Protokoll:
16214

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 214

  • date_rangeDatum: 26. März 2009

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:39 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/214 Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine NATO-Erweiterung – Si- cherheit und Stabilität mit und nicht ge- gen Russland (Drucksachen 16/11247, 16/11971) . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Überprüfung und Korrektur der Stra- tegie beim Afghanistanengagement vor dem NATO-Gipfel in Kehl/Straßburg beginnen (Drucksache 16/12113) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23120 A 23120 A 23130 C 23131 B 23133 B 23135 A 23136 B 23136 D 23138 D 23139 A 23139 C 23140 B Deutscher B Stenografisc 214. Si Berlin, Donnerstag, I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Uwe Beckmeyer, Dr. Max Stadler und Wilhelm Josef Sebastian . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 9 . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum NATO-Gipfel b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), 23117 A 23117 B 23119 B 23119 B 23120 A (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: NATO-Gipfel für eine strategische Neu- ausrichtung nutzen – Neue Schritte zur undestag her Bericht tzung den 26. März 2009 l t : Abrüstung und für gemeinsame Sicher- heit einleiten (Drucksache 16/12322) . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 60 Jahre NATO – Deutschland muss sich in Diskussion über die Zukunft der NATO konstruk- tiv einbringen (Drucksache 16/12433) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 23120 B 23120 B 23120 C 23125 C 23127 A 23128 C Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23141 D 23143 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung uner- laubter Telefonwerbung und zur Ver- besserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen (Drucksachen 16/10734, 16/12406) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Hans-Michael Goldmann, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Verbrau- cherschutz beim Telefonmarketing ver- bessern – Call-Center erhalten (Drucksachen 16/8544, 16/12406) . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Bärbel Höhn, Jerzy Montag, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Verbot von Telefonwerbung zum Schutz der Verbraucherinnen und Ver- braucher wirksam durchsetzen (Drucksachen 16/4156, 16/6059) . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 6. November 2008 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Repu- blik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Erbschaftsteuern bei Erbfällen, in denen der Erblasser nach dem 31. De- zember 2007 und vor dem 1. August 2008 verstorben ist (Drucksache 16/12236) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- 23144 C 23144 D 23144 D 23145 A 23146 C 23147 C 23149 B 23150 D 23152 A 23152 D 23153 C 23155 C 23157 C zes zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grundbuchverfahren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-, re- gister- und kostenrechtlicher Vorschrif- ten (ERVGBG) (Drucksache 16/12319) . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung des Rahmenbe- schlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen An- erkennung auf Einziehungsentschei- dungen (Umsetzungsgesetz Rahmenbe- schluss Einziehung) (Drucksache 16/12320) . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungs- maßnahmen (Drucksache 16/12321) . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- zentralregistergesetzes (Drucksache 16/12427) . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Ge- walttaten (Drucksache 16/12428) . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Konjunktur jetzt stär- ken – Überlange Planungszeiten verhin- dern (Drucksache 16/11750) . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flüchtlinge entsprechend den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie schützen (Drucksache 16/12323) . . . . . . . . . . . . . . i) Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gleiche Bezahlung, gleiche Behandlung und Mindestlohn für Leih- arbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer (Drucksache 16/12435) . . . . . . . . . . . . . . j) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Umweltgutachten 2008 des Sachver- 23157 C 23157 D 23157 D 23157 D 23158 A 23158 A 23158 A 23158 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 III ständigenrates für Umweltfragen: Um- weltschutz im Zeichen des Klimawan- dels (Drucksache 16/9990) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein kohärentes und effizientes Konzept der deutschen humanitären Hilfe (Drucksache 16/7523) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Transparente und eindeutige Produktkennzeichnung als Voraussetzung für ökologische Kon- sumentenverantwortung (Drucksache 16/11911) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Visumsfreie Einreise türkischer Staats- angehöriger für Kurzaufenthalte er- möglichen (Drucksache 16/12437) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Fraktionen FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein- setzung eines Untersuchungsausschus- ses (Drucksache 16/12480) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des no- tariellen Disziplinarrechts (Drucksachen 16/12062, 16/12460) . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Inter- nationalen Familienrechtsverfahrensge- setzes (Drucksachen 16/12063, 16/12461) . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Oktober 2008 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Republik Indien über Sozialversicherung (Drucksachen 16/12065, 16/12352) . . . . . 23158 B 23158 C 23158 C 23158 C 23158 D 23159 A 23159 B 23159 C d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haa- ger Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzu- wendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwor- tung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Drucksachen 16/12068, 16/12462) . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vor- schriften des Internationalen Privat- rechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/ 2008 (Drucksachen 16/12104, 16/12463) . . . . . f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gefahrgutbeförderungsgesetzes (Drucksachen 16/12118, 16/12451) . . . . . g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Frei- häfen Emden und Kiel (Drucksachen 16/12228, 16/12454) . . . . . h) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom 26. März 1999 zur Haager Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei be- waffneten Konflikten (Drucksachen 16/12234, 16/12452) . . . . . i) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Sta- bilisierungs- und Assoziierungsabkom- men zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitglied- staaten einerseits und Bosnien und Her- zegowina andererseits (Drucksachen 16/12235, 16/12453) . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a–j Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 543, 544, 545, 546, 547, 548, 549, 550, 551 und 552 zu Petitionen (Drucksachen 16/12438, 16/12439, 16/12440, 16/12441, 16/12442, 16/12443, 16/12444, 16/12445, 16/12446, 16/12447) . . . . . . . . 23159 D 23160 A 23160 B 23160 C 23160 D 23161 A 23161 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Wahl von Mitgliedern des Stiftungs- rates der unselbständigen Stiftung „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh- nung“ Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD (Drucksache 16/12417) . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ – Wahlvorschläge der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN (Drucksache 16/12419) . . . . . . . . . . . . – Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP (Drucksache 16/12418) . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD: Bekämp- fung der Kinderpornografie im Internet Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Anbau von gentechnisch verändertem Mais stoppen (Drucksache 16/11919) . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23162 B 23162 B 23162 B 23162 C 23164 A 23165 B 23166 C 23167 C 23169 A 23170 B 23172 A 23173 B 23174 B 23175 C 23176 D 23177 D 23179 B 23179 B Peter Bleser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Eckhardt Rehberg, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Garrelt Duin, Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: In der Maritimen Wirtschaft Kurs halten (Drucksache 16/12431) . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutsch- land (Drucksache 16/11835) . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Clemens Bollen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Christian Kleiminger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23181 A 23181 B 23182 C 23183 D 23186 A 23188 B 23188 B 23188 B 23188 D 23189 D 23191 B 23191 C 23192 D 23193 B 23196 C 23197 A 23198 C 23198 C 23198 D 23200 C 23202 C 23204 C 23205 D 23207 C 23208 D 23211 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 V Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanz- rechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) (Drucksachen 16/10067, 16/12407) . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Horst Friedrich (Bay- reuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Elektromobilität – Für einen bezahlbaren und klimaver- träglichen Individualverkehr (Drucksache 16/10877) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Horst Friedrich (Bay- reuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Elektromobilität durch Änderung von immissionsschutz- und verkehrsrechtlichen Regelungen fördern (Drucksache 16/12097) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Hans-Josef Fell, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umfassende Förderstrategie für Elek- tromobilität mit grünem Strom ent- wickeln (Drucksache 16/11915) . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . 23212 A 23212 B 23213 C 23214 C 23215 D 23217 A 23217 D 23219 A 23220 C 23220 D 23220 D 23221 A 23222 C 23224 B 23225 A 23225 D 23227 A Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd Siebert, Ulrich Adam, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Petra Heß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konzept der Inneren Führung stärken und weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innere Führung stärken und weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Bundeswehr – Innere Führung konsequent umsetzen (Drucksachen 16/8378, 16/8376, 16/8370, 16/12071) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Höfer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hedi Wegener (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kostenpflichtige Service-Telefon- nummer der Arbeitsagentur in eine gebüh- renfreie Rufnummer umwandeln (Drucksachen 16/9097, 16/11802) . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- 23227 D 23228 B 23229 B 23230 C 23231 C 23232 B 23233 B 23234 C 23235 D 23236 A 23237 A 23238 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes (Drucksache 16/12413) . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Blumenthal (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Besteuerung von Dienstwagen CO2-effizient ausrichten und Privilegien abbauen (Drucksache 16/10978) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Albach, Dorothee Bär, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Steffen Reiche (Cottbus), Monika Griefahn, Siegmund Ehrmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Einheit in Vielfalt – Kulturpolitik in und für Europa aktiv gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Undine Kurth (Quedlin- burg), Marieluise Beck (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Viel- falt verbindet – Europäische Kultur stärken und weiterentwickeln (Drucksachen 16/11221, 16/10339, 16/12137) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für einen Beschluss des Euro- päischen Parlaments und des Rates über das Programm „Kultur 2007“ (2007–2013) 23239 C 23239 C 23241 A 23242 B 23243 C 23244 A 23245 A 23245 B 23246 B 23248 A 23249 C 23250 B KOM (2004) 469 endg.; Ratsdok. 11572/04 (Drucksachen 16/820 Nr. 72, 16/1700) . . c) Antrag der Abgeordneten Christoph Waitz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Claudia Winterstein, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Euro- päische Kulturpolitik neu ausrichten (Drucksache 16/11909) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüglich beschaffen (Drucksachen 16/6999, 16/8242) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Pakistan stabilisieren und seine de- mokratische Entwicklung vorantreiben (Drucksache 16/12432) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rücknahme der Klage gegen Ita- lien vor dem Internationalen Gerichtshof und Entschädigung für italienische und griechische NS-Opfer (Drucksache 16/12168) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (Drucksachen 16/10731, 16/12405) . . . . . 23250 C 23250 D 23250 D 23252 C 23254 A 23254 D 23256 B 23256 C 23256 D 23256 D 23257 C 23259 A 23259 D 23261 A 23261 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 VII b) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Hans- Joachim Otto (Frankfurt), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Mög- lichkeiten missbräuchlicher Ortung von Mobiltelefonen mittels privater Anbie- ter begegnen (Drucksache 16/9608) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Josef Philip Winkler, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine zukunftstaugliche und men- schenrechtlich fundierte Europäische Mi- grationspolitik (Drucksachen 16/10341, 16/12464) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Ge- setze (Drittes Zivildienstgesetzände- rungsgesetz) (Drucksachen 16/10995, 16/12372 . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/12373) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Adoptionen von minderjährigen Kindern fördern (Drucksache 16/12293) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- lung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalis- musreform (Drucksache 16/12409) . . . . . . . . . . . . . . . 23261 D 23262 B 23262 C 23262 C 23263 A 23263 A 23264 D 23266 C 23267 A 23267 D 23268 C b) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Britta Haßelmann, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betreutes Wohnen für ältere Menschen – Qualitätskriterium Nutzerorientierung (Drucksache 16/12309) . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/D IE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Kues, Parl. Staats- sekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Änderung der Altfallregelung) (Drucksache 16/12415) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verlängerung der Frist für die gesetzli- che Altfallregelung (Drucksache 16/12434) . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über den Auskunftsaustausch in Steuersachen (Drucksachen 16/12066, 16/12449) . . . . . – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli 2008 zwischen 23268 C 23268 D 23270 B 23271 B 23272 A 23272 D 23273 D 23274 C 23274 D 23274 D 23275 D 23276 D 23277 C 23278 B 23279 B VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften (Drucksachen 16/12067, 16/12449) . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, Ulrike Höfken, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verankerung eines umfas- senden Schutzes vor Passivrauchen im Arbeitsschutzgesetz (Drucksachen 16/10337, 16/12351) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carola Reimann, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Margrit Spielmann und weiterer Abgeordneter: Effekti- ven Schutz vor Passivrauchen zügig gesetzlich verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamen Schutz vor Passivrauchen im öffentlichen Raum umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bundesweit einheitlichen Schutz vor Passivrauchen in Gast- stätten verankern (Drucksachen 16/2730, 16/2805, 16/10338, 16/12408) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Maria Eichhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23279 C 23279 C 23280 C 23281 D 23282 C 23283 C 23284 D 23285 A 23285 B 23286 B 23287 B 23288 A 23288 C Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: a) Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Stefan Müller (Erlangen), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ weiterhin ak- tiv umsetzen – Folgeaktivitäten zur UNESCO-Weltkonferenz entwickeln (Drucksache 16/12450) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saar- brücken) und der Fraktion DIE LINKE: UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ konsequent umsetzen (Drucksache 16/12306) . . . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Strommarkt durchgreifend regu- lieren – Energiepreissenkungen durchset- zen (Drucksache 16/11908) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- 23289 C 23290 C 23291 C 23291 C 23291 D 23292 B 23293 C 23294 B 23295 A 23296 B 23297 B 23297 C 23299 A 23300 B 23301 A 23301 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 IX nikfolgenabschätzung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parla- ment, den Rat, den Europäischen Wirt- schafts- und Sozialausschuss und den Aus- schuss der Regionen Gemeinsame Planung der Forschungsprogramme: bessere Be- wältigung gemeinsamer Herausforderun- gen durch Zusammenarbeit (inkl. 11935/08 ADD 1 und 11935/08 ADD 2) KOM(2008) 468 endg.; Ratsdok. 11935/08 (Drucksachen 16/10286 Nr. A.76, 16/12416) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Humanitäre Ka- tastrophe in Sri Lanka verhindern (Drucksache 16/12436) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weitere Verschlechterung der Rechtssituation von Homosexuellen in Nigeria verhin- dern (Drucksachen 16/12107, 16/12459) . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüs- tungsgüter im Jahre 2007 (Rüstungs- exportbericht 2007) (Drucksache 16/11583) . . . . . . . . . . . . . . . 23302 B 23302 C 23303 D 23305 A 23305 C 23306 C 23307 C 23307 C 23307 D 23308 D 23309 B 23309 D 23310 C 23311 C 23312 A 23313 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik – Parlamentarische Kontrollmöglichkei- ten verbessern (Drucksachen 16/11388, 16/11975) . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Stärkung des europäischen Haischutzes (Drucksachen 16/12290, 16/12458) . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- rechtlichen Vorschriften der Zahlungs- diensterichtlinie (Zahlungsdiensteumset- zungsgesetz) (Drucksachen 16/11613, 16/11640, 16/12430, 16/12487) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Kostenpflichtige Service-Tele- fonnummer der Arbeitsagentur in eine gebüh- renfreie Rufnummer umwandeln (Tagesord- nungspunkt 10) Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23313 C 23313 C 23315 B 23316 B 23317 B 23318 B 23320 A 23320 B 23320 D 23321 A 23321 B 23322 A X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Besteuerung von Dienstwagen CO2- effizient ausrichten und Privilegien abbauen (Tagesordnungspunkt 12) Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Be- richts zu den Anträgen: – Einheit in Vielfalt – Kulturpolitik in und für Europa aktiv gestalten – Vielfalt verbindet – Europäische Kul- tur stärken und weiterentwickeln – der Unterrichtung: Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Programm „Kultur 2007“ (2007–2013) – des Antrags: Europäische Kulturpolitik neu ausrichten (Tagesordnungspunkt 13 a bis c) Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Schutzsystem gegen Sprengfal- len unverzüglich beschaffen (Tagesordnungs- punkt 14) Hans Raidel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Pakistan stabilisieren und seine demokratische Entwicklung vorantreiben (Ta- gesordnungspunkt 15) Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . . Johannes Pflug (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 23322 C 23323 B 23324 C 23325 D 23326 C 23327 C 23328 A 23329 A 23330 B 23330 D 23331 D 23333 A Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des: – Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Telekommunikationsgesetzes – Antrags: Möglichkeiten missbräuchlicher Ortung von Mobiltelefonen mittels priva- ter Anbieter begegnen (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Für eine zukunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte Europäische Mi- grationspolitik (Tagesordnungspunkt 18) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Zivildienstgesetzes und anderer Gesetze (Drittes Zivildienstgesetzänderungs- gesetz) (Tagesordnungspunkt 19) Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23333 D 23334 D 23336 D 23338 A 23338 D 23339 B 23340 A 23341 B 23343 B 23344 B 23345 B 23346 C 23348 C 23349 C 23350 C 23351 B 23352 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 XI Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Stärkung des europäischen Hai- schutzes (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften der Zah- lungsdiensterichtlinie (Zahlungsdiensteumset- zungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 8) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23353 B 23355 A 23356 A 23357 A 23357 C 23358 B 23359 B 23360 B 23360 D 23361 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23117 (A) (C) (B) (D) 214. Si Berlin, Donnerstag, Beginn: 9
