich loswerden an die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter aller Organisationen, mit
denen wir zusammenarbeiten. Ich weiß, dass Umstruktu-
rierungsphasen immer mit sehr viel Arbeit verbunden
sind und die letzten Jahre und Monate sicherlich oft kräf-
tezehrend und arbeitsintensiv waren. Und hier denke ich
nicht nur an die großen Organisationen wie das Goethe-
Institut oder den DAAD, sondern schließe ausdrücklich
die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, das Institut für
Auslandsbeziehungen, die Zentralstelle für das Aus-
landsschulwesen, den Pädagogischen Austauschdienst,
die Deutsche UNESCO-Kommission, das Deutsche Ar-
Zu Protokoll
chäologische Institut, die Deutschen Geisteswissen-
schaftlichen Institute im Ausland, das Haus der Kulturen
der Welt oder auch die Deutsch-ausländischen Kulturge-
sellschaften ein.

Wir haben uns im Unterausschuss mit zahlreichen
Fragen befasst, die im Tätigkeitsbericht dokumentiert
sind. Ich will einige Punkte herausgreifen, die wir als
SPD besonders vorangetrieben haben und die den Deut-
schen Bundestag in der kommenden Legislaturperiode
auch noch weiter beschäftigen werden.

Ein Punkt betrifft Sport als Mittel der auswärtigen Kul-
tur- und Bildungspolitik. Hier haben wir im Unteraus-
schuss eine Anhörung gemacht, bei der einmal mehr klar
wurde, welche Potenziale in diesem Feld noch stecken.
Der kulturelle Dialog kann gerade in Regionen mit kultu-
rell-religiös motivierten Konflikten an seine Grenzen sto-
ßen. Beispielsweise im Dialog mit der islamischen Welt
kann der Sport ein unverdächtigeres Mittel des Dialogs
sein und kann den Kontakt zwischen Menschen manch-
mal einfacher herstellen. Ich freue mich deswegen, dass
der Außenminister angekündigt hat, dass es im nächsten
Jahr einen Schwerpunkt in diesem Bereich geben wird.

Ein weiterer Punkt betrifft die Schnittstellen zwischen
Entwicklungszusammenarbeit und auswärtiger Kultur-
und Bildungspolitik. Auch hiermit haben wir uns in einer
Anhörung beschäftigt. Gerade mit der höheren Einbezie-
hung der finanziellen Ausgaben für die AKBP in die
sogenannte ODA-Quote – das heißt Ausgaben für Ent-
wicklungshilfe –, wird deutlich, wie gut sich beide Politik-
bereiche ergänzen können. Ich bin sicher, dass die Kom-
petenzen der Mittlerorganisationen der AKBP auch im
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit noch stärker
genutzt werden können. Auch das wird eine Aufgabe für
die kommende Legislaturperiode sein.

Auch die Budgetierung will ich noch einmal gesondert
herausheben. Nachdem ich persönlich mit einigen Kolle-
gen wie beispielsweise Lothar Mark viele Jahre dafür ge-
kämpft habe, dass dieses neue Prinzip der Haushaltspla-
nung und -verwaltung in der auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik umgesetzt wird, haben wir das in dieser
Legislatur nun endlich geschafft. Man kann wirklich da-
von sprechen, dass damit eine neue Dimension für die
Arbeit der Mittler und ganz besonders des Goethe-Insti-
tuts entstanden ist. Die Budgetierung legt das Funda-
ment für den flexiblen und intelligenten Einsatz der fi-
nanziellen Mittel und sie war damit auch ein Grundstein
für die gesamte Reformierung des Goethe-Instituts. Si-
cherlich gibt es an der einen oder anderen Stelle noch
Probleme bei der Umstellung auf neue Verwaltungssys-
teme. Aber ich bin sicher, dass sich die Potenziale der
Budgetierung bald überall entfalten können.

Ein Punkt, den ich für sehr wichtig halte, sind die Re-
gelungen um den Eurocode 8. Dieser sieht einheitliche
technische Regeln für Bauwerke in Erdbebengebieten
vor, und damit unterliegen auch deutsche Gebäude im
Ausland diesen Normen. Es hat sich in den letzten Jahren
als massives Problem herausgestellt, dass Gebäude, die
beispielsweise schon jahrzehntelang sicher stehen und
vielleicht ein Goethe-Institut beherbergen, nach diesen
neuen Normen nicht mehr als sicher gelten und deshalb



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
umgehend geräumt werden müssen. Hier müssen wir un-
bedingt praktikable Lösungen finden, damit die Mittler in
manchen Ländern nicht von heute auf morgen auf der
Straße stehen und gleichzeitig gerechtfertigte Sicher-
heitsbedenken berücksichtigt werden. Das wird eine
drängende Aufgabe für die nächste Legislaturperiode
sein.

Ich freue mich, dass wir seit diesem Jahr den interna-
tionalen Freiwilligendienst „Kulturweit“ ins Leben ge-
rufen haben. Das gibt jungen Menschen die Möglichkeit,
sich in auswärtigen kultur- und bildungspolitischen Ein-
richtungen im Ausland zu engagieren. Hier geht es zum
Beispiel um Umbaumaßnahmen in einer Schule, um den
Betrieb eines Sprachkurses oder archäologische Ausgra-
bungen in Damaskus. Ich denke, damit haben wir eine
tolle Möglichkeit für die AKBP als auch für die Jugend-
lichen geschaffen, die auch sehr gut von diesen ange-
nommen wird.

Ein weiterer Punkt betrifft die Außenwissenschaftspo-
litik. Auch hiermit haben wir uns im Ausschuss intensiv
beschäftigt und einen Koalitionsantrag abgestimmt.
2007 stand ja zunächst die Reform des Goethe-Instituts
auf der Tagesordnung und im Jahr 2008 die Deutschen
Schulen im Ausland und die Initiative PASCH. Zu beiden
Bereichen haben wir in der Koalition Anträge beschlos-
sen, um auch parlamentarisch deren Bedeutung zu zeigen
und konkrete Akzente zu setzen. Nun wird der Dreiklang
in diesem Jahr mit der Außenwissenschaftspolitik abge-
schlossen, doch leider können wir den bereits fertigen
Antrag dazu nicht abschließen.

Das liegt nicht an der zuständigen Berichterstatterin
Monika Grütters, die ich als Kollegin überaus schätze,
gerade weil ich mit ihr immer sehr gut zusammengear-
beitet habe, sondern das liegt leider an der Bildungsmi-
nisterin der CDU, Frau Schavan, die diesen Antrag zu-
sammen mit noch einem weiteren Antrag blockiert. Das
ist sehr schade und für mich unverständlich. Selbst Frau
Grütters konnte mir nicht genau sagen, warum ihre Par-
teikollegin da so reagiert. Und obwohl es ja eigentlich
um einen Antrag des Parlaments geht, bei dem die Regie-
rung eigentlich gar nichts zu sagen und erst recht nichts zu
verhindern hat, hat die Union den Antrag fallen gelassen.

Das bestätigt mich nur einmal mehr in meiner Auffas-
sung, dass gute und vernünftige Politikerinnen wie
Monika Grütters besser in der SPD aufgehoben wären
als in der CDU. Wer also von der Union mit solchen Blo-
ckaden oder unsinnigen Entscheidungen wie die Ableh-
nung des Staatziels Kultur im Grundgesetz nicht länger
leben will, ist bei uns in der Kulturpartei SPD herzlich
willkommen.

Wenn auch die Bildungsministerin die parlamentari-
sche Stellungnahme zur Außenwissenschaftspolitik ver-
hindert hat, so möchte ich doch noch einiges dazu sagen,
denn es geht um Deutschlands Rolle als führender Bil-
dungs-, Innovations- und Wirtschaftsstandort im globa-
len wissenschaftlichen Netzwerk als Voraussetzung für
internationale Spitzenleistungen.

Grundlegende Aspekte spielen hierbei eine Rolle: Der
Erwerb und die Anwendung von Wissen bekommen im
Zu Protokoll
Arbeits- und Lebensalltag von Menschen eine immer
größere Bedeutung. Unsere heutige Gesellschaft wird
immer mehr zu einer Wissensgesellschaft, die zudem glo-
bal vernetzt ist. Bildung ist eine der wichtigsten Ressour-
cen der Gesellschaft. Wertschöpfung basiert zunehmend
darauf wie auch auf Innovation. Nicht nur aufgrund der
technologischen Vernetzung durch Kommunikation sind
Bildung und Wissen global und weltweit zugänglich.
Mehr als zweieinhalb Millionen junge Menschen welt-
weit studieren nicht in ihrem Heimatland. Unzählige Wis-
senschaftler lehren und forschen im Ausland. Zahlreiche
neue Wissenschaftsstandorte sind insbesondere nach
dem Ende des Ost-West-Konflikts in den globalen Wett-
bewerb eingetreten und entwickeln sich zu attraktiven
Zentren für Innovation und Investition. Etablierte Stand-
orte treten in Konkurrenz zu neuen, aufstrebenden Akteu-
ren. Auch im Bereich der Wissenschaft verschieben sich
die Anziehungskräfte, da neue Regionen immer attrakti-
ver werden. Deutschland konkurriert auf diesem globa-
len Bildungsmarkt um die besten Köpfe, die es zur Erhal-
tung seiner Innovationsfähigkeit dringend braucht.

Deswegen muss Wissenschaftspolitik so ein zentrales
Instrument der Außenpolitik sein. So fördern wir die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit, den Austausch
und die Verständigung in Europa und weltweit. Die Liste
internationaler Herausforderungen und Konfliktpoten-
ziale ist lang. Sie machen vor nationalen Grenzen nicht
halt, und sie lassen sich nicht konfrontativ bewältigen,
sondern verlangen ein gemeinsames Herangehen. Au-
ßenwissenschaftspolitik begegnet diesen Herausforde-
rungen. Denn neben der kulturellen und gesellschaftli-
chen Annäherung ermöglicht sie, in gemeinsamer Arbeit
und im gegenseitigen Austausch diese Herausforderun-
gen anzunehmen.

Eine solche Außenwissenschaftspolitik fördert zu-
gleich den Wissenschaftsstandort Deutschland mit positi-
ven Auswirkungen auf Deutschland als Innovations- und
Wirtschaftsstandort. Durch eine solche stärkere Präsenz
und Sichtbarkeit im Ausland erhalten die Handelsbezie-
hungen Deutschlands neue Impulse und ein zusätzliches
Fundament ebenso wie die Demokratie.

Außenwissenschaftspolitik ist daher Außenpolitik und
Bildungspolitik für Frieden und friedvolle Politik zu-
gleich. Mit ihr werden Brücken zwischen Gesellschaften
gebaut und die Innovationskraft Deutschlands gestärkt.
Mehr als je zuvor sind wir daher auf eine Wissenschaft
angewiesen, die nach außen gerichtet ist. Sie muss die In-
teraktion und die Kooperation mit internationalen Part-
nern suchen. Sie muss sich mit den Wissenschaftlern und
Wissenschaftszentren der ganzen Welt vernetzen. Die
Wissenschaft in Deutschland muss wieder zum starken
Magneten für Talente und intelligente Köpfe werden.

Hierfür ist die Zusammenarbeit aller Bereiche wich-
tig. Wissenschaft, Forschung, Politik und Wirtschaft
müssen diese Aufgabe gemeinsam angehen. Es ist daher
auch Aufgabe der Außenpolitik, der Wissenschaft zu-
kunftsweisende Impulse und Unterstützung zu geben. Ge-
schafft ist, dass nach USA und UK Deutschland der dritt-
beliebteste Standort für Studierende aus dem Ausland ist.
Dabei sind übrigens auch eine große Menge Selbstzahler.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
Wissenschaft und Bildung sind eine Investition in die Zu-
kunft unseres Landes. Diese Investition, die Programme
für wissenschaftlichen Austausch, können nur über Jahre
hinweg ihre Wirkung entfalten. Daher sind langfristige
Orientierung, Planungssicherheit und Nachhaltigkeit die
zentralen Leitlinien für das Engagement in diesem Be-
reich.

Hinsichtlich einer erfolgreichen Außenwissenschafts-
politik muss das Verständnis der deutschen Kultur und
Sprache weiter gefördert werden, um weltweit Partner
und Freunde zu gewinnen. Durch grenzüberschreitende
intellektuelle und wirtschaftliche Vernetzung und die
Förderung kosmopolitisch gebildeter Eliten kann noch
mehr Beitrag zu Demokratie und Stabilität geleistet und
durch dieses Engagement bei der Lösung globaler Fra-
gen wie Klimawandel, Umweltschutz, Pandemien gehol-
fen werden.

Hier muss man ein vielfältiges Maßnahmenpaket rea-
lisieren, das von Personenförderung über Strukturförde-
rung und Studiumsförderung bis hin zur Beratung oder
Werbung für den Wissenschaftsstandort Deutschland und
seine Wissenschafts- und Wirtschaftsorganisationen
reicht. Hierfür brauchen wir auch eine verstärkte Akti-
vierung der Kultur- und Wissenschaftsreferenten an den
Botschaften.

Und zu guter Letzt sollte es auch unser Ziel sein, das
Aufenthaltsrecht für Studierende und Nachwuchswissen-
schaftler insbesondere aus Entwicklungsländern zur
Stärkung des Wissensaustausches zu vereinfachen.

Dies alles sind Punkte, die im Rahmen der Außenwis-
senschaftspolitik eine wichtige Rolle spielen. Der Außen-
minister und sein Haus engagieren sich hier sehr inten-
siv, und es ist nur etwas schade, dass die Union kein
Interesse daran hatte, diesen Bereich mitzugestalten.

Wir debattieren heute den Bericht der Bundesregie-
rung „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, in dem
die Arbeit in der auswärtigen Kultur- und Bildungspoli-
tik von 2007 bis 2008 beschrieben wird. Deswegen
möchte ich zusammenfassend festhalten: Wir haben sehr
viel erreicht, gerade auch, weil die politische Anerken-
nung und das politische Engagement für dieses Thema
deutlich gestiegen sind und die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik wieder eine echte Säule in der Außenpo-
litik ist.

Auch in den kommenden Jahren und in der kommen-
den Regierung muss diese gute Entwicklung weitergehen.
Die Weichen dafür haben wir gestellt, und ich bin zuver-
sichtlich, dass wir hier in eine positive Zukunft steuern.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1623030200

Wenn wir heute über den Bericht der Bundesregierung

zur auswärtigen Kulturpolitik debattieren, sollte die, wie
ich finde, sehr engagierte und gute Arbeit des Unteraus-
schusses für „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“
über die letzten vier Jahre hier nicht unerwähnt bleiben.
Der Bericht macht deutlich, dass wir von allen Seiten,
Regierung und Opposition, unseren Beitrag zu einer
fruchtbaren Zusammenarbeit geleistet und sehr viel er-
reicht haben. Als FDP-Fraktion sind wir darüber erfreut,
Zu Protokoll
dass in den Ergebnissen der AKBP der letzten vier Jahre
unter anderem auch unsere Initiativen zur Modernisie-
rung und Budgetierung bei den Goethe-Instituten und zur
Rolle der Auslandsschulen innerhalb der PASCH-Initia-
tive ihren Niederschlag gefunden haben.

Wir haben vor einem knappen Jahr über die Haus-
haltssituation in der auswärtigen Kulturpolitik debat-
tiert. Schon damals hat die FDP-Fraktion die Erhöhung
der Haushaltsmittel in diesem Bereich begrüßt. Es ist
jetzt wichtig, dass auch in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit
den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet wird.
Dabei ist für uns Liberale besonders wichtig, dass es zu
einer breit gefächerten Vermittlung deutscher Kultur
kommt. So vielseitig wie unser Land ist, ist auch unsere
Kultur. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen
alle unsere Kulturmittler gut aufgestellt sein.

Als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss habe ich viel
mit den USA zu tun. Darum liegt mir sehr an einer Revi-
talisierung der transatlantischen Beziehungen. Diese ha-
ben, wie Sie wissen, in den letzten Jahren gelitten. Die
neue amerikanische Außenpolitik unter Präsident Obama
lässt hoffen, dass diese wichtige Verbindung nun von bei-
den Seiten wieder mit mehr Enthusiasmus angegangen
wird. Dabei geht es mir darum, dass neben der Vermitt-
lung eines realistischen Deutschlandbildes in den USA
auch die realistische Darstellung der USA hier in
Deutschland stattfindet. Da gerade akademische Aus-
tauschprogramme für junge Menschen hierzu besonders
gut geeignet sind, setzt sich die FDP-Fraktion für die
Ausweitung von Stipendien ein.

Uns Liberalen liegt daran, dass wir uns mit unserer
Auslandskulturarbeit in Zukunft wieder mehr in Regio-
nen engagieren, die bislang sozusagen vom deutschen
Tellerrand gefallen sind. Wenn wir langfristig innovative
internationale Kooperationen auf zivilgesellschaftlicher
Ebene vorantreiben – sei es im transatlantischen Dialog,
bei der europäischen Integration oder in Wachstums-
regionen – zahlt sich das auch für uns aus und ist somit
eine sinnvolle Investition in die Zukunft.

Wir Liberale möchten mithilfe der auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik Deutschland in seiner kulturellen
Vielfalt darstellen und die aktive Förderung der Verbrei-
tung der deutschen Sprache vorantreiben. Wir möchten
das Interesse an unserem schönen Land, seiner wechsel-
vollen Geschichte, großen Kultur und festen Demokratie
im Ausland wecken und damit die Voraussetzungen für
enge und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Deutsch-
land und seinen Partnern schaffen. Auswärtige Kulturpo-
litik sollte dabei Deutschland nicht nur in seinen vielfäl-
tigen Teilen, sondern auch als Ganzes widerspiegeln.
Dabei ist auswärtige Kulturpolitik keine Einbahnstraße.
Sie dient ebenso dazu, unsere Aufmerksamkeit den Kultu-
ren anderer Länder zu schenken und von deren Eigenar-
ten und Vielfalt zu lernen.

Das ist, denke ich, ein ganz besonders wichtiger
Punkt, wenn wir darüber reden, was auswärtige Kultur-
politik im Bereich der Krisenprävention beitragen kann.
Dies ist ein Feld, das wir noch sehr viel genauer untersu-
chen müssen. Es wird unter anderem darum gehen, in Zu-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Harald Leibrecht
kunft schneller politische Entwicklungen in der Welt zu
erkennen und darauf flexibel und zeitnah reagieren zu
können. Wir Liberale erkennen die Bemühungen der
Bundesregierung in diesem Bereich an und unterstützen
die Anstrengungen für einen intensiven Dialog mit der is-
lamischen Welt, für neue Bildungs- und Wissenschafts-
initiativen und für eine bessere regionale Koordination.
Eine effektiv gestaltete und breit gefächerte auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik leistet hierzu einen wichtigen
Beitrag.


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623030300

Seit mehr als 30 Jahren gilt die Kultur als dritte Säule

der deutschen Außenpolitik.

Die Definition von 1975 lautet:

Nicht nur wirtschaftliche und politische Interessen
Deutschlands sind nach außen zu vertreten, sondern
gleichberechtigt eben auch kulturelle – in Form ei-
ner friedlichen, partnerschaftlichen Verständigung
mit anderen Ländern, Völkern und Kulturen.

So sieht es auch der aktuelle Bericht der Bundesregie-
rung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2007/2008. Darin
wird als Ziel genannt:

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein
Kernelement glaubwürdiger und nachhaltiger Au-
ßenpolitik – mit ihr können wir Köpfe und Herzen
der Menschen unmittelbar erreichen. Sie trägt dazu
bei, kulturelle Trennlinien zu überwinden, und legt
auf diese Weise ein breites Fundament für stabile
internationale Beziehungen. Zugleich gewinnen wir
– unser Land, seine Gesellschaft, Wirtschaft und
Politik – durch sie wichtige und verlässliche Part-
ner in der Welt.

So weit – so gut. Und in vielen Ländern und sogar
ganzen Regionen dieser Welt wird dieses Ziel sogar er-
reicht werden können – aber nur in jenen, in denen un-
sere Außenpolitik nicht auch Kriegspolitik betreibt. Dort
sieht es anders aus. Und Sie werden mir an einem Tag, an
dem wir im Parlament über den Einsatz von AWACS-
Flugzeugen in Afghanistan abstimmen mussten, gestat-
ten, auf dieses grundsätzliche Problem der auswärtigen
Kulturpolitik hinzuweisen, von dem im Bericht der Bun-
desregierung nichts zu lesen ist. Beachtenswerterweise
finden wir dort im Kapitel Asien keinen einzigen Satz zu
unseren kultur- und bildungspolitischen Anstrengungen
in Afghanistan; über Afghanistan überhaupt kein Wort.
Was bedeutet da der lobenswerte Zuwachs des auswärti-
gen Kulturetats angesichts der Ausgaben für die militäri-
sche Außenpolitik, die die Regierung der deutschen Be-
völkerung aufnötigt und der afghanischen Bevölkerung
auferlegt?

In Krisenzeiten und in Krisenregionen ist Kulturarbeit
besonders wichtig. Eine noch so gute Kulturpolitik kann
aber nicht reparieren, was durch Kriegseinsätze an
Glaubwürdigkeit verloren wird. Es ist doch ein Wider-
spruch in sich, dass das Goethe-Institut in Kabul sich in
Zusammenarbeit mit anderen Institutionen intensiv um
den Wiederaufbau der afghanischen Kulturszene bemüht
und die Bundesrepublik Deutschland sich gleichzeitig
Zu Protokoll
immer tiefer in den Teufelskreis eines „Krieges gegen
den Terror“ verstrickt. Es ist mittlerweile Allgemeingut,
dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Und jetzt droht
er alle Ansätze eines zivilen Aufbaus unter sich zu begra-
ben. Wenn es denn Säulen der Außenpolitik gibt zur Ver-
tretung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Inte-
ressen Deutschlands in aller Welt, dann muss die vierte
Säule, die militärische, abgetragen werden. Nur dann
lassen sich die Ziele einer unterstützenswerten Außen-
kulturpolitik erreichen.

Nach dieser grundsätzlichen Kritik am Bericht sollte
noch zweierlei für die künftige Kulturarbeit im Ausland
bedacht werden.

Erstens: Es mangelt unserer Meinung nach auch an
konzeptionellen Grundlagen für eine nachhaltige Strate-
gie der Außenkulturpolitik. Wir vermissen eine wissen-
schaftliche Expertise der auswärtigen Kulturarbeit, die
die weltpolitischen Entwicklungen und Herausforderun-
gen berücksichtigt, als Basis für eine Neujustierung der
auswärtigen Kulturpolitik. Wir meinen, es wäre gut, nach
über 30 Jahren erneut eine Enquete-Kommission des
Deutschen Bundestages zur „Auswärtigen Kulturpolitik“
einzusetzen. Nur eine umfassende Bestandsaufnahme der
auswärtigen Kulturpolitik kann Grundlage für ihre wirk-
same Weiterentwicklung sein.

Zweitens halten wir es für dringend geboten, den Kul-
turaustausch innerhalb der EU weiter zu fördern und zu
intensivieren. Wir europäischen Länder sind unterschied-
licher als oft angenommen, und eine europäische Kultur-
identität ist keineswegs selbstverständliche Realität.
„Nähe muss gepflegt werden“, fordert der deutsche Bot-
schafter in Rom, Steiner, immer wieder – und zu Recht!


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623030400

Es ist erfreulich, dass es Ihnen, Herr Außenminister, in

Ihrer Amtsperiode gelungen ist, die auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik zurück auf die außenpolitische
Agenda zu holen und ihr durch Ihre persönliche Schwer-
punktsetzung, unabhängig von dem finanziellen Mit-
telaufwuchs, wieder einen deutlich größeren Stellenwert
beizumessen. Das ist der richtige Weg.

Beglückwünschen möchte ich Sie, Herr Minister, zu
der erfolgreichen Reform des Goethe-Instituts, die un-
sere größte Mittlerorganisation deutlich gestärkt sowie
handlungsfähiger und effizienter gemacht hat. Ganz be-
sonders begrüße ich die „Aktion Afrika“ als ein Projekt,
das unseren Nachbarkontinent wieder stärker in das
Blickfeld rückt. Das Partnerschulprogramm PASCH so-
wie die Außenwissenschaftsinitiative halte ich für sehr
wichtig, stellen sie doch wesentliche Schritte zur Förde-
rung des internationalen Wissenschaftsaustausches und
zur grenzüberschreitenden Vernetzung des Bildungs- und
Forschungsstandortes Deutschland dar.

Dennoch sehen wir trotz aller Erfolge der Bundesre-
gierung in der Außenkulturarbeit einige Defizite. Ers-
tens. Zwar wurde die auswärtige Kulturpolitik mit deut-
lich mehr Geld gesegnet. Was aber nach wie vor fehlt,
sind eine ehrliche Erfolgs- und Wirkungsüberprüfung
der Außenkulturarbeit, ein klares konzeptionelles Leit-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid
bild und eine strategische Ausrichtung des Politikfeldes.
Die vielen Einzelaktivitäten, die die Bundesregierung un-
ternommen hat, sind zwar für sich gesehen richtig, aber
wir vermissen den konzeptionellen Überbau. Wer sind
die genauen Zielgruppen? Welche Ziele sollen erreicht
werden und mit welchen Instrumenten? Wie wird der Er-
folg der Außenkulturarbeit überprüft? Ich denke da ganz
besonders an den europäisch-islamischen Kulturdialog.

Zweitens. Ein weiteres Defizit sehen wir in der EU-
Kulturpolitik der Bundesregierung. Für Deutschland
muss es in Europa immer wieder darum gehen, als mo-
derne Demokratie anerkannt zu werden und Ängste bei
unseren Nachbarstaaten zu reduzieren. Denn trotz unse-
rer soliden Stellung innerhalb der EU ist eine kohärente
und nachhaltige Kulturpolitik von immenser Bedeutung.
Die beleidigenden Ausfälle unseres Finanzministers ge-
genüber der Schweiz und Luxemburg haben umso deutli-
cher bestätigt, dass dem Einsatz für gute nachbarschaft-
liche Beziehungen höchste Priorität einzuräumen ist und
wir uns das Vertrauen unserer Partner in Europa immer
wieder aufs Neue erarbeiten müssen.

Drittens. Was den afrikanischen Kontinent angeht, so
begrüße ich, wie bereits erwähnt, die „Aktion Afrika“
ausdrücklich. Allerdings wird diese Initiative hauptsäch-
lich aus ODA-Mitteln finanziert, weshalb keine verste-
tigte Mittelzuwendung gewährleistet ist. Wenn sich die
ODA-Mittel reduzieren, sinken auch die Zuwendungen
für die „Aktion Afrika“, und die Initiative fällt wie ein
Kartenhaus in sich zusammen. Das ist keine nachhaltige
Politik.

Viertens. Das Thema Kreativwirtschaft wird von der
Bundesregierung bislang viel zu wenig berücksichtigt.
Auf dem entwicklungspolitischen Kongress der CDU/
CSU-Fraktion im vergangenen Monat zeigte sich die
Kanzlerin Seite an Seite mit Bob Geldof, um die Rettung
Afrikas zu propagieren. Auch die Entwicklungsministerin
wirbt mit dem bekannten Musiker für mehr Geld zur Ar-
mutsbekämpfung in Afrika. Ob dies dem Kontinent wirk-
lich hilft, darüber wird zurzeit zu Recht heftigst disku-
tiert. Sie, Herr Außenminister, könnten doch vielleicht
dazu verhelfen, dass die prominenten Künstler im Rah-
men der auswärtigen Kulturpolitik mehr Geld in die
Kreativwirtschaft Afrikas investieren. Warum fördern Sie
nicht die Ausbildung von Kulturmanagern, den Aus-
tausch von Filmemachern, Tänzern, Designern, Archi-
tekten, den Aufbau von kreativer Infrastruktur vor Ort,
damit afrikanische Kulturschaffende Zugang zu interna-
tionalen Märkten erhalten, wettbewerbsfähig sind und so
auch die Entwicklung in ihren Ländern vorantreiben
können?

Fünftens. Darüber hinaus sehe ich ein Defizit in der
Förderung von Kulturvorhaben aus Entwicklungslän-
dern und von Kooperationsprojekten von deutschen und
ausländischen Kulturschaffenden. Unsere Mittlerorgani-
sationen müssen sich viel stärker als bisher öffnen und
mit Künstlerinitiativen vor Ort besser kooperieren. Sie
müssen sie auch in Deutschland mit hiesigen Kultur-
schaffenden vernetzen. Das haben zahlreiche afrikani-
sche Künstlerinnen und Künstler bei von mir organisier-
ten Fachgesprächen im Bundestag immer wieder betont.
Zu Protokoll
Dabei kam zum Beispiel die Idee zu Tage, eine Anlauf-
stelle für Künstler und Kulturschaffende aus Entwick-
lungsländern in Berlin einzurichten. Gut wäre es, eine
solche Stelle bei der ifa-Galerie Berlin zu schaffen, um
diesen Künstlern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, da-
mit sie hier ihr kreatives Schaffen vollständig entfalten
können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der zwei
vorausgegangenen Wahlperioden hat es den Unteraus-
schuss „Auswärtige Kulturpolitik“ nicht gegeben. Ich
freue mich, dass es mir mit der Unterstützung vieler Kol-
leginnen und Kollegen gelungen ist, ihn wieder einzuset-
zen, sodass die auswärtige Kulturpolitik einen Ort der
Debatte im Deutschen Bundestag hat. Die Arbeit in die-
sem Unterausschuss hat maßgeblich dazu beigetragen,
dass das Politikfeld wieder an Bedeutung, Sichtbarkeit
und Profil gewonnen hat.

Ich möchte abschließend allen Kolleginnen und Kolle-
gen des Unterausschusses und ganz besonders seinem
Vorsitzenden, Herrn Dr. Gauweiler, für die gute Zusam-
menarbeit danken und wünsche mir für diesen Aus-
schuss, dass es ihn in der nächsten Legislaturperiode
wieder gibt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623030500

Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-

schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13621, in Kenntnis der genannten Unter-
richtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheit-
lich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine Sonderstellung der Bundeswehr an
Schulen

– Drucksachen 16/13060, 16/13664 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Jörn Thießen
Birgit Homburger
Paul Schäfer (Köln)

Omid Nouripour


Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1623030600

Es entspricht dem Selbstverständnis einer Demokratie,

dass ihre Sicherheit Angelegenheit des gesamten Volkes
ist. Das Grundgesetz umfasst gleichermaßen Friedensge-
bot und Verteidigungsbereitschaft mit Streitkräften. Der
Staat muss über seine Aufgaben und damit auch über die
Wehrpflicht, Sicherheitspolitik und die Bundeswehr infor-
mieren. Dies leistet die Bundeswehr seit über 50 Jahren
an den Schulen mit großem Erfolg für alle Beteiligten.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Der Zugang der Jugendoffiziere und die im Unterricht
zu behandelnden Themenbereiche sind in allen 16 Bundes-
ländern in den Schul- und Kultusministerien in Erlass-
form geregelt. Diese eindeutigen Regelungen auf Ebene
der Bundesländer legitimieren damit den Einsatz der
Jugendoffiziere an allen allgemein- und berufsbildenden
Schulen in Deutschland. Welche Spezialisten die Schulen
einladen, entscheiden diese selbst. Der Einsatz der
Jugendoffiziere im Unterricht erfolgt stets im Rahmen
des Unterrichtskonzeptes der anfragenden Schule. Die
Lehrkraft trägt die Verantwortung und begleitet den
Unterricht. Die Schule ist Veranstalter und entscheidet
darüber, ob für die Schülerinnen und Schüler Anwesen-
heitspflicht besteht. Dieses Konzept hat sich bewährt. Es
verdient Lob und nicht Kritik! Wünschenswert wäre sogar
ein verstärktes Engagement. Dies stößt jedoch an Gren-
zen der personellen Ressourcen der Bundeswehr.

Die Arbeit der Jugendoffiziere dient der Information
über die allgemeine Wehrpflicht und der Verbesserung
der gesellschaftlichen Akzeptanz der Streitkräfte. Der
Jugendoffizier bietet sich dabei mit seiner Fachexpertise
in der politischen Bildung den Lehrern und Schulen für
Gespräche, Diskussionen, Vorträge und auch Seminare und
Podiumsdiskussionen an. Leitbild ist die demokratische
Idee des Staatsbürgers in Uniform. Die Jugendoffiziere
kommunizieren ihre Fachinhalte auf Grundlage sowohl
des Beutelsbacher Konsenses von 1976 als auch des
Münchner Manifests von 1997. Die darin festgeschriebenen
Prinzipien sind Lehrinhalt der fachlichen Ausbildung
zum Jugendoffizier an der Akademie der Bundeswehr für
Information und Kommunikation in Strausberg. Damit
verfolgen sie einen anerkannt pluralistischen Bildungs-
ansatz, der im methodisch-didaktischen Vorgehen schüler-
orientiert ist und sich besonders dem Kontroversitätsgebot
und dem Überwältigungsverbot verpflichtet fühlt. Jugend-
offiziere stellen sich in den Schulen auch der Diskussion
mit Wehrdienstverweigerern und führen zum Teil auch
Veranstaltungen mit Zivildienstschulen im Bundesgebiet
durch. Insoweit tragen die Jugendoffiziere durch ihre
Arbeit als Mittler der politischen Bildung den Grund-
prinzipien der Pluralität, Überparteilichkeit und Unab-
hängigkeit Rechnung.

Die Jugendoffiziere organisieren für Schulen auf Wunsch
Besuche bei der Truppe, um den Schülerinnen und Schü-
lern die Gelegenheit zu bieten, den Alltag bei der Bundes-
wehr kennenzulernen und vor allem authentische Ein-
drücke bei Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten
verschiedener Dienstgradgruppen zu gewinnen. Dabei ist
sichergestellt, dass im Rahmen von Veranstaltungen der
Informationsarbeit Kinder und Jugendliche unter 18 Jah-
ren keinen Zugang zu Handfeuerwaffen und/oder Munition
erhalten. Die Bundeswehr führt mit Schülerinnen und
Schülern keine Schießübungen durch. Die im Antrag auf-
gestellte Behauptung ist schlichtweg falsch. Ebenfalls
kenne ich keinen Fall, in dem militärisches Gerät in
Schulen gebracht und vorgeführt wird.

Die Jugendoffiziere bieten ihre Informationsangebote
auch im Rahmen der Lehreraus- und -weiterbildung den
Lehrerseminaren in den Bundesländern an. Von diesen
Angeboten in Form von Fachvorträgen, Seminarreisen
und der Simulation „Politik und Internationale Sicherheit“
Zu Protokoll
wird zunehmend seitens der Lehrerseminare/-institute Ge-
brauch gemacht. In diesem Sinne bietet die Bundeswehr
den Schulen und den Kultus- und Schulministerien auch
zur Lehreraus- und -Weiterbildung ihre Fachexpertise
an. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung des
Landes Nordrhein-Westfalen und das Ministerium für
Bildung, Familie, Frauen und Kultur des Landes Saar-
land haben je eine Kooperation mit der Bundeswehr zum
Einsatz der Jugendoffiziere geschlossen. Ziel der Koope-
rationen ist, die Kommunikation zwischen den Kultus-
ministerien der Länder und der Bundeswehr über Sicher-
heitspolitik im Unterricht zu verbessern, die Teilnahme
von Lehramtsanwärtern und Lehrern bei Aus-, Fort- und
Weiterbildungen der Jugendoffiziere im Rahmen von
sicherheitspolitischen Seminaren zu stärken und die
Informations- und Bildungsangebote der Jugendoffiziere
in den Amtsblättern und Onlinemedien der Schulministe-
rien zu kommunizieren. Nach meinen Informationen
strebt das Verteidigungsministerium weitere derartige
Kooperationen an.

Gemäß Art. 12 Grundgesetz haben alle Deutschen das
Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen. Jeder Deutsche hat mit Vollendung des 17. Lebens-
jahres und Erfüllung der Vollzeitschulpflicht die Möglich-
keit, sich für ein soldatisches Dienstverhältnis zu bewer-
ben. Entsprechende Angebote zu unterbreiten, ist daher
legitim. Die Bundeswehr bietet im Rahmen militärischer
und ziviler Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisse Absolventen
berufs- und allgemeinbildender Schulen eine Vielzahl
attraktiver Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten an.
Vortragsveranstaltungen der Wehrdienstberater erfolgen
regelmäßig im Rahmen von Projekttagen zur Berufs-
findung, beruflichen Informationsveranstaltungen der
Schule oder im Rahmen von Unterrichtsblöcken, die sich
mit dem Thema Berufsfindung beschäftigen.

Die Unterstellung der Linken, die Bundeswehr betreibe
eine bewusste Militarisierung der Gesellschaft, weise ich
mit aller Entschiedenheit zurück. Wenn man Beispiele
von Militarisierung sucht, dann findet man diese in der
Geschichte der DDR, wo sozialistische Wehrerziehung
und vormilitärische Ausbildung zum Pflichtprogramm
gehörten.

Der Einsatz der Jugendoffiziere ist eindeutig legitimiert
und wird in allen Bundesländern auf rechtlicher Grund-
lage praktiziert. Wir danken den Jugendoffizieren aus-
drücklich für ihr Engagement. Sie haben unsere Unterstüt-
zung für ihre wichtige Informations- und Bildungsarbeit
verdient.

Den vorliegenden Antrag lehnen wir ab.


Jörn Thießen (SPD):
Rede ID: ID1623030700

„Staatsbürger in Uniform“ – das sind auch die Ju-

gendoffiziere. Seit 1958, also fast so lange, wie es die
Bundeswehr gibt, stellen sich momentan 94 Jugendoffi-
ziere in ganz Deutschland den Fragen zur deutschen Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik. Seit 2009 sind auch
die ersten Frauen als Jugendoffiziere tätig. Sie sind im
Dialog mit Schülerinnen und Schülern, bei Besuchen der
Truppe, in Lehrer- und Referendarweiterbildungen und
bei Simulationen und Planspielen. Sie wirken als Refe-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jörn Thießen
renten und Multiplikatoren für all diejenigen in der Be-
völkerung, die sicherheitspolitisch interessiert sind und
mehr erfahren wollen: über die Bundeswehr, ihre Aufga-
ben zuhause und in den Einsätzen. Ihr Arbeitsalltag in
Schulen ist ein wesentliches Element des sicherheitspoli-
tischen Diskurses in Deutschland: Aufklärung und Dis-
kussion darüber, was die Streitkräfte im Einsatz und im
Lande leisten.

Jugendoffiziere in Deutschland – eine sehr wichtige
Einrichtung, um die Aufgaben unserer Bundeswehr in die
Gesellschaft zu transportieren. Sehr gut ausgebildet, mit
abgeschlossenem Hochschulstudium und methodisch-
pädagogischen Kenntnissen, verfügen alle Jugendoffi-
ziere über mehrjährige Erfahrung als militärische Vorge-
setzte. Jugendoffiziere sind sehr gut auf ihre Aufgabe
vorbereitet. Viele von ihnen bringen Einsatzerfahrung
mit, waren im Kosovo oder in Afghanistan. Sie wissen,
worüber sie reden. Jeder von ihnen hat sich freiwillig für
dieses Amt beworben. Sie haben Freude und Interesse
daran, anderen ihre Erfahrungen zu vermitteln, Neugier
zu wecken und zu einem besseren Verständnis der Aufga-
ben der Bundeswehr zu sorgen. Ihre Bereitschaft, ihre
Erfahrungen in die Gesellschaft zu tragen, ist groß, ge-
nauso wie ihr umfangreiches sicherheitspolitisches
Wissen. Sie sind ein wichtiges, ja ein unerlässliches
Bindeglied zwischen Armee und Gesellschaft in unserer
Demokratie. Jugendoffiziere sind kein Sprachrohr der
Bundeswehr. Eine „kritische Loyalität“ seitens der Ju-
gendoffiziere ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht!

Wir brauchen noch mehr Jugendoffiziere, noch mehr
engagierte Frauen und Männer, die ihren Dienst für die
Bundeswehr aus dieser Perspektive leisten. Mehr Ju-
gendoffiziere sind notwendig, um dem nachzukommen,
was alle immer fordern: die sicherheitspolitische De-
batte in Deutschland anzukurbeln.

Die Jugendoffiziere werben: für eine verantwortungs-
volle Armee, auch im Einsatz, für eine Armee in politi-
scher und parlamentarischer Verantwortung, als wichti-
ges Instrument unserer Demokratie. Das gute Ansehen
der Bundeswehr in der deutschen Bevölkerung, die feste
Verankerung unserer Streitkräfte in unserer Demokratie –
all das haben wir zu einem großen Teil auch unseren Ju-
gendoffizieren zu verdanken. Wir sollten die gute Arbeit
der Jugendoffiziere mehr würdigen; sie stärken in ihrem
Engagement für eine fest verankerte Bundeswehr in der
Gesellschaft.

In Parlamentsseminaren und Schulbesuchen mit Ju-
gendoffizieren erfahren Jugendliche hautnah, was es be-
deutet, der Bundeswehr zu dienen. Und auch wir, die Ab-
geordneten des Deutschen Bundestages, erfahren in
unseren Begegnungen mit Jugendoffizieren die Stim-
mungslage der jungen Leute. Eine feste Verankerung der
Bundeswehr in der Gesellschaft ist nur dann möglich,
wenn alle voneinander wissen und aufeinander zugehen.
Genau das tun die Jugendoffiziere. Sie gehen mit ihrem
Wissen hinein in die Gesellschaft, als Multiplikatoren,
als Augenzeugen. Jugendoffiziere haben es nicht immer
leicht: den einen zu wenig Soldat, den anderen zu sehr
Militarist. Nichts davon ist wahr. Wohl kaum ist jemand
so sehr Soldat wie diejenigen Frauen und Männer, die
Zu Protokoll
ihre gesellschaftliche Verantwortung auch außerhalb ih-
rer originären Arbeitsbereiche wahrnehmen. Und ge-
nauso wenig sind Jugendoffiziere Militaristen. Umfas-
send informiert erfüllen sie einen bildungspolitischen
Auftrag, der seinesgleichen sucht. Sie sind sehr weit da-
von entfernt, die Bundeswehr und ihre Rolle in Deutsch-
land und der Welt zu überhöhen oder zu beschönigen. Sie
haben unseren Dank und unsere Anerkennung verdient!


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1623030800

Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke legt

erneut eine Sicht auf die Bundeswehr dar, die mit der
Realität in der Bundeswehr im allgemeinen, ihrer inne-
ren Verfasstheit und der Tätigkeit der Jugendoffiziere im
Besonderen nichts zu tun hat. Er suggeriert, dass die
Jugendoffiziere der Bundeswehr „im sensiblen Bereich
der Verteidigungspolitik eine auf Pluralität und Kontro-
versität basierende Meinungsbildung“ verhinderten und
auf diese Weise versuchten, den Schülerinnen und Schü-
lern eine einseitige Weltsicht zu vermitteln. Damit unter-
stellt die Linke den Jugendoffizieren die Anwendung der
gleichen Methoden wie bei den früheren Politoffizieren
der NVA in der DDR, die stramm einen „Klassenstand-
punkt“ zu vertreten und zu vermitteln hatten. Das Gegen-
teil ist jedoch der Fall. Die Jugendoffiziere der Bundes-
wehr diskutieren durchaus ausgewogen und kontrovers.
Aus Sicht der FDP stellen die Jugendoffiziere somit ein
bewährtes und wichtiges Element bei der Vermittlung au-
ßen- und sicherheitspolitischer Inhalte dar.

Ein langjähriger Bestseller in ihrem vielfältigen Infor-
mationsangebot, das die Jugendoffiziere sowohl für
Schüler und Studierende, als auch für Lehrkräfte oder
Multiplikatoren in ihrem Betreuungsbereich bieten, ist
die mehrtägige interaktive Simulation „Politik & Inter-
nationale Sicherheit“, POL&IS. In dieser Simulation
werden das Zusammenspiel politischer, wirtschaftlicher
und ökologischer Faktoren ebenso vermittelt wie die ge-
genseitigen Abhängigkeiten internationaler politischer
Akteure und Institutionen sowie die daraus entstehenden
Konflikte und deren Lösungsmöglichkeiten mit den Mit-
teln der Politik, der Diplomatie und der wirtschaftlichen
Kooperation. Das Militär als Instrument zur Konfliktlö-
sung wird dabei als letztes Mittel dargestellt, was sich
unter anderem am regelmäßigen Ziel der Simulation, die
weltweite Abrüstung voranzutreiben, festmachen lässt.
Folglich sind es eben nicht vorrangig militärische Kon-
fliktlösungsmöglichkeiten und auch keine einseitige Welt-
sicht, die durch die Jugendoffiziere vermittelt werden,
wie die Linke dies in ihrem Antrag versucht darzustellen.

Auch das angeführte Argument, dass die Ausgestal-
tung des Schulunterrichtes und die Inanspruchnahme
von Angeboten Dritter im Rahmen der politischen Bil-
dung an den Schulen in die Zuständigkeit der Bundeslän-
der fällt, steht nicht im Widerspruch zu Veranstaltungen
von Jugendoffizieren an Schulen, denn schließlich erfolgt
deren Tätigkeit im Einvernehmen mit den Kultusministe-
rien der Länder. Im Übrigen ist in keiner Weise erkenn-
bar, dass bei der Vermittlung von Sicherheitspolitik an
Schulen auf Pluralität und Kontroversität verzichtet
wird. Schließlich kommen die Lehrerinnen und Lehrer an
Schulen ihrer Aufgabe in vorbildlicher Weise nach, den



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
Schülerinnen und Schülern eine differenzierte Betrach-
tungsweise nahezubringen und dafür zu sorgen, dass
Positionen aus unterschiedlicher Sicht beleuchtet wer-
den.

Darüber hinaus nutzt die Linke den Antrag erneut, um
ihre durch nichts zu begründende Position zu wieder-
holen, dass die Beteiligung der Bundeswehr an inter-
nationalen Auslandseinsätzen völkerrechtswidrig sei.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den vorliegenden An-
trag daher aus den genannten Gründen ab.


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623030900

Weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit ge-

winnt die Bundeswehr einen immer stärkeren Einfluss an
Schulen. Sie genießt eine Sonderstellung im Bereich der
sicherheitspolitischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen
und nutzt den exklusiven Zugang, um Werbung für die
Truppe zu machen, um Auftrag und Aufgaben der Bun-
deswehr im günstigen Licht erscheinen zu lassen und vor
allem für die Nachwuchswerbung. Dafür beschäftigt die
Bundeswehr mehr als 90 hauptamtliche Jugendoffiziere.
Im letzten Jahr wurden so mehr als 130 000 Jugendliche
erreicht.

Wir dürfen einfach nicht vergessen, worum es hier
geht. Jugendoffiziere sind häufig der erste Berührungs-
punkt Jugendlicher mit der Bundeswehr und sicherheits-
politischen Themen. Minderjährige, zum Teil erst 14 Jahre
alt, werden von der Bundeswehr direkt und ohne Gegen-
part angesprochen. Es sollte nicht die Aufgabe des Lehr-
personals sein, diese Rolle zu übernehmen. Die Linke
lehnt diese Sonderstellung der Bundeswehr ab. Die ge-
genwärtige Praxis verstößt gegen zwei zentrale Prinzi-
pien in der schulischen Bildung: dem Gebot der Plurali-
tät und den Gebot der Kontroversität.

Natürlich verweist das Verteidigungsministerium gerne
darauf, dass die Bundeswehr bzw. das Ministerium qua
Grundgesetz objektiv und neutral ist. Unterschlagen
wird, dass die Bundeswehr einer der größten Arbeitgeber
Deutschlands mit mehr als 320 000 „Beschäftigten“ ist.
Unterschlagen wird, dass die Bundeswehr als Raupe
Nimmersatt mit 31 Milliarden Euro pro Jahr den dritt-
größten Einzeletat hat, nach dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales und der Bundesschuld. Unterschla-
gen wird, dass das Unternehmen Bundeswehr etwa
50 000 Wehrpflichtige im Zwangsdienst einsetzt. Hier ist
in der Jugend- und Öffentlichkeitsarbeit also ein gehöri-
ges Eigeninteresse vorhanden. Von Objektivität und Neu-
tralität kann keine Rede sein.

Noch ein Satz zur Kompetenz der Bundeswehr im Be-
reich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Noch
wird die Außen- und Sicherheitspolitik – zumindest offi-
ziell – federführend im Auswärtigen Amt gemacht, noch
fällt Katastrophenhilfe im Inland in den Zuständigkeits-
bereich des Innenministeriums. Wenn hier das Verteidi-
gungsministerium die Hauptzuständigkeit beansprucht,
betreibt sie Augenwischerei.

Die Praxis der Bundeswehr führt zu einer Deforma-
tion der sicherheitspolitischen Bildung an Schulen. Der
Zu Protokoll
Auftrag Bildung wird instrumentalisiert für Propaganda
in eigener Sache und Rekrutierungszwecke. Dabei profi-
tiert die Bundeswehr auch von der Bildungsmisere. Die
mangelnde Ausstattung der Schulen, die fehlenden Aus-
und Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer,
die allgemeine Überlastung öffnen den Weg für die Bun-
deswehr. Sie ist im Vergleich zu den Schulen finanziell,
materiell und personell wesentlich besser ausgestattet
und versucht, sich durch attraktive Freizeitangebote wie
zum Beispiel Truppenbesuche, die Präsentation von Mi-
litärgerät, die Organisation von Reisen oder eben durch
Informationsveranstaltungen an Schulen in einem güns-
tigen Licht zu präsentieren.

Selbst für das Lehrpersonal, als wichtige Multiplika-
toren geführt, werden günstige Fortbildungsangebote
von der Bundeswehr finanziert. Dies hat inzwischen auch
direkte Auswirkungen auf die Inhalte des Politik- und So-
zialkundeunterrichts. In NRW wurde mit der Landesre-
gierung Ende letzten Jahres eine Partnerschaft darüber
vereinbart, dass sich die Bundeswehr an der Erstellung
von Materialien für den Unterricht beteiligt. Jeder kann
sich an einer Hand ausrechnen, dass es wohl keine
Schwerpunkthefte zur zivilen Krisenbearbeitung, zur Ab-
schaffung der Wehrpflicht oder zu den Kosten der Rüs-
tungsbeschaffung geben wird. Hier wäre es angebrachter
und dem Auftrag angemessener gewesen, eine unabhän-
gige Expertenkommission einzusetzen und mit vergleich-
baren Mitteln auszustatten.

Natürlich können wir allenthalben – und nicht zuletzt
auch in den jährlichen Jugendoffiziersberichten – die
Klagen über das Desinteresse an diesen Themen lesen.
Wenn es der Bundesregierung aber tatsächlich so wichtig
ist, den Jugendlichen an den Schulen die Grundlagen
und Inhalte ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zu ver-
mitteln, dann sollte sie die Rollen der Bundeszentrale
und der Landeszentralen für politische Bildung überden-
ken. Dann sollte sie die Zusammenarbeit mit anderen In-
stitutionen und Initiativen suchen bzw. die Schulen darin
ermutigen und unterstützen, dies zu tun. Geeignete Ex-
pertinnen und Experten findet man bei den Friedensfor-
schungsinstituten, den Kriegsdienstverweigererinitiati-
ven oder den Verbänden für zivile Friedensarbeit. Es
geht hier nicht um den Ausschluss der Bundeswehr, son-
dern darum, dass sich die Bundeswehr an die gleichen
Spielregeln zu halten hat wie andere Institutionen und
Gruppen. An den Schulen muss gerade bei solchen sen-
siblen Inhalten wie Krieg und Frieden und den Zielen der
deutschen Politik das Prinzip der Pluralität gelten.

Es ist ein Gemeinplatz, dass Krieg in den Köpfen an-
fängt. Und auch wenn man es umdreht, bleibt es richtig:
Auch Frieden fängt in den Köpfen an. Es ist eine der
wichtigsten Aufgaben der Schulen, den Schülerinnen und
Schülern einen Zugang zu diesem Thema anzubieten. Wir
müssen die Schulen ermutigen, mehr Eigeninitiative zu
übernehmen, und müssen sie durch die Bereitstellung der
notwendigen Kapazitäten dabei unterstützen. Dieser An-
trag ist daher gleichzeitig ein Appell an die Landesregie-
rungen. Wer an Bildung spart, spart an der Zukunft.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623031000

Die Bundeswehr alleine kann kein ausgewogenes und

vollständiges Bild der Außen- und Sicherheitspolitik an
Schulen vermitteln. Das steht aus unserer Sicht außer
Frage. Aber die Jugendoffiziere machen trotzdem eine
weitgehend gute Arbeit.

Man kann geteilter Ansicht darüber sein, ob die von
Schulen beziehungsweise Lehrern zu buchenden Bundes-
wehrseminare oder Kasernenbesuche geeignete Instru-
mente sind, um ein besseres Verständnis für die Heraus-
forderungen der Außen- und Sicherheitspolitik bei den
Schülerinnen und Schülern zu fördern. Ich denke, da-
rüber muss man diskutieren. Aber das muss man anders
machen, als es die Linksfraktion mit ihrem Antrag an-
geht. Darüber muss man sachlich und nicht ideologisch
diskutieren.

Wenn Sie mit Jugendoffizieren sprechen, dann bedau-
ern diese oft selbst, dass es keine vergleichbaren Unter-
richtsangebote seitens des Auswärtigen Amtes oder aus
dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gibt. Of-
fensichtlich gibt es hier eine „zivile Lücke“, die wir drin-
gend schließen sollten. Für uns Grüne ist wichtig, dass
Diskussion, unterschiedliche Sichtweisen und eben auch
die Perspektive ziviler Akteure im Zentrum von Unter-
richtsangeboten für Schulen stehen sollten.

Bis dahin sehe ich im Antrag der Linksfraktion einige
richtige Ansätze. Allerdings fällt auf, dass Sie sich an vie-
len Stellen im Antragstext für Pluralität aussprechen, im
Forderungsteil ist in Punkt vier allerdings zu lesen, dass
die Jugendoffiziere von den Schulen de facto abgezogen
werden sollen und die ergänzende Bildungsarbeit aus-
schließlich durch ziviles Personal abzudecken sei. Das
ist zumindest widersprüchlich.

Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen der Links-
fraktion mit Außen- oder Sicherheitspolitik befassen,
geht das offensichtlich nicht ohne ideologische Brille auf
der Nase. Beim ersten Lesen ihres Antrages hatte ich den
Eindruck, dass Sie die Jugendoffiziere der Bundeswehr
mit Politoffizieren oder dem Wehrkundeunterricht in der
ehemaligen DDR verwechselt haben. Sie zeichnen in Ih-
rem Antrag ein plumpes und falsches Bild der Arbeit der
Jugendoffiziere. Sie benutzen das Thema wie so oft, um
platte Parolen zu verbreiten, anstatt zu einer sachlichen
Debatte beizutragen. Das ist schade und überflüssig.

Ich nenne nur zwei Beispiel dafür. Sie behaupten in Ih-
rem Antrag, Ziel der Jugendoffiziere sei „die Legitima-
tion für den auch völkerrechtswidrigen Einsatz der Bun-
deswehr als Instrument der Außenpolitik“. Das ist
Unsinn, und das wissen Sie auch. Aber Sie wiederholen
ja allzu gerne ihr Mantra „Bundeswehr sofort raus aus
Afghanistan“. Und ich wiederhole Ihnen darauf als Ant-
wort: Diese Haltung ist unverantwortlich und falsch.
Aber das wissen Sie eigentlich auch, nur opfern Sie für
Ihre Wahlkampfpolemik ja immer wieder gerne jegliche
Seriosität.

Das zweite Beispiel: Sie kritisieren in Ihrem Antrag,
der Einsatz der Jugendoffiziere diene „zur Verbesserung
der gesellschaftlichen Akzeptanz der Streitkräfte“. Wel-
ches Bild haben Sie eigentlich von der Bundeswehr, der
Armee, die in besonderer demokratischer Tradition un-
sere Parlamentsarmee ist? Als Demokraten müssen wir
ein besonderes Interesse daran haben, dass die Bundes-
wehr tief in der Gesellschaft verankert ist, mit ihr in ei-
nem engen Austausch steht und, ja, eben auch gesell-
schaftliche Akzeptanz genießt. Ihr Bild von der
Bundeswehr hingegen ist abenteuerlich und nicht zu
rechtfertigen, und dies schon gar nicht angesichts der
guten Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten in unse-
rem Auftrag, im Auftrag des Parlaments machen.

So zeigt sich klar, dass es nicht Ihre Motivation ist, mit
diesem Antrag eine sachliche Debatte anzustoßen, son-
dern es Ihnen darum geht, Ihre Polemik und Ihre Ideolo-
gie zu verbreiten. Dafür erhalten Sie von uns keine Un-
terstützung. Daher lehnen wir diesen Antrag ab.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623031100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungs-

ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13664, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/13060 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheit-
lich angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung

Stadtentwicklungsbericht 2008

– Drucksachen 16/13130, 16/13665 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Günther (Plauen)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1623031200

Es ist gut, dass wir uns im Deutschen Bundestag am

Ende dieser für die Kommunen erfolgreichen Legislatur-
periode noch einmal mit deren Entwicklung auseinan-
dersetzen.

Der Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung
spiegelt die Standortbestimmung und die unterschiedli-
che Entwicklung deutscher Städte und Regionen wider.
Wir erleben regional differenziert gleichzeitig Wachstum
und Schrumpfung. Auch die gesellschaftlichen Unter-
schiede auf lokaler und regionaler Ebene nehmen deut-
lich zu.

Die Herausforderungen, vor denen die Stadtentwick-
lung steht, sind riesig:

Erstens. Der demografische Wandel – er hat vor
30 Jahren eingesetzt – und Wanderungsbewegungen in-
nerhalb Deutschlands von Ost nach West und von Nord
nach Süd machen die zentralen Herausforderungen
sichtbar.

Zweitens. Fast die Hälfte der Wohnungen in den grö-
ßeren Städten wird nur von einer Person bewohnt.


(A) (C)



(B) (D)


Peter Götz
Drittens. Ein alten- und familiengerechter Umbau so-
wohl der kleinen, der mittleren als auch der großen
Städte ist genauso wichtig wie die wohnortnahe Versor-
gung und die Mobilität aller Bevölkerungsgruppen –
jung und alt, arm und reich.

Viertens. Ein attraktives Wohnumfeld für die Men-
schen, in dem sie gerne leben, wird durch zunehmende
Globalisierung wichtiger denn je. Sozialer Zusammen-
halt und positive Nachbarschaftsbeziehungen entwickeln
sich in einem lebenswerten Wohnquartier besser als in
einem Problemgebiet. Deshalb muss der notwendige
Stadtumbau auch bei rückläufigen Bevölkerungszahlen
städtische Strukturen lebensfähig halten und die Lebens-
qualität sichern. Dies gilt übrigens auch für den ländli-
chen Raum.

Fünftens. Wir brauchen auch in Zukunft geeignete
städtebauliche Programme wie die klassische Städte-
bauförderung, Stadtumbauprogramme oder das Pro-
gramm „Soziale Stadt“. Noch besser ist ein frühzeitiges
Einschreiten beim Entstehen von Problemgebieten. Dazu
gehört auch die Betrachtung der mittleren und kleinen
Städte im ländlichen Raum.

Sechstens. Die Integration der Menschen mit Migra-
tionshintergrund wird für unser Land zunehmend zu ei-
ner Schlüsselaufgabe. Eine integrierte Stadtentwick-
lungspolitik muss sich darauf einstellen. Es gilt, um nur
ein Beispiel zu nennen, die Integrationskraft von Kinder-
gärten und Schulen zu nutzen und Zuwandererfamilien
früh die deutsche Sprache zu vermitteln. Wenn wir wis-
sen, dass in vielen Städten in Deutschland der Anteil der
dort lebenden Menschen mit Migrationshintergrund bei
über 40 Prozent liegt und zunehmend Tendenzen zur eth-
nischen und sozialen Segregation sichtbar sind, wird
sehr schnell deutlich, wo welche Anstrengungen erwartet
werden.

Siebtens. Eine aktive Bürgerschaft, die frühzeitige
Einbindung von Grundstückseigentümern in den Stadt-
entwicklungsprozess und ein gutes Miteinander der han-
delnden Akteure – Planer, Architekten, Investoren und
Kommune – sind ein bewährtes Erfolgsrezept für eine
gute Stadtentwicklung, das es auszubauen gilt.

Achtens. Die zu erwartenden Auswirkungen und Fol-
gen des Klimawandels erfordern bereits heute Anpas-
sungskonzepte und Umsetzungsmaßnahmen, die auf den
Weg gebracht werden müssen. Energieeffizienz, neue
Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien und die
Ertüchtigung des Gebäudebestandes gehören genauso
zur Zukunftsplanung einer Stadt wie die Suche nach Frei-
räumen, Grünanlagen und Parks, um der Erwärmung in
der Stadt entgegenzusteuern.

Neuntens. Bei allen Entscheidungen sind die Belange
des Denkmalschutzes, der Baukultur und architektoni-
sche Aspekte zu beachten.

Zehntens. Wir müssen verstärkt unsere Anstrengungen
auf die Innenbereiche der Städte lenken; es gibt über
63 000 Hektar Brachflächen. Die weltweite Finanz-
markt- und Wirtschaftskrise lässt befürchten, dass inner-
städtische Brachen und nicht mehr genutzte Gewerbe-
und Industrieflächen eher zunehmen. Die Wiederverwen-
Zu Protokoll
dung bereits genutzter Flächen muss daher Vorrang vor
neuer Flächeninanspruchnahme haben. CDU und CSU
setzen auf Anreize anstatt auf neue finanzielle Belastun-
gen.

Der Stadtentwicklungsbericht erstreckt sich über ei-
nen Zeitraum von vier Jahren. Wir erwarten von der Bun-
desregierung, dass der Deutsche Bundestag auch in Zu-
kunft regelmäßig über die Chancen und Probleme der
Städte und Metropolenregionen unterrichtet wird. Es
geht uns dabei neben der europäischen und nationalen
Dimension auch um die mittleren und kleinen Städte im
ländlichen Raum.

Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung, dass
sie mit dazu beiträgt, dass die finanzielle Leistungskraft
der Kommunen in einer sichtbar schwieriger werdenden
Zeit gewährleistet bleibt. Nur starke Städte und Gemein-
den sind in der Lage, die Zukunftsaufgaben zu meistern.
Das in diesem Jahr aufgelegte milliardenschwere
Konjunkturpaket II ist ein wichtiger Beitrag, damit die
Kommunen gestärkt mit neuer, besserer Infrastruktur aus
der Krise gehen.

Nach der Billigung des EU-Reformvertrages von Lis-
sabon durch das Bundesverfassungsgericht in dieser Wo-
che sind die Voraussetzungen geschaffen, dass die Kom-
munen in die europäische Subsidiaritätskontrolle
einbezogen werden. Der Vertrag ist ein Schutzschild ge-
gen die wiederholten Versuche der Europäischen Kom-
mission und des EuGH, die Handlungs- und Gestaltungs-
freiheit der Kommunen einzuschränken. Jetzt muss es
darum gehen, auf europäischer Ebene Subsidiarität
durchzusetzen. Was die Städte, Gemeinden und Kreise ei-
genverantwortlich erledigen können, muss nicht von Eu-
ropa geregelt werden.

Die uns vom Bundesverfassungsgericht aufgegebene
stärkere Parlamentsbeteiligung wird unsere parlamenta-
rische Verantwortung auf diesem Gebiet erhöhen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zukunftsfähig-
keit Deutschlands eng mit der Entwicklung unserer
Städte verbunden ist. Selbstverwaltete Kommunen sind
ein wichtiger Bezugs- und Ankerpunkt unserer Gesell-
schaft.

Unsere Städte befinden sich regional, national und
global zunehmend im Wettbewerb um Wirtschaftsansied-
lungen, um Wissenschaft und Kultur, um Arbeitsplätze
und um die besten Köpfe. Deshalb stehen wir als Bundes-
politiker auch gegenüber den Städten, Gemeinden und
Kreisen in der Verantwortung. Ich setze darauf, dass
auch in der nächsten Legislaturperiode eine CDU/CSU-
geführte Bundesregierung mit Angela Merkel als Bun-
deskanzlerin an der Spitze dieser Verantwortung gerecht
wird.


Petra Weis (SPD):
Rede ID: ID1623031300

Mit dem Stadtentwicklungsbericht 2008 hat die Bun-

desregierung nicht nur eine exzellente Bestandsauf-
nahme der Entwicklung unserer Städte und Regionen im
Kontext vielfältiger Herausforderungen vorgelegt, son-
dern auch den Rahmen für die zukünftigen Aufgaben der
Stadtentwicklungspolitik in der kommenden Legislatur-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Petra Weis
periode – und selbstverständlich darüber hinaus – abge-
steckt. Gleichzeitig gibt uns der Bericht am Ende dieser
Wahlperiode die Gelegenheit zu einer Bilanz der Stadt-
entwicklungspolitik der Großen Koalition. Anstelle einer
ausführlichen Würdigung, die das Werk zweifellos ver-
dient hätte, müssen angesichts der knappen Zeit ein paar
wenige Schlaglichter genügen.

Die vorgelegte Bilanz kann sich sehen lassen, ohne
Wenn und Aber. Die Stadtentwicklung hat sich in den
letzten vier Jahren nicht nur als ein nationales Politikfeld
profiliert, sondern im Zuge der deutschen EU-Ratspräsi-
dentschaft und der Verabschiedung der „Leipzig-Charta
zur nachhaltigen Stadtentwicklung“ auch als ein euro-
päisches, ja als ein Politikfeld mit internationaler Di-
mension. Die Politik der Bundesregierung hat – mit aus-
drücklicher Unterstützung der Regierungsfraktionen –
auf die Herausforderungen des demografischen Wandels,
der Klimaveränderung, der Integration von Menschen
mit Migrationshintergrund und der Förderung des sozia-
len Zusammenhaltens in unseren Städten mit überzeu-
genden Konzepten geantwortet. Die Verstetigung der Pro-
gramme zur Städtebauförderung, ihre programmatische
Ausrichtung auf die nachhaltige Stadtentwicklung – un-
ter ausdrücklicher Einbeziehung des Themas Wohnen in
der Stadt – und der Beginn der Initiative Nationale Stadt-
entwicklungspolitik waren und sind geeignet, effektive
Problemlösungen anzubieten. Sie stellen darüber hinaus
auch sicher, dass die Auseinandersetzung mit den He-
rausforderungen und Chancen zukünftiger Stadtentwick-
lung eine gesellschaftliche Daueraufgabe ist und – was
mir an dieser Stelle besonders wichtig zu betonen ist – in
aller Öffentlichkeit und mit einer breiten Öffentlichkeit
diskutiert werden wird. Dieser öffentliche Diskurs hat es
allemal verdient, dass er zukünftig noch ein bisschen in-
tensiver und vernehmbarer geführt wird, nicht um seiner
selbst willen, sondern mit Blick auf eine höhere Akzep-
tanz bei den Adressatinnen und Adressaten unserer Poli-
tik.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass über die Ziele der
Stadtentwicklung weitgehender Konsens herrscht. Es
geht um die Sicherung des sozialen Zusammenhalts in
unseren Städten, der durch das Programm „Soziale
Stadt“ seit nunmehr zehn Jahren einen besonderen
Impuls erhält, es geht um die Anpassung der Stadtstruk-
turen an eine schrumpfende Bevölkerung und an
wirtschaftsstrukturelle Veränderungen, für die die Pro-
gramme zum Stadtumbau stehen, und es geht um den
Klimaschutz in unseren Städten, für den das CO2-Gebäu-
desanierungsprogramm nur ein Markenzeichen ist, je-
denfalls das im Augenblick populärste.

Die Frage nach der künftigen Schwerpunktsetzung
der Stadtentwicklungspolitik beantwortet sich vor dem
Hintergrund der vorgelegten Bilanz beinahe von selbst.
So sehr es darum gehen muss, die laufenden Programme,
die sich in der Vergangenheit bewährt haben, auf hohem
Niveau fortzusetzen – ich denke dabei in erster Linie an
die „Soziale Stadt“ und den „Stadtumbau Ost und West“
als die „Klassiker“ – , so sehr wird es nötig sein, neue
Akzentuierungen vorzunehmen und vor allem auf die
neuen Anforderungen in bestimmten Handlungsfeldern
adäquat zu reagieren. So wird der in Gang gesetzte, in
Zu Protokoll
Zukunft noch zu beschleunigende energieeffiziente Um-
bau der Stadtstrukturen ein hohes Maß an qualitätsvollem
Bauen, eine erzeugungs- und verbrauchsnahe, also quar-
tiersbezogene Energieversorgungsinfrastruktur nach dem
Motto „small is beautiful“ nach sich ziehen müssen. So
wird es unumgänglich sein, den ressortübergreifenden
Ansatz des Programms „Soziale Stadt“ auch über die po-
litischen Hierarchieebenen hinweg weiterzuentwickeln
und dabei die Stärkung von Bildung und lokaler Ökono-
mie konsequent zu verfolgen. Und so bedarf nicht zuletzt
das innerstädtische Wohnen mit Blick auf generationen-
gerechte Angebote in Verbindung mit sozial- und umwelt-
verträglicher Mobilität des besonderen Augenmerks in
den nächsten Jahren. Dem Umbau im Bestand kommt da-
bei eine ganz besondere Bedeutung zu. Das dazugehö-
rige KfW-Programm ist in diesem Zusammenhang ein
wichtiger Schritt und ein deutliches Signal. Und so wird
der enorme städtebauliche Investitions- und Förderbe-
darf in den kommenden Jahren nicht außer Acht gelassen
werden dürfen.

Der Stadtentwicklungsbericht zeigt aber vor allem ei-
nes auf: Die anstehenden Probleme und die so überaus
komplexen Herausforderungen in der Stadtentwicklungs-
politik, die weit über das Territorium der Städte und der
sie umgebenden Regionen hinausgehen, verlangen nichts
anderes als integrierte Konzepte und Strategien. Unsere
integrierte Stadtentwicklungspolitik erhebt daher zu
Recht nicht nur den Anspruch – ich zitiere aus dem Stadt-
entwicklungsbericht –, „die Koordinierung zentraler
städtischer Politikfelder in räumlicher, sachlicher und
zeitlicher Hinsicht zu übernehmen und gleichzeitig den
stadtregionalen Kontexten Rechnung zu tragen“, son-
dern sie ist auch ein Vorbild für eine moderne und nach-
haltige Gesellschaftspolitik. Zu einer solchen Politik gibt
es keine ernstzunehmende Alternative, wenn man den
Anforderungen der globalisierten Welt gerecht werden
und sich gleichzeitig in ihr behaupten will. Die Zukunfts-
fähigkeit unserer Gesellschaft ist eng mit der Entwick-
lung unserer Städte verbunden.

Unsere Politik der integrierten und nachhaltigen
Stadtentwicklung steht für eine routinierte und funktions-
fähige Politikverflechtung zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden, die vor allem darauf beruht, dass die Ak-
teure aller Ebenen sich zu einer Kooperations- und Kon-
sensstrategie verpflichtet haben. Diese Kooperation ist
durch den Start der Nationalen Stadtentwicklungspolitik
weiter befördert worden. In Zeiten nachhaltig begrenzter
finanzieller Ressourcen ermutigt sie zu dringend notwen-
digen Synergien und sie fördert die optimale Nutzung der
unterschiedlichen Kompetenzen der unterschiedlichen
Ebenen. Wir wollen auch in Zukunft unsere Verantwor-
tung für die Weiterentwicklung einer modernen, inte-
grierten Programmentwicklung einerseits und für die
Koordinations- und Netzwerkfunktion des Bundes im
Rahmen einer professionellen Arbeitsteilung zwischen
den staatlichen Ebenen übernehmen.

Der Stadtentwicklungsbericht 2008 lässt keinen Zwei-
fel daran, dass unsere Städte – allen Problemen zum
Trotz – Zukunft haben. Ihre zukünftige Entwicklung wird
vor allem davon abhängen, ob es gelingt, die vielschich-
tigen Veränderungen als Chancen zu begreifen und sich



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Petra Weis
den Zukunftsaufgaben beherzt und aktiv zuzuwenden.
Wir sollten immer im Blick haben, dass ziemlich viel auf
dem Spiel steht, je nachdem, ob wir unsere Sache gut
oder schlecht machen: ökonomische und ökologische
Modernisierung, die den Menschen Mut und nicht Angst
macht, die Erweiterung der Lebenschancen und die Ver-
besserung der Lebensqualität für alle Mitglieder der
Stadtgesellschaft und nicht zuletzt die Stärkung der de-
mokratischen Kultur durch Partizipation vor Ort. Es gibt
also viel zu tun. Und es gibt bekanntlich nicht Gutes, au-
ßer man tut es.


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1623031400

Die heutige Beratung über den Stadtentwicklungsbe-

richt der Bundesregierung, kurz vor Ende der regulären
Arbeit dieses 16. Deutschen Bundestages, gibt uns die
Gelegenheit, noch ein letztes Mal auf die Arbeit dieser
Bundesregierung zurückzuschauen.

Die umwälzenden Veränderungen unserer Gesell-
schaft bestehen fort, das macht der vorliegende Bericht
deutlich. Daraus ist der Bundesregierung auch kein Vor-
wurf zu machen. Die Gestaltung des demografischen
Wandels, die Integration von Zuwanderern aus dem In-
und Ausland, die Versöhnung von Mobilität, Umwelt-
und Klimaschutz – das alles sind Aufgaben, die uns auch
in kommenden Legislaturperioden weiter beschäftigen
werden.

Minister Tiefensee gebührt der Dank dafür, dass er
das Thema in seiner Vielfalt und Komplexität politisch
aufgegriffen und den Versuch unternommen hat, die
Stadtentwicklung zu einem tatsächlichen Schwerpunkt
der Politik dieser Bundesregierung zu machen. Leider
muss ich allerdings auch sagen: Es ist bei einem Versuch
geblieben. Über die möglichen Ursachen dieses Schei-
terns will ich mich nicht weiter verbreiten; darüber wer-
den die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktion
sich in unbeobachteten Momenten wahrscheinlich selbst
hinreichend Gedanken gemacht haben.

Tatsache ist jedoch leider, dass von einer integrierten,
nationalen Stadtentwicklung in der Praxis dieser Bun-
desregierung nur wenig zu erkennen war. Abgesehen von
der sehr begrüßenswerten Novellierung des Baugesetz-
buches, die eine deutliche Erleichterung für das Planen
und Bauen in Innenstädten gebracht hat, hat diese
Koalition leider wenig zuwege gebracht. Im Gegenteil,
durch Maßnahmen wie die Einführung der Umweltzonen
und die Schaffung der sogenannten Ladensteuer wurden
Attraktivität und Erreichbarkeit der Städte reduziert.

Das kommunale Investitionsprogramm, das im Rah-
men des Konjunkturpaketes II auf den Weg gebracht
wurde, ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber seine
konjunkturelle Wirkung ist mehr als fraglich. Den Kom-
munen wäre mit einer besseren kontinuierlichen Unter-
stützung auch weitaus besser geholfen als mit einem
einmaligen Krisenfeuerwerk, das viele Städte und Ge-
meinden überdies selbst vor große finanzielle Herausfor-
derungen stellt.

Die sogenannte Strategie für eine Nationale Stadtent-
wicklungspolitik, die vom Bundesministerium mit großen
Zu Protokoll
Konferenzen und klangvollen Reden propagiert wird, hat
dabei nicht geholfen. Kein Wunder, denn was Minister
Tiefensee da seinerzeit vorgelegt hat, ist alles, aber keine
Strategie. Das gesamte Konzept ruht auf zwei Säulen: ei-
ner Projektreihe „Für Stadt und Urbanität“ – wobei, das
nur am Rande, jeder, der den Ostersegen des Papstes
kennt, weiß, dass eine Stadt notwendigerweise urban ist –
und dem Strategieelement „Gute Praxis“. Die Projekt-
reihe ist mit gerade einmal 1,5 Millionen Euro pro Jahr
ausgestattet. Bei dieser Summe erübrigt sich wohl, bei
allem Respekt für die vor Ort erbrachten Leistungen, die
Frage nach der strategischen Wirkung. Und was die
„Gute Praxis“ anbelangt, erlaube ich mir, einfach aus
dem vorliegenden Bericht der Regierung zu zitieren:

Das Strategieelement „Gute Praxis“ konzentriert
sich auf die Fortschreibung der Instrumente und
Förderprogramme, mit denen der Bund die Ent-
wicklung der Städte bisher unterstützt.

Mit anderen Worten: Sie haben alten Wein in einen
neuen Schlauch gekippt. Von einem neuen Ansatz, ge-
schweige denn einer tatsächlichen Strategie, einer inte-
grierten Stadtentwicklung im eigentlichen Sinne des
Wortes, sind wir nach vier Jahren großer Koalition we-
nigstens genauso weit entfernt wie zuvor.

Dabei hat schon die Expertengruppe, die im Auftrag
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung das Memorandum „Auf dem Weg zu einer
Nationalen Stadtentwicklungspolitik“ erarbeitet hat, sei-
nerzeit festgestellt, dass die Förderprogramme des Bun-
des in mehrfacher Hinsicht weiterentwickelt werden
müssten. Es gehe unter anderem um eine Effektivierung
von Bundesfinanzhilfen, also um die Verbesserung der
Ressortkoordination, um Monitoring und Controlling der
Mittelverwendung, heißt es da. Und an anderer Stelle
wird gefordert, dass endlich ein stringenter Problembe-
zug öffentlicher Investitionen hergestellt werden müsse.
An dieser Stelle ist in den vergangenen Jahren nichts pas-
siert – im Gegenteil: Die Programmstruktur zerfasert so-
gar noch weiter, bei nahezu unveränderter Mittelausstat-
tung. Neben den bereits bestehenden Programmen
„Soziale Stadt“, „Stadtumbau Ost“, „Stadtumbau West“
sowie „Städtebaulicher Denkmalschutz in den neuen
Ländern“ gibt es jetzt auch noch das Programm „Aktive
Stadt- und Ortsteilzentren“ mit einem Volumen von
40 Millionen Euro, ein Programm zum Städtebaulichen
Denkmalschutz West, und den sogenannten Investitions-
pakt zur energetischen Sanierung kommunaler Liegen-
schaften.

In vielen Fällen überschneiden sich dabei auch noch
die Aufgabenbeschreibungen der Programme. Vor allem
das Programm „Soziale Stadt“ hat inzwischen seinen
Fokus vollkommen verloren. Neben Rückbaumaßnahmen
sollen mit den insgesamt gerade einmal 90 Millionen
Euro auch Unternehmensgründungen, die Schaffung und
Sicherung der Beschäftigung auf lokaler Ebene, die Ver-
besserung der sozialen Infrastruktur und der Aus- und
Fortbildungsmöglichkeiten, die Integration von Migran-
tinnen und Migranten, die Entlastung der Umwelt, die
Verbesserung der Sicherheit, der ÖPNV, die Verbesse-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
rung des Wohnumfeldes und die Stadtteilkultur gefördert
werden.

Dabei will ich keineswegs in Abrede stellen, dass die
Stadtentwicklungsprogramme auch viel Gutes erreicht
haben. Im Gegenteil, insbesondere das Programm zum
städtebaulichen Denkmalschutz und die Stadtumbaupro-
gramme haben einen wertvollen Beitrag geleistet, um
historische Bausubstanz in ostdeutschen Innenstädten zu
erhalten, den Wohnungsmarkt zu stabilisieren und die
Attraktivität der Städte insgesamt wieder zu erhöhen.
Aber die Zeit hat diese Programme inzwischen eingeholt.
Wir müssen hier dringend andere Akzente setzen und
auch strukturelle Fehler korrigieren. Das wird die Auf-
gabe der kommenden Legislaturperiode sein.

Meine Fraktion hat ihre Vorstellungen hierzu bereits
vor einiger Zeit in einem Antrag skizziert. Ich will es Ih-
nen gerne ersparen, an dieser Stelle noch einmal auf alle
Forderungen im Einzelnen einzugehen. Aber ich will
schon in aller Eindeutigkeit sagen, dass es mit uns kein
einfaches „Weiter so!“ geben wird. Wir wollen die Pro-
grammlandschaft restrukturieren, die Mittelverwendung
besser kontrollieren und politische Maßnahmen besser
koordinieren, wenn sie Bedeutung für die Entwicklung
unserer Städte haben. Das alles hat in den vergangenen
vier Jahren leider gefehlt.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623031500

Der hier zur Debatte stehende Stadtentwicklungsbe-

richt 2008 ist ein umfangreiches Dokument mit knapp
100 Seiten. In der mir zur Verfügung stehenden Zeit
möchte ich mich auf einen besonders wichtigen Aspekt
dieses Berichtes konzentrieren, der in die Zukunft weisen
soll. Ich konzentriere mich auf den Abschnitt 5 „Künftige
Herausforderungen und Aufgaben der Stadtentwick-
lungspolitik“ und dort besonders auf das Themenfeld
„Soziale Stadt“ – Aktivitäten gegen soziale Ungleichheit
in den Städten.

Nach Darstellung des Berichts werde das Programm
„Soziale Stadt“ aufgrund sozialer und sozialräumlicher
Polarisierung auch mittel- bis langfristig unverzichtbar
sein. Auch eine repräsentative Umfrage bei Städten und
Gemeinden aller Größenklassen zum städtebaulichen
Förderbedarf bis 2013 habe die große Bedeutung dieses
Programms belegt, heißt es weiter im Stadtentwicklungs-
bericht 2008. Die Erhebung zeige, dass soziale Gerech-
tigkeit für die Stadtentwicklung ein vorrangiges Thema
ist. Diese Darstellung erweckt den Eindruck, als würde
das Programm „Soziale Stadt“ gewissermaßen Ewig-
keitswert haben und nie zu einem Ende kommen. Natür-
lich wird das Thema soziale Gerechtigkeit immer ein
wichtiges Thema in der Stadtentwicklung sein. Das sieht
auch die Linke so.

Dazu sind aber mindestens zwei Fragen zu stellen:
Zum einen ist zu fragen, wie soziale Gerechtigkeit zu de-
finieren ist und wie sie konkret in den Städten aussieht.
Also, wie sieht eine Stadt aus, in der soziale Gerechtig-
keit herrscht? Woran lässt sich das erkennen und mes-
sen? Und zum anderen ist die Frage zu stellen, warum
die soziale Stadt immer erst danach – gewissermaßen als
Reparatur von Defiziten – verstanden wird und nicht als
Zu Protokoll
gleichsam natürliche Eigenschaft von Städten. Im Fol-
genden möchte ich ein paar wenige Antworten auf die
eingangs gestellten Fragen geben, Anregungen zum Wei-
terdenken im Sinne der Entwicklung – der Entwicklung
von Gedanken und der Entwicklung unserer Städte.

Für die Linke bedeutet soziale Gerechtigkeit vor allem
Chancengleichheit, das Recht auf ein lebenswertes Le-
ben für alle Menschen, auf individuelle Entwicklung in
einer sich entwickelnden Gesellschaft oder, wie es schon
bei Marx und Engels heißt, dass „die freie Entwicklung
eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller
ist“. In die Stadtentwicklung übersetzt bedeutet das vor
allem, dass die Lebenschancen nicht vom Wohnort ab-
hängig sein dürfen.

Das ist die Zielvorstellung. Aber wie sieht die derzei-
tige Wirklichkeit aus? Zu ersehen ist das ziemlich genau
an der Beschreibung der aktuellen Defizite, die das Pro-
gramm „Soziale Stadt“ bekämpfen will. Wie im „Pro-
grammhintergrund“ beschrieben, lassen sich seit den
1990er-Jahren Tendenzen zunehmender Segregation mit
der Folge einer fortschreitenden sozialen und stadträum-
lichen Fragmentierung beobachten. Auslöser waren und
sind wirtschaftliche und politische Restrukturierungs-
prozesse, die – stark verkürzt – mit den Stichworten Glo-
balisierung, Deindustrialisierung, Bedeutungszunahme
von Informationstechnik und wissensbasierten Dienst-
leistungsbranchen sowie Deregulierung umrissen wer-
den können. Zu den Folgen dieses Strukturwandels gehö-
ren verstärkte Spaltungstendenzen der Gesellschaft in
Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt, auf Beschäfti-
gung und Einkommen.

Diese Entwicklungen führten unter anderem zu selek-
tiven Auf- und Abwertungen von Wohngebieten. Die auf
diese Weise entstehenden „Verlierer“-Räume des Struk-
turwandels können sich somit zu Orten sozialer Ausgren-
zung entwickeln, die von gesamtgesellschaftlichen und
gesamtstädtischen Prozessen abgekoppelt sind. Ausgren-
zung entsteht nicht zuletzt durch die unzureichende Inte-
gration von Menschen mit Migrationshintergrund. Ge-
rade ihnen wird oft der gleichberechtigte Zugang zur
Bildung und Ausbildung verwehrt. Und das geschieht,
obwohl wir wissen, dass Integration vor allem durch Bil-
dung erfolgt. Erst wenn sich die schulischen Leistungen
und Abschlüsse statistisch nicht mehr von denen ihrer
„deutschen“ Mitschülerinnen und Mitschüler unter-
scheiden, dürfen Migrationskinder und -jugendliche als
schulisch integriert gelten. Laut offiziellen Unterlagen
leben in Deutschland insgesamt 15 Millionen Menschen
mit einem solchen Migrationshintergrund, in Ballungs-
räumen erreicht ihr Anteil bis zu 40 Prozent der Bevölke-
rung. Diese Gebiete seien vielfach durch eine Mischung
komplexer, miteinander zusammenhängender Probleme
charakterisiert – gleichsam ein ganzes Bündel von Pro-
blemen, wovon jedes einzelne schon ein Hindernis für die
individuelle Entwicklung darstellt.

Zu solchen für die davon betroffenen Menschen mit
erheblichen Auswirkungen auf ihre Lebensqualität ver-
bundenen Problemen gehören zum Beispiel städtebauli-
che und Umweltprobleme wie eine hohe Bebauungs-
dichte sowie Mängel im Wohnumfeld und zu wenige



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Heidrun Bluhm
Grün- und Freiflächen; Probleme im Bereich der infra-
strukturellen Ausstattung in sozialer und technischer
Hinsicht sowie ungenügende Freizeitmöglichkeiten be-
sonders für Kinder und Jugendliche, Probleme im Be-
reich der „lokalen Ökonomie“ wie die quantitative und
qualitative Verschlechterung im Gewerbebereich, darun-
ter Einzelhandel und Dienstleistungen sowie unzurei-
chende Ausbildungs- und Arbeitsplätze vor Ort, sozio-
ökonomische Probleme wie Arbeitslosigkeit und Lang-
zeitarbeitslosigkeit, Abhängigkeit von staatlichen Trans-
ferleistungen, Armut in Verbindung mit niedrigem Bil-
dungsstatus und gesundheitlichen Beeinträchtigungen,
nachbarschaftliche Probleme wie eine Konzentration be-
nachteiligter Haushalte, Fortzug einkommensstärkerer
Haushalte, Fehlen von Zusammengehörigkeitsgefühl,
Spannungen im Zusammenleben verschiedener Bevölke-
rungsgruppen, soziale Konflikte, geringe Einwohner-
initiative, Perspektivlosigkeit, Drogen- und Alkoholmiss-
brauch sowie Vandalismus und Kriminalität. Das alles
zusammen ergibt eine gefährliche Mischung, die durch-
aus wie in Frankreich und Großbritannien geschehen
explodieren und zu sozialen Unruhen führen kann – auch
in Deutschland.

Alles in allem haben die davon betroffenen Städte und
Stadtteile mit einem Negativimage zu kämpfen, das in der
praktischen Konsequenz dazu führen kann, dass sich
Taxifahrer weigern, einen Fahrgast aus einem solchen
„Verliererviertel“ abzuholen oder dorthin zu bringen.
Und diese Bemerkung ist keine böswillige Erfindung,
sondern eine persönliche Erfahrung aus mehreren Kon-
ferenzen zum Thema Stadtumbau in den neuen und den
alten Bundesländern. Aber wo der Taxifahrer nicht mehr
hinfahren möchte, da wurde im übertragenen Sinne eine
Art Mauer errichtet – eine Mauer, die die besseren Berei-
che der Stadt von den schlechteren trennt, die reicheren
von den ärmeren, die, wo es sich gut wohnt und wo man
leben möchte, von denen, wo man zu wohnen gezwungen
ist – die Adresse als soziales Unterscheidungsmerkmal.

Insofern muss man der bisherigen Stadtentwicklungs-
politik durchaus den Vorwurf machen, dass sie sich ge-
zwungen sieht, unerwünschte Entwicklungen zu korrigie-
ren, die sie selbst erst geschaffen oder zumindest
zugelassen hat. Insofern muss man von einer verfehlten
Stadtentwicklungspolitik sprechen, zumal selbst im aktu-
ellen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen auf
Ausschussdrucksache 16(15)1458 vom 1. Juli 2009 zum
Themenfeld „Sozialer Zusammenhalt und Globalisie-
rung“ festgestellt werden muss, dass sich in den Städten
die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffne.
„Diese Tendenz zur räumlichen, ethnischen und sozialen
Segregation wird sich durch die gegenwärtige Finanz-
und Wirtschaftskrise vermutlich noch verstärken.“ Die
Rezepte dagegen wirken allerdings etwas hilflos, wenn es
in dem bereits erwähnten Entschließungsantrag weiter
heißt: „Diesen Prozessen muss aktiv entgegengewirkt
werden, denn Teilhabe, Integration und sozialer Zusam-
menhalt sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar.“

Eine wirklich kluge und vorausschauende Stadtent-
wicklungspolitik dagegen würde ein solches Reparatur-
Programm wie das Programm „Soziale Stadt“ überflüs-
sig machen. Das ist der eigentliche Anspruch künftiger
Zu Protokoll
Stadtentwicklung und vorbeugender Ansätze für Städte
der Zukunft, die schon in ihrer Konstruktion bunt und
vielfältig, sozial und lebenswert sind. Denn in unserem
Kulturkreis werden das gute Wohnen und das Leben in
funktionierenden Städten als ein wesentliches Element
sozialer Gerechtigkeit und als wichtiges Element sozialer
Sicherheit angesehen. Aus Sicht der Linken ist die Stadt
der Zukunft nur als solidarisches Gemeinwesen mit Ent-
wicklungschancen für alle ihre Bewohnerinnen und
Bewohner denkbar. Der Bundesregierung sollte mehr
einfallen, als immer neue Fördermittelprogramme zu er-
finden. Denn auch in diesem Falle gilt: Vorbeugen ist
besser als Heilen.


Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623031600

Ich bedauere es außerordentlich, dass der Stadtent-

wicklungsbericht 2008, wie so viele andere wichtige The-
men aus dem Bau- und Stadtentwicklungsbereich, nicht
mehr im Plenum diskutiert wird, sondern die Reden nur
noch zu Protokoll gegeben werden können. Es ist in die-
sem Zusammenhang besonders misslich, dass der Be-
richt zu so einem späten Zeitpunkt in der Legislatur-
periode fertiggestellt wurde, denn somit wird er wohl
keine Wirkung mehr entfalten können.

Der Stadtentwicklungsbericht ist von einiger Brisanz.
Er weist darauf hin, dass der demografische Wandel sich
weiter verstärken wird. Die Bevölkerung wird nicht nur
älter – und weniger –, besonders der Prozess der
Schrumpfung schreitet weiter voran. Hier muss die Poli-
tik Lösungen entwickeln – und dies nicht nur für den Os-
ten des Landes, denn auch die peripheren Regionen in
den alten Bundesländern werden zunehmend von diesem
Prozess erfasst.

Zwar wurden mit den Programmen „Stadtumbau Ost“
und „Stadtumbau West“ Instrumente geschaffen, die be-
stimmte Schrumpfungsprobleme, zum Beispiel Leerstand
durch den Abriss von überschüssigen Wohnungen, auf-
fangen sollten. Aber dies wird zukünftig nicht mehr aus-
reichen. Vielmehr benötigen wir Lösungen, die mehrere
Politikfelder miteinander verbinden. In Anhörungen und
Zwischenberichten zum Programm „Stadtumbau Ost“
wurde dies immer wieder angesprochen. Insbesondere
der Aufwertung von Stadtquartieren und der Weiterent-
wicklung von Stadtentwicklungsplänen muss mehr Ge-
wicht verschaffen werden. Der demografische Wandel
hat schließlich erst begonnen. Nun gilt es, kreative Ideen
und Lösungen zu finden und diese auch in die Tat umzu-
setzen. Wir haben daher einer Verlängerung des erfolg-
reichen, weil auch lernenden Programms „Stadtumbau
Ost“ bis 2016 ausdrücklich zugestimmt.

Ein großer Erfolg nach zehn Jahren Programmlauf-
zeit ist das Programm „Soziale Stadt“. Hier ist die res-
sortübergreifende Zusammenarbeit in weiten Teilen ge-
lungen. Das mussten auch CDU/CSU und FDP
eingestehen, obwohl sie in der letzten Legislaturperiode
kein gutes Haar an dem Programm gelassen hatten. Aber
die Probleme werden sich auch zukünftig nicht von selbst
erledigen, vielmehr werden sich vermehrt sozial benach-
teiligte Quartiere entwickeln. Deshalb ist das Fortbeste-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
hen und Weiterentwickeln des Programms „Soziale
Stadt“ außerordentlich wichtig.

Die Themen „Klimaschutz“ und „Energieeffizienz“
werden im Stadtentwicklungsbericht ebenfalls aufgegrif-
fen und die bisherigen Energie- und CO2-Einsparungen
lobend hervorgehoben. Die Steigerung der Sanierungs-
quote von 1,6 auf 2,2 Prozent erscheint zwar hoch, aber
sie reicht bei weitem nicht aus, um die von der Bundes-
regierung gesteckten Reduktionsziele bis 2020 zu errei-
chen, zumal daran der Anteil der energetischen Gebäu-
desanierung mit circa 50 Prozent viel zu gering ist. Rein
rechnerisch müsste aber die Quote auf mindestens 3 Pro-
zent pro Jahr gesteigert werden, das heißt, wir müssen
die Anstrengungen verdreifachen.

Hier fehlen weitergehende Vorschläge der Bundes-
regierung. Mit den bestehenden Programmen ist zwar ei-
niges erreicht worden, aber die Bemühungen reichen zur
Steigerung der Energieeffizienz und Reduktion der CO2-
Emissionen nicht aus. Anreize sind das eine, aber es
kommt auch auf die ordnungsgemäße Umsetzung und de-
ren Überprüfung an. Zudem hilft eine Änderung der
EnEV quasi im Jahrestakt wenig, da dadurch Hausbesit-
zer und Häuslebauer eher verwirrt werden. Wir sehen ei-
nen Primärenergieverbrauch von 60 Kilowattstunden
pro Quadratmeter und Jahr als ein realistisches Ziel an,
das in großer Breite erst einmal umgesetzt werden sollte,
bevor man die Akteure mit immer neuen Anforderungen
verunsichert. Darauf sollte man die Anstrengungen der
nächsten Jahre konzentrieren.

Mit der Kompromisslösung 2006 bei der Einführung
des Verbrauchs- und Bedarfsausweises entstand für die
Verbraucher ebenfalls nur Verwirrung. Der Energieaus-
weis hätte ein Instrument werden können, um die Haus-
besitzer oder Mieter transparent und nachvollziehbar
über den Energieverbrauch zu informieren. Zwischen
zwei unterschiedlichen Ausweisen kann es aber keinen
Vergleich geben, die Informationen sind dann relativ
nutzlos. Deshalb setzen wir uns auch weiterhin für den
Bedarfsausweis als alleinigem Standard ein.

Wenn es die Städte schaffen, das städtische Klima
durch Klimaschutzmaßnahmen zu verbessern, dann kön-
nen sie auch in Zukunft noch beliebte Wohnorte sein.
Bund, Länder, Kommunen, Eigentümer und Mieter sind
aufgefordert, ihre Kräfte zu sammeln, um den Energie-
verbrauch zu drosseln und den CO2-Ausstoss zu reduzie-
ren. Die Energieversorgung wird über kurz oder lang –
trotz aller Widerstände – auf erneuerbare Energien um-
gestellt werden. Hier sind zum Beispiel auch die Städte
gefordert, den Einsatz von Solaranlagen mit dem Hin-
weis auf Gestaltungssatzungen nicht zu verbieten. Das ist
leider oftmals traurige Realität.

Die Reduzierung des Flächenverbrauchs ist ebenfalls
ein Thema, welches zwar gerne angesprochen wird, ohne
konkrete Maßnahmen aber nie in die Tat umgesetzt wer-
den kann. Die tägliche Flächeninanspruchnahme ist mit
rund 120 Hektar pro Tag genauso hoch wie noch vor
zehn Jahren. Obwohl an dem Nachhaltigkeitsziel von
30 Hektar pro Tag unverändert festgehalten wird, blei-
ben die Zuständigkeiten bei den Ländern und Kommunen
unverändert. Strategien zur Reduzierung seitens der
Zu Protokoll
Bundesregierung: Fehlanzeige! Schade, denn die negati-
ven Auswirkungen der Landschaftszersiedelungen sind
allen bekannt. Die Länder und Kommunen haben hier
viel zu wenig gemacht; gerade den Kommunen sei deren
zum Teil mangelhafte Kooperationsbereitschaft und die
Notwendigkeit zum interkommunalen Dialog ins Stamm-
buch geschrieben.

Zu guter Letzt kommt mein Lieblingsthema dran: Stadt
und Verkehr. Das Thema wird zwar kurz erwähnt, aber
Ergebnisse oder Lösungsansätze gibt es auch hier nicht
zu verzeichnen. Es ist wirklich ein Armutszeugnis des Mi-
nisteriums, dass es seit der Zusammenlegung der beiden
Ministerien für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
sowie des Verkehrsministeriums im Jahr 1998 keine the-
menübergreifenden Projekte oder Problemlösungen er-
arbeitet hat.

Dabei ist eines der Hauptprobleme unserer Städte der
weiterhin zunehmende Verkehr und die daraus entstehen-
den Belastungen. Hier müssen endlich Modellprojekte
durchgeführt und dann auch in die Tat umgesetzt werden.
Dieses Thema gehört jedenfalls ganz oben auf die Priori-
tätenliste der 17. Legislaturperiode.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Stadtentwick-
lungsbericht durchaus eine gute Übersicht über die ak-
tuellen Entwicklungen in der Stadtentwicklung aufzeigt;
da ist er eine richtige Fleißarbeit. Leider sind dafür die
Programme und geplanten Maßnahmen der Bundes-
regierung unzureichend. Auch sollte der Bericht künftig
zu einem früheren Zeitpunkt innerhalb einer Legislatur-
periode vorgelegt werden, damit es möglich wird, noch
während einer Legislaturperiode bestehende Programme
zu ändern oder anzupassen.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1623031700


Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung
aufgefordert, ihm alle vier Jahre einen Bericht zur Ent-
wicklung unserer Städte vorzulegen. Diesem Auftrag sind
wir nachgekommen und haben nun erstmals mit dem
Stadtentwicklungsbericht 2008 einen ganz aktuellen Sach-
stand zur Lage unserer Städte und Gemeinden vorliegen.

Unter dem Titel „Neue urbane Lebens- und Handlungs-
räume“ haben wir im Stadtentwicklungsbericht 2008
festgestellt, dass deutsche Städte eine gute Ausgangs-
situation haben, aber auch vor neuen, ganz unterschied-
lichen Herausforderungen stehen. Deutsche Städte sind
international vorne. Der Bericht kommt zu der Aussage,
dass die große Zahl der Städte und deren Vielfalt ein
Standortvorteil im internationalen Wettbewerb sind. Die
Vernetzung von Stadt und Land erweist sich als Vorteil,
sowohl hinsichtlich des sozialen Gleichgewichtes als auch
hinsichtlich der Wirtschaftskraft der Städte und Regionen.

Die ganze Stadtregion wird genutzt. Die Menschen
ziehen in ihrem Alltag weite Kreise. Es werden nicht nur
die Angebote der Stadt genutzt, sondern auch im Umland.
Ob zur Arbeit, zum Wohnen, zum Einkaufen oder in der
Freizeit, wir werden immer mobiler.

Der Verbrauch von Flächen für Siedlung und Verkehr
sinkt. Aber natürlich müssen wir auf diesem Weg noch



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)



Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1623031800

viel tun, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Vorrang
muss ganz klar die Innenentwicklung haben, die Wieder-
nutzung von Brachflächen.

Immer mehr Städte schrumpfen. Rund 35 Prozent der
Stadtbewohner, also 21 Millionen Menschen, leben heute
in Städten, die mit Schrumpfungsprozessen konfrontiert
sind. Schrumpfende Städte sind nicht mehr nur in den
neuen Ländern zu finden, auch in den alten Ländern
nimmt die Zahl der Städte, die immer weniger Einwohner
verzeichnen, zu. Diese Entwicklung bedeutet auch, dass
zunehmend Flächen innerhalb der Städte brachfallen.
Rund 1,4 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen
sind ungenutzt. Das ist natürlich gleichzeitig eine
Chance, die wir nutzen müssen.

Stärkung der Innenstädte: Zu beobachten ist ein Trend
zurück in die Stadt. Zunehmend siedeln sich große Ein-
kaufszentren in der Stadt an und nicht mehr nur auf der
„grünen Wiese“. Die Menschen schätzen die Kernstadt
aufgrund der guten Versorgung ohne lange Wege, auf-
grund der Dichte von kulturellen, wirtschaftlichen und
sozialen Angeboten. Das ist die Idee, die wir von der euro-
päischen Stadt haben. Darum geht es uns auch, wenn wir
ganz aktuell in dieser schwierigen konjunkturellen Lage
um die Kaufhäuser in den Innenstädten bangen müssen.
Kaufhäuser machen unsere Innenstädte attraktiv. Brechen
sie weg, ohne dass neue Nutzungen an ihre Stelle treten,
verlieren auch die Stadtzentren an Anziehungskraft. Wir
dürfen nicht zulassen, dass unsere Innenstädte verküm-
mern, dass aus lebendigen Plätzen öde Leerflächen wer-
den. Dem werden wir, gegebenenfalls mit neuen Konzepten
und Initiativen, entgegentreten.

Schließlich werden die Innenstädte auch zum Wohnen
immer attraktiver; auch ein Trend, den wir verstärken
wollen.

Der Stadtentwicklungsbericht legt gleichzeitig
Zukunftsoptionen dar, die den Weg von einer Städtebau-
politik zu einer umfassenden, integrierten Stadtentwick-
lungspolitik beschreiben. Dieser integrierte Ansatz, der
im Stadtentwicklungsbericht als wichtige Strategie
benannt wird und den wir mit der Nationalen Stadtent-
wicklungspolitik umsetzen, lässt sich auch sehr schön auf
Bundesebene verdeutlichen. Auch hier haben schon
immer verschiedene Handlungsfelder der Bundespolitik
die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, also die
Situation „vor Ort“ in Ihren Wahlkreisen, beeinflusst:
die Finanz-, die Wirtschafts-, die Umwelt-, die Sozial-
und die Steuerpolitik ebenso wie das Bau- und das
Planungsrecht oder die Städtebauförderung. Um diese
einzelnen Aktivitäten aufeinander abzustimmen, bedarf
es einer politischen Bündelung der diversen Politiken
und Ressourcen, einer Reflexion ihrer Wirkungen und po-
litischer Festlegungen, wie sich Städte und Stadtregionen
in Deutschland entwickeln sollen.

Wir veranstalten dazu im Rahmen der Nationalen
Stadtentwicklungspolitik nicht nur Ressortrunden, an
denen die Mitarbeiter unserer verschiedenen Häuser
eine integrierte Politik für unsere Städte und Gemeinden
sinnvoll voranbringen, sondern wir sprechen mit unseren
jährlichen Bundeskongressen zur Nationalen Stadtent-
wicklungspolitik auch „öffentliche“ und „private“ Stadt-
interessierte aus ganz unterschiedlichen Bereichen an.
Gerade vor einer Woche sind über 1 200 Teilnehmer unse-
rer Einladung gefolgt und haben mit uns gemeinsam auf
der Zeche Zollverein in Essen über städtische Themen dis-
kutiert.

Dass die integrierte Stadtentwicklungsstrategie richtig
ist, wurde auch im Rahmen der aktuellen Wirtschafts-
und Finanzkrise deutlich. Diese Krise trifft die Städte
und Gemeinden in besonderem Maße. Deshalb war und
ist – auch im Interesse des ganzen Landes – schnelles
Handeln notwendig. Das ist uns gelungen, weil wir die
gute Kooperation in den vielen Gremien der Nationalen
Stadtentwicklungspolitik hatten, weil wir mit voraus-
schauenden Konzepten wie dem Investitionspakt die
„Blaupause“ etwa für dieses große Programm vorliegen
hatten. Nur so konnten wir überhaupt so schnell aktiv
werden. Entstanden sind dann die beiden Konjunkturpro-
gramme.

Deutlich wird damit nicht nur vor dem Hintergrund
der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise: Stadtent-
wicklung muss auch künftig eine Aufgabe sein, der sich
die Kommunen, die Länder und der Bund gemeinsam
stellen und die partnerschaftlich im Rahmen der Natio-
nalen Stadtentwicklungspolitik aktiv vorangebracht
wird. Die Entwicklung der Städte ist nicht nur für die
betroffenen Städte, Regionen und Bundesländer von Be-
deutung, sondern hat bundesweite Ausstrahlung. Denn
unsere Städte sind nicht nur die Motoren für die wirt-
schaftliche Entwicklung. Hier entstehen auch neue Ideen
und Innovationen, die die Entwicklung unserer Gesell-
schaft positiv voranbringen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623031900

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13665, in
Kenntnis des Stadtentwicklungsberichts der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/13130 eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:

a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Trittin, Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Indien-Politik der Bundesregierung

– Drucksachen 16/11485, 16/13312 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reformprozesse in Indien unterstützen

– Drucksache 16/13610 –


(A) (C)



(B) (D)


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1623032000

Vor wenigen Wochen, am 28. Mai 2009, wurden die

letzten der insgesamt 78 Regierungsmitglieder der neuen
indischen Regierung vereidigt. Nach dem unerwartet kla-
ren Sieg der indischen Kongresspartei steht die neue
Regierung unter der Führung von Premierminister
Manmohan Singh damit für politische Kontinuität sowie
für wirtschaftliche und politische Stabilität.

Das Ergebnis der indischen Parlamentswahlen vom
16. April bis 13. Mai 2009 in der größten Demokratie der
Welt ist damit eine hervorragende Voraussetzung dafür,
die enge und intensive Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und Indien auch in Zukunft fortzusetzen. Ich
möchte an dieser Stelle betonen, dass die zwischenstaat-
lichen Beziehungen zwischen Deutschland und Indien
ausgezeichnet sind und nun auch weiter ausgebaut wer-
den können. Indien ist eine stabile Demokratie. Es beste-
hen die besten Voraussetzungen, auf allen Politikfeldern
weiterhin erfolgreich zusammenarbeiten.

Es lohnt sich an dieser Stelle, einen kurzen Blick auf
die Gründe für das klare politische Mandat der Kon-
gresspartei zu werfen; denn es ist Premierminister Singh
als erstem Regierungschef nach Nehru gelungen, nach
Ablauf einer vollen Legislaturperiode im Amt bestätigt zu
werden.

Indien gilt zu Recht als ein Land, das neben China und
Brasilien zu den aufstrebenden Wirtschaftsnationen zählt
und das bis zur aktuellen Finanzkrise starke Wachstums-
raten aufgewiesen hat. Auch 2009 wird Indien trotz des
international schwierigen Umfeldes noch ein Wachstum
zwischen fünf bis sechs Prozent erreichen. Dieser finan-
zielle Spielraum, der sich mit dem Wirtschaftswachstum
ergibt, wurde seit 2004 für umfangreiche Sozialpro-
gramme im ländlichen Raum oder für die Stärkung der
Mittelschicht genutzt. Das hat das Vertrauen in die regie-
renden Parteien gestärkt. Deshalb wurde Premierminis-
ter Singh von den Wählern in seinem Amt bestätigt.

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die
Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die
vielfältigen und intensiven Gebiete der Indien-Politik
Deutschlands ausführlich aufgezeigt. Indien ist neben
China und Japan einer von drei strategischen Partnern
Deutschlands in Asien. Indien ist zugleich ein wichtiger
Stabilitätsanker in Südostasien. Denn in dem von den
Krisen in Pakistan, Sri Lanka und Nepal geprägten Um-
feld kommt Indien als wirtschaftlicher und militärischer
Macht in diesem Raum eine zentrale Rolle zu.

Man darf vor diesem Hintergrund nie vergessen, dass
in dieser Region, die von Terrorismus, offenen Grenzfra-
gen und instabilen Staaten geprägt ist, sich zusammen
mit China und Pakistan drei Länder befinden, die im Be-
sitz von Nuklearwaffen sind. Von Pakistan aus operie-
rende Terrororganisationen versuchen Indien zu destabi-
lisieren und tragen zu einer Verschärfung der politischen
Spannungen beider Nuklearstaaten bei. Die Terror-
anschläge vom November 2008 in Mumbai haben die
Sicherheitslage in Indien und die Spannungen zwischen
Pakistan und Indien allgemein verschärft.

Meine Fraktion hat trotz dieser aktuellen Probleme
die Gewissheit, dass Indien auch in Zukunft weiter an
Zu Protokoll
Bedeutung gewinnen und eine wichtige Rolle bei der Mit-
gestaltung einer multipolaren Weltordnung im 21. Jahr-
hundert spielen wird. Das Fundament für eine noch
intensivere Zusammenarbeit wurde dabei in der Gemein-
samen deutsch-indischen Erklärung vom 23. April 2006
gelegt. Diese Erklärung nimmt eine herausragende Be-
deutung bei der Fortentwicklung der deutsch-indischen
Beziehungen ein. Neben einer engen politischen Abstim-
mung in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Klima-
schutz, Reform der Vereinten Nationen, Afghanistan und
Iran ist in dieser Erklärung zugleich der deutliche Aus-
bau der Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft,
Energie, Wissenschaft und Verteidigung vereinbart. Diese
strategische Partnerschaft hat unsere Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel während ihres Indien-Besuches im
Oktober 2007 bekräftigt.

Wie gut sich die Beziehungen in den letzten Jahren
entwickelt haben, beweist beispielhaft die Ausweitung
des Handelsvolumens zwischen Deutschland und Indien.
So verdreifachte sich der Warenaustausch zwischen 2000
und 2008 auf knapp 14 Milliarden Euro. Die deutschen
Investitionen sind auf mehr als 3 Milliarden Euro gestie-
gen.

Trotz dieser Erfolge gibt es jedoch noch sehr viele He-
rausforderungen, die Deutschland und Indien gemein-
sam angehen wollen. Dazu gehört an erster Stelle die
Verstärkung der Zusammenarbeit im Energiebereich. Es
ist schon heute offensichtlich, dass das ungebremste Be-
völkerungswachstum und der wirtschaftliche Fortschritt
einen großen Druck auf die natürlichen Ressourcen
Indiens ausüben. Die Wachstumsraten Indiens, die in den
kommenden Jahren zu erwarten sind, machen eine si-
chere, ressourcenschonende und bezahlbare Energiever-
sorgung zwingend notwendig.

Denn gerade die schrittweise Anhebung des Lebens-
standards von heute schon über 1 Milliarde Einwohnern
Indiens bedeutet zwangsläufig eine signifikante Steige-
rung des Energiebedarfs. Die Europäische Union hat
deshalb in einem bilateralen Arbeitsprogramm zu Ener-
gie, umweltverträglicher Entwicklung und Klimawandel
unter anderem die Zusammenarbeit in den Bereichen
sauberer Kohletechnologien, Fusionstechnologie, Emis-
sionsvermeidung und erneuerbare Energien vereinbart.
Diese Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energiege-
winnung gehört nach meiner Auffassung zu den zentralen
Aufgaben, die Indiens Weg von einem Schwellenstaat zu
einer Industrienation überhaupt erst möglich machen.

Wir haben als Bundesrepublik Deutschland eine lang-
jährige, gewachsene und tiefe Freundschaft mit Indien.
Deshalb müssen wir die Chance nutzen, in den nächsten
fünf Jahren die neue indische Regierung bei der Lösung
der sozialen, ökonomischen und sicherheitspolitischen
Herausforderungen zu begleiten. Indien hat nämlich ein
enormes Potenzial. Wir wollen dazu beitragen, dass die-
ses Potenzial auch in Zukunft besteht.


Johannes Pflug (SPD):
Rede ID: ID1623032100

Die Beziehungen zu Indien sind für die Bundesregie-

rung von großer Bedeutung. Indien ist einer der drei
strategischen Partner Deutschlands in Asien. In den ver-
gangenen Jahren wurde daher die Zusammenarbeit in al-



gegebene Reden


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Johannes Pflug
len Bereichen intensiviert. Zusätzlich verstärkt wurde die
Kooperation durch den Ausbruch der Wirtschafts- und
Finanzkrise, eine erhöhte Bedrohung durch den interna-
tionalen Terrorismus und die stetig steigenden Belastun-
gen der Umwelt.

Bei den gemeinsamen Bemühungen geht es weder, wie
es in der Großen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zu lesen war, um Besuchsdiplomatie noch um
einen einseitigen Fokus auf wirtschaftliche Zusammen-
arbeit. In den Beziehungen zwischen Indien und Deutsch-
land stehen die strategische Ausrichtung und eine Part-
nerschaft in allen Bereichen im Vordergrund. Diese
strategische Dimension wurde in der „Agenda für die
deutsch-indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert“ im
Jahr 2000 festgehalten.

Die Bemühungen vonseiten der Bundesregierung und
auch der indischen Regierung um einen kontinuierlichen
Ausbau der Beziehungen und der Zusammenarbeit sind
vielfältig. Bestehende Kooperationsabkommen wurden
unter anderem in den Bereichen Umwelt-, Verteidigungs-,
Energie-, Wissens- und Sozial- sowie Wirtschaftspolitik
erweitert. Ich möchte hier gerne noch einmal einige der
neuesten Entwicklungen erwähnen: 2006 wurde ein
deutsch-indisches Energieforum ins Leben gerufen. Im
gleichen Jahr wurde eine Vereinbarung über bilaterale
Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich beschlossen.
Im Jahr 2007 wurde ein Wissenschafts- und Technologie-
zentrum errichtet, und aktuell hat die Bundesregierung
einen Gesetzentwurf zur Vermeidung von Doppelbelas-
tungen in der Sozialversicherung eingereicht.

In jedem der genannten Bereiche werden die Pro-
bleme des Landes von der Bundesregierung berücksich-
tigt. Ich bin mir bewusst, dass auf dem Weg Indiens in
eine stabile und sozial gerechte Demokratie noch viele
Hürden überwunden werden müssen. In Bezug auf die
Sicherheit des Landes verschärften die Anschläge in
Mumbai im November 2008 die religiösen Spannungen
mit dem Nachbarland Pakistan. Um Frieden und Stabili-
tät zu bewahren, ist es wichtig, dass Indien und Pakistan
kooperieren.

Indien kämpft seit jeher mit schwerwiegenden Folgen
der Armut. Es leben derzeit über 400 Millionen absolut
arme Menschen in einem Land, in dem das Arbeitsleben
durch Informalität gekennzeichnet ist. Dies bedeutet kei-
nerlei soziale Sicherung, weder Schutz vor Arbeitslosig-
keit noch eine ausreichende Versorgung im Alter. Das
Bildungssystem ist vor allem in der Grundbildung auf ei-
nem niedrigen Stand, ungefähr ein Viertel aller Männer
und Frauen sind immer noch Analphabeten. Auch das
weiter existierende Kastensystem benachteiligt be-
stimmte Gruppierungen im Land und schließt diese von
der Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung des Lan-
des aus.

Indien wird in seinen Problemen durch die Auswei-
tung der Aktivitäten Deutschlands in der bilateralen Ent-
wicklungszusammenarbeit bereits unterstützt. Wie der
ständig benutzte Komparativ im Antrag unterstreicht,
fordern Bündnis 90/Die Grünen Maßnahmen, die längst
stattfinden. Die Betonung von Menschenrechtsfragen ist
zwar richtig, wird aber der Rolle Indiens in Südasien und
Zu Protokoll
auf dem asiatischen Kontinent in seiner ganzen Komple-
xität nicht gerecht. Aus diesen Gründen lehnen wir als
SPD-Fraktion den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen „Reformprozesse in Indien unterstützen“ ab.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1623032200

Wir debattieren heute über die Antwort der Bundes-

regierung auf die Große Anfrage der Grünen zur Indien-
politik der Bundesregierung sowie über den Antrag der
Grünen „Reformprozesse in Indien unterstützen“.

Zuerst einmal muss ich leider feststellen, dass die
Bundesregierung Indien viel zu spät als wichtigen Part-
ner entdeckt hat. „Ich komme spät“, entschuldigte sich
der Außenminister bei seiner Rede in der Deutschen Bot-
schaft in Indien letzten November. Und er hatte Recht: Drei
lange Jahre war sein letzter Indienbesuch her. Während an-
dere Länder sich unermüdlich um exzellente Beziehungen
mit Indien bemühen, wird es von Deutschland einfach
dezent ignoriert. Das kann und darf nicht sein und wird
der Bedeutung dieser Wachstumsregion nicht gerecht.

Indien ist mit 1,1 Milliarden Einwohnern nicht nur das
zweitbevölkerungsreichste Land, sondern auch die
größte Demokratie der Welt. Und erst jetzt ist es von der
Bundesregierung als einer der drei wichtigsten strategi-
schen Partner in Asien erkannt worden. Indien ist ein
Land größter Unterschiede. Da gibt es einerseits die
hochmoderne Industrie und IT-Branche, die sich auf her-
vorragend ausgebildete und hochmotivierte Mitarbeiter
stützt, und auf der anderen Seite ist die unendliche Armut,
die oft mit elenden Lebensverhältnissen einhergeht. Indien
ist aber auch eine Atommacht und steckt im Dauerstreit
mit Pakistan. Alle diese Bereiche muss die Bundesregierung
im Auge behalten und in ihrer Außenpolitik bedenken.

Mittlerweile stimmen sich Deutschland und Indien im-
merhin politisch ab, und auch auf wirtschaftlicher und
wissenschaftlicher Basis kommt es zu einer Zusammen-
arbeit. Als Mitglied des Unterausschusses Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik möchte ich in diesem Bereich
besonders die Bildungs- und Wissenschaftskooperation
hervorheben. Hier wird sicherlich schon viel geleistet.
Gleichzeitig besteht aber auch genau hier noch unglaub-
liches Potenzial.

Bildung, Wissenschaft und Forschung sind für alle
Länder die Basis einer florierenden, zukunftsgerichteten
und demokratischen Entwicklung. Die Grünen fordern in
ihrem Antrag, Indien vor allem in Umwelt- und Menschen-
rechtsfragen zu unterstützen. Das ist natürlich richtig.
Das Land nur als großes Entwicklungsprojekt zu sehen,
ist jedoch viel zu einseitig. Deutsche Indienpolitik darf
keine reine Entwicklungspolitik, sondern muss Zukunfts-
politik sein.

Dazu gehört noch mehr Austausch von Studenten und
Forschern. Trotz Milliardenbevölkerung machen Inder nur
1,5 Prozent der ausländischen Studenten in Deutschland
aus. Der interkulturelle Dialog muss weiter ausgebaut wer-
den. Und zu einem Dialog gehören immer zwei Seiten. Ei-
nerseits können wir mit unserem Wissen dazu beitragen,
dass die Inder ihr Leben in Freiheit und Verantwortung
führen können, andererseits können wir durch den Dialog



gegebene Reden


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(B) (D)


Harald Leibrecht
auch wichtige Kontakte zu diesem riesigen Land knüpfen.
82 Prozent der deutschen Investoren sehen in Indien
Marktpotenzial. Deutschland hat als wichtige Wirtschafts-
nation viel zu wenig Nachwuchs mit Indien-Kompetenz,
das muss sich dringend ändern. Darum ist jeder Euro,
der in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit In-
dien geht, eine echte Zukunftsinvestition.

Bei den Wirtschaftsbeziehungen gibt es noch ein riesiges
Potenzial. Die Bundeskanzlerin hatte bei ihrem Besuch
im Herbst 2007 ambitionierte Ziele für die bilaterale
Wirtschaftskooperation gesetzt. Ich frage mich: Was ist
aus diesen geworden? – Ich möchte Ihnen ein Beispiel nen-
nen, das den Stand dieser Beziehungen veranschaulicht:
Gehen Sie einmal auf die Internetseite der Deutsch-Indi-
schen Handelskammer in Kalkutta. Sie werden Folgendes
zu lesen bekommen:

Die Deutsch-Indische Handelskammer ist eine der
wichtigste Institutionen, die die deutsch-Indische
Wirtschaftsbeziehungen beförderen.

Eine katastrophale Rechtschreibung und Grammatik so-
wie lieblose Formulierung sind wohl symptomatisch für
die dürftige bilaterale Zusammenarbeit. Die schwarz-
rote Bundesregierung mahnt in letzter Zeit gern an, dass
Worten auch Taten folgen müssen. Nun, das sollte dann
auch für die Große Koalition gelten.

Ich möchte aber auch noch auf zwei weitere kritische
Punkte eingehen, die aus meiner Sicht im Zusammenhang
mit der Antwort auf die Große Anfrage und dem Antrag
der Grünen wichtig sind: Das eine ist die Nuklearpolitik,
das andere sind neue sicherheitspolitische Herausforde-
rungen an der indisch-chinesischen Grenze.

Was die Nuklearpolitik mit Indien betrifft, so schreibt
die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große An-
frage, sie strebe „die weitere Annäherung Indiens an das
internationale Nichtverbreitungsregime an“. Das ist
schlichtweg zynisch. Das Gegenteil ist nämlich der Fall:
Unter deutschem Vorsitz billigte die Nuclear Suppliers
Group letztes Jahr den US-indischen Nukleardeal. Indien
erhält nun die gleichen Rechte wie die Unterzeichner des
Atomwaffensperrvertrages, ohne dafür die gleichen sub-
stanziellen Pflichten auferlegt zu bekommen. So hat die
Politik der Großen Koalition nukleare Doppelstandards
geschaffen. Auch wenn Indien ein strategisch wichtiger
Partner ist, darf man nicht die Glaubwürdigkeit Deutsch-
lands als verantwortungsvoller Nichtkernwaffenstaat
aufs Spiel setzen.

Was die Grenzschwierigkeiten zwischen Indien und
China angeht, so betrachte ich die Entwicklungen mit
Sorge. Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort, sie
gehe „davon aus, dass beide Länder auf eine friedliche
Regelung hinarbeiten“. Ich befürchte, dass die Bundes-
regierung die Lage hier unterschätzt. Denn Anfang Juni
hat Indien angekündigt, „die zukünftige Herausforderung
an die nationale Sicherheit“ zu bewältigen und deswegen
bis zu 30 000 Soldaten an die chinesische Grenze zu ver-
legen. Hier sollten wir wachsam sein und uns für einen
friedlichen Dialog der beiden Atommächte einsetzen.

Gerade im Hinblick auf sicherheitspolitische Heraus-
forderungen wird deutlich: Wir brauchen eine klare und
Zu Protokoll
strategische Indienpolitik – heute mehr denn je. Unsere
Politik gegenüber Indien darf keine reine Entwicklungs-
politik sein. Deutschland darf und muss auch seine eigenen
Interessen formulieren und gerade im Wirtschafts- und
Bildungsbereich die Zusammenarbeit mit Indien viel
stärker ausbauen. Die Wiederwahl der Kongresspartei
schafft dafür beste Voraussetzungen; denn das indische
Volk hat Demokratie und Wirtschaftswachstum noch ein-
mal als den richtigen Weg für sein Land bestätigt.

Jetzt gilt es für uns, die richtigen Entscheidungen zu
treffen, in eine deutsch-indische Zukunftspolitik zu inves-
tieren und somit den deutsch-indischen Beziehungen das
Profil zu geben, das sie verdienen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623032300

Umfassend über Indien in einem Antrag zu sprechen,

muss zwangsläufig ein unvollständiges Bemühen blei-
ben. Nichtsdestotrotz ist es begrüßenswert, dass die
„weltgrößte Demokratie“ stärker ins Blickfeld deutscher
Außenpolitik rücken soll.

Dieses aufstrebende Land, das immer noch eine fest
gefügte Kastenordnung hat, extreme soziale und ökono-
mische Unterschiede aufweist, sowohl Entwicklungsland
als auch ökonomischer Global-Player ist, nimmt eine
wichtige Funktion in der asiatischen Region ein. Es ist
von der globalen Klimaveränderung stark betroffen. Die
ländliche Bevölkerung, insbesondere die bäuerlichen
Strukturen, trägt die Folgen von patentiertem, gentech-
nisch verändertem Saatgut sowie von Missernten. Selbst-
tötungen von verarmten Bauern sind Alltag geworden,
weil sie ihren Pflichten als Familienvorstände nicht mehr
gerecht werden können. Für Frauen gibt es keinen sozial-
politischen Schutz, der informelle Sektor wächst.

Eine rechtliche Besserstellung von religiösen und eth-
nischen Minderheiten steht aus in diesem von Multiethni-
zität geprägten Land. Kinderarmut und Kinderarbeit
sind eine Realität, die allen Kinderrechtskonventionen
und Menschenrechten widerspricht. Sonderwirtschafts-
zonen, die sozialrechtliche und ökologische Standards
sowie steuerrechtliche Verpflichtungen für die Investoren
aushebeln, sind negativer Teil des Wirtschaftswachstums.
Tatsachen sind auch die Nichteinhaltungen des Atomwaf-
fensperrvertrages und der Ausbau der Atomenergie. Sie
werden vom Westen und der Weltgemeinschaft toleriert
und insbesondere vom zivilen Sektor unterstützt. Ebenso
deutlich ist das Bedürfnis Indiens nach mehr fossilen
Energieträgern. Trotz seiner riesigen Potenziale für re-
generative Energiegewinnung und Nutzung im eigenen
Land bleibt dieses bislang wenig genutzt. Das beeinflusst
seine Außenpolitik stark.

Als regionaler Akteur in der Beziehung zu Afghanistan
und Iran, als Staat mit großem muslimischen Bevölke-
rungsanteil erfüllt Indien die Voraussetzungen, für eine
Friedensordnung produktive Beiträge zu leisten. Nicht
erst seit den gerade zurückliegenden Wahlen für das Un-
terhaus, bei denen die linken Parteien einen Rückschlag
erlitten haben, zeigt sich, dass Indien sich von seiner
neutralen Rolle entfernt und eine stärkere Westausrich-
tung anstrebt. Nicht zuletzt in der Hinnahme der atoma-
ren Option durch den Westen zeigt sich, dass Doppelstan-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Monika Knoche
dards angewandt werden. Das steht in einem krassen
Missverhältnis zum Umgang mit dem Nachbarstaat Iran,
gerade in der Atomfrage. Besonders weil der indisch-pa-
kistanische Konflikt anhält, bleibt es skandalös, dass
Kriegswaffenexporte nach Indien an der Tagesordnung
sind. Gerade wenn man diesen Sachverhalt an internatio-
nalen Standards misst, muss die internationale Atomauf-
sicht vollzogen und Indien zum Beitritt in den Atomwaf-
fensperrvertrag bewegt werden. Es kann nicht weiter
geduldet werden, dass die Produktion von waffenfähigem
Spaltmaterial weitergeht. Die internationale Gemein-
schaft macht sich unglaubwürdig, wenn sie in dieser
Frage unterschiedliche Standards anwendet.

Eine positive Seite möchte ich jedoch hervorheben:
Indien ist ein wichtiger Lieferant und Produzent von Me-
dikamenten für die Entwicklungsländer insgesamt. Diese
leiden unter den Patentzwängen der westlichen Pharma-
industrie – Stichwort TRIPS-Abkommen. Ohne die Hilfe
Indiens könnten sie sich ihre – immer noch marginale –
Gesundheitsversorgung gar nicht leisten. Deshalb bleibt
der Antrag hier unvollständig. Denn die EU drängt die
indische Regierung auf drastische Verschärfung ihrer
Patentgesetze, um die Pharmaindustrieinteressen des
Westens zu stützen.

Auch die BRIC-Staaten möchte ich erwähnen. Brasi-
lien, Russland, Indien und China bilden ein Eigenge-
wicht gegenüber den NATO- und G-8-Staaten. Das ist
ausdrücklich zu würdigen. Wichtig ist, bei den Freihan-
delsabkommen die Selbstverwirklichung der Schwellen-
länder nicht zu behindern und sie souverän über ihre
Ökonomien entscheiden zu lassen.

In der letzten Sitzungswoche der 16. Legislatur-
periode kann das Parlament letztlich nichts anderes be-
wirken, als eine verstärkte Aufmerksamkeit für dieses in-
teressante und wichtige Land Indien hervorzurufen,
verbunden mit der Erwartung, dass in der nächsten Le-
gislatur ein umfassender Ansatz von internationaler
Politik, die die Entwicklungs-, Menschenrechts-,
Außenwirtschafts- und Außenpolitik zusammenbindet,
vollzogen wird, wobei die Befassungen des Deutschen
Parlaments mit Indien ein stärkeres Gewicht bekommen
sollten.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623032400

Zunächst eine aktuelle Meldung von heute Morgen,

die mich wirklich sehr erfreut hat. Das Hohe Gericht in
Neu-Dehli hat am heutigen Donnerstag ein seit der Kolo-
nialzeit geltendes Verbot von Homosexualität aufgeho-
ben mit der Begründung, diese Bestimmung sei diskrimi-
nierend und verstoße gegen die Grundrechte. Das ist
zwar überfällig aber nichtsdestoweniger sehr zu begrü-
ßen.

Zwischen dem 16. April und dem 13. Mai 2009 fanden
in Indien Wahlen statt, allein ihre Organisation war eine
Mammutaufgabe: Für über 700 Millionen Wahlberech-
tigte wurden mehr als 800 000 Wahllokale und mehr als
eine Million elektronische Wahlmaschinen aufgestellt. Es
kam zu Zwischenfällen, aber im Großen und Ganzen ver-
liefen die Wahlen ruhig. Am 16. Mai 2009 stand fest, dass
die United Progressive Alliance, UPA, unter der Führung
Zu Protokoll
der Kongresspartei einen überragenden und in seiner
Klarheit auch überraschenden Wahlsieg erreicht hat.
Weder die hindu-nationalistische Bharatiya Janata
Party, BJP, noch die sogenannte Dritte Front unter Füh-
rung der kastenlosen Mayawati konnten punkten. Die mit
diesen Wahlen bestätigte indische Regierung steht jetzt
vor gewaltigen Aufgaben.

Wir haben eine Große Anfrage an die Bundesregie-
rung gestellt, in der wir sie befragen zu ihren Vorstellun-
gen von einer Zusammenarbeit mit Indien und einer Un-
terstützung des Landes bei der Bewältigung drängender
Probleme. Die Antworten haben uns dazu veranlasst, in
diese Debatte zusätzlich einen Antrag einzubringen. Wir
fordern die Bundesregierung damit auf, ihren Kurs ge-
genüber Indien nicht grundsätzlich zu ändern, sich aber
stärker als bisher auf die gemeinsame Lösung der Pro-
bleme zu konzentrieren, die nicht nur Indien und seine
Bevölkerung allein betreffen, sondern globale Auswir-
kungen haben.

Indien ist, ebenso wie die anderen sogenannten BRIC-
Staaten, ein zunehmend einflussreicher und selbstbe-
wusster Akteur in der Weltpolitik. Dieser wachsende
Einfluss bedeutet für Deutschland, für die EU, für die
gesamte internationale Gemeinschaft ein Umdenken,
eine Verabschiedung von überholten weltpolitischen Auf-
teilungen und Schemata. Wir müssen stattdessen die He-
rausforderungen in Angriff nehmen, die unsere Welt
heute und morgen bestimmen. Hervorheben möchte ich
hier die Themen: Klimawandel, Ressourcenkonkurrenz,
globale Ausgrenzung, Aufrüstung und Terrorismus. Nicht
nur bedingen und verstärken sich diese Risiken gegensei-
tig – sie sind auch nicht von einzelnen Ländern allein lös-
bar.

Indien ernst zu nehmen und sich auch für eine ver-
stärkte Rolle Indiens in den internationalen Institutionen
einzusetzen, heißt aber nicht das, was die Bundesregie-
rung mit ihrem Freifahrtschein für den US-Indien-Atom-
deal getan hat. Durch diese verantwortungslose Hand-
lung hat Deutschland den Rüstungswettlauf zwischen
Indien und Pakistan angeheizt und dem internationalen
Nichtverbreitungsregime einen schweren Schlag versetzt.
Indiens beeindruckende Demokratie zu würdigen und zu
unterstützen, heißt auch nicht, einem Vorzug Indiens ge-
genüber Chinas das Wort zu reden, wie es die Unions-
fraktion in ihrer außenpolitischen Strategie getan hat.

Dennoch, es ist richtig, Indien als Partner und globa-
len Akteur stärker in den Blick zu nehmen. Deutschland
muss gerade auch im Umgang mit Indien eine Politik ge-
stalten, die multilateraler, ökonomischer und ökologi-
scher ist als bisher. Lassen Sie mich dies wegen der
notwendigen Kürze nur anhand von Stichworten illus-
trieren:

Deutschland sollte eine Reform des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen befürworten, bei der auch Indien
als kontinentales Land und wachsendes politisches
Schwergewicht vertreten ist. Deutschland muss für einen
globalen „Green New Deal“ streiten und Indien dafür
gewinnen; die Stabilisierung der Finanzmärkte, die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen können nur gelingen im Einklang
mit dem Umbau und der Decarbonisierung der Wirtschaft,



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
dem Schutz der Ökosysteme und der Wasserressourcen
und dem Kampf gegen die globale Armut. Besonders hin-
sichtlich der Verhandlungen zum Klimarahmenprogramm
in Kopenhagen – COP 15 – muss Deutschland spezielle
Anstrengungen unternehmen, um Indien in das internatio-
nale Klimaregime einzubinden. Indien spielt bei der Suche
nach und der Umsetzung von Lösungen für diese globalen
Herausforderungen eine entscheidende Rolle. Es ist Auf-
gabe der Bundesregierung, Indien dafür zu gewinnen,
noch stärker als bisher gemeinsam Verantwortung zu
übernehmen und die internationalen Institutionen zu
stärken.

Indien steht zudem vor großen innenpolitischen Auf-
gaben. Die jetzt bestätigte Regierung hat erkennen las-
sen, dass sie in der Analyse der drängenden Probleme
des Landes weit vorangeschritten ist. Angekündigte Re-
formen müssen jetzt mit Nachdruck umgesetzt werden.
Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, diesen Um-
setzungsprozess zu unterstützen und dabei auch die The-
men stärker in den Fokus zu nehmen, die bisher in der
Zusammenarbeit nicht mit der notwendigen Intensität
bearbeitet wurden – allen voran das Thema Menschen-
rechte.

Indien hat hier ohne Zweifel viel erreicht, und die
Nachricht von heute Morgen zeigt einen weiteren Schritt
vorwärts. Aber nach wie vor gibt es eine gewaltige, ver-
heerende Armut im Land, gibt es weitreichende Ausgren-
zung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer
Religion, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Ge-
schlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Ein-
ordnung in ein Kastenwesen, das zwar offiziell abge-
schafft ist, aber de facto noch immer gravierende
Auswirkungen hat. Die neue indische Regierung muss
jetzt ihre Bevölkerung, aber auch die Weltgemeinschaft
durch Taten überzeugen. Dabei sollte die deutsche Bun-
desregierung ein verlässlicher, kooperativer und strate-
gischer Partner sein, der stärker als bisher die wichtigen
Themen „Menschenrechtsschutz“, „Armutsbekämp-
fung“, „Aufbau von Sozialsystemen“ sowie „Klima“ und
„Energie“ in den Fokus seiner Zusammenarbeit stellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623032500

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13610
mit dem Titel „Reformprozesse in Indien unterstützen“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 32:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung

Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie

– Drucksachen 16/10700, 16/13236 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Matthias Miersch
Zu Protokoll
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1623032600

Der Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhal-

tigkeitsstrategie zeigt deutlich, dass es sich bei der nach-
haltigen Entwicklung um ein Querschnittsthema handelt,
das weit über den Themenschwerpunkt Umwelt hinaus-
geht. Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung beein-
flusst nahezu alle Politikfelder. Dennoch ist der Umwelt-
ausschuss in den zurückliegenden parlamentarischen
Beratungen federführend für die Nachhaltigkeitsstrate-
gie gewesen. Das liegt vor allem daran, dass der Parla-
mentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung zwar
fachlich zuständig ist, aber für das besondere Thema
keine Möglichkeiten hat, die federführende Ausschussbe-
ratung zu übernehmen. Wenn wir dem Thema Nachhal-
tigkeit künftig zu der Bedeutung im Parlament verhelfen
wollen, die es verdient, sollten wir in der kommenden Le-
gislaturperiode den Parlamentarischen Beirat für nach-
haltige Entwicklung parallel zu den Ausschüssen einset-
zen und ihm die Arbeitsmöglichkeiten geben, die eine
nachhaltige Ausrichtung der Politik sicherstellen. Der
Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeits-
strategie enthält im Bereich des Nachhaltigkeitsmanage-
ments Aspekte, die diesen Schritt seitens des Deutschen
Bundestages als logische Schlussfolgerung zu Recht
nahelegen.

Die im Bericht vorgesehenen Maßnahmen zur Ein-
richtung eines Nachhaltigkeitsmanagements, um die
Wirksamkeit der Strategie zu erhöhen, unterstützen wir.
Besonders freut uns, dass die Bundesregierung elemen-
tare Forderungen des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung in den Bericht aufgenommen
hat. Hierzu zählt die Aufnahme der Nachhaltigkeitsprü-
fung in die Gesetzesfolgenabschätzung. Mit dieser Maß-
nahme leistet die Bundesregierung einen bedeutenden
Beitrag, politische Entscheidungen in Deutschland aus
der strukturellen Gegenwartsbezogenheit und der Kurz-
fristigkeit von Legislaturperioden herauszulösen. Der
Horizont in der Gesetzesfolgenabschätzung kann damit
deutlich erweitert werden. Letztlich leisten die Aufnahme
der Nachhaltigkeitsprüfung in die Gesetzesfolgenab-
schätzung und die Berücksichtigung der dabei gewonne-
nen Erkenntnisse im Gesetzgebungsverfahren einen ent-
scheidenden Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit.

Es ist erfreulich, dass die Forderung aus dem Bericht
inzwischen schon Einzug in einen neuen § 44 a der Ge-
meinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien ge-
funden hat. Jetzt wird es aber darauf ankommen, dieses
neue Element im Gesetzgebungsverfahren auch mit Le-
ben zu füllen.

Bei seiner Einsetzung zu Beginn der neuen Legislatur-
periode sollte sichergestellt werden, dass der Parla-
mentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung seine
bisherigen Kompetenzen und Aufgaben, die ihm mit Ein-
setzungsbeschluss der 16. Legislaturperiode zugewiesen
worden sind, beibehält und sinnvollerweise zusätzlich im
Rahmen der Nachhaltigkeitsprüfung im parlamentari-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
schen Gesetzgebungsverfahren eine Art „Wachhundfunk-
tion“ übernimmt, die sicherstellt, dass diese Prüfung
spätestens im parlamentarischen Raum ernst genommen
wird und das Prüfergebnis auch wahrgenommen wird.

Zudem ist es erforderlich, dass innerhalb des Bundesta-
ges ein Verfahrensablauf entwickelt und festgeschrieben
wird, die Nachhaltigkeitsprüfung in das parlamentarische
Gesetzgebungsverfahren zu integrieren. Eine entspre-
chende Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages haben wir in dieser Legislaturperiode nicht
mehr geschafft – dafür reichte nach dem Beschluss des
Bundeskabinetts am 27. Mai 2009 auch einfach nicht
mehr die Zeit. Mittelfristig sollten wir darangehen, die
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages um ein
wirksames Procedere zur Nachhaltigkeitsprüfungsbe-
wertung zu ergänzen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in
Zusammenarbeit mit den Parlamentarischen Geschäfts-
führern der Fraktionen einen Weg finden werden, die
nationale Nachhaltigkeitsstrategie stärker mit den parla-
mentarischen Verfahrensabläufen zu verzahnen und da-
mit zu stärken.

An dieser Stelle möchte ich auf ein weiteres Instru-
ment des Nachhaltigkeitsmanagements eingehen: Ein-
zelne Bundesministerien geben in eigener Verantwortung
Ressortberichte zur nachhaltigen Entwicklung heraus, in
denen unter anderem auch darauf eingegangen wird,
welche Maßnahmen innerhalb des jeweiligen Ministe-
riums ergriffen werden, um das Leitbild nachhaltiger
Entwicklung noch stärker im ministeriellen Arbeitsalltag
zu verankern. Auch wenn mitunter der Eindruck entsteht,
dass hier seitens der Ministerialbürokratie eine Pflicht-
aufgabe absolviert wird, sollte auch künftig an dem In-
strument der Ressortberichte festgehalten werden, um ei-
nen stärkeren Einblick in die nachhaltige Entwicklung
der einzelnen Ministerien zu ermöglichen.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in seiner Be-
schlussempfehlung die Bundesregierung auffordert, die
Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats für nach-
haltige Entwicklung bei der Fortschreibung ihrer Nach-
haltigkeitsstrategie einzubeziehen. Aber auch die beiden
anderen Forderungen der Beschlussempfehlung sind für
die nationale Nachhaltigkeitsstrategie wichtig: Gerade
die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt, wie wichtig es ist, die
Nachhaltigkeitsziele nicht anderen, kurzfristigen Zielen
unterzuordnen, wenn damit langfristig die soziale, ökolo-
gische und ökonomische Entwicklung gefährdet wird. Bei
allen konjunkturbelebenden Maßnahmen müssen wir
auch immer im Auge behalten, welche Auswirkungen
sich daraus für künftige Generationen ergeben.

Wichtig für das Erreichen unserer Nachhaltigkeits-
ziele ist auch, dass die erforderlichen personellen und
finanziellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Das betrifft übrigens nicht nur die Bundesregierung, die
in der Beschlussempfehlung des Umweltausschusses
explizit aufgefordert wird. Das betrifft auch den Deut-
schen Bundestag und die in ihm vertretenen Fraktionen,
wenn es in der 17. Legislaturperiode darum gehen wird,
die nationale Nachhaltigkeitsstrategie noch stärker in
die parlamentarischen Beratungen zu integrieren und im
Zu Protokoll
parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren die Nach-
haltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung zu
bewerten.

Wichtig für die Überprüfung der Wirksamkeit unserer
Nachhaltigkeitsstrategie sind die Indikatoren. Die Indi-
katoren, denen sich der Fortschrittsbericht 2008 aus-
führlich widmet, sind Motor und zugleich Kontrollein-
richtung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Zum
einen geben sie die Zielrichtung und Zielgröße vor. Zum
anderen ermöglichen Sie es, abzulesen, an welchem
Punkt die nationale Nachhaltigkeitsstrategie gerade
steht.

Bei der Betrachtung der im Fortschrittsbericht 2008
dargestellten Indikatoren folgen wir dem Ansatz der Bun-
desregierung, die Indikatoren aus Gründen der langfris-
tigen Vergleichbarkeit weitestgehend aufrechtzuerhalten
und nur dort, wo die Aussagekraft deutlich verbessert
werden kann, anzupassen. Allerdings ist dieses Prinzip
leider nur teilweise im Fortschrittsbericht 2008 zur
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt worden.
Hierauf ist der Parlamentarische Beirat für nachhaltige
Entwicklung in seiner gutachtlichen Stellungnahme aus-
führlich eingegangen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auf einen Indikator
eingehen, der uns sicherlich auch in der kommenden Le-
gislaturperiode intensiv beschäftigen wird: Bei der Flä-
cheninanspruchnahme, also dem Indikator „Anstieg der
Siedlungs- und Verkehrsfläche“, legt der Fortschrittsbe-
richt 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie leider
fast schon eine ganze Hand in die offene Wunde: Mit ak-
tuell rund 120 Hektar pro Tag liegen wir von dem für das
Jahr 2020 angestrebten Ziel 30 Hektar pro Tag so weit
entfernt, dass das Ziel absolut verfehlt werden wird. Das
gibt uns keineswegs das Recht, zu resignieren. Vielmehr
müssen wir trotz oder gerade wegen der schlechten Pro-
gnose die Ärmel hochkrempeln und alles daran setzen,
die Flächeninanspruchnahme in Deutschland zu reduzie-
ren. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, ist in
absehbarer Zeit keine freie Fläche mehr verfügbar. Bund,
Länder und Kommunen sind dazu aufgerufen, im Rah-
men der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gemein-
sam darauf hinzuwirken, dass der Flächenverbrauch in
Deutschland reduziert wird. Dort, wo der Bund über ei-
gene nicht mehr genutzte Liegenschaften verfügt, sollte
er mit gutem Beispiel vorangehen: So sollte er zum Bei-
spiel militärische Konversionsflächen verstärkt einer Re-
naturierung zur Verfügung stellen. Allerdings sollten wir
uns in der kommenden Legislaturperiode auch einmal
näher damit befassen, was eigentlich als „verbrauchte
Fläche“ zu definieren ist. Hier gibt es bislang offenbar
einige Unschärfen in der Definition und insbesondere
eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem „Verbrauch“
von Fläche und ihrer tatsächlichen Versiegelung.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung das Thema
„demografischer Wandel“ als Schwerpunktthema der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie in den Fortschritts-
bericht 2008 aufgenommen hat. Der parlamentarische
Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich in der lau-
fenden Legislaturperiode ebenfalls mehrfach mit diesem
Thema befasst. Dabei sollten aber nicht nur die Pro-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
bleme und Chancen des sozialen Zusammenhalts be-
leuchtet werden. Es geht auch darum, handfeste Fragen
der baulichen und verkehrlichen Infrastruktur zu beant-
worten.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Ent-
wicklung hat vor zwei Jahren gefordert, geplante öffent-
liche Infrastrukturinvestitionen auf ihre künftige Aus-
lastung hin zu prüfen. Nachhaltigkeit bedeutet hier, die
Infrastrukturelemente zu erhalten, von denen wir
prognostizieren können, dass auch künftige Generatio-
nen sie noch benötigen werden. Gleichzeitig müssen wir
uns konsequent von den Infrastrukturelementen trennen,
bei denen prognostiziert werden kann, dass sie weder
heute noch für künftige Generationen zwingend erforder-
lich sein werden, oder deren Erhalt aufgrund geringer
Auslastung mit solch hohen Kosten verbunden sein
würde, dass sie zumutbarerweise niemand mehr bezahlen
kann. Wichtig ist dabei aber, dass Entwicklungen des de-
mografischen Wandels durch Einschnitte in die Infra-
struktur nicht noch beschleunigt werden. Sind erst ein-
mal Kindergarten und Schule in einem Dorf geschlossen,
wird der Ort für Familien mit Kindern unattraktiv. Damit
drohen solche Orte letztendlich auszusterben. Gleiches
gilt für den öffentlichen Personennahverkehr: Nicht jede
Stilllegung einer Buslinie oder einer kleinen Bahnstrecke
muss zwangsläufig ein Gewinn sein.

Der entscheidende Ansatz, den demografischen Wan-
del zu verlangsamen und abzuschwächen, liegt darin, die
Geburtenrate in Deutschland zu erhöhen. Unter der
Überschrift „Perspektiven für Familien“ legt der Fort-
schrittsbericht mit dem Indikator „Ganztagsbetreuung
von Kindern“ seinen Schwerpunkt auf die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Die Bestrebungen, Familie und
Beruf durch die Verbesserung der Kinderbetreuungs-
möglichkeiten besser unter einen Hut zu bekommen, sind
sicherlich ein denkbarer Ansatz. Allerdings reicht es aus
meiner Sicht nicht aus, die Kinderbetreuungsmöglichkei-
ten allein außerhalb des Elternhauses auszubauen – wir
müssen auch denen bessere Perspektiven zur Vereinbar-
keit von Familie und Beruf eröffnen, die für die Kinder-
erziehung einige Zeit im Beruf aussetzen und die Kinder
selber zu Hause betreuen wollen. Solch eine Entschei-
dung sollte künftig nicht mehr dazu führen, dass insbe-
sondere junge Frauen dadurch Karriereeinbußen hin-
nehmen müssen.

Obwohl der Fortschrittsbericht 2008 zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie sehr umfangreich ist und auf
sehr viele Fragen nachhaltiger Entwicklung eingeht,
bleiben einige Aspekte von nachhaltiger Bedeutung den-
noch unberücksichtigt. Das Thema der atomaren Endla-
gerung zum Beispiel wird im Fortschrittsbericht bisher
trotz bestehender dringlicher Notwendigkeit nicht be-
rücksichtigt. Die Wichtigkeit einer sicheren Endlagerung
des hoch-radioaktiven Mülls ist aber für heutige und zu-
künftige Generationen lebenswichtig und fundamental.
Risiken, die unsere Gesellschaft mit der Nutzung der
Kernenergie eingeht, müssen so gut wie möglich mini-
miert werden. Nicht nur dann, wenn ich die Nutzung der
Kernenergie noch für einen Übergangszeitraum akzep-
tiere, muss ich mich diesem Thema übrigens widmen,
sondern die Endlagerproblematik muss relativ unabhän-
Zu Protokoll
gig von einem Ob und Wann eines Kernkraftaussteigs
eben im Interesse künftiger Generationen gelöst werden.

Nachhaltigkeit muss Leitprinzip der deutschen Politik
sein und dort umfassend und konsequent Berücksichti-
gung finden. Die Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Zu-
kunftsstrategie: Wenn Nachhaltigkeit als politische, ge-
sellschaftliche und ökonomische Querschnittsaufgabe
begriffen wird, kann sie zum Innovationsmotor werden.
Wir haben die Möglichkeit, gemeinsam diesen Motor am
Laufen zu halten. Insgesamt befinden wir uns aus meiner
Sicht in Deutschland auf einem guten Weg. Wenn es uns
gelingt, die parlamentarische Begleitung der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie zu verstetigen und die Bewer-
tung der Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgen-
abschätzung im parlamentarischen Gesetzgebungsver-
fahren zu einem starken Instrument aufzubauen, können
wir aus parlamentarischer Sicht diesen Weg noch zügi-
ger und erfolgreicher fortsetzen. Nutzen wir diese große
Chance und gehen wir weiterhin gemeinsam diesen Weg.


Ernst Kranz (SPD):
Rede ID: ID1623032700

Wir haben den Bericht über den Stand der Umsetzung

der Nachhaltigkeitsstrategie in den Ausschüssen behan-
delt. Federführend ist der Umweltausschuss. Wenn wir
uns die Themenbereiche aber genauer anschauen, dann
sind davon fast sämtliche Ressorts betroffen. Das sind:
innere Sicherheit, Justiz, Bildung und Forschung, Fami-
lie, Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft, Arbeit
und Soziales – Beschäftigung –, Wirtschaft, Finanzen,
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Umwelt sowie die in-
ternationale Entwicklungszusammenarbeit. Wenn man
betrachtet, an welche Ausschüsse der Bericht überwiesen
wurde, dann fehlen doch einige Ressorts.

Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung
wird also im Parlament noch nicht gebührlich wahrge-
nommen. So ist es wiederum der Umweltausschuss, der
es uns als Beirat ermöglicht hat, unsere Stellungnahme
zum Fortschrittsbericht 2008 als Entschließung in den
Bundestag einzubringen. Dafür möchte ich mich beim
Umweltausschuss bedanken. Das ist nicht selbstver-
ständlich. Dabei sollte die Nachhaltigkeitsstrategie doch
Grundlage jeglichen politischen Handelns sein. Nur ein
vorausschauendes, zwischen den Interessen ausgewoge-
nes Handeln ermöglicht den jetzigen und künftigen Ge-
nerationen gleichermaßen Chancen für die Gestaltung
ihres Lebens.

Als Sozialdemokrat lege ich Wert darauf, den Interes-
senausgleich und die Chancengleichheit auch innerhalb
der lebenden Generationen herzustellen. Die Finanz-
krise hat gezeigt, dass viele ihre gesellschaftliche Verant-
wortung ausblenden, gerade jene, die das Potenzial dazu
in der Hand haben, jene, die sich selbst finanziell gut ab-
gesichert haben. Nichtverantwortung der Stärkeren geht
zulasten der Schwächeren. Wer würde sich denn bemü-
hen, die Arbeitsplätze zu erhalten, wenn nicht der Staat
mit seinen Steuerzahlern einspringen würde? Wer fängt
jene auf, die ihren Arbeitsplatz inzwischen schon verlo-
ren haben? „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll
zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ So steht
es in Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz. Wie viele Anteilsinha-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ernst Kranz
ber haben mit ihrem persönlichen Vermögen, das sie
über die Jahre aus dem Unternehmen heraus verdienten,
in der Krise der Allgemeinheit gedient? Legt man denn
nicht in guten Jahren etwas zurück für die schlechten
Jahre? Ich meine, nicht nur für sich persönlich. Das ha-
ben diejenigen, die ich damit meine, ja zur Genüge getan.

Um zum Thema zurückzukommen: Nachhaltige Unter-
nehmenspolitik sieht meiner Meinung nach anders aus.
Um die Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit einer
nachhaltigen Politik zu erhöhen, hat der Parlamentari-
sche Beirat für nachhaltige Entwicklung eine Nachhal-
tigkeitsprüfung im Rahmen der Gesetzesfolgenabschät-
zung angeregt. Ich möchte hiermit der Bundesregierung
für die gute Zusammenarbeit an dieser Stelle danken.
Dies zeigt, dass sich mit gutem Willen auch in kurzer Zeit
viel umsetzen lässt. Den genauen Modus, wie wir hier im
Parlament die Nachhaltigkeitsprüfung begleiten werden,
müssen wir noch finden. Doch ist der Beirat sehr kreativ.

Auch in den Ministerien selber ist einiges in Bewe-
gung gekommen. Ich möchte hier die Ressortberichte der
Ministerien nennen, die ihre eigene Klimabilanz ins Vi-
sier genommen haben. So hat beispielsweise das Um-
weltministerium, das hier mit gutem Beispiel vorangehen
muss, im Jahr 2006 das Umweltmanagementsystem nach
EMAS – Eco Management and Audit Scheme nach der
Verordnung (EG) Nr. 761/2001 – eingeführt. So wurde
der Stromverbrauch gesenkt und Ökostrom bestellt. Auch
der Bundestag handelt entsprechend. Dienstreisen sollen
so weit wie möglich durch Videokonferenzen ersetzt wer-
den, notwendige Dienstreisen mit CO2-armen Verkehrs-
mitteln durchgeführt und Klimaschutzprojekte gefördert
werden. Für den Berliner Dienstsitz strebt das Umwelt-
ministerium das „Gütesiegel nachhaltiges Bauen“ an.
Das Gütesiegel hat Bundesminister Tiefensee zusammen
mit der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen
ins Leben gerufen.