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    2) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23321 (A) (C) (B) (D) Heinz-Peter Haustein (FDP): „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt …“ So beginnt mit schöner Völlig klar: Es muss gelten, dass niemand durch hohe Telefonkosten davon abgehalten werden darf, bei der Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Kostenpflichtige Ser- vice-Telefonnummer der Arbeitsagentur in eine gebührenfreie Rufnummer umwandeln (Tages- ordnungspunkt 10) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2009 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2009 Binding (Heidelberg), Lothar SPD 26.03.2009 Bülow, Marco SPD 26.03.2009 Dreibus, Werner DIE LINKE 26.03.2009 Gabriel, Sigmar SPD 26.03.2009 Gleicke, Iris SPD 26.03.2009 Granold, Ute CDU/CSU 26.03.2009 Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2009 Hirsch, Cornelia DIE LINKE 26.03.2009 Dr. Högl, Eva SPD 26.03.2009 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2009 Korte, Jan DIE LINKE 26.03.2009 Dr. Küster, Uwe SPD 26.03.2009 Kunert, Katrin DIE LINKE 26.03.2009 Lötzer, Ulla DIE LINKE 26.03.2009 Schily, Otto SPD 26.03.2009 Sebastian, Wilhelm Josef CDU/CSU 26.03.2009 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 26.03.2009 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 26.03.2009 Anlagen zum Stenografischen Bericht Regelmäßigkeit im Frühjahr ein bekanntes Kinderlied. Mit derselben Regelmäßigkeit müssen wir uns hier lei- der mit den fixen Ideen der Linken befassen. Mit dem vorliegenden Antrag fordern die Linken nun eine kosten- lose Telefonhotline bei der Bundesagentur für Arbeit. Aus einer ganzen Reihe von Gründen muss der Antrag hier abgelehnt werden. Lassen Sie mich Ihnen ein paar davon nennen. Erstens. Zunächst muss festgestellt werden, dass es sich hier um eine Phantomdebatte handelt. Was die Lin- ken als schreiende Ungerechtigkeit brandmarken, ist ei- gentlich der Rede nicht wert. Laut Auskunft der Telekom dauert das durchschnittliche Telefonat zwei bis drei Mi- nuten. Bei Gebühren in Höhe von 3,9 Cent pro Minute macht das 11,7 Cent für ein dreiminütiges Gespräch. Bei der durchschnittlichen Zahl von acht Anrufen pro Jahr geht es hier um einen Betrag von 93,6 Cent – im Jahr! Zweitens. Abgesehen davon besteht die Möglichkeit des Rückrufs durch die Arbeitsagentur. Außerdem kann immer noch jeder, dem das zu teuer ist, persönlich zur Arbeitsagentur gehen, um seine Fragen im direkten Ge- spräch mit der Sachbearbeiterin oder dem Sachbearbei- ter zu klären. Gerade wenn es um individuelle Beratung geht, um Arbeitsangebote, konkrete Maßnahmen oder diffizile Probleme, empfiehlt sich ohnehin der direkte Kontakt zum persönlichen Berater. Drittens. Das Argument schließlich, dass es bei der Rentenversicherung bereits eine kostenlose Hotline gebe, wie es hier von den Linken ins Feld geführt wird, greift nicht. Zwar gibt es, wie von den Linken behauptet, bei der Rentenversicherung tatsächlich eine kostenlose Hotline. Über diese jedoch lassen sich nur allgemeine Fragen klären. Eine spezifische Beratung oder Bespre- chung konkreter Probleme einzelner Antragsteller er- folgt bei der Rentenversicherung über die Telefonhotline nicht. Viertens. Schon in seinem Grundgedanken ist der An- trag fehlerhaft. Denn selbst wenn man wie die Linken zu dem Ergebnis käme, dass es bei den Kommunikations- kosten einer stärkeren Unterstützung der Betroffenen be- dürfte, so könnte nicht die Lösung sein, gleich die kom- plette Telekommunikation kostenlos zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsste den betroffenen Menschen ziel- genau geholfen werden. Denn warum sollte auch der Ar- beitgeber, der einen Arbeitsplatz zu besetzen hat, oder der Schüler oder Student, der sich informieren will, oder auch jeder andere Bundesbürger, der die Agentur anruft, kostenlos telefonieren können? Fünftens. Ferner muss berücksichtigt werden, dass es sich um Mittel der Beitragszahler handelt, mit denen die kostenlose Hotline bezahlt werden soll. Im Interesse niedriger Lohnnebenkosten und angesichts des Ziels der Beschäftigungssicherung aber ist ein sparsamer Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln unerlässlich. 23322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Arbeitsagentur seine Fragen oder Probleme vorzutragen. Das wäre der Aufgabenerfüllung der Arbeitsagentur kontraproduktiv und würde ihren Zielen der Unterstüt- zung und Hilfe der Betroffenen zuwiderlaufen. Doch die anfallenden Gebühren für die existierende Hotline von 3,9 Cent pro Minute sind vertretbar. Mit einem herzlichen Glückauf aus dem Erzgebirge! Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn möchte ich festhalten, dass drei der hier ver- tretenen Fraktion für eine kostenlose Servicenummer bei der Bundesagentur für Arbeit sind. Dabei handelt es sich um uns Grüne, um die Linke und um die SPD. Das reicht für eine klare parlamentarische Mehrheit. Und trotzdem wird der erstaunte Bürger am Ende dieses Tages feststel- len, dass sein Anruf bei der Bundesagentur auch in Zu- kunft Geld kosten wird. Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass Sie hier auf fehlende Zuständigkeit machen, ist mehr als wunderlich. Das interessiert Sie doch sonst auch nicht, wenn Sie zum Beispiel der Bundesagentur auch gegen die Position der Selbstverwaltung Kosten aufdrücken, die eigentlich vom Steuerzahler zu tragen wären. Denn hier geht es nicht um Peanuts, wie es uns Union und FDP weismachen wollen, sondern hier geht es um richtig viel Geld, das ausgerechnet Arbeitslose und Arbeitsuchende bezahlen müssen, wenn sie sich da- rum bemühen, etwas an ihrer Situation zu ändern, oder wenn sie schlicht ihren Pflichten nachkommen. Denn nur Festnetzkunden zahlen 3,9 Cent pro Minute, wenn sie die Servicenummer der Bundesagentur anrufen. Mo- bilkunden können sogar bis zu 72 Cent pro Gesprächs- minute loswerden; bei Prepaidkarten liegen die Kosten teilweise noch höher. Auch Flatrate-Kunden sind ver- donnert, für die Sondernummer zu bezahlen. Ihr sparsa- mer Ansatz wird also nicht belohnt. Die Anwahl der Nummer kann also sehr hohe Kosten verursachen, insbesondere wenn die Anrufer nicht über einen Festnetzanschluss verfügen. Denn genutzt wird die Nummer nicht nur von den Arbeitsagenturen, sondern auch von den Arbeitsgemeinschaften, sodass auch Arbeits- losengeld-II-Bezieher von Gebühren betroffen sind. Gerade sie haben wenig Geld für teure Nummern, sodass die Servicenummer immer wieder zu Ärger und Unmut führt; das zeigen uns Rückmeldungen aus Berlin und Dresden. Im Dezember 2008 wurde der 100 000 000 000. Kun- denanruf über die Servicenummer getätigt. Und, so mel- dete die Bundesagentur in diesem Zusammenhang, in über 80 Prozent der Gespräche können die Anliegen der Anrufer abschließend behandelt werden. Das spricht für die Einrichtung einer zentralen Nummer, und das spricht für das Angebot der telefonischen Erledigung von Ge- schäftsvorgängen. Das spricht nicht für eine indirekte Gebühr durch Telefonkosten. Sowohl Arbeitslose als auch die Bundesagentur für Arbeit haben durch die tele- fonische Bearbeitung Vorteile und Effizienzgewinne, so- dass beide Seiten profitieren. Das sollte genügen. Ich finde kein Argument, das die Kostenpflicht der Servicenummer rechtfertigt. Darum werden wir Grüne uns nicht nur in diesem Sinne äußern, sondern auch in diesem Sinne handeln. Wir stimmen dem Antrag der Linken zu. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Besteuerung von Dienstwagen CO2-effizient ausrichten und Pri- vilegien abbauen (Tagesordnungspunkt 12) Dr. Volker Wissing (FDP): Ich habe bereits mit gro- ßem Interesse zur Kenntnis genommen, dass die Grünen kleinere Dienstwagen für Abgeordnete fordern. Es ist aber schade, dass Sie sich in aller Regel darauf beschrän- ken, Regelungen einzufordern, statt einfach mit gutem Beispiel voranzugehen. Warum gibt es eigentlich keinen Beschluss der grünen Bundestagsfraktion, auf die Dienstwagen der Fahrbereitschaft zu verzichten und stattdessen ausschließlich den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen? Das wäre ein Signal. Dazu brauchen Sie keine Mehrheit, dazu brauchen Sie keine Gesetzesinitiative, dazu brauchen Sie einfach in Ihrem Sinne Umweltbewusstsein und natürlich Selbst- überwindung. Aber so weit ist es dann mit Ihrem Umwelt- bewusstsein doch nicht her. Auf die großen Wagen der Fahrbereitschaft schimpfen, aber diese munter nutzen. Seltener wurde grüne Öko-Scheinheiligkeit auf ein- drucksvollere Weise vorgeführt. Es ist mir auch nicht bekannt, dass die grüne Partei- und Fraktionsspitze auf besonders kleine und spritsparende Dienstwagen zurückgreift. Und in ihrer aktiven Dienstzeit sind weder die Minister Trittin noch Fischer oder Künast im A-Klasse-Mercedes oder Einser-BMW vorgefahren. Im Gegenteil, der durchschnittliche Verbrauch und die Moto- risierung der Dienstwagenflotte des Bundes sind unter Rot-Grün kräftig angestiegen. Wer sich in der Regierungszeit mit größeren Dienstwa- gen bedient hat, ist heute nicht unbedingt glaubwürdig, wenn er kleinere Dienstwagen fordert. Es war eine der Errungenschaften der rot-grünen Bundesregierung, den durchschnittlichen Verbrauch der Dienstwagenflotte des Bundes von 10,99 l pro 100 km auf 11,84 l pro 100 km zu steigern. Die durchschnittliche Motorenleistung ist sogar von 87,75 kW in 1998, auf 123,33 kW in 2004 gestie- gen. Das ist die real existierende Dienstwagenpolitik der Grünen, und daran werden wir Sie messen und nicht an dem, was Sie hier in wohlfeilen Anträgen schreiben. Und wollen Sie wissen, was die damalige Bundes- regierung von 3-Liter-Autos hielt? Ich zitiere: Eine Ver- wendungsbreite dieser Fahrzeuge innerhalb der Aufga- ben der Bundesverwaltung ist nicht gegeben. Wenn man diese Geschichte kennt und dann Ihren An- trag liest, weiß man, dass das reinstes Öko-Pharisäertum Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23323 (A) (C) (B) (D) ist. Bei den Grünen ist Umweltpolitik zu einer reinen Schaufensterdisziplin verkommen. Es liegt noch so in der Auslage, ist aber nicht mehr wirklich im Angebot. Genauso funktioniert auch dieser Antrag. Die Grünen bekämpfen die vermeintlichen Spritfresser. Wow, denkt man, sich die Grünen machen ernst mit Umweltschutz, und dann schaut man genauer hin und erkennt die grüne Mogelpackung. Was verursacht denn die Kohlendioxid-Emission? Die große Karosserie, der große Motor oder der Verbrauch von Kraftstoff. Wenn Sie über die Steuer den Kraftstoff- verbrauch senken wollen, dann erreichen Sie dieses nicht über die Kraftfahrzeug-, sondern die Mineralöl- steuer. Und genau an dieser Stelle zeigt sich auch, dass, wenn es zum Schwur kommt, der Umweltschutz bedeutend besser bei der FDP als bei den Grünen aufgehoben ist. Wir waren es, die eine aufkommensneutrale Umlage der Kfz- auf die Mineralölsteuer gefordert haben. Wir haben dazu sogar ganz konkrete Anträge gestellt, die können Sie nachlesen. Der FDP geht es um die Umwelt, den Grünen um die Überführung von Neiddebatten in die Umweltpolitik. Auch wenn ich jetzt den einen oder anderen von Ihnen überfordere: Der Siebener-BMW, der in der Garage steht, verursacht weniger Emissionen als der Einser- BMW auf der Autobahn. Und genau dort setzt die FDP an: Wir wollen das Maximum für die Umwelt erreichen, den Menschen aber nicht vorschreiben, welches Auto sie zu fahren haben. Uns geht es um Lösungen für die Um- welt und nicht um verbrämte Neiddebatten – genau darin unterscheiden wir uns von Ihnen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Einheit in Vielfalt – Kulturpolitik in und für Europa aktiv gestalten – Vielfalt verbindet – Europäische Kultur stärken und weiterentwickeln – der Unterrichtung: Vorschlag für einen Be- schluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Programm „Kultur 2007“ (2007–2013) – des Antrags: Europäische Kulturpolitik neu ausrichten (Tagesordnungspunkt 13 a bis c) Christoph Waitz (FDP): Kunst und Kultur, das sind die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Ohne Kunst und Kultur wären die Länder der Welt nur beliebige Zusam- menschlüsse von Menschenansammlungen. Ohne Kunst und Kultur gäbe es keine Identität. In Europa kommt Kunst und Kultur eine besondere Rolle zur Stärkung der Verständigung und Identitätsbil- dung unter den 27 Mitgliedstaaten zu. Nur wenn es uns gelingt, die kulturellen Gemeinsamkeiten und Traditio- nen zu betonen, wird aus einer wirtschaftlichen und poli- tischen Interessengruppe auch eine identitätsgeprägte Gemeinschaft wachsen. Die Enquete-Kommission „Kul- tur in Deutschland“ hat eine ganze Reihe von Hand- lungsempfehlungen beschlossen, um Kunst und Kultur auch auf europäischer Ebene zu stärken. Und ich freue mich, dass alle Fraktionen diese Handlungsempfehlun- gen im Großen und Ganzen teilen. Wir alle wissen: Die Kulturpolitik unterliegt auf der europäischen Ebene dem Subsidiaritätsprinzip. Das be- deutet konkret, dass die Mitgliedstaaten über Fragen der Kulturpolitik selbst entscheiden. Dieses Prinzip ist rich- tig und nur konsequent. Eine aus Brüssel harmonisierte Kulturpolitik wäre sonst womöglich geeignet, die kultu- relle Vielfalt in Europa ein Stück weit zurückzudrängen. Vielmehr lebt die europäische Kulturpolitik gerade von der Vielfalt der Kulturen. Aber ich sage Ihnen: Deutsch- land wird sich auch im Feld der Kulturpolitik in Europa künftig noch besser profilieren und aktiver werden müs- sen. Die heutige Debatte und unsere Anträge können nur der Anfang einer vertieften Diskussion sein, die eine ak- tivere Kulturpolitik Deutschlands auf europäischer Ebene ermöglichen soll. Da die Fraktionen nicht alle Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission gleichermaßen teilen, möchte ich heute die Unterschiede herausstellen und darlegen, warum die FDP-Bundestagsfraktion einen eigenen An- trag zur Neuausrichtung der europäischen Kulturpolitik in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Obwohl wir viele Forderungen des Koalitionsantrags teilen, stim- men wir in folgenden Punkten nicht überein: Der erste Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Frage der offenen Koordinierung. So gut das Instru- ment der offenen Koordinierung auch gemeint ist – die offene Koordinierung führt dazu, dass die Diskussion über europäische Kulturpolitik aus den demokratisch le- gitimierten Gremien in Round-Table-Runden der Tech- nokraten verlagert wird. Über die Ausrichtung der Kul- turpolitik entscheiden dann die EU-Kommission und Ministerialbeamte der Mitgliedstaaten. Wir befürchten, dass Politik, zivilgesellschaftliche Gruppen und Ver- bände nicht angemessen an der Diskussion innerhalb der offenen Koordinierung beteiligt werden könnten oder dass diesen Gruppen schlicht und ergreifend die Res- sourcen für eine solche Beteiligung fehlten. Die Konse- quenzen der Methode der offenen Koordinierung für die Kulturschaffenden sind erst in Ansätzen erkennbar. Da- bei müssen wir darauf achten, dass wir die Kulturschaf- fenden auch auf europäischer Ebene noch besser mit ein- binden. Sonst ist der Unfrieden der Kulturschaffenden vorprogrammiert. Daneben besteht die Gefahr, dass die Kulturpolitik der Europäischen Union noch maßgebli- cher als bisher von der Europäischen Kommission domi- 23324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) niert wird, trotz der Geltung des Subsidiaritätsprinzips. Wir lehnen daher die Methode der offenen Koordinie- rung aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Der zweite Punkt betrifft die Forderung nach einem europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zum ei- nen dürfte ein solcher Rundfunk nicht die deutschen Vorstellungen zur Staatsferne einer solchen Einrichtung erfüllen. Zum anderen verfügen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits über hervorragend ausge- statteten Rundfunk. Wer die Bedeutung der Europäi- schen Union und die Vermittlung von europäischen In- halten herausstellen möchte, der sollte in den einzelnen Mitgliedstaaten ansetzen und nicht auf der Ebene der Europäischen Union. Es ist unklar, wer für ein solches Angebot finanziell aufkommen sollte. Wir lehnen die Ausweitung um einen weiteren – europäischen – öffent- lich-rechtlichen Rundfunk ab. Der dritte Punkt betrifft die Finanzierung der auszu- weitenden Kulturausgaben. Die Koalitionsparteien schrei- ben in ihrem Antrag, dass für den wichtigen europäi- schen Kulturaustausch ein angemessener Budgetanteil des EU-Haushalts zur Verfügung gestellt werden muss. Diese finanzielle Forderung bleibt leider völlig nebulös. Bedeutet dies, dass das Gesamtbudget des EU-Haushal- tes angehoben werden muss? Dieser Forderung können wir nicht zustimmen. Eine Stärkung des Kulturhaushalts der Europäischen Union muss aus anderen Töpfen ge- genfinanziert werden. Lassen Sie mich den Inhalt unseres Antrags kurz vor- stellen: Er stellt die Grundlage dar, um die europäische Kulturpolitik nachhaltig zu stärken und neu auszurich- ten. Er unterstützt den Prozess des Zusammenfindens der Kulturen in Europa und stärkt das Ziel eines Europas der kulturellen Vielfalt. Er stärkt das zivilgesellschaftli- che Engagement, ohne das Kunst und Kultur nicht über- leben könnten. Zivilgesellschaftliche Akteure sollen ak- tiv an der Aufstellung einer Europäischen Kulturagenda mitwirken können. Unser Antrag fordert die Schaffung eines besonderen Kultursiegels für europäische Kultur- stätten. Damit könnten besonders bedeutsame Orte der Kultur und Geschichte Europas hervorgehoben werden. Der Antrag sieht die Stärkung des europäischen Films vor, indem die Präsentation des jährlich vergebenen eu- ropäischen Filmpreises deutlich aufgewertet wird. Er fordert die Entwicklung einer gemeinsamen europäi- schen außenkulturpolitischen Strategie ein, innerhalb de- rer sich deutsche und europäische Kultureinrichtungen und Organisationen besser vernetzen können. Dafür sollte der bereits bestehende Zusammenschluss der nationalen Kulturinstitute innerhalb der European National Insti- tutes of Culture weiter gefördert und ausgebaut werden. Nicht zuletzt sieht unser Antrag die Schaffung einer Eu- ropäischen Kulturstiftung vor. Diese könnte in Anleh- nung an die Kulturstiftung des Bundes staatenübergrei- fende Kulturprojekte initiieren und das Forum für einen europäischen Kulturdialog darstellen. Damit erfüllt un- ser Antrag konsequent die Vorgaben des Art. 151 EG- Vertrag. Daher bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Antrag. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüglich beschaffen (Tages- ordnungspunkt 14) Hans Raidel (CDU/CSU): Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in Afghanistan einen hervorragenden Job. Sie riskieren für unsere Sicherheit Leib und Leben. Meines Erachtens muss uns dieser Einsatz der Bundes- wehr mit Dankbarkeit erfüllen. Die Bundeswehr hat einen wichtigen Auftrag: Es gilt, den Afghanistan Compact, den wir 2006 beschlossen ha- ben, auch in die Wirklichkeit umzusetzen. Er umfasst Se- curity, Economic Development und Good Governance. Die Bundeswehr schafft die Voraussetzungen für den Aufbau, um den es eben auch geht. Wir müssen das Ver- trauen der Menschen in Afghanistan gewinnen. Ich denke, es ist wichtig, immer wieder darzustellen, vor welchen Herausforderungen die Bundeswehr in Afgha- nistan steht. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind dort in einer Art und Weise engagiert, dass der Ansatz der vernetzten Sicherheit umgesetzt und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gemehrt wird. Wie gefähr- lich die Aufgaben der Bundeswehr in Afghanistan sind, wird darin deutlich, dass in diesem Einsatz bereits 28 Sol- daten ihr Leben verloren haben. Zu den heimtückischs- ten Terroranschlägen gehören Sprengfallen. Wegen der mit dem Einsatz verbundenen Gefahren ist es notwendig, dass wir alle Voraussetzungen schaffen, damit unsere Soldaten ihren Auftrag dort gut erfüllen können. Wir haben mittlerweile über 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Natio- nen dort. Wir haben die Aufklärung verstärkt. Wir haben zusätzliche Verstärkungstruppen dorthin geschickt, weil wir aufgrund der Verschärfung der Sicherheitslage, die unbestritten eingetreten ist, mehr Flexibilität brauchen. Wenn die FDP mit ihrem Antrag wirklich eine Ver- besserung der Sicherheitssituation unserer Soldatinnen und Soldaten herbeiführen wollte, würde ich diese De- batte sehr begrüßen. Dem ist aber leider nicht so. Das äußerst sensible Thema der Schutzsysteme gegen Sprengfallen, die sogenannten Störsender, aber in der Öffentlichkeit zu debattieren, zeigt, vorsichtig formu- liert, einen Mangel an Sensibilität. Wenn wir jetzt an dieser Stelle etwas tiefer in die De- batte einsteigen wollten, müssen wir Details über die Wirkungsweise der Störsender nennen, Details, die aber die Sicherheit unserer Soldaten gefährden würden. Wir müssten darlegen, welche Kenntnisse wir von den Terro- risten haben, welche Strategie sie anwenden, welche Materialien sie nutzen, welche Schwachstellen sie haben etc., und dann müssten wir darlegen, wie wir mit wel- chem technischen Hilfsmittel darauf reagieren wollen. Jedem müsste klar sein, dass wir dies nicht machen können, weil Terroristen direkt darauf reagieren würden. Die Terroristen würden sich auf die Abwehrmethode Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23325 (A) (C) (B) (D) einstellen, ihr Angriffssystem verbessern. Damit würde die Gefahrensituation unserer Soldatinnen und Soldaten drastisch verschlechtert. Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP: Diese von Ihnen ge- führte Debatte gehört in den Verteidigungsausschuss, in eine nichtöffentliche Sitzung. Die Bundeswehr tut im Moment alles, um die sich im Einsatz befindlichen Fahrzeuge mit möglichst effizien- ten Störsendern auszustatten. Mit Ausnahme sogenannter reaktiver Störsender sind alle Störsender gegen Remote Controlled Improvised Explosive Devices, RCIED, ent- wickelt, die durch die Bundeswehr eingeführt sind bzw. absehbar eingeführt werden. Die Bundeswehr nutzt bereits seit Anfang 2007 erste Störsender in Afghanistan. Zurzeit befinden sich über 80 Störsender im Einsatz. Mehr als 500 Störsender wer- den bis Ende 2010 folgen. Das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann. Die Störsender müssen, um wirksam sein zu können, elektromagnetische Strahlung abgeben. Für den Einsatz ist zu beachten, dass unbeteiligte Personen, anders als die Besatzungen der Fahrzeuge, nicht durch konstruktive Maßnahmen vor unzulässiger Belastung durch elektro- magnetische Strahlung geschützt sind. Hier greifen be- triebliche Maßnahmen, die die Besatzungen von Fahr- zeugen mit Störsendern lageabhängig nutzen können. Darüber hinaus können Störsender auch die eigene Funkkommunikation stören. Kommt es hierbei zu Frik- tionen, so muss der militärische Führer vor Ort entschei- den, was in der jeweiligen Lage Vorrang hat – das Stören von RCIED oder die ungestörte eigene Funkkommuni- kation. Hier muss weitergeforscht und weiterentwickelt werden. Die Schutzreichweite eines Störsenders ist entschei- dend davon bestimmt, wie weit der Auslösesender vom RCIED positioniert ist. Dies ist im Allgemeinen nicht bekannt. Hinzu kommt, dass die Schutzwirkung durch Abschattungen – Gelände, Häuser, Fahrzeuge zwischen Störsender und RCIED – eingeschränkt werden kann. Ein absoluter Wert als Mindestschutzreichweite für ei- nen Störsender lässt sich daher nicht angeben. Sollten die Auflagen für den Betrieb der Störsender, die in den Bestimmungen für den Einsatz niedergelegt sind, nicht beachtet werden, können Störsender Unbetei- ligte einer Belastung durch elektromagnetische Strah- lung aussetzen. Ebenso können sie die eigenen Funk- kommunikation stören. Darüber hinaus ist es möglich, dass Störsender andere Systeme stören, die ein ver- gleichbares Frequenzspektrum nutzen. Auch hier muss weiterentwickelt werden. Aufgrund der Beschaffenheit und Eigenschaften von Improvised Explosive Devices, IED, mit den unter- schiedlichsten Zünd-/Auslösemechanismen und Wirkla- dungen gibt es weltweit keine einheitliche technische Lösung, die für sich allein abstandsfähig und sicher je- des IED bekämpfen kann. Die Bundeswehr deckt ihren Bedarf an Störsendern sowohl über Maßnahmen des Einsatzbedingten Sofort- bedarfs, ESB, als auch über das Regelbeschaffungsver- fahren. Bisher wurden über 80 Störsender über ESB in die Bundeswehr eingeführt. Deren Finanzierung erfolgte aus Kapitel 14 03 Titelgruppe 08, Maßnahmen der Bun- deswehr im Zusammenhang mit internationalen Ein- sätze, dort Titel 554 81, Militärische Beschaffungen. Diese Schutzsysteme werden im Einsatzgebiet in Afgha- nistan in verschiedenen Fahrzeugtypen genutzt. Die Beschaffung und Integration von weiteren mehr als 500 Systemen ist beauftragt. Davon werden rund 440 Counter-IED Systeme über das übliche Beschaffungs- verfahren in die Streitkräfte eingeführt. Der Zulauf die- ser Schutzsysteme ist für dieses Jahr vorgesehen. Die In- tegration in die jeweiligen Trägerfahrzeuge wird – je nach operationeller Verfügbarkeit der jeweiligen Fahr- zeuge – bis ins nächste Jahr andauern. Die Beschaffung wird aus Kapitel 14 16 Titel 554 05, Beschaffung Fern- meldematerial, und die Integration in die Fahrzeuge aus Kapitel 14 16 Titel 554 07, Beschaffung Kampffahr- zeuge, finanziert. Neben den in die Bundeswehr eingeführten geschütz- ten Fahrzeugen mit ihrer definierten Widerstandsfähig- keit gegen eine Bedrohung – ihrem Schutz – versprechen Systeme, die IED frühzeitig detektieren können, einen weiteren Zuwachs an Schutz. Entsprechende Forschungs- projekte sind in Vorbereitung. Dies erscheint mir als ein weiterer sehr vielversprechender Ansatz, um mehr Si- cherheit für die Bundeswehr in Afghanistan zu erreichen. Ich hoffe und gehe fest davon aus, dass alle in diesem Hause mit mir darin übereinstimmen, dass wir uns ge- meinsam dafür einsetzen, alles zu unternehmen, um die Sicherheit unserer Soldaten weiter zu verbessern. Maik Reichel (SPD): Der Antrag der FDP stammt vom 7. November 2007. Bereits zu diesem Zeitpunkt war er überholt; allenfalls hat er das engagierte Handeln der Bundesregierung, die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten stets zu erhöhen, unterstützt. Ich will gleich zu Beginn feststellen: Die Koalitions- fraktionen und die Bundesregierung legen großen Wert darauf, dass die Angehörigen der Bundeswehr und der Polizeien den höchstmöglichen Schutz während der Auslandseinsätze erhalten. Daran wird sich nichts än- dern. Dies lässt sich auch am Verteidigungshaushalt der letzten Jahre ablesen. Festzustellen ist zunächst, dass asymmetrische An- griffe, die mit den bislang eingesetzten militärischen Ge- genmaßnahmen nur bedingt beherrschbar sind, einen wesentlichen Teil der Bedrohung ausmachen. Billigste Flugkörper, die im Nahbereich gleichwohl immense Schäden anrichten können, Sprengfallen an Straßen, Au- tobomben und durch Saboteure und Selbstmordattentäter eingeschleuste Sprengsätze gehören dazu. Die Verwundbarkeit der Einsatzliegenschaften sowie der in den Krisenregionen operierenden Konvois wurde bereits durch eine Vielzahl von Vorfällen deutlich. Zu Recht betonen die Kollegen der FDP-Fraktion das Schutzbedürfnis deutscher Soldaten bei Auslandseinsät- zen. Ich gehe davon aus, dass nicht nur meine Fraktion dieses Anliegen unterstützt, und möchte zur besseren 23326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Darstellung kurz auf die eigentliche Herausforderung, welche die Anschaffung respektive die Entwicklung ei- nes solchen Schutzsystems mit sich bringt, eingehen. So muss man zunächst rein technische Unterscheidungen beim Schutz vor Sprengfallen treffen. Auf der einen Seite bedarf es eines elektronischen Schutzes vor funk- ferngezündeten Sprengfallen, auf der anderen Seite aber auch vor mechanisch zündenden Explosionskörpern. Da sich der eigentliche Angriff rein technisch nicht verhin- dern lässt, wurde und wird unser Augenmerk auf die Verbesserung des passiven Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten gelenkt. Die hier zum Truppentransport notwendigen Fahrzeuge wurden in den vergangen Jahren beschafft. Mehr als 800 geschützte Fahrzeuge befinden sich in Afghanistan. Als technisch problematischer stellte sich allerdings die Umsetzung eines elektronischen Funkstörsenders dar. Zwar steht der Bundeswehr der Störpanzer Hummel auf der Basis des Transportpanzers Fuchs zur Verfügung. Wie bei allen Transportpanzern, die der elektronischen Kampfführung dienen, ist in diesem Fahrzeug ein 15-kW-Stromaggregat integriert. Auffälliges Merkmal des Störsenders 33 ist eine Vielzahl von Antennen auf dem Fahrzeugdach. Das System ist in der Lage, im HF-, VHF- und UHF-Bereich mit Leistungen von 1 bzw. 2 kW als automatisch antwortender Störsender auf mehreren Kanälen gleichzeitig zu arbeiten. Verdeutlicht man sich jedoch allein den räumlichen Umfang dieses adaptiven Systems – es kann ohne größeren Aufwand auf jedem Transportpanzer Fuchs betrieben werden –, so stellt man unmittelbar fest, dass dieses in der bestehenden Form nicht auf andere, kleinere Fahrzeuge übertragbar war. Weiterhin sorgte der Zielkonflikt zwischen Größe des Systems, Leistungsfähigkeit und Schutzbedürfnis der ei- genen Soldaten in den vergangenen Jahren für Verzöge- rungen. Wenn ich hier von Schutzbedürfnis spreche, dann gehe ich damit nicht nur auf den Schutz vor Anschlägen ein als vielmehr auch auf die Auswirkungen, die die elek- tronischen Systeme auf unsere Soldaten haben. Wir wol- len Strahlungsschäden ausschließen. Deshalb empfinde ich es durchaus als verantwortungsbewusst, Systeme erst dann einzusetzen, wenn der durch sie verursachte Scha- den möglichst minimiert bzw. ganz verhindert wird. Purer Aktionismus, wie im Antrag der FDP gefordert, kostet wo- möglich mehr Menschenleben, als er schützt. Vor der flä- chendeckenden Einführung von Störsendern wurde ver- ständlicherweise eine Erprobung durchgeführt. Dies war notwendig, falls technische Schwierigkeiten auftreten würden. Dass die Bundesregierung sich jedoch nicht auf die- sem Fakt ausruht, sondern den angemahnten Schutzbe- darf erkannt hat, zeigt sich unter anderem auch darin, dass nun entsprechende Systeme verfügbar sind und auch durch das BMVg beschafft werden. Dieses Störsys- tem wurde so konzipiert, dass es an neun verschiedene Fahrzeugtypen spezifisch adaptiert werden kann. Hier- bei belaufen sich die Kosten für die bis zum Jahr 2011 zu beschaffenden 602 Systeme auf insgesamt 106 Millio- nen Euro, wobei die Bundeswehr nach eigenen Angaben bereits über 128 ausgelieferte Einheiten verfügt und diese auch einsetzt. Die Kleinstörsender werden weiter- hin nach und nach beschafft, was auch im Etat seinen Niederschlag findet. Wir können schlussfolgern: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen tun alles, um unsere Solda- tinnen und Soldaten so gut wie möglich zu schützen. Der Antrag war, wie gesagt, bereits zum Zeitpunkt seiner Stellung überholt. Elke Hoff (FDP): Anschläge mit improvisierten Sprengfallen, sogenannten IED, bleiben die größte Bedro- hung für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Ihre Zahl hat sich im Jahre 2008 im Vergleich zu 2007 sogar noch einmal erhöht. So gab es 2008 in Afghanistan insgesamt 1 343 IED-Anschläge. 2007 waren es noch 905. Erschwerend kommt der Trend hinzu, dass IED immer häufiger große Wirkladungen haben, gegen die selbst geschützte Fahrzeuge nur einen relativ geringen Schutz bieten können. Deswegen bin ich froh, dass inzwischen eine spürbare Verbesserung bei der Ausstattung mit Schutzsystemen gegen Sprengfallen erreicht werden konnte. Erfahrungen in Afghanistan zeigen, dass Operationen auch im Norden des Landes nicht mehr ohne Störsender durchgeführt werden können. Eine ausreichende Anzahl von Störsendern auf geschützten Fahrzeugen ist also ein absolutes Ausstattungsmuss für die deutsche ISAF- Truppe. Dabei ist auch auf einen ausgewogenen Flotten- mix an leichten und schwereren Fahrzeugen als Träger dieser Jammer zu achten, um die Mobilität auch in unter- schiedlichem Gelände gewährleisten zu können. Weiter- hin muss die Ausbildung zur Entdeckung von IED im Einsatzland in der einsatzvorbereitenden als auch in der einsatzbegleitenden Ausbildung eine wichtige Rolle spielen, um die Sensibilität der Soldaten für diese Gefahr hoch zu halten. Eine rechtzeitig entdeckte Sprengfalle kann entschärft werden und keinen Schaden mehr an- richten. Wichtig bleibt aber eine rasche Ausstattung der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan mit genügend ge- eigneten Störsendern, da die Gefahr durch IED allgegen- wärtig ist und mit den jetzt beginnenden milderen Witterungsbedingungen wieder ansteigen wird. Der erreichte Einstieg in die Beschaffung der Schutz- systeme gegen Sprengfallen ist auch ein Erfolg des Drän- gens und Werbens des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, schnell und pragmatisch Abhilfe zu schaffen. Dennoch dürfen sich weder Bundesregierung noch Parlament nun zurücklehnen und den erreichten Ausrüstungszustand bewundern. Für Selbstzufriedenheit besteht kein Anlass. Vielmehr muss man das Erreichte als einen wichtigen ersten Schritt begreifen. Bisher ist noch nicht einmal ein Viertel der auszurüstenden Fahr- zeuge mit Schutzsystemen ausgerüstet, und ob es sich bei der derzeit bekannten Größenordnung der zu beschaf- fenden Systeme um den tatsächlichen Bedarf handelt, darf bezweifelt werden. Der Deutsche Bundestag muss weiter Druck ausüben, dass die Bundesregierung endlich den tat- sächlichen Bedarf für die Beschaffung von Schutzsystemen gegen Sprengfallen definiert und umgehend beschafft. Die Bundeswehr braucht ausreichend geschützte Fahr- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23327 (A) (C) (B) (D) zeuge im Einsatz, die auch gegen die Hauptbedrohung in Afghanistan gerüstet sind. Hier handelt es sich um eine Fähigkeitslücke, die schnellstmöglich geschlossen werden muss. Deswegen bin ich nicht glücklich darüber, das zwei Drittel der zu beschaffenden Schutzsysteme regulär über den CPM und nicht im Wege des einsatzbedingten Sofortbedarfs beschafft werden sollen. Über das widersprüchliche Verhalten der Koalitions- fraktionen zu diesem Thema im Deutschen Bundestag und seinen Fachausschüssen bin ich sehr erstaunt. SPD und Union halten den vorliegenden Antrag der FDP- Fraktion für wenig sachlich, weil sich ihnen der Eindruck aufdränge, er sei prophylaktisch gestellt worden, um beim nächsten Anschlag auf diesen Antrag hinweisen zu kön- nen. Meine Damen und Herren, das ist zynisch, und wir verwahren uns gegen diesen Vorwurf. Darüber hinaus haben sie diesem Antrag als wortgleichen Haushaltsan- trag am 24. Oktober 2007 im Verteidigungsausschuss zugestimmt und dann die seitens der FDP-Fraktion bean- tragte notwendige Erhöhung der Haushaltsmittel abge- lehnt. So macht man keine verantwortungsvolle Politik. Die Bereitstellung finanzieller Mittel ist die konkrete Umsetzung des politischen Willens. Und genügend Geld wird beim Umgang mit der Bedro- hung durch Sprengfallen auch weiterhin notwendig sein. Seit Monaten ist zu beobachten, dass die Aufständischen auf die Schutzmaßnahmen der Bundeswehr reagieren und die IEDs nicht mehr vorrangig per Mobiltelefon, sondern durch Drahtvorrichtungen oder andere alternative Auslös- mechanismen zur Explosion bringen. Dieses Hase-und- Igel-Spiel wird die Bundeswehr dauerhaft beschäftigen. Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass auf aktuelle Entwicklungen ausreichend reagiert werden kann. So ist schon heute gewiss, dass automatisierte Mini- sonden und Robotersysteme geprüft und erprobt werden müssen, um die IED-Protektion auf größere Strecken ausdehnen zu können. In diesem Zusammenhang kann ich auch nur schwer nachvollziehen, warum die Haushalts- mittel für die Systemfähigkeitsforderung Counter-IED im Haushaltsjahr 2009 gegenüber dem Vorjahr deutlich gekürzt worden sind. Hier setzt sich die verfehlte Haushalts- und Beschaf- fungspolitik des Verteidigungsministeriums fort, die wir seit Beginn der Legislaturperiode immer wieder deutlich kritisieren. Ich kann leider keine klare Priorisierung in der Ausgabenpolitik des Verteidigungsministeriums er- kennen. Auch in den letzten Monaten wurde mit dem Geld der Steuerzahler mehr Industriepolitik betrieben, als die Bundeswehr für die Erfüllung ihres Auftrages ausgestattet wurde. Dafür ist die zu langsame Beschaf- fung der Schutzsysteme gegen Sprengfallen ein Beispiel unter vielen. Ärgerlich ist für mich, dass viele der am dringendsten notwendigen Dinge in der Relation des Verteidigungshaushalts wenig Geld kosten. Ich bin mir immer weniger sicher, ob das Umsteuern im Verteidi- gungsministerium auf eine einsatzorientierte Beschaf- fungspolitik eine Frage des politischen Willens oder des Mangels an Kenntnis der Entscheider ist. Der Kontakt zur Truppe zeigt immer wieder überdeut- lich, wie sehr die Auftragserfüllung durch die Defizite in Ausrüstung und Ausbildung leidet. Das Fehlen ge- schützter Fahrzeuge insbesondere in den kleineren Schutzklassen in Afghanistan schränkt immer noch die Patrouillentätigkeit erheblich ein. Es fehlen so wichtige Ausrüstungsgegenstände wie Nachtsichtgeräte, Laser- Licht-Module und persönliche Ausstattung. Auch andere Mängel in der persönlichen Ausstattung der Truppe wer- den von den Soldatinnen und Soldaten immer häufiger durch private Beschaffungen kompensiert und dem Mantra des Ministers, die Bundeswehr sei für ihren Ein- satz bestens ausgerüstet und ausgebildet, wird zuneh- mend mit Resignation begegnet. Inge Höger (DIE LINKE): Bundeswehrangehörige durch technische Verbesserungen gegen explodierende Sprengfallen zu schützen, das klingt – oberflächlich be- trachtet – plausibel. Durch Störsender an gepanzerten Fahrzeugen soll die Zündung von improvisierten Sprengfallen, besonders in Afghanistan, unterbunden werden, um so Soldatinnen und Soldaten weniger häufig zu Anschlagsopfern werden zu lassen. Doch woher kommt der Widerstand – auch gegen die Bundeswehr –, wo diese doch angeblich nur helfen soll und will? Warum werden die ISAF-Angehörigen von immer mehr Menschen in Afghanistan nur noch als bru- tale Besatzer wahrgenommen? Diesen Fragen weicht so- wohl die Bundesregierung als auch die FDP mit diesem rein technokratischen Antrag aus. Aber auch jenseits dieser grundsätzlichen Erwägun- gen weist der FDP-Antrag immanente Schwächen auf. Was die FDP hier fordert, wird die Bundesregierung oh- nehin umsetzen, wenn auch möglicherweise ein klein wenig langsamer, als es im vorliegenden Antrag gefor- dert wird. Doch völlig egal, wie schnell diese Störsender beschafft werden, sie nützen den Soldatinnen und Solda- ten bestenfalls kurzfristig, wenn überhaupt. Attentäter stellen sich schnell auf das Schutzniveau ihrer jeweiligen Gegner ein, und entsprechend ist die Aufrüstungsspirale im Straßenkampf längst im Gange. Im Irak zeigt sich das Dilemma schon seit Jahren. Kaum waren dort in größe- rem Umfang Störsender im Einsatz, kamen auch neue Generationen von Sprengfallen zum Einsatz. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis neue Technologien für Attentate auch in Afghanistan zur Verfügung stehen. Bereits heute sind viele Sprengfallen so aufgebaut, dass sie durch Störsender nicht zu stoppen sind. Als im Sommer letzten Jahres deutsche Polizisten einem Anschlag zum Opfer fielen, war der Zündmechanismus ein ganz primitiver: Die Sprengladung wurde mit einem Kabel gezündet. Es gibt zahlreiche alternative Zündmethoden von Infrarot- sendern bis zur Fernsteuerung für Spielzeugautos. All das lässt sich mit gängigen Störsendern nicht stoppen. Die Einzigen, die wirklich von der Ausrüstung der Fahr- zeuge mit Störsendern profitieren, sind die Hersteller dieser Apparate. Diese Störsender, auch Jammer genannt, sind nach Herstellerangaben so konstruiert, dass durch die Geräte keine gesundheitliche Gefährdung der Fahrzeugbesatzung zu befürchten ist. Doch jüngste EU-Studien ergaben, dass selbst längeres Telefonieren mit Handys gesund- 23328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) heitliche Schäden hervorrufen kann. Im Verhältnis dazu sind dauerhafte Bestrahlungen durch Störsender, die noch dazu parallel auf verschiedenen Frequenzen senden und denen die Soldaten auf engstem Raum ausgesetzt sind, eine wesentlich ernsthaftere Gefährdung. Die Sol- datinnen und Soldaten bezahlen so für einen ungewissen Schutz vor Sprengfallen mit einer konstanten gesund- heitlichen Gefährdung und unbekannten Spätfolgen. Die Verwendung der Störsender kann zudem zur wei- teren Verschärfung der Situation in den Einsatzgebieten führen, wenn überall dort, wo Bundeswehrfahrzeuge auftauchen, die Mobilfunkkommunikation lahmgelegt wird. Gerade in den Einsatzgebieten der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan sind Mobiltelefone wesentlich weiter verbreitet als Festnetztelefone. Aus Gesprächen mit Bundeswehrsoldaten weiß ich zudem, dass auch sie bei Patrouillen in Afghanistan zur Kommunikation auf das dortige Mobilfunknetz zurückgreifen, was bei aktiven Störsendern natürlich nicht mehr funktioniert. Der effektive Schutz der Soldatinnen und Soldaten ist weder eine finanzielle noch eine technische Frage, sondern eine politische. Die Linke beteiligt sich nicht daran, wenn Soldatinnen und Soldaten eine technische Illusion von Sicherheit vorgegaukelt wird. Der einzig wirkliche Schutz für die Bundeswehrangehörigen in Afghanistan besteht darin, sie sofort und vollständig abzuziehen. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung setzt die Schwerpunkte für militä- rische Beschaffungen falsch. Die Bundeswehr ver- schwendet Geld, indem sie beharrlich immer wieder die gleichen Fehler wiederholt. Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat sich dieser Problematik in der gesamten Legislaturperiode nie angenommen und damit die Liste der schlechten Amtsführung eindrucksvoll um einen wichtigen Punkt verlängert. Erster Fehler: Die Bundeswehr betreibt aus ihrem Etat zu viel Industriepolitik und Subventionierung der Rüstungsindustrie. Jüngstes Beispiel der letzten Monate ist dabei der dritte Einsatzgruppenversorger für die Bun- desmarine. Das Verteidigungsministerium hat hinge- nommen, dass die Industrie den Wettbewerb selbst aus- schaltet, indem sie sich einfach zusammenschließt und für den dritten EGV das Zweieinhalbfache der Vorgän- ger berechnet. Betrachtet man dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass es eine schlüssige Strategie zur Rüstungsindustrie seitens der Bundesregierung über- haupt nicht gibt, stellt man fest, dass das Geld der Steu- erzahler völlig wirkungslos versickert – während es gleichzeitig an allen Ecken und Enden fehlt. Zweiter Fehler: Die Bundeswehr hängt in ihren Be- drohungsszenarien gedanklich immer noch an den gro- ßen Konflikten. Wenn es schon nicht mehr der Kalte Krieg ist, dann doch bitte zumindest noch die symmetri- schen Schlachten. Auch hier ein aktuelles Beispiel aus der letzten Woche: die Bundesregierung beschafft als ersten Schritt 30 000 Schuss Sprengmunition für die Panzerhaubitze 2000. Das Preisschild verzeichnet über 60 Millionen Euro, und dies für Munition, die wir in den Depots einlagern werden, bis die Haltbarkeit überschrit- ten ist und wir sie wieder vernichten, um Platz für die nächste Generation an unnötiger Munition zu machen. In welchen UN-mandatierten Stabilisierungsmissionen oder humanitären Einsätzen wollen Sie eigentlich die Panzer- haubitze 2000 auf 30 Kilometer großflächig schießen lassen? Über die Investitionsruine Eurofighter zu sprechen, werden Sie uns vor der Bundestagswahl ja noch ausrei- chend Gelegenheit bieten. Die Kette der Beispiele ließe sich noch lange fortführen. Die Bundeswehr setzt den Schwerpunkt darauf, das volle Spektrum an Waffen im Depot bzw. auf dem Park- platz stehen zu haben, unabhängig davon, ob man es der- zeit benötigt. Man könnte es ja in der Zukunft benötigen! Aus diesem falschen Konzept resultiert schlussend- lich der dritte Fehler: Es fehlen die Mittel für die heute wirklich erforderliche Ausrüstung. Was in dem heute stattfindenden Auslandseinsatz möglichst schnell und dringend benötigt würde, wird nur halbherzig beschafft, in winzige Beschaffungshäppchen aufgeteilt oder auf der Zeitachse geschoben. Was bei den UN-mandatierten Einsätzen der Bundeswehr benötigt würde, sind mehr geschützte Fahrzeuge im Einsatzgebiet, besserer Feldla- gerschutz, bessere persönliche Ausrüstung, mehr Luft- transportkapazitäten. Und wir benötigen es schnell. Da ist der Antrag der Kolleginnen und Kollegen der FDP, den wir hier beraten, richtig: Vordringlich beschafft werden diese Projekte von der Regierung nicht. Auch wenn im Bereich des Schutzes gegen Sprengfallen mitt- lerweile mehr Systeme im Einsatz sind: Schnell und prio- risiert war die Beschaffung leider nie. Stattdessen hören wir vom Verteidigungsministerium und von den Koali- tionsfraktionen immer wieder das gleiche Mantra: Die Bundeswehr sei bestens ausgerüstet, man tue doch alles, alles Wichtige sei in Planung oder Beschaffung. Warum widerspricht dies diametral allen Aussagen, die man hört und sieht, wenn man mal die Ebene der Bundeswehr- pressesprecher und der BMVg-Sprechzettel verlässt? Sind die Klagen der Soldatinnen und Soldaten im Aus- landseinsatz erfunden? Mitnichten! Die Klagen sind berechtigt, denn aus den genannten Gründen werden die wichtigen Beschaffungen immer zwischen Rüstungsindustrieförderung und Depotauffül- lung gequetscht, nicht schnell und nicht mit Priorität, son- dern nur danach, wie viel Luft nach den falschen unnüt- zen Beschaffungen dem Etat gerade noch bleibt. Die Schutzsysteme gegen Sprengfallen mögen ein Detail ge- wesen sein – aber sie sind symptomatisch für die Kon- zeptlosigkeit dieses Verteidigungsministers und die Geld- verschwendung, die diese Regierung auszeichnet. Beim vergleichsweise kostengünstigen zivilen Wiederaufbau und beim Schutz der Soldatinnen und Soldaten wird ge- knausert, aber bei milliardenschweren Großprojekten kann es immer nicht genug geben. Werden Sie endlich Ih- rer Verantwortung gerecht, und beenden Sie diesen Un- fug! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23329 (A) (C) (B) (D) Anlage 6 zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Pakistan stabilisieren und seine demokratische Entwicklung voran- treiben (Tagesordnungspunkt 15) Holger Haibach (CDU/CSU): Was haben Frauen- rechte und der Ausbau von Mobilfunknetzen miteinan- der gemeinsam? Beides stößt bei den radikalislamischen Taliban in Pakistan auf Widerstand. Zwar haben sie, als die Regierung in Islamabad ihnen im Swat-Tal und ande- ren Gegenden die Einführung der Scharia als Rechtsord- nung zugestand, erklärt, Mädchenschulen nicht schlie- ßen zu wollen. Zur gleichen Zeit wurden aber elf dieser Mädchenschulen niedergebrannt – eine ausgesprochen effektive Methode, Unterricht von Mädchen zu unterbin- den und Angst und Schrecken zu verbreiten. Und der Mobilfunk? Als die pakistanische Regierung in dieser Woche bekanntgab, im Grenzgebiet zu Afghanistan ein Mobilfunknetz ausbauen zu wollen, reagierten die Taliban mit einem Flugblatt folgenden Inhalts: „Wir werden Regierungsbehörden und diejenigen, die SIM- Karten verkaufen, wie Kriminelle behandeln.