Ich freue mich, als Mitglied im Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung sagen zu können, dass gerade
im zugehörigen Bundesministerium, das regelmäßig den
größten Investitionsanteil im Bundeshaushalt einnimmt,
der Nachhaltigkeitsgedanke bei den Entscheidungen im-
mer mehr Einzug hält. Denn Infrastrukturen, seien es
Straßen oder Gebäude, werden langfristig geplant und
gebaut, und sie sind kostenintensiv. Hier muss sehr ge-
nau hingeschaut werden, wofür man das Geld ausgibt.
Denn die Infrastruktur kann nicht mal schnell und güns-
tig umgebaut werden, wenn sich die Anforderungen än-
dern; das geht wieder nur mit viel Zeit und Geld. Dieses
und andere Kritikpunkte hat der Parlamentarische Bei-
rat für nachhaltige Entwicklung in seiner Stellungnahme
angemerkt.

Ich möchte als Mitglied im Ausschuss Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung auf zwei weitere Themenbereiche
eingehen. Erstens: Mobilität. Die Gütertransportintensi-
tät entwickelt sich gegenläufig zum Ziel; die Güterbeför-
derungsleitung ist sogar stärker gestiegen als das Brutto-
inlandsprodukt. Es ist zwar zu begrüßen, dass der
Energieverbrauch je Tonnenkilometer gesunken ist,
doch, so denke ich, wird vorhandenes Potenzial nicht ge-
nutzt. Warum? Das liegt daran, dass in vielen Branchen
Zu Protokoll
Ferntransporte immer noch günstiger sind als die Pro-
duktion vor Ort. Die Spediteure haben große Schwierig-
keiten, die Lkw-Maut an die Auftraggeber weiterzuge-
ben. Es findet sich schließlich immer ein Spediteur, der
den Transport günstiger anbietet. Also macht jeder mit,
damit ihm das Geschäft nicht wegbricht. Zum anderen
bietet das weltweite Lohngefälle derart große Spiel-
räume, dass eine Transportverteuerung die Lohndiffe-
renz nicht ausgleichen kann. Und schließlich profitieren
wir von der günstigen Produktion in anderen Ländern.
Wir müssen also, um die Straßen von Lkw und CO2 zu
entlasten, noch wesentlich mehr dafür tun, dass der
Schienenbeförderungsanteil steigt und insgesamt eine
CO2-Ausstoßminderung in allen Bereichen erreicht wird.

Bei der Personenbeförderung gab es eine positive
Zielentwicklung. Um eine hohe Mobilität auch weiterhin
zu gewährleisten und gleichzeitig die negativen Ver-
kehrswirkungen zu reduzieren, sind komplett neue Kon-
zepte erforderlich, wie zum Beispiel die Stärkung des
Zentrale-Orte-Systems. Das würde bedeuten: kürzere
Wege zum Arbeitsplatz und kürzere Einkaufswege. Das
Potenzial ist allerdings begrenzt, insbesondere im ländli-
chen Raum. So müssen wir uns weiter anstrengen, den
umweltfreundlichen Verkehr zu fördern.

Zweitens: Flächeninanspruchnahme: Es ist kaum je-
mandem zu vermitteln, dass wir jeden Tag netto rund
110 Hektar Fläche mehr versiegeln. Ausgleichsflächen
werden nämlich abgezogen. Die Menschen werden weni-
ger, aber der Flächenverbrauch steigt. Je mehr zer-
schnittene Landschaften, umso weniger wiederum kann
das Ziel erreicht werden, die Artenvielfalt wieder zu er-
höhen. Meines Erachtens liegt ein Schwachpunkt mitun-
ter auch darin, dass als Datengrundlage nur der tatsäch-
liche Flächenverbrauch genommen wird. Dabei weisen
die Kommunen regelmäßig weiteres Bauland aus. Jede
ausgewiesene Fläche ist jederzeit bebaubar. Ich denke,
wir müssen deshalb bei der Baulandausweisung anset-
zen, um dem Flächenverbrauch wirksam begegnen zu
können.

Ich habe hiermit nur einige Bereiche angesprochen.
Es ist allein vom Umfang her gar nicht möglich, auf alle
einzugehen. Ich setze an dieser Stelle sehr auf die Nach-
haltigkeitsprüfung ab der nächsten Legislaturperiode,
um jedes Gesetz auf ihre Langfristwirkung hin überprü-
fen zu können. Und ich plädiere an dieser Stelle auch da-
für, dass diese Aufgabe der Parlamentarische Beirat für
nachhaltige Entwicklung übernimmt, denn Nachhaltig-
keit zieht sich durch alle Ressorts. Jedes Ressort ist ver-
antwortlich, die Nachhaltigkeitsziele für sich selbst zu
verfolgen. Jedes Ressort muss in erster Linie die Verant-
wortung für sich selbst übernehmen. Der Blick bzw. der
Querblick, ob sich Entscheidungen negativ auf die Nach-
haltigkeitsziele anderer Bereiche auswirken, gehört aber
auch dazu. Und hier setzt der Parlamentarische Beirat
für nachhaltige Entwicklung an.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1623032800

Der Fortschrittsbericht zur nationalen Nachhaltig-

keitsstrategie der Bundesregierung, den wir heute debat-
tieren, ist ein wichtiges Instrument, um einerseits nach-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
haltiges Handeln in der politischen Diskussion zu
verankern. Zugleich hilft er, aufgrund messbarer und
belegbarer Daten überprüfen zu können, in welche Rich-
tung sich die von der Bundesregierung festgelegten
Nachhaltigkeitsindikatoren entwickelt haben.

Die Nachhaltigkeitsstrategie soll einen Leitfaden für
eine möglichst parteiübergreifende Perspektive für die
Zukunft unseres Landes bieten. Sie erteilt dem Denken in
Wahlperioden eine Absage und gibt über den Wechsel der
Regierungen hinaus Orientierung. Der Parlamentarische
Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich intensiv mit
diesem Fortschrittsbericht auseinandergesetzt. Wir ha-
ben im Vorfeld der Berichterstellung am Konsultations-
prozess teilgenommen und im Nachgang eine gutachterli-
che Stellungnahme abgegeben.

Um unsere heutigen Entscheidungen noch mehr an
den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten,
ist es allerdings auch wichtig, dass bereits in das Gesetz-
gebungsverfahren ein standardisiertes Prüfverfahren in-
tegriert wird, das Antworten auf die Frage nach den
langfristigen Folgen der heute getroffenen Entscheidun-
gen gibt. Ich freue mich daher sehr, dass die Bundesre-
gierung auf Anregung des Parlamentarischen Beirats in
der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministe-
rien eine Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgen-
abschätzung eingeführt hat. Diese muss nun mit Leben
gefüllt werden, und es muss gewährleistet werden, dass
die Ergebnisse dieser Prüfung aussagekräftig sind.

Deshalb muss es auch eine Aufgabe des Deutschen
Bundestages sein, ein Auge darauf zu halten, dass die
Nachhaltigkeitsprüfung in Struktur und Inhalt korrekt ist
und dass die Ergebnisse der Prüfung nicht wirkungslos
verhallen. Wir müssen dafür sorgen, dass im Parlament
Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, die
Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschätzung
zu kontrollieren und zu warnen, wenn die langfristigen
Folgen von Entscheidungen vor tagespolitischen Erwä-
gungen in den Hintergrund treten.

Ich würde mich freuen, wenn dem Parlamentarischen
Beirat für nachhaltige Entwicklung diese Aufgabe über-
tragen würde; denn er ist ein Gremium, das weniger von
parteipolitischen Interessen als vielmehr von einem lang-
fristigen, über Legislaturperioden hinaus denkenden Ver-
ständnis geleitet wird. Dazu trägt bei, dass Kolleginnen
und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Fachausschüssen
Mitglied sind und versucht wird, Beschlüsse vornehmlich
im Konsens zu fassen. Dabei tritt der Parlamentarische
Beirat nicht als Überausschuss auf. Vielmehr soll er eine
warnende Stimme sein, wenn bei Entscheidungen aufgrund
tagespolitischer Interessenlagen die Belange zukünftiger
Generationen allzu sehr ins Hintertreffen geraten.

Die Nachhaltigkeitsprüfung soll dazu dienen, Trans-
parenz zu schaffen und die Folgen unserer heutigen Ent-
scheidungen für kommende Generationen aufzuzeigen,
in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht.
Insbesondere hinsichtlich der finanziellen Belastungen
zukünftiger Generationen dürfen wir jedoch nicht nur auf
die Staatsschulden schauen, sondern auch auf die Lasten,
die Zahlungsverpflichtungen wie zum Beispiel Renten- und
Krankenversicherung mit sich bringen. Auf der anderen
Zu Protokoll
Seite gibt es auch Leistungen, die wir für zukünftige Ge-
nerationen erbringen, etwa Investitionen in Bildung und
Infrastruktur.

Um diese Zahlungs- und Leistungsströme transparent
zu machen, fordern wir Liberale, offizielle Generationenbi-
lanzen einzuführen, auch für die Nachhaltigkeitsprüfung.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei der Nachhaltig-
keitsdebatte in erster Linie um die Chancen kommender
Generationen geht. Es wäre schade, wenn wir dieses Instru-
ment, welches die Belastungen künftiger Generationen
klar verständlich in Form einer Bilanz ausweist, in dem
Verfahren der Nachhaltigkeitsprüfung außen vor lassen
würden.


Lutz Heilmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623032900

Als Abgeordneter der Linksfraktion im Parlamentari-

schen Beirat für nachhaltige Entwicklung freue ich mich
über die Aufmerksamkeit, die dem Fortschrittsbericht
2008 mit dieser Debatte zuteil wird, damit die deutsche
Nachhaltigkeitsstrategie im politischen Alltagsgeschäft
verankert wird.

Als Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Ent-
wicklung haben wir mit unseren bisherigen Stellungnah-
men dazu beigetragen, die Nachhaltigkeitsstrategie posi-
tiv weiterzuentwickeln, auch wenn diese noch erhebliche
Schwächen aufweist! Jetzt kommt es vonseiten der Bun-
desregierung darauf an, ihre Verbindlichkeit zu stärken.
Die Einführung der verbindlichen Nachhaltigkeitsprü-
fung im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung, bei der
nachhaltigkeitsrelevante Gesetzentwürfe auf ihre Aus-
wirkungen auf die Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrate-
gie hin geprüft werden müssen, kann einen Beitrag
hierzu leisten.

Mit der Einführung der Nachhaltigkeitsprüfung greift
die Bundesregierung eine zentrale Forderung des Beirats
auf. Trotz der oftmals mühsamen konsensualen Arbeits-
weise entschädigt uns dieser Erfolg für viele unserer Mü-
hen. Dabei sollte man keine falschen Erwartungen an die
Nachhaltigkeitsprüfung stellen, da diese eine nicht nach-
haltige Politik nicht verhindern wird. Aber zumindest
kann sie dazu beitragen, die politische Kultur der Minis-
terialverwaltung transparenter zu gestalten.

Dieses Ziel wird auch durch die Nachhaltigkeitsbe-
richte der Ministerien unterstützt, die in ihrer jetzigen
Form zwar noch verbesserungsfähig sind, nichtsdesto-
trotz jedoch ein notwendiger Bestandteil einer transpa-
renten Ministerialverwaltung sind. Ohne den entspre-
chenden kontinuierlichen politischen Willen, der sich
auch in diesen Nachhaltigkeitsberichten der Ministerien
ausdrückt, wird sich allerdings nichts an der heutigen
kritikscheuen und intransparenten politischen Kultur än-
dern.

Indem der Parlamentarische Beirat diesen politischen
Willen einfordert, kann auch er zu dem möglichen Erfolg
der Nachhaltigkeitsprüfung beitragen. Dabei darf man
jedoch nicht vergessen, dass schon die jetzigen Aufgaben
des Beirats bei den wenigen zur Verfügung stehenden
Ressourcen viel Arbeitskraft verzehren. Selbst wenn der
Beirat die parlamentarische Kontrolle der Nachhaltig-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Lutz Heilmann
keitsprüfung als Aufgabe übernimmt, kann er dies auf-
grund seiner Kapazitäten realistisch nur in einigen aus-
gewählten Fällen tun und nicht strukturell bei allen
nachhaltigkeitsrelevanten Gesetzentwürfen.

Mit dem vorliegenden Fortschrittsbericht 2008 hat die
Bundesregierung die Konzeption der deutschen Nachhal-
tigkeitsstrategie insgesamt positiv weiterentwickelt, vor
allem im Bereich des Nachhaltigkeitsmanagements. Dies
führt zu verbesserten Steuerungsmöglichkeiten des Nach-
haltigkeitsprozesses, die jedoch ohne ein diesen Möglich-
keiten entsprechendes sozialökologisches Verständnis
wirkungslos verpuffen. Deswegen will ich zuerst näher
auf dieses „Nachhaltigkeits“-Verständnis der Bundes-
regierung eingehen:

Der Fortschrittsbericht 2008 der Bundesregierung
betont zwar stärker als bisher, dass die Erhaltung der Le-
bensgrundlagen Ausgangspunkt und Basis für das Kon-
zept von Nachhaltigkeit, für wirtschaftliches Handeln
und die Sicherung des sozialen Wohlstands sein muss,
weist jedoch ebenfalls darauf hin, dass „ob Wachstum
nachhaltig ist […] angesichts des Klimawandels oft nur
im Hinblick auf die Verbesserung der Umweltsituation
bewertet“ wird (S. 23). Dabei ist es der Kardinalfehler
der heutigen politischen Kultur, Wirtschaftswachstum
zum Maß allen politischen Handelns zu machen und öko-
logische soziale Kosten dieser neoliberalen Entwicklung
zu ignorieren, die zur derzeitigen Finanz- und Wirt-
schaftskrise geführt hat. Frei nach Albert Einstein sage
ich Ihnen: „Probleme kann man niemals mit derselben
Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind!“ Ein
visionärer Nachhaltigkeitsbegriff sollte die Grenzen der
ökologischen Belastbarkeit des Planeten und eine Re-
naissance der sozialen Gerechtigkeit zur Grundlage al-
len politischen Handelns machen. Eine zukunftsfähige
Entwicklung würde den Menschen in den Mittelpunkt der
Kultur unseres Wirtschaftens stellen.

Wenn die Bundesregierung zumindest ihr stark redu-
ziertes Nachhaltigkeitsverständnis zur Leitlinie ihrer Re-
gierungspolitik machen würde, wäre das ja schon ein
Schritt in die richtige Richtung. Der Fortschrittsbericht
entlarvt aber ein weiteres Mal die doppelzüngige Rheto-
rik zwischen Anspruch und Wirklichkeit ihres Handelns.
Das beste Beispiel hierfür ist das Umweltgesetzbuch,
dessen Scheitern veranschaulicht, welchen Stellenwert
Umweltschutz für die zur Kanzlerin aufgestiegene ehe-
malige Umweltministerin gegenüber parteipolitischen
Interessen hat.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Gleichstellungs-
politik der Bundesregierung, seinem Wesen nach ein
fundamentales Gerechtigkeitsthema. Die tatsächliche
Durchsetzung der Gleichstellung zu fördern wird als
staatlicher Auftrag durch Art. 2 Abs. 3 Grundgesetz fest-
geschrieben. Zentrale Aufgabe dabei ist der Abbau der
Lohndiskriminierung von Frauen. Aber von dem im Fort-
schrittsbericht 2008 bekräftigten Ziel, den Verdienstab-
stand bis 2010 auf 15 Prozent und bis 2015 auf 10 Pro-
zent zu reduzieren, ist die Bundesregierung meilenweit
entfernt. Konkrete Maßnahmen zum Erreichen dieses
Ziels werden im Fortschrittsbericht jedoch nicht ge-
nannt. Selbst die EU-Kommission regt eine Verschärfung
Zu Protokoll
gesetzlicher Bestimmungen an, „die darauf abzielen,
diskriminierende geschlechtsbezogene Elemente im Ent-
geltsystem zu beseitigen“. Demgemäß muss sich die Bun-
desergierung ihrer gesetzgeberischen Verantwortung
bewusst werden. Maßnahmen, die diesem Ziel dienen,
wären die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns,
da der Anteil der Frauen im Niedriglohnsektor 70 Pro-
zent beträgt, die Verbesserung individueller und kollekti-
ver Klagemöglichkeiten, Stichwort Verbandsklagerecht,
und die Verpflichtung der Tarifpartner zur diskriminie-
rungsfreien Entgeltbewertung in Tarifverträgen

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein kurzes Fazit der
Arbeit des Parlamentarischen Beirats anschließen. Trotz
der Erfolge unserer gemeinsamen Arbeit im Beirat bleibt
noch vieles zu tun, um die anstehenden Aufgaben zu be-
wältigen und beispielsweise die Nachhaltigkeitsprüfung
mit Leben zu füllen. Der Beirat ist dazu aufgrund seiner
experimentellen, meist konsensualen Arbeitsweise be-
sonders geeignet, um neue Wege und Potenziale politi-
schen Handelns über Parteigrenzen hinweg auszuloten.
Daher unterstütze ich die Forderung, den Beirat unmit-
telbar zu Beginn der nächsten Wahlperiode einzusetzen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623033000

Als wir von Bündnis 90/Die Grünen vor zehn Jahren

die Nachhaltigkeitsstrategie parlamentarisch angesto-
ßen haben, war uns wichtig, dass die drei Dimensionen
der Nachhaltigkeit – soziale Gerechtigkeit, ökologische
Verträglichkeit und Wirtschaftlichkeit – dynamisch mit-
einander verbunden werden. Wesentliche Voraussetzung
für diesen Ansatz ist ein dynamisches Denk- und Ent-
wicklungskonzept zur Nachhaltigkeit. Häufig wird aber
dabei noch immer ein Element vergessen: die Teilhabe
der Bevölkerung an den Diskussionen und Prozessen.

Der öffentliche Konsultationsprozess ist ein maßgebli-
cher Baustein der Nachhaltigkeitsstrategie. Deshalb hat
es mich sehr gefreut, zu erfahren, dass nun auch das In-
nenministerium einen solchen Konsultationsprozess zum
Bürgerportalgesetz durchgeführt hat und diesen unein-
geschränkt positiv beurteilt. Wir Grüne streiten dafür,
eine solche Beteiligung der Bürger, schon in der Entste-
hungsphase von Gesetzen, vermehrt zu nutzen. Wir sind
davon überzeugt: Echte Bürgerbeteiligung – nicht nur
bei der Gesetzesentstehung – hilft gegen Politikverdros-
senheit.

In der Entwicklungsperspektive der Nachhaltigkeits-
strategie muss das Nachhaltigkeitsmanagement noch
weiter gestärkt werden. Die Vorlage von Berichten aller
Ressorts über ihre Anstrengungen im Bereich Nachhal-
tigkeit beim Staatssekretärsausschuss für nachhaltige
Entwicklung ist nur ein erster Schritt. Die Ernsthaftig-
keit, mit der dieses wichtige Instrument wahrgenommen
wird, lässt sich bei einigen Ressorts noch dramatisch
steigern. Die Qualität der Berichte variiert doch erheb-
lich.

Wenn wir aber Nachhaltigkeit als Querschnittsauf-
gabe ernst nehmen, reicht es nicht, nur einige Projekte zu
initiieren und vorzustellen. Es gehört die gesamte Breite
möglicher Anstrengungen betrachtet! So bedarf es auch
Anstrengungen im eigenen Haus: Welche Effizienzge-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl
winne und Ressourceneinsparungen sollen in den Minis-
terien erreicht werden?

Ein Beispiel ist der Papierverbrauch. Das BMU hat es
geschafft, innerhalb von vier Jahren die Kosten für Pa-
pierbeschaffung fast zu halbieren. Nun werden jährlich
30 000 Euro allein bei der Papierbeschaffung einge-
spart. Würde diese Einsparung auf alle Ministerien
hochgerechnet, kommen wir auf ein Potenzial von über
einer halben Million Euro. Das ist nur die finanzielle
Seite. Dazu kommen noch Einsparungen in der CO2- und
Wasserbilanz. Hier zeigt sich, wie sehr Ökonomie und
Ökologie zusammenpassen.

Ebenfalls gehört zur ministeriellen Nachhaltigkeit die
Frage, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
bessert wird und wie es in den Ministerien um die Gleich-
berechtigung bestellt ist. Der Indikator im Fortschritts-
bericht „Unterschied zwischen den durchschnittlichen
Brutto-Stundenverdiensten der Frauen und der Männer“
zeigt die Defizite. Hier hat sich übrigens seit 1995 nichts
geändert: Frauen verdienen noch immer 20 Prozent we-
niger als Männer. Dem Ziel, bis 2020 diesen Unterschied
zu halbieren, sind wir nicht näher gekommen.

Auch in anderen Bereichen der Strategie haben wir
Stillstand. Schon am Fortschrittsbericht 2008 der Bun-
desregierung zeigt sich, dass Deutschland in zentralen
Handlungsfeldern mitnichten auf einem nachhaltigen
Weg in die Zukunft ist. Bei Energie- und Rohstoffproduk-
tivität, Verkehr, Luftreinhaltung, Flächenverbrauch, bio-
logischer Vielfalt, Bildung und Gestaltung des demogra-
fischen Wandels sind die Ziele ohne gravierendes
Umsteuern nicht mehr erreichbar. So stellt der Rat für
Nachhaltige Entwicklung, RNE, der Bundesregierung ein
schlechtes Zeugnis aus: Für wichtige Zielbereiche über-
wiegen derzeit eindeutig die nicht nachhaltigen Trends,
und die Nachhaltigkeitsstrategie kommt der Erreichung
ihrer Ziele quantitativ und qualitativ nicht ausreichend
näher.

Die Gründe hierfür sind vielfältig: Für manche Hand-
lungsfelder, zum Beispiel bei der Gestaltung des demo-
grafischen Wandels, gibt es noch keine Strategie. In der
Landwirtschaft werden mit der Streichung des Zieljahres
für den ökologischen Landbau die politischen Ziele ohne
Voraussicht geändert. Beim Klimaschutz widerspricht
das politische Tagesgeschäft den Strategiezielen so fun-
damental, dass nur ein Scheitern möglich ist. Besonders
augenfällig wird dies, wenn die in der Strategie festge-
legten Ziele einfach aufgegeben werden.

Sinn macht aber eine Strategie nur, wenn bei absehba-
rer Nichterreichung der Ziele die Maßnahmen hinter-
fragt und neue politische Initiativen gestartet werden, um
zumindest die richtige Richtung einzuschlagen. Die Strei-
chung von Zielen ist ein hilfloser Vertuschungsversuch,
ein Wegrennen vor den Problemen. Dies ist keine nach-
haltige Politik.

Im Fortschrittsbericht wird deutlich, dass die Ent-
wicklungen weiter hinter dem dringend Notwendigen zu-
rückbleiben. Für die Zukunft muss nachhaltige Entwick-
lung aber in alle Sektoren der Bundespolitik reichen. Nur
wenn Nachhaltigkeit auch in den Ressorts in jede Abtei-
lung hinein als gemeinsame Zukunftsaufgabe angenom-
men wird, kann die Strategie ein Erfolg werden. Mehr
Grün könnte helfen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623033100

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13236, in
Kenntnis der genannten Unterrichtung auf Drucksache
16/10700 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheit-
lich angenommen.

Tagesordnungspunkt 33:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

Effiziente und ökologische Energie- und Wert-
holzproduktion in Agroforstsystemen ermögli-
chen – Ökologische Vorteilswirkungen von
Agroforstsystemen erforschen

– Drucksachen 16/8409, 16/12516 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Gerhard Botz
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm


Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU):
Rede ID: ID1623033200

Die Mehrheit der Deutschen wohnt und arbeitet in

ländlichen Regionen. Ländliche Räume sollten gerade
jungen Menschen und Familien Perspektiven bieten. Als
Standort für die Land- und Ernährungswirtschaft ist der
ländliche Raum der Garant für die sichere und hochwer-
tige Versorgung der Verbraucher mit Lebensmitteln und
nachwachsenden Rohstoffen sowie für den Erhalt unse-
rer vielgestaltigen Kultur- und Erholungslandschaft. Die
Union hat sich immer für die Förderung der ländlichen
Räume und im Besonderen für den Ausbau der Wert-
schöpfungspotenziale im ländlichen Raum starkgemacht.
Der Produktion von Biomasse ist in den letzen Jahren in
diesem Zusammenhang eine besondere Stellung zuge-
kommen.

Bei all der Euphorie um diesen neuen Strang der land-
wirtschaftlichen Produktion: Die Lebensmittelproduk-
tion und die Erzeugung von Biomasse zur energetischen
Nutzung unterliegen immer einem Konkurrenzverhältnis.
In den zurückliegenden Jahren hat das BMELV mit ver-
schiedenen Aktionsprogrammen wie „Energie für mor-
gen – Chancen für ländliche Räume“ oder dem Nationa-
len Biomasseaktionsplan sowie mit der Einführung des
ersten Zertifizierungssystems für nachhaltig erzeugte


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Heinrich Jordan
Biomasse Meilensteine für die Erforschung der Biomasse-
potenziale gesetzt.

Die Erzeugung von Energie aus Biomasse expandiert
derzeit in Deutschland und in vielen anderen Regionen
der Welt mit großer Geschwindigkeit. Das starke Wachs-
tum hat im Wesentlichen zwei Ursachen: zum einen die
hohen Preise für fossile Energieträger und zum anderen
die Politik im Zusammenhang mit dem Klimaschutz.
Ohne diese Förderung hätte sich die Bioenergie auf
landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland kaum aus-
dehnen können, sondern würde sich – wie seit Jahrzehn-
ten schon – im Wesentlichen auf die Nutzung von Holz
beschränken. Das ist unter anderem ein Verdienst dieser
Bundesregierung.

Die kräftige Förderung hat in Deutschland dazu ge-
führt, dass die Biomasseproduktion auf Agrarflächen aus
der Nische herausgetreten ist. Inzwischen werden auf
mehr als 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche
nachwachsende Rohstoffe angebaut. Diese Bundesregie-
rung hat für die Zukunft weitere ehrgeizige Expansions-
ziele formuliert.

Grundsätzlich ist die Ergänzung der fossilen mit rege-
nerativen Energieträgern absolut begrüßenswert. Stei-
gende Preise für fossile Energieträger werden dazu füh-
ren, dass sich die Weltwirtschaft entsprechend umstellt.
Im Bereich der fossilen Energieträger werden die abneh-
menden vorhandenen Reserven und Ressourcen bei
Erdöl weiter für eine Preissteigerung sorgen. Bei Erdgas
und vor allem bei Steinkohle sind jedoch noch wesentlich
länger nutzbare Potenziale vorhanden. In der Summe al-
ler fossilen Energieträger beträgt die Reichweite der La-
gerstätten noch mehrere hundert Jahresverbräuche. Da
aber die Nutzung der fossilen Energieträger die weitaus
wichtigste Quelle der Treibhausgasemissionen darstellt,
wäre es aus klimapolitischer Sicht nicht wünschenswert,
die noch vorhandenen fossilen Energieträger weitgehend
oder gar vollständig zu nutzen.

Der schrittweise Umbau der Energieversorgung auf
regenerative Energien ist grundsätzlich erweiterbar. Die
Herausforderung besteht darin, sich einen nachhaltigen
Zugang zu dieser Energie zu erschließen. Es ist zu erwar-
ten, dass innerhalb der regenerativen Energien langfris-
tig die Solarenergie, die Windenergie und möglicher-
weise auch die Geothermie eine wachsende Rolle
erlangen werden.

Die Potenziale auch der Bioenergie im Hinblick auf
die deutsche und globale Energieversorgung sollten
nicht unterschätzt werden. Derzeit liefert die Bioenergie
weltweit circa 10 Prozent des Primärenergieverbrauchs.
In Deutschland liegt der Anteil bei circa 3 Prozent, wo-
von rund zwei Drittel auf die Wärmeerzeugung aus Holz
entfallen. Um den Anteil der Bioenergie an der weltwei-
ten Energieversorgung von 10 auf 20 Prozent aufzusto-
cken, müssten bei einem durchschnittlichen Ertrag von
3 Tonnen Kraftstoffäquivalent pro Hektar circa 500 Mil-
lionen Hektar Ackerfläche zusätzlich für diesen Zweck
nutzbar gemacht werden. Das wäre eine immense He-
rausforderung, denn die gesamte Ackerfläche der Welt
umfasst derzeit nur circa 1,5 Milliarden Hektar.
Zu Protokoll
Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die kaufkräf-
tige Nachfrage nach Nahrungsmitteln gestiegen ist und
in den kommenden Jahren weiterhin steigen wird, insbe-
sondere nach Nahrungsmitteln tierischer Herkunft. Wenn
der Verbrauch an Futter- und Nahrungsmitteln stärker
steigt als der durchschnittliche Flächenertrag, werden
sich die Agrarpreise selbst dann erhöhen, wenn keine zu-
sätzlichen Nachfrageimpulse aus dem Bioenergiebereich
kommen. Dieser Preisanstieg führt zu einem zusätzlichen
Einsatz von Ackerflächen für die Nahrungsmittelproduk-
tion, sodass sich das weltweit verfügbare Flächenpoten-
zial für die Bioenergie dann entsprechend verringern
würde. Insofern haben Potenzialabschätzungen immer
nur eine begrenzte Aussagekraft.

Aufgrund der Fragen, die sich aus dieser neuen Nut-
zungsform der landwirtschaftlichen Flächen ergeben,
hat die Bundesregierung bereits 2005 mehrere For-
schungsprojekte initiiert. Zudem wurden mit den Verän-
derungen in der Ressortforschung des BMELV die Vo-
raussetzungen für eine kontinuierliche wissenschaftlich
fundierte Beratungs- und Begleitforschung geschaffen.

Der vorliegende Antrag stellt eine ganze Reihe von in-
teressanten Zusammenhängen dar. Das Ziel von CDU/
CSU bleibt es aber, das bestehende und bewährte Bundes-
waldgesetz im Rahmen eines Artikelgesetzes zu ändern.
Nur in wenigen Punkten besteht der Bedarf für Klarstel-
lungen. Diese müssen jedoch aufeinander abgestimmt
sein. Näheres sollte dann in den Landeswaldgesetzen gere-
gelt werden. Hinzu kommt, dass die Erforschung der ener-
getischen Potenziale von Agroforstsystemen, losgelöst
von deren Verankerung im Bundeswaldgesetz, schon jetzt
durch die Ressortforschung und durch die Förderung von
Forschungsprojekten wirkungsvoll betrieben wird.

Insgesamt ist unter Gewichtung der im Antrag der
FDP geforderten Aufgaben festzustellen, dass die Bun-
desregierung schon jetzt eine Vielzahl von Maßnahmen
auf den Weg gebracht hat, die eine umfassende Berück-
sichtigung der Forschungsinhalte und der Förderung
von Agroforstsystemen beinhaltet. Mit den notwendigen
Änderungen zum Bundeswaldgesetz sind die Klarstellun-
gen der Begrifflichkeiten zu Agroforstsystemen und die
Einordnung zum Bundeswaldgesetz auf den Weg ge-
bracht. Hieraus leitet sich ab, dass seitens der CDU/
CSU-Fraktion der vorliegende Antrag abgelehnt wird.


Dr. Gerhard Botz (SPD):
Rede ID: ID1623033300

Es stimmt mich traurig – so muss ich leider begin-

nen –, es stimmt mich mehr als traurig, liebe Kollegen
von der FDP, wenn ich Ihren Antrag lese und immer noch
sehen muss, dass Sie Kurzumtriebsplantagen, KUP, und
Agroforstsysteme, ohne mit der Wimper zu zucken, in ei-
nem inhaltlich geschlossenem Zusammenhang bringen.
Nach all den Berichten, Anhörungen, Ausschussreisen
und Debatten schmerzt es mich fast, wenn Sie die wun-
derbaren Vorteile der Agroforstsysteme von Ökologie,
Ökonomie bis Erosionsschutz aufzählen und mit dem
Beispiel einer 10 000 Hektar großen schwedischen Kurz-
umtriebsplantage belegen möchten. Dann weiß ich, Sie
haben es immer noch nicht verstanden. Agroforstsysteme
in ihren vielfältigen Ausprägungen, sei es als Streuobst,



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Botz
als Strauchobst, als Wert- oder Edelholzüberbauung, als
Energieholz- und Windschutzstreifen, bieten bessere Bo-
dendurchlüftung, Erosionsschutz, tragen zur Humusbil-
dung bei, fördern den Arten- und Strukturreichtum, wir-
ken sich positiv aufs Kleinklima aus, halten das Wasser in
der Landschaft, können positive Symbiosen zwischen
Nutzpflanzen erschließen – kurz: bringen zusätzliche
ökonomische Erträge bei verbesserter Ökologie.

Dies wird im Übrigen seit mehreren Jahren, nicht nur
außerhalb von Deutschland, erforscht, wie Sie, meine
Damen und Herren von der FDP, meinen. Auf den Inter-
netseiten der Freiburger Universität können sie gerne die
Forschungsberichte der letzten Jahre zum Thema Agro-
forst nachlesen – ein Projekt, dass im Übrigen vom Bun-
desministerium für Bildung- und Forschung gefördert
wird, nicht vom BMELV. Aber auch im Bereich des Bun-
desministeriums für Landwirtschaft hat sich hier einiges
getan. So wurden sinnvollerweise im Bereich des von-
Thünen-Instituts explizit Stellen für die Erforschung von
Agroforstsystemen geschaffen. Sagen Sie nicht, es wird
nichts getan in diesem Forschungsbereich, aber wenn Sie
meinen, dass hier immer noch nicht genug getan wird,
denke ich, ja, wir könnten noch dringend weitere For-
schungsprojekte und vor allem auch Pilotprojekte in die-
sem Bereich der Feldforschung gebrauchen. Gerade die
Langzeitwirkungen und die verschiedensten Ausprä-
gungsformen von Agroforsten in den unterschiedlichen
Regionen sowie eine Aufarbeitung von historischen For-
men und Wissen zu diesem Thema könnten verloren ge-
glaubtes Wissen wieder zutage bringen und unsere
Kenntnisse in diesem Bereich erweitern.

Agroforstsysteme erbringen auf dem Feld nicht nur
die Ernte einer Fruchtart oder einer Fruchtfolge, son-
dern erweitern den Feldfruchtanbau durch Gehölze auf
der ansonsten agrarisch genutzten Fläche. Kurzum-
triebsplantagen sind Agrarflächen mit reinem Nutz- oder
Energieholzbestand. Bitte, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der FDP, tun Sie sich und uns den Gefal-
len, und werfen Sie diese beiden Nutzungsformen nie
wieder in eine ökologische oder ökonomische „Schub-
lade“. Die KUP sind natürlich keine Bereicherung für
die biologische Vielfalt. Wenn Sie die eine oder andere
Fachtagung hierzu besucht hätten, ja – auch hier wird
bereits entgegen Ihren Behauptungen geforscht – dann
wüssten Sie das. Die Kurzumtriebsplantagen sind
schlicht Monokulturen, meistens nichtheimische, schnell-
wachsende Baumhybriden – ausgezeichnet für die Holz-,
Holzschnitzelgewinnung. Sie sind naturschutzfachlich,
artenfachlich und ökologisch sehr fragwürdig, aber für
die alternative und vor allem regenerative Energiegewin-
nung in Zeiten des Klimawandels eine echte Alternative.
Vielleicht sollten Sie sich doch die Zeit nehmen, werte
Kollegen von der FDP, und in der kommenden Legislatur
auch entgegen Ihrer persönlichen Auffassung ab und an
mal mit Umwelt- und Naturschutzverbänden kommuni-
zieren.

Wir wissen auch alle, dass die Bundeswaldgesetzesno-
velle lediglich an einem Punkt und an falsch verstande-
nem Lobbyismus gescheitert ist. Doch in den heutigen
Zeiten, wo Klimawandel und damit unabsehbare Auswir-
kungen auch auf den Wald zukommen, müssen wir ganz-
Zu Protokoll
heitlich an die anstehenden Fragen herangehen. Wir
müssen nicht nur Sorge tragen für die verschiedenen
Nutzungsmöglichkeiten, sondern den Wald auch für die
kommenden Generationen pflegen und bewahren. Dies
ist ebenfalls unsere Verantwortung als Parlamentarier.

Es gibt in der Geschichte Europas und in der heutigen
Zeit weltweit genügend Beispiele für Raubbau und zer-
störerische Übernutzung der Wälder. Solange es mit dem
derzeitigen Koalitionspartner nicht möglich ist, eine gute
gesetzliche Regelung für den Wald zu finden, sollten hier
keine faulen Kompromisse geschlossen werden. Wir als
SPD-Bundestagsfraktion werden auch in der nächsten
Regierung darauf drängen, ein Bundeswaldgesetz zu for-
mulieren, das der guten fachlichen Praxis den Stellen-
wert einräumt, den sie zwingend braucht. Es bleibt viel
zu tun.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1623033400

Die Bundesregierung hat im Bereich der Stärkung der

Energie- und Wertholzproduktion in Deutschland Chan-
cen vertan. Sie hat es nicht geschafft, sich auf eine Ände-
rung des Bundeswaldgesetzes zu einigen, obwohl die zur
rechtlichen Absicherung des Betriebs von Agroforstsys-
temen notwendige Neudefinition des Begriffes „Wald“ in
Regierungskoalition und Opposition völlig unstrittig ist.
In sechs Landesgesetzen ist bereits eine Abgrenzung von
Agroforstsystemen und Wald erfolgt, doch dies reicht
nicht aus.

CDU, CSU und SPD haben den Land- und Forstwir-
ten versprochen: „Große Koalition gleich große Lösun-
gen.“ Leider wird aber auch hier wieder deutlich, dass
der koalitionsinterne Streit selbst dringend notwendige
Verbesserungen verhindert, die fachlich völlig unstreitig
sind. Die Forstpolitik der Bundesregierung ist eine bit-
tere Enttäuschung für die heimischen Waldbesitzer und
Landwirte. Die Potenziale von Agroforstsystemen und
Kurzumtriebsplantagen für mehr Umwelt- und Klima-
schutz werden von der Bundesregierung leichtfertig ver-
tan.

Für die Regierungskoalition war offensichtlich die
Schaffung von Rechtssicherheit für die in Deutschland
betriebenen Pilotprojekte zum Betrieb von Agroforstsys-
temen nur von nachrangiger Bedeutung, obwohl deren
ökologische Vorteile für die Produktion von Biomasse
völlig unbestritten sind.

Holz ist der wichtigste nachwachsende Rohstoff in
Deutschland. Die potenzielle Vegetation in Deutschland
ist Wald. Jede Nachhaltigkeitsstrategie braucht die roh-
stoffliche und energetische Nutzung von Holz und damit
seine Produktion in Wäldern oder auch Kurzumtriebs-
plantagen.

Wir wollen in der Europäischen Union einen Anteil
von 20 Prozent erneuerbarer Energien am Primär-
energieverbrauch erreichen. Deutschland hat weiterhin
als verbindliches Ziel eine Minderung der Treibhausgas-
emissionen um 40 Prozent festgelegt. Beides sind wich-
tige Ziele im Sinne des Klimaschutzes. Gleichzeitig wird
damit ein erster Schritt auf dem Weg „weg von den fossi-
len Energieträgern“ getan. Aber beim Erreichen dieser



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
Ziele müssen wir darauf achten, dass die Energiepreise
bezahlbar bleiben. Die Kosten für das Energieeinspeise-
gesetz, EEG, werden allein von den Stromkunden ge-
tragen. Gegen die gesetzlich festgelegten Preise für er-
neuerbare Energien können sie sich nicht wehren. Das
bedeutet, dass der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag,
erhebliche Verantwortung dafür trägt, die gesetzlichen
Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die beschlos-
senen Ziele bei möglichst niedrigen Kosten für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher erreicht werden.

Im vergangenen Jahr hatten die erneuerbaren Ener-
gien laut BMU einen Anteil von 7,1 Prozent am gesamten
Primärenergieverbrauch. Vom 20-Prozent-Ziel sind wir
somit noch weit entfernt. Allein für den Strom aus erneu-
erbaren Energien zahlen die Stromkunden an zusätzli-
chen Kosten bereits etwa 4 Milliarden Euro pro Jahr. Das
zeigt, welch große Verantwortung wir haben, die Preise
nicht weiter in die Höhe zu treiben.

Wichtigster Energieträger bei den erneuerbaren Ener-
gien ist die Biomasse. Die energetische Nutzung der Bio-
masse hat in Deutschland einen Anteil an den erneuerba-
ren Energien von knapp 75 Prozent. Die Windräder sind
auffällig, die Biomasse leistet die Arbeit.

Bei der Biomasse ist Holz der wichtigste Energieträ-
ger. Seine Produktion ist wesentlich naturnäher als der
Anbau von Mais, der zweiten für die Biomasseproduktion
wichtigen Kulturpflanze. Auf 2 Millionen Hektar Fläche
wurde im vergangenen Jahr Mais angebaut, davon zwi-
schen 20 und 25 Prozent für die energetische Verwer-
tung. In Landkreisen mit starker Veredelung wird oftmals
Mais auf Mais angebaut, die Einhaltung einer Frucht-
folge ist dort kaum möglich. Dadurch entstehen beson-
dere Probleme mit Schadinsekten. 2006 verursachte der
Maiszünsler zusätzliche Kosten in Höhe von 11 Millionen
Euro. Der Anbau von Bt-Mais wäre eine naturverträgli-
che Lösung. Angesichts der Tatsache, dass in den Rhein-
auen im Sommer zur Bekämpfung von Mücken völlig un-
gezielt mehrere Tonnen des Bt-Wirkstoffs versprüht
werden, ist das politisch verordnete Verbot des Anbaus
von Bt-Mais völlig unverständlich.

Das schon Ende 2007 veröffentlichte Gutachten des
Wissenschaftlichen Beirats beim Ministerium für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz „Nutzung
von Biomasse zur Energiegewinnung – Empfehlungen an
die Politik“ vergleicht die verschiedenen Biomasseträger
und deren unterschiedliche Nutzung. Dabei wird deut-
lich, die höchsten CO2-Vermeidungskosten mit etwa
400 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent fallen bei der Ver-
stromung von Energiemais an, die geringsten bei der
Nutzung von Holzhackschnitzeln aus Kurzumtriebsplan-
tagen in KWK-Anlagen. Die Flächeneffizienz ist bei der
Nutzung von Holzhackschnitzeln oder -pellets doppelt so
hoch wie bei der Verstromung von Energiemais.

Die Ergebnisse des Gutachtens müssen bei der nächs-
ten Novellierung des EEG berücksichtigt werden. Wer
das gesetzte Ziel, 20 Prozent erneuerbare Energien bis
2020, erreichen will, muss konsequent auf naturverträg-
liche und kostengünstige Techniken setzen. Die FDP
steht zum EEG. Dies wurde auf dem FDP-Programmpar-
teitag im Mai nach engagierter Diskussion beschlossen.
Zu Protokoll
Jetzt wollen wir es zu einem wirksamen Instrument aus-
bauen und seine nicht zu übersehenden Nachteile ab-
schaffen.

Kurzumtriebsplantagen als eine Form von Agroforst-
systemen eröffnen in Deutschland gute Chancen zur
CO2-Reduzierung zu vertretbaren Kosten. Dafür muss
vermehrt in die Weiterentwicklung von Anbau- und Ern-
tetechnik investiert, die Züchtung von geeigneten, stand-
ortangepassten Baumsorten vorangetrieben werden. An-
dere Länder sind deutlich weiter.

Agroforstsysteme bzw. Kurzumtriebsplantagen sind
nicht wirklich etwas Neues. In Europa waren sie über
Jahrhunderte ein integraler Bestandteil der Agrarland-
schaft. Beispiele für historische Agroforstsysteme sind
die Knicklandschaft in Schleswig-Holstein, Streuobst-
wiesen, Waldweidewirtschaften, Niederwälder in Berg-
bauregionen und der Korkeichenanbau in Portugal. In
Schleswig-Holstein gibt es derzeit erste Bestrebungen die
historisch geprägte Knicklandschaft für die Energieholz-
gewinnung zu nutzen. Auf dem Gut Rixdorf bei Plön wer-
den in einer 500 Kilowatt-Anlage die jährlich in den rund
80 Kilometer Wallhecken des Betriebs anfallenden
Knickhölzer zu Hackschnitzeln verarbeitet. Zusammen
mit einer 68 ha großen Weiden-Kurzumtriebsplantage
reichen die Erträge für die Wärmegewinnung von
52 Wohneinheiten auf dem Gutshof aus. Außerdem wird
in der Anlage die gesamte Getreideernte des etwa
600 Hektar großen Betriebs getrocknet. Allein durch die
Getreidetrocknung werden auf dem Gut zu Spitzenzeiten
täglich an die 2 000 Liter Heizöl eingespart. Dieses Bei-
spiel ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es sollte
Schule machen! In anderen europäischen Ländern gibt
es eine Vielzahl von Pilotprojekten zur energetischen
Holznutzung. In Deutschland sind es bislang weniger als 20.
Wir hinken deutlich hinterher, auch hinsichtlich der Er-
forschung des ökologischen Nutzens der Agroforstsys-
teme.

Die FDP-Bundestagsfraktion wird in der kommenden
Legislaturperiode mit Nachdruck die Änderung des Bun-
deswaldgesetzes vorantreiben, damit Agroforstsysteme
künftig auch in Deutschland in größerem Umfang ge-
nutzt werden können.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623033500

Die Linke will einen beschleunigten Ausstieg aus der

gefährlichen Atomenergie. Auch die Verstromung von
Kohle muss zum Schutz des Klimas schnellstmöglich be-
endet werden. Dann stellt sich die Frage: Woher soll
denn unsere Energie kommen, wie Versorgungssicherung
aussehen?

Dazu schlägt die Linke einen dezentral erzeugten Mix
erneuerbarer Energien vor. Ein nicht unwesentlicher Teil
davon kann aus einer nachhaltig produzierten, regional
erzeugten und genutzten Biomasse kommen. Dabei muss
diese Energie nicht nur vom Acker aus Mais- oder Raps-
monokulturen stammen. Im Gegenteil, Bäume sind zum
Beispiel eine sehr gute Alternative.

Kurzumtriebsplantagen, kurz KUP, bieten eine Mög-
lichkeit, auf landwirtschaftlichen Flächen innerhalb von



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
drei bis fünf Jahren Holz-Biomasse zur Energiegewin-
nung zu erzeugen. Dabei werden vor allem schnell wach-
sende Baumarten, wie zum Beispiel Pappeln, verwendet.
Eine solche Anlage bietet einige Vorteile: Der Boden
wird nicht so oft gestört, zum Beispiel durch das Pflügen,
wie bei einem Acker. Er ist auch im Winter besser ge-
schützt, da im Gegensatz zu den meisten Äckern die KUP
ja auch zur kalten Jahreszeit mit Pflanzen bedeckt ist.
Dadurch kann die Winderosion, bei welcher wertvoller
Boden verweht würde, verringert werden.

Aber KUP bieten nicht nur Vorteile. Natürlich können
auch hierbei strukturlose Monokulturen entstehen, wel-
che – ähnlich wie beim Mais – Artenarmut und Schäd-
lingsbefall zur Folge haben können. Für die Linke gehört
deshalb zu einer sinnvollen energetischen Nutzung von
KUP ihre harmonische und standortangepasste Einbet-
tung in die Landschaft. Im Hinblick auf die ökologischen
Leistungen von KUP sollten keine großflächigen Mono-
kulturen entstehen.

Die bereits von einem großen Energiekonzern ange-
kündigten 20 000 Hektar KUP sind durchaus zu begrü-
ßen, wenn sie zur Sicherung sozialer und ökologischer
Effekte regional verteilt werden und die erzeugte Bio-
masse regional verarbeitet wird. Ob dies ein großer
Energiekonzern, der vor allem auf zentrale Großkraft-
werke fixiert ist und allein ökonomische Interessen hat,
schafft, kann zumindest bezweifelt werden. Die Linke
wird das deshalb kritisch begleiten.

Doch für uns ist Agroforst mehr als nur KUP. Agro-
forstwirtschaft sind viele Landnutzungsformen, bei wel-
chen Bäume oder Sträucher auf landwirtschaftlicher
Nutzfläche angebaut werden. Räumliche Mischung von
Acker- und Holzkulturen oder verschiedene zeitliche Ab-
folgen können dabei ökologisch und für das Landschafts-
bild sehr sinnvoll kombiniert werden. Das sind im Ver-
gleich zu KUP die ökologisch sogar interessanteren
Anwendungen, vor allem in touristischen Gebieten. Wei-
tere Agroforstsysteme sind zum Beispiel Streuobstwiesen
zur Obstproduktion, Wertholzplantagen auf dem Getrei-
deacker oder Hudewälder zur Weidehaltung.

Trotz all dieser aufgezeigten Vorteile kommt die Agro-
forstwirtschaft in unserem Land und in Europa insgesamt
nicht voran. In Frankreich haben wir uns bei einer Aus-
schussreise interessante Ansätze angesehen, bei denen
aber offen ist, ob sie über das Projektstadium hinaus-
kommen werden. In England sind solche interessanten
Ansätze ins Stocken geraten. Was steht im Wege und ver-
hindert diese ökologisch sinnvollen Überlegungen für
die Energiewirtschaft? Das sind erstens die schwarz-
rosa Koalition, zweitens das nicht novellierte Bundes-
waldgesetz und drittens die in Europa circa 100 Jahre
alte Überzeugung, Land- und Forstwirtschaft müsse im-
mer räumlich getrennt betrieben werden.

Das erste Problem wird sich vielleicht nach der Bun-
destagswahl ändern – ob es besser wird, bleibt abzuwar-
ten.

Zur Lösung des zweiten Problems hat die Linke den
Antrag 16/9075 eingebracht. Darin haben wir die Bun-
desregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Än-
Zu Protokoll
derung des Bundeswaldgesetzes vorzulegen. Unser Ziel
war eine Erleichterung der Anlage von Agroforstsyste-
men durch eine klare Abgrenzung der Begriffe „Agro-
forstsystem“ und „Wald“. Durch diese rechtliche
Klarstellung würde erreicht werden, dass angelegte
Agroforstsysteme nicht als Wald im Sinne des Bundes-
waldgesetzes gelten. Auch hier haben weder die Bundes-
regierung noch die Koalitionsfraktionen gehandelt – wie
so oft!

Das dritte Problem ist das schwierigste. Die gedankli-
che Schranke zwischen Land- und Forstwirtschaft muss
wieder aufgebrochen werden. Das geht einerseits durch
mehr Forschungs- und entsprechende Öffentlichkeitsar-
beit und andererseits vor allem durch Best-Practice-Bei-
spiele in vielen Regionen. Daher ist die Anlage von Agro-
forstsystemen gezielt zu fördern.

Die Linke unterstützt die meisten der von der FDP im
Antrag aufgeführten Forderungen. Sowohl die Änderung
des Bundeswaldgesetzes und die Forderung nach mehr
Forschung im Agroforstbereich als auch die Entwicklung
von agrartechnischen Konzepten zur Anlage von Agro-
forstsystemen finden unsere Zustimmung. Allerdings
werden wir uns nur enthalten können; denn der Antrag
enthält auch Forderungen, welche für die Linke nicht ak-
zeptabel sind. Dazu gehört, Agroforst als Klimaschutz-
senke oder als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme anzu-
rechnen.

Die nächste Bundesregierung muss möglichst schnell
eine Änderung des Bundeswaldgesetzes voranbringen.
Die Linke wird dazu und zu weiteren Aspekten im Bereich
der energetischen Nutzung von Holz bzw. im Bereich der
Anlage von Agroforstsystemen ihre Vorschläge in den
Bundestag einbringen.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623033600

Holz ist wertvoll geworden. Denn die Nachfrage da-

nach als nachwachsendem Rohstoff ist in den vergange-
nen Jahren stetig gestiegen. Obwohl Deutschland zu ei-
nem knappen Drittel bewaldet ist, lässt sich der Bedarf
insbesondere für die energetische Nutzung nicht allein
aus heimischen Vorräten decken. Wenn man darüber hi-
naus, wie wir Bündnisgrüne, dem forstwirtschaftlichen
Holzeinschlag klare ökologische und naturschützende
Grenzen setzen will, um den Wald in seiner ökologischen
und Erholungsfunktion nicht zu gefährden und für die
kommenden Generationen zu erhalten, müssen wir Ge-
hölze auch auf Ackerflächen in Form von Agroforstsyste-
men anbauen. Denn Agroforstsysteme haben neben der
Bereitstellung von Energie- und Nutzholz zahlreiche
positive Effekte auch für den Ackerbau selbst. Zu nennen
wäre hier beispielsweise der Erosionsschutz für den
Boden und das Spenden von Schatten und Windschutz für
die Pflanzen. Gleichzeitig können Agroforstsysteme neue
Habitate für Tier- und Pflanzenwelt schaffen und durch
diesen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt zur Ökologi-
sierung der Landwirtschaft beitragen.

Der Antrag der FDP geht deshalb in die richtige Rich-
tung und hält fest, was wir bereits in unserem Antrag zur
Förderung der Agroforstwirtschaft im Herbst 2006 ähn-
lich lautend in den parlamentarischen Beratungsprozess
eingebracht hatten. Hervorheben möchte ich in diesem
Zusammenhang noch einmal die Forderungen, Agro-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Behm
forstsysteme von den Vorgaben des Bundeswaldgesetzes
auszunehmen, damit sie weiterhin als Ackerland behan-
delt werden können, sowie nach Förderung und Aus-
wertung von Modellprojekten unterschiedlicher Agro-
forstsysteme in Bezug auf ihren wirtschaftlichen und
ökologischen Effekt.

Bei der Forderung nach einer Förderung über den
Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung
des ländlichen Raums, ELER, möchte ich präzisieren,
dass der EU-Fonds bereits die Förderung von Agroforst-
systemen erlaubt und die Länder diesen in Anspruch neh-
men können. Was fehlt, sind zusätzliche Bundesmittel für
diesen Bereich. Deshalb setzen wir uns für eine Auf-
nahme der Anlage von Agroforstsystemen in den Maß-
nahmenkatalog der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesse-
rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes, GAK,
ein.

Seit geraumer Zeit beobachte ich eine fraktionsüber-
greifende Zustimmung im Deutschen Bundestag zur Ein-
führung und zur Förderung von Agroforstsystemen.
Umso weniger ist es zu verstehen, dass Union und SPD
es bis heute nicht geschafft haben, die dafür notwendigen
gesetzlichen Weichen, insbesondere die Abgrenzung von
Agroforstsystemen von Wäldern im Bundeswaldgesetz,
zu stellen. Über die Fachagentur Nachwachsende Roh-
stoffe ist zwar die Forschung im kleinen Maßstab ange-
laufen, ein Kompetenzzentrum für diesen Bereich fehlt je-
doch. Die Regierungskoalition hat die Nachfrage nach
Holz angekurbelt, und die Länder haben regional Über-
kapazitäten für die energetische Holznutzung geschaffen,
ohne zugleich für einen entsprechenden nachhaltigen Zu-
wachs bei der Holzproduktion zu sorgen. Leidtragende
dieser Politik sind die Wälder, denen Übernutzung und
Kahlschlag droht. Die lang angekündigte und bereits im
Koalitionsvertrag versprochene Novelle des Bundes-
waldgesetzes hätte vor der Wahl noch beschlossen wer-
den können, wenn sie nicht von der Union auf dem Wahl-
kampfaltar geopfert worden wäre – ein weiterer Punkt
des Versagens der Großen Koalition.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623033700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-

nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/12516, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/8409 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)

Änderungen der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages
hier:
a) Nachträglicher Ausschluss von Mitgliedern


(§ 38 GO-BT)


b) Reden zu Protokoll (§ 78 GO-BT)

c) Sprachliche Beratung bei der Formulie-
rung von Gesetzestexten (§ 80 a GO-BT)


– Drucksache 16/13492 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Dr. Ole Schröder
Christine Lambrecht
Dr. Carl-Christian Dressel
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Silke Stokar von Neuforn


Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1623033800

Die Geschäftsordnung eines Parlamentes, so auch un-

sere Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, ist
von der Bedeutung her mehr, als es der Begriff „Ge-
schäftsordnung“ eigentlich zum Ausdruck bringt. Sie re-
gelt beispielsweise nicht nur reine Verfahrensfragen,
sondern sie regelt letztendlich auch Machtfragen, Min-
derheitenrechte und ist zudem Abbild der Geschichte, un-
serer zwischenzeitlich langjährigen parlamentarischen
Tradition.

Im Bewusstsein um diese Bedeutung unserer Ge-
schäftsordnung möchte ich den ausdrücklichen Dank an
alle Mitglieder des Geschäftsordnungsausschusses zum
Ausdruck bringen, da die Diskussionen um Geschäfts-
ordnungsänderungen fraktionsübergreifend vom Ziel
einvernehmlicher Lösungen geprägt sind. Eine solche
einvernehmliche sinnvolle Ergänzung wird bezüglich ei-
ner besseren und verständlicheren Gesetzessprache
heute vorgeschlagen. Zu dieser Änderung wird Kollege
Dr. Ole Schröder noch nähere Ausführungen machen,
dem ich an dieser Stelle ausdrücklich für sein Engage-
ment für dieses Anliegen danke.

Eine weitere Änderung, die zudem auch nicht einver-
nehmlich getroffen werden konnte, hätten wir uns seitens
der Union gerne erspart. Es sind dies die Erweiterungen
von Ordnungsmaßnahmen, um erhebliche Störungen der
parlamentarischen Ordnung während der Plenarsitzun-
gen praxisgerechter zu sanktionieren. Es ist ausschließ-
lich eine einzige Fraktion, die immer und immer wieder
durch ihr Verhalten deutlich macht, nämlich die Linke,
dass sie nach wie vor ein sehr gespaltenes Verhältnis zum
Parlamentarismus hat.

Vertreter der Fraktion Die Linke haben seit Anfang
2006 wiederholt die parlamentarische Ordnung in die-
sem Hause erheblich gestört. Sie haben unter anderem
während der Debatten Transparente entrollt, Fahnen
hochgehalten, politische Symbole getragen und während
der Sitzung Masken aufgesetzt. Gerade die letzten Aktio-
nen haben gezeigt, dass es sich um vorbereitete Aktionen
sogar unter Einbeziehung der parlamentarischen Ge-
schäftsführung gehandelt hat.

Es ist unerträglich und beschämend, dass man nicht in
der Lage oder auch nicht willens ist, auf solche Störer in
den eigenen Reihen einzuwirken. Nein – man nimmt den
Ansehensverlust des Bundestages in Kauf, man ignoriert
die zahlreichen Mahnungen und Appelle des Bundestags-
präsidenten und des ganzen Ältestenrates. Wes Geistes


(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Kaster
Kind diese Störer sind, zeigt sich im Fall des Abgeordne-
ten der Linken, Wolfgang Gehrcke, der in der laut Verfas-
sungsschutzbericht 2009 traditionskommunistischen Zei-
tung „Junge Welt“ sich sogar damit brüstet, als Störer im
Bundestag ein Wiederholungstäter zu sein.

Nach einem Urteil des OVG Münster vom 13. Februar
2009 verfolgt die Linke Bestrebungen – hier zitiere ich
das Gericht –, „die darauf gerichtet sind, die im Grund-
gesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf
Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposi-
tion, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verant-
wortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das
Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner und
gleicher Wahl zu wählen, zu beseitigen oder außer Gel-
tung zu setzen“.

Nach intensiven Diskussionen hat die Mehrheit des
Geschäftsordnungsausschusses für die vorliegende
Beschlussempfehlung gestimmt. Bei einer gröblichen
Verletzung der Ordnung kann zukünftig ein Sitzungsaus-
schluss noch in der nächsten Plenarsitzung ausgespro-
chen werden. Nach den jüngsten Erfahrungen besteht die
Möglichkeit, dass der genaue Sachverhalt nicht sofort er-
fasst oder der Störer nicht sofort identifiziert werden
kann. Sanktionen müssen deshalb auch zu einem späte-
ren Zeitpunkt noch möglich sein. Um seines eigenen An-
sehens willen muss der Bundestag in die Lage versetzt
werden, bei erheblichen Störungen der parlamentari-
schen Ordnung sachgerecht zu reagieren. Unparlamen-
tarische Aktivitäten schaden der Reputation des Bundes-
tages; dies dürfen wir in keinem Falle hinnehmen.

Eine weitere Änderung betrifft Verfahrensfragen bei
der Abgabe der Plenarreden zu Protokoll. Es ist richtig,
dass hier ein seit Ende 2007 positiv erprobtes Verfahren
auch Niederschlag in der Geschäftsordnung findet.


Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1623033900

Nicht nur als Abgeordnete, sondern auch als Bürger

erleben wir täglich, wie kompliziert Gesetze und Verord-
nungen geschrieben sind. Alle, die Rechtsvorschriften
anwenden, leiden unter schwer verständlichen Gesetzes-
texten. Bei Formulierungen wie beispielsweise in § 60
Abs. 2 Sozialgesetzbuch II wundert dies nicht. Ich zitiere:
„Wer jemandem, der eine Leistung nach diesem Buch be-
antragt hat oder bezieht, zu Leistungen verpflichtet ist,
die geeignet sind, Leistungen nach diesem Buch auszu-
schließen oder zu mindern, oder wer für ihn Guthaben
führt oder Vermögensgegenstände verwahrt, hat der
Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber sowie über
damit im Zusammenhang stehendes Einkommen oder
Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchfüh-
rung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist.“

Neben der schlechten Gliederung von Texten ist die
Verwendung von unverständlichen Begriffen typisch,
zum Beispiel Grundstücksverkehrsgenehmigungszustän-
digkeitsübertragungsverordnung, Anleiterbarkeit, Inner-
gemeinschaftliche Verbringung, Brandüberschlagsweg.
Das versteht kein Mensch, teilweise auch kein Jurist
mehr.
Zu Protokoll
Wenn die Bürger nicht mehr verstehen, was der Staat
formuliert, werden im Extremfall Gesetze und Verordnun-
gen nicht mehr befolgt. Das führt zu einer Vertrauens-
krise zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung, von den
Kosten ganz zu schweigen. Denn komplizierte und un-
klare Formulierungen verursachen höhere Kosten bei
den Anwendern – seien es Bürger, Unternehmer, Verwal-
tungsmitarbeiter oder spezialisierte Rechtsexperten – da
der Aufwand beim Lesen und für das Verstehen höher ist.

Das von uns initiierte Modellprojekt im Bundesminis-
terium der Justiz und die Erfahrungen im Ausland, insbe-
sondere in der Schweiz, haben eindrucksvoll bestätigt,
welches Potenzial in der sprachlichen Verbesserung von
Gesetzentwürfen steckt. Endlich haben wir nun mit dem
Redaktionsstab für die Bundesregierung, der von der Ge-
sellschaft für deutsche Sprache betrieben wird, auf Re-
gierungsseite personelle Kapazitäten für die Sprachbe-
ratung vorgesehen. Dies wird nicht für die Betreuung
aller Gesetzentwürfe reichen, doch ein wesentlicher An-
fang ist gemacht.

Weitere Schritte müssen folgen: Der Redaktionsstab
der Bundesregierung muss endlich in der Gemeinsamen
Geschäftsordnung der Bundesministerien verankert wer-
den. Der dortige Hinweis, dass sich die Ministerien an
den Redaktionsstab des Bundestages wenden sollen, ist
mit der Einrichtung eines eigenen Redaktionsstabes der
Bundesregierung nicht mehr sinnvoll. Es ist zudem si-
cherzustellen, dass der Redaktionsstab der Bundesregie-
rung die größtmögliche Unabhängigkeit erhält. Nur
dann wird der Redaktionsstab zu einem frühestmöglichen
Zeitpunkt von allen Ministerien einbezogen.

Auf Bundestagsebene existiert schon seit 1966 der
eben erwähnte Redaktionsstab der Gesellschaft für deut-
sche Sprache beim Deutschen Bundestag. Dieser wurde
gegründet, nachdem die Beratungen zum Raumord-
nungsgesetz deutliche Formulierungsmängel im Gesetz-
entwurf offenbarten. Eine Beteiligung des Redaktionssta-
bes ist in der Geschäftsordnung des Bundestages bisher
jedoch nicht vorgeschrieben.

Es ist daher richtig, dass wir mit der vorliegenden Än-
derung der Geschäftsordnung diesen Redaktionsstab in-
stitutionell in unserer Geschäftsordnung verankern. Da-
bei haben wir darauf geachtet, dass es durch die
Neuregelung nicht zu einer zeitlichen Verzögerung oder
Blockade des Gesetzgebungsverfahrens kommt. Deshalb
wird die Einbeziehung des Redaktionsstabes auch immer
von einem ausdrücklichen Beschluss des federführenden
Ausschusses abhängig gemacht. Damit können inhaltli-
che und zeitliche Besonderheiten bei Gesetzentwürfen
angemessen berücksichtigt werden.

Darüber hinaus machen wir in der Geschäftsordnung
deutlich, dass der Redaktionsstab auch sprachliche Be-
ratungen und Schulungen für die Fraktionsmitarbeiter
anbieten soll.

Mit der Stärkung des Redaktionsstabes hier im Bun-
destag und dem Redaktionsstab im Bundesministerium
der Justiz schaffen wir die institutionellen Voraussetzun-
gen, um eine verständliche Gesetzessprache durchzuset-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ole Schröder
zen. Lassen Sie uns alle dafür sorgen, dass diese neuen
Möglichkeiten genutzt werden!


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1623034000

Wir verabschieden heute drei Änderungen der Ge-

schäftsordnung des Deutschen Bundestages.

Erstens verabschieden wir als Koalition mit den Stim-
men der Fraktion der FDP die Regelung zum nachträgli-
chen Ausschluss von Mitgliedern des Bundestages von
Plenarsitzungen. Das nach der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages bestehende Ordnungsmittel, ein
Mitglied des Bundestages wegen gröblicher Verletzung
der Ordnung von der Teilnahme an Plenar- und Aus-
schusssitzungen auszuschließen, war bislang nicht zu-
friedenstellend. Die Maßnahme musste bisher vom am-
tierenden Präsidenten noch während der laufenden
Plenarsitzung ausgesprochen werden. Sind nicht alle
Details sofort feststellbar, beispielsweise bei mehreren
Störern, die erst nach Auswertung von Fernsehauf-
nahmen identifizierbar sind, ist eine Erweiterung der
Entscheidungsfrist notwendig.

Mehrere Ordnungsstörungen während der Plenarsit-
zungen der letzten Zeit führten zur Diskussion im Ältes-
tenrat, wie mit solchen Störungen umgegangen werden
sollte. Daher bat der Ältestenrat den Geschäftsordnungs-
ausschuss, zu prüfen, ob es Ergänzungsbedarf bei den
Ordnungsmaßnahmen nach der Geschäftsordnung gebe.
So kam es in einer Sitzung des Bundestages Anfang 2008
zu einer Ordnungsstörung, als mehrere Mitglieder einer
Fraktion Masken aufsetzten, die den Ministerpräsidenten
eines Landes mit Pinocchio-Nase darstellten. Der amtie-
rende Präsident forderte die Betreffenden auf, die Mas-
ken abzunehmen oder den Saal zu verlassen. In einer
weiteren Plenarsitzung im März 2009 entrollten Mitglie-
der derselben Fraktion während einer Debatte Transpa-
rente und hielten Fahnen hoch.

Derzeit stehen dem Präsidenten keine ausreichenden
Reaktionsmittel in solchen Fällen zur Verfügung. Ein Sit-
zungsausschluss, der hier in Betracht gekommen wäre,
wäre im ersten Fall schon gescheitert, weil er eine sofor-
tige Identifizierung der Störer voraussetzt und noch wäh-
rend der Sitzung hätte ausgesprochen werden müssen.
Dies war jedoch wegen der Maskierung der Betreffenden
nicht möglich gewesen. Zudem sind durch Ordnungsruf
in der Sache weitere Sanktionen, wie zum Beispiel der
Sitzungsausschluss, verbraucht.

Da bei einer gröblichen Verletzung der Ordnung ein
Sitzungsausschluss nur bis zum Ende der Plenarsitzung
ausgesprochen werden kann, muss bis zu diesem Zeit-
punkt auch bekannt gegeben werden, für wie viele Sit-
zungstage, bis zu 30, der Betroffene ausgeschlossen wird.
Demgegenüber ist für Ordnungsrufe anerkannt, dass
diese noch nachträglich, zum Beispiel nach einer Klä-
rung des genauen Wortlauts der Äußerung, ausgespro-
chen werden können. Ausdrücklich geregelt ist dies für
Zwischenrufe, die dem amtierenden Präsidenten entgan-
gen sind. Diese können in der nächsten Sitzung noch ge-
rügt werden.
Zu Protokoll
Wir haben uns daher im Ausschuss mehrheitlich auf
eine neue Möglichkeit des nachträglichen Sitzungsaus-
schlusses geeinigt. Die neue Regelung greift die bereits
bestehende Praxis eines nachträglichen Ordnungsrufs
sowie die Regelung, nach der ein protokollierter Zwi-
schenruf, der dem Präsidenten entgangen ist, noch in der
nächsten Sitzung gerügt werden kann, auf. Aus Gründen
der Rechtssicherheit für die Betroffenen soll ein nach-
träglicher Sitzungsausschluss nur bis zur nächsten auf
die gröbliche Verletzung der Ordnung folgenden Sitzung
des Bundestages möglich sein. Im Gegensatz zum nach-
träglichen Ordnungsruf setzt der nachträgliche Sitzungs-
ausschluss voraus, dass noch während der Sitzung die
Verletzung der Ordnung vom amtierenden Präsidenten
ausdrücklich festgestellt und auf die Möglichkeit eines
nachträglichen Sitzungsausschlusses hingewiesen wird.
Der Sitzungsausschluss als schärfste Ordnungsmaß-
nahme soll hier strengeren Voraussetzungen unterstellt
werden als der nachträgliche Ordnungsruf. Die Störer
erhalten dadurch auch Gelegenheit, durch ihr weiteres
Verhalten, wie durch sofortige Beendigung der Störung
oder Entschuldigung, die Entscheidung über einen späte-
ren Sitzungsausschluss noch zu beeinflussen. Es ist aller-
dings nicht notwendig, dass der Präsident bereits wäh-
rend der Sitzung die Ordnungsstörung als „gröbliche“
Verletzung der Ordnung bewertet und den oder die Störer
sofort benennt. Hierzu dient gerade die neue Entschei-
dungsfrist, die sowohl zur rechtlichen Prüfung als auch
dazu genutzt werden kann, insbesondere durch Auswer-
tung von Bildmaterial oder sonstigen Hinweisen die Ur-
heber der Störung zu ermitteln.

Während der Sitzung ist nunmehr ausreichend, dass
der Präsident „eine Verletzung der Ordnung“ feststellt.
Zuständig für die Entscheidung ist der amtierende Präsi-
dent, der die Störung der Ordnung in der Sitzung festge-
stellt hat. Die Entscheidung kann auch von anderen Mit-
gliedern des Präsidiums während der späteren Sitzung in
seinem Namen bekannt gegeben werden. Die Möglichkeit
eines späteren Sitzungsausschlusses wird nicht durch an-
dere Ordnungsmaßnahmen verbraucht. Dem amtieren-
den Präsidenten steht es auch frei, die Verletzung der
Ordnung festzustellen und dies bereits mit einem Ord-
nungsruf zu verbinden.

Wir haben im Ausschuss ausführlich über die Einfüh-
rung eines Ordnungsgeldes als neues Ordnungsmittel
diskutiert. Die Vertreter der Fraktionen der SPD und der
FDP hielten die Einführung eines Ordnungsgeldes für
vorzugswürdig. Dies stellt gegenüber dem nachträgli-
chen Sitzungsausschluss einen geringeren Eingriff in die
Statusrechte der Abgeordneten dar, da es nicht in die Ab-
stimmungsrechte eingreift. Zudem könnten öffentlich-
keitswirksame Konfrontationen besser vermieden wer-
den. Hier kam es aber zu keiner Einigung.

Wir waren uns in der Koalition von CDU/CSU und
SPD mit den Mitgliedern der FDP im 1. Ausschuss aber
einig, dass aufgrund der verschiedenen Vorfälle in Plenar-
sitzungen eine Erweiterung der Ordnungsmaßnahmen
notwendig geworden sei, um das Ansehen und die Würde
des Bundestages zu wahren und ihn nicht der Lächerlich-
keit preiszugeben. Die Erfahrungen aus der Zeit der Wei-
marer Republik haben gezeigt, dass man einer öffentli-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
chen Verächtlichmachung der Demokratie und ihrer
Institutionen bereits in den Anfängen entgegentreten
müsse. Auch wenn es grundsätzlich Bedenken gegen jede
Art der Einschränkung parlamentarischer Rechte geben
müsse, bliebe keine andere Wahl, als die Wirksamkeit der
Ordnungsmittel zu verstärken.

Zweitens verabschieden wir heute einstimmig eine
neue Regelung für zu Protokoll gegebene Plenarreden.
Seit November 2007 gilt probeweise eine vorläufige Ver-
fahrensregelung hinsichtlich der Abgabe von Plenar-
reden zu Protokoll. Nach erfolgreicher Erprobung – so
war sich der 1. Ausschuss einig – übernehmen wir dieses
Verfahren nun dauerhaft in die Geschäftsordnung, und
zwar unverändert. Danach konnte im Ältestenrat für be-
stimmte Tagesordnungspunkte festgelegt werden, dass
anstelle einer Aussprache die jeweiligen Redetexte in an-
gemessenem Umfang zu Protokoll gegeben werden soll-
ten. Ausdrücklich geregelt war zudem, dass auf entspre-
chendes Verlangen zu einer Aussprache zurückgekehrt
werden sollte; Mitteilung des Präsidenten vom 30. No-
vember 2007. Die vorläufige Verfahrensordnung war
seitdem erprobt worden und vielfach zur Anwendung ge-
kommen.

Bei den Beratungen wurde von allen Fraktionen als
Ziel der Regelung zum einen hervorgehoben, die zeitli-
chen Differenzen zwischen dem geplanten und dem tat-
sächlichen Ende der Plenarsitzungen am Hauptsitzungs-
tag, dem Donnerstag, zu verkleinern. Zum anderen soll
bei Tagesordnungspunkten, bei denen ansonsten even-
tuell auf eine Aussprache verzichtet würde, die Möglich-
keit eröffnet werden, der Öffentlichkeit zumindest
schriftlich die inhaltlichen Positionen der Fraktionen
darzulegen.

Die intensive Nutzung dieser Möglichkeit hat gezeigt,
dass sich das Verfahren insgesamt bewährt hat. Es solle
damit neben die bisher bereits bestehende Möglichkeit
treten, kurzfristig interfraktionell zu vereinbaren, Reden
zu Protokoll zu geben. Auch solle die Möglichkeit beibe-
halten werden, nur einzelne Reden zu einem Tagesord-
nungspunkt zu Protokoll zu geben.

Drittens verabschieden wir heute einstimmig eine Re-
gelung zur sprachlichen Beratung bei der Formulierung
von Gesetzestexten. Wir haben im Ausschuss festgestellt,
dass Gesetzestexte leider immer wieder an sprachlicher
Ungenauigkeit leiden und daher teilweise nur schwer
anwendbar sind. Anders als die Gemeinsame Geschäfts-
ordnung der Bundesministerien beinhaltet die Geschäfts-
ordnung des Deutschen Bundestages bislang keine Veran-
kerung eines Redaktionsstabes zur sprachlichen Beratung
und zur Verständlichkeitsprüfung von Gesetzestexten.
Der Redaktionsstab spielte bislang eine untergeordnete
Rolle.

Gesetzentwürfe der Bundesregierung müssen nach
der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministe-
rien, GGO, „sprachlich richtig und möglichst für jeder-
mann verständlich gefasst sein“. Sie sind grundsätzlich
dem Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Spra-
che beim Deutschen Bundestag zur Prüfung auf ihre
sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten.
Zu Protokoll
Anders als in der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien wird der Redaktionsstab nach der
Änderung nur abstrakt beschrieben, um einen Anpas-
sungsbedarf der Geschäftsordnung des Bundestages bei
Änderungen zu vermeiden. Nur aufgrund eines entspre-
chenden Beschlusses des federführenden Ausschusses
wird ein Gesetzentwurf vom Ausschusssekretariat dem
Redaktionsstab mit der Bitte um Prüfung zugeleitet. Da-
durch soll zum einen vermieden werden, dass der Redak-
tionsstab unnötig belastet wird, und zum anderen, dass
besonders eilbedürftige Gesetzesverfahren sich ver-
zögern. Auch bei bereits sprachlich geprüften Gesetz-
entwürfen, wie zum Beispiel Gesetzentwürfen der
Bundesregierung oder erneut eingebrachten Gesetzent-
würfen, kann die Zuleitung unterbleiben. Der Ausschuss
kann auch nur Teile des Gesetzentwurfs dem Redaktions-
stab zur Prüfung zuleiten. Liegt eine Stellungnahme des
Redaktionsstabes nicht oder nicht rechtzeitig vor, kann
der federführende Ausschuss auch ohne diese Stellung-
nahme den Gesetzentwurf abschließend beraten und dem
Plenum eine Beschlussempfehlung vorlegen. Der Aus-
schuss ist nicht verpflichtet, in seinem Bericht Angaben
über die Durchführung der Prüfung aufzunehmen oder
einen Prüfungsverzicht zu begründen. An die Empfehlun-
gen des Redaktionsstabes ist der federführende Aus-
schuss nicht gebunden.

Der federführende Ausschuss kann im gesamten Ver-
lauf seines Beratungsverfahrens den Redaktionsstab hin-
zuziehen und insbesondere um Prüfung von Änderungs-
anträgen bitten, die im Ausschuss gestellt werden. Der
Ausschuss kann auch eine Anwesenheit von Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern des Redaktionsstabes bei den
Beratungen zulassen.

Förderung der sprachlichen Richtigkeit und Verständ-
lichkeit von Gesetzestexten ist uns ein besonderes Anlie-
gen im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung gewesen. Die Delegationsreise des
Ausschusses in die Schweiz hat uns für die Beratungen
besondere Erkenntnisse gebracht, nachdem wir uns über
die dortigen Verfahren zur sprachlichen Kontrolle von
Gesetzen und Verordnungen informiert haben.

Ich danke den Mitgliedern und den Mitarbeitern des
1. Ausschusses für die erfolgreichen Beratungen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1623034100

Ich freue mich, dass es uns noch in dieser Legisla-

turperiode gelungen ist, die Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages an einigen wichtigen Stellen
nachzujustieren. Wir übergeben so dem 17. Deutschen
Bundestag eine Geschäftsordnung, die nach unserem
Dafürhalten den gegenwärtigen Herausforderungen ge-
recht wird. Es ist, das möchte ich an dieser Stelle aus-
drücklich sagen, nicht zuletzt dem vorausschauenden
und feinfühlig moderierenden Agieren des Vorsitzenden
des 1. Ausschusses wie auch dem stets umsichtigen Ver-
halten des Sekretariats zu verdanken, dass wir dem
nächsten Bundestag keine offenen Baustellen übergeben.
Vielmehr ist der kommende Bundestag sicherlich sehr
gut beraten, wenn er sich gemäß Art. 40 Abs. 1 Grundge-
setz diese – zeitgemäße – Geschäftsordnung als Arbeits-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jörg van Essen
grundlage gibt. Ich bin sehr dankbar, dass ich dem
1. Ausschuss nun schon sehr lange angehören darf und
dass wir in der Vergangenheit ganz überwiegend zu frak-
tionsübergreifend getragenen Lösungen bei Anpassun-
gen der Geschäftsordnung gekommen sind. Es ist dieser
überwiegende Konsens, der zu einer großen Akzeptanz
unserer Geschäftsordnung im ganzen Hause beigetragen
hat.

Dieser Konsens überwiegt auch bei der heute zur De-
batte stehenden Beschlussempfehlung.

Freilich bedauere ich es sehr, dass wir bei dem Thema
nachträglicher Ausschluss von Mitgliedern des Bundes-
tages nicht auch zu einer einvernehmlichen Lösung ge-
kommen sind. Mir ist es daher wichtig, an dieser Stelle
auch noch mal die Motivation für das Votum der FDP zu
erläutern. Dabei ist es bedeutsam, sich den gegenwärti-
gen Status quo vor Augen zu führen: Schon nach der der-
zeitigen Fassung der Geschäftsordnung kann der Präsi-
dent ein Mitglied des Bundestages wegen gröblicher
Verletzung für die Dauer der Sitzung aus dem Saal ver-
weisen. Bis zum Schluss der Sitzung muss der Präsident
bekannt geben, für wie viele Sitzungstage der Betroffene
ausgeschlossen wird. Schon die gegenwärtige Fassung
des Sitzungsausschlusses ist damit ein scharfes Schwert.

Ich hoffe sehr, dass auch der Präsident des 17. Bundes-
tages dieses nicht ziehen muss. Die Demokratie lebt von
Diskurs und Debatte. Jeder, erst recht jeder Parlamenta-
rier, muss sich an einer Debatte beteiligen können. Dass
wir heute die Regelung des § 38 GO-BT noch verschär-
fen – nämlich um die Möglichkeit des nachträglichen Sit-
zungsausschlusses – hängt maßgeblich mit dem zum Teil
unerträglichen Verhalten von Abgeordneten der Linken
zusammen. Ich persönlich fand es beschämend, als
Abgeordnete der Linken in einer Debatte über Jugend-
kriminalität Roland-Koch-Masken mit Pinocchio-Nasen
aufsetzten. Ein Tiefpunkt des nachkriegsdeutschen Par-
lamentarismus! In meinen Augen gibt es ein ganz wichti-
ges Vermächtnis aus den Lehren des Untergangs der Wei-
marer Republik: Das Parlament darf nicht verhöhnt
werden – weder von Links und noch von Rechts.

Es war also eine Regelung zum nachträglichen Um-
gang mit solchem Fehlverhalten nötig: Die Identität
maskierter Bankräuber ist nämlich für Ermittler ebenso
wenig erkennbar wie für den amtierenden Bundestags-
präsidenten die Identität maskierter Demagogen, die un-
sere Demokratie schädigen wollen.

Wir durften die Sitzungsleitung für solche Fälle nicht
wehrlos lassen.

Für meine Fraktion habe ich mich in den Beratungen
alternativ für die Einführung eines Ordnungsgeldes als
neues Ordnungsmittel stark gemacht – wenn auch dies
schon mit meinem Verständnis eines unabhängigen Ab-
geordneten ohne Zweifel kollidiert. Gegenüber dem
nachträglichen Sitzungsausschluss wäre ein Ordnungs-
geld ein weniger schwerwiegender Eingriff in die Status-
rechte des Abgeordneten, weil es nicht in deren Abstim-
mungsrechte eingreift. Im Lichte der Beratungen haben
wir im Ergebnis der jetzigen Regelung letztlich dennoch
zugestimmt.
Zu Protokoll
Mit dieser Regelung habe ich mir persönlich – wie
auch, so mein Eindruck, alle Kollegen – sehr schwer ge-
tan. Aber: Für mich heißt wehrhafte Demokratie, dass
wir auch gegen undemokratisches Verhalten vorgehen
und nicht tatenlos zusehen. Heute sind es die Linken; ich
habe große Sorge: in Zukunft vielleicht auch die Rechten.
Beiden Seiten dürfen wir kein undemokratisches Verhal-
ten durchgehen lassen. Unsere Debatten müssen auch in
Zukunft mit Anstand geführt werden können. Aus Respekt
vor uns, der Demokratie und zu allererst: unseren Wäh-
lern!

Ich freue mich, dass wir die beiden anderen heute zur
Abstimmung stehenden Punkte einvernehmlich regeln
konnten: Die Regelung für Reden zu Protokoll hat sich
seit ihrer vorläufigen Einführung Ende 2007 sehr be-
währt. Gerade bei drei Oppositionsfraktionen, die auch
von ihren parlamentarischen Rechten Gebrauch machen
wollen, lassen sich so sehr viel mehr Themen „abarbei-
ten“. Auch die Rechte des Abgeordneten werden nicht
eingeschränkt, weil die jeweiligen Fraktionen ja auch
nach Vereinbarung eines Protokollpunktes diesen wider-
rufen können. So hat das übrigens auch die FDP in der
Vergangenheit – erst auch letzte Sitzungswoche! – prak-
tiziert, wenn ein Abgeordneter im Lichte der öffentlichen
Debatte doch auch reden möchte. Wir sollten ehrlich zu
uns selbst sein: Eine Debatte nach Mitternacht erreicht
selten breite Kreise der Bevölkerung. Gleichzeitig kön-
nen nun rein faktisch nicht alle Themen zur sogenannten
Kernzeit am Vormittag aufgesetzt werden. Dieses Di-
lemma galt es zu lösen. Die bisherigen Erfahrungen zei-
gen, dass unsere Regelung ein guter Weg ist.

Auch bei der Regelung für die Einrichtung des Redak-
tionsstabs war uns die Unabhängigkeit des Deutschen
Bundestages, seiner Ausschüsse und vor allem der ein-
zelnen Abgeordneten wichtig. Deswegen ist auch klar,
dass es sich bei diesem Service nur um Empfehlungen
handelt. Daher steht auch außer Frage: An die Empfeh-
lungen des Redaktionsstabes ist der federführende Aus-
schuss nicht gebunden.

Zusammenfassend habe ich den Eindruck, dass wir
mit den jetzt vorgelegten Änderungen dem nächsten Bun-
destag eine Geschäftsordnung übergeben, die einen ord-
nungs- und würdevollen Umgang miteinander ermög-
licht und zugleich wetterfest ist. Ich glaube, uns eint die
Hoffnung, dass wir insbesondere die Schirme, die diese
Geschäftsordnung bietet, nicht aufspannen müssen.


Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623034200

Diese Beschlussempfehlung ist, was den Punkt a – den

nachträglichen Ausschluss von Plenarsitzungen – be-
trifft, überflüssig wie ein Kropf. Meine Fraktion Die
Linke wird gegen diese stimmen. Ein Mitglied des Bun-
destages kann durch den Präsidenten wegen „gröblicher
Verletzung der Ordnung“ schon jetzt für bis zu 30 Sit-
zungstage ausgeschlossen werden. Dies ist eine harte
Sanktion. Es besteht kein Grund, die Geschäftsordnung
in diesem Punkt noch zu erweitern.

Künftig sollen Mitglieder des Bundestages bei gröbli-
cher Verletzung der Ordnung auch nachträglich ausge-
schlossen werden können. Wie wird das nachträglich



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Dagmar Enkelmann
festgestellt? Dazu sollen dann Fernsehbilder zu Rate ge-
zogen werden. Ich stelle mir schon lebhaft vor, wie Mit-
glieder des Hohen Hauses und ihre Mitarbeiter Zeitlupen
und Standbilder studieren, um Störenfriede herauszufin-
den. Oder sie versuchen festzustellen, ob die Störung
gröblich oder vielleicht doch nicht so gröblich war. Das
dürfte schwierig werden. Denn was eine gröbliche Ver-
letzung ist, wird auch mit der jetzigen Änderung nicht de-
finiert.

Im Profi-Fußball wird derzeit intensiv über den soge-
nannten Video-Beweis diskutiert. Man weiß ja aus der
Geschichte, dass manchmal auch die Aufzeichnungen
von zig Fernsehkameras nicht ausreichen, um zu ent-
scheiden, ob der Ball nun drin war oder nicht.

Die vorgeschlagene Änderung der Geschäftsordnung
ist nicht nur untauglich, sie ist auch unverhältnismäßig.
Hier wird ganz großes Geschütz aufgefahren und mit Ka-
nonen auf Spatzen geschossen. Mehr Souveränität würde
dem Hohen Haus gut zu Gesicht stehen. Der Fußball in
der ganzen Welt kann ganz gut mit den Tatsachenent-
scheidungen der Schiedsrichter leben. Ich finde, wir
könnten das auch, zumal ich mich des Eindrucks nicht er-
wehren kann, dass hier nur eine einzige Fraktion als Stö-
renfried disqualifiziert und nun diszipliniert werden soll.
Wichtiger wäre, die wirklichen Defizite der Geschäfts-
ordnung aufzuarbeiten.

Mit der vorliegenden Beschlussempfehlung wird die
seit Jahren geübte Praxis, Reden zu Protokoll geben zu
können, nun offiziell in die Geschäftsordnung aufgenom-
men. Das ist eine Selbstverständlichkeit und nicht einmal
ein „Reförmchen“.

Auch meine Fraktion Die Linke unternahm in dieser
Legislatur den Versuch, die Minderheitenrechte tatsäch-
lich zu stärken. Dass dies unabdingbar notwendig war –
darin waren sich alle drei Oppositionsfraktionen übri-
gens einig. Leider sind wir in dieser Legislaturperiode
beim Ausbau der Minderheitenrechte nicht wirklich
vorangekommen. Unter den Bedingungen der Großen
Koalition hat sich die Geschäftsordnung zu oft als Instru-
ment erwiesen, mit dem alle parlamentarischen Beden-
ken oder Fristen mit einem Schlag vom Tisch gewischt
worden sind. Dafür gibt es genügend Beispiele. Ich erin-
nere nur an die Gesundheitsreform. Die durch die Ge-
schäftsordnung gedeckte Praxis ist zu beenden, dass mit
einfacher oder Zweidrittelmehrheit jede Frist zur Be-
handlung von Vorlagen aufgehoben werden kann.

Es geht noch um mehr. Nehmen wir die Einberufung ei-
ner Sondersitzung des Bundestages. Für diesen Sommer
ist das gar nicht so unrealistisch angesichts des sich ra-
pide verschlechternden Arbeitsmarkts und der anhalten-
den Finanzkrise. Zur Einberufung einer Sondersitzung
– bekanntermaßen ein echtes Recht der Minderheit – sind
nach wie vor die Stimmen eines Drittels der Mitglieder
des Bundestages nötig. Das kann die Große Koalition be-
quem blockieren – was sie auch tun würde: Schließlich ist
Wahlkampf. Und dass einzelne Abgeordnete der Koali-
tion gewissermaßen aus der Reihe tanzen – das ist ein
höchst unwahrscheinlicher Fall. Das zeigten die jüngsten
politischen Pirouetten insbesondere der SPD-Fraktion.
Zu Protokoll
Oder nehmen wir ein anderes grundlegendes Minder-
heitenrecht: die Einsetzung eines Untersuchungsaus-
schusses. Wäre das Quorum geringer als 25 Prozent, hät-
ten zum Beispiel eine oder zwei Fraktionen das Recht zu
einem solchen Ausschuss, hätte es mit Sicherheit schon
2008 einen Ausschuss zur IKB gegeben. Dann hätten
schon viel eher Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise
gezogen werden können, hätten Abläufe in den Aufsichts-
behörden und dem zuständigen Ministerien viel früher
unter die Lupe genommen werden können. Das geschah
nicht. Die Regierung durfte ungestört weiterwursteln.
Erst beim HRE-Desaster wurde der öffentliche Druck so
groß, dass es gelang, die Hürden der Geschäftsordnung
zu überwinden.

Oder nehmen wir die abstrakte Normenkontrollklage.
Ich garantiere Ihnen: Wenn jede Fraktion des Bundesta-
ges das Recht hätte, eine abstrakte Normenkontrollklage
vor dem Bundesverfassungsgericht anzustrengen, wären
die Beteiligungsrechte des Parlaments schon viel eher so
umfassend geregelt worden, wie es jetzt im Zusammen-
hang mit dem Lissabon-Vertrag das Bundesverfassungs-
gericht fordert. Denn, was die Gegner eines solchen
Rechts einer Fraktion zur abstrakten Normenkotroll-
klage nicht bedenken: Es wirkt vor allem präventiv.
Schon die Möglichkeit sorgt dafür, dass die Gesetze von
vornherein besser und gründlicher auf ihre Verfassungs-
mäßigkeit geprüft würden.

Der Bundestag gilt als Hort der Demokratie. Diesen
Satz kann ich in vielerlei Hinsicht unterschreiben. Was
die Demokratisierung seiner Geschäftsordnung betrifft,
so ist die Bilanz der letzten vier Jahre, mit Verlaub ge-
sagt, mehr als ernüchternd. Große Koalitionen tun der
Demokratie nicht gut, heißt es. Nun muss man hinzufü-
gen: auch dem Bundestag nicht.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623034300

Wir verhandeln heute drei Änderungen unserer Ge-

schäftsordnung. Zwei davon, die neuen Regelungen zu
den Bereichen „Reden zu Protokoll“ und „Sprachliche
Beratung bei der Formulierung von Gesetzestexten“, fin-
den unsere uneingeschränkte Zustimmung. Die Verschär-
fung der Regelung des Ausschlusses von Abgeordneten
von Sitzungen des Deutschen Bundesstages und seiner
Ausschüsse lehnen wir indes ab.

Bereits nach den derzeit geltenden Regelungen unse-
rer Geschäftsordnung ist es dem amtierenden Präsiden-
ten möglich, ein Mitglied des Bundestages bei gröblicher
Verletzung der Ordnung für die Dauer der Sitzung aus
dem Saal zu verweisen. Bis zum Schluss der Sitzung muss
der Präsident bekannt geben, für wie viele Sitzungstage
die oder der Betroffene ausgeschlossen wird. Während
der Dauer des Ausschlusses kann die oder der Betroffene
auch nicht an Ausschusssitzungen teilnehmen. Diese Re-
gelung soll nunmehr verschärft werden. Nach dem Vor-
schlag des Geschäftsordnungsausschusses soll ein Sit-
zungsausschluss auch nachträglich, spätestens in der auf
die gröbliche Verletzung der Ordnung folgenden Sitzung
ausgesprochen werden können, sofern der Präsident
während der Sitzung eine Verletzung der Ordnung festge-
stellt und sich einen nachträglichen Sitzungsausschluss
vorbehalten hat.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

Die Neuregelung ist aus mehreren Gründen verfehlt.
Zum einen werden mit ihr Sinn und Zweck des Instru-
ments des Sitzungsausschlusses verwässert. Der Sit-
zungsausschluss soll vorrangig dazu dienen, die gestörte
Ordnung einer Plenarsitzung wiederherzustellen. Dies
setzt ein sofortiges und abschließendes Agieren voraus.
Die Ordnung einer bereits beendeten Sitzung kann
schlechterdings nicht mehr mit einer Ordnungsmaß-
nahme hergestellt werden, die erst in der nächsten Sit-
zung erfolgt. Mit der Möglichkeit, einen Sitzungsaus-
schluss auch im Nachhinein auszusprechen, rückt die
Regelung daher eher in die Nähe einer Sanktionsmaß-
nahme, die gerade nicht im Vordergrund stehen sollte.

Zum anderen wird mit der Verschärfung massiv in das
verfassungsmäßig garantierte Recht des Abgeordneten
auf Mitwirkung, insbesondere auf Mitwirkung an Ent-
scheidungen und Abstimmungen eingegriffen. Zweifels-
ohne stellt bereits die bisherige Regelung einen solchen
Eingriff dar. Dieser ist jedoch mit dem Interesse an einem
ordnungsgemäßen Ablauf von Sitzungen gerade noch zu
rechtfertigen, wenngleich Letzteres nicht ganz unumstrit-
ten ist. Mit der Verschärfung des § 38 unserer Geschäfts-
ordnung wird die Grenze des Zulässigen jedoch
überschritten. Der Eingriff in das verfassungsmäßig ver-
briefte Mitwirkungsrecht ist nicht mehr verhältnismäßig.
Die Abwägung zwischen dem Interesse an einem ord-
nungsgemäßen Sitzungsverlauf und den Mitwirkungs-
rechten der Abgeordneten muss eindeutig zugunsten der
Mitwirkungsrechte ausfallen.

Schließlich darf auch nicht übersehen werden, dass
Sitzungsausschlüsse zum Verlust einer – wie auch immer
gearteten – Koalitionsmehrheit führen können. Dies gilt
insbesondere, wenn die Mehrheit eine knappe Mehrheit
ist. Keine Fraktion dieses Hauses dürfte vor diesem Hin-
tergrund ein Interesse an einer solchen Regelung haben.

Aus den dargelegten Gründen kann meine Fraktion
daher der Änderung der Geschäftsordnung, soweit sie
die Verschärfung der Regelungen zum Sitzungsaus-
schluss betrifft, nicht zustimmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623034400

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung auf Drucksache 16/13492.


(Unruhe – Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu Wort)


– Darf ich einen Moment um Aufmerksamkeit bitten?
Sonst kann ich Frau Kurth nicht verstehen.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich bitte Sie, die Kollegen darauf aufmerksam zu ma-
chen, dass es, auch wenn sie in Feierlaune sind, besser
wäre, wenn sie so ruhig zuhören würden, dass ich verste-
hen kann, worum es geht.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623034500

Ich bitte, die Geräuschkulisse so weit zu dämpfen,

dass jeder verstehen kann, worüber abgestimmt wird.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aber Sie sind sehr gut zu verstehen!)


Das ist ein berechtigtes Anliegen von Frau Kurth. Da-
rauf möchte ich hinweisen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung auf Drucksache 16/13492.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt
Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Strommarkt durchgreifend regulieren –
Energiepreissenkungen durchsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,
Nicole Maisch, Ulrike Höfken, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Manipulierte Strompreise – Verbraucherin-
teressen wahren

– Drucksachen 16/11908, 16/12692, 16/13069 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den
Energiemärkten bekämpfen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,
Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Das Energiekartell aufbrechen – Für Klima-
schutz, Wettbewerb und faire Energiepreise

– Drucksachen 16/8079, 16/8536, 16/9495 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Energiekosten senken – Mehr Netto für die
Verbraucher

– Drucksachen 16/9595, 16/10506 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1623034600

Wie so oft fordern die Linken in ihrem Antrag, Teile

der Wirtschaft in Deutschland öffentlich durch eine
Strompreisaufsicht zu kontrollieren. Am liebsten wäre es
ihnen wohl, wenn man demnächst noch den Stromver-
brauch staatlich regulieren würde. Es muss jedoch ganz
deutlich gesagt werden, dass die Linken in ihrem Antrag
nichts anderes fordern, als das Rad der Geschichte zu-
rückzudrehen. Und hiervor möchte ich sie eindringlich
warnen.

Ausgangspunkt der Argumentation ist die angeblich
monopolartige Stellung einiger Stromkonzerne, die eine
Preiserhöhung für Deutschland und eine missbräuchli-
che Handhabung zur Folge habe, bei der die Preise nicht
mehr mit Angebot und Nachfrage im Zusammenhang
stünden. Das ist falsch. Die Linken spielen mit ihrem An-
trag die alte Leier. Entweder sie fordern direkt Verstaat-
lichung, oder sie fordern einen Zwischenschritt, der im
Weiteren zur Verstaatlichung führt. Dabei stürzen sie sich
mit Vorliebe auf Bereiche, in denen der Wettbewerb noch
nicht so funktioniert, wie es für den Verbraucher wün-
schenswert wäre. Das ist der einfachste Weg. Sie zertre-
ten eine Pflanze in der Wirklichkeit und versprechen da-
für den Garten Eden.

Auch die Grünen sprechen in ihrem Antrag von Mani-
pulation und der Pflicht der deutschen Kartellbehörden,
Manipulationen von Stromhandelspreisen zu untersu-
chen und die entstandenen Vorteile abzuschöpfen. Laut
einer Entscheidung der EU-Kommission bestehe Grund
zur Annahme, dass zwischen 2002 und 2007 verfügbare
Erzeugungskapazität über mehrere Jahre zurückgehalten
worden seien, „um damit einen Anstieg der Strompreise
zum Nachteil der Verbraucher zu bewirken“. Diese Argu-
mente kann man so natürlich nicht stehen lassen und ich
erkläre Ihnen auch gerne, warum:

Wer heutzutage Strom produziert, ist darauf angewie-
sen, seinen Brennstoff auf dem Markt zu kaufen. Schon
im Interesse der Versorgungssicherheit unseres Landes
werden diese Brennstoffe langfristig erworben. Das be-
deutet, dass der Preis für Kohle oder Erdgas zu einem
Zeitpunkt vereinbart wird, der lange vor dem tatsächli-
chen Verbrennen liegt. Kauft man heute Brennstoff güns-
tig ein, kann man seinem Kunden frühestens im nächsten
oder übernächsten Jahr einen guten Preis bieten. Eine
andere Option sind Preisanpassungsformeln. Viele Ver-
träge vereinbaren einen Basispreis und eine elaborierte
Preisformel, die zum Beispiel die Inflation oder erhöhte
Lohnkosten beinhaltet. Und diese Formeln verweisen
dann auch sehr häufig auf den Preis eines anderen Gu-
tes. Wir reden hier über normale Marktvorgänge und
nicht über Abzockerei.

Da kommen wir schon zum zweiten Aspekt: Der Vor-
wurf der unkontrollierten Bereicherung und das Argu-
ment der mangelhaften Kontrolle sind für mich nicht
nachvollziehbar. Kaum einer anderen Branche hat der
Staat so viele verschiedene Kontrollinstanzen auferlegt
wie dem Energiehandel. Neben der Bundesnetzagentur
und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht,
BaFin, haben auch die Kartellämter der Länder und des
Bundes sowie die Wettbewerbsdirektion der Europäi-
schen Kommission ein wachsames Auge auf alle Aktivitä-
ten der Unternehmen. Der Antrag der Grünen erwähnt
selbst die Untersuchungen der Kommission. Genau hier
zeigt sich doch, dass es kein Schlupfloch, keinen Persil-
schein für Energieversorgungsunternehmen gibt. Wenn
unlauter gehandelt wird, greifen die zuständigen Behör-
den ein.

Diese Tatsachen zeigen eindeutig, dass wir keine
Strompreisaufsichtsbehörde brauchen. Im Gegenteil –
diese Behörde muss abgeschafft bleiben, um überhaupt
den Weg für einen Energiemarkt freimachen zu können.
Wenn die Preise zentral staatlich festgelegt werden, gibt
es keinen Anreiz, besser und billiger zu sein und sich als
neuer Versorger auf dem Markt etablieren zu wollen. Es
gibt keinen Anreiz, als Kunde zu einem anderen Versor-
ger zu wechseln, schließlich hätten dann alle den glei-
chen Preis. Wir wollen aber nicht mehr die behäbigen
Staatsmonopolisten von einst. Wir wollen Unternehmen,
die im Wettbewerb um Kunden stehen und sich gegensei-
tig zu mehr Effizienz treiben. Gleichzeitig sorgen wir mit
unseren Regeln dafür, dass die Sicherheit der Energie-
versorgung nicht gefährdet wird. Nur so können wir Teil
eines europäischen Marktes sein, weil genau dies auch
das Leitmotiv der gesamten europäischen Energiepolitik
ist. Es wäre fatal, aus dem europäischen Konzert auszu-
scheiden: Der Weg ist richtig, und wir müssen ihn weiter-
gehen.

Schließlich unterstellt der Antrag der Linken, dass der
Strommarkt hochspekulativ sei, sich die Beteiligung von
Banken, Finanzdienstleistern und Hedgefonds als sehr
nachteilig erweise und der Derivatehandel verboten ge-
höre. Das ist Quatsch. Der Strommarkt ist ein Waren-
markt, das bedeutet, dass Waren hergestellt und verkauft
werden; der Markt sorgt dafür, dass Hersteller und Ab-
nehmer – bzw. beim Strom meistens Weiterverteiler – ein-
ander treffen. Weil die Elemente der Preisbildung und die
sehr stabile Abnehmerstruktur weitestgehend bekannt
sind, bietet sich der Markt für Spekulation gerade nicht
an. Die Märkte sind von echten physischen Interessen ge-
trieben.

Die Rolle von anderen Spielern auf dem Markt, wie
Banken, ist weiterhin stark beschränkt. Zugleich handelt
es sich aber um eine wichtige Rolle. Denn Banken brin-
gen dem Markt die dringend benötigte Liquidität. Jeder
wird wohl der These zustimmen, dass ein Markt umso
besser ist, je mehr Marktteilnehmer es gibt. Damit steigt
die Chance, zu einem beliebigen Zeitpunkt kaufen oder
verkaufen zu können. Was hilft es, einen Markt zu haben,
wenn ich keinen Handelspartner finde? Banken helfen


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
hier, sie ermöglichen mehr Handel. Natürlich verdienen
Banken daran, das ist aber auch legitim, weil sie einen
Service für den Markt bieten. Sie ergänzen die klassi-
schen Marktteilnehmer, konkurrieren aber nicht mit ih-
nen. Denn letztlich wird der Strom irgendwann von einem
Kraftwerk physisch produziert und von einem Verbrau-
cher abgenommen. Banken helfen nur bei der richtigen
Allokation.

Mir scheint, dass auch ein Missverständnis in dem
Konzept des Derivatemarktes vorliegt. Es würde an die-
ser Stelle viel zu weit führen, den Begriff des Derivates
korrekt abzugrenzen. Aber anscheinend soll der Termin-
handel mit Strom damit gemeint sein. Wer vom Stromhan-
del redet, spricht automatisch von Terminhandel. Denn
der Strom, den ein Kraftwerk produziert, muss vor der
Produktion schon verkauft sein. Er ist schließlich nicht
lagerbar. Kann ein Kraftwerksbetreiber seinen Strom
nicht verkaufen, wird er seinen Brennstoff nicht verbren-
nen. Es ist daher nicht nur vernünftig, sondern praktisch
notwendig, dass Strom langfristig verkauft wird. Nur so
können letztlich auch die Versorgungssicherheit und ein
stabiler Strompreis für die Endkunden garantiert werden.
Der diffamierte Derivatehandel ist also ein Instrument
des Stromhandels, das aufgrund der Nichtlagerbarkeit
absolut zwingend ist. Und das gilt auch für den echten
Derivatehandel, also rein finanzielle Produkte. Denn
auch diese Produkte dienen nicht der Spekulation, son-
dern der Absicherung von Preisen für Hersteller und Ab-
nehmer; sie erzeugen also wirtschaftliche Planbarkeit.

Es scheint mir auch noch notwendig, ein letztes Miss-
verständnis aufzuklären: Sinken die Preise etwa, weil die
Banken und Hedgefonds sich aus dem Stromhandel zu-
rückgezogen haben? Nein, natürlich nicht. Die Preise
sinken, weil die Nachfrage aufgrund der aktuellen Wirt-
schaftskrise sinkt. Es wird weniger gearbeitet, da wird
weniger Strom benötigt. Und das Gleiche gilt auch für
die Brennstoffe, auch hier sinkt die Nachfrage, sodass die
Preise nach unten gehen. Im Übrigen gilt: Wenn Spot-
marktpreise manipuliert werden sollten, haben sowohl
die Börsenaufsicht als auch die Wettbewerbsbehörden
die Möglichkeit, einzugreifen. Ich denke, dies zeigt deut-
lich: Ein Kontrollvakuum besteht also nicht.

Nun zum Antrag der Kollegen von der FDP und ihrer
Forderung, Ursachen für die hohen Energiepreise an der
Wurzel zu packen: Hier stimme ich ihnen eindeutig zu.
Genau dies hat die Regierungskoalition gemacht: Die
neue Gasnetzzugangsverordnung, das novellierte Wett-
bewerbsrecht, das liberalisierte Mess- und Zählerwesen,
die Verabschiedung des Energieleitungsausbaugesetzes,
die weitere Reduzierung der Gasmarktgebiete, die An-
reizregulierung und die Kraftwerksanschlussverordnung
waren wichtige Schritte in Richtung eines freien und
wettbewerblichen Energiemarkts. Allerdings gehört
ebenso zur Wahrheit, dass wir die Energiepreise auch mit
Wettbewerb auf Dauer nicht erheblich senken werden
können. Die steigenden Energiepreise machen die Her-
ausforderungen deutlich, vor denen die Energieversor-
gung steht: weltweit wachsende Nachfrage; begrenzte
fossile Reserven; drohende Folgen der von Klimagasen
verursachten Klimaänderungen; politisch instabile Lage
in vielen Regionen, in denen Energiebodenschätze lagern
Zu Protokoll
oder die für die Weiterleitung von Energieträgern eine
Schlüsselrolle innehaben.

Letztlich gibt es für mich auf diese Herausforderungen
die immer wieder gleichen Antworten: Es gilt, Energie
effizienter zu nutzen, neuen und erneuerbaren Energien
zum Durchbruch zu verhelfen und durch einen breiten
Energiemix mit möglichst vielen Lieferländern, Trans-
portrouten und Energieträgern unsere Abhängigkeiten zu
verringern. Eine Entlastung bei den Energiekosten, die
dauerhaft trägt, wird sich insbesondere über eine Steige-
rung der Energieeffizienz und verstärktes Energiesparen
erreichen lassen.

Außerdem fordert die FDP erneut die Netz AG. Es ist
richtig, dass die Einteilung des Netzes in die vier Regel-
zonen der großen Netzbetreiber ineffizient, uneffektiv und
nicht mehr zeitgemäß ist. Viermal muss sogenannter Re-
gelstrom vorgehalten werden, um Netzschwankungen
auszugleichen. Allein dafür zahlen die Stromverbraucher
mehrere hundert Millionen Euro zusätzlich pro Jahr.
Deshalb ist eine einheitliche Regelzone für Deutschland
richtig und wichtig. Nur so ist ein transparentes und effi-
zientes Stromnetz möglich, zu dem alle Energieanbieter
einen diskriminierungsfreien Zugang haben. Das ist der
Weg zu mehr Wettbewerb und somit zu stabilen Strom-
preisen. Ob eine Netz AG hierzu das beste Mittel ist, muss
noch bewiesen werden. Eine Festlegung darauf könnte
sogar eine mögliche Dynamik bremsen. Es ist richtig, das
Ziel eines transparenten und effizienten Stromnetzes auf
die politische Tagesordnung zu setzen. Es ist falsch, sich
von vornherein auf einen Weg festzulegen. Das Ziel be-
stimmt den Weg und nicht umgekehrt. Die BNetzA prüft
die zurzeit zur Diskussion stehenden Konzepte und wird
ein Gutachten dazu vorlegen. Dann werden wir schlauer
sein.

Weiter fordert die FDP, das Stromnetz für mehr Wett-
bewerb und dezentrale Stromerzeugung zu ertüchtigen.
Hier haben wir ebenfalls schon gehandelt und den be-
schleunigten Netzausbau beschlossen. Damit hat sich
Deutschland mit der unionsgeführten Bundesregierung
seiner Verantwortung als zentrales Stromtransitland in
Europa gestellt und der Modernisierungswelle seines
Kraftwerkparks Rechnung getragen. Außerdem kann un-
ser Land nur so den weltweit vorbildlichen Ausbau der
erneuerbaren Energien erfolgreich fortführen und das
ehrgeizige Ziel von 30 Prozent Anteil erneuerbarer Ener-
gien an der Stromproduktion bis 2020 erreichen.

Dies zeigt, dass wir bei allen Punkten, die von der
FDP in ihrem Antrag genannt wurden, schon gehandelt
haben. Daher ist der Antrag der FDP zwar gut gemeint,
kommt aber zu spät.

Die Union hat den Wettbewerb im Blick und wird ihn
weiter stärken. Wir sind die Partei der sozialen Markt-
wirtschaft. Die Union hat mit Ludwig Erhard die soziale
Marktwirtschaft in der Nachkriegszeit gegen vielfache
Widerstände durchgesetzt und die Bundesrepublik
Deutschland mit ihr erfolgreich gemacht. CDU und CSU
lehnen die sozialistische Lenkung der Energiewirtschaft
und andere Formen des Kollektivismus ab. Darum haben
wir auch begonnen, den Energiemarkt in Deutschland so
zu formen, dass auch auf ihm die soziale Marktwirtschaft



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
gilt. Nur so ist eine konkurrenzfähige und sozialverträg-
liche Energieversorgung auf Dauer zu erreichen.

Es freut mich, dass uns die Opposition mit ihren An-
trägen zum Ende der Legislaturperiode nochmals die
Möglichkeit eröffnet hat, dies in diesem Hohen Hause so
deutlich darstellen zu können.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1623034700

Zum Abschluss der Legislaturperiode diskutieren wir

heute noch einmal über eine Reihe von energiepoliti-
schen Anträgen der Opposition unterschiedlichster Cou-
leur aus den vergangenen fünfzehn Monaten.

In den Anträgen von FDP und Grünen aus 2008 wer-
den in unterschiedlicher Ausprägung Maßnahmen zur
Verbesserung des Wettbewerbs auf den Energiemärkten
gefordert. Hierzu ist zu sagen, dass Koalition und Bun-
desnetzagentur in den vergangenen Jahren viel für eine
Verbesserung des Wettbewerbs auf den Strom- und
Gasmärkten erreicht haben: Zwei Entgeltgenehmigungs-
runden bei den Strom- und Gasnetzen haben eine Ein-
sparung bei den Netzentgelten von insgesamt rund 4 Mil-
liarden Euro gebracht. Die Anreizregulierung wurde zum
1. Januar 2009 eingeführt. Die Verabschiedung der
Kraftwerksnetzanschlussverordnung hat einen erhebli-
chen Fortschritt hin zu einem diskriminierungsfreien
Netzanschluss neuer Anbieter bzw. Kraftwerke ermög-
licht. Die Gasmarktgebiete sind auf weniger als zehn re-
duziert worden. Weitere Zusammenlegungen sind auf
Druck der Bundesnetzagentur in der Umsetzung bzw. an-
gekündigt. Das Bundeskartellamt wurde gestärkt. Der
dringend notwendige Ausbau der Stromübertragungs-
netze wurde beschleunigt. Der Anteil erneuerbarer Ener-
gien an der Stromerzeugung wurde erheblich ausgebaut.

Dies sind nur einige Maßnahmen, die zeigen, dass die
Koalition im Energiesektor nicht untätig war, sondern
aktiv die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden
Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten einschließ-
lich eines diskriminierungsfreien Zugangs zu den Strom-
und Gasnetzen verbessert hat.

Zwischenzeitlich konnte auch das dritte EU-Energie-
Binnenmarktpaket verabschiedet werden, das die Tren-
nung zwischen Netz auf der einen sowie Erzeugung und
Vertrieb auf der anderen Seite weiter verschärft. Gleich-
zeitig werden die nationalen Regulierungsbehörden wei-
ter gestärkt und eine europäische Regulierungsbehörde
eingeführt. Die Umsetzung in nationales Recht steht in
der kommenden Wahlperiode an.

Nun komme ich zu den jüngeren Anträgen von Linken
und Grünen mit weiteren Regulierungsforderungen so-
wie zu möglichen Manipulationen am Strommarkt.

Es ist zweifellos richtig, dass zahlreiche Stromver-
triebe ihre Preise im Laufe dieses Jahres erhöht haben
und dies teilweise auch für Juli angekündigt haben. Ge-
nauso richtig ist aber auch, dass die meisten Vertriebe ih-
ren Strom für 2009 bereits in den Jahren 2007 und 2008
beschafft haben. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die
Großhandelspreise in diesen beiden Jahren deutlich über
denen von heute lagen. Die Linken begründen den An-
stieg der Strompreise nun ausschließlich mit einem Miss-
Zu Protokoll
brauch der Marktmacht durch die vier großen Energie-
versorger und ignorieren den Zusammenhang zwischen
hohen Öl- und Gaspreisen, hohen CO2-Zertifikatepreisen
und den Strompreisen an der Strombörse. Dies ist
schlicht unredlich.

Der Vorwurf von Linken und Grünen, Eon und RWE
hätten in der Vergangenheit ihre – zweifelsohne vorhan-
dene – Marktmacht missbraucht, ist sicher durchaus
richtig. Die mittlerweile gegen erhebliche Auflagen ein-
gestellten Verfahren der EU-Kommission gegen beide
Unternehmen bestätigen dies. Seither hat sich jedoch
sehr viel in Sachen Transparenz, insbesondere auf dem
deutschen Strommarkt, getan.

Produktionsdaten der Kraftwerke aus Deutschland,
der Schweiz und Österreich können über eigene Transpa-
renzplattformen der Unternehmen sowie bei der EEX on-
line eingesehen werden. Geplante und ungeplante Kraft-
werksausfälle werden so weit wie möglich vorab bekannt
gegeben. Die Transparenzinitiative wird auch 2009 mit
einer gemeinsamen Internetplattform bei der EEX fort-
gesetzt, auf der die von den Stromproduzenten gemelde-
ten Daten noch besser als bisher zusammengeführt wer-
den.

Die Verdoppelung des Handelsvolumens am Stromter-
minmarkt der EEX zwischen 2005 und 2008 ist ebenfalls
ein Anzeichen dafür, dass der Markt immer besser funk-
tioniert. Mittlerweile sind an der EEX über 200 Handels-
teilnehmer aus 20 Staaten aktiv und handeln Strom weit
über die deutschen Landesgrenzen hinaus. Darüber hi-
naus haben die EEX aus Leipzig und die französische
Strombörse Powernext zwischenzeitlich ihre Spotmärkte
zusammengelegt.

Die Linken fordern – wie in fast jedem Antrag zur
Energiepolitik – wieder einmal die Wiedereinführung ei-
ner Strompreisaufsicht auf Länderebene. Diese unsinnige
Forderung wird allerdings auch dadurch nicht richtiger,
dass man sie gebetsmühlenartig wiederholt. Was falsch
ist, bleibt falsch. Die staatliche Preisaufsicht hat sich im-
mer nur auf den Vertrieb bezogen und konnte die Ver-
braucher schon in der Vergangenheit nicht vor Preis-
erhöhungen schützen. Hier hilft uns kein Rückfall in die
staatliche Preisaufsicht, sondern mehr Wettbewerb.

Im Stromendkundenmarkt kommt dieser Wettbewerb
mittlerweile sehr gut in Gang. Im Jahr 2007 haben be-
reits rund 1,3 Millionen Stromkunden den Versorger oder
zumindest den Tarif gewechselt. Auch im Gasmarkt ist
ein zunehmender Wettbewerb um die Endkunden zu er-
kennen, wenn auch noch auf einem deutlich niedrigerem
Niveau. Eine staatliche Preisaufsicht würde diesen ge-
rade aufkeimenden Wettbewerb gleich wieder zunichte-
machen.

Nach Untersuchungen des Internetportals Verivox
kann mittlerweile jeder Kunde in Deutschland zwischen
durchschnittlich 53 Strom- und 8 Gasanbietern wählen
und so bis zu 400 Euro im Vergleich zum Tarif des Grund-
versorgers sparen.

Ein gutes Signal für den Wettbewerb im deutschen
Endkundenmarkt war auch die letzte Woche gefallene
Entscheidung der EU-Kommission zum Fusionsverfah-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
ren des schwedischen Vattenfall-Konzerns und des nie-
derländischen Unternehmens Nuon. Vattenfall darf Nuon
nur unter der Auflage übernehmen, dass das Deutsch-
landgeschäft von Nuon mit immerhin rund 275 000
Strom- und 35 000 Gaskunden in den Vattenfall-Kern-
märkten Berlin und Hamburg abgegeben wird. Die Kun-
den, die sich in der Vergangenheit bewusst für einen
Wechsel entschieden haben, werden also nicht wieder
Vattenfall-Kunden durch die Hintertür.

Mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen haben wir dem Bundeskartellamt mehr
Macht im Kampf gegen missbräuchlich überhöhte End-
kundenpreise eingeräumt. Das ist der richtige Weg, und
er zeigt erste Erfolge, wie die ebenfalls auflagenbe-
wehrte Einstellung des Missbrauchsverfahrens gegen
29 Gasversorger bis Anfang Dezember 2008 gezeigt hat.

Das Bundeskartellamt hat im Frühjahr eine Sektoren-
untersuchung des Stromgroßhandelsmarkts eingeleitet.
Die Auswertung der abgeforderten Unterlagen wird sich
voraussichtlich bis zum Herbst hinziehen. Dann wird
sich zeigen, ob einigen Marktteilnehmern tatsächlich
missbräuchliches Verhalten nachgewiesen werden kann.
Ich vertraue dabei der Arbeit des Bundeskartellamtes
und sehe bis zum Abschluss der Untersuchung keine wei-
tere Handlungsnotwendigkeit der Bundesregierung. Be-
vor weitere Maßnahmen wie beispielsweise die von den
Grünen geforderte Verschärfung der Börsenaufsicht in
Erwägung gezogen werden, sollte erst einmal das Ergeb-
nis der Untersuchung abgewartet werden.

Ich warne vor voreiligen Schlüssen und Vorverurtei-
lungen. Sollten Manipulationen eines oder mehrerer
Marktteilnehmer tatsächlich nachgewiesen werden, dann
plädiere ich dafür, sowohl politisch als auch juristisch
aktiv zu werden. Bis dahin gilt aber wie bei allen anderen
Untersuchungen auch die Unschuldsvermutung.

Es ist unbestreitbar, dass die Energiekostenentwick-
lung der vergangenen Jahre für immer mehr Haushalte
eine ganz erhebliche Belastung darstellt, auch wenn die
Energiepreise jetzt als Folge der Wirtschaftskrise fallen.
Die Menschen erwarten von der Politik, Handlungsop-
tionen aufgezeigt zu bekommen. In Zeiten einer wachsen-
den globalen Energienachfrage und gleichzeitig knapper
werdender Ressourcen wäre es falsch, Hoffnungen auf
dauerhaft niedrige Energiepreise zu wecken. Nationale
Politik kann auf die Preisentwicklung auf den Weltmärk-
ten nur sehr bedingt Einfluss nehmen. Sie kann aber da-
bei mithelfen, wenn schon nicht die Preise, so doch die
Kostenbelastung für die Verbraucher im bezahlbaren
Rahmen zu halten. Ganz oben auf der Tagesordnung
muss deshalb stehen, gleichen Lebenskomfort bei sinken-
dem Energieverbrauch zu ermöglichen. Wir haben un-
sere Energie- und Klimapolitik auf diese Maxime ausge-
richtet.

Ein wesentlicher Pfeiler unserer Politik ist das Inte-
grierte Energie- und Klimaprogramm, in dem wir zahl-
reiche Maßnahmen aus allen Politikbereichen gebündelt
haben. Kraft-Wärme-Kopplung und der verstärkte Ein-
satz erneuerbarer Energien im Strom- und Wärmesektor
verringern unsere Importabhängigkeit und mindern die
Zu Protokoll
Energiekostenbelastung der privaten Haushalte. Schon
seit Jahren schaffen wir darüber hinaus mit dem auf
1,5 Milliarden Euro aufgestockten CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm Anreize zur energetischen Gebäudesa-
nierung. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als
100 000 zinsgünstige Kredite und Zuschüsse mit einem
Volumen von 6,4 Milliarden Euro für energetische Sanie-
rungen oder energiesparende Neubauten zugesagt. Seit
2006 konnten rund 800 000 Wohnungen energieeffizient
saniert oder neu errichtet werden und haben so jährlich
bis zu 220 000 Arbeitsplätze in der mittelständischen
Bauwirtschaft und im lokalen Handwerk gesichert.
Gleichzeitig wurde ein erheblicher Beitrag zum Klima-
schutz geleistet, und die Haushalte werden bei ihrer
Energiekostenrechnung dauerhaft entlastet.

Ein weiteres Element des integrierten Energie- und
Klimaprogramms ist das ebenfalls bereits verabschiedete
Gesetz zur Liberalisierung des Zähl- und Messwesens.
Ab Januar 2010 haben Endkunden das Recht, sich intel-
ligente Strom- und Gaszähler einbauen zu lassen. Damit
schaffen wir Transparenz über den tatsächlichen Ener-
gieverbrauch und eröffnen neue Möglichkeiten zur Ener-
gieeinsparung sowie zur gezielten Last- und Verbrauchs-
steuerung. Intelligente Zähler sind der Einstieg in
intelligente Netze mit einer besseren Verzahnung von
Stromerzeugung und Stromverbrauch. Wenn teure Last-
spitzen vermieden werden können, bringt dies ein erheb-
liches Einsparpotenzial sowohl in der Erzeugung als
auch im Netz.

Im Gesetz enthalten ist auch die Pflicht für Energie-
versorgungsunternehmen, spätestens Ende 2010 tages-
zeit- oder lastvariable Tarife anbieten zu müssen. Damit
eröffnen sich für Verbraucher und Energieversorger neue
Möglichkeiten.

Dies sind nicht wegzudiskutierende Erfolge dieser Ko-
alition, mit denen wir die Ablehnung der Oppositionsan-
träge gut begründen können. Ich möchte aber auch nicht
verschweigen, dass wir mit einem mutigeren Koalitions-
partner noch mehr hätten erreichen können. Wir hätten
beispielsweise gerne noch in dieser Legislaturperiode
ein – dringend notwendiges – Hocheffizienzgesetz verab-
schiedet. Dies war jedoch mit der Union nicht zu ma-
chen.

Parteiübergreifend herrscht Konsens, dass wir zur Er-
reichung unserer ehrgeizigen Energie- und Klimaschutz-
ziele eine Verdoppelung der Energieproduktivität in
Deutschland zwischen 1990 und 2020 erreichen müssen.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss unsere Energieproduk-
tivität bis 2020 jährlich um 3 Prozent ansteigen. Im
Durchschnitt der letzten acht Jahre haben wir allerdings
gerade einmal 1,8 Prozent jährlich erreicht. Ohne wei-
tere Maßnahmen zur Energieeffizienz, wie der Einfüh-
rung von Energiemanagementsystemen in Unternehmen
oder einem Energieeffizienzfonds zur Förderung von Be-
ratung und Effizienzmaßnahmen in privaten Haushalten
werden wir unser selbstgestecktes Ziel verfehlen. Daher
wird die neue Koalition ab Herbst unabhängig von den
politischen Konstellationen ein Energieeffizienzgesetz
verabschieden müssen, das diesen Namen auch verdient.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1623034800

Um die Energiekosten nachhaltig zu senken und mehr

Wettbewerb auf dem Strommarkt zu schaffen, gilt es, vor
allem die wettbewerblichen Strukturen zu verbessern und
eine strikte Missbrauchsaufsicht zu etablieren. Genau
hier muss eine verantwortungsvolle Politik ansetzen.

Die FDP hat in ihrem Antrag eine ganze Reihe von
Stellschrauben genannt, die dazu beitragen können. Da
der schwarz-roten Koalition aber nach wie vor ein kon-
sistentes energiepolitisches Programm und damit eine
nachhaltige Strategie fehlt, kommt auch die Entwicklung
des Strommarktwettbewerbs nicht voran. Dabei ist es
wichtig, gerade jetzt die Weichen zu stellen, damit Ener-
gie auch in zehn Jahren noch bezahlbar und sicher ist.
Die Voraussetzungen sind zum Teil gut: Inzwischen
herrscht ein parteiübergreifender Konsens über den Vor-
schlag der FDP, eine gemeinsame deutschlandweite
Regelzone zu etablieren. Damit könnten Kosten in
dreistelliger Millionenhöhe gespart und der Wettbewerb
im Regelenergiemarkt verbessert werden. Doch die
schwarz-rote Regierung zaudert. Auch über zehn Jahre
nach der Marktöffnung haben wir noch immer zersplit-
terte Marktgebiete, und Gas kann nicht deutschlandweit
an der Börse gehandelt werden. Den Gaskunden bleibt
ein echter Preiswettbewerb dadurch verschlossen. Ein
weiteres Beispiel: Wo bleibt eine effektivere Aufsicht über
die deutsche Strombörse? Dazu könnte eine unabhängige
Marktbeobachtungsstelle geschaffen werden, die durch
neue Analyseinstrumente bereits während des Handels-
vorgangs Manipulationen aufdecken kann.

Das Risiko dieses Stillstands ist beträchtlich und er-
höht sich weiter, je länger die Bundesregierung im
Nichtstun verweilt – das kann am Ende für die Bürger zu
einem teuren Vergnügen werden. Diese Woche hätte ei-
gentlich das CCS-Gesetz zur Abstimmung stehen sollen.
Koalitions- und fraktionsinterne Streitigkeiten sorgen
stattdessen dafür, dass Deutschland bei dieser wichtigen
Zukunftstechnologie den Anschluss verliert. Zugleich ris-
kiert Deutschland nicht nur das Verfehlen seiner Klima-
schutzziele, sondern stellt auch die weitere CO2-ärmere
Nutzung der Kohle infrage. Viele Unternehmen stehen
nun vor völliger Planungsunsicherheit. Wer will, dass
Deutschland jedoch weiter aus der Kernenergie ausstei-
gen und gleichzeitig vor allem Gas für neue Kraftwerke
einsetzen soll, der wird sich gleich zwei Probleme ein-
handeln: erstens eine Verknappung des Energieangebots
mit preistreibendem Effekt und zweitens eine steigende
Abhängigkeit vom russischen Gas. Erneuerbare Ener-
gien werden in der Grundlast noch keinen Ausgleich be-
reitstellen können. Denn für eine sichere Versorgung
zählt nicht nur die Menge an erzeugten Strom, sondern
die sichere Verfügbarkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Alles andere sind gefährliche grüne Wunschträume. Eine
noch größere Abhängigkeit von Russland kann ebenfalls
nicht unser Ziel sein. Wir treten dafür ein, dass Deutsch-
land auch in Zukunft seine Versorgung mit grundlast-
fähigem Strom in größtmöglicher Unabhängigkeit
organisiert. Klimaschutz zu vertretbaren Kosten bei
gleichzeitiger Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit
ist noch auf längere Frist nur mit der Kernenergie und
nicht gegen sie zu erreichen.
Zu Protokoll
Vor dem Weg, den die Fraktion Die Linke begehen
will, um die Probleme auf dem Strommarkt zu beheben,
kann ich nur warnen. Die in dem Antrag formulierten
Schritte führen quasi in eine Verstaatlichung. Anstatt die
Ursachen des Problems zu beheben, nämlich den fehlen-
den Wettbewerb bei der Stromproduktion, will die Linke
an den Symptomen kurieren. Die vorgeschlagene Rück-
kehr zu einer Strompreisaufsicht bei den Ländern mag
populär sein, eine Lösung für das Preisproblem ist sie
keinesfalls. Die Strompreisaufsicht würde uns zurück in
den Zustand vor der Liberalisierung katapultieren. Ge-
nau diese Aufsicht hat es nicht verhindern können, dass
die Strompreise in Deutschland zu Beginn der Liberali-
sierung zu den höchsten Europas zählten. Die Kontrol-
leure bei den Ländern waren den kontrollierten Unter-
nehmen vom Wissensstand jederzeit unterlegen. Das
Ganze war nichts anderes als ineffiziente Basarökono-
mie. Für den Wettbewerb käme die Rückkehr zur Preis-
aufsicht einer Katastrophe gleich. Neue Stromanbieter
und Händler würden zusammen mit den von ihnen ge-
schaffenen Arbeitsplätzen wieder vom Markt gefegt. Das
Recht des Verbrauchers, sich seinen Stromanbieter aus-
zusuchen, wäre bei einem Einheitspreis Makulatur. Der
gesamte Energiehandel würde gegen die Wand gefahren.
Denn steigen die Erzeugerpreise infolge von Preissteige-
rungen auf dem Markt für CO2-Zertifikate, so müsste der
Stromhandel im Einkauf höhere Preise zahlen, könnte
aber diese Preissteigerungen nicht mehr an die Endkun-
den weitergeben. Das heißt, die Stromhändler würden
hohe Verluste aufhäufen. Damit würde genau die Situa-
tion erzeugt, die in Kalifornien zum Zusammenbruch der
Stromversorgung geführt hat.

Die FDP-Bundestagsfraktion ist dafür, dass Markt-
macht dort, wo sie von marktbeherrschenden Unterneh-
men ausgeübt wird, effektiv kontrolliert wird und gegen
Missbrauch durch das Kartellamt oder die EU-Kommis-
sion streng vorgegangen wird. Wichtige Handelsein-
richtungen wie die Strombörse EEX müssen mit Auf-
sichtssystemen gekoppelt werden, die Preismanipulation
verhindern können. Deshalb fordern wir eine Markt-
beobachtungsstelle, die in der Lage ist, die Handelspro-
zesse an der Börse zu überwachen und einem Manipula-
tionsverdacht sofort nachzugehen. Die Handelsteilnehmer
als solche zu beschränken, bringt dagegen nichts. Damit
wird nur Handelsliquidität vom Markt genommen. Der
Handel über zukünftige Preise ist aufgrund der erforder-
lichen Prognosen immer spekulativ, egal wer an diesem
Handel beteiligt ist.

Die FDP ist für eine deutliche Entlastung der Bürger
von den Energiekosten. In den letzten Jahren haben sich
die Energiepreise für private Haushalte und auch Teile
der deutschen Wirtschaft erheblich erhöht – für viele in
einem kaum mehr verkraftbaren Maß. Im Gegensatz zu
den eilig zusammengeschusterten Forderungen von
Bündnis 90/Die Grünen, die höchstens populistische All-
gemeinplätze bedienen, setzen wir Liberalen auf kon-
struktive ordnungspolitische Vorschläge, um die berech-
tigten Anliegen der Bevölkerung in der Energiepolitik
voranzubringen. Und da ist die Senkung der staatlichen
Zusatzlasten durch das Zurückdrehen der Steuer-
schraube der richtige Weg. Die FDP fordert eine Absen-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
kung des Umsatzsteuersatzes auf Energie von 19 Prozent
auf 7 Prozent. Dies bringt mehr Netto für alle Verbrau-
cher, für Familien, aber auch für die Wirtschaft. Die
Dinge des täglichen Bedarfs sollten für die Mitte der Ge-
sellschaft erschwinglich werden. Mobilität, das Heizen
und der Strom dürfen kein Luxus werden. Deshalb setzen
wir bei dem größten Preistreiber an, dem Staat. Denn
40 Prozent der Stromrechnung eines durchschnittlichen
Haushalts sind staatlich veranlasst. Der Spritpreis be-
steht sogar zu fast zwei Dritteln aus Steuern. Dabei wird
Umsatzsteuer nicht nur auf den Nettopreis des Kraftstoffs
erhoben, sondern auch auf die darauf zu entrichtende
Mineralölsteuer. Jede Preisrunde spült dem Finanz-
minister mehr Geld in die Kasse. Den Empfängern von
Sozialleistungen über Sozialtarife die in der Stromrech-
nung verborgenen staatlichen Lasten abzunehmen, kann
nicht Aufgabe der Mehrheit der Stromkunden sein. Die
deutschen Bürger zahlen bereits heute durch eine ver-
fehlte Steuerpolitik ohnehin zu viel Steuern. Die gegen-
wärtige Besteuerung von Energie ist nur ein weiterer Be-
leg dafür, dass Deutschland nicht nur eine Steuerreform,
sondern ebenso eine umfassende Strukturreform seiner
Steuern braucht.

Darüber hinaus aber lassen sich die Wettbewerbspro-
bleme auf den deutschen Strom- und Gasmärkten nicht
mit einfachen Parolen à la Zerschlagung oder Ähnlichem
wegdiskutieren. Hier sind verbesserte ordnungspoliti-
sche Rahmenbedingungen gefragt. Wir schlagen vor,
eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Netzebene al-
lenfalls als Ultima Ratio vorzusehen, stattdessen aber die
wirklichen Probleme in Angriff zu nehmen. Eine gemein-
same „Netz AG“, in der die Übertragungsnetze der gro-
ßen EVU gebündelt würden in einer unabhängigen Ge-
sellschaft, wäre hinreichend unabhängig, ohne die
verfassungsmäßigen Probleme einer Enteignung aufzu-
werfen.

Die effektivste Art, die eigene Energierechnung zu
senken, bleibt das Energiesparen. Wir unterstützen alle
Ansätze für eine bessere Energieberatung, allerdings
nicht als Zwangsberatung, denn die ist wenig effektiv.
Produzenten und Handel haben es in der Hand, den
Energiespareffekt zu einem Verkaufsargument zu ma-
chen. In vielen Fällen amortisieren sich Mehrkosten bei
der Anschaffung durch die Energieersparnis. Abzulehnen
sind dagegen planwirtschaftliche Gängelungen, wie sie
die Bundesregierung mit dem ersten Entwurf des Ener-
gieeffizienzgesetzes vorgelegt hatte. Inzwischen hat die
Bundesregierung nicht nur den eigenen Gesetzentwurf
wieder kassiert, sondern die Umsetzung des Gesetzes
insgesamt ad acta gelegt – und das, obwohl die EU-
Richtlinie längst hätte umgesetzt werden müssen.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623034900

Seit diese Bundesregierung im Amt ist, hat sich Strom

um über ein Viertel verteuert. Das ist die energiepoliti-
sche Bilanz der Großen Koalition. Das kann jeder von
uns von der Stromrechnung ablesen. Das Schlimme da-
ran: Dieser Feldzug gegen die Verbraucherinnen und
Verbraucher wird maßgeblich von der Bundesregierung
betrieben. Erstens: CDU/CSU und SPD haben die Strom-
preisaufsicht Mitte 2007 abgeschafft. Seit diesem Zeit-
Zu Protokoll
punkt verteuert sich elektrische Energie doppelt so
schnell. Zweitens: Wirksame Maßnahmen der EU-Kom-
mission gegen die Energiekonzerne zur Eindämmung der
Monopolwirtschaft werden von der Bundesregierung ge-
zielt verhindert. Erst vor kurzem hat sie einen Vorschlag
Brüssels zur Zerschlagung des Stromkartells zu Fall ge-
bracht – ganz nach dem Wunsch Eon, RWE, Vattenfall
und EnBW. Drittens: Die Große Koalition sieht dem Trei-
ben von Hedgefonds und Banken an der Strombörse EEX
tatenlos zu. Dort werden durch den Handel mit Strom-
mengenverträgen, sogenannten Derivaten, künstliche
Strompreise erzeugt, die weit über den nachvollziehbaren
Stromgestehungskosten liegen. Die Strombörse ist nichts
anderes als eine Gelddruckmaschine für Spekulanten.

Das ist auch ein Grund, warum die Stromrechnungen
trotz Krise und fallender Rohstoffpreise weiter steigen.
Viele Stadtwerke und Regionalversorger mit geringer
Eigenversorgung mussten sich weit im Voraus mit ver-
fügbarem Strom vom Markt eindecken. Sie bekommen
jetzt die Energie geliefert, die sie vor über einem Jahr
teuer kaufen mussten. Preissenkungen sind deshalb vor-
erst nicht zu erwarten. Ohne Zockerei an der EEX und
bei Einbeziehung günstigerer Rohstoffe würden Privat-
haushalte heute für elektrische Energie ganze 11,5 Mil-
liarden Euro weniger bezahlen!

Deshalb müssen wir jetzt den Spekulanten das Hand-
werk legen. Ein Verbot des hochspekulativen Deriva-
tehandels durch Hedgefonds und Banken verhindert eine
erneute Preisspirale nach oben. Denn Hedgefonds kau-
fen keinen Strom, um ihre Büros mit elektrischer Energie
zu versorgen, sondern um 30 Prozent Profit zu machen.
Das Stromgeschäft gehört zurück in die Hände der Stadt-
werke, und der Monopolwirtschaft der Konzerne muss
durch eine wirksame Preisaufsicht ein Ende bereitet wer-
den.

Die Linke fordert deshalb: eine wirksame Strompreis-
aufsicht mit Zuständigkeit bei den Ländern einzuführen,
der gegenüber die Energieversorger die Zusammenset-
zung aller Tarife vorab offenlegen müssen. Gleichzeitig
soll ein Verbraucherbeirat den Stromkundinnen und
Stromkunden ein Mitspracherecht gewähren und in de-
ren Interesse die behördliche Tätigkeit überwachen; den
Derivatehandel sowie Hedgefonds an der Strombörse
verbieten und die Kontrolle des gesamten Stromhandels
einschließlich außerbörslicher Geschäfte einer öffentli-
chen Einrichtung übertragen; am Stromhandelsmarkt
nur Teilnehmer zulassen, die unmittelbar physische
Stromgeschäfte durchführen, und den Spotmarkt für den
kurzfristigen Handel vollständig den Regeln des Wertpa-
pierhandelsgesetzes unterwerfen, um unzulässige Preis-
auftriebe für den langfristigen Terminmarkt zu unterbin-
den.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich endlich auf
die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stel-
len, um die Abzocke per Steckdose zu beenden.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623035000

Die Stromkonzerne nutzen ihre marktdominante Stel-

lung aus, um die Strompreise in die Höhe zu treiben. Das
ist inzwischen aktenkundig. Die EU-Kommission hat dem



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell
Eon-Konzern wegen der gezielten Kapazitätsrückhaltung
ein Milliardenbußgeld angedroht. Der Vorwurf: Eon hat
Kraftwerke gedrosselt oder abgeschaltet, um das Strom-
angebot zu verringern und den Börsenpreis für Strom
zum eigenen Nutzen in die Höhe zu treiben. Dadurch ist
den Stromkunden und -kundinnen ein Milliardenschaden
durch überhöhte Strompreise entstanden. Leider hat die
EU-Kommission das Verfahren gegen Eon gegen einen
Vergleich eingestellt. Eon muss 5 000 Megawatt Kraft-
werksleistung sowie sein Übertragungsnetz an andere
Unternehmen abgeben.

Weitere Ermittlungen gegen Eon sind damit nicht
mehr möglich, die Akten liegen in den Kellern der EU-
Kartellbehörde unter Verschluss. Weder die deutschen
Behörden noch Gerichte haben Zugriff darauf. Die Ver-
braucherinnen und Verbraucher haben von dem Ver-
gleich nichts Zählbares. Sie sind über Jahre abgezockt
worden, doch ein Recht auf Rückzahlung der überhöhten
Preise haben sie nicht.

Der Vorgang zeigt einmal mehr, dass der Strommarkt
wegen der Dominanz der Energiekonzerne nicht funktio-
niert. Er ist möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs.
Denn aktuell laufen Verfahren gegen alle großen deut-
schen Stromkonzerne.

Doch welche Schlüsse sind aus dem Marktversagen zu
ziehen? Die Linke fordert in ihrem Antrag, den Börsen-
handel massiv zu beschränken, besser gesagt: ihn de
facto abzuschaffen. Das wäre ein großer Schritt in das
von der Linken propagierte Zurück zu einer staatlich be-
herrschten Energieversorgung. Dazu passt dann auch
die zweite Forderung, dass eine staatliche Preisaufsicht
eingeführt werden soll. Sie ist weder neu, noch bringt sie
uns weiter. Wir hatten lange Jahre eine Preisaufsicht der
Länder. Vor Strompreiserhöhungen hat das aber nieman-
den geschützt. Im Gegenteil: Es gab vielerorts einen
Wildwuchs zwischen den Energiekonzernen und den Auf-
sichtsbehörden. Mit Kontrolle hatte all das nichts zu tun.
Da bietet die heutige Regulierung über die Bundesnetz-
agentur und die Kontrolle über das Bundeskartellamt
weit bessere Möglichkeiten.

Der Weg der Linken ist zum Scheitern verurteilt, und
er wird von uns abgelehnt. Denn er heißt nichts anderes,
als zurückzukehren zu Monopolen. Monopole, auch
staatliche, sind aber der natürliche Feind des Fort-
schritts und damit auch der dringend erforderlichen
Energiewende. Das dynamische Wachstum der erneuer-
baren Energien, die wachsende Zahl von Energieanbietern
– all das ist nur in einem fairen Energiemarkt, der auch auf
dem ökologischen Auge nicht blind ist, zu erreichen.

Doch nicht die Linke behindert die Schaffung fairer
Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt. Ausgerechnet
die Marktfetischisten in FDP und CDU sperren sich und
halten den großen Konzernen die Treue. Zusammen mit
der SPD haben sie schon unsere Initiative abgelehnt, die
Preismanipulationen in einer Anhörung zu durchleuch-
ten. Von einem funktionierenden Energiemarkt sind wir
in Deutschland noch weit entfernt. Der Rahmen stimmt
nicht, und wir Grüne fordern deshalb, nicht den Markt
abzuschaffen, sondern endlich für die richtigen Rahmen-
bedingungen zu sorgen, um fairen Wettbewerb, Innova-
tion und Klimaschutz in der Energieversorgung voranzu-
bringen.

Als Erstes wollen wir die Strompreismanipulation
durch ein konsequentes Einschreiten auch der nationalen
Kartellbehörden unterbinden. Es reicht nicht, dass auf
EU-Ebene Vergleiche mit den Konzernen geschlossen
werden. Die Kartellbehörden müssen auch auf nationa-
ler Ebene aktiv werden und den Missbrauch der Markt-
macht beenden.

Nicht minder bedeutend ist es herauszubekommen,
wie groß eigentlich der von Eon angerichtete Schaden
bei den Stromkunden wirklich ist. Darüber wird bislang
hartnäckig geschwiegen. Experten schätzen ihn auf bis
zu 30 Milliarden Euro. Es geht also um viel Geld. Dieses
Geld gehört den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Wir wollen, dass die unrechtmäßigen Gewinne zugunsten
der Verbraucher abgeschöpft werden können, etwa über
die Verbraucherorganisationen. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher benötigen dringend mehr Rechte, um
sich gegen das Treiben der Energiekonzerne zur Wehr
setzen zu können. Wir fordern deshalb von der Bundesre-
gierung, die aktuellen Bemühungen der EU-Kommission
zur kollektiven Rechtsdurchsetzung – etwa durch Sam-
melklagen – mit aller Kraft zu unterstützen, damit Strom-
kunden ihre Rechte künftig besser durchsetzen können.

Nicht zuletzt brauchen wir eine Stärkung der Börsen-
aufsicht und der Verbraucherrechte. So ist bis heute bei-
spielsweise der Insiderhandel an der Strombörse nicht
verboten. Das muss sich schleunigst ändern. Auch in ei-
nem funktionierenden Energiemarkt wird Strom nicht bil-
lig. Dagegen sprechen schon die inzwischen wieder an-
steigenden Preise für Öl und Erdgas. Durch einen
transparenten und fairen Markt können wir aber verhin-
dern, dass einige wenige Konzerne sich unrechtmäßig
bereichern. Dafür ist es höchste Zeit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623035100

Zunächst kommen wir zum Tagesordnungs-

punkt 35 a. Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf
Drucksache 16/13069.


(Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] verlässt den Saal – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich bitte um Aufmerksamkeit. Wir müssen die Abstim-
mungen sauber durchführen. Es muss jeder verstehen,
worüber wir abstimmen. Ich bitte, so weit Ruhe zu be-
wahren.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/11908 mit dem Titel
„Strommarkt durchgreifend regulieren – Energiepreissen-
kungen durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12692 mit






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
dem Titel „Manipulierte Strompreise – Verbraucherinte-
ressen wahren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Tagesordnungspunkt 35 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 16/9495. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/8079 mit dem Titel „Strukturelle Wettbe-
werbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mehrheitlich angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8536 mit
dem Titel „Das Energiekartell aufbrechen – Für Klima-
schutz, Wettbewerb und faire Energiepreise“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mehrheitlich angenommen.

Tagesordnungspunkt 35 c: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Energiekosten senken – Mehr Netto für die
Verbraucher“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/10506, den An-
trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9595 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Verordnung über die Versteigerung von Emis-
sionsberechtigungen nach dem Zuteilungsge-

(Emissionshandels-Versteigerungsverordnung 2012 – EHVV 2012)


– Drucksachen 16/13189, 16/13263 Nr. 2.3,
16/13677 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Bärbel Höhn

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.


Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1623035200

Mit dem Emissionshandel haben wir in Deutschland

und Europa ein marktwirtschaftliches System etabliert,
um die großen Unternehmen an unseren Bemühungen um
einen effizienten Klimaschutz zu beteiligen. Europa ist
Vorreiter auch in diesem Bereich. Unser Ziel ist nun, den
europäischen Emissionshandel weiterzuentwickeln, ihn
mit anderen Emissionshandelssystemen weltweit zu ver-
knüpfen, um am Ende ein umfassendes globales System
zu erreichen. Dies war auch Thema im Rahmen der Reise
der Bundeskanzlerin in die USA. Ihre Beratungen mit
US-Präsident Obama zum Klimawandel hatten eben
auch ein solches Handelssystem zum Thema.

Der Weiterentwicklung des Systems und insbesondere
auch dem Zurückdrängen von Windfall Profits, von Mit-
nahmeeffekten, dient die schrittweise Einführung der
Versteigerungspflicht. Die letztlich erfolgreiche Initiative
zur Einführung einer Teilversteigerung ging vom Parla-
ment aus und wurde von der Union vorangetrieben. Mit
einem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen ha-
ben wir vor den Verhandlungen über die Ausgestaltung
des europäischen Emissionshandels die Bundesregie-
rung auf eine 100-prozentige Versteigerung für den
Strombereich festgelegt.

Das Zuteilungsgesetz 2012 – ZUG 2012 – regelt die
Zuteilung von Emissionsberechtigungen für emissions-
handelspflichtige Anlagen. Es sieht in dieser Handelspe-
riode neben kostenloser Zuteilung eine Veräußerung von
Teilen der Gesamtzuteilungsmenge vor. Den Weg hin zu
einer vollständigen Versteigerung soll jetzt die Emissi-
onshandelsversteigerungsverordnung 2012 ebnen. Sie
enthält Regelungen, nach denen in den Jahren 2010 bis
2012 jährlich 40 Millionen Emissionsberechtigungen in
Deutschland versteigert werden. Damit erproben wir das
Versteigerungsverfahren bereits heute, bevor ab der drit-
ten Handelsperiode des EU-Emissionshandels für die
Jahre 2013 bis 2020 die Versteigerung die einzige
Allokationsmethode sein wird.

Die Emissionshandelsversteigerungsverordnung 2012
übernimmt das Konzept, die Zertifikate an einer der be-
stehenden Börsen für die Emissionsberechtigungen zu
handeln. Damit soll gewährleistet werden, dass eine Ver-
bindung zu ausreichend liquidem Markt besteht.

Vorgesehen ist: Eine wöchentliche Versteigerung in ei-
nem einfachen, transparenten und diskriminierungs-
freien Prozess mit gleichen, vorher festgelegten Mengen,
870 000 Zertifikate pro Woche. Die Versteigerung von
Geschäften zur kurzfristigen Erfüllung, Spot, und auf
Termin, Futures. Ein einfaches Design mit einer Bieter-
runde, in der alle erfolgreichen Bieter den gleichen Preis
bezahlen. Die Teilnahme aller Marktteilnehmer am nor-
malen Börsenhandel an der Versteigerung. Die Nutzung
der gesamten Aufsichts- und Sicherungsinfrastruktur der
Börsen. Damit sollen Versuche verhindert werden, den
Versteigerungspreis zu manipulieren. Transparenz durch
zeitnahe Veröffentlichung des Versteigerungsergebnisses
und regelmäßige Berichte. Kein staatlicher Eingriff in
die Preisbildung, die Versteigerung soll gerade den
marktkonformen CO2-Preis ermitteln.

Natürlich stellt sich die Frage nach den Kosten. Ich
weiß, dass teilweise die Sorge besteht, dass gerade klei-
nere Unternehmen durch die hohen Kosten von der Teil-
nahme an der Versteigerung abgehalten werden könnten.
Wir gehen nach unseren Informationen davon aus, dass
der Wechsel vom Verkauf an den Handelsplätzen zur Ver-


(A) (C)



(B) (D)


Andreas Jung (Konstanz)

steigerung zu keinen zusätzlichen Kosten führt. Bisher
veräußerte der Bund Emissionsberechtigungen nur an
Börsen, sodass diejenigen Unternehmen, die die Berech-
tigungen direkt vom Bund erwerben möchten, bisher
auch schon an einer Börse zugelassen sein müssen. Zu-
dem dürfen erhobene Gebühren und Entgelte gemäß § 4
Abs. 2 nicht höher sein als diejenigen, die sonst für den
Handel mit Berechtigungen an der jeweiligen Börse ver-
langt werden. Alternativ können Unternehmen indirekt
– über ihre Geschäftsbanken als Intermediäre – an der
Versteigerung teilnehmen oder ihren Bedarf über den
täglichen Börsenhandel decken, sofern dies für sie güns-
tiger ist.

Wir nehmen die erhobenen Einwände gegen das vor-
gesehene System jedoch insofern ernst, als wir die Ver-
steigerung in der Zeit bis 2013 auch als Probephase
ansehen. Bevor zur vollständigen Auktionierung überge-
gangen wird, müssen die Erfahrungen ausgewertet und
die Regelungen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir
gehen davon aus, dass mit dieser Verordnung eine gute
Grundlage für eine erfolgreiche Auktionierung und für
effizienten Klimaschutz geschaffen wird.


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1623035300

Auch zu so später Stunde geht es um ein wichtiges

Thema, meines Erachtens sogar um eines der wichtigsten
und drängendsten Themen der internationalen Politik –
die Klimapolitik. Passend zur Uhrzeit kann man sagen,
dass es nicht nur gerade bei uns im Bundestag, sondern
auch in der Klimapolitik kurz vor zwölf ist. Die Zeit
drängt, die Klimawissenschaftler sagen uns, dass der
Klimawandel viel schneller voranschreitet als befürchtet,
und die Konferenzen der internationalen Klimapolitik
treten auf der Stelle. Es ist somit von größter Wichtigkeit,
beim Klimaschutz vom Reden zum Handeln zu kommen,
und das nicht nur international, sondern auch auf der
Ebene der Nationalstaaten.

In Deutschland wollen wir den Ausstoß an gefährli-
chen Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent
im Vergleich zu 1990 senken. Mit dem Integrierten Ener-
gie- und Klimapaket der Bundesregierung verbinden wir
das Ziel, dass wir etwa 35 Prozent dieser Minderung ab-
bilden können. Es ist sehr wichtig, dass wir in der nächs-
ten Legislaturperiode Maßnahmen beschließen, mit de-
nen wir die Lücke zu den 40 Prozent schließen können.
Die Maßnahmen des Integrierten Energie- und Klimapa-
kets müssen effizient umgesetzt und bestehende Gesetze
dahin gehend überprüft werden, ob sie die gesetzten
Ziele erreichen.

Ein zentrales Instrument, um unser Klimaziel errei-
chen zu können – und das auf eine ökonomisch sinnvolle
Weise – ist der Emissionshandel. Bisher wird der größte
Teil der Verschmutzungsberechtigungen kostenlos zuge-
teilt, ein kleiner Teil wird verkauft. Heute beschließen wir
im Deutschen Bundestag den Einstieg in die Versteige-
rung von Emissionsberechtigungen. Wir geben der Ver-
steigerung einen rechtlichen Rahmen. Ab dem 1. Januar
des nächsten Jahres werden etwa 10 Prozent der Zertifi-
kate versteigert. Mit dem Einstieg in die Versteigerung
erproben wir dieses neue Instrument, das ab dem Jahr
Zu Protokoll
2013 sehr wichtig wird. Denn ab 2013 werden im Strom-
sektor, mit wenigen Ausnahmen in Osteuropa, alle Zerti-
fikate versteigert; bei der Industrie gibt es einen vorsich-
tigen Einstieg in die Versteigerung.

Ich möchte daran erinnern, dass es das Parlament
war, das die Versteigerung erstritten hat. Es mag sich für
diejenigen, die nicht täglich mit dem Emissionshandel
beschäftigt sind, sehr technisch anhören. Die Art, wie die
Zertifikate vergeben werden, ist aber von größter Wich-
tigkeit. Man muss wissen, dass die Stromkonzerne die
Zertifikate gratis vom Staat geschenkt bekommen, sie
aber in die Stromrechnung einpreisen. Das heißt, jeder
von uns zahlt mit seiner Stromrechnung für etwas, dass
die Stromkonzerne geschenkt bekommen haben und mit
dem sie nach Berechnungen des Öko-Instituts jedes Jahr
7 Milliarden Euro einstreichen. Dieser Abzocke setzen
wir ab dem Jahr 2013 einen Riegel vor.

In den Jahren davor lässt uns das Europarecht nur
den Raum, etwa 10 Prozent der Zertifikate zu verstei-
gern. Diese Möglichkeit nutzen wir fast vollständig. Es
war richtig, dass wir in unendlich vielen Gesprächen ge-
gen eine geballte Lobbymacht als Abgeordnete das All-
gemeinwohl hochgehalten haben und nicht irgendwelche
Lobbyinteressen; ein großer Erfolg eines durchaus
selbstbewussten Parlaments, an den ich heute noch ein-
mal erinnern möchte.

Heute gilt es nun, diese Versteigerung konkret auszu-
gestalten. Wer soll mitsteigern können? Wo, wann und
wie soll versteigert werden? Soll es Preisgrenzen geben?
Sollen wir eine neue Struktur aufbauen oder die beste-
henden Börsen nutzen? Alles Fragen, die für das relativ
neue Instrument des Emissionshandels und den relativ
neuen Markt für Emissionsberechtigungen sehr sensibel
sind. Unsere Antworten müssen gut durchdacht sein,
Transparenz schaffen und verhindern, dass es zu Markt-
manipulationen kommt. Deswegen hat es eine Reihe von
Gesprächen gegeben, erst im Rahmen der Verbändean-
hörung des Umweltministeriums, dann bei uns im Rah-
men des parlamentarischen Verfahrens.

Ich bin mir sicher, dass wir mit der vorliegenden Ver-
ordnung eine gute Grundlage geschaffen haben, um
diese Ziele zu erreichen. Wir sind allerdings klug bera-
ten, wenn wir vor dem Jahr 2013, bevor die Versteige-
rung im großen Stil eingeführt wird, diese Regeln über-
prüfen. Dann haben wir erste Erfahrungen gemacht und
können auswerten, ob die Marktteilnehmer, die kleine
Anlagen besitzen und nur geringe Mengen an Zertifika-
ten ersteigern müssen, gerecht behandelt werden, oder
ob sie so hohe Börsengebühren bezahlen müssen, dass
wir über neue Regeln nachdenken müssen. Eine faire Be-
handlung des Mittelstandes ist mir äußerst wichtig.

Mit der Versteigerungsverordnung setzen wir auf das
Konzept, dass die Emissionsberechtigungen am einfachs-
ten und am sichersten da angeboten werden, wo auch der
normale Handel stattfindet: an einer der bestehenden
Emissionshandelsbörsen. Dort bestehen schon profes-
sionelle Aufsichts- und Abwicklungsstrukturen. So kön-
nen wir auf den Aufbau einer neuen Bürokratie verzich-
ten. An welcher Börse genau? Das entscheidet sich nach
dem Vergabeverfahren. Das Bundesumweltministerium



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Frank Schwabe (SPD)

schreibt in einem Vergabeverfahren aus, und die Börsen
können sich mit ihren Konzepten bewerben. So sorgen
wir dafür, dass das wirtschaftlichste und sicherste Ange-
bot den Zuschlag erhält.

Mich hat auch eine Börse angesprochen, die wollte,
dass wir die Kriterien für die Vergabe derart gestalten,
dass nur noch eine bestimmte Börse den Zuschlag erhal-
ten kann. Ich wünsche dieser Börse, dass sie den Zu-
schlag erhält, aber dadurch, dass sie in einem transpa-
renten Verfahren das beste Angebot macht, und nicht
dadurch, dass die Kriterien nur eine Börse zulassen.
Denn es wäre unverantwortlich, wenn nicht die Börse
den Zuschlag erhalten sollte, die das beste, das transpa-
renteste, das am besten überwachte und das billigste An-
gebot vorlegt, sondern die Börse, die das Gesetz vor-
schreibt, ganz egal, wie teuer sie ist. Nun haben also alle
Börsen ein Angebot vorzulegen, und das beste Angebot
erhält den Zuschlag. Ich kann dieser einen Börse somit
nur ans Herz legen, ein gutes Angebot zu machen und
besser als die Konkurrenz zu sein. Eine Börse, immerhin
das Symbol für Marktwirtschaft, wird bestimmt gerne
diese Grundregel der Marktwirtschaft beherzigen.

Nun noch etwas zu den weiteren Details der Verord-
nung. Auf die Festschreibung eines Preiskorridors haben
wir verzichtet. Denn ein Preiskorridor hätte das Preissi-
gnal außer Kraft gesetzt. Die Verordnung regelt die Ver-
steigerung von jährlich 40 Millionen Emissionszertifika-
ten für die Jahre 2010 bis 2012. Für die Versteigerungen
in diesen drei Jahren sieht die Verordnung vor, dass die
Auktion in wöchentlich gleichen Mengen an einer der be-
stehenden Emissionshandelsbörsen stattfindet, und zwar
in der Form der dort gehandelten Produkte, das heißt auf
dem Spot- und Terminmarkt. Die Versteigerung selbst
wird nach dem einfachen Verfahren durchgeführt. Dieses
Verfahren ist bei solchen Transaktionen üblich.

Für die Börsenaufsicht und die Abwicklung der er-
folgreichen Gebote gelten dieselben Regeln wie beim
sonstigen Börsenhandel. Damit bleiben die besonderen
Vorteile des Emissionshandels auch bei der Versteige-
rung erhalten, da beim Emissionshandel Angebot und
Nachfrage aller Marktteilnehmer den aktuellen Wert der
Emissionszertifikate bestimmen. Nach der Versteige-
rungsverordnung sind staatliche Eingriffe in den Preis-
bildungsprozess nur für solche Ausnahmefälle vorgese-
hen, bei denen einzelne Bieter versuchen sollten, durch
ihre Gebotsabgabe den Versteigerungspreis zu manipu-
lieren und damit den Prozess zu missbrauchen.

Die Versteigerungsverordnung enthält eine ausdrück-
liche Öffnungsklausel, nach der auch andere EU-Mit-
gliedstaaten ihre Zertifikate auf der deutschen Handels-
plattform versteigern können.

Wir haben also ein einfaches, transparentes und kos-
tengünstiges Konzept für die Versteigerungen. Unser
börsennaher Ansatz wird auch auf die europäische Dis-
kussion Einfluss nehmen. Wichtig ist, dass wir unser
Konzept in einigen Jahren dahin gehend überprüfen, ob
all das Realität geworden ist, was wir uns heute vorstel-
len. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen wir mögliche
Fehlentwicklungen korrigieren.
Zu Protokoll
Soweit zur Versteigerungsverordnung. Es ist der letzte
Rechtsakt, den wir in dieser Legislaturperiode im Be-
reich Klimaschutz verabschieden. Wir haben in dieser
Legislaturperiode einiges für den Klimaschutz erreicht.
Leider sind auch wichtige Projekte gescheitert, zum Bei-
spiel das Umweltgesetzbuch oder das Energie-Effizienz-
Gesetz. Gerade im Bereich der Energieeffizienz müssen
wir in der nächsten Legislaturperiode viel mehr errei-
chen. Machen wir also in der neuen Legislaturperiode
gleich damit weiter und zeigen, dass Klimaschutz der
Weg aus der Krise und kein Hindernis ist.

Viele haben das noch nicht verstanden. Deswegen
geht es bei der Wahl im September um eine Richtungsent-
scheidung. Wollen wir die eingeleitete Energiewende und
das Jobwunder bei den erneuerbaren Energien weiter-
führen, oder setzen sich die Atomkonzerne RWE, Eon,
Vattenfall und EnBW durch und würgen die Ener-
giewende ab, stoppen den Ausbau der erneuerbaren
Energien und vernichten dadurch die Arbeitsplätze bei
den erneuerbaren Energien, und das nur, weil man mit ei-
nem abgeschriebenen Atomkraftwerk jeden Tag 1 Million
Euro verdienen kann? Die Wählerinnen und Wähler ha-
ben die Wahl zwischen Gemeinwohl und den Interessen
der Energiekonzerne. Sie haben die Wahl zwischen Si-
cherheit und Profit. Sie haben die Wahl zwischen Zukunft
und Vergangenheit.

Es geht jetzt darum, dass am 27. September eine zu-
kunftsfähige Energie- und Klimapolitik gewählt wird und
Atomkraft abgewählt wird, damit Atomkraft, wie der Um-
weltminister gestern sagte, auf dem Misthaufen der Ge-
schichte landet.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1623035400

Die von der Bundesregierung am 27. Mai 2009 be-

schlossene Verordnung über die Versteigerung von Emis-
sionsberechtigungen nach dem Zuteilungsgesetz 2012,
EHVV, sieht ein sogenanntes börsennahes Verfahren vor,
wonach die Versteigerungen an einer bestehenden Han-
delsbörse durchgeführt werden sollen, auf der bereits
Emissionsberechtigungen im Spot- und Terminmarkt ge-
handelt werden. Zur Teilnahme an diesen Versteigerun-
gen soll nur zugelassen sein, wer an der mit der Verstei-
gerung beauftragten Börse auch für den sonstigen Spot-
und Terminhandel von Emissionsberechtigungen bereits
zugelassen ist.

Die Teilnahme an den Versteigerungen wird damit fak-
tisch auf wenige große Energieversorgungsunternehmen,
EVU, und große Industriekonzerne sowie Finanzinstitu-
tionen und große Handelsgesellschaften begrenzt, sodass
faktisch circa 95 Prozent der Anlagenbetreiber von einer
Beteiligung am Versteigerungsverfahren ausgeschlossen
wären. Diese könnten zwar die Mitgliedschaft an der
EEX erwerben, müssten dazu jedoch zunächst mehr als
30 000 Euro Entgelt an die EEX entrichten, ohne auch
nur eine einzige Emissionsberechtigung ersteigert zu ha-
ben.

Wenig hilfreich für die Unternehmen ist der Verweis
des Bundesumweltministeriums, dass auch diesen Anla-
genbetreibern eine indirekte Teilnahme an den Versteige-
rungen über die Beauftragung von sogenannten Interme-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
diären möglich sei, das heißt Finanzinstitutionen und
großen Handelshäusern, die an der beauftragten Börse
zugelassen sind. Denn dafür würde ein unter Umständen
erhebliches Entgelt in Rechnung gestellt werden. Einzig
für den geringen Anteil von weniger als circa 5 Prozent
der Anlagenbetreiber, die bereits zuvor aus anderen
Gründen zugelassen sind, wäre damit eine Teilnahme an
den Versteigerungen zu vernachlässigbaren Zusatzkosten
möglich.

Darüber hinaus ist der Verordnungsentwurf der Bun-
desregierung auch in weiterer Hinsicht zu kritisieren.
Der Entwurf sieht nicht nur Spotversteigerungen, son-
dern auch Terminversteigerungen vor. Derartige Termin-
geschäfte könnten aber durch den Sekundärmarkt ausrei-
chend befriedigt werden.

Überdies wären mit einer Teilnahme an Terminge-
schäften vergleichsweise höhere Anforderungen hinsicht-
lich finanzieller Sicherheiten verbunden als am Spot-
markt.

Ferner sieht der Entwurf der Bundesregierung vor,
dass die Versteigerungen wöchentlich stattfinden, ob-
wohl sich rund 95 Prozent aller TEHG-Anlagenbetreiber
allenfalls zwei- bis dreimal pro Jahr am Emissionshandel
beteiligen werden. Um ein reibungsloses Inverkehrbrin-
gen der zu versteigernden Emissionsberechtigungen zu
gewährleisten und um den Bedürfnissen der weit über-
wiegenden Mehrheit der TEHG-Anlagenbetreiber zu ent-
sprechen, wäre ein Versteigerungstermin pro Quartal
völlig ausreichend.

Bei den Spotversteigerungen soll die Mindestgebots-
menge 500 Berechtigungen und bei den Termingeschäf-
ten 1 000 Berechtigungen betragen bzw. jeweils ein Viel-
faches davon. Auf diese Weise wird die Teilnahme von
mittelständischen Unternehmen zusätzlich erschwert.
Die vom Bundesumweltministerium vorgetragene Be-
gründung, dass auf diese Weise die Anzahl der Vergabe-
lose und der damit verbundene Abwicklungsaufwand ge-
ring gehalten werden soll, vermag nicht zu überzeugen.
Einerseits lautet selbst an der EEX im Spothandel die
Mindestgebotsmenge lediglich auf genau eine Emis-
sionsberechtigung, zweitens wird der hohe Abwicklungs-
aufwand im Wesentlichen durch die wöchentlichen Ver-
steigerungen erzeugt.

All diese Punkte werden zu stärkerer Preissenkung als
nötig führen; schlecht gerade für den Mittelstand.

Weitestgehend ungenutzt bleibt insbesondere auch die
Möglichkeit, die Emissionsgrenzvermeidungskosten der
dem System unterliegenden Anlagen aufzudecken. Dies
wäre vor allem dann möglich, wenn die Teilnahme an der
Versteigerung auf die Betreiber von TEHG-Anlagen be-
schränkt werden würde. Eine geringere Anzahl potenziel-
ler Nachfrager würde den Gleichgewichtspreis einer Ver-
steigerung tendenziell senken, auch für die zum Zuge
kommenden Anlagenbetreiber als Nachfrager von Zerti-
fikaten. Somit entsteht der Eindruck, es gehe dem Verord-
nungsgeber vordringlich um ein Erzielen möglichst ho-
her Versteigerungserlöse, zumal der größte Teil dieser
Erlöse unmittelbar dem Haushalt des Bundesumwelt-
ministeriums zufließt. Dass durch unnötig hohe Preise
Zu Protokoll
für Emissionsberechtigungen die zusätzlichen Windfall
Profits bei den EVU um ein Vielfaches erhöht werden,
nimmt die Bundesregierung offenbar billigend in Kauf
ungeachtet der Tatsache, dass diese Windfall Profits
letztlich von den Stromkunden finanziert werden müssen.

Insgesamt ist demnach festzustellen, dass der vorge-
legte Entwurf an verschiedenen Stellen Regelungen
vorsieht, die wenig zweckdienlich sind, und bei weitem
hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, die mit dem In-
strument der Versteigerung als speziellem Verkaufsver-
fahren prinzipiell verbunden sein könnten. Die FDP-
Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung daher
auf, den vorliegenden Entwurf der EHVV zurückzuziehen
und grundlegend zu überarbeiten. Im Rahmen dieser
grundlegenden Überarbeitung muss berücksichtigt wer-
den, dass die Teilnahme an den Versteigerungen auf die
Betreiber von TEHG-Anlagen beschränkt wird.

Darüber hinaus fordert die FDP-Bundestagsfraktion,
die Teilnahme an den Versteigerungen ohne Entgelt zu
ermöglichen. Ferner müssen die Versteigerungen auf den
Spotmarkt beschränkt werden, und ein gegebenenfalls
bestehender Bedarf an Terminversteigerungen muss dem
Sekundärmarkt überlassen bleiben. Schließlich muss die
Versteigerung von jeweils einem Viertel der zu verstei-
gernden Jahresmenge an Berechtigungen einmal pro
Quartal durchgeführt und die Mindestgebotsmenge auf
genau eine Emissionsberechtigung festgelegt werden.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623035500

Die Emissionshandels-Versteigerungsverordnung ist

rein technisch sicherlich in Ordnung. Das Problem ist
nur, dass sie aufgrund des Zuteilungsgesetzes 2012 ledig-
lich für 9 Prozent aller Zertifikate gilt. Damit müssen wir
sie natürlich ebenso ablehnen, wie wir das beim zu-
grunde liegende Zuteilungsgesetz getan haben.

Die Sache ist doch die, dass die Kraftwerksbetreiber
Milliarden an leistungslosen Extraprofiten einfahren,
weil ihnen 91 Prozent der Emissionsrechte geschenkt
werden, sie aber den Handelspreis der Zertifikate auf den
Strompreis umlegen. Oder die Energieversorger verdie-
nen Windfall Profits, weil sie an den infolge des Emis-
sionshandels gestiegenen Großhandelspreisen auch
dann verdienen, wenn ihre Anlagen gar nicht emissions-
handelspflichtig sind, so etwa Betreiber von Atomkraft-
werken. So kommt eine im Juni 2008 vorgelegte Studie
des Öko-Instituts im Auftrag des WWF Deutschland zu
dem Ergebnis, dass diese Extragewinne rund 35,5 Mil-
liarden Euro, also rund 7 Milliarden Euro pro Jahr be-
tragen. Dabei wurde ein CO2-Zertifikatepreis von
25 Euro angesetzt. Nun liegt momentan der Preis auf-
grund der tiefen Wirtschaftskrise nur bei 13 Euro. Das
kann sich schnell ändern, aber selbst wenn wir mit die-
sem Wert rechnen, kommen wir in einem Überschlag auf
wenigstens 18 Milliarden Euro Extraprofite bis 2012. Ich
meine, das sind ganz erkleckliche Sümmchen. Mir würde
eine Menge einfallen, was man damit bezahlen könnte.

Die Bundesregierung hat es jedoch bislang strikt ab-
gelehnt, in irgendeiner Form die Windfall Profits zu be-
steuern. Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die
Bundesregierung die in anderen Ländern diskutierte Be-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
steuerung dieser leistungslosen Zusatzgewinne wenigs-
tens einmal thematisiert oder rechtlich geprüft hat. Das
ist ein Skandal, angesichts klammer Kassen und
Hartz IV! Finnland dagegen will jetzt einen Teil der un-
gerechtfertigten Gewinne besteuern, welche die Strom-
konzerne kassieren. Betroffen sind die vier in Betrieb
befindlichen Atomreaktoren und die großen alten abge-
schriebenen Wasserkraftanlagen in Nordfinnland. Damit
ist zwar immer noch nur ein Teil der Windfall Profits er-
fasst – die in den fossilen Kraftwerken bleiben ja außen
vor –, aber wenigstens ist ein Anfang gemacht, ein An-
fang, auf den man in Deutschland vergebens wartet. Aber
nicht nur das. Die Bundesregierung will bestimmten
Branchen weiterhin Extragewinne zukommen lassen. Sie
hat im letzten Jahr zwar im Rahmen der Verhandlungen
um das EU-Klimapaket am Ende die Komplettversteige-
rung für den Energiesektor ab 2013 akzeptiert. Zugleich
hat sie aber für den emissionshandelspflichtigen Indus-
triebereich umfangreiche Ausnahmen ausgehandelt, die
sie mit dem Schutz vor außereuropäischer Konkurrenz
begründet hat.

Bloß, warum hat sie das getan? Warum bekommen
nun 80 Prozent der Industriebetriebe die Emissions-
rechte geschenkt? Schließlich hat eine Auswertung ver-
schiedener wissenschaftlicher Studien zum Thema durch
den WWF Deutschland gezeigt, dass die überwiegende
Mehrzahl besagter Unternehmen durch eine Auktionie-
rung der Emissionsrechte in ihrer internationalen Wett-
bewerbsfähigkeit nicht bedroht sei. Auch der Leiter des
UN-Klimasekretariats Yvo de Boer hat im September
2008 kritisiert, dass das Ausmaß der Betroffenheit oft-
mals überzeichnet werde. Tatsächlich stehe die Industrie,
die in Europa wirklich ernsthaft betroffen sei, nicht ein-
mal für zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes. Zwei
Prozent also, nicht 80! Die Differenz ist nichts anderes
als Geschenke an die Wirtschaft. Es liegt darum der Ver-
dacht nahe, dass die Bundesregierung so wenig Auktio-
nierung will wie möglich und dazu noch in Sachen Be-
steuerung der Extragewinne nach Ausflüchten sucht. So
antwortete sie auf eine Kleine Anfrage von uns, die Erhe-
bung einer Windfall Profit Tax würde auf methodische
Probleme stoßen, da eine exakte Berechnung für den ge-
samten Verlauf des Kraftwerkeinsatzes über den Tag
durchgeführt werden müsse. Zudem sei eine solche Ab-
schöpfungsteuer systematisch nicht mit dem Emissions-
handel vereinbar und darüber hinaus europarechtlich
fraglich.

All diese Argumente sind offensichtlich nur vorge-
schoben. Denn wie das Beispiel Finnland zeigt, geht es
doch – wenn man will.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623035600

Im Kampf gegen den Klimawandel ist der Emissions-

handel ein zentrales Instrument. Richtig ausgestaltet
kann er bei der notwendigen drastischen Senkung unse-
rer Treibhausgasemissionen ökologische Wirksamkeit
und wirtschaftliche Effizienz verbinden. Diese Einsicht
treibt derzeit von den Vereinigten Staaten über Australien
bis Japan viele Staaten an, dem europäischen Beispiel zu
folgen und eigene Emissionshandelssysteme aufzubauen.
Die europäische Erfahrung lehrt allerdings auch, wie
falsche Weichenstellungen und Konstruktionsfehler die
Effektivität des Emissionshandels beeinträchtigen kön-
nen. So hat die Überallokation von Emissionsberechti-
gungen in der ersten Handelsperiode zu einem abrupten
Einbruch des Zertifikatspreises geführt. Und die groß-
teils kostenlose Zuteilung der Emissionszertifikate hat
Strompreiserhöhungen für die Verbraucher nicht verhin-
dert, aber den Energiekonzernen ungerechtfertigte Zu-
satzgewinne in Milliardenhöhe eingebracht.

Um diesen Fehler zu beheben, haben wir Grüne uns
schon früh dafür eingesetzt, die Emissionszertifikate voll-
ständig zu versteigern und die Erlöse für Energieeffizienz
und Klimaschutz einzusetzen. Das hat die Bundesregierung
am Anfang der Legislaturperiode noch abgelehnt. Erst auf
den Druck von Umweltverbänden, Verbraucherschützern
und Grünen hin wurde mit dem Zuteilungsgesetz eine Teil-
versteigerung von 40 Millionen Emissionsberechtigungen
in der zweiten Handelsperiode durchgesetzt. Diese Vor-
gabe wird nun durch die Vorlage der Emissionshandels-
Versteigerungsverordnung umgesetzt. Das ist erst einmal
gut so.

Bei der Ausgestaltung der Versteigerungsregeln gibt
es aber Defizite. So fehlt es bei dem Auktionsverfahren an
der Transparenz, die nötig wäre, um Manipulationen
frühzeitig zu erkennen und Spekulation verhindern zu
können. Dazu wäre wichtig, offenzulegen, wer für Emis-
sionszertifikate bietet und wer letztlich den Zuschlag er-
hält. Außerdem bedarf es einer strengen, deutschen Stan-
dards genügenden Börsenaufsicht. Doch entsprechende
Aufsichtsregeln fehlen für die Ausschreibung des Börsen-
platzes. Schließlich ist die Gefahr einer Benachteiligung
kleinerer und mittlerer Unternehmen, die nicht an der
Börse vertreten sind, gegenüber den großen Energiekon-
zernen in der Verordnung nicht wirksam ausgeräumt.

Aus diesen Gründen können wir der Versteigerungs-
verordnung in der vorliegenden Form nicht zustimmen.
Die Versteigerung der Emissionszertifikate ist der rich-
tige Weg. Aber sie muss zu fairen, transparenten und
wirksam kontrollierten Bedingungen erfolgen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623035700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13677,
der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache
16/13189 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13692.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler,
Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung des Asylbewerberleistungsgeset-
zes

– Drucksache 16/10837 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


– Drucksache 16/13149 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Kipping


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/13150 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1623035800

Heute befassen wir uns abschließend mit dem Entwurf

der Grünen eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbe-
werberleistungsgesetzes. Bei diesem Entwurf handelt es
sich wieder einmal um einen typischen Oppositionsent-
wurf der Grünen, der die Realität ausblendet. Dabei tun
die Grünen gerade so, als ob sie schon immer in der Op-
position gewesen wären und nicht sieben Jahre lang mit
der SPD in der Regierungsverantwortung gestanden hät-
ten. Damit beweisen die Grünen aber auch einmal mehr,
dass sie mit ihrer weltfremden Politik für eine Regie-
rungsbildung nicht infrage kommen.

Wollen wir uns den Gesetzentwurf der Grünen aber
trotzdem einmal genauer betrachten. Bemängelt wird,
dass das Asylbewerberleistungsgesetz „einen diskrimi-
nierenden Ausschluss von Asylsuchenden aus der Sozial-
hilfe und der Grundsicherung für Arbeitssuchende“
darstelle. Der Punkt ist ja aber, dass wir hier von Asylbe-
werbern reden, wobei die Betonung auf Bewerbern liegt.
Es geht also nicht um einen dauerhaften Aufenthalt in
Deutschland, sondern um eine vorübergehende Versor-
gung der Betroffenen bis zu einer Entscheidung über
ihren Asylantrag. Ich glaube nicht, dass es ein Sozialhil-
feempfänger einsehen würde, warum er ebenso viele
Leistungen empfangen soll wie ein Asylbewerber, der be-
dingt durch den nur vorübergehenden Aufenthalt in
Deutschland ganz andere finanzielle Ansprüche hat.

Es ist also zwar korrekt, dass die Grundleistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geringer ausfal-
len als die Leistungen nach dem Zwölften Sozialgesetz-
buch. Dies wird in § 1 Abs. 1 des Asylbewerberleistungs-
gesetzes aber ausdrücklich dadurch gerechtfertig, dass
die dort aufgeführten Personen kein verfestigtes Aufent-
haltsrecht haben. Vielmehr wird in aller Regel nur von ei-
nem kurzen, vorübergehenden Aufenthalt ausgegangen,
weshalb Leistungen zur sozialen Integration nicht
gewährt werden müssen. Außer Frage steht dabei natür-
lich, dass die Asylbewerber gerade im Vergleich zu ande-
ren Nationen ausreichend unterstützt werden. Dies
beinhaltet selbstverständlich auch den Bereich der medi-
zinischen Versorgung.

Im Übrigen sei mir in diesem Zusammenhang noch
der Hinweis erlaubt, dass wir in Ländern wie Baden-
Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Hes-
sen, in denen die Union regiert, Ablehnungsquoten ha-
ben, die unter 10 Prozent liegen. Andere Länder haben
wesentlich höhere Quoten von Antragsablehnungen be-
ziehungsweise Anträgen, die immer noch nicht bearbeitet
worden sind.

Um auf die eingangs erwähnte Realitätsferne der
Grünen zurückzukommen, möchte ich auch noch einmal
auf den Ursprung dieses Asylbewerberleistungsgesetzes
zu sprechen kommen. Unter dem Eindruck massiv stei-
gender Asylbewerberzahlen haben sich CDU/CSU, SPD
und FDP im Jahr 1992 mit dem sogenannten Asylkom-
promiss darauf geeinigt, ein Gesetz zur Regelung des
Mindestunterhalts von Asylbewerbern zu schaffen, auf
dessen Grundlage dann ein Jahr später das Asylbewer-
berleistungsgesetz entstanden ist. Hauptanliegen des Ge-
setzes war und ist es, die Leistungen für Asylbewerber
gegenüber der Sozialhilfe zu vereinfachen und auf die
notwendigen Bedürfnisse eines vorübergehenden Aufent-
halts in Deutschland abzustimmen.

Dieses Gesetz war notwendig und richtig und erfüllt
nach wie vor seinen Anspruch. Zum einen gewährleistet
es eine ausreichende Versorgung der Asylbewerber für
die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik. Zum
anderen reduziert es aber auch die Zahl der Einreisen
von Asylsuchenden nach Deutschland und bewegt die be-
reits abgelehnten Asylsuchenden bzw. Geduldeten zu ei-
ner schnellen Ausreise aus Deutschland.

Aber noch einen weiteren wichtigen Punkt dürfen wir
in dieser Debatte nicht vergessen: Letztendlich kommt es
auch hier wie in so vielen Bereichen auf einen angemes-
senen Ausgleich zwischen den Leistungszahlungen und
den Steuerzahlern an. Das heißt in diesem Fall konkret,
einen Ausgleich zwischen den Leistungen der asylsu-
chenden Menschen auf der einen und den Steuerzahlern
auf der anderen Seite zu schaffen. So können wir doch die
Augen nicht davor verschließen, dass in Deutschland die
steuerzahlenden Leistungsträger unserer Gesellschaft
bereits jetzt bis an die Schmerzensgrenze belastet wer-
den. Die ohnehin schon strapazierten sozialen Siche-
rungssysteme würden durch die Abschaffung des Asylbe-
werberleistungsgesetzes noch mehr unter Druck geraten.

Die Forderung einer Abschaffung des Asylbewerber-
leistungsgesetzes durch den Entwurf der Grünen ent-
behrt somit jeglicher Grundlage und dient wohl eher der
Klientelpflege der eigenen Anhängerschaft als einem
konstruktiven Beitrag zum Umgang mit Asylbewerbern.
Diesen letzten Punkt möchte ich abschließend noch ver-
deutlichen. Man löst das Grundproblem, dass viele in
Not geratene Menschen nach Deutschland kommen und
Schutz suchen, nicht dadurch, dass man die Leistungen
für diese Asylbewerber, die es nach Deutschland ge-
schafft haben, anhebt. So einfach darf man es sich sicher-
lich nicht machen. Vielmehr liegt die Ursache doch of-


(A) (C)



(B) (D)


Thomas Bareiß
fensichtlich in den schlechten Verhältnissen vieler
Länder, wo Millionen Menschen vor Ort zurückbleiben
und dort Not leiden müssen.

Das Problem kann nicht auf nationaler Ebene, son-
dern nur mit internationaler Abstimmung gelöst werden.
Hier spielt die Entwicklungspolitik eine entscheidende
Rolle. Deutschland wird seiner Verantwortung dabei ge-
recht. In diesem Jahr werden wir fast 2,5 Milliarden Euro
mehr für Entwicklungshilfe ausgeben als noch im Jahr
2005. Damit fließt das Geld an jene Länder, aus denen
die Menschen sonst zu uns kommen müssten. Die Frage
muss sich noch mehr darum drehen, wie wir es mit einer
internationalen Strategie schaffen, diese Probleme in den
Griff zu bekommen. Diese Debatte muss aber verstärkt
auf EU-Ebene geführt werden.

Fazit: Die Grünen schneiden mit ihrem Gesetzentwurf
wohl eher unbewusst ein schwerwiegendes globales Pro-
blem an, nämlich jenes steigender Flüchtlingsströme.
Dieser Gefahr werden wir aber nicht dadurch Herr, dass
wir die Augen vor dieser Entwicklung verschließen und
unser schlechtes Gewissen dadurch zu beruhigen versu-
chen, den Asylbewerbern mehr Leistungen zu zahlen.
Das liegt sicherlich auch nicht im Interesse dieser Men-
schen. Eine ausreichende Versorgung der Asylbewerber
bei uns in Deutschland steht außer Frage; dafür sorgt
das Asylbewerberleistungsgesetz, das sich in nunmehr
16 Jahren eindeutig bewährt hat. Eine Diskussion darüber
ist völlig überflüssig. Die Gründe dafür habe ich Ihnen
ausreichend geschildert.


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1623035900

Sie fordern die Aufhebung des Asylbewerberleistungs-

gesetzes. Das lehnen wir ab. Ihre Gesetzesinitiative hätte
zur Folge, dass erwerbsfähige Asylsuchende in die
Grundsicherung einbezogen würden – und das mit allen
Konsequenzen. Sie müssten also genauso wie alle ande-
ren Betroffenen in der Grundsicherung sofort eine För-
derung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhalten.
Das ist nicht zielführend, vor allem dann nicht, wenn
man sich den Beschluss des EU-Parlaments vom Mai
dieses Jahres vor Augen führt. Asylsuchende sollen dem-
nach sechs Monate nach ihrer Einreise arbeiten dürfen.
Ich finde es richtig, dass für Asylsuchende einheitliche
Regelungen in der Europäischen Union angestrebt wer-
den. Warum sollte sich Deutschland verweigern? Wir
sollten das Asylbewerberleistungsgesetz beibehalten und
entsprechend anpassen.

Verbesserungsbedarf sehe ich allerdings bei den Be-
dingungen, unter denen Asylsuchende in unserem Land
leben. Seit 1993, also seit 16 Jahren, besteht der damals
hart umkämpfte sogenannte Asylkompromiss. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Grünen, es gab in diesen
16 Jahren eine Zeit, in der auch Sie an der Regierung
waren und mitgestalten konnten. Einen ähnlich vehemen-
ten Einsatz, so wie Sie ihn heute zeigen, habe ich damals
jedoch nicht wahrgenommen. Das ist auch nicht verwun-
derlich, denn Sie mussten den politischen Realitäten ins
Auge blicken.

Tatsache ist heute wie damals: Gesetzliche Verände-
rungen brauchen Mehrheiten. Der Bundestag hat eben
Zu Protokoll
nicht die alleinige Zuständigkeit. Auch der Bundesrat hat
ein gewichtiges Wort mitzureden. Für die Leistungen für
Asylsuchende sind nämlich die Länder zuständig.

Erinnern Sie sich nur an unseren gemeinsamen rot-
grünen Versuch von 2001, die Leistungen für Asylsu-
chende nur geringfügig zu erhöhen. Da waren diese be-
reits seit acht Jahren unverändert. Wir sind mit unserem
Ansinnen im Bundesrat gescheitert. Union und FDP wa-
ren und sind strikt dagegen.

Was hat sich an den politischen Mehrheiten verändert,
dass es möglich sein sollte, nun nicht nur eine Erhöhung
der Leistungen durchzudrücken, sondern sogar das ge-
samte Gesetz zu kippen? Ich sehe nur einen einzigen Un-
terschied zu 2001: Heute sind Sie in der Opposition, und
da lassen sich sehr leicht Forderungen erheben, die Sie
nicht umsetzen müssen. Glaubwürdig finde ich dies nicht.
Sie reihen sich mit Ihrem Gesetzentwurf nahtlos in die
Wünsch-dir-was-Politik der Linksfraktion ein.

Wir brauchen andere politische Mehrheiten im Bun-
destag und im Bundesrat, um endlich mehr Gerechtigkeit
für Asylsuchende in Deutschland durchzusetzen. Diese
Notwendigkeit sieht auch die SPD. Nach 16 Jahren un-
veränderter Leistungen müssen diese endlich an die So-
zialhilfesätze angepasst werden.

Nicht nur, dass Asylsuchende – nach der Erhöhung
des Regelsatzes der Grundsicherung oder Sozialhilfe An-
fang des Monats – nur noch 63 Prozent dieses Existenz-
minimums bekommen, sie können darüber hinaus oft
nicht einmal wählen, was sie essen wollen. Lebensmittel
werden zugeteilt. Eine normale Wohnung oder eine
Krankenversicherung: Fehlanzeige. CDU/CSU und FDP
beharren auf dem Asylkompromiss, weil sie fürchten, dass
Deutschland bei besseren Leistungen enorme Magnetwir-
kung für Asylsuchende entfalten könnte. In der Anhörung,
die wir kürzlich zu diesem Thema im Ausschuss durchge-
führt hatten, wurde jedoch deutlich, dass höhere Leistun-
gen und Verbesserungen für die Betroffenen keineswegs
einen unkontrollierbaren Zustrom an Asylsuchenden mit
sich bringen würden. Im Gegenteil: Fundierte Belege für
diese Anreizthese sahen die Mehrzahl der Sachverständi-
gen in der Anhörung im Bundestag nicht. Menschen su-
chen bei uns Asyl, weil ihr Leben in ihrem Heimatland
bedroht ist. Diese Menschen müssen alles aufgeben, um
ihr eigenes Leben und das ihrer Familien zu retten.

Wir sollten uns an unsere eigene Geschichte erinnern
und daran, was das Grundgesetz aus ebendieser Vergan-
genheit heraus ursprünglich zu diesem schwierigen
Thema ausgesagt hat. Es ist nicht richtig, sich so weit
von dem, was als Menschenrecht empfunden wurde, zu
entfernen.

Wenn mein Leben bedroht ist, frage ich nicht danach:
„Wo bekomme ich höhere Leistungen?“, sondern ich
gehe dorthin, wohin ich mich und meine Familie retten
und sicher leben kann. Deswegen sprechen die gesunke-
nen Asylsuchenden-Zahlen eben nicht zwangsläufig da-
für, dass Flüchtlinge vom restriktiven Asylbewerberleis-
tungsgesetz erfolgreich abgeschreckt wurden.

Ein Grund dafür, dass weniger Asylsuchende zu uns
kommen, liegt in der europäischen Zuständigkeitsverord-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Hiller-Ohm
nung. In ihr ist verabredet, dass jeder Flüchtling in nur
einem einzigen EU-Staat ein Asylverfahren erhält; effek-
tiv kontrolliert mittels einer Datenbank. Seit 1997 wird
mit dem „Übereinkommen von Dublin“ verbindlich gere-
gelt, dass meist derjenige Staat für das Asylverfahren zu-
ständig ist, den der Flüchtling zuerst betreten hat, und
das ist oft nicht Deutschland.

Außerdem haben wir seit 2001 eine immer restrikti-
vere Handhabe der Visa. Über ein Visum einzureisen und
auf diesem Weg Asyl zu beantragen, ist deshalb immer
weniger möglich.

Zusätzlich haben wir seit 2004 einen koordinierten ef-
fektiveren europäischen Außengrenzenschutz durch die
europäische Agentur FRONTEX.

Alle diese Umstände sind in erster Linie für die sin-
kenden Asylsuchenden-Zahlen verantwortlich. Die Asyl-
antragszahlen sind fast kontinuierlich von rund 440 000
auf 19 000 gesunken, die Bruttoausgaben für die Leistun-
gen von etwa 2,9 auf nur 1 Milliarde Euro. Es ist also
durchaus nicht nur humanitär, sondern auch verantwort-
lich, die Leistungen anzuheben. Gleichzeitig müssen wir
zur Kenntnis nehmen: Auch in den 70er- und 80er-Jahren
– ohne das Asylbewerberleistungsgesetz – gab es ähnlich
niedrige Antragszahlen wie nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung:
Der Zusammenhang von erfolgreicher Entwicklungspoli-
tik und einer geringen Anzahl von Flüchtlingen ist nicht
abwegig.

Wir sollten uns darauf konzentrieren, was wir 1993
mit dem Asylkompromiss wollten: die Leistungen für
Asylsuchende für die Dauer der Durchführung des Asyl-
verfahrens regeln – nicht mehr und nicht weniger –, und
das war damals ein Jahr. Es kann aber nicht sein, dass
die meisten Empfängerinnen und Empfänger die geringen
Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes mittler-
weile vier oder mehr Jahre bekommen. In unserem Re-
gierungsprogramm sagen wir, dass wir für Flüchtlinge
einen „angemessenen Zugang zu sozialen Leistungen“
wollen, und das werden wir mit dem richtigen Koali-
tionspartner auch umsetzen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Der Gesetzentwurf der Grünen mit dem Ziel der Ab-

schaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist ein klas-
sischer Klientelpflegeantrag. Um die eigene, leider zu
häufig durchschimmernde Multikultiideologie zu pflegen
und ihre Sympathisanten zu erfreuen, wird eben mal ein
in sich widersprüchlicher Entwurf gestrickt, der nur das
Ziel hat, vorgebliches Gutmenschentum zu demonstrieren.
Eine reale Verwirklichung des Gesetzentwurfes haben
die Grünen ganz offensichtlich nicht im Sinn.

Eigenartigerweise behaupten die Grünen, dass das
Asylbewerberleistungsgesetz nicht geeignet war und ist,
die Einreise von Asylsuchenden zu reduzieren. Unter
„Kosten“ wird dann aber argumentiert, die Zahl der
Asylsuchenden gehe immer weiter zurück, nun könne
man die Asylsuchenden ja wieder in die allgemeinen So-
zialleistungen aufnehmen. Die Grünen entlarven so ihren
Entwurf selbst als nicht schlüssig.
Zu Protokoll
Wenn die Grünen den „Ausschluss der Betroffenen
aus der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeit-
suchende“ monieren, dann muss man sich ob dieser Kro-
kodilstränen schon auch wundern. Die Grünen haben
selbst in zwei Legislaturperioden Regierungsverantwor-
tung nicht an diesem Sachverhalt gerüttelt. Sie haben
nicht einmal für eine Erhöhung der Bedarfssätze gesorgt.
Warum haben die Grünen denn die Abschaffung des
Asylbewerberleistungsgesetzes nicht zur Koalitions-
bedingung gemacht, als sie mit der SPD koalierten? So
wichtig scheint das den Grünen nicht gewesen zu sein.

Wer Asylsuchende sozialrechtlich mit Arbeitslosen in
Deutschland gleichstellen will, der muss natürlich unseren
Arbeitslosen erklären, warum sie, die möglicherweise
jahrelang durch Steuerzahlungen und Abgabenleistungen
für die Kosten unseres Sozialsystems aufgekommen sind,
nun nicht auch höhere Ansprüche an Sozialleistungen
haben als die, die noch nie Beiträge zur sozialen Sicherung
geleistet haben. Wer so etwas will, muss ehrlich sagen,
dass unser Sozialleistungsniveau in manchen Ländern
als unendlicher verlockender Reichtum wirken muss.
Und er muss sagen, dass unsere ohnehin schon in Schief-
lage befindlichen sozialen Sicherungssysteme durch die
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes weiter
unter Druck gerieten – zulasten der Bedürftigen in unserem
Land, die nirgendwo anders hinkönnen und nirgendwo
Asyl oder Sozialleistungen bekommen können, als eben
hierzulande.

Wer diese Zusammenhänge in den Blick nimmt, er-
kennt den Vorstoß der Grünen als das, was er ist: ein Ver-
such, unser Sozialsystem weiter zu destabilisieren zulas-
ten der Bedürftigen in unserem Land. Solche Anträge
sind schlicht asozial.

Es gibt nun durchaus auch aus liberaler Sicht Verbesse-
rungsbedarf in der deutschen Asylpraxis. So ist die inzwi-
schen weitgehend stattgehabte Abkehr vom Sachleistungs-
prinzip immer Ziel der FDP gewesen. Sie ist im Rahmen
des Asylbewerberleistungsgesetzs ermöglicht worden.
Dass mit Bayern und Sachsen die Länder die höchsten
Sachleistungsquoten haben, in denen die FDP bis Herbst
letzten Jahres nicht mitregierte, spricht eine deutliche
Sprache. Der Rückgang der Asylbewerberzahlen ist sicher
kein Einwand dagegen, dass sich das Asylbewerberleis-
tungsgesetz im Großen und Ganzen bewährt hat.

Die FDP hat wiederholt Anträge eingebracht – zuletzt
im Herbst vor zwei Jahren –, die es Asylbewerbern eröff-
nen sollten, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.
Die Grünen haben in ihrer Regierungszeit diesem Vor-
schlag nicht zur Mehrheit verhelfen wollen. Auch die
Verkürzung der Asylverfahren ist ein Instrument, mit dem
die Zeit, die Menschen unter das Asylbeweberleistungs-
gesetz fallen, reduziert werden kann.

Statt das Asylbeweberleistungsgesetz abzuschaffen,
dass sich insgesamt positiv auf die zuvor problematischen
Zustände im deutschen Asylsystem ausgewirkt hat, sollten
lieber die nächstliegenden Verbesserungen vorgenom-
men werden: Die deutliche Reduzierung der Verfahrens-
dauer, damit die schnelle Klarheit über den Antrag selbst,
der klare und konsequente Vollzug des Ergebnisses und die
Arbeitserlaubnis, die Asylbewerbern die Chance zur
Selbstversorgung gibt. Das ist die richtige Politik zugunsten



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

der Menschen, die in unserem Land Asyl vor Verfolgung
suchen. Dass Grüne und auch Linke diese Forderungen
nicht erheben, macht deutlich, dass es ihnen eben nicht
um das Wohl der Betroffenen geht, sondern nur um eine
möglichst ungehemmte Multikultisierung unserer Gesell-
schaft. Die daraus resultierenden gesellschaftlichen
Spannungen und Konflikte und die Verschlechterung der
sozialen Sicherheit nehmen sie billigend in Kauf. Nicht
die betroffenen Menschen, sondern diese Ideologie ist
Triebfeder der vorliegenden Anträge.

Mit der FDP ist eine solche unsoziale Politik nicht zu
machen. Für die FDP bleibt der Mensch im Mittelpunkt
jeder verantwortlichen Asylpolitik.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623036000

Die Grünen stellen hier heute einen Gesetzentwurf zur

Abstimmung, mit dem ein 1993 eingeführtes Sondersys-
tem von Sozialleistungen für Asylbewerber und andere
Migrantengruppen aufgehoben werden soll. Die Linke
unterstützt dieses Anliegen. Wir freuen uns, dass die Grü-
nen unsere Initiative aus dem vergangenen Jahr zur
Beseitigung dieses Sondersystems aufgegriffen haben.
Leider komme ich aber nicht umhin, darauf hinzuweisen,
dass die Grünen in ihrer Regierungszeit keine Schritte in
diese Richtung unternommen haben. Im Gegenteil: Mit
dem Zuwanderungsgesetz von 2005 wurde der Kreis derje-
nigen, die aus der normalen Sozialhilfe herausgenommen
werden, noch ausgedehnt. Und im Jahre 2000 lehnten die
Grünen einen Antrag der damaligen PDS-Fraktion auf
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes unter an-
derem mit der Begründung ab, auch die in diesem Gesetz
vorgesehenen „Sachleistungen könnten von hoher Qualität
sein“. Aber in Wahlkampfzeiten ist den Grünen wohl nur
recht und billig, sich als Verfechter der sozialen Rechte
von Asylbewerbern und Flüchtlingen darzustellen.

Ich will auf einige Aspekte des diskriminierenden
Asylbewerberleistungsgesetzes eingehen. Wie bereits an-
gesprochen, sieht es im Regelfall sogenannte Sachleis-
tungen vor. Das Sachleistungsprinzip sieht vor, dass die
Betroffenen statt Bargeld Unterkunft im Wohnheim erhal-
ten, Kleider und Essen von irgendwelchen Unternehmen.
Vorgepackte Essenspakete, die meist weder auf die Er-
nährungsgewohnheiten in den Herkunftsländern der
Flüchtlinge noch auf mögliche Erkrankungen oder Un-
verträglichkeiten Rücksicht nehmen, sind eine völlige
Entmündigung der Menschen. Einige Kommunen, in de-
ren Umsetzung das Gesetz liegt, verteilen auch Gut-
scheine oder Chipkarten, mit denen die Menschen dann
in bestimmten Läden an den dafür vorgesehenen Kassen
bezahlen können. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist
also in seinen Auswirkungen hoch stigmatisierend, denn
durch die Wohnheimunterbringung und das Gutschein-
system sind die Betroffenen sofort erkennbar. Erst zu
Beginn dieser Woche ist der Fall eines Irakers bekannt
geworden, der im sachsen-anhaltinischen Möhlau mut-
maßlich Opfer einer rassistischen Attacke wurde. Er liegt
mit schweren Brandwunden im Krankenhaus und ist im-
mer noch nicht vernehmungsfähig. Der Überfall fand
statt, als der Flüchtling um seine Unterkunft herum spa-
zieren ging.
Zu Protokoll
Die Höhe der sogenannten Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz beträgt übrigens seit 1993
360 Deutsche Mark bzw. 184,07 Euro für eine alleinste-
hende Person. Hinzu kommen 80 Mark bzw. 40,90 Euro
als sogenanntes Taschengeld, von dem zum Beispiel die
Fahrten zur Ausländerbehörde bezahlt werden müssen.
Diese Sätze sind seit 1993 nicht erhöht worden. Die
Lebenshaltungskosten sind im gleichen Zeitraum um
23 Prozent gestiegen. Sytematisch werden so Menschen
in miserabelsten Lebensbedingungen gehalten.

Betroffen sind von dem Gesetz im Übrigen keineswegs
nur Asylbewerber, wie der Name es nahelegt. Mittler-
weile fallen auch viele Geduldete darunter, genauso wie
anerkannte Bürgerkriegsflüchtlinge. Der Gesetzgeber
hat aber in den vergangenen Jahren nicht nur den Kreis
der Betroffenen ausgedehnt. Er hat auch den Zeitraum,
während dessen diese Menschen aus den regulären Sozial-
systemen ausgeschlossen werden, immer weiter ausge-
dehnt. Mittlerweile beträgt dieser Zeitraum vierJahre.
Vier Jahre, in denen diese Menschen gerade das Nötigste
zum Leben erhalten. Vier Jahre, in denen sie in miserablen
Unterkünften untergebracht werden, teilweise ohne Anbin-
dung an städtische Infrastruktur, zum Abschuss freigege-
ben für rassistische Gewalttäter. Vier Jahre, in denen sie
keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben und nur
eine Notfallhilfe in Anspruch nehmen können. Das ist
nicht nur schlimm für diejenigen, die unter chronischen
Erkrankungen leiden. Es trifft vor allem die Menschen,
die aufgrund der Erlebnisse in ihren Herkunftsstaaten
und psychischen Traumatisierungen leiden. Erst wenn
zum Beispiel akute Suizidgefahr besteht, dann dürfen sie
zu einem Psychologen – wenn es also zu spät ist. Und vier
Jahre, in denen sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt
sorgen können, weil sie einem Arbeitsverbot unterliegen.
Dieses Gesetz ist Ausdruck von rassistischen Ressenti-
ments. Es ist in einer Zeit von einer großen Koalition aus
Christlicher Union, SPD und FDP beschlossen worden,
in der statt von Menschen von Wirtschaftsflüchtlingen
und Sozialschmarotzern geredet wurde, einer Zeit, in der
genau jene Wohnheime brannten, die durch dieses Gesetz
zu einer Dauereinrichtung wurden. Dieses Gesetz legiti-
miert noch einmal diejenigen, die Schutzsuchende als
Wirtschaftsflüchtlige diffamieren und in ihnen Menschen
zweiter Klasse sehen. Es ist mit dem absoluten Schutz der
Menschenwürde, den das Grundgesetz fordert, nicht zu
vereinbaren.

Mit unserer Kritik stehen wir im Übrigen nicht allein.
Selbst bei der EU-Kommission gibt es die Forderung,
dass Flüchtlinge mit den einheimischen Empfängern von
Sozialhilfe in den jeweiligen Ländern gleichgestellt wer-
den sollen. Im Mai fand eine Anhörung dazu im Sozial-
ausschuss des Bundestages statt, in der unsere Kritik be-
stätigt wurde. Schwester Stefanie, Angehörige des
Franziskanerordens, hat es dort wie folgt auf den Punkt
gebracht: „Dieses Gesetz ist unmenschlich und muss
weg.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623036100

Der geschäftsführende Direktor des Münchener Max-

Planck-Instituts für ausländisches und internationales
Sozialrecht hat es klar auf den Punkt gebracht: Das Asyl-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Markus Kurth
bewerberleistungsgesetz ist zumindest in Teilen klar ver-
fassungswidrig. Ich will sagen, warum: Seit nunmehr
15 Jahren führt dieses Gesetz zu einem diskriminieren-
den Ausschluss von Asylsuchenden und Geduldeten aus
der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende. Die Leistungen betragen nur rund zwei Drittel
der Leistungen für Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfe-
empfängerinnen. Zudem ist die medizinische Versorgung
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf die unab-
weisbar notwendige Behandlung „akuter Schmerzzu-
stände“ beschränkt. Konkret heißt das, dass zum Beispiel
Zahnlücken nicht geschlossen werden, wenn sie vorhan-
den sind, sondern nur der Zahn gezogen wird, die Lücke
hingegen bleibt. So werden Menschen stigmatisiert. Das
bedeutet aber auch, dass Menschen in der Frühphase ei-
ner Erkrankung keine ausreichende medizinische Be-
handlung zur Verfügung steht. Faktisch wird in vielen
Asylbewerberheimen der Rettungswagen erst gerufen,
wenn es schon fast zu spät ist. Ein völlig unhaltbarer Zu-
stand. Gerade für die CDU/CSU, die ja von sich behaup-
tet, eine christliche Partei zu sein, darf das eigentlich
nicht hinnehmbar sein. Deshalb fordere ich gerade die
Kolleginnen und Kollegen dieser Fraktion auf, dem Grü-
nen-Gesetzentwurf zuzustimmen.

Die Schilderungen der Ordensschwester aus der
Flüchtlingsarbeit, die in der Anhörung Sachverständige
war, haben alle Christen in diesem Hause hoffentlich
überzeugt. Wir Grüne haben daher bereits Ende 2008 ei-
nen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Asylbewerberleis-
tungsgesetzes in den Bundestag eingebracht. Denn das
Ziel des Gesetzes, die Einreise von Asylsuchenden nach
Deutschland zu reduzieren bzw. abgelehnte Asylsu-
chende bzw. Geduldete zu einer schnellen Ausreise aus
Deutschland zu bewegen, ist nicht erreicht worden. Das
Gesetz entfaltet keine Abschreckungswirkung für Asylbe-
werber, vielmehr bringt es für sie und für die zunehmende
Zahl Geduldeter unzumutbare Lebensumstände mit sich.
Häufig wird ein Schreckensszenario an die Wand gemalt,
nachdem es im Zuge einer Aufhebung des Asylbewerber-
leistungsgesetzes zu ungeahnten Mehrkosten kommen
würde. Bei einer Anhörung war selbst das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge nicht in der Lage, diese an-
geblichen Mehrkosten zu beziffern. Im Gegenteil. Jetzt ist
eines klar. Wir Grüne haben in unserem Gesetzentwurf
erstmals eine seriöse Kalkulation zu den finanziellen Aus-
wirkungen einer Aufhebung des Asylbewerberleistungsge-
setzes vorgelegt. Diese Berechung wurde von keinem
Sachverständigen – auch nicht seitens des Statistischen
Bundesamtes – infrage gestellt.

Entscheidend ist unter anderem, dass wir – neben et-
waigen Mehraufwendungen – auch auf Einspareffekte
hingewiesen haben: Zum einen wird der ganze Verwal-
tungsaufwand bei der Anwendung des Asylbewerberleis-
tungsgesetzes überflüssig. Zudem brauchen dann zum
Beispiel auch keine überteuerten und entwürdigenden
Essenspakete angeschafft und verteilt zu werden. Kosten
für die Einrichtung, den Betrieb und die Bewachung von
Gemeinschaftsunterkünften können ebenfalls eingespart
werden. Auch ist es deutlich billiger, Menschen gegebe-
nenfalls auch aktiv in Arbeit zu bringen, anstatt ihnen –
völlig unnötig – den Zugang zur Ausbildung bzw. zum Ar-
beitsmarkt zu versperren bzw. sie an der Arbeitsauf-
nahme durch die Residenzpflicht zu hindern. Und
schließlich – darauf wies der Sachverständige vom Deut-
schen Roten Kreuz hin: Das Asylbewerberleistungsgesetz
macht krank. Es verursacht erhebliche Mehraufwendun-
gen, die man einfach einsparen könnte, wenn man von
Anfang an für eine adäquate medizinische Versorgung
sorgen würde.

Ein Gesetz, das offenkundig weder geeignet noch erfor-
derlich ist, um mit verhältnismäßigen Mitteln den Zweck
dieses Gesetzes zu erfüllen, ist aufzuheben. Wer das Asyl-
bewerberleistungsgesetz dennoch beibehalten möchte,
zeigt, dass es ihr, ihm weniger darum geht, den angebli-
chen „Asylmissbrauch“ zu bekämpfen, als vielmehr da-
rum, Asylsuchende und Geduldete in Deutschland zu
schikanieren und zu diskriminieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623036200

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13149, den Gesetzentwurf
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/10837 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mehrheitlich abgelehnt. Die dritte Beratung ent-
fällt.

Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:1)

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtsstaatlichkeit in Russland stärken
– Drucksache 16/13613 –

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/13613. Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Ina Lenke, Frank
Schäffler, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Attraktivität von Au-pair-Beschäftigungen
steigern
– Drucksachen 16/9481, 16/12724 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michaela Noll
Sönke Rix
Ina Lenke
Elke Reinke
Ekin Deligöz


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1623036300

In ihrem Antrag „Attraktivität von Au-pair-Beschäfti-

gungen steigern“ beruft sich die FDP auf eine deutliche

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 18


(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll
Abnahme der erteilten Visa für Au-pair-Aufenthalte bei
uns in Deutschland. Die FDP vermutet, dass andere
Staaten attraktivere Rahmenbedingungen für Au-pair-
Beschäftigungen bieten. Deutschland, so wird befürchtet,
könne auf dem Au-pair-Markt ins Hintertreffen geraten,
worunter der interkulturelle Dialog und die Verständi-
gung unter den Nationen leiden könnten. Vor diesem Hin-
tergrund schlägt die FDP eine Reihe von Maßnahmen
vor, um die Anzahl der Au-pair-Beschäftigungen in
Deutschland anzuheben.

Au-pair-Aufenthalte können für alle Beteiligten eine
Bereicherung sein, aber genauso können sie Gastfami-
lien vor gravierende Probleme stellen. Ich selber habe
meine ganz persönlichen Erfahrungen mit Au-pairs ge-
macht. Sie kamen aus dem europäischen und auch außer-
europäischen Ausland. Alle waren junge, interessierte
und sympathische Frauen, neugierig auf einen fremden
Kulturkreis und engagiert bei der Betreuung von kleinen
Kindern. Dennoch habe ich in dieser Zeit nicht nur die
erfreulichen Seiten und Chancen der Beschäftigung eines
Au-pairs erleben können.

In der Möglichkeit, als Au-pair in ein Gastland zu ge-
hen, sehe ich dennoch nach wie vor eine große Chance
für junge Menschen – sofern dieser Aufenthalt gründlich
vorbereitet wird. Sie erhalten auf diesem Weg, in der Re-
gel recht unproblematisch und finanziell tragbar, die
Möglichkeit, Auslands- und interkulturelle Erfahrungen
zu sammeln. Außerdem ist ein vertrauensvolles Au-pair-
Mädchen ein Gewinn für die Gastfamilie. Mit ihrer Tä-
tigkeit hilft sie, Beruf und Familie zu vereinbaren und
unterstützt so das Familienleben. Darüber hinaus ist ihr
anderer kultureller Hintergrund oftmals eine Bereiche-
rung.

So wie die Beschäftigung eines Au-pairs eine Berei-
cherung für die Gastfamilie sein kann, so kann sie aber
auch erhebliche Belastungen mit sich bringen. Die Gast-
familie kann sich plötzlich konfrontiert sehen mit einer
ungeplanten und unter Umständen auch ungewollten
Schwangerschaft oder mit einer drohenden Zwangsver-
heiratung, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auf solche
Situationen sind die meisten Gastfamilien nicht vorberei-
tet. Die Verantwortung, die Gastfamilien im Rahmen ei-
nes Au-pair-Aufenthaltes gegenüber den jeweiligen
Mädchen tragen, dürfen wir daher nicht unterschätzen.

Im Bewusstsein dieser Problematik haben wir bereits
am 3. Juli 2003 fraktionsübergreifend den Antrag „Für
eine Verbesserung der privaten Vermittlung im Au-pair-
Bereich zur wirksamen Verhinderung von Ausbeutung
und Missbrauch“ beschlossen. In diesem Antrag haben
wir uns umfassend mit den Zielen und Gefahren eines
Au-pair-Aufenthaltes sowie der Qualität in der Au-pair-
Vermittlung befasst. Seitdem hat sich an den Zielen und
den Erwartungen an einen Au-pair-Aufenthalt wenig ge-
ändert.

Au-pair-Aufenthalte sind ein wichtiges Kulturgut. Im
Vordergrund steht das gesellschafts- und jugendpoliti-
sche Anliegen, jungen Menschen über Grenzen hinweg
die Möglichkeit zu eröffnen, andere Sprachen und Kultu-
ren kennenzulernen, um so die internationale Verständi-
gung zu fördern. Au-pairs betreuen in der Regel die
Zu Protokoll
Kinder der Gastfamilie und helfen in einem zeitlich be-
grenzten Umfang bei der täglichen Arbeit im Haushalt
mit.

Im Gegenzug erbringen auch die Gastfamilien Leis-
tungen: Sie stellen ein Zimmer zur Verfügung, sorgen für
die Verpflegung, zahlen ein Taschengeld, schließen für
das Au-pair eine Privatversicherung für den Fall der
Krankheit, Schwangerschaft, Geburt und eines Unfalls
ab und ermöglichen den Besuch von Sprachkursen.

Der Aufenthalt als Au-pair in einer Gastfamilie bietet
den überwiegend jungen Frauen ab 17 Jahren zahlreiche
Chancen. Er ist aber auch mit Gefahren verbunden. So
sind immer wieder Fälle von illegaler Beschäftigung und
Ausbeutung bis hin zum Missbrauch durch die Gastfami-
lie aufgetreten. Im Hinblick auf diese Gefahren haben die
Au-pairs ein besonderes Schutzbedürfnis. Dem müssen
wir entsprechen. Leider trägt der vorliegende Antrag der
FDP diesem Schutzbedürfnis kaum Rechnung.

„Au pair“ kommt aus dem Französischen und bedeu-
tet „auf Gegenseitigkeit“. Aus einem Au-pair-Verhältnis
sollen beide Seiten einen Nutzen ziehen. Es gilt, den
Schutzgedanken sowohl für die Au-pair-Beschäftigten
als auch für die Gastfamilien besonders zu beachten. Die
Au-pairs haben einen Anspruch darauf, die Kultur und
Sprache des Gastlandes kennenzulernen. Ihre Arbeits-
leistung, die sie in die Gastfamilien einbringen, berech-
tigt diese aber nicht dazu, ihr Au-pair als Haushaltshilfe
auszunutzen.

Daneben muss allerdings auch der Schutzgedanke für
die Kinder der Gastfamilien beachtet werden. Sie haben
ein Anrecht auf gute und verantwortungsvolle Betreuung
durch die Au-pairs.

Nicht wenige von den jungen Au-pair-Mädchen sind
oftmals nicht in der Lage, ihrer Verantwortung gerecht zu
werden. Häufig sind die jungen Mädchen mit der Tätig-
keit überfordert. Sie haben oftmals ein vollkommen fal-
sches Bild von dem, was sie in dem Gastland und in der
Gastfamilie erwartet. Meist sind die Mädchen in der Be-
treuung von Kleinstkindern nicht ausreichend geschult
oder nicht entsprechend angeleitet worden. Daraus kön-
nen sich auch Gefahren für die von ihnen betreuten Kin-
der ergeben. Deshalb halte ich es für unerlässlich, dass
auch die Gastfamilien die Sicherheit haben, dass ihnen
nur Mädchen vermittelt werden, die ihre Au-pair-Auf-
gabe auch verantwortungsvoll wahrnehmen.

Gastfamilien brauchen entsprechende Ansprechpart-
ner vor allem dann, wenn es aufgrund des unterschiedli-
chen kulturellen Hintergrundes zu Spannungen und Dis-
krepanzen zwischen Gastfamilie und Au-pair kommt.

Um den genannten Schutzgedanken in beide Richtun-
gen bestmöglich zu gewährleisten, bestehen spezielle
Regelungen zum Schutz von Au-pairs. So gelten zum
Beispiel das Schriftformerfordernis für den Vermittlungs-
vertrag sowie die automatische Unwirksamkeit für be-
stimmte Vereinbarungen.

Die Überwachung der Einhaltung der Schutzvor-
schriften obliegt der Bundesagentur für Arbeit. Sie muss
die Beschäftigungsaufenthalte der Au-pairs genehmigen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll
und kann festgestellte Verstöße mit Geldbußen ahnden.
Die von der Bundesagentur für Arbeit vorgenommene
Prüfung stellt sicher, dass die Au-pairs gemäß den Stan-
dards beschäftigt werden, die im Hinblick auf den Schutz
der jungen Menschen während des Gastaufenthaltes ge-
boten sind.

Wichtig ist, die Arbeit der Vermittlungsagenturen ge-
nauer zu beleuchten. Denn bei der Unterstützung und Be-
treuung der Au-pair-Beschäftigten gibt es erhebliche
qualitative Unterschiede.

Daher befürworte ich, dass Agenturen, die Au-pair-
Beschäftigungen nach Deutschland vermitteln, konkrete
Gütekriterien erfüllen müssen. Diese Forderung haben
wir auch 2003 in unserem fraktionsübergreifenden Be-
schluss erhoben. In der Folgezeit konnten wir viele Agen-
turen für einen Beitritt zur RAL-Gütegemeinschaft mit
dem Gütezeichen „au pair incoming“ und den damit ver-
bundenen Gütekriterien gewinnen.

Die mithilfe von Mitteln des Kinder- und Jugendplans
ins Leben gerufene Gütegemeinschaft „Au pair e.V.“ be-
müht sich beständig, diesen in der Praxis bessere Gel-
tung zu verschaffen. Dabei wird sie von der Bundesregie-
rung unterstützt und gefördert. Die Gütegemeinschaft ist
von deutscher Seite aus gemeinsam mit der International
Au Pair Association, IAPA, auf Anregung des BMFSFJ
hierzu initiativ geworden.

Das Familienministerium, in Au-pair-Angelegenhei-
ten das federführend koordinierende Ressort, unterstützt
die kontinuierliche Weiterentwicklung des Zertifizie-
rungsverfahrens. Diese Weiterentwicklung und die tat-
sächliche praktische Arbeit der Agenturen müssen wir
auch zukünftig im Blick haben – im Interesse einer Qua-
litätssicherung der Au-pair-Aufenthalte.

Im Gegensatz hierzu sehe ich die von der FDP vorge-
schlagene Anhebung der Altersbegrenzung von 25 auf
27 Jahre äußerst skeptisch. Au-pair-Aufenthalte sollten
in der Lebensphase zwischen Beendigung der Schulzeit
und Einstieg in das Berufsleben stattfinden. Die Verlän-
gerung des Au-pair-Aufenthalts auf 24 Monate sehe ich
ebenfalls sehr kritisch. Die aktuelle Begrenzung auf ein
Jahr dient dem Schutz der Au-pairs. Sie soll sicherstel-
len, dass diese nicht als Hauswirtschaftshilfeersatz be-
schäftigt werden. Wir wollen eben nicht, dass bei der Au-
pair-Beschäftigung ein grauer Arbeitsmarkt oder Ar-
beitsverhältnisse im klassischen Sinn entstehen. Glei-
chermaßen dem Schutzgedanken Rechnung trägt die
Anforderung an ein bestimmtes Niveau in der Sprach-
kompetenz. Ohne dieses Maß an Sprachkompetenz auf
dem Niveau von Grundkenntnissen der deutschen Spra-
che würde das Ziel der Au-pair-Aufenthalte nicht er-
reicht werden können. Au-pair und Familie sollen sich
nicht nur verständigen können, die Au-pairs sollen auch
bei Problemen mit ihren Gastfamilien nicht hilflos und
damit schutzlos sein.

Nun erhebt die FDP in dem vorliegenden Antrag die
Forderung nach einheitlichen Kriterien für den Nach-
weis deutscher Sprachkenntnisse. Dieser Forderung
wurde allerdings bereits durch Festlegung auf den Ge-
meinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen
Zu Protokoll
Rechnung getragen. Nach diesem Rahmen werden die
Sprachkenntnisse in die Stufen A 1, A 2, B 1, B 2, C 1 und
C 2 eingeteilt. Dabei stehen die Stufen A 1 und A 2 für
elementare, die Stufen B 1 und B 2 für selbstständige und
die Stufen C 1 und C 2 für kompetente Sprachverwen-
dung. Für einen Au-pair-Aufenthalt ist lediglich die Stufe
A 1, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache, erfor-
derlich. Mit dem Europäischen Referenzrahmen kommt
somit ein objektiver, transparenter und anerkannter
Maßstab zum Tragen.

Des Weiteren möchte die FDP, dass der Sprachnach-
weis örtlich flexibler erbracht werden kann. Die Prüfung
in Auslandsvertretungen, so wie sie derzeit erfolgt, ent-
spricht jedoch der Forderung aus dem zu Beginn von mir
zitierten Bundestagsbeschluss vom 3. Juli 2003. Dort ha-
ben wir es fraktionsübergreifend für notwendig gehalten,
dass die deutschen Auslandsvertretungen bei der Prü-
fung der Visaanträge zum Schutz der Au-pairs besonders
auf die Sprachkompetenz achten. Im Übrigen besteht an
ausgewählten Vertretungen mit hohem Bewerberaufkom-
men bereits jetzt die Möglichkeit, den Sprachnachweis
durch Ablegung der Standardprüfung der Niveaustufe
A 1 des Goethe-Instituts zu erbringen.

Als einem europa- und weltweiten Austausch von jun-
gen Menschen, der gerade in den Familien stattfinden
soll, kommt der Au-pair-Beschäftigung eine große Be-
deutung zu. Sie bietet die Chance für einen kulturellen
Austausch. Daher dürfen bestimmte Grenzen nicht über-
schritten werden.

Die umfassenden Maßnahmen, die wir zum Schutz der
Au-pair-Beschäftigten und auch zum Schutz der Familien
in der Vergangenheit ergriffen haben, haben sich be-
währt. Sie entsprechen dem Au-pair-Gedanken des kultu-
rellen Austauschs in der Orientierungsphase zwischen
Schule und Beruf. Sie tragen dazu bei, illegale Beschäfti-
gung und damit die Gefahr des Missbrauchs in diesem
Bereich zu reduzieren. Sie sichern eine hohe Qualität in
der Au-pair-Beschäftigung.

Deshalb sind die bestehenden Regelungen vernünftig.
Nur so kann es uns gelingen, dass alle Beteiligten den
Au-pair-Aufenthalt als Bereicherung in Erinnerung be-
halten.


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1623036400

Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion

haben mit dem vorliegenden Antrag das Ziel, die Attrak-
tivität von Au-pair-Beschäftigung zu steigern. Die Frage
ist nur, für wen. Das Problem wird in ihrem Antrag klar
benannt: Die Zahl der Visa und damit die Zahl der Au-
pair-Beschäftigten in Deutschland ist in den letzten Jah-
ren drastisch gesunken. Sie führen an, dass andere euro-
päische Länder attraktivere Rahmenbedingungen für die
Beschäftigung als Au-pair böten, wie zum Beispiel ein
höheres Mindesttaschengeld und eine Erstattung der
Reisekosten. Erstaunlicherweise schlagen sie in ihrem
Antrag aber nicht vor, genau dies zu ändern. Ihre
Schwerpunkte liegen vielmehr auf Erleichterungen im
bürokratischen Bereich. Beispielsweise fordern sie eine
größere Flexibilität, was die Sprachnachweise betrifft.
Sie sind der Meinung, dass in Einzelfällen auch Zeug-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sönke Rix
nisse als Sprachnachweis ausreichend sind statt eines
Gesprächs in einer öffentlichen Stelle. Ich meine: Zeug-
nisse allein reichen nicht aus. Schließlich können diese
auch gefälscht werden. Die Gastfamilie muss sicherge-
hen können, dass das Au-pair-Mädchen oder der Au-
pair-Junge so gut deutsch spricht, dass die Familie gut
kommunizieren kann – vor allem auch die Kinder. Das ist
eine Grundvoraussetzung, und die darf nicht vernachläs-
sigt werden.

Daneben fordern Sie eine Ausweitung der Alters-
grenze von derzeit 25 auf 27 Jahre. Ich frage mich aller-
dings, warum. Au-pair-Beschäftigte kommen meist direkt
nach der Schule in ein anderes Land. Ältere Au-pairs
sind die Ausnahme. Dass mit dieser Forderung die At-
traktivität gesteigert wird, sehe ich nicht. Und Sie for-
dern eine weitere Ausweitung: Sie wollen, dass die Auf-
enthaltsdauer eines Au-pairs auch um ein Jahr auf
24 Monate verlängert werden kann. In meinen Augen
wird so jedoch nur ein Beschäftigungsverhältnis verlän-
gert. Dem kulturellen Austausch dient dies aber wenig.
Dieser findet am Anfang der Au-pair Beschäftigung statt.

Auch die Beschleunigung von Visabeantragungsver-
fahren, die Sie sich wünschen, ist ein hilfloses Mittel. Wer
ein Jahr ins Ausland möchte, braucht sein Visum nicht
innerhalb von einer Woche. Schließlich wird so ein Aus-
landsaufenthalt sowohl von der oder dem Au-pair als
auch von der Gastfamilie gut geplant. Jedenfalls sollte
das so sein. Ein spontaner Entschluss zu einem Au-pair-
Aufenthalt sollte eher selten der Fall sein. Und auch hier
müssen wir für den größtmöglichen Schutz für Au-pair
und Gastfamilie sorgen. Diesem Schutz arbeiten Sie auch
mit einer weiteren Forderung entgegen. Denn Sie wollen
die Au-pair-Beschäftigung aus der Erwerbstätigkeit he-
rauslösen und eine flexiblere Lösung finden. Doch das ist
sicher nicht im Sinne der jungen Menschen, die sich dazu
entschließen, ein Jahr in Deutschland zu verbringen.

Ihren letzten beiden Forderungen im Antrag kann ich
mich durchaus anschließen. Sie plädieren für eine brei-
tere Öffentlichkeitsarbeit und für eine konsequente Zerti-
fizierung der Vermittlungsagenturen. Diese beiden For-
derungen bringen zwar keine Verbesserungen für die Au-
pairs, können jedoch die Zahl derjenigen erhöhen, die
ein Au-pair-Jahr in Deutschland verbringen wollen.

Nicht verstehen kann ich allerdings – und entschuldi-
gen Sie bitte, dass ich mich jetzt wiederhole –, dass Sie
keine richtige Forderung zu einer Steigerung der Attrak-
tivität vorbringen. Warum fordern Sie keine Erhöhung
des Mindesttaschengelds oder eine Übernahme der Rei-
sekosten durch die Gasteltern?

Mir scheint – und ich denke, dass mir die Kolleginnen
und Kollegen aus den anderen Fraktionen da recht geben
werden –, dass Sie die Regelungen, die es in Deutschland
aus gutem Grunde gibt, flexibilisieren wollen. Doch Bü-
rokratie ist nicht immer schlecht – auch wenn Sie uns das
fortwährend weismachen wollen. Hier dient die Bürokra-
tie klar dem Schutz der Beteiligten, und davon will ich
auch nicht abrücken.
Zu Protokoll
Wenn Sie nun allerdings fordern, die Verwaltungsre-
gelungen zu flexibilisieren, die Altersgrenze heraufzuset-
zen und die Sprachnachweise nicht mehr konsequent im
Gespräch einzufordern, ist ein Missbrauch durch ein-
zelne Gasteltern nicht auszuschließen. Möglicherweise
sehen sie in der Au-pair-Beschäftigung lediglich eine
günstige Möglichkeit zur Kinderbetreuung.

Dennoch danke ich Ihnen für diesen Antrag, da wir
das Thema Au-pair-Beschäftigung so einmal ausführlich
diskutieren konnten. Das hat auch mir neue Erkenntnisse
verschafft. In Ihrem Antrag sehe ich allerdings keine ein-
zige Forderung, die die Attraktivität der Au-pair-Be-
schäftigung verbessern würde. Wir lehnen den Antrag
deshalb ab.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1623036500

Die FDP legt Ihnen heute zur Abstimmung einen An-

trag zu Au-pair-Beschäftigung vor.

Au-pairs sind junge Erwachsene, die gegen Verpfle-
gung, Unterkunft und Taschengeld bei einer Gastfamilie
im Ausland tätig sind. Im Gegenzug lernen sie die Spra-
che und Kultur des Gastlandes kennen. Es ist nicht nur
der simple Austausch des Wohnortes. Es ist viel mehr.
Der Au-pair-Aufenthalt ist ein fester Bestandteil des in-
ternationalen Jugendaustausches und des interkulturel-
len Dialogs.

Auf der anderen Seite stehen die Gastfamilien mit
ihren Kindern. Ihnen wird durch die Unterstützung eines
Au-pairs die bessere Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf ermöglicht. Die Kinder erhalten durch Au-pairs Ein-
blicke in die Kultur eines anderen Landes. Für beide
Seiten eines Au-pair-Aufenthaltes entsteht eine Win-Win-
Situation, verbunden mit der besseren Verständigung der
Nationen.

Bei allen beschrieben Vorteilen ist dennoch ein Rück-
lauf bei den Au-pair-Aufenthalten in Deutschland deut-
lich erkennbar. Die Gütegemeinschaft Au Pair e. V. hat
darüber bereits im Jahr 2007 informiert. Bürokratische
Widerstände und Sprachtests und Prüfbedingungen, die
über die Mindestanforderungen deutlich hinausgehen,
machen Deutschland als Gastland unattraktiv.

Seit 1969 besteht, durch den Europarat beschlossen,
ein Übereinkommen über Bedingungen der Au-pair-Be-
schäftigung. Ziel ist es, einheitliche Bedingungen in allen
Mitgliedstaaten festzustellen und zu vereinheitlichen. Die
Bundesrepublik Deutschland hat diese Abkommen ge-
zeichnet, jedoch nicht ratifiziert.

Wie können wir die positiven Ergebnisse von Au-pair-
Beschäftigung in Deutschland erhalten und den aktuellen
Bedingungen anpassen? Vorschläge aus unserem An-
trag:

Erstens. Die Höchstaltersgrenze von Au-pair-Be-
schäftigungen – wie beim Freiwilligen Sozialen Jahr
oder beim Freiwilligen Ökologischen Jahr – von unter
25 Jahre auf unter 27 Jahre anheben.

Zweitens. Möglichkeiten schaffen, Au-pair-Beschäfti-
gung im Einzelfall auf bis zu 24 Monate zu verlängern.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
Drittens. Visaverfahren bei Au-pair-Beschäftigungen
aus nichtprivilegierten Staaten insbesondere bei einer
Vermittlung durch zertifizierte Agenturen beschleunigen.

Viertens. Den Nachweis von Sprachkenntnissen der
deutschen Sprache vor der Einreise in die Bundesrepu-
blik Deutschland nach einheitlichen Kriterien regeln und
das Verfahren dahingehend flexibilisieren, dass im Ein-
zelfall auch der Nachweis über Zeugnisse von Sprach-
schulen und anderen Bildungseinrichtungen wie Univer-
sitäten möglich ist.

Fünftens. Prüfen, ob Au-pair-Beschäftigungen im Auf-
enthaltsrecht zustimmungsfreien Beschäftigungen oder
sonstigen Ausbildungszwecken zugeordnet werden kön-
nen.

Sechstens. Dafür werben, dass Agenturen, die in
Deutschland Au-pairs vermitteln, sich verstärkt der Zer-
tifizierung durch das RAL-Gütesiegel anschließen.

Siebtens. Gemeinsam mit den Au-pair-Agenturen und
Au-pair-Verbänden Kampagnen entwickeln, um die At-
traktivität der Bundesrepublik Deutschland als Zielstaat
für eine Au-pair-Beschäftigung zu erhöhen.

Wir brauchen in Deutschland vernünftige Regelungen
für Au-pairs und Gastfamilien. Sehr deutlich will ich hier
sagen, dass es der FDP um eine geordnete, faire Partner-
schaft zwischen Gasteltern und Au-pairs geht. Wir wol-
len gerade den Missbrauch, der von CDU/CSU und SPD
angesprochen wurde, künftig vermeiden helfen. Aber den
Missbrauch zur Norm zu erheben und Gasteltern per se
zu misstrauen, führt politisch in die Sackgasse. Stimmen
Sie unserem Antrag zu!


Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623036600

Au-pairs möchten Kultur und Lebensgewohnheiten

des Gastgeberlandes kennenlernen und die dortige Spra-
che erlernen. Sie sollen ihre sozialen Kompetenzen aus-
bauen – nicht nur durch Hausarbeit und Kinderbetreu-
ung. Und sie sollen erste Berufserfahrungen sammeln.
Kurz: Eine Au-pair-Beschäftigung hat zum Ziel, kulturel-
len Austausch zu bieten, und verfolgt einen klaren Bil-
dungsauftrag.

Natürlich dürfen wir auch die Gastfamilie nicht ver-
gessen: Ihr soll vor allem die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf erleichtert werden. Zudem soll sie natürlich
auch etwas über die Kultur des Landes erfahren, aus dem
ihr Au-pair kommt.

Der Fraktion Die Linke ist bei alledem wichtig, dass
Au-pairs vor Ausbeutung geschützt werden, neben der
Sprache viel für ihre persönliche Entwicklung mitneh-
men und einen sicheren Aufenthalt genießen.

Doch was fordert die FDP, um die Attraktivität der
Au-pair-Beschäftigungen zu verbessern?

Die Anhebung der Höchstaltersgrenze von 25 auf
27 Jahre, die Möglichkeit, die Beschäftigung auf 24 Mo-
nate zu verlängern, vereinfachte Visaverfahren und an-
dere Rechtsgrundlagen für Visa und Aufenthaltsgenehmi-
gungen, die einheitliche Regelung des Nachweises der
Sprachkenntnisse vor der Einreise. Auch Nachweise
Zu Protokoll
durch andere Zeugnisse als die der Goethe-Institute sol-
len gelten. Die Bundesregierung soll bei Vermittlungs-
agenturen für die Teilnahme am Zertifizierungspro-
gramm RAL werben. Gemeinsame Werbekampagnen der
Bundesregierung mit Au-pair-Agenturen und -Verbän-
den.

Das hört sich ja alles ganz nett an. Der Antrag der
FDP vernachlässigt aber fast vollkommen die Frage, wie
die wirtschaftliche und soziale Situation von Au-pair-Be-
schäftigten verbessert werden kann! Von keinem Inte-
resse scheint für die FDP auch das Problem zu sein, wie
anständige Arbeitsbedingungen eingehalten, gesell-
schaftliche Teilhabe sichergestellt und der Ausbau der
Sprachkenntnisse konkret gewährleistet werden sollen.
Die FDP zeigt wieder einmal eine bemitleidenswerte
Ignoranz sozialen Aspekten gegenüber.

Für die Linke ist eine Beschäftigung nur dann attrak-
tiv, wenn sie „Gute Arbeit“ verspricht! Es dürfen die
Grenzen zur reinen Erwerbsarbeit nicht verwischt wer-
den! Die Linke wird es nicht zulassen, dass bei Au-pair-
Beschäftigungen Arbeitsverhältnisse im klassischen Sinn
entstehen! Junge Menschen dürfen nicht bei Tätigkeiten
in Privathaushalten ausgebeutet und als billige Haus-
haltshilfen gehalten werden. Leider sprechen viele Er-
fahrungsberichte eine andere Sprache. Hierauf ist ganz
genau zu achten, gerade weil die Grenzen von privatem
Zusammenleben, Integration in die Gastfamilie und Er-
werbsarbeit verschwimmen.

Die FDP gibt leider keinerlei Antwort darauf, wie
man den vielfältigen Missbrauchsgefahren begegnen
könnte. Durch die mögliche Verlängerung der Beschäfti-
gungszeit – die für die Gastfamilien durchaus von Vorteil
sein kann – besteht zudem die Gefahr, dass die Au-pairs
länger als billige Arbeitskräfte gehalten werden sollen
und zugleich einen früheren Einstieg in ihr Berufsleben
verpassen. Wenn schon Verlängerung und Altersanhe-
bung, dann nur unter streng festgelegten, engen Voraus-
setzungen – am besten verpflichtend gekoppelt mit einem
berufs- oder studiumsvorbereitenden Praktikum oder
Ähnlichem. Es müssen ganz klar der Schutz und die Be-
rufsperspektiven der Au-pair-Beschäftigten im Mittel-
punkt stehen!

Ich frage ernsthaft: Warum schaut die FDP nicht mal
über den nationalen Tellerrand hinaus und fordert bei-
spielsweise ein höheres Taschengeld für Au-pair-Be-
schäftigte, die Erstattung von Reisekosten oder eine fest-
geschriebene Anzahl von Deutschstunden? Warum wird
der Anteil an Hausarbeit im Vergleich zum Kinderbetreu-
ungsanteil sowie zum Anteil an Weiterbildung und Frei-
zeit nicht weiter verringert? Warum denkt man nicht da-
rüber nach, die Au-pair-Tätigkeit mit einem Praktikum
im gastgebenden Land leichter kombinierbar zu ma-
chen? Die sicherlich spannenden Antworten auf diese
Fragen enthält uns die FDP leider vor! Eines steht fest:
Wir brauchen beim Au-pair klare Qualitätskriterien und
dürfen den sozialen Aspekt nicht vernachlässigen!

Die Linke betont aber den Schutzgedanken nicht nur
gegenüber den Au-pair-Beschäftigten, sondern auch ge-
genüber den Kindern der Gastfamilie: Diese haben ein



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Elke Reinke
Recht auf gute und verantwortungsvolle Betreuung durch
die Au-pair-Beschäftigten.

Alles in allem konzentriert sich der Antrag der FDP
hauptsächlich darauf, wie Au-pair-Aufenthalte möglichst
unbürokratisch organisiert werden können. Im Kern ist
der FDP-Antrag deshalb kein Antrag im Interesse der
jungen Menschen, sondern ein Antrag im Interesse der
privaten Au-pair-Vermittlungsagenturen, die durch den
Rückgang der Au-pair-Beschäftigungen um ihre Existenz
fürchten. Die Linke will aber „Gute Arbeit“, um allen
Au-pair-Beschäftigten und damit auch den gastgebenden
Familien ein gutes Leben zu ermöglichen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623036700

Au-pair-Aufenthalte leisten grundsätzlich einen posi-

tiven Beitrag zum interkulturellen Austausch und zur
Völkerverständigung. Sie bieten Möglichkeiten zum
Spracherwerb und zum Erlernen von Schlüsselqualifika-
tionen.

Wir teilen die Intention des vorliegenden Antrags, die
Bedingungen im Bereich des Aufenthaltsrechts zu verbes-
sern und diese transparenter zu gestalten. Notwendig,
überfällig und sinnvoll wären vereinfachte Visaregelun-
gen, einheitlichere Sprachnachweisverfahren sowie bes-
sere Zertifizierungen als heute.

Wir kritisieren jedoch, dass die FDP in ihrem Antrag
auf Qualitätskriterien für Au-pair-Beschäftigungen nur
oberflächlich eingeht. In allgemeiner Form wird gefor-
dert, Au-pair-Beschäftigungen attraktiver zu gestalten.
Diese Forderungen, wie im Antrag geschehen, vorrangig
auf eine Anhebung des Höchstalters von 25 auf 27 Jahre
und eine Verlängerungsoption auf bis zu 24 Monate zu
reduzieren, greift ohne eine entsprechende Sicherung der
Rechte von Au-pairs viel zu kurz und kann sogar kontra-
produktiv sein.

Es gilt, die Rechte der Beschäftigten zu schützen und
den besonderen Charakter der Au-pair-Tätigkeit zu wah-
ren. Dazu gehören die tatsächliche Gewährleistung des
Schutzes vor Ausnutzung und Ausbeutung, die Einräu-
mung von angemessener Freizeit zum Kennenlernen des
Gastlandes und die Bereitstellung einer Beratungsinfra-
struktur gerade in Konfliktfällen. Notwendig wäre es,
ebenfalls die Risiken einer Ausbeutung von Au-Pairs an-
gemessen zu thematisieren und Gegenmaßnahmen zu
entwickeln.

Ohne klare Qualitätskriterien würden die positiven ju-
gend- und bildungspolitischen Wirkungen von Au-pair-
Aufenthalten konterkariert. Wir Grüne wollen den Schutz
von Au-Pairs vor Ausnutzung sowohl im Inland als auch
im Ausland verbessern. Hierzu bedarf es verbindlicher
internationaler Kooperation. Leider hat die Bundesre-
gierung auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsi-
dentschaft auf zielgerichtete Aktivitäten in diesem Be-
reich verzichtet und zeigt auch ansonsten keine Aktivität
in diesem Themenfeld.

Die FDP bezieht sich zwar positiv auf das Überein-
kommen des Europarates zu Au-pair-Beschäftigungen
aus dem Jahr 1969, das die Bundesrepublik gezeichnet,
aber nicht ratifiziert hat.

Einige Bestimmungen des Übereinkommens, die den
sicheren Aufenthalt von Au-pair-Beschäftigten und den
Schutz vor Ausbeutung sicherstellen sollten, werden
zwar auch in Deutschland berücksichtigt, zu anderen
Vorschriften dieses Übereinkommens gibt es jedoch
nationale Abweichungen. Leider wird in dem vorliegen-
den Antrag jedoch offen gelassen, ob die Antragsteller
eine Ratifizierung des Übereinkommens des Europarates
für sinnvoll und geboten halten. Auch an die Bundesre-
gierung wird keine entsprechende Forderung gerichtet.

Wir Grüne halten es für geboten, dass die Bundesre-
gierung hier aktiv wird und ein europaweit anerkanntes
Übereinkommen vorantreibt. Zudem bedarf es einer akti-
ven Unterstützung des Europäischen Komitees für Au-
pair-Standards bei der Vereinbarung gemeinsamer Stan-
dards mit einem angemessen Schutzniveau für die Au-
pair-Beschäftigten. Diese Maßnahmen würden den vie-
len engagierten jungen Leuten gerechter werden und
dem Rückgang der Au-pair-Aufenthalte besser begegnen
als einseitige Deregulierungsrethorik à la FDP.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623036800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12724, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9481
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:1)

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Verordnung über Anforderungen an eine
nachhaltige Herstellung von flüssiger Bio-

(BiomassestromNachhaltigkeitsverordnung – BioSt-NachV)


– Drucksachen 16/13326, 16/13507 Nr. 2, 16/13685 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Marko Mühlstein
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Hans-Josef Fell

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13685,
der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache
16/13326 mit der vom Ausschuss beschlossenen Maß-
gabe zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 19






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Cornelia Hirsch, Werner Dreibus,
Dr. Gesine Lötzsch, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Ände-
rung des Berufsbildungsgesetzes

– Drucksache 16/6629 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (18. Ausschuss)


– Drucksache 16/13584 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Swen Schulz (Spandau)

Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Kai Gehring

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Barth,
Patrick Meinhardt, Jens Ackermann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Orientierung und verbesserte Berufsperspek-
tiven durch Praktika schaffen

– Drucksachen 16/6768, 16/13584 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Swen Schulz (Spandau)

Patrick Meinhardt
Cornelia Hirsch
Kai Gehring

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick
Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Neue Chancen für die berufliche Bildung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Recht auf Ausbildung umsetzen – Ausbil-
dungssystem reformieren, überbetriebliche
Ausbildungsstätten ausbauen und Über-
gangsmaßnahmen anrechnen

– Drucksachen 16/12665, 16/12680, 16/13686 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Willi Brase
Patrick Meinhardt
Volker Schneider (Saarbrücken)

Priska Hinz (Herborn)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1623036900

Trotz oder auch besonders aufgrund der derzeitigen

Wirtschafts- und Finanzkrise müssen wir den Ausbil-
dungsmarkt im Blick behalten und über den Tag hinaus
denken. Wir müssen der demografischen Entwicklung
vor dem Hintergrund des prognostizierten Fachkräfte-
mangels aktiv begegnen. Aus diesem Grund halten wir
als SPD weiter an der Zahl von 600 000 Ausbildungs-
plätzen fest. Das ist eine große Herausforderung, beson-
ders für die Wirtschaft, aber mit Blick in die Zukunft müs-
sen wir alle Jugendliche mit auf den Weg nehmen. Die
jungen Menschen dürfen nicht zu den Verlierern der Kon-
junkturkrise werden. Wir haben unter anderem den Aus-
bildungsbonus als ein Instrument erweitert, sodass Aus-
zubildende, wenn ihr Betrieb in die Insolvenz geht, ihre
Ausbildung in einem anderen Unternehmen beenden
können.

Derzeit sind in Deutschland 1,5 Millionen junge Men-
schen im Alter bis 29 Jahre ohne Berufsabschluss. Diese
Personengruppe müssen wir dringend zu einem Ab-
schluss führen. Über den Ausbildungsbonus können Aus-
bildungsplätze besonders für die hohe Zahl der Altbe-
werberinnen und Altbewerber finanziert werden. Die
SPD will eine Berufsausbildungsgarantie für alle, die äl-
ter als 20 Jahre sind und weder Berufsabschluss noch
Abitur haben. Sie sollen eine Chance in außerbetriebli-
chen Ausbildungsangeboten bekommen. Dort können sie
sich dann in Berufen mit Arbeitskräftebedarf qualifizie-
ren.

Weiterhin verfolgen wir auch das Ziel, dass mehr Be-
triebe, die ausbildungsfähig sind, auch ausbilden. Weni-
ger als 20 Prozent der Unternehmen mit einem bis neun
Beschäftigten bilden aus. Hier besteht noch ein sehr gro-
ßes Potenzial. Angesichts dieser Zahlen müssen wir die
objektiven Möglichkeiten der Arbeitgeber deutlich aus-
weiten, um allen Jugendlichen eine Ausbildungschance
zu eröffnen und das duale System zu stärken. Hier gehen
die Überlegungen in Richtung zur Einrichtung von Bran-
chenfonds. Über sie wird durch verbesserte Qualifizie-
rungsstrukturen die Modernisierung der Wirtschafts-
strukturen vorangebracht, das heißt sie zielen auf eine
Verbesserung der Standortqualität ab.

Die deutsche duale Ausbildung mit ihrem hohen Pra-
xisanteil ist ein Garant für eine hohe Berufs- und Be-
schäftigungsfähigkeit. Ich werde weiterhin mit Nach-
druck an dem ganzheitlichen Berufsprinzip festhalten.
Eine wie von Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag ge-
forderte Neustrukturierung der gesamten Berufsausbil-
dung über bundesweit anerkannte Bausteine lehne ich
ab. Meines Erachtens ist es viel wichtiger, dass wir die
zahlreichen Maßnahmen im sogenannten Übergangssys-
tem bündeln und übersichtlich strukturieren sowie an
wenigen, jetzt schon erfolgreichen Instrumenten konzen-
triert festhalten. Hier lenke ich den Fokus unter anderem
auf die Einstiegsqualifizierung für Jugendliche, ein In-
strument, das sich in der Vergangenheit bewährt hat. Zu-
künftig muss es vernünftige Anrechenmöglichkeiten auf


(A) (C)



(B) (D)


Willi Brase
eine nachfolgende duale Berufsausbildung, möglichst im
gleichen Betrieb, geben.

Es kann gar nicht häufig genug betont werden, dass
Ausbildungsmärkte regionale Märkte sind. Das gilt eben-
falls für den Bereich der Berufsorientierung und -bera-
tung an den Schulen. Auch diese müssen regional ausge-
richtet werden. Man muss den Schülerinnen und
Schülern ein auf die Region zugeschnittenes Angebot ma-
chen. Wirtschaft, Schulen, Eltern und weitere Koopera-
tionspartner vor Ort müssen zusammenarbeiten. Viele
junge Menschen müssen nach dem Mentorenprinzip ein-
fach noch an die Hand genommen werden. Dann entge-
hen wir auch der leidigen Diskussion um die sogenannte
Ausbildungsreife, die bereits seit den 60er-Jahren immer
wieder in die Debatte geworfen wird, und das immer
dann besonders lautstark, wenn es um die Zahl der Aus-
bildungsplätze geht, die die Wirtschaft zur Verfügung
stellen sollte.


Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1623037000

Die duale Ausbildung ist das Rückgrat unseres beruf-

lichen Bildungssystems. Das lassen wir uns nicht aushe-
beln, das soll so bleiben. Damit das System der berufli-
chen Bildung auch in der wirtschaftlichen Krise
funktionsfähig bleibt, muss es für die anstehenden He-
rausforderungen neu ausgerichtet werden. Die FDP-
Fraktion will mit ihrem Antrag neue Chancen für die be-
rufliche Bildung eröffnen, vor allem neue Chancen für
die jungen Menschen; denn um die muss es gehen, nur
um die.

In der gestrigen Sitzung des Ausschusses haben wir
für unseren Antrag auch von den beiden Regierungsfrak-
tionen viel Zustimmung erfahren. Meine Damen und
Herren von der Großen Koalition, springen Sie über Ih-
ren Schatten, stimmen Sie doch heute einfach zu!

Wir Liberale machen uns stark für die duale Ausbil-
dung, ohne Wenn und Aber. Und das will ich Ihnen an
dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: In einer Situa-
tion, in der wir aufpassen müssen, dass aus einer Wirt-
schaftskrise nicht auch eine Ausbildungskrise wird, ist es
wenig sinnvoll, den erfolgreichen Ausbildungspakt in-
frage zu stellen. Das sage ich bewusst an die Adresse der
Bundesregierung. Wahlkampf auf dem Rücken der Aus-
zubildenden zu machen, verbietet sich. Wahlkampf auf
Kosten der mittelständischen Betriebe zu machen, die in
wirtschaftlich guten Zeiten weit über Bedarf ausgebildet
haben, verbietet sich. Anstatt den Ausbildungspakt zu ge-
fährden, müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, eine
Qualitätsoffensive zu ergreifen und den Weg zu bereiten
für mehr Flexibilität in der beruflichen Bildung.

Deutsche Ausbildungsbetriebe tragen jährlich mit
30 Milliarden Euro rund 80 Prozent der Ausbildungskos-
ten und bilden nicht selten über den eigenen Bedarf aus.
Auch der Umstand, dass die Mehrheit der Betriebe trotz
schwieriger Wirtschaftslage ihr Ausbildungsengagement
aufrechterhalten will und so den Nachwuchs zu sichern
beabsichtigt, verdeutlicht dies.

An dieser Stelle sei Ihnen von der Linken auch noch
gesagt: Was in der beruflichen Bildung gilt, gilt auch für
Zu Protokoll
die vielen Praktikumsbetriebe in diesem Land. Sparen
Sie sich ihre Klassenkampfrhetorik! Die deutschen Un-
ternehmer sind sehr viel verantwortungsbewusster, als
Sie das in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf dar-
stellen. Das bestätigen auch die Praktikanten selbst;
denn nur jeder siebte von ihnen fühlt sich ausgenutzt, die
große Mehrheit bewertet ihr Praktikum „gut“ oder sogar
„sehr gut“, wie eine HIS-Erhebung bestätigt. Also hören
Sie endlich auf, Probleme herbeizureden und die Men-
schen mit Reglementierungen dann zu überhäufen, wenn
sie selbst Chancen sehen. Ja, es gibt auch schwarze
Schafe. Aber deswegen dürfen nicht alle Betriebe mit
dem Stempel „Sie nutzen Praktikanten aus“ versehen
werden. Das wird den Praktikanten und den Betrieben,
die Praktikumsplätze anbieten, nicht gerecht.

Wenden wir uns lieber den wahren Problemen zu.
Noch immer werden viel zu viele junge Menschen ge-
parkt in unbrauchbaren Maßnahmen des Übergangssys-
tems. Auch wenn ein Jugendlicher nicht sofort einen Aus-
bildungsplatz bekommt, so muss sich die Zeit in einer
Übergangsmaßnahme durch eine Weiterqualifizierung
– von der er etwas hat – lohnen.

Wir müssen die Ausbildungszeiten weiter flexibilisie-
ren. Ein Jahr länger, wenn noch gelernt werden muss.
Ein Jahr kürzer, wenn man besonders fit ist. In zwei Jah-
ren, wenn man einen ersten Ausbildungsabschluss will.
Geben wir den Partnern der beruflichen Bildung endlich
diese Flexibilität! Dies ist eine Frage der Ausbildungsge-
rechtigkeit.

Eines der großen Probleme ist auch, dass etwa jeder
vierte Jugendliche als nicht ausbildungsfähig gilt. Hier
gilt es anzusetzen. Wir müssen mehr Praxiserfahrung in
die Schulen bringen. Schon früh müssen erste Erfahrun-
gen gesammelt werden können. Das motiviert und eröff-
net neue Perspektiven. Betriebserkundungen, Praktika
und Bewerbertraining müssen ebenso eine Rolle spielen
wie die Ausrichtung der Lehrinhalte und Themen. Wirt-
schaft und Technik müssen viel mehr unterrichtet werden.
Auch die Hospitation von Lehrkräften in Betrieben und
Unternehmen im schulischen Umfeld sollte gefördert
werden. Wir müssen Schule neu denken, wenn wir erfolg-
reich sein wollen.

Zwei weitere Punkte will ich hier noch herausstellen.
Erstens: Die FDP setzt sich dafür ein, die überbetriebli-
chen Bildungszentren zu stärken. Insbesondere dort, wo
kleine oder sehr spezialisierte Betriebe ein Berufsbild
nicht vollumfänglich anbieten können, sind diese eine
dringend notwendige Ergänzung. Sie tragen dazu bei,
Ausbildungsplätze zu sichern und die Qualität der dualen
Ausbildung auch bei schwierigen Rahmenbedingungen
zu gewährleisten.

Zweitens: Die FDP will den Erwerb von beruflichen
Abschlüssen durch breitbandige, flexible Ausbildungsbe-
rufe unterstützen. Eine kompetenz-, werte- und zielorien-
tierte Ausbildung, die eine umfassende und flexible be-
rufliche Handlungsfähigkeit ermöglicht, ist weiterhin als
Leitbild der Entwicklung des Berufsbildungssystems in
Deutschland zu betrachten. Der Erhalt des Berufsprin-
zips und sinnvolle Module sind zwei Seiten derselben
Medaille.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Patrick Meinhardt
Wir benötigen eine bessere Verzahnung von Aus-, Wei-
ter- und Hochschulbildung. Bildungssackgassen darf es
nicht geben. Ein Bildungssystem, das Durchlässigkeit
aufbaut, fördert junge Menschen nach ihren Begabun-
gen. Es kann nicht sein, dass wir die Durchlässigkeit zwi-
schen beruflicher und akademischer Bildung in Sonn-
tagsreden fordern, während es in der Realität jedoch
gerade einmal 0,6 Prozent der Hochschulzugangsbe-
rechtigten sind, die ihre Berechtigung nicht über das Abi-
tur, sondern über einen Qualifizierung der beruflichen
Bildung erlangen. Hier wird deutlich, wer bildungspoli-
tisch für die Gleichwertigkeit von akademischer und be-
ruflicher Bildung eintritt.

Die Anschlussfähigkeit der unterschiedlichen Bil-
dungswege ist eine notwendige Voraussetzung. Wir müs-
sen die Anforderungen der Aus- und Weiterbildung,
zwischen hochwertigen Berufsbildungsgängen und aka-
demischen Studiengängen, besser aufeinander abstim-
men. Wir müssen durch die Verbesserung der Anrech-
nungsmöglichkeiten zwischen den Teilsystemen und einer
Vermeidung von Doppelqualifizierungen unsere Bildung
endlich effizient und durchlässig gestalten. Gerade in ei-
ner Krise ist nicht Warten angesagt.

Leider müssen wir davon ausgehen, dass unsere Ini-
tiativen heute keine Mehrheit finden werden, und das, ob-
wohl auch die großen Verbände der beruflichen Bildung
wie DIHK und ZDH unsere Positionen als dringend ge-
boten begrüßen. Es ist das Schicksal einer Oppositions-
fraktion, dass die Abstimmungsverhältnisse zumeist ge-
gen einen stehen. Beschämend ist jedoch, dass die
sogenannte Große Koalition es nicht geschafft hat, ihrer-
seits ein vergleichbares Konzept zu präsentieren und zu
verabschieden. Dies zeigt nochmals besonders ein-
drucksvoll, wie wichtig ein Regierungswechsel ist: weil
wir in Deutschland einen Regierungswechsel für mehr
Bildung brauchen.


Cornelia Hirsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623037100

Die erschreckenden Zahlen zur „Generation Prakti-

kum“ liegen seit langem auf dem Tisch. Die vom Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene
und bereits im März letzten Jahres veröffentlichte Studie
„Was ist gute Arbeit?“ belegt den eklatanten Handlungs-
bedarf. Ein Viertel der befragten Hochschulabsolventin-
nen und -absolventen und 20 Prozent aller jungen Men-
schen mit Berufsabschluss müssen demnach mindestens
ein Praktikum absolvieren, bevor sie eine Anstellung fin-
den. Die Hälfte dieser Praktika werden überhaupt nicht
vergütet, 12 Prozent nur unangemessen bezahlt. Gleich-
zeitig werden mehr als drei Viertel der Praktikantinnen
und Praktikanten mindestens zu 50 Prozent ihrer Prakti-
kumszeit als reguläre Arbeitskräfte eingesetzt. Die Über-
nahme in ein bezahltes Arbeitsverhältnis ist die Aus-
nahme. Was aber will die Bundesregierung gegen diese
Missstände unternehmen? Nichts. Die Bundesregierung
verweilt in der Selbstblockade und verweigert den Be-
troffenen die dringend gebotenen gesetzlichen Schutzre-
gelungen.

Die Fraktion Die Linke hat mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes
Zu Protokoll
eine Möglichkeit aufgezeigt, wie dem weitverbreiteten
Missbrauch von Praktika begegnet werden kann. Ziel ist,
die in § 26 BBiG fixierten arbeitsrechtlichen Mindest-
schutzbestimmungen auf den Personenkreis der Prakti-
kantinnen und Praktikanten auszuweiten. Mit dieser
Gesetzesänderung würden wir die bestehenden Rege-
lungslücken endlich schließen. Wir würden Praktika in
ihrer Eigenschaft als Lernverhältnisse stärken und damit
der Entwicklung Einhalt gebieten, dass unter diesem Ti-
tel prekäre Beschäftigungsverhältnisse installiert und
junge Menschen bei ihrer Berufseinmündung hemmungs-
los ausgebeutet werden. Wir würden außerdem die Qua-
lität der Praktika verbessern, denn Praktikantinnen und
Praktikanten erhielten damit wie Auszubildende das
Recht auf eine Vertragsniederschrift, also das Recht, die
Praktikumsziele, die sachliche und zeitliche Gliederung
des Praktikums vertraglich zu fixieren.

Seit mehr als drei Jahren wird über dieses Problem
bereits im Bundestag diskutiert. Selbst die mehr als be-
scheidenen und unzureichenden Reaktionsvorschläge
des Bundesarbeitsministers Scholz aus dem letzten Jahr
sind folgenlos im großkoalitionären Treibsand unterge-
gangen. Die SPD hat sich damit abgefunden, hat treu den
Koalitionsfrieden gewahrt – auf Kosten vieler junger
Studierender und junger Arbeitnehmerinnen und -neh-
mer.

Meine Damen und Herren der SPD, Sie hätten jenseits
Ihrer leeren Versprechungen und jenseits Ihres Versagens
in der Koalition an einer Stelle deutlich machen können,
dass es Ihnen in der Sache ernst ist. Die Linke hat auch
das im Plenum bereits zur Sprache gebracht. Sie hätten
die Ministerinnen und Minister Ihrer Partei auffordern
können, in den von ihnen geführten Ministerien den
Praktikantinnen und Praktikanten eine angemessene
Vergütung zu bieten. Solange der bereits erwähnte Bun-
desarbeitsminister die rund 100 Praktikantinnen und
Praktikanten im Jahr in seinem Ministerium lediglich mit
einem Fahrkostenzuschlag und mit Essensgutscheinen
entlohnt, sind Sie wie auch der Bundesarbeitsminister in
der Sache schlichtweg unglaubwürdig.

Die Linke wird nicht aufhören, für faire Praktika zu
streiten. Wir werden es nicht hinnehmen, dass die Koali-
tionsparteien die junge Generation einem immer stärker
prekarisierten Arbeitsmarkt überlässt und bestenfalls
wohlfeile Worte, aber keine wirklichen Lösungen anbie-
ten. Aus dieser Bringschuld werden wir Sie nicht entlas-
sen, in diesem Sommer nicht und auch nicht in der nächs-
ten Legislaturperiode. Dann werden Sie es mit einer
gestärkten linken Fraktion zu tun haben.


Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623037200

Spätestens mit den aktuellen Ausbildungszahlen der

Bundesagentur für Arbeit müsste es auch dem Letzten
klar geworden sein: Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist
inzwischen auch auf dem Ausbildungsmarkt angekom-
men. Dabei war das bisher bestehende Ausbildungssys-
tem bereits in konjunkturell guten Zeiten nicht in der
Lage, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzu-
bieten.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Priska Hinz (Herborn)

Ich will Ihnen hier noch einmal einige Zahlen ins Ge-
dächtnis rufen, die dies sehr klar verdeutlichen: Über
300 000 Altbewerber warten weiterhin auf einen Ausbil-
dungsplatz. Insgesamt haben über 1,5 Millionen junge
Erwachsene zwischen 20 und 29 keinen Berufsabschluss.
1,5 Millionen – das ist mehr als jeder siebte Jugendliche!
Dabei ist Ausbildungslosigkeit mit hohen Kosten verbun-
den – für den Einzelnen und die Gesellschaft. In den letz-
ten Jahren ist die Jugendarbeitslosigkeit immer weiter
gestiegen; kein Wunder, haben doch Jugendliche ohne
Berufsausbildung ein mehr als doppelt so hohes Arbeits-
losigkeitsrisiko.

Besonders dramatisch: Die jetzt fehlenden Ausbil-
dungsstellen produzieren die Krise von morgen – und er-
schweren so den zukünftigen wirtschaftlichen Auf-
schwung. Gerade deshalb ist es so unverständlich,
warum die Unternehmensverbände sich weigern, we-
nigstens so viele Ausbildungsplätze wie im letzten Jahr
bereitzustellen. Selbst der Status quo verhindert keinen
Zugang zum Übergangssystem. Trotzdem ist ein Ziel not-
wendig, um überhaupt ernsthafte Anstrengungen für eine
ausreichende Anzahl von Ausbildungsplätzen zu unter-
nehmen. Denn es liegt doch auf der Hand: Wer jetzt nicht
ausbildet, dem fehlen beim nächsten Aufschwung die
Fachkräfte.

Und was macht die Bundesregierung bei all dem? An-
statt endlich dafür zu sorgen, das Ausbildungssystem kri-
senfest zu machen, kann sie sich nicht einmal auf eine ge-
meinsame Linie einigen. Das peinliche Scheitern des
Ausbildungspaktes hat dies deutlich vor Augen geführt.
Da sehen wir einen Bundeswirtschaftsminister zu
Guttenberg, der 580 000 von der Wirtschaft angestrebte
Ausbildungsplätze als Erfolg verkauft, obwohl das Bun-
desinstitut für Berufsausbildung in seiner aktuellsten
Analyse eine Mindestzahl von 604 000 Ausbildungsplät-
zen errechnet hat, um überhaupt das Ausbildungsniveau
des letzten Jahres zu halten. Und wir sehen einen Herrn
Minister Scholz, der sich für mehr Ausbildungsplätze in
die Bresche wirft, aber kein Konzept vorweisen kann, wie
diese denn zu erreichen wären. Und was macht Bundes-
bildungsministerin Schavan bei all dem? Anstatt ihr ur-
eigenstes Thema, die Reform des Berufsbildungssystems,
beherzt anzugehen, duckt sie sich weg. Eine Bundesre-
gierung, die das Thema Ausbildung ernst nimmt, sieht
wahrlich anders aus.

Statt Spiegelfechtereien um Ausbildungsplätze in der
Krise brauchen wir endlich eine Reform, die das Berufs-
bildungssystem konjunkturunabhängig macht. Es kann
doch nicht angehen, dass die Umsetzung des Rechts auf
Ausbildung von der jeweiligen Wirtschaftslage abhängt.
Wir Grüne haben mit DualPlus ein Konzept vorgelegt,
das die bereits bestehenden überbetrieblichen Ausbil-
dungsstätten weiter ausbaut. In Kooperation mit berufli-
chen Schulen und Betrieben werden so zusätzliche Aus-
bildungsplätze nach dem dualen Prinzip geschaffen, die
voll qualifizieren und mit einer Kammerprüfung ab-
schließen. Dabei möchte ich noch einmal betonen, dass
es sich hier nicht um außerbetriebliche Ausbildungsorte
handelt, sondern die Betriebe in die Ausbildung und de-
ren Finanzierung weiterhin voll mit eingebunden sind.
Zu Protokoll
Für schulmüde Jugendliche oder Schulabbrecher wol-
len wir verstärkt Produktionsschulen einrichten. Hier
können Jugendliche ihren Schulabschluss nachholen und
werden beim Übergang in die Berufsausbildung beglei-
tet. Die bereits in einigen Bundesländern bestehenden
Produktionsschulen zeigen, wie erfolgreich dieses Mo-
dell ist.

Jetzt kommt es darauf an, das Ausbildungssystem so
zu verändern, dass unabhängig von der Wirtschaftslage
allen Jugendlichen ein Ausbildungsplatz angeboten wer-
den kann. Wir Grüne haben dazu als einzige Fraktion ein
umfassendes Konzept vorgelegt: DualPlus. Ich kann von
daher nur sagen: Wenn Sie es ernst meinen mit dem Ver-
sprechen, in Zukunft jedem Jugendlichen einen Ausbil-
dungsplatz anzubieten, dann stimmen Sie unserem An-
trag heute zu.

A
Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1623037300


In Zeiten der Krise gilt es, sich auf die eigenen Stärken
zu besinnen und die Grundlagen für künftiges Wachstum
zu legen. Für die Bundesregierung heißt das: Wir inves-
tieren in einem nie gekannten Ausmaß in Bildung und
Forschung – alleine das Konjunkturpaket und die drei
Pakte im Hochschul- und Wissenschaftsbereich werden
in den nächsten Jahren rund 29 Milliarden Euro zusätz-
lich für Zukunftsinvestitionen verfügbar machen. Und
wir setzen alles daran, jedem jungen Menschen, der dazu
willens und in der Lage ist, ein gutes Qualifizierungsan-
gebot zu machen – sei es an den Hochschulen durch die
Bereitstellung von zusätzlichen Studienchancen für
275 000 Studienanfänger, sei es in der beruflichen Aus-
bildung, die für annähernd zwei Drittel der Jugendlichen
den Einstieg in das Arbeits- und Berufsleben bedeutet.

Mit der dualen Ausbildung in Betrieb und Berufs-
schule verfügt Deutschland über eines der weltweit leis-
tungsfähigsten Systeme der Berufsbildung. Der enge Be-
zug zur betrieblichen Praxis und eine ständige
Modernisierung der Ausbildungsinhalte sind Garant für
hochwertige Berufsabschlüsse und ein hervorragendes
Qualifikationsniveau unserer Fachkräfte. Bester Beleg
für die Leistungsfähigkeit unseres beruflichen Ausbil-
dungssystems ist die Tatsache, dass die Jugendarbeitslo-
sigkeit in Deutschland deutlich niedriger liegt als in vie-
len europäischen Ländern.

Mit ihrer erfolgreichen Wirtschafts- und Berufsbil-
dungspolitik hat die Bundesregierung für mehr Ausbil-
dungschancen gesorgt. Von Ende 2005 bis Ende 2008
konnte die Jugendarbeitslosigkeit um mehr als 40 Pro-
zent gesenkt werden. Die Zahl der neu abgeschlossenen
Ausbildungsverträge erreichte 2007 mit 626 000 den
zweithöchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Obwohl
erste Ausläufer der wirtschaftlichen Krise den Ausbil-
dungsmarkt Ende 2008 bereits erreicht hatten, gab es im
vergangenen Ausbildungsjahr erstmals seit 2001 wieder
mehr freie Ausbildungsplätze als unversorgte Bewerber.
Auch der in der ersten Hälfte des Jahrzehnts massiv ge-
stiegenen Zahl von unversorgten Altbewerbern hat diese
Bundesregierung neue Ausbildungschancen eröffnet und
damit eine Trendwende eingeleitet.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1623037400
Die wirtschaftliche Krise wird auch
am Ausbildungsmarkt nicht spurlos vorübergehen. Wir
alle wissen um die enge Verbindung von Wirtschaftslage,
Beschäftigungssituation und Ausbildungsmarkt. Alle ak-
tuell vorliegenden Prognosen, etwa aus dem Berufsbil-
dungsbericht, aus Umfragen des DIHK bei seinen Mit-
gliedern oder aus Erhebungen des BIBB, lassen – wenn
auch in unterschiedlicher Intensität – erwarten, dass das
betriebliche Ausbildungsangebot in diesem Jahr weiter
zurückgehen wird. Unser Ziel ist es, diesen Rückgang so
gering wie möglich zu halten und jedem ausbildungswil-
ligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen ein
Angebot auf Ausbildung oder auf eine angemessene Qua-
lifizierung zu unterbreiten – so, wie es sich die Bundes-
regierung im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt hat und
wie es die Partner im Ausbildungspakt auch für das Jahr
2009 bekräftigt haben.

Auch die Zahl der ausbildungsinteressierten Jugendli-
chen wird als Folge der demografischen Entwicklung in
den nächsten Jahren erheblich sinken – eine Entwick-
lung, die 2008 mit einem Rückgang der Bewerberzahlen
um fast 28 000 bereits deutlich zu spüren war. Was zu-
nächst noch zu einer vorübergehenden Entlastung am
Ausbildungsmarkt beiträgt, kann in den kommenden Jah-
ren ein ernsthaftes Problem darstellen.

Deshalb gilt: Ausbildung ist eine Investition in die
Zukunft. Sie muss gerade in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten Vorrang haben. Wer jetzt den eigenen Fachkräf-
tenachwuchs ausbildet, schafft die Grundlage für künfti-
ges Wachstum und den Aufschwung nach der Wirt-
schaftskrise. Ich appelliere deshalb an die Betriebe, in
ihren Ausbildungsanstrengungen nicht nachzulassen und
jedem Jugendlichen eine Chance zu geben.

Erfreulicherweise deuten die Umfragen darauf hin,
dass die Unternehmen sich dieser Verantwortung be-
wusst sind. Viele sind bereit, trotz ökonomisch ange-
spannter Lage vorausschauend zu handeln und in Ausbil-
dung und Qualifizierung zu investieren. Mein Dank gilt
allen Betrieben in Handwerk, Industrie und Handel so-
wie in den freien Berufen, die sich in den vergangenen
Jahren mit großem Engagement um die Ausbildung jun-
ger Menschen gekümmert haben und in ihrem Einsatz
auch künftig nicht nachlassen werden.

Mit vielfältigen Maßnahmen unterstützt die Bundes-
regierung die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und
sichert den Jugendlichen zusätzliche Ausbildungschan-
cen. Wenige Beispiele seien an dieser Stelle genannt:

Mit dem erfolgreichen Jobstarter-Programm unter-
stützt das BMBF vor allem kleine und mittlere Betriebe,
die bisher nicht oder nur wenig ausgebildet haben. Seit
2006 konnten hierdurch bereits rund 32 000 Ausbil-
dungsplätze akquiriert werden.

Das Bund-Länder-Ausbildungsplatzprogramm Ost
wird in den beiden nächsten Jahren weitere 5 000 Ausbil-
dungsplätze zusätzlich schaffen. Ende 2008 waren mehr
als 20 000 Jugendliche durch dieses Programm versorgt.

Das BMBF-Programm „Jobstarter-Connect“ leistet
durch den Einsatz von Ausbildungsbausteinen einen
Zu Protokoll
wichtigen Beitrag, um den Übergang aus der Schule in
eine betriebliche Ausbildung zu verbessern und unnötige
Warteschleifen zu verhindern. Vor allem Altbewerberin-
nen und Altbewerber profitieren von diesem Ansatz.

Auf zusätzliche Ausbildungschancen für Altbewerber
zielt auch der Ausbildungsbonus der Bundesagentur für
Arbeit. Mit der vor wenigen Tagen beschlossenen Aus-
weitung für sogenannte Insolvenzlehrlinge stellen wir si-
cher, dass auch Jugendliche aus Insolvenzbetrieben ihre
Ausbildung fortsetzen können.

Die Bundesagentur für Arbeit wird außerbetriebliche
Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche bei Be-
darf auch über das bisher geplante Maß hinaus fördern
und insgesamt bis zu 45 000 Plätze bereitstellen.

Die Bundesregierung geht bei der Ausbildung selbst
mit gutem Beispiel voran. So erbringt das Bundesminis-
terium für Bildung und Forschung mit einer Ausbil-
dungsquote von 9,6 Prozent eine ganz erhebliche Ausbil-
dungsleistung für die Jugendlichen in Bonn und Berlin.

Die Bundesrepublik verfügt über ein gut ausgestatte-
tes Netz von überbetrieblichen Berufsbildungsstätten,
ÜBS, die es vielen kleinen und mittleren Unternehmen
erst ermöglichen, eine duale Ausbildung anzubieten. Die
Bundesregierung hat die Investitionsmittel für ÜBS im
Rahmen des ersten Konjunkturprogramms um zusätzli-
che 15 Millionen Euro, das heißt um mehr als die Hälfte,
verstärkt. Mit diesen Mitteln tragen wir dazu bei, den ho-
hen Standard der Bildungsinfrastruktur für die duale
Ausbildung zu erhalten und auszubauen. Zugleich wird
durch ständige Modernisierungen eine überbetriebliche
Ausbildung auf dem neuesten Stand der Technik ermög-
licht. Dies umfasst auch den weiteren Ausbau des Netzes
von Kompetenzzentren in den ÜBS.

Als ganz besonders erfolgreich hat sich die Einbin-
dung der ÜBS in die Berufsorientierung von Schülerin-
nen und Schülern erwiesen. Das im April 2008 gestartete
Berufsorientierungsprogramm des BMBF erreicht be-
reits heute mehr als 57 000 Schüler und stößt bei Jugend-
lichen, Lehrern und Ausbildern einhellig auf große Zu-
stimmung. In einem 80-stündigen Praktikum an der
Werkbank erhalten die Jugendlichen wertvolle Einblicke
in die betriebliche Praxis – und oft auch einen zusätzli-
chen Motivationsschub für einen erfolgreichen Schulab-
schluss als Voraussetzung für eine Ausbildung in ihrem
Traumberuf. Wir werden dieses Programm daher mit ho-
hem Mitteleinsatz fortsetzen.

Es bleibt festzuhalten: Die Bundesregierung hat ihren
Beitrag geleistet, um auch in der Wirtschaftskrise min-
destens eine ausgeglichene Bilanz auf dem Ausbildungs-
markt erreichen zu können. Um jedem ausbildungswilli-
gen und ausbildungsfähigen Jugendlichen ein Angebot
zu unterbreiten, können wir unsere Maßnahmen bei Be-
darf weiter intensivieren.

Gerade in Zeiten der Krise müssen wir in unsere Zu-
kunft investieren – nicht nur zur Sicherung des Wirt-
schaftsstandortes Deutschland. Dies sind wir vor allem
auch unseren Jugendlichen und ihren Zukunftschancen
schuldig.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623037500

Tagesordnungspunkt 39 a: Wir kommen zur Abstim-

mung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke
zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes. Der Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13584, den Gesetzentwurf
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6629 abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt. Damit entfällt
die dritte Beratung.

Tagesordnungspunkt 39 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Orien-
tierung und verbesserte Berufsperspektiven durch Prak-
tika schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13584, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6768 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mehrheitlich angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 c. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
auf Drucksache 16/13686. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12665
mit dem Titel „Neue Chancen für die berufliche Bil-
dung“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mehrheitlich angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12680 mit
dem Titel „Recht auf Ausbildung umsetzen – Ausbil-
dungssystem reformieren, überbetriebliche Ausbil-
dungsstätten ausbauen und Übergangsmaßnahmen an-
rechnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:1)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter
Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Gabriele
Hiller-Ohm, Renate Gradistanac, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Aus- und Weiterbildung in der Tourismus-
wirtschaft verbessern

– Drucksache 16/13614 –

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 20
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/13614.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Künast, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Leben am Lebensende – Bessere Rahmenbe-
dingungen für Schwerkranke und Sterbende
schaffen

– Drucksachen 16/9442, 16/13246 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Kauch


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1623037600

Krankheit und Sterben sind Teil des Lebens. Von Gott

ist uns die Menschenwürde von Anfang bis zum Ende des
Lebens gegeben. Das Nachdenken über den Sinn des Le-
bens und den eigenen Tod gehört zum Menschsein dazu.
Die letzten Dinge regeln zu können und zu wissen, dass
man in der letzten Phase seines Lebens begleitet wird, ist
von größter Bedeutung. Die Frage einer menschenwürdi-
gen Sterbebegleitung gewinnt mit der steigenden Lebens-
erwartung sowie dem medizinischen und technischen
Fortschritt immer mehr an Bedeutung. Es gibt kein men-
schenunwürdiges und lebensunwertes Leben. Es gibt nur
einen menschenunwürdigen Umgang des Menschen mit
sich selbst und eine menschenunwürdige Behandlung
von Menschen durch Menschen. Palliativmedizin und
Hospizarbeit sind für ein Sterben in Würde unverzicht-
bar. Wer sich am Ende des Lebens gut versorgt weiß, der
wird ohne Angst dem Sterben entgegensehen.

Gerade diese Angst ist es aber, die schwerstkranke
und auch alte Menschen umtreibt. Viele Menschen wol-
len lieber sterben, als in ein Pflegeheim zu kommen. Ver-
sorgung durch Palliativmedizin und die Möglichkeit, ein
Hospiz in Anspruch zunehmen, können helfen, den Men-
schen die Angst zu nehmen. Hospize und Palliativmedi-
zin müssen noch stärker in das Bewusstsein Einzelner
und der Gesellschaft rücken. Der Mensch ist nicht Herr
über Leben und Tod. Die bedingungslose Aufrechterhal-
tung des Verbotes der aktiven Sterbehilfe ist deshalb rich-
tig und wichtig. Vielmehr müssen wir die Rahmenbedin-
gungen so schaffen, dass ein Sterben in Würde für jeden
Menschen möglich ist.

Am 18. Juni 2009 hat der Bundestag das Patienten-
verfügungsverbindlichkeitsgesetz beschlossen. Das Ge-
setz sieht vor, dass Patientenverfügungen ohne Ein-
schränkung verbindlich sind, unabhängig von Art und
Stadium der Erkrankung. Mir persönlich geht dies zu
weit. Der jetzt beschlossene Gesetzentwurf behandelt die
in der Patientenverfügung getroffene Willenserklärung
wie eine aktuelle Willenserklärung. Er berücksichtigt
nicht, dass eine Entscheidung über medizinische Maß-


(A) (C)



(B) (D)


Maria Eichhorn
nahmen in einer tatsächlich erlebten Situation anders
aussehen kann als in einem gedanklich vorweggenomme-
nen Krankheitszustand. Es ist unstreitig, dass der aktu-
elle Wille und der voraus verfügte Wille, wie im Falle ei-
ner Patientenverfügung, nicht gleich sein müssen.
Deshalb sollten Patientenverfügungen in Zukunft nur mit
großer Vorsicht und nach intensiver Prüfung abgefasst
werden. Den Menschen muss klar sein, dass eine vorab
verfasste Verfügung künftig umgesetzt wird, auch wenn
sie vielleicht nicht mehr dem aktuellen Willen entspricht.

In den letzten Jahren hat sich vieles für die Palliativ-
medizin und Hospizarbeit verbessert. Wir haben es zum
Ende dieser Legislaturperiode geschafft, alle Verbesse-
rungsvorschläge der Dachverbände umzusetzen. Das ist
ein großer Erfolg und bringt eine deutliche Verbesse-
rung. Durch das am 18. Juni 2009 im Bundestag be-
schlossene Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher
und anderer Vorschriften ergeben sich für die Anbieter
von Hospizen und Palliativversorgung einige Erleichte-
rungen. Es ist unter anderem verankert worden, dass der
ärztliche Leistungsanteil der spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung auch in stationären Hospizen er-
bringbar ist.

Zudem ist die Finanzierung ambulanter und stationä-
rer Hospize neu geregelt. Bei den stationären Hospizen
übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung 90 Pro-
zent der zuschussfähigen Kosten, bei Kinderhospizen
95 Prozent. Eine weitere gute Errungenschaft ist die An-
hebung des Mindestzuschusses von 6 auf 7 Prozent der
monatlichen Bezugsgröße. Damit ist sichergestellt, dass
alle stationären Hospize einen auskömmlichen Zuschuss
erhalten. Bei den ambulanten Hospizen werden künftig
feste Zuschüsse zu den Personalkosten geleistet. Damit
entstehen bundesweit gleiche Finanzierungsbedingun-
gen.

Im Assistenzpflegebedarfsgesetz, verabschiedet am
18. Juni 2009, ist Palliativmedizin als Pflichtfach in der
Ausbildung von Medizinern verankert. Alle Studentinnen
und Studenten der Medizin erlangen somit die erforderli-
chen Kenntnisse in Palliativmedizin, wobei es sowohl um
die Erweiterung von Fachkenntnissen als auch um die
Sensibilisierung für die Angemessenheit diagnostischer
und therapeutischer Maßnahmen geht. Bereits mit dem
Pflegeweiterentwicklungsgesetz, das mit dem 1. Juli
2008 in Kraft getreten ist, sind positive Leistungsverbes-
serungen verbunden. Die langjährige berechtigte Forde-
rung nach Einführung einer Pflegezeit wurde verwirk-
licht. Weiterhin wurde mit der Pflegereform auch die
Möglichkeit zum Vertragsabschluss mit Einzelpflegekräf-
ten geschaffen. Das macht die Pflegehilfe für diejenigen
angenehmer, die nicht ständig mit wechselndem Personal
zu tun haben wollen. Gerade im Hinblick auf den Aspekt
einer vertrauten Umgebung ist dies ein wichtiger Faktor.

Das sind alles bedeutende Maßnahmen zugunsten der
Betroffenen. Auch mit der Gesundheitsreform sind we-
sentliche Verbesserungen im Bereich Palliativversor-
gung und Hospizarbeit erfolgt. Die Versicherten in der
gesetzlichen Krankenversicherung haben seither einen
eigenständigen Rechtsanspruch auf eine spezialisierte
ambulante Palliativversorgung, die ärztliche und pflege-
Zu Protokoll
rische Leistungen umfasst. Allerdings ist die Umsetzung
immer noch nicht zufriedenstellend erfolgt. Ich fordere
daher die Krankenkassen auf, die Verträge zur flächen-
deckenden, bedarfsgerechten Versorgung endlich zum
Abschluss zu bringen. Mit der Gesundheitsreform, Pfle-
gereform, der 15. AMG-Novelle und dem Assistenzpfle-
gebedarfsgesetz hat die Koalition die richtigen Schritte
unternommen, um bessere Rahmenbedingungen für
Schwerkranke und Sterbende zu schaffen. Nun sind alle
rechtlichen Voraussetzungen gegeben, mit denen es den
Trägern möglich ist, kostendeckend zu arbeiten.

Sie sehen, viele der im Antrag der Grünen genannten
Forderungen, die auch der Bericht der Enquete-Kommis-
sion enthält, sind schon verwirklicht. Schwerstkranke
können bereits heute zu Hause versorgt werden. Auch die
Schmerztherapie ist schon integraler Bestandteil der
Palliativmedizin.

Palliativversorgung bedeutet bei schwerkranken Men-
schen, körperliche Beschwerden medizinisch zu lindern.
Mindestens genauso wichtig ist es jedoch, die Menschen
in dieser schweren Zeit zu begleiten und ihnen das Ge-
fühl zu geben, nicht allein gelassen zu werden. In den
Hospiz- und Palliativeinrichtungen arbeiten Fachkräfte
und ehrenamtliche Mitarbeiter, die erkrankten Menschen
ein würdevolles Leben ermöglichen. Ich danke allen, die
sich für Kranke und Sterbende einsetzen. Diese Arbeit ist
nicht leicht und verdient unsere besondere Anerkennung.

In einem Fernsehbericht über Palliamo, einer Ein-
richtung der ambulanten Palliativversorgung in meinem
Wahlkreis Regensburg, schilderte eine schwerkrebs-
kranke Frau den Verlauf ihrer Krankheit:

Als ich wusste, dass ich meinen Krebs nicht besie-
gen konnte, wollte ich meinem Leben am liebsten
gleich ein Ende machen. Ich lernte dann dank der
guten Betreuung von Palliamo, mit meiner Krank-
heit zu leben, und habe zusammen mit meinem
Mann trotz allem noch eine gute Zeit.

Sie konnte sich zusammen mit ihrem Mann sogar noch
einen großen Wunsch, einen Aufenthalt auf Mallorca, er-
füllen. Kurz danach starb sie. Ohne eine gute Palliativ-
versorgung hätte sie ihrem Tod nicht so gefasst entgegen-
gesehen. Dies ist mein letzter Beitrag im Bundestag. Ich
freue mich, dass das heutige Thema sehr gut zu meiner
19-jährigen Arbeit passt. Der Schutz und die Würde des
menschlichen Lebens standen und stehen für mich bei al-
len Entscheidungen im Vordergrund. Dieser Aufgabe
werde ich mich in Zukunft verstärkt im Ehrenamt wid-
men.

Allen Kolleginnen und Kollegen danke ich für die
langjährige gute Zusammenarbeit und wünsche mir, dass
der Art. 1 des Grundgesetzes auch in Zukunft die Grund-
lage aller Entscheidungen ist.


Christian Kleiminger (SPD):
Rede ID: ID1623037700

Der vorliegende Antrag wird nicht hinreichend dem

Umstand gerecht, dass in dem hier angesprochenen Be-
reich der Versorgung sterbenskranker Menschen in den
letzten vier Jahren zwar längst nicht alles erreicht wurde
und auch in der nächsten Legislaturperiode viel zu tun



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christian Kleiminger
bleibt, aber ausgesprochen wichtige Weichenstellungen
erfolgt sind. Das ist eine erfolgreiche Bilanz der Gesund-
heitspolitik von Ulla Schmidt.

Die finanzielle Basis von stationären und ambulanten
Hospizen in Deutschland wurde auf eine stabilere
Grundlage gestellt. Das unterstützt die wichtige, auch
ehrenamtliche, Arbeit in diesem Bereich. Die Rahmenbe-
dingungen für Kinderhospize wurden verbessert. Waren
früher 10 Prozent der Kosten aus eigenen Kräften aufzu-
bringen – etwa durch Spenden und ehrenamtliches
Engagement –, wurde dieser Anteil bereits am 1. April
2007 auf 5 Prozent abgesenkt. Die Große Koalition hat
wichtige Empfehlungen des Zwischenberichts der
Enquete-Kommission „Ethik und Recht in der modernen
Medizin“ aufgenommen und umgesetzt.

Um Menschen zu ermöglichen, bis zum Tode in der
vertrauten häuslichen Umgebung betreut zu werden, ha-
ben wir im Rahmen der Gesundheitsreform den Rechts-
anspruch auf eine spezialisierte ambulante Betreuung,
SAPV, durch multiprofessionelle Palliativ-Care-Teams
geschaffen. Gerade erst haben wir noch einmal aus-
drücklich präzisiert, dass die ärztliche Teilleistung der
stationären ambulanten Versorgung auch in stationären
Hospizen erbracht werden kann; eine wichtige Forde-
rung aus der Praxis, die wir aufgegriffen und benannt
haben. Auch wenn die flächendeckende Umsetzung der
SAPV durch manche Bundesländer bis heute nicht befrie-
digend ist und der Druck auf die Beteiligten in den Län-
dern hier nicht nachlassen darf, war die Schaffung des
Rechtsanspruchs durch den Bundesgesetzgeber ein
Schritt in die richtige Richtung.

Ein wichtiges Feld ist und bleibt die Verbesserung der
Ausbildungssituation in der Palliativmedizin und Pallia-
tivpflege und, damit einhergehend, insoweit auch eine
Veränderung der Hochschullandschaft. Es sind hier bis-
lang noch zu große Defizite vorhanden.

Wir brauchen die bestmögliche universitäre Ausbil-
dung, und wir müssen einen ganzheitlichen Ansatz ver-
folgen, der sich an internationalen Standards messen las-
sen kann.

Deshalb ist es außerordentlich erfreulich, dass der
Deutsche Bundestag eine Änderung der Approbations-
ordnung beschlossen hat, mit der die Palliativmedizin als
Lehr- und Prüfungsfach eingeführt wird und sie Studien-
inhalt für alle Medizinstudentinnen und -studenten in
Deutschland wird.

Die auch von der Bundesärztekammer begrüßte Ini-
tiative wird, flankiert durch die Schaffung von entspre-
chenden Lehrstühlen an den deutschen Hochschulen, die
Kenntnisse im Bereich Palliativmedizin und Palliativ
Care besser als bisher in der Breite der Ärzteschaft ver-
ankern und im Übrigen mit dazu beitragen, dass der Stel-
lenwert der Palliativbetreuung weiter in das Bewusstsein
der Ärzteschaft, ja letztlich der Gesellschaft insgesamt
eindringt. Denn darum geht es doch: Dass dieser wich-
tige Bereich in Deutschland endlich den Stellenwert er-
hält, den er etwa in Skandinavien und auch in Großbri-
tannien bereits seit langer Zeit hat. Hierzu haben wir
durch unsere Gesundheitspolitik beigetragen.
Zu Protokoll
Die Auseinandersetzung darüber, wie in unserer Ge-
sellschaft mit sterbenskranken Menschen umgegangen
wird, muss weitergehen, auch um unbegründeten Ängs-
ten zu begegnen, auch um der unwürdigen Diskussion
über aktive Sterbehilfe zu begegnen. Wir brauchen auch
in Zukunft Palliativversorgung auf höchstem Niveau und
nicht aktive Sterbehilfe.

Insgesamt gehört der Bereich der Hospiz- und Pallia-
tivversorgung zur erfolgreichen Bilanz der sozialdemo-
kratischen Gesundheitspolitik von Ulla Schmidt in dieser
Legislaturperiode. Dafür danke ich ausdrücklich.

Und ich bedanke mich für die wichtigen Anregungen
aus der Praxis und möchte hier ausdrücklich das beson-
dere Engagement des Deutschen Hospiz- und Palliativ-
verbandes und ihrer Bundesvorsitzenden Dr. Birgit
Weihrauch – stellvertretend für Tausende ehrenamtliche
Helferinnen und Helfer der Hospizbewegung in Deutsch-
land – hervorheben. Vielen Dank.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1623037800

Das Sterben ist im täglichen Leben häufig ein ver-

drängtes Thema. Und wenn Menschen darüber nachden-
ken, dann ist es mit vielen Ängsten verbunden: lange zu
leiden, Schmerzen zu haben, allein zu sein. Und diese
Ängste sind ja nicht unbegründet. Die meisten Menschen
wollen zu Hause sterben, im Kreis ihrer Familie. Für sie,
aber auch für ihre Angehörigen ist das im besten Fall ein
intensiver Abschluss eines erfüllten Lebens. Ich habe das
selbst erlebt – als schmerzliche, doch zugleich berei-
chernde Erfahrung.

Doch oft ist das Sterben zu Hause nicht möglich, weil
die Familie überfordert ist oder weil es gar keine Familie
gibt. Und dieses Problem verschärft sich durch den de-
mografischen Wandel. Denn immer mehr Menschen ha-
ben keine Kinder oder Geschwister, die in den letzten Wo-
chen eines Lebens an ihrer Seite stehen. Deshalb ist es so
wichtig, dass es Hospizdienste gibt, und dass sie auch an-
gemessen von der Gesellschaft und vom Staat unterstützt
werden, stationär, aber auch und gerade ambulant.

Aber es geht nicht nur um die psychosoziale Betreu-
ung von Schwerstkranken und Sterbenden. Noch immer
werden Schmerzen und andere häufige Leiden im Sterbe-
prozess nicht flächendeckend optimal behandelt. Die Ge-
sellschaft muss eine gute Versorgung mit Palliativmedi-
zin und Hospizdiensten sicherstellen. Sie muss auch in
Krankenhäusern und Pflegeheimen die Umstände des
Sterbens verbessern. Und sie muss gerade das Sterben zu
Hause erleichtern.

Zu Recht beklagen die Antragsteller, dass die pallia-
tivmedizinische Versorgung der Menschen nicht ausrei-
chend gewährleistet ist, obwohl es in den letzten Jahren
immerhin einige erfreuliche Fortschritte gegeben hat.
Der Gesetzgeber hat ein klares Signal gesetzt. Mit positi-
ver Begleitung aller Fraktionen wurde die Finanzierung
der ambulanten spezialisierten Palliativversorgung be-
schlossen. Jeder gesetzlich krankenversicherte Bürger
unseres Landes hat ein Recht auf diese Versorgung. Das
war im April 2007. Aber wie lange hat es gedauert, bis
auch nur die Richtlinien zur Umsetzung vereinbart wa-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
ren? Wie lange hat es gedauert, bis die Umsetzung der
Vorgaben zur SAPV endlich begonnen hat? Erst im März
2008 hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss auf die
Richtlinien geeinigt. Und dann ist lange nichts gesche-
hen, weil sich die gesetzlichen Krankenkassen nicht eben
beeilt haben, Verträge mit den Leistungsträgern abzu-
schließen. Erst jetzt, Mitte 2009, kommt die Umsetzung
endlich in Bewegung.

Ich muss wohl nicht eigens daran erinnern, dass es
sich bei den Betroffenen um Sterbende und ihre Angehö-
rigen handelt, Menschen in einem Moment, in dem sie
anderes im Kopf haben, als sich mit ihrer Krankenkasse
um eine angemessene und menschenwürdige Behandlung
bis zum Schluss zu streiten. Todkranken bleibt keine Zeit,
um darauf zu warten, dass sich Funktionäre endlich eini-
gen. Erste Verträge zwischen Kassen und Leistungs-
anbietern sind mittlerweile geschlossen worden oder ste-
hen kurz vor dem Abschluss. Wir werden aber in den
kommenden Monaten ein waches Auge darauf haben, ob
es tatsächlich ein flächendeckendes Angebot gibt, ob
auch Menschen in ländlichen Gebieten ausreichend Zu-
gang zu palliativer Versorgung haben. Sollte das bis zum
Ende 2009 nicht der Fall sein, muss überprüft werden, ob
die gesetzliche Regelung verbessert werden muss.

Wir finden in Ihrem Antrag viele sinnvolle Punkte. Es
ist richtig, dass wir eine verbesserte Ausbildung der Me-
dizin- und Pflegeberufe im Blick auf Palliativmedizin
brauchen. Noch immer gibt es Hausärzte, die unsicher
im Umgang mit starken Schmerzmitteln sind. Noch im-
mer gibt es viele Ärzte, die nicht mal einen Rezeptblock
für Betäubungsmittel haben. In der freiwilligen Fortbil-
dung von Ärzten hat es zum Beispiel in meinem Bundes-
land NRW deutliche Fortschritte gegeben. Aber es ist
wichtig, dass die Palliativmedizin nun verpflichtender
Bestandteil bereits der ärztlichen Ausbildung wird. Und
auch in den Pflegeberufen muss der Stundenanteil, der
der Palliativpflege gewidmet ist, ausgeweitet werden.
Dies sollte man nicht als Überfrachten von Lehrplänen
oder Zusatzbelastung von Auszubildenden missverste-
hen. Hier geht es nicht um irgendein Spezialgebiet. Auch
die angemahnten notwendigen Veränderungen im Heim-
recht, um die Rahmenbedingungen für stationäre Hos-
pize zu verbessern, sind sinnvoll. Allerdings sind hier
durch die Föderalismusreform die Länder in der Pflicht.
Der Bund kann das nicht mehr regeln.

Die Einführung der Pflegezeit ist bereits Gesetz. Wenn
Sie allerdings darüber hinaus steuerfinanzierte Lohn-
ersatzleistungen für Pflegezeiten fordern, müssen Sie
auch einen konkreten Finanzierungsvorschlag vorlegen.
Sonst bleibt die Forderung wohlfeil, aber nicht umsetz-
bar.

Der Eigenfinanzierungsanteil der Hospize in Höhe
von aktuell 10 Prozent – bzw. 5 Prozent bei Kinderhospi-
zen – ist aus unserer Sicht angemessen. Sie fordern eine
Senkung des Satzes auf maximal 5 Prozent. Wir sind der
Meinung, dass gerade die Notwendigkeit, sich um Spen-
den zu bemühen, dazu beiträgt, Hospize und ihr Anliegen
im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. Hospize
leisten dadurch einen wichtigen Beitrag, dafür zu sorgen,
dass das Thema Sterben nicht länger ein Tabuthema
Zu Protokoll
bleibt, mit dem man sich möglichst nur dann beschäftigt,
wenn man selbst betroffen ist. Darüber hinaus stellt die
angemessene Finanzierung der Palliativmedizin im sta-
tionären Bereich ein wichtiges Ziel dar, das nicht außer
Acht gelassen werden sollte.

Es ist noch ein weiter Weg, bis eine gute Versorgung
Schwerstkranker und Sterbender tatsächlich gewährleis-
tet ist. Erste Schritte sind gemacht. Wir dürfen uns damit
nicht zufriedengeben. Und eins ist auch klar: Statt der
bislang an den Tag gelegten Bummelei wäre ein ambitio-
nierter Wanderschritt auf dem weiteren Weg angemessen.


Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623037900

Viele Jahre wurde im Deutschen Bundestag über das

Thema Patientenverfügung gestritten. Die öffentliche
Aufmerksamkeit war groß. Viele Bürgerinnen und Bürger
teilten uns zum Teil auf sehr persönliche Weise mit, wie
sie das Lebensende ihrer nahen Angehörigen oder
Freunde erlebten und welchen gesetzgeberischen Hand-
lungsbedarf sie sehen. Aus meiner Sicht ist es daher ein
wichtiger Schritt, dass der Deutsche Bundestag am
18. Juni 2009 sich für eine gesetzliche Regelung zur Pa-
tientenverfügung entschieden hat.

Bereits im Herbst soll das Gesetz in Kraft treten:
Dann erhalten wir mehr Rechtssicherheit am Lebens-
ende. Millionen von Menschen, die bereits eine Patien-
tenverfügung ausgefüllt haben, haben sich diese Rechts-
sicherheit so dringend gewünscht. Mit der gesetzlichen
Verankerung von Patientenverfügungen schafft der Ge-
setzgeber eine Grundlage, das Selbstbestimmungsrecht
am Lebensende zu schützen und zu verwirklichen. Aber
das reicht nicht aus. Ein würdiges Altern und die Selbst-
bestimmung der Menschen an ihrem Lebensende fordern
insbesondere eine wirkliche Reform der Pflegeversiche-
rung sowie den konsequenten Ausbau der Palliativver-
sorgung und der Hospizangebote.

Der Antrag der Grünen macht hierauf aufmerksam.
Wir unterstützen ihn daher ausdrücklich. Inzwischen hat
es einige Fortschritte gegeben und einige Forderungen
sind bereits umgesetzt, so bei der Palliativversorgung
und den Hospizen. Aber auch hier sind weitere Anstren-
gungen nötig. Darüber hinaus steht eine wirkliche Re-
form der Pflegeversicherung weiter aus.

Der Generalfehler bei der Pflegereform 2008 ist, dass
die Große Koalition den Pflegebegriff nicht zuvor neu
definiert hat. Die Neudefinition des Pflegebegriffs ist
eine entscheidende Voraussetzung für eine ganzheitliche
Pflege und selbstbestimmte Teilhabe. Der Pflegebegriff,
der momentan der Pflegeversicherung zugrunde liegt, ist
viel zu eng. Er benachteiligt insbesondere Menschen mit
sogenannten geistigen Beeinträchtigungen, zum Beispiel
Demenz. Der „Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürf-
tigkeitsbegriffs“ schuf erste Grundlagen für die Neudefi-
nition des Pflegebegriffs. Jetzt kommt es auf den politi-
schen Willen zur unverzüglichen Umsetzung an. Doch
daran mangelt es.

Die Bundesgesundheitsministerin hat letzte Woche
verkündet, dass sich die Bundesregierung vor der Bun-
destagswahl nicht mehr mit dem Thema beschäftigen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martina Bunge
wird. Noch nicht einmal auf eine Willenserklärung konn-
ten sich SPD und CDU/CSU einigen. Zu weit liegen die
Positionen auseinander. Zukunftsfähigkeit sieht anders
aus!

Die Linke wird sich auch in der nächsten Legislatur-
periode entschieden für eine grundlegende Reform der
Pflegeversicherung einsetzen. Die Empfehlungen des
Beirats weisen in die richtige Richtung. Klar ist aber
auch: Nur wenn die Leistungen angemessen und ausrei-
chend finanziert werden, kann eine Neuausrichtung der
Pflege gelingen, die wirkliche und umfassende Teilhabe
ermöglicht.

Diese Neuausrichtung ist nicht umsonst zu haben,
auch wenn das CDU und CSU meinen. Wenn mehr Men-
schen künftig mehr Leistungen bekommen sollen, kostet
das zwangsläufig mehr Geld. Kostenneutralität bedeutet
im Umkehrschluss daher nichts anderes als eine Redu-
zierung der jetzigen Leistungen. Für die Linke ist das
nicht hinnehmbar!

Damit eine wirkliche Reform der Pflegeversicherung
gelingen kann, müssen wir die Frage der Finanzierung
grundlegend angehen. Mit einer solidarischen Bürgerin-
nen- und Bürgerversicherung, wie die Linke sie favori-
siert, können die dringend notwendigen Leistungsverbes-
serungen solide und solidarisch finanziert werden.
Indem die viel gesünderen bislang privat Versicherten
einbezogen und sämtliche Einkommensarten berücksich-
tigt werden, fließt bei gleichem Beitragssatz deutlich
mehr Geld in die Pflegeversicherung.

In der nächsten Legislaturperiode gibt es viele große
Herausforderungen für die Zukunft zu bewältigen. Das
macht nicht allein die Pflegeversicherung deutlich; wir
brauchen vor allem auch Gesundheitsförderung und
Prävention für ein „gesundes Altern“ der immer älter
werdenden Bevölkerung. Im Mittelpunkt all unserer An-
strengungen muss der Mensch stehen. Das Vertrauen in
das Gesundheits- und Pflegesystem gilt es zu stärken.
Das erreichen wir nur, wenn die Menschen sich darauf
verlassen können, dass ihnen bei Krankheit und Pflege
auch am Lebensende die bestmögliche gesundheitliche
und pflegerische Versorgung zur Verfügung steht.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach langjähriger Debatte wurde am 18. Juni 2009
vom Deutschen Bundestag eine Regelung zur Verbind-
lichkeit von Patientenverfügungen beschlossen. Zweifels-
ohne haben viele Menschen in diesem Land auf eine sol-
che Klarstellung gewartet. Wir Grünen betonen jedoch
immer wieder, dass die Debatte um Patientenverfügun-
gen nur ein Teil dessen ist, was Menschen umtreibt, wenn
sie sich mit dem Gedanken an Sterben und Tod – ja, auch
den eigenen – beschäftigen.

Wir machen mit unserem Antrag deutlich, um was es
uns Grünen am Lebensende geht. Wir halten Maßnah-
men für dringend notwendig, die die Lebensqualität von
Menschen in den letzten Monaten, Wochen, Tagen oder
Stunden ihres Lebens verbessern. Diesen letzten Tagen
mehr Leben geben, dass ist unser Ziel. Nur ein funktiona-
Zu Protokoll
les und personenzentriertes Versorgungssystem ermög-
licht den betroffenen Menschen und Bezugspersonen ein
würdiges Lebensende.

Der Wunsch vieler Menschen, wie er häufig in Umfra-
gen geäußert wird – vorzeitig aus dem Leben scheiden zu
wollen –, hat viele Ursachen, und sie sind auch bekannt.
Meist ist es die Angst vor dem Schmerz oder dem Allein-
sein am Ende. Es ist die Angst vor der mangelnden medi-
zinischen Schmerzkontrolle und dem Gefühl, unterver-
sorgt zu sein oder nur noch als Last empfunden zu
werden. Das heißt, das Wissen um die Ängste und die
Wünsche der Menschen ist vorhanden. Es gilt nun, auch
die Praxis darauf auszurichten und das Versorgungssys-
tem im Sinne der sterbenden Menschen und ihrer Ange-
hörigen umzugestalten.

Warum also hat die Große Koalition im Laufe ihrer
Amtszeit wichtige Schritte zur Verbesserung der Versor-
gungssituation verweigert und sich somit gegen die Men-
schen gestellt, die am Ende ihres Lebens angelangt sind?
Diese Menschen brauchen sofort Hilfe. Hier reicht es
nicht aus, dringend notwendige Reformen in die nächste
Legislaturperiode zu verschieben. Diese Menschen brau-
chen hier und jetzt Hilfe und Unterstützung, die Sie,
meine Damen und Herren von SPD, CDU und CSU, ver-
wehren. Hier stellt sich für uns die Gewissensfrage.

Wir haben versucht, Ihnen mit unserem Antrag die Au-
gen zu öffnen und Sie mit der Nase darauf zu stoßen, wo
die Ängste der Menschen liegen und wo Veränderungen
im Gesundheitssystem nötig wären. Da Sie diese Fakten
bisher nicht zur Kenntnis nehmen wollen, werde ich nicht
müde, sie Ihnen noch einmal exemplarisch aufzuzeigen:
die Menschen haben Angst davor, in einem Krankenhaus
oder einem Pflegeheim zu sterben und nicht in einer ih-
nen vertrauten Umgebung; sie haben Angst davor, durch
schwere Krankheit mittellos und sozial isoliert zu sein;
sie haben Angst vor Schmerzen, die nicht ausreichend
gelindert werden oder gelindert werden können; sie ha-
ben Angst davor, Angehörigen durch die Pflege und die
entstehenden Kosten zur Last zu fallen.

Wenn Sie tatsächlich wollen, dass Menschen nicht
mehr den Freitod als Alternative zum Versorgungs-
dilemma am Lebensende sehen, dann müssen Sie genau
dort ansetzen und den Menschen ihre Ängste nehmen.
Auch wenn man subjektive Ängste niemals bei jedem
Menschen ganz abbauen kann, so ist es doch unsere Auf-
gabe als Politiker und Politikerinnen, zumindest die
objektiven Rahmenbedingungen herzustellen, die den
potenziellen Wunsch nach dem Suizid auflösen.

Zu diesen notwendigen Verbesserungen der Lebens-
qualität am Lebensende gehört unter anderem, dass den
Menschen endlich eine flächendeckende unabhängige
Beratung zur Verfügung gestellt wird, die sie über ihre
Rechte, Ansprüche und Möglichkeiten informiert. Auch
die Begleitung durch unabhängiges Fallmanagement
muss diesem Personenkreis endlich ermöglicht werden.
Wenn Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfrak-
tionen, jetzt einwenden wollen, dass Sie diese Möglich-
keiten mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz geschaf-
fen haben, dann kann ich nur sagen: Das ist schlichtweg
falsch. Zwar mögen Sie die Beratung an sich ausgeweitet



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Scharfenberg
haben, als „unabhängig“ aber wollen Sie doch die Mit-
arbeiter und Mitarbeiterinnen der Pflegekassen nicht al-
len Ernstes bezeichnen. Wenn ja, dann rate ich Ihnen,
doch einmal in einer Enzyklopädie oder auch bei Wikipe-
dia oder einem anderen „Aufklärungswerk“ das Wort
„unabhängig“ nachzulesen.

Ebenso brauchen sterbende Menschen und ihre Ange-
hörigen eine optimale und individuelle Palliativ- und
Hospizversorgung. Obwohl gesetzliche Regelungen
schon mit der letzten Gesundheitsreform geschaffen wur-
den im Bereich der ambulanten Versorgung, haben Sie
als Regierungsfraktionen es nicht geschafft, die Selbst-
verwaltungspartner zu einer zügigen Einführung zu be-
wegen. Es sollte Sie beschämen, dass sich sterbende
Menschen derzeit ihr Recht auf spezialisierte Palliativ-
versorgung vor Gericht erstreiten müssen, ohne zu wis-
sen, ob sie bei einer möglichen Bewilligung noch leben.