“ Das Netz sei dazu bestimmt, die Taliban auszuspionieren. Diese beiden Begebenheiten verdeutlichen, welchen innenpolitischen Herausforderungen die pakistanische Regierung durch die Taliban ausgesetzt ist. Dass Pakis- tan endlich die weltweite Aufmerksamkeit erfährt, die es sicherlich verdient, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass sich der Deutsche Bundestag in der dritten aufeinander- folgenden Sitzungswoche mit diesem Land beschäftigt. Wir, die Fraktionen von CDU/CSU und SPD, legen Ihnen heute einen Antrag vor, von dem wir sicher sind, dass er der komplexen Situation Pakistans gerecht wird. Unbestritten auch in diesem Hohen Hause ist sicher- lich, dass die Lage in Pakistan großen Anlass zur Sorge gibt: Die Auseinandersetzung zwischen Präsident Zadari und Oppositionsführer Sharif, die in dem Streit um die Wiedereinsetzung des Obersten Richters Chaudry gipfelte. Die angespannte Sicherheitslage, die offensichtliche bisher fehlgeschlagene Bekämpfung radikalislamischen Terrors, der ebenso offensichtliche Machtverfall der Zentralregie- rung, die desaströse Wirtschaftslage, die ohne das Ein- greifen der internationalen Gemeinschaft zum Konkurs des Landes hätte führen können, die Lage in den Tribal Areas im Grenzgebiet zu Afghanistan, der ungelöste Kaschmir-Konflikt mit all seinen Implikationen, der Han- del mit Drogen und Waffen – die Liste ist lang und ließe sich nach Belieben fortsetzen. Ebenso unstreitig dürfte sein, dass die Einwohner Pa- kistans, wie alle anderen Menschen auch, das Recht auf eine friedliche Entwicklung und auf Zukunftschancen haben. Schließlich sollte uns allen ebenfalls klar sein, dass es auch in unserem eigenen Interesse ist, Pakistan als starken Partner in dieser Region an unserer Seite zu wissen und nicht als ein Staat, der durch seine Instabilität nicht nur die gesamte Region, sondern auch die Sicher- heit von Tausenden deutscher Soldatinnen und Soldaten, Diplomaten, Entwicklungshelfern und vielen anderen gefährdet. Darüber hinaus steht außer Frage, dass Deutsch- land ein Interesse daran haben muss, den Nuklearwaffen- staat Pakistan zu stabilisieren. Die Frage stellt sich also: Was kann und muss getan werden, um, wie es in unserem Antrag heißt, „Pakistan zu stabilisieren und seine demokratische Entwicklung voranzutreiben“? Und: Welchen Beitrag kann besonders Deutschland dazu leisten? Zuerst möchte ich dazu feststellen, dass Deutschland früher als andere Länder die Notwendigkeit des Handelns erkannt und entsprechende Vorschläge gemacht sowie Ressourcen vielerlei Art zur Verfügung gestellt hat. Deutschland engagiert sich an vorderster Stelle in der Ende 2008 gegründeten Gruppe „Freunde des demokrati- schen Pakistans“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die in- ternationale Unterstützung für Pakistan in den Bereichen Sicherheit, Entwicklung, Energie und Aufbau besser zu koordinieren. All die Hilfsangebote aus dem Ausland werden aller- dings nicht fruchten, wenn die innere Stabilität Pakistans nicht wiederhergestellt werden kann. Wir dürfen bei aller Unterstützung die politisch Handelnden im Land nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Es wird ihre Aufgabe sein, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen, aber auch durch eigenes Verhalten dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen für eine gute Entwicklung des Landes geschaffen werden. Denn alleine die Tatsache, dass ein Militärmachthaber durch eine demokratisch legitimierte Staatsführung abgesetzt wurde, löst bei Weitem nicht alle Probleme. Im Gegenteil: Scheitert diese Führung, droht die Radikalisierung der Gesellschaft und der er- neute Ruf nach einem „starken“ Mann. Es geht also um nichts weniger als den Aufbau eines unabhängigen und qualifizierten Rechtssystems, den Kampf gegen Drogen und Korruption, die Auseinander- setzung mit den Taliban und damit auch den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in bisher völlig unkontrol- lierten Gebieten, die Einbindung der Zivilgesellschaft in den weiteren Prozess, die Bewältigung einer Wirt- schaftskrise und die Schaffung einigermaßen zufrieden- stellender Beziehungen zu allen Nachbarn. Zusätzlich hierzu müssen das Militär und besonders der militärische Geheimdienst ISI einer effektiven politischen Kontrolle unterzogen werden. Bei all dem, insbesondere beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, kann Deutschland einen wichtigen Beitrag leis- ten: zum einen durch entsprechende finanzielle Ressourcen, zum anderen durch die langjährige Erfahrung deutscher Experten auf diesen Gebieten. Deutschland kann auch unterstützend tätig sein, wenn es um die Verbesserung der Beziehungen Pakistans zu seinen Nachbarn geht. Sowohl zu Afghanistan – auf- grund der schon länger währenden Grenzstreitigkeiten – als auch zu Indien – aufgrund des Kaschmir-Konflikts und anderer tradierter Auseinandersetzungen – gibt es keine wirklich stabilen, geschweige denn gutnachbarli- chen Beziehungen. Hier kann Deutschland allerdings nur im Zusammenwirken mit seinen europäischen Part- 23330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) nern, aber auch gemeinsam mit den Partnern des transat- lantischen Bündnisses, vor allem den USA, erfolgreich unterstützend eingreifen. Inzwischen gilt es meiner Meinung nach als anerkannt, dass eine erfolgreiche Stabilisierung Pakistans, Afghanis- tans und mithin der gesamten Region nur im Zusammen- wirken aller regionalen Akteure erreicht werden kann. Dies schließt neben diesen beiden Staaten sicherlich auch Indien und den Iran ein. Sicherlich ist es auch richtig, mit all denen zu verhandeln und zu reden, die sich einer Stabilisierung der Region verpflichtet fühlen. Solche Gespräche verbieten sich allerdings mit Gruppen, die, wie die radikalislamischen Kräfte, Ziele verfolgen, die denen der internationalen Staatengemeinschaft zuwider- laufen. Abschließend möchte ich feststellen, dass es uns nur ge- lingen kann, bei der Stabilisierung und Demokratisierung Pakistans erfolgreich zu helfen, wenn alle Beteiligten, seien es innerstaatliche, seien es regionale oder internatio- nale Akteure nicht nur dasselbe Ziel, sondern auch eine abgestimmte Strategie zur Erreichung dieses Ziels ver- folgen. Vor allem aber wird es sehr darauf ankommen, dass die Menschen in Pakistan das Gefühl haben, dass es ihr Weg ist, den sie gehen. Deshalb ist es so wichtig, dass Politiker und gesellschaftlich Handelnde in Pakistan ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Denn nur aus dem Bewusstsein der eigenen Verantwortung er- wächst die Bereitschaft zu eigenständigem Handeln. Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Am ver- gangenen Wochenende hat die pakistanische Regierung auf massiven Druck der Opposition den vor 16 Monaten entlassenen Obersten Richter des Landes, Richter Iftikhar Muhammad Chaudhry, wieder eingesetzt. Mit ihm können weitere 60 Richter ihr Amt nun wieder ausüben, nach- dem sie vor den Wahlen im Jahr 2008 noch unter der Mi- litärregierung von Pervez Musharraf abgesetzt worden waren. Endlich hat Asif Ali Zardari seinen Widerstand aufgegeben. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein demokra- tisch gewählter Präsident sich weiterhin der Methoden einer Militärdiktatur bedient, um sich in seinem Amt zu sichern. Der pakistanische Staat befindet sich auf einem langen Weg hin zur Demokratie. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich die Situation der Bevölkerung insge- samt ändert. Die Armut der Menschen in Pakistan muss bekämpft werden, damit die Ressourcen der Menschen für den Aufbau der Zivilgesellschaft freigesetzt werden können. Demokratie und Stabilität in Pakistan sind von großer Bedeutung für die Entwicklung der gesamten Region. Deshalb erwägt nun auch die US-Regierung im Rahmen ihrer Afghanistan-Strategie, die Mittel für die militärische und zivile Unterstützung Pakistans zu erhöhen, die Summe für den zivilen Bereich soll sich sogar verdreifachen. Ich begrüße es sehr, dass der Aufbau Pakistans Schwerpunkt in der deutschen Entwicklungszusammen- arbeit ist. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat im Februar Botschafter Mützelburg zum Sonderbeauftragten für Afghanistan und Pakistan ernannt. Dies ist ein deutliches Signal an Pakistan und an Präsi- dent Zardari, dass Pakistan von uns im Hinblick auf wirtschaftliche Entwicklung und auf Demokratisierung unterstützt wird. Im vergangenen Jahr hat Deutschland seine Mittel für Pakistan verdoppelt. Schwerpunkte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sind: Erstens. Vergabe von Mikrokrediten zur Unterstützung der Menschen, die eigene Geschäfte oder Projekte finan- zieren wollen und damit eine wirtschaftliche Grundlage für ihr Leben schaffen. Dabei hat sich erwiesen, dass insbe- sondere Frauen das Geld aus Mikrokrediten in Bereichen investieren, die der gesamten Gemeinschaft zugutekom- men. Außerdem sind Frauen besonders verlässliche Rück- zahlerinnen. Zweitens. Förderung von Kleinbetrieben als Rückgrat der Wirtschaft: Das deutsche Know-how im Bereich er- neuerbare Energien sollte im Rahmen von Kooperationen in den Aufbau einer funktionierenden Energieversorgung in Pakistan einfließen. Das öffentliche Stromnetz kann durchschnittlich für vier Stunden pro Tag Strom liefern. Darüber hinaus behelfen sich die reicheren Menschen in Pakistan mit Dieselgeneratoren, die Armen müssen ohne elektrischen Strom auskommen. Dies vergrößert die Lücke zwischen Arm und Reich. Darüber hinaus tragen die Gene- ratoren erheblich zur Umweltverschmutzung in Pakistan bei. Drittens. Entwicklung der Zivilgesellschaft. Deutsch- land unterstützt die Arbeit von deutschen und pakistani- schen Nichtregierungsorganisationen, beispielsweise den Evangelischen Entwicklungsdienst und SPARC, die sich für die Entwicklung der Zivilgesellschaft engagieren und damit den Aufbau der Demokratie unterstützen. Auch der Aufbau eines effizienten Bildungssystems, das allen Kindern offensteht, unterstützt den Demokratisierungs- prozess wesentlich. Ich habe vor einigen Monaten Pakistan besucht. Meine Gesprächspartner dort haben mich darum gebeten, zu erreichen, dass Deutschland in Regierungsverhandlun- gen mit Pakistan darauf dringt, dass das Blasphemiegesetz außer Kraft gesetzt wird. Dieses dient zur Denunziation und Verfolgung von Einzelnen und von Gruppen, die sich für die demokratische Entwicklung Pakistans ein- setzen. Die Taangh Wasaib Organisation in Sargodha führt Rechtsberatungsprojekte für Frauen im ländlichen Punjab durch. Über 50 Dörfer sind daran beteiligt. Das Beson- dere daran ist, dass die Entwicklung der Frauen spürbare Entwicklungen in der gesamten Region angestoßen haben. Demokratische Entwicklung braucht alle Menschen im Land. Deshalb müssen insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen gestärkt werden. Dies muss sich in der Verfassung niederschlagen. Johannes Pflug (SPD): Ich beginne mit einer guten Nachricht: Die Wiedereinsetzung des Obersten Richters Chaudhry durch den pakistanischen Staatspräsidenten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23331 (A) (C) (B) (D) Zardari hat die innenpolitische Krise vorerst beendet und Ruhe geschaffen für einen Neubeginn des Demokratisie- rungsprozesses. Das ist eine gute Nachricht, aber wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen und mit verklärtem Blick auf eine demokratische Entwicklung warten. Präsident Zardari hat die verfassungswidrige Abset- zung Chaudhrys durch Ex-Militärherrscher Musharraf nicht aus demokratischer Überzeugung rückgängig ge- macht, und er wollte schon gar kein Wahlversprechen einlösen. Die Reformkräfte in Pakistan haben ihm keine Wahl gelassen. Diese Kräfte sind tief verankert in der pa- kistanischen Gesellschaft: Juristen, Menschenrechtler, Gewerkschaftler, die Oppositionspartei PML-N und so- gar sein eigener Ministerpräsident Gilani und letztlich auch Armeechef Kyani. Der Fall Chaudhry zeigt: Diese Reformkräfte können demokratische Entwicklungen er- zwingen. Realismus bleibt aber das Gebot der Stunde, das Land steht vor großen Problemen. Pakistan steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, die unsere Krise in Deutschland wie einen Aufschwung wirken lässt. Im vergangenen Herbst verhinderte nur ein Kredit des IWF über 7,6 Milliarden US-Dollar einen fi- nanziellen Zusammenbruch des Landes. In diesem Jahr braucht Pakistan ein Wachstum von mindestens 6,5 Pro- zent, um die Zahl der Arbeitslosen nicht weiter anwach- sen zu lassen. Prognostiziert für das laufende Jahr sind allerdings bestenfalls 2,5 Prozent. Gleichzeitig muss das Land ein akutes Flüchtlings- problem bewältigen. Hunderttausende Menschen aus den FATA-Gebieten und aus dem Swat-Tal flüchten nach Peschawar, Islamabad, Lahore und vor allem nach Kara- chi. Dort werden bereits mehr als 1,3 Millionen Paschtu- nen vermutet, die auf eine Bevölkerungsgruppe mit Mi- grationshintergrund aus Indien treffen. Diese wird reprä- sentiert durch die MQM, eine Partei, die in der Vergan- genheit durch militante Mitglieder auffiel. Ein dritter schwerer Konflikt schwellt im Panjab. Seit dem Disqualifikationsurteil gegen die beiden Sharif- Brüder am 25. Februar wird die Provinz an der Grenze zu Indien von einem Gouverneur regiert, den der Staats- präsidenten mit aller Kraft durchgesetzt hat – und nur am Rande sei erwähnt: der ein guter Bekannter von Zardari ist. Dies stellt im traditionellen Stammesgebiet der PML-N eine große Provokation dar. Premierminister Gilani hat bereits eine Revision gefordert. Der Panjab-Konflikt kann für Präsident Zardari exis- tenziell werden. Zum Zweiten hängt seine Zukunft von den Entscheidungen des Obersten Richters Chaudhry ab. Dieser könnte den Prozess gegen Zardari ebenso wieder aufgreifen wie den Prozess gegen Ex-Präsident Musharraf. Sollte er das tun, könnte das Militär aber auch noch eingreifen. Das sind aber nur die innenpolitischen Krisenherde. Außenpolitisch ist die Atommacht Pakistan für die Si- cherheit Süd- und Zentralasiens von großer Bedeutung, insbesondere für die Entwicklung im benachbarten Af- ghanistan und in Indien. Die erfolgreiche Bekämpfung der Terroristen auf pakistanischem Boden und die innere Stabilität Pakistans sind daher eine wesentliche Voraus- setzung für den Erfolg der ISAF-Mission der NATO in Afghanistan. Die Bundesregierung hat im Jahr 2007 die deutsche Doppelpräsidentschaft in EU und G 8 für eine Initiative zur Stabilisierung der Lage in Pakistan genutzt – insbe- sondere in den Stammesgebieten und in der Grenzregion – sowie zur Verbesserung der Kooperation mit Afghanis- tan. Sie ist zudem in der Ende September 2008 gegrün- deten Gruppe der „Freunde des demokratischen Pakis- tans“ engagiert, welche die internationale Unterstützung für Pakistan in den Bereichen Sicherheit, Entwicklung, Energie und Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen bes- ser abstimmen soll. Gleichzeitig hat die Bundesregie- rung Pakistan zu einem Schwerpunkt der Entwicklungs- politik gemacht. Meine Kollegin Christel Riemann- Hanewinkel wird zu diesem Thema gleich noch alles Wichtige sagen. Wir müssen Pakistan bei seinem Aufbau weiter unter- stützen. Im Bildungsbereich müssen die Grundbildung als Alternative zum Unterricht in den Madrassas und auch die Berufsbildung ausgebaut werden. Wir können helfen, die pakistanische Wirtschaft zu entwickeln und für die Menschen ein Mindestmaß an sozialer Fürsorge und Sicherheit zu schaffen. In das öffentliche Gesund- heitssystem beispielsweise investierte das Land nur 0,5 Prozent seines BIP. Wir müssen aber vor allem alles tun, um die Zivilge- sellschaft und die Reformkräfte in Pakistan zu unterstüt- zen. Sie haben gerade im Fall Chaudhry gezeigt, dass sie für eine Demokratisierung kämpfen können. Das kann nur in unserem Interesse sein. Eine friedliche Stabilisie- rung des Landes ist die beste Grundlage für eine weitere demokratische Entwicklung. Noch eine Anmerkung zum Schluss: Die Anerken- nung des Rechts der Scharia im Swat-Tal mag zwar ver- fassungsgemäß und auch historisch nachvollziehbar sein, aber sie ist eine Teilkapitulation gegenüber den Is- lamisten und Radikalen im Land. Ich behaupte, sie ist ein umgefallener Dominostein. Es dürfen keine weiteren folgen. Elke Hoff (FDP): Der vorliegende Antrag der Regie- rungsfraktionen enttäuscht. Die Regierungsfraktionen scheinen sich inzwischen auch in der Außen- und Si- cherheitspolitik nur noch auf einen Minimalkonsens ver- ständigen zu können. Wenn dieser Antrag die Bilanz der Pakistan-Politik der Großen Koalition sein soll, wäre dies ein Armutszeugnis. Dass die Bundesregierung die Doppelpräsidentschaft Deutschlands in EU und G 8 für eine Initiative zur Stabilisierung der Lage in Pakistan ge- nutzt haben soll, ist mir leider entgangen. Dabei hätte ich mir diese ausdrücklich gewünscht. Auch der Verweis auf die Gründung der Gruppe „Freunde des demokratischen Pakistans“ überrascht mich. Nach meinem Kenntnis- stand haben sich die Aktivitäten dieser Gruppe auf die Gründung und eine einzige rein prozedurale Arbeitssit- zung im November letzten Jahres beschränkt. Bis heute ist für mich keinerlei Pakistan-Strategie der Bundesregierung erkennbar. Eine mehr oder weniger zu- 23332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) treffende Bestandsaufnahme kann eigene Aktivitäten nicht ersetzen. Es genügt nicht, immer wieder Pakistan als einen Schlüssel zur Lösung der Probleme in der Region zu benennen, wenn der Analyse dann kaum kon- krete Projekte folgen. Pakistan hofft auf deutsche Unter- stützung bei der weiteren Stabilisierung und Demokrati- sierung des Landes. Deutschland ist hierbei als ehrlicher Makler hochwillkommen. Wenn Deutschland einen Beitrag zur Stabilisierung Pakistans leisten will, muss es auch möglich sein, die pa- kistanischen Sicherheitskräfte, insbesondere die Grenz- polizei, sowohl bei deren Ausbildung als auch bei der Ausstattung zu unterstützen. Pakistan muss vor allem auch durch internationale Rückendeckung in die Lage versetzt werden, die Proliferation von sensiblem Wissen und Technologien an nichtstaatliche Akteure zu verhin- dern. Hier war Pakistan in der Vergangenheit zu anfällig, wie der Erfolg des Khan-Netzwerkes gezeigt hat. Ich möchte die Bundesregierung ermuntern, die Anstrengun- gen beim Ausbau der bilateralen Beziehungen deutlich zu verstärken. Ich hoffe sehr, dass neue Impulse für ein stabileres Pakistan auch von der Afghanistan-Konferenz in Den Haag ausgehen werden. Es ist aus meiner Sicht alterna- tivlos, eine internationale Strategie zur Stabilisierung und Entwicklung der pakistanischen und zugleich der afghanischen Wirtschaft kurzfristig auf den Weg zu brin- gen. Dies bedeutet neben der Entwicklung von lokalen und regionalen Märkten auch die Öffnung westlicher Märkte für Produkte aus beiden Ländern. Lob verdient der Antrag deshalb auch dafür, dass sich die Regierungs- fraktionen für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zum Iran einsetzen und sich damit auch wohltuend von der Iran-Politik der Bundesregierung absetzen. Ein weiterer gravierender Konfliktherd Pakistans ist die mangelhafte Versorgung mit Energie und Elektrizität. Die Gasversorgung über eine neue Pipeline aus dem Iran wird von der internationalen Gemeinschaft bisher nicht gerade unterstützt, sodass die pakistanische Regierung kaum eine Alternative zu chinesischer Atomenergie hat, um die 170 Millionen Bürger mit Energie zu versorgen. Gerade deshalb streut die Ausnahmeregelung der Nu- clear Suppliers Group zum Handel mit Nukleartechnolo- gie für den indischen Nachbarn hier besonders Salz in die Wunde. Gerade in dem Bereich der Energieversorgung könnte Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung Pakistans leisten. Hilfe bei der konzeptionellen Entwick- lung und beim technologischen Ausbau erneuerbarer Energien wäre auf pakistanischer Seite hochwillkommen. Der Bau und die Wartung dieser Anlagen vor Ort würden mittelfristig neue Arbeitsplätze generieren und knappe Ressourcen schonen. Ein weiterer Bereich, der eine Stabilisierung des Lan- des gefährdet, ist das hohe Ausmaß an Analphabetismus sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Eine breit angelegte, gut strukturierte Alphabetisierungskampagne, verbunden mit der Unterstützung beim Aufbau funktio- nierender staatlicher Schulen und entsprechender Curri- cula unter Berücksichtigung religiöser Befindlichkeiten, könnte ein äußerst sinnvoller Beitrag der internationalen Gemeinschaft sein. Der Charakter dieser Anstrengungen müsste jedoch weit über einen Projektcharakter hinausge- hen und langfristig angelegt sein. Uns sollte Mut machen, dass Pakistan trotz des verbrei- teten Analphabetismus auch über ein großes Reservoir an gut ausgebildeten jungen Menschen verfügt, die Teil einer zukünftigen politischen und wirtschaftlichen Elite sein können und wollen. Mit diesen Hoffnungsträgern muss ein intensiver Dialog aufgenommen werden. Von einer Stabilisierung Pakistans kann, insbesondere in den teilautonomen Stammesgebieten im Nordwesten des Landes, leider immer noch keine Rede sein. Der zu- nehmende Verlust der Kontrolle im Swat-Tal, die An- griffe auf Nachschublager und Nachschubwege der ISAF am Khaiberpass und die große Zahl ziviler Ver- luste bei Gefechten zwischen Extremisten und den pa- kistanischen Sicherheitskräften machen wenig Mut. Auch hier schweigt der Antrag der Regierungsfraktionen. Ein Pakistan-Antrag, der kein Wort über die Operationen der amerikanischen Partner in den Stammesgebieten ver- liert, ist schlicht ungenügend. Die nationale Souveränität Pakistans ist zu achten. Auf der anderen Seite wäre es aber auch hilfreich, wenn die pakistanische Regierung ge- genüber der eigenen Bevölkerung offener kommunizieren würde, dass sie mitunter auf die militärische Kooperation mit den USA und anderen Partnern im Kampf gegen Ex- tremisten und Terroristen im eigenen Land angewiesen ist. Darüber hinaus ist sich Pakistan aber zunehmend be- wusst, dass es einen eigenen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus leisten muss. Es besteht auch die Bereitschaft Pakistans, dabei militärische Mittel einzusetzen. Damit dies aber in der Praxis auch Erfolg haben kann, muss die pakistanische Bevölkerung diesen Kampf gegen Extremisten und Terroristen als ein ureigenes Anliegen begreifen. In der Vergangenheit war dies leider nicht der Fall. Die Wahrnehmung innerhalb der pakistani- schen Bevölkerung, dass das Vorgehen der pakistanischen Regierung und der Sicherheitskräfte lediglich stellvertretend und im Auftrag der US-Amerikaner erfolge, ist fatal. Ohne Frage ist Pakistan auch ein Jahr nach den Wahlen weiterhin von stabilen demokratischen Verhältnissen, wie wir sie uns vorstellen, entfernt. Daher brauchen wir Geduld und sollten unsere Erwartungen an die Geschwin- digkeit von Modernisierungsprozessen auf ein realistisches Maß reduzieren. Nur wenn wir die gesellschaftlichen und kulturellen Besonderheiten Pakistans verstehen, wird ein Dialog mit Pakistan Erfolg haben können. Pakistan steht nicht an der Grenze zum Staatszerfall, und die Nuklearwaffen drohen derzeit auch nicht in die Hände von Extremisten zu fallen. Auch wenn sich die Rolle des Militärs in Pakistan mit unseren Vorstellungen von Streitkräften innerhalb einer Demokratie nicht ver- einbaren lässt, so muss man aber konstatieren, dass es auch in den Zeiten größter Instabilität die Kontrolle über die pakistanischen Nuklearwaffen sichergestellt hat. Die Wahlen im letzten Jahr haben gezeigt, dass die Masse der pakistanischen Bevölkerung die Islamisten nicht will und politisch nicht unterstützt. Sie haben nur Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23333 (A) (C) (B) (D) einen Sitz im Parlament errungen und haben darüber hi- naus in den paschtunischen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan und in der Nordwestprovinz ihre Regierungsbeteiligung verloren. Die Bewegung der Rechtsanwälte hat in den letzten Monaten gezeigt, dass es auch außerhalb der Parteien ein großes zivilgesell- schaftliches Potenzial in Pakistan gibt. Hierauf sollte die internationale Gemeinschaft aufbauen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Der Antrag der Regierungskoalition „Pakistan stabilisieren und seine demokratische Entwicklung vorantreiben“ verdient es, um diese Uhrzeit behandelt zu werden: ein nichtssagen- der, langweiliger Antrag. In jeder Tageszeitung kann man mehr und Besseres zum Thema lesen. An irgendei- ner Stelle des Antrages stellen die Antragsteller fest: „Die Bundesregierung hat Pakistan zu einem Schwer- punkt ihrer Außen- und Entwicklungspolitik gemacht.