Einen sterbenden Angehörigen am Lebensende be-
gleiten zu wollen, ist für viele Menschen ein sehr wichti-
ges Anliegen und Bedürfnis. Sie könnten jetzt anführen,
dass Sie mit dem Pflegezeitgesetz einen wichtigen Bei-
trag für die Begleitung Sterbender durch Angehörige ge-
leistet haben. Wir bezweifeln allerdings sehr, dass eine
unbezahlte Pflegezeit, die nur auf enge Verwandte fokus-
siert ist, tatsächlich greift. Die Begrenzung auf
Verwandte ist altmodisch und entspricht kaum noch den
vielfältigen und bunten Lebensgemeinschaften und Part-
nerbeziehungen. Anfragen, wie hoch die Anzahl derjeni-
gen ist, die diesen Anspruch bisher geltend gemacht ha-
ben, konnten Sie uns nur vage mit Begrifflichkeiten wie
„es könnten“ und „rein rechnerisch“ beantworten. Men-
schen mit geringem Einkommen werden sich weiterhin
eine Pflegezeit nicht leisten können. Wir legen Ihnen des-
halb nahe, sich an unserem Vorschlag für eine Pflegezeit
zu orientieren, die bis zu drei Monaten mit einer Lohn-
ersatzleistung finanziell abgesichert ist und von jedem
und jeder in Anspruch genommen werden kann, der bzw.
die Verantwortung im Pflegefall übernehmen will.

Abschließend möchte ich noch eines deutlich machen:
Den Begriff der Würde verwenden wir vergleichsweise
oft, wenn es ums Sterben und den Tod geht. Würde – das
mahnen gerade viele in der Palliativ- und Hospizversor-
gung immer wieder an – darf nicht erst dann eine Rolle
spielen, wenn Menschen in den Sterbeprozess eingetreten
sind. Würde muss jedem Menschen, egal ob alt oder jung,
ob gesund oder krank, zugesprochen und abgesichert
werden. Wenn Würde im alltäglichen Miteinander eine
größere Bedeutung hätte, dann wäre möglicherweise
auch die Angst vieler, am Lebensende von anderen ab-
hängig und fremdbestimmt zu sein, weniger ausgeprägt.
Politik sollte hier für Würde unter allen Umständen ein-
treten.

M
Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1623038000


In der gesetzlichen Krankenversicherung hat jeder
Versicherte gleichen Anspruch auf notwendige medizini-
sche Versorgung – hierzu gehört selbstverständlich auch
die palliativmedizinische Versorgung einschließlich
Zu Protokoll
Schmerztherapie im ambulanten und stationären Be-
reich.

Die Verbesserung der Versorgung der Versicherten am
Lebensende ist der Bundesregierung ein großes Anlie-
gen. Sterben möglichst schmerzfrei in Würde und zu
Hause – das ist der Wunsch vieler Menschen. Die Bun-
desregierung will diesem Wunsch Rechnung tragen. Da-
her haben wir in den vergangenen Jahren eine Reihe von
leistungsrechtlichen Verbesserungen insbesondere im
Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen:

Wir haben vor zwei Jahren mit dem GKV-WSG den
Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversor-
gung eingeführt.

Wir haben diesen Anspruch zum 1. April dieses Jahres
ausgeweitet auch auf Einrichtungen der Kinder-, Ju-
gend- und Behindertenhilfe und erst kürzlich in der
AMG-Novelle auch auf stationäre Hospize.

Wir haben – ebenfalls in der AMG-Novelle – die
Finanzierung der stationären Hospize und der ambulan-
ten Hospizdienste deutlich verbessert.

Wir haben ambulante Hospizleistungen auch in Ein-
richtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Einglie-
derungshilfe für behinderte Menschen ermöglicht.

Wir wollen mit dem Assistenzpflegebedarfsgesetz, das
demnächst vom Bundesrat beraten wird, die Palliativme-
dizin als Pflichtfach in die Approbationsordnung aufneh-
men.

Die neue Leistung „spezialisierte ambulante Pallia-
tivversorgung“ (SAPV) ermöglicht eine palliativmedizi-
nische Versorgung schwerstkranker Sterbender bis zu-
letzt in ihrer vertrauten Umgebung. Dadurch verhindern
wir, dass diese Patientinnen und Patienten im Kranken-
haus versterben müssen, nur weil es im ambulanten Be-
reich an den nötigen Versorgungsvoraussetzungen man-
gelt. Wir haben ein flexibles Versorgungsangebot
geschaffen, das dem individuellen und jeweils aktuellen
Versorgungsbedarf Rechnung tragen kann.

Zwar hat es bei der Umsetzung des Anspruchs zu-
nächst Verzögerungen gegeben. Aber der politische
Druck der Bundesregierung und der Gesundheitspoliti-
ker aller Parteien hat Wirkung gezeigt: Die Krankenkas-
sen schließen in jüngster Zeit verstärkt entsprechende
Verträge ab oder entwickeln vorhandene Projekte weiter.

Wir haben unmissverständlich klargestellt, dass die
Leistung der SAPV jedem Versicherten in seiner vertrau-
ten Wohnform zusteht – und hierzu gehören selbstver-
ständlich zum Beispiel auch Einrichtungen der Kinder-
und Jugendhilfe oder der Eingliederungshilfe für behin-
derte Menschen. So verhindern wir qualitative Versor-
gungsunterschiede zwischen den verschiedenen Wohn-
formen.

Qualitative Versorgungsunterschiede darf es auch
nicht geben zwischen der Versorgung in der Häuslichkeit
und der in stationären Hospizen. Deshalb haben wir
kürzlich in der AMG-Novelle klargestellt, dass Versi-
cherte in stationären Hospizen einen Anspruch haben auf
die Teilleistung der erforderlichen ärztlichen Versorgung



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
im Rahmen der SAPV. Damit klären wir eine strittige
Frage, die seit Einführung der SAPV zwischen den Kran-
kenkassen und den Verbänden der Hospizbewegung be-
stand, zugunsten der Versicherten.

Verbesserung der Versorgung der Versicherten am Le-
bensende – das bedeutet auch, stationäre und ambulante
Hospize so gut wie möglich und so weit wie nötig zu un-
terstützen. Erfreulicherweise hat der Hospizgedanke in
Deutschland in den letzten Jahren zunehmend an Bedeu-
tung gewonnen. Es gibt eine wachsenden Anzahl sta-
tionärer Hospize und ambulanter Hospizdienste. Sie
begleiten Sterbende in ihrer letzten Lebensphase und er-
möglichen ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum
Tod.

Dies soll gerecht und transparent finanziert werden.
Dazu dienen die jüngst in der AMG-Novelle beschlosse-
nen Gesetzesänderungen. Sie beseitigen Fehlsteuerun-
gen, schaffen eine gleiche und gleichmäßige Förderung
und garantieren eine gerechte Verteilung der Mittel.

Wie sieht die neue Finanzierungsstruktur im Einzel-
nen aus?

Bei der Finanzierung der stationären Hospize in der
gesetzlichen Krankenversicherung stellen wir um auf
einen Zuschuss in Höhe von 90 Prozent der zuschussfähi-
gen Kosten bzw. 95 Prozent bei Kinderhospizen.
Gleichzeitig heben wir den von den Krankenkassen zu
leistenden Mindestzuschuss an von 6 auf 7 Prozent der
monatlichen Bezugsgröße. Dadurch tragen wir dazu bei,
dass die stationären Hospize künftig einen auskömmli-
chen Zuschuss erhalten, und schaffen den Eigenanteil
der Versicherten für den dortigen Aufenthalt ab.

Bei der Finanzierung der ambulanten Hospizdienste
in der gesetzlichen Krankenversicherung ersetzen wir
die bisher variablen Zuschussregelungen durch einen
festen Zuschuss zu den Personalkosten. Gleichzeitig
streichen wir die Festlegung einer Gesamtfördersumme.
Dadurch beenden wir die ungleiche Förderung in den
einzelnen Bundesländern und tragen dazu bei, dass glei-
che Leistungen auch gleich bezuschusst werden.

Neben diesen neuen Finanzierungsstrukturen schaffen
wir zudem die Voraussetzung dafür, dass ambulante Hos-
pizleistungen künftig auch in Einrichtungen der Kinder-
und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe für behin-
derte Menschen erbracht werden können. Damit haben
wir eine einheitliche Leistungsgewährung für alle Versi-
cherten sichergestellt.

Um die umfassende und kompetente Versorgung
Schwerstkranker und Sterbender zu gewährleisten, müs-
sen auch die Studentinnen und Studenten der Medizin auf
diese Anforderungen in ihrem späteren Berufsleben gut
vorbereitet werden. Derzeit sammeln Ärztinnen und
Ärzte erste palliativmedizinische Erfahrungen jedoch
überwiegend erst nach Abschluss des Medizinstudiums
als Assistenzärztinnen und -ärzte oder nach der Nieder-
lassung. In der studentischen Ausbildung sollen bisher
die Prüfungsaufgaben im schriftlichen Teil des Zweiten
Abschnitts der Ärztlichen Prüfung auch die „Behandlung
von Langzeitkranken, unheilbar Kranken und Sterben-
den, Schmerzbehandlung und Palliativmedizin“ berück-
sichtigen. Die Universitäten sind damit zwar gehalten,
auch Palliativmedizin in ihre Curricula aufzunehmen.
Sie sind jedoch frei, wie sie diese in das Curriculum inte-
grieren. So bestehen derzeit nur an fünf Universitäten
Lehrstühle für Palliativmedizin und an einer ein Lehr-
stuhl für Kinderpalliativmedizin. Mit dem Assistenzpfle-
gebedarfsgesetz der Koalitionsfraktionen haben wir nun
Palliativmedizin als Pflichtlehr- und Prüfungsfach im
Medizinstudium verankert. Dadurch werden die Univer-
sitäten verpflichtet, dieses Fach in einer bestimmten
Form in ihre Curricula aufzunehmen. Mittelbar wird da-
mit auch die Schaffung entsprechender Lehrstühle prä-
judiziert. Die Vermittlung der für die palliativmedizini-
sche Versorgung erforderlichen Kenntnisse wird auf
diese Weise in das Medizinstudium vorverlagert. Das
wird die Regelversorgung schwerkranker Menschen ver-
bessern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623038100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13246, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9442 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 9 a und 9 b auf:1)

a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhe-
bung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in
der Strafrechtspflege (2. NS-AufhGÄndG)


– Drucksache 16/13654 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan
Korte, Christine Lambrecht, Wolfgang Wieland
und weiteren Abgeordneten eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege

– Drucksache 16/13405 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/13654 und 16/13405 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 21






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Harald Leibrecht, Gudrun Kopp, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Deutsche Unternehmen vor chinesischer Pro-
duktpiraterie und Diskriminierung schützen

– Drucksachen 16/4207, 16/6963 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1623038200

Vom T-Shirt über Uhren und Elektronik bis zum Auto:

Es gibt inzwischen kaum noch Produkte europäischer
Hersteller, die nicht gefälscht würden. Ein besonders be-
kanntes Bespiel für ungehemmtes Nachahmen ist der chi-
nesische Geländewagen „Shuanghuan Ceo“, der dem
BMW X5 verblüffend ähnlich sieht. In China fahren dort
gebaute Autos, die wie eine Kopie des Smart aussehen.
Einerseits kann man das als großes Kompliment an deut-
sche Produkte verstehen, andererseits entsteht ein volks-
wirtschaftlicher Schaden von großem Ausmaß. Auch die
Folgen für die Beschäftigung und für die Gesundheit und
Sicherheit der Verbraucher sind verheerend.

Kanzlerin Angela Merkel bezifferte auf der Jahresta-
gung des Markenverbandes in Berlin den durch die Pro-
dukt- und Markenpiraterie für deutsche Unternehmen
entstehenden jährlichen Schaden auf 25 Milliarden Euro.
Die OECD geht von einem weltweiten Schaden für die
Wirtschaft in Höhe von 150 Milliarden Euro aus.

Der Handel mit gefälschten Marken und Produktpira-
terie sind eine Wachstumsbranche. Die Wirtschaft der
Nationen hat sich globalisiert, die Industrie des Verbre-
chens tut es ebenfalls. Produkt- und Markenpiraterie
rangieren inzwischen gleichberechtigt neben Drogen-
und Menschenhandel, neben Geldwäsche und Erpres-
sung. Ihr Netz operiert weltumspannend wie multinatio-
nale Konzerne. Auch die Produktpiraten kooperieren fast
immer arbeitsteilig: Eine Gruppe sorgt für die Fabrika-
tion, eine zweite für die Logistik, die dritte für den Ver-
kauf. Multi-Länder-Operationen sind die Regel. Fäl-
schung ist inzwischen Auftragsarbeit.

Deutschland ist neben den USA und Großbritannien
führend im Kampf gegen Marken- und Produktpiraterie.
Der deutsche Zoll hat seine Kontrollintensität in den letz-
ten Jahren deutlich gesteigert, insbesondere auch auf
Messen.

Auch strafrechtlich wird Produktpiraterie verfolgt:
Produkt- oder Markenpiraterie wird in Deutschland mit
Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
geahndet, §§ 106, 107 und 108 UrhG. Die Strafandro-
hung nach § 143 MarkenG sieht für ein einfaches Delikt
eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geld-
strafe, beim gewerbsmäßigen Handeln bis zu fünf Jahre
oder Geldstrafe vor. Der Markenverstoß ist ausschließ-
lich im gewerblichen Verkehr bzw. Handel strafbar. In
den meisten gewerblichen Fällen tritt die Strafbarkeit
nach UrhG und MarkenG jedoch hinter die Betrugstat-
bestände zurück. Da die Plagiate oftmals als Original-
ware angeboten werden, wird eine Täuschung erzeugt,
um einen Vermögensvorteil zu erlangen. Die Strafen für
Betrug sind Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geld-
strafe, beim gewerbsmäßigen Betrug Freiheitsstrafe
nicht unter sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Deutsch-
land tut also bereits einiges.

Aus meiner Sicht hat jetzt die Stärkung der Aktivitäten
auf internationaler Ebene oberste Priorität. Dazu gehört
neben der handelspolitischen Zusammenarbeit und Pro-
jekten auf G-8-Ebene auch ein intensiver bilateraler Dia-
log mit den Herkunftsländern der Plagiate. Wenn Verbre-
cher über Ländergrenzen hinweg agieren, müssen das
auch die Polizei und der Zoll tun. Nur, das klappt bisher
noch nicht gut genug. Europas 1,2 Millionen Polizisten
arbeiten unter völlig verschiedenen rechtlichen Bedin-
gungen. Produktpiraterie gilt in vielen Ländern als Ka-
valiersdelikt. Wir müssen uns also vor allem auf europäi-
scher Ebene besser koordinieren, um den Schutz für un-
sere Unternehmen auszubauen. Wichtigstes Mittel ist
hier eine gut organisierte und möglichst reibungslose Zu-
sammenarbeit der Zollbehörden in den Herkunfts- und in
den Abnehmerländern. Ein erster Schritt ist, dass die
EU-Kommission unlängst einen Richtlinienentwurf vor-
gelegt hat, mit dem die Strafen für Produktpiraterie in
der EU angeglichen werden sollen.

Produktpiraterie stellt unsere Unternehmen und somit
auch uns vor große Probleme. Diese Probleme werden
auch in Zukunft nicht weniger werden. Wir dürfen hier
keinesfalls die Augen verschließen. Das hat die FDP
richtig erkannt. Viele Punkte des mir vorliegenden An-
trags sind richtig und unterstützenswert. Kritisch sehe
ich jedoch drei Ansätze.

Erstens: die Fixierung auf staatliches Handeln. Die
Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte muss gerade
auch Aufgabe der geschädigten Unternehmen sein. Ini-
tiativen der Wirtschaft gibt es zahlreiche, und sie werden
von der Bundesregierung tatkräftig unterstützt. Der
rechtliche Rahmen ist in Deutschland und auch in Eu-
ropa gegeben, an der Umsetzung internationaler Abkom-
men wird mit Hochdruck gearbeitet.

Zweitens: die Fixierung auf China. Sicherlich, die
Freibeuter der Globalisierung sitzen vor allem in China.
Mehr als 60 Prozent aller Fälschungen werden dort her-
gestellt. Auf der Rangliste des Zolls, auf der die Her-
kunftsländer der in Deutschland sichergestellten Pla-
giate verzeichnet sind, folgen aber die USA auf Rang
zwei und Thailand auf Rang drei. Auch die Türkei ver-
stößt regelmäßig gegen das TRIPS-Abkommen über han-
delsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum.

Mit dem Beitritt zur WTO hat China seine Gesetze
zum Schutz des geistigen Eigentums reformiert. Die
Durchsetzung gestaltet sich bisher jedoch schwierig.
China hier eine Duldung zu unterstellen, halte ich für
kritisch.

Bei der Lösung des Problems kommt uns Chinas auf-
strebende Rolle in der Weltwirtschaft zugute. Produktpi-
raterie ist inzwischen nicht mehr nur ein Problem euro-
päischer und nordamerikanischer Firmen. Vielmehr
werden die Täter inzwischen häufig selbst zu Opfern.


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
Schutzverletzer haben nur so lange ein geringes Inte-
resse am Schutz des geistigen Eigentums, solange die In-
novationskraft des Landes niedrig ist. Hier setzt vor al-
lem in China ein Umdenken ein. Auch chinesische Fir-
men werden inzwischen immer häufiger durch die Kopie
ihrer Produkte geschädigt. 95 Prozent der Gerichtsver-
handlungen in China finden statt wegen Diebstahls geis-
tigen Eigentums unter chinesischen Firmen. Die Aus-
sichten, hier bald auf einen gemeinsamen Nenner zu
kommen, halte ich für sehr gut. Peking hat bereits seine
Strafverfolgung verschärft und in ganz China auf geis-
tige Eigentumsschutzrechte spezialisierte Gerichte ein-
gesetzt. Jetzt die Fronten zu verhärten, indem wir Ihrem
Antrag folgen, halte ich für verfehlt.

Noch einmal: Die chinesische Regierung hat ein stei-
gendes Interesse am effektiven Schutz des geistigen Ei-
gentums. Die entsprechenden nationalen Gesetze sind
bereits verabschiedet. Wenn wir tatsächlich Bewegung in
die Sache bringen wollen, müssen wir unterstützend tätig
werden.

Drittens: Fixierung auf nationale Strategien zur Be-
kämpfung von Produktpiraterie. Nationalstaatliches Han-
deln wird nur einen geringen Beitrag zur internationalen
Durchsetzung der Eigentumsrechte leisten können. Inter-
nationale Abkommen und die Koordination mit Ländern
mit ähnlichen Interessen sollten absoluten Vorrang vor
deutschen Alleingängen haben. Die EU hat inzwischen
eine Europäische Beobachtungsstelle für Marken- und
Produktpiraterie eingerichtet. Deutschland tritt in allen
thematisch befassten internationalen Organisationen mit
Vehemenz für eine Fortentwicklung des Schutzes des
geistigen Eigentums ein.

Mein Fazit ist: Die Bundesregierung und auch die Eu-
ropäische Union sind bei der Bekämpfung der Produktpi-
raterie kontinuierlich aktiv und auf dem richtigen Weg.
Die bereits zu verzeichnenden Erfolge werden in dem uns
vorliegenden Antrag kleingeredet. Der Antrag der FDP-
Fraktion ist somit nicht bloß wegen seines Alters – zwei-
einhalb Jahre – überflüssig.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1623038300

Den Antrag, den wir heute abschließend beraten, hat

meine Fraktion schon vor zwei Jahren kritisch kommen-
tiert, da der zum Thema Produktpiraterie laufende
Dialog zwischen der Europäischen Union und der Volks-
republik China bewusst kleingeredet wird. Unsere Auf-
fassung von damals bestätigt sich heute in den Fort-
schritten der europäisch-chinesischen Zusammenarbeit.

Richtig ist dennoch die These, dass es sich bei chinesi-
scher Produktpiraterie um ein besonders dringliches
Problem für deutsche und europäische Unternehmen
handelt. Tatsächlich stammen weiterhin rund 60 Prozent
der an EU-Grenzen abgefangenen gefälschten Waren aus
chinesischer Produktion. Der Ideenklau kostet uns jähr-
lich Milliarden von Euro. Das ist eine Situation, die wir
nicht hinnehmen können.

Mich stört jedoch nach wie vor die Ausrichtung des
Antrages, der die Rolle des Sündenbocks allein China zu-
schiebt, obwohl auch andere Länder in erheblichem
Zu Protokoll
Maße von illegalen Geschäften mit gefälschten Waren
profitieren. Ich denke da etwa an die USA oder die Tür-
kei.

Das Bild sollte auch deshalb nicht einseitig schwarz
gemalt werden, weil Deutschland und China seit Jahren
in hohem Maße expandierende Handelsbeziehungen un-
terhalten. China ist außerhalb der EU zweitwichtigster
deutscher Exportmarkt und Deutschland wiederum Chi-
nas mit Abstand größter Handelspartner in Europa.
Beide Länder haben ein vitales Interesse an soliden Wirt-
schaftsbeziehungen.

Natürlich gibt es gerade aus deutscher Sicht weiterhin
Handlungsbedarf. So müssen in China die Rahmenbedin-
gungen für ausländische Investitionen weiter verbessert
werden. Ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums, das
heißt die effektive Bekämpfung von Produktpiraterie und
unerlaubtem Technologietransfer sind ebenso wichtig.
Grundlegend sind auch der Bedarf an mehr Rechts-
sicherheit, Transparenz und Vertragsfreiheit sowie ein
gleichberechtigter Zugang ausländischer Unternehmen
zu öffentlichen Ausschreibungen wie für chinesische Un-
ternehmen.

Dennoch haben beide Seiten ein Interesse an fairem
Handel – umso mehr, als Chinas Unternehmen selbst
mehr und mehr Innovationskraft und damit ein eigenes
Interesse am Schutz geistigen Eigentums entwickeln und
Ideenklau im eigenen Land zunehmend als Problem
wahrnehmen. Die chinesische Regierung hat den Schutz
des geistigen Eigentums inzwischen selbst auf die politi-
sche Agenda gesetzt und als notwendige Voraussetzung
für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation anerkannt. Das
ist ein Meilenstein, der jedoch noch nicht zu euphorisch
stimmen darf, da die chinesische Regierung vorsieht, hei-
mische Produkte bei Schaffung, Anwendung und Verwal-
tung der Besitzrechte zu begünstigen.

Die Bundesregierung räumt ihrerseits dem Schutz
geistigen Eigentums einen hohen Stellenwert ein. Das
Thema ist immer wieder Gegenstand bilateraler Gesprä-
che mit Handelspartnern weltweit. Es spielte aber auch
eine wichtige Rolle bei der Vereinbarung einer Reihe von
Freihandelsabkommen unter deutscher EU-Ratspräsi-
dentschaft, unter anderem mit Südkorea, Indien, den
ASEAN-Ländern und Kanada. Der Bundesregierung hier
Tatenlosigkeit vorzuwerfen, ist absurd.

Tatsache ist, dass wir es mit einer Herausforderung zu
tun haben, der wir über nationalstaatliche Bemühungen
hinaus gemeinschaftlich und multilateral begegnen müs-
sen. Die Bundesregierung unterstützt deshalb mit Nach-
druck den bereits über mehrere Jahre andauernden
konstruktiven Dialog der EU mit den chinesischen Zoll-
behörden. Erste operative Erfolgen konnten bereits ver-
zeichnet werden. Im Januar dieses Jahres mündete der
Dialog in einem gemeinsamen Aktionsplan mit konkreten
Maßnahmen für den Ausbau der Zusammenarbeit der
Zollbehörden beim Schutz der Eigentumsrechte. Dieser
Plan umfasst nicht nur eine konkrete Untersuchung der
Ströme gefälschter Waren zwischen China und der EU,
sondern zum Beispiel auch eine weitergehende operative
Zusammenarbeit von Häfen und Flughäfen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
Umfassende Handelserleichterungen für chinesische
Waren stellt die EU unter die Vorbedingung nachweisba-
rer Fortschritte bei der Bekämpfung der Produktpirate-
rie im Lande. Wir sind jetzt in einer Phase der Umset-
zung der vereinbarten Maßnahmen.

Der Antrag der FDP-Fraktion bemängelt darüber hi-
naus ausbleibende Fortschritte, die mit der WTO-Mit-
gliedschaft Chinas hätten einhergehen müssen. Dabei
entsprechen die rechtlichen Rahmenbedingungen in
China inzwischen internationalen Standards. Auch auf
dieser Ebene ist bereits viel erreicht worden.

Schwierigkeiten liegen allerdings in der Implementie-
rung. Die Durchsetzung internationaler Patentstandards
vor Ort gestaltet sich weiterhin problematisch. Ausländi-
sche Unternehmen haben noch immer mit Verzögerungen
bei der Patentantragstellung und mit Patentanträgen auf
Plagiate zu kämpfen. Die Entscheidungsfindung vor Ge-
richt wurde zwar beschleunigt, bleibt aber oft intranspa-
rent. Daher scheuen viele Unternehmen vor dem Rechts-
weg zurück und machen Verletzungen des geistigen
Eigentums erst gar nicht publik. Gerade für kleinere und
mittlere Unternehmen sind solche Konflikte schwer zu
bewältigen.

Fazit ist, dass die Situation noch nicht zufriedenstel-
lend ist. Der Dialog mit den chinesischen Behörden muss
fortgeführt und intensiviert werden. Der Aktionsplan ist
dafür der richtige Ansatzpunkt. Wichtigstes Thema auf
der Agenda bleibt dabei die Gleichbehandlung chinesi-
scher und ausländischer Unternehmen vor Ort.

Es ist darüber hinaus begrüßenswert, dass die deut-
sche Wirtschaft Bemühungen auf politischer Ebene mit
Selbsthilfe flankiert. Seit 2006 besteht eine Chinakon-
taktstelle als Anlaufstelle im DIHK, an die sich deutsche
Unternehmen im Verletzungsfall wenden können. Auch
das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, bleibt
in Ihrem Antrag erstaunlicherweise unerwähnt. Daher
plädiere ich an dieser Stelle dafür, der Beschlussempfeh-
lung des federführenden Wirtschaftsausschusses zu fol-
gen und den Antrag abzulehnen.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1623038400

Vor gut zwei Jahren haben wir zum ersten Mal hier im

Plenum des Deutschen Bundestages ausführlich über das
Thema des Schutzes deutscher Unternehmen vor interna-
tionaler Produktpiraterie debattiert. Ich habe mir vor
wenigen Tagen noch einmal das Protokoll der damaligen
Debatte durchgelesen. Damals waren sich die Koalitions-
parteien im Gegensatz zur FDP einig, dass die Aktivitäten
der Bundesregierung völlig ausreichend seien, um dieses
Problem zu thematisieren. Außerdem wurde hier von eini-
gen Kollegen der anderen Fraktionen geäußert, dass die
von uns geforderten Maßnahmen, die wir mit unserem
Antrag durchsetzen wollten, nicht klar genug seien.

Mit unserem Antrag haben wir, hat die FDP, eine
ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, die notwendig
sind, um unsere Unternehmen vor Produktpiraterie zu
schützen. Ein „Weiter so“, wie es die Bundesregierung
augenscheinlich praktiziert, hilft nicht weiter. Wir brau-
chen einen ganzen Strauß von Maßnahmen. Dabei setzen
Zu Protokoll
wir durchaus auf die Mitarbeit vonseiten Chinas. Wenn
China als große Wirtschaftsnation in der internationalen
Gemeinschaft als verlässlicher Partner gelten möchte, ist
die Bekämpfung der Produktpiraterie im eigenen Land
von größter Wichtigkeit.

Die FDP-Fraktion bedauert es überaus, dass nun fast
zwei Jahre seit der ersten Lesung vergangen sind. In die-
sen zwei Jahren haben deutsche Unternehmen immens
hohe Verluste durch die Produktpiraterie erlitten. Dies
schwächt deren Investitionskraft und gefährdet Arbeits-
plätze – ein volkswirtschaftlicher Schaden für unser
Land, der uns alle trifft. Gerade jetzt, in der Wirtschafts-
krise, sollte die Bundesregierung alles daransetzen, dass
diese Art der Kriminalität mit aller Härte bekämpft wird.

Im Vorfeld zu dieser Debatte habe ich mir den Verfas-
sungsschutzbericht 2008 des baden-württembergischen
Verfassungsschutzes noch einmal durchgelesen. Darin
heißt es unter anderem: Die Leistungsfähigkeit der chine-
sischen Auslandsspionage scheint mittlerweile ein Niveau
erreicht zu haben, wie es vor kurzem noch undenkbar
war. Dies betrifft besonders die China zugerechneten
massiven Internetattacken auf deutsche Regierungsstellen
und Unternehmen. Im Bereich der Wirtschaft waren hiervon
nahezu sämtliche Branchen und Hochtechnologiebereiche
betroffen, von der Rüstungsindustrie über den Automobil-,
Chemie- und Pharmasektor bis hin zu Finanzdienstleistern.
Nach wie vor kommt auch der Informationsbeschaffung
mithilfe menschlicher Quellen große Bedeutung zu. Häufig
ist deutschen Unternehmensvertretern das hohe Risiko,
beim Kontakt mit chinesischen Verhandlungspartnern auf
ausgebildete Geheimdienstprofis zu stoßen, nicht bewusst.
Dies zeigt ganz deutlich, dass hier noch einiges im Argen
liegt und dringender Handlungsbedarf herrscht.

Die Reaktionen, die ich auf unseren Antrag und die vo-
rangegangene Kleine Anfrage über einen langen Zeitraum
erhalten habe, machen mehr als deutlich, dass betroffene
Unternehmen eine aktive Unterstützung der Bundesre-
gierung erwarten. Es gibt vonseiten der Bundesregierung
weder eine ausreichende Aufklärung über Produktpirate-
rie noch konkrete Hilfe für geschädigte Unternehmen.
Die meisten Unternehmer wissen gar nicht, an wen sie sich
im Schadensfall hier in Deutschland wenden können.

Deutschland setzt seit Jahren in internationalen
Verhandlungen richtigerweise auf einen kooperierenden
Ansatz. Doch wenn dieser, wie im Fall der Produktpira-
terie, nicht zielführend ist, muss die Bundesregierung
handeln und den internationalen Partnern klarmachen,
dass es so nicht geht.

Es kann doch nicht unser eigener Fehler sein, wenn
wir mehr als sieben Jahre nach dem WTO-Beitritt der
VR China gegenüber unseren Unmut bezüglich der man-
gelhaften Durchsetzung von internationalen Überein-
kommen äußern, die China ratifiziert hat. Russland wird
eventuell noch in diesem Jahr Mitglied der WTO – ein
weiteres riesiges Land, mit dem es auf dem Gebiet der
Produktpiraterie eng zu kooperieren gilt, um endlich
Erfolge zu erzielen. Die Begründung, dass es in solch
großen Ländern kaum möglich ist, alle Regeln durch-
zusetzen, darf nicht die Antwort gegenüber den Geschä-
digten sein.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Harald Leibrecht
Es mag ja sein, dass jedes einzelne Unternehmen sich
selbst bestmöglich schützen muss, wie es die Bundes-
regierung sagt. Doch seit meiner letzten Rede zu diesem
Thema hat sich an der Grundausrichtung unserer Forde-
rungen beim Thema Produktpiraterie nichts geändert:
Wir müssen vor allem den kleinen und mittelständischen
Unternehmen eine ausreichende Rechtsgrundlage an die
Hand geben. Sie müssen in die Lage versetzt werden, sich
wirksam schützen zu können.

Die Regierung muss endlich Projekte fördern, die Un-
ternehmen für die Entwicklung von Präventivstrategien
gegen internationale Produktpiraterie entwickeln. Das
wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623038500

Wenn es um die Förderung von Innovationen bei Un-

ternehmen geht, fällt den neoliberalen Parteien immer
nur zweierlei ein: erstens Steuern senken und zweitens
Verschärfung und Ausweitung von geistigen Eigentums-
rechten. Dabei spielt es offenbar keine Rolle mehr, dass
alle heutigen Industriestaaten den Aufbau ihrer Indus-
trien dadurch betrieben haben, was heute als Raub geis-
tigen Eigentums gebrandmarkt wird. Das gilt für die
USA, die es als junges Land abgelehnt haben, fremdes
geistiges Eigentum anzuerkennen. Sie argumentierten
damals, dass sie freien Zugang zu ausländischen Werken
benötigen, um ihre eigene soziale und ökonomische Ent-
wicklung zu fördern. Und das gilt für deutsche Unterneh-
men, die Produktpiraterie so weit vorangetrieben haben
dass sich Großbritannien nur noch mit der Aufschrift
„Made in Germany“ auf Nachahmungsprodukten aus
Deutschland zu helfen wusste.

Der wirtschaftliche Schaden, der durch Produktpira-
terie hervorgerufen wird, wird meist maßlos übertrieben.
Die OECD hat ihre Schätzung um rund 400 Milliarden
Dollar auf mutmaßliche 175 Milliarden nach unten kor-
rigieren müssen.

Mit der Verschärfung der geistigen Eigentumsrechte
werden nur die Interessen der großen Konzerne bedient.
63 Prozent der weltweiten Patente gehören Konzernen
der G 8. Durch die Regeln zum Schutz des geistigen Ei-
gentums wird der Transfer des Wissens erschwert. Die
Kosten der Lizenzen dafür sind so hoch, dass sie für Un-
ternehmen aus Entwicklungs- und Schwellenländern ge-
nauso wenig zu bezahlen sind wie für kleine und mittlere
Unternehmen hier. Selbst die EU-Kommission hat bereits
beklagt, dass der ausufernde Patentschutz auch in Eu-
ropa zur Behinderung von Forschung und Entwicklung
führt.

Mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung wissens-
intensiver Dienstleistungen wird der Geltungsbereich
von Patenten immer weiter ausgeweitet; auf die belebte
Natur, Pflanzen, Gene und Tiere. Die Menschrechtskom-
mission der UN weist immer wieder darauf hin, dass die
Patentierungsabkommen gegen zahlreiche Menschen-
rechtsabkommen verstoßen: dem Recht auf Teilhabe am
wissenschaftlichen Fortschritt, Gesundheit, Ernährung
und Selbstbestimmung. Deshalb fordert die Linke – wie
übrigens auch die Enquete-Kommission „Globalisierung
der Weltwirtschaft“ – unter anderem eine Revision des
Zu Protokoll
TRIPS-Abkommens hinsichtlich der Problembereiche
Landwirtschaft, Gesundheit und Biodiversität, um es mit
den Menschenrechts-, Sozial- und Umweltabkommen in
Einklang zu bringen.

Leidtragende sind derzeit die Menschen in den Ent-
wicklungsländern, die sich zum Beispiel die teuren Medi-
kamente nicht leisten können und keine billigen Nachah-
merprodukte bekommen. Nicht die Nachahmerprodukte
gefährden Leib und Leben, wie die FDP es im Antrag be-
hauptet, sondern der Schutz der Patente der Pharmakon-
zerne. Ihr Profit ist ihnen wichtiger als das Leben von
Millionen von Menschen in Afrika.

Die FDP will einen Ausbau der Privatisierung von
Wissen in der Hand der Konzerne. Wir wollen Wissen als
öffentliches Gut erhalten, als Mittel demokratischer Öf-
fentlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und der Überwindung
von Wissensunterschieden auch zwischen den Ländern.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stimmen der FDP-Bundestagsfraktion zu, dass
Produktpiraterie für viele deutsche Unternehmen ein
Problem ist, das man nicht verharmlosen sollte. Dabei
darf man aber auch nicht aus den Augen verlieren, dass
die Verletzung von Patentrechten schon immer Teil der
wirtschaftlichen Entwicklung von aufstrebenden Staaten
war. Das gilt für die Bundesrepublik, für die USA, aber
auch für andere aufstrebende Volkswirtschaften. Sicher
bereitet uns das Probleme, und wir sind auch dafür, dass
etwas dagegen getan wird. Deswegen sollten wir aber
China nicht als Teufel an die Wand malen.

Wir sind entschieden dagegen, dass der Deutsche
Bundestag einseitig China für dieses Problem verant-
wortlich macht. Dies ist ein wichtiger Grund, weswegen
wir dem Antrag nicht zustimmen werden. In Wirklichkeit
kommen nämlich nur ein Drittel der beschlagnahmten
Waren, bei denen Produkt- oder Markenpiraterie vor-
liegt, aus China. Aus den USA zum Beispiel kommen
11 Prozent und aus der Türkei 9 Prozent der beschlag-
nahmten Waren. Angesichts der Zahlen warnen wir vor
einer einseitigen Dämonisierung Chinas, wie die FDP
dies in ihrem Antrag tut. Wir finden den Kurs der Bun-
desregierung, auf Kooperation statt Konfrontation zu
setzen, richtig. Das haben wir zu rot-grünen Regierungs-
zeiten getan, und das führt die Bundesregierung nun fort.

Es ist ja auch nicht so, dass in China in den vergange-
nen zehn Jahren nichts passiert ist. Durch den WTO-Bei-
tritt wurden zahlreiche Abkommen zum Schutz geistigen
Eigentums unterzeichnet und die Kontrollen deutlich ver-
stärkt. Zudem wurden zahlreiche Gerichte geschaffen,
die sich nur mit Produkt- und Markenpiraterie beschäfti-
gen, und die Zahl der Verurteilungen wegen Diebstahl
geistigen Eigentums ist deutlich gestiegen. Auch wenn
die FDP das nicht sieht, wir sehen, dass sich China in
dieser Frage bemüht. Ich unterstelle den Chinesen nicht,
dass sie aus purem Altruismus Fortschritte erzielt haben.
In China nimmt, wie bei uns, die wissensintensive Pro-
duktion zu. Deswegen haben auch die Chinesen in Zu-
kunft ein zunehmendes Interesse, dass nicht nur die Pro-
dukte der anderen, sondern auch ihre Erzeugnisse
geschützt werden. Das ist der Gang der Dinge in aufstre-
benden Volkswirtschaften.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Wir müssen die FDP-Bundestagsfraktion aber auch
darauf hinweisen, dass kopierte Produkte nicht immer
nur lebensbedrohlich sein müssen. In vielen Fällen kön-
nen sie sogar Leben retten. Zum Beispiel im Pharmabe-
reich. Hier müssen wir weiter darüber nachdenken, wie
wir in Zukunft mit dem Patentschutz verfahren. Es kann
nicht sein, dass in Entwicklungs- und Schwellenländern
Menschen sterben, weil die von den Industrieländern
entwickelten Medikamente zu teuer sind und wir es un-
terbinden, dass diese nachgeahmt werden. Hier muss
dringend ein Umdenken stattfinden, denn es ist schlicht
unmoralisch, die Menschen sterben zu lassen, weil wir
auf unserem Patentschutz beharren.

Gedanken müssen wir uns auch über den Technologie-
transfer machen, und zwar wie wir es schaffen, dass wir
die Erzeugung erneuerbarer Energien durch einen ge-
zielten Technologietransfer ausweiten und nicht auf ei-
nem starren Patentschutz beharren. Denn mit einem ri-
gorosen Patentschutz sind unsere Klimaprobleme kaum
einzudämmen.

Zuallerletzt muss ich darauf hinweisen, dass ich mich
über die inkonsistente Position der FDP-Bundestags-
fraktion in der Handelspolitik wundere. Sie fordert einer-
seits, den Klageweg gegen China im Rahmen der WTO
zu gehen, mit dem auch Sanktionen verbunden sind. An-
dererseits fordert die FDP-Bundestagsfraktion in einem
anderen Antrag, dass die Bundesregierung die Initiative
ergreifen soll, Importbeschränkungen in der EU voll-
ständig abzuschaffen. Das passt nicht ganz zusammen.
Darüber sollten die Handelspolitiker der FDP-Bundes-
tagsfraktion noch einmal nachdenken. Ein funktionieren-
des internationales Handelsregime ohne Sanktionen ge-
gen unfaire Handelspraktiken kann es und wird es nicht
geben. Der bedingungslose Freihandel ohne Regulierun-
gen ist eine Wunschvorstellung und ein theoretisches
Modell, das niemals Wirklichkeit werden kann. Das ist
Fakt. Deswegen würden wir uns wünschen, wenn auch
die FDP die Realität anerkennen und ihre außenwirt-
schaftspolitischen Forderungen wirklichkeitsgetreuer
gestalten würde.

Kurz zusammengefasst: Wir sehen das Problem der
Produktpiraterie für deutsche Unternehmen, enthalten
uns aber bei dem Antrag, weil auch wir auf Kooperation
statt Konfrontation setzen wollen. Zudem finden wir es
nicht richtig, dass China in dem Antrag einseitig an den
Pranger gestellt wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623038600

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/6963, den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4207 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 10:1)

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

1) Zu Protokoll gegebene Redebeiträge siehe Anlage 22
Förderung von Vertrauen, Sicherheit und Da-
tenschutz in E-Government und E-Business

– Drucksache 16/13618 –

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
16/13618.

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich angenom-
men.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia

(Saarbrücken)


Bundesausbildungsförderung an die Studien-
realität anpassen und Strukturreform vorbe-
reiten

– Drucksachen 16/12688, 16/13592 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Seib
Renate Schmidt (Nürnberg)

Uwe Barth
Cornelia Hirsch
Kai Gehring


Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1623038700

Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält die lang-

jährig bekannten, völlig utopischen Forderungen nach
einer Ausbildungsförderung in einem Rundumversor-
gungsstaat, bei dem die individuelle Eigenverantwortung
nichts zählt.

Zu einigen Forderungen im Einzelnen: Die Forderung,
die Altersgrenze von 30 Jahren ersatzlos zu streichen, ist
absurd. Die bildungs- und jugendpolitische Zielsetzung
des BAföG richtet sich an dem Bild junger Menschen in
Erstausbildung vor dem erstmaligen Zugang zum Ar-
beitsmarkt aus. Ziel ist die Chancengleichheit beim
Bildungszugang zur Sicherung gleicher Startchancen.
Zudem erlaubt das BAföG neben der generellen Alters-
grenze sogar Ausnahmen, nämlich für anerkennungswerte
Sonderkonstellationen wie Kinderbetreuungszeiten, zwei-
ter Bildungsweg oder Hochschulzugang aufgrund beruf-
licher Qualifikation. Das BAföG ist kein Instrument zur
generellen Förderung des lebenslangen Lernens.

Zur Forderung, den Förderzeitraum nach der durch-
schnittlichen Studiendauer statt der bisherigen Regelstu-
dienzeit zu bemessen: Es ist grotesk, den Studierenden zu
überlassen bzw. sie selbst bestimmen zu lassen, wie lange
sie sich Zeit für das Studium nehmen und sich das dann
auch noch auf Steuerzahlerkosten finanzieren lassen zu
wollen. Die Regelstudienzeit wird definitionsgemäß ge-
rade danach bemessen, wie lange man regelmäßig für
das Studium einschließlich Abschluss benötigt. Im Übri-
gen gilt das nach Landeshochschulrecht.


(A) (C)



(B) (D)


Marion Seib
Auch die Forderung, den bisher geforderten Leis-
tungsnachweis zur Verlängerung des Förderanspruchs
im vierten Semester im Bachelorstudium ersatzlos zu
streichen, ist absurd. Das widerspricht jedem Leistungs-
gedanken und -anreiz.

Forderung Nr. 3, wonach sichergestellt werden soll,
dass im Masterstudium unabhängig vom Kriterium der
Konsekutivität ein Förderanspruch besteht, ist überflüs-
sig. Konsekutivität ist bereits nach geltendem BAföG kein
Förderungskriterium. Der Master muss sich nicht nach
einem Bachelorstudium unmittelbar anschließen. Auch
muss das Masterstudium nicht unbedingt dieselbe Fach-
richtung haben wie das vorher absolvierte Bachelorstu-
dium.

Die Forderung, den Förderanspruch zwischen zwei
Ausbildungsabschnitten auf mindestens drei Monate aus-
zuweiten, halte ich für unnötig. Schließlich kann mit dem
qualifizierten Abschluss aus dem ersten Ausbildungsab-
schnitt die Zeit bis zum Beginn des zweiten Ausbildungs-
abschnitts finanziert werden.

Die Forderung, eingetragene Lebenspartnerschaften
im Sinne des BAföG mit der Ehe gleichzustellen, halte ich
für nicht geboten und auch nicht für angemessen. Unser
Verfassungsrecht lässt Differenzierungen gerade auch im
Sozialleistungsrecht zu.

Dass der Fraktion Die Linke offenbar die Finanzie-
rung ihrer Forderungen egal ist, zeigt der Vorschlag,
beim Fachrichtungswechsel den neuen Studiengang als
erstes Studium zu betrachten und somit zu fördern, unab-
hängig davon, ob man im ersten Studiengang BAföG be-
antragt oder bezogen hat. Nach der gegenwärtigen
Konzeption fördert BAföG den erstmaligen Ausbildungs-
gang, um eine verbesserte Erwerbschance zu eröffnen.
Es kann nicht sein, dass die Finanzierung einer zweiten
Ausbildung mit dem Argument gefordert wird, dass die
erste Ausbildung ohne BAföG erfolgt sei. Wenn eine Neu-
konzeption gefordert wird, so wie in der letzten AFBG-
Änderung, kann dies nicht nur für einen Fachrichtungs-
wechsel gelten, sondern müsste dann auch konsequenter-
weise bereits abgeschlossene Ausbildungen für die
BAföG-Berechtigung unberücksichtigt lassen.

Auch das Ansinnen, die Verlängerung der Förderungs-
höchstdauer aufgrund von studienbedingtem Fremdspra-
chenerwerb auf alle Fremdsprachen auszuweiten, gehört
in die Rubrik „Was schert mich die Finanzierung?“. Für
diese Forderung kann ich keinen Bedarf erkennen;
schließlich gehört der Erwerb von Fremdsprachenkennt-
nissen zum Regelangebot der Schulen, die die Hochschul-
zugangsberechtigung vermitteln. Der Ausschluss von
Englisch, Französisch und Latein ist daher konsequent
und richtig.

Jedem Leistungsgedanken und -anreiz widerspricht
die Idee, den Leistungsnachweis zur Verlängerung des
Förderanspruchs im vierten Semester des Bachelorstudi-
ums ersatzlos zu streichen.

Der Vorschlag, die elternunabhängige Förderung
durch die Verringerung der nachzuweisenden Zeit einer
vorherigen Arbeitstätigkeit bzw. Ausbildung auszuweiten,
ist kostenträchtig und ohne sachliches Bedürfnis. Die
Zu Protokoll
Mindestdauer hat keinen Belohnungscharakter für vorhe-
rige Erwerbstätigkeit, die man nach bildungspolitischem
Gusto großzügiger ausgestalten könnte. Es geht doch um
die Frage der Wahrscheinlichkeit, ab wann jemand, der
noch keinerlei berufsqualifizierende Ausbildung seit sei-
ner Volljährigkeit erfahren hat, nach geltendem Unter-
haltsrecht keinen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt ge-
gen seine Eltern mehr hätte. Die Regelung ist eine reine
Typisierung des geltenden einzelfallabhängigen Unter-
haltsrechts. Niemand steht ihretwegen ohne Finanzhilfe
da. Sind die Eltern bedürftig, kann ohnehin gefördert
werden. Sind sie es nicht, verweigern aber atypischer-
weise den ihnen zugedachten Unterhalt, könnte über Vo-
rausleistung nach § 36 BAföG trotzdem gefördert werden,
wobei hinterher bei den Eltern Regress genommen würde.

Der Forderungskatalog geht noch weiter: Die Frak-
tion Die Linke möchte, dass Auszubildenden in hoch-
schulorganisatorisch eingerichteten Teilzeitstudiengän-
gen eine Förderung nach BAföG zugänglich gemacht
wird. In meinen Augen mag es diskussionswürdig er-
scheinen, ob für bestimmte Personengruppen, wie Stu-
dierende mit betreuungsbedürftigen Kindern, neben den
bereits großzügig eingeräumten Möglichkeiten der För-
derungsverlängerung beim Vollzeitstudium auch eine
Förderung förmlicher Teilzeitstudiengänge sinnvoll
wäre. Die Länder diskutieren darüber in einer Arbeits-
gruppe innerhalb des Hochschulausschusses der KMK
bislang ergebnislos. Der BAföG-Beirat hat sich explizit
gegen eine Einbeziehung förmlicher Teilzeitstudien-
gänge ausgesprochen und auf die nach seiner Bewertung
flexibleren, individuell nutzbaren Verlängerungsmöglich-
keiten verwiesen, die § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG schon jetzt
bei Kinderbetreuung eröffnet. Mir leuchtet nicht ein, wa-
rum man generell jedem anheimstellen sollte, durch Wahl
eines förmlichen Teilzeitstudiengangs länger zu studieren,
später abzuschließen und ins Erwerbsleben einzutreten
und dafür von der Steuerzahlergemeinschaft finanziert zu
werden. Der Grundsatz, dass, wer Ausbildungsförderung
erwartet, dafür auch den vollen Ausbildungseinsatz zei-
gen muss, sollte nicht infrage gestellt werden können.

Die Fraktion Die Linke fordert die Ausweitung des
Auslands-BAföG auf ein gesamtes gefördertes Auslands-
studium in den Bologna-Staaten. Alle Auslandszuschläge
sollen als Vollzuschuss gewährt werden. Ich meine, man
sollte erst einmal die nächste BAföG-Statistik und den für
2010 anstehenden BAföG-Bericht abwarten; denn bisher
lässt sich kein Rückgang der Zahl des Auslandsaufent-
haltes erkennen. Auslandsstudien sind natürlich auch für
BAföG-Geförderte sinnvoll und wichtig. Ein Rückgang
aus finanziellen Gründen wäre daher in der Tat ein Anlass,
neu nachzudenken. Ich sehe allerdings keine Veranlas-
sung, zusätzlich in die Auslandsförderung zu investieren,
solange die Auslandsstudierbereitschaft der BAföG-
Empfänger auch mit der geltenden Regelung gesichert
werden kann.

Nach Vorstellungen der Linken sollen die Leistungen
nach BAföG für Schülerinnen und Schüler nicht als Ein-
kommen gelten. Das würde bedeuten, dass, soweit es um
die zweckidentische Deckung des Lebensunterhaltes
geht, eine Doppelförderung mit staatlichen Sozialleistun-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Marion Seib
gen aus unterschiedlichen Leistungsgesetzen, nämlich
dem SGB II und dem BAföG, bewirkt würde.

Die Linke fordert die demokratische Besetzung des
BAföG-Beirates und weitere Kompetenzen. Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen, die plurale Zusammensetzung
des BAföG-Beirates ist in § 44 Abs. 2 BAföG gesetzlich
gewährleistet. Die demokratisch legitimierte Bundesre-
gierung hat in der hierzu erlassenen Beiratsverordnung
Einzelheiten zu den Vorschlagsrechten der gesetzlich ge-
nannten Institutionen geregelt. Das Berufungsverfahren
erfolgt danach durch die demokratisch legitimierte zu-
ständige Bundesministerin im Zusammenspiel mit dem
Bundesrat. Ein demokratischeres Besetzungsverfahren
ist kaum vorstellbar.

Der gesetzliche Beratungsauftrag „bei der Durchfüh-
rung des Gesetzes, der weiteren Ausgestaltung der
gesetzlichen Regelung der individuellen Ausbildungsför-
derung und der Berücksichtigung neuer Ausbildungsfor-
men“ ist so eindeutig weit gefasst, dass ich mir nicht vor-
stellen kann, welche nochmals erweiterten Kompetenzen
wohl gemeint sein könnten.

Die Forderung, die Anhebung der Bedarfssätze und
Freibeträge an die Steigerung der studentischen Lebens-
haltungskosten und allgemeinen Einkommensentwick-
lungen zu koppeln, ist eigenartig. Diese Forderung aus
der Opposition ist zwar altbekannt. Aus gutem Grund
nimmt § 35 BAföG für die inhaltliche Vorgabe der alle
zwei Jahre erscheinenden BAföG-Berichte auch die „fi-
nanzwirtschaftliche Entwicklung“ gleichrangig neben
der Entwicklung der Einkommensverhältnisse, Vermö-
gensbildung und Lebenshaltungskosten in Bezug. Dass
jeweils der konkreten Gesamtsituation vom Parlament
angemessen und bewusst in Abwägung zur Situation an-
derer gesellschaftlicher Gruppierungen eine reflektierte
Anpassungsentscheidung getroffen wird, ist eine abge-
wogene gesetzgeberische Grundentscheidung. Sich
abstrakt im Vorhinein statistischen Parametern zu unter-
werfen, die ohne bewusste parlamentarische Entschei-
dung zu automatischen ausgabenträchtigen Anhebungen
der BAföG-Leistungen und -Freibeträge führen würden,
käme einer Selbstentmachtung des demokratisch legiti-
mierten, aber eben verfassungsrechtlich als Gesetzge-
bungsorgan zur verantwortlichen Entscheidung berufe-
nen Parlaments gleich. Die Linke möchte also mal mehr
und mal weniger Demokratie.

Für mich stellt der Antrag der Linken realitätsferne
und unbezahlbare Forderungen dar. Nach unseren Vor-
stellungen sollte der Staat nur dort Hilfe leisten, wo die
Familie die Studienfinanzierung aus eigener Kraft nicht
leisten kann. Dies wird in vielen Punkten völlig ignoriert.
Daher lehnen wir den Antrag ab.


Jürgen Kucharczyk (SPD):
Rede ID: ID1623038800

Erst vor ein paar Wochen haben wir das Thema

BAföG diskutiert. Herauszustellen gilt – das ist nach-
weisbar –: Das BAföG ist ein zentrales Instrument für
junge Menschen, wenn es um die echte Chancengleich-
heit in der Bildung geht. Es gibt auch heute keinen
Grund, einen Deut von dieser Position abzuweichen.
Zu Protokoll
Der gerade verabschiedete Regierungsentwurf für das
BMBF legt mit rund 10,3 Milliarden Euro erneut einen
Rekordhaushalt vor. Die Zahlen verdeutlichen, dass die
Große Koalition ihre Priorität für Bildung und For-
schung fortsetzt und an Rot-Grün anknüpft, auch unter
den schwierigen Bedingungen, mit denen wir uns durch
die Wirtschafts- und Finanzkrise konfrontiert sehen. Die
18 Milliarden Euro für Studienplätze und Forschung, die
Bund und Länder vor kurzem beschlossen haben, sind
eine erstaunliche Leistung in den Zeiten der Finanzkrise.

Die SPD-Bundestagsfraktion versteht sehr gut das
Engagement der vielen jungen Menschen, das sich in den
letzten Wochen auf der Straße, beim „Bildungsstreik“ ge-
zeigt hat. In etwa 70 Städten gab es Proteste. Der Streik
ist ein deutliches Signal und zeigt uns, dass wir in unse-
ren Reformanstrengungen nicht nachlassen dürfen. Bil-
dung für alle, Bildung von Anfang an, mehr Lehrer, keine
Elite, keine Studiengebühren, bessere Studienbedingun-
gen, das ist es, was die jungen Menschen auf der Straße
fordern. In die Aufzählung gehören auch Krippenplätze
und Ganztagsschulen.

Das sind die richtigen Ansätze für mehr und bessere
Bildung in Deutschland. Selbstverständlich müssen wir
auch sagen: Das kostet. Der Bildungsetat wird viele
sinnvolle und notwendige Maßnahmen in Zukunft nicht
mehr so wie bisher finanzieren können. Wir als Sozial-
demokraten stellen uns den Aufgaben und schlagen zur
Finanzierung einen Solidarbeitrag für Bildung vor. Ich
finde es richtig, wenn sehr hohe Einkommen für das
wichtige und berechtigte Anliegen für gleiche Chancen
auf bessere Bildung herangezogen werden: zweckgebun-
den, nachhaltig und gerecht.

Mit unserer Forderung nach einem Bildungssoli un-
terstreichen wir unsere Auffassung, dass Bildung ein
Menschenrecht ist. Bildung ist auch ein ökonomisches
Gut, gerade für den Wissensstandort Deutschland. Sie ist
aber in erster Linie ein Wert an sich. Zukunftschancen
und Teilhabe eines jeden Menschen hängen davon ab.
Daher ist es nur folgerichtig, wenn wir auch fordern,
dass die Gebühren quer durch die Bildungskette abge-
schafft werden – angefangen bei der Kita bis zum Hoch-
schulabschluss.

Seitdem die SPD in der Regierung Verantwortung
trägt, haben wir unserer Auffassung Taten folgen lassen
und Deutschland sowohl das größte Schulreformpro-
gramm, das größte Programm zum Ausbau von Studien-
plätzen als auch das größte Investitionsprogramm für die
Bildungsinfrastruktur verordnet. Konkret heißt das:
4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen, 4 Milliarden für
den Kita-Ausbau, über 365 000 zusätzliche Studienplätze
bis 2015, 9 Milliarden für die Sanierung von Kitas, Schu-
len und Hochschulen im Konjunkturpaket und die bereits
erwähnten 18 Milliarden für die Fortsetzung der Hoch-
schul- und Wissenschaftsinitiativen bis 2019. Hinzukom-
men zwei BAföG-Erhöhungen für mehr Chancengleich-
heit beim Hochschulzugang.

Klar ist aber auch, dass es nach wie vor enorme He-
rausforderungen gibt. Die Kritik der Studierenden an den
negativen Auswirkungen des Bologna-Prozesses nehmen
wir als SPD-Bundestagsfraktion ernst. Dennoch halten



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Kucharczyk
wir an der Studienreform und der Einführung gestufter
Studiengänge fest, sehen aber teilweise deutlichen Kor-
rekturbedarf in der konkreten Umsetzung und Ausgestal-
tung. Es muss wieder mehr auf Substanz als auf Tempo
gesetzt werden.

Bildung ist eine Kernaufgabe des Staates. Mit unse-
rem klaren Bekenntnis zum Bildungssoli als Aufschlag
auf den Spitzensteuersatz wollen wir dringend notwen-
dige Bildungsmaßnahmen finanzieren. Das ist unser Vor-
schlag, und ich freue mich auf die kooperative Bund-
Länder-Zusammenarbeit in Bildung und Wissenschaft.


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1623038900

Der Antrag der Fraktion Die Linke zum BAföG ist das,

was man gemeinhin einen Schaufensterantrag nennt,
dessen Bewertung wir heute zu nächtlicher Stunde zu
Protokoll geben.

Es müsste auch der Linken klar sein, dass dieser An-
trag mit seinen weitreichenden systematischen Verände-
rungen und finanziellen Folgen und nach den erhebli-
chen Erhöhungen der Bedarfssätze und der Freibeträge
in dieser ablaufenden Legislaturperiode, die maßgeblich
von der SPD durchgesetzt wurden, nicht in den letzten
paar Sitzungswochen verabschiedet werden konnte. Dies
zeigt, dass dieser Antrag nie ernst gemeint war. Dort, wo
die Linke auf Landesebene mitregiert, wäre ein solcher
Antrag chancenlos. Er ist es auch auf Bundesebene.

Die SPD stimmt folgendem Sammelsurium nicht zu:
einerseits richtige Forderungen, wie zum Beispiel die
Wiedereinführung des Schüler-BAföGs, andererseits
überflüssige bzw. falsche Forderungen, wie die in Nr. 3
genannte BAföG-Förderung des Masters, die längst
möglich ist; dann, die teilweise richtige begrenzte Anhe-
bung der Altersgrenze, die die Linke aber gänzlich fallen
lassen will, und zum guten Schluss wieder illusionäre,
nicht finanzierbare und gleichzeitig ungerechte Zielvor-
stellungen wie eine elternunabhängige Studienförderung
für alle Studierenden ohne Rückzahlungsverpflichtung.

Dieser Antrag illustriert, was diejenigen meinen, die
der Linken den Rücken kehren und von einer zunehmend
illusionären Politik sprechen. Es erübrigt sich deshalb,
hier auf jeden einzelnen Vorschlag einzugehen, nachdem
der genannte Antrag offensichtlich nie ernst gemeint war
und nur dazu dienen sollte, diejenigen, die nicht zustim-
men, „vorzuführen“. Dies sei der Linken unbenommen.
Diejenigen, die auch nur ein wenig vom BAföG verste-
hen, werden diesen Antrag einzuordnen wissen.


Uwe Barth (FDP):
Rede ID: ID1623039000

Vor wenigen Monaten hat der Deutsche Bundestag die

BAföG-Sätze und die Freibeträge angehoben. Für diese
Verbesserung der finanziellen Situation der BAföG-
Empfänger haben die Koalitionsfraktionen und die FDP-
Fraktion gestimmt. Für die beschlossene Anhebung der
Bedarfssätze um 10 Prozent und der Freibeträge um
8 Prozent muss der Steuerzahler künftig zusätzlich mehr
als 300 Millionen Euro aufbringen. Die FDP war und ist
der Überzeugung, dass es sich nicht zuletzt sozialpoli-
tisch lohnt, aufstrebenden jungen Menschen bei Bedarf
Zu Protokoll
unter die Arme zu greifen und ihnen den Schritt an die
Hochschulen zu erleichtern.

Offensichtlich bewerteten die Linken dies anders und
lehnten diese vernünftige Gesetzesnovelle ab. Nun,
einige Monate später und unter dem Eindruck des sich
nähernden Wahltages greift man die Thematik erneut auf
und fordert, in gewohnter „Wünsch-dir-was-Manier“,
eine realitätsferne Rundumversorgung für Studierende.

Diese Art von Bedingungen abgekoppelter, leistungs-
unabhängiger Alimentierung einiger weniger Studieren-
der auf Kosten des Steuerzahlers können und werden wir
nicht unterstützen. Das wäre hochgradig unsozial, sowohl
der Allgemeinheit als auch dem Gros der Kommilitonen
gegenüber. Zum Studentensein gehört mehr als nur die
Arbeit im Hörsaal, Lesesaal und Labor. Wenn wir früher
zwischen Studenten und Studierenden unterschieden ha-
ben, dann war damit die Lücke gemeint, die man sich zum
Genießen des Lebens geschaffen und auch dazu genutzt
hat. Das ist normal, das ist auch legitim unter der Bedin-
gung, dass man das Wesentliche nicht aus dem Auge ver-
liert: den Erfolg im Studium. Deshalb gilt, bei allem Ver-
ständnis für die Besonderheiten des Studentenlebens: Zur
studentischen Freiheit gehört auch die Freiheit zum
Nichtstun, aber nicht auf Kosten der Allgemeinheit! Und
genau dieser Grundsatz soll mit dem vorliegenden An-
trag ausgehebelt werden. Das machen wir nicht mit!

Die Förderstruktur im Bereich der akademischen Aus-
bildung muss ebenso differenziert und vielfältig sein wie
die von ihr zu unterstützenden Menschen. Natürlich
bedürfen studierende Mütter anderer Angebote als Per-
sonen, die über die berufliche Ausbildung, möglicher-
weise als Handwerksmeister, an die Hochschule gelan-
gen und ihr Wissen vertiefen möchten. Und natürlich
spielen der familiäre Hintergrund, das Umfeld der Stu-
dierenden eine gewichtige Rolle.

Gerade diesen Aspekt lässt der Antrag der Linken im
Wesentlichen unberücksichtigt. Wir haben mehrfach da-
rauf hingewiesen, dass jeder zehnte Studierende die Voll-
förderung per BAföG erhält. Laut Erhebung des Studen-
tenwerks müssen doppelt so viele Studenten mit deutlich
weniger Geld als dem BAföG-Höchstsatz ihr Leben
bestreiten. Um es ganz klar zu sagen: Nicht die BAföG-
Höchstsatz-Empfänger bereiten uns Kopfzerbrechen, son-
dern die vielen Studenten aus Elternhäusern mit mittlerem
Einkommen, die trotz eines nach dem Gesetz ausreichen-
den Bruttoeinkommens ihre Kinder eben nicht in der
erforderlichen Form unterstützen können. Hierzu trägt
auch die Orgie an Steuererhöhungen bei, die die schwarz-
rote Koalition in den letzten vier Jahren hier geboten hat.
Deshalb müssen wir heute endlich erkennen, dass wir
dringend Unterstützungsinstrumente neben dem BAföG
brauchen.

Die FDP hat sich aus dieser Erkenntnis heraus bereits
in den vergangenen Monaten wiederholt dafür eingesetzt,
dass mindestens jeder zehnte Studierende in den Genuss
eines Stipendiums kommt. Unsere Vorstöße – und hier sei
nochmals dem FDP-Innovationsminister Pinkwart in
NRW gedankt – wurden allesamt mit fadenscheiniger Be-
gründung von der SPD blockiert und zunichte gemacht.
Leidtragende sind die Studierenden. Nun wird das Land



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Uwe Barth
Nordrhein-Westfalen in dieser Frage zunächst alleine
agieren. Die Konzeption eines kooperativen Stipendien-
wesens, bestehend aus öffentlicher und privater Finan-
zierung, werden wir aber auch in Zukunft mit aller Kraft
vorantreiben.

Neben den Stipendien brauchen wir ein reichhaltiges
Angebot an kostengünstigen Studiendarlehen und ein
Anreizsystem zur Förderung des privaten Bildungsspa-
rens. Wir müssen potenzielle Akademiker frühzeitig und
professionell über die existierenden Möglichkeiten der
Studienfinanzierung informieren. Es ist erschreckend, in
welchem Maße die linken Gruselgeschichten und Mythen
über Verschuldungskarrieren bei jungen Menschen für
Verwirrung sorgen. Hier werden auf höchst unverant-
wortliche Weise Ängste geschürt, die gerade bei jungen
Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwachen
Elternhäusern auf fruchtbaren Boden fallen sollen. Ich
kann diesen jungen Menschen nur raten: Glauben Sie
diesen Unheilsverkündern nicht! Informieren Sie sich,
lassen Sie sich beraten, entscheiden Sie selbst über Ihre
Zukunft, es ist nämlich auch Ihre eigene Zukunft um die
es geht und nicht die Zukunft einer international histo-
risch grandios gescheiterten Ideologie von vorgestern.

Wie haltlos die linken Schauermärchen sind, zeigen em-
pirische Erhebungen. Das Durchschnittseinkommen von
Akademikern rangiert zehn Jahre nach Abschluss des Stu-
diums zwischen durchschnittlich 87 000 Euro – Wirt-
schaftsingenieure – und 45 300 Euro – Lehrer. Durch-
schnittseinkommen! Davon kann man auch einen Kredit
zurückzahlen, das machen übrigens die allermeisten
BAföG-Empfänger auch. Bis zu 10 000 Euro zahlen die
zurück. Das beweist, dass es geht. Und ganz nebenbei:
Wer will angesichts dieser doch beträchtlichen Rendite
für die Investition „Studium“ Klein- und Geringverdie-
ner dazu verdonnern, Studierenden das Studium nebst
Lebenshaltungskosten per Steuer voll zu bezahlen?

Wir müssen Studierende in die Lage versetzen, die mit
dem Studium in Verbindung stehenden Kosten finanzieren
zu können. Sie brauchen hierzu Hilfestellungen, Ange-
bote und Anreize aber keine staatliche Vollversorgung
und keine roten Unheilspropheten. Deswegen lehnen wir
diesen Antrag ab.


Cornelia Hirsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623039100

Die Linke fordert in ihrem vorliegenden Antrag, das

Bundesausbildungsförderungsgesetz an die Studienreali-
täten anzupassen und eine Strukturreform vorzubereiten.
Zu diesem wichtigen Schritt sind Sie jedoch weiterhin
nicht bereit. Damit stehen Sie für eine Politik, die die In-
teressen der Studierenden nur unzureichend wahrnimmt
und die Hochschulen weiterhin sozial abriegelt.

Am Montag veröffentlichte das Allensbach-Institut
eine repräsentative Umfrage zur Studienfinanzierung.
Die Ergebnisse müssten auch Rot-Schwarz zu denken ge-
ben: Über zwei Drittel aller Studieninteressierten haben
Angst vor hohen finanziellen Belastungen während des
Studiums. Gut jede Dritte bzw. jeder Dritte ist besorgt
wegen möglicher Schulden nach dem Studienabschluss.
Studierende, die die Finanzierung ihres Studiums als sehr
Zu Protokoll
schwer einstufen, denken sechsmal häufiger ernsthaft
über den Abbruch des Studiums nach als Studierende, die
ihr Studium sehr leicht finanzieren.

Diese Zahlen unterstreichen einmal mehr die Rele-
vanz unseres heute vorliegenden Antrags. Studieninteres-
sierte und bereits eingeschriebene Studierende an den
Hochschulen brauchen eine verlässliche Studienfinan-
zierung. Das BAföG ist hierfür eine wichtige Errungen-
schaft, denn es bietet einen Rechtsanspruch auf Studien-
finanzierung. Wer Studierenden unabhängig von ihrer
sozialen Herkunft ein erfolgreiches Studium sichern will,
muss mindestens dafür sorgen, dass das BAföG regelmä-
ßig den Lebenshaltungskosten und den Studienrealitäten
angepasst wird. Dieser Herausforderung sind Sie in die-
ser Legislaturperiode nicht nachgekommen. Ihre BAföG-
Novelle kam viel zu spät und war viel zu zögerlich, und
darüber hinaus fehlten wichtige strukturelle Anpassun-
gen, die wir mit unserem Antrag einfordern. Insbeson-
dere betrifft dies den Anpassungsbedarf, der sich aus der
Studiensituation der neuen Bachelor-/Master-Studien-
gänge ergibt.

Außerdem verweigern Sie sich der Debatte um eine
soziale Neustrukturierung der Studienfinanzierung. In
unserem Antrag schlagen wir hierzu ein Zweisäulenmo-
dell vor. Der erste Korb soll aus einem für alle Studieren-
den einheitlichen Sockelbetrag bestehen, in dem alle
kindbezogenen Transferleistungen und Freibeträge zu-
sammengefasst werden und direkt an die Studierenden
fließen. Der zweite Korb soll aus einem – in einem ersten
Schritt elternabhängigen – Zuschussteil bestehen, der
schrittweise hin zur Elternunabhängigkeit ausgeweitet
wird.

Mit diesem Modell schlagen wir zwei Fliegen mit ei-
ner Klappe: Zum Ersten wäre das Modell sozial gerech-
ter, da Studierende, die heute bedarfsorientiert BAföG er-
halten, aber nach dem Studium mit der Rückzahlung
ihrer BAföG-Schulden konfrontiert sind, künftig von An-
fang an einen Vollzuschuss erhielten und deshalb keine
Schulden machen müssten. Dieser Schritt könnte viel
dazu beitragen, dass die Hochschulen sozial geöffnet
werden.

Zum Zweiten nimmt das Modell Studierende als er-
wachsene Menschen ernst, indem es ihnen elternunab-
hängig eine Finanzierung des Studiums garantiert. Klar
muss hierbei sein, dass Gutverdienende und Vermögende
mit diesem Schritt nicht aus der Verantwortung für die
Studienfinanzierung entlassen werden. Wer behauptet,
sie würden durch dieses Modell bevorteilt, handelt grob
fahrlässig. Nach unseren Forderungen würden sie durch
eine sozial gerechte Steuerpolitik maßgeblich an der Fi-
nanzierung beteiligt. Wegfallen würde aber die Abhän-
gigkeit der Studierenden von ihren Eltern.

Verbunden mit unserer Forderung nach Gebührenfrei-
heit des Studiums wäre auf diese Weise ein großer Schritt
getan, um allen Studieninteressierten unabhängig von ih-
rer sozialen Herkunft ein erfolgreiches Studium zu si-
chern.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623039200

Über 200 000 junge Menschen sind während des bun-

desweiten Bildungsstreikes im Juni für ein gerechteres
und besser ausfinanziertes Bildungssystem auf die Straße
gegangen. Dieser Protest war richtig und wichtig. Die-
sen lauten Ruf nach einer neuen Bildungsoffensive dür-
fen wir nicht überhören. Allerdings brauchen wir dafür
einen Kurswechsel – weg von früher sozialer Auslese und
Zugangshürden hin zu mehr individueller Förderung,
gleichen Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten für alle.

Immer sonntags hat die Bundesregierung die Bil-
dungsrepublik ausgerufen, die sich werktags als Etiket-
tenschwindel entpuppte. Offenkundig wurde dies unter
anderem bei den bildungsfeindlichen Föderalismusrefor-
men I und II, der chronischen Unterfinanzierung unseres
Bildungssystems, dem fortdauernden Zulassungschaos
an den Hochschulen und bei der phantasielosen Umset-
zung des Bologna-Prozesses.

Nicht viel besser fällt die Bilanz bei der Studienfinan-
zierung aus. Ohne den Druck von uns Oppositionsfrak-
tionen und der Bildungspolitiker der SPD würden die
Studierenden noch heute auf eine Erhöhung des BAföG
warten und weitere Nullrunden drehen. Ohne starke
Grüne würde die staatliche Studienfinanzierung – auch
in der kommenden Wahlperiode – am seidenen Faden
hängen. Nach der falschen Ideologie „Privat vor Staat“
wandeln Union und FDP weiterhin auf dem Studienge-
bühren- und Studienkredit-Irrweg. Dabei steht derjenige,
der sein Bachelor- und Master-Studium komplett über ei-
nen KfW-Studienkredit finanzieren will, am Ende vor ei-
nem Schuldenberg von rund 70 000 Euro. Und das ist
schon vergleichsweise „günstig“: Gemäß den Zinssätzen
von Oktober 2008 wäre das kreditfinanzierte Studium
noch einmal rund 25 000 Euro teurer. Kein Wunder, dass
selbst die KfW davon abrät, ein Studium komplett über
Kredite zu finanzieren.

Für Abiturienten sind laut DSW-Sozialerhebungen,
verschiedenen HIS-Studien und einer aktuellen Untersu-
chung des Reemtsma-Begabtenförderwerks Finanzie-
rungsprobleme und Verschuldungsängste die Hauptargu-
mente gegen die Aufnahme eines Studiums. Mit
Bildungskrediten werden aber keineswegs mehr junge
Menschen motiviert, ein Studium aufzunehmen, wie Mi-
nisterin Schavan uns weismachen will. Eher ist das Ge-
genteil der Fall.

Auch Stipendien sind nach wie vor kein Ausweg aus
der Finanzierungsklemme, weil nur zwei Prozent aller
Studierenden davon profitieren. Angesichts dieser be-
schämend niedrigen Stipendiatenquote bleibt Deutsch-
land hochschulpolitisches Entwicklungsland. Besonders
die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände haben hier
eine Bringschuld und Verantwortung, ihre vollmundigen
Versprechen über eigene Stipendiensysteme einzulösen.

Das BAföG zu glorifizieren und unter eine Käseglocke
zu stellen, wie es die SPD macht, trägt allerdings auch
nicht. Das BAföG hat zwar als wichtige sozialpolitische
Leistung in den letzten Jahrzehnten entscheidend dazu
beigetragen, dass überhaupt finanzschwachen und bil-
dungsfernen Schichten der Zugang zu Hochschulreife
und Hochschulstudium ermöglicht wurde. Das BAföG
Zu Protokoll
mit seiner Mischung aus Zuschuss und Darlehen konnte
aber nicht verhindern, dass der Anteil der Kinder aus
hochschulfernen Gruppen, der ein Hochschulstudium
aufnimmt, immer weiter abgenommen hat. Wer einen ge-
samtgesellschaftlichen Bildungsaufbruch will, muss die
staatliche Studienfinanzierung so gestalten, dass alle
Studienberechtigten einen Anreiz haben und finanziell in
die Lage versetzt werden, tatsächlich ein Studium aufzu-
nehmen.

An diesem Ziel gehen die Vorstellungen der Linken
vorbei. Nachdem die Fraktion in ihrem Antrag noch vage
Vorstellungen für eine strukturelle Weiterentwicklung des
BAföG und für ein Zwei-Körbe-Modell skizziert hat,
fordert die Partei in ihrem Bundestagswahlprogramm
nun eine „elternunabhängige, bedarfsdeckende und re-
pressionsfreie Grundsicherung“. Dies ist nicht nur ein
Zickzackkurs, sondern in erster Linie ein Geschenk für
Studierende aus Gut- und Besserverdiener-Haushalten.
Studierenden aus einkommensreichen Elternhäusern ein
genauso hohes bedingungsloses Studierendengrundein-
kommen à la Linkspartei zu überweisen wie Studierenden
aus einkommensarmen Familien, verletzt und konterka-
riert soziale Gerechtigkeit und ist alles andere als zielge-
nau.

Unser Ziel ist es, an den Hochschulen unterrepräsen-
tierte Gruppen stärker für ein Studium zu gewinnen. Die-
sem Anspruch gerecht wird das grüne Zwei-Säulen-Mo-
dell. Damit wird die staatliche Studienfinanzierung
gestärkt und auf breitere Füße gestellt. Unser grünes
Modell umfasst und kombiniert zwei Säulen: den Studie-
rendenzuschuss und den Bedarfszuschuss. Mit dem Stu-
dierendenzuschuss erhalten alle Studierenden einen So-
ckel, der einen Einstieg in eine elternunabhängige
Finanzierung des Lebensunterhalts von Studierenden
darstellt. Zur Gegenfinanzierung werden das bisherige
Kindergeld sowie steuerliche Freibeträge in den neuen
Studierendenzuschuss überführt. Diese familienbezoge-
nen Leistungen kommen dann direkt den Studierenden
zugute. Dies ist ein innovativer Perspektiven- und Para-
digmenwechsel.

Das grüne Zwei-Säulen-Modell umfasst zusätzlich
eine starke und unerlässliche soziale Komponente: Die-
ser Bedarfszuschuss ist anders als das derzeitige BAföG
als nicht zurückzuzahlender Zuschuss ausgestaltet. Aus
finanziellen Gründen liegen in den einkommensarmen
und bildungsfernen Familien derzeit die meisten Bil-
dungspotenziale brach. Daher begünstigen wir diese Stu-
dierenden über den Bedarfszuschuss gezielt. Der neue
Höchstsatz läge nach unserem Modell bei 800 Euro, also
über dem des heutigen BAföG. Wir wollen damit mehr
Teilhabe- und Verteilungsgerechtigkeit sicherstellen.

Das neue grüne Zwei-Säulen-Modell leistet einen ent-
scheidenden Beitrag zur dringend notwendigen sozialen
Öffnung unserer Hochschulen. Die neue Studienfinanzie-
rung erfordert eine ambitionierte Reform, die zugleich
politisch umsetzbar und gut vermittelbar wäre. Bei der
Reform der Studienfinanzierung setzen wir – im Gegen-
satz zu Union und FDP – auf die Leitbilder des mündigen
Studierenden und auf „Staat vor Privat“. Zugleich leh-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
nen wir eine ungerechte Gießkannen-Förderung à la
Linksfraktion ab.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623039300

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13592, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/12688 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 43 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Alexander Bonde, Anna Lührmann, Omid
Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz bei Konjunkturpaketen sicher-
stellen

– Drucksache 16/12475 –


Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1623039400

Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Ausnahme-

situation. Wir erleben zurzeit die schwerste Wirtschafts-
krise der Bundesrepublik. Viele Unternehmen und damit
ganze Wirtschaftsstrukturen sind unverschuldet in ihrer
Existenz bedroht. Soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass
der Staat sich in einer solchen Situation handlungsfähig
zeigt, um dafür zu sorgen, dass der Markt funktionsfähig
bleibt.

Wir haben es nicht nur mit einer Finanzkrise zu tun
– wie man in der Anfangsphase der Krise vielleicht noch
hoffen konnte –, sondern mit einer massiven Wirtschafts-
krise. Der Krisenverlauf war leider nicht V-förmig. Wir
kommen aufgrund der massiven Infizierung auch der
Realwirtschaft nicht genauso schnell wieder aus der
Krise heraus, wie wir hereingekommen sind. Um die
Krise zu bewältigen, ist es also nicht damit getan, die
Finanzmärkte zu stabilisieren. Dies ist nur die erste Vor-
bedingung. Viel schwieriger wird es, die realwirtschaftli-
che Krise zu überwinden.

Eine gute Lösungsanalyse beginnt ja immer mit einer
guten Ursachenanalyse. Wie hat sich aus dieser Finanz-
krise eine massive Wirtschaftskrise mit einer weltweiten
Rezession entwickelt? Erstens weil das Geld knapper ist.
Konsum und Investitionen auf Kredit sind nur noch ein-
geschränkt möglich. Zweitens weil weltweit Vertrauen
verloren gegangen ist und sich die Wachstumserwartun-
gen deutlich gemindert haben. Und drittens ist Deutsch-
land durch seine hohe Exportquote ganz besonders
davon betroffen, dass die Auslandsmärkte massiv einge-
brochen sind.

Aufgrund der unterschiedlichen Ursachen und Aus-
prägungen der Krise ist es auch richtig, dass wir ihr mit
einem sehr breiten Ansatz begegnen. Das Krisenmanage-
ment basiert daher auf mehreren Säulen, um die
verschiedenen Ursachen der Krise zu bekämpfen. Die
Konjunkturpakete sind als schnelle Reaktion auf den Ein-
bruch der Konjunktur notwendig gewesen. Der Staat ist
derzeit der einzige Akteur, der in der Krise Impulse gegen
den Trend setzen kann. Denn die Unternehmen und pri-
vaten Haushalte passen sich zwangsläufig den schwieri-
geren Finanzierungsbedingungen und der negativen
Marktlage an. Sie investieren und konsumieren weniger.
Darum sind in der jetzigen Krisenzeit die Staaten ge-
fragt, der Gefahr einer Abwärtsspirale schnell entgegen-
zutreten. In den Konjunkturpaketen finden sich Elemente
von Nachfragepolitik ebenso wie Elemente von Angebots-
politik.

Die Konjunkturpakete sind also kein unkoordiniertes
Sammelsurium verschiedenster Maßnahmen, wie Sie von
den Grünen schreiben, sondern ein ganz bewusstes Ein-
greifen auf breiter Front, sowohl nachfrage- als auch an-
gebotsseitig. Nachfrageseitig wird die private Nachfrage
durch die Einkommensteuersenkung oder beispielsweise
durch die Umweltprämie gestärkt. Die staatliche Nach-
frage wird durch die massive Ausweitung der staatlichen
Investitionen in diesem und dem nächsten Jahr ausge-
dehnt. Angebotsseitig sind insbesondere die Forschungs-
zuschüsse und das Kredit- und Bürgschaftsprogramm der
Bundesregierung hervorzuheben. Wir erleichtern damit
gerade kleineren und mittelständischen Betrieben, Inves-
titionen vorzunehmen, obwohl sie unter erschwerten Kre-
ditfinanzierungsmöglichkeiten leiden.

Ein wesentlicher Aspekt der Konjunkturpakete sind
die zusätzlichen Investitionen in Bildung, Forschung und
Verkehrsinfrastruktur. Damit schaffen wir es, Deutsch-
land in wichtigen Bereichen besser aufzustellen und, wie
man so schön sagt, „stärker aus der Krise herauszukom-
men, als wir hineingegangen sind“. Die Philosophie des
Paketes besteht im Wesentlichen darin, dass langfristig
sinnvolle Investitionen, die sowieso getätigt werden müs-
sen, jetzt vorgezogen werden.

Die vielen Maßnahmen kosten uns heute viel Geld.
Wir müssen für diese Investitionen Schulden machen.
Das ist momentan ohne Alternative. Aber anders als in
früheren Zeiten haben wir uns auf einen Rückzahlungs-
plan geeinigt. Dafür werden die Investitionen des Bundes
aus einem „Investitions- und Tilgungsfonds“ genannten
Sondervermögen bezahlt. Das Bundesministerium der
Finanzen unterrichtet regelmäßig über den Stand der
Einnahmen und Ausgaben dieses Fonds. Dass so ein Mo-
dell erfolgreich sein kann, hat der Erblastentilgungs-
fonds gezeigt.

Es ist natürlich immer richtig, ein hohes Maß an
Transparenz zu fordern. Ich halte jedoch ein Internetre-
gister für alle Maßnahmen des Konjunkturpaketes für
überflüssig. Das schafft nur noch mehr Förderbürokra-
tie. Die entsprechenden Kontrollgremien, sei es auf Bun-
des- oder auf Landes- und kommunaler Ebene, sind
vorhanden. Jetzt geht es darum, die bewilligten Mittel so
schnell wie möglich – zum Teil im wahrsten Sinne des
Wortes – auf die Straße zu bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
schreiben: „Die außerordentliche Größenordnung der
Mittel erfordert besondere Kontrollmöglichkeiten durch
die Öffentlichkeit.“ Ich frage mich, warum wir bei den
Konjunkturpaketen spezielle Kontrollmöglichkeiten


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ole Schröder
brauchen, die anders ausgestaltet werden als bei anderen
Ausgaben im Haushalt.

Wir haben Vertrauen in unsere Kommunen. Wir haben
uns ganz bewusst dafür entschieden, dass ein Großteil
der Mittelvergabe über die Kommunen läuft. Diese wis-
sen zusammen mit den Ländern am besten, wo sie das
Geld für sie am sinnvollsten einsetzen.

Das wird uns natürlich nicht davon abhalten, die Mit-
telvergabe im Einzelfall genauestens zu überprüfen und
notfalls auch die Rückzahlung von Bundesmitteln durch-
zusetzen, wenn die Mittel nicht gemäß den Kriterien ver-
wendet wurden. Hierbei wird uns insbesondere der Bun-
desrechnungshof helfen. Wir als Parlamentarier werden
unserer Kontrollpflicht ebenfalls gerecht werden.


Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1623039500

Um es gleich vorweg zu sagen: Die beiden Konjunk-

turpakete mit einem Umfang von 81 Milliarden Euro ver-
folgen ein Konzept, mit dem wir den weltweiten Konjunk-
tureinbruch zwar nicht vermeiden, aber in Deutschland
mit seiner großen Exportabhängigkeit zumindest abzufe-
dern versuchen. Sie beinhalten einen ausgewogenen Mix
an Maßnahmen, mit dem wir Arbeitsplätze in unserem
Land in dieser Ausnahmesituation sichern wollen.

Ja, wir haben es erfunden, wie Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier zu Recht auf dem SPD-Partei-
tag sagte. Wir Sozialdemokraten haben dabei weitgehend
die Vorschläge des Vizekanzlers in konkretes Regierungs-
handeln umgesetzt, etwa mit dem Investitionsprogramm
für Bildung und Infrastruktur. Die Anhebung des steuer-
lichen Grundfreibetrages im Einkommensteuergesetz,
die Senkung des Eingangssteuersatzes, der Kinderbonus
von 100 Euro pro Kind, die besseren Sozialleistungen für
Kinder sowie die Senkung der Krankenkassenbeiträge
sind Errungenschaften, von denen Familien und Arbeit-
nehmer profitieren und zu denen wir uns deshalb gerne
bekennen. Zugleich haben wir erreicht, dass die Bun-
desagentur für Arbeit einen Teil der Sozialbeiträge für
Kurzarbeiter übernimmt und das Kurzarbeitergeld auf
24 Monate ausgeweitet hat, um Beschäftigung in der
Krise zu sichern.

Und auch das ist wahr: Sowohl der CDU/CSU als
auch den Grünen fehlten die Alternativen oder die große
Idee. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass das von
uns konzipierte Konjunkturprogramm II bei Experten
allenthalben auf ein positives Echo stößt: „Die Richtung
stimmt“, lobte etwa der DGB. Die Erhöhung der Regel-
sätze für Kinder im Bereich des Arbeitslosengeldes II
wurde von den Fachleuten ebenfalls begrüßt. Auch das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung unterstützte in
einer Anhörung des Haushaltsausschusses das Konjunk-
turprogramm. Es sei im europäischen Vergleich respekta-
bel. Die Wirkung der sogenannten Abwrackprämie, die
auf Initiative der SPD in das Konjunkturprogramm auf-
genommen wurde, verdeutliche, was schnelle Maßnah-
men bringen können, unterstrich der DGB. Die Bundes-
vereinigung der kommunalen Spitzenverbände lobte die
vorgesehenen Maßnahmen zur Verbesserung der Infra-
struktur in den Städten und Gemeinden. Es sei hochgra-
Zu Protokoll
dig vernünftig, das Geld zum größten Teil in den Bil-
dungsbereich zu investieren. Der BDI-Präsident sagte im
„Handelsblatt“, die Bundesregierung habe entschlossen
und im Großen und Ganzen richtig agiert. Die gleiche
Quelle zitiert den Vorsitzenden des Sachverständigenra-
tes, Wolfgang Franz: Die Bundesregierung hat auf die
Finanzkrise schnell und angemessen reagiert. Mit den
Investitionen hat sie ein wachstumspolitisch vertretbares
Konjunkturprogramm in Gang gesetzt.

Unsere Konjunkturpakete sind beispielgebend. So hat
etwa Barack Obama in den Vereinigten Staaten mit
„Cash for Clunkers“ die von Frank-Walter Steinmeier
konzipierte Umweltprämie für Neufahrzeuge, mit der Ar-
beitsplätze in der Automobilindustrie gesichert werden,
geradewegs übernommen.

Was machen wir im Einzelnen? Wir investieren in die
Zukunft und sichern damit Arbeitsplätze. Gerade die be-
schlossenen Maßnahmen zur Ankurbelung kommunaler
Investitionen im Bildungsbereich sind besonders geeig-
net, Geld dorthin zu lenken, wo es dringend gebraucht
wird und wo es andererseits direkt in den Wirtschafts-
kreislauf zurückfließt. Besonders als Hauptberichterstat-
ter für den Etat des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung kann ich vollen Herzens und guten Gewissens
die Investitionen in Kindertagesstätten, Schulen oder
Universitäten nur begrüßen. Und die Mittel kommen an.
Mein Bundesland, Rheinland-Pfalz, ist hier vorbildlich.
Zwei von drei abgerufenen Euros aus dem Investitions-
programm des Konjunkturpaktes II gingen bislang dort-
hin. Und ja, ich bin stolz darauf, dass es uns im Haushalts-
ausschuss gelungen ist, bereits im Konjunkturpaket I
zusätzliche 200 Millionen Euro für die Wissenschafts-
organisationen in Deutschland zu mobilisieren. Mit all
diesen Maßnahmen erhalten vor allem kleine und mitt-
lere Unternehmen speziell im Handwerk vor Ort Auf-
träge und sichern Arbeitsplätze.

Wir sichern Beschäftigung. Gerade die arbeitsmarkt-
politischen Maßnahmen wie die Verlängerung der Be-
zugszeit für das Kurzarbeitergeld und die Förderung von
Fortbildungsmaßnahmen sind von enormer Bedeutung
für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten. Die
Bundesagentur für Arbeit stellt in jedem Monatsbericht
eindrucksvoll dar, wie Arbeitslosigkeit, gerade auch im
Vergleich zu Ländern um uns herum, durch Kurzarbeit
und die Neuregelung des Kurzarbeitergeldes vermieden
werden konnte. Die regionalen Arbeitsmarktstatistiken
belegen dies aktuell sehr deutlich.

Mit dem „Wirtschaftsfonds Deutschland“ im Umfang
von 115 Milliarden Euro gewähren wir Finanzhilfen ins-
besondere für mittelständische Unternehmen, die unver-
schuldet in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sind und
eine wirtschaftliche Perspektive haben. Die im Haus-
haltsauschuss dargelegten Zahlen von bislang 1 375 An-
trägen, davon exakt 1 331 aus dem Mittelstand, belegen
dies. Auch die eigenen Erfahrungen in meinem Wahl-
kreis, wo mich täglich Nachfragen zu dem KfW-Pro-
gramm aus dem Mittelstand erreichen, bestätigen mir die
Notwendigkeit des Fonds. Auch dieser sichert Beschäfti-
gung. Arbeit ist allemal besser als Insolvenz. Dazu ste-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Klaus Hagemann
hen wir. Darauf sollte insbesondere auch der Bundes-
wirtschaftsminister achten.

Wir kurbeln die Binnennachfrage an. Mit den steuerli-
chen Verbesserungen für mittlere und untere Lohngrup-
pen, den geringeren Krankenkassenbeiträgen, dem Kin-
derbonus, und mit der verbesserten Absetzbarkeit von
Krankenversicherungsbeiträgen stärken wir in der Krise
die Kaufkraft gerade der unteren und mittleren Einkom-
men, also derjenigen, die ihr Geld nicht gleich aufs Spar-
buch packen oder in Zertifikaten anlegen, und damit die
Inlandsnachfrage. Mit all diesen Maßnahmen wird die
Kaufkraft um mehr als 21 Milliarden Euro gestärkt.

Ich möchte auch nicht verhehlen, dass die Möglichkei-
ten, jetzt, in der Krise zu handeln, erst durch Regierungs-
politik der SPD gegeben sind. Was würden wir heute
wohl tun ohne die mühsam errungenen Erfolge unserer
Arbeitsmarktpolitik, ohne Reserven in den Sozialkassen
und bei der Bundesagentur für Arbeit? In diesen wirt-
schaftlich schwierigen Zeiten muss insbesondere der
Staat entschieden handeln können. Wir brauchen den
modernen Sozialstaat, wie er im Grundgesetz festge-
schrieben ist. Und diesen Sozialstaat dürfen wir nicht
durch falsche Steuersenkungsversprechen künstlich arm
machen – im Interesse der Mehrheit der Menschen, der
solidarischen Mitte.

Nun zur Forderung der Grünen, die Transparenz bei
den Konjunkturpaketen sicherstellen wollen. Die Kritik
der Grünen ist hier völlig fehl am Platze. Selten wurde
die Umsetzung eines Programms so umfangreich im
Haushaltsausschuss mit Sachstandsberichten bis hin zur
Information zu Einzelfallentscheidungen – sogar am
Pfingstsonntag zum Thema Opel – immer wieder beraten
und überwacht. Es gibt eigene, vom Haushaltsausschuss
durchgesetzte Kontrollgremien. Nein, ihr Antrag hilft
keinem und ist daher in der Sache nicht nötig.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1623039600

Wir brauchen dringend mehr Transparenz beim Um-

gang mit den Geldern der Konjunkturpakete der Bundes-
regierung, erstens weil Steuergeld der Bürger verwendet
wird und zweitens weil es sich hier um Beträge handelt,
die wir uns kaum noch vorstellen können. Deshalb ist
eine genau Kontrolle und Transparenz absolut notwendig
und unabdingbar. Es muss für den Bürger nachvollzieh-
bar sein, wo der Staat welches Geld zu welchem Zweck
ausgibt, und es muss auch für das Parlament nachvoll-
ziehbar sein, wie und wo die Exekutive die Geldmittel
ausgibt und dieses steuert und überwacht. Ich halte es für
die Pflicht der Regierung, gegenüber Parlament und
Bürgern größtmögliche Transparenz zu erzeugen. Wo
Transparenz fehlt, liegt die Vermutung nahe, dass etwas
vertuscht werden soll. Deshalb sollte die gebührende
Transparenz der Mittelverwendung eine Bringschuld der
Regierung gegenüber Parlament und Steuerzahler sein
und nicht erst eingefordert werden müssen. Das Handeln
des Staates sollte dabei von Offenheit geprägt sein. Der
Umgang mit dem Geld der Steuerzahler sollte immer so
sparsam und zielgenau wie möglich stattfinden. Das
muss einsehbar für Parlament und Bürger sein.
Zu Protokoll
Mit den beiden Konjunkturpaketen werden die unter-
schiedlichsten Maßnahmen gefördert. Ein roter Faden ist
dabei leider nicht zu erkennen – von energetischer Sanie-
rung über die Abwrackprämie, Ausgaben im Bereich der
Mobilität und zur Sanierung von Kulturdenkmälern so-
wie Zukunftsinvestitionen in Bildung und Infrastruktur,
um nur einige zu nennen. Zur Stützung und zur Stabili-
sierung der Wirtschaft hat die Bundesregierung in zwei
Paketen mehr als 80 Milliarden Euro bewilligt. Hinzu
kommen noch die Mittel für den Sonderfonds Finanz-
marktstabilisierung.

Der Finanzmarktstabilisierungsfonds stellt ein Son-
dervermögen dar, welches außerhalb des Bundeshaus-
halts geführt wird. Die Ausstattung mit öffentlichen Mit-
teln durch Garantien in Höhe von 400 Milliarden Euro
und Liquiditätshilfen von bis zu 100 Milliarden Euro
schafft ein maximales Risiko für die öffentliche Hand von
bis zu 500 Milliarden Euro. Dies entspricht über 30 Pro-
zent der Staatsschulden von Bund, Ländern und Gemein-
den von etwa 1,48 Billionen Euro. Zur Legitimierung
dieses Engagements und zur wirksamen Begleitung der
operativen Stabilisierungsmaßnahmen durch den Deut-
schen Bundestag bedarf es daher einer der tatsächlichen
Vermögens-, Ertrags- und Finanzsituation entsprechen-
den Berichterstattung des Fonds.

In diesem Zusammenhang möchte ich nur kurz erwäh-
nen, dass mit den Konjunkturpaketen vor allem auch
Maßnahmen finanziert werden, die nicht die Branchen
treffen, die von der Krise besonders in Mitleidenschaft
gezogen wurden, wie zum Beispiel die Exportwirtschaft.
Jedes Ministerium hat im Rahmen der Konjunkturpro-
gramme Geld erhalten, um zusätzliche Projekte zu finan-
zieren, auch der Deutsche Bundestag. Ich kann als Haus-
hälter leider nicht erkennen, wie wir mit dem Geld zum
Beispiel für den Deutschen Bundestag Arbeitsplätze si-
chern, die vorher durch die Finanz- und Wirtschaftskrise
bedroht waren.

Bei der Verteilung der Mittel der Konjunkturpakete I
und II wurde das Füllhorn ausgeschüttet über jeden, der
laut genug „hier“ gerufen hat. Viele Dinge, die wir in
den Haushaltverhandlungen aus guten Gründen abge-
lehnt hatten, wurden im Rahmen der Konjunkturpro-
gramme nachträglich nun doch finanziert. Das stellt mei-
nes Erachtens nicht nur die Haushaltsverhandlungen
infrage sondern auch das Selbstverständnis eines jeden
Parlamentariers. Ich befürchte, dass allein die Höhe der
Ausgaben, die wir in den kommenden Jahren tätigen
werden, bei manchen Parlamentariern der Koalition Be-
gehrlichkeiten geweckt hat, auch für seinen Wahlkreis
noch ein paar Euro umzuleiten.

Die Bürgschaften und die Kredite, welche der Staat
über die KfW und den SoFFin, vergibt, müssen transpa-
rent dargestellt und kontrolliert werden. Dabei wäre es
dringend notwendig, dass zur Risikobeurteilung in regel-
mäßigen Abständen Überprüfungen stattfinden würden.
Das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium
müssen belegen, dass die Maßnahmen greifen und die Ri-
siken handhabbar sind. Besonders eine Risikoprüfung
muss regelmäßig durchgeführt werden. Ich habe große
Bedenken, ob bei den verschiedenen Zuständigkeiten und



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Institutionen insgesamt der Überblick erhalten werden
kann.

Auf Drängen der FDP wurde zumindest bei der Er-
stellung des Gesetzes zum Sonderfonds Finanzmarktsta-
bilisierung (SoFFin) ein Gremium geschaffen, in dem wir
Parlamentarier über die Verwendung der Mittel regel-
mäßig informiert werden. Neun Parlamentarier werden
in geheimen Sitzungen informiert. Von Transparenz
kann in diesem Zusammenhang damit sicher nicht wirk-
lich gesprochen werden. Zumindest wurden die betrof-
fenen Banken gesetzlich verpflichtet, Entscheidungen des
SoFFin zu veröffentlichen und damit eine gewisse Trans-
parenz herzustellen.

Transparenz bedeutet für die FDP aber mehr als nur
die Darstellung, wann wie viel Geld an wen abfließt.
Transparenz bedeutet auch die ehrliche Darstellung,
welche Ziele mit dem Geld erreicht wurden. Es ist min-
destens genau so wichtig zu belegen, dass die Maßnah-
men Wirkung hatten. Das bezweifeln wir stark. Denn die
Vergangenheit hat es bereits gezeigt. Konjunkturpro-
gramme haben selten das erreicht, wozu sie aufgelegt
wurden. Dagegen können mit Steuersenkungen wirt-
schaftliche Impulse gegeben werden, die bei den Bürgern
ankommen und über diesen Weg zu mehr Wachstum und
so zur Sicherung von Arbeitsplätzen führen.

Schließlich geht es auch noch um Transparenz gegen-
über den kommenden Generationen. Welche Lasten müs-
sen zukünftige Generationen tragen bzw. abtragen? Da-
rüber muss heute geredet werden, und man muss sich Ge-
danken darüber machen, wie die Schulden realistischer-
weise abgebaut werden können. Die Lasten kommender
Generationen müssen transparent dargestellt werden.
Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut hat in einer Stu-
die festgestellt, dass die Hauptlast des Schuldenabbaus
der heutigen Schulden die Geburtsjahrgänge zwischen
1980 und 2000 zu tragen haben. Unsere Kinder und de-
ren Kinder werden besonders durch die Schulden der
schwarz-roten Koalition belastet werden. Wir kommen
also um eine Reduzierung der Staatsschulden gar nicht
herum, wenn wir diese Jahrgänge nicht mit der Schul-
denlast erdrücken und ihnen auch noch einen Gestal-
tungsspielraum zubilligen wollen.

Wirtschaftsprüfer und Lenkungsausschuss werden
über die Bürgschafts- und Kreditanträge informiert, nur
Parlament und Bürger erfahren nichts. Dabei geht es um
Steuergelder. Parlament und Bürger tragen jedoch das
Risiko. Das geht nicht. Wir wollen mehr Transparenz,
deshalb stimmen wir dem Antrag zu.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623039700

Die Fraktion Die Linke stimmt dem Antrag zu. Bünd-

nis 90/Die Grünen fordern, bei den Konjunkturpaketen I
und II Transparenz sicherzustellen, um öffentliche Kon-
trolle über die Vergabe der Mittel zu ermöglichen. Es ist
ein wichtiger Antrag. Seine Notwendigkeit schlägt mir
bei jedem Gespräch, das ich in meinem Wahlkreis – dem
Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt – führe, entgegen.
Ob Bürgermeister aller Parteien oder Schuldirektorin-
nen und -direktoren, Unternehmerinnen und Unterneh-
mer oder Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft –
Zu Protokoll
sie alle wissen ein Lied davon zu singen, wie undurch-
sichtig die Vergabepraxis bei den Mitteln aus den Kon-
junkturpaketen I und II ist.

Unsere Kritik an dieser Vergabepraxis geht freilich
noch viel weiter, als das im Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen angelegt ist. Nicht nur, dass wir im Angesicht des
Umfanges der Finanz- und Wirtschaftskrise, vor dem die
Bundesregierung nach wie vor die Augen verschließt,
das Volumen dieser Pakete für unangemessen niedrig
halten. Wir meinen auch und vor allem, dass hier die
große Chance eines politischen Paradigmenwechsels
vergeben worden ist. Denn das ist es ja, was uns die Ver-
gabepraxis jeden Tag überdeutlich vor Augen führt: Die
beiden Konjunkturpakete sind ganz so, als sei die Krise
nur ein kleines, schnell zu überwindendes Kriselchen, ein
Instrument des einfachen „Weiter so“.

Gefragt aber ist ein Umsteuern, und zwar ein radika-
les, ein an die Wurzeln gehendes, ein gründliches. Es
glaubt doch mittlerweile kein Mensch mehr, dass man,
indem man Mittel für die Gebäudesanierung bei Schulen
bereitstellt, nicht nur der Krise in der Bauwirtschaft, son-
dern auch gleich noch der Krise im Bildungswesen bei-
kommen kann! Und die hoch gelobte Abwrackprämie –
es wird doch niemand ernsthaft behaupten wollen, dass
sie mehr ist als ein Tropfen auf den heißen Stein. Nichts,
aber auch gar nichts ist hier von einem Umsteuern zu
spüren.

Und genau in dieses Schema des „Weiter so“ passt
auch die Undurchsichtigkeit. In Sachsen-Anhalt hat die
Landesregierung die Vergabe der Mittel monopolisiert.
Sie handelt nach einem klassischen „Von-oben-nach-un-
ten“-Schema. Und das ist ein Grundübel. Das Geld muss
dorthin, wo die Menschen leben – also: in die Kommu-
nen. Und der Anteil, der zentral geplant und vergeben
wird, muss dorthin, wo er wirklich nachhaltig zu wirken
vermag, also: in die Bildung, die Kinderbetreuung, die
öffentliche Daseinsvorsorge und natürlich in die erneu-
erbaren Energien. Die Vergabepraxis hätte ein Ort brei-
ter öffentlicher Debatte darüber werden können, wo das
Steuergeld, aus dem die Konjunkturpakete ja bezahlt
werden, tatsächlich so angelegt wird, dass es die Gesell-
schaft krisenfester macht.

Und ein Schritt in die richtige Richtung wäre auch
– wir bleiben da hartnäckig! – die Einführung eines flä-
chendeckenden Mindestlohnes und die Aufstockung des
ALG-II-Regelsatzes. Die Regierungskoalition verweigert
sich einer solchen Art Konjunkturprogramm immer und
immer wieder, und sie beweist damit nur, dass sie zu ei-
nem zeitgemäßen Umdenken nicht fähig ist. Die jetzige
Krise hat ihre Ursache in einer ungehemmten Umvertei-
lung von unten nach oben. Also muss nun endlich einmal
von oben nach unten zurückverteilt werden. Die Un-
durchsichtigkeit der Konjunkturpakete ist ein überaus
durchsichtiger Beitrag dazu, genau das zu verhindern.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623039800

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat unser Land in

große Schwierigkeiten gebracht. Neben den verheeren-
den Konsequenzen für den Finanzsektor fürchten alle
Bürgerinnen und Bürger besonders die weiteren Folgen



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Omid Nouripour
der Wirtschaftskrise und die Auswirkungen auf den Ar-
beitsmarkt. Die Lage ist leider weiter schlecht.

Wir waren uns in den vergangenen Monaten alle darin
einig, dass der Staat in dieser Lage massiv eingreifen
muss, um zu investieren, um die richtigen Anreize zu set-
zen und um letztendlich Wirtschaftswachstum und Ar-
beitsplätze zu sichern. Leider macht die Große Koalition
dabei vieles falsch. Im Gegensatz zu Ihnen hätten wir
beispielsweise viel schneller investiert. Außerdem hätten
wir nicht solchen ökologischen wie ökonomischen
Quatsch namens Abwrackprämie beschlossen, sondern
hätten sofort gezielt in Zukunftsbranchen investiert. Die
Bundesregierung hat sich aber für den weniger effektiven
und letztendlich weniger nachhaltigen Weg aus der Krise
entschieden.

Wir wissen, dass allein die Konjunkturpolitik der Bun-
desregierung mehr als 80 Milliarden Euro kosten wird.
Diese Woche gab es weitere schlechte Nachrichten von-
seiten der Regierung in Form von drei Insolvenzanträgen
mit den Namen zweiter Nachtragshaushalt 2009, Haus-
haltsentwurf 2010 und Finanzplanung bis 2013. Wenn
man einmal alle Schulden reinrechnet, die Ihre Regie-
rung versucht zu verbergen und in Schattenhaushalten zu
verstecken, zeigt sich das ganze Ausmaß: Bis 2013 wird
der Bund 438 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen
müssen. Diese Summe ist gigantisch. Im Übrigen sind es
laut einer aktuellen Studie der Berenberg Bank und des
Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts insbesondere
die Generationen der von 1980 bis 2000 Geborenen, die
diese Lasten tragen müssen. Da unser Land sich für seine
momentane Konjunkturpolitik wie nie zuvor verschulden
wird, haben die jetzige und alle zukünftigen Generatio-
nen ein Recht darauf, zu erfahren, wo die Steuergelder
momentan hinwandern. Wir hätten nicht nur anders und
sinnvoller investiert als die Große Koalition, sondern wir
hätten den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes auch
mehr davon verraten, was wir da überhaupt machen. Wir
hätten ganz klar gesagt: Diese Summen sind gigantisch,
daher müssen wir mit dem Geld auch die Transparenz er-
höhen. Alle müssen erfahren können, was konkret und
vor Ort mit den Milliarden passiert.

Daher fordern wir – auch in unserem Wahlprogramm –,
dass die Regierung eine Internetseite einrichtet, auf der
alle einzelnen Maßnahmen und Projekte der beiden Kon-
junkturpakete öffentlich einzusehen sind. Jedes Projekt
soll inhaltlich und finanziell beschrieben werden. Es soll
angegeben werden, welche Auftragnehmer und Empfän-
ger von den Maßnahmen profitieren und wie sich das
Projekt auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Wir wol-
len damit erreichen, dass bei der Vergabe und Verwen-
dung dieser unglaublichen Summen Transparenz, Effi-
zienz und Verantwortlichkeit hergestellt werden. Noch
nie war die Gefahr so groß wie jetzt, dass bei diesen gi-
gantischen Summen zu hohe Preise gezahlt werden und
Geld schlicht verschwendet wird. Die besonderen Maß-
nahmen der Konjunkturpolitik erfordern besondere Kon-
trollmöglichkeiten der Öffentlichkeit.

Sagen Sie mir nicht, dass die spärlichen Informatio-
nen auf den Seiten des Finanzministeriums da ausreichen
sollen. Es geht uns um Informationen über jedes einzelne
Projekt. Alle Schüler sollen sehen, was die Veränderun-
gen in ihren Klassenzimmern gekostet haben. Welche
Firma hat vom Straßenbau um die Ecke profitiert? Wa-
rum verzögert sich ein Umbau einer Universität oder
Kita? Waren die Veränderungen das Geld wert? Wie
wurde der Auftrag vergeben? Wie wirkt sich das Projekt
auf die Konjunktur aus? Nebenbei würden die Bürgerin-
nen und Bürger dann auch erfahren, dass Sie ihnen auch
Waffen, Klimaanlagen für Hubschrauber und Kunsteis-
bahnen als Konjunkturpolitik verkaufen wollen.

Es ist einfach und billig. Der amerikanische Präsident
Barack Obama hat es von Anfang an auch gemacht. Im
Gegensatz zur Bundesregierung hat er immer gesagt,
dass mit größeren Ausgaben auch ein Mehr an Transpa-
renz kommen muss. Schauen Sie sich das gute Beispiel
einmal an auf www.recovery.gov. Was soll man denn dage-
gen haben, dass durch ein so einfaches Mittel so viel an
Verantwortlichkeit und Transparenz bei der Vergabe und
Verwendung von Steuermitteln hergestellt wird? Es ist
auch noch nicht zu spät dafür: Wenn man die Abwrackprä-
mie abzieht, sind bis heute noch nicht einmal 50 Millionen
Euro aus dem zweiten Konjunkturpaket abgeflossen. Es
lohnt sich also wirklich noch, eine transparente Über-
sicht zu erstellen.

Ich appelliere an Ihre Verantwortung als Abgeord-
nete. Auch in Ihrem Wahlkreis werden Projekte aus dem
Konjunkturpaket bezahlt. Auch Sie werden regelmäßig
gefragt, was mit den abstrakten Milliarden aus Berlin
vor Ort denn konkret passiert. Alle Abgeordneten müss-
ten ihren Wählern und ihrem Wahlkreis verpflichtet sein,
diesen Antrag mitzutragen. Es gibt keine stichhaltigen
Argumente dagegen, aber viele dafür. Denn Transparenz
ist die beste Medizin gegen Verschwendung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623039900

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12475.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Michael Kauch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Mietrechtsänderungen zur Erleichterung
klima- und umweltfreundlicher Sanierungen

– Drucksachen 16/7175, 16/12370 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1623040000

Wir müssen den Energieverbrauch senken, wenn wir

unser Klima stabilisieren wollen. Unsere Erde wird wär-


(A) (C)



(B) (D)


Norbert Geis
mer, die Gletscher schmelzen. Das Eis an den Polen
schwindet. Der Meeresspiegel steigt.

Freilich gab es immer schon Klimaveränderungen auf
unserer Erde. 1348 war ganz Süddeutschland mitten im
Sommer mit einer Schneedecke überzogen. Die Ernte
verdarb, die Menschen mussten hungern, viele mussten
sterben. Klimaverschiebungen mit weitrechenden Folgen
gab es immer wieder in der Geschichte unserer Erde.
Niemals aber zuvor war der Mensch selbst die Ursache
solcher dramatischen Veränderungen. Steigende Kon-
zentrationen von Kohlendioxid und Methan in der
Atmosphäre haben begonnen, das Klima auf der Erde zu
erwärmen. Ursache ist der übermäßige Verbrauch von
Ressourcen. Nur durch eine nachhaltige Veränderung
des Verhaltens der Menschheit insgesamt können die vo-
raussehbaren katastrophalen Folgen der Erderwärmung
abgewehrt werden.

Eine Möglichkeit, einen wichtigen Schritt zur Stabili-
sierung unseres Klimas zu erreichen, ist die Senkung des
Energieverbrauches. Weltweit ist der Verbrauch fossiler
Brennstoffe angestiegen. Dadurch kam es zu einer deutli-
chen Erhöhung der CO2-Emissionen. Dies hat zu einer
spürbaren Belastung der Umwelt geführt.

Deshalb geht es um Energieeinsparung, weil dadurch
die Emissionen am meisten zurückgeführt werden kön-
nen. Ein großes Einsparpotenzial besteht in der Behei-
zung unserer Wohnungen. Energieeffizientes Bauen ist
der beste Weg, Energiekosten zu sparen, anstatt das Geld
sprichwörtlich zu verheizen. Große Einsparmöglichkei-
ten bestehen darin, Altbauten energetisch zu modernisie-
ren sowie anstehende Zustandserhaltungsarbeiten mit
energieoptimierenden Maßnahmen zu verbinden. Es geht
um den baulichen Wärmeschutz und um effiziente Hei-
zungs- und Warmwassersysteme. Dadurch wird nicht nur
das Klima geschützt, sondern gleichzeitig wird sich ein
sparsamer Umgang mit Energie für jeden Privathaushalt
finanziell mehr und mehr lohnen. Deshalb ist es richtig,
Maßnahmen zu treffen, um die Sanierung von Wohn- und
Geschäftsräumen nicht nur zu erleichtern, sondern auch
entsprechende Anreize zu schaffen. Der Antrag der FDP
geht daher in die richtige Richtung.

In dem Antrag werden drei Schwerpunkte angeführt,
von deren Umsetzung sich die FDP eine bessere Energie-
versorgung und einen besseren Klimaschutz erwartet. So
fordert die FDP in dem Antrag, die Miete erhöhen zu
können, wenn die Sanierungsmaßnahmen durchgeführt
sind und wenn diese eine nachhaltige Einsparung von
Energie und Wasser bewirken. Immerhin ist zu bedenken,
dass vom Gesamtenergieverbrauch eines Privathaushal-
tes 87 Prozent auf Raumheizung und Wasserzubereitung
entfallen. Das größte Energieeinsparungspotenzial liegt
also in der Tat in der energetischen Modernisierung.
Dies gilt insbesondere bei Gebäuden mit einfachem
Dämmungsstandard. Bei neuen Gebäuden sind von vorn-
herein energiesparende Maßnahmen vorgesehen.

Bei solchen Modernisierungsmaßnahmen entstehen
aber in der Regel erhebliche Kosten, die häufig sowohl den
Vermieter als auch den Mieter überfordern dürften. Im
Mietrecht besteht jetzt schon die Möglichkeit für den Eigen-
tümer bzw. Vermieter, die jährliche Miete um 11 Prozent
Zu Protokoll
der Sanierungskosten dauerhaft zu erhöhen, wenn bauliche
Maßnahmen durchgeführt worden sind, die eine nach-
haltige Einsparung von Energie und Wasser bewirken.
Der FDP-Antrag geht aber darüber hinaus. Nach dem
Antrag soll der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen,
mit den Mietern vertraglich Vereinbarungen zu treffen,
um die entstandenen Kosten umlegen zu können. Hierzu
genügt die Mehrheit von drei Vierteln aller Mieter des
entsprechenden Gebäudes, wenn diese 50 Prozent der
Gesamtfläche innehaben. Uns scheint diese Forderung
überzogen. Sie bedenkt zu einseitig Interessen der Ver-
mieter, bedenkt aber zu wenig die schwierige Situation,
in die ein Mieter durch solch eine Mieterhöhung geraten
kann.

Der zweite Schwerpunkt des Antrags bezieht sich auf
die Duldung von Baumaßnahmen, die zur energetischen
Verbesserung durchgeführt werden müssen. Nach § 554
Abs. 2 BGB hat der Mieter Baumaßnahmen zu dulden,
die zur Einsparung von Energie und Wasser durchgeführt
werden. Insoweit ist also schon eine hinreichende gesetz-
liche Grundlage vorhanden, um entsprechende Baumaß-
nahmen durchführen zu können. Die Frage ist aber, ob
auch der Einbau von Solaranlagen eine Maßnahme im
Sinne des § 554 Abs. 2 BGB darstellt. Die Bundesregie-
rung geht davon aus, dass dies der Fall ist. Eine Klarstel-
lung wäre aber notwendig. Dies ist ein Merkposten für
die nächste Legislaturperiode.

Ein weiterer wichtiger Punkt des Antrages sind die
Vorstellung der FDP über die Umlegung der Betriebs-
kosten. Diese Umlegung richtet sich grundsätzlich nach
der Vereinbarung, die Mieter und Vermieter insoweit ge-
troffen haben. Ist im Vertrag nur die Umlegung der
Betriebskosten einer bestimmten Beheizungsart vorgese-
hen, dürfen grundsätzlich auch nur die bei dieser Hei-
zungsart anfallenden Betriebskosten umgelegt werden.
Wird eine gleiche, aber modernere Heizung eingebaut,
kann der Vermieter die insoweit entstehenden Kosten um-
legen, weil es sich um die gleiche Heizungsart handelt.
Probleme treten aber dann auf, wenn der Vermieter im
Zuge der Modernisierung die Beheizungsart wechseln
will. Dies gilt vor allem dann, wenn der Vermieter nicht
mehr selbst für die Wärmeversorgung einsteht, sondern
diese an einen Externen übertragen hat, sogenanntes
Wärme-Contracting. Nach der Rechtsprechung ist für die
Umstellung auf Wärmelieferung die Zustimmung des
Mieters erforderlich, wenn ihm erhöhte oder zusätzliche
neue Kosten auferlegt werden sollen. Stimmt der Mieter
nicht zu, kann der Vermieter nur die nach dem Mietver-
trag zulässigen Wärmekosten umlegen, die dann fiktiv zu
berechnen sind. Hier ist ebenfalls ein Merkposten für die
nächste Legislaturperiode angezeigt. Der Vermieter muss
grundsätzlich die Möglichkeit haben, die ihm durch die
energiewirksamen Baumaßnahmen entstandenen Kosten
auch umlegen zu können.

Alles in allem zielt also der Antrag der FDP schon in
die richtige Richtung, kann aber nicht so umgesetzt wer-
den, wie es vorgeschlagen wird. Es bleibt aber eine wich-
tige Aufgabe für die nächste Legislaturperiode, insoweit
Verbesserungen im Mietrecht einzuführen, damit entspre-
chende Modernisierungsmaßnahmen vom Vermieter auch
ergriffen werden. Der Vermieter wird ja wohl nicht bereit



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Norbert Geis
sein, Modernisierungen vorzunehmen, wenn er diese
nicht umlegen kann. Für ein entsprechendes Umlegungs-
verfahren solcher Kosten ist also zu sorgen.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1623040100

Die FDP behauptet, dass es ihr in ihrem Antrag darum

geht, klima- und umweltfreundliche Sanierungsmaßnah-
men zu fördern. Liest man sich den Antrag dann genau
durch, stellt man schnell fest, dass hier unter dem Deck-
mantel der Ökologie knallhart Klientelpolitik betrieben
wird. Allein der Grundtenor, dass der „ach so selbstlose
Vermieter“ nun so rein gar nichts von entsprechenden
Maßnahmen habe und alleine der Mieter hiervon profi-
tieren würde, geht an der Sache vorbei.

Eine Wohnung, die klima- und umweltfreundlich sa-
niert worden ist, wird nicht nur erhebliche Energiekosten
einsparen, sondern hierdurch bedingt natürlich auch ei-
nen viel höheren Marktwert erhalten. Fliegen die Ener-
giekosten nicht nur so durch den Schornstein, freut es das
Portemonnaie des Mieters und macht das Mietobjekt da-
mit begehrt.

Ebenso wenig nachzuvollziehen sind die Vorschläge
für eine neue Möglichkeit zur Mieterhöhung im Zuge der
Modernisierungsmaßnahmen. Die FDP meint offenbar,
dass jede Mieterhöhung gerechtfertigt sei, solange diese
durch die entsprechenden Betriebskostenersparnisse ge-
deckt sei. Das klingt alles herrlich theoretisch, erklärt
aber noch nicht einmal, was denn hierunter eigentlich zu
verstehen ist.

Betriebskosten in diesem Zusammenhang sind abhän-
gig unter anderem vom Verbraucherverhalten, von der
Preisentwicklung, aber auch vom Klima in der Heiz-
periode. Ich glaube, es ist deshalb äußerst problema-
tisch, hier insoweit zu einer gerechten Darlegung und
Berechnung der tatsächlichen Betriebskostenersparnis
zu kommen. Warum dies dann alles abhängig sein soll
von einem Dreiviertelvotum der Mieter, erschließt sich
mir dabei überhaupt nicht. Abgesehen davon, das hier-
durch in individuelle Vertragsbeziehungen eingegriffen
werden würde, hätte der Mieter von einer Zustimmung
doch eigentlich nichts, da eine etwaige Betriebskostener-
sparnis ihm nicht zugutekommen, sondern durch die ent-
sprechende Mieterhöhung aufgefressen werden würde.

Warum die Rechte des Mieters bei energetischen Bau-
maßnahmen beschnitten werden sollen und keine Miet-
minderung gelten gemacht werden darf, bleibt schleier-
haft. Entscheidend für eine Mietminderung ist doch die
nicht unerhebliche Minderung des vertragsgemäßen Ge-
brauchs der Mietsache.

Ist also eine Baumaßnahme so umfangreich, das zum
Beispiel ein Teil der Wohnung gar nicht oder nur einge-
schränkt genutzt werden kann, so wird nach der gelten-
den Rechtslage nicht der volle Mietzins geschuldet. Dies
ist nur gerechtfertigt, da der Mieter ja auch nicht die ihm
geschuldete Leistung vertragsgerecht erhält. Deshalb
kann und darf es auch keinen Unterschied machen, was
letztendlich der Grund hierfür ist. Es kann doch nicht
sein, dass eine Wohnung aufgrund entsprechender Um-
bauten quasi eine Baustelle und damit nicht zu bewohnen
Zu Protokoll
ist, und der Mieter, der sich gegebenenfalls deshalb so-
gar übergangsweise nach Ersatzwohnraum umsehen
muss, gleichwohl den vollen Mietzins zu entrichten hat.

Dafür, dass die FDP hier unter dem Deckmantel der
Ökologie knallharte Klientelpolitik betreiben will,
spricht auch der Vorschlag zur Vereinfachung der Um-
lage von Modernisierungserhöhungen. § 559 BGB gibt ja
schon die Möglichkeit, die Kosten einer Modernisierung
auf den Mieter umzulegen. Die Anforderungen hierfür
erscheinen nicht überzogen und zumutbar und haben
sich – dies zeigt nun einmal die Praxis – bewährt. Warum
von der bewährten Praxis abgewichen werden soll, ist
deshalb ebenso schleierhaft, wie die Vorstellung, dass
man bei der Vielzahl von Modernisierungsmaßnahmen
Pauschalwerte zulassen sollte, lebensnah ist.

Die FDP muss sich wirklich einmal fragen lassen, was
den so verkehrt daran sein soll, das die Kosten für eine
Modernisierung vernünftig darzulegen und dann ange-
messen zu verteilen sind; zumal ja der Vermieter nach
billigem Ermessen den Verteilungsschlüssel bestimmen
kann.

Wenn die FDP abschließend die Umlage der Betriebs-
kosten erleichtern möchte, bleibt unklar, was sie damit
meint. Ich würde schon einmal vorschlagen, dass man
vor einem solchen Antrag sich zunächst einmal genau
damit beschäftigt, was unter Modernisierung – explizit
energetische Sanierung – eigentlich zu verstehen und
was insoweit alles bereits umlegbar ist.

Mir bleibt abschließend deshalb nur festzustellen, das
der Antrag der FDP so nie und nimmer unsere Zustim-
mung finden wird.


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1623040200

Zwei Themen sind es, die uns und die Öffentlichkeit in

den vergangenen Jahren ganz besonders beschäftigt ha-
ben und uns auch über diesen Tag hinaus beschäftigen
werden: der Klimaschutz und die Folgen der gegenwär-
tigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir wollen – das ist
ja ein parteiübergreifender Konsens – den Ressourcen-
verbrauch und den CO2-Ausstoß unserer Volkswirtschaft
senken, um Umwelt und Klima zu schonen – und wir wol-
len stabiles Wachstum generieren, um Arbeitsplätze zu
erhalten und die Krise zu überwinden.

Wachstum und Klimaschutz, das klingt für manche
nach einem inneren Widerspruch – und in vielen Fällen
stehen die beiden Ziele tatsächlich in einem latenten
Spannungsverhältnis. Umso wichtiger sollten uns aber
gerade jene Wirtschaftszweige sein, in denen die beiden
Ziele nicht im Geringsten in einem Konflikt stehen, son-
dern im Gegenteil sich vielfältige Synergien nutzen las-
sen. Das gilt für die Wohnungs- und Immobilenwirtschaft
vielleicht wie für keinen anderen Wirtschaftszweig.

Nur zur Erinnerung: Der Gebäudebereich hat einen
Anteil von 40 Prozent am gesamten Endenergiever-
brauch in Deutschland. 20 Prozent des CO2-Ausstoßes in
Deutschland entstehen hier. Dabei haben viele Wohnun-
gen, aber auch Industrie- und Geschäftsgebäude immer
noch eine unzureichende Dämmung oder alte Kessel-
und Heizungsanlagen – da wird nicht nur für drinnen,



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
sondern auch für draußen geheizt. Das ist sowohl ökono-
misch als auch ökologisch fatal. Es ist deshalb kein Wun-
der, dass Haus- und Wohnungseigentümer an sich ein
großes Interesse daran haben sollten, ihr Gebäude ener-
getisch zu sanieren – nicht aus Selbstlosigkeit, sondern
um Energie und damit Kosten zu sparen. Für die Bau-
wirtschaft bedeutet dies entsprechende Aufträge – die
Sanierung schafft und erhält damit Arbeitsplätze.

So weit die an sich einfache, symbiotische Beziehung
zwischen Klima- und Wirtschaftspolitik in diesem Markt-
segment. Die Bundesregierung hat diese Entwicklung
durch eine Strategie des Forderns und Förderns zu unter-
stützen versucht – durch die fortlaufende Verschärfung
der Energieeinsparungsverordnung auf der einen und die
Förderung energetischer Sanierungen durch das CO2-
Gebäudesanierungsprogramm auf der anderen Seite
sollte der Erneuerungsprozess im Gebäudebereich be-
schleunigt werden.

Ein Blick auf die nackten Zahlen zeigt allerdings, dass
die bisherige Politik dieses Ziel nicht erreicht hat. Das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird zwar zumindest
in bestimmten Marktsegmenten gut angenommen – vor
allem bei Selbstnutzern sowie großen Wohnungsunter-
nehmen. Bundesweit erreichen wir derzeit allerdings
nicht einmal eine Sanierungsquote des Gebäudebestan-
des von zwei bis drei Prozent. Das heißt, es werden sogar
noch weniger Gebäude saniert, als es notwendig wäre,
um den Gebäudebestand im normalen Turnus zu sanie-
ren, von einer Beschleunigung des Sanierungsprozesses
ganz zu schweigen. Diese banale Wahrheit musste selbst
die SPD in ihrem Programm für die Bundestagswahl an-
erkennen – zu einer ehrlichen Analyse für die Ursache
dieses Scheiterns hat es dann allerdings nicht mehr ge-
reicht.

Das Problem ist, und damit kommen wir zum eigentli-
chen Kern dieser Debatte, dass vor allem für private Ver-
mieter, aber selbst für viele Wohnungsunternehmen der
Anreiz für eine Sanierung ihrer Wohnungsbestände denk-
bar gering ist. Wir haben hier, mit den Worten des Präsi-
denten des Bundesumweltamtes Andreas Troge, ein In-
vestor-Nutzer-Dilemma: Der Vermieter hat in erster
Linie Aufwand, Ärger und Kosten – während die finan-
ziellen Vorteile durch die Senkung der Energiekosten al-
leine dem Mieter zugute kommen. Mit anderen Worten:
Die Sanierung rechnet sich einfach nicht. Die Frage, die
wir uns einfach stellen müssen, lautet deshalb: Was kön-
nen wir tun, um den Aufwand für die Eigentümer zu ver-
ringern und den Nutzen zu erhöhen, damit ein Sanie-
rungsschub erfolgt, von dem am Ende Eigentümer,
Mieter, Umwelt und Wirtschaft profitieren?

Die FDP-Bundestagsfraktion hat hierzu einen Antrag
vorgelegt, in dem wir mögliche Änderungen im Mietrecht
skizziert haben. Wir wollen beispielsweise die Möglich-
keit schaffen, dass Eigentümer und Mieterschaft neben
der herkömmlichen Modernisierungsmieterhöhung auch
eine – eventuell höhere – Mieterhöhung vertraglich ver-
einbaren können. Dafür muss der Vermieter dem Mieter
eine Betriebskostenersparnis mindestens in Höhe der
Mieterhöhung garantieren. Nützlich wären außerdem
zum Beispiel Ausnahmen bei den Duldungspflichten und
Zu Protokoll
den Regelungen zur Mietminderung: Baumaßnahmen,
die überwiegend zur energetischen Sanierung oder zu
anderen Umweltschutzzwecken durchgeführt werden,
sollten vom Mieter in jedem Fall zu dulden sein und nicht
zur Mietminderung berechtigen. Denn es ist einfach un-
vernünftig, wenn bauliche Maßnahmen, von denen am
Ende vor allem auch die Mieter durch eine Senkung der
Nebenkosten profitieren, am Ende dadurch bestraft wer-
den, dass der Eigentümer während der Bauphase auf
50 Prozent oder mehr der ihm zustehenden Miete ver-
zichten muss. Solange solche Regelungen in Deutschland
bestehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn gerade
bei finanzschwachen Eigentümern, denen nur wenige
Wohnungen oder vielleicht ein oder zwei Häuser gehö-
ren, die Bereitschaft für eine energetische Sanierung ih-
rer Gebäude nahezu gleich Null ist.

Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, braucht es ei-
gentlich nur ein wenig gesunden Menschenverstand. Si-
cherlich kann man sich über die Details streiten, wie sol-
che Regelungen ausgestaltet werden müssten – aber in
der Sache muss man bei einer ehrlichen Analyse der Fak-
ten zu dem Ergebnis kommen, dass entsprechende Refor-
men zwingend notwendig sind, wenn wir eine deutliche
Erhöhung der Sanierungsquote in den nächsten Jahren
erreichen wollen. Ich bedauere es daher ausdrücklich,
dass vor allem die SPD in den Beratungen lieber auf bil-
lige Polemik gegen die Vermieter und Wohnungseigentü-
mer statt auf eine konstruktive Diskussion gesetzt hat.

Allerdings ist wahrscheinlich von Ihnen, verehrte Kol-
leginnen und Kollegen, in der Sache zurzeit nichts ande-
res zu erwarten. Die pauschale Unterstellung, die Sie in
Ihrem Bundestagswahlprogramm erheben, dass die Ver-
mieter das Instrument der Modernisierungsmieterhö-
hung dazu missbrauchen würden, den Preis ihrer Woh-
nungen in die Höhe zu treiben, spricht Bände. Schon der
Blick auf die real sehr niedrige Sanierungsquote in
Deutschland zeigt ja bereits, dass das allenfalls ein Ein-
zelfallproblem sein kann und die Modernisierungsmie-
terhöhung in ihrer jetzigen Form sicherlich keine große
Anreizwirkung für die Eigentümer hat. Dass Sie, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ausweislich Ih-
res Wahlprogramms die bisher bestehende Regelung so-
gar noch weiter eingrenzen wollen, würde die energeti-
schen Sanierungen im Mietbereich dann wahrscheinlich
ganz zum Erliegen bringen. Es ist geradezu abenteuer-
lich, wie Sie in dieser Debatte plötzlich alte Klassen-
kampfrhetorik wiederentdecken und einen vollkommen
anachronistischen Gegensatz zwischen Eigentümern und
Mietern heraufbeschwören. Dabei sollte es an dieser
Stelle doch eigentlich um die Frage gehen, wie durch
eine kluge Ordnungspolitik Investitionen erleichtert wer-
den können, die am Ende den Eigentümern ebenso nutzen
wie den Mietern, der Umwelt und der Wirtschaft. Mit Ih-
rer ideologisch und vielleicht auch wahlkampftaktisch
getriebenen Blockadepolitik schaden Sie am Ende allen
Beteiligten.

Für die FDP ist mit dieser Debatte das Thema jeden-
falls nicht beendet. Klimaschutz und Wirtschaftspolitik
werden die zentralen Herausforderungen auch der kom-
menden Legislaturperiode sein – die Sanierung des Woh-
nungsbestandes und damit auch die ökologische Moder-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring
nisierung des Mietrechts bleiben daher für uns auf der
Tagesordnung.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623040300

Diesen Antrag kann man nur ablehnen. Ich danke Ih-

nen für Ihre Aufmerksamkeit. – Viel mehr wäre zu den
von den Liberalen beantragten „Mietrechtsänderungen
zur Erleichterung klima- und umweltfreundlicher Sanie-
rungen“ im Grunde genommen nicht zu sagen. Denn die
FDP treibt mit ihrem auf Drucksache 16/7175 veröffent-
lichten Begehren eine Chimäre in die Arena dieses Ho-
hen Hauses. Eine Chimäre ist ein Trugbild, etwas, das
nur in der Einbildung von einer oder mehreren Personen
existiert – wie hier in der Gruppe der FDP-Abgeordne-
ten, die offensichtlich ein Problem mit dem deutschen
Mietrecht haben und das Mietrecht gegen den Schutz von
Klima und Umwelt in Stellung bringen wollen.

Auf dem Papier ihres Antrages tarnt sich die Chimäre
als Retter von Umwelt und Klima, die im Interesse einer
stärkeren energetischen Sanierung vor allem ein
Haupthindernis aus dem Weg zu räumen habe – eben je-
nes Mietrecht, das – so die Antragsteller – die Mieter
nicht ausreichend zum Dulden von Modernisierungs-
maßnahmen zwinge. Denn dies gelte nach überwiegen-
der Rechtsauffassung nur, wenn die Mieter von der Maß-
nahme der Modernisierung finanziell profitierten. Ist
dies nicht der Fall, dann könne der Mieter der Moderni-
sierung von vornherein widersprechen, weil es dadurch
zu keiner Einsparung komme. Daher könne der Vermie-
ter nach der energetischen Sanierung die Betriebskosten
für die neuen Anlagen in der Regel nicht auf die Mieter
umlegen, bedauert die FDP, da diese zumeist nicht Be-
standteil des Mietvertrages seien. Neben anderen angeb-
lichen Nachteilen habe der Vermieter keinen Anteil an
den durch die energetische Sanierung erzielten Einspa-
rungen, da die sinkenden Nebenkosten allein dem Mieter
zugutekämen. Der Präsident des Bundesumweltamtes,
Andreas Troge, habe diesen Umstand als Investor-Nut-
zer-Dilemma bezeichnet. Was aber ist ein Dilemma? Ein
Dilemma bezeichnet in seiner wörtlichen Bedeutung
nichts anderes als die Entscheidung zwischen zwei
schlechten Lösungen. In unserem Fall ist es jedoch einfa-
cher, da es das angebliche Problem, für das angeblich
Lösungen gefunden werden müssten, gar nicht gibt.

Aber folgen wir zunächst noch einen Augenblick der
Argumentation und der etwas eigenartigen Logik der An-
tragsteller. Nach ihrer Darstellung lasse die einseitige
Belastung des Eigentümers viele Vermieter vor der ener-
getischen Sanierung zurückschrecken. Zusätzliche Vor-
gaben für den Fall einer Gebäudesanierung würden vor
diesem Hintergrund als zusätzlicher negativer Anreiz
wirken, sodass der Eigentümer im Zweifelsfall die Sanie-
rung eines Objektes weiter verzögert. Daraus lernen wir,
dass die deutschen Mieter eine große Schuld am Klima-
wandel tragen, da sie unter unerschrockener Beihilfe des
deutschen Mietrechtes die energetische Sanierung ihrer
Wohnungen zu verhindern wissen und sich damit als
Feinde der Umwelt erweisen. Oder wie es kurz, knapp
und scheinbar logisch in der Drucksache 16/7175 heißt:
Das Haupthindernis für eine stärkere energetische Sa-
nierung im Gebäudebereich ist das Mietrecht.
Zu Protokoll
Und was schlagen nun die wackeren Verteidiger der
energetischen Sanierung und die Kämpfer gegen nega-
tive Anreize vor? Man kann es sich denken. Die Antrag-
steller fordern den Gesetzgeber zu neuen Rahmenbedin-
gungen und zum Setzen auch positiver Anreize für den
Eigentümer auf, damit das Mietrecht nicht länger der
umweltfreundlichen Sanierung im Wege steht. Das gefor-
derte Gesetz solle die energetische Sanierung von Wohn-
und Geschäftsgebäuden erleichtern.

Erleichtern, das hört sich gut an, das hört sich schön
an und sehr positiv. Aber natürlich taucht an dieser Stelle
sofort die Frage auf, was und wer da eigentlich erleich-
tert werden soll, und vor allem auf wessen Kosten. Grei-
fen wir ein, zwei entscheidende Vorschläge der Antrag-
steller heraus. So sollen zum Beispiel Baumaßnahmen,
die zur energetischen Sanierung oder zu anderen Um-
weltschutzzwecken durchgeführt werden, künftig zu dul-
den sein und nicht zur Mietminderung berechtigen. So
sollen die Umlagen von Modernisierungsmieterhöhun-
gen auf die einzelnen Wohneinheiten vereinfacht werden,
zum Beispiel durch die Zulassung von Pauschalwerten.
Damit wird klar, wer hier erleichtert werden soll: der
Mieter. Unter Hinweis auf ein so positiv besetztes Krite-
rium wie die Umweltfreundlichkeit – zu der die energeti-
sche Sanierung zweifelsohne beiträgt – sollen die Lasten
wieder einmal die Mieter tragen.

Nun ist es aber so, dass das BGB tatsächlich den Tat-
bestand der Duldung von Modernisierungsmaßnahmen
kennt, unter der Bedingung, dass der Wohnwert verbes-
sert wird. In den letzten Jahren wurden die Mieten aller-
dings schon oft genug erhöht, ohne dass eine solche
Wohnwertverbesserung durch Modernisierungsmaßnah-
men stattgefunden hat. Der Spielraum, der den Mietern
überhaupt noch bleibt, ist auf diese Weise in den letzten
Jahren schon fast bis zur Unmöglichkeit verkleinert wor-
den. Ehe wir über eine stärkere Beteiligung der Mieter
an der energetischen Sanierung ihrer Wohnungen spre-
chen, müssten wir wohl zunächst über angemessenere
Mieten sprechen, denn das Wohnen muss bezahlbar blei-
ben. Das schließt die Forderung nach der „Warmmieten-
neutralität“ ein; die Umlage für die Sanierung darf kei-
nesfalls teurer werden als die auf diese Weise erreichte
Einsparung der Heizkosten.

Und noch etwas: Das von der FDP hier zum
Haupthindernis für eine energetische Sanierung erklärte
Mietrecht erlaubt es den Vermietern, die Miete alle drei
Jahre um 20 Prozent zu erhöhen, und zwar ohne jede Ge-
genleistung. Nach demselben geltenden Recht kann der
Vermieter pro Jahr 11 Prozent der für die Wohnung auf-
gewendeten Modernisierungskosten auf die Miete auf-
schlagen. Doch auch wenn die Kosten für die Moderni-
sierung längst abbezahlt sind, verbleibt die Miete auf
dem höheren Niveau. Auch diese Fakten gehören zu ei-
nem vollständigen Gesamtbild, wenn von den Auswir-
kungen des deutschen Mietrechts die Rede ist.

Was das auch hier angesprochene Investor-Nutzer-Di-
lemma angeht, so soll an dieser Stelle noch einmal an die
vielfältigen Möglichkeiten zum Nutzen von entsprechen-
den Fördermitteln erinnert werden. Das sind durchaus
positive Anreize. Allerdings fordert die Linke im Interesse



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Heidrun Bluhm
der Mieterinnen und Mieter eine Umstellung der Förde-
rung von der bisherigen Darlehensbasis auf Zuschüsse,
die nicht zurückgezahlt werden müssen. Gerade Zu-
schüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, können
den Teilnehmerkreis an Fördermaßnahmen für die ener-
getische Sanierung erweitern, die sich eine andere Art
und Weise der Energieeinsparung am Haus und in der
Wohnung nicht leisten können. Im Übrigen sollte auch
bei der energetischen Sanierung der eigenen vier Wände
die gesamte Handwerkerrechnung steuerlich absetzbar
sein. Denn Umweltfreundlichkeit und energetische Sa-
nierung sind eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft
betrifft.

Mindestens ebenso wichtig wie das Kriterium der Um-
weltfreundlichkeit sollte in Zukunft das Kriterium der
Mieterfreundlichkeit werden, wozu auf jeden Fall ein en-
ergiesparendes und bezahlbares Wohnen gehört.

Die Behauptung, wonach das bisherige Mietrecht das
Haupthindernis für eine stärkere energetische Sanierung
im Gebäudebereich sei, ist eine unbewiesene Behaup-
tung, ein mieterunfreundlicher Vorschlag und eine Chi-
märe dazu, die aus dieser Arena gejagt werden sollte. Die
Linke lehnt den Antrag deshalb aus guten Gründen ab.


Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623040400

Zunächst ist es erfreulich, dass sich auch die FDP für

das Thema Klimaschutz und energetische Gebäudesanie-
rung interessiert. Denn hier liegt ein besonders wichtiges
Zukunftsfeld zur Erfüllung der Klimaschutzziele. Deutsch-
land ist gebaut, das heißt, Neubau findet nur noch in gerin-
gerem Maße statt. Aber unser Gebäudebestand entspricht
zu 70 Prozent nicht einmal ansatzweise den technischen
und energetischen Anforderungen des 21. Jahrhunderts
und steht daher in den nächsten Jahren dringend zur Sa-
nierung an. Dabei gilt es neue Anreize zu schaffen, um
die Sanierungsquote signifikant zu steigern. Es besteht
sicherlich Konsens darüber, dass sowohl Vermieter als
auch Mieter und der Staat gemeinsam an der Erreichung
der Klimaschutzziele am Bau arbeiten und dass die bis-
herigen Bemühungen verstärkt werden müssen. Aber die
Stoßrichtung der FDP in ihrem Antrag ist falsch. Denn
die Hauptlast würde damit dem schwächsten Glied in der
Kette, nämlich den Mietern, aufgebürdet. Das überrascht
nicht, denn schließlich wissen wir zu gut, dass der Antrag
die Handschrift von Haus & Grund trägt, deren Forde-
rungen wir aus diversen Fachgesprächen kennen. Aber
die Lösung des wesentlichen Problems, nämlich die ener-
getische Gebäudesanierung wirksam zu stimulieren,
lässt sich wohl kaum über eine Mietrechtsänderung er-
zielen.

Wir stimmen jedoch dem Ansinnen zu, dass mehr für
den Klimaschutz und zur Erreichung der von der Bundes-
regierung zugesagten Klimaschutzziele getan werden
muss. Dies kann aber nur im Dreiklang von Staat, Ver-
mieter und Mieter geschehen. Neben der bereits beste-
henden Förderkulisse ist neben weiteren finanziellen und
steuerlichen Anreizen auch über ein schärferes Ord-
nungsrecht nachzudenken. Psychologen wissen, dass
„Strafen“ bzw. deren Vermeidung eine deutlich größere
Wirkung zeigen als Belohnungen; vielleicht wäre das mal
Zu Protokoll
ein neuer Strategieansatz. Eine Diskussion wert scheint
mir die verbesserte steuerliche Abschreibung von ener-
getischen Sanierungsarbeiten. Das könnte schnelle Ef-
fekte erzielen und die energetische Sanierung voranbrin-
gen. Auch auf die Konjunktur hätte es positive
Auswirkungen, da Investitionen in den Bestand relativ
schnell zu realisieren sind.

Dagegen kann eine Mietrechtsänderung wohl kaum
erreichen, dass die energetische Sanierung schneller vo-
rankommt. Schon heute tragen die Mieter erhebliche Be-
lastungen durch Sanierungsarbeiten. Die Forderung der
FDP ist haarsträubend, künftig ein Mietminderungsrecht
während Sanierungsarbeiten im Allgemeinen und ener-
getischer Sanierungen im Besonderen zu verweigern.
Machen Sie doch mal so eine Sanierung mit. Die Unan-
nehmlichkeiten sind groß: Lärm ab frühmorgens, Staub
und Dreck vor und in der Wohnung sowie eine einge-
schränkte Privatsphäre durch die Bauarbeiten in der
Wohnung. Dass dieser Sachverhalt eine Mietminderung
rechtfertigt, ist ja wohl eindeutig.

Außerdem ist festzuhalten, dass die Erhöhungen der
Kaltmiete nach einer umfassenden Modernisierung die
Einsparungen durch verringerte Betriebskosten häufig
deutlich übersteigen, wobei das in vielen Fällen auch ak-
zeptiert wird, wenn sich die Wohnqualität insgesamt ver-
bessert. Das viel zitierte Nutzer-Investor-Dilemma stellt
sich in der Realität ganz anders dar: Es gibt eine große
Investitionszurückhaltung, die der Notwendigkeit einer
zeitnahen Modernisierung entgegensteht. Die Gründe
mögen vielfältiger Natur sein und nicht unbedingt immer

(gerade in schrumpfenden Regionen)

boomenden Regionen die Investorenträgheit besonders
stark ausgeprägt ist, getreu dem Motto: „Warum soll ich
etwas energetisch sanieren, wenn ich auch schon so
10 Euro pro Quadratmeter in der Kaltmiete erlösen
kann?“

Vor diesem Hintergrund ist darüber nachzudenken, ob
es Mietern ermöglicht werden sollte, bei einer Wohnung
mit sehr schlechtem energetischem Standard die Miete
mindern zu können. Da Belohnungen ja offensichtlich
weniger Wirkung zeigen als Bestrafungen, ist dies viel-
leicht der Ansatz, der am schnellsten zum Ziel kommt.
Zustimmung findet der Antrag, wenn es um das Contrac-
ting geht. Es ist sicherlich nicht der Königsweg, aber
insgesamt sind im Großwohnungsbau mit mehr als zehn
Wohneinheiten durch Energie- oder Wärme-Contrac-
ting erhebliche Energiesparmaßnahmen möglich. Diese
Chance sollte daher zukünftig besser genutzt und erleich-
tert werden. Ein Sachverständigengutachten ist in der Tat
dringend notwendig, damit hier endlich die Potenziale
ausgeschöpft werden können.

Um den Klimaschutz im Gebäudebereich voranzu-
bringen, ist ein Bündel an Maßnahmen nötig. Aus-
schließlich die Mieter in die Verantwortung zu nehmen,
ist der falsche Ansatz. Vielmehr müssen Vermieter, Mie-
ter und der Staat gemeinsam an dem Ziel der Steigerung
der Energieeffizienz arbeiten. Die Klimaschutzziele sind
hoch gesteckt, aber wenn alle mitmachen, können sie
noch erreicht werden.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
Da ich nicht mehr für den 17. Deutschen Bundestag
kandidiere, werde ich die Bemühungen künftig von „au-
ßen“ weiter verfolgen. Um die gesteckten Klimaschutz-
ziele zu erreichen, wünsche ich Ihnen, meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen, daher viel Kraft für die
kommenden Jahre.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623040500

Es liegt eine persönliche Erklärung nach § 31 der Ge-

schäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/12370, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/7175 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 45 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Krankenversicherung für Selbständige be-
zahlbar gestalten

– Drucksachen 16/12734, 16/13260 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Karl Lauterbach


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1623040600

Bereits am 14. Mai, also vor gerade einmal sieben

Wochen, war der heute zu debattierende Antrag der Lin-
ken Gegenstand einer Bundestagsdebatte. Ich hatte mir
bei dieser Gelegenheit bereits erlaubt, für meine Frak-
tion ein gewisses Erstaunen zum Ausdruck zu bringen,
nämlich Erstaunen darüber, dass die Linke im Titel ihres
Antrags den Eindruck erweckt, als habe sie das Wähler-
potenzial der Selbstständigen entdeckt. Schließlich lautet
der Antrag: „Krankenversicherung für Selbstständige
bezahlbar gestalten“. Doch erwartungsgemäß geht es
der Linken um diejenigen, die wir landläufig als selbst-
ständig Tätige kennen, ja auch gar nicht. Vielmehr geht
es ihr einmal mehr darum, Hartz-IV-betroffene Versi-
cherte in der GKV und solche, die lediglich aus systema-
tischen Gründen der PKV zugeordnet sind, vor einer
Überforderung durch Beitragspflichten zu schützen.

Für den im Antrag der Linken angesprochenen Be-
reich der GKV-Versicherten möchte ich ausdrücklich
feststellen: Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
sind bereits deutliche Verbesserungen im Hinblick auf
die Beitragsbelastung von gesetzlich krankenversicher-
ten Selbstständigen erreicht worden. Hier leistet die Soli-
dargemeinschaft der übrigen Krankenversicherten und
zunehmend auch die Gemeinschaft aller Steuerzahler be-
achtliche Unterstützung.

1) Anlage 7
Was aber tatsächlich schwer nachvollziehbar ist, sind
die doch erheblichen Ungereimtheiten bei freiwillig ver-
sicherten Grundsicherungsempfängern, die der privaten
Krankenversicherung zugeordnet sind. Es ist erfreulich,
dass sie infolge der Pflicht zur Versicherung inzwischen
grundsätzlich Krankenversicherungsschutz genießen.
Wenn sie als privat versicherte Selbstständige aber
schlicht nicht mehr in der Lage sind, ihre Prämienlücke
im Bereich des PKV-Basistarifs aus eigener Kraft schlie-
ßen zu können, so dürfen diese Lasten nicht einfach auf
die Versichertengemeinschaft übergewälzt werden. Ich
jedenfalls habe Verständnis für die Kritik daran, wenn
Hartz-IV-bedürftige ehemals Selbstständige gut 40 Pro-
zent ihrer Arbeitslosenunterstützung ihrem Krankenver-
sicherungsunternehmen schulden.

Der gerade erst in dieser Woche erschienene und ja
wohl völlig zutreffende Bericht im Nachrichtenmagazin
„Spiegel“ legt den Finger genau in diese Wunde. Sein Titel
„Armut per Gesetz“ ist zumindest alles andere als ein
Kompliment für eine Gesundheitsministerin, die ansonsten
größten Wert auf soziale Ausgewogenheit legt. Ich selbst
darf für mich in Anspruch nehmen, auf diese Ungereimt-
heit im Zuge der damaligen parlamentarischen Beratun-
gen zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz und darüber
hinaus hingewiesen zu haben. Nur habe ich bei den Ver-
antwortlichen des Bundesgesundheitsministeriums leider
kein Gehör gefunden.

Hier besteht also tatsächlich Nachbesserungsbedarf.
Der sauberste Weg besteht wohl darin, dass im Falle des
Eintretens von Hilfebedürftigkeit bei privat versicherten
Selbstständigen die Kosten in voller Höhe von den jewei-
ligen Sozialversicherungsträgern zu tragen sind. Sach-
gerecht wäre es, solche Unterstützungsleistungen nach
den allgemein gültigen Bedürftigkeitskriterien über Zu-
schüsse des Steuer- und Sozialtransfersystems zu leisten.

Es sollte zwischen freiwillig GKV-versicherten Grund-
versorgungsempfängern und PKV-zugeordneten Hartz-IV-
Empfängern im Falle der Hilfsbedürftigkeit keine Unter-
scheidung getroffen werden. Wenn in der GKV die Ge-
meinschaft der Steuerzahler über die Träger der Grund-
sicherung Hilfe leistet, so muss dies in vergleichbarer
Form auch für andere Versicherte gelten.

Der Schutz Hilfebedürftiger vor finanzieller Überfor-
derung durch Krankenversicherungsbeiträge ist eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe der Steuerzahler und
nicht einzelner Versichertengemeinschaften. In der ge-
setzlichen Krankenversicherung haben wir dafür inzwi-
schen ja einen beachtlichen Bundeszuschuss aus Steuer-
mitteln verankert. Unerledigt bleibt hier das gerade auch
von der Bundesgesundheitsministerin gegenüber ihren
Bundesministerkollegen Scholz und Steinbrück verfoch-
tene Anliegen, die übrigen Sozialtransfer-Institutionen
auf kostendeckende GKV-Beiträge für die medizinische
Versorgung von Hilfsbedürftigen im Sinne des Sozial-
rechts zu verpflichten. Einen solchen Bundeszuschuss für
gesamtgesellschaftliche Aufgaben kennt die PKV nicht.
Auch deshalb ist es weder sachgerecht noch angemessen,
die dortige Versichertengemeinschaft in einer Geiselhaft
mit der Kompensation für Beitragsausfälle zu belegen.


(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
Diese Stoßrichtung der Linken lehnt die Unionsfraktion
ab.

Ich darf zusammenfassen: Unbestreitbar existieren
bei der Ausgestaltung der Beitragspflichten zur Kran-
kenversicherung für eng begrenzte Personengruppen
Ungereimtheiten, die von den Betroffenen als ungerecht
und richtigerweise auch als korrekturbedürftig empfun-
den werden. Nur sollte man diese Ungereimtheiten nicht
jeweils einer isolierten Lösung zuführen. Denn mit jeder
vermeintlichen Gerechtigkeitslücke, die wir schließen,
reißen wir neue auf. Im Steuerrecht ist dies nicht anders.
Ich plädiere deshalb mit Nachdruck für eine umfassende
Bestandsaufnahme. Danach sollten wir uns gemeinsam
um Korrekturen bemühen, die allen Betroffenengruppen
gerecht werden.


Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1623040700

Der Antrag der Partei der Linken, die sich hier bemer-

kenswerterweise als Partei der Selbstständigen präsentiert,
besteht aus zwei Forderungen, die beide gut gemeint,
aber falsch sind und deshalb von der SPD-Fraktion ab-
gelehnt werden.

Erstens soll die Bemessungsgrundlage für freiwillig
gesetzlich krankenversicherte Selbstständige so abge-
senkt werden, dass diese nur noch einen Beitrag von min-
destens rund 130 Euro leisten. Dies widerspricht einer
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Min-
destbemessungsgrenze für Selbstständige in der GKV im
Jahr 2001. Darin wurde festgestellt, dass hauptberuflich
Selbstständige mit niedrigen Einnahmen weiterhin höher
belastet werden dürfen als sonstige freiwillige Kranken-
versicherungsmitglieder. Diese unterschiedliche Behand-
lung sei sachlich gerechtfertigt, da die der Beitragsbemes-
sung zugrunde liegenden Einnahmen bei hauptberuflich
Selbstständigen nach den Vorschriften des Einkommen-
steuergesetzes festgestellt werden. Selbstständige können
beispielsweise Betriebsausgaben abziehen; es werden le-
diglich die Nettoeinnahmen zugrunde gelegt. Die übrigen
freiwillig Versicherten zahlen dagegen Beiträge auf der
Grundlage ihrer Bruttoeinnahmen. Insbesondere kommen
ihnen Steuererleichterungen wie Werbungskosten nicht
zugute. Es diene der Beitragsgerechtigkeit, wenn für
hauptberuflich Selbstständige der Vorteil aus der Beitrags-
bemessung typisierend durch die Festsetzung einer beson-
deren Mindestbemessungsgrenze ausgeglichen werde, so
das Bundesverfassungsgericht.

Kurz gefasst bedeutet das, dass bei den freiwillig ver-
sicherten Arbeitnehmern die Beiträge vom Brutto-
einkommen bemessen werden, bei den Selbstständigen
aber vom Netto. Wenn jetzt die Selbstständigen bei den
Beiträgen entlastet würden, wie die die Linke das fordert,
ginge dies automatisch zulasten der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Im Gegensatz zur Linken lehnt die
SPD daher eine stärkere finanzielle Belastung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab.

Zweitens will die Linke die Selbstständigen entlasten,
die sich gegen die Solidargemeinschaft der GKV ent-
schieden und die private Versicherung gewählt haben,
nun aber Bezieher von Arbeitslosengeld II sind. Seit dem
1. Januar 2009 gilt, dass diese auch dann im System der
Zu Protokoll
PKV verbleiben. Der Träger des Arbeitslosengeldes II
erstattet dem privaten Versicherungsunternehmen jedoch
nur den Betrag, den sie auch für einen gesetzlich versi-
cherten Leistungsempfänger überweist. Dadurch kann
eine Deckungslücke gegenüber dem Unternehmen ent-
stehen, die der ehemals Selbstständige aus dem Leis-
tungsbetrag auffüllen muss.

Die Linke will nun, dass der Staat hier einspringt, um
die Betroffenen zu entlasten. Das ist nachvollziehbar,
verstärkt aber nur die Zweiklassenmedizin. Es kann doch
nicht sein, dass der Steuerzahler für den einen Arbeits-
losen, den ehemals Selbstständigen, mehr aufwendet als
für den anderen, der gesetzlich versicherter Arbeitnehmer
war. Warum sollten die überwiegend gesetzlich versi-
cherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren
Steuergeldern die Privatassekuranz stützen, von der sie
nichts haben?

Gleichzeitig wirft dieser arbeitnehmerfeindliche An-
trag der Linken aber auch ein erhellendes Licht auf das
gesamte, völlig verquere System der privaten Kranken-
versicherung. Es ist ja nicht so, dass die PKV gezwungen
ist, vom Arbeitslosen die rund 285 Euro zu nehmen. Dieser
halbierte Basistarif ist ja nur der Maximalbetrag. Es ist
nicht einzusehen, warum die PKV beispielsweise für einen
freiberuflich tätigen Hausarzt mit 40 Jahren eine Prämie
von 190 Euro nimmt, während sie vom vierzigjährigen,
arbeitslosen, ehemals selbstständigen Ingenieur 285 Euro
verlangt. Im Interesse ihrer Versicherten sollten die Unter-
nehmen hier schleunigst aus eigener Kraft auf Abhilfe
drängen. Stattdessen rufen die PKV-Unternehmen im
Verein mit der Linken nach dem Staat.

Die Kollegen Spieth und andere, die diesen Antrag
eingebracht haben, sollten meiner Meinung nach hier
noch einmal nachsitzen, ihre Hausaufgaben machen und
ihre Haltung überdenken. Denn auch die Unternehmen
fordern, dass die gesetzliche Krankenversicherung ihre
Arbeitslosen aufnehmen soll, damit die gut verdienenden
Selbstständigen und Beamten entlastet werden. Diese
Haltung zeigt gerade in der Krise, dass das PKV-System
zunehmend abgewirtschaftet hat. Daher wird der nächste
Bundestag die große Herausforderung annehmen müs-
sen, unser Gesundheitssystem, deren privater Teil sich
zunehmend als krisenanfällig erweist, komplett neu zu
ordnen. Wir brauchen eine Bürgerversicherung, die für
alle Bürger eine medizinische Versorgung auf hohem
Niveau garantiert und bei der alle Bürger entsprechend
ihrem Einkommen in die Solidargemeinschaft einzahlen,
so wie die SPD es in ihrem Regierungsprogramm vor-
sieht.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1623040800

Der Antrag der Linken hat auf einen Missstand auf-

merksam gemacht, den auch die FDP-Fraktion bereits
im Gesetzgebungsverfahren zur letzten Gesundheits-
reform kritisiert hat. Mittlerweile bestätigen Politiker
der Koalitionsfraktionen die aufgeworfenen Probleme.
Herr Lauterbach spricht im aktuellen Spiegel von einer
Regelungslücke, Herr Kollege Straubinger von Unge-
reimtheiten. Aus Sicht der FDP sage ich, dass es sich



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

hierbei nicht um Kleinigkeiten, sondern um eine grundle-
gend falsche Konzeption handelt.

Mit der Gesundheitsreform wird die Höhe der Prämie
für hilfebedürftige Versicherte im Basistarif einer priva-
ten Krankenversicherung halbiert. Diese Halbierung
muss durch die Versichertengemeinschaft der privaten
Krankenversicherung getragen werden. Zu der dann
noch verbleibenden Prämie erhält der hilfebedürftige
Versicherte zwar einen Zuschuss aus Steuermitteln über
das Arbeitslosengeld II. Für viele bleibt jedoch eine nicht
schulterbare Finanzierungslücke bestehen.

Diese Finanzierungslücke von über 155 Euro pro Mo-
nat ist der schwarz-roten Koalition nicht nur bereits seit
dem Gesetzgebungsverfahren zum GKV-WSG bekannt,
sie hat sie sogar bewusst ignoriert. Damit sollte ganz be-
wusst eine Situation geschaffen werden, die darauf
hinausläuft, dass die anderen PKV-Versicherten diese
Finanzierungslücke durch eine Verteuerung ihrer Tarife
schließen müssen. Das ist nicht nur inhaltlich falsch. Das
ist auch unverantwortlich. Es ist die Fortsetzung des Ver-
suchs, die private Krankenversicherung zu schwächen,
um beim Marsch in ein staatlich gelenktes, zentralisti-
sches Einheitskassensystem wieder ein Stück voranzu-
kommen.

Die Linke greift mit ihrem hier zur Debatte stehenden
Antrag zwar das berechtigte Anliegen auf. Die Linke
schlägt aber ordnungspolitisch keine sinnvolle Lösung
vor. Die Finanzierungslücke durch die Versichertenge-
meinschaft der privaten Krankenversicherung tragen zu
lassen, ist falsch und zeugt nur von intransparenter Um-
verteilung.

Für die FDP-Bundestagsfraktion ist es eine Selbstver-
ständlichkeit, dass derjenige, der seine Prämie aus eige-
nen Kräften nicht schultern kann, unterstützt werden
muss. Aus den Regelsätzen für Hartz IV bzw. der Grund-
sicherung kann die Finanzierungslücke bei der Prämie
nicht bestritten werden. Dies ist für die FDP-Bundes-
tagsfraktion jedoch eine gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe, die damit nicht über die Versichertengemeinschaft,
sondern über das Steuer- und Transfersystem erfolgen
muss. Die FDP will in ihrem Konzept einer nachhaltigen
Finanzierung des Gesundheitswesens den sozialen Aus-
gleich ins Steuer-/Transfersystem verlagern. Dort ist er
gerechter und treffsicherer. Jeder wird nach seiner Leis-
tungsfähigkeit beteiligt, alle Einkunftsarten werden für
den sozialen Ausgleich berücksichtigt, die Unterstützung
wird auf die Bedürftigen konzentriert. Das hier ange-
sprochene Problem bestärkt uns in unserem Konzept.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623040900

Es geht uns mit unserem Antrag um die Lösung zweier

unterschiedlicher Probleme: Selbstständigen, die privat
krankenversichert sind und Unterhaltsleistungen nach
Hartz IV erhalten, konnten bis 2008 in die gesetzliche
Krankenversicherung wechseln. Seit Anfang 2009 gibt es
diese Möglichkeit nicht mehr. Wer privat krankenversi-
chert ist, muss in der privaten Krankenversicherung blei-
ben. Eine private Krankenversicherung mit den gleichen
Leistungen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung
gelten, im sogenannten Basistarif, kostet den Betroffenen
284,81 Euro. Bei von Hartz IV betroffenen Selbstständi-
Zu Protokoll
gen übernimmt die Arge aktuell 124,32 Euro. Der Betrof-
fene muss also 160,49 Euro aus seinem Regelsatz von
359 Euro zahlen! Es blieben also noch 198,51 Euro zum
leben – pro Monat und nicht pro Woche!

Das Bundesarbeitsministerium hat auf unsere diesbe-
zügliche Anfrage eindeutig auf die Verfassungswidrigkeit
dieser Regelung hingewiesen. Es hat erklärt, dass aus
den Unterhaltsleistungen in Höhe von 359 Euro keine
Versicherungsbeiträge abgezogen werden dürfen, weil
sonst das Existenzminimum unterschritten würde. Alle
Versuche, dies vernünftig zu regeln, sind bisher an der
Koalition gescheitert. Die Folge: Viele Betroffene versu-
chen deswegen der Krankenversicherungspflicht zu ent-
gehen und bleiben unversichert. Viele reichen nur die
124,32 Euro von der Arge an ihre Krankenversicherung
weiter. Die muss dann, so ist das im Gesetz geregelt, zwar
auch weiterhin volle Leistungen erbringen, erwirbt aber
zivilrechtliche Ansprüche gegen den Versicherten. Jeder-
zeit können die Versicherungsunternehmen diese Ansprü-
che per Mahnung, Mahnbescheid, Vollstreckungsantrag,
Gerichtsvollzieher und Pfändung geltend machen. Das
führt am Ende zum Offenbarungseid. Der gesetzliche
Zwang zur privaten Überschuldung muss weg. Ob die
Lücke durch Steuergelder, die private Krankenversiche-
rung oder auf einem anderen Weg gelöst wird, soll die
Bundesregierung entscheiden. Jede Regelung ist besser
als die, die wir jetzt haben. Nichts anderes wollen wir mit
unserem Antrag. Der Koalition ist das Problem von An-
fang an bekannt gewesen. Sie konnte sich auf keine Lö-
sung verständigen. In der ersten Lesung unseres Antrags
am 14. Mai 2009 erklärte uns die Bundesregierung im
Plenum, man werde das Problem lösen. Die Betroffenen,
mit denen ich gesprochen habe, hatten die Hoffnung,
dass eine Lösung getroffen wird. Sie werden enttäuscht.
Jetzt ist klar: Vor der Wahl passiert gar nichts mehr!

Der Lösungsvorschlag aus den beteiligten Ministerien
ist an der Unfähigkeit der Koalitionsfraktionen zur Eini-
gung gescheitert. Viele ehemals Arbeitslose, die zur Ver-
meidung von Hartz IV eine Ich-AG gegründet haben,
sind die Leidtragenden. Es sind Tausende, die derzeit
schon betroffen sind. Mit jedem Monat – gerade in der
Krise – werden noch mehr einkommenslos gewordene
Selbstständige dazukommen. Die Fraktion Die Linke
wird in dieser Angelegenheit weiter Druck machen. Bei
der zweiten Gruppe in unserem Antrag geht es um frei-
willig in der gesetzlichen Krankenversicherung versi-
cherte Selbstständige mit geringem Einkommen. Ki-
oskbesitzer, Friseurinnen, Imbissbudenbesitzer oder
scheinselbstständige Callcentermitarbeiterinnen und -
mitarbeiter und viele andere mehr haben oft nur ein mo-
natliches Einkommen von 900 Euro oder noch weniger.
Als freiwillig Krankenversicherte müssen sie aber einen
Beitrag zahlen, der unterstellt, sie hätten ein Mindest-
einkommen von 1 890 Euro. Geregelt ist das in der
sogenannten Mindestbeitragsbemessungsgrenze. Dies
bedeutet, dass die Betroffenen rund 282 Euro Kranken-
versicherungsbeitrag zu zahlen haben. Bei Sonderfällen
kann bei der Krankenkasse eine Reduktion auf ein gerin-
geres Einkommen von 1 260 Euro beantragt werden.
Aber auch das führt zu einem Beitrag von 188 Euro!

Geringverdienende Selbstständige werden infolge-
dessen mit bis zu 21 oder 31 Prozent ihres Einkommens
zur Krankenversicherung herangezogen. Das hat mit



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun und ist eine absolute
Überforderung der Betroffenen. Deshalb will die Linke
die Mindestbeitragsbemessungsgrenze für die Selbst-
ständigen auf die „allgemeine Mindestbeitragsbemes-
sungsgrundlage freiwillig Versicherter“ nach § 240 Abs. 4
Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) (840
Euro im Monat) absenken. Damit würde die Untergrenze
der monatlichen Versicherungsbeiträge von 282 Euro bzw.
188 Euro auf 125 Euro für die Betroffenen gesenkt. Das
würde eine echte Entlastung für Hunderttausende ge-
ringverdienende Solo-Selbstständige oder Ich-AGler be-
deuten und den Zugang zur Krankenversicherung auch
faktisch gewährleisten. Die Linke will mit diesem Antrag
keine Geschenke verteilen, sondern lediglich zwei Unge-
rechtigkeiten beseitigen. Deshalb bitte ich Sie um Ihre
Zustimmung.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623041000

Bereits bei der ersten Lesung im Mai waren sich alle

Fraktionen einig, dass für bestimmte Gruppen von
Selbstständigen Handlungsbedarf besteht, damit diese
eine für sie bezahlbare Krankenversicherung abschlie-
ßen können. Ich kann nur wiederholen: Der Jubel der
Bundesregierung in Anzeigen mit dem Titel „Ganz
Deutschland ist versichert!“ stimmt mit der Realität
nicht überein. Die allgemeine Versicherungspflicht ist
sinnvoll, aber sie kann weder über die vielen Defizite der
Gesundheitsreform noch über die konkreten Probleme in
diesem speziellen Fall hinwegtäuschen.

Trotz Gesundheitsreform ist für viele sogenannte
kleine Selbstständige der Krankenversicherungsschutz
nicht finanzierbar. Der Basistarif in der PKV ist für sie zu
teuer, die Mindestbemessungsgrundlage in der GKV zu
hoch. Diese Selbstständigen, deren Zahl ständig steigt,
sind ebenso wie Angestellte auf den Schutz der Solidar-
gesellschaft angewiesen. Die Realität und nicht ein
längst überholtes Bild von Selbstständigkeit muss sich in
den Gesetzen niederschlagen.

Ich habe die zu Protokoll gegebenen Beiträge der ers-
ten Lesung nachgelesen. Wer nicht weiß, dass die Bun-
desregierung und die Regierungskoalition diese Rege-
lungen beschlossen haben, könnte aufgrund des Beitrags
der Union glauben, dass allein die Gesundheitsministe-
rin verantwortlich ist für die Reform. So billig kommt die
Union jedoch nicht davon. Die Gesundheitsreform ist ein
gemeinsames, wenn auch in vielem missratenes Werk.
Gerade die Union verhindert grundsätzliche Verände-
rungen hin zu einem einheitlichen Versicherungsmarkt
mit fairem Wettbewerb zwischen privaten und gesetzli-
chen Krankenversicherungen. Die – in Europa inzwi-
schen einmalige – Zweiteilung unseres Krankenversiche-
rungssystems in GKV und PKV schafft erst die Probleme,
die wir heute erneut diskutieren. Aber gerade an dieser
Ungerechtigkeit, dass sich ausgerechnet die wirtschaft-
lich leistungsstärksten Bevölkerungsgruppen dem Soli-
darausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung
entziehen können, will die Union nichts ändern. Aber
auch die SPD, mit der wir die Grundrichtung einer soli-
darischen Bürgerversicherung teilen, kann es sich nicht
so einfach machen wie bei der ersten Lesung. Darüber zu
klagen, dass der Koalitionspartner nicht will, reicht nicht
aus für eine Regierungsfraktion, die handlungsfähig blei-
ben will.

Die Koalition hätte die Chance gehabt, im Rahmen
der Arzneimittelgesetznovelle, an die ja hunderte andere
Änderungen angehängt wurden, Nägel mit Köpfen zu
produzieren. Doch wir warteten vergeblich auf entspre-
chende Änderungsanträge. Die Koalition konnte sich
mal wieder nicht einigen. Sie demonstriert Handlungsun-
fähigkeit, unter der die Betroffenen nun weiterhin leiden
müssen.

Wir Grünen stimmen diesem vorliegenden Antrag
grundsätzlich zu. Die Forderung, den privaten Kranken-
versicherungsunternehmen zur Auflage zu machen, den
Basistarif so weit abzusenken, dass keine Differenz zwi-
schen den Zahlungen der öffentlichen Hand und der Prä-
mie entsteht, halten wir für gerechtfertigt.

Wir teilen das Anliegen, Selbstständigen mit geringen
Einkommen eine bezahlbare Krankenversicherung zu er-
möglichen. Probleme sehen wir hingegen bei der gefor-
derten Absenkung der Mindestbemessungsgrenze für
Selbstständige auf 840 Euro im Monat. Das beitrags-
pflichtige Einkommen wird bei hauptberuflich Selbst-
ständigen anders ermittelt als bei Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern. Bei den Selbstständigen gilt das Net-
toprinzip des Einkommenssteuerrechts. Dagegen werden
bei den sonstigen freiwillig Versicherten die Bruttoein-
nahmen zur Beitragsberechnung herangezogen. Damit
kommen ihnen bei der Beitragsbemessung Steuererleich-
terungen, wie zum Beispiel Werbungskosten, nicht zu-
gute. Die Mindestbemessungsgrenze für Selbstständige
dient eben auch dazu, diesen Vorteil wieder auszugleichen.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsge-
richt im Jahr 2001 die höhere Mindestbemessungsgrenze
für Selbstständige auch als verfassungsgemäß bezeichnet.

Gleichzeitig haben wir Bedenken, dass die bestehende
Selektion zwischen PKV – junge, gesunde, einkommens-
starke – und GKV – einkommensschwache Selbststän-
dige mit hohen Gesundheitsrisiken – durch die vorge-
schlagene Regelung verstärkt wird. Damit würden
jedoch die gesetzlich Krankenversicherten zusätzlich be-
lastet.

Da wir die Zielstellung des Antrags teilen, stimmen
wir trotz dieser Bedenken zu. Damit wir nicht gezwungen
sind, immer wieder Detaillösungen für diese und weitere
Ungerechtigkeiten zu finden, setzen wir Bündnisgrünen
uns für die Weiterentwicklung unseres Krankenversiche-
rungssystems in eine solidarische Bürgerversicherung
ein. Erst dann werden sich die vielen Systembrüche und
Ungerechtigkeiten, die heute zwischen GKV und PKV
stattfinden, beheben lassen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623041100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13260, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/12734 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mehrheitlich angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 a auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk,
Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung des Verfahrens zur Wahl der Bun-
desverfassungsrichterinnen und Bundesver-
fassungsrichter

– Drucksache 16/9628 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/13670 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1623041200

Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen

Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er
bricht mit einem über Jahrzehnte bewährten System der
Wahlen zum Bundesverfassungsgericht, ohne dabei das
selbstgesteckte Ziel zu erreichen. Der Entwurf ist daher
alles in allem leider unausgegoren und mangelhaft.

Der Vorwurf, das bisherige Wahlverfahren für die vom
Bundestag zu berufenden Bundesverfassungsrichter sei
intransparent und habe demokratische Defizite, ist schon
bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass die Grünen
entsprechende Gesetzentwürfe in der 11., 12. und
13. Wahlperiode bereits erfolglos eingebracht haben,
man seit ihrer Regierungsbeteiligung ab der 14. Wahl-
periode aber vergleichbare Initiativen vergebens sucht.
Offenbar gewährleistet nach Ansicht der Grünen also
auch die bisherige Regelung durchaus Transparenz und
Demokratie – solange es sich um eine Bundesregierung
mit grüner Beteiligung handelt; ein fragwürdiges Demo-
kratieverständnis.

Zudem ist auch der Vorwurf in der Sache unhaltbar,
wie ein kurzer Blick auf die jetzige Situation zeigt: Die
öffentliche Akzeptanz der Entscheidungen des Bundes-
verfassungsgerichts ist flächendeckend und überfraktio-
nell. In aktuellen Umfragen genießt es mit 67 Prozent ein
sehr großes Vertrauen in der Bevölkerung. Das Bundes-
verfassungsgericht, das immer wieder als Vorbild für
Verfassungsgerichte im Ausland dient, ist zudem eines
der beliebtesten Exportmodelle deutscher Rechtsstaat-
lichkeit und hat herausragende Richterpersönlichkeiten
hervorgebracht. Eine Verbesserung des Auswahlverfah-
rens ist von den Vorschlägen der Grünen nicht zu erwar-
ten.
Im Hinblick auf die demokratische Legitimation sehe
ich keinen dringlichen Handlungsbedarf. Das Grundge-
setz schreibt in Art. 94 als zentraler Norm vor, dass Rich-
terinnen und Richter zur Hälfte von Bundestag und Bun-
desrat gewählt werden. Weitere Bestimmungen über die
Wahl lassen sich dem Verfassungstext nicht entnehmen.
Dem Gesetzgeber kommt damit in Bezug auf Mehrheit
und Ausgestaltung des Wahlverfahrens ein weiter Ermes-
sensspielraum zu, den er im Bundesverfassungsgerichts-
gesetz ausgeübt hat.

Art. 94 des Grundgesetzes schreibt die unmittelbare
Wahl nicht ausdrücklich vor. In anderen Grundgesetz-
normen, wie etwa Art. 38 Abs. 1 Satz 1 oder Art. 28
Abs. 1 Satz 2 wird diese ausdrücklich erwähnt. Mit der
Nennung von Bundestag und Bundesrat wurde insoweit
lediglich die Wahl durch zwei verschiedene Verfassungs-
organe vorgeschrieben, aber keine unmittelbare Wahl auf
verfassungsrechtlicher Ebene angeordnet. Darauf hat
insbesondere auch Professor Dr. Christian Calliess in
der Sachverständigenanhörung hingewiesen.

Gerade im Hinblick auf Sinn und Zweck der mittelba-
ren Wahl ist zu bedenken, dass bei der Wahl von Bundes-
verfassungsrichtern vielfältige Fragen aufgeworfen
werden. Nicht nur der Parteienproporz, sondern zum
Beispiel auch Länder, Berufe, Fächer, Religionen und
Geschlechter können relevant sein. Ich glaube nicht,
dass alle damit zusammenhängenden Fragen effektiv im
Plenum des Bundestags geklärt und behandelt werden
können. Der Wahlausschuss gewährleistet als kleines
Fachorgan in sachlicher, konzentrierter Arbeit die funk-
tionelle Wahrnehmung dieser schwierigen Auswahlent-
scheidungen. Die Sachkenntnis der im Wahlgremium
vertretenen Abgeordneten und die geringe Größe des
Ausschusses bieten die größtmögliche Garantie für Ver-
traulichkeit, das Zustandekommen einer Wahl und die
Gewinnung geeigneter Persönlichkeiten.

Das Bundesverfassungsgericht hält diese Vorgehens-
weise ebenfalls für rechtmäßig. Auch wenn es selbst nie
explizit zur Verfassungsmäßigkeit der indirekten Wahl
Stellung genommen hat, hat es diese jedoch in seinen
Entscheidungen stets als verfassungsrechtlich zulässig
vorausgesetzt.

Demgegenüber scheinen mir die Grünen lediglich
eine Scheindebatte zu führen, um sich kurz vor der Wahl
in Verfassungsfragen wie der Richterwahl oder aber
morgen beim Wahlrecht noch einmal in Szene setzen zu
können. Aber auch eine Plenumsentscheidung würde
nichts daran ändern, dass aufgrund des Erfordernisses
einer qualifizierten Mehrheit die wesentlichen Abspra-
chen bereits im Vorfeld getroffen werden müssten. Der
vorliegende Entwurf könnte somit Öffentlichkeit und
Transparenz im Entscheidungsprozess nicht verbessern.

Wenn ich dann in dem Entwurf weiter lese, die Zustän-
digkeit solle von dem Wahlausschuss auf den Rechtsaus-
schuss übergehen und dieser solle im Vorfeld eine sich
zentral auf Verfassungsfragen konzentrierende Anhörung
der Kandidaten durchführen, so kann ich nur sagen,
mehr Demokratie und mehr Transparenz ja, immer, aber
nicht um jeden Preis. Ein mediales Schaulaufen der Kan-
didaten, wie es im Stammland der Anhörungen, den USA,


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
üblich ist, kann niemand ernsthaft als Verbesserung un-
seres Systems ansehen.

Das Anhörungsverfahren ist charakteristisch für das
amerikanische System, in dem Präsident und Kongress
im politischen Wettbewerb miteinander stehen. Der Prä-
sident ernennt die Richter, das Parlament kontrolliert ihn
insoweit. Diese Kontrollfunktion kann eine Anhörung in
unserem System nicht erfüllen, weil Parlamentsmehrheit
und Regierung auf einer Seite stehen. Zudem sind in den
USA Fragen nach sexueller Orientierung oder familiä-
ren Bindungen keine Seltenheit. In die Anhörung treten
dort bis aufs Letzte vorbereitete Kandidaten, die jede
Positionierung zu vermeiden suchen. Das Anhörungsver-
fahren produziert auf diese Weise mediensichere Richter
mit im Verborgenen gebliebener politischer Überzeu-
gung. Ich kann den Bundestagskollegen der Grünen nur
einmal einen Besuch in der Anhörung des US-Senats zur
Wahl von Bundesrichtern empfehlen; ich glaube, das
würde ihre krausen Ideen einer Spontanheilung zuführen.

Eine Selbstbeschränkung der Parteien in der Aus-
übung ihres Fragerechts halte ich angesichts strittiger
Mehrheiten und der Konkurrenz der Bewerber für un-
wahrscheinlich. In der politischen Realität wird das nicht
durchsetzbar sein. Es handelt sich hierbei doch nicht um
die bloße Anhörung wissenschaftlicher Sachverständi-
ger, sondern um ein Bewerbungsgespräch, in dem von
vornherein eine Konkurrenzsituation zwischen den Be-
fragten sowie den sie befürwortenden Gruppen besteht.
Moralische Fragen verdrängen juristische oder rechts-
politische Kernthemen. Statt mehr Transparenz erhalten
wir hier mehr Politisierung und Ideologisierung. Dies
widerspricht zudem dem Verständnis des Grundgesetzes
von einem Verfassungsgericht, das zwar durchaus auch
politische Fragen entscheidet, aber letztlich primär im-
mer ein Gericht ist.

Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat der Gesetz-
geber 1956 mit gutem Grund das Erfordernis einer Drei-
viertelmehrheit für die Wahl der Bundesverfassungsrich-
ter auf die heute erforderliche Zweidrittelmehrheit
gesenkt. In der zu dem Gesetzentwurf durchgeführten
Sachverständigenanhörung war man sich einig, dass
eine Erhöhung dieses Erfordernisses abzulehnen sei. Das
Erfordernis der qualifizierten Mehrheit bei der Wahl zum
Bundesverfassungsgericht dient der Absicherung größt-
möglicher Neutralität des Gerichts. Auch für kleinere
Parteien besteht durchaus die Chance, einen Kandidaten
im Auswahlverfahren durchzubringen. Die Praxis zeigt,
dass in Koalitionsregierungen sowohl die FDP als auch
die Grünen Richter haben benennen können. Die Anhe-
bung auf die Dreiviertelmehrheit würde hingegen gerade
im Vorfeld von Wahlen die Findung mehrheitsfähiger
Kandidatinnen und Kandidaten komplexer und langwie-
riger machen als bisher. Dies belegen die Erfahrungen
aus der Vergangenheit mit der Dreiviertelmehrheit. Jede
Richterin und jeder Richter muss heute mit Zweidrittel-
mehrheit gewählt werden. Dies schützt sowohl die Stel-
lung des Bundesverfassungsgerichts als auch seine
Funktionsfähigkeit. Es ist damit ausreichend sicherge-
stellt, dass die Kandidaten von einer breiten Parlaments-
mehrheit getragen werden. Dieses stabile Verteilungssys-
tem durch ein überholtes Instrument aus der
Zu Protokoll
Vergangenheit gefährden zu wollen, halte ich für grob
fahrlässig.

Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Aspekt des
Gesetzesentwurfs eingehen: Frauenförderung ist natür-
lich auch und gerade beim höchsten Gericht von heraus-
ragender Bedeutung. Eine verpflichtende Frauenquote
ist jedoch keine Verbesserung für das Auswahlverfahren.
Denn zahlreiche Kriterien sind bei der Wahl der höchs-
ten Richter zu beachten und nicht immer können alle aus-
reichend berücksichtigt werden. Parität durch Zwang ist
Würde und Ansehen des Verfassungsgerichts nicht ange-
messen, zumal künftige Verfassungsrichterinnen in der
Öffentlichkeit dann möglicherweise unabhängig von ih-
rer fachlichen Qualifikation als reine „Quotenfrauen“
angesehen würden. Es wäre zudem merkwürdig, wenn
ausgerechnet beim einzigen Bundesgericht, das zugleich
Verfassungsorgan ist, eine derart demokratiewidrige Be-
schränkung des Wahlverfahrens eingeführt würde – ohne
dass sich diese unter fachlichen und qualitätssichernden
Aspekten rechtfertigen ließe.

Wir haben gute Gründe, stolz auf unser höchstes Ge-
richt zu sein. Es hat sich über Jahrzehnte mehr als nur
bewährt. Es hat den wirtschaftlichen und demokrati-
schen Aufbau Deutschlands seit seiner Gründung 1951
immer wieder durch richtungsweisende Entscheidungen
begleitet und maßgeblich mitgestaltet. Das gilt – da bin
ich sicher – auch für die Zukunft. Es gilt allerdings nur,
wenn wir die fachliche Qualität, die Ausgewogenheit der
Besetzung der Spruchkörper und so letztlich das hohe
Ansehen des Bundesverfassungsgerichts in der Bevölke-
rung bewahren. Deshalb dürfen und werden wir den For-
derungen von Bündnis 90/Die Grünen nicht nachkom-
men.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1623041300

Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bun-

destages zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl von
Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungs-
richtern: In Rede steht das Verfahren zur Wahl der Bun-
desverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrich-
ter, ein Verfahren, das sich in über 50 Jahren bewährt
hat. Dieses Wahlverfahren hat in all den Jahrzehnten da-
für gesorgt, dass Richtermacht und Verantwortung durch
die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts mit fähi-
gen Juristinnen und Juristen in guten Händen liegt. Auch
und vor allem deshalb verfügt das Verfassungsgericht
über großes Ansehen in der Bevölkerung.

Ob überhaupt und vor allem wie dann ein an sich be-
währtes Verfahren geändert werden soll, muss man sich
daher gründlich und gut überlegen. So soll nach den Vor-
stellungen von Bündnis 90/Die Grünen der Rechtsaus-
schuss die Wahl der Bundesverfassungsrichterinnen und
-richter vorbereiten und insbesondere eine Kandidaten-
anhörung durchführen. Die Richterinnen und Richter
wählen soll dann der Deutsche Bundestag. Der Vor-
schlag klingt einfach, lässt aber zu viele Fragen unbeant-
wortet, so etwa die Frage, wie man sich die öffentliche
Kandidatenanhörung im Rechtsausschuss vorzustellen
hat. Heißt „öffentlich“ unter Beteiligung auch der Me-
dienvertreter? Werden wir dann in Zukunft womöglich



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker
Liveübertragungen der Kandidatenanhörung im Fernse-
hen erleben? Vor allem stellt sich auch die Frage, was
damit transparent werden soll: die Rechtskunde dieser
Person oder die politische Einstellung dieser Person?

Eine weitere Frage ist, wer genau eigentlich ein Kan-
didatenvorschlagsrecht haben soll. Die Parteien des
Deutschen Bundestages, jede Fraktion? Wie viele Kandi-
daten sollen überhaupt vorgeschlagen werden dürfen?

So reiht sich Frage an Frage. Und mit jeder Frage
nimmt die Gewissheit zu, dass der Änderungsvorschlag
am Ende eher etwas verschlimmbessert als verbessert.

In der Anhörung des Rechtsausschusses des Deut-
schen Bundestags im Juni dieses Jahres haben die Exper-
ten den Änderungsvorschlag einer kritischen Betrach-
tung unterzogen und viele weitere nachdenkenswerte
Aspekte aufgezeigt, so zum Beispiel den Aspekt, dass
durch eine öffentliche Befragung Kandidaten zu Festle-
gungen in politisch brisanten Fragen gedrängt werden
könnten und sich bei einem späteren Prozess Befangen-
heit vorwerfen lassen müssten. Ein weiterer Aspekt ist die
Gefahr einer Politisierung des Anhörungsverfahrens,
wenn es von Beteiligten zur politischen Profilierung ge-
nutzt würde. Thematisiert wurde auch die Versuchung
und Auswirkung, in einer öffentlichen Anhörung den je-
weiligen Kandidaten der anderen Seite in ein gewisses
Zwielicht zu bringen.

Unter dem Strich sind die Entwürfe der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen alles andere als ein goldener
Wurf. Es reicht eben nicht, in den Entwurfstitel das Wort
Verbesserung aufzunehmen, wenn sich tatsächlich nichts
verbessert.

Noch einmal: Wir haben ein bewährtes Verfahren.
Hieran sollten wir nicht rütteln, solange über das Ob und
vor allem über das Wie einer Änderung noch erheblicher
Diskussionsbedarf besteht. Insofern gilt es, die Diskus-
sion in der kommenden Legislaturperiode fortzusetzen.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1623041400

In der Regel läuft die Neubesetzung von freigeworde-

nen Richterstellen am Bundesverfassungsgericht still
und geräuschlos ab. Hinter verschlossenen Türen eini-
gen sich die Parteien auf geeignete Kandidaten und das
Ergebnis wird vom Richterwahlausschuss bestätigt. Im
vergangenen Jahr haben wir erlebt, dass es auch anders
gehen kann. Die Neubesetzung der Richterstelle des aus-
geschiedenen Vizepräsidenten, Professor Hassemer,
wurde von einer öffentlichen Auseinandersetzung beglei-
tet. Der von der SPD nominierte Kandidat, Professor
Dreier, war heftigen Angriffen aus den Reihen der Politik
und der Medien ausgesetzt. Seine Äußerungen und
grundrechtlichen Kommentierungen wurden öffentlich
seziert. Die SPD musste schließlich einsehen, dass ihr
Kandidat im Richterwahlausschuss nicht mehrheitsfähig
war.

Kritik an dem Verfahren der Wahl der Richterinnen
und Richter am Bundesverfassungsgericht wurde in
Staatsrechtlerkreisen schon häufig geäußert. Die FDP-
Bundestagsfraktion begrüßt daher, dass sich nun auch
der Gesetzgeber mit dieser Frage auseinandersetzt. Der
Zu Protokoll
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat zu den
Initiativen, die wir heute beraten, eine Sachverständi-
genanhörung durchgeführt. Die Sachverständigen waren
sich einig in ihrer Forderung nach einer Reform des
Wahlverfahrens. Gemäß Art. 94 Abs. 1 GG werden die
Richter des Bundesverfassungsgerichts vom Bundestag
gewählt. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Gemäß
§ 6 BVerfGG erfolgt die Wahl durch einen Wahlaus-
schuss. Dieser Ausschuss entscheidet abschließend über
die Wahl der Bundesverfassungsrichter. Ein Beschluss
des gesamten Parlaments erfolgt nicht.

Seit vielen Jahren besteht eine Vereinbarung zwischen
CDU/CSU und SPD im Richterwahlausschuss, sich ein-
vernehmlich auf geeignete Kandidaten zu einigen. Eine
verfahrensmäßige Beteiligung der kleinen Fraktionen im
Parlament ist nicht vorgesehen. Gegebenenfalls sind die
beiden großen Fraktionen bereit, quasi als Gnadenakt,
einer kleineren Fraktion das Nominierungsrecht für ei-
nen Kandidaten zuzugestehen. Dieses Verfahren ist
rechtsstaatlich bedenklich. Der Richterwahlausschuss ist
im Grundgesetz an keiner Stelle genannt. Im Gegensatz
dazu enthält Art. 95 Abs. 2 GG eine Vorschrift über den
Richterwahlausschuss zur Wahl der Richter der obersten
Bundesgerichte. Damit ist der plenarersetzende Be-
schluss verfassungsrechtlich legitimiert. Für die Beset-
zung des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht
befindet sich das Verfahren demgegenüber in einer recht-
lichen Grauzone.

Es ist daher vernünftig, wenn der Gesetzentwurf von
Bündnis 90/Die Grünen die Wahl der Richterinnen und
Richter für das Bundesverfassungsgericht durch das Ple-
num des Bundestages vorsieht. Man mag in der bloßen
Zustimmung der Abgeordneten zu der vorbereitenden
Entscheidung des Wahlausschusses keinen aktiven Ge-
staltungsakt erkennen. Es macht jedoch aus Sicht des
Bundesverfassungsgerichts einen großen Unterschied,
ob die Wahl durch einen Wahlausschuss erfolgt oder
durch das gesamte Parlament. Die Legitimation durch
den gesamten Deutschen Bundestag hat eine andere Be-
deutung als eine Wahl in einem Ausschuss durch nur we-
nige Abgeordnete.

In dem Gesetzentwurf wird darüber hinaus eine öf-
fentliche Anhörung zur Vorbereitung auf die Wahl vorge-
schlagen. In der Sachverständigenanhörung gab es dazu
sehr unterschiedliche Auffassungen. Es besteht durch
eine öffentliche Anhörung die Gefahr der politischen In-
strumentalisierung. Zudem könnte sich der Kandidat der
Gefahr der Befangenheit aussetzen, wenn er auf Fragen
zu aktuellen politischen Themen Stellung nimmt, mit de-
nen er zu einem späteren Zeitpunkt als Richter des Bun-
desverfassungsgerichts in konkreten Verfahren befasst
sein könnte. Vorzugswürdiger ist demgegenüber eine
nichtöffentliche Anhörung. Auch auf diese Weise kann
die Transparenz des Verfahrens gefördert werden, ohne
den Kandidaten aufgrund einer zu großen Öffentlichkeit
zu beschädigen. Abgelehnt wird von der FDP die Einfüh-
rung einer Frauenquote. Frauenquoten werden von der
FDP-Bundestagsfraktion grundsätzlich kritisch gesehen.
Die Gefahr, Quotenrichter zu sein, ist nicht von der Hand
zu weisen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Aufgrund der zu Ende gehenden Wahlperiode wird der
Gesetzgeber in dieser Sache keine Entscheidung mehr
treffen können. Die FDP-Bundestagsfraktion ist jedoch
der Auffassung, dass durch die Sachverständigenanhö-
rung viele wichtige Probleme herausgearbeitet wurden,
für deren Lösung sich der Gesetzgeber einsetzen sollte.
Ich hoffe daher, dass wir dieses wichtige Thema in der
nächsten Wahlperiode erneut aufgreifen und hier mit ei-
ner hoffentlich breiten Mehrheit des Hauses zu einer ein-
vernehmlichen Lösung kommen, die im Ergebnis zu ei-
nem rechtsstaatlich einwandfreien und transparenten
Wahlverfahren führt und die der Bedeutung und Würde
des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht ange-
messen ist.

Die FDP-Fraktion enthält sich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1623041500

Im Bundesverfassungsgericht richten derzeit nur drei

Frauen und niemand mit einer Ostbiografie. Fast alle
Richterinnen und Richter haben ihre bildungsbürgerli-
che Herkunft in der Mittelschicht. Das hat ganz einfache
Ursachen. Die Besetzung des Gerichtes ist seit jeher die
tatsächliche Alleinbefugnis der Christ- und Sozialdemo-
kraten. Die Grünen wollen das ändern.

Zu ihrem Entwurf sagte ich für meine Fraktion vor fast
einem Jahr sinngemäß: Erst wenn sich die Macht im Dis-
kurs der Vielfalt bewähren muss, ist sie legitimiert. Die
Macht des Bundesverfassungsgerichtes, seine Deutungs-
hoheit über den Verfassungstext muss eine Macht sein, in
der sich die Vielfalt der Gesellschaft abbildet. Denn
Richter sprechen im Namen des Volkes. Deswegen muss
sich die Vielfalt des Volkes tendenziell bei der Besetzung
von Gerichten widerspiegeln. Hierzu gehören die Vielfalt
der unterschiedlichen Gesellschaftsvorstellungen, die
soziale Vielfalt, die Vielfalt moralischer und ethischer
Auffassungen, die Vielfalt der Biografien, die auch aus
denen des Ostens besteht, und die – ich möchte sagen –
„Zweifalt“ einer im 21. Jahrhundert eigentlich selbstver-
ständlichen paritätischen Besetzung der Richterbänke
mit ebenso viel Frauen wie Männern. Genau dies soll mit
dem Gesetzentwurf sichergestellt werden. Insoweit findet
er auch unsere Unterstützung.

Wir teilen auch das Anliegen der Grünen, eine öffent-
liche Anhörung für die Richterwahl vorzusehen. Anders
als die meisten Kritiker des Entwurfs sind auch wir der
Auffassung, dass die öffentliche Anhörung der richtige
Weg ist, um die Richterwahl aus den Hinterzimmern in
die öffentliche Wahrnehmung zu holen. Wir brauchen
mehr Transparenz und Teilhabe der Öffentlichkeit. Ge-
nau das erreichen wir mit der öffentlichen Anhörung der
Bewerber.

Vielfach ist geäußert worden, diese Art der Prüfung
der Kandidaten sei des Amtes und der Funktion der Ver-
fassungsrichter unwürdig. Ich meine, unwürdiger als der
derzeitige, sich im Verborgenen abspielende Abnickvor-
gang kann die Richterwahl nicht sein. Dass in einer An-
hörung nicht nur die juristischen Fähigkeiten, sondern
auch die gesellschaftspolitischen Wertungshorizonte der
Bewerber offenbar werden können, stört nur den, der
Zu Protokoll
nicht anerkennen mag, dass Richter generell bei der Aus-
legung von Gesetzen eine politische – nicht parteipoliti-
sche- Tätigkeit ausüben. Das Gegenteil zu behaupten,
gehört zu den Lebenslügen der Justiz. Gerade bei Verfas-
sungsrichtern ist die politische Gestaltungsmacht evi-
dent. Es ist deswegen ein ganz natürlicher Vorgang,
wenn die Parlamentarier auch den persönlichen Wer-
tungshorizont der Kandidaten kennenlernen wollen. Und
auch die Bevölkerung sollte wissen dürfen, wer da über
sie zu Gericht sitzt.

Wer sich vor der öffentlichen Anhörung ängstigt, dem
empfehle ich zur Normalisierung seiner Emotionen den
Blick nach Schleswig-Holstein. Dort sieht das Richter-
wahlgesetz seit 17 Jahren die öffentliche Anhörung von
Richtern vor. Kritik an diesem Verfahren ist bislang nicht
bekannt geworden. Was für die Wahl von Richtern mit
weit weniger politischen Gestaltungsmöglichkeiten ge-
eignet ist, wird für die Besetzung eines anerkannterma-
ßen politisch wirkenden Gerichtes wohl kaum von Scha-
den sein.

Trotz dieser zu begrüßenden Vorstellungen im Gesetz-
entwurf wird die Linke nicht zustimmen, sondern sich der
Stimme enthalten. Der Entwurf sieht vor, dass für die
Richterwahl eine Dreiviertelmehrheit des Bundestages
erforderlich sein wird. In einer Demokratie reicht grund-
sätzlich die einfache Mehrheit aus. Denn im Kern lebt die
Demokratie vom Wettstreit um diese Mehrheit. Diese
Mehrheit hat für eine begrenzte Zeit das Vertrauen und
damit die Entscheidungsmacht. Trifft sie Entscheidun-
gen, so hat sie diese zu verantworten. Das bedeutet, dass
sich die getroffenen Entscheidungen auch darauf auswir-
ken, ob die Macht erhalten oder abgegeben werden muss.
Sie stellen also einen wesentlichen Teil des Wettstreits um
Mehrheit und Macht dar.

Wenn dieser Zusammenhang aufgelöst wird, indem
– wegen des hohen Quorums von drei Viertel – die Min-
derheit gleichberechtigt an der Entscheidung beteiligt
wird, gibt die Mehrheit in diesem Bereich die Entschei-
dungsverantwortung auf. Damit wird dieser Entschei-
dungsgegenstand dem demokratischen Wettstreit zwi-
schen Minderheit und Mehrheit entzogen. Da beide die
Entscheidung zu verantworten haben, kann der mit der
Entscheidung unzufriedene Wähler die Mehrheit nicht
mehr mit der Wahl der Minderheit sanktionieren. Deswe-
gen sind Entscheidungsquoren, die darauf ausgerichtet
sind, die Opposition in die Entscheidungsverantwortung
einzubeziehen, grundsätzlich abzulehnen und auf wenige
Ausnahmefälle zu beschränken.

Die Richterwahl, auch die von Verfassungsrichtern,
liefert keine Gründe für eine solche Ausnahmeregelung.
Im Gegenteil: Es ist absehbar, dass dadurch eine Perso-
nalpolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners begünstigt
werden würde. Das ist, anders ausgedrückt, die Etablie-
rung der Herrschaft der grauen Mäuse. Profilierte Rich-
terpersönlichkeiten, die der Minderheit nicht passen,
hätten keine Chance mehr, obwohl sie eine sie legitimie-
rende demokratische Mehrheit hinter sich hätten. Das
widerspricht dem demokratischen Prinzip des Wettbe-
werbes zwischen Mehrheit und Minderheit.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623041600

„Habemus iudicem“, heißt es seit Jahren, ja Jahr-

zehnten, wenn neue Bundesverfassungsrichter – ab und
zu auch Bundesverfassungsrichterinnen – gewählt wer-
den. Wird die Wahl der Verfassungsrichterinnen und Ver-
fassungsrichter auch in Zukunft weiter nach der bisheri-
gen Praxis vorgenommen, dann bleibt die Wahl so
undemokratisch und so undurchsichtig wie die Wahl des
Papstes.

Das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsor-
gan und der berufene „Hüter der Verfassung“. Es ist die
staatliche Institution, die bei Bürgerinnen und Bürgern
das höchste Vertrauen genießt. Umso notwendiger ist es,
dass die Wahl der Bundesverfassungsrichterinnen und
Bundesverfassungsrichter transparent, öffentlich und
nach den Regeln der Verfassung erfolgt. Genau das Ge-
genteil ist aber der Fall. Bei der Anhörung zu unserem
Gesetzentwurf hielten einige Sachverständige die derzei-
tige Rechtslage gar für verfassungswidrig.

In Art. 94 GG heißt es, dass die Mitglieder des Bun-
desverfassungsgerichts vom Bundestag und vom Bundes-
rat zu wählen sind. Die Modalitäten der Wahl regelt das
Bundesverfassungsgerichtsgesetz unterschiedlich. Der
Bundesrat wählt – den Vorgaben der Verfassung entspre-
chend – direkt, öffentlich und namentlich. Der Bundestag
wählt gar nicht. Er delegiert an einen Ausschuss, wo in-
direkt, geheim und intransparent entschieden wird.

Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungs-
gerichts werden nicht vom Plenum des Bundestages ge-
wählt. Wir wählen lediglich am Anfang der Legislaturpe-
riode einen verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen
Wahlausschuss von zwölf Kolleginnen und Kollegen. Der
entscheidet in geheimer Sitzung. Er wird als einziger
Ausschuss nach dem Höchstzahlverfahren nach d’Hondt
besetzt – sodass die Opposition kaum oder gar nicht ver-
treten ist. Die Entscheidung des Ausschusses muss noch
nicht einmal durch das Plenum bestätigt werden, was das
Recht jedes einzelnen Abgeordneten auf Mitwirkung ver-
letzt.

Wir schulden es unseren Wählerinnen und Wählern,
ihren Willen auch bei der Wahl eines Verfassungsorgans
zu repräsentieren. Schließlich käme niemand auf die
Idee, den Kanzler und die Bundesregierung durch einen
Ausschuss zu wählen. Der ehemalige Vizepräsident des
Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Hassemer hat
in der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschus-
ses zu Recht darauf hingewiesen, dass es eine schlechte
Behandlung des Gerichts sei, seine Wahl wie eine der
eher unwichtigen Fragen in einen Ausschuss zu verla-
gern. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die
Wahl durch den Ausschuss rechtlich nicht zu beanstan-
den ist, dann wäre es doch unter Berücksichtigung der
Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts politisch
sinnvoll und richtig, dass wir die Richterinnen und Rich-
ter unmittelbar durch den Bundestag wählen.

Die Namen der Kandidatinnen und Kandidaten wer-
den lange geheim gehalten. Im Halbdunkel nichtlegiti-
mierter Kungelrunden der großen Fraktionen werden
Tauschgeschäfte gemacht und vermeintliche Parteigän-
ger auf die Plätze geschoben, die den Fraktionen nach
einem seit Jahrzehnten ausgedealten Verfahren gehören.
Wenn das Geschäft perfekt ist, kann die staunende Öf-
fentlichkeit das Ergebnis bewundern. Und manchmal
– wie zuletzt im Fall von Professor Dreier – sickert der
Name zu früh durch und wird bewertet, gewogen und
auch herabgewürdigt, alles dies, ohne dass die betroffe-
nen Kandidaten darauf eingehen könnten.

Deshalb wollen wir auch eine Anhörung der Kandida-
tinnen und Kandidaten in einem ordentlichen und öffent-
lichen Verfahren in einem Ausschuss des Bundestages;
wir haben den Rechtsausschuss vorgeschlagen. Nur so
kann die Öffentlichkeit sich eine Meinung über die vorge-
schlagenen Kandidaten bilden. Nur so können auch die
Kandidaten selbst auf Argumente und auch Angriffe ein-
gehen, denen sie ausgesetzt sind. Nur in einem solchen
geregelten transparenten Verfahren kann fair diskutiert
und nach sachlichen Kriterien entschieden werden.

Die Argumente gegen eine öffentliche Anhörung ver-
fangen nicht. Wer nicht das Zeug hat, sich einer solchen
Anhörung zu stellen – oder wer sich dazu zu schade ist –,
der sollte sich vielleicht auch nicht ein so hochpolitisches
Amt, wie es eine Bundesverfassungsrichterin oder ein
Bundesverfassungsrichter nun mal innehat, zutrauen. Es
entspricht einem vordemokratischen Denken, die Bun-
desverfassungsrichter in einem abgehobenen Elfenbein-
turm am besten aufgehoben zu sehen. Das Bundesverfas-
sungsgericht ist Teil und Spitze eines demokratischen
Rechtsstaates. Die Wahl seiner Mitglieder muss sich des-
halb in der Öffentlichkeit abspielen.

Ich weiß, dass trotz des schlechten Wahlverfahrens
bisher fast immer sehr gute Richterinnen und Richter an
das Bundesverfassungsgericht gekommen sind. Dieser
richtige Befund kann aber die Mängel und Defizite des
Verfahrens nicht beseitigen. Ganz im Gegenteil.

Mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung ist weiblich.
Das Bundesverfassungsgericht ist männlich dominiert.
Von 16 Richterinnen und Richtern sind drei Frauen.
Diese Zahlen sprechen für sich. Ich bin mir sicher, dass
es nicht daran liegen kann, dass wir einen Mangel an ex-
zellenten Juristinnen hätten. Das zeigt mir, dass wir es
trotz guten Willens nicht geschafft haben, das Gericht pa-
ritätisch zu besetzen. In unserem Gesetzentwurf sehen
wir deshalb eine Quote bei der Wahl vor, um nach einer
mehrjährigen Übergangszeit ein Gleichgewicht herzu-
stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie der Auf-
forderung Professor Hassemers in der Anhörung. Zeigen
Sie Mut und ermöglichen Sie eine demokratisch legiti-
mierte und transparente Wahl, indem Sie unserem Ge-
setzentwurf zustimmen!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623041700

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-

wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13670, den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9628 abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-


(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt. Die dritte Be-
ratung entfällt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Martin Zeil, Cornelia Pieper, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Luftfahrttechnologie und Luftfahrtindustrie
in Deutschland – Neue Ziele für saubere Um-
welt und sichere Arbeitsplätze

– Drucksache 16/8410 –


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1623041800

Wir diskutieren heute über einen Antrag der FDP zur

Stärkung der deutschen Luftfahrtindustrie, der schon
über ein Jahr alt ist und kurz nach der Debatte zu unse-
rem Koalitionsantrag „Die Zukunft der deutschen Luft-
fahrtindustrie sichern“ im Februar 2008 geschrieben
wurde. Analyse und Ziel bleiben auch heute richtig: Die
deutsche Luftfahrtindustrie ist eine strategisch wichtige
Schlüsselindustrie mit starken Wachstumschancen; denn
langfristig wird sich der Luftverkehr alle 15 bis 20 Jahre
verdoppeln. Die Luftfahrtindustrie ist Innovationsmotor
für die Technologieentwicklung in anderen wichtigen
Wirtschaftszweigen und Sektoren wie Automobilbau,
Feinmechanik oder Optik, Antriebstechnik und Material-
entwicklung, Elektronik, Robotik, Mess-, Steuer-, Werk-
stoff- und Regeltechnik oder Navigationssystemen. Die
Luftfahrtindustrie ist ein Schlüsselfaktor bei der Be-
kämpfung des Klimawandels. Gleichzeitig befindet sich
die Luftfahrtindustrie in Deutschland nach wie vor in ei-
ner schwierigen Umbruchsituation, die mit der Restruk-
turierung von EADS/Airbus noch lange nicht abge-
schlossen ist.

Wir müssen alles daran setzen, den deutschen Luft-
fahrtstandort auch künftig international wettbewerbsfä-
hig zu halten: durch die richtigen Rahmenbedingungen
für mehr Wachstum und Arbeit und durch die gezielte
Förderung innovativer, sicherer und umweltfreundlicher
Technologien. Dies ist umso wichtiger in der aktuellen
globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, in der auch die
Luftfahrtindustrie und besonders die zivilen Zulieferbe-
triebe in Turbulenzen geraten sind. Die Lagerbestände
erhöhen sich, die Verschuldung steigt, die Verluste 2008
und 2009 sind hoch. Auch 2010 wird noch ein schwieri-
ges Jahr werden – auch wenn sich die Branche insgesamt
auf der Luftfahrtmesse Le Bourget im Juni bereits verhal-
ten optimistisch gezeigt hat und Airbus erst kürzlich ei-
nen Milliardenauftrag aus Katar verbuchen konnte.

Mit ihren Forderungen rennt die FDP jedoch längst
offene Türen ein und hinkt der Realität weit hinterher.
Die Branche selbst – seit jeher sehr forschungsintensiv –
will noch mehr investieren, um mit Innovation und Qua-
lifikation aus der Krise zu kommen, und sie hat sich auf
ihrem diesjährigen Tag der Luft- und Raumfahrt in Stutt-
gart erneut intensiv mit zukunftsweisenden Innovations-,
Netzwerk- und Personalstrategien beschäftigt. Die
unionsgeführte Bundesregierung hat bereits seit 2006 ein
ganzes Bündel von Maßnahmen ergriffen, um die deut-
Zu Protokoll
sche Luftfahrtindustrie inklusive der Zulieferindustrie in
diesen Zielen stärker zu unterstützen, und wir werden
dies weiterhin tun. Die Forderungen der FDP nach einer
auf Umweltschutz ausgerichteten Luftfahrttechnologie-
strategie, nach Bekämpfung des Fachkräftemangels,
nach mehr Förderung von Kooperationen zwischen In-
dustrie und Wissenschaft und nach Einbeziehung des
Luftverkehrs in den Emissionshandel sind längst erfüllt
oder in Angriff genommen.

Die Förderung der technologieintensiven Luftfahrtin-
dustrie bleibt eine Kernaufgabe des Bundeswirtschafts-
ministers, der dafür im Haushalt 2010 rund 175 Millio-
nen Euro zur Verfügung stellen will, rund 40 Millionen
Euro mehr als 2009. Davon gehen allein 125 Millionen
in die Forschungsförderung. Ein wichtiges Kernelement
wiederum bleibt das seit 1995 fortgeschriebene natio-
nale Luftfahrtforschungsprogramm LuFo, das wir in den
letzten Jahren deutlich ausgebaut haben. Für das neue
LuFo IV stehen über die Laufzeit 2007 bis 2013 mehr als
600 Millionen Euro zur Verfügung. Das LuFo ist
– ebenso wie übrigens auch das Deutsche Zentrum für
Luft- und Raumfahrt, DLR – ganz klar an den ACARE-
2020-Klimaschutzzielen des Advisory Council for Aero-
nautics Research in Europe ausgerichtet. Das heißt: Bis
2020 sollen die Flugzeuge der nächsten Generation
durch technischen Fortschritt insgesamt 50 Prozent we-
niger Kraftstoff verbrauchen, 50 Prozent weniger CO2
und 80 Prozent weniger NOx ausstoßen und den Lärmpe-
gel halbieren. Ziel ist das klimaschonende integrierte
Luftverkehrssystem der Zukunft, besonders im wachs-
tumsstarken Segment innovativer Großflugzeuge für
Kurz- und Mittelstrecken. LuFo IV konzentriert sich da-
bei besonders auf die Entwicklung von energieeffizienten
Antriebssystemen, modernsten Leichtbaustrukturen, bes-
serer Aerodynamik und innovativen Energieversorgungs-
und Kabinensystemen. Besondere Schwerpunkte in der
aktuellen dritten Ausschreibungsrunde sind verbrauchs-
arme Triebwerke für Kurzstrecken wie Getriebefan-
Triebwerke oder Open-Rotor-Triebwerke und leichte
CFK-Flugzellen aus Kohlefaserverbundwerkstoffen. Im
Bereich Kabine sollen neue integrierte Technologiege-
samtkonzepte entwickelt werden.

Wichtiges Kriterium bei der Vergabe der staatlichen
Mittel ist die Förderung von Kooperationen. Durch die
starke Einbindung von Hochschulen, Großforschungs-
einrichtungen und kleinen und mittleren Unternehmen
mit einem Anteil von durchschnittlich 40 Prozent der
Fördermittel soll eine intensive Vernetzung von Grundla-
genforschung und angewandtem Engineering erfolgen.
Das ist besonders in der Luftfahrtbranche wettbewerbs-
entscheidend. Es gibt bereits viele zukunftsweisende Bei-
spiele. So wird ein neues Forschungszentrum im CFK-
Valley Stade – seit über 20 Jahren einer der führenden
CFK-Standorte weltweit – die CFK-Technologie in Zu-
sammenarbeit von Flugzeugindustrie und Forschungs-
einrichtungen wie DLR und Fraunhofer weiterentwi-
ckeln, unter anderem durch die weitere Automatisierung
und Beschleunigung der Klebetechnik. Das ist besonders
angesichts des wachsenden Einsatzes von CFK-Werk-
stoffen bedeutsam, deren Anteil zum Beispiel bei Airbus-
Großraumflugzeugen von derzeit 20 auf 50 Prozent an-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber
steigen soll. Auch für die Automobilindustrie und den
Schiffbau sind CFK-Werkstoffe die Schlüsseltechnologie
der Zukunft.

Der CFK-Standort Stade hat auch gute Chancen auf
zusätzliche Fördermittel des Bundes in der noch laufen-
den zweiten Runde des neuen Spitzenclusterwettbewerbs
im Rahmen der Hightech-Strategie, mit dem das BMBF
die bundesweit leistungsfähigsten Cluster aus Wissen-
schaft und Wirtschaft fördert. Bereits in der ersten Runde
wurde das Luftfahrtcluster Metropolregion Hamburg als
eines der fünf besten Cluster in Deutschland für eine
Förderung von rund 40 Millionen Euro über 5 Jahre aus-
gewählt. Dieses weltweit drittgrößte Netzwerk der zivilen
Luftfahrtindustrie ist mit rund 36 000 Mitarbeitern und
einem Netz von über 300 Luftfahrtunternehmen und Zu-
lieferern unter Einbeziehung der Hochschulen bereits
heute ein Aushängeschild für die internationale Wettbe-
werbsfähigkeit des Luftfahrtstandorts Deutschland und
soll weiter zum Kompetenzzentrum „Neues Fliegen“
ausgebaut werden. Dazu sollen insbesondere innovative
Kabinentechnologien und neuartige Brennstoffzellenan-
wendungen für Flugzeuge entwickelt werden. Außerdem
geht es um neue Servicetechnologien zur Wartung, Repa-
ratur und Überholung unter Einsatz neuer Materialien,
und um innovative Konzepte für den Effizienten Flugha-
fen 2030 inklusive Lufttransportsysteme.

In den wachsenden Luftfahrtclustern spielen längst
auch – und das weiß auch die FDP – die maßgeschnei-
derte Qualifizierung des Nachwuchses und die Weiterbil-
dung eine große Rolle, um Fachkräftemangel abzubauen
bzw. vorzubeugen. Bund und Länder bieten hier grundle-
gende Hilfestellung mit der neuen Qualifizierungsoffen-
sive von 2008, die besonders auch die naturwissenschaft-
lich-technische Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen
vom Kindergarten bis zum lebenslangen Lernen adres-
siert. Wir haben zudem die Zuwanderung ausländischer
Fachkräfte erleichtert und unterstützen öffentlich-private
Partnerschaften zur Verbesserung des technischen
Know-hows in der Luftfahrt. Besonders zukunftsweisend
ist das Ziel der Clusterinitiative Future Aerospace Net-
work, FAN, in der Region Stuttgart, im nächsten Jahr
eine Luft- und Raumfahrtakademie als Bindeglied zwi-
schen Hochschule und Weiterbildung zu gründen.

Gemeinsam mit der Industrie richten die Länder auch
immer mehr gemeinsame Forschungszentren und Stif-
tungslehrstühle ein. Zum Beispiel finanziert Airbus im
Luftfahrtcluster Hamburg einen neuen Stiftungslehrstuhl
an der TUHH im Bereich Flugzeug-Kabinensysteme, mit
dem die TU ihr Zentrum für Luftfahrtforschung weiter
ausbauen kann. Die TUHH hat im letzten Jahr außerdem
den neuen Masterstudiengang Flugzeug-Systemtechnik
gestartet und gemeinsam mit industriellen Partnern und
weiteren Hochschulen das neue Zentrum für angewandte
Luftfahrtforschung, ZAL, gegründet. Auch die TU Mün-
chen gewinnt durch zwei neue Stiftungslehrstühle weiter
an Kompetenz als Exzellenzcenter für Luftfahrttechnik.
Die SGL Group fördert mit dem Lehrstuhl für Kohlefa-
serstoffe die Forschung am „Stahl des 21. Jahrhunderts“
auch zugunsten des Flugzeugbaus. Der EADS-Stiftungs-
lehrstuhl für Hubschraubertechnologie von Eurocopter
soll als Basis für das zukünftige Kompetenzzentrum für
Zu Protokoll
Luft- und Raumfahrt, KLR, dienen. Über den Lehrstuhl
für Luftfahrttechnik, der ebenfalls als Stiftungslehrstuhl
begann, pflegt die TU München bereits seit 1989 enge
Forschungskooperationen mit der bayerischen mittel-
ständischen Zulieferindustrie, den großen europäischen
Flugzeugherstellern, mit den großen deutschen For-
schungsinstitutionen und weiteren internationalen Part-
nern.

Rolls-Royce Deutschland unterstützt Technologiezen-
tren an der TU Dresden und Cottbus und kooperiert – ge-
meinsam mit MTU – mit dem Fraunhofer-Institut für
Produktionstechnologie und der RWTH Aachen. Die
Liste ließe sich fortführen. Die Strategie der staatlichen
Förderung der Luftfahrtindustrie hat Erfolg. Sie bringt
insgesamt Fortschritte für den Klimaschutz und die
Energieeffizienz. Sie unterstützt die deutsche Luftfahrt-
industrie bei der rechtzeitigen Entwicklung und Produk-
tion von strategisch wichtigen, konkurrenzfähigen Luft-
fahrzeugen, Systemen und Triebwerken der nächsten
Generation am Standort Deutschland und sichert so
zahlreiche Arbeitsplätze.

Die positiven Rahmenbedingungen für Airbus und die
übrige zivile Luftfahrtindustrie haben zu einem deutli-
chen Anstieg der Beschäftigung in der Luft- und Raum-
fahrt von rund 75 000 in 2004 auf rund 93 000 in 2008
geführt. Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum von
16 Milliarden Euro auf knapp 23 Milliarden Euro. Da-
von profitiert zu je zwei Dritteln die zivile Luftfahrt.

Diese Rahmenbedingungen wollen wir künftig weiter
verbessern. Die Technologieförderung bleibt dabei zen-
trales Anliegen; denn Unternehmen, die in der Krise
– und auch sonst – ihre Innovationen zurückfahren, ver-
spielen ihre und unsere Zukunft. Deshalb werden wir das
Luftfahrtforschungsprogramm fortschreiben. Deshalb
wollen wir die steuerliche Forschungsförderung für alle
forschenden Unternehmen einführen. Deshalb sollten
wir auch die künftigen Zertifikatserlöse aus der Einbezie-
hung des Luftverkehrs in den Emissionshandel für wei-
tere Forschungsprojekte in diesem Sektor nutzen – für ei-
nen zusätzlichen Innovationsschub zugunsten von Klima
und Standort.

Wir unterstützen die Bundesregierung in dem Ziel, die
Entwicklung des innovativen Langstreckenflugzeugs
A350 XWB – geplanter Jungfernflug 2012 – gemeinsam
mit Frankreich und England und möglichst auch Spanien
mit rückzahlbaren und verzinslichen Milliardenkrediten
staatlich zu fördern. Dabei wollen Deutschland bis zu
1,1 Milliarden Euro und Frankreich bis zu 1,4 Milliarden
Euro zur Verfügung stellen. Die Verhandlungen der Air-
bus-Länder sind noch nicht abgeschlossen. Seit 1992 hat
Airbus den Regierungen übrigens inklusive Zinsen sogar
40 Prozent mehr zurückgezahlt als das Unternehmen ins-
gesamt an staatlichen Darlehen erhalten hat. Wir wollen
den deutschen Einfluss beim europäischen Luft- und
Raumfahrtkonzern EADS mit der Airbus-Tochter lang-
fristig sichern. Zwar ist das von der FDP propagierte
Ziel grundsätzlich richtig, die staatliche Beteiligung an
EADS zurückzuführen, um so die unternehmerische
Handlungsfreiheit zu fördern, das darf jedoch nicht im
deutschen Alleingang geschehen. Damit die deutschen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber
Luftfahrtstandorte langfristig eine gute Zukunft haben,
wollen wir in guter Partnerschaft mit Frankreich errei-
chen, dass das industrielle Gleichgewicht zwischen
Deutschland und Frankreich erhalten bleibt. Das sollte
sich in gleichen Aktienanteilen an der EADS ausdrücken.
Das sollte einen ausgewogenen Anteil von Produktion
und Entwicklung an den deutschen Luftfahrtstandorten
sichern. Letzteres ist deshalb eine richtige Kernforde-
rung der Bundesregierung im Zusammenhang mit der
Gewährung eines staatlichen Kredits zur anteiligen Fi-
nanzierung der Entwicklungskosten für den A350 XWB.

Die aktuelle Wirtschaftskrise stellt die Unternehmen
der deutschen Luftfahrtindustrie und ihre Zulieferer na-
turgemäß vor zusätzliche Herausforderungen. Die staat-
lichen Kredit- und Bürgschaftsprogramme stehen auch
diesen Unternehmen offen. Insbesondere hat die Bundes-
regierung die Luftfahrtbranche durch erheblich aus-
geweitete Hermesdeckungen zur Absicherung ihrer
Exportgeschäfte unterstützt. Wir begrüßen, dass die Bun-
desregierung zurzeit prüft, mit Hilfe der KfW weitere
Refinanzierungsmöglichkeiten für Exportgeschäfte zu
schaffen. Der Bericht des Luft- und Raumfahrtkoordina-
tors beim Bundeswirtschaftsminister mit möglicherweise
weiteren Handlungsempfehlungen wird in Kürze vom
Kabinett verabschiedet. Wir werden aus diesem Bericht
in der nächsten Legislaturperiode umgehend die notwen-
digen Konsequenzen ziehen, um den deutschen Luftfahrt-
standort weiter zu stärken. Bei allem Respekt vor den
Leistungen der Großen Koalition: In einer unionsgeführ-
ten Bundesregierung mit einem Koalitionspartner FDP
wäre dieses Thema sicherlich in den allerbesten Händen.


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1623041900

Die Luftfahrtindustrie in Deutschland ist Motor für

technologischen Fortschritt und wirtschaftliche Ent-
wicklung. Sie vereinigt viele Hochtechnologien miteinan-
der, die in unserem Kommunikationszeitalter von zentra-
ler Bedeutung sind. Hier denke ich insbesondere an die
Bereiche Elektronik, die Steuer-, Regel- und Werkstoff-
technik. Hinzu kommen die positiven Auswirkungen auf
andere Bereiche wie die Automobil- und Ausrüstungsin-
dustrie, die Feinmechanik oder die Optik.

Die Luftfahrt überwindet im wahrsten Sinne des Wor-
tes Grenzen: Sie verbindet nicht nur Erdteile miteinan-
der, sondern bringt Menschen zueinander und transpor-
tiert sie über den Globus.

Die Luftfahrtindustrie hat in der Vergangenheit viele
und vor allem hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen.
Über 90 000 Menschen sind direkt in der Luft- und
Raumfahrtindustrie beschäftigt, während der Umsatz
von 14,8 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 22,7 Milliar-
den Euro im vergangenen Jahr gestiegen ist. Dabei ge-
hen ungefähr 65 Prozent des Umsatzes und der Be-
schäftigten auf die zivile Luftfahrt zurück. Weit mehr als
250 000 Menschen arbeiten zudem im Luftverkehrs-
bereich. Diese Zahlen können sich sehen lassen. Sie sind
auch ein Beleg dafür, dass Deutschland eine technologi-
sche Spitzenposition bei der Luftfahrt innehat, die es zu
festigen und auszubauen gilt.
Zu Protokoll
Wir können nicht mit Billiglöhnen in Asien oder Ost-
europa konkurrieren. Deutschland braucht die techno-
logisch besten und anspruchvollsten Produkte, damit wir
unsere führende Stellung als Exportnation bewahren
können. Darüber hinaus sind gut ausgebildete Fach-
arbeiter gefragt, die die anspruchsvollen Tätigkeiten
ausführen können. Um den Fachkräftemangel zu be-
heben, sind weitere Anstrengungen erforderlich. Die In-
dustrie setzt hierbei auf die Nahwuchsförderung und
stellt damit die richtigen Weichen.

Natürlich macht die aktuelle Finanzkrise auch dieser
Branche zu schaffen. Gerade in Zeiten wie diesen kommt
es umso mehr darauf an, dass unser Land gestärkt da-
raus hervorgeht. Hier sind Investitionen in Spitzentech-
nologien und Forschungsprojekte besonders gefragt.

Mit dem Luftfahrtforschungsprogramm der Bundesre-
gierung sind wir gut vorbereitet. Als eines von 17 Leucht-
turmprojekten der Hightech-Strategie sollen Unterneh-
men auch in Zukunft technologisch anspruchsvolle
Arbeitsanteile mit hoher Wertschöpfung akquirieren kön-
nen und hierzulande weitere Arbeitsplätze schaffen. Das
Budget für das Luftfahrtforschungsprogramm ist in den
vergangenen Jahren deutlich erhöht worden. Für den
Zeitraum 2007 bis 2012 stellt die Bundesregierung För-
dermittel in Höhe von insgesamt 634 Millionen Euro zur
Verfügung. Dies verbessert die Rahmenbedingungen der
zivilen Luftfahrt und trägt zur Stärkung des deutschen
Standorts in einem verschärften internationalen Wettbe-
werb bei. Zu den Förderbereichen gehören neben Tech-
nologieprojekten für fortgeschrittene Fertigungs- und
Montagekonzepte auch effiziente Antriebs- und innova-
tive Energieversorgungssysteme. Ziel muss es sein,
sowohl Fertigungskosten als auch das Gewicht abzu-
senken und zugleich die Sicherheit an Bord zu erhöhen.

Eng verbunden mit den Erfolgen der Luftfahrt-
industrie in Deutschland ist der Flugzeughersteller
Airbus. Die Turbulenzen, in die das Unternehmen durch
die Lieferverzögerung beim Airbus 380 und den
schwachen Dollarkurs geraten war, sind weitgehend
überwunden. Das Sanierungsprogramm „Power 8“
trägt. Die Politik unterstützt diesen Prozess. Sie sollte
sich aber nicht in einzelne unternehmerische Ent-
scheidungen einmischen. Airbus wird auf Dauer umso
erfolgreicher sein, je mehr sich die Politik aus dem Un-
ternehmen heraushalten kann. Es bleibt dabei, dass
Deutschland und Frankreich hier an einem Strang ziehen
müssen. Uns muss das Ziel einen, die Erfolgsgeschichte
Airbus gemeinsam fortzuschreiben, und zwar im Inte-
resse der Beschäftigten und im Interesse der europäischen
Luftfahrtindustrie als einer wichtigen Zukunftsbranche.
Eine schrittweise Einschränkung der Beteiligung beider
Länder an Airbus, wie von der FDP gefordert, ist keine
Frage, die unmittelbar ansteht. Jedenfalls muss es bei
einer vernünftigen Balance bleiben, die sich in gleichen
Aktienanteilen und einer effizienten Standortpolitik
widerspiegelt. Deutschland darf kein Außenlager werden
und muss bei Entwicklung und Produktion Kernkompe-
tenzen behalten und Frankreich ebenbürtig bleiben. Un-
sere beiden Länder wissen um die Bedeutung der Luft-
und Raumfahrtindustrie als Innovationsmotor und



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Martin Dörmann
Wachstumsmarkt. Dies war und bleibt der entscheidende
Grund für das staatliche Engagement.

Insgesamt greift der FDP-Antrag, den wir heute
debattieren, zu kurz. Vieles von dem, was er aufgreift, ist
zudem bereits auf den Weg gebracht. Die Einbeziehung
des Luftverkehrs in den Emissionshandel im Jahre 2012
ist bereits beschlossen. Das Bundeswirtschaftsministe-
rium setzt sich dafür ein, die künftigen Zertifikatserlöse
für die Forschung in diesem Bereich einzusetzen.

Die offiziellen Forderungen nach einer Reduzierung
der CO2-Emission bis 2020 um 50 Prozent, der Stickstoff-
oxid-Emissionen um 80 Prozent und des Lärms um
50 Prozent sind keine Erfindung des DLR, sondern
offizielle Zielsetzungen von ACARE – Advisory Council
for Aeronautics Research in Europe – und finden sich
auch im Clean-Sky-Programm der EU-Kommission
wieder. Letzteres ist als erstes Projekt seiner Art eine EU-
weite öffentlich-private Partnerschaft, an der kleinere
und mittlere Unternehmen, Universitäten und For-
schungszentren sowie führende Unternehmen der Luft-
fahrtindustrie beteiligt werden. Hiermit wird einer neuen
Generation umweltfreundlicherer, leiserer und effizien-
terer Flugzeuge der Boden bereitet.

Alles in allem befindet sich die deutsche Luftfahrtin-
dustrie auf einem guten Weg. Da wir in der Vergangen-
heit unsere Hausaufgaben gemacht haben, wird dieser
Sektor die aktuelle Krise gut meistern und zur Stärkung
der Wirtschaftskraft beitragen. Die SPD-Bundestags-
fraktion wird auch in Zukunft ihren Beitrag dazu leisten,
den Stellenwert der Luftfahrt weiter zu sichern und aus-
zubauen.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1623042000

Im vergangenen Jahr steigerte die zivile Luftfahrt in

Deutschland ihren Umsatz um 17,3 Prozent auf 15,3 Mil-
liarden Euro. Die Militärsparte legte leicht um 0,7 Pro-
zent zu auf 5,8 Milliarden Euro. So die Zahlen des BDLI.
Noch im April sagte Airbus-Chef Tom Enders dem „Han-
delsblatt“: „Wir sind keine Branche, die gerettet werden
muss.“

Inzwischen hat die Wirtschafts- und Finanzkrise auch
die Luftfahrt erreicht. Airbus reduziert – ebenso wie
Boeing – die Produktionszahlen. Dennoch ist Europas
Luftfahrtindustrie offenbar bisher gut durch die Krise ge-
kommen, wie auch die Bestellungen für Airbus bei der
Luftfahrtausstellung in Le Bourget zeigen.

Der Weg, auf ökoeffizientes Fliegen zu setzen, ist rich-
tig. Das Ziel, bis 2020 den Treibstoffverbrauch um
15 Prozent zu senken, ist nur mit neuen, umweltfreundli-
chen Triebwerken zu schaffen.

Kaum eine Branche profitiert so von der Globalisie-
rung wie die zivile Luftfahrt. Wir sehen immer mehr, dass
die Wachstumsmärkte in Asien und im arabischen Raum
liegen. Diese Märkte zu erschließen und auszubauen
muss Ziel der Exportnation Deutschland sein. Dort wer-
den wir in den nächsten Jahren stärker mit Konkurrenten
zu tun haben, die Nischenmärkte erobern, zum Beispiel
Brasilien oder Russland.
Zu Protokoll
Die Probleme der Luftfahrtindustrie haben zwar auch
mit der aktuellen Krise zu tun, manche sind aber bereits
seit Jahren ein Ärgernis: der schwache Dollar, der die
Abrechnung für europäische Flugzeugbauer benachtei-
ligt; die schleppende Realisierung von Programmen, bei-
spielsweise das EU-Programm Clean Sky. Es ist für ein
im Wettbewerb stehendes Unternehmen angesichts knap-
per Ressourcen nicht sinnvoll, rund 800 Millionen Euro
in nicht laufende Programme zu binden; der Mangel an
qualifizierten Fachkräften, insbesondere in den inge-
nieurwissenschaftlichen Berufen; der Zugang zu Kredit-
programmen. Als Haushälter bin ich natürlich zurück-
haltend, aber es kann doch nicht sein, dass die
französische Regierung 5 Milliarden Euro für Kredite an
Airlines zur Verfügung stellt, während die Bundesregie-
rung dies für Deutschland im Februar abgelehnt hat.
Hier brauchen wir eine europäische Koordination und
nicht die Wettbewerbsverzerrung einzelner Staaten.

In der letzten Sitzungswoche macht es keinen Sinn
mehr, die Bundesregierung zu Handlungen aufzufordern.
Die Legislaturperiode ist zu Ende, Sie hatten Ihre
Chance. Was ist in der nächsten Wahlperiode zu tun?

Wir sollten an den umweltpolitischen Zielen festhal-
ten. 50 Prozent weniger CO2-Emissionen, 80 Prozent we-
niger NOx-Emissionen und 50 Prozent weniger Lärm bis
2020.

Wir müssen uns über die Schwerpunkte von LuFo V
unterhalten, denn das gegenwärtige Programm läuft
2012 aus. Dabei meinen wir, dass die Schwerpunkte der
Forschungsförderung die unternehmerischen und ökolo-
gischen Ziele der europäischen Luftfahrtindustrie unter-
stützen müssen.

Wir müssen deutlichere Initiativen gegen den Fach-
kräftemangel ergreifen, einerseits durch ein Weiterbil-
dungsprogramm für ältere Ingenieure, gemeinsam mit
dem VDI und den Ländern. Ich würde es aber auch sehr
begrüßen, wenn die Luftfahrtindustrie sich entschließen
würde, eine eigene Stiftungshochschule zu gründen, die
gezielt Studiengänge zur Luftfahrt anbietet und bündelt,
um ein internationales Zentrum für die Luftfahrtbranche
zu werden.

Wir wollen den Luftverkehr in den Emissionshandel
einbeziehen, nicht national isoliert, sondern nach Ab-
schluss einer internationalen Vereinbarung. Dann wird
sich die Anstrengung für ökoeffizientes Fliegen auch im
Wettbewerb rechnen.

Wir wollen weniger staatlichen Einfluss auf unterneh-
merische Entscheidungen bei Airbus und bei EADS. Hier
wird vor allem mit Frankreich zu reden sein. Vorschläge
wie zum Beispiel Goldene Aktien, mit denen der Staat
stärkeren Einfluss nehmen könnte, lehnen wir ab.

Wir brauchen ein modernes Zuwanderungsrecht, denn
ohne Fachkräfte aus dem Ausland sind die Lücken nicht
zu schließen. Hier hat die Große Koalition nichts zu-
stande gebracht.

Zuständigkeiten für die Luft- und Raumfahrt sollten
gebündelt und koordiniert werden. Es macht wenig Sinn,
wenn zum Beispiel die Forschung im BMBF, die Zustän-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach
digkeit für Galileo beim Verkehrsminister und die Bürg-
schaftsprogramme beim BMWi liegen, ohne dass es eine
abgestimmte Strategie gibt. Wenn man einen Koordinator
dafür hat, muss dieser auch entsprechende Befugnisse
haben.

Letzter Punkt: A 400 M. Hier erwarte ich von der Bun-
desregierung nun endlich einmal eine klare Aussage. Ste-
hen Sie zu dem Projekt, oder wollen Sie aussteigen? Die
ursprüngliche Frist im April ist verstrichen, zweimal ha-
ben Sie die Frist verlängert, zuletzt bis Ende Juli. Was ist
denn nun die Linie der Regierung? Fakt ist: Die Ma-
schine liegt mehr als drei Jahre im Zeitplan zurück, sie
leistet nicht die geforderten Parameter, und sie wird er-
heblich teurer. Sicher muss das mit den NATO-Partnern
abgestimmt werden, aber Sie müssen doch eine Meinung
dazu haben.

Deutschland ist mit 60 Stück bisher größter Abnehmer
beim A 400 M. Als Haushälterin sage ich: Wir brauchen
Transparenz über die Kostenentwicklung und die Leis-
tungsparameter. Und wenn die Kosten pro Stück steigen,
dann können wir eben nicht die volle Stückzahl abneh-
men. Es kann nicht sein, dass Verträge abgeschlossen
werden, die vom beauftragten Unternehmen weder zeit-
lich, noch von der Leistung her, noch vom Preis her er-
füllt werden und der Auftraggeber dann ohne mit der
Wimper zu zucken ein teureres, schlechteres Flugzeug
Jahre später in vollen Stückzahlen abnimmt.

Fazit: Die Luftfahrtindustrie in Deutschland wird
langfristig erheblichen Zuwachs verzeichnen, weil der
internationale Luftverkehr wächst. Die gegenwärtige
Krise wird eine Delle auslösen, wie wir sie aber auch
nach dem 11. September 2001 schon einmal hatten. Mit-
telfristig wird vor allem der asiatische und arabische
Markt wachsen.

Rund 90 000 Arbeitsplätze hängen von der Luftfahrt-
industrie in Deutschland ab. Das ist erheblich mehr als
bei Opel. Und anders als bei Opel, wo durch Fehlent-
scheidungen des Mutterkonzerns die Trends zu Ökologie
und Energieeinsparung jahrelang verschlafen wurden,
hat sich die Luftfahrtbranche schon seit Jahren auf öko-
effizientes Fliegen konzentriert.

Unsere Aufgabe als Bund ist es, Rahmenbedingungen
zu setzen, die Wettbewerb begünstigen. Unsere Aufgabe
ist nicht, unternehmerische Entscheidungen zu treffen
und Strukturen zu konservieren. Da haben wir in der
kommenden Wahlperiode noch viel zu tun.


Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623042100

Die FDP fordert von der Bundesregierung eine aktive

Politik, um die Luftfahrtindustrie technologisch voranzu-
bringen. Die praktische Zusammenarbeit in Forschungs-
verbünden zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gehe
noch nicht weit genug. Die Luftfahrtforschung solle auf
Klimaschutzmaßnahmen ausgerichtet werden. Erhebli-
che Anstrengungen von Bund und Ländern bei Qualifi-
zierung und Weiterbildung, speziell von älteren Ingenieu-
ren, seien nötig. Schließlich nimmt die FDP auch noch
den Wunsch der Zulieferindustrie wohlwollend zur
Zu Protokoll
Kenntnis, der Staat möge ihre Investitionsrisiken absi-
chern.

Aus all dem wird deutlich, dass der Staat in der Luft-
fahrtindustrie deutlich mehr tut und mehr tun muss, als
nur Rahmenbedingungen zu setzen. Private Kapitalgeber
sind nicht willens oder in der Lage, die sehr langfristigen
Investitionen der Branche zu finanzieren und die damit
verbundenen Risiken zu tragen. Wir erinnern uns an die
vergeblichen Versuche der Bundesregierung, für Anteile
von Daimler an EADS einen privaten Käufer zu finden.
Neben Beteiligungen finanziert der Staat einen großen
Teil der Forschung und Entwicklung. Hinzu kommen die
umfangreichen Bestellungen von Kriegsgerät.

Der Staat finanziert nicht nur, er koordiniert auch.
Ohne Regie des Staates wäre es zur Gründung von Air-
bus nie gekommen. Zu Recht verlangt die FDP auch
politische Vorgaben für die Ausrichtung der Forschung,
eine Forschungsstrategie der Bundesregierung.

Nun stellt sich die Frage: Wenn der Staat finanziert,
Investitionsrisiken übernimmt, die Forschung ausrichtet,
für die Qualifizierung der Mitarbeiter sorgen muss, wa-
rum soll er dann nicht auch Einfluss auf die Geschäfts-
politik haben? Airbus und Boeing haben bereits seit Jahren
erhebliche Probleme. Diese sind keine Folge staatlicher
Einmischung. Ein Problem war Managementversagen,
nämlich gewagte Zusagen der Verkaufsabteilung und Ko-
ordinationsmängel bei Entwicklung und Fertigung. Ein
weiteres Problem ist die forcierte Auslagerung von Wert-
schöpfung an Zulieferer bei Airbus und Boeing. Sie ist
Ausdruck davon, dass private Kapitaleigner ihren Kapi-
taleinsatz minimieren und Entwicklungsrisiken abgeben
wollen. Wie gefährlich dies ist, zeigen die Probleme beim
Modell 787 von Boeing. Staatlicher Einfluss kann dafür
sorgen, dass die Wertschöpfung im Konzern verbleibt.

Für den Bereich der Luftfahrtindustrie erkennt die
FDP die Notwendigkeit von mehr staatlichen Weiterbil-
dungsmaßnahmen und einer staatlichen Entwicklungs-
strategie an. Diese Notwendigkeit besteht auch in ande-
ren Branchen. Die Bundesagentur für Arbeit muss mit
Mitteln ausgestattet werden, um für Arbeitslose aus allen
Bereichen anspruchsvolle Weiterbildungs- und Qualifi-
zierungsmaßnahmen anbieten zu können. Der Klima-
schutz schließlich muss zum Ziel nicht nur eines Luft-
fahrtforschungsprogramms, sondern eines öffentlichen
Zukunftsprogramms für umweltverträgliche Verkehrslö-
sungen gemacht werden.


Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623042200

Um es schon vorweg zu sagen: Der Antrag der Kolle-

ginnen und Kollegen von der FDP findet unsere große
– wenn auch nicht volle – Zustimmung. Wir werden ihm
daher auch zustimmen.

Liebe Kollegin Flach, leider haben sich unsere Wege
in dieser 16. Legislaturperiode nur noch selten gekreuzt.
Daher möchte ich mich auf diesem Wege von Ihnen ver-
abschieden, da ich ja dem 17. Deutschen Bundestag
nicht mehr angehören werde. Wir haben häufig zu The-
men der Luft- und insbesondere der Raumfahrt miteinan-
der debattiert, und ich erinnere mich gerne an Ihre Über-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
raschung, dass ich so ganz und gar nicht Ihrem Bild
eines grünen Politikers entspreche. Das kann ich aber
umgekehrt auch von Ihnen sagen. Sieben Jahre im Bun-
destag haben mir geholfen, mit so manchen Vorurteilen
gegenüber Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktio-
nen aufzuräumen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls persön-
lich alles Gute und weiterhin viel Freude an Ihrer politi-
schen Arbeit.

Die Luftfahrtindustrie und -technologie steht in den
kommenden Jahren vor großen Herausforderungen,
denn es gilt angesichts des Klimawandels und der stei-
genden Energiekosten, neue Wege hin zu emissionsarmen
und energieeffizienten Flugzeugen bzw. Fluggeräten zu
beschreiten. Nur solche Flugzeuge werden auch in Zu-
kunft eine Chance am Markt haben. Unser aller Ziel
sollte letztlich die Zero-Emission-Technologie in der
Luftfahrt sein. Aber bis dorthin sind noch einige Hürden
zu überwinden.

In den vergangenen Jahren konnten wir beobachten,
dass es offensichtlich erhebliche Konflikte bei der Flug-
zeugentwicklung zwischen Management und Marketing
einerseits und der Forschung, Entwicklung, Planung und
Umsetzung andererseits zu geben scheint. Die Krisen bei
EADS um den Airbus A380, den militärischen Transpor-
ter Airbus A400M und die sich abzeichnenden Probleme
beim A350XWB, aber auch beim großen amerikanischen
Konkurrenten Boeing mit seinem „Dreamliner“ zeigen,
dass die Prioritäten in der Unternehmenspolitik oft nicht
richtig gesetzt werden. Und eine bestimmte Führungs-
ebene scheint genau den Menschen nicht zuzuhören, die
am besten wissen, was geht und was nicht. Ich kenne ei-
nige Ingenieurinnen und Ingenieure aus der Luftfahrt-
industrie; ihre Erzählungen über unrealistische Marke-
ting- und Managementvorgaben haben bei mir einiges
Kopfschütteln verursacht.

Frühzeitigen Hinweisen zum Beispiel auf die Pro-
bleme in der Triebwerksentwicklung und -adaption für
den A400M wurde jedenfalls auf bestimmten Manage-
mentebenen keine Beachtung gezollt, jedenfalls so lange
nicht, bis sich die Probleme nicht mehr unter der Decke
halten ließen. Die Zeche beim A400M zahlen entweder
die Steuerzahler oder, falls Aufträge storniert werden, die
Menschen, die rechtzeitig davor gewarnt haben: die In-
genieure, Techniker und Fachkräfte. Das war beim Air-
bus A380 auch nicht anders.

Die technischen Herausforderungen erfordern neue
Wege und die Entwicklung neuer Technologien, die an
die Grenzen von Materialeigenschaften stoßen. Die Re-
duktion der CO2-Emissionen um 50 Prozent oder der
NOx-Emissionen um 80 Prozent lässt sich nur mit einer
deutlichen Leergewichtseinsparung, einer verbesserten
Aerodynamik und hocheffizienten Triebwerken errei-
chen. Da sind zu enge Termin- und Kostenvorgaben nicht
nur kontraproduktiv, sondern geradezu fahrlässig. Letzt-
lich dürften sie beim A380 den Konzern weit mehr gekos-
tet haben, als er sich durch Einsparungen erhofft hatte.

Die Abhängigkeit von wenigen sehr großen Anbietern
in der Luftfahrtindustrie – eigentlich reden wir ja welt-
weit nur von zwei Unternehmen – ist natürlich für die in-
novativen und sehr forschungsintensiven Zulieferbe-
triebe ein großes Problem. Daher muss die Politik im
Rahmen ihrer Möglichkeiten zumindest darauf achten,
dass derartige Oligopolstrukturen – dazu zum Teil noch
mit erheblicher Staatsbeteiligung – bzw. große Profiteure
staatlicher Nachfrage kritischer kontrolliert werden. Ich
stimme zwar auch Ihrer Forderung zu, dass die staatli-
chen Beteiligungen eingeschränkt werden sollten, mache
mir aber angesichts der aktuellen industriepolitischen
Strategie unserer französischen Freunde wenig Hoff-
nung. Ich kann aber derzeit leider nicht sehen, wie eine
Absicherung der Investitionsrisiken der mittelständi-
schen Zulieferindustrie praktisch umsetzbar sein könnte.
Ich sehe gleichwohl die erheblichen Probleme, die sich in
den letzten Wochen und Monaten – wenn man die Signale
aus Le Bourget 2009 richtig deutet – wohl noch deutlich
zugespitzt haben.

Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie wäre nicht
möglich ohne die Menschen, ohne die Forscher, die Inge-
nieure und die exzellenten Fachkräfte in der Montage.
Daher unterstützen wir ausdrücklich die vielen Forde-
rungen im Antrag der FDP, in denen es um die „Köpfe“
geht. Egal ob es um die Förderung des Interesses bei jun-
gen Menschen, um die Ausbildung, Weiterbildung, die
bessere Vernetzung von Hochschulen oder um den er-
leichterten Zuzug von ausländischen Fachkräften geht,
wir müssen uns endlich dem drängenden Problem des
Fachkräftemangels in allen Bereichen stellen, und zwar
heute und nicht morgen; obwohl „heute“ bedeutet, dass
unsere Bemühungen eigentlich fast schon zu spät kom-
men angesichts eines Vorlaufs von fünf bis zehn Jahren.

Das Höchsttechnologie- und Hochlohnland Deutsch-
land wird nur dann eine Chance im internationalen Wett-
bewerb haben, wenn wir uns den Herausforderern an der
Bildungs- und Wissensfront stellen. Hierfür müssen wir
unsere Anstrengungen erheblich erhöhen. Das gilt ei-
gentlich für alle Industriezweige, aber für die Luftfahrt-
industrie ganz besonders.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623042300

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8410. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 48 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Auch Verletztenrenten früherer NVA-Angehö-
riger der DDR anrechnungsfrei auf die
Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen

– Drucksachen 16/13182, 16/13622 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Markus Kurth


(A) (C)



(B) (D)


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1623042400

Die Fraktion Die Linke fordert, dass eine Unfallrente

von ehemaligen NVA-Angehörigen nicht auf Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende angerechnet
wird. Mit ihrem Antrag verfolgt die Linke aber eine
durchsichtige Strategie: Kurz vor Ende der Legislatur-
periode wird ein Antrag nachgeschoben und ein rasches
Handeln der Bundesregierung gefordert. Dies zeigt, dass
es den Antragstellern nicht um Lösungen für die Betrof-
fenen geht, sondern wie immer um Aktionismus und
Populismus. Schon aus diesem Grund werden wir als
Unionsfraktion dem Antrag nicht zustimmen.

In der Sache selbst ist festzustellen. Wehrdienstbe-
schädigungen bei Soldaten der Bundeswehr und der
ehemaligen NVA sind in unterschiedlichen Rechtsgrund-
lagen geregelt. Bundeswehrsoldaten erhalten eine
Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Ehe-
malige Angehörige der NVA sind im Rahmen der Renten-
überleitung nicht in die Versorgung nach dem Soldaten-
versorgungsgesetz aufgenommen worden. Unfälle von
Zeit- und Berufssoldaten der ehemaligen NVA werden
über einen Dienstbeschädigungsausgleich abgewickelt.
Unfälle von Wehrpflichtigen waren in der DDR Arbeits-
unfällen gleichgestellt und sind konsequenterweise in die
gesetzliche Unfallversicherung übergeleitet worden. Das
ist in der Tat heute diskussionswürdig. Die unterschiedli-
che Behandlung von Berufssoldaten und Wehrpflichtigen
ist zwar gerichtlich bestätigt, politisch aber durchaus zu
hinterfragen.

Bei der Einkommensberechnung im Rahmen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende sind die Unter-
schiede nämlich erheblich. Die Verletztenrente nach dem
Soldatenversorgungsgesetz ist als Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz eingestuft und stellt damit pri-
vilegiertes Einkommen dar, das nicht angerechnet wird.
Die Verletztenrente eines ehemaligen NVA-Wehrpflichti-
gen ist als Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
keine Grundrente im Sinne des Bundesversorgungsgeset-
zes und wird auch nicht als zweckbestimmte Einnahme
eingestuft. Deshalb wird sie angerechnet. So entsteht die
Situation, dass Verletztenrenten aus nahezu vergleichba-
ren Sachverhalten unterschiedlich behandelt werden.
Eine gerichtliche Anfechtung der Anrechnung scheiterte
bislang an dem Umstand, dass tatsächlich unterschiedli-
che Rechtsgrundlagen bestehen und damit ein Gleich-
heitsverstoß ausscheidet.

Diese Problematik hat den Petitionsausschuss auf Ini-
tiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu bewo-
gen, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf-
zufordern, eine gerechte Regelung der vergleichbaren
Sachverhalte zu erarbeiten.

Vor allem muss eine verlässliche Datengrundlage er-
stellt werden, wie viele Bürger betroffen sind. Das ist mit
dem statistischen Material der Bundesagentur für Arbeit
durchaus zu leisten. Auf dieser Grundlage sollte in der
nächsten Wahlperiode das Anliegen fundiert beraten
werden.

Mögliche Befürchtungen über eine Ausweitung der
Freistellung auf alle Empfänger von Verletztenrente
durch Schaffung eines Präzedenzfalls ist entgegenzuhal-
Zu Protokoll
ten, dass die Gruppe der ehemaligen NVA-Wehrpflichti-
gen während ihrer Dienstzeit, ebenso wie Wehrpflichtige
bei der Bundeswehr, in einem besonderen Dienst- und
Treueverhältnis zu ihrem Dienstherrn standen und sich
schon deshalb von anderen Gruppen unterscheiden. Zu-
dem ist der Wehrdienst, unabhängig von der Bewertung
zu DDR-Zeiten, nicht als normale Berufstätigkeit einzu-
ordnen. Die Besonderheiten des Dienstverhältnisses bei
den Streitkräften sind mit anderen Tätigkeiten nicht zu
vergleichen.

Der Schaufensterantrag der Fraktion Die Linke geht
auf diese Thematik nicht ein. Deshalb ist er unglaubwür-
dig. Ich möchte, dass die Verletztenrenten in der kom-
menden Wahlperiode pragmatisch beraten werden, auch
einschließlich aller Kostenfragen. Deshalb plädiere ich
für eine lösungsorientierte Herangehensweise im Sinne
der betroffenen ehemaligen NVA-Soldaten.

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass eine strikte
Ablehnung des Antrages an sich nicht gerechtfertigt ist.
Der Antrag der Linken war aber nicht hilfreich, weil sich
die Initiatoren die Sache viel zu einfach machen.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1623042500

Wir reden heute hier über einen Antrag, dessen Ab-

stimmung mir und vielen meiner ostdeutschen Kollegin-
nen und Kollegen nicht leichtfällt. Denn es geht wieder
mal um die Überleitung von Ansprüchen aus den Versor-
gungssystemen der ehemaligen DDR. Es geht um die zu-
stehende und wohlverdiente Anerkennung ihrer Lebens-
leistung aus vielen Jahren Dienstzeit.

Bevor ich zum Antrag selber komme, möchte ich noch
mal an die schwierige Situation von damals erinnern.

Die freiwillige Zusatzrentenversicherung, die auf-
grund der Beitragsbemessungsgrenze von nur 600 Mark
dem niedrigen Rentenniveau im Osten entgegenwirken
sollte, sowie die rund 60 Zusatzversorgungssysteme und
die Sonderversorgungssysteme mussten überführt wer-
den. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die ostdeut-
sche Alterssicherungsform dem Rentenversicherungssys-
tem der Bundesrepublik unbekannt war.

Als besonders schwierig erwies sich dabei die Einbe-
ziehung von Versorgungssystemen, die nicht immer eine
Beitragspflicht nach sich zog, aber in jedem Fall zu einer
höheren Rentenleistung führte.

Der damalige Gesetzgeber und das Bundesverfas-
sungsgericht, BVerfG, haben entschieden, dass höhere
Steigerungssätze und Anrechnung von Verdiensten, für
die keine Beiträge gezahlt wurden, nicht mit den Grund-
sätzen des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts der
Bundesrepublik Deutschland vereinbar waren. Nach dem
Grundsatz der Beitragsäquivalenz richtet sich die Höhe
der Rentenleistung nach dem durch Beiträge versicher-
ten Arbeitsentgelt. Das heißt, höhere Leistungen aus der
Rentenversicherung setzen höhere Beiträge voraus. Im
Fall des besonderen Steigerungssatzes ist dieser Grund-
satz nicht gewährleistet. Darüber hinaus hätte eine
Übernahme in das einheitliche Rentenrecht zu einer
Ungleichbehandlung gegenüber den Berufsgruppen
geführt, die nicht in den Genuss des besonderen Steige-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Angelika Krüger-Leißner
rungssatz kamen. Aus diesem Grund haben der Gesetz-
geber und das BVerfG gegen eine Übernahme entschie-
den.

In vielen parlamentarischen Beratungen hier in die-
sem Hause – zuletzt im Mai diesen Jahres – haben wir die
Regelungen der Überleitung lang und breit diskutiert.
Auch die Gerichtsbarkeit hat sich mit ihren verschiede-
nen Instanzen intensiv damit beschäftigt. Was bleibt, ist
die politische Grundsatzentscheidung, in einem wieder-
vereinigten Deutschland ein gemeinsames lohn- und bei-
tragsbezogenes Rentenrecht einzuführen. Die war 1990
richtig und bleibt es auch.

Auch wenn mit der Überleitung nicht alle Erwerbs-
biografien, die in der DDR zurückgelegt wurden, denen
der Bundesrepublik gleichgestellt werden konnten, so
wurde jedoch durch großzügige Übergangsregelungen
den damaligen Rentnern und rentennahen Jahrgängen
ein Vertrauensschutz gewährt.

Natürlich würde ich mir wünschen, dass wir endlich
eine vernünftige Regelung für alle Ostrentner finden und
zu einer absehbaren Angleichung der Ostrenten an West-
niveau kommen. Wir feiern in diesem Jahr 20 Jahre Wie-
dervereinigung. Da sollte es eigentlich keinen Unter-
schied mehr zwischen Ost- und Westrenten geben. Doch
wir alle hier wissen, dass es keine einfache Lösung gibt.
Im Einigungsvertrag von 1990 ist das Ziel festgehalten,
dass die Renten dauerhaft angeglichen werden sollen.
Und an dem Ziel halte ich weiterhin fest. Ich weiß, dass der
Weg dorthin schwierig ist, aber wir werden ihn gehen –
Stufe für Stufe.

Ich möchte, das sage ich ganz besonders in Richtung
der Linken, noch mal darauf hinweisen, dass es eine his-
torische und vor allem solidarische Leistung des deut-
schen Volkes war, zwei völlig unterschiedliche Renten-
systeme zu einem einheitlichen zusammenzuführen. Das
bitte ich, auch bei aller gefühlter Ungerechtigkeit, doch
dringend zu beachten und zu würdigen.

Auch bei dem uns heute zur Abstimmung vorliegenden
Antrag, die Verletztenrente früherer NVA-Angehöriger
der DDR – wie die der Bundeswehrsoldaten – anrech-
nungsfrei auf das ALG II zu stellen, wird die Thematik
der Ungleichbehandlung wieder aufgegriffen.

Natürlich sagt mir mein Bauchgefühl, Moment mal?
Ist das nicht formal das Gleiche? NVA-Soldat und Bun-
deswehrsoldat. Wenn bei der Gruppe der Bundeswehr-
soldaten die Verletztenrente bis zur Höhe der Grundrente
anrechnungsfrei auf die Grundsicherung ist, sollte das
doch auch für NVA-Soldaten gelten?

Ähnlich hat es auch der Petitionsausschuss gesehen.
Doch von den ihm zur Verfügung stehenden Voten hat er
mit „Überweisung als Material“ ein doch sehr schwa-
ches Votum gewählt. Die Bundesregierung wird damit
aufgefordert, den Petitionsbeschluss in weitere Untersu-
chungen einzubeziehen. Das Thema „Bombodrom“, dem
geplanten und hoffentlich nie in Betrieb gehenden Luftbo-
denschießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide, wurde bei-
spielsweise zur „Erwägung“ überwiesen. Damit wurde
der Verteidigungsminister aufgefordert, nach Möglich-
keiten der Abhilfe zu suchen.
Zu Protokoll
Bei der Beurteilung von Ungleichbehandlungen müs-
sen wir jedoch unterscheiden zwischen Bauchgefühl und
Rechtslage. Auch wenn es nicht immer leichtfällt. Die
Rechtslage ist in diesem Fall zugegeben etwas schwierig,
dennoch eindeutig. Das hat das Bundessozialgericht
durch verschiedene Urteile bestätigt. Ich werde versu-
chen, das mit einfachen Worten verständlich darzustel-
len.

Die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz,
BVG, und Leistungen nach Gesetzen, die eine Anwen-
dung des BVG vorsehen, sind privilegiert. Privilegiert
deshalb, weil diese Renten und Leistungen den Verlust
körperlicher Unversehrtheit als Sonderopfer für die All-
gemeinheit sehen und ausgleichen. Dieser Ausgleich soll
nicht durch Anrechnung auf das ALG II entwertet wer-
den.

Zu diesen privilegierten Leistungen gehören auch
Leistungen für Bundeswehrsoldaten, die während ihrer
Wehrdienstzeit in Ausübung ihres Dienstes gesundheitli-
che Schäden erlitten haben.

Nun können Sie sagen, na das ist doch bei der NVA ge-
nau das Gleiche gewesen. Rechtlich ist es das eben nicht.
Denn der Gesetzgeber hat bewusst zwischen Unfällen,
die während der Wehrdienstzeit eingetreten sind und Un-
fällen die während der Arbeit eingetreten sind unter-
schieden. Und für Arbeitsunfälle besteht kein Anspruch
aus dem BVG, sondern aus der gesetzlichen Unfallversi-
cherung. Da die Verletztenrente aus der gesetzlichen Un-
fallversicherung als Lohnersatzleistungen gelten, ist sie
als anzurechnendes Einkommen auf die Grundsicherung
zu berücksichtigen.

Was hat das aber mit der Verletztenrente der NVA zu
tun? Ich werde es Ihnen sagen.

In der DDR wurde nicht zwischen Wehrdienst- und Ar-
beitsunfällen unterschieden. Im Arbeitsgesetzbuch der
DDR war geregelt, dass erlittene Körper- und Gesund-
heitsschäden in Ausübung des Dienstes bei den bewaff-
neten Organen als Arbeitsunfälle gelten.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfrak-
tion, war eine Systementscheidung der kommunistischen
Diktatur in der DDR. Demzufolge wurden Ansprüche aus
NVA-Wehrdienstunfällen in die gesetzliche Unfallversi-
cherung übergeleitet.

Würden wir diese schwierige, aber dennoch richtige
Entscheidung von vor 20 Jahren rückgängig machen und
eine teilweise Privilegierung der Verletztenrente einfüh-
ren, hätte das weitere Forderungen anderer Bezieher von
Verletztenrenten aus der Unfallversicherung zur Folge.

Vom Bauchgefühl her kann ich das Anliegen der Be-
troffenen verstehen und nachvollziehen. Dennoch sind
rechtlich beide Sachverhalte – NVA und Bundeswehr –
nicht miteinander zu vergleichen. Da gibt es eher andere
Ungerechtigkeiten wie zum Beispiel die geringeren Hin-
zuverdienstgrenzen von pensionierten Bundeswehrsolda-
ten mit NVA-Vordienstzeiten. Eine von uns gewollte
Angleichung scheiterte bisher an unserem Koalitions-
partner.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Angelika Krüger-Leißner
Ich hoffe, dass wir nach dem 27. September andere
Mehrheiten im Bundestag haben, damit wir an dieser
Stelle eine Verbesserung der Bundeswehrsoldaten mit
NVA-Vordienstzeiten erreichen.

Lassen Sie mich noch eine abschließende Bemerkung
machen: Dinge, die in der DDR 40 Jahre lang falsch ge-
macht wurden, können wir nicht mit einem Federstrich
wieder rückgängig machen! Gleichzeitig sollten wir aber
Dinge, die richtig gelaufen sind, nicht mir einem Feder-
strich abschaffen.


Heinz-Peter Haustein (FDP):
Rede ID: ID1623042600

In dem Antrag, den die Fraktion Die Linke hier zur

Debatte gestellt hat, wird die Gleichstellung von früheren
Wehrdienstleistenden bei der NVA mit solchen bei der
Bundeswehr gefordert. NVA-Wehrdienstleistende, die
wegen eines Unfalls oder wegen einer erlittenen Schädi-
gung eine Verletztenrente beziehen, sollen, so wird gefor-
dert, denen gleichgestellt werden, die ihre Schädigung im
Dienst der Bundeswehr erfuhren.

Zu der Ungleichbehandlung, die in dem Antrag kon-
statiert wird, kommt es, wenn die Verletztenrente ehema-
liger NVA-Wehrdienstleistender auf die Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende, das ALG II, ange-
rechnet wird, während die Beschädigtenrente für Bun-
deswehrangehörige, die nach dem Soldatenversorgungs-
gesetz gezahlt wird, beim ALG II als privilegiertes
Einkommen behandelt wird, und zwar bis zur Höhe der
Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz. Die
unterschiedliche Behandlung beider Gruppen ergibt sich
daraus, dass Bundeswehrangehörige, wie gesagt, nach
wie vor nach dem Soldatenversorgungsgesetz eine Be-
schädigtenrente erhalten, während die Verletztenrenten
der ehemaligen NVA-Wehrdienstleistenden mit der deut-
schen Einheit in die gesetzliche Unfallversicherung
überführt worden sind. Denn Unfälle von Grundwehrsol-
daten in der DDR wurden – anders als bei Berufs- oder
Zeitsoldaten der NVA – nach DDR-Recht als Arbeits-
unfälle behandelt.

Tatsächlich kann man feststellen, dass es hier eine ge-
wisse Ungleichbehandlung gibt, handelt es sich doch in
beiden Fällen um ehemalige Armeeangehörige. Doch
ganz so leicht ist es nicht. Denn man muss wissen, dass
hier nun wieder einmal die Schwierigkeiten zutage tre-
ten, die der Vereinigungsprozess mit sich gebracht hat.
Wie so oft bei der deutschen Einheit ergab sich auch hier
die Frage, wie zwei unterschiedliche Systeme miteinan-
der zu verbinden sind. Denn Bundeswehrsoldaten fallen
in den Geltungsbereich des Soldatenversorgungsrechts.
Der Gesetzgeber stellte seinerzeit fest, den Geschädigten
sei mit der Schädigung ein „Sonderopfer“ abverlangt
worden, wofür sie Vergünstigungen erhalten sollten. Da-
mit genossen geschädigte ehemalige Bundeswehrsolda-
ten einen Sonderstatus. Unfälle von Wehrdienstleisten-
den bei der NVA hingegen galten nach DDR-Recht als
Arbeitsunfälle. Insofern war es also nur konsequent, dass
der Gesetzgeber im Einigungsprozess ehemalige NVA-
Angehörige, die eine Verletztenrente bezogen haben oder
noch heute beziehen, wie andere Arbeitnehmer auch in
Zu Protokoll
die gesetzliche Unfallversicherung bzw. in den Geltungs-
bereich des SGB VII überführte.

Faktisch ist also der Gesetzgeber damals bei der Ein-
heit lediglich dem Rechtsverständnis der DDR treu ge-
blieben, indem auch weiterhin Grundwehrpflichtige der
NVA, die eine Verletzung oder sonstige Schädigung erlit-
ten hatten, so behandelt werden, wie es das DDR-Recht
tat, nämlich als solche, die einen Arbeitsunfall erlitten
haben. So zeigt sich noch heute bei der Frage der An-
rechnung auf das ALG II der Unterschied der beiden Sys-
teme bzw. unterschiedlicher Rechtsverständnisse.

Doch natürlich hilft die Erkenntnis, dass sich an der
Anrechnungsfrage noch heute die Systemunterschiede
besichtigen lassen, nicht den Betroffenen. Denn, wie ge-
sagt, es handelt sich doch letztlich in beiden Fällen um
ehemalige Angehörige der Armee ihres Landes. Insofern
kann man hier einen Handlungsbedarf sehen, zumal
20 Jahre nach dem Fall der Mauer. Und an dieser Stelle
ist die Frage zulässig, ob man hier nicht im Jahr 20 nach
dem Mauerfall zu einer Vereinheitlichung kommen kann.
Zwar vertritt die Bundesregierung die Position, dass man
sehr wohl einem fest umrissenen Personenkreis aus be-
sonderem Anlass Vergünstigungen zugestehen könne,
ohne dass jemand anderes – in diesem Fall die ehemali-
gen NVA-Wehrdienstleistenden – daraus für sich ein ver-
fassungsrechtliches Gebot ableiten könne, dieselben Ver-
günstigungen in Anspruch nehmen zu dürfen. Allerdings
hat sich auch der Petitionsausschuss bereits mit der An-
gelegenheit beschäftigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass
es ich in beiden Fällen um einen vergleichbaren Sachver-
halt handele.

Wir sehen hier einen Handlungsbedarf, weshalb wir
dem Antrag zustimmen werden. 20 Jahre nach der deut-
schen Einheit sollte auch hier eine einheitliche Regelung
für alle ehemaligen Armeeangehörigen gefunden wer-
den, dies insbesondere auch deshalb, weil die Wehr-
pflicht in der DDR ja nicht eine Wehrpflicht war, wie wir
sie heute aus der Bundesrepublik kennen. Man konnte
nicht ein Formular ausfüllen und war dann eben ein
Kriegsdienstverweigerer, der statt des Dienstes an der
Waffe Krankenwagen fahren oder im Altenheim helfen
konnte. Nein, die Wehrpflicht wurde vom Staat rigoros
durchgezogen. Wer den Wehrdienst verweigerte, ging für
zwei Jahre ins Gefängnis. Somit hatten Wehrpflichtige
keine Chance, dem zu entgehen. Wir sollten die Men-
schen nicht noch beim ALG-II-Bezug gegenüber Bundes-
wehrwehrpflichtigen benachteiligen.


Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623042700

Die Regelung erachtet der Petitionsausschuss nicht
für sachgerecht und für verfassungsrechtlich be-
denklich.

Diese Feststellung hat nicht die Fraktion Die Linke,
sondern der Petitionsausschuss im Jahr 2007 getroffen.
Worum geht es? Bundeswehrangehörige, die während ih-
res Wehrdienstes einen gesundheitlichen Schaden erlitten
haben, erhalten eine Wehrdienstbeschädigtenrente. NVA-
Angehörige erhalten eine Verletztenrente. So weit, so gut,
kann man sagen. Wie die Rente heißt, sollte unerheblich
sein, ist es aber nicht: Sobald die Grundsicherung für Ar-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martina Bunge
beitsuchende – also Arbeitslosengeld-II-Empfänger –
eine Rolle spielt, erweist sich der Unterschied als erheb-
lich.

Die Wehrdienstbeschädigtenrente des Bundeswehran-
gehörigen gilt bis zur Höhe der Grundrente nach Bun-
desversorgungsgesetz als privilegiertes Einkommen.
Dieser Teil wird demzufolge nicht auf das ALG II ange-
rechnet und kommt dem Betroffenen voll zugute. Anders
ist es bei dem NVA-Angehörigen. Dessen Verletztenrente
wird vollständig auf das ALG II angerechnet.

Das ist eine Ungleichbehandlung. Zu diesem Schluss
kam offensichtlich auch, wie schon eingangs zitiert, der
Petitionsausschuss. Dessen Auffassung, dass diese Rege-
lung nicht sachgerecht und verfassungsrechtlich bedenk-
lich ist, haben wir uns alle, hat sich der Bundestag in sei-
ner Beratung vom 5. Juli 2007 zu eigen gemacht.

Das Parlament folgte dem Vorschlag der Beschluss-
empfehlung und überwies die Petition an die Bundes-
regierung, das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les, als Material und gab sie den Fraktionen zur
Kenntnis. Das liegt jetzt genau zwei Jahre zurück. Aus
dem Bundesministerium war in dieser Sache nichts zu
hören, und auch die Koalitionsfraktionen, deren Aufgabe
es wäre, eine Änderung herbeizuführen, blieben tatenlos.
Unlängst verwies das Bundesverfassungsgericht in sei-
ner Entscheidung vom 17. März 2009 auf den vorhande-
nen Gestaltungsspielraum in dieser Sache. Auch das
blieb ohne Echo.

Deshalb hat sich meine Fraktion entschlossen, den
vorliegenden Antrag einzureichen. Ich fordere Sie auf,
ihm zu folgen. Springen auch Sie, werte Kolleginnen und
Kollegen von den Koalitionsfraktionen, über Ihren
Schatten, so, wie es FDP und Grüne im Ausschuss schon
getan haben. Damit könnte ein besonders krasses Bei-
spiel von Ungleichheit zwischen Ost und West beseitigt
werden. Es kann nicht sein, dass eine Dienstbeschädi-
gung im Osten weniger wert ist als eine Dienstbeschädi-
gung im Westen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623042800

Für mich und meine Fraktion gibt es in der Sozial-

politik und darüber hinaus einen ganz klaren Grundsatz.
Gleiches muss gleich behandelt werden, Ungleiches
nicht. Wir müssen also untersuchen, ob hier eine Un-
gleichbehandlung von früheren Angehörigen der Natio-
nalen Volksarmee, NVA, und der Bundeswehr vorliegt,
die nicht gerechtfertigt ist.

Die Linke fordert die Gleichstellung bei der Einkom-
mensprüfung im SGB II von Personen, die in der NVA
Arbeitsunfälle erlitten haben, mit solchen, denen selbiges
in der Bundeswehr zugestoßen ist. Dazu muss man erklä-
ren, dass Unfälle von Wehrpflichtigen in der DDR als Ar-
beitsunfälle entschädigt wurden, bei der Bundeswehr da-
gegen nach dem Soldatenversorgungsrecht. ALG-II-
Empfänger müssen sich eine Unfallrente voll anrechnen
lassen, da sie der Sicherung des Lebensunterhalts dient
und damit demselben Zweck wie das ALG II. Leistungen
nach dem Soldatenversorgungsgesetz zählen dagegen
zum Entschädigungsrecht und gelten als zweckbestimmte
Einnahmen, da sie erlittene Schäden kompensieren sol-
len. Sie werden nur oberhalb einer gewissen Höhe – ver-
gleichbare Grundrente nach dem Bundesversorgungsge-
setz – angerechnet.

Es liegt ganz klar auf der Hand, dass es sich dem
Sinne nach auch bei Zahlungen an die ehemaligen NVA-
Angehörigen um Entschädigungen handelt, genauso wie
es bei der Bundeswehr der Fall ist. Auch der Petitions-
ausschuss des Bundestages hat gerügt, dass sich dadurch
ein Nachteil für die NVA-Wehrpflichtigen ergibt.

Ein Kläger aus Jena wurde während seines Wehr-
dienstes bei der NVA durch ständigen Lkw-Lärm schwer-
hörig. Das Bundessozialgericht, BSG, wies seine Klage
ab. Nicht jede sich aus der deutschen Wiedervereinigung
ergebende Ungleichheit sei so schwerwiegend, dass sie
als Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgeset-
zes zu werten sei, erklärte das BSG zur Begründung. Das
mag man juristisch so sehen können, politisch ist diese
Wertung aber unzutreffend.

Lassen Sie uns also hier ganz deutlich sagen: Gleiche
Sachverhalte müssen gleich behandelt werden. Die Ver-
letztenrente der ehemaligen NVA-Angehörigen darf ge-
nauso wie die Leistungen an Bundeswehrangehörige
nach dem Soldatenversorgungsrecht nicht auf die Grund-
sicherung nach dem ALG II angerechnet werden. Des-
halb ist es geboten, dem Antrag zuzustimmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623042900

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13622, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/13182 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 49 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz,

(Herborn)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sorgerechtsregelung für Nichtverheiratete re-
formieren

– Drucksachen 16/9361, 16/13446 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1623043000

Wir stimmen heute über einen Antrag der Grünen ab,

der die Sorgerechtsregelung Nichtverheirateter zum Ge-
genstand hat.


(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
Ich habe bereits in der Beratung vor einem Jahr das
Wesentliche aus Sicht der Union gesagt. Daher möchte
ich mich an dieser Stelle nicht wiederholen und be-
schränke mich auf die aus unserer Sicht entscheidenden
Punkte:

Nach dem Willen der Antragssteller soll die gemein-
same Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern
künftig nicht nur durch übereinstimmende Sorgeerklä-
rungen der Eltern, sondern auch durch gerichtliche Ent-
scheidung begründet werden können. Ein entsprechender
Anspruch des Vaters soll dann gegeben sein, wenn die
gemeinsame Sorge dem Wohl des Kindes am besten ent-
spricht. Die Union steht diesem Anliegen grundsätzlich
offen gegenüber. Das möchte ich an dieser Stelle beto-
nen. Wogegen wir uns allerdings aussprechen, sind ge-
setzgeberische Schnellschüsse bei einer doch sehr sen-
siblen Materie.

Der Gesetzgeber hatte bei der Kindschaftsrechtsre-
form im Jahr 1998 bewusst die gemeinsame elterliche
Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig ge-
macht, da er die Lebenssituationen, in die nichteheliche
Kinder hineingeboren werden, als weniger stabil einge-
schätzt hat als bei einer Ehe. Danach könne man nicht
von vornherein davon ausgehen, dass die Eltern bereit
und in der Lage seien, zum Wohl des Kindes zu koope-
rieren. Dies gelte erst recht für Lebenssituationen, in
denen Vater und Mutter nicht einmal zusammen leben.
Die gemeinsame Sorge wird daher in diesen Fällen da-
von abhängig gemacht, dass die Eltern ihre Kooperations-
bereitschaft durch die Abgabe einer gemeinsamen Sorge-
erklärung dokumentieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Wertung des
Gesetzgebers im Kern für verfassungskonform erklärt,
ihm jedoch zeitgleich eine Beobachtungspflicht aufer-
legt: Bestehen die Lebenssituationen tatsächlich so, wie
der Gesetzgeber angenommen hat, oder muss das Gesetz
nachgebessert werden? Wie sieht es also heute – gut zehn
Jahre später – aus? Treffen die Annahmen von damals
noch zu, oder haben sich nicht vielmehr die gesellschaft-
lichen Bedingungen und damit das Selbstverständnis der
Väter weiterentwickelt? Ist es vielleicht sogar so, dass es
eher die Mütter sind, die eine dauerhafte Kooperation
mit dem Vater nicht wünschen? Und wenn ja, welche
Konsequenzen sind hieraus im Interesse des Kindes zu
ziehen?

Dies sind in der Tat schwierige Fragen, auf die wir bis
zum heutigen Tag noch keine wirklich belastbaren Ant-
worten haben. Wir wissen derzeit noch immer zu wenig
über die Lebenssituation der betroffenen Väter, Mütter
und Kinder. Auch eine Umfrage des Bundesjustizministe-
riums bei Rechtsanwälten und Jugendämtern im Herbst
2006 hat keine verlässlichen Informationen gebracht.
Statistisch belegt ist lediglich, dass etwa 45 Prozent aller
nicht miteinander verheirateten Paare gemeinsame Sor-
geerklärungen abgegeben haben. Die Gründe, warum
55 Prozent dies nicht getan haben, waren vielfältig. Hier-
bei ist allerdings zu beachten, dass es sich bei diesen Be-
fragungen nicht um eine Untersuchung handelte, die wis-
senschaftlichen Anforderungen genügte.
Zu Protokoll
Wir schulden es den Kindern – im Übrigen auch den
Vätern –, dass wir diese Fragen zügig klären und in der
Folge dann gegebenenfalls gesetzgeberisch handeln.
Die Union hat vor diesem Hintergrund darauf ge-
drängt, ergänzend zu den bisherigen Erhebungen eine
wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen, um die
erforderliche Datenbasis schnell zu schaffen. Das Bun-
desjustizministerium hat inzwischen einen Forschungs-
auftrag vergeben. Die Ergebnisse werden Ende 2010 er-
wartet.

Unabhängig vom Ausgang dieser Untersuchung
zeichnet sich bereits jetzt ab, dass sich die gesellschaftli-
che Realität in den letzten zehn Jahren stark verändert
hat. Wir können beobachten, dass sich mit der Herausbil-
dung neuer Formen des familiären Zusammenlebens
gleichzeitig auch die Rolle der Väter ganz erheblich ver-
ändert hat. Entgegen einem lange verbreiteten Vorurteil
wollen immer mehr nichteheliche Väter ebenso wie Müt-
ter Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und sich
an der Erziehung ihres Kindes engagiert beteiligen. Auch
diese Väter haben ein natürliches Elternrecht, das ihnen
nur bei schwerwiegenden Einwänden und aus Gründen
des Kindeswohls verweigert werden darf. Diesem Um-
stand müssen wir Rechnung tragen.

Obwohl wir aus besagten Gründen einen gesetzgebe-
rischen Schnellschuss zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab-
lehnen, spricht aus unserer Sicht einiges dafür, dass das
gemeinsame Sorgerecht künftig nicht nur durch überein-
stimmende Sorgeerklärungen der Eltern, sondern auch
durch gerichtliche Entscheidung begründet werden kann.
Ein entsprechender Anspruch des Vaters sollte dann ge-
geben sein, wenn die gemeinsame Sorge im jeweiligen
Einzelfall im Interesse des Kindes liegt, sie also am bes-
ten dem Kindeswohl entspricht. Ein Anhaltspunkt hierfür
könnte etwa sein, wenn der Vater über einen längeren
Zeitraum gezeigt hat, dass er in der Lage und willens ist,
für das Kind zu sorgen. Diese Lösung wäre moderat und
würde sowohl die Interessen beider Eltern, aber vor al-
lem eben auch das Interesse des Kindes berücksichtigen.

Die Union wird daher in der neuen Legislaturperiode
diese Frage offen angehen. Im Mittelpunkt steht dabei für
uns immer das Kindeswohl. Wir sind es aber den Vätern
schuldig, dass wir etwaige Gesetzesänderungen zeitnah
prüfen und dabei auch ihre berechtigten Interessen be-
rücksichtigen.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1623043100

Wir beraten heute die Beschlussempfehlung und den

Bericht des Rechtsausschusses zum Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen „Sorgerechtsregelung für Nichtver-
heiratete reformieren“. Darin fordert die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen die Bundesregierung dazu auf, einen
Gesetzentwurf zur Änderung des § 1626 a BGB, der das
Sorgerecht nichtverheirateter Eltern betrifft, vorzulegen.

Seit der Kindschaftsrechtsreform im Jahr 1998 sieht
das Gesetz vor, dass nichtverheiratete Eltern das gemein-
same Sorgerecht dann erhalten können, wenn die Eltern
entweder beide erklären, dass sie die Sorge gemeinsam
übernehmen wollen, oder einander heiraten. Ansonsten



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
bleibt es bei der Regelung, dass die Mutter das Sorge-
recht behält.

Das Sorgerecht betrifft die wesentlichen Entscheidun-
gen im Leben des Kindes, das Aufenthaltsbestimmungs-
recht, die Vornamensgebung, Festlegung der Religion,
Einwilligung in die ärztliche Behandlung, Anmeldung
zur Kindertagesstätte, Schule usw. Nur in den seltenen
Fällen, wenn der Mutter das Sorgerecht entzogen wurde
oder sie aus praktischen oder rechtlichen Gründen selbst
nicht in der Lage, ist die Sorge auszuüben, kann der Vater
sein eigenes Sorgerecht erwirken. Nunmehr fordert die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Öffnung der bishe-
rigen Regelung dahin gehend, dass ein Anspruch auf ge-
richtliche Einzelfallentscheidung zum gemeinsamen Sor-
gerecht möglich wird. Sie fordern eine neue Regelung,
wonach eine gerichtliche Einzelfallentscheidung zuguns-
ten des gemeinsamen Sorgerechts auch gegen den aus-
drücklichen Willen der Mutter möglich ist.

Einigen sich also die Elternteile – aus welchen Grün-
den auch immer – nicht darauf, eine einvernehmliche
Sorgeerklärung abzugeben, bleibt es bislang beim allei-
nigen Sorgerecht für die Mutter. Dem lag bei der Reform
1998 die Annahme zugrunde, dass ein gegen den Willen
der Mutter erzwungenes Sorgerecht nicht dem Wohl des
Kindes entsprechen kann. Diese Regelung hat das Bun-
desverfassungsgericht auch in seinem Urteil vom 29. Ja-
nuar 2003 als verfassungskonform bestätigt.

Die Gründe, aus denen es nicht zu einem gemeinsa-
men Sorgerecht kommt, mögen vielfältig sein, sowohl bei
Eltern, die niemals eine Beziehung hatten, als auch bei
solchen, die zusammenleben. Tatsächlich kann man sa-
gen, dass die Familienformen in Deutschland vielfältiger
werden, die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaf-
ten mit Kindern steigt und die Unterschiede in der Le-
bensweise zwischen verheirateten und nichtverheirateten
Paaren insgesamt geringer werden. In der Tat gibt es ein
gewandeltes Selbstverständnis von Vätern, die sich zu ih-
rer Erziehungsverantwortung bekennen, Umgangs- und
Unterhaltspflichten erfüllen und bereit sind alltägliche
Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen, also auch
für die wesentlichen Entscheidungen im Leben des Kin-
des, die das Sorgerecht betrifft.

In seinem Urteil vom 29. Januar 2003 hat das Bundes-
verfassungsgericht dem Gesetzgeber allerdings keine
Vorgaben gemacht, wie er den Prüfauftrag erfüllt. Insbe-
sondere hat das Bundesverfassungsgericht die seit 1998
bestehende Regelung nicht infrage gestellt. In seinen Ur-
teilsgründen hat es festgestellt, dass angesichts der neu-
geschaffenen Rechtsform zum damaligen Zeitpunkt des
Urteils noch keine tragfähigen empirischen Aussagen
möglich waren (vergleiche BVerfGE 107, 150 ff., 179 f.).

Es verbietet sich daher eine vorschnelle Gesetzesän-
derung, vielmehr bleibt zu prüfen, inwieweit die gesetz-
geberischen Annahmen der Wirklichkeit entsprechen.
Damit kommt der Gesetzgeber seiner Verantwortung
nach, zu prüfen, ob es Gründe gibt, die für die Änderung
der Regelung sprechen, und in wie vielen Fällen ein ge-
meinsames Sorgerecht der unverheirateten Eltern dem
Kindeswohl entspricht.
Zu Protokoll
Hierzu wurden bereits verschiedene Maßnahmen ge-
troffen: Seit 2004 wird die Begründung der gemeinsamen
Sorge durch Sorgeerklärungen statistisch erfasst. Da-
nach geben etwa 45 Prozent aller nicht miteinander ver-
heirateten Paare Sorgeerklärungen ab. Außerdem hat
das Bundesjustizministerium im Herbst 2006 eine Um-
frage bei Rechtsanwälten und Jugendämtern zum Kon-
fliktpotenzial der gesetzlichen Regelung durchgeführt.
Da diese Befragung keine belastbaren Erkenntnisse über
die wahren Motivlagen der Mütter lieferte, sondern auf
Eindrücken und Erfahrungen Dritter beruhte, hat das
Bundesjustizministerium dazu ergänzend in diesem
Frühjahr eine wissenschaftliche Untersuchung in Auf-
trag gegeben. Betroffene Mütter und Väter werden hier
durch geschulte Interviewer befragt, um belastbare sta-
tistische Daten zu erlangen. Ergebnisse sind nicht vor
Ende des Jahres 2010 zu erwarten.

Bei der im Grünen-Antrag vorgesehenen Klage des
Vaters soll die gerichtliche Prüfung für alle Fälle gelten,
in denen der Vater seinen Anteil an elterlicher Fürsorge
erfüllt oder dies gern tun würde, aber bislang nur daran
gehindert wurde. Die Klage des Vaters soll nach dem An-
trag im Wesentlichen voraussetzen, dass der Vater seinen
Anteil an elterlicher Fürsorge erfüllt, die Mutter sich je-
doch aus kindeswohlfremden Gründen weigert, eine ge-
meinsame Sorgeerklärung abzugeben.

Bevor es jedoch zu einer so weitreichenden, unter Um-
ständen gegen die Interessen alleinerziehender Mütter
gerichteten Regelung kommt, sollte auf jeden Fall die
vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene wis-
senschaftliche Untersuchung sorgfältig ausgewertet wer-
den. Es ist selbstverständlich – wir sind es den Müttern
schuldig – zunächst mehr über die Motivlagen der Müt-
ter zu erfahren, darüber, warum sie nicht mit einem ge-
meinsamen Sorgerecht einverstanden sind. Dies ent-
spricht auch dem Kindeswohl. Daher lehnen wir den
Antrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Wir werden uns
aber bei Vorlage der belastbaren Information dieser
Frage stellen.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1623043200

Bereits im Juni letzten Jahres haben wir uns in der

ersten Lesung mit dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen „Sorgerechtsregelung für Nichtverheiratete
reformieren“ beschäftigt. In diesen zurückliegenden
zwölf Monaten hat sich jedoch kein wesentlich neuer Er-
kenntnisgewinn ergeben. Die von mir geforderte Sach-
verständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deut-
schen Bundestages hat nicht stattgefunden. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat eine solche Anhörung zu ih-
rem eigenen Antrag gescheut. Gerade bei einem solch
sensiblen Thema wie der Zusprechung des Sorgerechts
für Kinder ist eine sehr sorgfältige Abwägung erforder-
lich. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen versucht mit
ihrem Antrag jedoch auf einer populistischen Welle mit-
zureiten, die seit einigen Monaten immer wieder in der
deutschen Medienlandschaft auftaucht. Ein solcher Po-
pulismus wird diesem schwierigen Thema jedoch nicht
gerecht. Aus diesem Grunde wird auch die FDP-Bundes-
tagsfraktion jetzt dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen nicht zustimmen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dass dieser Antrag gerade von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen so vehement vorangetrieben wird,
verwundert. Vor der Kindschaftsrechtsreform stand die
elterliche Sorge bei einem nichtehelichen Kind allein der
Mutter zu. Eine gemeinsame Sorgetragung für das
nichteheliche Kind war gar nicht vorgesehen. Mit dem
Kindschaftsrechtsreformgesetz, welches am 1. Juli 1998
in Kraft trat, wurde unter anderem das Sorgerecht in
Deutschland neu geregelt. Diesen Gesetzentwurf habe
ich als damalige Bundesjustizministerin intensiv vorbe-
reitet und leidenschaftlich begleitet.

Erst durch die Kindschaftsrechtsreform wurde die Ei-
genverantwortung der nichtehelichen Lebenspartner ge-
stärkt. Seit diesem Zeitpunkt haben nicht miteinander
verheiratete Eltern eines Kindes unter anderem dann die
gemeinsame elterliche Sorge, wenn die beiden Elternteile
übereinstimmende Sorgeerklärungen abgeben. Ganz be-
wusst hat der Gesetzgeber damals die gemeinsame Sorge
Nichtverheirateter von der Zustimmung der Mutter ab-
hängig gemacht. Denn eine gemeinsame elterliche Sorge
setzt im Sinne des Kindeswohls die Übereinstimmung
und Kooperationsbereitschaft beider Elternteile voraus.
Dem Kind ist nicht geholfen, wenn die Elternteile ständig
über Sorgerechtsfragen nur noch über ihre Anwälte re-
den.

Darüber hinaus werden nichteheliche Kinder nicht
nur in intakten nichtehelichen Lebensgemeinschaften ge-
boren, sondern sind eben oftmals auch das Ergebnis spo-
radischer und instabiler Beziehungen. Auch in diesen
Fällen scheint ein Mindestmaß an Übereinstimmung und
Kooperationsbereitschaft beider Elternteile nicht gene-
rell gegeben zu sein. Auch das Bundesverfassungsgericht
hat in seinem Urteil im Jahre 2003 die jetzige gesetzli-
che Regelung für verfassungsmäßig erklärt. Der Ge-
setzgeber sei nur verpflichtet, die tatsächliche Entwick-
lung zu beobachten und zu prüfen, ob die der Regelung
zugrunde liegenden Annahmen auch der Wirklichkeit
entsprechen.

Es stellt sich also die Frage, ob Anlass dazu besteht,
den Müttern zu misstrauen, anzunehmen, dass sie den
leiblichen Vätern das Sorgerecht aus sachfremden Erwä-
gungen entziehen. Oder ist es nicht vielmehr so, dass die
Mütter diese Entscheidung in aller Regel sehr bewusst
zum Wohl des Kindes nutzen? Dies jedenfalls, die selbst-
bestimmte Entscheidung der Mutter zum Wohl des Kin-
des, war die gedankliche Ausgangslage bei der Verab-
schiedung der Kindschaftsrechtsreform 1998. Diese
gedankliche Ausgangslage wurde auch von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen damals nicht nur mitgetragen,
sondern unterstützt. Vor diesem Hintergrund muss man
sich schon die Frage gefallen lassen, was zu einem sol-
chen Sinneswandel geführt hat, was die Antragsteller zu
der Einsicht gebracht hat, dass die Mütter ihre Möglich-
keiten im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Sorge-
recht missbrauchen. Die reinen Tatsachen jedenfalls kön-
nen es nicht sein.

Die Bundesregierung hat vor dem Hintergrund des
Urteils des Bundesverfassungsgerichtes eine Rechtsver-
gleichung mit den EU-Mitgliedstaaten durchgeführt, das
Statistische Bundesamt erfasst seit 2004 die Zahl der ge-
Zu Protokoll
meinsamen Sorgeerklärungen und das Bundesjustizmi-
nisterium hat eine nichtrepräsentative Umfrage bei Ju-
gendämtern und Rechtsanwälten durchgeführt. Das
Ergebnis dieser nichtrepräsentativen Studie ist einzig
und allein die Feststellung, dass 45 Prozent der nicht
miteinander verheirateten Eltern die gemeinsame Sorge
durch Sorgerechtserklärung begründen. Alle diese Maß-
nahmen sind jedoch letztendlich nicht geeignet, abschlie-
ßend den Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichtes zu
erfüllen. Hier besteht noch dringender Nachholbedarf.
Das Bundesjustizministerium hat eine entsprechende
Studie in Auftrag gegeben. Mit den Ergebnissen ist leider
erst in der nächsten Wahlperiode zu rechnen.

Bis diese Ergebnisse vorliegen, sind jedoch aus Sicht
der FDP-Bundestagsfraktion viele Fragen zu klären, be-
vor dem Vater die Möglichkeit einer gerichtlichen Einzel-
fallentscheidung zur Erlangung der gemeinsamen Sorge
gegen den Willen der Mutter eingeräumt werden kann:
Inwieweit wird die Sorgeerklärung tatsächlich als
Machtposition gegenüber dem Vater missbraucht? Was
bringt eine gemeinsame Sorge, wenn keine Übereinstim-
mung und Kooperationsbereitschaft der Eltern besteht?
Was bringt eine solche gemeinsame Sorge insbesondere
dem betroffenen Kind? Ist dem Kindeswohl, das im Mit-
telpunkt unserer Überlegungen stehen muss, damit
wirklich gedient? Vor der Klärung dieser Grundlagen
ist jedoch nicht zu beurteilen, inwieweit überhaupt Re-
formbedarf besteht. Der heute dem Deutschen Bundestag
in zweiter Lesung vorliegende Antrag basiert somit auf
einer nicht ausreichenden Tatsachenforschung.

Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich vor diesem
Hintergrund enthalten und das Thema in der nächsten
Wahlperiode erneut zu Sprache bringen.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623043300

Nichts wird besser! Wie bereits vor über einem Jahr

festgestellt: Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Ein-
führung der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprü-
fung der Weigerung der Mutter, eine gemeinsame Sorge-
erklärung mit dem Vater des Kindes abzugeben. Der
historisch-juristische Abriss zum Kindschaftsrecht wurde
von der Kollegin Granold bereits in der ersten Lesung
vor einem Jahr zutreffend dargestellt.

Inhaltlich lässt sich nach wie vor feststellen, dass in
einer intakten Paarbeziehung bzw. Einvernehmlichkeit
der unverheirateten Eltern in aller Regel die gemeinsame
Sorge erklärt wird. Wir wissen aber immer noch zu wenig
über die Gründe, warum Eltern die gemeinsame Sorge
nicht erklären. Allein aus dem Umstand, dass über
50 Prozent der unverheirateten Eltern die gemeinsame
Sorge nicht erklären, lässt sich nicht schließen, dass die
Eltern wegen einer Weigerung der Mütter auf die Abgabe
einer gemeinsamen Sorgeerklärung verzichten. Wir
brauchen belastbare Ergebnisse, bevor gesetzliche Neu-
regelungen angestrebt werden.

Ergebnisse der vom Justizministerium angekündigten
wissenschaftlichen Gutachten liegen immer noch nicht
vor. Nach dem Vorliegen dieser Ergebnisse würden wir
einen Weg beschreiten können, den uns unsere europäi-
schen Nachbarn bereits vormachen, nämlich das grund-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
sätzliche gemeinsame Sorgerecht von unverheirateten
Eltern mit der Möglichkeit, dieses durch einen Elternteil
gerichtlich regeln zu lassen, sowohl in der Richtung, das
Sorgerecht auf sich allein übertragen zu lassen, als auch
in Richtung auf den anderen Elternteil.

Sinngemäß hat auch das Bundesverfassungsgericht
darauf hingewiesen, als es um die Pflicht eines Vaters
zum Umgang mit seinem Kind ging. Ein erzwungener
Umgang, dem ein Vater nur widerwillig nachkommt,
kann für ein Kind traumatisierend sein, argumentierte
das Gericht. Eine erzwungene gemeinsame Sorge kann
eventuell ähnliche Wirkungen haben. Von daher muss
auch die Möglichkeit geschaffen werden, das Sorgerecht
auf den anderen Elternteil übertragen zu lassen.

Der Wunsch, es Kindern zu ermöglichen, Kontakt zu
beiden Eltern zu haben und von beiden Eltern sowohl
finanziell als auch tatsächlich versorgt und erzogen zu
werden, bleibt nach wie vor bestehen, zumal Kinder es
sich nicht aussuchen können, ob ihre Eltern vor der Ge-
burt eine Ehe eingegangen sind oder nicht.

Fraglich ist nach wie vor, ob der Vorschlag im vorlie-
genden Antrag der Grünen überhaupt praktikabel ist.
Eine Regelung über die elterliche Sorge, die nicht im
Einvernehmen der Eltern erreicht werden soll, entspricht
nach den Erfahrungen in der Praxis gerade nicht dem
Kindeswohl. Durch die Einführung eines Überprüfungs-
verfahrens, wie es die Grünen vorschlagen, wird das
Kindeswohl instrumentalisiert und zum Spielball der El-
terninteressen. Ein enttäuschter Vater, der sich vielleicht
eine Beziehung mit der Mutter gewünscht hat, bekommt
so ein Druckmittel über das Kind in die Hand. Oder gar
wenn das Kind aus einer Vergewaltigung entstanden ist:
Soll die Mutter wirklich befürchten müssen, dass der Ver-
gewaltiger das Sorgerechtsüberprüfungsverfahren ein-
leitet? Gerade in letzterem Fall wäre die Übertragung
des Sorgerechts auf die Mutter, für den Fall der vorhin
von mir geschilderten visionären grundsätzlich gemein-
samen Sorge, ein Beispiel für die Begründetheit eines
solchen Antrags auf Übertragung der alleinigen Sorge.

Die bereits vor einem Jahr angeführte Untersuchung
des Justizministeriums führt als einen Grund der fehlen-
den gemeinsamen Sorgeerklärung an, dass die Eltern
über die rechtlichen Folgen sehr häufig nicht ausrei-
chend informiert seien. Hier muss gegenwärtig angesetzt
werden. Im Falle des grundsätzlichen gemeinsamen Sor-
gerechts – wie bei Ehepaaren – wäre dies hinfällig. Ge-
genwärtig wird von Eltern aktives Tun gefordert, um die
gemeinsame Sorge zu erlangen. Warum sollte es nicht
der Regelfall werden und aktives Tun eines Elternteils
erst dann notwendig werden, wenn es um die alleinige
Sorge für das Kind geht?

Deshalb gilt es, Lösungen zu finden, die Kindeswohl
und Elterninteressen berücksichtigen, nicht gerichtlich
erzwungenes gemeinsames Sorgerecht. Nur muss das Er-
gebnis des im Frühjahr vergebenen Forschungsvorha-
bens zum gemeinsamen Sorgerecht abgewartet werden,
was nach Auskunft den BMJ nicht vor Ende 2010 zu er-
warten ist. Das letzte Wort in dieser Sache ist jedenfalls
noch nicht gesprochen; dem Antrag der Grünen jeden-
Zu Protokoll
falls fehlt nach wie vor die Weitsicht, und deshalb kann
die Linke diesem Antrag nicht zustimmen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623043400

Leider hat das parlamentarische Verfahren bezüglich

unseres Antrages zur Reform der Sorgerechtsregelung
für Nichtverheiratete zu keinen neuen Erkenntnissen ge-
führt. Die Sachlage ist in der Debatte bei der ersten Le-
sung am 26. Juni 2008 schon hinreichend geschildert
worden, sodass sich hier eine Wiederholung erübrigt.
Folgt man der Beschlussempfehlung des federführenden
Rechtsausschusses, wird es in dieser Wahlperiode auch
zu keiner Gesetzesänderung kommen.

Auch genau ein Jahr nach der ersten Lesung unseres
Antrages ist das Anliegen einer Sorgerechtsreform im-
mer noch drängend. Es mag Aufgaben geben, die mit der
Zeit weniger virulent werden oder sich sogar von selbst
erledigen – zugegebenermaßen ist dies nicht so oft der
Fall –, bei diesem Thema sicherlich nicht. Von daher
hätte sich eine eingehende Befassung mit unserem Vor-
schlag gelohnt. Das Interesse aller anderen Fraktionen
hat sich jedoch, gelinde gesagt, in sehr engen Grenzen
gehalten. Da kam es vermutlich gerade recht, dass erst
eine entsprechende wissenschaftliche Studie in Auftrag
gegeben wurde, mit deren Ergebnissen erst weit in der
nächsten Wahlperiode zu rechnen ist. Hierzu ist dreierlei
festzustellen.

Ein besonders großes Engagement oder gar beson-
dere Eile kann man hier dem zuständigen Ministerium
nicht unterstellen. Es wäre nicht vermessen, elf Jahre
nach der großen Reform des Kindschaftsrechts und sechs
Jahre nach dem Bundesverfassungsgerichtsauftrag zu ei-
ner Überprüfung der sorgerechtlichen Praxis bei Nicht-
verheirateten bereits eine abgeschlossene Untersuchung
zu erwarten. Das gilt besonders angesichts der Tatsache,
dass natürlich nicht die gesamte Kindschaftsrechtsrefom,
sondern ein klar umrissener Ausschnitt – die gemein-
same Sorgeerklärung bei Nichtverheirateten – zur Dis-
kussion steht. Es handelt sich um ein diffiziles und hoch-
emotionales Thema. Rechtsregelungen in einem solch
privat-persönlichen Bereich werden immer kontrovers
bleiben und wohl nie auf ungeteilte Zustimmung stoßen.
Dennoch sollte man der Versuchung widerstehen, hier
auf Zeit zu spielen und notwendige Debatten vor sich
herzuschieben.

Beim Stichwort der notwendigen Debatte komme ich
zu meiner zweiten Feststellung. Es gibt diverse Themen,
bei denen gerade seitens der Koalition betont wird, hier
wäre das Anstoßen oder Verstärken einer öffentlichen ge-
sellschaftlichen Debatte überaus wichtig, auch wenn
noch nicht sofort die entsprechende Umsetzung gewähr-
leistet werden könne. Das ist bei einigen familienpoliti-
schen Themen so erfolgt. Im Hinblick auf das Sorgerecht
soll das jetzt nicht gelten. Ich finde, diese Debatte – die ja
existiert und die etliche Bürgerinnen und Bürger betrifft,
hätte vom Parlament mit bedeutend mehr Engagement
aufgegriffen werden müssen. Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, aber auch von der FDP und
der Linken, haben schlichtweg abgewinkt.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz
Eine dritte und entscheidende Feststellung: Wir haben
unsere Position zum Sorgerecht gründlich erarbeitet.
Dazu gehörte ein enger inhaltlicher Austausch mit sehr
vielen Fachleuten und Verbänden. Das ist übrigens bei
vielen Initiativen hier im Hause die Arbeitsgrundlage,
das heißt Entscheidungen werden auf Basis von Empfeh-
lungen der Fachwelt getroffen, auch wenn diese eben
nicht alle dezidiert empirisch unterlegt sind. Zudem ist
die Hoffnung auf empirische Untersuchungen zumeist
eine trügerische: Wie oft führen diese eben nicht zu ein-
deutigen Ergebnissen und wie oft sind die zu ziehenden
Schlussfolgerungen Interpretationen und keine zwingen-
den, unbezweifelbaren Ableitungen?

Unser aus dieser Arbeit resultierender Reformvor-
schlag ist plausibel begründet. Er bietet eine sachgerechte
und überzeugende moderate Lösung der bestehenden Pro-
blemlage. Die prinzipielle Möglichkeit des Ausschlusses
des nichtverheirateten Vaters vom Sorgerecht unabhän-
gig jedweder Umstände stellt ein Gerechtigkeitslücke
dar, die geschlossen werden sollte. Eine solche Regelung
ist absolut unzeitgemäß, und sie ist im europäischen Ver-
gleich nahezu beispiellos. Ich bin fest davon überzeugt,
dass man unseren Antrag auch ohne eine gesonderte em-
pirische Untersuchung abstimmen und umsetzen könnte.
Dazu hätte es selbstredend einer Mehrheit im Ausschuss
bzw. im Plenum des Bundestages bedurft. Voraussetzung
wäre dafür jedoch eine wirkliche Befassung mit dem
Thema – einschließlich einer Fachanhörung – gewesen,
was aber bedauerlicherweise nicht erfolgt ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623043500

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13446, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9361 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 50 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

Biotechnologische Innovationen im Interesse
von Verbrauchern und Landwirten weltweit
nutzen – Biotechnologie ein Instrument zur
Bekämpfung von Armut und Hunger in den
Entwicklungsländern

– Drucksachen 16/6714, 16/11450 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1623043600

Wir dürfen uns die Chancen der Biotechnologie nicht

verbauen. Sie bietet große Potenziale, insbesondere im
Hinblick auf die weltweit drängenden Fragen der Zu-
kunft: nämlich die Sicherung der Welternährung, die Ge-
sundheit und die Energieversorgung. Die Biotechnologie
hat wahrscheinlich mehr Antworten auf diese dringen-
den Fragen der Menschheit als jede andere Spitzentech-
nologie. Natürlich kann sie die Probleme nicht alleine lö-
sen, aber sie kann einen wichtigen Beitrag hierzu leisten.
Dabei steht das Prinzip der Sicherheit für Mensch, Tier
und Umwelt immer an oberster Stelle.

Die Weltbevölkerung wächst jährlich um 80 Millionen
Menschen. Laut Welternährungsorganisation wird der
Bedarf an Lebensmitteln bis 2030 um 60 Prozent steigen.
Geradezu dramatisch ist die Prognose, dass die verfüg-
bare Anbaufläche für Nahrungs- und Energiepflanzen
pro Erdenbürger sich bis zum Jahre 2040 halbieren wird.
Wir können also gar nicht umhin, die Leistungsfähigkeit
unserer Kulturpflanzen und damit die Effizienz der Land-
wirtschaft entscheidend zu steigern. Die Agrar- und Er-
nährungswissenschaften spielen dabei mehr denn je eine
zentrale Rolle. Wir müssen uns in Zukunft noch intensiver
als bisher mit Pflanzenzüchtung und -forschung beschäf-
tigen. Vor allem auch, um nicht den Anschluss zu verlie-
ren und damit abhängig von anderen Ländern zu werden.

Es ist ein geradezu ein Widersinn, gentechnisch ver-
änderte Pflanzen hierzulande nicht verfüttern zu dürfen,
das importierte Fleisch von derart gefütterten Tieren
aber zu verspeisen. Wir müssen eine nachhaltige Produk-
tivitätssteigerung durch moderne Technologien wie zum
Beispiel die Grüne Gentechnik, modernen Pflanzen-
schutz und Pflanzenernährung ermöglichen. Nur mit de-
ren Hilfe werden wir in der Lage sein, die Weltbevölke-
rung zukünftig zu ernähren.

Breite Wissenschaftskreise in Deutschland und
Europa sprechen deshalb bei der Biotechnologie von der
Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Denn sie bie-
tet die Möglichkeit der Verbesserung von Pflanzeneigen-
schaften für die Produktion von Lebensmitteln, Rohstof-
fen und die Bioenergie.

Ich nenne als Stichworte: verbesserte Nährstoffge-
halte, höhere Energiedichte bei Energiepflanzen, erhöhte
Widerstandsfähigkeit gegen klimatischen Stress – Eig-
nung für wasserarme Standorte –, Widerstandsfähigkeit
gegen Schädlinge und Krankheiten und damit die Mög-
lichkeit zur Vermeidung von Ertrags- und Qualitätsver-
lusten. Aber auch die ökologischen Vorteile sind zu nen-
nen: weniger chemischer Pflanzenschutz, geringerer
Energiebedarf moderner Produktionsmethoden und
mehr Erosionsschutz.

Die Pflanze als zentraler Organismus wird damit,
mehr als bisher angenommen, in den Fokus von öko-
logisch und nachhaltig ausgerichteter Nahrungs- und
Energieerzeugung gerückt. Gerade Landwirte in Ent-
wicklungs- und Schwellenländern profitieren von den so-
zioökonomischen Vorteilen des Anbaus genveränderter
Pflanzen. In Indien beispielsweise können die Landwirte,
die Bt-Baumwolle anbauen, ihre Erträge um bis zu
50 Prozent steigern. Ihr Einkommen liegt im Durch-


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Lehmer
schnitt um 250 US-Dollar höher als beim Anbau konven-
tioneller Sorten. Die Zahlen in China sind ähnlich.

Oft wird vor der Gefahr einer Monopolisierung ge-
warnt. Diese Tendenz ist nicht von der Hand zu weisen.
Ich meine allerdings, dass nur mit einer eigenen starken
nationalen bzw. staatlichen Forschung und einer konse-
quenten Unterstützung unserer überwiegend mittelstän-
disch geprägten Pflanzenzucht in Deutschland dieser un-
erwünschten Entwicklung entgegengewirkt werden kann.

Deutschland hat ein enormes wissenschaftliches
Potenzial für eine erfolgversprechende, weltweit ver-
wertbare Forschung in diesem Bereich. Wir müssen die-
ses Potenzial endlich offensiv nutzen. Der Wissenschafts-
und Forschungsstandort Deutschland muss auch in die-
sem Bereich führend sein.

Die Idealisierung von Stillstand ist dagegen eine ge-
fährliche Illusion.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1623043700

Man kann Ihnen zugute halten, dass Ihr Antrag bereits

aus dem Oktober 2007 stammt. Damals lag der Welt-
agrarbericht noch nicht vor, der kam erst im April 2008,
und auch der Bericht des Büros für Technikfolgenab-
schätzung, TAB, „Transgenes Saatgut in Entwicklungs-
ländern“ erschien erst vor kurzem und konnte von der
FDP noch nicht berücksichtigt werden.

Allerdings gibt es schon so lange, wie es die Grüne
Gentechnik gibt, berechtigte Zweifel daran, dass sie das
geeignete Instrument ist, den Hunger in der Welt zu be-
kämpfen. In zahlreichen Untersuchungen warnen Exper-
ten immer wieder davor, auf die Grüne Gentechnik als
Wundermittel gegen Hunger zu setzen. Aber solche Er-
kenntnisse werden offenbar ignoriert, weil sie nicht ins
FDP-Konzept passen.