“ Wenn Schwerpunkte so aussehen, möchte ich nicht wis- sen, wie die Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber Ländern gestaltet werden soll, die kein Schwerpunkt sind. Das Interessanteste an diesem Antrag sind die The- men, die nicht angesprochen werden: Der Antrag setzt sich in keiner Weise mit den völkerrechtswidrigen An- griffen der US-Armee auf pakistanische Grenzregionen zu Afghanistan auseinander. Unter den Forderungen an die Bundesregierung fehlt dann selbstverständlich auch die Aufforderung, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika eine verbindliche Aussage über die Ein- stellung dieser Handlungen zu fordern. Zu Recht wird auf das gespannte Verhältnis zwischen Indien und Pakis- tan hingewiesen. Aber die Antragsteller verweigern sich einer Auseinandersetzung darüber, dass die deutsche Zu- stimmung zum Atom-Deal Indien–USA eben diese Spannungen verschärft und nicht zur Entspannung in der Region beigetragen hat. Es scheint so, dass nach wie vor Forderungen an die USA für die deutsche Bundesregie- rung und die sie tragende Koalition tabu sind. Mehr Mut, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter der Präsident- schaft Barack Obamas darf man auch die US-Adminis- tration kritisieren. Tatsache ist doch, dass die Luftangriffe auf pakistani- sches Territorium nicht dazu beigetragen haben, den Ter- rorismus zu bekämpfen, sondern terroristischen Organi- sationen Zulauf verschaffen und Rechtfertigung bieten. Tatsache ist auch, dass der Atom-Deal zwischen den USA und Indien der Glaubwürdigkeit der gesamten Nichtweiterverbreitungspolitik schweren Schaden zuge- fügt hat. Notwendig wäre gewesen, immer wieder auf Pakistan und auf Indien mit der Forderung nach atoma- rer Abrüstung einzuwirken. Ich weiß nicht, ob die Koalitionsfraktionen mittler- weile deutsche Rüstungslieferungen unter den Begriff Entwicklungszusammenarbeit subsumieren. Dieses Thema taucht im Antrag der Koalitionsfraktionen überhaupt nicht auf. Das lässt verschiedene Schlussfolgerungen zu: Entweder ist Ihnen das Thema so peinlich, dass sie nicht darüber reden wollen, oder Sie wollen verheimlichen, dass an der Rüstungszusammenarbeit nichts geändert werden soll. Ich stelle fest: Deutschland exportiert Waf- fen in ein Spannungsgebiet. Dass Pakistan ein Span- nungsgebiet ist, kann man selbst in Ihrem Antrag nachle- sen. Völlig lieblos wird in Ihrem Antrag die Idee einer re- gionalen Sicherheitskonferenz als ein Beitrag zur Been- digung des Krieges in Afghanistan behandelt. Die Linke hat seit Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung Initiativen für eine solche Konfe- renz auf den Weg bringen muss. Das hat sich inzwischen die Shanghai-Organisation zu eigen gemacht. Es ist ein wichtiger Schritt, wenn Afghanistan, Pakistan und In- dien, der Iran, Russland und China sowie zentralasiati- sche Staaten zusammentreten und über Sicherheit in der Region beraten. Im Zentrum dieser Beratungen stehen Möglichkeiten, den Afghanistan-Krieg zu beenden. Ein Ende des Krieges in Afghanistan stabilisiert auch Pakis- tan. Die neue US-Regierung stellt sich positiv zum Ge- danken der regionalen Sicherheit. Zumindest das hätte die Regierungskoalition zu mehr Überlegungen als den dürftigen Punkt 6 ihres Antrages führen können. Nota- bene: Ein originärer deutscher Beitrag zu einer regiona- len Sicherheitskonferenz könnte die Ankündigung des Abzuges deutscher Soldaten aus Afghanistan sein. Das wiederum ist von der jetzigen Bundesregierung nicht zu erwarten. Regionale Sicherheitsstrukturen können auch einen Einfluss auf die gewaltsame Auseinandersetzung um Kaschmir nehmen. Solche Vorschläge können Sie alle bei der Linken nachlesen. Unsere Vorschläge mindern die Gefahren mi- litärischer Konflikte und sind insofern auch geeignet, Terrorismus wirksam zu bekämpfen. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Koalition hat einen Antrag zum Thema „Pakistan stabilisieren und demokratische Entwicklung vorantrei- ben“ vorgelegt. Damit kommt bereits die gestiegene Aufmerksamkeit für Pakistan auch seitens der deutschen Politik zum Ausdruck, was nicht zuletzt mit den wieder gewachsenen Spannungen zwischen Pakistan und Indien nach den Anschlägen in Mumbai im September 2008, vor allem aber mit den bekannten Verbindungen zur schwierigen Sicherheitslage in Afghanistan zusammen- hängt. Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vor ziemlich genau einem Jahr, im April 2008, einen ähnli- chen Antrag vorgelegt hat, der von den Koalitionsfrak- tionen abgelehnt wurde. Der Titel lautete: „Für eine um- fassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisierung Pakistans“. Die Ähnlichkeit des Titels mit dem heute diskutierten Antrag der Koalitionsfraktionen ist schon frappierend. Und im September 2008 haben wir einen Antrag eingebracht mit dem Titel „Kontraproduktive US-Operationen in Pakis- tan sofort einstellen – Umfassende Strategie zur Stabili- sierung Pakistans entwickeln“. Viele unserer Forderun- gen finden sich jetzt auch im Antrag der Koalition wieder: vor allem die Forderung, Pakistans Weg Rich- 23334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) tung Rechtsstaatlichkeit und mehr Demokratie nach der Ära Musharraf zu unterstützen. Hier sind wir uns einig. Dazu muss die pakistanische Regierung die notwendigen Reformen durchführen. Die internationale Gemeinschaft muss diesen Weg unterstützen, denn wir alle wissen, dass eine Eindämmung extremistischer Rückzugsorte vor allem in den Stammesgebieten und dem Grenzgebiet zu Afghanistan und ein dauerhaft stabiles Pakistan Grundvoraussetzungen nicht nur für eine Verbesserung der Lage in Afghanistan, sondern auch für Stabilität in der ganzen Region sind. Dazu ist ein weiterer Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit, vor allem Investitio- nen in Bildung und die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes notwendig. Hoffnung gibt die jüngste Entwicklung und die Wie- dereinsetzung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry nach den landesweiten Demonstrationen der Anwälte- und Richterbewegung. Pakistan ist nicht nur das poten- ziell „gefährlichste Land der Welt“, wie es dieser Tage manchmal heißt – es ist auch ein Land mit ungeheurem Potenzial, einer breiten Zivilgesellschaft und einer be- merkenswert unabhängigen Medienlandschaft. Im Be- reich dieser Zivilgesellschaft würden wir uns noch mehr positives Engagement der internationalen Gemeinschaft, der EU und der Bundesrepublik wünschen. An mögli- chen Partnern mangelt es in Pakistan nicht. Die Men- schenrechte und die Lage der Frauen müssen dabei noch mehr in den Mittelpunkt rücken und als Schwerpunkt nachhaltig gefördert werden. Ich will aber auch deutlich sagen, was wir in dem An- trag der Koalition vermissen: Dazu zählt ein klares Be- kenntnis im Antrag, diese Spannungsregion mit einer deutlichen Absage an Rüstungslieferungen nicht zu be- lasten. Wer in der jetzigen Situation Rüstungsexporten nach Pakistan oder Indien zustimmt, handelt unverant- wortlich und nimmt das Risiko in Kauf, die wachsenden Spannungen zwischen den beiden Nuklearmächten an- zuheizen. Es fehlt auch eine neue strategische Ausrichtung. Es gibt zwar jetzt einen Beauftragten des Auswärtigen Am- tes, Bernd Mützelburg, für Afghanistan und Pakistan, was wir begrüßen. Aber während die neue US-Regie- rung ihre bisherige Politik umfassend evaluiert und in Kürze bei der Afghanistan-Konferenz in Den Haag die Ergebnisse vorstellen wird, bleibt unklar, welche umfas- senden strategischen Konzepte für Pakistan und die Re- gion die Bundesregierung eigentlich anstrebt. Dass zeigt sich zum Beispiel bei der Frage nach effektiver Terroris- musbekämpfung in Afghanistan und Pakistan. Im An- trag heißt es dazu, dass es hier eines „neuen Ansatzes“ bedürfe. Eine Antwort, was damit gemeint ist, bleibt der Antrag aber schuldig. Kritisch beschrieben wird das jüngste Abkommen der pakistanischen Regierung mit Taliban-Kräften in der Region Swat. Eine kritische Be- trachtung dieser Vereinbarung ist angebracht, da mit ihr die Legitimität einer konservativen Auslegung von Sharia-Recht bereits zur Ermordung Oppositioneller und einer drastischen Verschlechterung der Menschenrechts- lage geführt hat. Wer eine neue Strategie der Terroris- musbekämpfung einfordert, der muss aber auch die Frage möglicher Verhandlungen ausloten, gerade wenn der neue US-Präsident das Thema der Verhandlungen mit sogenannten „gemäßigten Taliban“ prominent ange- sprochen hat. Das Thema der anhaltenden US-Luftangriffe mit Drohnen auf mutmaßliche Taliban-Stützpunkte in den Stammesgebieten wird im Antrag der Koalition schlicht ausgespart. Mit diesen Angriffen über die Grenze nach Pakistan hinweg setzt die Obama-Regierung die Präven- tivschlag-Strategie der Bush-Regierung fort. Laut Pres- seberichten denkt sie sogar über eine Ausweitung nach. Diese Angriffe, bei denen wiederholt auch Zivilisten ums Leben kamen, drohen die Autorität der pakistani- schen Regierung zu untergraben und so kontraproduktiv zu wirken. In dieser Frage erwarten wir eine klare Hal- tung der Bundesregierung, die einem nicht völkerrechts- konformen Vorgehen bei der Terrorismusbekämpfung eine klare Absage erteilt. Dies steht in engem Zusammenhang mit der unge- klärten Frage der OEF-Einsätze in Afghanistan, die keine ausreichende völkerrechtliche Grundlage mehr ha- ben, sondern die Legitimität des gesamten Einsatzes ge- fährden. Dass diese Debatte, welche Bündnis 90/Die Grünen schon seit 2006 zu führen versuchen, alles an- dere als eine Phantomdebatte ist, hat der jüngste Vorfall in Kundus gezeigt: Zum wiederholten Male sind Zivilis- ten bei einem geheimen Kommandoeinsatz getötet wor- den, diesmal im deutschen Zuständigkeitsbereich. Dass die deutschen ISAF-Verantwortlichen gar nicht infor- miert waren und mit dem Bürgermeister einer ihrer wichtigsten Partner zur Angriffsfläche wird, ist eine ab- surde und unhaltbare Situation, welche die gesamten Aufbaubemühungen gefährdet. Die Bundesregierung hat sich bisher geweigert, dazu kritisch Stellung zu nehmen. Ein Festhalten am Status quo ist keine Lösung. Wir müs- sen diese schwierigen Fragen offen mit den Partnern dis- kutieren und die richtigen Antworten darauf finden, wenn wir nicht in Kauf nehmen wollen, dass die Aus- sichten auf eine Stabilisierung in der Region noch schlechter werden. Die Chancen dafür, zum Beispiel auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel, müssen unbedingt genutzt werden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des – Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Telekommunikationsgesetzes – Antrags: Möglichkeiten missbräuchlicher Ortung von Mobiltelefonen mittels privater Anbieter begegnen (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Die Telekom- munikationsbranche lebt und entwickelt sich rasant wei- ter. Es ist klar, dass bei dem Innovationstempo auch der rechtliche Rahmen von Zeit zu Zeit überprüft werden muss. Dies hat die Große Koalition mit dem vorliegenden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23335 (A) (C) (B) (D) Gesetz erfolgreich getan: Wir schaffen den rechtlichen Rahmen für Innovation und einen zeitgemäßen Verbrau- cherschutz. Gerade dieses Gesetz zeigt, dass wir Ver- braucherschutz und Innovation so kombiniert haben, dass sie sich gegenseitig befruchten und nicht behindern. Ein weiterer wichtiger Baustein des Gesetzes ist die Fortführung des Vermittlungsdienstes für Menschen mit Hörbehinderungen. Ich will auf die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte eingehen: Zunächst möchte ich auf einen Missstand zu sprechen kommen, der ehrliche Unternehmen schädigt und dem Verbraucher Leistungen aufzwingt, die er nicht möchte: Zurzeit muss die Betreibervorauswahl vom Netzbetreiber schon dann umgestellt werden, wenn ein Unternehmen dem Netzbetreiber mitteilt, dass ein bestimmter Kunde sich für eine Betreibervorauswahl zu seinen Gunsten entschieden hätte. So weit, so gut. Einige unseriöse Unter- nehmen haben daraus dann ein Selbstbedienungsmodell zu Lasten aller anderen Beteiligten entwickelt: Alles beginnt ganz harmlos. Eine freundliche Stimme fragt, ob man nicht ohne lästige Sparvorwahl günstig tele- fonieren möchte. Dann ist gleichgültig, was geschieht: Selbst wenn Sie „Nein“ ins Telefon brüllen oder die Ver- bindung unterbrechen, teilen die unseriösen Unterneh- men dem Netzbetreiber mit, dass Sie in Zukunft die Ge- spräche über dieses Unternehmen abwickeln wollten. Der Netzbetreiber stellt um, die Kunden erhalten keine Nachricht. Sie merken erst, wenn die ersten Rechnungen vom Netzbetreiber und vom unseriösen Unternehmen kommen, dass irgendetwas nicht stimmt und sie Opfer krimineller Machenschaften geworden sind. Dann müssen die Kunden, oft ältere Menschen, von Pontius zu Pilatus laufen, um den Ursprungszustand wiederherzustellen. Geschädigt werden durch diese sogenannten unterge- schobenen Verträge nicht nur die Verbraucher, sondern auch ihre ursprünglichen Vertragspartner, die durch die Skrupellosigkeit der „schwarzen Schafe“ Kunden verlieren. Diesem Missbrauch schieben wir heute einen Riegel vor. Die Erklärung der Teilnehmer zur Einrichtung oder Änderung der Betreibervorauswahl oder die Vollmacht zur Abgabe dieser Erklärung bedarf zukünftig der Text- form. Der Netzbetreiber stellt nur um, wenn eine schrift- liche Erklärung des Konsumenten vorliegt – das kann eine Mail, eine SMS oder auch eine Postkarte sein. Sonst tut sich gar nichts. Auch wenn der eine oder andere Marktteilnehmer es lieber gehabt hätte, wenn nur eine notariell beglaubigte Erklärung wirksam wäre, glaube ich, dass wir hier die Balance zwischen dem Schutz der Verbraucher und der redlichen Marktteilnehmer einerseits und der Akquisitionsmöglichkeiten für Wettbewerber andererseits gewahrt haben. Hier zeigt sich wieder, dass der Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs in vielen Fällen auch der beste Schutz der Konsumenten ist. Klarheit und Wahrheit im Geschäftsleben nützt allen. Bitte lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf den nächsten großen Themenkomplex kommen: Die Strukturierung des Raumes der 0180er-Rufnummern für Servicedienste, die zum Beispiel Versandhändler, Versi- cherungen, die Post und viele andere Dienstleister nutzen. Die preiswerten Servicedienste, bei denen der Preis nicht – wie bei den 0900er-Nummern – vorher angesagt werden muss, müssen von den wesentlich teureren Premium- diensten abgegrenzt werden. Bisher hat die Bundesnetz- agentur gemäß § 67 Abs. 2 TKG Preishöchstgrenzen für Anrufe aus dem Festnetz bei Servicediensten festgelegt. Eine Preishöchstgrenze für Anrufe von Handys gibt es zurzeit nicht, das heißt, Sie wissen nie genau – wenn Sie vorher nicht die geradezu sprichwörtlich transparenten Preisübersichten der Mobilfunkunternehmen studiert ha- ben –, wie teuer das Gespräch eigentlich ist. Und das kann ins Geld gehen: Bis zu 87 Cent pro Minute werden derzeit für solche Anrufe in Rechnung gestellt. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Transparenz durchaus ver- besserungsbedürftig. Wir haben uns dafür entschieden, für Anrufe bei Ser- vicediensten aus dem Festnetz eine Preishöchstgrenze von 14 Cent pro Minute oder 20 Cent pro Anruf fest- zulegen. Dies orientiert sich an den von der Bundesnetz- agentur schon bisher festgelegten Preisen. Um den Raum der 0180er-Rufnummern abschließend zu struktu- rieren, haben wir uns auch für Preishöchstgrenzen für Anrufe aus den Mobilfunknetzen entschieden. Mit Regu- lierung hat das nichts zu tun. Solche Behauptungen wer- den auch nicht durch ständige Wiederholungen wahrer. Wir haben uns für Preisobergrenzen für den Mobil- funk auf 42 Cent pro Minute oder 60 Cent pro Anruf ent- schlossen. Damit tragen wir nicht nur den grundsätzlich anderen Kostenstrukturen im Mobilfunk Rechnung, son- dern auch dem Vertrauen der Anbieter in ihre Geschäfts- modelle. Es wird allzu leicht vergessen, dass es hier nicht nur um die vier Mobilfunkanbieter geht, sondern auch um eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen, die die nachgefragten Dienstleistungen erbringen. Bei der ursprünglichen Vorgabe des Regie- rungsentwurfs wären hier existenzbedrohende Margen- schrumpfungen nicht auszuschließen gewesen. Es er- schien uns auch nicht angebracht, die Innovations- und Investitionskraft der Mobilfunker durch eine überzogene Preishöchstgrenze zu schwächen. Deutschland braucht starke und leistungsfähige Mobilfunkanbieter, die auch die Erschließung des ländlichen Raumes mit schnellen Internetzugängen schultern können. Das Gesetz ermöglicht innovative Geschäftsmodelle. Viele Menschen in der Bundesrepublik haben inzwi- schen keinen Festnetzanschluss mehr, sondern telefonie- ren ausschließlich mobil. Dies führt dann aber auch sehr oft dazu, dass diese Mobilfunkanschlüsse nicht mehr in den Verzeichnissen der Telefonauskunft enthalten sind. Wir ebnen jetzt den Weg dafür, dass man andere Mobil- funkteilnehmer, deren Nummern man nicht weiß und auch nicht erfragen kann, trotzdem erreichen kann. Sie rufen bei einem Dienst an und erbitten eine Mobilfunk- nummer. Weil der Dienst die nicht herausgeben darf, schickt er dem angefragten Mobilfunkteilnehmer eine SMS, in der er diesem Gesprächswunsch, Name und Rückrufnummer übermittelt. Es muss gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 deutlich sichtbar und gut lesbar darauf hingewiesen werden, dass der Teilnehmer der Versendung weiterer Nachrichten jederzeit schriftlich oder elektronisch wider- sprechen kann. Diese Pflicht ist bußgeldbewehrt. Nach 23336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) erfolgtem Widerspruch ist die Übermittlung weiterer Kontaktwünsche unzulässig. Es ist also eine Opt-out-Mög- lichkeit gegeben. Dies ist wichtig, da niemand belästigt werden soll. Der Mobilfunkteilnehmer hat nun drei Mög- lichkeiten, auf die SMS mit der Rückrufbitte zu reagieren: ignorieren, weiteren Nachrichten solcher Art widerspre- chen oder aber zurückrufen. Dies ist ein Dienst, der in unsere mobile Zeit passt. Ein Dienst, der den Menschen nützt, innovativ ist und Arbeitsplätze sichert und schafft. Mit besonderer Freude habe ich gesehen, dass die FDP beim anderen TK-Thema, den Diensten, die auf der Ortung eines Mobiltelefons basieren, die Linie der Großen Koalition teilt. Die Standortdaten eines Handys können heute leicht auch von Privatfirmen ermittelt werden und für viele sinnvolle Dienste verwendet werden. Doch auch hier gilt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Unproblematisch sind Local Based Services, die dem In- haber des Handys – insbesondere in der Fremde – das Leben erleichtern. Die guten Feen aus der Welt der Dienstleister nennen ihm in Windeseile die indischen Restaurants, Werkstätten, Weinläden und vieles mehr in der Nähe seines Standorts. Hinter den Kulissen spielt sich Folgendes ab: Der Mobilfunkbetreiber übermittelt die Standortdaten auf Wunsch des Nutzers dem Informa- tionsdienst. Der wiederum übermittelt die gewünschten Informationen dem Nutzer. Alle sind zufrieden. Anders sieht es in den Fällen aus, in denen die Stand- ortdaten Dritten oder anderen Mobilfunkteilnehmern übermittelt werden. Hier besteht eine evidente Miss- brauchsgefahr. Ich will Ihnen dies an zwei Beispielen verdeutlichen: Person A überlässt ein Handy, das bei ei- nem Ortungsdienst angemeldet ist, Person B. Dadurch kann Person A Person B über die praktische und kosten- günstige Ortungsflatrate kontrollieren und den Standort von Person B erfahren. Oder: Ein Jugendlicher meldet sich per SMS bei einem Dienst an, der es allen Mitglie- dern seiner Clique erlaubt, sich über den Aufenthaltsort der anderen zu informieren. Auch wenn er die lustige SMS-Anmeldung längst vergessen hat, wird er geortet. Wir wollen die Dienste, aber nicht deren Missbrauch. Martin Dörmann (SPD): Heute ist ein guter Tag für den Verbraucherschutz in Deutschland: Vor wenigen Stunden haben wir im Bundestag das Gesetz zur Be- kämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbes- serung des Verbraucherschutzes bei besonderen Ver- triebsformen verabschiedet. Künftig können Verträge, die am Telefon abgeschlos- sen worden sind, generell widerrufen werden. In der Ver- gangenheit haben sich unseriöse Unternehmen immer wieder über das bereits geltende Recht hinweggesetzt, wonach telefonische Werbung verboten ist, wenn der Angerufene zuvor nicht eingewilligt hat. Die Verbrau- cherinnen und Verbraucher dürfen nicht durch unerbe- tene Werbung belästigt oder geschädigt werden. Schwar- zen Schafen sagen wir nachdrücklich den Kampf an. Verstöße werden künftig mit einem Bußgeld von bis zu 50 000 Euro bestraft. Auch die Rufnummerunterdrückung bei Werbeanru- fen ist nun verboten. Nur so lässt sich feststellen, wer wirklich angerufen hat. Missachtungen werden mit einer Geldbuße von bis zu 10 000 Euro geahndet. Diese Maßnahmen sind notwendig geworden, um der Fülle der vermeintlich oder tatsächlich untergeschobe- nen Verträge entgegenzuwirken, die insbesondere ältere Menschen getroffen hat. Nicht zuletzt stärken wir damit alle seriösen Anbieter. In dieser Debatte geht es um die Änderung des Tele- kommunikationsgesetzes. Auch hier verfolgt die Große Koalition das Ziel, die Verbraucherrechte zu verbessern und mehr Sicherheit und Transparenz zu schaffen. Im Bereich der Telekommunikation haben wir es mit einem besonders dynamischen Markt zu tun. Neue technische Möglichkeiten bringen immer wieder neue Geschäfts- modelle hervor. Das ist prinzipiell gut so. Allerdings muss der Gesetzgeber genau beobachten, wo es Ent- wicklungen im Markt gibt, die unerwünscht sind, und gegebenenfalls nachjustieren, um die Rechte der Tele- fonkunden zu wahren oder zu stärken. Dabei müssen wir insbesondere folgende Fragestellungen im Auge behal- ten: Wo gibt es Fehlentwicklungen? Wie können die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam gewahrt werden? Und wie können wir die Rahmenbe- dingungen für die TK-Unternehmen so setzen, dass wir die wirtschaftliche Dynamik in diesem Bereich nicht un- nötig bremsen und auch weiterhin Anreize für Investitio- nen setzen? Insgesamt geht es also darum, die notwen- dige Balance zwischen einem freien Markt und notwendigen Regulierungen zu wahren. Ein gutes Beispiel hierfür sind die 0180er-Rufnum- mern, die bisher „Geteilte-Kosten-Dienste“ heißen und nun im Gesetz als „Service-Dienste“ bezeichnet werden. Über diese Rufnummerngasse bieten die unterschied- lichsten Organisationen und Unternehmen Dienstleistun- gen an, von Banken und Versicherungen bis hin zu Be- hörden. Die Kunden beziehungsweise die Bürgerinnen und Bürger können über diese Nummern Informationen oder andere Servicedienste abrufen. Es ist wichtig, diese Rufnummerngasse so auszugestalten und zu strukturie- ren, dass die Anrufenden wissen, welche Kosten bei der Nutzung auf sie zukommen. Zugleich wollen wir unseriö- se Anbieter, die nur ein möglichst gutes Geschäft ma- chen wollen und den Rufnummernbereich zur „Tarnung“ nutzen, fernhalten. Aus diesem Grund gab es bislang schon eine Preishöchstgrenze für Anrufer aus dem Fest- netz in Höhe von 14 Cent pro Minute bzw. von 20 Cent pro Anruf. Neu eingeführt haben wir nun auch eine Preishöchstgrenze für Anrufe aus dem Mobilfunknetz, und zwar in Höhe von 42 Cent pro Minute bzw. von 60 Cent pro Anruf. Zugleich muss der Höchstpreis für einen Anruf aus den Mobilfunknetzen künftig angege- ben werden. Mit dieser Regelung tragen wir verschiede- nen Aspekten in angemessener Weise Rechnung: Der von einem Handy Anrufende weiß nun, was ihn der An- ruf höchstens kostet. Die unterschiedlichen Kosten für die Unternehmen bei Festnetz und Mobilfunk werden berücksichtigt. Zugleich bleibt den Unternehmen Spiel- raum für Preiswettbewerb. Und es wird erreicht, dass ein klarer Unterschied zur 0900er-Rufnummerngasse be- steht, in der höhere Preise möglich sind. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23337 (A) (C) (B) (D) Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregie- rung waren niedrigere Höchstpreise für Anrufer aus dem Mobilfunknetz vorgesehen, während die Mobilfunkun- ternehmen natürlich am liebsten auf neue Preisobergren- zen verzichtet hätten. Die nun gefundenen Beträge sind aus Sicht der Koalitionsfraktionen ein ausgewogener Kompromiss. Er wird der Zielsetzung der Bundesregie- rung, keine Preisregulierung, sondern lediglich eine bes- sere Strukturierung der Rufnummerngassen vorzuneh- men, voll gerecht. Alle gesteckten Ziele werden erreicht, ohne dass eine Überregulierung stattfindet, die die Marktdynamik unnötig bremst. Wir wollen, dass die Mobilfunkunternehmen auch in Zukunft im gesetzten Rahmen mit unterschiedlichen Preisen in den Wettbe- werb gehen können. Zugleich wollen wir Investitionsan- reize nicht unnötig bremsen. Zudem ist die Vorleistungs- kette in diesem Bereich zu berücksichtigen. Wir haben es nämlich nicht nur mit den Telekommunikationsunter- nehmen zu tun. Vielmehr werden die eigentlichen Tele- fondienste von produzierenden Unternehmen erbracht, die auch ausreichend am Umsatz partizipieren müssen. Ein zu geringer Preis könnte den notwendigen Spielraum für solche Dienste infrage stellen und somit bestimmte Serviceleistungen gefährden. Zudem würde ein zusätzli- cher Lohndruck auf die Beschäftigten entstehen, den wir vermeiden wollen. Der nunmehr festgelegte Höchstpreis wird diesen Gesichtspunkten gerecht. Dies ist auch ein Ergebnis der erweiterten Berichterstatterrunde, an der zahlreiche Experten und auch die Oppositionsfraktionen teilgenommen haben. Ich will einen zweiten Punkt nennen, bei dem wir ebenfalls zwischen den Interessen der Unternehmen ei- nerseits und den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher andererseits einen vernünftigen Ausgleich gefunden haben. In jüngerer Zeit werden zunehmend Dienste angeboten, bei denen die Teilnehmer ihr Handy orten lassen können und der Standpunkt verabredungs- gemäß an Dritte weitergegeben wird. Beispielsweise ge- schieht dies bei der Notfallortung älterer Menschen oder verlorengegangener Kinder. Ein anderes nutzerfreundli- ches Beispiel wird unter dem Begriff „Social Commu- nity“ zusammengefasst: Hierbei lassen sich unterwegs Freunde und Bekannte mit deren vorheriger Zustim- mung lokalisieren, die der Handynutzer spontan treffen oder besuchen will. Bislang genügte zur Beauftragung eines solchen Dienstes eine entsprechende SMS des Teilnehmers. Nun bewegen wir uns in diesem Bereich allerdings in einem sensiblen Umfeld, bei dem es um Datensicherheit geht. Möglichen Missbrauch durch Dritte wollen wir unbedingt vermeiden. Aus diesem Grund wird die Ortung eines Handys durch eine andere Privatperson nun strengeren Vorgaben unterworfen. Zu- künftig bedarf es einer schriftlichen und ausdrücklichen Einwilligung des Teilnehmers, also des Inhabers der Te- lefonnummer. Zudem muss der Diensteanbieter den Nut- zer nach fünfmaliger Verwendung des Ortungsdienstes informieren, sodass Kontrolle ermöglicht und Miss- brauch ausgeschlossen wird. Damit wird der Gefahr vor- gebeugt, dass beispielsweise ein Ehemann seiner Frau hinterherspionieren kann oder umgekehrt. Denn selbst wenn der Ehemann Inhaber des Handys sein sollte, würde die betroffene Ehefrau als Nutzerin per Kurznach- richt von der Ortung erfahren. Die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher werden künftig auch durch den Schutz vor untergescho- benen Verträgen gestärkt. In der Vergangenheit war die Form des „Slamming“, also des Unterschiebens von Ver- trägen, zu einer ärgerlichen Abzocke geworden, der das Gesetz den Garaus machen will. War es bisher so, dass die Umstellung des Telefonanschlusses auf eine Betrei- bervorauswahl (Preselection) praktisch auf Zuruf mög- lich war, wird künftig das Textformerfordernis zu mehr Rechtssicherheit bei allen Beteiligten führen. Viele Kun- den hatten gar nicht bemerkt, dass sie die Erklärung zu einem Vertragswechsel gegeben haben sollen, weil sie am Telefon lediglich der Zusendung von Informations- material zugestimmt hatten. So kam es in vielen Fällen nicht nur zu berechtigtem Ärger bei den Betroffenen, sondern auch zu juristischen Streitigkeiten. Flankiert wird diese Maßnahme von dem bereits erwähnten Ge- setz gegen unerlaubte Telefonwerbung, das ein allgemei- nes Widerrufsrecht für am Telefon abgeschlossene Ver- träge vorsieht. Des Weiteren geht es im Gesetzentwurf um die wirk- same Durchsetzung der europäischen Verordnung über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen. Diese sieht beispielsweise vor, dass den Kunden im europäi- schen Ausland für abgehende und ankommende Anrufe keine überhöhten Preise in Rechnung gestellt werden. Der Eurotarif soll ein hohes Verbraucherschutzniveau garantieren und zugleich für eine ausreichende Gewinn- spanne der beteiligten Unternehmen sorgen. Die tatsäch- liche Umsetzung der Verordnung muss auf der nationa- len Ebene sichergestellt werden. Hierzu sieht der Gesetzentwurf Bußgelder bei Verstößen der Unterneh- men vor. Außerdem werden die Befugnisse der Bundes- netzagentur gestärkt. Die Regulierungsbehörde kann von sich aus tätig werden, um die Einhaltung der Verordnung zu gewährleisten, und kann bei Verstößen die sofortige Beendigung anordnen. Die Zahl der Mobilfunkverträge ist in den vergange- nen Jahren rapide angestiegen. Inzwischen gibt es in Deutschland mehr Handys als Einwohner. Im Gegensatz zu den Inhabern von Festnetzanschlüssen sind die Han- dybesitzer nur in geringem Umfang in den Teilnehmer- verzeichnissen enthalten. Um hier Abhilfe zu schaffen, soll der Inhaber eines Mobilfunkanschlusses künftig per Textmitteilung über den Kontaktwunsch eines anderen Teilnehmers informiert werden. Dabei werden Name und Telefonnummer des Interessenten angegeben. Der gesuchte Teilnehmer kann somit selbst entscheiden, ob er den Kontakt erwidern will, ohne dass es zur Übermitt- lung seiner Mobilfunknummer kommt. Schließlich haben wir auch den Dienst für gehörlose und hörgeschädigte Menschen umfassend geregelt. Diese können die bereitgestellten Vermittlungsdienste der Anbieter zu einem erschwinglichen Preis und unter Berücksichtigung ihrer besonderen Situation in An- spruch nehmen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist es gelungen, die Verbraucherrechte so zu stärken, dass zugleich auch 23338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) für die Unternehmen ein zusätzlicher Nutzen entsteht, sei es durch mehr Transparenz, attraktive Dienste oder größere Rechtssicherheit. Deshalb bitte ich um Ihre Zu- stimmung. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Der vorlie- gende Entwurf zur Änderung des Telekommunikations- gesetzes ist ein Flickwerk von Einzelmaßnahmen ohne klare sachliche oder ordnungspolitische Linie. Die Bun- desregierung hat es bis heute nicht bewerkstelligt, fun- dierte Begründungen für einen großen Teil der Änderun- gen vorzulegen. Andere Stellschrauben werden sogar bewusst in die falsche Richtung gedreht. Damit ich Ihnen nicht den Abend vermiese, beginne ich mit den positiven Aspekten des Gesetzentwurfes. So- gar davon gibt es einige wenige. Zunächst ist zu begrü- ßen, dass Sie das Thema Standortdaten aufgenommen haben, wie es auch von der FDP vorgeschlagen wurde. Der Antrag der FDP dazu wird hier heute ebenfalls bera- ten, und ich bitte um Ihre Unterstützung. Ebenfalls be- grüßenswert ist die Ermöglichung eines innovativen Dienstes durch eine Ergänzung von § 95 Abs. 2, mit dem von beiden Seiten gewünschte Kontaktaufnahmen zwi- schen Bürgern im Einklang mit Datenschutzerfordernis- sen ermöglicht werden. Überhaupt kein Verständnis habe ich allerdings nach wie vor für die von der Bundesregierung vorgeschlage- nen Preisobergrenzen in der 0180er-Nummerngasse. Bei einem erweiterten Berichterstattergespräch zu diesem Gesetzentwurf hatten wir uns alle gewünscht, die Argu- mente der Bundesregierung zu den Preisobergrenzen nachgeliefert zu bekommen. Wir mussten feststellen: Es existierten keine, jedenfalls keine tragfähigen. Die Fest- setzung der Obergrenze ist völlig willkürlich, ordnungs- politisch verfehlt und entbehrt jeglicher Notwendigkeit. Bis heute konnten weder die Vertreter der Bundesregie- rung noch die Vertreter der Großen Koalition nachvoll- ziehbar darlegen, worin überhaupt der Anlass für einen solch schwerwiegenden Eingriff in den Markt liegen soll. Massenhafter Missbrauch zumindest konnte nicht nachgewiesen werden; er liegt tatsächlich auch nicht vor. Mich persönlich hat in diesem Zusammenhang auch das Festhalten am Textformerfordernis nach wie vor nicht überzeugt. Bereits das geltende Recht verfügt über hinreichende Mechanismen. Das Textformerfordernis er- höht die Bürokratie und behindert den Wettbewerb; denn viele auch vom Kunden eigentlich gewünschte Vertrags- wechsel werden aufgrund des Aufwandes, den das Text- formerfordernis mit sich bringt, nicht abgeschlossen werden. Außerdem wird diese Vorgabe ohnehin nur die seriösen Anbieter treffen; die wenigen Abzocker lassen sich doch davon nicht beeindrucken. Untergeschobene Verträge – ob sie schriftlich hätten fixiert werden müssen oder nicht – sind ja schon bisher nicht zulässig, kommen aber trotzdem vor. Die FDP-Bundestagsfraktion kann dem vorliegenden Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Es ist bedauer- lich, dass auch die Vertreter der Großen Koalition den Telekommunikationsmarkt nach wie vor eher als Tum- melbecken fieser Abzocker verstehen statt als innovati- ven und immer wichtigeren Teil der Volkswirtschaft, der bisher der Wirtschaftskrise besser trotzt als fast alle an- deren Branchen. Gerade in der aktuellen Situation halte ich das für töricht. Vor diesem Hintergrund möchte ich auch auf die Breitbandstrategie der Bundesregierung hinweisen, die nach eigenem Bekunden die Förderung einer wachs- tums- und investitionsorientierten Regulierung zum Ziel hat. Die vorgesehene gesetzliche Festschreibung von Preisobergrenzen, welche von tatsächlichen Preisbil- dungsprozessen vollständig entkoppelt ist, steht dem entgegen. Wir sollten keine widersprüchlichen Signale setzen, zumal für den Fall, dass sich die Bundesregie- rung bei den ausgeheckten Preisen irrt – so etwas soll ja vorkommen –, eine neuerliche Anpassung nur über den gesetzlichen Weg möglich wäre. Unflexibler und fort- schrittsfeindlicher geht es kaum, zumal diese Lösung die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur aushebelt. Die nun hoffentlich baldmöglichst endende Legisla- turperiode ist gekennzeichnet von einer massiven Aus- weitung von Überwachung und Speicherungspflichten. Dabei wurde ein gesundes Maß zwischen gebotenen Si- cherheitsinteressen einerseits und dem Schutz der Mei- nungs-, Medien- und Kommunikationsfreiheit anderer- seits häufig nicht gefunden. Diese Tatsache wurde der Bundesregierung von unterschiedlichsten gerichtlichen Instanzen bereits mehrfach unter die Nase gerieben. Die anstehende Änderung des TKG hätte die Möglichkeit er- öffnet, wenigstens eine kleine Verbesserung bei der Rechtssicherheit im Telekommunikationsbereich durch die Verlängerung des Bußgeldmoratoriums in § 150 Abs. 12 b zu erreichen. Auch das haben Sie versäumt, ohne Begründung wohlgemerkt. Den ausformulierten Änderungsantrag, welchen die FDP-Fraktion im Aus- schuss für Wirtschaft und Technologie gestellt hatte, ha- ben Sie ja leider einfach abgelehnt. Die FDP-Fraktion hat heute einen Entschließungsan- trag zum TKG-Änderungsgesetz vorgelegt, der die größ- ten Löcher des Regierungsentwurfs stopfen soll. Ich bitte Sie nicht nur, sondern ich empfehle Ihnen nach- drücklich, diesem Ihre Zustimmung zu geben. Der er- folgreiche Wettbewerb zugunsten von Innovation und Investitionen im Telekommunikationssektor, von dem nicht zuletzt die Verbraucher durch attraktive Dienste und günstige Preise profitieren, muss fortgeführt wer- den. Der Regierungsentwurf zielt im Großen und Gan- zen genau in die andere, die falsche Richtung. Reißen Sie das Ruder noch herum! Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Der Entwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes liegt jetzt schon seit mehr als einem Jahr vor. Schade dass der Ver- braucherschutz von dieser Regierung immer wieder auf die lange Bank geschoben wird, bevor es zu Beschlüssen kommt. Wir hätten sicherlich gerne alle etwas länger ge- wartet, wenn in der Zwischenzeit noch grandiose Ver- besserungen am Gesetz erfolgt wären; aber das ist ja nicht passiert. Verstehen Sie mich nicht falsch. Die vorliegenden Änderungen gehen zum Teil in die richtige Richtung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23339 (A) (C) (B) (D) Wenn beispielsweise Vermittlungsdienste für Gehörlose verpflichtend eingeführt werden und wenn der Abzocke- rei mit Telefonservicediensten endlich zumindest ansatz- weise entgegengetreten wird, dann ist das zu begrüßen. Gerade Telefongespräche über die 0180-Vorwahl, die auch von öffentlichen Stellen benutzt wird, dürfen nicht zu teuer sein, wenn die Telefonrechnung keine bösen Überraschungen bringen soll. Schade ist allerdings, dass die Bundesregierung so zaghaft handelt, wenn es um den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern geht. Noch schlimmer ist es, dass die Koalitionsfraktionen nur einen Tag vor der Beratung im Wirtschaftsausschuss den Entwurf der Regierung noch einmal entscheidend ver- schlechtert haben. Dafür sollten Sie sich schämen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband betont be- reits seit langem, dass Preishöchstgrenzen für 0180er- Nummern einheitlich bei 10 Cent liegen müssten, um die Verbraucher vor Abzocke zu schützen. Die Bundesregie- rung hatte die Höchstgrenze für Telefonate aus dem Festnetz bei 14 Cent festgelegt und für Anrufe vom Handy – ohne triftige Begründung – sogar bei 28 Cent. Jetzt kommt die Große Koalition und erhöht die Grenze im Mobilfunk in letzter Minute noch einmal auf 42 Cent. Es ist klar, woher dieser Sinneswandel kommt; schließ- lich hatten die Telefonkonzerne im Vorfeld der Beratun- gen lauthals gejammert, sie würden bei Preisobergrenzen überhaupt keine Gewinne mehr machen. SPD und Union fallen ein weiteres Mal vor den Konzernlobbyisten auf die Knie – ein trauriges Bild. Auch beim Schutz vor untergeschobenen Verträgen hätten Sie mutiger sein können, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD. Zu Recht beklagen ja auch Sie, dass unseriöse Unternehmen den Telefonver- trag von Verbrauchern zum Teil ohne deren Wissen ab- ändern lassen. Warum verlangen Sie aber in Ihrem Ge- setz bei der Betreibervorauswahl nur Textform und nicht Schriftform, also eine eigenhändige Unterschrift des Te- lefonkunden? Wenn ein Kunde wirklich seinen Vertrag ändern oder zu einem anderen Anbieter wechseln will, so sollte er das selbst mit seiner Unterschrift bestätigen – nur so ließe sich Missbrauch wirklich ausschließen. Dennoch: Kleine Verbesserungen sind besser als gar keine. Deshalb wird Die Linke Ihr Gesetz nicht ableh- nen, sondern sich enthalten. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes setzt eine EU-Verord- nung zum Thema Roaming um und enthält gleichzeitig weitere verbraucherpolitische Aspekte des Telekommu- nikationsmarktes. Wir begrüßen, dass mit dem Gesetz Verbraucherrechte und der Verbraucherschutz gestärkt werden sollen. Da Verbraucherschutz aber nachweislich nicht die Stärke der Großen Koalition ist, ist es wenig verwunderlich, dass einige Änderungen auf halber Stre- cke stehen bleiben und nicht des Pudels Kern treffen. Konkret geht es um das Problem der sogenannten untergeschobenen Verträge. Kunden werden ohne ihr persönliches Einverständnis zur Umstellung der Betrei- berauswahl gebracht. Dem Missbrauch bei der Betreiber- auswahl soll mit dem Gesetz ein Riegel vorgeschoben werden. Wir begrüßen, dass diese Problematik endlich angegangen wird; doch leider geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung an dieser Stelle nicht weit genug. Im Gesetzentwurf wird die Textform zur Bestätigung der Betreiberauswahl vorgesehen. Dies reicht nicht aus, um Betrug wirksam zu bekämpfen, weil die bloße Textform nicht zwangsläufig eine eigenhändige Unterschrift vor- sieht. Wir fordern, die Schriftform als verbindlich in das Gesetz aufzunehmen. Kunden müssten so für einen Ver- tragsabschluss den Stift in die Hand nehmen und wären vor dubiosen Verträgen deutlich besser geschützt. Ähnlich unzureichend wie bei den untergeschobenen Verträgen sieht der Gesetzentwurf bei dem brisanten Thema der Lokalisierungsdienste im Mobilfunk aus. Erstens ist dieses Thema erst durch die Stellungnahmen des Bundesrates auf die Agenda des Gesetzesentwurfs genommen worden, und zweitens wird das Problem des Datenschutzes nicht gelöst. Die FDP weist in ihrem Antrag zu Recht auf das Recht einer jeden Person auf in- formationelle Selbstbestimmung hin. Mit der jetzigen Formulierung in § 98 Abs. 1 Satz 1 – „… seine Einwilli- gung ausdrücklich, gesondert und schriftlich erteilen“ – kann dem Problem des Missbrauchs nicht wirklich be- gegnet werden. Wenn Handyvertragspartnerin und Han- dynutzer auseinanderfallen, kann der Ortungsdienst nach wie vor untergeschoben werden. Wir finden den Vor- schlag des BITKOM, eine Einwilligung per SMS zu ge- ben, die mit einer Auftragsbestätigung per SMS und ei- ner Information, wie der Dienst sofort beendet werden kann, ergänzt durch SMS-Benachrichtigungen, verfol- genswert. So weiß jeder, sobald der Lokalisierungsdienst ohne sein Wissen eingerichtet wurde, a) dass man über- wacht wird und b) wie man den Dienst wieder abstellen kann. Auch die Preisfestlegung für Anrufe bei Service- diensten der 0180er-Nummern gibt uns Rätsel auf. Prin- zipiell befürworten wir einen verbraucherfreundlichen Schutz vor überhöhten Gebühren. Es bleibt aber offen, ob diese Preisfestsetzung in § 66 des TKG geregelt wer- den muss oder ob sie nicht Aufgabe der Bundesnetz- agentur ist. Die Preisgrenze von ursprünglich 28 Cent pro Minute und jetzt 42 Cent pro Minute für Anrufe aus dem Mobilfunknetz sind beide nicht aus Kostenberech- nungen oder einer Marktanalyse abgeleitet. Im erweiterten Berichterstattergespräch zum TKG forderte die Verbraucherzentrale Bundesverband sogar, den Preis noch weiter zu senken. Weder Verbandsvertre- ter noch die Vertreter des BMWi konnten eine plausible Preiskalkulation vorlegen. Folglich erscheinen die Preis- grenzen für den Mobilfunk aus der Luft gegriffen. Für das Festnetz wird die Preisgrenze von 14 Cent pro Mi- nute aus dem Preis, der sich am Markt entwickelt hat und von der Bundesnetzagentur festgesetzt wurde, abge- leitet. Uns bleibt aber verschlossen, wieso für Gespräche aus Mobilfunknetzen ein dreifacher Preisaufschlag zu- lässig sein soll. Im Sinne der Verbraucherinnen und Ver- braucher hätten wir uns eine verpflichtende Preisansage zu Beginn eines Anrufs mit genauen Preisangaben ge- wünscht. Dadurch wäre es ein Leichtes, Transparenz in 23340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) das Dickicht der unterschiedlichen Tarife für Service- dienste der 0180er-Nummern zu bringen. An meinen Ausführungen wird deutlich, dass die Bundesregierung zwar den richtigen Ansatz verfolgt, aber mal wieder die nötige Konsequenz vermissen lässt. Statt Probleme umfassend im Sinne der Verbraucher zu lösen, wird ein Gesetzentwurf mit vielen Lücken vorge- legt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Für eine zukunftstaug- liche und menschenrechtlich fundierte Europäi- sche Migrationspolitik (Tagesordnungspunkt 18) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Was die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen uns hier als Antrag auf- tischt, kommt mir vor wie ein Eintopf. Willkürlich haben Sie verschiedene Zutaten aus dem Gemischtwarenladen Ihrer Flüchtlingspolitik zu einem bunten Eintopf zusam- mengerührt. Ob dieser Eintopf so gut schmeckt wie der samstägliche Eintopf bei mir zu Hause, wage ich zu be- zweifeln. Der Europäische Pakt zu Einwanderung und Asyl hat eine koordinierte Einwanderungs- und Asylpolitik der Mitgliedstaaten zum Ziel. Keineswegs geht es darum, Europa zu einer undurchlässigen Festung zu machen, wie vielfach von linker Seite behauptet wird. Wir wollen in und für die EU legale Wege zur Einwanderung benö- tigter Arbeitskräfte öffnen. Illegale Einwanderer sollen in ihre Heimat zurückgeschickt werden, können aber aus wirtschaftlichen Gründen auch Aufenthaltsgenehmigun- gen bekommen. Es ist richtig, dass diese Entscheidungen in den Mitgliedstaaten gefällt werden. Denn nur dort kann am besten beurteilt werden, ob die wirtschaftliche Situation und die Lage am Arbeitsmarkt Zuwanderung erforderlich machen. Wir möchten wirtschaftliche Mi- gration ermöglichen, dies aber doch an den Erfordernis- sen der Menschen, gleich ob Deutsche oder ausländische Mitmenschen, die bereits bei uns leben und arbeiten, orientieren. Was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bünd- nis 90/Die Grünen, wollen, ist eine unkontrollierte Zu- wanderung auf unseren Arbeitsmarkt und damit auch in unser Sozialsystem. Das kann man nur als verantwor- tungslos bezeichnen. Wenn Fachkräfte benötigt werden und unter den bereits hier lebenden Menschen nicht zu finden sind, dann, aber auch nur dann sollten wir natür- lich auf einwanderungspolitische Instrumente zurück- greifen. Es ist unbestritten, dass wir in dem einen oder anderen Bereich Einwanderung benötigen werden. Es kann jedoch nicht unser Auftrag sein, hier lebende Fach- kräfte durch Zuwanderer zu ersetzen, nur weil Erstere „zu teuer“ sind. Wir sind ferner in der Verantwortung ge- genüber den Ländern, aus denen die Menschen zuwan- dern wollen. Gesteuerte Zuwanderung bedeutet nämlich auch, dass dafür Sorge getragen wird, dass die Länder in Afrika, Asien und Südamerika nicht urplötzlich eine er- hebliche Zahl an dringend benötigten Fachkräften verlie- ren. Zur Schleuserproblematik. Ich glaube, es ist das Ziel der meisten Fraktionen im Bundestag, Schleusern und Schleppern das Handwerk zu legen. Wir können dem tödlichen Geschäft der Schleuserbanden die Existenz- grundlage nur entziehen, indem wir dann, wenn im Falle ihrer Heimkehr keine Gefahr für die Menschen besteht, Rückführungen auch konsequent durchführen. Ihr Be- mühen, illegalen Flüchtlingen aus humanitären Erwä- gungen heraus zu einem dauerhaften Bleiberecht zu ver- helfen, in allen Ehren. Aber Legalisierungskampagnen, wie