Der Weltagrarbericht beschäftigt sich intensiv mit der
Frage, wie in den sogenannten Entwicklungsländern
Hunger und Armut bekämpft werden können. Ein breit
gefächertes Spektrum von 400 Experten aus dem Agro-
business, der Lebensmittelindustrie, der Wissenschaft,
der Verbraucher-, Bauern-, Umwelt- und anderer Nicht-
regierungsorganisationen fordert in diesem Bericht die
Abkehr vom monokulturellen Intensivanbau: Dessen Bi-
lanz fiel bei hohem Einsatz von Kapital und Energie zwar
über Jahrzehnte positiv aus, dies aber vor allem deshalb,
weil die Umweltkosten ausgeklammert wurden.

Die Produktivitätssteigerung durch technologische
Fortschritte ist an ihre Grenzen gestoßen und die Kosten
für die Umwelt und die Entwicklungsländer werden zu
hoch. Die Zukunft der landwirtschaftlichen Produktion
liegt in einer nachhaltigen, das heißt in einer umwelt-
und ressourcenschonenden Produktion. Die Agrogen-
technik ist da der falsche Weg. Über den Nutzen gentech-
nisch veränderter Pflanzen lassen sich kaum Aussagen
machen, dokumentiert sind sowohl Ertragszuwächse in
stark schwankender Höhe als auch Ertragsrückgänge.
Vielmehr ist zu beobachten, dass Grüne Gentechnik die
lokalen Anbaupraktiken unterwandert, die die Nah-
rungsmittelversorgung der Bevölkerung und der Wirt-
schaft vor Ort sichern. Genverändertes Saatgut ver-
Zu Protokoll
drängt heimische und lokal angepasste Sorten. Patente
treiben die Kosten in die Höhe, treiben Bauern in die
Abhängigkeit von Biotechnologieunternehmen und sor-
gen für eine Konzentration des Eigentums an landwirt-
schaftlichen Ressourcen.

Armut und fehlender Zugang zu ausreichender Nah-
rung sind nach wie vor auf mangelnde Verteilungsge-
rechtigkeit zurückzuführen.

Dass bis heute der Beweis für den Nutzen des Einsat-
zes der Gentechnik fehlt, stellt auch der TAB-Bericht fest.
Das TAB hat die Datenlage zur Verwendung von transge-
nem Saatgut in bestimmten Ländern untersucht, insbe-
sondere in China, Costa Rica, Chile und Brasilien. Dabei
geht es neben den ökologischen und gesundheitlichen
Effekten vor allem um sozioökonomische bzw. wirtschaft-
liche Resultate: Wer entwickelt bzw. verwendet transge-
nes Saatgut, mit welchem Nutzen und wie verteilen sich
eventuelle Gewinne? Ein wichtiges Ergebnis dieser
Untersuchung ist: Der bisherige Nutzen des Einsatzes
transgenen Saatguts in Entwicklungsländern erscheint in
Bezug auf das Spektrum der Pflanzenarten, Sorten und
Eigenschaften begrenzt.

Wichtig ist aber auch die Feststellung, dass der bisher
beschrittene Weg der technologiefixierten Bewertung
nicht erfolgversprechend ist: Sie wird der Komplexität
der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Effekte
und den großen Interessen- und Zielkonflikten ver-
schiedener gesellschaftlicher Gruppen nicht gerecht.
Das TAB plädiert für ein Umsteuern von der seit langem
festgefahrenen technologiebasierten Nutzen- und Risi-
kendebatte auf „eine problemorientierte Herangehens-
weise, in deren Rahmen Pflanzenzucht und Gentechnik
als Elemente von Handlungsoptionen bzw. -strategien
zur Lösung spezifischer Probleme im Vergleich zu
anderen Technologien und Maßnahmen geprüft wer-
den“.

Wenn Sie sich mit diesem Bericht ernsthaft auseinan-
dersetzen, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP,
werden Sie feststellen, dass sich aus der Situation in den
Entwicklungsländern ganz konkreter Handlungsbedarf
für uns hier in der EU ableitet, denn die Entwicklungs-
länder importieren die GVO-Sorten aus den Industrie-
ländern und hängen damit von den dortigen Zulassungs-
verfahren ab. Das EU-Zulassungsverfahren berücksichtigt

(natursenschaftlicher Basis“ getroffene Entscheidungen über GVO-Zulassungsanträge blenden die vor allem für die armen Länder zentralen sozioökonomischen Aspekte aus. Laut TAB geht es insbesondere für die dortigen Landwirte um „Fragen des Sortenangebots, der Vielfalt und Verfügbarkeit der Sorteneigenschaften, die stark von den Bedingungen auf den Saatgutmärkten geprägt werden. Angesichts der teils monopolartigen Machtstellung der großen Biotechsaatgutunternehmen im Bereich transgener Sorten ... ergeben sich drängende Fragen zu den Möglichkeiten einer Steuerung der weiteren Entwicklung.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, bevor Sie das nächste Mal behaupten, mit der Agrogentechnik kann man die Welt ernähren, befassen Sie sich doch bitte gegebene Reden Elvira Drobinski-Weiß einmal mit diesen Berichten. Und wenn Sie weiterhin die Beschränkung des EU-Zulassungsverfahrens für GVO auf „ausschließlich wissenschaftliche Kriterien“ fordern, dann blenden Sie bewusst die Wechselwirkungen zwischen den EU-rechtlichen Vorgaben in der Landwirtschaftsund Gentechnikpolitik mit der Situation in den armen Ländern aus. Es muss aber um den Kampf gegen den Hunger in der Welt gehen und nicht um die Interessen multinationaler Konzerne. Gentechnik macht nicht satt und ist teuer. Der Antrag der FDP wird von uns abgelehnt. Eigentlich hätten die Kollegen von der FDP-Fraktion den Titel ihres Antrages ändern müssen: Es geht nämlich nicht in erster Linie um Interessen von Verbrauchern, Landwirten und die Bekämpfung von Armut und Hunger in den Entwicklungsländern, sondern um frische Forschungsgelder für einige große Unternehmen. Somit wird die FDP mal wieder sich selbst und ihrer Klientel gerecht, aber bei weitem nicht der Ernsthaftigkeit des Themas. Tatsächlich sind die jüngsten Zahlen alarmierend und zeigen, wie tief die globale Wirtschaftsund Finanzkrise die Menschen in den Entwicklungsländern betrifft: Mittlerweile hungern über 1 Milliarde Menschen. Es ist ernsthaft zu befürchten, dass die Weltgemeinschaft das vereinbarte Ziel der Millenniumserklärung, die Halbierung der Anzahl der Menschen, die in extremer Armut und in Hunger leben, nicht erreichen wird. Die Welternährungsorganisation FAO und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD prognostizieren in ihrem gerade vorgelegten Agrarausblick 2009 bis 2018 den weltweiten Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Angesichts dieser Gefahren mahnen sie eine effektive Hilfe der internationalen Gemeinschaft an. Dabei bezeichnen sie zum Beispiel den Ausbau von Infrastruktur für die Förderung der lokalen Landwirtschaft als unverzichtbar. Diese Forderung findet sich schon im umfassenden Koalitionsantrag zur ländlichen Entwicklung wieder, den wir im März hier beraten haben. Die Fakten sind bekannt, mehr als 75 Prozent der Hungernden leben in ländlichen Räumen. Wir haben eine umfangreiche Ursachenanalyse vorgelegt und sind uns hier im Parlament in vielen Fragen der Grundeinschätzung einig. Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat uns vor wenigen Wochen die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Nutzen von Gentechnologie präsentiert. Demnach hat der Anbau transgener Saatgutsorten für die Ernährungssicherung in Entwicklungsund Schwellenländern bisher keine nennenswerte Rolle gespielt. Es ist gut zu wissen, dass unabhängige Experten des Deutschen Bundestages ihre Analysen zu diesem Themenfeld fortsetzen können. Es wird interessant sein, zu erfahren, welchen Beitrag die Forschung zur Lösung des Welternährungsproblems leisten kann. Zu Protokoll Der Weltagrarrat formuliert Mahnungen bezüglich unkontrollierbarer Folgen für die Verdrängung regionaler Saatgutsorten. Das sollten wir sehr ernst nehmen. Auch geht es darum, zu verhindern, dass Kleinbauern unter anderem durch Patentverträge in Abhängigkeit weniger potenter Agrounternehmen geraten. Außerdem wurden bislang die sozioökonomischen Folgekosten des Einsatzes Grüner Gentechnik nicht ausreichend berücksichtigt. Es gibt keine Alternative zu einer nachhaltigen sozial, ökologisch und ökonomisch verträglichen Entwicklung insbesondere der ländlichen Räume. Mit unserer Unterstützung hat die Bundesregierung die Mittel für zentrale Bereiche der ländlichen Entwicklung erhöht, statt wie von der FDP gefordert Unsummen an zusätzlichen Forschungsgeldern für die Agrarindustrie auszugeben. Wann begreift die FDP endlich, dass der Hunger in der Südhälfte unseres Planeten in erster Linie ein Verteilungsproblem ist? Es sind genug Nahrungsmittel vorhanden, aber während in den Regalen der Lebensmittelmärkte in den Industrieländern mindestens ein Viertel weggeschmissen wird, fehlt in den Dörfern Afrikas und Asiens Brot und Reis zum Überleben. Deshalb ist Ernährungssicherheit auch nicht durch Gentechnologie zu erreichen, sondern nur durch eine nachhaltige ländliche Entwicklung, so wie wir sie im erwähnten Koalitionsantrag fordern. Ernährungssicherheit wird ebenfalls durch den momentan großen Nachfrageboom an Agrartreibstoffen gefährdet. Deswegen ist es gut, dass wir im Wahlprogramm der SPD eindeutig fordern, dass Ernährungssicherung im Zweifel Vorrang vor anderen Nutzungen von Pflanzen haben muss. Bedauerlich, dass sich die Forderung nach eben diesem Vorrang von Versorgung mit Nahrungsmitteln vor der Herstellung von Agrartreibstoffen nicht in den Wahlprogrammen von CDU/CSU oder FDP wiederfindet. Vor allem brauchen wir endlich einen fairen Welthandel und das Ende von Agrarexportsubventionen. Dies ist für die nachhaltige Entwicklung der ärmsten Länder und zur Überwindung von Hunger und Armut wesentlich wichtiger als die von der FDP in ihrem Antrag geforderte stärkere finanzielle Unterstützung der Biound Gentechnologie. Solange Nahrungsmittelwaren an internationalen Terminbörsen bleiben, läuft etwas in die falsche Richtung. Wir brauchen neue und gerechte Regeln für die internationalen Finanzmärkte und den Welthandel. Nationale Alleingänge mit millionenschwerer Unterstützung von Agrotechnikunternehmen aus dem Bundeshaushalt sind unsinnig, weil sie weder nachhaltig noch zukunftstauglich sind. Deshalb lehnen wir den FDP-Antrag ab. „Ein verantwortungsvoller, nicht nur dem ökonomi schen Gewinn verpflichteter Umgang mit biotechnologischen Verfahren ist ethisch geboten und Ausdruck des Bemühens um globale, intergenerationelle und ökologische Gerechtigkeit.“ – Dieser Satz stammt aus der Antwort von Herrn Karl Kardinal Lehmann, dem ehema gegebene Reden Dr. Christel Happach-Kasan ligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, die er mir in Reaktion auf die Zusendung des heute hier abschließend debattierten FDP-Antrags übersandte. Den von Karl Kardinal Lehmann formulierten Anforderungen fühlt die FDP sich verpflichtet. Vor kurzem berichtete die Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, dass gegenwärtig über 1,1 Milliarden Menschen hungern und in den letzten Jahren die Zahl der hungernden Menschen weiter gestiegen ist. Vor etwa einem Jahr fand in Rom aufgrund der schon damals dramatisch schlechten Welternährungssituation eine Sonderkonferenz statt. Vom Millenniumsziel, der Halbierung der Zahl armer und hungernder Menschen bis 2015 sind wir jetzt weiter entfernt als 1996, als das Ziel aufgestellt wurde. Die Investitionen in Landwirtschaft und Agrarforschung sind weltweit auf einem Tiefpunkt. Deshalb hatte 2006 die FAO gefordert: „Die Bekämpfung des Hungers erfordert eine verstärkte Beschäftigung mit der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklung.“ Luc Gnacadja, Chef der UNCCD, berichtete im Agrar-Ausschuss über die weltweit zunehmende Versteppung. Die fortschreitende Wüstenbildung wird hervorgerufen durch Klimawandel, falsche Bewirtschaftungsmethoden, schlechtes Regierungshandeln. Er hatte im Ausschuss wie andere Politiker in Entwicklungsländern nach dem Vorbild der ersten grünen Revolution eine zweite grüne Revolution gefordert: Die Züchtung von Pflanzen, die resistent sind gegenüber Schadorganismen – 50 Prozent der Ernte wird vor oder nach der Ernte durch Schadorganismen wie Pilze und Insekten vernichtet –, die dürreund salztolerant sind. Weltweit sind insbesondere drei große neben zahlreichen kleineren Projekten, alle mit Unterstützung der Billund-Melinda-Gates-Stiftung, in der züchterischen Bearbeitung von Kulturpflanzen engagiert, die sich die Verbesserung der Ernährungssituation in der Dritten Welt zum Ziel gesetzt haben. Das am längsten verfolgte Projekt ist die Entwicklung des Goldenen Reises. Es ist inzwischen auf einem guten Weg. Goldener Reis enthält bis zu 35 Mikrogramm Betacarotin pro Gramm Reis. Inzwischen wurde die Bioverfügbarkeit des Carotins beim Aufbau von Vitamin A nachgewiesen. Es besteht begründete Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren gelingen wird, durch den Anbau von Goldenem Reis Kinder vor Krankheit und Erblindung zu schützen. Ein weiteres Projekt verfolgt das Ziel, trockenresistenten Mais zu züchten: „Water Efficient Maize for Africa“, WEMA. BASF und Monsanto sind beteiligt. Die Africa Harvest Biotech Foundation International, AHBFI, will die Eignung von Hirse für die menschliche Ernährung verbessern. Den Projekten gemeinsam ist die Nutzung gentechnischer Züchtungsmethoden. Es ist überfällig, dass Entwicklungshilfeorganisationen in Deutschland sich unvoreingenommen mit den Chancen gentechnischer Züchtungsmethoden beschäftigen. Seit 1996 steigt von Jahr zu Jahr die Anzahl der Hektar, auf denen gentechnisch veränderte KulturpflanZu Protokoll zen angebaut werden. Im vergangenen Jahr wurden auf 125 Millionen Hektar, das ist die dreifache Fläche von Deutschland, von über 12 Millionen Landwirten gentechnisch veränderte Kulturpflanzen angebaut. Die Legende, nur Großbauern würden diese Sorten anbauen, ist damit widerlegt. Die Zahl der Länder, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen, ist auf inzwischen über 25 angestiegen. Im letzten Jahr hat Kuba öffentlich erklärt, ebenfalls in die Züchtungsmethode investieren zu wollen. Die Zahl der Kulturpflanzen, die erfolgreich mit gentechnischen Methoden züchterisch bearbeitet wurden, ist auf mehr als 10 angestiegen. Die hierzulande verbreiteten politisch motivierten Angstkampagnen schaden Deutschland und Europa, haben weltweit aber nur geringe Auswirkungen. Die Fakten widersprechen den Kampagnen. Deshalb setzen gentechnische Züchtungsmethoden sich durch. Aufgrund des Verzehrs von zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen haben weltweit weder Mensch noch Tier einen gesundheitlichen Schaden erlitten. Dem steht gegenüber: Die Verweigerung der Einfuhr von Bt-Mais nach Simbabwe hat die Zahl der Hungertoten dort erhöht, die bürokratische Verzögerung des Anbaus des Goldenen Reises verursacht allein in Indien Tausende von Toten. In China leben 20 Prozent der Weltbevölkerung, doch dem Land stehen nur 6 Prozent der weltweit verfügbaren Ackerfläche zur Verfügung. China investiert deshalb in den kommenden Jahren 3,5 Milliarden US-Dollar, um mit gentechnischen Züchtungsmethoden die im Land angebauten Sorten zu verbessern. Deutsche Firmen sind vor Ort beteiligt. In Indien ist seit dem Anbau von Bt-Baumwolle die Zahl der Landwirte gesunken, die sich selbst getötet haben, die Menge der im Baumwollanbau eingesetzten Pflanzenschutzmittel ist gesunken, der Hektarertrag und die Einkommen der Landwirte sind gestiegen. Die vom International Food Policy Research Institute, IFPRI, herausgegebene Studie belegt den Erfolg der Bt-Baumwolle in Indien eindrucksvoll. Sie wird durch Untersuchungen der Regierung bestätigt. Indische Wissenschaftler haben wie chinesische Wissenschaftler inzwischen eigene Konstrukte entwickelt, die die eigenen Landrassen züchterisch verbessern. Vor diesem Hintergrund fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, national die Chancen und Potenziale der Biotechnologie auszuschöpfen, um als führende Industrienation Verantwortung in Forschung und Entwicklung gentechnisch verbesserter Pflanzen für die Bekämpfung von Hunger und Armut zu übernehmen. Erlauben Sie mir noch eine Schlussbemerkung zur Politik der Bundesregierung. Das Bundeskabinett hat im Juni 2008 den Bericht „Globale Ernährungssicherung durch nachhaltige Entwicklung und Agrarwirtschaft“ beschlossen. Darin heißt es wörtlich: Um Produktivitätssteigerungen über längere Zeit zu erreichen, sind die Ertragspotenziale der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen mithilfe moderner Methoden der Pflanzentechnologie zu verbessern. Dazu gehört auch gegebene Reden Dr. Christel Happach-Kasan ein verstärkter Dialog zu Chancen und Grenzen einer verantwortungsvollen Nutzung der Grünen Gentechnik. Wie in vielen anderen Bereichen hält die Bundesregierung auch hier nicht, was sie verspricht. Um den Hunger von einer Milliarde Menschen zu bekämpfen, muss die Bundesregierung ihre eigenen Papiere endlich ernst nehmen und ihre ideologische Politik gegen die Interessen der Hungernden beenden. Der FDP-Fraktion ist jedes Mittel recht, um Lobby arbeit für BASF, Monsanto und Co. zu betreiben. Oft behaupten die Liberalen, die Agrogentechnik sei ein Beitrag zum Umweltschutz. Weniger Pflanzenschutzmittel würden beim Anbau von Genpflanzen gebraucht, wird angeführt, und das, obwohl klare Beweise für diese Aussage fehlen und gegenteilige Hinweise vorliegen. Ein anderes vermeintliches Totschlagargument für die Agrogentechnik ist unsere Verantwortung für die Hungernden und Armen in den Entwicklungsländern. Doch anstatt die wirklichen Ursachen zu benennen – Stichwort: Zugang zu Land, Wasser und Saatgut, Verteilungsgerechtigkeit –, preist die FDP ihre Wunderwaffe Agrogentechnik wie Sauerbier an. Meiner Meinung nach ist das nicht nur einfallslos, sondern angesichts des wirklichen Elends zynisch. Längst wurden unzählige Lösungsvorschläge unterbreitet, das Welthungerproblem zu lösen. Die Nutzung der Agrogentechnik muss dabei keine Rolle spielen. Und wenn Sie mich fragen, sollte sie auch keine Rolle spielen. Zuletzt positionierte sich der sogenannte Weltagrarbericht im Frühjahr 2008 in diesem Sinn. Leider hat ihn die Bundesrepublik Deutschland immer noch nicht unterzeichnet, obwohl die Entwicklungshilfeministerin dies im Winter 2008 zugesagt hat. Im Bericht wird vor allem auf regionale Märkte, regionale Sorten, Zugang zu Boden, Wasser und Saatgut sowie eine konsequente demokratische Entwicklung der ländlichen Räume des globalen Südens gesetzt. Problematisch ist allerdings, dass dieses Konzept nicht mit einem globalen, unregulierten Weltagrarhandel vereinbar ist. Doch genau dieser ist die Ikone, der die FDP huldigt. Er ist Ursache vieler Krisen, nicht nur der aktuellen. Bereits seit Jahrzehnten ist dieser deregulierte Weltagrarhandel auch mitverantwortlich für die Perspektivlosigkeit vieler Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern. Damit ist aber auch klar: Er kann gar nicht Teil der Lösung sein. Die FDP-Fraktion beschreibt in ihrem Antrag die ernährungsund agrarpolitischen Probleme des globalen Südens. Dabei geht es um versalzte Böden, Trockenheit, Hunger, Schädlinge, Umweltzerstörung etc. Statt an den Ursachen zu arbeiten, sei zur Lösung dieser Probleme vor allem die Agrogentechnik geeignet, so die FDP. Abgesehen vom falschen Denkansatz steht diese Behauptung auch im Gegensatz zur Realität transgener Pflanzen. Verfügbar sind vor allem herbizidund insektenresistente Pflanzen. Dagegen erläutert die FDP in ihrem Antrag die Vorzüge von Salzresistenz, Trockenresistenz, dem Golden Rice – Vitamin A! – und weiteren Pflanzen, die den Ländern des globalen Südens bei der Bekämpfung der Armut Zu Protokoll und des Hungers helfen sollen. Die politische Analyse, welche Produktionsschwierigkeiten nicht nur durch die angebaute Kultur, sondern vor allem durch die Fruchtfolgen, Zugang zu Wasser und Dünger, Besitzverhältnisse, Abhängigkeiten etc. hervorgerufen werden, fehlen in diesem Antrag völlig. Die Linke lehnt die Agrogentechnik ab. Sie bringt keine wirklichen Vorteile. Stattdessen werden die gentechnikfreie Landwirtschaft, Imkerei, Umwelt und nicht zuletzt die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet. Der züchterische Fortschritt kann auch ohne das Einbringen artfremder Gene vorangehen und tut das auch. Züchtungsziele wie Trockenoder Salzresistenz sind so komplex, dass konventionelle Züchtung, basierend auf Kreuzung und Selektion, viel schnellere Erfolge verspricht. Vermutlich ist das für die Gesellschaft und die Anbauerinnen und Anbauer auch kostengünstiger. Doch um ehrlich zu sein, geht es bei der Agrogentechnik sowieso nicht um die Lösung der Probleme der Ärmsten der Armen. Es geht um Macht und den Zugang zu Ressourcen. Wer die Nahrungsmittelproduktion kontrolliert, hat die größte Macht, die überhaupt vorstellbar ist. Auf Essen und Trinken kann man nicht verzichten. Der Profitmaximierung steht dann kaum etwas im Wege. Die Agrogentechnik ist zusammen mit dem internationalen Patentrecht ein unschlagbares Duo. Das ist das lukrative Milliardenspiel für die Pharmaund Agroindustrie. Die Linke spielt hier nicht mit. Den Antrag lehnen wir ab. Der vorliegende Antrag der FDP zeugt von naiver Technikgläubigkeit und ist eine Ansammlung falscher Behauptungen und absurder Vorschläge. Die FDP instrumentalisiert mal wieder den Welthunger, um die Agrogentechnik schönzureden. Obwohl sie im Titel die Biotechnologie nennt, reduziert sie diese – wie schon seit über zehn Jahren – auf die Agrogentechnik in ihrem Forderungsteil. Das ist nicht innovativ, sondern veraltet. Agrogentechnik ist weder im Interesse der übergroßen Mehrheit der Verbraucher noch eines großen Teils der Landwirte noch eine Lösung zur Rettung der Welternährung, sondern vielmehr Teil des Problems. Schon durch gesunden Menschenverstand gelangt man zu dem Schluss, dass eine Technik allein und erst recht nicht die Agrogentechnik ein so komplexes und facettenreiches Problem wie den Welthunger lösen könnte. Trotzdem ist dieses PR-Argument bei den Befürwortern der Agrogentechnik noch immer sehr beliebt, um ihre Profitinteressen unter einem humanitären Mäntelchen zu verbergen. Der Hunger von 1 Milliarde Menschen hat aber nicht seine Ursache darin, dass es auf der Erde zu wenig Nahrung gäbe. Hunger ist also vor allem eine Verteilungsfrage, nicht eine Frage der Produktion. Auch in Staaten, die Lebensmittel exportieren, gibt es nicht selten viele, die hungern, weil sie sich Nahrungsmittel nicht leisten können oder keine Produktionsmittel – Land, Wasser – dafür haben. Bereits heute wird genug Nahrung für 12 Milliarden Menschen produziert. Allerdings werden allein 34,5 Millionen Tonnen als Futtermittel für die Viehtröge der EU importiert. gegebene Reden Ulrike Höfken Zwar werden im FDP-Antrag einige richtige Daten und Gründe zum Hungerproblem genannt wie Armut, fehlende Good Governance und mangelnde Investitionen in die Landwirtschaft und ländliche Infrastruktur in Entwicklungsländern. Dann wird jedoch ohne überzeugende Argumente oder gar Belege behauptet, der Anbau von GVO-Sorten leiste „schon heute einen erkennbaren Beitrag zur Minderung der Armut in der Dritten Welt“. Mit dieser Position steht die FDP – abgesehen von der Gentechniklobby, zu deren Sprachrohr sie sich macht – inzwischen fast alleine da. Sowohl im TAB-Bericht des Deutschen Bundestages als auch im Bericht des UNWeltagrarrats, IAASTD, wird festgestellt, dass es keine nennenswerten Beiträge der Agrogentechnik zur Hungerbekämpfung gibt. Auch der UN-Menschenrechtsausschuss empfiehlt in seiner Stellungnahme zur Nahrungsmittelkrise im Mai 2008, die Vorschläge des IAASTD in Richtung einer an regionale Strukturen angepassten Landwirtschaft umzusetzen. Keine einzige der deutschen Entwicklungshilfeorganisationen sieht in der Gentechnik ein geeignetes Instrument, um ihre Ziele zu verwirklichen. Die Verheißungen der Befürworter der Agrogentechnik – Ertragssteigerungen, Anpassung an schlechte Klima-, Bodenoder Wasserverhältnisse – sind bloße Versprechungen geblieben. Erreichte Fortschritte bei der Produktivität in der Landwirtschaft beruhen nicht auf gentechnischen Verfahren, sondern auf konventioneller Züchtung bei den verwendeten Ausgangssorten. Die moderne Züchtung ist da schon heute viel weiter als die Agrogentechnik, indem sie das Wissen um das pflanzliche Genom nutzt, aber die Pflanzen selbst nicht gentechnisch verändert; Stichwort Smart Breeding. Die Saatgutkosten für Mais und Soja, wo die Gentechnik bereits eine erhebliche Rolle spielt, sind innerhalb der letzten drei Jahrzehnte weltweit auf das Fünffache gestiegen, während der Ertrag nur um den Faktor 1,7 erhöht wurde, und das aufgrund des konventionellen Zuchtfortschritts der Ausgangssorten. Bei Weizen und Reis, wo Gentechnik keine kommerzielle Rolle spielt, stiegen die Preise parallel zum Ertrag. Bei Baumwolle sind die Saatgutpreise im gleichen Zeitraum sogar auf das Zwölffache gestiegen. Sehr hohe Saatgutpreise bei Gentechbaumwolle waren mitverantwortlich für die hohe Selbstmordrate unter indischen Baumwollbauern, die dadurch in extreme Verschuldung gerieten, auch weil die versprochene Pestizidersparnis nicht erreicht wurde. Viele Studien haben beim Anbau von Bt-Baumwolle sogar geringere Erträge festgestellt. Es ist zynisch von der FDP, die Verantwortung für diese Opfer der Agrogentechnik der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit dieser Kleinbauern gegenüber Billigimporten zuzuschreiben. Die ständig wiederholte angebliche Pestizidersparnis durch Agrogentechnik hat mit der Realität ebenfalls nichts zu tun, wie Studien schon länger belegen, unter anderem Benbrook 2003. Aufgrund der zunehmenden Zahl von Superunkräutern bei herbizidtoleranten Gentechpflanzen und resistenten Schädlingen bei Bt-Pflanzen steigt die verwendete Pestizidmenge auf AgrogenZu Protokoll technikfeldern. Und bei insektenresistenten Pflanzen wie zum Beispiel dem MON810 wird kein Pestizid eingespart. Im Gegenteil: Die ganze Pflanze ist das Pestizid, das auf die Felder ausgebracht wird. In Argentinien wird bei Menschen, die in Regionen mit großflächigem Anbau von Gensoja leben, eine steigende Rate an Missbildungen, Krebs und anderen Gesundheitsschäden beobachtet. Das beim Anbau verwendete Totalherbizid Roundup hat außerdem fatale Folgen für Amphibien und andere Tiere. Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation der FDP, Kleinbauern durch Agrogentechnik vor Vergiftungen mit Pestiziden schützen zu wollen, völlig absurd. Die Förderung nach Schutz vor Pestiziden muss die Ablehnung der Agrogenpflanzen wie den herbizidresistenten Gensoja zur Konsequenz haben. Alle Beispiele gentechnisch veränderter Pflanzen, welche im FDP-Antrag beschrieben werden, zeichnen sich durch Herumdoktern an Symptomen aus. Die Problemursachen werden bei diesen technischen Lösungsversuchen aber nicht angegangen. Ein Beispiel ist der Golden Rice, der Beta-Carotin als Vorstufe des Vitamin A enthält. Menschen mit Mangelernährung fehlen nicht nur Vitamin A, sondern viele weitere Nährstoffe. Zur Umwandlung von Beta-Carotin in Vitamin A braucht der Organismus aber auch Nährstoffe wie Fett, Eisen und Vitamin E, sodass Goldener Reis allein den Betroffenen überhaupt nicht hilft. Zudem ist die Gefahr einer direkt gesundheitsschädigenden Überund Fehldosierung durch „Vitamin A Reis“ erheblich. Ebenso absurd ist es, Sojabohnen mit Lysin anzureichern oder das Viehfutter Baumwollsamen durch Genmanipulation zu menschlicher Nahrung zu machen. Eine gesunde Ernährung lässt sich nicht durch Gentechpflanzen als eine Art Nahrungsergänzungsmittel ersetzen. Probleme durch Pilzbefall bei Bananen entstehen vor allem durch Monokultur. Die rasant steigende Produktion von Biobananen zeigt, dass es auch anders geht. Auch für andere Nahrungsmittelpflanzen steckt enormes Potenzial in modernen biologischen Anbaumethoden, wie Greenpeace und „Brot für die Welt“ in der Broschüre „208 Rezepte gegen den Hunger“ belegt haben. Eine Frechheit ist die Forderung in dem FDP-Antrag, dass die GTZ dazu gezwungen werden soll, sich für die Agrogentechnik in Entwicklungsländern einzusetzen, gerade wenn renommierte Entwicklungshilfeorganisationen zu Recht davor warnen. An dieser absurden Forderung zeigt sich deutlich, dass es der FDP nicht um die Lösung des Welthungers geht, sondern darum, die Interessen der Agroindustrie zu fördern. Ich erinnere mich noch gut an den FDP-Kongress zur Agrogentechnik in dieser Wahlperiode, bei dem auf der Tagungsmappe die Sponsoren der Veranstaltung standen, darunter Syngenta, KWS und der Verein Chemische Industrie. Gentechnisch veränderte Pflanzen sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Agrogentechnik verschärft Abhängigkeiten durch mehr Chemie und Patente, gefährdet durch Verdrängung lokaler Sorten die Vielfalt bei Kulturpflanzen und bindet knappe Ressourcen, die dringend an anderer Stelle gebraucht werden. Jeder Euro, der in die extrem teure Forschung und Entwicklung gegebene Reden Ulrike Höfken für Agrogentechnik gesteckt wird, fehlt für effizientere und weitaus erfolgreichere Methoden moderner Agrarforschung und -züchtung wie Smart Breeding und markergestützte Selektion. Erst gestern warnte im Übrigen eine Wissenschaftlerin der GTZ in der „FAZ“ nochmals eindringlich vor Gefahren durch Biopatente, die den Zugang zu genetischen Ressourcen gerade in Entwicklungsländern einschränken und letztlich dadurch die Probleme verschärfen. Wäre es der FDP wirklich an konstruktiven Lösungen gelegen, müsste sie sich gegen Biopatente zur Wehr setzen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11450, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6714 in der im Ausschuss geänderten Fassung abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 51 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Staatsgarantie für die Sozialversicherungen – Schutzschirm für Menschen – Drucksachen 16/12857, 16/13648 – Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema Staatsgarantie für die Sozialversicherungen. Dieser Antrag ist völlig unhaltbar und bringt uns auch nicht weiter, da es die geforderten Garantien bereits gibt. Die Koalition braucht sich auch mit Sicherheit von den Linken nicht sagen zu lassen, was im sozialen Bereich zu tun ist. Es wurde nämlich schon sehr viel getan! Wir haben ein sehr gut ausgebautes Sozialsystem, auf das wir bauen können. Die Zahlen sprechen hierbei für sich. Auf Basis der Zahlen zum 2. Nachtragshaushalt 2009 stehen rund 303 Milliarden Euro zur Verfügung, von denen wir annähernd die Hälfte für die soziale Sicherung ausgeben. Hiermit tragen wir unter anderem die Kosten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die großen Zuschüsse an die Rentenversicherung, die Zuschüsse für die Krankenversicherung und das Kinderund Erziehungsgeld. So geben wir 2009 rund 38 Milliarden Euro für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende – Hartz IV – aus. Für die Rentenversicherung stellt der Bund rund 80 Milliarden Euro zur Verfügung und für die Krankenversicherung circa 12 Milliarden Euro. Das heißt, allein 130 Milliarden Euro gehen in die Sozialversicherung. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren sehr solide gewirtschaftet, sodass wir dies jetzt in der Krise nutzen können. Die Rücklage der BA belief sich Ende 2008 auf gut 16 Milliarden Euro, die der Rentenversicherung ebenfalls auf rund 16 Milliarden Euro. Dies hilft uns jetzt in der Krise, die Beiträge stabil zu halten. Denn für solche Krisenzeiten gibt es die Rücklagen, sodass wir diese nun auch nutzen können und sollten. Wir brauchen keine Nachhilfe der Linken in puncto Sicherung unserer Sozialversicherungen. Es ist unumstritten, dass die Krise zu Beitragsausfällen bei der Bundesagentur für Arbeit und auch der Rentenversicherung führt. Die Krise wird jedoch nicht dazu führen, dass die sozialen Leistungen gekürzt werden müssen. Ein Blick ins Sozialgesetzbuch hätte den Linken gezeigt, dass die notwendigen Regelungen bezüglich der geforderten Staatsgarantien für die Sozialversicherungen längst bestehen. In § 214 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI steht: Reichen in der allgemeinen Rentenversicherung die liquiden Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage nicht aus, die Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, leistet der Bund den Trägern der allgemeinen Rentenversicherung eine Liquiditätshilfe in Höhe der fehlenden Mittel Hier ist die Garantie für die Rente im Gesetz gesichert. Darüber hinaus gibt es eine gesetzlich abgesicherte Liquiditätshilfe für die Bundesagentur für Arbeit und den Gesundheitsfonds. Gemäß § 364 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III leistet der Bund die zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft notwendigen Liquiditätshilfen als zinslose Darlehen, wenn die Mittel der Bundesagentur zur Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen nicht ausreichen. Wenn die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds nicht ausreicht, leistet der Bund gemäß § 271 Abs. 3 SGB V ein nicht zu verzinsendes Liquiditätsdarlehen in Höhe der fehlenden Mittel. Durch diese gesetzlichen Regelungen ist die jederzeitige Zahlungsfähigkeit unserer Sozialversicherungen garantiert. Darüber hinaus haben wir auch weitere Maßnahmen ergriffen, um unseren Sozialstaat und die Menschen darin abzusichern. So haben wir mit dem 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 nicht nur den Liquiditätsrahmen für die Bundesagentur für Arbeit, sondern auch noch den Gesundheitsfonds um 4 Milliarden Euro erhöht. Dies zeigt, dass das einzige Ziel der Linken darin besteht, durch ihre Anträge die Menschen in diesem Land zu verunsichern. Dies zeigt sich insbesondere an dem Ruf nach einer Staatsgarantie, obwohl bereits umfassende Schutzklauseln bestehen. Aber während die Linksfraktion Anträge stellt, stellen wir Weichen und setzen um. So haben wir mit dem 3. SGB IV Hans-Joachim Fuchtel Änderungsgesetz eine Rentenschutzklausel verabschiedet, das heißt negative Rentenanpassungen werden generell ausgeschlossen. Die Rentenschutzklausel bietet eine gesetzliche Garantie dafür, dass die Renten auch dann stabil bleiben, wenn die Löhne sinken sollten. Von den Linken wurde bisher am wenigsten getan. Allein Altbundeskanzler Kohl und der damaligen Koalition ist es zu verdanken, dass die jetzt gefundene Berücksichtigung der Rentner aus den neuen Bundesländern durchgesetzt wurde. Oskar Lafontaine hat dies als damaliger Ministerpräsident des Saarlandes bekämpft. So jemand ist meiner Ansicht nach daher völlig ungeeignet als Sachwalter des deutschen Rentensystems und braucht uns heutzutage auch keine Tipps für unseren Sozialstaat zu geben. Am 5. Mai dieses Jahres hat die Linke den Antrag mit der Überschrift „Staatsgarantien für die Sozialversicherung – Schutzschirm für Menschen“ gestellt. In der ersten Lesung zu diesem Antrag am 18. Juni 2009 habe ich für die SPD-Bundestagsfraktion erklärt, dass dieser Antrag zeigt, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite des Parlaments wieder einmal von einer verantwortungsvollen Finanzpolitik verabschiedet haben. Diese Meinung wird nachhaltig bestätigt durch das Wahlprogramm der Linken, das in der Zwischenzeit verabschiedet wurde. Lassen Sie mich den heute abzulehnenden Antrag kurz resümieren: Richtig ist, wir befinden uns in einer schweren Krise. Richtig ist, einen wirksamen Schutzschirm für Menschen zu spannen – genau das tun wir. Falsch ist der ganze Rest im Antrag der Linken. Nach Meinung meiner Kolleginnen und Kollegen von der Linken soll die Bundesregierung Kürzungen der sozialen Leistungen für die nächsten vier Jahre ausschließen. Dabei habe ich zunächst eine ganz praktische und auch substanzielle Frage: Wie soll eine Bundesregierung denn eine zukünftige Bundesregierung dergestalt vorbinden? Wollen Sie wirklich die Rechte des Parlaments aushebeln? Die Bundesregierung kann doch dessen Entscheidungen nicht vorwegnehmen oder bestimmte Entscheidungen ausschließen. Oder sieht so eine Exekutive aus, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sinn haben? Sehen wir von diesem Fehler im Antrag ab, so fordern Sie darüber hinaus die Einführung einer Staatsgarantie für die Sozialversicherung. Auch bei dieser Forderung scheinen Sie nicht richtig informiert zu sein: Es gibt bereits Regelungen, die staatliche Liquiditätshilfen vorsehen, und somit läuft die Forderung ins Leere. Nehmen wir uns die einzelnen Träger vor: Der Schutz der Menschen in der Arbeitslosenversicherung ist verlässlich. Die Rücklage der BA von 17 Milliarden Euro wurde für eine Krise angespart. Jetzt ist diese da, jetzt wird dieses Geld eingesetzt. Das muss niemand bedauern. Sollten die Mittel der BA nicht zur Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen ausreichen, dann leistet der Bund gemäß § 364 Abs. 1 SGB III Liquiditätshilfen. Mit dem 3. SGB-IV-Änderungsgesetz wird ferner auch unterjährig die Liquidität gesichert. HorrorszenaZu Protokoll rien, so wie die Linke sie prophezeit, sind also realitätsfern. Sie haben nur einen Zweck: demagogische Verunsicherung eines Teils der Menschen in unserem Land. Dem setze ich Tatsachen und Zahlen gegenüber: Dieses Jahr geben wir 155 Milliarden Euro für die soziale Sicherung aus; aktuell wurden die Mittel im 1. und 2. Nachtragshaushalt aufgestockt. Von 100 Euro Steuern, die wir einnehmen, geben wir mehr als 70 Euro für soziale Leistungen aus. Mehr als 30 Euro davon fließen in die Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitslosenhilfe; 35 Euro davon in die Rentenversicherung. Die Rentenversicherung verfügte Ende 2008 über eine Nachhaltigkeitsrücklage von 15,7 Milliarden Euro. Mit diesem Puffer ist sie gut aufgestellt, um Beitragsmindereinnahmen infolge der Wirtschaftskrise zu kompensieren. Um auch wirklich den letzten Rest von Verunsicherung bei den Rentnerinnen und Rentnern unseres Landes zu eliminieren, wurde auch durch die Rentengarantie eine Kürzung der Renten ausgeschlossen. Die Renten steigen sogar zum 1. Juli 2009 in Westdeutschland um 2,41 Prozent und im Osten um 3,38 Prozent! Einen „Schutzschirm für Menschen“ gibt es also schon! Er ist uns über 70 Prozent der Steuereinnahmen wert. Auch die gesetzliche Krankenversicherung steht auf stabilen Füßen. Geringere Beitragseinnahmen, die dem Gesundheitsfonds durch den konjunkturellen Einbruch entstehen, werden durch ein Liquiditätsdarlehen des Bundes aufgefangen. Die Rückzahlungsverpflichtungen für dieses Darlehen wurden mit dem Konjunkturpaket II von 2010 auf Ende 2011 verlängert. Somit sind Vorkehrungen getroffen worden, die verhindern, dass zum Beispiel Zusatzbeiträge erhoben werden müssen. Im alten System, in dem die Krankenkassen das Einnahmeund Ausgaberisiko zu tragen hatten, wären Beitragssatzerhöhungen längst unausweichlich gewesen – ich hoffe, das wissen die Kritiker des Gesundheitsfonds. Kommen wir also zu der Frage, was jetzt zu tun ist. Wir helfen momentan nicht den Bankern, sondern wir sorgen dafür, dass Geld fließt, zum Beispiel an Unternehmen für Investitionen. Dies hilft, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. Unsere Hilfen sichern die Rücklagen von Sparkassen, Krankenkassen, Vereinen, die Banken gutgläubig ihr Geld zur Verwendung anvertraut haben. Dies tun wir für die Menschen in Deutschland und dies werden wir auch weiterhin tun. Gewiss sind wir noch nicht am Ziel; deshalb will die SPD weitermachen – am liebsten in Regierungsverantwortung. Wir wollen flexible Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente ermöglichen. Wir wollen die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln, die Arbeitslosigkeit nicht nur schnell beendet, sondern durch die Förderung von Weiterbildung dabei hilft, sie zu vermeiden. Wir setzen uns darüber hinaus für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ein. Es darf nicht sein, dass manchem Bürger die Millionen ins Portemonnaie sprudeln, während anderswo für 3,50 Euro die Stunde gearbeitet werden muss. Uns ist wichtig, gerade in der Krise unsere Stärken zu sehen: Die Menschen in unserem Land sind tatkräftig gegebene Reden Waltraud Lehn und zielstrebig – zeigt uns ein Problem, und wir suchen die Lösung. Zwar neigen wir bisweilen dazu, uns selber schlechtzureden, alles auf die Goldwaage zu legen, vielleicht zu perfekt sein zu wollen. Aber dies sollte doch trotzdem kein Grund zur dauernden Meckerei sein, oder? Besinnen wir uns doch auf unsere Stärken – wir leben in einem Land mit fleißigen und lebendigen Menschen und genießen den hohen Standard eines der besten Sozialversicherungssysteme der Welt. So ist es und so soll es bleiben. Dafür steht die SPD. Erstens. Obwohl die Ausgaben des Staates für soziale Leistungen auf einem Rekordhoch liegen, drohen erhebliche Finanzlücken in den umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystemen, die wieder und wieder gestopft werden müssen. Die Gründe für die angespannte Finanzlage liegen auf der Hand: Es wird weniger Beitragszahler geben, und die Ausgaben werden weiter steigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache dafür in der Finanzkrise, bei hoher Arbeitslosigkeit oder in der demografischen Entwicklung zu suchen ist. Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme ist nur durch deren Umbau und nicht durch immer mehr Umverteilung sicherzustellen. Daher ist die Diagnose im Antrag der Linken zwar richtig; doch die Therapie ist völlig falsch und keineswegs zielführend. Und die Therapie ist weder solidarisch noch sozial. Solidarität und soziale Gerechtigkeit werden allenfalls vorgegaukelt. Wenn Geld keine Rolle spielt, kann man vieles versprechen. Zweitens. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Sozialpolitik muss solidarisch und gerecht sein. Beitragszahler und Leistungsempfänger sitzen in demselben Boot: Was den Empfängern gegeben wird, wird den Gebern genommen. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um Beitragszahler oder Steuerzahler handelt. Der von den Linken geforderte sogenannte Schutzschirm müsste von den Arbeitnehmern finanziert werden, übrigens auch von den Beziehern kleinerer und mittlerer Einkommen. Wird den Empfängern von Sozialleistungen eine Staatsgarantie geboten, müsste um der Gerechtigkeit willen den Beitragszahlern auch eine Beitragssatzgarantie gewährt werden, denn gerade in schlechten Zeiten verbietet sich eine Mehrbelastung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Drittens. Statt durch massive Umverteilung die Leistungserbringer zu schwächen und statt immer mehr Leistungen zu verteilen, muss die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen für mehr sozialversicherungspflichtige Arbeit setzen. Arbeit muss sich lohnen und darf nicht bestraft werden. Das ist der beste Schutzschirm für die sozialen Sicherungssysteme. Die FDP hat zukunftsweisende Vorschläge gemacht. Dazu gehört das Rentenkonzept. „Flexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall aller Zuverdienstgrenzen“, dazu gehören die Vorschläge für höhere Freigrenzen für Zuverdienst bei Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, dazu gehören der Umbau des Gesundheitssystems und vieles mehr. Ziel all dieser Vorschläge ist, dass den Bürgern am Ende mehr netto bleibt und die sozialen SicherungssysZu Protokoll teme auf diesem Wege auf eine zukunftsfeste und nachhaltige Basis gestellt werden. Viertens. Reformen der sozialen Sicherung sind dringend erforderlich. Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise stehen alle Zweige der Sozialversicherung in diesem und noch mehr in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. Für die FDP-Bundestagsfraktion sind dabei die folgenden Punkte maßgeblich: Arbeitslosenversicherung. Bei der Arbeitslosenversicherung ist das Versicherungsprinzip wieder zu stärken. Ziel der Leistungen der Arbeitslosenversicherung muss unverändert sein, Arbeitnehmer durch eine von der Bedürftigkeit unabhängige Versicherungsleistung, die an die Stelle des ausfallenden Entgeltes tritt für die ersten zwölf Monate, vor den wirtschaftlichen Folgen der Arbeitslosigkeit zu schützen. Die Arbeitsmarktinstrumente der Bundesagentur für Arbeit müssen mit Blick auf ihre Effizienz auf den Prüfstand gestellt und gesamtgesellschaftliche Aufgaben wieder aus Steuermitteln finanziert werden. Wir fordern eine Neuorganisation der Aufgaben der Arbeitsverwaltung. Das führt zu einer Abschaffung doppelter Verwaltungsstrukturen und mittelfristig zu einer Stabilisierung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Eine Verlängerung bzw. Staffelung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I nach der vorangegangenen Beschäftigungsdauer lehnen wir ab, da dies dem Charakter einer Risikoversicherung widerspricht. Stattdessen muss den Versicherten eine Wahlfreiheit bei den Tarifen eingeräumt werden, die positive Anreizwirkungen entfaltet. Rentenversicherung. Liberale Sozialpolitik ist dem Grundsatz der Generationengerechtigkeit verpflichtet, die den Erfordernissen der älter werdenden Gesellschaft entspricht. Sie ermöglicht den Rentnerinnen und Rentnern eine angemessene Altersvorsorge, ohne die Arbeitnehmer durch zu hohe Beiträge zu belasten oder künftigen Generationen einen Schuldenberg zu hinterlassen. Das Ziel liberaler Rentenpolitik ist eine möglichst lange Teilhabe der Menschen am Erwerbsleben auf der Basis einer eigenen freien Entscheidung. Die Menschen sollen ihren Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand vor dem Hintergrund erworbener Anwartschaften und Versorgungen flexibel und selbstständig gestalten können. Begleitend fallen alle Zuverdienstgrenzen weg. So wird auch die Beschäftigung Älterer gefördert und eine zukunftsfeste und generationengerechte Verteilung der Lasten erreicht. Die gesetzliche Rente muss durch private und betriebliche Altersvorsorge stärker ergänzt werden. Künftig wird die gesetzliche Rente nur noch eine Grundversorgung darstellen können. Damit sich private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnen, soll bei der Grundsicherung im Alter die eigene Vorsorge nur zum Teil angerechnet werden. Wer für das Alter vorsorgt, muss im Alter mehr zur Verfügung haben als derjenige, der nicht vorsorgt. Bis zu 100 Euro monatliches Einkommen aus privater und betrieblicher Vorsorge sollen daher bei der Grundsicherung im Alter anrechnungs gegebene Reden Dr. Heinrich L. Kolb frei bleiben, darüber hinausgehendes Einkommen soll zu 20 Prozent anrechnungsfrei bleiben. Krankenversicherung. Die Gesundheitsversorgung ist teurer, aber nicht besser geworden, und ohne eine nachhaltige Finanzierung verschärft sich das Finanzierungsproblem. Notwendig ist die Umstellung auf ein freiheitliches System, das Solidarität und Eigenverantwortung in Einklang bringt. Dazu muss der Wettbewerb gestärkt werden. Dazu gehört auch eine starke private Krankenversicherung. Wir wollen einen fairen Wettbewerb zwischen PKV und GKV. Erforderlich sind außerdem Beitragsautonomie für die gesetzlichen Krankenkassen und die Abschaffung des teuren und überflüssigen Gesundheitsfonds. Der soziale Ausgleich zwischen Einkommensstarken und Einkommensschwachen gehört in das Steuerund Transfersystem, wo jeder nach seiner Leistungsfähigkeit herangezogen wird. Ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Sätzen schafft dazu den Spielraum für die Finanzierung individuell zugeschnittener Leistungspakete. Wer sich den notwendigen Krankenversicherungsschutz nicht leisten kann, erhält staatliche Zuschüsse. Pflegeversicherung. Die Finanzierung der Pflegeversicherung muss so umgestellt werden, dass Änderungen im Bevölkerungsaufbau keine Rolle mehr spielen. Der im bisherigen Umlagesystem für die nächsten Jahrzehnte drohende dauerhafte Anstieg der Beitragssätze muss verhindert, eine gute Qualität der Pflege dauerhaft gesichert und eine faire Lastenteilung zwischen den Generationen erreicht werden. Dies ist nur durch einen gleitenden Übergang in ein kapitalgedecktes und prämienfinanziertes System möglich. Fünftens. Zusammenfassend. Eine zukunftsweisende und nachhaltige Sozialpolitik unterstützt die Bedürftigen und fördert Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung. Das ist solidarisch und gerecht. Statt die Leistungsträger mit immer höheren Steuern, Abgaben und Beitragssätzen zu belasten, muss sich Arbeit – auch bei geringer Bezahlung – lohnen. Ein hohes Niveau der Erwerbstätigkeit ist außerdem das beste Mittel für stabile Finanzen der Sozialsysteme. Die Linke fordert mit dem vorliegenden Antrag eine Staatsgarantie für die Sozialversicherungen, also eine Zusicherung, dass die Kosten der Krise nach der Bundestagswahl nicht auf den Schultern von Erwerbslosen, Rentnerinnen und Rentnern und Beschäftigten abgeladen werden. Warum fordern wir das? Die Auswirkungen der Finanzund Wirtschaftskrise werden in den nächsten Monaten insbesondere bei den sozialen Sicherungssystemen spürbar zunehmen. Je mehr Menschen in Kurzarbeit oder ohne Job sind, umso höher sind die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit und umso geringer deren Einnahmen. Gleiches gilt für die Einnahmen der Gesetzlichen Krankenund der Rentenversicherung. In ihrer GeZu Protokoll meinschaftsdiagnose gehen die Wirtschaftsinstitute von einem krisenbedingten Defizit der Sozialversicherungen von 100 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren aus. Damit es nach der Wahl nicht zu massiven Leistungskürzungen und Belastungen der Versicherten kommt, fordern wir eine Staatsgarantie für die Sozialversicherungen. So wie die Bundesregierung bereit ist, bis zu 480 Milliarden Euro für die Existenz maroder Banken auszugeben, so muss sie auch bereit sein, eine Sozialstaatsgarantie für die Existenz von Millionen von Menschen abzugeben. Was mussten wir uns als Linke bei der ersten Lesung dieses Antrags alles anhören: Sozialabbau zu stoppen sei eine Rolle rückwärts, tönte es von den Grünen. Ein Schutzschirm für die Menschen, wie wir ihn als Linke fordern, stehe entgegen allen „Reformbemühungen“, hielt uns die Union vor. Richtig ist, dass wir sogenannte rot-grüne und schwarz-gelbe „Reformbemühungen“ ablehnen, da sie immer nur auf Sozialabbau, Armut per Gesetz und die Privatisierung des Sozialstaates hinauslaufen. Die Menschen haben schon Angst vor dem Begriff „Reform“, da damit meist verbunden ist, dass es ihnen hinterher schlechter geht. Mit dem Ziel, die Arbeitgeber zu entlasten, wurden die Sozialversicherungen schon viel zu lange kaputtgespart. Zum Beispiel die Arbeitslosenversicherung: Seit 2007 wurden die Beiträge mehr als halbiert und die Arbeitslosenversicherung faktisch ausgetrocknet. Noch im Frühjahr hat die Bundesregierung eine Erhöhung des Beitrags bis 2011 ausgeschlossen. Der BA wird durch diese Politik ein Defizit von 55 Milliarden Euro im Jahr 2013 prognostiziert. Damit stehen in der schwersten Wirtschaftskrise 30 Milliarden Euro weniger zur aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Verfügung als in der letzten Wirtschaftsflaute vor 2006. Und dabei ist diese Krise ungleich schwerer und tiefer als vor 2006. Wäre die Bundesagentur für Arbeit eine Bank und wäre sie an die Börse gegangen, so wäre ihr angesichts dieser Zahlen von der Bundesregierung geholfen worden. Aber im Gegensatz zum bereitwillig über die Banken gespannten Schutzschirm, wird ein Schutzschirm für die Arbeitslosenversicherung abgelehnt. Na, wenigstens wissen die Menschen, was ihnen mit Union und SPD nach der Bundestagswahl blüht: weitere Kürzungen des Arbeitslosengeldes, weniger aktive Arbeitsmarktpolitik, weitere Belastungen der Versicherten etc. Aber gerade jetzt, im Vorfeld der Bundestagswahlen, haben die Menschen ein Recht darauf zu wissen, wie es hinterher weitergeht. Und dass wohlklingende Wahlprogramme für Union und SPD nach der Wahl keine große Bedeutung haben, mussten die Menschen schon zu oft erleben. Deswegen fordern wir als Linke alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien auf, bereits vor der Wahl eine Garantie zu geben, dass es nach der Wahl keine Kürzung von Sozialleistungen geben wird. Wer diese Garantie nicht bereit ist zu geben, der bereitet bereits heute den Wahlbetrug von morgen vor. gegebene Reden Bei der ersten Lesung vor 14 Tagen und in den Aus schussberatungen hat die Linkspartei gar nicht erst versucht, sachliche Argumente für ihren Antrag zu finden. Sie setzt auf das Schüren von Emotionen, bei der sie als Held der kleinen Leute erscheint. Die Linke sollte nicht glauben, dass unsere Bevölkerung sich für dumm verkaufen lässt. Die Menschen in Deutschland sind klüger, als die Linke, aber auch als die Koalition glaubt. Weder den linken Versprechungen, die das Blaue vom Himmel verheißen, noch den Schwüren zur Steuersenkung durch Union und FDP schenken die Deutschen Glauben. Außerdem ist deutlich geworden, dass noch nicht einmal die Linke selbst weiß, was sie unter einer Staatsgarantie versteht. Nur aus einer Zwischenfrage in der ersten Lesung ließ sich erahnen, worum es ihr geht. Herr Ernst sagte, es „sollen Defizite in der Sozialversicherung durch Bürgschaften … ausgeglichen werden.“ Bürgschaften setzen jedoch immer voraus, dass man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass diese Gelder nicht fließen müssen oder zurückgezahlt werden. Entweder geht die Linke also davon aus, dass die Probleme gar nicht so groß sind, oder sie will verschleiern, dass sie eine direkte Deckung aus Steuermitteln fordert. Dann wäre offensichtlich, dass gerade diejenigen, die die Linken vermeintlich schützen wollen, selbst via Steuern dafür aufkommen müssen. Im Übrigen sollte sich die Linke davor hüten, Instrumente, die in anderen Bereich auch nur Notlösungen sind, auf andere Bereiche zu übertragen. Die Finanzmarktstabilisierung der Bundesregierung war und ist eine Rettungsmaßnahme für den aktuellen Notfall. Jedoch wurde das Ziel einer besseren Kreditversorgung der Wirtschaft, die gerade auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugutegekommen wäre, nicht erreicht. Die Bundesregierung kümmert sich immer noch zu sehr um das Wohl der Banken und zu wenig um das Funktionieren der Volkswirtschaft. Der Staat gibt damit Milliardenbeträge an Banken, die noch immer nach den alten Regeln des Finanzmarkts arbeiten. So darf es nicht weitergehen. Die Finanzmärkte brauchen neue Regeln. Regulierungsund Verantwortungslücken müssen endlich geschlossen werden. Für die Sozialsysteme brauchen wir nicht Bürgschaften, sondern Reformen, die für nachhaltige Finanzen und zielgenaue Leistungen bürgen. Auffällig ist zum Beispiel, dass die Pflegeversicherung mit dem unbestreitbar höchsten Reformbedarf für die Linke anscheinend gar nicht existiert. Dabei müssen neben aktuellen auch langfristige demografische Aspekte, die Frage der Generationengerechtigkeit, der gerechte Ausgleich der Interessen derjenigen, die Beiträge zahlen, und derjenigen, die Leistungen empfangen, immer wieder in den Blick genommen werden. Aber vor solchen Abwägungen drückt sich die Linke ständig und demonstriert damit, dass sie nicht einmal potenziell regierungsfähig ist. Wir Grünen greifen bei unseren Reformvorschlägen die Ängste der Menschen vor Altersarmut auf. Es geht darum, die Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung auf ein Niveau anzuheben, das Teilhabe tatsächlich ermöglicht. Wir wollen eine Garantierente einführen für die Bürgerinnen und Bürger, die wegen niedriger Verdienste oder Unterbrechungen ihres Erwerbslebens keine ausreichenden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen können. Für ein solches zielgerichtetes Anliegen sind wir auch bereit, zusätzliche Steuermittel in die Hand zu nehmen. Wir Grünen setzen uns für eine solidarische Bürgerversicherung in der Krankenund Pflegeversicherung ein. Die grüne Bürgerversicherung ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit bei der Finanzierung und ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit. Die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Einbeziehung aller Einkommensarten trifft nicht nur die Reichen, wie die Linke es verkauft, sondern alle Menschen. Auch der Facharbeiter zahlt dann Beiträge auf die Mieteinnahmen aus der Einliegerwohnung seines Häusles. Er zahlt dann genausoviel wie die Kollegin mit identischem Einkommen, welches komplett aus Erwerbsarbeit stammt. Der vorliegende Antrag ist nur was fürs Schaufenster des linken Populismus. Politik braucht Konzepte und nicht Versprechungen. Wir Grünen haben diese Rezepte. Diese sind weder illusorisch noch unbezahlbar. Unsere grünen Reformvorschläge haben Perspektive und sind umsetzbar. Sie dagegen verabschieden sich mit Ihrem Vorschlag davon, die Sozialversicherungen zukunftsfähig gestalten zu wollen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13648, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12857 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 52 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Markus Kurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesamtkonzept zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen – Drucksachen 16/11207, 16/13623 – Berichterstattung: Abgeordneter Hubert Hüppe Im Beruf zu stehen, Arbeit zu haben, hat für viele Men schen eine hohe Bedeutung. Für Menschen mit Behinderungen ist die berufliche Teilhabe besonders wichtig. In vielen Lebensbereichen sind sie immer noch ausgeschlossen. Arbeiten zu können, heißt für Menschen mit Behinderungen deshalb noch mehr als für andere Menschen, dazuzugehören. Hubert Hüppe Für Menschen mit Behinderungen gibt es immer noch höhere Hürden auf dem Arbeitsmarkt als für Menschen ohne Behinderungen. Dies zeigt sich zum einen an der hohen Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen und zum anderen an fehlenden Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen. Schwerbehinderte Menschen sind fast doppelt so häufig arbeitslos wie Menschen ohne Behinderungen. Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, haben häufig nicht die Chance, in einem Betrieb auf dem regulären Arbeitsmarkt zu arbeiten. Vielmehr wuchs die Zahl der in Werkstätten beschäftigten Menschen stetig. Allein von 1998 bis 2005 wuchs die Zahl der Werkstattplätze von knapp 180 000 auf fast 260 000. Die CDU/CSU hat die Problembereiche angepackt. Die Leitschnur der CDU/CSU war dabei, Wege für Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Wir haben einen Beschäftigungszuschuss für langzeitarbeitslose Menschen eingeführt. Und was neu und besonders hilfreich ist: Der Zuschuss kann dauerhaft gezahlt werden. Insbesondere Integrationsbetriebe berichten mir, dass sie mithilfe des Zuschusses mehr Menschen mit Behinderungen im allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigen können. Wir haben beschlossen, Integrationsämtern einen höheren Anteil am Aufkommen der Ausgleichsabgabe zu gewähren. Mit den zusätzlichen Mitteln wollen wir erreichen, dass mehr Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesichert werden. Wir haben Vermittlungsgutscheine mit höheren Beträgen für die Vermittlung schwerbehinderter Arbeitsuchender geschaffen. Für schwerbehinderte Auszubildende haben wir einen höheren Ausbildungsbonus für Ausbildungsbetriebe beschlossen, und wir haben eine Berufseinstiegsbegleitung, insbesondere für Jugendliche mit Behinderungen, eingeführt. Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen ist seit der Regierungsbeteiligung der Union gesunken. Trotz der momentanen Wirtschaftskrise liegt die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen aktuell noch um fast 20 Prozent niedriger als zu Zeiten von Rot-Grün. Der Rückgang ist zwar nicht so stark wie bei Arbeitslosen ohne Behinderung. Er macht aber deutlich, dass durch eine gute Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik auch mehr Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden kann. Wir haben dafür gesorgt, dass Menschen mit Behinderungen Alternativen zu einer Tätigkeit in Werkstätten für behinderte Menschen haben. Das zwischenzeitlich ratifizierte Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderung unterstützt unseren Weg: Es muss mehr gemeinsames Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung geben. Mit der im letzten Jahr beschlossenen Unterstützten Beschäftigung haben wir Alternativen zu einer Tätigkeit in einer Werkstatt gestärkt. Die Unterstützte Beschäftigung ermöglicht Menschen mit Behinderungen, Zu Protokoll individuell in einem Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes qualifiziert und später dauerhaft auf einem regulären Arbeitsplatz von Fachdiensten begleitet zu werden. Für Menschen mit Behinderungen, die keinen regulären Arbeitsvertrag bekommen können, haben wir mehr Chancen auf ausgelagerten Werkstattplätzen geschaffen. Wir haben klargestellt, dass zum Leistungsangebot von Werkstätten ausgelagerte Plätze im Berufsbildungsbereich und dauerhaft ausgelagerte Plätze im Arbeitsbereich gehören. Auch diese Menschen mit Behinderungen können also jetzt verstärkt in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein. Wie Sie sehen, haben wir ganz konkret eine Menge getan, um Menschen mit Behinderungen mehr Teilhabechancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Wir werden diesen Weg weitergehen. Aus vielen Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass die Arbeitsvermittlung immer noch nicht optimal funktioniert. Kompetente Arbeitsvermittlung und -beratung für Menschen mit Behinderungen ist vielerorts Mangelware. Die Ansprechpersonen in Agenturen, Arbeitsgemeinschaften und kommunalen Trägern wissen häufig zu wenig über die speziellen Instrumente für arbeitslose Menschen mit Behinderungen. Beispielsweise müssen dringend die Kompetenzen der früheren Zentralstelle für Arbeitsvermittlung von Akademikern mit Behinderung gestärkt werden. Die Entscheidung, diese Kompetenzen herunterzufahren, halte ich nach wie vor für falsch. Aus Sicht der Union müssen Menschen mit Behinderung grundsätzlich zwischen einer Werkstatt für behinderte Menschen und einem anderen Leistungsanbieter und Leistungsort wählen können, wenn ein entsprechender Bedarf besteht. Dies kann zum Beispiel durch ein „Persönliches Budget für Arbeit“ geschehen. Das Persönliche Budget sollte eine persönliche Betreuung der Betroffenen ermöglichen. Schließen Arbeitgeber und Budgetnehmer einen Arbeitsvertrag, muss ein dauerhafter Lohnzuschuss für den Arbeitgeber möglich sein. Dauerhafte Zuschüsse sind besser als kurzfristige und sehr hohe Zuschüsse wie bei den Eingliederungszuschüssen, die leider oft nach dem Auslaufen nicht zu dauerhaften Arbeitsverhältnissen führen. Kann ein Mensch aufgrund seiner Behinderung keinen Arbeitsvertrag bekommen, muss er in anderer Form auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, beispielsweise auf ausgelagerten Werkstattplätzen. Beschäftigungsinstrumente können aber letztlich nur dann effektiv greifen, wenn Arbeitgeber, Arbeitskollegen und Menschen mit Behinderungen an einem Strang ziehen. Arbeitgeber und Arbeitskollegen müssen häufig bestehende Berührungsängste ablegen. Diese Vorbehalte können am besten dadurch abgebaut werden, dass Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an mitten in der Gesellschaft leben, insbesondere in gemeinsamen Kindergärten und Schulen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift viele Aspekte auf, die auch aus Sicht der Union wichtig und richtig sind. Er kann von uns dennoch nicht unterstützt gegebene Reden Hubert Hüppe werden. Er zeigt die inkonsequente und widersprüchliche Haltung der Antragsteller. Beispielsweise wurde noch zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung beschlossen, die Beschäftigungspflichtquote von 6 auf 5 Prozent zu senken, um Arbeitgebern einen Anreiz zu geben, mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen, was die Union damals im Bundestag abgelehnt hatte. Jetzt auf einmal ist das Gegenteil richtig, nämlich die Erhöhung der Beschäftigungspflichtquote von 5 auf 6 Prozent. Der Antrag geißelt ferner fehlende Alternativen zu Werkstätten für behinderte Menschen. Dabei liegt der höchste bisher verzeichnete Anstieg bei Werkstattplätzen zu Zeiten einer rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2002 mit über 25 000 Werkstattplätzen. Davor und danach gab es nie einen solch dramatischen Zuwachs. Es konnte bisher auch noch niemand widerlegen, dass der Zuwachs im Zusammenhang mit der im Antrag hochgelobten Öffentlichkeitskampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“ aus dem Jahr 2001 stand. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Menschen mit Behinderungen in Werkstätten gebracht wurden, um die Kampagne zum Erfolg zu bringen. Wer in einer Werkstätte ist, verschwindet aus der Arbeitslosenstatistik. Annähernd 50 000 statistisch erfasste schwerbehinderte Arbeitslose gab es nur kurzfristig weniger. Bereits ein halbes Jahr nach Ende der Kampagne war die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Menschen wieder um 30 000 gestiegen. Die Kampagne war ein Strohfeuer. Deswegen wollen wir konkrete Maßnahmen statt teurer Kampagnen. Der Antrag arbeitet darüber hinaus mit veralteten Zahlen und stellt Forderungen, die bereits längst erfüllt sind. Er weist etwa auf stetig sinkende Mittel der Integrationsämter hin, verschweigt aber den Beschluss der Koalitionsfraktionen, den Integrationsämtern mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Bereits im November des letzten Jahres haben die Koalitionsfraktionen im Zusammenhang mit der Einführung der Unterstützten Beschäftigung beschlossen, den Integrationsämtern einen höheren Anteil am Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe zu gewähren. In Zahlen von 2007 gerechnet, macht dies immerhin etwa 50 Millionen Euro Mehreinnahmen für Integrationsämter aus. Integrationsämter können diese Mittel für die Unterstützte Beschäftigung und andere Maßnahmen für mehr Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen ausgeben. Der Antrag fordert, dass die Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher festgestellten Sachleistungen überschreiten können soll. Dies ist heute aber schon in § 17 Abs. 3 SGB IX so vorgesehen. Die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen müssen zeitnah weiter verbessert werden. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat mit ihren Kongressen zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in dieser Legislaturperiode das Thema nach vorne getrieben. Wir bleiben beim Thema am Ball und werden uns weiter für bessere Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Der Weg ist schwierig, es sind viele Vorurteile und Widerstände zu überwinden – aber der Weg lohnt sich. Zu Protokoll Ende Mai traf ich auf Initiative der Lebenshilfe Solin gen gemeinsam mit dem Kollegen Franz Thönnes den Präsidenten des chinesischen Behindertenverbandes, der rund 85 Millionen Menschen mit Behinderungen in China vertritt. Die chinesische Behindertenorganisation „China Disabled Persons’ Federation“ hat es sich zum Ziel gesetzt, die Situation dieser Menschen in allen sozialen Bereichen zu verbessern. Von Deutschlands Erfahrungen will die Organisation profitieren. Ich bin überzeugt, dass wir in den letzten acht, neun Jahren gute Gesetze für die Menschen mit Behinderungen verabschiedet haben, die als Vorbild für die chinesischen Reformprozesse dienen können, nicht als Eins-zu-einsKopie, aber als Lernprozess. Daher ist der Erfahrungsaustausch so wichtig. Die Geschichte der deutschen Politik für Menschen mit Behinderungen erzählt von Erfolgen und von Herausforderungen und leider auch immer noch von Rückschlägen. Zu den Erfolgen gehören zweifelsohne die Einführung des Persönlichen Budgets, das Programm der Unterstützten Beschäftigung oder das Arbeitsmarktprogramm „Job4000“, um nur einige zu nennen. All diese Initiativen zielen darauf ab, den Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen; es sind gute und richtige Programme, die erfolgreich sind. Doch ich verkünde in diesem Haus keine neue Wahrheit, wenn ich sage: Das Arbeitsleben beginnt in der Schule. Und hier fängt die Geschichte unserer gemeinsamen Herausforderung an: der gemeinsame Unterricht unter einem Dach, für alle Kinder. Vom Sonderweg der Sonderschulen oder – offiziell – Förderschulen müssen wir uns abkehren. Wer in Deutschland eine Sonderschule besucht, hat nahezu alle Chancen auf einen Abschluss verloren. Nahezu 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler schaffen den Hauptschulabschluss nicht; von einem akademischen Abschluss ganz zu schweigen. Es ist ein Rückschlag, wenn wir feststellen müssen, dass im EU-Durchschnitt mehr als 70 Prozent der Kinder mit Behinderung an einer ganz normalen Schule lernen. In Deutschland sind es gerade mal 15 Prozent. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung mahnt zu Recht großen Handlungsbedarf bei der Abschaffung der Förderschulen an. Es ist ein schlechtes und rückwärtsgewandtes Zeichen, wenn konservative Landesregierungen wie die in Baden-Württemberg daraufhin abwinken und verkünden, es solle alles so bleiben, wie es ist. Aber ich sage ausdrücklich: Es darf nicht so bleiben! Ich möchte den Grünen daher zustimmen, wenn sie unter Nr. 3 des Gesamtkonzeptes den gemeinsamen Unterricht fordern. Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung verlangt in Art. 24 ein inklusives Bildungssystem. Wir müssen mit dieser Rückenstärkung und neuem Elan und Eifer an die Vertreter der Bundesländer herantreten, um für die Schülerinnen und Schüler dieses Recht einzulösen. Auch Eltern wollen Wahlfreiheit. Es wird sich auszahlen, denn profitieren werden alle Kinder, wie praktische Beispiele zeigen. Dort, wo der Unterricht durch das Engagement gegebene Reden Jürgen Kucharczyk beherzter Schulleiter und Lehrkräfte schon unter einem Dach möglich ist, sind Solidarität, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sehr hoch ausgeprägt. Zu Recht fordert die SPD-Bundestagsfraktion eine Bildung von Anfang an und damit selbstverständlich eine gemeinsame Bildung. Das wird eine Herausforderung für die Zukunft sein, die wir jedoch schnellstmöglich angehen müssen. Wir werden viele Gespräche führen, aber es lohnt sich. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit einem gemeinsamen Unterricht die Köpfe und auch die Herzen der Menschen erreichen. Die ersten zaghaften Zeichen für ein Umdenken in den Ländern geben Hoffnung. Inklusion muss zum Kern aller Reformen in der zukünftigen Politik für Menschen mit Behinderungen werden. Den Inhalten des Antrags zur Erarbeitung eines Ge samtkonzepts zur beruflichen Rehabilitation kann man zustimmen, dem Antrag als solchem leider nicht, da wir mitten in den Vorbereitungen zur Reform der Eingliederungshilfe stecken. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe und ihre Unterarbeitsgruppen arbeiten gemeinsam mit den Verbänden der Selbsthilfe und den Leistungserbringern an diesem Vorhaben. Wir müssen uns deshalb in der kommenden Legislatur auf diese Reform konzentrieren. Ohne eine grundlegende Reform der Eingliederungshilfe – das hat auch die Anhörung am vergangenen Montag zu dem vorliegenden Antrag gezeigt – wird es in Zukunft unmöglich, die Anforderungen der UN-Konvention für die Teilhabe am Arbeitsleben auch nur ansatzweise einzuhalten. Wir dürfen also nicht so tun, als ob wir alles allein in der Hand hätten und als Parlament nur drauflosentscheiden müssten. Mit den CDU-geführten Ländern gibt es starke Widersacher, die sich einer Politik der Gleichberechtigung verschließen. CDU und CSU in Bayern und BadenWürttemberg haben sich nachweislich gegen den Begriff und gegen das Konzept der Inklusion in der deutschen Übersetzung ausgesprochen. Wir alle wissen, dass in Bayern weiter Heime gebaut werden und das dortige Heimgesetz nicht mal im Ansatz etwas daran ändern will. Wir alle kennen die Versuche der Union in der Bundesregierung, Pflege in Heimen von ihrem schlechten Ruf zu befreien und sonst nichts für Alternativen zu tun. Es waren namhafte Vertreter der Union – insbesondere der CSU –, die sich in Brüssel um den Stopp einer Erweiterung der Antidiskriminierungsrichtlinie bemüht haben. Die unter Führung des CDU-Familienministeriums arbeitende Antidiskriminierungsstelle ist ein zahnloser Tiger. Das liegt nicht an den gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern an der Unfähigkeit und Unwilligkeit der Leitung und den daraus resultierenden Ergebnissen für die Antidiskriminierungspolitik in Deutschland. Das wird von den Betroffenen nicht vergessen und ist für mich Grund genug zu sagen: Die Politik von CDU und CSU im Bund und in den Ländern ist unglaubwürdig; denn sie Zu Protokoll entscheiden am Willen der Menschen mit Behinderung und der Menschen mit Pflegebedarf vorbei. Wir haben gemeinsam mit den Betroffenen vieles erreicht. Das wollen wir nicht vergessen. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen Schwerbehinderter weiter über dem Durchschnitt nichtbehinderter Arbeitnehmer liegen und der unverminderte Aufwuchs in den Werkstätten – gerade auch psychisch kranker Menschen – anhält, wurde viel erreicht. Wir sind uns der Probleme bewusst und gehen sie systematisch an. Ein Gesamtkonzept zur Reform der Teilhabe am Arbeitsleben ist dazu mit Sicherheit notwendig. Die Eingliederungshilfe ist dabei ein zentraler Punkt. Es geht aber auch darum, die Finanzierung der Ausgleichsabgabe auf krisenfeste Beine zu stellen. Unsere Herausforderung besteht darin, die Mittel der Ausgleichsabgabe zu ergänzen. Die Integrationsprojekte und Integrationsunternehmen sind auf die Ausgleichsabgabe angewiesen. Deren Erfolge dürfen wir nicht gefährden. Die Unterstützte Beschäftigung hat eine Lücke geschlossen, die den Übergang von den Förderschulen in die betriebliche Bildung und Beschäftigung begünstigt. Wir ergänzen damit die Leistungen an der Schnittstelle Schule/Werkstatt wirksam. Junge Menschen erhalten damit erstmals eine echte Chance auf betriebliche Qualifizierung mit dem Ziel der Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Das Konzept muss erweitert werden. Auch das wäre Teil eines Gesamtkonzepts. Aber wir müssen viel früher ansetzen. Das fordert die UN-Konvention. Nicht nur die berufsvorbereitenden Maßnahmen und Clearingverfahren müssen besser und früher aufeinander abgestimmt werden. Es gilt generell: Wenn wir Kinder mit und ohne Behinderung in der Schule nicht voneinander trennen, brauchen wir sie später nicht wieder aus dem Automatismus der Sondereinrichtungen herausholen. Wir wollen jedem und jeder gleichermaßen Chancen bieten. Wir haben mit dem Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäftigung klargestellt, dass die Außenarbeitsplätze der Werkstätten auch dauerhaft genutzt werden können. Damit wurde eine bestehende Praxis rechtlich abgesichert. Das Integrationsmanagement wird noch nicht von allen Werkstätten so intensiv betrieben. Hier gilt es, weiter dafür zu werben, dass Werkstätten für ihre Beschäftigten betriebliche Partner suchen müssen. Konkurrenz zu regulärer Beschäftigung muss jedoch vermieden werden. Die Budgets für Arbeit weisen den richtigen Weg, um Anreize für Arbeitgeber zu setzen, sozialversicherungspflichtige Arbeit zu schaffen. Mit den Budgets für Arbeit gehen Rheinland-Pfalz und Niedersachsen den richtigen Weg. Diese positiven Erfahrungen müssen genutzt werden, um die Integrationsbemühungen weiter zu verstärken. Dazu gehört auch der Minderleistungsausgleich. Er ist im § 102 SGB IX und im § 27 Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe-Verordnung – SchwbAV – vorgesehen. Dieser Ansatz kann und muss für die zukünftige Ausgestaltung eines inklusiven Arbeitsmarktes genutzt werden. Wir müssen aber eine sinnvolle Ausgestaltung ermöglichen, die Menschen mit Behinderung nicht erst in die Werkstätten schiebt, um sie dann wieder herauszuholen. gegebene Reden Silvia Schmidt Beschäftigungszuschüsse haben wir auch mit der Jobperspektive im § 16 e SGB II für über 3 000 Menschen mit Behinderung erfolgreich umgesetzt. Ein Punkt liegt mir besonders am Herzen: Die mehr als 270 000 Beschäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen vertrauen darauf, dass wir die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze erhalten und ihnen verlässliche und realistische Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bieten. Sie vertrauen zu Recht darauf, dass wir ihnen Chancen auf eine sozial abgesicherte Integration bieten. Sie wollen, dass die Werkstatt auch für eine Rückkehr zur Verfügung steht, auch wenn der Arbeitsplatz aufgrund von betrieblichen Gründen wegfällt. Sie wollen auch ihre Rentenansprüche nicht verlieren. Da die SPD-Bundestagsfraktion mit der jährlichen und mittlerweile vierten Werkstatträtekonferenz ein enges und produktives Verhältnis mit den Werkstatträten pflegt, arbeiten wir daran, diese Erwartungen zu erfüllen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Denn es hängt nicht nur die Eingliederungshilfe an diesen Fragen, sondern es geht um komplexe Wechselverhältnisse zwischen Rehabilitations-, Renten-, Arbeitsund Sozialhilferecht. Hier arbeiten wir sehr eng mit den Betroffenen zusammen. Ich weiß immer noch nicht, ob das alle Fraktionen von sich behaupten können. Wir nehmen uns auch der Finanzierung einer überörtlichen Werkstattratsarbeit an und wollen erreichen, dass die Beschäftigten in dem Wandlungsprozess ihrer Werkstätten auch die Möglichkeit bekommen, ihr Auskommen durch menschenwürdige und tariflich entlohnte Arbeit zu verdienen. Sie müssen trotz des bisher nur arbeitnehmerähnlichen Rechtsstatus mitbestimmen können und gewerkschaftliche Organisation nutzen können. Dafür setzen sich die Sozialdemokraten ein. Auch das fordert die UN-Konvention von uns. Die Werkstätten dürfen wir dabei nicht vergessen mitzunehmen. Sie haben neue Wege beschritten: Ein Drittel aller Integrationsprojekte werden heute schon durch WfbMs betrieben. Die Werkstätten wollen sich mehrheitlich wandeln und den Veränderungsprozess mitgestalten. Ihre Kompetenz als Bildungsträger müssen wir nutzen, auch wenn wir klar sagen: Rechtliche Ansprüche müssen an Personen gebunden werden und nicht an Einrichtungen. Nur so können sich die Angebote der Werkstätten anhand der individuellen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung verändern. Maßgabe hierbei ist das Wunschund Wahlrecht, das weder durch Strukturen von Institutionen noch von Gesetzen beeinträchtigt werden darf. Es ist aber der falsche Weg, gegen die Werkstätten und ihre fachlich hervorragende Arbeit und damit gegen die Beschäftigten einen Wandel gestalten zu wollen. Das sage ich mit aller Entschiedenheit. Das Wunschund Wahlrecht des SGB IX ist Leitidee der selbstbestimmten Teilhabe und macht das SGB IX zu dem, was es ist: Das innovative Teilhabegesetz, was die UN-Konvention in weiten Teilen schon vorweggenommen hat. Das haben SPD und Grüne gemacht. Ich wünsche mir, dass wir das SGB IX in der kommenden Legislatur in diesem Hohen Hause weiterentwickeln können. Wir müssen die Werkstätten öffnen, auch für anZu Protokoll dere Formen und Modelle der Unterstützung wie die sogenannte Virtuelle Werkstatt. Das haben viele Sachverständige am vergangenen Montag gefordert, übrigens auch die Werkstätten selbst. Schon 2006 habe ich mit meiner Fraktion einen Workshop zum Thema Virtuelle Werkstatt im Deutschen Bundestag durchgeführt. Wir wollten damals klären: Welche Alternativen gibt es denn zur traditionellen Werkstatt, und wie kann die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt verstärkt werden? Das Ergebnis war eindeutig und hat uns den Weg gewiesen: Eine Stärkung des Budgetansatzes, die wohnortunabhängige betriebliche Platzierung und Qualifizierung sowie die gesetzliche Regelung personenzentrierter Leistungen sind gangbare Alternativen. Das Modell der Virtuellen Werkstatt, das im Saarland erfolgreich gelaufen ist, wird mittlerweile auch von den Werkstätten selbst als gesetzlich geregelte und gleichgestellte Alternative gefordert. Die Integrationsfirmen haben zu Recht gefordert, diese Alternative auch ohne Anbindung an einen Werkstattträger zu ermöglichen. Es bleibt weiterhin notwendig, die Teilzeitarbeit in WfbMs zu stärken. Wir haben den Anfang gemacht, indem wir klargestellt haben, dass die Anwendung des Teilzeitund Befristungsgesetzes schon jetzt auch für Werkstätten möglich ist. Die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt wurde und wird von der SPD massiv gefördert – in den Ländern und im Bund. Malu Dreyer hat in RheinlandPfalz aufopferungsvolle Arbeit geleistet. Das SPD-regierte Land gilt heute als Speerspitze der Integration auf Basis des Budgetansatzes. Karl Finke, der Landesbehindertenbeauftragte in Niedersachen, macht dort einen hervorragenden Job für die Integration und Inklusion von Menschen mit Behinderung. Er hat maßgeblich an der Einführung des Budgets für Arbeit mitgewirkt. Unser gemeinsames Ziel muss bleiben: Eine umfassende Reform der Eingliederungshilfe, bei der die Werkstätten und die Beschäftigten mitgenommen werden. Denn reine Verpflichtungen reichen nicht. Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt wird nicht auf Befehl gelingen. Wir müssen viele Stellschrauben bewegen und uns in der nächsten Legislatur sehr konzentriert mit den Vorschlägen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Eingliederungshilfe auseinandersetzen. Bis dahin werden wir weiter darauf bestehen: Die Möglichkeit, seinen vollen Lebensunterhalt in einem integrativen und barrierefreien Arbeitsmarkt selbst zu verdienen, ist ein Menschenrecht. Es ist niemandem zuzumuten, dass er in eine Werkstatt muss, wenn er doch lieber die Unterstützung in einem Betrieb haben möchte. Langfristig gilt: Nur wenn wir zu Normalität in der Kinderbetreuung, in der Bildung und im Übergang zum Arbeitsmarkt kommen, werden wir Normalität auf dem Arbeitsmarkt erleben und den Anspruch der UN-Konvention erfüllen können. Für das Persönliche Budget müssen wir noch sehr viel tun, aber es gibt eine deutlich positive Entwicklung: Budgetnehmer sind mit ihrem Budget sehr zufrieden. Das hat dazu geführt, dass wir in den letzten Monaten eine steigende Zahl bewilligter Budgets verzeichnen. Ich denke, gegebene Reden Silvia Schmidt darüber darf man sich freuen, wenn auch nicht darauf ausruhen, und damit muss man wuchern. Es gibt viele Probleme, die wir weiter bearbeiten müssen: Der Kostenvorbehalt des § 17 SGB IX sagt, die Budgetleistung darf nicht mehr als die Sachleistung kosten. Diese Regelung verhindert die Bedarfsgerechtigkeit der Leistungen. Die Menschen haben Angst, dass sie mit dem Budget weniger Leistungen bekommen, als sie ohne Budget haben. Diese Angst muss man ihnen nehmen, denn die Selbstbestimmung darf nicht an der Finanzierung scheitern. Das Budget für Werkstattleistungen im allgemeinen Arbeitsmarkt ist nicht möglich, da Sachleistungen an die Institution Werkstatt gebunden sind. Diese darf aber ihre Leistungen nur sehr bedingt in die Unterstützung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einbringen, zum Beispiel bei Tandemarbeitsplätzen. Da müssen wir eine klare Verknüpfung von Leistung und Angebot im Sinne der Budgetnehmer schaffen. Wir brauchen mehr Rechtssicherheit, Transparenz, Wahlfreiheit und Barrierefreiheit. Es gibt eine mangelhafte Beratung und Unterstützung bei der Beantragung des Budgets. Das Ergebnis sind besonders wenige Budgets für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Hier schaffen wir Abhilfe. Mit 27 Modellprojekten hat Bundesminister Olaf Scholz die Öffentlichkeitsarbeit und die Praxiserprobung für das Budget noch einmal verstärkt. Zum Beispiel das Projekt „Arbeit.Selbst.Bestimmt“ in Berlin oder das Projekt „JobBudget“ in Jena schaffen Möglichkeiten für bessere Zugänglichkeit des Budgets für Menschen mit Behinderung, insbesondere für die Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Beim Projekt „Arbeit.Selbst.Bestimmt“ geht es um ein Mentoring. Menschen mit Lernschwierigkeiten unterstützen andere Menschen mit Lernschwierigkeiten bei der Beantragung eines Budgets für Arbeit. Das ist innovativ und fußt auf der Prämisse „Nichts über uns ohne uns“. So steigert man die Kompetenz der Betroffenen, stärkt sie im Sinne des Empowerments und ermöglicht so bessere Integrationsergebnisse. Leider zeigen sich viele etablierte Bildungsträger und Rehabilitationsträger nicht so kooperativ, wie es nötig ist. Viele sind weiterhin der Ansicht, dass der Mensch mit Behinderung quasi als Eigentum des Trägers auch nur dessen Angebote wahrnehmen sollte. Dazu sage ich ganz deutlich: Das hat nichts mit Wunschund Wahlrecht, nichts mit selbstbestimmter Teilhabe zu tun. Das ist die gleiche Bevormundung und falsche Fürsorge, die wir mit dem SGB IX hinter uns lassen wollten. Bei Rehaträgern wie der BA hält man sich oft mit Bargeldbudgets zurück, da dies oft nicht der Systematik der Kostenträger entspricht. Das muss geändert werden, obwohl es auch hier wieder auf die Akteure vor Ort ankommt. Die Agentur in Berlin-Mitte beispielsweise zeigt sich sehr offen und kooperativ für Projekte zum Persönlichen Budget. Die Leiterin dort weiß, dass man nur dann einen guten Job macht, wenn man allen Menschen passgenaue Lösungen für ihre Situation am Arbeitsmarkt liefert. Zu Protokoll Wir haben mit dem SGB IX ein hervorragendes Gesetz, das all die Ansätze bietet, die wir brauchen. Wir brauchen ein barrierefreies Leistungsgesetz für Teilhabe. Das SGB IX kann das werden. Wir werden ein Teilhabegeld entwickeln, das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, passgenau sicherstellen wird. Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinwirken, dass diese guten Ansätze in der nächsten Legislatur verstärkt mit Leben erfüllt werden. Die FDP begrüßt ausdrücklich die Initiative der Grü nen zur Erstellung eines Gesamtkonzeptes zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen. Die Untätigkeit der Bundesregierung macht es leider nötig, dass die Oppositionsfraktionen hier Verantwortung übernehmen. Denn außer der Auflage einiger Arbeitsmarktprogramme kam von der Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren nicht viel. Insbesondere vom selbstverkündeten Anspruch des Arbeitsministers Scholz, die wortwörtlich „weltbeste Arbeitsvermittlung“ zu etablieren, ist man weiter entfernt denn je. Gut funktionierende, spezialisierte Organisationseinheiten wie die zentrale Arbeitsvermittlung für schwerbehinderte Akademiker, ZAV, wurden aufgelöst. Von einer flächendeckend guten Beratungsqualität für behinderte Erwerbslose sind wir in den allermeisten Argen und Jobcentern weit entfernt. Die FDP mahnt seit Jahren eine grundlegende Reform der Jobvermittlung an und hat dem Bundestag konkrete Vorschläge dafür mehrfach unterbreitet. Alle Studien und praktischen Erfahrungen zeigen: Die Vermittlung Arbeitsuchender in Arbeit gelingt immer dann am besten, wenn sie dezentral organisiert ist. Es ist der direkte Kontakt zwischen Arbeitsuchendem, Jobvermittler und potenziellem Arbeitgeber, der für eine erfolgreiche Vermittlung erforderlich ist. Dies gilt insbesondere auch für behinderte Arbeitsuchende. Nur wenn der Jobvermittler sowohl die infrage kommenden Arbeitgeber als auch den behinderten Jobsuchenden persönlich kennt, können passgenau geeignete Kandidaten auf die entsprechenden Stellen vermittelt werden. Große Apparate wie die Bundesagentur für Arbeit scheitern an solchen Herausforderungen. Dies sind die Stellen, an denen eine grundlegende Reform der Jobvermittlung ansetzen muss: dezentral, weniger Jobsuchende pro Vermittler und ein engerer Kontakt zwischen Jobvermittlern, Arbeitgebern und Arbeitsuchenden – ergänzt um wenige, schlagkräftige Programme zur Förderung von Jobsuchenden mit besonderen Vermittlungshemmnissen. Das heutige Wirrwarr von Förderprogrammen kann kein Beteiligter mehr durchschauen. Wenn wir so vielen behinderten Menschen wie möglich Arbeit im ersten Arbeitsmarkt ermöglichen wollen, dann müssen wir alle Hürden abbauen, die der Schaffung von Arbeitsplätzen entgegenstehen. Wir brauchen nicht zusätzliche Regulierung im Schwerbehindertenrecht. Wir brauchen keine Erhöhung der Ausgleichsabgabe, und wir brauchen keine weiteren gutgemeinten Schutzgesetze für behinderte Arbeitnehmer. Solche Maßnahmen lassen Arbeitgeber von der Schaffung neuer Arbeitsplätze für gegebene Reden Dr. Erwin Lotter Behinderte im ersten Arbeitsmarkt zurückschrecken. Die Konsequenz davon ist: Es werden mehr Jobs im zweiten Arbeitsmarkt benötigt. Wir brauchen auch keine Verschärfung der Antidiskriminierungsgesetze. Das Gegenteil wäre besser. Schutzgesetze mauern behinderte Menschen in vermeintlich geschützten Räumen ein. Das ist das Gegenteil von Inklusion und steht damit im Widerspruch zur UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Deshalb müssen wir den Antrag der Grünen leider ablehnen, obwohl er viele richtige Problemdiagnosen enthält und auch einige gute Lösungsvorschläge beinhaltet. Aber in den oben skizzierten Punkten schießt er weit übers Ziel hinaus. Lassen Sie uns gemeinsam im nächsten Bundestag die Jobvermittlung grundlegend neu strukturieren: dezentral, unbürokratisch und schlank. Dann kann es gelingen mehr behinderte Menschen zu einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu verhelfen. Dies ist die voraussichtliche letzte Debatte im 16. Bundestag zu einem behindertenpolitischen Thema – wie fast immer in dieser Wahlperiode zu später Stunde mit Reden, die zu Protokoll gegeben werden. Am 30. Juni 1994, also vor 15 Jahren, schuf der Bundestag mit dem Beschluss zur Aufnahme des Satzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in das Grundgesetz eine zentrale Voraussetzung für die heutige Gleichstellungsgesetzgebung für behinderte Menschen. Das war für die Behindertenbewegung und auch für mich persönlich in vielfacher Hinsicht ein ganz besonderer Tag. Zuvor wurden Zigtausende Unterschriften für den „Düsseldorfer Appell“ gesammelt, der die Grundgesetzergänzung für behinderte Menschen forderte, wurden eine Vielzahl von Aktionen zur Unterstützung unserer Forderung organisiert und letztendlich damals auch der Europäische Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen ins Leben gerufen, der heute noch begangen wird. Am 15. November 1994 trat das reformierte Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft, und seither gilt nun auch das grundgesetzlich verbriefte Benachteiligungsverbot. Es sollte noch bis 2002 dauern, bis dieser Satz durch das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz konkretisiert, und noch ein paar Jahre länger, bis alle Bundesländer Landesgleichstellungsgesetze für behinderte Menschen verabschiedeten. Und was leisteten Bundestag und Bundesregierung auf dem Gebiet der Behindertenpolitik in dieser Wahlperiode? Im Koalitionsvertrag von 2005 steht: „Die Sozialhilfe bildet mit ihren Leistungen, insbesondere … der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, der Hilfe zur Pflege und der Grundsicherung … bei Erwerbsminderung, das unterste soziale Netz.“ Ja, es stimmt: Das Behindertenrecht – SGB XI, XII und andere – bedingt noch immer den Zusammenhang von Behinderung und Armut per Gesetz. Das unterste soziale Netz, das heißt eben für die Betroffenen und ihre Angehörigen – meist leZu Protokoll benslänglich – nicht umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, Würde und Selbstbestimmung. Insofern widersprach sich die Koalition schon an dieser Stelle mit den nachfolgenden Zielund Aufgabenstellungen, wo es heißt: „Wir werden den in der Politik für behinderte Menschen eingeleiteten Prozess zur Verwirklichung einer umfassenden Teilhabe in der Gesellschaft fortsetzen … Die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen werden wir intensivieren. Wir wollen, dass mehr von ihnen die Möglichkeit haben, außerhalb von Werkstätten für behinderte Menschen ihren Lebensunterhalt im allgemeinen Arbeitsmarkt erarbeiten zu können.“ Was ist diesbezüglich passiert? Im Jahr 2006 trat das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, AGG, in Kraft, ein Antidiskriminierungsgesetz, zu dem die Europäische Union alle Mitgliedsländer verpflichtete und wo die Koalition gemeinsam mit der FDP alles unternahm, um das Gesetz – beim Titel beginnend – möglichst spät und wirkungslos zu verabschieden. Hat sich die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt nennenswert verbessert? Ich meine nein. Insofern bleiben die Aufgabenstellungen der Koalition Luftbuchungen, und es bleibt fraglich, inwieweit die in Regierungsprogrammen der CDU/CSU und SPD gemachten Wahlversprechen auf behindertenpolitischem Gebiet ernster zu nehmen sind. Am 4. Dezember 2008 ratifizierte der Bundestag einstimmig die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Auch der Weg dahin war kein Geschenk, sondern mühsames Ringen der Behindertenbewegung gegen die Widerstände in den Koalitionsfraktionen und der FDP. Die abschwächende amtliche Übersetzung, die schönredende „Denkschrift“ und der fehlende – angeblich nicht notwendige – Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention sprechen für sich. Und trotzdem: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist in Deutschland geltendes Recht, und inzwischen bestreitet zumindest der sozialdemokratische Teil der Koalition nicht die bestehenden Defizite und die Notwendigkeit eines Aktionsplanes. Zu dem heute zu beratenden Antrag gibt die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Art. 27 klar vor, was Sache sein soll: „… das gleichberechtigte Recht behinderter Menschen auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen, einschließlich Chancengleichheit, gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, einschließlich Schutz vor Belästigungen, und Abhilfe bei Beschwerden zu schützen“. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Dass es geht, beweisen wir – Menschen mit Behinderungen – auch im Bundestag und in anderen Parlamenten. Abgeordnete mit Behinderungen in den Fraktionen der Linken in den Landtagen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen leisten hervorragende Arbeit und auch Kollege Wolfgang Schäuble von der CDU kann seine Arbeit als Bundesminister gut bewältigen. Damit sage ich ausdrücklich nicht, dass mir seine Politik gefällt, sondern nur, dass er sein Pensum schafft. gegebene Reden Dr. Ilja Seifert Auch viele Behörden des öffentlichen Dienstes haben keine Probleme, die Schwerbehindertenquote zu erfüllen. Wenn die Verwaltung ihre Arbeit nicht zu unserer Zufriedenheit erfüllt, liegt es sicher nicht daran, dass dort – zu viele – Menschen mit Behinderungen arbeiten. Insofern ist es inakzeptabel, wenn der überwiegende Teil der Unternehmen kaum oder überhaupt nicht Menschen mit Behinderungen beschäftigt. So lange dieses Potenzial nicht genutzt wird, Menschen mit Behinderungen überproportional von Arbeitslosigkeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen und Niedriglöhnen betroffen sind, brauchen wir die Schwerbehindertenquote, und zwar wieder in der ursprünglichen Höhe von 6 Prozent. Wir brauchen auch höhere Ausgleichsabgaben für diejenigen, die die Quote nicht erfüllen, um damit diejenigen zu unterstützen, die Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu guten Bedingungen ausbilden und beschäftigen. Die Linke unterstützt ausdrücklich das Ziel, die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, ihnen geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und dabei auch ihr Wunschund Wahlrecht zu berücksichtigen. Letzteres könnte über eine möglichst unbürokratische Ausführung und bessere Ausstattung des Persönlichen Budgets ermöglicht werden. Aus diesem Grund unterstützen wir auch den Antrag der Grünen. Von einer Beschäftigung bzw. Arbeit muss man auch leben können. Menschen mit Behinderungen sollen ihren gesamten Lohn wie alle anderen auch für ihren Lebensunterhalt behalten können. Es muss endlich Schluss sein mit der Situation, dass sehr viele von ihnen ihren Arbeitslohn – bis auf den gering bemessenen Selbstbehalt – nach Sozialgesetzbuch XII für behinderungsbedingte Mehrbedarfe wieder abführen müssen. Deswegen muss der bedarfsgerechte einkommensund vermögensunabhängige behinderungsbedingte Nachteilsausgleich auch in der nächsten Wahlperiode wieder auf die Tagesordnung. Die Behindertenbewegung soll wissen: Ihr habt die Linke beim Kampf für ein soziales Teilhabesicherungsgesetz an eurer Seite. Das haben Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und ich mit unserer Unterschrift zugesagt und das möchte ich hier noch einmal bekräftigen. Ich hoffe, dass die Fraktionsspitzen zumindest von SPD und Grünen folgen, und vielleicht entdecken auch CDU und CSU noch den Sinn ihres C oder erschließen sich den Sinn der geltenden UN-Behindertenrechtskonvention. Auch Menschen mit Behinderungen wollen nicht lebenslang in Aussonderungseinrichtungen „geparkt“ werden: von der Sonderschule zur Sonderberufsschule und dann zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Erforderlich sind wirksame Aktivitäten des Bundes, der Länder und Kommunen, aber auch der Wirtschaft. Gefragt sind aber auch die Gewerkschaften, Betriebsräte sowie nicht behinderte Kolleginnen und Kollegen. Deswegen wiederhole ich meinen Appell an Sie und euch: Seid kollegial und solidarisch! Schaut nicht weg, wenn Kolleginnen und Kollegen wegen ihrer Behinderung ausgegrenzt werden! Ohne euch bleiben alle Gesetze und Förderprogramme wirkungslos. Hier seid ihr gefragt. Zu Protokoll Mein abschließendes Fazit: Ohne uns wäre vieles über bzw. für uns nicht passiert. Deswegen gilt auch für die nächste Wahlperiode: Mit uns geht es besser. Versprochen! Die Situation von Menschen mit Behinderungen oder Schwerbehinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist weiterhin schlecht. Die Erwerbstätigenquote ist verhältnismäßig gering, die Arbeitslosenquote behinderter Menschen bedeutend höher als der Durchschnitt. Grundlegende Prinzipien wie das Wunschund Wahlrecht, die selbstbestimmte Teilhabe oder der dauerhafte Nachteilsausgleich finden weder auf dem allgemeinen noch im geschützten Arbeitsmarkt hinreichend Berücksichtigung. Wie in vielen Bereichen des Behindertenrechtes stellt sich auch der Bereich der beruflichen Teilhabe als äußerst kompliziert dar. Verschiedene Leistungsträger, Leistungsvoraussetzungen und Leistungsansprüche, eine Vielzahl arbeitsmarktlicher Instrumente sowie teilweise divergierende Rehabilitationsziele erschweren den Durchblick aller Beteiligten in diesem Feld. Mit dem vorliegenden Antrag betreffend Gesamtkonzept zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen wollen wir Licht ins Dickicht unterschiedlicher Regelungen bringen und stellen den behinderten Menschen in den Mittelpunkt des Geschehens. Wir verfolgen letztlich das Ziel, den Menschen mit Behinderung in die Lage zu versetzen, selbst entscheiden zu können, in welcher Form er oder sie am Arbeitsleben teilhaben möchte. Nach heutigem Recht stehen Leistungen zur beruflichen Teilhabe nicht gleichberechtigt nebeneinander. Das bisherige System ist durch die Einteilung in „erwerbsfähig“ und „erwerbsunfähig“ geprägt. Je nach Einteilung ergeben sich verschiedene Leistungsansprüche. Dies ist vor allem für solche Personen problematisch, die sich im Grenzbereich beider Systeme befinden, aber nicht nur für diese. Nähme man das Wunschund Wahlrecht dieser Personen ernst und wollte man eine uneingeschränkte Personenzentrierung, die ihren Namen verdient, müsste man sich gedanklich von den verschiedenen Säulen deutscher Sozialgesetzgebung trennen. Eine konsequente Ausrichtung auf das Individuum würde ein individuelles Bedarfsfeststellungsverfahren erfordern, das die Klassifizierung in erwerbsfähig/erwerbsunfähig hinter sich lässt und im Sinne des dauerhaften Nachteilsausgleiches gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen versucht. Erst wenn Personen aufgrund ihrer Behinderung und trotz entsprechender Unterstützungssettings keine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, käme für sie der geschützte Arbeitsmarkt infrage. Diese Vorstellung würde auch für den Bereich der beruflichen Teilhabe ein einheitliches Leistungsrecht erfordern, so wie wir es schon in unserem Antrag zur Zukunft der Eingliederungshilfe als Ziel anstreben. Der Gesetzgeber muss nach unserer Auffassung Schritt für Schritt die Voraussetzungen für ein solches Leistungsgesetz schaffen. Bisherige Versuche dieser Bundesregierung, die berufliche Teilhabe behinderter Menschen zu fördern, blei gegebene Reden Markus Kurth ben Stückwerk, lassen eine ganzheitliche Strategie vermissen und tragen in der Praxis sogar zu Unsicherheiten seitens der Betroffenen bei. Trotz oder vielleicht sogar wegen neuer Instrumente wie DIA-AM – Diagnose der Arbeitsmarktfähigkeit – der Bundesagentur für Arbeit und der sogenannten Unterstützten Beschäftigung stehen die behinderten Menschen im Grenzbereich SGB II/ SGB XII vor unwägbaren Entscheidungen. Hier prallen zwei Systeme aufeinander, die grundsätzlich unterschiedliche Konsequenzen für die Betroffenen nach sich ziehen. Diese fragen sich: Wage ich den Schritt über die Unterstützte Beschäftigung, ohne zu wissen, wie groß danach mein Unterstützungsbedarf ist und ob mir dieser auch entsprechend dauerhaft finanziert wird? Oder wähle ich lieber den Weg in ruhigere Gewässer über das SGB XII und die Werkstatt, bei der zwar meine Verdienstmöglichkeiten minimal sind, mir jedoch ein sicherer Arbeitsplatz mit entsprechender Unterstützung sicher ist? Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, dass die Bundesregierung bislang nicht den Mut hatte, die Herausforderungen grundsätzlich anzugehen. Dies hat zur Folge, dass entsprechende Änderungen nicht den erwünschten Effekt haben werden und schlimmstenfalls die betroffenen Menschen mit Behinderungen im Regen stehen lassen. Auch die restriktive Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die Werkstattleistung nicht als Persönliches Budget ohne Anbindung an die Werkstatt auszahlen zu können, geht an der Perspektive, den behinderten Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, vorbei. Zudem sind wir der Meinung, dass die Möglichkeit einer solche Budgetierung ganz klar aus dem Gesetzestext hervorgeht; siehe hierzu unseren Antrag mit der Drucksachennummer 16/9753. Eine ganz besondere Rolle kommt nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen dem Bedarfsfeststellungsverfahren zu. So muss das Verfahren der Leistungsbemessung und Leistungsgestaltung stärker in den politischen und wissenschaftlichen Diskurs rücken. Nach wie vor fehlt es an einem einheitlichen, rehabilitationswissenschaftlich abgesicherten Instrument zur Feststellung von wesentlichen Behinderungen im Sinne von § 2 SGB IX. Die Debatte um eine Fortentwicklung des Feststellungsverfahrens um die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“, das sogenannte mehrdimensionale ICF-System, ist bisher noch nicht im parlamentarischen Raum angekommen. Wir plädieren dringend dafür, dass die Anwendung eines noch zu entwickelnden ICF-gestütztem Assessment-Instrumentes bundeseinheitlich stattfindet und allen Rehabilitationsentscheidungen einheitlich zugrunde gelegt wird. Erst auf dieser Grundlage können entsprechende personenzentrierte Hilfen gewährt werden. Der Prozess des anschließenden Hilfeplanverfahrens muss einen Versorgungszusammenhang herstellen, der von einer trägerunabhängigen Person koordiniert wird. An dieser Stelle kommen die dauerhaften Unterstützungsmöglichkeiten ins Spiel. Hierzu haben wir mit unserem Antrag konkrete Vorschläge gemacht. Interessant wird, wie so häufig, die Finanzierung ebensolcher personengebundener Unterstützung. Hier hat die BAG der Integrationsfirmen in der Anhörung vom 29. Juni 2009 richtigerweise darauf hinZu Protokoll gewiesen, dass in dem Maße, wie sich der Fokus beruflicher Teilhabe auf den allgemeinen Arbeitsmarkt richtet, eine Finanzverlagerung von der Eingliederungshilfe hin zur Ausgleichsabgabe stattfindet. Dieser Umstand muss sich zukünftig strukturell und finanziell wiederfinden. Daraus ergibt sich dreierlei: Erstens darf sich die BA ihrer Finanzverantwortung nicht entledigen, das heißt, sie muss beispielsweise künftig verstärkt als Auftraggeber für Integrationsfachdienste auftreten. Zugleich, zweitens, ist die Finanzierungsgrundlage der Integrationsämter zu überprüfen. Denkbar ist, wie in unserem Antrag gefordert, eine Anhebung oder Wiederanhebung der Beschäftigungspflichtquote von 5 auf 6 Prozent. Denkbar wäre aber auch, über andere Finanzierungsformen nachzudenken. Festhalten wollen wir aber an der Forderung, dieses Geld nicht zur institutionellen Förderung im geschützten Arbeitsmarkt zu verwenden. Dies ist mit der gesetzlichen Aufgabe der Ausgleichsabgabe nicht vereinbar. Als dritte Finanzierungsgrundlage sehen wir die Pflicht der Träger der Sozialhilfe, entsprechende Mittel für behinderte Menschen „freizugeben“, die bislang nur an Werkstattträger ausgezahlt wurden. Erfreulicherweise schlägt die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, BAGüS, im Rahmen der Arbeitsund Sozialministerkonferenz eine Öffnungsklausel vor, die es SGB-XII-Berechtigten erlauben könnte, eine Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen in Anspruch zu nehmen. Leider – ohne das der BAGüS zum Vorwurf zu machen – bleibt aber auch dieser Vorschlag dem System verhaftet. Eine solche Alternative böte sich nur solchen Menschen, die als erwerbsunfähig und werkstattfähig eingestuft wurden. Um weitere Finanzierungsmöglichkeiten zu öffnen, wäre – wie vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge gefordert – eine gesetzlich festgeschriebene Modellklausel denkbar, die den fachlichen Nutzen sowie die fiskalischen Effekte einer dauerhaften Unterstützung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch aus Mitteln der Eingliederungshilfe feststellt. So könnten auch die Träger der Sozialhilfe „ins Boot“ einer Finanzierung dauerhafter Nachteilsausgleiche geholt werden. Wie schon in meiner Rede zur ersten Lesung unseres Antrages angesprochen, könnte ein fest vereinbarter Finanzschlüssel zwischen Sozialhilfeträgern, BA und Integrationsämtern für die dauerhaften Nachteilsausgleiche sowie eine klare Strukturverantwortung eines Trägers eine Zwischenlösung so gestalten, dass sie dem oder der Betroffenen nicht zum Nachteil gereicht. Optimal und als mittelfristige Perspektive ist – wie bereits gesagt – eine Zusammenführung leistungsrechtlicher Vorschriften der Teilhabe am Arbeitsleben in einem Gesetz vonnöten. Die beiden Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen beispielsweise starten in einem Modellvorhaben eine solche Unterstützung. So werden zunächst 200 schwerbehinderte Menschen in den Genuss von bis zu 50 Prozent der Förderungen, die in einer Werkstatt entstehen würden, kommen. Dieses Geld kann langfristig in Form von Lohnkostenzuschüssen an Arbeitgeber ausgezahlt werden. gegebene Reden Markus Kurth Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu den Werkstätten für behinderte Menschen sagen. Die öffentliche Anhörung hat noch einmal deutlich gemacht, dass sich Werkstätten nicht über einen Kamm scheren lassen. Es gibt definitiv Werkstätten, die zu wenig für den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt tun. Es gibt aber auch solche Werkstätten, die ihren gesetzlichen Aufträgen nachkommen und schon lange Vorreiter auf diesem Gebiet sind. Auch wir sind der Meinung, dass wir die Werkstätten auf dem Weg einer personenzentrierten und dauerhaften Hilfe für behinderte Menschen mitnehmen müssen. Hierfür bedarf es zwingend der Modularisierung der Werkstattleistung sowie der Vorgabe, sich als Dienstleister für behinderte Menschen zu verstehen. Das ganze Know-how und die langjährige Erfahrung der Werkstätten und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang mit behinderten Menschen sowie die Kenntnis der Gegebenheiten auf dem lokalen Arbeitsmarkt müssen auf diesem Weg mitgenommen werden. Werkstätten haben in vielen Fällen die besten Voraussetzungen, den geänderten Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht zu werden. Dies muss auch die Bundesregierung respektive die Bundesagentur für Arbeit erkennen. Mit Verwunderung und Unverständnis haben wir zum Beispiel zur Kenntnis genommen, dass bei der Ausschreibung zur Unterstützten Beschäftigung auch solchen Werkstätten die mangelnde Fachlichkeit vorgeworfen wurde, die nachweislich Erfolge beim Übergang Werkstatt/allgemeiner Arbeitsmarkt erzielen konnten. Der Verdacht liegt nahe, dass versucht wurde, Werkstätten von diesem neuen Instrument auszuschließen. Veränderung muss auch von innen kommen. Dies haben wir in unserem Antrag klar formuliert. Eindrücklich wurden wir darauf in der Anhörung von People First e. V. sowie von der Bundesvereinigung der Werkstatträte hingewiesen. Auch und gerade in Werkstätten für behinderte Menschen muss es über die einschlägigen Verordnungen zu einer stärkeren Befähigung behinderter Menschen kommen, sodass diese ihre Selbstvertretungsrechte auch wahrnehmen können. Bündnis 90/Die Grünen bedauern die Untätigkeit und die mangelnde Gesamtkonzeption seitens der Bundesregierung, sowohl was die Zukunft der Eingliederungshilfe, als auch die berufliche Teilhabe behinderter Menschen anbetrifft. Bis auf Verlautbarungen, Pingpongspielchen zwischen Bund und Ländern sowie hier und da ein paar wenige Mosaiksteinchen lag das Feld der Politik für Menschen mit Behinderungen in dieser Wahlperiode brach. Bündnis 90/Die Grünen haben in den letzten Jahren und Monaten umfassende Gesamtkonzepte vorgelegt, die es umzusetzen gilt. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13623, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11207 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 53 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft – Drucksachen 16/8540, 16/11633 – Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Gustav Herzog Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Zunächst muss ich Ihnen, den Kolleginnen und Kolle gen der FDP, ein Lob für Ihren Antrag aussprechen. Die Zielrichtung des Antrages ist grundsätzlich vollkommen richtig. Denn man kann nur zustimmen, dass die Landwirtschaft, wenn sie denn effizient und intensiv betrieben wird, einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Aber nicht nur in Fragen des Klimaschutzes, auch in Fragen der Welternährung, des Einsatzes und der Erzeugung erneuerbarer Energien und zum Schutz der Biodiversität spielt eine effiziente Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. Sie ist in der Lage, eine wichtige Rolle für die zukünftige, positive Entwicklung vieler Regionen der Welt zu übernehmen. Unter diesem Gesichtspunkt ist Ihr Antrag eigentlich gar nicht weitgehend genug. Allerdings muss man dann zusätzlich auch feststellen, dass Ihr Antrag aus dem vergangenen Jahr in einigen Teilen längst überholt ist. Eine Reihe von aufgegriffenen Fragen sind bereits Bestandteil der Politik der CDU/ CSU-geführten Bundesregierung. So wurde die obligatorische Flächenstilllegung bereits abgeschafft, die Gesundheitsüberprüfung der GAP ist inzwischen beschlossen. Die Nachhaltigkeitsstandards wurden im Frühjahr durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EUKommission bereits beschlossen und für den Bereich „Nutzung von Biomasse zur Stromerzeugung“ in dieser Woche in den Ausschüssen und im Plenum des Deutschen Bundestages verabschiedet. Auch beim Thema Flächenverbrauch wurde durch die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes viel zum Schutz der für die Agrarproduktion notwendigen Ackerfläche erreicht. Flexible Eingriffsund Ausgleichsregelungen spielen eine bedeutende Rolle beim Schutz von Ackerböden. Ein weiterer Punkt, den Sie in Ihrem Antrag ansprechen, ist das Thema Forschungsförderung. An dieser Stelle möchte ich diese Thematik, die ich als sehr essenziell ansehe, vertiefen. Darum möchte ich nun auch gerne den oben geäußerten Gedanken aufgreifen, inwieweit besonders der Landwirtschaft bei der Lösung globaler Probleme eine zentrale Rolle zukommt, genauso wie Johannes Röring bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen, auf natürlichen Ressourcen basierenden Wirtschaft. Die Vereinten Nationen, die Weltbank und viele an dem Diskussionsprozess beteiligten Partner haben eine Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen entdeckt, denen wir dringend begegnen müssen: das gleichzeitige Auftreten von Unterund Mangelernährung bei einem anhaltenden Bevölkerungswachstum, die Zerstörung von landwirtschaftlich und forstlich nutzbarer Fläche, Wassermangel, die Verlagerung von Anbauzonen durch den globalen Klimawandel sowie der Rückgang biologischer Vielfalt – Biodiversität. Der Anstieg der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen – wie zum Beispiel hochwertigen Lebensmitteln und insbesondere tierischen Produkten – wird darüber hinaus durch das dynamische Wirtschaftswachstum in China, Indien und weiteren Schwellenländern verstärkt. Zusätzlich ist mit dem weltweiten Bedarf an Energie und Rohstoffen die Notwendigkeit verbunden, Biomasse aufgrund der Endlichkeit fossiler Ressourcen und aufgrund des Klimaschutzes stärker für die energetische und stoffliche Verwertung zu nutzen. Wir müssen also erkennen, dass nicht nur die landwirtschaftliche Produktionsmenge zunehmen muss, sondern darüber hinaus zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass die verfügbare Anbaufläche für landwirtschaftliche Produkte weltweit pro Erdenbewohner dramatisch abnehmen wird, sie wird sich laut wissenschaftlicher Prognosen bis zum Jahr 2040 halbieren. Damit ist es unabdingbar, die Leistungsfähigkeit unserer Kulturpflanzen und damit die Effizienz der Landwirtschaft entscheidend zu steigern, so zum Beispiel für Pflanzen mit verbessertem Nährstoffgehalt, höherer Energiedichte, größerer Widerstandsfähigkeit gegen klimatischen Stress oder Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Krankheiten. Damit gibt es die Möglichkeit zur Vermeidung von Ertragsund Qualitätsverlusten. Auch ökologische Vorteile, wie reduzierter chemischer Pflanzenschutz und verbesserter Erosionsschutz, sind zu nennen. Da die Bundesregierung diese Fragestellung auch als sehr bedeutend betrachtet, hier sind besonders das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das Ministerium für Bildung und Forschung zu nennen, wurde bereits eine Vielzahl verschiedener Forschungsprojekte und Aktivitäten in der Vergangenheit gestartet. Im Januar 2008 wurde der Startschuss zu einer verbesserten Forschungsförderung gegeben. Mit 200 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren sollen Projekte in der Bioenergie-, Agrarund Ernährungsforschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft gefördert werden. Aktuell und exemplarisch ist hier das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung nehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz den Ländern entwickelte Förderprojekt „Kompetenznetze in der Agrarund Ernährungsforschung“ zu nennen. Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Entwicklung der Agrarwissenschaften in Deutschland sollen mit dieser Initiative die Zu Protokoll verschiedenen relevanten Innovationsfelder, unter anderem Pflanzen, Umwelttechnologien, Biotechnologien, der Hightech-Strategie der Bundesregierung berücksichtigt werden. Im diesem Sinne sollen im Rahmen der Kompetenznetze konkrete Forschungsprojekte auf die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette von der Urproduktion natürlicher Ressourcen bis hin zur Bereitstellung qualitativ hochwertiger Rohstoffe – Lebensmittel, Futtermittel, Biomasse – für den Verbraucher ausgerichtet sein. Das Ziel ist es, eine in der Grundlagenorientierung und im Anwendungsbezug exzellente Agrarund Ernährungsforschung aufzubauen und mit der Ausbildung sowie mit dem Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft zu verbinden. Dadurch sollen anwendungsorientierte Kompetenznetze mit internationaler Sichtbarkeit und Attraktivität entstehen und Beiträge für die Lösung gesellschaftlicher Probleme liefern. Diese und viele weitere Aktivitäten zeigen, dass die Bundesregierung die in Ihrem Antrag formulierten Forderungen bereits zu großen Teilen umgesetzt hat. Darüber hinaus ist der Antrag unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle die effiziente Landwirtschaft nicht nur beim Klimaschutz, sondern bei vielen weiteren gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit spielen kann, nicht weitgehend genug. Aus diesem Grund wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag der FDP ablehnen. Wir alle wissen, wie unschön es ist, über Dinge reden zu müssen, die veraltet sind. Forderungen sind längst erfüllt, Positionen und Rahmenbedingungen haben sich geändert oder sind schlicht überholt. Für den Klimaschutz trifft zumindest Letzteres nicht zu. Er wird auch die kommenden Generationen begleiten, und daher ist es auch gut und wichtig, hier darüber zu reden. Was die FDP in ihrem Antrag vom 12. März 2008 aber unter Klimaschutz und effizienter Landwirtschaft versteht, sollten wir uns doch mal ganz in Ruhe und aus der Nähe anschauen. Dass einige der aufgestellten Forderungen richtig und deswegen auch schon erledigt sind, sei an dieser Stelle honoriert. Regionaler und saisonaler Konsum, nachhaltig erzeugte Güter sind Forderungen, denen wir uns anschließen können; der Health Check ist überholt, die Abschaffung der obligatorischen Flächenstilllegung längst Vergangenheit. Doch gerade Letzteres nun aus klimapolitischen Gründen zu fordern, lässt mich doch wundern. Zur Sicherung der Welternährung – darüber können wir reden – oder aus wirtschaftspolitischen Gründen, um den Landwirten mehr Handlungsspielraum zu geben. Doch aus klimapolitischen Gründen ist dies eine höchst fragwürdige Maßnahme, wenn man bedenkt, dass viele stillgelegte Flächen entweder dauerbegrünt oder zumindest nur extensiv genutzt wurden und so als eindeutige Kohlenstoffsenke gedient haben. Wieder umgebrochen und in die Produktion genommen, wird der über die Jahre der Stilllegung angereicherte Humus schnell wieder veratmet und als Treibhausgas in die Atmosphäre abgegeben. Ein Effekt, der übrigens auch den Umbruch von Dauergrünland ganz nach oben auf die Liste der Dinge stellt, die strengstens limitiert gehören. gegebene Reden Gustav Herzog Doch der Antrag der FDP erkennt auch hier die Eigenverantwortung der Landwirtschaft als wichtiger an als Klimaschutzziele, die sie sich selbst mit großen Worten auf die Fahne schreibt. „Gesetzliche Regulierungen werden abgelehnt, wenn sie die Landund Forstwirtschaft einseitig belasten.“ Natürlich belasten Regulierungen aus Fachgesetzen einseitig. Oder sollen wir auch der Textilindustrie den Umbruch von Dauergrünland verbieten? Und es stellt sich mir klar die Frage, ob der einzelne Landwirt bedenkt und abschätzen kann, was es für die Klimabilanz der Landwirtschaft bedeutet, wenn nicht nur er 10 Hektar Dauergrünland in Maisfläche umwandelt, sondern jeder fünfte dasselbe ebenfalls tut. Gleiches gilt für die Abholzung von Regenwald, wo die verantwortlichen Unternehmen auch nicht unbedingt immer Klimaschutzziele verfolgen – gesetzliche Regularien sind hier dringend notwendig, denn sie helfen der Landwirtschaft aus ihrer Täterrolle, die sie in puncto Klimaschutz auch spielt. Es ist richtig, die Landwirtschaft ist Opfer des Klimawandels, denn sie ist den wenig kalkulierbaren Auswüchsen des Klimas unmittelbar ausgesetzt, doch sie ist auch Täterin und zugleich Teil der Lösung. Die Gesamtemissionen liegen laut Bundesregierung nicht bei 7 Prozent, wie es im Antrag beziffert wird, sondern bei etwa 11 Prozent für die Landwirtschaft bzw. 4,5 Prozent für ihre Vorleistungen. Im Fokus stehen hier insbesondere die intensive Rinderhaltung, die Nutzung von Moorstandorten und der Energieeinsatz zur Herstellung von Mineraldüngern. Alles Punkte, die der Antrag auch noch weiter intensivieren möchte, wie es zum Beispiel der Einsatz für die Hochleistungskuh deutlich macht. Dabei beweist die FDP mal wieder ihren eingeschränkten Blickwinkel, denn sie lässt wesentliche Aspekte bei der Betrachtung außer Acht. Insbesondere bei der Hochleistungskuh müssen in Bezug auf die Treibhausgasemissionen vollständige Lebenszyklusanalysen herangezogen werden, die auch die vorund nachgelagerten Bereiche mit einbeziehen. Hochleistungskühe brauchen zum Beispiel auch Hochleistungsfutter, dessen Komponenten in aller Regel aus Ländern kommen, die bekannt sind für ihren Regenwald, der mehr und mehr zugunsten landwirtschaftlicher Nutzflächen weichen muss. Hier stehen auch wir in der politischen Verantwortung, dem mit mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und im Konsum vorzubeugen. Die Notwendigkeit der weiteren Intensivierung unserer Intensivlandwirtschaft, die sich bereits jetzt am äußersten Rand der Nachhaltigkeit bewegt, sehe ich daher auch unter Berücksichtigung einer wachsenden Weltbevölkerung als nicht zwingend gegeben an. Vielmehr müssen wir globale Strategien entwickeln, um globale Probleme in den Griff zu bekommen. Diese werden wir jedoch mit einer „Weiter so“-Politik im Keime ersticken. Aus diesen Gründen ist der vorgelegte Antrag der FDP nicht geeignet, die tatsächlichen Probleme zu lösen. Analog zu anderen Wirtschaftszweigen muss also auch die Landwirtschaft alle vorhandenen Potenziale zur Verminderung ihrer Emissionen von Klimagasen ausschöpfen. Zu Protokoll Leider wird das Thema „Klimaschutz und Landwirt schaft“ hier in der parlamentarischen Debatte etwas stiefmütterlich behandelt. Ganz anders in Europa: Die schwedische Ratspräsidentschaft macht das Thema zu einem ihrer Schwerpunkte, die Europäische Kommission legt spezifische Handlungsempfehlungen für die Landwirtschaft vor. Denn klar ist: Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel gehören zu den wichtigsten umwelt-, gesellschaftsund wirtschaftspolitischen Herausforderungen der heutigen Zeit. Gerade wieder legen wissenschaftliche Untersuchungen die Vermutung nahe, dass große Imperien – wie das der Khmer im Mittelalter – aufgrund gravierender klimatischer Veränderungen untergegangen sind. Dabei kommt der Landwirtschaft eine besondere Rolle zu. Warum? Weil sie pro forma zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen zählt, weil Lebensmittel auf der anderen Seite aber kein Gut wie jedes andere sind, sondern unsere blanke Existenz sichern und weil man den CO2-Ausstoß von Kühen eben nicht mit dem von Autos vergleichen kann; denn die Autoindustrie bindet während ihrer Produktion nun mal kein CO2. Die Hungerrevolten im vergangenen Jahr haben uns wieder einmal gezeigt, welch elementare Bedeutung die Landwirtschaft hat. Und ihre Bedeutung wird noch zunehmen, wenn in den nächsten Jahrzehnten mit neun Milliarden Menschen ein Drittel mehr ausreichend und möglichst ausgewogen ernährt werden muss. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon geht sogar davon aus, dass die Lebensmittelproduktion bis 2030 um 50 Prozent gesteigert werden muss. Damit ist die Landwirtschaft gefordert, höchste Erträge und Qualitäten zu erzielen. Gleichzeitig wird von ihr erwartet, einen Beitrag zur Treibhausgasreduktion zum Schutz des Klimas zu leisten. Ist das machbar? Wir von der FDP-Fraktion haben uns schon früh diese Frage gestellt und den hier vorliegenden Antrag „Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft“ samt Forderungskatalog Anfang 2008 eingebracht. Fazit: Ja, wir sind davon überzeugt, dass wir mit der Landwirtschaft gleichzeitig Ernährungssicherheit und Klimaschutz sicherstellen können – allerdings nur, wenn wir in der Agrarpolitik umdenken. Es ist fünf vor zwölf. Wir brauchen wieder eine „grüne Revolution“ auf dem Acker oder, wie es der UN-Generalsekretär etwas weniger plakativ formulierte: Wir müssen die historische Gelegenheit für eine Wiederbelebung der Landwirtschaft nutzen. Und zwar nicht nur in Afrika, sondern auch bei uns. Wir brauchen den Ausstieg aus der Philosophie des Ausstiegs. Das ist die Kernbotschaft des FDP-Antrags „Klimaschutz durch effiziente Landwirtschaft“. Lassen Sie mich auf einige unserer Forderungen eingehen: Erstens: Nur eine effiziente, innovative und unternehmerische Landwirtschaft, mit der standortangepasst und nachhaltig die Erträge zu steigern sind, kann die Herausforderungen der Ernährungsund Versorgungssicherheit gegebene Reden Dr. Edmund Peter Geisen sowie des globalen Klimaschutzes meistern. Das gilt für den heimischen Standort ebenso wie für die Entwicklungsländer. Zur Steigerung der Produktivität in der Landund Ernährungswirtschaft müssen wir Innovationen und technischen Fortschritt nutzen und nicht verteufeln: Das gilt für moderne Landtechnik genauso wie für modernste Betriebsmittel, Pflanzenzüchtung und Bewässerungssysteme. Dabei gilt es auch, die verantwortbaren Möglichkeiten der Biotechnologie zu nutzen. Entsprechende Ausund Fortbildung gehören dazu. Zweitens: Deutlich gesteigert werden müssen die Investitionen in die Agrarforschung – national wie international. Hier ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert. Forschung und Entwicklung sind der Schlüssel für künftigen Wohlstand und angesichts der Herausforderungen des Klimawandels von entscheidender Bedeutung. Drittens: Wir brauchen die Bioenergie – auch die aus Biomasse. Verbesserte Lebensverhältnisse in Schwellenländern wie China oder Indien ziehen nicht nur eine gesteigerte Nachfrage nach Lebensmitteln nach sich; der Energiebedarf steigt ebenfalls rasant an. Gleichzeitig sind unsere fossilen Rohstoffvorkommen begrenzt. Die Alternative heißt nicht „Teller oder Tank“ – nein, für die Liberalen gilt „Teller und Tank“, wobei dem Teller immer Vorrang einzuräumen ist. Ich wundere mich immer wieder, wie einige es schaffen, mit gleicher Vehemenz und Dogmatik erst für die vermeintlich umweltfreundliche Alternative Biokraftstoff zu kämpfen, nur um sie später genauso vehement wieder zu bekämpfen. Apropos „umweltfreundlich“: Natürlich lehnen auch wir das großflächige Roden des Regenwaldes für die Palmölproduktion im großen Stil ab. Wir halten Nachhaltigkeit beim Anbau von Biomasse für erneuerbare Energien für ebenso unverzichtbar wie für Lebensmittel. Aber es kann doch nicht sein, dass wir mit der überhasteten Verabschiedung der Nachhaltigkeitsverordnung gleich wieder das Kind mit dem Bade ausschütten. Selbst die Europäische Kommission kritisiert, dass die deutsche Variante über die Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie hinausgeht, und dabei stellen die Regeln der guten fachlichen Praxis sowie Cross Compliance einen nachhaltigen Anbau hier in Deutschland längst sicher. Die Dummen sind wieder einmal die heimischen Bauern, die mit zusätzlichen Regelungsund Zertifizierungspflichten überzogen werden, ohne dass der Raubbau an der Natur in anderen Teilen der Welt verhindert wird. Von gleichen Wettbewerbschancen keine Spur. Wenn wir so weitermachen, dann sind wir bald vollkommen abhängig von Importbiomasse mit höchst bedenklicher Ökobilanz. Deutlich wird an diesem Beispiel: Unsere Landwirte brauchen vernünftige Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, um auf dem zunehmend globalisierten Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu zähle ich vor allem Kostenentlastung auf der Produktionsseite und Hilfe bei der Erschließung neuer Märkte. Hier liegen die Chancen unserer hochwertigen Qualitätsprodukte. Leider hatte man bei dieser Bundesregierung immer wieder Zu Protokoll den Eindruck, statt den Landwirten Chancen zu eröffnen, legte man ihnen Hindernisse in den Weg. Viele unserer Forderungen aus dem Klimaschutzantrag sind auf der Braunschweiger Tagung „Aktiver Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – Beitrag der Agrarund Forstwirtschaft“ vor zwei Wochen bestätigt worden – einige interessante Aspekte sind neu dazu gekommen. Diese Tagung war gut und richtig. Aber nun gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse auch umzusetzen. Es wäre schön, wenn auch die Überlegungen der Liberalen hierzu berücksichtigt würden. Die FDP benutzt den Klimawandel für einen neolibe ralen agrarpolitischen Fundamentalismus. Das Bild der Landwirtschaft, das sie dabei schafft, ist gefärbt von unkritischer Technologiegläubigkeit und naivem Glauben an einen „freien“ Markt, der alles richtet. Produktivitätssteigerung, Hightechlandwirtschaft und vor allem die Agrogentechnik sollen dazu beitragen, mit dem Klimawandel und der wachsenden Weltbevölkerung klarzukommen. Die sozialen und ökologischen Kollateralschäden sind leider kein FDP-Thema. Die FDP behauptet, es könne sogar zu einer Renaissance der ländlichen Räume kommen. Dabei müsste sie, wenn sie ehrlich wäre, von Arbeitsplatzverlusten, Abwanderung und nicht existenzsichernden Lohnund Einkommensstrukturen in der Landwirtschaft sprechen. Das sind die aktuellen Trends, die sich durch die FDP-Agrarpolitik verstärken würden. Für die FDP existieren keine Verteilungskämpfe oder Auseinandersetzungen um Zugänge zu Boden, Wasser und Saatgut. Es gibt keine Landvertreibung oder Armut und Hunger. Den Klimawandel versteht die FDP als Chance, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu verbessern. Im Süden würden einige Agrarstaaten weniger produzieren können, gleichzeitig gäbe es aber wegen der wachsenden Weltbevölkerung mehr Nachfrage. Das ist die zynische Welt der FDP: Der Mangel an Nahrungsmitteln anderswo wird zur Profitquelle für die deutsche Agrarwirtschaft. Es ist unglaublich, aber leider wahr: Der Begriff Hunger oder Armut kommt in dem Antrag nicht ein einziges Mal vor. Was für die FDP zählt, ist eine rein ökonomisch definierte Wettbewerbsfähigkeit, in der soziale und ökologische Standards, das Recht auf Nahrung oder die Ernährungssouveränität keine Rolle spielen. Die Agrarwirtschaft komme beim Export gleich hinter der Autoindustrie. Diese Stellung gelte es zu halten. Dabei lehnt die FDP „gesetzliche Regulierungen, die überproportional die Landund Forstwirtschaft belasten“ ab. Dieses dokumentierte Bekenntnis der FDP zu einer Agrarpolitik, die sich möglichst heraushält, zeigt aus Sicht der Linken, dass die FDP ungeeignet ist für eine Regierungsbeteiligung. Denn aus unserer Sicht ist es gerade bei Nahrungsmitteln extrem wichtig, dass der Gesetzgeber faire Rahmenbedingungen sichert, unter denen auch ökologische und soziale Interessen durchsetzbar sind. gegebene Reden Dr. Kirsten Tackmann Eine gelb-schwarze Koalition würde dazu führen, dass die Konflikte in den ländlichen Räumen verschärft werden, zum Beispiel beim Thema Agrogentechnik. Bis heute ist nicht bewiesen, dass diese Risikotechnologie einen reellen Lösungsbeitrag zu den fundamentalen Problemen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Zunahme von Hunger und Armut leisten kann. Schon gar nicht ist zu erwarten, dass sie die Verteilungsgerechtigkeit erhöht oder die Marktmacht von Konzernen auf den Weltagrarmärkten vermindert. Bei der Erstellung des Berichts des Weltagrarrats im Frühjahr 2008 sind dann auch die Vertreterinnen und Vertreter der Gentechnikindustrie in letzter Minute abgesprungen. Weil er nicht ihre Interessen, sondern die der Menschheit in den Vordergrund stellt. Schon bei uns verschärft der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen die Konflikte in den Dörfern, erst recht in den ärmeren Ländern. Die Linke lehnt die Agrogentechnik ab. Die Liberalen formulieren ausschließlich Forderungen, die als Anspruch an moderne, konventionelle Landwirtschaft des Nordens Konsens sind, aber in unserer einen Welt insgesamt nichts bringen. Die zunehmend industrialisierte Landwirtschaft in Westeuropa und Amerika hat negative Auswirkungen auf das Weltklima. Zum Beispiel durch den Import von Eiweißfuttermitteln, die in der südlichen Hemisphäre unter ökologisch und sozial bedenklichen Bedingungen erzeugt werden, aber oft importiert werden müssen zur Erzeugung tierischer Produkte, die in Europa nicht gebraucht werden und auf dem Weltagrarmarkt nur mit Exportsubventionen absetzbar sind. Das ist der reale Irrsinn einer neoliberal globalisierten Agrarpolitik. Die Linke lehnt das ab und fordert aus sozialen und ökologischen Gründen eine Stärkung regionaler Lösungen, vor allem bei den Eiweißfutterpflanzen für die Tierproduktion. Das Mantra der FDP ist eine ökonomisch definierte Effizienzund Produktivitätssteigerung nach dem Motto: Je mehr Fläche für Naturschutz, desto effizienter und intensiver muss die verbleibende Fläche genutzt werden. Für die Linke gilt dagegen: Die gesamte Agrarwirtschaft muss ökologischer und sozialer ausgerichtet werden und ihre weltweite Verantwortung wahrnehmen. Für die FDP spielen die sonstigen Leistungen der Landwirtschaft, wie Landschaftspflege, der Erhalt von Agrarbiotopen oder sogar soziale Leistungen, keine Rolle. Ökologischer Landbau ist für die Liberalen allenfalls eine Nische, die sie ertragen müssen, die aber weiter keiner Erwähnung bedarf, schon gar nicht in einem Antrag zum Klimaschutz. Für die Linke ist Ökolandbau ein wichtiger Beitrag, mit einem Low-Input-System Landwirtschaft zu betreiben und gleichzeitig möglichst wenige Ressourcen zu verbrauchen. Beim Thema Agroenergie ist die grundsätzliche Position der Liberalen und der Linken identisch: Teller vor Tank oder Futtertrog. Allerdings kann ich nicht nachvollziehen, dass die FDP lieber Schweinefleisch nach Asien exportieren möchte, anstatt mehr Agroenergie in Europa für Europa zu produzieren. Die Linke fordert bei Nahrung und Energie das Recht auf Eigenversorgung. Die Gewinnung von Energie auf dem Acker kann einen BeiZu Protokoll trag dazu leisten, Erzeugerpreisdumping im internationalen Agrarhandel zu vermindern und auch armen Ländern, die keinen Außenschutz durchsetzen können, faire Preisbildungen für Agrargüter zu ermöglichen. Die Linke lehnt den Antrag der FDP ab. Er wird den mit dem Klimawandel und den neuen Herausforderungen an die Landwirtschaft verbundenen Problemen nicht gerecht. Trotzdem hat der Antrag auch seine gute Seite: Er zeigt allen Wählerinnen und Wählern, die für eine regionale und nachhaltige Landwirtschaft streiten, dass sie ihr Kreuz nicht bei der FDP machen sollten. Wir brauchen ein klimapolitisches Umdenken in der Agrarpolitik. Die Landwirtschaft muss endlich in die Klimaschutzpolitik und die vereinbarten Reduktionsziele einbezogen werden. Wenn wir in Deutschland Emissionsminderungen um mindestens 40 Prozent bis 2020 und mindestens 80 Prozent bis 2050 erreichen wollen, muss auch die Emission von klimarelevanten Gasen in der Landwirtschaft signifikant sinken. Denn die Landwirtschaft macht einen Anteil von mehr als 10 Prozent der klimaschädlichen Gesamtemissionen unseres Landes aus. Vor allem bei Lachgas und Methan, zwei Gasen mit besonders hohem Treibhauspotenzial, gehört die Landwirtschaft zu den Hauptemittenten. Trotzdem spielt die Reduktion der Emissionen in der Landwirtschaft in der nationalen und europäischen Klimadebatte kaum eine Rolle. Das muss sich ändern. Die aus Klimaschutzsicht notwendigen Veränderungen haben wir Grüne schon mehrfach in Anträgen hier im Bundestag eingefordert. Wir wollen, dass der Klimaschutz als zentrales Ziel in der Gemeinsamen Agrarpolitik verankert wird. Alle Förderansätze müssen auf ihre Klimaauswirkungen überprüft und gegebenenfalls im Sinne des Klimaschutzes neu ausgerichtet werden. Das gilt insbesondere für die landwirtschaftlichen Direktzahlungen, die bisher keine nennenswerte ökologische oder soziale Lenkungswirkung haben. Darum treten wir für eine Umgestaltung der Agrarzahlungen ein nach dem Grundsatz: öffentliche Gelder für gesellschaftliche Leistungen. Agrarsubventionen soll es nach 2013 nur noch für die Betriebe geben, die sich im Bereich Klima-, Umwelt-, Natur und Tierschutz engagieren und Arbeitsplätze schaffen. Wichtig ist außerdem der Ausbau des Ökolandbaus, der insgesamt eine bessere Klimabilanz aufzuweisen hat als die konventionelle Landwirtschaft. Das ist durch zahlreiche Studien wissenschaftlich belegt. Die ökologische Landwirtschaft, deren Leistungen für den Umwelt-, Naturund Tierschutz anerkannt sind, beweist sich auch beim Klimaschutz als bessere Alternative. Außerdem brauchen wir Maßnahmen wie eine Stickstoffüberschussabgabe zur Verringerung des klimaschädlichen Düngemitteleinsatzes, eine Verschärfung des Umbruchverbotes für klimapolitisch wertvolles Grünland und eine Stärkung der artgerechten, flächengebundenen Tierhaltung, um den klimawie tierschutzpolitisch fatalen Trend hin zu riesigen Massentierhaltungen aufzuhalten und rückgängig zu machen. gegebene Reden Bärbel Höhn Von diesem notwendigen Politikwechsel für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft ist im vorliegenden FDP-Antrag nichts zu lesen. Im Gegenteil: In den meisten Punkten geht er in die genau entgegengesetzte Richtung. Klimaschutz wird von der FDP nur als Deckmantel für ideologische Herzensanliegen wie die Durchsetzung der von Verbrauchern und Landwirten abgelehnten Agrogentechnik verwendet. Dieses Verwirrspiel lassen wir ihnen nicht durchgehen und auch die Wählerinnen und Wähler werden sich dadurch am 27. September nicht täuschen lassen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11633, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8540 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 54 a und b auf: a)





(A) (C)


(B) (D)

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1623043800
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1623043900




(A) (C)


(B) (D)





(A) (C)


(B) (D)

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623044000
Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623044100




(A) (C)


(B) (D)








(A) (C)


(B) (D)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623044200
Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1623044300

(A) (C)


(B) (D)

Waltraud Lehn (SPD):
Rede ID: ID1623044400




(A) (C)


(B) (D)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1623044500




(A) (C)


(B) (D)

Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623044600







(A) (C)


(B) (D)

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623044700
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623044800

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1623044900

(A) (C)


(B) (D)





(A) (C)


(B) (D)

Jürgen Kucharczyk (SPD):
Rede ID: ID1623045000




(A) (C)


(B) (D)

Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1623045100




(A) (C)


(B) (D)





(A) (C)


(B) (D)

Dr. Erwin Lotter (FDP):
Rede ID: ID1623045200




(A) (C)


(B) (D)

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623045300




(A) (C)


(B) (D)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623045400




(A) (C)


(B) (D)








(A) (C)


(B) (D)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623045500
Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1623045600

(A) (C)


(B) (D)

Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1623045700




(A) (C)


(B) (D)

Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1623045800




(A) (C)


(B) (D)

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623045900




(A) (C)


(B) (D)

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623046000







(A) (C)


(B) (D)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623046100
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Fünf Jahre Karenzzeit für Mitglieder der
Bundesregierung

– Drucksachen 16/13366, 16/13655 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Siegmund Ehrmann
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen
Koppelin, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Verhaltenskodex für ausscheidende Regie-
rungsmitglieder

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor
Gysi, Oskar Lafontaine, Dr. Gesine Lötzsch
und der Fraktion DIE LINKE

Gesetzliche Regelung für frühere Mitglieder
der Bundesregierung und Staatssekretäre
zur Untersagung von Tätigkeiten in der Pri-
vatwirtschaft, die mit ihrer ehemaligen Tä-
tigkeit für die Bundesregierung im Zusam-
menhang stehen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Monika Lazar, Jerzy Montag, Silke

Stokar von Neuforn und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Berufstätigkeit von ausgeschiedenen Mit-
gliedern der Bundesregierung regeln

– Drucksachen 16/677, 16/846, 16/948, 16/13656 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Siegmund Ehrmann
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1623046200

Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion die

Linke, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ein
Gesetz vorzulegen, wonach ausscheidenden Regierungs-
mitgliedern fünf Jahre lang untersagt werden soll, einen
Vorstands- oder Aufsichtsratsposten in einem Unterneh-
men anzunehmen, das jüngst mit Steuergeldern vor der
Insolvenz gerettet worden ist. Die Linke begründet ihren
Antrag damit, dass mit einem solchen Gesetz dem Ein-
druck entgegen gewirkt werden solle, die Regierungsmit-
glieder seien korrupt.

Bevor ich auf den Antrag eingehe, lassen Sie mich
Folgendes sagen: Keiner Regierung, erst recht nicht der
derzeitigen Regierung, ist jemals Korruption nachgesagt
worden. Im Gegenteil, unsere Regierung ist überaus inte-
ger, und ich lasse nicht zu, dass von der Linken Gegentei-
liges suggeriert wird. Vielmehr wird gerade mit solchen
„vorsorglichen“ Anträgen die Auffassung gestärkt, es
bestünde Handlungszwang zur Korruptionsbekämpfung
in den Reihen der Regierungsmitglieder. In unserem
Rechtstaat hätte es schon lange eine gesetzliche Rege-
lung gegeben, wenn diese angebracht gewesen wäre.
Das ist sie jedoch nicht.

Nach diesen grundsätzlichen Worten, möchte ich nun
en détail auf Ihren Antrag eingehen. Sie fordern für aus-
scheidende Regierungsmitglieder eine fünfjährige Karenz-
zeit. Freilich beschränken Sie den Anwendungsbereich auf
Unternehmen, die im Rahmen der Konjunkturpakete vor
dem Ruin gerettet worden sind. Dies veranlasst mich zu
der Bemerkung, dass wir die Konjunkturpakete einzig
und allein zum Zwecke der Abfederung der Finanzkrise
verabschiedet haben. Ich bin mir sicher: Kein Minister
hat sich davon persönliche Vorteile erhofft. Kein Minister
hat dabei auf potentielle zukünftige Ämter geschielt.

Am Rande sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass
wir im Finanzmarktstabilisierungsgesetz ein Gremium
gemäß § 10 a eingeführt haben, das über die Verteilung
der öffentlichen Gelder durch die KfW wacht. Für die
Fraktion Die Linke ist Herr Roland Claus in diesem Gre-
mium zuständig. Es ist also keineswegs so, dass die Re-
gierungsmitglieder das Geld nach ihren persönlichen In-
teressen verteilen könnten.

Davon einmal abgesehen, dass eine gesetzlich veran-
kerte Karenzzeit einen Präzedenzfall darstellen würde
und im Zuge einer einfachen Gesetzesänderung auf an-
dere privatwirtschaftliche Bereiche ausgeweitet werden


(A) (C)



(B) (D)


Helmut Brandt
könnte, kommt Ihr Antrag dem Grunde nach einem fünf-
jährigen Berufsverbot für Minister und Parlamentari-
sche Staatssekretäre gleich. Dies wiederum verstieße
nach meiner Auffassung eindeutig gegen Art. 12 Abs. 1
des Grundgesetzes, wonach alle Deutschen das Recht
haben, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen. Ich darf Sie daran erinnern, dass es in der deut-
schen Geschichte mehrmals zu Berufsverboten gekom-
men ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass es in der Bundes-
republik Deutschland – und seien sie auch zeitlich
begrenzt und beträfen sie auch nur wenige Menschen –
zu neuerlichen Berufsverboten kommt. Ich bin auch der
festen Überzeugung, dass das Bundesverfassungsgericht,
das bei Verabschiedung Ihres Antrages mit Sicherheit an-
gerufen würde, das Gesetz zu Recht mit Berufung auf
Art. 12 GG als verfassungswidrig einstufen würde.

Zu den verfassungsrechtlichen kommen auch politi-
sche Bedenken hinzu. Ein fünfjähriges Berufsverbot
würde sich nämlich auch negativ auf das Niveau und die
Vielfalt des politischen Personals auswirken. Zu Recht
wird sporadisch in der Bevölkerung Kritik an dem Phä-
nomen des Berufspolitikers laut. Es wird moniert, dass
wir mehr Politiker mit Berufserfahrung außerhalb der
Politik benötigen und es nicht erstrebenswert sein kann,
ausschließlich Berufspolitiker zu haben. Wenn man diese
Forderung ernst nimmt – und das tun wir von der CDU/
CSU-Fraktion –, so muss sowohl der Wechsel von einer
beruflichen Tätigkeit in das politische Leben möglich
sein wie auch umgekehrt nach Beendigung des Mandates
beziehungsweise nach Ausscheiden aus dem Amt der
Wechsel in eine wirtschaftliche Betätigung. Und das
ohne Diskriminierung.

Dadurch, dass Menschen und auch Eliten aus der Pri-
vatwirtschaft auf Zeit in die Politik – und dabei meine ich
genauso in die Bundesregierung wie in den Bundestag –
wechseln, diversifiziert sich deren Zusammensetzung.
Gleichzeitig kann dabei auch besonders wertvolle Kom-
petenz in die Leitung der Geschicke der Bundesrepublik
einfließen. Besonders in der aktuellen Wirtschaftskrise
können gerade in Schwierigkeiten geratene Unterneh-
men kompetente Führungskräfte gebrauchen. Wollte man
jedoch ein Berufsverbot – und erst recht ein fünfjähriges
– nach Ausscheiden aus der Bundesregierung einführen,
wäre zu befürchten, dass sich diese Spitzenkräfte von der
Politik abwendeten. Dazu kommt, dass gerade Regie-
rungsmitglieder ihr Amt nur auf Zeit innehaben. Da muss
auch der Wechsel in die Wirtschaft eine Perspektive blei-
ben. Das Verprellen von Spitzenkräften können wir uns
nicht leisten. Ganz im Gegenteil, es ist unsere Pflicht, für
politisches Engagement in allen Schichten zu werben,
anstatt es zu verprellen, so wie es die Linke ihrem Antrag
nach zu urteilen beabsichtigt.

Dass auch wir von der CDU/CSU-Fraktion alles da-
ran setzen, Korruption entschieden zu bekämpfen, steht
außer Frage. Wir sehen jedoch keinen Anlass, ein Be-
rufsverbot einzuführen, denn neben Art. 66 Grundgesetz
und dem Bundesministergesetz regeln auch viele Vor-
schriften des Strafgesetzbuches das Verhalten von Re-
gierungsmitgliedern. So kommen § 331 StGB – Vor-
teilsannahme – und § 353 b StGB – Verletzung des
Dienstgeheimnisses – nicht nur während der Mitglied-
Zu Protokoll
schaft in der Bundesregierung zur Geltung, sondern fin-
den nach Auffassung vieler Rechtswissenschaftler auch
noch danach, wenn nämlich die Aufnahme einer Tätig-
keit und die damit verbundene Vorteilsannahme in unmit-
telbarem Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit als
Mitglied der Regierung stehen sollte, Anwendung. Diese
Regelungen kommen natürlich auch für die Annahme von
Vorstands- und Aufsichtsratstatigkeiten von staatlich un-
terstützten Unternehmen zum Tragen.

Es spricht alles gegen den Antrag der Linken. Dem Be-
rufsverbot für ausscheidende Regierungsmitglieder – und
sei es in seinem Anwendungsbereich noch so beschränkt –
kann die CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen: Zum ei-
nen wäre das Gesetz verfassungswidrig. Zum anderen
würden wir damit unserer Demokratie und unserer Wirt-
schaft schaden. Beides liegt nicht in unserem Interesse.


Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1623046300

Uns liegen heute verschiedene Anträge vor, die sich

mit der Frage beschäftigen, wie die weitere Berufstätig-
keit ehemaliger Regierungsmitglieder geregelt werden
soll. Ein Thema, das im Parlament bereits behandelt
wurde. Ich verweise da auf die Aktuelle Stunde am
16. Februar 2006 und die Plenardebatten zu den Anträ-
gen. Zudem gab es erst kürzlich, am 15. Juni 2009, eine
Anhörung des Innenausschusses, die sich mit Transpa-
renz auseinandersetzte und dabei auch die Möglichkeit
einer Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglie-
der thematisierte. Weitestmögliche Transparenz ist ein
unabdingbares Element des Handelns politischer Ent-
scheidungsträger und muss als solches ernst genommen
werden.

Der Antrag der Linken zielt darauf ab, ehemaligen
Regierungsmitgliedern die Tätigkeit als Vorstand oder
Aufsichtsrat eines Unternehmens für fünf Jahre zu ver-
bieten, wenn dieses Unternehmen mit Steuergeldern vor
der Insolvenz gerettet wurde. Dieser Antrag ist schon
deshalb abzulehnen, weil es sich dabei nur um eine punk-
tuelle Regelung handelt. Subventionen „in letzter Mi-
nute“ sind nicht die einzigen Unterstützungsmaßnah-
men, die ein Unternehmen erhalten kann. Zudem
vernachlässigt der Antrag Beraterverträge, anhand de-
rer eine Belohnung für das ehemalige Regierungsmit-
glied ebenfalls möglich ist. Auf der anderen Seite geht
der Antrag zu weit, da er sich nicht auf Maßnahmen zu-
lasten des Bundeshaushalts beschränkt.

Der Antrag der Grünen ist in seiner Zielsetzung diffus.
Er fordert „in einem Ehrenkodex oder durch Vorlage ei-
nes Gesetzentwurfs die Zulässigkeit einer Berufstätig-
keit“ ehemaliger Regierungsmitglieder zu regeln. Was
denn nun? Gesetz oder Ehrenkodex? Der Letztere hat
keine rechtliche Bindungswirkung, wenn es aber auf eine
gesetzliche Regelung hinausläuft, so ist der Verweis auf
die beamtenrechtliche Regelung in § 105 BBG problema-
tisch. Diese Regelung greift nämlich nicht, wenn der oder
die Betroffene entlassen wird und sich in der Rentenver-
sicherung nachversichern lässt. Dann zieht das Beam-
tenrecht überhaupt nicht. Insofern müssen der Personen-
kreis und die Dauer einer sehr wohl zu erwägenden
Karenzzeit präzisiert werden.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Siegmund Ehrmann
Für die ehemaligen Mitglieder der Bundesregierung
gilt, dass sie Übergangsgeld entsprechend der Dauer ih-
rer Amtsausübung erhalten, jedoch mindestens für sechs
Monate und maximal für drei Jahre. Sollte die Über-
nahme der beamtenrechtlichen Regelung auf Regie-
rungsmitglieder tatsächlich erwogen werden, müsste die
Untersagungsmöglichkeit wohl enden, wenn das Über-
gangsgeld endet und kein Versorgungsanspruch erwor-
ben wurde.

Diese und andere auch in der Anhörung vorgetragene
Hinweise gilt es, sorgfältig auszuwerten und in der
nächsten Wahlperiode zu beraten. Transparenz hilft, dem
Argwohn entgegenzutreten, Mitglieder der Regierung
seien Sonderinteressen und nicht den ihrem Amt gemä-
ßen Erwägungen verpflichtet. Eine gesetzliche Karenz-
regelung für Minister und Parlamentarische Staatssekre-
täre könnte dabei helfen. Zu klären gilt es, wer hierüber
entscheiden würde.

Die vorgelegten Anträge werden wir wegen der darge-
legten Mängel ablehnen.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1623046400

Wir alle stimmen darin überein, dass eine private Ver-

wertung von Amtswissen nach dem Ausscheiden aus dem
Amt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des
Regierungshandelns und des öffentlichen Dienstes beein-
trächtigen kann. An sich sollte es eine Selbstverständ-
lichkeit sein, dass sich Mitglieder der Bundesregierung,
Parlamentarische Staatssekretäre und politische Beamte
auch nach ihrem Ausscheiden der Würde ihres früheren
Amtes gemäß verhalten, Interessenkonflikte vermeiden
und alles unterlassen, was das Ansehen staatlichen Han-
delns und das Vertrauen der Allgemeinheit in dessen In-
tegrität gefährden kann.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht jeder
Wechsel eines Ministers, eines Parlamentarischen Staats-
sekretärs oder eines politischen Beamten, wozu auch be-
amtete Staatssekretäre zählen, begründet per se einen In-
teressenkonflikt und ist per se geeignet, das Ansehen
staatlichen Handelns zu gefährden. Im Gegenteil, gerade

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1623046500

Sie sind keine Beamten. Ihre Amtszeit ist begrenzt. Sie
können jederzeit entlassen werden. Dann muss es ihnen
auch möglich sein, nach dem Ausscheiden aus dem Amt
in den früheren Beruf zurückzukehren oder sich eine neue
berufliche Existenz aufzubauen. Das ist schon mit Blick
auf die Freiheit der Berufsausübung geboten.

Es kann daher nur um solche Fälle gehen, bei denen
die Aufnahme einer Beschäftigung außerhalb des öffent-
lichen Bereichs beabsichtigt ist, die im Zusammenhang
mit der früheren dienstlichen Tätigkeit steht. In solchen
Fällen ist eine Anzeigepflicht gegenüber der Bundesre-
gierung vorzusehen. Es ist dann Aufgabe der Bundesre-
gierung, die Art der geplanten Tätigkeit zu prüfen. Droht
eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen, kann die
Bundesregierung dem früheren Minister oder Parlamen-
tarischen Staatssekretär die Beschäftigung untersagen.

Was den zeitlichen Rahmen der Anzeigepflicht anbe-
trifft, ist zu beachten, dass für Minister und Parlamenta-
Zu Protokoll
rische Staatssekretäre das Lebenszeitprinzip nicht gilt.
Der zeitliche Rahmen muss deshalb unterhalb der für Be-
amte geltenden Regelung von drei bzw. fünf Jahren blei-
ben. In dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion wird in-
soweit ein Zeitraum von zwei Jahren vorgeschlagen. Das
ist angemessen und trägt dem Grundsatz der Freiheit der
Berufsausübung Rechnung.

Zudem spricht sich die FDP für eine Regelung durch
einen Verhaltenskodex aus. Eine gesetzliche Regelung
scheint uns nicht angezeigt und auch nicht angemessen
zu sein. Schon aus diesem Grund sind die Anträge der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen für die FDP-Bundestagsfraktion so nicht zustim-
mungsfähig. Hinzu kommt bei dem Antrag der Linksfrak-
tion die deutlich zu lang bemessene Frist von fünf Jahren
nach Ausscheiden aus dem Amt. Hier ergeben sich be-
reits verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf die
Berufsfreiheit. Keiner weiteren Erwähnung bedarf der
Antrag der Linksfraktion auf Drucksache 16/13366 vom
17. Juni 2009, der den Wechsel zu Unternehmen betrifft,
die mit Steuergeldern vor der Insolvenz gerettet worden
sind. Der Antrag ist viel zu unbestimmt und in populisti-
scher Absicht mit heißer Nadel gestrickt.

Offen bleibt ein ganz wichtiger anderer Punkt, den die
FDP-Bundestagsfraktion bereits in der letzten Wahlpe-
riode angesprochen hat. Gemeint sind Fälle, in denen
Beamte ohne Versorgungsbezüge ausscheiden. Hierbei
handelt es sich zumeist um Mitarbeiter mit besonderen
Kenntnissen und einem erheblichen „Marktwert“, bei
denen der neue Arbeitgeber die Versorgung gleich mit
übernimmt. In solchen Fällen gelten die beamtenrechtli-
chen Anzeigepflichten bislang nicht. Die Sachverständi-
gen haben die Notwendigkeit einer Ausweitung der ein-
schlägigen Vorschriften auf Fälle, in denen ehemalige
Beamte ohne Versorgungsbezüge ausscheiden, in der An-
hörung des Innenausschusses am 15. Juni 2009 noch ein-
mal betont. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dies bereits
in ihrem Antrag „Regeln und Grenzen für den Personal-
wechsel vom öffentlichen Dienst zur Wirtschaft“ vom
22. September 2004 auf Drucksache 15/3739 angeregt.
Leider kam dieser Antrag wegen des vorzeitigen Endes
der 15. Wahlperiode nicht mehr zur Abstimmung. Wir
alle sollten diesen Ansatz in der nächsten Wahlperiode
weiter verfolgen.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623046600

Milliarden an Steuergeldern fließen in Banken, Versi-

cherungen und andere Unternehmen, um sie vor der In-
solvenz zu retten. An den Rettungsaktionen sind Mitglie-
der der Bundesregierung beteiligt. Sie entscheiden über
das Fortbestehen oder den Untergang dieser Unterneh-
men. Um den Verdacht zu vermeiden, dass Mitglieder der
Regierung nicht nur dem Allgemeinwohl, sondern auch
privaten Interessen verpflichtet sind, werden die Mitglie-
der der Bundesregierung durch unseren Antrag aufgefor-
dert, fünf Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der Bundes-
regierung keine Vorstands- oder Aufsichtsratsposten in
einem Unternehmen anzunehmen, das mit Steuergeldern
vor der Insolvenz gerettet wurde.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
In einer schriftlichen Frage wollte ich wissen, ob die
Mitglieder der Bundesregierung bereit wären, eine
Selbstverpflichtung einzugehen, bis zu fünf Jahre nach
ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung keinen Vor-
stands- oder Aufsichtsratsposten in Banken, Versiche-
rungen oder anderen Unternehmen anzunehmen, die mit
Steuermitteln vor der Insolvenz gerettet werden mussten.
Die Bundesregierung antwortete wie folgt: „Die Ent-
scheidung, ob und ggf. welche Tätigkeit ein ehemaliges
Mitglied der Bundesregierung nach Ende der Amtszeit
aufnimmt, ist wie bisher zum konkreten Zeitpunkt vom
Betroffenen unter Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte
zu treffen.“ Das heißt, die Bundesregierung ist zu einer
solchen Selbstverpflichtung nicht bereit. Deshalb müssen
rechtliche Grundlagen geschaffen werden, damit nicht
der Eindruck entstehen kann, dass Mitglieder der Bun-
desregierung Entscheidungen treffen, die durch ihr per-
sönliches Interesse geprägt sind.

Das ist keine theoretische Diskussion. Ich erinnere
nur an die ehemaligen Mitglieder der Regierung, die
kurz nach ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung
in der Wirtschaft Karriere gemacht haben, ohne eine Ka-
renzzeit abzuwarten, wie: Gerhard Schröder, Wolfgang
Clement, Caio Koch-Weser, Sigmar Moosdorf, Dietmar
Staffelt, Alfred Tacke, Werner Müller, Martin Bury,
Andrea Fischer, Matthias Berninger. Ähnliche Vorgänge
können sich nach der Bundestagswahl wiederholen,
wenn wir heute nicht unseren Antrag beschließen.

Ein Scheitern unseres Antrages eröffnet Spekulatio-
nen Tür und Tor. Es wäre also auch im Sinne der Bundes-
regierung, klare Verhältnisse zu schaffen. Wenn die Ver-
hältnisse so unklar bleiben, wie sie jetzt sind, kann das
für den Steuerzahler sehr teuer werden. Möglicherweise
werden bestimmte Unternehmen nur deshalb gerettet,
weil sich daraus eine zweite Karriere für einen Regie-
rungspolitiker ergeben könnte.

Die Linke erwartet von den Regierungsparteien CDU/
CSU und SPD ein klares Signal gegen Korruption. Die
Zustimmung zu unserem Antrag wäre ein solches Signal.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623046700

Alle Oppositionsfraktionen fordern bereits seit Beginn

der Wahlperiode eine Art Verhaltenskodex oder eine ge-
setzliche Regelung mit dem Ziel, die Zulässigkeit einer
Berufstätigkeit von ausgeschiedenen Mitgliedern der
Bundesregierung zu regeln. Die Koalition hat sich be-
dauerlicherweise diesem Begehren bis heute verweigert.
Dabei brauchen wir hier klare Regelungen. In der Euro-
päischen Union etwa gibt es eine Regelung, die nach dem
Fall Bangemann, dem früheren EU-Kommissar der FDP,
eingeführt wurde, als er unmittelbar nach seinem Aus-
scheiden aus der Kommission, wo er für das Telekommu-
nikationsgeschäft zuständig war, zu einem Telekommuni-
kationsunternehmen gewechselt ist.

Ich meine: Es schadet dem Ansehen der parlamentari-
schen Demokratie, der Bundesregierung und der politi-
schen Klasse, wenn wir hier keine präzise Lösung finden.
In der Öffentlichkeit entsteht der Verdacht – und dem will
ich entgegentreten –, Regierungsmitglieder fällten in ih-
rem Amt Entscheidungen, die sich hinterher für sie direkt
oder indirekt auszahlten, weil sie sich Unternehmen ge-
wogen gemacht hätten. Diesen Verdacht müssen wir aus-
räumen, indem wir klare und transparente Regelungen
festlegen.

Zur Lösung dieses Problems gibt es zwei Ansätze. Der
eine Ansatz orientiert sich an § 69 a des Bundesbeam-
tengesetzes, der für Beamte gilt. Dabei werden mutatis
mutandis die versorgungsrechtlichen und die statusrecht-
lichen Verhältnisse von Bundesministern und Staatsse-
kretären angepasst. Der andere Ansatz ist – wie bereits
angesprochen – der Verhaltenskodex der Europäischen
Union für ehemalige Kommissionsmitglieder. Mein Vor-
schlag wäre: In einem festgelegten Verfahren meldet das
ausgeschiedene Mitglied die Tätigkeit an. Danach unter-
sucht ein Gremium, ob es einen Konflikt zur früheren Tä-
tigkeit gibt. Dann wird entschieden, ob die Tätigkeit in-
nerhalb der Karenzzeit aufgenommen werden darf oder
ob bis zum Ende der Karenzzeit gewartet werden muss.

Selbstverständlich gilt es dabei, die Berufsfreiheit,
insbesondere die Schranken von Art. 12 Grundgesetz
sorgsam zu beachten. Deshalb meinen wir, dass eine
Frist von fünf Jahren Karenz, wie sie die Linke in ihren
Anträgen vorschlägt, möglicherweise uns hier Problem
bescheren könnte. Etwas knapp bemessen ist nach mei-
ner Auffassung dagegen der Vorschlag der FDP, der le-
diglich eine Frist von zwei Jahren vorsieht. Aber ich
möchte das gar nicht kritisieren: Alle Anträge, die hier
heute – und teilweise schon sehr lange – auf dem Tisch
liegen, gehen in die richtige Richtung.

Uns geht es darum, das Ansehen der politischen
Klasse zu stärken und jeden Anschein von Korruption
und Makeleien anderer Art zu vermeiden. Wir haben die
Koalitionsfraktionen schon bei der ersten Lesung vor
rund drei Jahren dazu aufgefordert, gemeinsam mit der
Opposition eine Lösung auszuarbeiten. Nichts ist seitdem
geschehen. Das ist eine Schande und bei neuerlichen
Vorfällen à la Bangemann oder Schröder wird sich diese
Untätigkeit rächen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623046800

Wir kommen zur Abstimmung, zunächst Tagesord-

nungspunkt 54 a. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13655 die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/13366 mit dem Titel „Fünf Jahre Karenz-
zeit für Mitglieder der Bundesregierung“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheit-
lich angenommen.

Tagesordnungspunkt 54 b. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/13656 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/677 mit dem Titel „Verhaltens-
kodex für ausscheidende Regierungsmitglieder“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mehrheitlich angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Die Linke auf Drucksache 16/846 mit dem Titel „Ge-
setzliche Regelung für frühere Mitglieder der Bundesre-
gierung und Staatssekretäre zur Untersagung von Tätig-
keiten in der Privatwirtschaft, die mit ihrer ehemaligen
Tätigkeit für die Bundesregierung im Zusammenhang
stehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mehrheitlich angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/948
mit dem Titel „Berufstätigkeit von ausgeschiedenen Mit-
gliedern der Bundesregierung regeln“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich
angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 55 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Bundeswaldgesetz ändern – Agroforstsys-
teme unterstützen, forstwirtschaftliche Ver-
einigungen stärken und Gentechnik im
Wald verbieten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Bundeswaldgesetz novellieren und öko-
logische Mindeststandards für die Waldbe-
wirtschaftung einführen

– Drucksachen 16/9075, 16/9450, 16/12198 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Gerhard Botz
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm


Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU):
Rede ID: ID1623046900

Die Nahrungsmittel- und Bioenergieproduktion sowie

der Natur- und Umweltschutz stehen in einem untrennba-
ren dynamischen Zusammenhang. Die kürzlich eingetre-
tene weltweite Krise bei der Versorgung mit bezahlbaren
Nahrungsmitteln, verbunden mit der Tatsache, dass Le-
bensmittelpreise sich zukünftig am Erdölpreis orientieren
werden, ist nur ein Beleg für diese Wirkung. Hinzu
kommt, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf annä-
hernd 9 Milliarden Menschen anwachsen wird. Dies wird
die Nachfrage nach Lebensmitteln weiter erhöhen. Au-
ßerdem werden sich die Verzehrgewohnheiten weiter ver-
ändern.
Seit zehn Jahren ist der Verbrauch in den Schwellen-
ländern, zum Beispiel China oder Indien, von Fleisch
und Milch gewachsen, und er wird sich weiter erhöhen.
Hinzu kommt, dass der weltweit steigende Energiebedarf
Auswirkungen auf das Energie- und Rohstoffangebot und
die Energiepreise haben wird. Das Ziel muss sein, die in
Deutschland vorhandenen Potenzen im Sinne von hoher
Wertschöpfung und größtmöglicher Unabhängigkeit zu
nutzen und zu entwickeln. Land- und forstwirtschaftliche
Rohstoffe und die Nahrungsmittelproduktion dürfen nicht
als Objekt spekulativer Eingriffe genutzt werden.

Die Land- und Forstwirtschaft befindet sich derzeit in
einem rasanten Wandel. Die Nachfrage nach erneuerba-
ren Energien und das Wachstum der gesamten Branche
haben dazu geführt, dass die Landwirtschaft vor neue
Herausforderungen gestellt wird. Landwirte sind seit ei-
niger Zeit nicht mehr nur Nahrungsmittelerzeuger, son-
dern zunehmend auch Energiewirte. Mit diesem Wandel
gehen vielfältige Gesetzesänderungen einher, die sowohl
die Land- als auch die Energiewirtschaft betreffen. Ein-
geleitet, begleitet und unterstützt wurden diese Verände-
rungen durch vielfältige Aktions- und Förderprogramme
der Bundesregierung zum Erhalt der biologischen Viel-
falt und zum Klimaschutz. Das novellierte Erneuerbare-
Energien-Gesetz wird weitere Veränderungen mit sich
bringen. Ganz entscheidend sind dabei die finanziellen
Anreize. Fest steht, dass es ohne Startfinanzierungen und
angemessene Subventionen zu keiner marktwirtschaftlich
getragenen Veränderung in diesem Energiesektor
kommt. Dennoch ist das langfristige Ziel der CDU/CSU-
Fraktion, auch hier stärker die Kräfte des Marktes zur
Entfaltung kommen zu lassen.

Aufgabe dieser Bundesregierung ist es, die vor uns lie-
genden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse in die-
sem immer wichtiger werdenden Sektor aktiv zu gestal-
ten. Dabei hilft es nicht, mit ideologischen Vorbehalten
die bevorstehenden Probleme und Entscheidungen anzu-
gehen, sondern mit ausgewogenem Sachverstand. Es gilt,
die vielfältigen Dimensionen, die jede dieser Entschei-
dungen betrifft, gut zu durchdenken. Die vorliegenden
Anträge werden diesen Zielen und der rechtlichen Ein-
bindung von Agroforstsystemen in die Normen der Land-
nutzung nicht gerecht.

Mit der Frage der agroforstlichen Bewirtschaftung
von landwirtschaftlichen Flächen sind auch die Fragen
nach der Flächenkonkurrenz für die Nahrungsmittel- und
Energieproduktion sowie die Fragen nach den umwelt-
und naturschutzrechtlichen Auflagen und Regelungen zu
klären. Diese wiederum sind oft von europarechtlichen
Regelungen, wie der Entkopplung der Direktzahlungen
von der Produktion, sowie der Einführung der Cross-
Compliance bestimmt. Die 2003 beschlossene EU-
Agrarreform koppelt Direktzahlungen ab 2005 unmittel-
bar auch an die Erbringung bestimmter Leistungen im
Umwelt- und Naturschutz.

Aber nicht nur das. Es stellt sich außerdem die Frage,
wie das Bundeswaldgesetz gestaltet werden muss, damit
landwirtschaftliche Flächen unbeschadet ihres rechtli-
chen Status als Agroforst oder mit anderen neuartigen
Systemen zukünftig kombiniert und genutzt werden kön-


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Heinrich Jordan
nen. Diese Klärung fordert zwar auch der Antrag der
Grünen; doch geht die vorliegende Klarstellung nicht
weit genug. Der Gesetzgeber muss vor allem entschei-
den, wie restriktiv mit der neuen Form der landwirt-
schaftlichen Nutzung „Agroforst“ umgegangen werden
soll: Reicht die gute fachliche Praxis zur Agroforstbe-
wirtschaftung? Inwieweit soll das Jagdrecht, der Um-
welt- und Naturschutz hier zum Tragen kommen? Welche
wasserschutzrechtlichen Voraussetzungen sind zu beach-
ten? Entscheidend ist auch die Einbindung in die Um-
weltgesetzgebung.

Gute Erfahrungen in England und Frankreich mit
Agroforstsystemen lassen durchaus den Schluss zu, dass
sich diese Systeme aus land- und forstwirtschaftlicher
Sicht lohnen können. Die Leistungen von Gehölzen bei
der Produktion, der mikroklimatischen Regulierung und
dem Erosionsschutz sind unbestritten und sind weiter
wissenschaftlich zu untersuchen. Die Zahl der wissen-
schaftlichen Untersuchungen ist weiter zu erhöhen und
die Ergebnisse von verschiedensten Standortbedingun-
gen zu verdichten. Die Feldversuche, wie von der Uni-
versität Leeds durchgeführt, haben gezeigt, dass auf ei-
ner agroforstlichen Fläche in trockenen Sommern eine
Ertragssteigerung der Wintergerste von über 20 Prozent
erreicht werden konnte. Grund hierfür war der durch
Baumreihen bewirkte Windschutz, der den Wasserbedarf
der Ackerpflanzen verringerte.

Die Wirtschaftlichkeit dieser Systeme ist also durch-
aus möglich. Auch aus Sicht der Biodiversität haben
Agroforstsysteme keine negativen Auswirkungen. Durch
den Anbau von Gehölzen zur Wertholznutzung auf einer
Fläche, die gleichzeitig landwirtschaftlich durch Acker-
bau und/oder Weidehaltung genutzt wird, entsteht ein
mehrschichtiges Ökosystem, das das ganze Jahr über Le-
bensraum für Tiere bietet. Aufgrund der Fragen, die sich
aus dieser neuen Nutzungsform der landwirtschaftlichen
Flächen ergeben, hat die Bundesregierung bereits 2005
mehrere Forschungsprojekte initiiert. Zudem wurden mit
den Veränderungen in der Ressortforschung des BMELV
die Voraussetzungen für eine kontinuierliche, wissen-
schaftlich fundierte Beratungs- und Begleitforschung
geschaffen. So sind die dem Johann-Heinrich-von-
Thünen-Institut angeschlossenen Forschungseinrichtun-
gen zu Biodiversität, ökologischem Landbau, Waldökolo-
gie, Forstgenetik und Holzbiologie exzellent dazu geeig-
net, die notwendigen, wissenschaftlich begründeten
Entscheidungshilfen zu liefern. Ob eine agroforstliche
Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen sich letztend-
lich wirtschaftlich lohnt, muss der Markt entscheiden.

Nach kritischer Gewichtung der zuvor dargestellten
Sachverhalte sind die Anträge der Fraktion Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen.


Dr. Gerhard Botz (SPD):
Rede ID: ID1623047000

Bereits Tagesordnungspunkt 33 der heutigen Plenar-

sitzung beschäftigte sich mit Punkten, die eine Novelle
zum Bundeswaldgesetz betroffen hätten, eine Gesetzes-
novellierung, die in vielen Fragen an sich völlig unstrit-
tig ist. Es geht um Punkte, die auch von den Fachleuten
in der Anhörung zum Bundeswaldgesetz am 24. Septem-
Zu Protokoll
ber 2008 als wünschenswert und bundeseinheitlich ge-
fordert wurden; zum Beispiel die Neudefinition des
Staatswaldbegriffes. Denn durch eine Neuorganisation
wurden die Bundesforstverwaltung sowie einige Landes-
forstverwaltungen in Körperschaften des öffentlichen
Rechts oder andere Rechtsformen umgewandelt. Mit der
Änderung sollte sichergestellt werden, dass diese Wälder
ungeachtet ihrer Rechtsform auch weiterhin Staatswald
im Sinne des § 3 Abs. 1 bleiben und somit den Vorschrif-
ten des BWaldG und der Länderwaldgesetze über den
Staatswald unterliegen.

Dann als zweiter Punkt die Erweiterung des Aufga-
benkataloges der forstwirtschaftlichen Vereinigungen. So
könnten zukünftig auch Kleinwaldbesitzer zu fairen Be-
dingungen ihr Holz nutzen und auf den Markt bringen.

Als dritter Punkt müssen die Vorschriften zur Bundes-
waldinventur an die Erfordernisse eines modernen Wald-
monitorings angepasst sowie mit europäischen und inter-
nationalen Abkommen in Einklang gebracht werden.

Viertens wurde von allen Fraktionen eine klare Ab-
grenzung der Begriffe „Agroforstsysteme“ und „Kurz-
umtriebsplantagen“ vom Waldbegriff gefordert. Beides
sind Formen der Gehölznutzung auf landwirtschaftlicher
Nutzfläche, beides kann mehrjährig genutzt werden –
auch bis hin zu 20-jährigen Beständen und wäre somit
nicht mehr rechtlich sicher von Waldflächen abzugren-
zen. Diese Rechtssicherheit sollte durch eine Novelle zum
Bundeswaldgesetz geschaffen werden. Auch das war völ-
lig unstrittig.

Der fünfte gemeinsame Punkt ergab sich dankenswer-
ter Weise durch die Expertenanhörung hier im Bundes-
tag: die Erleichterung der Regelungen zur Verkehrs-
sicherungspflicht. Mit erweitertem Nutzungsspektrum
des Waldes, verändertem Erholungsverhalten der Men-
schen im Wald – offroad und wegelos – und gleichzeitig
höheren Umwelt- und Naturschutzstandards, wie zum
Beispiel vermehrtem Todholzanteil, sind naturgegebene
Gefahren im Wald allgemein bekannt und dürfen nicht
den Waldeigentümern zur Last gelegt werden.

Doch dann verlässt uns diese fast zu schöne Einigkeit
unter den Parlamentariern, wie sie wohl nur selten zu
finden ist oder aber nicht offen zugegeben werden kann.
Ungefähr ein Drittel der Fläche der Bundesrepublik ist
Waldfläche. Der Holzzuwachs ist zurzeit noch größer als
die derzeitige Holznutzung. Der weltweite Holzmarkt
schwankt auch mit der Krise, aber noch nicht zu sehr. Die
Prognosen sehen sehr unterschiedlich aus, je nach Blick-
winkel des Betrachters. Umweltverbände warnen vor ei-
ner Übernutzung des Waldes, Wirtschaftsverbände sehen
eher schwarz für die Holzwirtschaft – wahrscheinlich
liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte. Doch niemand
weiß wirklich genau, was uns die Zukunft bringen wird.
Niemand kann heute festschreiben, dass nicht die eine
oder die andere Seite recht behalten wird.

Daher ist es dringend notwendig, alle Entscheidungen
im Sinne der Nachhaltigkeit zu treffen. Unser Ziel muss
es sein, den Wald für kommende Generationen zu erhal-
ten, die Bewirtschaftung des Waldes mit bundeseinheitli-
chen ökologischen Mindeststandards einer „guten fach-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Botz
lichen Praxis“ nachhaltig zu gestalten. Dabei möchte
niemand von meinen SPD-Fraktionskollegen – und schon
gar nicht ich selbst – eine überregelte und völlig über-
trieben einschränkende Regelung für die Waldbewirt-
schaftung, wie sie im Antrag der Grünen zu finden ist.
Viel zu feingliedrig, die regionalen natürlichen Gegeben-
heiten und Waldstrukturen völlig außer Acht gelassen,
dies kann auch nicht Sinn eines Bundesgesetzes sein. In
den Landesgesetzen sind vergleichbare Festlegungen oft
schon enthalten. Aber eine grundlegende Regelung zur
nachhaltigen Holzproduktion, zur Kahlschlagsminimie-
rung, zur Bevorzugung von Naturverjüngung, zur
bestands- und bodenschonenden Forsttechnik und Holz-
ernteverfahren, zum Bevorzugen vom integrierten Pflan-
zenschutz, zu den Schäden durch Wild, zum Aufbau stabi-
ler, vitaler, standortgerechter Wälder mit hinreichendem
Anteil standortheimischer Baumarten muss natürlich un-
bedingt in die Bundesgesetzgebung.

Wachen Sie auf, werte Kollegen der CDU/CSU: Nie-
mand gibt uns die Garantie, dass zum Beispiel verän-
derte Wirtschaftsbedingungen, veränderte Klimabedin-
gungen unseren Holzvorrat nicht zurückgehen lassen,
den Raubbau für einige Akteure wirtschaftlich reizvoll
machen. Im Übrigen ist es fast schon eine Verhöhnung,
sehr geehrter Herr Schirmbeck, wenn Sie erst die Bun-
deswaldgesetzesnovelle an den Kriterien der guten fach-
lichen Praxis scheitern lassen und im Anschluss in einem
Brief an meinen SPD-Fraktionsvize „Wald vor Wild“
fordern. Das war doch aber genau das erste Kriterium,
das von Ihnen und Ihren Unionskollegen aus unserem
Vorschlag zur guten fachlichen Praxis herausgestrichen
wurde. Zumindest muss man eine solche Verfahrensweise
als unredlich bezeichnen.

Die Geschichte hat es mehrfach gezeigt, dass Wälder
zu stark genutzt wurden. Nun sagen einige wieder: Ja,
die Forstfachleute und Waldbesitzer wissen, was sie tun.
Die Mehrheit von ihnen bewirtschaftet sowieso im Sinne
einer guten fachlichen Praxis. Wozu muss das denn jetzt
wieder durch den Gesetzgeber vorgeschrieben werden?
Wozu wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau
in unserem Grundgesetz verankert, obwohl es doch vie-
lerorts gängige Praxis ist? Warum ist eine Selbstver-
ständlichkeit wie die Würde des Menschen im Grundge-
setz festgehalten? Wenn man so an die Dinge herangeht,
könnte man wohl generell auf Gesetze verzichten, aber
das sieht wohl keiner wirklich so.

Wir sind zuversichtlich: Diese Erkenntnisse werden
sich auch noch dort einstellen, wo wir in dieser Legisla-
tur noch auf kurzsichtige Widerstände gestoßen sind.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1623047100

Die drei Oppositionsfraktionen haben gemeinsam im

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz eine Anhörung zur Nutzung von Agroforst-
systemen durchgesetzt. Die Regierungskoalition wollte
uns dies verweigern. Das zeigt die Zerstrittenheit von
schwarz-rot und deren geringes Engagement für den
ländlichen Raum.

Die FDP-Fraktion hat in einem eigenen Antrag die
ökologischen Vorteile der Biomasseproduktion in Agro-
Zu Protokoll
forstsystemen beschrieben und wie die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen die Änderung des Bundeswaldgeset-
zes gefordert.

In diesem Punkt sind wir uns sehr einig.

Trotzdem können wir die vorliegenden Anträge nicht
unterstützen. Der Antrag der Linken ist diskussions-
würdig. Die reflexartig vorgetragene Forderung nach ei-
nem Verbot der Gentechnik im Wald ist den vielen Angst-
kampagnen geschuldet und somit nichts weiter als reine
Symbolpolitik.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen entpuppt sich
einmal mehr als ein ideologisch geprägtes Papier, wel-
ches größtenteils unrealisierbare Forderungen enthält.
Nicht einmal die Ergebnisse der letzten Bundeswaldin-
ventur wurden inhaltlich verarbeitet, die in der rot-
grünen Regierungszeit verabschiedete Charta für Holz
ist schon vergessen, die hohe wirtschaftliche Bedeutung
des Clusters Forst und Holz spielt bei grünen Zukunfts-
fantasien keine Rolle.

Für die FDP ist die Ausformung einer nachhaltigen
Forstwirtschaft in unserem waldreichen Land von beson-
derer Bedeutung. Die verschiedenen Clusterstudien zei-
gen, dass die Forst- und Holzwirtschaft entscheidend zur
Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung des ländli-
chen Raumes beitragen kann. Die großen Holzvorräte in
unseren Wäldern haben ein hohes Nutzungspotenzial.
Die Nutzung von Holz im Bau sowie für die Herstellung
von Möbeln, Zellstoff, die Erzeugung von Wärme und
Strom aus Rest- und Durchforstungsholz liefert einen
wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und stärkt gleichzei-
tig die regionale Wirtschaft. Holz ist ein wichtiger Werk-
stoff, um Gewichtseinsparungen zu realisieren und damit
zur Energieeinsparung beizutragen.

Die besondere Herausforderung für die Forstwirt-
schaft besteht darin, heute Wälder zu formen, die ökolo-
gischen Kriterien genügen, die den Klimawandel berück-
sichtigen und zukünftigen Anforderungen an die Nutzung
von Holz gerecht werden. Die Produktion des nach-
wachsenden Rohstoffs Holz muss unter dem Nachhaltig-
keitsgedanken sowohl ökologieorientiert als auch nut-
zungsorientiert erfolgen. Bei der Bewirtschaftung der
Wälder muss auch heute schon berücksichtigt werden
welche Holzarten in späteren Jahrzehnten gebraucht
werden.

Zur Umsetzung eines solchen Anforderungsprofils,
dem wir uns als Liberale verpflichtet fühlen, trägt der
kleinteilig formulierte Antrag der Grünen nichts bei. Es
soll jeder Arbeitsschritt im Wald so bürokratisch wie
möglich geregelt werden. Eigeninitiative, Engagement
und Motivation, wodurch sich unsere Forstleute aus-
zeichnen, bleiben dabei auf der Strecke.

Die potenzielle natürliche Vegetation in Deutschland
ist Wald. Die nachhaltige Nutzung von Wäldern bietet
daher gegenüber anderen Nutzungsformen der Fläche
enorme ökologische Vorteile. Holz ist unser wichtigster
nachwachsender Rohstoff. Dies gilt für die rohstoffliche
Nutzung genauso wie für die energetische Nutzung. Die



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
nachhaltige Nutzung von Holz bildet damit das Rückgrat
einer nachhaltigen Entwicklung.

Deshalb schadet das Bürokratieprogramm der Grü-
nen der nachhaltigen Nutzung von Holz und der Natur in
Deutschland.

Wir Liberalen setzen uns für ein integratives Wald-
nutzungsmodell ein. Das heißt, wir wollen die Produk-
tion von Holz mit dem Natur- und Artenschutz, dem
Grundwasser- und Klimaschutz kombinieren. In unserem
dicht besiedelten Land ist außerdem die Nutzung der
Wälder zur Erholung unverzichtbar. Der sonntägliche
Waldspaziergang gehört bei vielen Familien zu den
besonders beliebten Freizeitaktivitäten.

Das Cluster Forst und Holz weist bei Betrachtung im
Rahmen der entsprechenden Clusterdefinition der Euro-
päischen Union eine deutlich höhere volkswirtschaftliche
und arbeitsmarktpolitische Bedeutung auf, als bisher an-
genommen wurde. Es ist gekennzeichnet durch etwa
185 000 Betriebe mit über 1,3 Millionen Beschäftigten,
die einen Umsatz von über 180 Milliarden Euro erwirt-
schaften.

Die Zertifizierung ist ein marktwirtschaftliches Instru-
ment, mit dem Unternehmen besondere Leistungen ihrer
Produktion dokumentieren. Es ist keine staatliche Auf-
gabe, durch Bevorzugung oder Diskriminierung eines
Zertifizierungssystems die Nachfrage zu steuern.

Die Grünen wären gut beraten gewesen, den aus dem
letzten Jahr stammenden Antrag zurückzuziehen oder ihn
zumindest der Diskontinuität anheimfallen zu lassen.
Seine Regelungsdichte passt nicht in die Zeit der Wirt-
schaftskrise, in der wir alle gefordert sind, alles dafür zu
tun, um Arbeitsplätze zu erhalten. Dem dient dieser An-
trag nicht.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623047200

Das Bundeswaldgesetz hat sich grundsätzlich be-
währt. Die Inhalte einer nachhaltigen Waldbewirt-
schaftung sollen im Gesetz klarer gefasst und Maß-
nahmen ergriffen werden, um strukturelle Nachteile
insbesondere nichtstaatlicher Forstbetriebe zu
überwinden.

Das ist kein Zitat von mir, sondern steht wortwörtlich
im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rosa. Vier Jahre hatte
die Koalition der großen Ansagen und kleinen Lösungen
Zeit gehabt, wenigstens diesen Minimalansprüchen zu
entsprechen, die ordnungsgemäße Forstwirtschaft klarer
zu fassen, einige Probleme im Bundeswaldgesetz zu klä-
ren und die nachhaltige Waldbewirtschaftung zu stärken
und auch in der Zukunft zu sichern. Stattdessen wurde
vier verlorene Jahre lang alles verschoben, blockiert,
verwässert und letztendlich dann doch gestoppt. Alle, de-
nen ebenso wie uns die einheimischen Wälder und Fors-
ten wichtig sind, sollten nun endgültig erkannt haben:
Schwarz-Rosa bringt es nicht und gehört abgewählt –
nicht nur, aber auch wegen einer nicht vorhandenen
Forstpolitik.

Dabei hat es an Vorschlägen seitens der Branche, der
Gesellschaft, den Umweltverbänden und nicht zuletzt al-
Zu Protokoll
len drei Oppositionsfraktionen nicht gemangelt. Die
Linke hat den vorliegenden Antrag 16/9075 eingebracht,
mit dem wir wenigstens die dringendsten Änderungsvor-
schläge zum Bundeswaldgesetz unterbreiten und die
Bundesregierung auffordern, endlich wenigstens dort ak-
tiv zu werden, wo es weitgehend unstrittige Positionen
gibt. Gemeinsam haben die Oppositionsfraktionen eine
Anhörung zum Bundeswaldgesetz beantragt. Diese hat
ganz klar ergeben: Genau an den von unserem Antrag
benannten Stellen muss das Bundeswaldgesetz unverzüg-
lich novelliert werden. Doch was ist passiert? Nichts!

Die Linke steht für eine naturnahe Waldbewirtschaf-
tung, in welcher sowohl die Nutz- als auch die Erho-
lungs- und Schutzfunktionen des Waldes im Einklang ste-
hen. Gerade in den ländlichen Räumen kann durch eine
nachhaltige Waldwirtschaft Leben und Arbeit sowohl in
der Forstwirtschaft als auch in der Säge- und Holzindus-
trie erhalten werden. Diese Nachhaltigkeit schließt aller-
dings eine überzogen kurzfristige wirtschaftliche Nut-
zung aus. Beispielsweise die vollständige energetische
Nutzung, also auch von Ästen und Stümpfen nach Stark-
windereignissen, anstatt diese dem Nährstoffkreislauf zu-
rückzugeben.

Die Forstwirtschaft ist die historische Mutter der
Nachhaltigkeit. Dieses Prinzip darf nicht dem kurzfristi-
gen Gewinnstreben einiger Konzerne oder Waldbesitzer
geopfert werden. Da die einzelnen Landeswaldgesetze
dafür keinen hinreichenden Schutz bieten – beispiels-
weise sei hier die uneinheitliche Definition des Begriffes
Kahlschlag genannt – muss das Bundeswaldgesetz Min-
destregelungen beinhalten, wie eine zukunftsfähige
Forstwirtschaft aussehen soll. Dabei geht es nicht um bü-
rokratische Überregulierung, sondern um die Sicherung
der gesellschaftlichen Interessen heutiger und morgiger
Generationen.

Für die Linke ist der multifunktional genutzte Wald
mit an den Standort angepassten Wilddichten das Ziel.
Wir benötigen daher nachhaltige Nutzungskonzepte, die
sowohl die energetische als auch die stoffliche Nutzung
von Holz zusammendenken. So kann der Wald Einkom-
mens- und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten und
bleibt in seiner ökologischen, Landschafts- und Erho-
lungsfunktion erhalten. Im Gegensatz zu vielen anderen
Erholungs- und Freizeiteinrichtungen können alle Bür-
gerinnen und Bürger den Wald frei und kostenlos betre-
ten. Das muss auch so bleiben. Dabei können vielfältige
Erfahrungen gesammelt und gerade für Kinder wichtige
Grundlagen eines sich entwickelnden Umweltbewusst-
seins gelegt werden. In einem monokulturellen Fichten-
oder Kiefernforst ist so etwas allerdings nur sehr schwer
möglich und vorstellbar. Deshalb bleibt der Waldumbau
ein wichtiges Ziel.

Neben der Erholung ist natürlich auch die Nutzfunk-
tion von wesentlicher Bedeutung. Hierbei sieht die Linke
vor allem beim Kleinprivatwald noch ungenutzte Mög-
lichkeiten. Dort stehen erhebliche Holz- und damit auch
Einkommensvorräte. Dieses Potenzial sollte erschlossen
sowie ökologisch und sozial gewinnbringend ausge-
schöpft werden. Hierbei können die forstwirtschaftlichen
Zusammenschlüsse eine herausragende Rolle spielen,



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
wenn ihre Betätigungsmöglichkeiten, wie wir in unserem
Antrag fordern, ausgeweitet und sie damit gestärkt wer-
den. Die Linke wird die Diskussion über eine zukunftsfä-
hige Waldwirtschaft weiter vorantreiben und in der
nächsten Legislaturperiode neben der Novelle des Bun-
deswaldgesetzes auch die Diskussion zur Überarbeitung
des Bundesjagdgesetzes wiederbeleben. Mit beiden Ge-
setzesänderungen soll die Grundlage einer nachhaltigen
Waldbewirtschaftung gefestigt und damit der Branche
weiterhin eine Zukunft gegeben werden.

Eine Änderung des Bundesjagdgesetzes müsste so-
wohl ein Aufräumen bei den bejagbaren Arten als auch
eine grundsätzlich auf das Wohl des Waldes und des Wil-
des ausgerichtete Jagdpolitik beinhalten. Die For-
schungsaktivitäten der Agrarressortforschung bei Wild-
tieren müsste daher deutlich gestärkt werden, und zwar
sowohl hinsichtlich eines tierschutzgerechten, den Stand-
ortbedingungen angepassten Populationsmanagements,
als auch bezogen auf ihre Rolle als Reservoir und Über-
träger von Infektionskrankheiten und ihre Wirkung auf
andere Populationen und Biotope.

Im Interesse einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung
stimmen wir auch dem Antrag der Grünen zu und bitten
um breite Zustimmung zum Antrag der Linken.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623047300

Der Wald ist und wird in vielen Ländern und Kulturen

oft besungen, und das sicherlich nicht in Bezug auf maxi-
male Holzerträge, sondern weil er unabhängig von der
jeweiligen Eigentumsform ein Gemeingut ist. Wälder
dienen nicht nur der Holzproduktion, sondern auch und
gerade der Erholung, sowohl im Naherholungsbereich
als auch für den Tourismus. Vor allem aber sind sie Öko-
systeme mit vielfältigen Funktionen für die biologische
Vielfalt, den Klimaschutz und den Landschaftswasser-
haushalt, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus
schützen Wälder vor Bodenerosion, leisten einen Beitrag
für die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser und
können Hochwasserschäden für besiedelte Gebiete und
die Landwirtschaft abwenden. Der Erhalt unserer Wäl-
der und ihre nachhaltige Bewirtschaftung sind deshalb
nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten geboten,
sondern eine Verpflichtung, die wir den kommenden Ge-
nerationen gegenüber haben.

Dem wird das aktuelle Bundeswaldgesetz nicht ge-
recht. Es fehlen ökologische Mindeststandards für die
Waldbewirtschaftung. Denn nur sie können arten- und
strukturreiche und damit naturnahe und vitale Wälder
mit vielfältigen Habitaten für Pflanzen und Tiere schaf-
fen, die dauerhaft als CO2-Speicher wirken, für die
Reinigung des Regenwassers sorgen und nicht zuletzt in
Form einer Win-win-Situation für Ökologie und Ökono-
mie die Produktivität der Wälder erhöhen. Regional
auftretende Übernutzungen bis hin zum Kahlschlag, An-
fälligkeit gegenüber Schädlingsbefall, Stürmen und
Waldbrand – um nur einige Problembereiche zu nennen –
legen den Finger auf die Wunde und zeigen den akuten
Handlungsbedarf für eine Novellierung des Bundeswald-
gesetzes.
Wer in diesem Zusammenhang vor einem überflüssi-
gen Bürokratieaufbau oder der Einschränkung von För-
dermöglichkeiten warnt, hat das Problem nicht begriffen.
Die Waldgesetznovelle muss her, weil wir eine gewisse
Begrenzung der heutigen Waldnutzung zugunsten der
Allgemeinheit und der kommenden Generationen brau-
chen und Selbstverpflichtungen ihren Erfolg schuldig ge-
blieben sind. Dabei will ich keinesfalls unterschlagen,
dass es durchaus Waldbesitzer gibt, die im Bewusstsein
um die Sinnhaftigkeit von Naturschutz, Baumartenviel-
falt und des Einsatzes von gut ausgebildetem Personal
Herausragendes für die Zukunft des Waldes geleistet ha-
ben. Nur ist das leider nicht der Normalfall.

Die Expertenanhörung im Deutschen Bundestag zur
Waldgesetznovelle hat im vergangenen November noch
einmal deutlich gemacht, dass das Bundeswaldgesetz der
Waldbewirtschaftung einen klare ökologischen und na-
turschutzfachlichen Rahmen geben muss. Kernstück der
Novelle muss daher die Festlegung von Standards und
Grundsätzen sein, die die gute fachliche Praxis konkret
nach ökologischen Kriterien definieren. Doch die Große
Koalition stiehlt sich aus der Verantwortung, löst ihr Ver-
sprechen im Koalitionsvertrag, das Waldgesetz zu novel-
lieren, nicht ein und offenbart einmal mehr ihr Versagen,
wenn es darum geht, Reformen, im Großen wie im Klei-
nen, auf den Weg zu bringen.

Dabei ist in vielen Punkten längst Einvernehmen
erzielt worden, beispielsweise bei der Lockerung der Ver-
kehrssicherungspflicht für die Waldbesitzer, bei der
Ausweitung der Rechte von forstwirtschaftlichen Zusam-
menschlüssen und bei der klaren Unterscheidung von
Agroforstsystemen und Wäldern. Doch da die Union die
ökologischen Mindestanforderungen als wohlfeiles
Wahlkampfthema betrachtet, mit dem sie glaubt, bei den
Waldbesitzerverbänden punkten zu können, ist der Koali-
tionsvertrag auch hier nicht das Papier wert, auf dem er
geschrieben steht. Mit unserem Antrag setzen wir dem
eine konkrete Politik für den Wald in der Gegenwart so-
wie für die kommenden Generationen entgegen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623047400

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 16/12198.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9075. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheit-
lich angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/9450. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenom-
men.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a und b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ackermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Lockerung des Verbots wieder-
holter Befristungen

– Drucksache 16/10611 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/12092 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen,
unbefristete Beschäftigung stärken

– Drucksachen 16/9807, 16/12092 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1623047500

Das Teilzeit- und Befristungsgesetz eröffnet derzeit die

Möglichkeit des Abschlusses von befristeten Verträgen.
Ein solcher ist zulässig, wenn ein sachlicher Grund vor-
liegt. Diese Gründe sind eng abgegrenzt. So können
unter anderem öffentliche Arbeitgeber befristete Arbeits-
verträge abschließen, wenn der Arbeitnehmer aus Haus-
haltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine
befristete Betätigung bestimmt sind, und der Arbeitneh-
mer entsprechend beschäftigt wird. Eine frühere Be-
schäftigung bei demselben Arbeitgeber ist hierbei kein
Hinderungsgrund.

Das Gesetz gestattet auch die Befristung ohne sachli-
chen Grund bis zur Dauer von zwei Jahren mit einer
höchstens dreimaligen Verlängerung innerhalb dieser
Frist. Eine Befristung ist dann unzulässig, wenn mit dem-
selben Arbeitgeber zuvor ein befristetes oder unbefriste-
tes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

An diese Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsver-
hältnissen knüpfen die beiden Anträge an, wobei die For-
derungen der Antragsteller gegensätzlicher nicht sein
könnten. Nach dem Willen der Fraktion der FDP soll die
Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung nahezu un-
beschränkt ausgeweitet, nach dem Willen der Fraktion
der Linken ersatzlos gestrichen werden. Die Lektüre bei-
der Anträge offenbart eine sehr einseitige Weltsicht nach
dem Motto „Schwarz-Weiß“. Eine solche Sichtweise ist
einfach. Sie wird nur nicht der Realität gerecht. Denn
dort geht es um Betroffene, deren Interessen aus jeweils
legitimen Gründen abweichen. Ein unbefristeter Vertrag
ist aus Sicht eines Arbeitnehmers natürlich einem befris-
teten vorzuziehen. Denn er gibt größere Beschäftigungs-
sicherheit und damit auch persönliche Sicherheit. Zwar
kann auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis durch Kün-
digung beendet werden. Das Ende ist ihm aber nicht
schon von Beginn an eigen. Arbeitgeber sind dagegen
eher zögerlich, sich in allen Fällen unbefristet zu binden.
Denn eine Anpassung zum Beispiel an konjunkturelle
Veränderungen, wie wir sie jetzt erleben, ist damit nur
noch eingeschränkt möglich. Sie stellen deshalb tenden-
ziell weniger Arbeitnehmer ein, wenn sie generell ge-
zwungen sind, unbefristete Arbeitsverträge abzuschlie-
ßen.

Deshalb muss der rechtliche Rahmen eine Abwägung
zwischen dem legitimen Wunsch nach Absicherung und
der Beschäftigungswirkung vornehmen. Im Teilzeit- und
Befristungsgesetz sind diese unterschiedlichen Interes-
sen von Arbeitnehmern einerseits und Arbeitgebern an-
dererseits miteinander in Einklang gebracht worden. Der
Gesetzgeber hat beiden Interessen Rechnung getragen.

Eine solche Interessenabwägung findet in den beiden
vorliegenden Anträgen nicht statt. Beide schreiben sich
lediglich die Interessen jeweils eines der Beteiligten auf
die Fahne. Und so prallen in der heutigen Debatte die
Gegensätze aufeinander.

Die Fraktion der FDP fordert, ein Verbot wiederholter
Beschäftigung vor Ablauf von drei Monaten einzuführen
und damit die Befristungsmöglichkeiten nahezu unbe-
schränkt auszuweiten. Damit soll zwar vermeintlich den
Interessen von Unternehmen Rechnung getragen werden,
nicht jedoch von Arbeitnehmern. Denn eine solche
grundsätzliche Ausweitung birgt die Gefahr, dass die be-
fristete Beschäftigung zum Dauerzustand wird. Aus die-
sem Grund muss die Möglichkeit der sachgrundlos be-
fristeten Arbeitsverträge zum Schutz der Arbeitnehmer
beschränkt werden.

Die Fraktion der Linken will dagegen mit ihrer Forde-
rung nach einer ersatzlosen Streichung der sachgrundlo-
sen Befristung vermeintlich Arbeitnehmer schützen.
Vermeintlich; denn was sich auf den ersten Blick als
Schutzmaßnahme darstellt, entpuppt sich bei genauerer
Betrachtung als Bumerang. Befristete Arbeitsverträge
sind besser als keine Arbeitsplätze. Und das wäre die
Konsequenz, wenn es Arbeitgebern gänzlich verboten
wäre, flexibel auf die Entwicklungen am Markt zu reagie-
ren. Ihre Forderung würde dazu führen, dass Arbeitgeber
eher weniger Arbeitnehmer beschäftigen und in florie-
renden Zeiten Mengen an Überstunden anhäufen lassen,
statt in diesen guten Zeiten mehr Arbeitnehmer zu be-
schäftigen. Diese Arbeitnehmer erhalten mit ihrem be-
fristeten Arbeitsvertrag eine Chance. Diese Chancen
würden die Linken vernichten.

Die seinerzeit rot-grüne Bundesregierung hat es in der
Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP am 16. Fe-
bruar 2005 wie folgt formuliert: „Die Regelung des § 14
Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz gibt Arbeitgebern,
die sich zunächst nicht zu unbefristeten Einstellungen
entschließen können, die Möglichkeit, bis zur Dauer von
zwei Jahren befristete Arbeitsverträge abzuschließen, die
nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein
müssen. Das ist vor allem eine beschäftigungspolitisch
sinnvolle Alternative zur Überstundenarbeit. Zugleich
bekommen Arbeitsuchende die Gelegenheit, wieder im
Berufsleben Fuß zu fassen, ihre Eignung und Leistungs-


(A) (C)



(B) (D)


Gitta Connemann
fähigkeit zu beweisen und damit ihre Chancen auf eine
unbefristete Weiterbeschäftigung zu verbessern.“

Meine Damen und Herren von den Linken und der
FDP, eine Interessenabwägung liegt Ihren Anträgen
nicht zugrunde. Es geht Ihnen also offensichtlich nicht
um die Sache, sondern allein um Einfluss und Status.
Dem wirklichen Leben werden Sie mit Ihren Anträgen
dagegen nicht gerecht, die wir, die Mitglieder der CDU/
CSU-Fraktion, ablehnen werden.

Schwarz-Weiß-Malerei ist mit uns nicht zu machen.
Wir stellen uns der Realität. Diese zeigt das Bild, das sich
eine Anzahl von Betrieben und Unternehmen infolge der
internationalen Finanzmarktkrise aktuell in wirtschaftli-
chen Schwierigkeiten befinden. Diese sehen sich laut ei-
ner Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskam-
mertages momentan nicht in der Lage, Mitarbeiter am
Ende ihres befristeten Arbeitsvertrages fest einzustellen.
Der DIHK weist daher darauf hin, dass die derzeitige
Regelung, wonach eine sachgrundlose Befristung beim
selben Unternehmen nur einmal im Erwerbsleben mög-
lich ist, sich in der aktuellen Situation als problematisch
erweisen könnte. Wenn heute aufgrund einer schwachen
Auftragssituation ein Mitarbeiter am Ende eines befriste-
ten Vertrages nicht weiter beschäftigt werden könnte,
könne dieser Mitarbeiter zu einem späteren Zeitpunkt
nicht mehr erneut befristet eingestellt werden, wenn sich
Silberstreifen am Horizont zeigen würden. Da aber ange-
sichts der Tiefe der Krise auch am Beginn der Erholungs-
phase noch Vorsicht bei Festeinstellungen vorherrschen
dürfte, könnte diese Regelung den Wiederaufbau von Be-
schäftigung erschweren. Wohlgemerkt: Der DIHK for-
dert keine unbeschränkte Ausweitung wie die FDP.

Leider war mit unserem Koalitionspartner eine solche
auch von meiner Fraktion für notwendig erachtete Flexi-
bilisierung des Befristungsrechts nicht machbar. Dies ist
umso bedauerlicher, als sich die SPD auf dem Jobgipfel
von 2005 bereits mit der Union auf die Abschaffung des
Ersteinstellungsgebotes verständigt hatte, die betref-
fende Regelung aber wegen der bekannten Ereignisse
dann der Diskontinuität anheimfiel. Sollte mit der Ab-
schaffung des Ersteinstellungsgebotes jedoch Arbeitslo-
sigkeit – übrigens auch daraus resultierende Transfer-
leistungen – vermieden werden können, sollten wir
diesen Vorschlag ohne ideologische Scheuklappen be-
handeln. Die Union wird dieses sinnvolle Anliegen wei-
terhin verfolgen.

Meine Damen und Herren von den Linken, liebe Kol-
legen aus der FDP, leider haben Sie diese ideologischen
Scheuklappen nicht abgelegt. Wir werden deshalb die
vorliegenden Anträge ablehnen.


Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1623047600

Diesmal sind es also die sachgrundlosen Befristun-

gen. Weg damit oder mehr davon? Linke und FDP sind
verschiedener Auffassung. Die Linke sagt: Sachgrund-
lose Befristungen brauchen wir nicht; Beschäftigte
wollen Kündigungsschutz, wenn es keinen besonderen
Grund gibt, auf ihn zu verzichten. Die FDP meint, Kün-
digungsschutz ist ein Nachteil für Arbeitsuchende, darum
mehr sachgrundlose Befristungen. Um es gleich klarzu-
Zu Protokoll
stellen: Letzteres ist Unfug. Über die beschäftigungspoli-
tischen Wirkungen des Kündigungsschutzes können wir
uns gerne noch die nächsten zehn Jahre streiten. Ich
würde mal sagen, wenn es ein Ergebnis aus den Hunder-
ten von Untersuchungen zu diesem Thema gibt, dann,
dass es nicht nachweisbar ist, dass Kündigungsschutz
eine negative Beschäftigungswirkung hat. Warum ihn
also für ein Phantom opfern?

Gegen den Antrag der FDP sprechen aber auch genü-
gend andere Gründe. Die FDP kann es noch so gut mit
den Arbeitsuchenden meinen – wenn ein Vorschlag an
verfassungsrechtliche Grenzen stößt, ist Schluss. Dann
ist es völlig egal, ob ein Änderungsvorschlag nützt, oder
doch, weil die Beschäftigungswirkung anders ist als er-
wartet, Arbeitsuchenden schadet.

Die FDP will eine Regelung, die es erlaubt, Arbeit-
nehmer ein Leben lang für jeweils bis zu zwei Jahre an-
zustellen. Einzige Einschränkung: Zwischen den einzel-
nen Befristungen sollen die Arbeitnehmer drei Monate
pausieren. In dieser Zeit können sie zum Beispiel von Ar-
beitslosengeld leben. Damit wäre der Kündigungsschutz
praktisch außer Kraft gesetzt. Welchen Anreiz könnte es
für einen Arbeitgeber geben, unbefristet einzustellen,
wenn er den Kündigungsschutz ein für alle Mal vermei-
den kann?

Die Gefahr, dass der Arbeitnehmer gerade in den drei
Monaten Pause zu einem anderen Arbeitgeber abwan-
dert, ist gering – leider. Denn in der Regel findet ein Ar-
beitnehmer erst sechs Monate nach Verlust seines letzten
Arbeitsplatzes eine neue Stelle. Der Normalarbeitsu-
chende steht seinem letzten Arbeitgeber also nach drei
Monaten wieder zur Verfügung. Im Zweifel ein Leben
lang – nicht anders als ein unbefristet Beschäftigter. Nur
dass der Arbeitnehmer bei jeder Pause damit rechnen
muss, dass sein Arbeitgeber es sich dieses Mal vielleicht
doch anders überlegt und nicht mehr will.

Die Verfassung fordert aber einen Mindestkündi-
gungsschutz. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen ist der
Kündigungsschutz für den Zeitpunkt der Befristung auf-
gehoben. Wenn sie eine gleichwertige Option neben
unbefristeten Arbeitsverhältnissen sind, ist auch der
Mindestkündigungsschutz beseitigt. Der Gesetzgeber hat
dies im Jahr 2001 erkannt. Darum wurde eine Regelung,
wie die FDP sie nun wieder vorschlägt und die wir fast
identisch bereits fünf Jahre lang hatten, wieder abge-
schafft.

Die FDP und die Verfassung – ohnehin kein harmoni-
sches Paar. Für die nächste Wahlperiode verspricht die
FDP auch wieder einmal die faktische Abschaffung der
Tarifautonomie – mittels Erlaubnis von Tarifvertragsab-
weichungen durch Betriebsvereinbarungen. Der Arbeit-
geber kann dann schlicht wählen: Wenn er keinen Streik
möchte, regelt er einfach alles mit dem Betriebsrat. Die
Gewerkschaften könnten dann vielleicht noch hier und
da Empfehlungen abgeben – ganz unverbindlich natür-
lich. Die Verfassung sieht auch das anders.

Mit ihrem Antrag möchte die FDP angeblich aber
auch Arbeitgeber davor bewahren, einen Bewerber ver-
sehentlich unbefristet einzustellen. Das stehe zu befürch-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Anette Kramme
ten, wenn ein Arbeitgeber mal den Überblick verliert,
welche Bewerber früher schon einmal bei ihm beschäf-
tigt waren. Diese Sorge hingegen ist unbegründet. Der
Arbeitnehmer wird sicher nicht vergessen haben, ob er es
schon einmal mit demselben Arbeitgeber zu tun hatte.
Man kann den Bewerber also fragen. Und wenn er lügt,
kann man den Vertrag anfechten.

Die Linke möchte dagegen den Kündigungsschutz
stärken – über einen Umweg. Sie will, dass sachgrund-
lose Befristung nicht mehr zulässig ist. Ich denke ebenso.
Und unser Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU enthält
auch dieses Vorhaben. Zwar darf kein Arbeitgeber ge-
zwungen sein, einen Arbeitnehmer weiterbeschäftigen zu
müssen, von dem er sich aus nachvollziehbaren Gründen
trennen will. Aber Arbeitgeber sollten die Gründe für ih-
ren Trennungswunsch kommunizieren müssen. Von einem
erst letzte Woche gefeierten Jubilar, von Jürgen
Habermas, konnten wir lernen, dass wir nur dann eine
Chance haben, unsere Gesellschaft auf Vernunft zu grün-
den, wenn wir kommunikativ handeln und in der Lage
sind, Akzeptanz für unsere Entscheidungen zu erzeugen.
Sachgrundlose Befristungen braucht, wer eben nicht be-
gründen kann, dass er sich von einem Arbeitnehmer tren-
nen will.

Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, auch
der Einstellungsanspruch für befristet Beschäftigte:
schöne Ideen, leider im Augenblick nicht machbar mit
dem Koalitionspartner. Darum eine pragmatisch moti-
vierte Ablehnung auch des Linken-Antrags. Ob es der
Linken besonders leidtut um diesen Antrag, ist ohnehin
zweifelhaft. Für die nächste Wahlperiode hat sie sich die
Begrenzung befristeter Beschäftigung jedenfalls nicht
mehr vorgenommen. Oder das Thema wurde im Wahlpro-
gramm vergessen.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1623047700

Wir wollen mehr Flexibilisierung auf dem Arbeits-

markt. Die Einschränkung im Teilzeit- und Befristungs-
gesetz, wonach eine sachgrundlose Befristung ausge-
schlossen ist, wenn mit dem Arbeitnehmer früher schon
ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis be-
standen hat – und sei es nur formal für einen Tag, ist ein
Einstellungshindernis. Von älteren Arbeitnehmern sind
oft keine Unterlagen mehr vorhanden, und der bürokrati-
sche Rechercheaufwand ist unter Umständen enorm
hoch, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht an-
greifbar machen wollen. Kontakte, die man als Prakti-
kant bei einer solchen Beschäftigung in einem Unterneh-
men geknüpft hat, sind für eine spätere Bewerbung auf
eine befristete Stelle nicht nutzbar.

Deshalb fordern wir statt einer lebenslangen Sperre
ein Verbot wiederholter Beschäftigung vor Ablauf von
drei Monaten. Dieser Zeitrahmen ist aus unserer Sicht
ausreichend, um Kettenarbeitsverträge zu verhindern.
Mit diesen verbesserten Rahmenbedingungen wären Ein-
stellungen wesentlich leichter geworden. Leider konnten
wir in den Beratungen noch keine Mehrheit für unsere
Position finden. Stattdessen hat die schwarz-rote Bun-
desregierung in ihrer unsäglichen Weisheit die theoreti-
sche Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes erneut verlän-
Zu Protokoll
gert und damit Großbetrieben erneut den Weg in die
Frühverrentung von älteren Arbeitnehmern eröffnet.

Die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung von
Arbeitsverträgen ermöglicht es Arbeitsuchenden, insbe-
sondere denen, die länger arbeitslos waren, wieder ins
Berufsleben einzusteigen. Sie können ihre Leistungsfä-
higkeit beweisen und damit ihre Chancen auf Weiterbe-
schäftigung verbessern. Zudem müssen gerade jetzt Un-
ternehmen wegen der unsicheren Auftragslage wieder
verstärkt befristet einstellen.

Es ist an der Zeit, dieses lebenslange Arbeitsverbot
aufzuheben. Dem Antrag der Linken auf Streichung der
Möglichkeit, ohne Sachgrund Arbeitsverhältnisse auf
zwei Jahre befristen zu können, können wir gar nicht fol-
gen, weil damit gerade beruflichen Neu- oder Wiederein-
steigern konkrete Chancen auf Beschäftigung verschlos-
sen werden.

Die Arbeitsmarktpolitik der schwarz-roten Regierung
war ebenso wenig erfolgreich wie die Arbeitsmarktpoli-
tik der rot-grünen Regierung. Es ist Zeit für einen Politik-
wechsel. Wir brauchen mehr Flexibilität, damit Arbeits-
plätze geschaffen und erhalten werden können – nicht
noch mehr Regulierung. Wir fordern deshalb die grund-
legende Reform der Arbeitsverwaltung mit einer
Stärkung des Versicherungsprinzips in der Arbeitslosen-
versicherung, die Reform des Tarifvertragsrechts zur Si-
cherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit sowie ein
zeitgemäßes Kündigungsschutzrecht, das nicht nur dem
Schutz der Beschäftigten dient, sondern auch Arbeits-
losen die Chance auf einen Wiedereinstieg in Beschäfti-
gung einräumt.

Gerade im Interesse mittelständischer Betriebe sind
ein flexibilisiertes und entbürokratisiertes Betriebsver-
fassungsgesetz und Lockerungen im Teilzeit- und Befris-
tungsgesetz notwendig, damit sie zeitnah auf sich verän-
dernde Auftragslagen reagieren können.


Werner Dreibus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623047800

Ich möchte meine Rede mit der Frage beginnen: Was

ist gute Arbeit? Die meisten Menschen antworten darauf:
Die Arbeit muss sicher sein, und sie muss anständig be-
zahlt sein. Arbeit soll nicht krank machen. Der Beruf
sollte mit Familie, Freunden und Hobbys gut vereinbar
sein. Sie möchten mitbestimmen können, was sie machen
und wie sie ihre Arbeit machen.

Mehr als 80 Prozent der Beschäftigten halten ein un-
befristetes Arbeitsverhältnis für ein wichtiges Element
guter Arbeit. Der DGB-Index Gute Arbeit 2009, der in
der vergangenen Woche der Öffentlichkeit vorgestellt
wurde, zeigt: Befristet Beschäftigte sind mit ihrer Arbeit
überdurchschnittlich oft unzufrieden. 41 Prozent der Be-
schäftigten mit befristetem Arbeitsvertrag bewerten ihre
Arbeit als schlecht. Nur 9 Prozent halten ihre Arbeit für
eine gute Arbeit. Auch von den unbefristet Beschäftigten
bewerten 32 Prozent ihre Arbeit als schlecht und nur
12 Prozent als gut. Hier spielen die anderen Dimensio-
nen von Arbeit eine wichtige Rolle. So herrscht bei den
Beschäftigten in Bezug auf ihr Einkommen die größte
Unzufriedenheit.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Werner Dreibus
Die befristete Beschäftigung hat wie alle anderen For-
men der prekären Beschäftigung in den letzten Jahren ei-
nen Boom erlebt. Hatten im Jahr 2000 bereits 4,08 Mil-
lionen Menschen einen befristeten Arbeitsvertrag, waren
es im Jahr 2008 sogar 4,95 Millionen. Das bedeutet ei-
nen Anstieg um 866 000 oder 17,5 Prozent in nur acht
Jahren. Im gleichen Zeitraum haben die Teilzeitarbeit um
mehr als 1 Million, die Minijobs um 830 000 und die
Leiharbeit um 460 000 zugenommen. Demgegenüber
steht ein Verlust von fast 1,5 Millionen sozialversiche-
rungspflichtigen Vollzeitstellen. Und auch die Niedrig-
lohnbeschäftigung hat deutlich zugenommen. Zwischen
den Jahren 2000 und 2006 ist der Anteil der Beschäftig-
ten, die zu Niedriglöhnen arbeiten müssen, von 17,5 auf
22,2 Prozent gestiegen. 6,5 Millionen Menschen arbeite-
ten im Jahr 2006 zu Niedriglöhnen; von den Millionen
Arbeitslosen, die in Hartz IV stecken und die bereits in
den Jahren des Aufschwungs keine Chance auf eine ver-
nünftige Arbeit hatten, ganz zu schweigen.

Meine Damen und Herren von SPD, CDU/CSU und
Bündnis 90/Die Grünen, das ist der Erfolg Ihrer Arbeits-
marktpolitik! Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten
und die Drangsalierung der Arbeitslosen wurden von
Rot-Grün mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen
begonnen. Die Große Koalition hat diese arbeitnehmer-
feindliche Politik nahtlos weitergeführt mit der Folge,
dass das prekäre, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnis für
viele Beschäftigte heute immer mehr zur Norm wird.
Dass ich Ihnen jetzt nicht gratuliere, meine Damen und
Herren von der FDP, liegt schlicht daran, dass Sie in den
letzten Jahren nichts zu sagen hatten. Auch Sie setzen auf
die Förderung schlechter Arbeit. Das beweist Ihr Gesetz-
entwurf, mit dem Sie Befristungen noch weiter erleich-
tern wollen.

Wie unsicher diese Beschäftigungsverhältnisse tat-
sächlich sind, führt uns die Wirtschaftskrise drastisch vor
Augen. Mehr als 100 000 Leiharbeiterinnen und Leihar-
beiter wurden gleich zu Beginn der Krise entlassen. In
vielen Betrieben, die von der Krise betroffen sind, wur-
den und werden die Verträge der befristet Beschäftigten
nicht mehr verlängert, auch sie stehen bereits massenhaft
auf der Straße. Schnellere und häufigere Arbeitslosigkeit
sind nur der drastischste Ausdruck der systematischen
Schlechterstellung von prekär Beschäftigten. Welche ver-
heerenden Konsequenzen dies für das Leben der Betrof-
fenen hat, haben wir in unserem Antrag und in der ersten
Lesung bereits ausführlich dargelegt. Schlechte Arbeit
ermöglicht kein gutes Leben.

Angesichts der Prognosen der Wirtschaftsinstitute, die
einhellig voraussagen, dass die Wirtschaftskrise erst in
den nächsten Monaten richtig auf den Arbeitsmarkt
durchschlagen wird, müssen wir jetzt verhindern, dass
die Krise zu einer neuen Runde der Erpressung der Be-
schäftigten genutzt wird und schlechte Arbeit und pre-
käre Beschäftigung noch weiter zunehmen. Es ist an der
Zeit, dass Sie die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der letzten
Jahre korrigieren. Lehnen Sie den Gesetzentwurf der
FDP ab. Stellen Sie die Weichen für einen Boom der gu-
ten Arbeit. Machen Sie einen ersten Schritt und stimmen
Sie unserem Antrag zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, noch ein Wort an Sie: Wenn Sie, wie Sie in
Zu Protokoll
der ersten Lesung und in der Beratung des Fachaus-
schusses gesagt haben, dem Antrag inhaltlich zustimmen
können, dann stimmen Sie ihm zu! Sie werden von den
Menschen nicht daran gemessen, wie Sie den Koalitions-
vertrag erfüllen. Sie werden daran gemessen, was Sie
konkret getan haben, um die Bedingungen für die Be-
schäftigten zu verbessern.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623047900

In den vergangenen Jahren wurde im Verlauf der gu-

ten Konjunkturentwicklung in vielen Großbetrieben und
auch im öffentlichen Dienst neben den Kernbelegschaf-
ten in steigendem Umfang eine flexible Randbelegschaft
aufgebaut. Zehn Prozent aller Beschäftigten müssen sich
inzwischen mit einem befristeten Arbeitsvertrag zufrie-
dengeben. Betroffen sind vor allem junge Menschen,
Frauen und Geringqualifizierte. Bei ihnen ballen sich die
Risiken der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Sie ver-
dienen wenig, sind bei Fort- und Weiterbildung fast im-
mer außen vor und verlieren in der Krise als Erste ihren
Arbeitsplatz. Viele haben dann aufgrund der geringen
Beschäftigungsdauer keinen Anspruch auf Arbeitslosen-
geld I. Die aktuellen Zahlen belegen das Problem: In den
ersten fünf Monaten des Jahres sind 1,8 Millionen Men-
schen arbeitslos geworden. Mehr als jeder Vierte war so-
fort auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Andere haben
zwar Anspruch auf Arbeitslosengeld I, aber aufgrund ih-
res niedrigen Lohnes reicht die Versicherungsleistung
nicht zum Leben.

Die Lösung der mit der zunehmenden Flexibilisierung
auf dem Arbeitsmarkt verbundenen Probleme liegt aber
weder in der einfachen Rückkehr zum „Normalarbeits-
verhältnis“ – und dann wird alles gut –, so wie sich die
Linke das offensichtlich vorstellt, noch hilft mehr Flexi-
bilität à la FDP. Darauf genau laufen aber der Antrag
der Linken und der Gesetzentwurf der FDP jeweils unter
dem Strich hinaus. Beides lehnen wir ab.

Sie, meine Damen und Herren von der Linken, wollen
die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen ein-
fach abschaffen. Das bedeutet aber definitiv weniger Ar-
beitsplätze. Unternehmen, die expandieren wollen, sich
aber ihres Erfolges nicht sicher sind, würden ihr Vorha-
ben dann allein mit Überstunden realisieren, ohne neue
Stellen zu schaffen. Und: Befristete Arbeitsverträge, un-
abhängig davon, ob sie sachgrundlos oder begründet be-
fristet sind, führen nicht per se nur zu Problemen. Zahl-
reiche Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland etwa
40 Prozent der befristet Beschäftigten nach einem Jahr
und zwei Drittel nach drei Jahren einen Dauerarbeits-
platz gefunden haben. Das ist gut so.

Die FDP dagegen will die Regelungen zur sachgrund-
losen Befristung von Arbeitsverträgen lockern, um zu-
künftig zu verhindern, dass diejenigen keine Chance auf
einen solchen Vertrag haben, die zuvor irgendwann
schon einmal bei demselben Unternehmen beschäftigt
waren. Das Ziel ist ehrenwert, aber der Lösungsvor-
schlag – die jetzige Regelung durch eine dreimonatige
Beschäftigungspause zu ersetzen – führt unweigerlich zu
Kettenverträgen und ist von daher mangelhaft. Selbst der



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
Deutsche Industrie- und Handelskammertag hält eine
Wartefrist von sechs Monaten für notwendig.

Flexibilität darf keine Sackgasse für die Beschäftigten
sein. Darum brauchen wir einen grundlegenden Per-
spektivwechsel, um zu verhindern, dass die zunehmende
Ausdifferenzierung des Arbeitsmarktes einhergeht mit ei-
ner immer tieferen Spaltung und Entsolidarisierung der
Gesellschaft. Dafür stehen wir Grünen mit unseren Vor-
schlägen für mehr Sicherheit in einer flexibilisierten Ar-
beitswelt, die wir in etlichen Initiativen hier im Bundes-
tag zur Diskussion gestellt haben. Wir fordern gleiche
Bezahlung und gleiche Behandlung für Leiharbeit, einen
gesetzlichen Mindestlohn für alle Beschäftigten, eine
bessere Absicherung durch die Arbeitslosenversicherung
für flexible Arbeitsverhältnisse und nicht zuletzt eine bes-
sere Absicherung im Rahmen der Grundsicherung.
Denn: Flexibilität braucht zuallererst Sicherheit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623048000

Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 56 a:

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
FDP zur Lockerung des Verbots wiederholter Befristun-
gen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/12092, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/10611 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mehrheitlich ab-
gelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 56 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen, unbe-
fristete Beschäftigung stärken“. Unter Nr. 2 empfiehlt
der Ausschuss auf Drucksache 16/12092, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9807 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a und b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz,
Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den
Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Inte-
gration von Ausländern im Bundesgebiet

(Aufenthaltsgesetz – AufenthG)


– Drucksache 16/13160 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim
Dağdelen, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung des Aufent-
haltsgesetzes (Änderung der Altfallregelung)


– Drucksache 16/12415 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/13494 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Verlängerung der Frist für die gesetzliche Alt-
fallregelung

– Drucksachen 16/12434, 16/13494 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1623048100

Die Debatte über eine Verlängerung der Altfallrege-

lung ist aus mehreren Gründen unehrlich. Wir wissen im
Augenblick überhaupt nicht, wie viele Personen von den
Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise so
sehr betroffen sind, dass für sie eine Verlängerung der
Altfallregelung überhaupt nötig wäre. Entsprechende
Zahlen sollen von den Ländern geliefert werden, liegen
aber noch nicht vor.

Ich frage mich auch, wie die Fallkonstellation über-
haupt sein müsste, dass jemand ausschließlich durch die
jetzt schwierigere Arbeitsmarktlage betroffen sein
könnte. Wer nach dem Inkrafttreten der Altfallregelegung
am 28. August 2007 beschäftigt war und jetzt wegen der
Krise arbeitslos werden würde, der hat doch nichts zu be-
fürchten, weil er überwiegend in einem Beschäftigungs-
verhältnis tätig war und deswegen seine Perspektive
auch sehr gut ist.

Wer bisher keine Arbeit gefunden hat, dem würde es
auch nichts nützen, wenn wir jetzt in einer Hochkonjunk-
turphase wären, weil nach unserer Regelung nur dann
eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Betracht
gekommen wäre, sofern der betroffene Ausländer in den
letzten neun Monaten vor dem 31. Dezember 2009 unun-
terbrochen in Arbeit gewesen wäre. Diese Frist ist er-
sichtlich abgelaufen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als im
Frühjahr die Arbeitsmarktlage noch deutlich besser war
als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Altfallregelung
im Herbst 2007.

Das bedeutet: Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise
haben im Kern mit der Altfallregelung nichts zu tun. Man
muss das ganz klar sagen: Wer bis jetzt keine Arbeit ge-


(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
funden hat, der hat die Chance, die ihm der Gesetzgeber
eingeräumt hat, nicht genutzt, und der muss in seine
Heimat zurückgeführt werden.

Wir haben als Union immer gesagt: Wir wollen nicht
eine Altfallregelung, bei der diejenigen, die ihrer Pflicht
zur Ausreise nicht nachgekommen sind, am Ende noch
prämiert werden. Wir haben immer gesagt: Die Altfallre-
gelung ist dann gerechtfertigt, wenn sich die Betroffenen
aus nicht von ihnen verschuldeten Gründen sehr lange in
Deutschland aufgehalten haben, wenn sie diese Zeit ge-
nutzt haben, sich zu integrieren, und wenn es auch ein
wirtschaftliches Interesse an ihrem Aufenthalt in
Deutschland gibt.

Wir haben damals gesagt, wer sich durch Arbeit selbst
versorgen kann, wer sprachlich integriert ist, wer seine
Kinder erfolgreich auf die Schule geschickt hat, der soll
eine Perspektive für ein Leben in unserem Land haben.
Für uns war die Altfallregelung also nie nur eine Frage
der Frist, wie lange jemand in Deutschland lebt, sondern
wir haben diese Regelung immer mit einer integrations-
und wirtschaftspolitischen Komponente verbunden.

Insofern ist es auch kontraproduktiv, dass seit Mona-
ten die Opposition und auch einige Verbände und
Interessengruppen diese Debatte über eine mögliche
Verlängerung der Altfallregelung führen. Sie lassen da-
durch die Antriebskräfte der betroffenen Ausländer er-
lahmen, sich um eine Arbeitsaufnahme nun verstärkt zu
bemühen, wenn sie den Betroffenen suggerieren, sie dürf-
ten auf jeden Fall in Deutschland bleiben. Dass sie da-
durch auch massiv in schwieriger Zeit die Sozialkassen
der Länder und Kommunen belasten, sei nur am Rande
erwähnt.

Integration ist keine Einbahnstraße. Dies bedeutet
auch, auf eine Beendigung des Aufenthalts derjenigen
hinzuwirken, die sich in der sozialen Hängematte ausru-
hen oder die Rechtsordnung unseres Landes missachten.
Wer an dieser Stelle nicht konsequent bleibt, schafft An-
reize für illegale Migration und Schleusungskriminalität.
Damit wäre weder den Interessen der deutschen
Bevölkerung noch denjenigen unserer rechtmäßig hier
lebenden ausländischen Mitbürger gedient.

Diejenigen, die jetzt eine Fristverlängerung ver-
langen, zielen in Wahrheit auf ein allgemeines Blei-
berecht ab und benutzen die Wirtschaftskrise nur als
argumentatives Vehikel. Sie verfahren im Grunde nach
dem Motto: Wer unter die Altfallregelung fällt, darf
bleiben, und wer nicht unter die Altfallregelung fällt, der
darf auch bleiben. Das ist unehrlich und das lehnen wir
ab.

Wir haben auch nie gesagt, dass wir generell Ketten-
duldungen abschaffen wollen. Es gibt eine Vielzahl von
Asylbewerbern, die über ihre Identität getäuscht und die
ihren Reiseweg verschleiert haben, und deren Rückfüh-
rung aufgrund dieser Gesetzesverstöße bisher geschei-
tert ist. Denen wollen wir auf keinen Fall ein Bleiberecht
einräumen. Die müssen auf jeden Fall wieder in ihre Hei-
mat zurückgeführt werden.

Und deshalb will ich für unsere Fraktion auch beto-
nen: Sollte es Gründe geben, weshalb man aus humani-
Zu Protokoll
tären Überlegungen doch zu einer Fristverlängerung
kommen sollte – über die der Bundestag in der neuen Le-
gislaturperiode sehr schnell entscheiden könnte – dann
werden wir das mit der Frage verbinden, was denn mit
denen geschehen soll, die auf keinen Fall unter die Alt-
fallregelung fallen, weil sie zum Beispiel während ihres
Aufenthalts in Deutschland kriminell geworden sind.
Dann müssen wir uns über die Beseitigung von
Abschiebehindernissen unterhalten. Hier sehen wir ein
klares Junktim. Es kann keine Ausdehnung einer Altfall-
regelung geben, ohne dass nicht gleichzeitig durch ent-
sprechende Gesetzesänderungen die Rückführung von
ausreisepflichtigen Personen erleichtert wird.

Im Übrigen – auch da werden ja merkwürdige Szena-
rien verbreitet – muss niemand, der seine „Aufenthalts-
erlaubnis auf Probe“ verlieren würde, seine sofortige
Abschiebung zum 1. Januar 2010 befürchten. Sollte eine
politische Einigung über eine Fristverlängerung erzielt
werden, kann der Aufenthalt für die Betroffenen auf
administrativem Wege gesichert werden, selbst wenn wir
erst im Frühjahr 2010 zu einer Gesetzesänderung
kommen sollten. Wer anderes behauptet, der verunsichert
in fahrlässiger Weise die betroffenen Menschen.

Ich will nochmals betonen: Gesetze sollten nicht ins
Blaue hinein verändert werden, sondern in Kenntnis der
Faktenlage. Wir haben noch keine belastbaren Zahlen,
wie viele jetzt überhaupt in Schwierigkeiten kommen
können. Niemandem droht die sofortige Abschiebung.
Insoweit gibt es jetzt keinen Grund zur Eile.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1623048200

Als sich Union und SPD vor dreieinhalb Jahren zur

Großen Koalition zusammentaten, schrieben sie sich be-
kanntermaßen folgenden Prüfauftrag in den Koalitions-
vertrag: „Wir werden das Zuwanderungsgesetz anhand
der Anwendungspraxis evaluieren. Dabei soll insbeson-
dere auch überprüft werden, ob eine befriedigende Lö-
sung des Problems der sogenannten Kettenduldungen er-
reicht worden ist.“

Unser ursprüngliches und leider am Widerstand der
CDU/CSU im Bundestag und im Bundesrat gescheitertes
Ziel in der rot-grünen Koalition war es, mit dem Zuwan-
derungsgesetz die Duldung generell abzuschaffen. Im Er-
gebnis waren Ende des Jahres 2006 rund 180 000 Aus-
länder – darunter etwa 50 000 Kinder – lediglich im
Besitz einer Duldung; Zigtausende von ihnen schon
sechs bzw. acht oder noch mehr Jahre lang. Um diesen
Missstand zu beheben, verhandelte die Große Koalition
sehr kontrovers über eine gesetzliche Altfallregelung.
Heraus kam ein Kompromiss. Er war in der Öffentlich-
keit umstritten und er hat den Berichterstattern auf bei-
den Seiten viele Zugeständnisse abverlangt.

Letztlich zählt jedoch nur eines: Hat er den Menschen,
die wir erreichen wollten, geholfen? Und hier lautet die
Antwort: Ja. Ich habe immer gesagt, dass die Regelung
des § 104 a des Aufenthaltsgesetzes dann ein Erfolg ist,
wenn wir mit ihr und dem IMK-Beschluss mehr als
50 000 Menschen den Weg in die Aufenthaltserlaubnis
ebnen können. Die jüngste umfassende Auswertung mit
Stand vom 31. März 2009 verdeutlicht, dass dies Ziel er-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit
reicht worden ist. Die Länder haben 33 371 Personen ge-
meldet, die eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 104 a,
104 b des Aufenthaltsgesetzes erhalten haben. 24 271
Aufenthaltserlaubnisse wurden aufgrund der IMK-Blei-
berechtsregelung erteilt. Insgesamt erhielten also 57 642
ehemals Geduldete eine Aufenthaltserlaubnis.

Heute geht es um die Frage, ob der eben dargestellte
Erfolg auf der Kippe steht. Und das tut er: Von den
33 371 Aufenthaltserlaubnissen, die nach der gesetzli-
chen Altfallregelung erteilt wurden, sind 26 993 auf
Probe erteilt. Das bedeutet: Auch sie müssen bis Ende
2009 ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst verdie-
nen können. Uns allen dürfte klar sein, dass das, nicht je-
dem gelingen wird. Das hat sicher viele Ursachen, aber
sicher ist auch, dass, als wir die Frist „Dezember 2009“
beschlossen haben, keiner von uns die einschneidende
Wirtschaftskrise des Jahres 2008, die im weiteren Verlauf
des Jahres 2009 ihre Auswirkungen auf dem Arbeits-
markt noch stärker als heute zeigen wird, voraussehen
konnte. Dazu kommt, dass viele der Betroffenen über
Jahre vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren und Zeit
benötigen, um sich zu integrieren. Hierbei können sie mit
dem Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstüt-
zung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang
zum Arbeitsmarkt unterstützt werden. Dieses Programm
wurde aber erst im Juni 2008 aufgelegt. Die einzelnen
Projekte haben ihre Arbeit zwischen September 2008 und
Januar 2009 aufgenommen. Sie konnten bislang noch
kaum Wirkung entfalten.

Mit milliardenschweren Konjunkturpaketen, die in der
Geschichte unserer Republik ohne jedes Beispiel sind,
versuchen wir, die absehbare negative Wirtschaftsent-
wicklung zumindest abzufedern. Mit der gleichen logi-
schen Konsequenz sollten wir als Gesetzgeber aber auch
überall dort handeln, wo ansonsten unbeabsichtigte
Konsequenzen drohen. Da haben vormals nur geduldete
ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger eben auch
schlechtere Chancen, unter den erschwerten Wirtschafts-
und Arbeitsmarktbedingungen ihre Arbeitsstelle zu be-
halten oder eine neue zu finden.

Wir sind der Meinung, dass es fatal wäre, wenn in-
folge dessen eine große Zahl derer, die die Aufenthaltser-
laubnis auf Probe erhalten haben, zurück in die Duldung
fielen. In ihrem Interesse haben wir mit allen im Bundes-
tag vertretenen Fraktionen diskutiert, und natürlich vor
allem auch mit unserem Koalitionspartner. Wir wollten
die Frist des § 104 a Abs. 5 AufenthG bis zum Jahresende
2011 verlängern. Die Verlängerung der Aufenthaltser-
laubnis auf Probe sollte am besten unmittelbar kraft Ge-
setzes erfolgen, ohne dass es eines neuen Verwaltungsak-
tes im Einzelfall bedurft hätte.

Seien wir einmal ehrlich: Im Grunde wäre es sogar
am sinnvollsten, wenn alle diejenigen, die in den Anwen-
dungsbereich der gesetzlichen Härtefallregelungen ge-
kommen sind, nach Fristablauf eine dauerhafte Aufent-
haltserlaubnis erhalten würden. Mit Fristablauf werden
sich diese Menschen dann auf jeden Fall acht bzw. zehn
Jahre in Deutschland aufhalten, manche auch noch viel
länger. Diese Menschen werden in den meisten Fällen
sowieso nicht abgeschoben werden können. Statt eines
Zu Protokoll
weiteren Lebens auf dem Abstellgleis sollten wir endlich
anfangen, sie vernünftig zu integrieren.

Zwar hatte die Union diesbezüglich zunächst Ge-
sprächsbereitschaft signalisiert, schließlich haben je-
doch sowohl der Berichterstatter, der Kollege Grindel,
als auch der Bundesinnenminister Dr. Schäuble deutlich
gemacht, dass es mit der Union in dieser Legislatur keine
Änderung der gesetzlichen Altfallregelung geben wird.
Auch auf der letzten IMK in Bremerhaven Anfang Juni
konnte keine Verlängerung der Frist erreicht werden. Mit
anderen Worten: Unsere Bemühungen, noch in dieser Le-
gislatur eine Verlängerung der Frist der gesetzlichen Alt-
fallregelung zu erreichen, sind gescheitert. Es wird zu
keiner Änderung des Aufenthaltsgesetzes mehr kommen.
Das bedauere ich sehr, vor allem für die Betroffenen.

Auch wenn es nach der Bundestagswahl zu einer Re-
gelung kommen sollte – ich gehe davon aus, dass kaum
einer derjenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe
erhalten haben, gleich ab 1. Januar 2010 abgeschoben
wird – ist es für die Betroffenen eine neuerliche unerträg-
liche Hängepartie, die auch unter Integrationsgesichts-
punkten einfach grausam und überflüssig ist und für
unsere Gesellschaft und den Steuerzahler unnötig belas-
tend.

Die Gedanken und Vorschläge, die in den Anträgen
der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke ent-
halten sind, sind richtig und wir haben sie, wie dargelegt,
längst schon selbst verfolgt und versucht, umzusetzen.
Aber da die Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus und
im Bundesrat momentan noch so sind, wie sie sind, muss
ich leider empfehlen, den Antrag abzulehnen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Die Reform des Bleiberechts durch die Bundesregie-

rung im Sommer 2007 war ein längst überfälliger Schritt.

Wenn bei lange geduldeten, gut integrierten Auslän-
dern eine Abschiebung nicht mehr vertretbar ist, muss
dieser Tatsache durch eine vernünftige und unbürokrati-
sche Regelung Rechnung getragen werden.

Doch die entscheidenden Kriterien waren und sind
„lange geduldet“ und „gut integriert“. Aus Sicht der
FDP muss die tatsächliche Integration das entschei-
dende Kriterium sein, nachgewiesen durch eigenständi-
gen Lebensunterhalt, deutsche Sprachkompetenz und Ak-
zeptanz im persönlichen sozialen Umfeld auch außerhalb
der Migrantengesellschaft.

Der eigenständige Lebensunterhalt ist dabei von ent-
scheidender Bedeutung. Das Zahlenmaterial, das Grüne
und Linke in den vorliegenden Anträgen zitieren, deutet
genau darauf hin, dass dies eine für die Integration sehr
bedeutsame Anforderung ist.

Es ist berechtigt, die Frage nach der Perspektive eines
gesicherten Lebensunterhaltes zu stellen, und es ist zu-
tiefst inhuman, Menschen eine Aufenthaltsperspektive
vorzugaukeln, die ihren Lebensunterhalt hier nicht selbst
verdienen können. Wer so etwas tut, der hält Alimentie-
rung für humane Politik. Eine dauerhafte Unterstützung
durch den Staat ist weder für den oder die Betroffene eine



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

freiheitliche, eigenverantwortlich gestaltbare Perspek-
tive, noch ist die gesellschaftliche Akzeptanz hierfür ge-
geben.

Wir Liberalen halten es dagegen für besser, Menschen
Chancen für ein erfülltes Leben zu eröffnen. In diesem
Zusammenhang wird einmal mehr deutlich: Arbeit ist ein
bedeutender Integrationsfaktor. Der Zusammenhang von
Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsrecht muss deshalb eine
besondere Aufmerksamkeit finden.

Arbeit ermöglicht den Zuwanderern, finanziell auf ei-
genen Beinen zu stehen, und fördert dadurch das Selbst-
wertgefühl nicht nur des Berufstätigen, sondern auch der
Familienangehörigen. Sie ermöglicht soziale Kontakte
und schafft Akzeptanz in der Bevölkerung. Dies ist auch
im Interesse der Gesellschaft als Ganze. Ohne gleichbe-
rechtigten Arbeitsmarktzugang können Zuwanderer sich
nicht aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit befreien. Er-
werbstätigkeit ist die Grundlage für wirtschaftliche Ei-
genständigkeit.

Deshalb ist es notwendig, dass mit der Aufenthalts-
erlaubnis automatisch auch die Aufnahme einer Er-
werbstätigkeit ermöglicht wird. Die große Schwierigkeit
einer sinnvollen Bleiberechtsregelung besteht darin, ei-
nerseits den unhaltbaren Zustand der Kettenduldungen
abzuschaffen, andererseits aber die Zuwanderung nach
Deutschland so zu steuern, dass diese auch nachhaltige
Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern findet. Auch
hier muss die Integration die Leitlinie sein.

Dazu gehört, die Arbeitsmarktverhältnisse zu akzep-
tieren und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen
klar zu ziehen: Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung.
Gerade in diesem Zusammenhang müssen wir endlich
auch beim Problem der sogenannten Altfälle den Tatsa-
chen ehrlich ins Auge schauen. Dazu gehört auch, klar zu
sagen, wer im Hinblick auf den Arbeitsmarkt in Deutsch-
land eine Perspektive hat und wer nicht.

Wer dem Daueraufenthaltsrecht Letzterer in vermeint-
lich humanitärer Gesinnung das Wort redet, riskiert die
steigende Ablehnung der Bevölkerung gegen Zuwande-
rer und könnte den Boden für gesellschaftliche Spannun-
gen aufgrund des Vorwurfs der Ausnutzung des Sozial-
systems bereiten. Behutsamkeit in der Argumentation ist
wichtig.

Der Antrag der Linken hat exakt die entgegengesetzte
Zielsetzung: Er verneint die Notwendigkeit einer eigen-
ständigen Lebensunterhaltssicherung für Menschen, die
ein Aufenthaltsrecht in Deutschland suchen, und akzep-
tiert ausdrücklich, dass er „Kosten in unbekannter Höhe
durch die Gewährung von Sozialleistungen“ verursacht.
Eine solche Rücksichtslosigkeit gegenüber unserem
Sozialsystem trägt die FDP nicht mit.

Der Antrag der Grünen ist dagegen diskussionswür-
dig. Zwar weckt er ebenfalls Zweifel an der aus Sicht der
FDP unverzichtbaren Forderung nach selbstverdientem
Lebensunterhalt, der ergänzenden SGB-II-Anspruch aus-
schließt. Allerdings weisen die Grünen zu Recht darauf
hin, dass die Bundesregierung lange Zeit geduldete Men-
schen durch ein Arbeitsverbot an der Integration in den
Arbeitsmarkt gehindert hat. Zudem wollen die Grünen
Zu Protokoll
nicht das „Aufenthaltsrecht auf Probe“ durch das Auf-
enthaltsrecht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ersetzen, wie das
die Linkspartei tut, sondern nur die Fristsetzung, bisher
31. Dezember 2009, verlängern.

Das hält auch die FDP für notwendig, da nach der
Neuwahl des Bundestages eine neue Gesetzgebung für
eine praktikable Umsetzung zu kurzfristig ist. Deshalb
haben wir einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Die
„Kettenduldungen“ müssen einer nachhaltigen Lösung
zugeführt werden. Wir brauchen für alle, insbesondere
für die bisher „Geduldeten“, Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit und damit einen eigenständigen, jeweils
befristeten Aufenthaltstitel. Die Diskussion hierzu
braucht Zeit. Gleichzeitig müssen aber die jetzt unter die
damals geänderte Bleiberechtsregelung fallenden Perso-
nen bis 2010 Sicherheit haben – bis in der neuen Legisla-
turperiode dann eine tragfähige Lösung gefunden wird.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623048300

Seit nun zwei Jahren ist eine sogenannte gesetzliche

Altfallregelung in Kraft. Demnach erhält ein Bleiberecht,
wer im Juli 2007 seit sechs bzw. acht Jahren in Deutsch-
land lebte und eine Reihe weiterer Kriterien erfüllt. Die
Linke hat von Beginn an darauf hingewiesen, dass diese
Altfallregelung völlig unzureichend ist, um den langjäh-
rig Geduldeten wirklich zu helfen. Denn zentral für den
Erhalt des Bleiberechts ist der Nachweis des eigenständi-
gen Lebensunterhalts. Dieses Gesetz trägt die Hand-
schrift derjenigen, die die ökonomische Nützlichkeit von
Migrantinnen und Migranten über jede humanitäre
Überlegung stellen.

Bisher haben die Menschen, die noch keine Arbeit ge-
funden haben, nur eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe
erhalten. Diese Menschen müssen nun fürchten, dass ih-
nen diese Aufenthaltserlaubnis am Ende des Jahres wie-
der weggenommen wird. Danach droht ihnen, weiterhin
jahrelang nur geduldet in Deutschland zu leben. Einige
haben auch die Abschiebung zu fürchten. Wir reden da-
bei wohlgemerkt über Menschen, die dann seit mindes-
tens achteinhalb Jahren in Deutschland leben, einige
noch viel länger. Und wir reden über Kinder, die das
Land noch nie zu Gesicht bekommen haben, in das sie
dann abgeschoben werden. Deshalb fordern wir mit un-
serem Gesetzentwurf, dass bei der Verlängerung der Auf-
enthaltserlaubnisse zum Jahreswechsel auf den Nach-
weis des eigenständigen Lebensunterhalts verzichtet
wird. Die Betroffenen sollen eine sichere Perspektive er-
halten.

Der nächste Bundestag wird nicht mehr rechtzeitig ein
Gesetz auf den Weg bringen können, mit dem diesen
Menschen geholfen werden kann. Allgemein ist es im
Aufenthaltsrecht so, dass ein Aufenthaltstitel erst einmal
weiter gilt, wenn seine Verlängerung beantragt ist. Das
ist in diesem Spezialfall anders – schon deshalb droht der
massenhafte Verlust von Aufenthaltserlaubnissen, so-
wohl den regulären als auch den „auf Probe“ erteilten.
Nur dieser Bundestag kann noch rechtzeitig eine Geset-
zesänderung beschließen, die den Menschen aus diesem
aufenthaltsrechtlichen Loch heraushilft.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
Die Probleme, denen sich die langjährig Geduldeten
ausgesetzt sehen, werden von genau dem Gesetz, das ih-
nen angeblich helfen sollte, verursacht. Denn nach jah-
relangem Arbeitsverbot musste die Anforderung, den ei-
genen Lebensunterhalt ohne Hilfe bestreiten zu können,
zu einem Aus-Kriterium für die Mehrheit der Betroffenen
werden. Die Zahlen bestätigen das. Seit Inkrafttreten der
Regelung erhielten 80 Prozent der Antragsteller nur eine
Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Das sind in Zahlen mehr
als 28 000 Menschen. Derzeit sind sie mit weiteren He-
rausforderungen konfrontiert: Zum einen hat der Bun-
dessozialgerichtshof die Grenzen heraufgesetzt, ab der
ein Einkommen als ausreichend gilt. Zum anderen, und
das ist viel gravierender: Viele der Betroffenen haben
auch aufgrund des jahrelangen Arbeitsverbots nur im
Bereich niedrig qualifizierter Beschäftigung eine
Chance, eine Anstellung zu erhalten. Genau in diesem
Bereich werden aber derzeit in der Krise Jobs einge-
spart.

Und da die Programme zur Integration langjährig
Geduldeter in den Arbeitsmarkt erst im vergangenen
Jahr angelaufen sind, können sie noch gar nicht die er-
wünschte Wirkung entfalten. Eine große Zahl von Wohl-
fahrtsverbänden, die sich in diesem Bereich engagieren,
hat den Bundestag deshalb um eine Verlängerung der
Altfallregelung gebeten. Aber aus ideologischer Bor-
niertheit und einer Mentalität der Abschottung haben
sich die Unionsvertreter noch nicht einmal von den
christlichen Kirchen hereinreden lassen, auf die sie sich
sonst so gern berufen.

Aber selbst wenn überraschenderweise doch noch
eine Regelung getroffen werden sollte, um den aktuell
Betroffenen zu helfen: Eine dauerhafte Lösung steht wei-
terhin aus. Weiterhin befinden sich Menschen in einer so-
genannten Kettenduldung. Statt ihnen nach einer gewis-
sen Frist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, müssen
sie sich von einer Duldung zur nächsten hangeln. Der
Aufenthalt von über 63 000 Menschen ist derzeit länger
als sechs Jahre nur geduldet. Und es werden ständig
mehr. Die Linke wird sich deshalb auch in der kommen-
den Legislaturperiode für eine dauerhafte Bleiberechts-
regelung einsetzen, die den humanitären Interessen der
Betroffenen gerecht wird.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das humanitäre Aushängeschild der Großen Koali-
tion – die sogenannte Altfallregelung – droht zu schei-
tern: In Deutschland leben derzeit immer noch fast
130 000 Personen mit einer Duldung bzw. einer soge-
nannten Aufenthaltsgestattung. Das ist das erste
Problem. Denn die Hälfte dieser Menschen lebten bereits
länger als sechs Jahre in Deutschland. Sie sollten eben-
falls den Anspruch auf eine Bleibeperspektive in
Deutschland haben. Da die Große Koalition aber zu
keiner strukturellen Lösung willens bzw. imstande war,
werden wir Grünen das Thema einer zukunftstauglichen
Altfallregelung in der kommenden Wahlperiode erneut
auf die Tagesordnung setzen müssen.
Zu Protokoll
Zweites Problem: Nach der gesetzlichen Altfallrege-
lung wurden 33 500 Aufenthalterlaubnisse erteilt. Aber:
In über 29 000 Fällen, das sind 87 Prozent, haben die
Menschen nur eine sogenannte Aufenthalterlaubnis auf
Probe erhalten. Und die kann – so sieht es das Gesetz vor
– nur verlängert werden, wenn Ende 2009 „der Lebens-
unterhalt des Ausländers überwiegend eigenständig
durch Erwerbstätigkeit gesichert ist“. Allen Verantwort-
lichen – auch innerhalb der Regierungskoalition – ist
klar: Nur ein Bruchteil der Begünstigten wird die Vor-
aussetzungen für die Verlängerung ihrer Aufenthaltser-
laubnis auf Probe schaffen. Der Rest wird erkennbar in
die alten Kettenduldungen zurückfallen.

Ich sage Ihnen: Dies hat auch – aber nicht nur – mit
der Wirtschaftskrise zu tun. Es ist auch die Folge von
Untätigkeit bzw. von verspätetem Handeln seitens der
Großen Koalition: Im letztjährigen Arbeitsmigrations-
steuerungsgesetz etwa sind Regelungen zugunsten ar-
beitsuchender Geduldeter enthalten. Aber dieses Gesetz
kam so spät, dass die Vorgaben des § 104 Abs. 5 Aufent-
haltsgesetz nur von ganz wenigen Menschen erfüllt wer-
den können. Ebenfalls zu spät – nämlich erst Ende Juni
2008 – hat die Große Koalition ihr „ESF-Bundespro-
gramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Blei-
beberechtigte“ aufgelegt. Aber auch hierüber werden
Begünstigte der Altfallregelung die geforderte Lebens-
unterhaltssicherung nicht bis Ende 2009 nachweisen
können.

Wir Grünen haben rechtzeitig einen Antrag auf eine
angemessene Verlängerung der gesetzlichen Frist der
Altfallregelung in den Bundestag eingebracht. Die Große
Koalition jedoch war zu einem verantwortungsvollen
Umgang mit diesem humanitären Problem nicht willens
oder nicht in der Lage. So hat das Bundesinnenminis-
trium eine frühzeitige Evaluierung der Altfallregelung
richtiggehend verschlafen. Erst Ende Mai wurden die
Länder aufgefordert, bis Mitte Juli Daten über den
Transferbezug von Begünstigten der Altfallregelung be-
reitzustellen. Wer so vorgeht, hintertreibt systematisch
eine Lösung für diese Menschen noch in dieser Wahlperi-
ode.

Dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregie-
rung Flüchtlinge im Regen stehen lässt, wundert inzwi-
schen niemanden mehr. Auf der Bundeskonferenz für In-
tegrations- und Ausländerbeauftragte hatte sie Anfang
Mai noch vollmundig versprochen, sich dafür einzuset-
zen, die Bleiberechtsregelung um ein Jahr zu verlängern
– eine Woche später unterstützte Frau Böhmer auf dem
Treffen der zuständigen Berichterstatter im Innenaus-
schuss wieder einmal die Verschleppungstaktik des BMI.
Das nenne ich nicht nur doppelzüngig, sondern auch ver-
antwortungslos den Flüchtlingen gegenüber.

Und die SPD? Den guten Willen möchte ich ihr nicht
absprechen. Aber nachdem die Union auf dem Treffen
der zuständigen Berichterstatter im Innenausschuss mal
wieder auf stur stellte, fiel ihr Engagement leider völlig
in sich zusammen. So schnell hätte sie nicht zurückste-
cken dürfen.

Ein letztes Wort: Eine reine Verlängerung der Frist so,
wie sich das die Integrationsbeauftragtenkonferenz, aber



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Josef Philip Winkler
auch die FDP und die Linken vorstellen, reicht nicht. Wir
müssen, wie von uns Grünen gefordert, zusätzlich auch
Korrekturen an den Voraussetzungen der Lebensunter-
haltssicherung vornehmen. Denn was nützt eine längere
Frist, wenn – wie zum Beispiel in der vorliegenden Fas-
sung der Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz
– jeglicher Bezug von Transferleistungen eine
Verlängerung der Aufenthalterlaubnis auf Probe aus-
schließen würde? Ich warne davor, dass die Innenminis-
ter des Bundes und der Länder in den Verhandlungen
über die Verwaltungsvorschriften dabei sind, der Altfall-
regelung endgültig den Garaus zu machen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623048400

Tagesordnungspunkt 57 a. Wir kommen zur Abstim-

mung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur
Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die Er-
werbstätigkeit und die Integration von Ausländern im
Bundesgebiet. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13494,
den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/13160 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt. Damit
entfällt die dritte Beratung.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13494, den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/12415 zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt. Die dritte Be-
ratung entfällt.

Tagesordnungspunkt 57 b. Schließlich empfiehlt der In-
nenausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13494 die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12434 mit
dem Titel „Verlängerung der Frist für die gesetzliche
Altfallregelung“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 58 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Müller (Köln), Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kenia stabilisieren – Entwicklung in Frieden
unterstützen

– Drucksachen 16/8403, 16/9457 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck)

Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Marina Schuster
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)


Anke Eymer (CDU):
Rede ID: ID1623048500

In dieser Debatte stimmen wir in zweiter und dritter

Lesung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen „Kenia stabilisieren – Entwicklung in Frieden
unterstützen“ und die Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses ab.

Vier Monate nach den Parlaments- und Präsident-
schaftswahlen konnte am 17. April 2008 eine neue Regie-
rung gebildet werden, die erste große Koalitionsregie-
rung, angeführt von den einstigen erbitterten politischen
Gegnern Präsident Kibaki und dem neuen Ministerpräsi-
denten Odinga. Der Präsident Mwai Kibaki gehört der
Ethnie der Kikuyus an, während Ministerpräsident Raila
Odinga der Ethnie der Luos angehört.

Nach den Wahlen im Dezember 2007 waren Luos auf
Kikuyus losgegangen, weil sie sich um den Sieg ihres
Spitzenkandidaten Raila Odinga betrogen fühlten. Die
Kikuyus schlugen brutal zurück. Diese Auseinanderset-
zungen forderten 1 200 Tote, und mehr als 300 000 Men-
schen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht.
Wie sieht die Situation heute aus? Das Land wird zwar in
einer großen Koalition mit mehr als 40 Ministern regiert.
Präsident Kibaki muss mit seinem Widersacher Odinga
als Ministerpräsident leben. Von den im Koalitionsver-
trag vorgesehenen Reformen wie die Reform des Wahl-
rechts, Reform des Boden- und Landrechts, Übertragung
von Aufgaben der Zentralregierung an die Provinzen ist
nicht eine einzige in die Tat umgesetzt worden. Keiner
der großen Korruptionsskandale der Vergangenheit
wurde aufgeklärt, es kommen immer neue hinzu. Der
wohl folgenreichste war der sogenannte Maisskandal im
Januar.

Korruption, Tribalismus, immense soziale Unter-
schiede, Armut und Gewalt sind immer noch eine Bedro-
hung des zivilen Friedens im Land. Kenia ist ein Vielvöl-
kerstaat und seit vielen Jahren ein Einwanderungsland,
mehr als 40 Ethnien leben dort und sprechen mehr als
50 verschiedene Sprachen. Auch danach muss sich die
Weiterentwicklung eines demokratischen Gesellschafts-
gefüges ausrichten.

Kenia gehört zu diesen Staaten mit einer sogenannten
defekten Demokratie. Davon gibt es in Afrika viele. Das
heißt aber vor allem, dass der demokratische Aufbruch
noch nicht vollendet ist. Die demokratischen Aufbrüche
in Afrika sind – und dazu zählt auch Kenia – Hoffnungs-
zeichen für den gesamten Kontinent. Daran knüpfen sich
auch viele Erwartungen der Nachbarn und der gesamten
Region. Die massiven Manipulationen bei den Präsident-
schaftswahlen, das Verhalten vieler Verantwortlicher in
Kenia und die Gewalt waren für viele, auch und gerade
für internationale und afrikanische Beobachter, ein
Schock. Was dort in wenigen Wochen geschehen ist, war
in dieser Härte nicht vorauszusehen. Hier hat sich ein
Krisenpotenzial gezeigt, das weit über Kenia hinaus die
ganze Region politisch und auch wirtschaftlich bedroht
hat.

Nun aber hier im Haus mangelnde Frühwarnsysteme
anzumahnen oder eine Nachlässigkeit auch auf der Seite
einer europäischen oder deutschen Afrika-Politik ablei-
ten zu wollen, ist überzogen. Das wäre auch der falsche


(A) (C)



(B) (D)


Anke Eymer (Lübeck)

Ansatz. Der vorliegende Antrag geht hier teilweise deut-
lich zu weit. Aus dieser Krise aber Erkenntnisse für die
Zukunft und unsere weitere Zusammenarbeit mit Kenia
zu ziehen, ist natürlich wichtig und unverzichtbar. Es
geht darum, das bisher Erreichte nicht leichtfertig zu ris-
kieren und den demokratischen Prozess in Kenia fortzu-
setzen. Auch die internationalen Partner Kenias, vor al-
lem die Länder der Afrikanischen Union, die Partner der
NEPAD, die Europäische Union und auch wir in
Deutschland, müssen auf die Einhaltung getroffener Ver-
pflichtungen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit beharren.

Mehr noch mahnt uns deren Opfer, aus dieser Krise
für die Zukunft zu lernen. Im Gegensatz zu den schnellen
Schuldzuweisungen – leider auch im vorliegenden An-
trag –, plädiere ich dafür, an dem Kurs unserer deutschen
Politik festzuhalten und ihn nicht schlechtzureden. Die
Zusammenarbeit mit Kenia als Schwerpunktland für das
östliche Afrika ist für das deutsche Engagement unver-
zichtbar und muss auf hohem Niveau gehalten werden.
Der vorliegende Antrag bietet mir dafür nicht die not-
wendige ausgewogene Grundlage.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1623048600

Wenn wir einmal von der medialen Aufmerksamkeit

absehen, die die Inhaftierung von somalischen Piraten in
Mombasa erregt hat, dann müssen wir feststellen, dass es
seit über einem Jahr still um Kenia geworden ist.

Nur noch ab und zu berichten westliche Medien von
Skandalen, die die neue Koalitionsregierung von Präsi-
dent Kibaki und Ministerpräsident Odinga erschüttern.
Im gleichen Atemzug verweisen Beobachter vor Ort auf
den nach wie vor fragilen Frieden, den diese Koalitions-
regierung seit ihrer Amtsübernahme am 13. April 2008
zu bewahren sucht.

Dieser fragile Frieden hält nun schon seit 14 Mona-
ten. Es ist daher an der Zeit, dass wir uns die Situation in
Kenia noch einmal vor Augen führen. Ferner sollten wir
diese Gelegenheit nutzen, um eine Einschätzung vorzu-
nehmen, inwieweit unser Engagement dazu beigetragen
hat, die Situation in Kenia zu stabilisieren und die Ent-
wicklung und den Frieden zu unterstützen.

Wir erinnern uns: Im Nachgang zu den Präsident-
schaftswahlen am 27. Dezember 2007 kam es zu schwe-
ren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der
Regierung und der Oppositionsparteien. Da die keniani-
schen Politiker bereits im Vorfeld der Wahlen auf die
Instrumentalisierung ethnischer Zugehörigkeit im poli-
tischen Machtkampf gesetzt hatten, war diese Auseinan-
dersetzung zugleich ein Kampf zwischen der herrschen-
den Gruppe der Kikuyu und den übrigen Ethnien, vor
allem den Luo und Kalenjin.

Von den gewaltsamen Auseinandersetzungen beson-
ders betroffen waren die fruchtbare und wirtschaftlich
daher besonders wichtige Provinz Rift Valley und die
Elendsquartiere rund um die Hauptstadt Nairobi. Inner-
halb weniger Tage fielen den Todesschwadronen, Milizen
und selbsternannten Warlords etwa 1 500 Menschen zum
Zu Protokoll
Opfer. Über 300 000 Menschen wurden aus ihren Häu-
sern und von ihrem Land vertrieben.

Deutschland hat auf den Ausbruch der schweren Krise
in Kenia umgehend reagiert. So hat die Bundesregierung
Präsident Kibaki aufgrund der offensichtlichen Wahlfäl-
schungen explizit von einer Gratulation ausgenommen
und ihm damit die Anerkennung des Wahlsieges ver-
wehrt. Ferner unterstützte Außenminister Steinmeier die
Vermittlungsbemühungen des ehemaligen UN-General-
sekretärs Kofi Annan und setzte sich – gemeinsam mit
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul – für ein
gemeinsames europäisches Vorgehen gegenüber der Re-
gierung Kibaki ein.

Anfang Februar 2008 reiste Staatsminister Gernot
Erler auf Bitte Kofi Annans als Vermittler nach Kenia.
Staatsminister Erler klärte die Konfliktparteien im Ver-
lauf intensiver Gespräche darüber auf, wie nach einer
knappen Wahlentscheidung eine gemeinsame Regierung
gebildet werden kann. Er verwies dabei explizit auf die
deutschen Erfahrungen mit der Bildung von Großen Ko-
alitionen. Die diplomatischen Aktivitäten wurden durch
rege Diskussionen über das weitere Vorgehen bei der
Entwicklungszusammenarbeit ergänzt. So forderte
Heidemarie Wieczorek-Zeul spürbare Konsequenzen für
die Regierung Kibaki und setzte sich dafür ein, die di-
rekte Finanzhilfe aus dem Europäischen Entwicklungs-
fonds an Kenia einzufrieren.

Zahlreiche Stimmen, wie zum Beispiel die Fraktion
der Grünen, sprachen sich darüber hinaus dafür aus, die
Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit weit-
gehend von der Kompromissbereitschaft der Regierung
Kibaki abhängig zu machen. Auf diese Weise sollte die
kenianische Regierung dazu gezwungen werden, Neu-
wahlen auszurufen oder Odingas Oppositionsbündnis
Orange Democratic Movement an der Macht zu beteili-
gen.

Die friedliche Lösung der Krise gelang schließlich
durch die Bildung einer Großen Koalition, wie sie Staats-
minister Erler bereits auf seiner Kenia-Reise im Februar
vorgeschlagen hatte. An der Vorbereitung und Vermitt-
lung dieser Lösung waren neben Kofi Annan auch andere
Persönlichkeiten der afrikanischen Politik, wie zum Bei-
spiel der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu und
der damalige Vorsitzende der Afrikanischen Union John
Kufuor, maßgeblich beteiligt. Ihren Gesprächen – in Ver-
bindung mit massivem internationalen Druck – ist es zu
verdanken, dass Präsident Kibaki und Ministerpräsident
Odinga seit April 2008 gemeinsam das Land regieren.
Ihnen zur Seite steht ein Kabinett mit nicht weniger als
42 Ministern aus beiden Lagern. Die Klagen über Kor-
ruption und Vetternwirtschaft sind seit dem nicht leiser
geworden. Doch immerhin hat die Beteiligung des Oppo-
sitionsbündnisses an der Regierung die blutige Krise
vorerst beendet.

Welche Lehren haben wir in Deutschland aus der
Krise in Kenia und aus ihrer Überwindung gezogen? Die
blutige Krise in Kenia ist vorrangig durch diplomatische
Einmischung und weniger durch einen kurzfristigen Ak-
tionismus in der Entwicklungszusammenarbeit überwun-
den worden. Eine der zentralen Lehren, die ich aus den



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Brunhilde Irber
Ereignissen in Kenia gezogen habe, ist die, dass wir un-
sere Entwicklungszusammenarbeit mit einem Partner-
land nicht von kurzfristigen politischen Erwägungen ab-
hängig machen sollten.

Ich halte es zwar für richtig, durch die Aussetzung di-
rekter Finanztransfers oder auf die Regierungsmitglieder
zielende Sanktionen deutliche Signale zu setzen. Doch
sollte die Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit
– anders als es in dem Antrag der Grünen suggeriert
wird – nicht infrage gestellt werden. Schließlich geht es
darum, die jeweilige Regierung unter Druck zu setzen
und nicht die Menschen für das Verhalten ihrer Regie-
rung zu bestrafen. Gerade in Kenia hätte das Ausbleiben
unserer Hilfs- und Entwicklungsarbeit die humanitäre Si-
tuation zusätzlich verschlimmert.

Neben diesen humanitären Überlegungen gibt es zwei
weitere Gründe, weshalb es sinnvoll ist, keine kurzfris-
tige Kürzung der Entwicklungszusammenarbeit zu ver-
anlassen.

Erstens wissen wir heute, dass Entwicklungszusam-
menarbeit sehr langfristig angelegt sein muss. Entwick-
lung und vor allem Demokratisierung sind Prozesse, die
Jahrzehnte in Anspruch nehmen und nicht durch einzelne
Verfassungsänderungen oder Regierungswechsel zum
Abschluss zu bringen sind. Wenn ein wichtiger Partner
wie Kenia eine kritische politische Phase durchläuft,
sollte unsere Überlegung nicht dahin gehen, wie wir uns
möglichst schnell von ihm distanzieren können. Unsere
Überlegung sollte vielmehr sein, wie wir die verfügbaren
Mittel am besten einsetzen können, um diese Krise zu be-
enden. Eine Konsequenz der Wahlfälschungen ist zum
Beispiel der veränderte Einsatz der Mittel des Europäi-
schen Entwicklungsfonds, für den wir uns in Brüssel
stark gemacht haben. So wird von den 383 Millionen
Euro, die für Kenia vorgesehen sind, kein einziger Cent
in die allgemeine Budgethilfe fließen.

Der zweite Grund dafür, dass wir unsere Entwick-
lungszusammenarbeit nicht als kurzfristiges politisches
Druckmittel einsetzten sollten, liegt ebenfalls auf der
Hand: Kenia ist für die Stabilisierung der Region der
großen Seen und des Horns von Afrika von nicht zu un-
terschätzender Bedeutung. Ein Abzug unserer Unterstüt-
zung könnte eine fatale internationale Signalwirkung
haben und letztlich das bewirken, was die Entwicklungs-
pessimisten schon zuvor beschworen haben: den Zerfall
des Landes und die Radikalisierung der Bevölkerung.
Was wir aber tun können, ist eine stärkere Verlagerung
der Entwicklungszusammenarbeit. So sollte die Bundes-
regierung die zur Verfügung stehenden Mittel stärker zur
Förderung guter Regierungsführung einsetzen. Da eine
Zusammenarbeit in diesem sensiblen Bereich auch mit
der jetzigen Koalitionsregierung – die noch immer von
Wahlbetrüger Kibaki geleitet wird – nur bedingt erfolg-
versprechend ist, sollten die Mittel auf zwei andere Maß-
nahmen konzentriert werden: die Unterstützung des Par-
laments und die Förderung der Zivilgesellschaft zum
Beispiel über politische Stiftungen.

Die Unterstützung des Parlaments ist mir dabei ein
besonderes Anliegen. Denn es besteht in Kenia heute
wieder die realistische Perspektive, dass die Austragung
Zu Protokoll
des politischen Konflikts zwischen Regierung und Oppo-
sition auf das Parlament verlagert werden kann. Die ke-
nianische Volksvertretung hat in den letzten Jahren deut-
liche Fortschritte gemacht. Sie ist heute in erheblich
größerem Maße als zuvor ein Ort der politischen Debatte
und ein Instrument zur Kontrolle der Regierung. Auch
sollten wir nicht übersehen, dass bei den Wahlen viele
Kabinettsmitglieder und andere Abgeordnete, die als
korrupt galten, abgewählt wurden. Positiv zu bewerten
sind zudem die hohe Wahlbeteiligung und der relativ
friedliche Verlauf der Wahlen vor der Stimmenauszäh-
lung.

Diese richtungweisende Entwicklung gilt es zu unter-
stützen. Ich fordere die Bundesregierung daher auf, die
Durchführung der für 2012 angesetzten Wahlen in Kenia
effektiv zu unterstützen. Ferner rufe ich die Bundesregie-
rung auf, die Arbeit des kenianischen Parlaments zu för-
dern. Über Parlamentarierorganisation, wie sie bereits
mit dem Panafrikanischen Parlament, der East African
Legislative Assembly und vor allem der Assoziation Eu-
ropäischer Parlamentarier für Afrika – AWEPA – beste-
hen, können wir echte Kontrollinstanzen gegenüber der
Regierung aufbauen. So übernimmt AWEPA, deren
Deutschlandabteilung ich seit über einem Jahr leite, be-
reits heute eine wichtige Funktion bei der Förderung von
Demokratie und Parlamentarismus in Afrika. Als eine
überparteiliche Organisation von aktiven und ehemali-
gen Abgeordneten versammelt AWEPA ein breites Spek-
trum an Wissen über die Funktionsweise und die Aufga-
ben von Parlamenten. Dieses Wissen wird im Rahmen
von Konferenzen und Workshops aktiv an afrikanische
Parlamentarier weitergegeben. Denn gerade in afrikani-
schen Ländern, in denen traditionell ein großer Teil der
Macht in den Händen der Präsidenten liegt, ist ein parla-
mentarischer Ausgleich wichtig. Nur ein funktionieren-
des Parlament ist in der Lage die Regierung zu kontrol-
lieren, ob sie die erhaltene Entwicklungshilfe für die
vorab bestimmten Aufgaben verwendet oder nicht. Damit
ist ein funktionierendes Parlament eine der zentralen Vo-
raussetzungen, um die tief gespaltene Gesellschaft Ke-
nias zu stabilisieren und die Entwicklung und den Frie-
den zu unterstützen.

Gleichermaßen sollten zivilgesellschaftliche Struktu-
ren unterstützt werden. Auf diese Weise können die offen
zutage getretenen Stammesunterschiede abgebaut und
ein einheitliches Nationalgefühl aufgebaut werden. Wir
glauben nicht, dass diese Ziele mit den von den Grünen
geforderten Maßnahmen zu erreichen sind. Deshalb leh-
nen wir den Antrag der Grünen ab und stimmen für die
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses.


Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1623048700

Vor nicht allzu langer Zeit galt Kenia noch als Vorzei-

geland. Kenia stand für politische Stabilität am fragilen
Horn von Afrika. Kenia stand für demokratische Refor-
men und auch für marktwirtschaftliche Entwicklung.
Doch der Wahlbetrug und die blutigen Unruhen zeigten,
was die FDP-Fraktion schon lange davor befürchtet hat.
Das „Erfolgsmodell Kenia“ hat so nie existiert. Bereits
im März 2006 haben wir einen Antrag zur Überprüfung



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Marina Schuster
der Entwicklungszusammenarbeit in Kenia eingebracht,
weil uns die Entwicklungen im Lande sehr beunruhigten.

Die Hoffnungen, die in Mwai Kibaki von der National
Rainbow Coalition Party, NARC, gesetzt wurden, hatten
sich zwei Jahre nach der Machtübernahme von Daniel
Arap Moi leider nicht bestätigt. Kibaki war Ende 2002
mit dem Versprechen angetreten, die weitverbreitete Kor-
ruption in Kenia zu beenden. Doch bald häuften sich wie-
der Meldungen zu undurchsichtigen Zwischenfällen. We-
gen des Verdachtes der Korruption hat die kenianische
Polizei im Februar 2006 20 prominente Politiker und
Geschäftsleute aufgefordert, ihre Pässe abzugeben. John
Githongo, der vom Präsidenten bestellte Korruptionsbe-
auftragte, ist bereits 2005 nach London geflohen, zer-
mürbt von Todesdrohungen. Seit 2002 sollen Beste-
chungsgelder von bis zu 1 Milliarde US-Dollar gezahlt
worden sein.

Ich freue mich, dass John Githongo – seit 2006 Träger
des Deutschen Afrika-Preises – nun wieder nach Kenia
zurückgekehrt ist. Aber nach wie vor hat Kenia einen
schweren Weg vor sich. Und man hat hier manchmal den
Eindruck, dass Kenia im Vergleich zum Einsatz gegen die
Piraterie von der Bundesregierung nicht die notwendige
Aufmerksamkeit erhält.

Dabei gerät die Situation in Kenia immer mehr außer
Kontrolle. Die Machtteilung zwischen Präsident Kibaki
und Premierminister Odinga, dem einstigen Opposi-
tionsführer, funktioniert schlecht. Mit über 40 Kabinetts-
mitgliedern ist diese Regierung mehr mit sich selbst be-
schäftigt als daran, Verbesserungen für die Bevölkerung
zu erreichen. Die Regierung der nationalen Einheit, vom
ehemaligen VN-Generalsekretär Kofi Annan vor einem
Jahr vermittelt, steht kurz vor dem Zusammenbruch. Mit
der Justizministerin Karua ist im April auch die letzte
Hoffnung geschwunden, in drei Jahren eine Verfassung
zu verabschieden. Kibaki scheint drängende Probleme
auf Kosten der Entwicklung seines Landes auszusitzen.

Doch auch Schwarzmalerei hilft hier nicht weiter. Ja,
Kibakis unverantwortlicher Führungsstil ist eine
schwere Hypothek. Aber noch haben wir in Kenia, an-
ders als in Somalia, ein gewisses Maß an Staatlichkeit.
Darauf müssen wir aufbauen. In dieser Überzeugung ha-
ben die Grünen mit ihrem vorliegenden Antrag bereits
vor einem Jahr ganz eindeutige Forderungen an die Bun-
desregierung gestellt. Sie appellieren an ihre Verantwor-
tung zu unverzüglicher und effektiver Hilfe. Denn die
Bundesregierung darf nicht ein weiteres Mal unvorberei-
tet von den Entwicklungen in Kenia überrollt werden.

Die internationale Staatengemeinschaft ist aufgefor-
dert, den Kenianern die notwendige diplomatische und
wirtschaftliche Rückendeckung zu geben, um ihren Bei-
trag gegen ein Wiederaufflammen der Kämpfe zu leisten.
Leider ist die Bundesregierung bisher hinter ihren Mög-
lichkeiten zurückgeblieben. Nehmen wir die Entwick-
lungszusammenarbeit. Es war ein unglaublicher Skandal,
dass der Europäische Entwicklungsfonds unmittelbar
nach der Wahl 40 Millionen Euro Budgethilfe direkt an
die korrupte kenianische Staatskasse überwiesen hat.
Zwischen Weihnachten und Silvester waren wohl in Brüs-
Zu Protokoll
sel alle ausgeflogen, und die Terminüberweisung machte
– Business as usual – unbemerkt ihren Weg nach Kenia.
Ich frage deswegen hier und heute: Welche Konsequen-
zen haben Sie aus diesen Fehlern gezogen? Gibt es ver-
bindliche, neue Kontrollstrukturen, damit so etwas nicht
mehr passieren kann? Denn es gilt doch endlich, aus
Fehlern zu lernen. Da sind in vielen Jahrzehnten Ent-
wicklungshilfe genug gemacht worden. Gerade das
Instrument der Budgethilfe sehen wir grundsätzlich kri-
tisch, und für Kenia war es schon lange nicht geeignet.

Wir dürfen uns auf bilateraler Ebene nicht auf kor-
rupte Regierungen stützen, sondern müssen gute Regie-
rungsführung in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehört
auch, dass man afrikanische Partner auf Augenhöhe be-
trachtet; denn sie selbst sind für die Entwicklung in ih-
rem Land zuallererst verantwortlich. Das sagen auch
afrikanische Forscher wie James Shikwati aus Kenia
oder Dambisa Moyo aus Sambia. Wir müssen deren Stim-
men endlich ernst nehmen.

Gerne unterstützen wir Kenia durch Rat und Tat beim
Umbau seines Staatssystems, bei der Vorbereitung der
nächsten Wahlen und geben fachlichen Rat bei der Um-
setzung der so dringend notwendigen Wirtschafts-, So-
zial- und Bildungsreformen. Dafür müssen wir aber auch
die kenianische Regierung in die Pflicht nehmen. Denn
mehr Geld heißt doch nicht mehr Entwicklung, gerade
wenn es in die falschen Hände fließt.

Wir sind auf ein starkes und sicheres Kenia angewie-
sen. Denn die Stabilität der ganzen Region hängt davon
ab. Darum ist es erforderlich, den vorliegenden Antrag
um eine regionale Perspektive zu ergänzen. Ich denke,
dies liegt auch im Interesse meiner geschätzten Kollegin
Dr. Uschi Eid von den Grünen. Ich bedauere, dass sie mit
ihren großen Fachkenntnissen nicht mehr dem nächsten
Deutschen Bundestag angehören wird.

Vergessen wir nicht: Kenia ist Transitland für die Ver-
sorgung vieler zentralafrikanischer Länder. Der Hafen
von Mombasa ist ein gewichtiger Umschlagplatz. Kenia
ist auch Zufluchtsort Hunderttausender somalischer
Flüchtlinge und neuerdings auch Zielort festgesetzter Pi-
raten. Wir haben also ein elementares Interesse an funk-
tionierenden rechtstaatlichen Strukturen. Darum frage
ich die Bundesregierung: Welchen regionalen Ansatz se-
hen Sie in Kenia heute? Warum haben Sie bis heute kein
Konzept für das Horn von Afrika ausgearbeitet?

Kenia kann dem vereinfachenden Bild eines Vorzeige-
lands nicht mehr gerecht werden. Kenia steht vielmehr
als Beispiel dafür, dass auf dem Weg zu politischem Wan-
del viele Hürden zu überwinden sind. Dies kann nur mit
internationaler Vermittlung und passgenauer Unterstüt-
zung gelingen. Dies ist die Kernaussage des Antrags von
Bündnis 90/Die Grünen, dem die FDP-Bundestagsfrak-
tion zustimmen wird.

„Friede ist ein Prozess, ein Weg, Probleme zu lösen“,
hat John F. Kennedy einmal gesagt. Das setzt für mich
voraus, die Probleme erst einmal zu erkennen. Auf dieser
Basis fordere ich die Bundesregierung auf, sich
engagierter in Kenia einzubringen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623048800

Der Antrag, der heute zur Abstimmung vorliegt,

wurde vor über einem Jahr vor dem Hintergrund der
mehrwöchigen bürgerkriegsähnlichen Gewalt nach den
Wahlen in Kenia verfasst. Trotz des damals bereits ausge-
handelten Machtteilungsabkommens betonten die An-
tragsteller, dass der innere Frieden gefährdet bleibe und
die politische Krise des Landes noch lange nicht über-
wunden sei. Leider haben weder Antrag noch Lageein-
schätzung an Aktualität verloren.

Beobachter berichten über häufige örtliche Konflikte,
die derzeit zwar auf niedrigem Niveau bleiben, aber ein
erhebliches Eskalationspotenzial in sich bergen. Zuletzt
kam es im April in der Region Kirinyagi zu Kämpfen, bei
denen über 40 Menschen starben. Auch reißt die Serie
von Übergriffen staatlicher Sicherheitskräfte auf Journa-
listen, Oppositionelle und Bevölkerung nicht ab. Ein ak-
tueller Bericht von Human Rights Watch dokumentiert
die massive Staatsgewalt im Zuge einer Entwaffnungsak-
tion von Milizen im Oktober 2008 im Nordosten Kenias,
bei der Hunderte Zivilisten geschlagen, gefoltert und
Frauen vergewaltigt wurden. Der Fall wirft ein Schlag-
licht auf die Brutalität und das Klima der Straflosigkeit
im kenianischen Gewaltapparat. Bezeichnend ist, dass
auch der Bericht der Waki-Kommission, in dem nachge-
wiesen wurde, dass Anfang 2008 rund 400 Menschen
durch unverhältnismäßige Polizeigewalt getötet wurden,
bis heute ohne politische Folgen blieb.

Die sozioökonomischen Konfliktursachen, die damals
zur Gewalteskalation beitrugen, sind nicht entschärft.
Aufgrund der Weltwirtschafts- und Finanzkrise sowie in-
folge der Ausschreitungen brach Kenias Wirtschaft im
letzten Jahr ein. Ein Wachstum von nur 1,7 Prozent – ge-
genüber 7 Prozent in 2007 –, gepaart mit 20 Prozent
Inflation, verschlimmert die soziale Lage im Land dras-
tisch, das außerdem von der Nahrungsmittelkrise massiv
betroffen war. Zwar liegen die Lebensmittelpreise heute
wieder unter denen des Vorjahres, doch selbst Grund-
nahrungsmittel sind für viele Kenianer und Kenianerin-
nen unerschwinglich. Verschärft wird dies durch
witterungsbedingte Ernteausfälle. Nach aktuellen Schät-
zungen benötigen rund 6,5 Millionen Menschen Nah-
rungsmittelhilfen. Beobachter warnen daher vor sozialen
Unruhen und wachsenden Spannungen zwischen Bevöl-
kerungsgruppen. Zudem verweisen sie darauf, dass Poli-
tiker auf nationaler wie auf lokaler Ebene durch die
verstärkte ethnische Instrumentalisierung der sozioöko-
nomischen Konflikte zusätzlich Öl ins Feuer gießen.

Die Hoffnungen, die in die durch internationale Ver-
mittlung zustande gekommene Koalitionsregierung aus
allen Konfliktakteuren – Kibaki, Odinga und deren Par-
teien PNU, ODM sowie der KANU – gelegt wurden, er-
füllten sich nicht. Ihre rund einjährige Amtszeit ist durch
Blockaden und Machtrivalitäten, durch Skandale, Kor-
ruption und die Verschleppung vereinbarter Reformen,
unter anderem der Verfassungsreform, geprägt.

Besonders besorgniserregend ist, dass die Regierung
keine der im Machtteilungsabkommen vereinbarten
Maßnahmen zur Überwindung der politischen Krise, zur
Aufarbeitung der Gewalt und zur nationalen Aussöhnung
Zu Protokoll
umgesetzt hat. So hat die Kommission für Wahrheit, Ge-
rechtigkeit und Versöhnung, TJRC, bis heute ihre Arbeit
nicht aufgenommen. Durch die politische Blockade der
TJRC unterblieb auch die Einrichtung des Sondertribu-
nals zur Verurteilung von Gewalttätern sowie den verant-
wortlichen Hintermännern.

Auf dem Kursgipfel, der Ende März in Genf stattfand,
überstellte der Leiter der Untersuchungskommission zur
Aufklärung der Gewalt, Philip Waki, eine Liste mit zehn
maßgeblichen Verdächtigten an den damaligen Chefver-
mittler Kofi Annan. Darauf befinden sich angeblich die
heutigen Minister Uhuru Kenyatta und William Ruto.
Bislang machte Annan seine Drohung nicht wahr, die
Liste an den Internationalen Strafgerichtshof weiterzu-
leiten. Seine nach dem ergebnislosen Gipfel geäußerte
Warnung, dass die fortgesetzte Blockade der TJRC sowie
das Verschleppen der Reformen eine erneute – gewalt-
same – Krise heraufbeschwören, richtet sich auch an die
internationale Gemeinschaft.

Anstelle weiter die Augen vor der zunehmenden Insta-
bilität in Kenia zu verschließen, muss diese mit neuen
Vermittlungsangeboten und konzertierten politischen Ini-
tiativen aktiv werden. Dabei ist ausdrücklich die Bundes-
regierung gefordert, die sich ihrer guten Beziehungen zu
Kenia rühmt und die im letzten Jahr Anteil am Zustande-
kommen der Koalitionsregierung hatte. Die damaligen
Bemühungen zeigten, dass externes Engagement zum Er-
folg führen kann. Umso schwerer wiegt die darauf fol-
gende Tatenlosigkeit.

Die Linke fordert von der Bundesregierung, dass sie
sich bilateral, auf europäischer und internationaler
Ebene endlich sichtbar und glaubwürdig für eine ursa-
chenbezogene Konfliktbearbeitung im ostafrikanischen
Land einsetzt.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Es ist jetzt eineinhalb Jahre her, dass wir Zeugen bei-
spielloser brutaler Gewalt in Kenia geworden sind.

Die ethnisch aufgeladenen Ausschreitungen nach den
gefälschten Wahlen vom Dezember 2007 forderten
1 500 Tote; die Menschen wurden teils sogar zerhackt,
viele Frauen vergewaltigt. Mehr als 300 000 Menschen
wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Erst nach zä-
hen Verhandlungen gelang es dem Vermittler Kofi Annan,
die Widersacher Präsident Mwai Kibaki und seinem He-
rausforderer Raila Odinga zur Bildung einer Großen
Koalition zu bewegen.

In Kenia haben wir gesehen, was es heißt, wenn wir
die Anzeichen einer Krise wie überbordende Korruption,
Jugendarbeitslosigkeit und Massenarmut über Jahre ein-
fach ignorieren. In Kenia haben sämtliche Frühwarnsen-
soren der Konfliktprävention versagt, weil in Afrikas so-
genanntem Musterland nicht sein konnte, was nicht sein
durfte. Das darf uns jetzt nicht noch einmal passieren.
Gerade die Geschichte Kenias zeigt uns immer wieder:
Nach der Krise ist vor der Krise. Deshalb fordern wir mit
unserem vorliegenden Antrag die Bundesregierung auf,
gegenüber der kenianischen Regierung darauf zu behar-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Müller (Köln)

ren, dass sie ihre Versprechen auch einlöst. Sie muss die
Krise aufarbeiten und die notwendigen Reformschritte
endlich gehen, um die Ursachen für die Spannungen und
die Gewalt im Land dauerhaft zu bekämpfen. Das ist
heute nötiger denn je. Denn der Reformeifer in Kenias
großer Koalition ist bereits erlahmt, ehe er überhaupt
Ergebnisse hervorgebracht hat. Weder die Verfassungs-
reform, die Landreform noch die Einsetzung eines Son-
dertribunals zur Untersuchung der Menschenrechtsver-
brechen stehen mehr auf der Agenda.

Die Ausgangsprobleme für die Gewalt, die Korrup-
tion, die Armut und der Ausgleich zwischen den verschie-
denen Ethnien, bestehen nicht nur weiter fort, sie ver-
schärfen sich sogar wieder. Darüber darf uns auch die
beispiellose „Obama-Mania“ in Kenia nicht hinwegtäu-
schen, die wir mit der Präsidentschaftswahl in den USA
gesehen haben. Den Menschen geht es nicht besser. Um-
fragen zeigen: 70 Prozent der Bevölkerung sind von ihrer
Regierung maßlos enttäuscht. „Das ganze Land lebt in-
zwischen in einem Zustand der Angst“, sagt der von der
Regierung geschasste Korruptionsjäger Githongo. Ich
finde es deshalb umso bedauerlicher, dass die Koali-
tionsfraktion unserem Antrag heute nicht zustimmen will.

Anstatt die Probleme anzugehen, kultiviert der ganze
Staatsapparat die notorische Korruption einfach weiter.
Die Regierungsminister gönnen sich als eine der ersten
Amtshandlungen 150 neue Mercedes-Limousinen, ma-
chen teure Auslandsreisen und mischen weiter in zwie-
lichtigen Geschäften in der Landwirtschaft, Öl- und Tou-
rismusindustrie mit und stecken hohe Gewinne ein.
Gleichzeitig fordern sie internationale Unterstützung in
dreistelliger Millionenhöhe zur Überwindung der Le-
bensmittelkrise. Das ist schamlos und nicht akzeptabel.
Die Minister der Regierungskoalition sind ihrem Ruf, der
ihnen schon 2008 vorausgeeilt ist, voll und ganz gerecht
geworden: „Kibaki und die 40 Räuber“ hatten manche
Zeitungen getitelt.

Als wenn das noch nicht genug wäre, sieht sich heute
der Chefermittler des IstGH, Ocampo, genötigt, den ke-
nianischen Justizminister samt Staatsanwaltschaft nach
Den Haag zu zitieren. Denn Regierung und Parlament
sind trotz ihrer Zusage noch immer nicht bereit, die Ge-
waltwelle von 2008 durch ein Sondertribunal untersu-
chen zu lassen, und das, obwohl die Faktenlage des soge-
nannten Waki-Untersuchungsberichts vom Oktober 2008
erdrückend ist.

Der Kenia-Sonderberichterstatter der UNO, Philip
Alston, setzt jetzt noch einen drauf: Seine Untersuchun-
gen haben ergeben, dass der amtierende Polizeichef
2008 für gezielte Tötungen verantwortlich sei und be-
stimmte Richter entsprechende Verfahren verschleppen
würden. Alston fordert deshalb dringend die Absetzung
des Polizeichefs und den Austausch der korrupten Rich-
ter. Doch die Regierung in Nairobi schweigt weiter be-
harrlich.

Kenia ist auf dem besten Weg, seine gewalttätige Ge-
schichte zu wiederholen. Wenn der kenianische Staat sich
nicht um die Opfer kümmern will, dann muss das der
IStGH übernehmen. Es kann ohne Gerechtigkeit keinen
dauerhaften Frieden in Kenia geben. Dazu muss die ke-
nianische Regierung den entgleisten Reformzug wieder
auf die Spur bringen, damit er schleunigst Fahrt aufneh-
men kann. Die Bundesregierung und die EU sollten sie
dabei unterstützen, wie in unserem Antrag gefordert. Sie
sollten aber gleichzeitig auch den Druck erhöhen, gege-
benenfalls bis hin zu Sanktionen gegen Regierungsmit-
glieder, die die Bekämpfung der Ursachen der Krise wei-
terhin vereiteln.

Es wäre ein verheerendes Signal für afrikanische
Politiker, wenn das Machtteilungsmodell „große Koali-
tion“ bei seinem ersten Testlauf auf dem Kontinent er-
gebnislos scheitern würde. Wir dürfen ein Abgleiten Ke-
nias aber auch deshalb nicht zulassen, weil das Horn von
Afrika auf den Stabilitätsanker Kenia angewiesen ist als
ehrlicher Friedensmakler und auch als Drehkreuz für hu-
manitäre Hilfe. Doch mit dem Vormarsch von al-Qaida-
Kämpfern von Somalia aus und neuen Unruhen im an-
grenzenden Südsudan wächst der Druck auf Kenia nicht
nur von innen, sondern zunehmend auch von außen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die prekäre Lage in
Kenia heute, morgen in eine dauerhafte Instabilität in
Kenia und der Region umschlägt. Es ist 5 vor 12. Neh-
men sie die Konfliktprävention endlich ernst, und han-
deln sie nicht erst wieder, wenn bereits Menschen ster-
ben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623048900

Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-

schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/9457, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8403 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mehrheitlich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 59 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Ernst Burgbacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Kommunale Betreuung bei der Grundsiche-
rung für Arbeitssuchende stärken

– Drucksache 16/9339 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1623049000

Der Antrag der FDP, den wir heute beraten, ist mehr

als ein Jahr alt. Er hatte vielleicht in Bezug auf das da-
mals diskutierte „kooperative Jobcenter“ seine Berechti-
gung. Heute ist er weitgehend überholt. Die Entfristung
der Option hatte Bundesarbeitsminister Scholz im April
2008 zugesagt. Das entspricht einer Forderung der
Union und wird unterstützt.

Im Koalitionsvertrag wurde für die Organisation der
Grundsicherung für Arbeitsuchende eine „Vertrauens-
klausel für optierende Kommunen“ vereinbart. Darin ist


(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling
geregelt, dass die derzeit geltende gesetzliche Regelung
für Kommunen zu optieren im bisherigen Umfang nach
dem 31. Dezember 2010 um weitere drei Jahre verlängert
werden soll. Der Koalitionsvertrag stellt dabei klar, dass
dies auch für den Fall gelten soll, dass „es bei der in
2008 anstehenden Evaluation zu keiner gemeinsamen
Bewertung und Schlussfolgerung der Koalitionspartner
kommen“ sollte. Bekanntermaßen ist dieser Fall nun-
mehr eingetreten.

Entsprechend dieser Koalitionsvereinbarung hat sich
der Bundesarbeitsminister im letzten Jahr mehrfach ge-
äußert und zugesagt, dass eine Optionsverlängerung bis
2013 zu ermöglichen ist, selbst wenn im Hinblick auf eine
Neuorganisation der Trägerschaft im SGB II eine Eini-
gung nicht zustande kommt.

Ich bedaure sehr, dass es in der Koalition nicht gelun-
gen ist, noch in dieser Legislaturperiode eine Lösung zur
Neuorganisation der Argen aufgrund des Urteils des
Bundesverfassungsgerichtes zu erzielen. Ich will das
nicht im Einzelnen bewerten. Wir erwarten aber, dass die
bisher gemeinsam getroffenen Absprachen in der Koali-
tion halten.

Die Entfristung und Öffnung des Optionsmodells war
und ist das gemeinsame Ziel der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion und der unionsgeführten Bundesländer gewe-
sen. Insofern hat die FDP mit ihrem Antrag diesen rich-
tigen und vernünftigen Gedanken übernommen.

Die CDU hat sich im Bereich des SGB II immer dafür
ausgesprochen, dass Kommunen, die optieren wollen,
dies auch können. Die Kommunen mit ihrem jugend-, so-
zial-, familien- und bildungspolitischen Know-how lie-
fern dafür gute Argumente. Vor diesem Hintergrund hat
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei allen Reformen
wie zuletzt bei der Neuausrichtung der arbeitsmarktpoli-
tischen Instrumente versucht, den Einfluss der Kommu-
nen zu verteidigen bzw. wenn möglich auszubauen. Mit
dem neuen § 16 f SGB II und den §§ 45 und 46 SGB III
ist dies gut gelungen.

Im Zentrum aller nun anstehenden Beratungen muss
stehen, wie die Leistungen im Interesse der Hilfebedürfti-
gen möglichst bürgernah, effektiv und nachvollziehbar
erbracht werden. Es gibt sehr gute Optionskommunen
und weniger erfolgreiche Optionskommunen, sehr gute
und weniger erfolgreiche Argen. Viele Kommunen wer-
den nicht optieren wollen. Die Organisationsreform muss
erreichen, dass wir dem Ziel „Hilfe aus einer Hand“
auch ohne Verfassungsänderung sehr nahe kommen. Da-
her kann der Blick nicht nur auf die Optionskommunen
gerichtet werden. Wir müssen schnell eine verfassungs-
konforme Lösung finden, die den betroffenen Menschen,
die auf SGB-II-Leistungen angewiesen sind, gerecht
wird. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt aus diesem
Grund eine SGB-II-Neuorganisation, die die Aufgaben-
wahrnehmung erleichtert. Hierfür sind klare Zuständig-
keiten und die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips un-
erlässlich.

Deshalb muss dieses Thema in der nächsten Legisla-
turperiode mit hoher Priorität angegangen werden. Wir
brauchen eine dauerhafte und gute SGB-II-Organisa-
Zu Protokoll
tion, im Interesse der Betroffenen und im Interesse der
dort tätigen Mitarbeiter.


Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1623049100

Erinnern Sie sich? Die ersten Film- und Fernsehjahre

waren schwarz-weiß. Danach erst kam Farbe ins Bild,
und bis heute hat es viel Entwicklung gegeben, mehr
Brillanz und Detailtreue zu erreichen. Ihr Antrag bleibt
in Phase schwarz-weiß, wie zu Stummfilmzeiten. Er hätte
auch stumm bleiben können. Denn was ist der Kern? Sie
beschreiben ihn so: kommunale Betreuung bei der
Grundsicherung für Arbeitsuchende stärken! Ich fasse
ihn so zusammen: Optierer sind die Guten. Der Erzfeind
ist die Bundesagentur für Arbeit. Schwärzer und weißer
geht es nicht. Gerne bringe ich etwas Farbe ins Bild der
Dienstleistungen, auf die Arbeitsuchende in der Grund-
sicherung einen Anspruch haben.

Jene 63 Kommunen in Deutschland, die sich entschie-
den haben, das gesamte Leistungsspektrum kommunal zu
organisieren, leisten genauso gute Arbeit wie jene, die im
Rahmen eines Jobcenters die Aufgabe gemeinsam mit
der Bundesagentur für Arbeit erledigen. Beide Modelle
müssen, dies hat das Bundesverfassungsgericht vorgege-
ben, verfassungskonform abgesichert werden.

Die SPD bedauert sehr, dass unser Koalitionspartner
an dieser wichtigen Stelle nicht die Kraft für eine Ent-
scheidung hat. Das ist schlecht, schlecht für die Arbeitsu-
chenden im Rechtskreis des SGB II. Und es ist auch
schlecht für die Beschäftigten – gleich ob bei kommuna-
ler AG oder der Bundesagentur. Es enttäuscht die Sozial-
politikerinnen und -politiker der SPD sehr, auch deshalb,
weil angesichts der zu erwartenden weiteren Herausfor-
derungen in der Arbeitsmarktpolitik verlässliche und
sachgerechte Strukturen notwendig sind.

Ihre Vorschläge jedoch, meine Damen und Herren von
der FDP-Fraktion, sind in keiner Weise geeignet, diesem
Ziel näher zu kommen. Womit wir wieder bei Ihrem
schwarz-weißen Film wären. Was sehen wir? Eine Lie-
beserklärung und ein Feindbild. Die Liebeserklärung gilt
den Kommunen. Ihr Feindbild steht in Nürnberg und
heißt Bundesagentur für Arbeit. Mit diesen zwei Begrif-
fen lässt sich der erste Abschnitt Ihres Antrages am bes-
ten zusammenfassen.

Im zweiten Abschnitt erheben Sie fünf Forderungen,
die ich kurz debattieren möchte: Erstens. Die Zeit bis
Ende 2010 nutzen, um bestmögliche Lösungen zu finden.
Das ist richtig. Zweitens. Die Arbeit der Optionskommu-
nen nachdrücklich unterstützen und nicht etwa durch
übereiltes Einführen kooperativer Jobcenter schwächen.
Zum einen: Wer sich am 1. Juli 2009 um ein übereiltes
Einführen sorgt, sollte auf den Kalender schauen. Meine
Sorge ist nicht die Eile, sondern die viele Zeit, die ver-
streicht, ohne einer Lösung näher zu kommen. Zum ande-
ren: Die SPD wendet sich strikt gegen eine Einführung
der „Premiumbehandlung“ für Optionskommunen und
die „Holzklasseversion“ für die Jobcenter. Sachgerechte
und zielführende Betreuung muss für alle Grundsiche-
rungsempfänger gewährleistet sein. Drittens. Sie fordern
sofortige Planungssicherheit nur für Optionskommunen.
Wir setzen dagegen: Planungssicherheit für alle. Vier-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Lösekrug-Möller
tens. Aufgabenwahrnehmung ausschließlich durch eine,
nämlich die kommunale Hand. Und dann werden Sie
sprachlich elegant. Ich zitiere: „Finanzbeziehungen
grundgesetzlich absichern“. Lassen wir die Eleganz bei-
seite, dann heißt das wohl: Der Bund bezahlt, und andere
entscheiden. Fünftens. Abschließend fordern Sie, „we-
nigstens“ jenen Kommunen, die eine alleinige Träger-
schaft übernehmen wollen, dies zu ermöglichen. Was
nichts anderes bedeutet, als dass Sie eigentlich fordern,
auch Kommunen gegen ihren Willen diese Aufgabe zuzu-
ordnen.

Seit mehr als einem Jahrzehnt bin ich Kommunalpoli-
tikerin. Ich halte viel von kommunaler Aufgabenerledi-
gung, ja, ich spreche mich ausdrücklich für den Fortbe-
stand der bestehenden Optionsregelung aus. Aber ich bin
ebenso strikt gegen eine Kommunalisierung der gesam-
ten Aufgabe. Es überrascht allerdings nicht, dass gerade
die Arbeitsmarktpolitiker der FDP dies fordern: Kom-
mune gut – Bundesagentur schlecht. Soviel schwarz-weiß
ist unvereinbar mit einer guten Politik für Arbeitsu-
chende in Deutschland.


Heinz-Peter Haustein (FDP):
Rede ID: ID1623049200

Wir reden hier heute über eine der dringendsten Fra-

gen für die Zukunft unseres Landes. Manch einem mag
das nicht bewusst sein. Mancher – auch hier in diesem
Haus – mag glauben, es gehe hier um irgendeine verwal-
tungstechnische Frage, eine Frage der Verwaltungsorga-
nisation, die nicht wichtig ist. Dem ist nicht so. Es geht
um die Frage, wie wir Millionen Menschen in unserem
Land eine Perspektive bieten können, und wie es gelin-
gen kann, den Millionen Betroffenen, die keine Arbeit ha-
ben, wieder eine existenzsichernde Beschäftigung zu ver-
schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht hat Ende 2007 ent-
schieden, dass die Arbeitsgemeinschaften aus Bundes-
agentur für Arbeit, BA, und Kommunen verfassungswid-
rig sind, weil sie gegen das Verbot der sogenannten
Mischverwaltung des Art. 83 f. GG verstoßen. Die Regie-
rung wollte zunächst laut einem Eckpunktepapier vom
Jahresbeginn 2008 künftig auf die freiwillige Zusammen-
arbeit der BA und der Kommunen setzen und sogenannte
kooperative Jobcenter schaffen. Dann waren sogenannte
ZAG, Zentren für Arbeit und Grundsicherung, im Ge-
spräch.

Die bisher vom Bundesministerium für Arbeit und So-
ziales und von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz
unterbreiteten und nun nicht weiterverfolgten Vorschläge
wurden den Anforderungen an eine einheitliche, gebün-
delte Aufgabenwahrnehmung nicht in gleichem Maße ge-
recht wie eine kommunale Gesamtverantwortung. Es
sollten Mischverwaltungen, die sich in der Vergangenheit
als problematisch erwiesen haben, grundgesetzlich ab-
gesichert werden. Die Vorschläge hätten im Ergebnis zu
einer weiteren Zentralisierung der Aufgaben bei der BA
geführt. Und das ist genau das, was wir im Interesse der
Betroffenen nicht brauchen. Wir brauchen eine dezen-
trale Lösung, klare Verantwortlichkeit vor Ort.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat das Modell der Ar-
gen, also einer Mischverwaltung von Arbeitsagenturen
Zu Protokoll
und Kommunen, immer abgelehnt. Wir haben durchweg
gefordert, die Durchführung des SGB II den kommunalen
Trägern zu überlassen. Zumindest aber sollte die beste-
hende Optionsregelung entfristet werden und denjenigen
Kommunen, die die alleinige Trägerschaft übernehmen
wollen, dies auch ermöglicht werden. Damit würde dem
Anliegen Rechnung getragen werden, die Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende aus einer Hand zu gewährleis-
ten.

Lassen Sie mich bei der Gelegenheit noch auf die Ar-
beitsverwaltung im Ganzen zu sprechen kommen und Ih-
nen vorstellen, was wir für wichtig halten: Die BA muss
aufgelöst und ein Dreisäulenmodell umgesetzt werden,
das meine Fraktion entwickelt und auch schon in den
Deutschen Bundestag eingebracht hat.

Nach diesem Modell wird, erstens, eine leistungs- und
kundenorientierte Versicherungsagentur die Versiche-
rungsleistung der Arbeitslosenversicherung erbringen.

Zweitens wird sich eine kleine Arbeitsmarktagentur
der überregionalen und internationalen Dimensionen
der Arbeitslosigkeit annehmen, die es trotz der großen
Bedeutung der lokalen Ebene auch gibt.

Drittens – das ist das Entscheidende – erfolgt die Be-
treuung der Langzeitarbeitslosen nach unserem Konzept
vor Ort, wo sie auch hingehört, durch kommunale Job-
center und nicht länger – zentral gesteuert – durch die
BA. Wir brauchen im Interesse der vielen Millionen be-
troffenen Arbeitslosen eine Betreuung vor Ort und aus ei-
ner Hand. Wir brauchen eine Betreuung der Arbeitslo-
sen, die die Gegebenheiten und Bedürfnisse des lokalen
Arbeitsmarktes kennt und in der Lage ist, schnell darauf
zu reagieren, im Interesse der Arbeitslosen.

Dafür bitten wir am 27. September um das Vertrauen!


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623049300

Es ist schon merkwürdig, dass die FDP in der vorletz-

ten ordentlichen Sitzung des Bundestages in dieser Wahl-
periode den Antrag noch auf die Tagesordnung setzen
lässt, und das in dem Wissen, dass über den Antrag im
Ausschuss nicht mehr diskutiert und entschieden werden
kann. Hinzu kommt, dass sich einige Punkte des Antrags
durch Zeitablauf bereits erledigt haben. Da kann man
nur sagen: Hier geht es um Wahlkampf pur und nicht um
die Sache. Und das bei der Brisanz dieses Themas. Im-
merhin geht es um die Zukunft von 60 000 Beschäftigten
und circa 6 Millionen Leistungsbezieher im SGB II sowie
um ein Finanzvolumen von circa 40 Milliarden Euro.

Die Fraktion Die Linke hatte ihre Position zur Zukunft
der Argen und Optionskommunen bereits im Zusammen-
hang mit der Debatte über den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen geäußert. Die Debatte ist fast ein
Jahr her. An unserer Position zur Zukunft der Argen hat
sich zwar nichts geändert, geändert hat sich allerdings
die Situation.

Am 17. März 2009 hatte die CDU/CSU-Fraktion be-
schlossen, diese Frage in dieser Wahlperiode nicht mehr
zu entscheiden. Der Grund: CDU und CSU wollen die
Bundestagswahl im September abwarten. Eine neue Ko-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
alition mit der FDP könnte Hartz IV dann in die Hände
der Kommunen legen. Der Bund würde seine Verantwor-
tung für das gesamtgesellschaftliche Problem Erwerbs-
losigkeit zunächst organisatorisch und später auch fi-
nanziell ablegen. Diese Entwicklung muss verhindert
werden. Die Linke ist der Auffassung, dass Erwerbslosig-
keit ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, das man
nicht einfach auf die Kommunen abwälzen kann. Diesbe-
züglich steht der Bund in der Pflicht. Der Antrag der
FDP zielt darauf ab, den Bund diesbezüglich aus der
Verantwortung zu nehmen. Daher können wir dem An-
trag nicht zustimmen.

Wir meinen, dass sich die künftige Organisation des
SGB II an folgenden Prämissen messen lassen muss: Aus
der Sicht der Erwerbslosen und Hilfebedürftigen: Alle
Erwerbslosen, nicht Arbeitslose, werden gefördert. Ihnen
zustehende Leistungen sind schnell, unbürokratisch, aus
einer Hand und ohne Widerspruch einlegen zu müssen,
zu gewähren. Sie müssen jeweils einen ständigen, kompe-
tenten, direkt erreichbaren und freundlichen Ansprech-
partner haben. Die Arbeitsvermittlung muss nach indivi-
duellen Merkmalen erfolgen. Dazu sind auf die Person
zugeschnittene Integrations- bzw. Beschäftigungsange-
bote auf dem örtlichen, mindestens aber dem regionalen
Arbeitsmarkt zu unterbreiten. Bei allen Maßnahmen gilt
das Prinzip der Freiwilligkeit.

Aus der Sicht der Kommunen: Die Kommunen müssen
Handlungs- und Entscheidungsspielräume erhalten, die
eine Verzahnung einer kommunalen Sozial- mit einer ak-
tiven Beschäftigungs- und Strukturpolitik ermöglichen.
Dabei sind die positiven Erfahrungen lokaler Arbeits-
marktpolitik vor der Einführung der Hartz-Gesetze ein-
zubeziehen. BA und Kommunen sind als gleichwertige
Partner zu betrachten, um eine Leistungsgewährung, Ar-
beitsförderung und soziale Betreuung aus einem Guss in
den Kommunen steuern und miteinander vernetzen zu
können. Dabei soll die kommunale Ausrichtung und Ver-
antwortung für den Gesamtprozess Priorität haben.

Aus der Sicht der Beschäftigten: Die Beschäftigten
müssen unbefristete Arbeitsverträge erhalten. Es sind
Möglichkeiten der Qualifizierung zu schaffen. Sie brau-
chen Ermessensspielräume, um im Interesse der Betrof-
fenen Entscheidungen treffen zu können. Die Zahl der zu
betreuenden Erwerbslosen je Beschäftigtem muss verrin-
gert werden, und es muss für alle Beschäftigten eine ein-
heitliche tarifliche Bezahlung geben.

Aus der Sicht des Bundes: Es sind Wege zu finden, die
unter Beachtung der kommunalen Organisationshoheit
die Leistungserbringung absichern und zentrale arbeits-
marktpolitische Ziele realisierbar machen, die eine Be-
schäftigungs- und Strukturpolitik und einen Ausgleich
zwischen den Regionen ermöglichen. Die gegenwärtigen
Widersprüche und Auseinandersetzungen zeigen, dass
mittelfristig die Bundesagentur in ihrer Gesamtheit re-
formiert werden muss, vor allem hinsichtlich ihrer De-
mokratisierung. Es geht um die Wiederbelebung und
Neubestimmung der Selbstverwaltung. Entscheidungen
über die konkrete Ausgestaltung der Politik der BA müs-
sen das Ergebnis eines öffentlichen Dialogs sein, in den
alle betroffenen Gruppen einbezogen werden.
Zu Protokoll
Kurzfristig gilt es, die Verwaltung so lange aufrecht zu
erhalten und die Beschäftigten zu schützen, bis eine poli-
tische Einigung gefunden wurde.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623049400

Zum Ende der Wahlperiode hat die FDP wieder ein-

mal in ihrer politischen Resterampe gewühlt und einen
Antrag hervorgezogen, an dem der Zahn der Zeit bereits
ordentlich genagt hat.

Denn Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, ist überholt. Er berücksichtigt überhaupt nicht,
dass wir es bei der Trägerschaft in der Grundsicherung
mit einer vollkommen anderen Problemlage zu tun haben
als noch vor einem Jahr.

Ich muss Sie vielleicht daran erinnern, dass die
Unionsfraktion die Frage der Jobcenter im Frühjahr vor
die Wand gefahren hat. Von einer Absicherung der Trä-
gerschaft im Grundgesetz sind wir entfernter denn je.
Und das bringt nicht nur die Arbeitsgemeinschaften in
enorme Schwierigkeiten, sondern natürlich auch die
Optionskommunen, die Ihnen ja immer so besonders am
Herzen liegen.

Hauptleidtragende dieses Desasters aber sind die Ar-
beitsuchenden. Ich rede hier von aktuell 6,74 Millionen
direkt und indirekt betroffenen Bürgern. Ihnen blühen ein
organisatorisches Chaos, Ansprechpartner, die oft auf
dem Sprung in einen anderen Job sein werden, und der
Gang von Pontius zu Pilatus auf der Suche nach
finanzieller und anderer Unterstützung. Das ist der ei-
gentliche Skandal, über den wir hier reden müssen.

Mit fadenscheinigen Argumenten hat sich die Unions-
fraktion im Bundestag gegen sämtliche Ministerpräsi-
denten der Union, gegen Angela Merkel und gegen das
Präsidium der CDU gestellt. Es spricht Bände über die
innere Verfassung der Union, dass die Fraktion sich da-
mit durchsetzen konnte. Die Union hat dadurch einen
Kompromiss torpediert, der nach langen Verhandlungen
von allen Fraktionen und Ebenen getragen wurde.
Dieser Kompromiss hätte immerhin für eine Grundlage
bei der Trägerschaft im SGB II gesorgt, auf der hätte
weitergearbeitet werden können.

Sie können mir glauben, dass auch wir Grünen ge-
nügend Kritik an den geplanten Zentren für Arbeit ha-
ben. Aber wir standen und stehen zu einer Grundge-
setzänderung, die sowohl die Zusammenarbeit von
Bundesagentur und Kommunen als auch rein kommunale
Lösungen gesichert hätte. Das wäre die Grundlage ge-
wesen, auf der wir für weitere Verbesserungen gestritten
hätten. Das sind vor allen Dingen: die wirkliche Hilfe
aus einer Hand, die Sicherstellung der finanziellen und
leistungsrechtlichen Verantwortung des Bundes und die
Stärkung des kommunalen Einflusses.

Dank der Union stehen wir jetzt aber mit gänzlich lee-
ren Händen da. Ohne eine Grundgesetzänderung werden
die Arbeitsgemeinschaften sukzessive auseinanderfal-
len, da Verträge auslaufen und Liegenschaften nicht
mehr gemeinsam genutzt werden können. Ab 2011 ergibt
sich dann automatisch eine getrennte Trägerschaft
zwischen Bundesagentur und Kommunen. Das bedeutet



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
das Ende der Leistungen aus einer Hand und eine
schlechtere Betreuung der Langzeitarbeitslosen. Aber
auch die reine kommunale Trägerschaft, wie FDP und
Teile der Union sie fordern, bedarf einer Grundgesetzän-
derung. Allen, die mit einer einfachgesetzlichen Lösung
liebäugeln, will ich es noch einmal ganz deutlich sagen.
Damit wäre – unter der Voraussetzung, der Bundesrat
stimmt dem zu – lediglich eine Aufgabenübertragung an
die Länder möglich. Diese Lösung würde das Ende der
Bundesverantwortung für Langzeitarbeitslosigkeit be-
deuten. Die Folgen und den Streit um die finanziellen
Lastenverteilungen können Sie sich sicherlich alle leb-
haft ausmalen.

Beide Aussichten können mich nicht zufriedenstellen,
denn beide sind nicht im Sinne der Arbeitsuchenden. De-
ren Interessen haben die Verursacher dieser Situation
völlig aus den Augen verloren. Das ist armselig und einer
Fraktion im Deutschen Bundestag unwürdig.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623049500

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9339 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 60 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Undine Kurth (Quedlinburg), Katrin Göring-
Eckardt, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbe-
übereinkommen vorlegen

– Drucksachen 16/13176, 16/13581 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Grütters
Steffen Reiche (Cottbus)

Christoph Waitz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Undine Kurth (Quedlinburg)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1623049600

Das Welterbekomitee der UNESCO hat in der vergan-

genen Woche dem Elbtal in Dresden den Welterbetitel
aberkannt, trotz aller Anstrengungen zum Kompromiss
und des hohen Stellenwerts, den das Kulturland Deutsch-
land seinen Welterbestätten beimisst. Wir bedauern diese
Entscheidung außerordentlich. Sie schadet dem Ansehen
Deutschlands in der Welt, das zuvorderst auf seine Tradi-
tion als Kulturnation mit einer weltweit überragenden
kulturellen Vielfalt und Geschichte gründet.

Verlierer ist dabei aber nicht nur das Dresdner Elbtal,
sondern auch die UNESCO selbst. Denn offensichtlich
ging es der Mehrzahl der Mitglieder des Welterbekomi-
tees darum, ein Exempel zu statuieren. Man hätte mit der
Aberkennung des Titels bis zur Fertigstellung der Wald-
schlößchenbrücke warten können, um die tatsächliche
Raumwirkung der Brücke in Augenschein zu nehmen.
Man hätte dieselben Maßstäbe wie in Pompeji oder
Peking, in Angkor Wat oder Babylon anlegen können, ja
müssen, wo Beeinträchtigungen oder Vernachlässigun-
gen der Welterbestätten trotz Ermahnungen weiter taten-
los hingenommen werden.

Vor allem aber hätte man respektieren müssen, dass
der Bau der Waldschlößchenbrücke auf einen Volksent-
scheid der Dresdner zurückgeht. Der Bau war Bürger-
wille. Zu Recht fühlen sich die Dresdner von der
UNESCO nicht ganz fair behandelt. Hier handelt es sich
um einen im Kern unauflöslichen Konflikt: Wenn man ein
Mehr an Bürgerbeteiligung will, dann muss die Politik den
Willen der Bürger auch ernst nehmen und als bindend be-
trachten. Ginge man über das Ergebnis von Volksentschei-
den so schnöde hinweg wie jetzt die UNESCO und an-
dere Fraktionen in diesem Hause, führte dies zu einer
Verarmung der Demokratie.

Und hier ist auch Kritik an der Bundesregierung an-
gebracht. Bundesbauminister Tiefensee hat Dresden be-
reits vor der Aberkennung des UNESCO-Welterbetitels
beantragte Mittel aus dem 150-Millionen-Förderpro-
gramm verweigert. Er hat damit der Entscheidung des
Welterbekomitees Vorschub geleistet, zum Schaden Dres-
dens, zum Schaden Sachsens, zum Schaden Deutsch-
lands.

Aber noch ist Dresden nicht verloren! Ich fordere die
Dresdner auf, sich nach der Fertigstellung der Brücke
erneut um den Welterbetitel zu bewerben. Die 33 aktuel-
len deutschen Welterbestätten fordere ich auf, dass sie
dann mit einer zweiten Bewerbung Dresdens solidarisch
sind.

Es gab von der Sitzung des Welterbekomitees in Se-
villa zum Glück auch Erfreuliches zu vermelden.
Deutschland hat eine neue UNESCO-Weltnaturerbe-
stätte hinzugewonnen: das Wattenmeer. Aufgrund seines
einzigartigen Ökosystems ist das Wattenmeer als erste
deutsche Naturlandschaft zum Welterbe der Menschheit
erklärt worden. Besonders freut mich, dass hiermit ein
deutsch-niederländischer Gemeinschaftsantrag erfolg-
reich war. Diese gemeinsame Ehre wie Verpflichtung
wird unsere nachbarschaftlichen Beziehungen weiter be-
fördern. Als Schleswig-Holsteiner freue ich mich beson-
ders über diese Auszeichnung für meine Heimat. Nach
der Hansestadt Lübeck ist das Wattenmeer die zweite
schleswig-holsteinische Welterbestätte auf der Liste der
UNESCO.

Die UNESCO-Weltkultur- und Weltnaturerbestätten
besitzen einen außergewöhnlichen universellen Wert
nicht nur für die eigene Nation, sondern für die gesamte
Menschheit. Mit dem 1972 von der UNESCO verabschie-
deten und von Deutschland im Jahr 1976 ratifizierten
Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes
der Welt verpflichtet sich jedes Land, die innerhalb sei-
ner Landesgrenzen gelegenen Denkmäler zu schützen
und für zukünftige Generationen zu erhalten. In der Zwi-
schenzeit umfasst die Liste des Welterbes insgesamt
878 Kultur- und Naturstätten in 145 Ländern. Deutsch-
land ist aktuell mit 33 Stätten als Natur- oder Kulturerbe
auf der Liste des UNESCO-Welterbes vertreten. Weitere


(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

stehen derzeit auf der Vorschlagsliste für den Welterbe-
status zur Entscheidung an.

Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet die Ver-
leihung des UNESCO-Welterbetitels nicht nur internatio-
nale Anerkennung, sondern zugleich auch die große Ver-
pflichtung, für den fortdauernden Schutz und die
Erhaltung des gemeinsamen Erbes der Menschheit Sorge
zu tragen. Dies gilt auch für die Welterbestätten auf deut-
schem Territorium, die auf Initiative europäischer Nach-
barstaaten auf die UNESCO-Welterbeliste gelangt sind.
Die unterschiedlichen Träger der Welterbestätten – Bund,
Länder, Kommunen, Kirchen, Stiftungen und Private – be-
kennen sich zu ihrer gemeinsamen Verantwortung. Den-
noch stehen sie oft vor großen Herausforderungen: Diese
liegen vor allem im investiven und konsumtiven Bereich.

Die Welterbestätten sind eine Angelegenheit des
Denkmalschutzes und damit vorrangig eine Aufgabe von
Ländern und Kommunen. Ihnen obliegt die Hauptver-
antwortung für den Schutz und den Erhalt der Welterbe-
stätten. Daher geht an die Länder der Appell, ihre
Denkmalschutzgesetze zu überprüfen und mit dem Ziel,
vergleichbare Standards zu etablieren, gegebenenfalls zu
novellieren. Bundesweit würden dadurch die Bedingun-
gen für Erhalt und Schutz der deutschen Welterbestätten
verbessert.

Der Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, zur recht-
lichen Stärkung des UNESCO-Welterbes in Deutschland
ein nationales Ausführungsgesetz zu beschließen, können
wir uns allerdings nicht anschließen, sie ist auch rechtlich
fragwürdig. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem
Übereinkommen am 23. August 1976 auf der Grundlage
eines Kabinettbeschlusses beigetreten, nach vorheriger
Zustimmung der damaligen Länder. Ein Vertragsgesetz
wurde damals nicht für erforderlich erachtet. Die Bun-
desregierung hat die Frage der Verbindlichkeit der Welter-
bekonvention – ohne Vertrags- oder Ausführungsgesetz –
anlässlich der geplanten Waldschlößchenbrücke in Dres-
den gutachterlich geprüft und bejaht. Das Gutachten der
Bundesregierung vom Dezember 2007 kommt zu dem Er-
gebnis, dass die Welterbekonvention für Bund und Länder
verbindlich ist. Ein Vertrags- sowie ein Ausführungsge-
setz sind entbehrlich, da die Welterbekonvention nur Be-
mühensverpflichtungen enthält.

Der Bund hat die UNESCO-Konvention zum Schutz
des Kultur- und Naturerbes der Welt – Welterbekonven-
tion – von 1972 durch Kabinettbeschluss vom 8. Juli 1976
wirksam in innerstaatliches Recht übertragen. Die Inkor-
poration durch die Länder im Bereich ihrer ausschließli-
chen Gesetzgebungskompetenzen ist jedenfalls in ihrer
Einverständniserklärung nach der Lindauer Absprache
zu dem oben genannten Kabinettbeschluss zu sehen. Die
Inkorporation mit Wirkung für die neuen Länder ist durch
die Gültigkeitserstreckung der völkerrechtlichen Ver-
träge der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 11 des
Einigungsvertrages erfolgt. Als Ergebnis des Gutachtens
der Bundesregierung sind gesetzliche Maßnahmen nicht
erforderlich für die Geltung der Welterbekonvention in
der Bundesrepublik Deutschland. Aus unserer Sicht be-
steht kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Zu Protokoll
Die Regierungschefs der Länder halten ein Vertrags-
gesetz ebenfalls nicht für erforderlich. Sie haben be-
schlossen, dass für die Erreichung des Zwecks der Welt-
erbekonvention im Einzelfall ausschließlich die jeweils
geltenden landesrechtlichen Bestimmungen maßgebend
sind.

Der Bund unterstützt in nennenswertem Umfang die
deutschen Welterbestätten: So fördert der Beauftragte
der Bundesregierung für Kultur und Medien, BKM,
Staatsminister MdB Bernd Neumann, institutionell im
Rahmen des Leuchtturm-Programmes in den neuen Län-
dern Welterbestätten, wie unter anderem die Luther-Ge-
denkstätten in Wittenberg und Eisleben, die Klassik Stif-
tung Weimar, die Stiftung Fürst-Pückler-Park in Bad
Muskau sowie die Museumsinsel in Berlin als Teil der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die preußischen
Schlösser und Gärten im Rahmen der Stiftung
Preußische Schlösser und Gärten. Aus dem Programm
„National wertvolle Kulturdenkmäler“ für die Substanz-
erhaltung und Restaurierung von gesamtstaatlich bedeu-
tenden Baudenkmälern werden beträchtliche Mittel für
denkmalpflegerische Maßnahmen im Bereich von
UNESCO-Welterbestätten eingesetzt. Weitere Förderun-
gen erfolgen unter anderem aus dem Etat des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
BMVBS, im Rahmen verschiedener Städtebauförde-
rungsprogramme. Besonders hervorzuheben ist das auf
einen Beschluss des Deutschen Bundestages beruhende
Programm zur Förderung von Investitionen in nationale
UNESCO-Welterbestätten, mit dem der Bund im Rahmen
des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssicherung durch
Wachstumsstärkung“ für die Jahre 2009 bis 2013 insge-
samt 150 Millionen Euro für die nationalen UNESCO-
Welterbestätten bereitstellt. Neben den Fachkollegen aus
den Koalitionsfraktionen danke ich besonders MdB
Thomas Silberhorn und MdB Monika Grütters für ihren
aktiven und anhaltenden Einsatz bei dieser Thematik.

Bei aller Anerkennung der erheblichen finanziellen
Anstrengungen von allen Trägern der Welterbestätten
sind jedoch auch vermehrte Anstrengungen wünschens-
wert, das wirtschaftliche Potenzial der Welterbestätten
bei gleichzeitigem Schutz der kulturellen Substanz pro-
fessioneller zu nutzen. Managementpläne der einzelnen
Welterbestätten könnten zu einer besseren touristischen
Vermarktung führen. Bisher existieren diese nur für die
ab dem Jahr 2000 aufgenommenen Welterbestätten. Von
der Welterbeorganisation werden sie seit 2005 gefordert.
Sie sind ein geeignetes Instrument, um die Vernetzung
und Kooperation der Welterbestätten bundesweit und in-
ternational zu verbessern und um neue Finanzierungs-
quellen zu erschließen.

2001 schlossen sich die deutschen Welterbestätten und
die jeweiligen touristischen Organisationen in dem Ver-
ein „UNESCO-Welterbestätten Deutschland e. V.“ zu-
sammen, um die touristische Vermarktung vernetzt und
kooperativ zu betreiben. Ziel ist es, nicht nur das Welter-
beprogramm der UNESCO einer breiteren Öffentlichkeit
näher zu bringen, sondern Menschen jeder Herkunft und
Bildung zu motivieren, die Stätten zu besuchen. Hierfür ar-
beitet der Verein eng mit den Denkmalschützern, den tou-
ristischen Organisationen und Unternehmen, der



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

UNESCO und Bildungsträgern in Deutschland und welt-
weit zusammen. Gemeinsam mit der Deutschen UNESCO-
Kommission organisiert der Verein die seit 2001 regel-
mäßig stattfindende Jahrestagung aller deutschen Welt-
erbestätten sowie den seit 2005 bundesweit durchgeführ-
ten „Welterbetag“. Das Besucherpotenzial schätzt er auf
50 Millionen Gäste im Jahr, die Umsätze von circa
1,5 Milliarden Euro generieren. Dies korrespondiert mit
Erkenntnissen der Deutschen Zentrale für Tourismus
e. V. in ihrem „Qualitätsmonitor Deutschland-Touris-
mus“ für 2007/2008, wonach für mehr als 50 Prozent der
ausländischen Touristen das Kunst- und Kulturerlebnis
das Hauptmotiv für den Deutschlandbesuch ist.

Diese Zahlen unterstreichen einerseits das touristi-
sche Potenzial der deutschen Welterbestätten. Sie ma-
chen andererseits aber auch ungenutzte Chancen deut-
lich. Im internationalen Tourismusgeschäft sollten die
deutschen Welterbestätten ein Zugpferd bei der Werbung
für Deutschland sein. Aber auch innerhalb Deutschlands
muss für ihren international anerkannten außergewöhn-
lichen Wert noch stärker geworben werden.

Die deutschen Welterbestätten verdienen es – mehr
noch, als bisher geschehen –, in den Mittelpunkt der öf-
fentlichen Aufmerksamkeit gerückt zu werden, um den
Erhalt des Welterbes für die künftigen Generationen zu
sichern und gleichzeitig ihr wirtschaftliches Potenzial im
eigenen, aber auch im Interesse der Gebietskörperschaf-
ten und Regionen zu stärken. Hierauf hat zuletzt auch der
Abschlussbericht der vom Deutschen Bundestag einge-
setzten Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
hingewiesen.

Wir begrüßen, dass alle staatlichen Ebenen sich im
Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten der besonderen
Verantwortung gegenüber Erhalt und Schutz der Welt-
erbestätten bewusst sind. In diesem Zusammenhang ist
allen Trägern von Welterbestätten und hier besonders
den zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern zu danken für
die bisher für den Erhalt der Welterbestätten unternom-
menen ideellen und vor allem materiellen Anstrengun-
gen.

Wir begrüßen die Bestrebungen aller verantwortli-
chen Träger, Gefahren für das Weltkulturerbe abzuweh-
ren und dabei zum Beispiel bei Genehmigungs- und Pla-
nungsverfahren dem Schutz und dem Erhalt der
Welterbestätten eine hohe Priorität beizumessen.

Wir begrüßen die von der Bundesregierung unter der
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrem Zuständig-
keitsbereich vorgenommenen Aktivitäten zur Unterstüt-
zung deutscher UNESCO-Welterbestätten und halten es für
wünschenswert, diese Förderungen möglichst zu versteti-
gen. Wir begrüßen das Programm in Höhe von 150 Millio-
nen Euro, das der Erhaltung, Sanierung und Weiterent-
wicklung nationaler UNESCO-Welterbestätten dienen
soll, und gehen davon aus, dass national wertvolle
Kulturdenkmäler, die sich in unmittelbarer Nähe von
UNESCO-Welterbestätten befinden, darin einbezogen
werden können, unter Mitfinanzierung der Länder.

Zur weiteren Verbesserung der Förderung der
UNESCO-Welterbestätten in Deutschland fordern wir die
Zu Protokoll
Bundesregierung abschließend auf: erstens dem Deut-
schen Bundestag über die Umsetzung des Programms zur
Förderung von Investitionen in nationale UNESCO-
Welterbestätten kontinuierlich zu berichten – Kriterien
der Förderung, Zeitrahmen, Jury etc.; wir gehen davon
aus, dass auch die Welterbestätten auf deutschem Terri-
torium, die auf Initiative europäischer Nachbarstaaten
auf die UNESCO-Welterbeliste gelangt sind, darin ein-
bezogen werden können –; zweitens zu prüfen, ob Erlöse
aus den Sondermünzen mit Motiven der Welterbestätten,
zweckgebunden für den Erhalt zu diesen Welterbestätten
fließen könnten; drittens ihre Förderaktivitäten unter Fe-
derführung des Beauftragten der Bundesregierung für
Kultur und Medien im Interesse einer effektiven und
nachhaltigen Förderung der Welterbestätten zu bündeln
und dabei den Sachverstand der Deutschen UNESCO-
Kommission, des Deutschen Nationalkomitees für Denk-
malschutz, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der
Stiftung Baukultur, des Vereins Welterbestätten Deutsch-
land e. V. sowie der Deutschen Zentrale für Tourismus
e. V. einzubeziehen; viertens vor allem zur Unterstützung
des privaten Engagements zu prüfen, ob Welterbegebiete
ähnlich wie Sanierungsgebiete von einer höheren steuer-
lichen Absetzbarkeit profitieren könnten – insbesondere
§§ 7 i, 10 f EStG –; fünftens darauf hinzuwirken, dass das
touristische Potenzial der Welterbestätten noch stärker
ausgeschöpft wird – die Bundesregierung sollte daher
ihre Einflussmöglichkeiten bei der Deutschen Bahn und
bei der Deutschen Zentrale für Tourismus nutzen, um ge-
meinsam mit den Welterbestätten, den beteiligten Touris-
musverbänden und Welterbeorganisationen einen Plan
zur besseren touristischen Erschließung der Welterbe-
stätten zu erarbeiten, zum Beispiel durch die Schaffung
eines „Welterbetickets“–; sechstens künftig in ihrem
Tourismusbericht gesondert über die Initiativen zur Stär-
kung der Belange der UNESCO-Welterbestätten zu infor-
mieren; siebtens ihre Initiative fortzusetzen, bei den vom
Bund unterstützten Welterbestätten auf die Erstellung
von Managementplänen zu drängen; wir appellieren an
alle anderen Träger, im gleichen Sinne aktiv zu werden.

Welterbestätten gehören zu unserem reichhaltigen kul-
turellen Erbe. Unser Erbe gibt den Bürgerinnen und Bür-
gern Halt und Orientierung, es stiftet Identität. Gerade in
Zeiten gewaltiger ökonomischer Umwälzungen und Ver-
werfungen tut dies besonders not. In den aktuellen Tur-
bulenzen der Globalisierung gehören auch unsere Welt-
erbestätten zu den unverwechselbaren Ankern, die uns
unserer Herkunft versichern und zum Zusammenhalt der
Gesellschaft beitragen.


Steffen Reiche (SPD):
Rede ID: ID1623049700

Um es gleich vorwegzunehmen: Die SPD setzt sich für

eine bessere, möglichst lückenlose gesetzliche Veranke-
rung des UNESCO-Welterbeschutzes in Deutschland ein.
Das Debakel um die Aberkennung des Dresdner Welt-
erbestatus ist der beste Beweis dafür, dass die behauptete
innerdeutsche Bindungswirkung der Welterbekonvention
nur Durchschlagskraft besitzt, wenn sie zum einen von
allen beachtet und anerkannt wird und zum anderen hin-
reichend gesetzlich verankert und damit einklagbar ist.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Steffen Reiche (Cottbus)

Das gilt es – unabhängig vom Fall des Elbtales Dres-
den –, noch einmal sehr genau zu prüfen.

Das Desaster in Dresden sollte als Lehre dafür die-
nen, dass das jetzige und zukünftige deutsche Weltkultur-
und das neue einzige deutsche Weltnaturerbe Watten-
meer bislang keineswegs dauerhaft und nachhaltig in ih-
rem jeweiligen Bestand geschützt sind. Die Diskussionen
um das Mittelrheintal und Regensburg untermauern
diese Ansicht. Es reicht eben nicht, wenn die Bundes-
regierung zwar zu den Verpflichtungen aus dem
UNESCO-Übereinkommen zum Welterbeschutz steht,
diese aber auf kommunaler oder Landesebene relativiert
oder sogar missachtet werden. Die zwingende Beachtung
von Aspekten des Welterbeschutzes muss auf allen staat-
lichen Ebenen eindeutiger und überhaupt explizit gere-
gelt werden.

Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz hat
wiederholt darauf hingewiesen, dass der Schutz über die
Denkmalschutzgesetze der Länder allein nicht ausreicht,
sodass eine Reihe einschlägiger Bundesgesetze aus völ-
kerrechtlicher und kulturstaatlicher Verantwortung den
Belangen des Denkmalschutzes mehr als bisher Rech-
nung tragen muss; Resolution des Nationalkomitees vom
13. November 2006. Die von der UNESCO-Kommission
erarbeitete Wartburg-Erklärung vom 23. Oktober 2008
äußert die Besorgnis, dass dynamische Entwicklungspro-
zesse den Schutz und die Erhaltung des außergewöhnlich
universellen Wertes von Welterbestätten bedrohen. Diese
Sorge teile ich.

Wir sind in der SPD-Fraktion im Gegensatz zu unse-
rem Koalitionspartner der Auffassung, dass die in der
Konvention formulierten Bemühenspflichten eben nicht
bedeuten, dass allein die Behauptung, man bemühe sich,
ausreicht. Es bedarf des tatsächlichen Bemühens um den
Schutz und den Erhalt des Weltkulturerbes, was bei der
CDU in Sachsen und Dresden nicht der Fall war. Recht
hat die CDU/CSU-Fraktion aber mit der Feststellung,
dass die Waldschlößchenbrücke ganz offensichtlich
selbst mit weitergehenden Regelungen des Welterbe-
schutzes nicht aufhaltbar gewesen wäre. Die Dresdner
CDU war es, die auf Biegen und Brechen die Brücke
bauen wollte. Die durch unseren Bundesverkehrsminister
Wolfgang Tiefensee mit großer Ernsthaftigkeit diskutierte
welterbeverträgliche Tunnellösung wurde in den Wind
geschlagen.

Gern hätten wir hier mit unserem Koaltionspartner in
dieser Legislaturperiode noch eine parlamentarische
Initiative zur Stärkung der UNESCO-Welterbestätten er-
griffen. Wenn aber die CDU/CSU-Fraktion im ersten
Schritt nicht bereit ist, in einem gemeinsamen Antrags-
entwurf die Bedeutung der Bindungswirkung und ihre
Anerkennung mitzutragen, und dann im zweiten Schritt
nicht bereit ist, anzuerkennen, dass das Bundesministe-
rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ganz maß-
geblich zum Erhalt deutscher Welterbestätten beiträgt,
ist die Kompromissbereitschaft unsererseits überstrapa-
ziert. Auch der in einem Antragsentwurf unsererseits for-
mulierte wünschenswerte Vorbildcharakter Deutsch-
lands bei der Wahrung des Welterbes hätte auf Wunsch
Zu Protokoll
der CDU/CSU gestrichen werden sollen – uns völlig un-
erklärlich.

Insoweit weist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen aus Sicht der SPD in die richtige Richtung.
In dieser Legislatur stellt er sich aber nicht mehr als ziel-
führend heraus. Das von ihnen geforderte Umsetzungs-
gesetz würde ausschließlich auf die Welterbekonvention
abstellen. Es gibt aber Grund zur Hoffung, dass uns in
der nächsten Legislatur ein größerer Wurf als nur ein
Umsetzungsgesetz für die UNESCO-Welterbekonvention
gelingt. Wir wünschen uns, dass ein Gesetz zur Berück-
sichtigung des Denkmal- und Welterbeschutzes im Bun-
desrecht zum einen das UNESCO-Weltkulturerbe als be-
sonderes öffentliches Interesse ausdrücklich verankert
und zugleich weitere offene Fragen zum Welterbe- und
Denkmalschutz regelt.

Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass wir auch
zur Frage des Schatzfundes eine den denkmalpflegeri-
schen Interessen gerecht werdende Lösung finden müs-
sen und dass wir uns weiter für die Umsetzung des
UNESCO-Übereinkommens zum Schutz des Kulturerbes
unter Wasser einsetzen müssen. Deshalb möchte ich für
eine große Lösung werben und hoffe, dass es uns frak-
tionsübergreifend möglichst frühzeitig in der kommenden
Wahlperiode gelingt, ein Paket zu schnüren, das all diese
Belange in einem Artikelgesetz mit einbezieht.

Weiterhin nimmt die SPD-Fraktion mit Freude wahr,
dass nun auch in der CDU/CSU-Fraktion das Interesse
an der Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz
des immateriellen Kulturerbes wächst. Auch die Umset-
zung dieser Konvention könnte in ein solches Paket ein-
bezogen werden. Schon zu Beginn dieser Legislatur ist
uns mit der Umsetzung der Kulturgutschutz-Konvention
und der UNESCO-Konvention zur Sicherung der Vielfalt
kultureller Ausdrucksformen ein großer und wichtiger
Schritt gelungen. Ich bin zuversichtlich, dass uns ein
ähnlich großer Schritt auch ein zweites Mal gelingen
wird.

Deshalb wäre es falsch, sich zum jetzigen Zeitpunkt
auf ein Umsetzungsgesetz, das nur den Welterbeschutz im
Blick haben kann, zu versteifen.


Christoph Waitz (FDP):
Rede ID: ID1623049800

Durch den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen wird die Bundesregierung aufgefordert, ein Umset-
zungsgesetz für das UNESCO-Welterbeübereinkommen
vorzulegen. Anlass des Antrages ist der Rechtsstreit um
den Brückenbau über das Dresdner Elbtal. Hier wurde
deutlich, dass die bisherige Annahme der direkten Bin-
dung völkerrechtlicher Verträge für alle staatlichen Ebe-
nen nicht gilt: Das OVG Bautzen und das Bundesverfas-
sungsgericht hatten im Jahr 2007 eine unmittelbare
innerstaatliche verpflichtende Bindungswirkung der
Welterbekonvention infrage gestellt, da die Welterbekon-
vention nur durch ein Verwaltungsabkommen nach
Art. 59 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz umgesetzt wurde.

Im Mittelpunkt der Welterbekonvention steht der Denk-
malschutz, der in die Zuständigkeit der Länder fällt. Nach
einer zentralistischen Ansicht liegt die Abschlusskompe-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christoph Waitz
tenz beim Bund, die Länder seien jedoch für die Transfor-
mation des Vertrages in innerstaatliches Recht zuständig.
Nach einer föderalistischen Ansicht lägen sämtliche
Kompetenzen – des Abschlusses und die der Transforma-
tion – bei den Ländern. Hier existieren also zwei konkur-
rierende Ansichten.

Nach Auffassung der Mehrheit der FDP-Fraktion
liegt hier keine Bundeszuständigkeit vor. Aus diesem
Grund lehnt die FDP-Fraktion den Antrag ab und be-
gründet dies im Konkreten wie folgt:

Das UNESCO-Übereinkommen hat den Schutz so-
wohl des Weltnatur- als auch des -kulturerbes zum Inhalt.
Der Bund ist jedoch nur hinsichtlich des Naturerbes be-
fugt, die Konvention in innerstaatliches Recht umzuwan-
deln, denn hinsichtlich des Kulturerbes fehlt ihm die Ge-
setzgebungskompetenz. Des Weiteren kommt dem Bund
nach Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz ein formelles, aber kein
materielles Gesetzgebungsrecht zu. Eine völkervertragli-
che Regelung ist nicht automatisch eine auswärtige An-
gelegenheit, für die der Bund nach Art. 73 Nr. 1 Grund-
gesetz die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz
hätte. Ein Vertragsgesetz des Bundes ist daher nur inso-
weit zulässig, wie es eine Materie der Bundesgesetzge-
bung regelt. Soll hingegen ein völkerrechtliches Abkom-
men in die nationale Rechtsordnung überführt werden,
für das seinem Inhalt nach die Länder die Gesetzge-
bungskompetenz besitzen, ist es allein deren Aufgabe, ein
entsprechendes Gesetz zu erlassen. Der Bund kann inso-
weit nicht anstelle der Länder tätig werden. In Bezug auf
den Denkmalschutz verleiht das Grundgesetz dem Bund
keine Gesetzgebungskompetenz, somit sind gemäß Art.
70 Abs. 1 Grundgesetz die Länder zuständig.

Unabhängig von diesem Ergebnis gilt: Die Bundesre-
publik Deutschland hat einen verpflichtenden völker-
rechtlichen Vertrag geschlossen. Als Konsequenz dieses
Vertrages sind die Länder durch das Lindauer Abkom-
men an den Inhalt gebunden.

Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
hatte die Bundesregierung eindringlich aufgefordert, ein
Umsetzungsgesetz in Abstimmung mit den Ländern auf
den Weg zu bringen. Sie begründete dies mit Blick auf
den Rechtsstreit zur Waldschlößchenbrücke und führte
aus, dass im Rahmen eines Ausführungsgesetzes eine in-
nerstaatlich verpflichtende Bindungswirkung für das
Welterbe zu schaffen und die Verpflichtung aus der Welt-
erbekonvention in Bundesgesetzen wie dem Raumord-
nungsgesetz, dem Baugesetzbuch, dem Bundesnatur-
schutzgesetz etc. zu verankern sei.

Ob wir den Schutz auf Bundes- oder auf Landesebene
sicherstellen, ist meines Erachtens nicht entscheidend.
Entscheidend ist, dass wir die notwendigen administrati-
ven und gesetzlichen Maßnahmen ergreifen, um das welt-
weite Vertrauen in die uneingeschränkte Geltung der
Welterbekonvention in Deutschland wiederherzustellen.
Da die Länder im Jahr 2007 schon einen Vorstoß unter-
nahmen, jedoch keine einheitliche Position herstellen
konnten und dies daher nicht in einer Initiative des Bun-
desrates mündete, ist es meines Erachtens dringend ge-
boten, das Verfahren nun wieder aufzunehmen.
Zu Protokoll
Aus politischer Sicht sprechen für die Umsetzung der
Welterbekonvention mindestens drei Gründe:

Erstens. Die Aufnahme auf die von der UNESCO ge-
führte Liste des Welterbes ist eine große Ehre für das je-
weilige Land und die Region. 890 Denkmäler in 148 Län-
dern sind auf der Liste verzeichnet. Ein Eintrag auf die
Liste macht für Deutschland den besonderen Wert der
kulturellen Tradition und des kulturellen Erbes deutlich,
denn die Kultur- und Naturstätten stehen unter dem
Schutz der Internationalen Konvention für das Kultur-
und Naturerbe der Menschheit.

Zweitens. Wird der gegenwärtige Status quo erhalten
und kein Umsetzungsgesetz geschaffen, ist eine weitere
Förderung durch Bundesmittel kaum mehr zu begründen:
Immerhin stellt das Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung in den Jahren 2009 bis 2013 insge-
samt 150 Millionen Euro zur Verfügung, um investive und
konzeptionelle Maßnahmen zum Schutz und zur Pflege
der deutschen Welterbestätten und ihres städtebaulichen
Umfeldes zu ermöglichen. Ohne ein Ausführungsgesetz
stände jede Abweichung von der Welterbekonvention in
der Beliebigkeit der Länder und Gemeinden. Ohne einen
rechtlichen Rahmen für den Schutz des Weltkulturerbes
haben wir keine Basis für weitere Investitionen von Steu-
ergeldern.

Drittens. Es ist davon auszugehen, dass weitere deut-
sche Bewerberstädte und Regionen für das Weltkultur-
erbe künftig nur dann Aussicht auf Erfolg haben werden,
wenn die Bundesrepublik Deutschland durch das Ausfüh-
rungsgesetz die rechtliche Konkretisierung des Schutzes
verwirklicht hat. Wir glauben auch nicht, dass diese Nor-
mierung zu einer weiteren Aufblähung der Bürokratie
führen würde, die von CDU und CSU in diesem Zusam-
menhang beschworen wird. Aber wir begrüßen, dass
auch die CDU und CSU im nächsten Deutschen Bundes-
tag dieses Thema wieder aufgreifen wollen.

Meines Erachtens dürfen wir es rechtlich gesehen
nicht beim Status quo belassen. Wir müssen dafür Sorge
tragen, dass die Bundesregierung und die Länder ge-
meinsam möglichst umgehend ein Ausführungsgesetz in
Angriff nehmen. Unabhängig von Kompetenzfragen. Un-
abhängig von der Frage, ob dies auf Ebene der Länder
oder des Bundes zu geschehen hat. Auf diese Weise
würde deutlich, dass mit der Eintragung in die Welterbe-
liste der UNESCO nicht nur eine Ehre und touristische
Anziehungskraft, sondern auch eine besondere Verpflich-
tung verbunden ist – nicht der UNESCO zuliebe, sondern
damit das gemeinsame kulturelle Erbe für künftige Gene-
rationen bewahrt wird.


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623049900

Seit zweieinhalb Jahren versucht die Fraktion Die

Linke, die Bundesregierung auf ihre Verpflichtung als
völkerrechtliche Vertragspartnerin der UNESCO-Kon-
vention aufmerksam zu machen.

Aufgeschreckt durch die Causa Waldschlößchenbrü-
cke in Dresden hatten wir bereits im September 2006 be-
antragt, dass Bundestag und Bundesregierung im Hin-
blick auf die Achtung und Einhaltung völkerrechtlicher



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
Verpflichtungen Position beziehen müssen. Zitat aus der
Begründung:

Die UNESCO-Konvention enthält völkerrechtliche
Verpflichtungen, die jeder Hoheitsträger – also
Bund, Länder, Kommunen – im Rahmen seiner Zu-
ständigkeit und der Gesetze zu erfüllen hat. Es geht
nicht, dass die Stadt Dresden sich freiwillig um den
Eintrag in die Weltkulturerbeliste beworben hat und
jetzt das Völkerrecht ignoriert. Die Bundesrepublik
Deutschland macht sich als völkerrechtlicher Ver-
tragspartner unglaubwürdig.

Von der CDU/CSU gab es nur Ablehnung. Stichwort
„Kommunales Thema“! Die Abgeordnete Maria Michalk
sagte in der Sitzung des Kulturausschusses am 20. Sep-
tember 2006, das Parlament habe sich nicht einzumi-
schen; deshalb gehe der Antrag der Fraktion Die Linke
an der Sache vorbei und werde abgelehnt. Genauso
geschah es auch, und das, obwohl der Abgeordnete
Wolfgang Thierse ausdrücklich feststellte, dass es nicht
um ein lokales Problem Dresdens gehe, sondern um die
Frage, ob Deutschland „welterbefähig“ bleibt; letztlich
stehe die Glaubwürdigkeit der BRD als internationaler
Vertragspartner auf dem Spiel. Trotzdem wurde der An-
trag der Fraktion Die Linke abgelehnt, mit den Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der SPD und der
Grünen. Das war 2006.

Ein halbes Jahr später haben wir unseren Antrag ak-
tualisiert – das Desaster in Dresden nahm ja immer gro-
teskere Züge an – und forderten erneut die Regierung
zum Handeln auf.

Mit der Unterzeichnung der Welterbe-Konvention
hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu ver-
pflichtet, die innerhalb seiner Landesgrenzen gele-
genen Denkmäler von außergewöhnlicher, weltwei-
ter Bedeutung zu schützen und zu erhalten.

Alles umsonst. Die von mir im Ausschuss vorgetra-
gene Begründung – leider ist es versäumt worden, die
UNESCO-Welterbekonvention in nationales Recht umzu-
setzen; aus dem aktuellen Konflikt müssten daher Konse-
quenzen gezogen werden – ging in Gelächter unter, und
die Abgeordnete Monika Griefahn erklärte, dass man un-
abhängig vom Antrag der Linksfraktion prüfe, ob natio-
nales Recht zu ergänzen sei, und deshalb diesen Antrag
nun ablehnen werde, was dann auch glatt geschah, mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD und FDP – bei
Enthaltung der Grünen. Das war am 13. Juni 2007, also
fast auf den Tag genau vor zwei Jahren.

Mit der Prüfung „unabhängig von den Linken“ ist
man in der großen SPD-Fraktion allerdings seitdem nicht
so recht vorangekommen. Denn 2009 in Erwiderung auf
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Um-
setzungsgesetz für UNESCO-Welterbe vorlegen“ ist man
immer noch unentschlossen, nicht sicher, muss weiter
prüfen und beraten, obwohl im Kern schon überzeugt,
dass es irgendwie in diese Richtung gehen müsse.

Manchmal freut man sich ja, wenn man recht hat, auch
wenn es nichts nützt. Denn nun wurde im Ausschuss der
Antrag der Grünen abgelehnt – von einer sturen CDU/
CSU und einer wackelpuddinghaften SPD – bei Befür-
Zu Protokoll
wortung durch die drei Oppositionsparteien. Ja, alle drei
sind jetzt auf der anderen Seite. Das war die eigentliche
Überraschung: Die FDP zieht eine Lehre aus dem Dresd-
ner Desaster und erklärt öffentlich:

Die höchst bedauerliche Streichung des Dresdner
Elbtals von der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes
zeigt schwarz auf weiß, dass wir in Deutschland
dringend ein Ausführungsgesetz benötigen.

Diese Auffassung vertraten auch die Grünen mit ih-
rem Antrag und wir schon seit langem. Schade nur, dass
wir bei diesen Koalitionsfraktionen auf die nächste Le-
gislaturperiode warten müssen, damit aus dieser Sache
etwas wird! Notfalls werden wir einen neuen Antrag stel-
len – allein oder zusammen mit jenen, die der gleichen
Auffassung sind, dass konkrete gesetzliche Regelungen
zum Schutz des Welterbes geschaffen werden müssen, je
eher, desto besser.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Seit 1977 ist Deutschland Vertragsstaat der
UNESCO-Konvention – und das nicht gezwungenerma-
ßen, sondern aus freiem demokratischen Willen. Diese
Konvention legt fest, dass jeder Vertragsstaat Erfassung,
Schutz und Erhaltung des in seinem Hoheitsgebiet be-
findlichen Welterbes sowie seine Weitergabe an künftige
Generationen sicherzustellen hat. Es ist eine allgemeine
Politik zu verfolgen, die darauf gerichtet ist, erstens dem
Kultur- und Naturerbe eine Funktion im öffentlichen Le-
ben zu geben, zweitens den Schutz dieses Erbes in alle
Planungen einzubeziehen und drittens die erforderlichen
rechtlichen, wissenschaftlichen, technischen, Verwal-
tungs- und Finanzmaßnahmen zu treffen, die für „Erfas-
sung, Schutz, Erhaltung in Bestand und Wertigkeit sowie
Revitalisierung dieses Erbes erforderlich sind“.

Es ist wirklich beschämend, dass es einer Kultur-
nation wie Deutschland als erstem Staat weltweit nicht
gelungen ist, eine solche Politik konsequent zu verfolgen,
sodass ihm eine Kulturstätte von der Welterbeliste gestri-
chen wurde. Dem Dresdner Elbtal wurde aufgrund des
Baus der umstrittenen Waldschlößchenbrücke der Welt-
erbetitel aberkannt.

Wir bedauern, dass es aufgrund der Sturheit, Unein-
sichtigkeit und Überheblichkeit der Verantwortlichen vor
Ort und in Sachsen – hier sind vor allem CDU und FDP
zu nennen – zu dieser Entscheidung hat kommen müssen.
Das große Engagement vieler Dresdnerinnen und Dresd-
ner für den Erhalt des Welterbetitels blieb erfolglos, wir
teilen ihre Enttäuschung.

Dabei geht es nicht in erster Linie um den Verlust ei-
nes werbewirksamen Titels. Es geht vor allem um die
Missachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen, die nun
auch den Verlust von Fördergeldern zur Folge haben.
Dazu hätte es nicht kommen müssen. Das Kompromiss-
angebot stand, den Bürgerentscheid für eine Elbquerung
auch durch Realisierung eines Tunnels umzusetzen.

Die Ereignisse in Dresden zeigen, wie wichtig und
richtig der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
nen ist, die UNESCO-Welterbekonvention endlich in na-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Undine Kurth (Quedlinburg)

tionales Recht umzusetzen. Nur mit der Verankerung der
Konventionsinhalte in den entsprechenden Fachgesetzen
wird sichergestellt, dass die Anforderungen, die sich aus
diesem Übereinkommen an die deutschen Welterbestät-
ten ergeben, frühzeitig in allen Planungsprozessen Be-
rücksichtigung finden.

Das sächsische Oberverwaltungsgericht hatte, als es
um die Beurteilung der Brückenplanung und -genehmi-
gung ging, am 9. März 2007 festgestellt: „Eine unmittel-
bar verpflichtende Bindungswirkung des – insgesamt
umsetzungsbedürftigen – Vertragswerks dürfte allerdings
ausscheiden.“ Die Welterbekonvention sei mangels Zu-
stimmungs- oder Vertragsgesetzes wohl nicht Teil der in-
nerstaatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland geworden, sodass ihr eine unmittelbare
Bindungswirkung nicht zugemessen werden könne. Aus-
gehend von einer mittelbaren Bindungswirkung der Welt-
erbekonvention und der auf ihrer Grundlage ergangenen
Entscheidungen des Welterbekomitees vermochte der Se-
nat daher eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der im
Streit stehenden kommunalaufsichtlichen Bescheide
nicht zu erkennen. Wir haben also einen Rechtszustand,
in dem die Welterbekonvention in rechtlichen Konflikt-
fällen keine unmittelbare Wirkung entfalten kann. Der
Denkmalschutz ist so in Abwägungsfällen deutlich ge-
schwächt, die völkerrechtliche Verpflichtung zum Schutz
des Welterbes kann nicht konsequent umgesetzt werden.

Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
des Deutschen Bundestages hatte bereits im Dezember
2007 der Bundesregierung empfohlen, „ein Vertrags-
gesetz zur Umsetzung der UNESCO-Welterbekonvention
in Abstimmung mit den Ländern auf den Weg zu brin-
gen“. Es ist schade, dass sich CDU/CSU und SPD nur
darauf einigen konnten, in der kommenden Legislatur-
periode ein solches Umsetzungsgesetz prüfen zu lassen.
Die aktuellen Probleme in Dresden oder am Mittelrhein
zeigen, dass zügig gehandelt werden muss. Eine zögerli-
che Haltung ist hier falsch.

Die Bundesregierung der 17. Legislaturperiode sollte
daher nicht so lange warten, bis auch die CDU/CSU aus
ihrem Dornröschenschlaf wach geküsst ist, sondern dem
neuen Bundestag baldmöglichst entsprechend ihrer Ge-
setzgebungskompetenz einen Gesetzentwurf zur rechtli-
chen Umsetzung der UNESCO-Welterbekonvention in
nationales Recht vorzulegen.

Wir müssen das Welterbe in Deutschland schnell
rechtlich stärken, denn auch der Welterbetitel für den
Mittelrhein ist in Gefahr. Im kommenden Jahr wird die
UNESCO-Welterbekommission auf ihrer 34. Sitzung in
Brasilien darüber beraten, ob der geplante Bau einer
Rheinbrücke zwischen Mainz und Koblenz mit dem Welt-
erbestatus vereinbar ist. Allerdings ist der rheinland-
pfälzischen Landesregierung zu attestieren, dass sie eine
Lösung in Zusammenarbeit mit der UNESCO-Kommis-
sion sucht. Die sächsische Landesregierung wollte mit
dem Kopf durch die Wand und hat sich dabei das geholt,
von dem schon jedes Kleinkind weiß, dass man es sich
dabei einhandelt: eine blutige Nase.

Dresden wird weiter eine schöne und sehenswerte
Kulturstadt sein. Der Stadt ist aber eine politische Ver-
waltung zu wünschen, die nicht weiter Porzellan zer-
schlägt oder gar dem Verlust des Welterbetitels mit Trotz
und weiteren unverzeihlichen Bausünden begegnet. Lei-
der ist zu befürchten, dass Bürgerprotest nun erst recht
erforderlich sein wird, denn erste Stimmen reden nun be-
reits – unter dem Deckmantel „moderner Urbanität“ –
einer völlig enthemmten Bauwut das Wort.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623050000

Hierzu liegt eine persönliche Erklärung nach § 31 der

Geschäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13581, den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13176
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 61:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Michael Kauch, Daniel Bahr (Münster), Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP

Lebendspenden bei der Transplantation von
Organen erleichtern

– Drucksachen 16/9806, 16/13573 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hubert Hüppe


Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1623050100

Organspende kann Leben retten und verlängern. Or-

ganspende nach Feststellung des Hirntodes ist, wie es die
Kirchen formuliert haben, ein Akt der Nächstenliebe. Die
Lebendspende eines Organs kann umso mehr ein Akt der
Nächstenliebe sein.

Die Organspende nach Feststellung des Hirntodes
und die Lebendspende haben wir 1997 nach langer und
intensiver Debatte im Transplantationsgesetz geregelt.

Die Fortschritte der Medizin und immer erfolgrei-
chere Transplantationen haben dazu geführt, dass eine
Organtransplantation heute in Fällen infrage kommt, in
denen früher keine Transplantation erwogen worden
wäre. Dadurch wächst der Bedarf an Organen konti-
nuierlich. Gleichzeitig wächst die Zahl der Organe von
hirntoten Spendern nicht im gleichen Maße. Wir verste-
hen den Wunsch von Patienten und ihren Angehörigen,
die ihre Hoffnungen in die Transplantation eines geeig-
neten Organs setzen.

Der vorliegende Antrag der FDP zur Ausweitung der
Lebendspende ist in mehrfacher Hinsicht problematisch.
Der Antrag will offenbar dem Mangel an postmortal ge-
spendeten Organen durch eine weitreichende Ausdeh-
nung der Lebendspende begegnen. Weil dies ein höchst

1) Anlage 8


(A) (C)



(B) (D)


Hubert Hüppe
problematischer Weg wäre, haben sowohl im Gesund-
heitsausschuss wie auch im Rechtsausschuss alle Frak-
tionen mit Ausnahme der FDP gegen diesen Antrag ge-
stimmt.

Die Entnahme eines Organs bedeutet ein gesundheit-
liches Risiko für den Spender, einschließlich des Risikos
seines Todes. Die Stiftung Lebendspende nennt als Risko
des Lebendspenders einer Niere einen Todesfall auf
1 600 Lebendspender. 2008 sind, ebenfalls nach Anga-
ben der Stiftung Lebendspende, 565 Nierentransplanta-
tionen mit Organen lebender Spender durchgeführt wor-
den. Damit kam jede fünfte transplantierte Niere von
einem Lebendspender. Bei der Lebendspende eines Le-
berlappens besteht offenbar ein höheres Risiko als bei
der Lebendspende einer Niere, so wurde für 2003 von
vier Todesfällen allein in Deutschland berichtet.

Die Problematik fasst die Bundesärztekammer in ih-
ren Empfehlungen zur Lebendorganspende so zusam-
men: „Der Arzt muss sich seiner besonderen Verantwor-
tung gegenüber dem Spender bewusst sein: Einem
Gesunden werden ausschließlich zum Wohl eines ande-
ren die Entnahme eines unersetzlichen Organs oder eines
Organteils, die dazu notwendige Operation und damit
verbundene Belastungen und Risiken zugemutet.“

Kosten für mittelbare und Spätfolgen der Lebend-
organspende sind, anders als die Kosten der Organent-
nahme, von der Krankenversicherung des Empfängers
nicht gedeckt. Zwar sind Berufs- oder Erwerbsunfähig-
keit infolge einer Lebendorganspende von der jeweiligen
Rentenversicherung, Pflegebedürftigkeit von der sozia-
len oder der privaten Pflegeversicherung abgedeckt,
doch weist die Bundesärztekammer darauf hin, dass das
Risiko finanzieller Einbußen durch Arbeitsunfähigkeit
und vorzeitige Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit nicht ab-
gesichert sind. Wenn wir die Lebendspende also diskutie-
ren, dann gehören sicher diese Aspekte zum Schutz der
Spender an erster Stelle dazu.

Die Lebendspende von Organen ist heute daher nur
unter engen Voraussetzungen zulässig, insbesondere darf
kein geeignetes Organ eines hirntoten Spenders zur Ver-
fügung stehen, und die Spende von Organen, die sich
nicht wieder bilden können, ist nur zulässig, wenn der
Empfänger ein Verwandter ersten oder zweiten Grades,
ein Ehegatte oder Verlobter ist oder wenn er dem Spen-
der in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkun-
dig nahesteht.

Zunächst müssen wir an den Schutz der Spender den-
ken. Lebendspende eines Organs sollte daher eine Aus-
nahme sein, und so ist es im Transplantationsgesetz gere-
gelt. Indem die FDP das Subsidiaritätsprinzip der
Lebendspende ersatzlos streichen will, macht sie die Le-
bendspende von der Ausnahme zur Regel. Auch die
Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen
Medizin“ hatte sich für die Beibehaltung dieses Subsi-
diaritätsprinzip ausgesprochen

Der Antrag will Überkreuzspenden und gezielte Le-
bendspenden auch ohne Näheverhältnis zulassen, er will
als Anreiz zur Lebendspende ein Bonuspunktesystem für
Organspender, die dann vorrangig Organe empfangen
Zu Protokoll
dürfen sollen. Die FDP will einen „Organpool“ zur
anonymen Lebendspende, wo die eigene Spendebereit-
schaft die Voraussetzung für ein Spenderorgan bedeutet.
Ich halte es für die bessere Lösung, Organe primär nach
Prüfung der medizinschen Eignung eines bestimmten Or-
gans für den Empfänger zu transplantieren, als unter der
Voraussetzung eigener Spendebereitschaft eine medizi-
nisch nicht optimale Zuordnung zwischen Spender und
Empfänger zu treffen. Hier wird am deutlichsten der bis-
herige und aus medizinischer Sicht vernünftige Grund-
satz aufgegeben, dass ein zur Verfügung stehendes Organ
dem Patienten übertragen wird, für den es unter medizi-
nischen Gesichtspunkten am geeignetsten ist und der es
am nötigsten braucht.

Es ist nicht auszuschließen, dass sublimer Druck zur
Lebendspende entsteht, etwa wenn der Partner ein
Transplantat benötigt, an das nur durch eine Überkreuz-
spende zu kommen ist. Es werden Graubereiche zum
Organhandel eröffnet, wenn etwa die gezielte Le-
bendspende ohne Näheverhältnis zugelassen würde. Die
CDU/CSU wird daher heute den Antrag der FDP ableh-
nen.


Peter Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1623050200

Am 13. Mai 2009 haben wir in erster Lesung über den

Antrag der FDP zur Erleichterung von Lebendspenden
bei der Transplantation von Organen debattiert. Das ist
noch nicht lange her. Es ist weniger der Thematik des
Antrags, sondern mehr dem Ende der Legislaturperiode
geschuldet, dass wir bereits heute abschließend über
diesen Antrag zu befinden haben.

Wie ich in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung
des Antrags ausgeführt habe, bin ich den Kolleginnen
und Kollegen der FDP-Fraktion dafür dankbar, dass sie
uns mit dem Antrag zur Lebendorganspende die Gele-
genheit geben, uns mit diesem wichtigen Thema öffent-
lich auseinanderzusetzen. Jeden Tag sterben in Deutsch-
land immer noch drei Menschen, weil wir zu wenig
Spenderorgane zur Verfügung haben. Auf den Wartelisten
für dringend notwendige Organspenden stehen 12 000
Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Gleichzeitig
wissen wir, dass wir das Potenzial an transplantierbaren
Spenderorganen nicht ausschöpfen. Es ist deshalb
wichtig, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen,
wie wir die Zahl der Spenderorgane steigern können.

Allerdings berücksichtigt der FDP-Antrag zur Er-
leichterung der Lebendspende von Organen nur einen
von mehreren Aspekten, denen wir uns in diesem Zusam-
menhang ausführlich zuwenden sollten. Nach meinem
Dafürhalten müssen wir Aspekte der Lebendspende ge-
meinsam mit der Frage diskutieren, wie wir die Anzahl
der postmortal gespendeten Organe steigern können.
Dabei spielen neben organisatorischen Fragen auch
ethische Dimensionen eine große Rolle. Den heute ab-
schließend beratenen Antrag der FDP-Fraktion habe ich
deshalb in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung
Mitte Mai als Startpunkt eines wichtigen Diskussions-
prozesses bezeichnet, an dessen Ende der Deutsche
Bundestag in der kommenden Wahlperiode über die



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Peter Friedrich
Weiterentwicklung des Transplantationsgesetzes zu ent-
scheiden hat.

Im Mai 2007 haben wir die europäische Gewebericht-
linie in deutsches Recht umgesetzt und das Transplanta-
tionsgesetz an einigen Stellen an europäisches Recht an-
geglichen. Auch damals war uns bereits klar, dass für
eine Optimierung des Organtransplantationsprozesses
weitere Änderungen des Transplantationsgesetzes not-
wendig sind. Um diese Änderungen auf eine breite und
möglichst ausgewogene Entscheidungsgrundlage zu
stellen, haben wir damals mit den Stimmen der Mehrheit
des Deutschen Bundestages das Bundesministerium für
Gesundheit gebeten, einen Erfahrungsbericht zur Situa-
tion der Transplantationsmedizin in Deutschland zu
erarbeiten und in diesem Wege zur Weiterentwicklung
des Transplantationsgesetzes aufzuzeigen.

Der Bericht liegt dem Deutschen Bundestag seit die-
ser Woche vor. Damit ist die verbleibende Zeit zu knapp,
noch in dieser Legislaturperiode eine Debatte über die
gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen
sowie die ethischen Dimensionen der Transplantation
von Organen in Deutschland zu führen und am Ende die-
ser Debatte das Transplantationsgesetz weiterzuent-
wickeln. Auch können wir uns im Plenum und in den Aus-
schüssen des Deutschen Bundestages aus Zeitgründen
nicht einmal mehr mit den zentralen Ergebnissen des
Berichts aus der letzten Woche auseinandersetzen.
Angesichts der 12 000 Patientinnen und Patienten auf
der Warteliste und angesichts von drei Menschen, die
statistisch betrachtet pro Tag aufgrund der mangelnden
Anzahl von Spenderorganen sterben, ist dies ein unbe-
friedigendes Ergebnis dieser Legislaturperiode. Ich
hoffe, dass sich der nächste Deutsche Bundestag gleich
nach der Bundestagswahl mit Verve diesem Thema
erneut zuwenden wird.

Der uns in der letzten Woche vorgelegte ausführliche
Bericht wird dem neugewählten Deutschen Bundestag
hierbei die Chance geben, in einem strukturierten Ver-
fahren nach vorne zu gehen. Ohne die anstehende
Diskussion notwendigerweise präjudizieren zu wollen,
lassen sich aus dem Bericht, aber auch aus weiteren Ex-
pertenbeiträgen wie etwa der Stellungnahme des Natio-
nalen Ethikrates zur Organspende vom April 2007 sowie
unterschiedlichen Fachveröffentlichungen zahlreiche
organisatorische wie rechtliche Anknüpfungspunkte
innerhalb des bestehenden Transplantationsprozesses
zur deutlichen Steigerung der Anzahl der postmortal ge-
spendeten Organe ableiten. Beispielhaft möchte ich an
dieser Stelle drei Punkte herausgreifen, die nach meinem
Dafürhalten in der kommenden Wahlperiode verstärkter
Aufmerksamkeit bedürfen.

Der erste Punkt betrifft die Frage, inwiefern alle orga-
nisatorischen wie finanziellen Anreize, die innerhalb des
derzeit bestehenden Transplantationswesens existieren,
auf das Ziel ausgerichtet sind, möglichst alle Spender-
organe zu identifizieren und zu transplantieren. Der Na-
tionale Ethikrat hat in seinem Votum vor zwei Jahren
darauf verwiesen, dass die Erstattung der Kosten organ-
entnehmender Krankenhäuser nicht in allen Fällen dazu
geeignet ist, die entstandenen Kosten zu decken. Zudem
Zu Protokoll
kritisierte der Ethikrat mangelnde Sanktionen für die
Krankenhäuser, die sich an der Organspende nicht oder
nicht ausreichend beteiligen. In meinen Augen sollte sich
der Deutsche Bundestag in der kommenden Legislatur-
periode mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern po-
sitive ökonomische Anreize, die über die reine Erstattung
entstandener Kosten hinausgehen, nicht ein wirksames
Instrument zur Verbesserung der Melderate darstellen
könnten.

Mein zweiter Punkt betrifft die Frage, inwiefern die
Monopolstellung der Deutschen Stiftung für Organ-
spende ohne umfassende Rechts- und Fachaufsicht des
Staates eine ausreichende organisatorische Gewähr für
die möglichst optimale Koordination der Organspende in
Deutschland und aller damit einhergehenden organisa-
torischen Rahmenbedingungen bieten kann. Aus meiner
Sicht ist es gerade bei einer so wichtigen Aufgabe wie der
Vermittlung und Vergabe von Organen von zentraler Be-
deutung, ein Höchstmaß an Transparenz sicherzustellen.
Dies spricht dafür, dem Staat durch die Gewährung von
Aufsichtsrechten umfassende Kontroll- und Durchgriffs-
möglichkeiten zu gewährleisten, damit Transparenz und
demokratische Verantwortlichkeit jederzeit gewährleistet
sind. In meinen Augen kann die Überwachungskommis-
sion, in der die Vertragspartner der DSO vertreten sind,
diese notwendigerweise staatliche Aufgabe nicht alleine
wahrnehmen. Ich vermag nicht zu erkennen, weshalb der
Staat über die umfassenden Aufsichtsrechte, über die er
auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens ver-
fügt, nicht auch in der Transplantationsmedizin verfügen
sollte.

Der dritte Punkt, den ich an dieser Stelle beispielhaft
hervorheben möchte, bezieht sich auf die Trans-
plantationsbeauftragten in den Krankenhäusern. Ich
denke, durch eine klare Aufgabenbeschreibung der
Transplantationsbeauftragten mit einer organisatorisch
stärkeren Einbindung in den Klinikalltag, mit einer ange-
messenen Vergütung und mit einer festgeschriebenen
Freistellung der Transplantationsbeauftragten für die
Wahrnehmung ihrer Aufgaben innerhalb des Organ-
transplantationsprozesses ließe sich die Zahl postmortal
gespendeter Organe deutlich verbessern.

Neben zahlreichen organisatorischen und aufsichts-
rechtlichen Gesichtspunkten, auf die ich an dieser Stelle
nur kurz eingegangen bin, sollte sich der nächste Deut-
sche Bundestag nach meinem Dafürhalten auch mit den
ethischen Dimensionen des Transplantationswesens in
Deutschland auseinandersetzen. Ich persönlich befür-
worte das Votum des Nationalen Ethikrats, der die bei
uns bislang praktizierte erweiterte Zustimmungslösung
zur Entnahme von Organen zugunsten eines Stufen-
modells ablösen möchte, das Elemente einer Erklärungs-
regelung mit einer Widerspruchsregelung verbindet. Der
Stellungnahme des Ethikrates zufolge sollte jeder und
jedem die Möglichkeit gegeben werden, zu Lebzeiten eine
Erklärung über die persönliche Bereitschaft zur Organ-
spende abzugeben. Bei einer unterbliebenen Erklärung
sollte es dann möglich sein, Organe nach dem Tod ent-
nehmen zu dürfen, solange die Angehörigen dieser Organ-
entnahme nicht widersprechen. Ich würde es sehr begrüßen,
wenn unabhängig von den rechtlichen und organisatori-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Peter Friedrich
schen Fragestellungen in der Weiterentwicklung des
Transplantationsgesetzes in der kommenden Legislatur-
periode aus der Mitte des Deutschen Bundestages heraus
ein Gruppenantrag initiiert werden würde, der das vom
Nationalen Ethikrat vorgeschlagene Stufenmodell im
Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellt und eine
gesellschaftliche Diskussion hierüber anstößt, die eine
belastbare Unterstützung für eine derart tiefgreifende
Veränderung schaffen kann.

Auch die Aspekte hinsichtlich der Lebendspende, die
in dem uns heute vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion
enthalten sind, berühren zahlreiche ethische Dimen-
sionen, die vor einer abschließenden Befassung einen
längeren Diskussionsprozess voraussetzen. Darüber hi-
naus sollten diese Fragen nach einer Erleichterung der
Lebendspende nicht isoliert betrachtet, sondern mit den
Fragen nach der Steigerung postmortal gespendeter
Organe gemeinsam diskutiert werden.

Unabhängig davon habe ich persönlich allerdings ins-
besondere mit zwei der in dem Antrag enthaltenen
Punkte erhebliche Schwierigkeiten. Nach meinem Dafür-
halten sollten wir den Grundsatz der Subsidiarität der
Lebendspende nicht aus dem Transplantationsgesetz
streichen. Vielmehr sollte eine Lebendspende erst dann
erlaubt sein, wenn kein geeignetes postmortal gespende-
tes Organ zur Verfügung steht. Unbeschadet dessen wäre
es jedoch in meinen Augen denkbar, stärker als bislang
auch medizinische Kriterien in die Abwägung zwischen
postmortaler Spende und Lebenspende miteinzu-
beziehen. Eine Lebendspende könnte erlaubt werden,
wenn sich hiervon aus medizinischer Sicht bessere
Ergebnisse als aus einer postmortalen Spende erwarten
lassen würden. Grundsätzlich sollte diese Möglichkeit
den Vorrang der postmortalen Spende aber nicht infrage
stellen.

Der zweite Punkt in dem vorliegenden Antrag, der mir
erhebliche Schwierigkeiten bereitet, betrifft die darin
vorgesehende Überkreuzspende. Hier gilt es nach mei-
nem Dafürhalten, dem Spenderschutz und der Kommer-
zialisierungsgefahr weiterhin gerecht zu werden. Ich be-
fürchte, dass eine Zulassung der Lebendspende auch
zwischen Personen, die in keinem persönlichen oder ver-
wandtschaftlichen Näheverhältnis zueinander stehen,
dazu führen könnte, dass sich potenzielle Spender einem
hohen moralischen Druck zugunsten einer Organspende
ausgesetzt fühlen könnten. Auch würde die Zulassung der
Überkreuzspende durch die Ausweitung des Kreises der
unmittelbar betroffenen Personen dazu führen, dass
ganze Beziehungsgeflechte von der Entscheidung hin-
sichtlich einer Lebendspende betroffen wären und
Fragen von Freundschaft, Vertrauen und vielleicht auch
von Liebe an Bedeutung gewinnen. Die Sorge vor er-
handelten Lebendspenden oder Lebendspenden, die un-
ter Druck zustande gekommen sind, müssen wir im Sinne
des Spenderschutzes ernst nehmen und ausführlich
diskutieren.

Es ist wichtig, dass wir uns aus der Mitte des Parla-
ments heraus allen Aspekten der Organspende umfas-
send annehmen. Ich hoffe sehr, dass sich der neuge-
wählte Deutsche Bundestag ausführlich den Fragen zur
Zu Protokoll
Steigerung der postmortalen Spende, zu den Rahmenbe-
dingungen der Lebendspende und auch zur abgestuften
Widerspruchslösung widmen wird. Wenngleich uns dies
in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist, konnten
wir mit den zwischenzeitlich erfüllten Berichtsaufträgen
zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage für den
Deutschen Bundestag der kommenden Wahlperiode bei-
tragen.

Sicherlich werden die Aspekte des FDP-Antrags, der
uns heute zur Abstimmung vorliegt, in der inner- wie au-
ßerparlamentarischen Diskussion eine wichtige Rolle
spielen. Ich kann dem Antrag in der Form, in der er uns
nun zur Abstimmung vorliegt, allerdings nicht zustim-
men.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1623050300

Noch immer herrscht in Deutschland ein Mangel an

Spenderorganen. 2008 ging die Zahl der Spender sogar
um 9 Prozent zurück. 12 000 Menschen stehen auf den
Wartelisten, davon 8 000 für eine Niere. Viele versterben
in dieser Zeit, leiden über Jahre unter den Einschränkun-
gen der Dialyse oder müssen andere gesundheitliche
Einschränkungen hinnehmen. Diese Menschen stehen
nicht allein: Sie haben Familien, die sie lieben und für
die sie einstehen, Freunde, mit denen sie ein emotionales
Band verbindet. Sie sind Kollegen, auf die ein Betrieb
baut, Arbeitgeber, an denen weitere Existenzen hängen,
sind ehrenamtlich engagiert. Kurz und gut: Die Zahl der
Betroffenen ist viel höher, als uns die Statistik vermittelt.

Eine schwere Erkrankung ist ein Handicap, das vor
allem, aber nicht nur für den Erkrankten teils schwerste
Einschränkungen mit sich bringt. Nicht nur die Lebens-
qualität des Patienten ist durch die Sorge beeinträchtigt,
nicht durchzustehen, bis ein geeignetes Spenderorgan ge-
funden ist, sondern auch die seiner Nächsten. Es gibt
Fälle, da bietet sich die Möglichkeit, einem Menschen,
der einem nahesteht, zu helfen: durch eine Lebendspende.
Was aber, wenn einem dieser Weg nicht offensteht, weil
die eigene Blutgruppe mit der des Patienten nicht über-
einstimmt? Obwohl man helfen will und Hilfe dringend
benötigt wird, kann man nichts tun. Eine schlimme Si-
tuation.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die Über-
kreuzspende. Wir sehen die Lebendspende keineswegs als
Ersatz für die postmortale Spende. Es sind alle Anstren-
gungen zu unternehmen, um die Transplantation von Or-
ganen Verstorbener voranzubringen. Diese sogenannte
postmortale Spende erfordert einerseits eine Steigerung
der Bereitschaft in der Bevölkerung, nach dem Tod Or-
gane zu spenden und einen Organspendeausweis auszu-
füllen. Andererseits müssen auch die organisatorischen
und personellen Voraussetzungen im Krankenhaus ver-
bessert werden, um aus möglichen Spenderorganen auch
tatsächliche eine Transplantation zu machen.

Aber wir sehen die Organlebendspende als wichtige
Ergänzung, eine Option, um Leben zu retten, eine Op-
tion, um zu helfen. Doch das Transplantationsgesetz setzt
dem Helfen enge Grenzen. So dürfen nur Verwandte und
enge Freunde einem Todkranken ein Organ spenden.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
Die FDP-Bundestagsfraktion will das Transplanta-
tionsgesetz bei Lebendspenden von unnötigen Vorschrif-
ten befreien, den Organhandel aber weiter unter Strafe
stellen. Wir wollen mehr Freiheit zum Helfen. Nächsten-
liebe darf nicht länger unter Strafe stehen. Mit unserem
Antrag wollen wir den Kreis der zulässigen Spender er-
weitern. So sollen zum Beispiel Ehepaare bei Blutgrup-
penunverträglichkeit über Kreuz einem anderen Paar
spenden dürfen, und zwar ohne die heutigen Einschrän-
kungen.

Kritiker argumentieren, es bestünde die Gefahr, dass
eine solche Entscheidung nicht freiwillig sei, dass Druck
ausgeübt werde, dass ein Ehepartner sich kaum verwei-
gern könnte, wenn sein Partner ihn bittet, einer Über-
kreuzspende zuzustimmen. Deshalb bräuchte es des Nä-
heverhältnisses zwischen Spender und Empfänger.
Glauben Sie wirklich, dass eine Mutter oder eine Schwes-
ter keinen Druck empfindet, wenn ihr Sohn, ihr Geschwis-
ter todkrank ist? Es sind die Krankheit und ihre gravie-
renden Folgen, die Druck aufbaut, nicht die Frage, ob ein
Näheverhältnis vorliegt.

Die FDP will außerdem die Nachrangigkeit der Le-
bendspende gegenüber der postmortalen Spende aufhe-
ben. Heute ist eine Lebendspende verboten, wenn ein
postmortal gespendetes Organ verfügbar wäre, und das,
obwohl bei Lebendspenden die Überlebensraten für den
Empfänger einer Niere deutlich besser sind und das Or-
gan des Toten einem anderen Kranken helfen könnte.

Für uns ist eins klar: Schon ein gerettetes Leben ist
Grund genug, die Beschränkungen des Transplantations-
gesetzes infrage zu stellen.

Aber selbst wenn man nicht so weit gehen will, wie wir
das vorschlagen: Helfen ist kein strafwertes Unrecht.
Eine Ordnungswidrigkeit für den Arzt würde bei Übertre-
tungen des Gesetzes völlig ausreichen. Damit mehr Men-
schen helfen können, stimmen Sie unserem Antrag zu.
Stimmen Sie für mehr Freiheit für die Nächstenliebe.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623050400

Heute, in der planmäßig letzten Sitzungswoche der

16. Legislaturperiode, befasst sich das Hohe Haus er-
neut mit einem ethischen Thema, mit Organspenden.
Konkreter Anlass ist uns diesmal ein Antrag der FDP, der
Lebendspenden – nicht zuletzt sogenannte Überkreuz-
spenden – erlauben will. Ich will gar nicht darum herum-
reden: Dieses Ansinnen lehne ich ab. Und ich füge hinzu,
dass die Fraktion Die Linke diese Ablehnung teilt.

Dieser Tagesordnungspunkt zu später Stunde veran-
lasst mich jedoch, einen etwas größeren Zusammenhang
darzustellen: Unsere Debatten über ethische Probleme
scheinen mir nämlich insgesamt zu verkrampft, zu
machtüberlagert, zu wenig frei von Erfolgsinteressen zu
sein. Zu oft wird so getan, als ob solche Debatten nutzlos
seien, wenn sie nicht in gesetzgeberische Ergebnisse
münden, also nicht zu neuen Gesetzen führen. Besonders
deutlich wurde das im vergangenen Monat, als der Deut-
sche Bundestag über Patientenverfügungen debattierte
und schließlich auch ein Gesetz verabschiedete.
Zu Protokoll
Lebendspenden scheinen den FDP-Kollegen das ge-
eignete Mittel zu sein, den Mangel an Organen, die im-
plantiert werden können, zu beheben. Und kommerziel-
len Missbrauch schließen sie selbstverständlich völlig
aus. Besonders haben es ihnen Überkreuzspenden be-
freundeter Ehepaare angetan. Als wäre das ohne jeden
Interessenkonflikt. Aber sie schlagen auch gleich noch
einen Organpool vor. Da lugt der Kommerz aus allen
Knopflöchern.

Am Beginn dieser Wahlperiode wurden vielfältige Ver-
suche von Abgeordneten aus allen Fraktionen unternom-
men, uns ein ständiges Gremium zu schaffen, in dem
ethische Fragen in aller Ruhe, mit politischem Verant-
wortungsbewusstsein – also praxisorientiert – beraten
werden können. Doch weder diesem Vorschlag noch der
Einsetzung einer erneuten Enquete-Kommission, die sich
mit Ethik und Recht in der modernen Medizin befasst
hätte, wollten die Vorstände der Koalitionsfraktionen zu-
stimmen. Der Antrag der Linken „Einsetzung eines
Ethik-Komitees des Deutschen Bundestages“, Druck-
sache 16/3277 vom 7. November 2006, wurde von CDU/
CSU, SPD und FDP abgelehnt. Stattdessen hängte die
Regierung dem Nationalen Ethikrat ein neues Mäntel-
chen um und meinte, damit sei genug getan.

Wie groß dieser Irrtum war, erwies sich nicht zuletzt in
den vergangenen Monaten, als wir über sogenannte
Spätabtreibungen, die Patientenverfügung, das Sterben
und heute auch über Lebendspenden zur Organtrans-
plantation sprachen und sprechen.

Dass bei Transplantationen widersprüchliche Interes-
sen im Spiel sind, lässt sich nicht leugnen. Der Wunsch,
mit einem funktionsfähigen Organ gut weiterleben zu
können, ragt zwar am deutlichsten heraus – zumindest
wird das am häufigsten ins argumentative Feld geführt –,
er ist bei Weitem aber nicht das einzige Argument, häufig
wohl nicht einmal das wichtigste. Geht es um Le-
bendspenden, lassen sich kommerzielle Interessen am
wenigsten verdrängen. Aber auch verdeckte Interessen
wirken subtil. Beispielsweise kann ein gewisser Zwang
zur Spende entstehen, wenn bekannt ist, dass zwischen
Verwandten gute Immunverträglichkeitswerte bestehen.
Mit Freiwilligkeit hat das dann nur noch wenig zu tun.

Da die Mehrheit dieses Hohen Hauses meinte, ohne
ein entsprechendes Beratungsgremium auskommen zu
können, blieben unsere Erkenntnisfortschritte eher zufäl-
lig. Wenn ich das sage, spreche ich keiner Kollegin und
keinem Kollegen das redliche Bemühen ab, sich – neben
all den anderen Verpflichtungen, die uns alle alltäglich
umtreiben – so sachkundig wie möglich zu machen. Aber
die kollektive Selbstverständigung in der Kombination
von Fachexpertenwissen und Politikerkenntnis fehlte
uns, sehr sogar.

In der ersten Lesung dieses Antrags konstatierten fast
alle Rednerinnen und Redner mit mehr oder weniger
ausgeprägtem Bedauern, dass die Spendenbereitschaft in
der BRD eher rückläufig sei. Dabei sei doch im Trans-
plantationsgesetz, das die FDP mit ihrem Antrag erwei-
tern – ich sage: aufweichen, womöglich völlig aushöhlen –
will, alles vortrefflich geregelt. Kaum jemand fragte nach
den Ursachen, erst recht entwickelte man Verständnis



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert
dafür. Nein, Ziel sei und müsse bleiben, mehr implanta-
tionsfähige Organe zu gewinnen.

Vielleicht hätten wir in einer Ethik-Kommission des
Bundestages einige Fragen, die mit dem Ende des Lebens
zusammenhängen, etwas anders gestellt und beantwor-
tet? Vielleicht hätten wir mehr Zeit und dann tiefgründi-
gere Argumente darauf verwendet, über die natürliche
Endlichkeit des Lebens zu reden? Vielleicht hätten wir
der Illusion, reparierbare Körper zu haben, allgemein
verständlichere und das Menschenbild weniger verzer-
rende Alternativen entgegenzustellen vermocht? Wie tief-
greifend verändern wir unser Menschenbild, wenn
manchmal der Eindruck erweckt wird, wir könnten dem
Tod ein Schnippchen schlagen? Warum verwenden wir so
viel Energie darauf, den Tod und das Sterben aus unse-
rem Alltag zu verdrängen? Stünde es uns nicht mindes-
tens genauso gut – vermutlich sogar besser – zu Gesicht,
mit diesen Lebensphasen viel selbstverständlicher um-
zugehen und offener darüber zu reden? Und wenn Kör-
perorgane versagen, nicht nach Reparatur zu rufen, son-
dern – alle klassischen Mittel der medizinischen Kunst
nutzend – uns trotzdem auf das Unvermeidbare vorzube-
reiten?

In etlichen Plenardebatten – zum Beispiel wenn es um
die Contergan-Opfer oder um Menschen ging, die assis-
tierende und pflegende Hilfe benötigen – äußerten viele
Rednerinnen und Redner, wie wichtig es ihnen sei, Leid
abzuwenden, oder es zumindest lindern zu helfen. Nicht
selten klangen ihre Stimmen dabei tief betroffen.

Erinnern Sie sich einiger Debatten, in denen es um
Hospizarbeit, insbesondere um Kinderhospize ging:
Große Betroffenheit allenthalben. Höchstes Lob für
haupt- und ehrenamtlich arbeitende Hospizangestellte.
Am Ende gab es ein bisschen mehr Geld und das Verspre-
chen, zukünftig dieser wichtigen Aufgabe größere Aner-
kennung zu widmen.

Die Wahrheit auszusprechen, dass medizinisch eben
nicht alles möglich – nicht einmal wünschenswert – ist,
scheuen wir uns aber häufig. Ich schließe mich da aus-
drücklich ein. Könnten wir einander jedoch in regelmä-
ßiger Befassung mit ethischen Fragen auch gegenseitig
Mut machen, solche Wahrheiten beim Namen zu nennen,
fielen uns vermutlich auch solche öffentlichen Debatten
leichter. Vor allem aber könnten wir sie mit weniger Pa-
thos führen. Und somit unserer Vorbildfunktion – ich
meine, dass wir gewählten Abgeordnete eine solche in
der Öffentlichkeit haben – besser entsprechen. Wir
bräuchten uns weniger an politisch korrekte Begriffe zu
klammern, sondern könnten eine einfache und verständ-
liche Sprache sprechen.

Der Ruf nach größerer Spendenbereitschaft klammert
unter anderem die Erfahrungen derjenigen aus, die zum
Beispiel mit einer Spenderniere leben, inzwischen aber
deutlich sagen, dass sie darunter mehr leiden als unter
der Dialyse-Abhängigkeit. Sowohl die drastischen Aus-,
Neben- und Hauptwirkungen der starken Medikamente,
die lebenslänglich gegen die Abstoßgefahr des neuen Or-
gans genommen werden müssen, als auch ethische Fra-
gen nach der Spenderin bzw. dem Spender spielen dabei
eine große Rolle.
Zu Protokoll
Auch klammern wir die Phase der Explantation gern
aus den Debatten aus. Wer aber einmal mit Anästhesisten
oder anderem medizinischen Personal, das der Organ-
entnahme beiwohnt, spricht, versteht, warum so viele von
ihnen Gewissenskonflikte haben. Schließlich braucht Or-
gantransplantation „warme Leichen“. Dafür definierte
das Transplantationsgesetz extra den Hirntod. Es gäbe
noch so vieles zu bedenken, dafür reicht die heute ange-
setzte Debattenzeit aber bei weitem nicht aus. Ich jeden-
falls bedaure es sehr, dass sich das Parlament kein Gre-
mium schuf, in dem solche Fragen wesentlich intensiver
beraten werden könnten und empfehle dem nächsten
Bundestag dringend, sich dieser Frage erneut zu stellen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben den vorliegenden Antrag der FDP zur Er-
leichterung von Organlebendspenden im Mai im Bundes-
tag und dann im Juni auch im Gesundheits- und im
Rechtsausschuss beraten. Der FDP ist es dabei nicht ge-
lungen, die anderen Fraktionen von ihren Forderungen
zu überzeugen. Nicht nur wir Grüne, alle Fraktionen leh-
nen diesen Antrag ab. An den Argumenten, die ich bereits
in der ersten Lesung dazu erörtert habe, hat sich dabei
nichts geändert.

Doch will ich zunächst darauf hinweisen, dass wir
durchaus Übereinstimmungen mit der FDP in manchen
Punkten des Antrags finden können. So steht völlig außer
Frage, dass die FDP mit der Förderung der Organ-
spende ein wichtiges Thema aufgreift, mit dem sich si-
cherlich auch dieses Haus auseinandersetzen muss. In
diesem Kontext darf ich auf den Bericht des Instituts für
Gesundheits- und Sozialforschung zur Situation der
Transplantationsmedizin hinweisen, den die Bundesre-
gierung vor wenigen Tagen vorgelegt hat. Auch dieser
Bericht liefert für die kommende Wahlperiode ausrei-
chend Diskussionsstoff, unter anderem auch zur Le-
bendspende. Beispielsweise will ich nur kurz verweisen
auf das Problem versicherungsrechtlicher Absicherungs-
probleme bei Lebendspenderinnen und -spendern, die
der Bericht benennt. Dies bedarf sicherlich einer Vertie-
fung. Darauf geht die FDP in ihrem Antrag im Übrigen
nicht ein.

Insgesamt aber wird die Vorgehensweise der FDP
über einen wenig differenzierten Antrag diesem Thema
nicht annähernd gerecht. Die FDP deutet nicht einmal
an, dass es zu dieser Frage unterschiedliche ethische
Überzeugungen geben könnte.

Wir sind auch einig mit der FDP, dass wir mehr für die
Aufklärung der Bevölkerung tun und die Organisations-
strukturen in den Kliniken vor Ort verbessern müssen,
um die Zahl der postmortalen Organspenden zu erhöhen.
Dies sind jedoch allenfalls Randbemerkungen in diesem
Antrag.

Im Zentrum des Antrags stehen die Forderungen der
FDP zur Erleichterung der Organlebendspende. Ich
bleibe dabei, dass diese Frage sicherlich diskussions-
würdig ist. Zum einen muss dies jedoch in einen breit an-
gelegten Diskurs über den gesamten Komplex der Or-
ganspende eingebettet sein. Zum anderen diskutiert die



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Scharfenberg
FDP das Thema ja gar nicht, sondern präsentiert aus ih-
rer Sicht unumstößliche Wahrheiten, die ihres Erachtens
keiner weiteren Debatte bedürfen. Den Umgang der FDP
mit diesem Thema als lax zu bezeichnen ist deshalb noch
sehr diplomatisch formuliert.

Ich möchte nochmals die für uns wesentlichen Schwie-
rigkeiten mit den Forderungen der FDP verdeutlichen.
Die rechtlichen Grenzen der Lebendspende im Trans-
plantationsgesetz, kurz: TPG, werden von der FDP im
Kern als überflüssige Barrieren dargestellt. Dass diese
rechtlichen Bestimmungen einen Sinn haben und im Üb-
rigen nach harten parlamentarischen Debatten Ende der
1990er-Jahre eingezogen wurden, ficht die FDP offenbar
nicht weiter an.

Die erste zentrale Forderung der FDP betrifft dabei
das Nachrangigkeits- oder Subsidiaritätsprinzip im TPG.
Nach diesem Prinzip ist die Organlebendspende gegen-
über der postmortalen Spende immer nachrangig zu be-
handeln. Ethische Überlegungen sowie der Schutz poten-
zieller Lebendspender sind es, die dieses Prinzip unseres
Erachtens zu Recht begründen. Bei der Lebendspende
handelt es sich um einen schwerwiegenden und riskanten
operativen Eingriff, der nicht leichtfertig vorgenommen
werden sollte. Keine Reflexion dazu, etwa unter Erwä-
gung der Empfehlungen der Enquete-Kommission „Ethik
und Recht der modernen Medizin“ aus der letzten Wahl-
periode, findet sich im vorliegenden Antrag.

Nach dem Willen der FDP sollen künftig zudem nicht
nur Verwandte oder nahestehende Personen spenden
dürfen, sondern auch anonyme Spenden in einen „Or-
ganpool“ möglich sein. Die ethischen Bedenken der er-
wähnten Enquete-Kommission zu diesem Thema spielen
auch an dieser Stelle keine Rolle im Antrag der FDP. Das
heißt, die FDP macht sich nicht einmal die Mühe, diese
Bedenken zu entkräften.

Dasselbe trifft auf die potenziellen Gefahren einer
Kommerzialisierung der Organvermittlung, sprich eines
erhöhten Risikos für Organhandel, zu. Es kann nicht sein,
dass die FDP zu diesem Thema nichts zu sagen hat, au-
ßer dass sie Organhandel natürlich ablehne.

Wir bleiben dabei: Einen Antrag, der so schwerwie-
gende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte fordert – auch
wenn sie sicherlich einer guten Sache dienen sollen –,
dafür aber keine ethisch überzeugende Abwägung liefert,
können wir nicht unterstützen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623050500

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13573, den Antrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/9806 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheit-
lich angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 62 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Birgitt Bender, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtsverletzungen durch Unterneh-
men verhindern

– Drucksachen 16/13180, 16/13647 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Lamp
Christel Riemann-Hanewinckel
Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Thilo Hoppe


Helmut Lamp (CDU):
Rede ID: ID1623050600

Am 10. Dezember 2008 feierten wir das 60-jährige

Jubiläum der „Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte“. Und in der Tat – es war ein Tag zu feiern. In den
letzten sechs Dekaden gab es große Fortschritte in die-
sem so wichtigen Bereich. Ein Garant dafür sind vor
allem stabile Demokratien und Rechtsstaaten, die Vor-
bild für andere Staaten sind und bleiben müssen. Ich
denke, Deutschland ist hierbei ein Vorreiter und sollte
sich auch weiterhin – wie bisher – international für die
Einhaltung von Menschenrechtsstandards einsetzen.

Doch leider werden auch 60 Jahre nach Deklaration
der Menschenrechte diese in vielen Staaten der Erde zum
Teil erheblich verletzt. Wir alle kennen Berichte über
Folter, Menschenhandel oder Zwangsprostitution. Durch
die zunehmende Globalisierung, die wir uns in Deutsch-
land ja wünschen und von der wir sehr profitieren, sind
Unternehmen – auch Mittelständler – in solchen Ländern
tätig, in denen die Einhaltung der Menschenrechte durch
die Regierenden nicht unbedingt oberste Priorität hat
bzw. in denen Menschenrechte nicht so stark juristisch
verankert sind wie etwa bei uns und daher auch nicht so
gut eingeklagt werden können.

Es gab und gibt – zu meinem großen Bedauern –
Fälle, in denen Produkte von international agierenden
Firmen unter menschenunwürdigen Bedingungen herge-
stellt werden. Dazu zählten unter anderem verschiedene
Formen von Kinderarbeit, aber auch beispielsweise eine
bewusste Inkaufnahme von Umweltverschmutzungen
oder Zwangsenteignungen. Besonders die Gas- und Erd-
ölbranche wird mit den zuletzt genannten beiden Proble-
men hin und wieder in Verbindung gebracht.

Um dem entgegenzuwirken und weil Unternehmen
festgestellt haben, dass eine derartige „Negativwer-
bung“ auch einfach schlecht für das eigene Image und
für das Geschäft ist, haben sich etliche Firmen zum einen
eigene, strenge Leitlinien in Bezug auf die Einhaltung
der Menschenrechte gegeben. Zum anderen sind sehr
viele auch schon dem Global Compact der UNO, der ver-
schiedene soziale und ökologische Mindeststandards de-
finiert, beigetreten. Ich finde dies richtig und wichtig und
freue mich daher auch, dass viele deutsche Firmen sich
diesem Pakt unterwerfen. Zu Recht ehrte im Jahr 2003
die ehemalige rot-grüne Bundesregierung das vorbildli-
che Engagement dieser deutschen Mitgliedsunterneh-
men.


(A) (C)



(B) (D)


Helmut Lamp
Wenn die Daimler AG mit der „German Automotive
Academy Afghanistan Gottlieb Daimler“ in Kabul einen
Beitrag zur Stabilisierung der sozialen Verhältnisse vor
Ort leisten kann, dann begrüße ich das genauso wie das
Engagement der Bayer AG bei der Bekämpfung von Kin-
derarbeit in Südamerika und Asien.

Laut Aussage der damaligen Staatsministerin der
Grünen im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, im März
2003 hat die rot-grüne Bundesregierung den Global
Compact „von Anfang an unterstützt. Wahrscheinlich
war Joschka Fischer sogar der erste Außenminister, der
bereits im Jahr 2000 die Global-Compact-Initiative von
Kofi Annan offiziell begrüßt hat“. Daher begrüße ich
auch das Engagement der damals in Regierungsverant-
wortung stehenden Grünen in dieser Sache ausdrücklich.
Der noch nicht sehr lange bestehende Global Compact
ist natürlich kein Allheilmittel gegen Menschenrechts-
verletzungen, aber er ist eine sehr gute Maßnahme, die
man natürlich ständig überprüfen und gegebenenfalls
verbessern muss.

Vor diesem Hintergrund ist der Antrag der Grünen
nicht nachzuvollziehen. Erst wird der Global Compact
von ihnen gefordert und gefördert. Kaum stehen sie nicht
mehr in Regierungsverantwortung, hagelt es Kritik,
Unternehmen werden unter Generalverdacht gestellt und
sollen sich teils unsinnigen, teil unpraktischen Maß-
nahmen unterwerfen. Des Weiteren ist nicht ersichtlich,
wie derartige Maximalforderungen der Grünen über-
haupt positive Effekte für die Einhaltung oder Umsetzung
von Menschenrechten vor Ort bringen können. Denn es
fehlen konkrete Ausführungen zur Ausgestaltung. Dieser
Antrag hilft niemanden. Im Gegenteil: Nur die Wett-
bewerbsfähigkeit von deutschen Unternehmen würde da-
durch stark eingeschränkt werden.

Aber noch aus einem anderen, wichtigeren Grund
muss man den Antrag der Grünen ablehnen: Sosehr Un-
ternehmen – zu Recht – für etwaige Verletzungen von
Menschenrechten zur Verantwortung gezogen werden
müssen, so sind Abkommen zu Menschenrechten doch
rein zwischenstaatliche Vereinbarungen. Das heißt: In
erster Linie sind die Nationalstaaten für deren Umset-
zung und Überwachung zuständig.

Nochmals: Menschenrechtsverletzungen durch Unter-
nehmen müssen in jeden Fall geahndet werden – aller-
dings durch die Nationalstaaten. Wenn es in bestimmten
Staaten Probleme mit der Einhaltung von Menschenrech-
ten gibt, dann müssen wir als Parlamentarier die Bun-
desregierung oder auch nichtstaatliche Organisationen
darauf aufmerksam machen und das jeweilige Land
gegebenenfalls bei einer Lösung ihrer Probleme unter-
stützen. Unternehmen können nur als Ergänzung, nicht
aber allein für die Einhaltung von Menschenrechten sor-
gen. Grundsätzlich fördert ein wirklich freier Handel
demokratische und damit auch menschenrechtliche
Rahmenbedingungen und Strukturen.

Ich denke, dass deutsche Unternehmen sich in Men-
schenrechtsfragen ihrer Verantwortung sehr wohl be-
wusst sind und sich daher ja auch dem Global Compact
der UNO unterwerfen. Wir sollten dieses Instrument
überprüfen und sinnvoll stärken und nicht schon nach so
Zu Protokoll
kurzer Zeit wieder durch etwas anderes ersetzen. Wir
müssen den Dialog und Kooperationen fördern, anstatt
mit Verboten zu arbeiten. So sind Unternehmen nicht Teil
des Problems, sondern Teil der Lösung.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1623050700

Eine Vielzahl von international agierenden Firmen

und Konzernen hat ihren Sitz in Deutschland. Mit
Geldern aus Deutschland werden Tätigkeiten im Ausland
finanziert. Die Unternehmen sind verantwortlich dafür,
dass Exporte, Investitionen und auch Entwicklungs-
projekte sich nicht negativ auf Menschenrechte, ins-
besondere die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der
Menschen, auswirken.

Bislang gibt es keine verbindlichen internationalen
Normen im Hinblick auf das Agieren transnationaler
Unternehmen. Alle Versuche dazu sind auf UN-Ebene
gescheitert. Ich bin der Auffassung, dass eine Regulie-
rung von transnationalen Konzernen notwendig ist.
Durch unternehmerische Entscheidungen können Men-
schenrechte verletzt werden.

Menschenrechte sind in erster Linie Rechte eines Indi-
viduums gegenüber seinem Staat. Es erscheint mir aber
nicht mehr sachgerecht, es bei dieser engen Sichtweise
zu belassen. Denn die Verhältnisse haben sich durch die
Globalisierung verändert. Transnationale Unternehmen
haben sich zu Global Playern entwickelt, greifen in die
internationalen Beziehungen ein und üben teilweise
mehr politische Macht aus als manche Staaten.

Die Gastländer, in denen produziert wird, sind zwar
primär in der Verantwortung, die Menschenrechte ihrer
Bevölkerung zu schützen. Aber sie verfügen oft nicht über
ausreichende Strukturen, oder die Regierungen sind
nicht willens, Standards einzuhalten, die nötigen Kon-
trollen durchzuführen und Maßnahmen zu ergreifen, um
einen effektiven Schutz zu gewähren. Ein weiteres Pro-
blem ist der mangelnde Zugang zu Rechtssystemen. Viele
Menschen können ihre Rechte nicht einfordern, weil sie
sie nicht kennen, weil sie dazu finanziell nicht in der
Lage sind oder weil gar keine Gerichte vorhanden sind.

Deshalb müssen in den Herkunftsländern, die über ge-
nügend Ressourcen verfügen, geeignete Regelungen ge-
funden werden, die dann eine extraterritoriale Wirkung
entfalten. Wir müssen über Maßnahmen im Gesell-
schafts- und Konzernrecht, im Wettbewerbsrecht und im
Außenwirtschaftsrecht nachdenken. Warum werden Her-
mesbürgschaften auf ihre ökologischen und sozialen,
nicht aber auf menschenrechtliche Auswirkungen ge-
prüft? Warum findet diese Prüfung erst ab einem Auf-
tragsvolumen von 15 Millionen Euro statt? Hier sehe ich
Handlungsbedarf.

Es ist klar, dass die deutsche Politik das Leben vieler
Menschen in anderen Teilen der Welt beeinflusst. Und es
ist auch klar, dass die Verantwortung des Staates nicht an
der Landesgrenze aufhören darf. Auch der UN-Aus-
schuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
betont, dass Staaten sicherstellen müssen, durch ihre Po-
litik keine Menschenrechte in anderen Ländern zu ver-
letzen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christel Riemann-Hanewinckel
Es gibt eine Reihe von Richtlinien und freiwilligen
Vereinbarungen, die allesamt ein Schritt in die richtige
Richtung sind. Jedoch verfügen nur wenige über effektive
und transparente Kontroll- und Sanktionsmechanismen.
Der allseits bekannt Global Compact bietet Unterneh-
men die Möglichkeit, sich auszutauschen, Partnerschaf-
ten zu bilden und praktikable Ansätze weiterzuent-
wickeln. Er versteht sich nicht als Regulierungs-
instrument. Kontrolle und Sanktionen bei Verstößen sind
nicht vorgesehen.

Dagegen sind die OECD-Leitsätze für multinationale
Unternehmen derzeit das wohl wichtigste Instrument für
die weltweite Unternehmensverantwortung. Allerdings
werden ihre Potenziale nur unzureichend genutzt.
Deutschland hat seine Nationale Kontaktstelle im
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ein-
gerichtet. Das hat der UN-Sonderbeauftragte John
Ruggie zu Recht kritisiert. Wenn eine solche Stelle in der
Abteilung für Außenwirtschaft im zuständigen Ministe-
rium angesiedelt ist, dann wird sofort klar, dass die Un-
abhängigkeit der Stelle nicht gewährleistet werden kann.
Auch hier erkenne ich Handlungsbedarf für die deutsche
Politik. Mehr Transparenz und eine deutlichere Wahr-
nehmbarkeit der Nationalen Kontaktstelle sind nötig. Die
jüngst von FIAN eingereichte Beschwerde gegen die
Neumann-Kaffee-Gruppe kann ein Beispiel dafür sein,
wie transparent die Arbeit einer Nationalen Kontakt-
stelle ist.

Was kann neben politischen Weichenstellungen in
Deutschland durch die Unternehmen vor Ort geleistet
werden? Transnationale Unternehmen können in den
Gastländern eine positive Rolle einnehmen. Sie können
wirtschaftlichen Aufschwung und sozial abgesicherte
Arbeitsplätze schaffen. Sie können aber auch zu einer
Verschärfung von Konflikten beitragen oder diese sogar
auslösen, indem sie eine Partei bevorzugen oder durch
Umweltverschmutzungen die Lebensgrundlage der Be-
völkerung zerstören. Oft sind sich Unternehmen im Vor-
feld ihrer Investition und auch während ihrer Tätigkeit
dieser Nebenwirkungen ihres Handelns nicht bewusst. In
der Entwicklungspolitik wurde deshalb eine Methode
entwickelt, um Projekten zu helfen, ihre Auswirkungen
auf einen Konflikt abzuschätzen und ihn im Rahmen ihrer
Möglichkeiten zu bearbeiten. Das Peace and Conflict As-
sessment ist für alle Projekte der staatlichen Entwick-
lungszusammenarbeit, die in konfliktreichen Regionen
durchgeführt werden, verbindlich. Auch für private Un-
ternehmen könnte eine solche Analyse im Vorfeld ihrer
Tätigkeit sinnvoll sein. So würde die eigene Rolle in Kon-
fliktgebieten deutlich und zugleich könnten Möglichkei-
ten, sich menschenrechtskonform zu verhalten, abge-
steckt werden. Unternehmen müssen dafür sorgen, dass
in ihrem Einflussbereich und bei Subunternehmen keine
Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Allein die langen Zulieferketten machen deutlich, dass
es sich um eine komplexe Materie handelt, die nicht ein-
fach zu normieren ist. Wir brauchen einen Mix aus frei-
willigen Vereinbarungen, gesetzlichen Regelungen auf
nationaler und internationaler Ebene und eine starke
und kritische Zivilgesellschaft. Nichtregierungsorganisa-
tionen und natürlich die Verbraucherinnen und Verbrau-
Zu Protokoll
cher müssen weiterhin das Agieren großer Konzerne be-
obachten. Die Kaufentscheidung jeder und jedes
Einzelnen hat ein Potenzial, das oft unterschätzt wird.
Gerade Markennamen sind verwundbar.

Zum Schluss ein Beispiel: Öffentlicher Druck aus der
Zivilgesellschaft und auch aus der Politik hat dazu ge-
führt, dass sich der Handelskonzern Metro nun doch
seiner Verantwortung stellt und die Zusammenarbeit mit
R. L. Denim aus Bangladesch fortsetzen wird. Nachdem
der Tod der jungen Näherin Fatema Akter bekannt ge-
worden war, die unter haarsträubenden Bedingungen ar-
beiten musste, wollte Metro den Betrieb von seiner Liefe-
rantenliste streichen. Damit hätten allein die betroffenen
Arbeiterinnen und Arbeiter die Konsequenzen für Fehler
und Versäumnisse des Metro-Konzerns zu tragen gehabt.
Metro muss sich der Verantwortung stellen – und das
heißt, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in sei-
nen Zulieferbetrieben sorgen, diese durch regelmäßige
Kontrollen sichern und bei Verstößen das Unternehmen
zur Verantwortung ziehen.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist
sinnvoll und notwendig. Leider kann die SPD diesem An-
trag nicht zustimmen, da wir durch die Koalitionsverein-
barung an ein übereinstimmendes Abstimmungsverhal-
ten gebunden sind. Die Kolleginnen und Kollegen der
Union lehnen diesen Antrag „aus voller Überzeugung“
ab. Ich finde das unangemessen und sehr bedauerlich.
Aber ich hoffe, dass sich der nächste Bundestag und die
nächste Bundesregierung erneut mit diesem Thema be-
schäftigen werden und Standards auf internationaler
Ebene zur Wahrung von ökologischen und sozialen Rech-
ten und Menschenrechten verabschieden.


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1623050800

Die aktuelle weltweite Wirtschaftskrise verdeutlicht,

wie stark die Welt vernetzt ist. Dies wird sich künftig wei-
ter verstärken. Auch wenn wir uns derzeit in einer in
ihrer globalen Dimension einmaligen Phase des Ab-
schwungs befinden, muss festgestellt werden, dass die
Globalisierung sich bisher als das auf lange Sicht erfolg-
reichste Armutsbekämpfungsprogramm der Geschichte
erwiesen hat. Ein tragender Pfeiler dieser positiven Ent-
wicklung sind international operierende Unternehmen,
die in vielen Ländern Arbeitsplätze schaffen, Entwick-
lung vorantreiben und neue Märkte erschließen.

Gleichwohl ist unstrittig, dass im Rahmen der Globa-
lisierung einige wenige Unternehmen nicht stets in ver-
antwortlicher Weise ihrer Tätigkeit nachgegangen sind.
Laut Medienberichterstattung hat es in den vergangenen
Jahren wiederholt Fälle gegeben, in denen Unternehmen
in ihrem Verantwortlichkeitsbereich Menschenrechte
nicht beachtet haben. Der vorliegende Antrag der
Grünen bietet jedoch keine geeigneten Lösungen, um be-
stehende Defizite zu beheben.

Der Antrag stellt zu Recht fest, dass „das Feld der
menschenrechtlichen Folgen von Unternehmenshandeln
noch wenig erforscht ist“. Daher ist es unpassend, dass
die Grünen bereits mit einem sehr umfangreichen Antrag
vorpreschen, der in stark hinderlicher Weise in wirt-
schaftliche Abläufe eingreifen und auch dem deutschen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Staat umfangreiche Aufgaben zuweisen würde. In der jet-
zigen Phase ist noch nicht hinreichend klar, in welchem
Umfang und in welcher Form Unternehmenshandeln zu
Menschenrechtsverletzungen führt.

Doch der Reihe nach: Zunächst ist festzuhalten, dass
die prinzipielle Verantwortung bei den Staaten liegt.
Diese haben sich in verschiedenen internationalen
Abkommen verpflichtet, die Menschenrechte zu achten
und zu schützen. Daher möchte ich unterstreichen: Es
sind grundsätzlich die Staaten, die in der Pflicht stehen,
Menschenrechte zu achten und allgemein durchzusetzen.

Dabei ist jeder Staat dazu verpflichtet, die Menschen-
rechte auf seinem Territorium umzusetzen. Wenn also ein
europäisches Unternehmen beispielsweise in Brasilien
arbeitet, ist vornehmlich Brasilien für die Achtung der
Menschenrechte durch besagtes Unternehmen verant-
wortlich, nicht der europäische Staat, in dem das Unter-
nehmen seinen Hauptsitz hat. Der Antrag der Grünen
ignoriert diese Verantwortlichkeitsaufteilung. Er stellt
den Herkunftsstaat eines Unternehmens auf eine Ebene
mit dem Staat, in dem ein Unternehmen aktiv wird, dem
Gastgeberstaat. Damit verkennen die Grünen die Verant-
wortung, die ein Gastgeberstaat für die Einhaltung der
Menschenrechte auf seinem eigenen Territorium hat, zu
der er sich verpflichtet hat. Die Gastgeberstaaten
würden einseitig aus der Pflicht genommen. Ferner wird
den Herkunftsstaaten der Unternehmen eine Wächter-
rolle beim Schutz der Menschenrechte in anderen
souveränen Staaten zugewiesen. Diese Rollenverteilung
ist aus den internationalen Menschenrechtsverträgen
nicht ableitbar. Auch wenn die Intention der Grünen
wohlgemeint ist, entspricht dieser Ansatz nicht den inter-
nationalen Regeln des Umgangs zwischen ebenbürtigen
Staaten.

Ebenso widerspricht Forderung Nummer 1 unserem
Rechtsverständnis, nämlich einen Gesetzentwurf in Deutsch-
land vorzulegen und auf EU-Ebene eine Richtlinie an-
zuregen, die europäische Mutterunternehmen für ihre
Töchterunternehmen für Handlungen andernorts in Haf-
tung zu nehmen.

Die Grünen gehen weiter und schlagen vor, für deut-
sche Unternehmen Berichtspflichten über die Einhaltung
von Menschenrechtsstandards einzuführen. Das erzeugt
umfangreiche Bürokratie. Der Nutzen ist sehr zweifel-
haft. Das lehnt die FDP daher ab.

Als Nächstes wollen die Grünen das Vergaberecht um-
fänglich für die Achtung der Menschenrechte heranzu-
ziehen. Wiederum: Dies ist das falsche Mittel, um an das
richtige Ziel zu gelangen. Denn das Vergaberecht ist
hierfür denkbar ungeeignet. Wenngleich große Unter-
nehmen menschenrechtliche Kriterien bei öffentlichen
Beschaffungen beachten könnten, ist dies angesichts des
Kontroll-, Dokumentations- und Bürokratieaufwands für
kleine und mittelständische Unternehmen, KMU, schlicht-
weg nicht leistbar. Dies würde die KMU von öffentlichen
Ausschreibungen effektiv ausschließen. Derart dirigis-
tischer Interventionismus wäre nicht zu rechtfertigen.
Außerdem führt die von den Grünen ja generell gewollte
Aufnahme immer weiterer Vergabekriterien zu Intrans-
Zu Protokoll
parenz bei Auftragsvergaben und öffnet die Tür für Will-
kür und Vetternwirtschaft im deutschen Vergabewesen.

Die Grünen erkennen auch richtigerweise, dass viele
Unternehmen mit dieser Zertifizierungs- und Kontroll-
aufgabe überfordert wären. Doch die Lösung, die die
Grünen, vorschlagen, besteht im Ruf nach dem Staat.
Dieser solle, so die Grünen, „als Maßnahme der Wirt-
schaftsförderung“ umfangreiche Unterstützung zur Ver-
fügung stellen. Würde man dieser Forderung tatsächlich
nachkommen, müssten Beamte des Bundeswirtschafts-
ministeriums demnächst auf Reisen nach China oder
Vietnam gehen, um die dortigen Fabrikarbeiter hinsicht-
lich der Länge ihrer Mittagspause, der Verwirklichung
ihres Streikrechts und sonstiger Arbeitsschutzbestimmun-
gen zu befragen, um den Unternehmen einen Persil-
schein zur Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen
auszustellen. Sehr geehrte Kollegen der Fraktion der
Grünen, das kann nicht Ihr Ernst sein. Ich bin übrigens
überzeugt davon, dass sie diese weitreichenden
Forderungen in der Regierungsverantwortung schnell
wieder zurücknehmen würden. 1998 bis 2005 haben Sie
diese Dinge jedenfalls nicht angepackt. Der Antrag ist
also nicht ganz redlich.

Ich möchte einige Bemerkungen aus liberaler Per-
spektive an die Grünen richten. Zunächst ist festzuhalten,
dass die große Mehrheit der Unternehmen verantwort-
lich agiert. Der Zungenschlag des Antrags trägt dem
nicht Rechnung. Der Grundsatz der Corporate Social
Responsibility und der verantwortlichen Unternehmens-
führung hat sich heute im Bewusstsein fast jedes Un-
ternehmenslenkers verankert. Dies ist kein Lippenbe-
kenntnis, sondern gelebtes Verantwortungsbewusstsein.
Zahlreiche Initiativen sind bisher auf freiwilliger Basis
entstanden, bei denen sich Unternehmen über Erfah-
rungen in ihren jeweiligen Bereichen austauschen und
voneinander lernen.

Darüber hinaus haben sich viele Unternehmen aus
freien Stücken selbst Standards gesetzt. Die Initiative des
damaligen VN-Generalsekretärs Kofi Annan, der Global
Compact, ist eine beispielhafte Erfolgsgeschichte. Hier
tritt nicht ein Staat gängelnd auf, sondern motivierte
Unternehmen vernetzen sich und arbeiten im Interesse
der Menschenrechte zusammen.

Dies soll nicht heißen, dass es keine Probleme hin-
sichtlich der Achtung der Menschenrechte im Zuge der
Tätigkeit internationaler Unternehmen gäbe. Jedoch ist
der effektivste Ansatz, die jeweiligen Branchen selbst für
effektive Verbesserungsmaßnahmen zu gewinnen.

Wenn sich spezielle Branchen mit Missachtung von
menschenrechtlichen Standards durch Zulieferer kon-
frontiert sehen, dann müssen sie in eigener Verantwor-
tung diese Missstände abstellen. Dass dies möglich ist,
beweist der Fall der Sportartikelhersteller. In den 90er-
Jahren machten Presseberichte über durch indische Kin-
derhände hergestellte Fußbälle die Runde in deutschen
und europäischen Zeitungen. Die öffentliche Empörung
war zu Recht groß. Die Markenunternehmen sahen ihr
Prestige beschädigt. Die entsprechenden Firmen reagier-
ten prompt und schufen ein System, in dem unabhängige
Nichtregierungsorganisationen die Produktionsstätten der



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Zulieferer kontrollieren. Wenn es zu Verstößen kommt,
muss dies aufgedeckt und durch die Wirtschaft abgestellt
werden. Und dies geschieht effektiver auf Grundlage der
öffentlichen Meinungsbildung und des Verbraucherver-
haltens als durch staatlichen Bürokratismus.

Aktuell kursieren Berichte über Kinderarbeit in indi-
schen Steinbrüchen, deren Produkte, wie Grab- oder
Pflastersteine, auch für den deutschen Markt exportiert
werden. Doch wäre es falsch und wirkungslos, wenn der
deutsche Staat mittels des Vergaberechts – quasi mit
einem langen Schraubenzieher – von Deutschland das
Problem in Indien zu lösen versuchte. Hier ist in erster
Linie der indische Staat in der Pflicht, die Achtung der
Menschenrechte in seinem Land zu gewährleisten. Sollte
dies nicht effektiv geschehen und sich die in Europa be-
troffenen Unternehmen weiter der öffentlichen Kritik
ausgesetzt sehen, müssen die Unternehmen handeln.
Andere Branchen, wie die Spielwarenindustrie, haben
dies vorgemacht, indem sie Mängel bei Zulieferern abge-
stellt und selbstständig Zertifizierungssysteme organi-
siert haben. Aufmerksame Kunden können dazu einen
Beitrag leisten.

Insgesamt muss man sagen, dass wir am Anfang einer
Entwicklung stehen. Bevor Deutschland einseitig in ge-
setzgeberischen Aktionismus verfällt, wie die Grünen
dies vorschlagen, sollte man sich zuerst ein genaueres
Bild verschaffen. Der UN-Sonderbeauftragte für Men-
schenrechte und transnationale Unternehmen, John
Ruggie, leistet hier einen Beitrag. Sein erster Bericht aus
dem Jahr 2008 hat einige Problembereiche umrissen. Im
Zuge seines neuen, um drei Jahre verlängerten Mandats
könnte er auch konkrete Lösungsansätze erarbeiten. Wie
diese aussehen werden, ist bisher völlig unklar. Bis dahin
sollte Deutschland den eingeschlagenen Weg weiter-
verfolgen.

Sollte es in der Zukunft zu verbindlichen Regelungen
für das Handeln von Unternehmen in anderen Staaten
kommen, ist in jedem Fall sicherzustellen, dass diese
Regeln allgemein verbindlich sind, und nicht europäi-
sche oder deutsche Unternehmen einseitig im Wettbe-
werb benachteiligen. Dieses Kerngebot der Fairness
haben die Grünen in ihrem Antrag leider nicht beachtet.
So wird auch der Menschenrechtspolitik kein Dienst
geleistet. Dieser Antrag schielt auf Wählerstimmen, aber
er weckt falsche Erwartungen. Daher werden wir den
Antrag der Grünen ablehnen.


Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623050900

Die Problematik, die im vorliegenden Antrag ange-

sprochen wird, liegt meiner Fraktion sehr am Herzen.
Während die Restbestände der sozialen Demokratie hier-
zulande noch ein wenig von den Zumutungen abfedern
können, die sonst auf Menschen zukämen, wenn das
Kapital frei schalten und walten könnte, kann man der-
gleichen von weiten Teilen der Welt überhaupt nicht sa-
gen.

Investitionen bringen nicht immer nur Wohlstand, erst
recht nicht immer für alle. Aber das ist vielleicht nichts
Neues. Auch nicht neu und unbekannt sind die unge-
zählten Beispiele der Vertreibungen von Menschen in-
Zu Protokoll
folge von Abholzungen und aufgrund der Erschließung
und Förderung von Bodenschätzen. Damit verbunden
– sei es billigende Inkaufnahme, sei es aktiv betrieben –
sind die Niederschlagung von Protesten und die Ver-
folgung von Aktivisten. In sehr vielen Staaten gibt es
keine effektive Wirksamkeit sozialer Mindeststandards,
basale Normen humanen Arbeitens scheinen für viele
Menschen auch ins Reich der Utopien zu gehören.

Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland scheint
es zum guten Ton effizienter Unternehmensführung zu
gehören, Angestellte zu überwachen, ihnen ein Recht auf
Intimität und Privatheit abzuerkennen und damit auch
die Würde abzusprechen. Die Linke begrüßt es daher,
dass sie nicht immer als einzige Fraktion darauf hin-
weisen muss, dass Menschenrechte nicht automatisch mit
der Kapitalverwertung aufblühen müssen. Manchmal
scheinen Menschenrechte eben auch hinderlich zu sein
für eine ansprechende Profitmenge.

Daraus kann man die verschiedensten Folgerungen
ziehen. Eine davon hat uns vor kurzem die FDP in ihrem
Antrag „Eigentumsfreiheit weltweit schützen“ aufge-
zeigt, in dem – vorsichtig ausgedrückt – dem Konflikt
zwischen Profit- und Menschenrechtsinteressen nicht
übermäßig viel Platz eingeräumt worden ist. Die Linke
ist jedenfalls der Auffassung, dass die Verletzung von
Menschenrechten durch keinerlei Gründe gerechtfertigt
werden kann. Ganz ohne Wertung möchte ich hinzu-
fügen: Es ist aber auch nicht Aufgabe des Kapitalismus
und der Märkte, für Gerechtigkeit und Menschenrechte
zu sorgen. Dafür – und das erschreckt natürlich die FDP –
sind die Zwangsmittel des Rechts in einem Rechtsstaat
zuständig und daher aus unserer Sicht auch sachlich
zulässig. Die Rechtschaffenheit, mit der Adam Smith
noch an die unsichtbare Hand des Marktes glauben
konnte, die können wir heute nicht im Ernst propagieren.

Auch deutsche Unternehmen waren und sind an Men-
schenrechtsverletzungen mitschuldig geworden, die sich
im Zuge von Investitionen einstellen. Daraus erwächst
Deutschland eine besondere Verantwortung. Sie ist umso
größer, wenn man die ökonomische Potenz deutscher
Unternehmen weltweit berücksichtigt. Das ist aus Sicht
der Linken auch der entscheidende Vorzug im Antrag der
Grünen. Es geht um die politische Anerkennung des Um-
standes, dass Unternehmen für Menschenrechts-
verletzungen mitverantwortlich sind und dass hier nur
staatliche, gesetzgeberische Maßnahmen greifen können.
Daher möchte ich auch die Kritik an Details zurück-
stellen, da der Zeitpunkt dafür erst herangereift sein
dürfte, wenn diesem Antrag Erfolg beschieden wäre.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623051000

Lassen Sie mich diese Rede beginnen mit einem Zitat

aus dem Jahr 2001. Es stammt aus dem Grünbuch der
Europäischen Kommission zu Europäischen Rahmenbe-
dingungen für die soziale Verantwortung der Unterneh-
men und lautet:

Die Menschenrechte sind ein sehr komplexes
Thema, das politische, rechtliche und ethische Pro-
bleme aufwirft. Für die Unternehmen stellen sich
dabei schwierig zu beantwortende Fragen, unter



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe
anderem: Wie lassen sich ihre Verantwortlichkeiten
abgrenzen gegenüber denjenigen der Regierungen?
Wie lässt sich überwachen, ob die Geschäftspartner
das für das eigene Unternehmen aufgestellte Werte-
schema einhalten? Wie verhält man sich gegenüber
und agiert man in Ländern, in denen die Menschen-
rechte häufig verletzt werden?

In der Tat sind dies schwerwiegende und komplizierte
Fragen, für die es sicher keine einfachen Ad-hoc-Lösun-
gen gibt. Die zugrunde liegenden Probleme sind aller-
dings drängend. Dazu ein Beispiel aus Nigeria – ich zi-
tiere aus einem Bericht von Amnesty International vom
26. Juni 2009 –:

In ihrer Gier nach fossilen Energieträgern missach-
ten Ölunternehmen in Nigeria die Umweltbelange
und Menschenrechte der betroffenen Gemeinschaf-
ten regelmäßig. Das schwarze Gold hat bereits Ein-
nahmen in Milliardenhöhe gebracht, trotzdem hat
sich die Lebenssituation für die Mehrheit der 30 Mil-
lionen BewohnerInnen des Niger-Deltas nicht ver-
bessert. Im Gegenteil, die Armut ist noch größer ge-
worden. Die Ölkonzerne haben die Umwelt und
damit die traditionellen Lebensgrundlagen der loka-
len Bevölkerung zerstört. Ihre Aktivitäten heizen re-
gelmäßig Konflikte an. Immer wieder werden Akti-
vistInnen Opfer von gewalttätiger Unterdrückung.
Vor 14 Jahren sind der nigerianische Schriftsteller
Ken Saro-Wiwa und acht weitere Ogoni-Aktivisten
nach einem unfairen Prozess hingerichtet worden,
weil sie sich gegen die Zerstörung der Lebensgrund-
lagen durch die Ölindustrie zur Wehr gesetzt hatten.

Wir sind uns einig, dass im Kontext der Globalisierung
insbesondere transnational agierende Unternehmen im-
mer weiter reichende Einflussmöglichkeiten haben. Die
Tätigkeit solcher Konzerne hat auch Auswirkungen auf
menschenrechtliche Belange. Dieses Feld der menschen-
rechtlichen Folgen von Unternehmenshandeln ist bisher
noch wenig erforscht. Aber gerade weil die damit verbun-
denen Fragen so komplex sind, wie eingangs zitiert, ge-
rade deshalb ist die Bundesregierung – sind wir alle – ge-
fordert, Lösungen auszumachen und Möglichkeiten zu
finden, mit denen die menschenrechtliche Unternehmens-
verantwortung effektiver gestaltet werden kann. In den
letzten vier Jahren ist dazu vonseiten der Bundesregie-
rung nichts passiert. Sie hat weder versucht, nationale
Ansätze zu entwickeln, noch hat sie sich mit Nachdruck
dafür eingesetzt, verbindliche internationale Regelungen
auf den Weg zu bringen. In der Beratung im federführen-
den Menschenrechtsausschuss haben Union und FDP
einvernehmlich betont, dass freiwillige Initiativen wie der
Global Compact völlig ausreichten, um das Problem zu
lösen.

Nichts liegt uns ferner als eine billige Kritik am Glo-
bal Compact oder anderen freiwilligen Initiativen zur
Stärkung der Unternehmensverantwortung. Diese Maß-
nahmen sind sinnvoll, sie werden von vielen Unterneh-
men mit großer Ernsthaftigkeit und Konsequenz umge-
setzt, und sie können viel bewegen. Dass ihre Wirkung
dennoch beschränkt ist, das können wir alle seit Jahren
beobachten. Und deshalb ist es notwendig, nach ergän-
Zu Protokoll
zenden verbindlichen Regelungen zu suchen, mit denen
besser als bisher verhindert werden kann, dass Unter-
nehmen Menschenrechtsverletzungen begehen. Die Bun-
deskanzlerin hat in den Monaten nach dem Ausbruch der
Wirtschafts- und Finanzkrise häufig davon gesprochen,
dass wir eine Charta des nachhaltigen Wirtschaftens be-
nötigen. Die gesetzlich festgelegte Stärkung der Unter-
nehmensverantwortung im Bereich Menschenrechte
wäre unserer Meinung nach ein wesentliches Element für
nachhaltiges Wirtschaften.

Der Staat hat die Verpflichtung, die Menschenrechte
seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen, zu respektie-
ren und zu gewährleisten. Dies gilt auch für den Fall,
dass Menschenrechte durch Unternehmen beeinträchtigt
werden. Wir fordern, dass die Bundesregierung die beste-
henden Haftungsmöglichkeiten ausbaut und festschreibt,
dass Unternehmen darüber berichten müssen, wie sich
ihre Tätigkeiten auf Menschenrechte auswirken. Dazu
gehört auch, dass Unternehmen eine Menschenrechtsri-
sikoanalyse vornehmen. Unternehmen müssen vom Ge-
setzgeber dazu verpflichtet werden, ihr Handeln darauf-
hin zu überprüfen, ob alle Menschenrechte respektiert
werden. Dabei können sich für Unternehmen nicht nur
Unterlassungspflichten ergeben, sondern auch positive
Pflichten wie zum Beispiel die Einführung von Antidis-
kriminierungsregelungen. Zudem benötigten die Opfer
von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen ei-
nen besseren Zugang zu Rechtsbehelfen.

Ziel muss es sein, klar umrissene Pflichten für Unter-
nehmen hinsichtlich der Verletzung aller Menschen-
rechte zu gestalten. Es sind eben nicht – wie zum Teil in
der Debatte behauptet wird – nur einige wenige Men-
schenrechte von unternehmerischem Handeln betroffen;
eine eingegrenzte Liste reicht daher nicht aus. Der Son-
derberichterstatter der UN für Unternehmen und Men-
schenrechte, John Ruggie, hat deutlich herausgestellt,
dass Unternehmen grundsätzlich in der Lage sind, alle
Menschenrechte zu verletzten. Dies müssen wir angehen.

Mit unserem Antrag „Menschenrechtsverletzungen
durch Unternehmen verhindern“ fordern wir die Bundes-
regierung dazu auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen und
auf EU-Ebene die Erarbeitung eines Richtlinienentwur-
fes anzuregen, der eine Haftung der Mutter- für ihre
Tochterkonzerne festlegt für den Fall, dass ein Tochter-
unternehmen Menschenrechte missachtet. Zudem soll die
Bundesregierung prüfen, inwieweit bisherige Berichts-
pflichten von Unternehmen um die Einhaltung von Men-
schenrechtsstandards ergänzt werden können. Darüber
hinaus sollen in der Außenwirtschaftsförderung Men-
schenrechtskriterien stärker als bisher verankert werden.
Menschenrechtskriterien sollen auch bei der Vergabe von
Exportkrediten, ungebundenen Finanzkrediten sowie In-
vestitionsgarantien als Prüfkriterien für eine Bewilli-
gung von Anträgen stärker berücksichtigt werden.

Lassen Sie uns nicht gegeneinander und nicht in Kon-
kurrenz von freiwilligen und verbindlichen Regelungen
an diesem Thema weiterarbeiten. Es geht hier um zu viel,
als dass sich die Bundesregierung oder einzelne Fraktio-
nen des Bundestages zurücklehnen und auf bereits Er-
reichtem ausruhen könnten. Lassen Sie uns dies, wenn



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe
wir hier und jetzt nicht zu einem gemeinsamen Ent-
schluss kommen, in der kommenden Legislaturperiode
gemeinsam angehen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623051100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13647, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/13180 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenom-
men.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 63 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel
Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorbildlich und importunabhängig Ökostrom
und Biogas einkaufen

– Drucksachen 16/11964, 16/13625 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Hirte
Marko Mühlstein
Michael Kauch
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1623051200

Ich bin ein Verfechter der erneuerbaren Energien. Die

erneuerbaren Energien sind in unserem Energiemix
heute bereits ein zuverlässiger Part geworden und ich
begrüße das ausdrücklich.

Im künftigen Energiemix nehmen die erneuerbaren
Energien unstreitig und richtigerweise eine Schlüssel-
position ein. In Zeiten des fortschreitenden Klima-
wandels, sich verknappender Ressourcen und steigender
Energiepreise hat die Koalition in dieser Legislatur viel
dafür getan, um den erneuerbaren Energien den Weg zu
ebnen. Ich darf allem voran verweisen auf die Ergebnisse
aus Meseberg. Konsequent haben wir vor diesem Hinter-
grund unter anderem das Erneuerbare-Energien-Gesetz
novelliert.

Den Inhalt dieses Antrags kann ich, ungeachtet des
Umstands, dass ich mich für die erneuerbaren Energien
einsetze, nicht mittragen. Die Vorbildfunktion des Deut-
schen Bundestages und der Bundesregierung stütze ich,
nicht aber die Symbolpolitik, die dem Antrag gleichfalls
zugrunde liegt. Gerne begründe ich das nachfolgend und
will einige Schwachpunkte des Antrags exemplarisch
aufgreifen:

Einmal ist der Begriff des Ökostroms nicht legal-
definiert. Dieses Problem hatte der Kollege Hirte in der
ersten Lesung bereits aufgegriffen, und ich darf darauf
nochmals vertiefend zurückkommen: Im Falle von Öko-
strombezug durch deutsche Behörden möchte man doch
erwarten, dass entsprechend eine echte Anreizsetzung für
den marktgetriebenen Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien, idealerweise im Inland, entsteht. Dafür müsste ins-
besondere eine Differenzierung dahin erfolgen, ob der
Strom aus dem In- oder Ausland kommt und ob tatsäch-
lich physische Stromlieferungen erfolgen oder lediglich
sogenannte Guarantees of Origin zugrunde liegen. Fakt
ist aber, dass heute etwa schwedische und österreichi-
sche Wasserkraftanbieter Strommengen und Herkunfts-
zertifikate anbieten; dabei handelt es sich übrigens
regelmäßig um ältere Bestandsanlagen. Unter einer
sinnvollen Stützung des Ausbaus von inländischem Öko-
strom verstehe ich anderes als ein zweites finanzielles
Leben für abgeschriebene Altanlagen im Ausland – die
dann im jeweiligen nationalen Energiemix ausgewiesen
und Deutschland als Bezieherland gerade nicht
zugerechnet würden.

Ein weiterer Schwachpunkt, den der Antrag aufweist,
ist: Wir fördern die erneuerbaren Energien bereits in vor-
bildlicher Weise über das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz – durch die garantierte Mindestvergütung. Überse-
hen wurde hier offenbar von den Antragstellern, dass just
in § 56 EEG das sogenannte Doppelvermarktungsverbot
zur Vermeidung von übermäßiger Subventionierung
besteht. Deshalb kämen für den Bereich der nachweisli-
chen Ökostromausweisung faktisch also nur jene Anla-
gen in Betracht, die außerhalb des Anwendungsbereiches
des EEG fallen, das heißt speziell Anlagen, die entweder
die EEG-Voraussetzungen nicht erfüllen oder für die eine
Direktvermarktung bevorzugt wird. Jedoch steht fest,
dass EEG-Strom aufgrund des Doppelvermarktungs-
verbots gerade nicht als Ökostrom vermarktet werden
darf. Den gewünschten Anreizeffekt des Antrags für neue
regenerative Anlagen sehe ich auch insofern nicht in ent-
sprechendem Maße.

Darüber hinaus geht der Antrag mit keinem Wort da-
rauf ein, dass die öffentliche Hand den Grundsätzen der
Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen hat. Es ist nicht
vertretbar, dass der Strombedarf in Bundesministerien
und dem Bundeskanzleramt jenseits des Gebots der Wirt-
schaftlichkeit per se über Ökostromanbieter zu decken
wäre und die Gesamtökobilanz gerade nicht in ent-
sprechend verbindlicher Weise – ich verweise insofern
auf meine obigen Ausführungen – verbessert würde.
Ökonomie und Ökologie müssen sinnvoll verbunden wer-
den, das muss die Maßgabe sein.

Zum Bereich der Biogasversorgung will ich ein-
führend kurz ergänzen, dass der Anspruch im Antrag
zunächst einmal in Bezug auf die Größenordnung der
Anwendungsfälle entscheidend in das richtige Verhältnis
zu setzen ist: nämlich insofern, als dass sich etwa der
Bezug von Gas seitens der oberen Bundesbehörden in
Berlin in sehr engen Grenzen hält, wie uns die Bundes-
anstalt für Immobilienaufgaben im Zusammenhang mit
Ihrem Antrag mitgeteilt hat. Demnach würde Gas hier
vor allem für den Kantinenbetrieb und vereinzelte
Liegenschaften benötigt.

Dann im Weiteren sehr gerne meine Haltung zur Bio-
gaseinspeisung: Meines Erachtens liegt in der Einspei-
sung von aufbereitetem Biogas in das Erdgasnetz eine


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
ganz entscheidende Alternative, die uns mittelfristig eine
Erfolg versprechende Perspektive bietet – insbesondere
auch vor dem Hintergrund, im Gasbereich die Import-
abhängigkeit zu reduzieren. Diesem Umstand hat die
Große Koalition auch Rechnung getragen: Mit der neuen
Regelung der Biogaseinspeisemodalitäten in der Gas-
netzzugangsverordnung 2008 wurde die Einspeiseseite
auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt, und mit der
Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes 2008
bekam auch die Biogasverwendungsseite einen neuen
Rechtsrahmen. Es wurde insofern für die Biogas-
produzenten und Gasnetzbetreiber ein geeigneter
Rechtsrahmen geschaffen. Kein Wort über diese Leistung
in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von den Grü-
nen.

Nein, vielmehr wird mit Fokus auf einen verhältnis-
mäßig reduzierteren Anwendungsbereich – der aus dem
Antrag nicht unmittelbar erkennbar ist, vergleiche inso-
fern meine obigen Ausführungen – ein Aufschlag ge-
macht wie beim großen Tennis. Und dabei droht Ihnen
der Ball auch an dieser Stelle gerade aus ökologischer
Sicht ins Aus zu gehen: Wir müssen uns vor Augen füh-
ren, dass die Klima- und Flächenbilanz im Falle einer
reinen Wärmenutzung wesentlich schlechter ist als im
KWK-Anwendungsbereich. In dieser Undifferenziertheit
ist der Antrag auch an dieser Stelle nicht zu stützen. Den-
noch darf ich Ihnen, sozusagen beschwichtigend, mit auf
den Weg geben: Der Ältestenrat kam in seiner 77. Sitzung
am 18. Juni einvernehmlich zu dem Schluss, dass die Ver-
waltung des Deutschen Bundestags im Zusammenhang
mit der Neuauschreibung des Gasliefervertrages für den
Deutschen Bundestag die Möglichkeiten zum Bezug von
Biogas sowie die vorhandenen Anbieter prüfen solle.
Neben den notwendig zu berücksichtigenden öko-
nomischen Aspekten werden hier meines Erachtens aller-
dings auch stringent die vorgenannten Aspekte einer
effektiven Klima- und Flächenbilanz im Blick bleiben
müssen.

Zu guter Letzt ein Wort zur Plenardisziplin in der Op-
position: Ich darf im Zusammenhang mit den erneuerba-
ren Energien auf einen Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
nen vom 12. Dezember 2007 verweisen: „Den Deutschen
Bundestag zum Vorbild für die sparsame und klimaf-
reundliche Stromversorgung machen“. Die Kommission
für Bau- und Raumangelegenheiten hatte sich in ihrer
10. Sitzung am 12. März 2008 mit dem Antrag befasst:
Man war dort mehrheitlich zu der Auffassung gekommen,
dass der Deutsche Bundestag bereits über ein vorbild-
liches ökologisches Energiekonzept verfügt. Etliche im
Antrag angeführte Vorschläge seien nach Einschätzung
der Kommission teils im Deutschen Bundestag bereits
umgesetzt, teilweise aus technischen Gründen nicht um-
setzbar und teilweise aufgrund der technischen Entwick-
lung noch nicht im erforderlichen Umgang verfügbar,
vergleiche die entsprechende Beschlussempfehlung 16/8820.
In einer bedauerlich konsequent fortgeführten Weise ist
auch der uns heute vorliegende Antrag wiederum als
schlichtweg nicht ausgereift und zu Ende gedacht zu be-
trachten. Ich würde mir an dieser Stelle wünschen, dass
sich die Regierungsfraktionen mit gut durchdachten und
aufbereiteten Anträgen beschäftigen dürfen.
Zu Protokoll

Marko Mühlstein (SPD):
Rede ID: ID1623051300

Wir entscheiden heute über einen Antrag der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen, der die Bundesregierung auffor-
dert, die Energieversorgung der Bundesministerien zügig
auf erneuerbare Energien umzustellen.

Grundsätzlich kann die SPD-Fraktion diesem Anlie-
gen folgen. Und in den letzten Jahren ist insbesondere
der Deutsche Bundestag seiner Vorbildfunktion in Sa-
chen regenerative Energien gerecht geworden. So verfü-
gen die Gebäude des Hohen Hauses bereits seit seinem
Umzug von Bonn nach Berlin über ein zukunftsweisen-
des, umweltpolitisch verantwortungsvolles und vorbildli-
ches Energiekonzept. So betreibt der Bundestag hausei-
gene Blockheizkraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung,
die der Erzeugung regenerativer Energien dienen. Der
darüber hinaus benötigte Bedarf wird ebenfalls durch
den Einkauf von Strom aus erneuerbaren Energien ge-
deckt. Gleiches gilt für das Bundesumweltministerium
und seine nachgeordneten Behörden.

Wie gesagt, unterstützen wir als SPD die Forderung,
diesen Prozess auch in anderen Bundesministerien und
auch dem Bundeskanzleramt fortzusetzen. Doch gilt es
aus unserer Sicht, hierbei bestehende Verträge und die
Versorgungsmöglichkeiten mit entsprechenden Kapazitä-
ten zu berücksichtigen. Ich gehe davon aus, dass die Ver-
antwortlichen in den Ministerien und im Bundeskanzler-
amt sich dieser Problematik bewusst sind und in einigen
Jahren sämtliche Behörden der Bundesregierung mit
Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden. Denn
die Umstellung der Stromversorgung auf regenerative
Energien ist aus meiner Sicht keine Frage der Kapazitä-
ten oder technischen Möglichkeiten, sondern hängt im
Wesentlichen von der Ausgestaltung und Laufzeit der be-
stehenden Lieferverträge sowie von dem Willen der Ver-
antwortlichen ab.

Die von den Grünen geforderte Umstellung auf Bio-
gas wird sich dagegen aus verschiedenen Gründen nicht
ebenso schnell realisieren lassen, weshalb dem Antrag in
der vorliegenden Form nicht zugestimmt werden kann.
Zum einen wird aus unserer Sicht nicht berücksichtigt,
dass die Biogasnutzung nur im Rahmen einer Gesamt-
strategie nachhaltig ausgebaut werden kann. Dies be-
deutet, dass die Nutzung von Biogas den gesamten An-
wendungsbereich berücksichtigen muss. So haben wir
beispielsweise erst vor kurzem mit der Verabschiedung
des Gesetzes zur Änderung der Förderung von Biokraft-
stoffen den Weg für eine Anrechnung von Biogas auf die
Biokraftstoffquote freigemacht. Damit haben wir einen
neuen Nutzungspfad für Biogas eröffnet, der bei der Be-
rechnung der Potenziale beachtet werden muss. Zudem
muss beachtet werden, dass die Einspeisung von Biogas
in das Erdgasnetz erst seit relativ kurzer Zeit an Bedeu-
tung gewinnt. Mit der Novellierung des Erneuerbare-
Energien-Gesetzes haben wir an dieser Stelle wichtige
Impulse gesetzt, doch eine solche Entwicklung benötigt
eben auch eine gewisse Zeit.

Vor diesem Hintergrund ist äußerst fraglich, ob kurz-
fristig überhaupt die benötigten Mengen an Biogas gene-
riert werden können, die für eine verlässliche Versorgung
aller Bundesministerien einschließlich des Kanzleramtes



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Marko Mühlstein
sowie des Bundestages benötigt werden. Ich plädiere da-
für, diesen Prozess mit Augenmaß zu entwickeln und in
den nächsten Jahren Schritt für Schritt die Nutzung von
Biogas zu intensivieren. Dies ist in der Praxis eher umzu-
setzen als eine schnelle Umstellung der entsprechenden
Ausschreibungen. Denn Biogas ist ohne Zweifel ein nach-
haltiger und umweltfreundlicher Energieträger, aber
auch nicht in unendlichen Mengen erzeugbar. In diesem
Zusammenhang fordere ich alle Kolleginnen und Kolle-
gen in diesem Hohen Hause auf, sich für eine verstärkte
energetische Abfall- und Reststoffverwertung einzuset-
zen. Hierdurch würde sich die verfügbare Menge an Bio-
gas drastisch erhöhen.

Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass die
mit dem Antrag verbundenen Arbeiten intensiv angegan-
gen werden müssen, eine Umsetzung in die Praxis jedoch
nicht wie beschrieben erfolgen kann.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1623051400

Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorge-

legte Antrag zum Einkauf von Ökostrom und Biogas
durch Bundesbehörden stellt auf die Vorbildfunktion der
öffentlichen Hand ab. Dabei soll allen Bundesministe-
rien und Bundesbehörden der Bezug von Ökostrom und
Biogas vorgeschrieben werden.

Wir müssen zunächst einmal feststellen, dass es in die-
sem Antrag vorrangig um Symbolik geht. Durch den Ein-
satz regenerativen Stroms und Gases durch Bundesbe-
hörden wird kein großer Beitrag zu Klimaschutz und
Versorgungssicherheit geleistet. Dennoch ist anzuerken-
nen, dass eine solche Symbolwirkung dann ein wirklicher
Beitrag ist, wenn er zu nennenswerten Nachahmeffekten
durch Bürger und Unternehmen führt. Ob es zu solchen
Nachahmeffekten kommt und diese dann die Zusatzkos-
ten für die öffentlichen Haushalte rechtfertigen, muss
Gegenstand der Ausschussberatungen sein. Die Grünen
übersehen aber in jedem Fall die Gesetzeslage, die sie
selbst befürwortet haben. Denn nach dem Erneuerbare-
Wärme-Gesetz darf Biogas nur in KWK-Anlagen, nicht
aber in Gasheizungen eingesetzt werden. Nachahmef-
fekte durch private Haushalte sind so ausgeschlossen.
Und damit gibt es auch keine Vorbildfunktion.

Denn die Bundesregierung betreibt Greenwashing:
die CO2-Einsparung durch Biogas wird schöngerechnet,
da es nur für besonders effiziente Verwendungen verkauft
werden darf, während das „böse“ russische Erdgas in
den „schlechten“ Gasheizungen verbrannt wird. Die
Grünen haben das bei Verabschiedung des Gesetzes
nicht kritisiert. Ökologisch ist das natürlich Unsinn,
denn niemand kann nach der Einspeisung ins Netz unter-
scheiden, ob die Gas-Moleküle aus russischem Erdgas
oder heimischem Biogas stammen.

Da nun aber die schwarz-rot-grüne Allianz diese Be-
schränkung aus ideologischen Gründen ins Gesetz ge-
schrieben hat, ist die Forderung im Antrag der Grünen
teils sogar gegen das Erneuerbare-Wärme-Gesetz. Denn
anders als im Bundestag werden viele Verbrauchsstellen
in Bundesbehörden keine KWK-Anlagen, sondern zum
Beispiel Gasheizungen sein.
Zu Protokoll
Vor diesem Hintergrund empfehle ich den Grünen, mit
der FDP erst einmal für einen Abbau der gesetzlichen
Beschränkungen für Biogas einzutreten.

Ich bleibe bei meiner Beurteilung, dass die Grünen
hier lediglich einen Schauantrag für den Wahlkampf
bringen.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1623051500

Wer von anderen mehr Klimaschutz fordert, sollte zu-

nächst selbst seine Hausaufgaben machen. Deshalb ist es
richtig, wenn Bundestag und Bundesbehörden bei ihren
Liegenschaften vorangehen und bei der Versorgung auf
heimische erneuerbare Energien umsteigen.

Der Bundestag ist in der Sache bereits tätig geworden.
So bezieht das Parlament Ökostrom und wird in Zukunft
den Bezug von Biogas in der Ausschreibung berücksich-
tigen. Immerhin „verheizt“ das Hohe Haus pro Jahr
rund 1,8 Millionen Kubikmeter Erdgas. Das Problem
war für Energieversorger bisher, diese großen Mengen
als Biogas aus nachhaltiger Erzeugung bereitzustellen.
Ab 2010 werden aber mehrere Anbieter – darunter auch
die Berliner GASAG – dieses Produkt anbieten können.

Für den Bundestag hat sich diese Anforderung der
Grünen damit erledigt. Ein herzlicher Dank gilt deshalb
auch der Verwaltung des Deutschen Bundestages, die
sich früh und professionell dieser Thematik angenommen
hat. Deren Engagement zeigt: Wenn Biogas nachgefragt
wird, stellt sich der schnell wachsende Markt auch da-
rauf ein. Die Bundesministerien und deren Behörden
könnten also ohne Weiteres folgen. Ob sie dies tun, wird
sich zeigen. Ein guter Glaubwürdigkeitstest für die Wahl-
programme von CDU/CSU und SPD: Wer erneuerbare
Energien fordert, muss auch voran gehen.

Man muss dabei an die Adresse der Grünen anmer-
ken, dass sie derzeit – in Übereinstimmung mit der Bun-
desregierung – wenig dafür tun, den erforderlichen Bio-
gasaufwuchs zu unterstützen. Das Problem ist, dass in
Deutschland nur begrenzt Flächen für die Bioenergienut-
zung zur Verfügung stehen.

Von der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland
mit knapp 16 Millionen Hektar können nach Untersu-
chungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen,
SRU, unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer
Belange langfristig 19,0 Prozent oder drei Millionen
Hektar für die Bioenergienutzung bereitgestellt werden.
Derzeit beträgt der Anteil schon 12,7 Prozent. Ein Groß-
teil dieser Flächen wird bereits für den Anbau von Pflan-
zen zur Biospriterzeugung belegt. Dabei hat sich die
Bundesregierung unter Beifall der „Ökopartei“ sehr
hohe Ziele gesteckt.

Die Folge ist allerdings, dass kein Platz mehr für
Energiepflanzen zur Biogasproduktion bleibt. Es sei
denn, man verzichtet auf den Schutz des Naturhaushaltes
oder schränkt die Nahrungsmittelerzeugung ein. Nach
Berechnungen des SRU würden beim Festhalten an der
jetzigen Biokraftstoffstrategie sämtliche Flächen für die
Erzeugung von Agroenergie benötigt. Wir müssen uns
also entscheiden zwischen der teilweise klimaschädli-
chen und ineffizienten Biospritherstellung oder für Bio-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill
gas, das je Hektar Biomasse eine dreimal höheren Ener-
gieausbeute erreicht.

Die Linke spricht sich deshalb für eine gezielte Förde-
rung von Biogas aus und fordert eine hindernisfreie Re-
gelung zur Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz. Dann
kommt auch genug Biogas im Bundeswirtschaftsministe-
rium an.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1623051600

Bundesregierung und Bundestag müssen Ökostrom

beziehen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das sollte
man zumindest meinen. Schließlich sagen in diesem
Hause und der Regierung alle, dass ihnen der Klima-
schutz sehr wichtig sei. Selbstverständlich müsste es da-
her sein, dass sämtliche Regierungshäuser Ökostrom be-
ziehen. Dass dies nicht der Fall ist und dieser Antrag
überhaupt gestellt werden musste, ist schon schwer er-
klärbar. Dass der Antrag dann auch noch abgelehnt
wird, ist überhaupt nicht erklärbar. Das hatten Sie offen-
bar erkannt, weshalb die FDP gestern im Umweltaus-
schuss auch den Antrag gestellt hatte, dass im Ausschuss
darüber nicht diskutiert werden soll. Union und SPD hat-
ten dankbar zugestimmt. Heute müssen Sie allerdings
Farbe bekennen. Ich vermute aber, dass Sie bei Union,
SPD und FDP lediglich wieder einen Wettbewerb um die
besten Ausreden abhalten werden. Die Debatte zur ersten
Lesung des Antrags bot hier schon eine Menge Anschau-
ungsmaterial. Die FDP war dabei am Kreativsten und
erfand einen Zusammenhang zum Wärmegesetz für er-
neuerbare Energien, das angeblich den Einsatz von Bio-
gas in Ministerien ausschlösse. Das ist absurd. Man darf
gespannt sein, ob der FDP mittlerweile ein besserer
Grund für ihre Ablehnung eingefallen ist.

Die SPD neigt ja dazu, sich hinter der Union zu ver-
stecken. Meine Damen und Herren von der SPD, es tut
mir leid, das zählt in diesem Falle nicht. Jeder Ihrer Mi-
nister hätte in den letzten Jahren die Möglichkeit gehabt,
sein Haus auf Ökostrom umzustellen und den Einsatz von
Biogas zu prüfen. Dies ist nicht geschehen, und mit der
Ablehnung des Antrags geben Sie Ihren Segen zu dem
Fehlverhalten. Die Ablehnung der Union ist begreiflich.
Die Minister der Union halten sowieso nichts von Öko-
strom und für die Kanzlerin ist Atomstrom der wahre
Ökostrom. Die Ablehnung der Union ist somit wenigstens
konsequent, auch wenn man gespannt sein darf, welchen
Ablehnungsgrund Sie vorgeben werden.

Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung
haben eine wichtige Vorbildfunktion beim Klimaschutz
und bei der Energieversorgungssicherheit. Der Bundes-
tag, das Bundesumweltministerium und seine nachgeord-
neten Behörden sind dieser Vorbildfunktion im Bereich
der Stromversorgung mittlerweile gerecht geworden, da
sie inzwischen infolge eines früheren grünen Antrags an-
hand festgelegter Ausschreibungskriterien den Strombe-
zug auf Ökostrom umgestellt hat. Bei den übrigen
Ministerien und im Kanzleramt herrscht immer noch
Fehlanzeige. Zwar sind alle Minister und die Bundes-
kanzlerin in ihren Sonntagsreden für den Klimaschutz.
Wenn es aber darum geht, wenigstens in ihren eigenen
Häusern mit gutem Beispiel voran zu gehen, herrscht
Fehlanzeige.

Braunkohlestrom, Steinkohlestrom, Strom aus Atom-
kraftwerken: All das ist heute noch Standard in den meis-
ten Ministerien, obwohl diese längst Strom aus erneuer-
baren Energiequellen beziehen könnten. Vollkommen
überflüssig werden daher Klimagase in die Luft gebla-
sen, Schwermetalle über das Land verteilt und Atommüll
erzeugt, von dem keiner weiß, wo er mal landen soll.

Noch dürftiger als beim Ökostrom sieht die Bilanz der
Bundesregierung beim Bezug von Biogas aus. Mittler-
weile gibt es einige Biogasanlagen, die ihr Biogas aufbe-
reitet in das Erdgasnetz einspeisen. Aber nicht einmal
das Bundesumweltministerium und dessen nachgeord-
nete Behörden beziehen Biogas. Wie sollen die Bürger
die Reden von der Energieversorgungssicherheit ernst
nehmen, wenn nicht einmal die Bundesregierung für ihre
eigenen Gebäude eine von Erdgaslieferanten unabhän-
gige Energieversorgung sicher stellen kann? Biogas wird
zwar erst seit relativ kurzer Zeit in das Erdgasnetz einge-
speist. Mittlerweile gibt es aber Unternehmen, die bereit
sind, Biogas zu liefern. Wir fordern die Bundesregierung
auf, in sämtlichen Ministerien und dem Bundeskanzler-
amt – inklusive der nachgeordneten Behörden – den
Strombedarf, der nicht über Eigenerzeugung abgedeckt
wird, künftig von einem Ökostromanbieter zu beziehen.
Die Institutionen sollen diesbezüglich nach Ablauf der
geltenden Verträge Ausschreibungen vornehmen.

Ebenso fordern wir die Bundesregierung auf, zu prü-
fen, welche Anbieter Biogas für die Gasversorgung der
Gebäude der Bundesregierung sowie der nachgeordne-
ten Behörden zur Verfügung stellen können, und eine ent-
sprechende Ausschreibung vorzubereiten. Sollte es noch
laufende Verträge geben, die die Institutionen für einen
bestimmten Zeitraum binden, soll ein Angebot des Ver-
tragspartners für die Belieferung mit Biogas eingeholt
werden. Sie können Gewiss sein, dass die grüne Bundes-
tagsfraktion auch in den nächsten vier Jahren die Regie-
rung zu einem vorbildlichen Verhalten anhalten wird, un-
abhängig davon, ob wir selbst die Regierung stellen
werden oder nicht. Der Antrag ist damit zur Wiedervor-
lage.

Einen kleinen Erfolg konnten wir immerhin schon mit
diesem Antrag erwirken. Der Ältestenrat des Bundesta-
ges zeigte sich offen für eine Prüfung des Einsatzes von
Biogas. Wir sind zuversichtlich, dass schon im nächsten
Jahr eine Ausschreibung erfolgen kann. Dann wäre der
Deutsche Bundestag auch in dieser Hinsicht ein leuch-
tendes ökologisches Vorbild.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1623051700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13625,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/11964 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenom-
men.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.


(Beifall)


Ich bedanke mich bei den anwesenden Abgeordneten
für ihre Disziplin und Geduld.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Freitag, den 3. Juli 2009, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.