Sie sie in Ihrem Europawahlprogramm fordern, könnten von Schleppern und Schleusern eher als Ermun- terung verstanden werden. Wenn Sie auch noch Gesund- heitsversorgung und Schulbesuch fordern, dann fehlen mir schon die Worte. Schließlich muss sich in den Her- kunftsländern herumsprechen, dass es nicht attraktiv ist, auf illegalem Wege nach Europa zu kommen. Leider unterstellen Sie in Ihrem Antrag dem Europäi- schen Migrations- und Asylpakt, er sei überwiegend re- striktiv formuliert. Das ist der Pakt nicht; Europa lässt die Herkunftsländer mit ihren Sorgen nicht allein. Wir sehen die Partnerschaft mit den Herkunftsstaaten als eine dringende Notwendigkeit, um illegale Migration mit all ihren Gefahren, auch und gerade für die Migrantinnen und Migranten, zu bekämpfen. Ich zitiere an dieser Stelle den Bundesinnenminister: … und das erreichen wir natürlich besser, wenn wir es als Europäer gemeinsam machen. Wenn wir ge- meinsam handeln, haben wir eher eine Möglichkeit, afrikanische Staaten davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse ist, Illegale auch zurückzuneh- men. Zur Bekämpfung von Schleuserbanden gehört, dass die Arbeit von FRONTEX gestärkt wird. Ich bitte Sie, Ihre ideologischen Scheuklappen und Ihr stetes Miss- trauen gegen Polizei und Militär abzulegen. Die Bundes- polizei beteiligt sich mit Hubschraubern daran, Menschen, die durch gewissenlose Schleuser in Lebens- gefahr gebracht wurden, aus selbiger zu retten. FRON- TEX nimmt an den Außengrenzen die Aufgaben war, die wir früher an den Binnengrenzen der EU, welche, Gott sei Dank, nicht mehr da sind, ausgeführt haben. Die Floskel von der „Festung Europa“ soll wohl suggerieren, dass wir uns hier einmauern und niemanden reinlassen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir fördern eine maß- geschneiderte und passgenaue Migration, die den Men- schen, sowohl denen, die nach Europa kommen wollen, als auch unseren Bürgerinnen und Bürgern, gerecht wird. Dabei handeln wir natürlich auch in Verantwor- tung für unsere Sicherheit und unsere Arbeitsmärkte. Wir begreifen die Globalisierung auch im Migrationsbe- reich als Chance für uns und für die Herkunftsländer. Ich finde es unerträglich wie hier mit dem Kampfbegriff „Festung Europa“ Stimmung gemacht wird. Dann fordern Sie für Drittstaatsangehörige, die sich länger hier in Deutschland aufhalten, als Beitrag zu de- ren besserer Integration aktives und passives Wahlrecht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23341 (A) (C) (B) (D) Für die kommunale Ebene haben wir im Koalitionsver- trag einen Prüfauftrag dazu vereinbart, und dazu gibt es ja, das will ich gerne einräumen, unterschiedliche Rechtsauffassungen. Ich sage aber ganz klar, dass ein solches Wahlrecht am Endpunkt der erfolgreichen Inte- gration eines ausländischen Mitbürgers, nämlich mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, stehen sollte. Volle Staatsbürgerrechte stehen am Ende einer ge- glückten Integration nicht am Anfang. Alles andere wäre widersinnig. Hinzu kommt, dass sich zwar die Mehrheit der hier lebenden Drittstaatsangehörigen nach Recht und Gesetz verhalten, es aber auch eine kleine Minderheit gibt, die insbesondere das passive Wahlrecht dazu nut- zen, sich für politische Ideologien und ausländische Gruppierungen einsetzen, die mit unserem Verständnis von einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nichts zu tun haben. Sie täuschen sich, wenn Sie denken, ein von vornherein eingeräumtes Wahlrecht sei ein Mit- tel zur Integration. Das stimmt nur insofern, als das Wahlrecht und alle Staatsbürgerschaftsrechte ein Anreiz für Integrationsbemühungen der Migranten darstellen. Sie und ja wohl auch der SPD-Kollege Veit wollen das Pferd von hinten aufzäumen, indem Sie das Wahlrecht an jeden verschenken wollen. Was die gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung angeht, ein Großteil der Kommunen begrüßen dies eben- falls, so muss ich Ihnen leider sagen: Diese Behauptung wird durch permanente Wiederholung nicht richtiger. Im Gegenteil, der Deutsche Städtetag lehnt dies ab. Gleich- wohl wissen wir natürlich, dass Migrantinnen und Mi- granten aus Drittstaaten bei den Angelegenheiten, die sie betreffen, ein Mitspracherecht brauchen. Dazu gibt es in vielen Kommunen kommunale Ausländerbeiräte, wo Drittstaatsangehörige am kommunalen Geschehen betei- ligt werden. Und man kann sicher bei den Kommunen in Deutschland dafür werben, von dieser Möglichkeit stär- ker Gebrauch zu machen; denn ein Gremium, in dem so- wohl die Integrationswilligen als auch die integrierenden Kommunen zusammenkommen, kann bei der Integra- tion nur helfen. Der von Ihnen hier zusammengerührte Eintopf ist we- der für die Migranten noch für unsere Bürgerinnen und Bürger bekömmlich. Deshalb lehnen CDU und CSU den Antrag ab. Die CDU/CSU steht voll und ganz hinter der Einwanderungs- und Asylpolitik von Herrn Bundes- innenminister Dr. Schäuble, auch wenn diese von eini- gen Kolleginnen und Kollegen der SPD nicht voll unter- stützt wird. Rüdiger Veit (SPD): Vor fünf Monaten haben wir hier schon einmal über diesen Antrag debattiert, und schon damals habe ich gesagt, dass der Antrag aus Sicht der SPD-Fraktion ganz überwiegend richtigen Inhalts ist. Inzwischen hat auch das Europäische Parlament der Blue-Card-Richtlinie Ende November zugestimmt. In diesem Punkt hat die – positive – Realität den Antrag überholt. Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialde- mokratischen Abgeordneten im Europäischen Parlament haben die Blue-Card-Initiative immer ausdrücklich be- grüßt. Ohne Zweifel wird die Regelung – vernünftig aus- gestaltet und angewandt – dazu beitragen, dass Europa vor allem im Wettbewerb mit anderen Einwanderungs- ländern – ein solches ist Deutschland – an Attraktivität gewinnt. Das ist dringend notwendig; denn wir brauchen Einwanderung Hochqualifizierter als Bereicherung für unsere Gesellschaft. Aber wir brauchen eben nicht nur die hochqualifizierten Einwanderer, um zum Beispiel den Folgen des demografi- schen Alterungsprozesses und dem Problem des Fachkräf- temangels nachhaltig begegnen zu können. Langfristig wollen wir die Vorrangprüfung als Grundsatz der deutschen Migrationspolitik nach und nach aufheben und schließ- lich ein Punktesystem mit Kontingenten für die Anzahl der Arbeitsmigranten einführen. Das ist, wie Sie alle wissen, keineswegs ein neuer Gedanke; die Einführung eines Punktesystems war unter der rot-grünen Bundes- regierung Gegenstand der Verhandlungen zum neuen Zuwanderungsrecht. Damals scheiterte dieses Vorhaben am Widerstand der CDU/CSU im Bundesrat. Möglichkeiten zur legalen Migration können zudem dazu beitragen, illegale Einwanderung nach Europa ein- zudämmen. Wir sind einer Meinung mit den Antragstellern, die ei- nen menschenrechtlich einwandfreien Umgang mit soge- nannten Bootsflüchtlingen fordern. Menschenrechte sind universell gültig, ohne Frage. Das ist selbstverständlich. Die Thematik der Bootsflüchtlinge und die Gefahr der Umgehung des Refoulement-Verbotes sind uns daher sehr präsent, insbesondere die Problematik der sogenannten gemischten Migrationsströme, also Migrantengruppen, deren Mitglieder zum einen aus Migranten bestehen, die zum Zweck der illegalen Arbeit nach Europa wollen, auf der anderen Seite aber auch aus Migranten, die nach in- ternationalen Konventionen schutzbedürftig sind. Letz- teren muss nach unserer Überzeugung Zugang zu einem Staatsgebiet gewährt werden, auf dem solche Verfahren überhaupt möglich sind. Dies ist in keinem afrikanischen Staat der Fall. Die Thematik der gemischten Flüchtlings- ströme haben wir anlässlich einer Dienstreise von Mit- gliedern der AG Inneres nach Warschau gerade letzte Woche mit dem Strategic Development Officer bei FRONTEX erörtert. Es ist klar geworden, dass es für den Umgang mit Bootsflüchtlingen keine einheitliche Hand- habe gibt, aber eine solche dringend notwendig ist. Wir unterstützen daher die Empfehlung des Deutschen Institutes für Menschenrechte, den Schengener Grenzkodex menschenrechtskonform auszugestalten und verbindliche Regelungen für den Umgang mit Bootsflüchtlingen sowie eine Entlastung der EU-Randstaaten auf EU-Ebene zu beschließen. Solange ein solidarisches System in der EU fehlt, das die durch Asylanträge und Grenzschutz über- proportional belasteten Randstaaten wie Griechenland, Malta, Spanien oder Italien entlastet, und der Schengener Grenzkodex grundlegende Menschenrechtsstandards nicht klar und verbindlich festschreibt, solange wird sich an der gegenwärtigen unbefriedigenden Situation nichts ändern. Die SPD-Fraktion wird sich in der EU für eine solche Änderung einsetzen. Nur so kann Deutschland seiner Verantwortung für den Grundrechtsschutz an der ge- meinsamen EU-Außengrenze gerecht werden. 23342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Die weiteren im Antrag enthaltenen Ideen zur Sicher- stellung des menschenrechtskonformen Umgangs mit Bootsflüchtlingen wie zum Beispiel eine intensive Schu- lung für Mitarbeiter von europäischen- und Grenzschutz- behörden bezüglich internationalen Menschenrechts- und Flüchtlingsschutzes und die Sicherstellung einer parlamen- tarischen Kontrolle der Grenzschutzagentur FRONTEX sind gut. Gerne werden wir diese Vorschläge aufgreifen und ebenfalls auf EU-Ebene unterstützen. Wie sie alle wissen, hat der Rat der Europäischen Union mit Beschluss vom 27. November letzten Jahres die Aufnahme von insgesamt 10 000 irakischen Flücht- lingen aus Syrien und Jordanien beschlossen. Bund und Länder haben sich geeinigt, 2 500 Flüchtlingen die Auf- nahme – Resettlement – in Deutschland zu gewähren. Die ersten Flüchtlinge sind bereits in Deutschland ange- kommen. Auch wenn diese Aktion einmalig sein sollte und nicht unter dem Stichpunkt eines allgemeinen Re- settlement-Programms für die EU diskutiert worden ist, so freue ich mich darüber und werte die Aufnahme der irakischen Flüchtlinge quasi als Fortschritt hin zu einem EU-weiten Resettlement-Programm. Dem können Sie unschwer entnehmen, dass wir auch für die Etablierung eines solchen europaweiten Systems sind. Wiederholt hat zudem Bundesinnenminister Schäuble das Thema bei JI-Treffen auf die Tagesordnung gesetzt, und wir werden ihn in diesem Punkt weiter unterstützen. Im Asylbereich streiten wir auf EU-Ebene – wie die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen – für eine gleichmäßigere und solidarischere Lastenvertei- lung bei der Aufnahme von Flüchtlingen und den anfallen- den Kosten nicht nur im Zusammenhang mit den Boots- flüchtlingen. Wir stehen hier unter zwei Gesichtspunkten in der Verantwortung: Erstens müssen wir häufiger als bisher von der Möglichkeit des Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen, wenn in dem nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Staat die Durchführung eines rechtsstaatlichen Asylverfahrens nicht gewährleistet ist. Sie wissen, dass das zum Beispiel in Griechenland leider nicht der Fall ist. Das führt mich zum zweiten Gesichtspunkt: So richtig es ist, dass die Zustände in Griechenland dramatisch sind, so falsch wäre es, hier allein mit dem erhobenen Zeigefinger zu reagieren. Wichtiger ist es, ein europäi- sches Lastenteilungssystem zu etablieren, damit wir inner- halb einer solidarischen Gemeinschaft von EU-Mitglied- staaten die Staaten an den Südgrenzen der EU mit ihren Herausforderungen nicht alleine lassen. Wir werden uns deshalb nicht nur bei der anstehenden Überarbeitung der Dublin-II-Verordnung dafür einsetzen, dass Personen nur dann in das Erstasylland zurückgeschoben werden können, wenn dort die Durchführung eines vollständigen Asylverfahrens garantiert ist. Wir werden uns auch für die geforderte Lastenteilung einsetzen. Zum Thema Rückführungsrichtlinie habe ich schon in meinem ersten Redebeitrag zu diesem Antrag festgestellt, dass sie inhaltlich sowohl für unsere Kolleginnen und Kollegen in Brüssel als auch für uns ein schwerer Kom- promiss war und ist. Immerhin legt sie aber allgemein- verbindliche Mindeststandards fest. Das ist insbesondere für die Staaten von Bedeutung, die in zentralen Fragen wie der Haftdauer oder der Befristung von Wiedereinreise- sperren zurzeit noch über keinerlei Standards verfügen. Mit Bauchschmerzen haben unsere europäischen Kolle- ginnen und Kollegen daher die Regelung befürwortet. Diesen umkämpften Kompromiss jetzt noch einmal auf- zuschnüren ist illusorisch. Die Aufgabe, die jetzt vor uns als Parlamentarier eines mitgliedstaatlichen Parlamentes vor allem liegt, ist eine andere als die im Antrag vorgeschlagene. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf verweisen, dass es eine politische Verabredung im Rat gab, wonach sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben, bestehende innerstaatliche Standards nicht abzusenken, sofern sie höher als die von der Richtlinie vorgegebenen sind. Deshalb müssen wir nunmehr unsere innerstaatlichen Standards prüfen und sie anheben, wo die Richtlinie dies erfordert, ohne sie abzusenken, wo sie es erlaubt. Mittel- fristig werden wir jedoch auf eine Anhebung der einzel- nen Standards auch auf europäischer Ebene hinarbeiten. Auch müssen für Abschiebegefängnisse europäische Mindeststandards gelten, damit die Menschen und ins- besondere besonders schutzbedürftige Personengruppen wie Frauen, unbegleitete Minderjährige und Behinderte nicht unwürdig untergebracht werden. Gleichwohl hätten wir uns im Zusammenhang mit der Rückführungsrichtlinie aber vor allem gewünscht, dass eine Inhaftierung Minderjähriger grundsätzlich aus- geschlossen ist oder zumindest Altersuntergrenzen fest- gelegt werden. Außerdem ist die in der Richtlinie einge- räumte Möglichkeit einer Haftdauer von bis zu achtzehn Monaten zu lang, erst recht natürlich für ein Kind. Unbegleitete Kinder und Jugendliche sind von den Restriktionen in der Abschiebungshaft ganz besonders betroffen; darüber besteht zwischen uns sicher Einigkeit. Die Erfahrung der Haft in einem Land, von dem sich die Kinder und Jugendlichen Sicherheit und Schutz vor der Verfolgung im Herkunftsland erhofft haben, hat immense Auswirkungen auf die aktuelle psychische Situation der Betroffenen und auf ihre weitere Entwicklung. In inter- nationalen Übereinkommen wie der UN-Kinderrechts- konvention werden deshalb hohe Hürden gegen die Inhaftierung Minderjähriger errichtet. Der Hohe Flücht- lingskommissar der Vereinten Nationen – UNHCR – in- terpretiert die UN-Kinderrechtskonvention so, dass Abschiebungshaft bei Kindern unter 16 Jahren grund- sätzlich nicht und bei Jugendlichen unter 18 Jahren nur als letztes Mittel verhängt werden darf. In einigen Bundesländern existieren Erlasse, die die Verhängung von Abschiebungshaft bei Kindern unter 16 Jahren generell untersagen, so in Baden-Württem- berg, Bayern, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Thüringen. Unser Ziel sollte es sein, dies unbedingt für alle Bundesländer zu erreichen. Ich möchte jetzt noch ein Stichwort nennen, das nicht in dem vorliegenden Antrag vorkommt, aber zum Gesamt- kontext sehr wohl gehört. Auch habe ich es schon in meinem Redebeitrag zu diesem Antrag in erster Bera- tung und bei vielen anderen Gelegenheiten genannt: Beschulung von Kindern ohne einen legalen Aufenthalts- status. Wiederholt möchte ich darauf hinweisen, dass wir in dieser Angelegenheit meiner Ansicht nach eine Eini- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23343 (A) (C) (B) (D) gung dahin gehend gefunden haben, das sich illegal bei uns aufhältigen Kindern der Schulbesuch ohne Angst vor Entdeckung – sonst ist es eben in der Praxis nicht die Gewährung des Schulbesuchs – gewährleistet werden muss. Für diejenigen unter Ihnen, die immer noch nicht ganz überzeugt sind, habe ich etwas Neues, nämlich Plausibilitätsüberlegungen und Alternativberechnungen zur Zahl der Kinder ohne Aufenthaltsstatus, vorgestellt und erarbeitet von Frau Dr. Dita Vogel, Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut, anlässlich der V. Jahrestagung Illegalität Anfang März dieses Jahres. Gemäß den Über- legungen von Frau Dr. Vogel erscheint eine Zahl von mindestens 8 000 und maximal 30 000 Kindern ohne Aufenthaltsstatus – 0 bis unter 16 Jahre – für die heutige Situation in der Bundesrepublik Deutschland plausibel. Bezieht man diese Zahlen auf die Gesamtzahl von mehr als 9 Millionen Schülerinnen und Schülern in allgemein- bildenden Schulen in Deutschland, kommt man auf An- teile von 0,09 bis 0,7 Prozent. 0,09 oder 0,7 Prozent Kin- der ohne einen Aufenthaltstitel an deutschen Schulen, das kann unser System frag- und problemlos gut verkraf- ten. Davor sollten nun wirklich auch die Zweifler unter Ihnen keine Angst haben. Ich fordere Sie noch einmal auf, hier auf eine Reform der Mitteilungspflichten hinzu- wirken und vor allem auch mit den Ländervertretern in Kontakt zu treten. Wenn ich vor fünf Monaten an gleicher Stelle zum selben Antrag gesagt habe, dass es bezüglich der Voraus- setzung des deutschen Spracherwerbs im Ausland für nachziehende Ehegatten für Ausländer, aber auch bezüg- lich des Erwerbs der deutschen Sprache im Ausland als Voraussetzung für den Ehegattennachzug von Dritt- staatsangehörigen zu Unionsbürgern mit der Fraktion der CDU/CSU einen unüberbrückbaren Dissens gibt, so kann ich das heute nur wiederholen und anfügen, das die uns in der Koalition in diesen Punkten trennende Kluft in den vergangenen letzten fünf Monaten nicht kleiner geworden ist. In einigen Bereichen des vorliegenden Antrages sind wir als Große Koalition schon auf einem guten Weg, in anderen – das ist der Hauptgrund dafür, dass wir ihn heute wieder ablehnen müssen – sind wir als SPD-Frak- tion aufgrund der derzeitigen Koalitionsbindung zu einer Zustimmung nicht in der Lage, auch wenn wir viele Punkte für richtig halten. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): In manchem ha- ben die Grünen mit Ihrem Antrag recht: Wir brauchen ein europäisch abgestimmtes Flüchtlings- und Asylkon- zept. Wir brauchen eine europäische Lastenteilung im Bereich der Flüchtlingsströme. Wir können Malta oder die Kanaren nicht mit Tausenden von Migranten allein- lassen. Es darf aber auch keine Anreizsysteme geben, die eine weitere unkontrollierte Zuwanderung ermöglichen. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass kriminelle Schleuser mit falschen Versprechungen und aus Geldgier Menschen nach Europa locken und billigend sogar den Tod der Verschleppten auf See in Kauf nehmen. Wir müssen die wirklichen Ursachen dieser Flüchtlings- ströme bekämpfen. Durch den Antrag wird auch der Eindruck erweckt, dass nicht nur bei den Linken, sondern auch bei bestimm- ten Vertretern der Grünen nach wie vor eine naive Freude an unkontrollierter und unsteuerbarer Zuwanderung be- steht. Wir brauchen eine Steuerung der Zuwanderung, keine Ausweitung der Anreize und Vereinfachungen der Möglichkeiten der unkontrollierten Zuwanderung. Nur dann können wir diffuse Ängste bei den Bürgern unseres Landes abbauen. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind sich einig, dass der stärkere Zuzug von Fachkräften nach Deutschland ein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslo- sigkeit bei uns ist; denn der Einsatz jeder weiteren Fach- kraft zieht weitere Arbeitsplätze nach sich. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist eine Zukunftssiche- rung durch Forschung und Entwicklung neuer Produkte durch Fachkräfte erforderlich. Die FDP fordert deshalb ein Punktesystem, das die Zuwanderung nach klaren Kriterien steuert und auch un- sere Interessen und Erwartungen an die Zuwanderer klar definiert. Es kommt vor allem auf die professionelle Qualifikation und die gesellschaftliche Integrationsfä- higkeit der Migranten an. Wir Liberalen freuen uns natürlich, wenn die Grünen ähnliche Forderungen erheben. Wir halten auch eine EU- weite Diskussion über die Zuwanderung von Hochqualifi- zierten und Fachkräften für begrüßenswert. Die konkreten Maßnahmen dafür müssen allerdings in den Mitglied- staaten und nicht in Brüssel erarbeitet werden, da die spe- zifischen Bedingungen der Arbeitsmärkte und vor allem auch der sozialen Sicherungssysteme zu stark divergie- ren. Hier ist die Bundesregierung für die Steuerung des Zuzugs nach Deutschland dringend gefordert. Sie hat bis- her versäumt, ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen. Wir sind auf die gesteuerte Zuwanderung von Hoch- qualifizierten und Fachkräften angewiesen. Deutschland droht, den Wettbewerb um die klügsten Köpfe zu verlie- ren. Es wird Zeit, endlich alten ideologischen Ballast über Bord zu werfen und sich modernen Konzepten zu- zuwenden. Die FDP kann und will die Bundesregierung aus dieser Verantwortung nicht entlassen. Deutschland ist Nettozahler in der EU. Die Grünen verlangen mit ihrer Forderung im Ergebnis, dass der deutsche Steuerzahler nicht nur für die Integrationskos- ten der Zuwanderer nach Deutschland, sondern auch für die der Zuwanderer in andere europäische Staaten auf- kommt. Die Grünen fordern in ihrem Antrag auch den Ausbau der europäischen Antidiskriminierungsregeln. Schon die existierenden sind eine unsägliche Gängelung der Bür- gerinnen und Bürger. Sie versprechen Gleichberechti- gung, die rechtlich bereits besteht, und schaffen Büro- kratie und Bevormundung. Wer den Ruf Europas als bürokratisches Monster bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes weiter rui- nieren will, soll nur munter weiter solche Forderungen 23344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) stellen. Der positive Duktus im Grünen-Antrag zur zir- kulären Migration wundert mich. Zirkuläre Migration, wie sie von Innenminister Schäuble propagiert wird, ist eine Fortsetzung der Gastarbeiterpolitik, die Integration verhindert hat. Es ist natürlich nicht falsch, EU-weit bestimmte As- pekte der Einwanderungspolitik abzustimmen. So war die Verabschiedung der Rückführungsrichtlinie eine Vorgabe, die in die richtige Richtung ging; denn sie hat Mindeststandards in der EU geschaffen. So ist die Dauer der Abschiebehaft nunmehr endlich auch in allen EU- Staaten begrenzt. Dies ist eindeutig zu begrüßen, und es hat mich schon gewundert, warum die Grünen im Euro- paparlament sich hier verweigerten. Das aber thematisiert der vorliegende Antrag aus nachvollziehbaren Gründen leider nicht. Stattdessen re- det er einer „signifikanten Liberalisierung der Aufent- haltsregeln“ das Wort und fordert EU-Mittel zur Einglie- derung von Migrantinnen und Migranten. Integration kann aber nicht von Brüssel aus gesteuert werden, son- dern erfolgt vor Ort, individuell. Steuern heißt, Zuwanderung gegebenenfalls auch zu verhindern, wenn unsere Interessenlage das gebietet. Un- sere Interessen aber zu bestimmen, das nimmt uns nie- mand ab, auch Europa nicht. Umgekehrt bedeutet Zuwan- derung zu steuern aber eben auch, Zuwanderung zuzulassen. Mit klaren Kriterien können wir die Willkom- menskultur schaffen, die wir brauchen, um Hochqualifi- zierte und Fachkräfte aus dem Ausland für Deutschland zu gewinnen. Eine moderne Zuwanderungssteuerung braucht kei- nen europäischen Wasserkopf, sondern eine klare Ent- scheidung der deutschen Regierung. Diese Entscheidung ist mehr als überfällig. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Männer und Frauen suchen sich nicht aus, wo sie geboren werden. Doch sie sollten das Recht haben, zu wählen, wo sie leben wollen. Und das gilt gerade für Menschen, deren Existenz durch Hunger, Durst, Krankheiten und Krieg bedroht ist. Statt aber die Ursachen für Flucht und erzwungene Migration zu bekämpfen, werden leider die Menschen bekämpft. Statt ihre Verantwortung für die auf dem Tri- kont bestehenden Situationen zu übernehmen, wälzt auch die EU im großen Maßstab die ökonomischen, so- zialen und ökologischen Kosten ihres Entwicklungsmo- dells auf diese Länder ab. Vom Schengen-Abkommen bis zum Dublin-Abkommen, von der EU-Agentur für die Koordinierung der Kontrollen an den Außengrenzen, FRONTEX, bis zu den beiden umfassenden Datenban- ken Schengener Informationssystem, SIS, und VISA-In- formations-System, VIS, vom geschlossenen Aufnahme- lager, den Abschiebungen und den Abwehrmethoden an den Grenzen bis zur Unterdrückung in den Metropolen: Europa beweist, dass es Flucht und Migration als ein Problem begreift, dem mit Grenzüberwachung und Re- pression begegnet werden muss. Die bisherigen Höhe- punkte menschenverachtender EU-Migrationspolitik sind die sogenannte Rückführungsrichtlinie – eine inhumane Abschiebungsrichtlinie und Direktive der Schande – und der „Pakt für Einwanderung und Asyl“. Gerade Letzterer verdeutlicht den neokolonialistischen Stil seitens der EU gerade gegenüber afrikanischen Staa- ten. Im Zentrum des Paktes steht die Kombination einer verstärkten Aufrüstung an den Außengrenzen, die Ein- bindung von Transitstaaten in die Flüchtlingsabwehr, die Neuauflage des „Gastarbeitermodells“ im Gewande der „zirkulären Migration“ und der Abschluss sogenannter Mobilitätspartnerschaften. Die Erfüllung der von der EU vorgegebenen Bedingungen, zum Beispiel der Abschluss von Rückübernahmeabkommen und die Verhinderung der Flucht nach Europa durch schärfere Grenzkontrol- len, wird mit der vagen Aussicht auf einen besseren Zu- gang seiner Bürgerinnen und Bürger zur EU gekauft. Auf diese Weise kann in Abhängigkeit vom jeweiligen Bedarf auf dem europäischen bzw. deutschen Arbeits- markt auf Arbeitskräfte aus Drittstaaten zurückgegriffen werden. Gleichzeitig weiß man sich aber auf der siche- ren Seite, diese dann auch wieder „loszuwerden“, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Darüber hinaus wird die Aufgabe der Flüchtlingsabwehr aus der EU verla- gert, und mittels der in Gegenleistung dann auch noch „selbstlos“ zur Verfügung gestellten Mittel zur Entwick- lungszusammenarbeit werden die Märkte für deutsche bzw. EU-Produkte geöffnet. So sieht der, wie es Herr Grindel von der CDU/CSU-Fraktion in der ersten Le- sung so nett formulierte, „entwicklungshilfepolitische Ansatz“ aus, der mit dem Instrument „zirkuläre Migra- tion“ verfolgt wird. Es geht um geo- und militärstrategi- sche, energie- bzw. rohstoffpolitische oder ökonomische Eigeninteressen, um Flüchtlingsabwehr und Auslese von Fachkräften und Hochqualifizierten für den „globalen Standortwettbewerb“. Genau diesen Zusammenhang lässt der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen weitgehend unberücksichtigt, wenn sie „zirkuläre Migration“ und sogenannte Punkte- migration im Grundsatz mitträgt. Bei den Vorschlägen zur Arbeitsmigration bleibt unklar, wie die Forderung, es solle legale und dauerhafte Einwanderungsmöglichkei- ten auch für nicht hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten geben, konkret umgesetzt werden soll. Der Vorschlag eines „Punktesystems“ ist im Gegenteil ganz klar einseitig an den Interessen der Nationalstaaten aus- gerichtet. Er führt zur Selektion nach Nützlichkeitskrite- rien. So wie die Linke es ablehnt, Kopfnoten zu vertei- len, lehnen wir es ab, Menschen nach Punkten zu bewerten. Zwar sollen Fluchtursachen bekämpft werden, doch es gibt keine Kritik an der Militär-, Außen- und Freihan- delspolitik der EU. Unklar bleibt auch, wie die Bekämp- fung eigentlich konkret geschehen soll. Auch die Aufgabe und Arbeit von FRONTEX, die eine möglichst lückenlose Abschottung vor unerwünsch- ter Migration organisieren soll, wird weder klar benannt noch grundsätzlich infrage gestellt. Die Forderung nach mehr parlamentarischer Kontrolle von FRONTEX und neuen Dokumentationspflichten greift viel zu kurz. Die Linke fordert die Abschaffung von FRONTEX und nicht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23345 (A) (C) (B) (D) die parlamentarische Kontrolle, wie es Bündnis 90/Die Grünen tun. Hinsichtlich der Dublin-II-Verordnung werden ledig- lich Forderungen gestellt, wie sie jetzt auch von der EU- Kommission vorgeschlagen wurden. Dies geht zwar in eine richtige Richtung, aber die Linke fordert, dass sich Asylsuchende ihr Zufluchtsland in der EU selbst aussu- chen können müssen. Die Forderung nach einer Korrektur der Rückfüh- rungsrichtlinie – insbesondere im Hinblick auf die Inge- wahrsamnahme von Minderjährigen ist aus unserer Sicht viel zu zurückhaltend formuliert und spart wesentliche Kritikpunkte an der menschenrechtswidrigen Abschie- bungsrichtlinie aus. Das betrifft unter anderem die Mög- lichkeit einer Inhaftierung zur Sicherung einer Abschie- bung bis zu 18 Monaten. Schließlich bleiben in dem Antrag auch mehrere As- pekte ausgespart, etwa Legalisierungsmöglichkeiten für Illegalisierte. Die Linke steht für eine grundlegend neu ausgerich- tete europäische Migrations-, Flüchtlings- und Integra- tionspolitik, eine, die sich nicht nach den Verwertungsin- teressen des Kapitals richtet. Wir wollen eine Migra- tions- und Integrationspolitik, deren Maßstab der Mensch ist, eine Migrations- und Integrationspolitik, die sich für die Verknüpfung von Menschen- und Arbeitnehmerrech- ten starkmacht. Die Linke will, dass „Entwicklungszusammenarbeit“ nicht in ausbeuterischer Absicht instrumentalisiert wird bzw. vom „Wohlverhalten“ der Länder bei Öffnung ihrer Ökonomien, bei Rückübernahmen und Grenzüberwa- chung abhängt. Wir fordern, dass der Schutz von Flüchtlingen in den Mittelpunkt gestellt wird. Das bedeutet für uns Linke die Achtung des Refoulement-Verbots, die Aufnahme be- sonders schutzbedürftiger Flüchtlinge (Resettlement), den Verzicht auf Regelungen „sicherer Drittstaaten“, dass Flüchtlingen die Wahl ihres Zufluchtslandes überlassen wird sowie Illegalisierten Legalisierungsmöglichkeiten eingeräumt und deren Kämpfe gegen ausbeuterische Ar- beitsbedingungen unterstützt werden. Das sind für uns Schritte hin zu einer menschen- freundlich fundierten europäischen Migrationspolitik. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beinhaltet we- der solche Schritte noch eine grundsätzliche Kritik an dem bestehenden Migrationsregime. Stattdessen wird auf eine etwas moderatere Verwertungspolitik abgeho- ben. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute ist für 120 Menschen ein ganz besonderer Tag. Heute vor einer Woche sind die ersten der 2 500 iraki- schen Flüchtlinge auf dem Flughafen Hannover gelan- det, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen; ein Neuanfang mit der Hoffnung, endlich wieder in Sicher- heit zu leben, frei von Gewalt und Verfolgung. Dass die EU-Staaten rund 10 000 schutzbedürftige Flüchtlinge aus dem Irak im Rahmen des Resettlement- Programms aufnehmen werden, ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Doch der Weg dahin war steinig: Lange wurde im Rat der eu- ropäischen Innen- und Justizminister über die Aufnahme der Iraker nur geredet. Innenminister Schäuble hielt an der Vorstellung fest, dass Deutschland nur christliche Iraker aufnehmen solle. Die Christen im Irak sind als re- ligiöse Minderheit einer besonderen Bedrohung ausge- setzt. Für uns Grüne ist aber klar, dass neben den Chris- ten auch andere schutzbedürftige Menschen nach Deutschland kommen können müssen. Bei den irakischen Flüchtlingen hat die EU lange ge- braucht, um endlich ihre gemeinsame Verantwortung ge- genüber Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten wahrzunehmen. Die europäischen Innen- und Justizmi- nister drücken sich aber weiter vor wichtigen Entschei- dungen im Sinne von Humanität und Menschenrechten, zum Beispiel wenn es darum geht, endlich verbindliche Leitlinien für die Einsätze der europäischen Grenz- schutzagentur FRONTEX zu verabschieden. Die humanitäre Lage an den Außengrenzen der EU ist unerträglich. Im vergangenen Jahr sind 1 502 Menschen bei dem verzweifelten Versuch ertrunken, die Küsten der Europäischen Union zu erreichen. Es kann nicht länger der Fall sein, dass im Umgang mit sogenannten Boots- flüchtlingen rechtliche Grauzonen bestehen und die Mit- gliedstaaten versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wir Grünen wollen, dass das Refoulement-Ver- bot aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonven- tion und der Genfer Konvention auch auf hoher See Gel- tung hat und aufgegriffene Schiffbrüchige auf das Territorium des flaggeführenden oder des nächstgelege- nen Mitgliedstaats gebracht werden. Dort muss dann entschieden werden, wer schutzbedürftig ist und wer rückgeführt werden soll. Auch eine einheitliche Auslegung des internationalen Seerechts durch die EU-Mitgliedstaaten muss gewähr- leistet sein, so bei der Definition von Seenot. Die Ver- handlungen über die Leitlinien sind im vergangenen Sommer an der Blockadehaltung einiger Mitgliedstaaten gescheitert. Das darf diesmal nicht passieren. Weitere entscheidende Punkte sind Transparenz und parlamentarische Kontrolle. Die gemeinsamen verbind- lichen Leitlinien werden nun im vollkommen intranspa- renten Komitologie-Verfahren verhandelt. Leider konn- ten wir Parlamentarier schon während der ersten Verhandlungsrunde die Positionen der Mitgliedstaaten nicht nachzuvollziehen. Doch bei der Dringlichkeit des Themas muss die Bundesregierung den Bundestag end- lich informieren. Genauso gilt immer noch unsere For- derung nach einer parlamentarischen Kontrolle von FRONTEX durch die nationalen Parlamente und das Eu- ropäische Parlament. Das Budget von FRONTEX setzt seinen Höhenflug fort, während die verbindlichen Leitli- nien noch immer nicht verabschiedet sind. Dies macht erneut deutlich, dass diese Agentur nicht frei von parla- mentarischer Aufsicht agieren kann. Dafür müssen auch die europäischen Innenministerinnen und Innenminister als Verantwortliche sorgen. 23346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Ich habe von der Ankunft der irakischen Flüchtlinge gesprochen, was eine erfreuliche Nachricht ist. Gleich- zeitig erreichen uns tagtäglich weniger erfreuliche Nach- richten. Nicht nur sterben leider immer noch Menschen während ihrer Flucht in schiffbrüchigen Booten nach Europa. Wer profitiert, sind kriminelle Schlepper. Auch erreichten uns Nachrichten über Aufstände in Flücht- lingslagern in Italien und Malta. Diese Lager sind voll- kommen überbelegt und die Lebensbedingungen dort menschenunwürdig. Darauf hat neulich erst die Hilfsor- ganisation „Ärzte ohne Grenzen“ aufmerksam gemacht. Wir Grüne fordern, dass Verfahren, Praktiken und Stan- dards für die Anerkennung von Flüchtlingen und Asyl sowie bei der Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen in allen EU-Staaten gelten müssen. Die Er- richtung eines europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, welches die Europäische Kommission vor- schlägt, kann die Chance bieten, dass sich die Standards zum Schutz von Flüchtlingen endlich auf hohem Niveau angleichen. Malta hat sich um den Sitz dieses Büro be- worben. Doch der Sitz des europäischen Asylbüros ver- pflichtet, mit gutem Beispiel voranzugehen, bestehende Vorgaben umzusetzen und die Hausaufgaben in Sachen Asyl und Flüchtlingsschutz zu erledigen. Innenminister Schäuble kann die Hilferufe der Innen- minister von Malta, Italien, Griechenland und Zypern nach mehr Unterstützung im Bereich der irregulären Mi- gration nicht länger ignorieren. Wir Grüne fordern end- lich eine solidarische innereuropäische Verteilung von asylsuchenden Personen und eine verbesserte und faire Aufteilung der finanziellen Kosten zwischen den Mit- gliedstaaten. Mit enormer Skepsis betrachten wir Grüne die zunehmenden Abkommen mit Drittstaaten, seien es Rückübernahmeabkommen oder sei es die sogenannte Zusammenarbeit mit Drittstaaten bei FRONTEX-Einsät- zen. Sie dürfen für die EU kein Instrument sein, die Ver- antwortung abzuwälzen, und müssen strengen humanitä- ren und menschenrechtlichen Standards genügen. Der Innenminister spricht viel über illegale Migration. Legale Migration wird aus der Debatte meistens ausge- klammert. Wir werden die Situation an den Außengren- zen aber nur lösen können, wenn wir mehr Möglichkei- ten der legalen Migration zulassen. Die EU muss neue legale Wege der Einwanderung, insbesondere der dauer- haften Einwanderung, ermöglichen, sowohl für hochqua- lifizierte Einwanderer als auch für nicht hochqualifi- zierte. Die europäische Blue-Card, wie sie ursprünglich von der Europäischen Kommission vorgestellt wurde, wäre ein erster guter Schritt gewesen, um Europa für die Zuwanderung von Hochqualifizierten attraktiv zu ma- chen. Das, was von der Blue-Card nach zähen Verhand- lungen im Rat und unter dem Druck von Innenminister Schäuble noch übrig blieb, ist für die EU und den von der CDU/CSU nominierten Kommissionspräsidenten Barroso kein großer Wurf mehr. Einerseits loben Sie Barroso, an- dererseits haben Sie mit der Blue-Card eines seiner er- klärten Vorzeigeprojekte kastriert. Der Innenminister hat noch eine Chance, Offenheit und Europaaffinität zu beweisen. Die Kommission will noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament den Richtlinienentwurf über die Einreise- und Aufenthalts- bestimmungen von Saisonarbeitern vorschlagen. Eine solche europäische Regelung ist wichtig. Sie bietet Sai- sonarbeitern eine legale Möglichkeit der Einreise und des befristeten Aufenthaltes, sodass sich hoffentlich we- niger Menschen gezwungen fühlen, mithilfe von krimi- nellen Schlepperbanden in die EU zu gelangen. Zudem werden Saisonarbeiter in vielen europäischen Staaten dringend benötigt. Ich bin gespannt, ob Herr Schäuble und seine Kollegen für solch einen Vorschlag reif sind. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Gesetze (Drittes Zivildienstgesetzände- rungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 19) Markus Grübel (CDU/CSU): Jahr für Jahr leisten 90 000 junge Männer in Deutschland Zivildienst. Sie ar- beiten in Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen, Ju- gendhäusern, Kliniken und betreuen pflegebedürftige Menschen. In diesen sozialen Diensten steckt ein großes Potenzial für die Gesellschaft. Junge Männer arbeiten in Bereichen, mit denen sie teilweise im späteren Leben nicht mehr eng in Berührung kommen. Sie erlangen so- ziale Kompetenzen, die für andere Berufe von großer Bedeutung sind. Es ist gut und richtig, dass junge Men- schen, auch wenn sie technische Berufe erlernen oder später studieren, mit sozialen Arbeiten intensiv in Be- rührung kommen. Wir haben uns nun über ein Jahr mit der Weiterent- wicklung des Zivildienstes befasst. Als Berichterstatter meiner Fraktion – ich denke bei den anderen Bericht- erstattern war es genauso – habe ich eine Vielzahl von Gesprächen mit den Verbänden geführt. Manchmal war die gleiche Organisation sogar zwei- oder dreimal in meinem Büro. Wir haben uns intensiv mit den Proble- men auseinandergesetzt und auch die Interessen der Pra- xis berücksichtigt und diskutiert, sodass ich heute sagen kann: Es gab einen lebhaften Diskurs und Meinungsaus- tausch zwischen der Politik und den Interessen- und Fachorganisationen im Bereich des Zivildienstes. Ich denke, das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Leider konnte bei der „freiwilligen Verlängerung“ keine Einigung mit dem Koalitionspartner erreicht werden. Die Zivildienstleistenden stellen für die Gesellschaft ein großes Potenzial dar. Wir möchten die jungen Men- schen, die diesen Dienst leisten, in ihrer Persönlichkeits- entwicklung und beim Qualifikationserwerb unterstützen bzw. die fachlichen und persönlichen Kompetenzen der Zivildienstleistenden weiter ausbauen und stärken. Ebenso möchten wir mit dem Gesetz erreichen, dass die Zivildienstleistenden, das in den Einsatzstellen erwor- bene Wissen auch theoretisch vertiefen können. Dies soll insbesondere durch ein zusätzliches einwöchiges Semi- nar zur Förderung der persönlichen und sozialen Kompe- tenzen erreicht werden. Außerdem sieht der Gesetzent- wurf einen einheitlichen verbindlichen Informationstag zu Dienstbeginn und, soweit erforderlich, ein viertätiges Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23347 (A) (C) (B) (D) Seminar zu speziellen Fachthemen vor. Er bietet darüber hinaus optional die Möglichkeit eines zusätzlichen dienstlichen Erfahrungsaustauschs zur Reflexion. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass je- der Zivildienstleistende ein obligatorisches qualifiziertes Dienstzeugnis erhält, welches den Inhalt des Dienstes, Tätigkeit und Leistung des Dienstleistenden sowie die während des Zivildienstes erworbenen Kompetenzen für den weiteren beruflichen Lebensweg umfasst. Schon heute kann ein qualifiziertes Dienstzeugnis auf Antrag des Dienstleistenden von den Dienststellen ausgestellt werden. Es hat sich als Grundlage für die Anerkennung des Zivildienstes als berufliche Qualifikationsvorausset- zung bewährt. Neu eingeführt wird eine Berichtspflicht des bzw. der Bundesbeauftragten für den Zivildienst gegenüber dem Deutschen Bundestag, analog zum Bericht des Wehrbe- auftragten. Der Tätigkeitsbericht soll regelmäßig über die Lage und die Entwicklungen im Zivildienst infor- mieren. Damit wird auch eine regelmäßige Evaluierung des Gesetzes gewährleistet. Zudem wird gesetzlich ab- gesichert, dass sich die Dienstleistenden zukünftig mit Anregungen und Beschwerden direkt an den Zivildienst- beauftragten wenden können, ohne dienstliche Nachteile befürchten zu müssen. Bislang wurde nicht bekannt, zu welchen Ergebnissen dies geführt hat, da es im Gegen- satz zum Bericht des Wehrbeauftragten keine Veröffent- lichungspflicht gibt. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf Folgeände- rungen, Änderungen aufgrund höchstrichterlicher Recht- sprechung bzw. redaktionelle Anpassungen, insbesondere zur geschlechtergerechten Fassung, im Zivildienst-, Kriegs- dienstverweigerungs-, Zivildienstvertrauensmann-, Wehr- pflicht- und Arbeitsplatzschutzgesetz. Zudem haben wir eine Lösung gefunden, die in Fällen eines Freiwilligen Jahres nach § 14 c des Zivildienstge- setzes eine Umsatzsteuerpflicht weitgehend vermeidet. Die Regelung in § 11 Abs. 2 des Jugendfreiwilligendien- stegesetzes ist auch mit § 14 c des Zivildienstgesetzes vereinbar, sodass entsprechende Verträge auch für den Freiwilligendienst anerkannter Kriegsdienstverweigerer geschlossen werden können. Das Bundesamt für den Zivildienst hat durch einen Erlass – also eine außergesetzliche Regelung – alle Trä- ger des FSJ und des FÖJ darüber informiert, dass für den Freiwilligendienst anerkannter Kriegsdienstverweigerer Verträge nach § 11 Abs. 1 und 2 JFDG möglich sind und bezuschusst werden. Der Bundesarbeitskreis FSJ hat für die Träger diese Lösung ausdrücklich begrüßt. Deshalb haben wir auch nicht die vom Bundesrat geforderte ge- setzliche Regelung aufgegriffen, denn diese ist nicht not- wendig, um das Ziel, nämlich die Vermeidung der Um- satzsteuer, zu erreichen. Leider konnte keine gesetzliche Grundlage für die frei- willige Verlängerung des Zivildienstes geschaffen wer- den. Dies bedauere ich sehr – zumal es auch beim Koali- tionspartner durchaus Kollegen gab, die dieser Regelung offen gegenüber standen. Wir als Unionsfraktion hätten den Zivildienstleistenden gerne die Möglichkeit eröffnet, entsprechend der für Wehrdienstleistende geltenden Re- gelungen den Zivildienst freiwillig zu verlängern und während dieser Phase einen abgesicherten sozialen Status zu haben. Die Praxis behilft sich hier teilweise mit Prak- tikumsverträgen, teilweise mit geringfügiger Beschäfti- gung oder anderen Lösungen. Zudem haben die Verbände und die Betroffenen selbst die freiwillige Verlängerung überwiegend begrüßt. Dies belegen auch durchgeführte Umfragen. Ich persönlich halte diese Regelung weiter für not- wendig und sinnvoll; aber wo es ein 1., 2. und 3. Zivil- dienstgesetzänderungsgesetz gab bzw. gibt, wird es in der nächsten oder übernächsten Wahlperiode auch ein 4. Zivildienstgesetzänderungsgesetz geben, da bin ich mir ganz sicher. Vielleicht ergibt sich dann eine politi- sche Konstellation, die eine solche Regelung durchset- zen kann. Trotz allem möchte ich darauf verweisen, dass es uns gelungen ist, den Zivildienst als Lerndienst weiter aus- zugestalten. Ich denke, da sind wir uns alle weitgehend einig, außer den Fraktionen, die den Zivildienst als Pflichtdienst kategorisch ablehnen und ihn, wie den Wehrdienst, am liebsten sofort abschaffen würden. Lei- der haben sie keinen konstruktiven Beitrag geleistet. Stattdessen haben Bündnis 90/Die Grünen Forderungen der Zentralstelle KDV wortgleich in einen Antrag ge- schrieben und sich somit zum Erfüllungsgehilfen eines nur schwer erträglichen politischen Manövers der KDV machen lassen. Die FDP hat „kurz vor knapp“ noch ei- nen Entschließungsantrag eingebracht, der irreführend und falsch ist. Zentrales Anliegen des Gesetzentwurf ist die Ausgestaltung des Zivildienstes als Lerndienst und nichts anderes. Sie suggerieren etwas vollkommen ande- res und wollen über diese Schiene Argumente für die Abschaffung des Wehrdienstes liefern. Ihnen scheint entgangen zu sein, dass dies hier überhaupt nicht zur De- batte steht. Im Übrigen bin ich gespannt, ob Ihr Frak- tionsvorsitzender Westerwelle nach der nächsten Bun- destagswahl in einer möglichen Koalition mit der Union wirklich Außenminister wird und ob er auch dann die Wehrpflicht zur Disposition stellt. Die Antwort können sie sich ja selbst geben! Die Anhörung am 17. Dezember 2008 hat gezeigt, dass der Gesetzentwurf nicht perfekt ist und Änderungen notwendig sind. Wir haben diese Kritik und die Anre- gungen seitens der Praxis in die politische Debatte auf- genommen und gezeigt, dass wir lernfähig sind. Ein wesentlicher Kritikpunkt vonseiten der Praxis be- zog sich auf die unverbindliche Regelung bei der Se- minarteilnahme im Bereich sozialer Kompetenzen. Es wurde befürchtet, dass dadurch die Ausgestaltung des Zivildienstes als Lerndienst nicht ausreichend gewähr- leistet werde. Einhellig wurde mehr Verbindlichkeit ge- fordert. Die Gestaltung des Zivildienstes als Lerndienst fördert sowohl die sozialen als auch die persönlichen Kompetenzen des Zivildienstleistenden. In diesen neuen Seminaren sollen die im Dienstalltag erworbenen Kom- petenzen identifiziert, reflektiert und gesichert werden. Aber: Seminare zur Förderung sozialer Kompetenzen kosten Geld. 23348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Im ursprünglichen Arbeitsentwurf zum 3. ZDGÄndG vom 28. Februar 2008 waren diese Seminare als ver- pflichtend vorgesehen. Mit der Folge, dass dies ab 2011 circa 13,5 Millionen Euro Mehrkosten verursacht hätte. Weder im Zivildiensthaushalt noch im BMFSFJ-Ge- samthaushalt kann eine solche Summe eingespart wer- den. Auch der Finanzminister hat zusätzliche Finanzmit- tel verweigert. Dies hatte zur Folge, dass im jetzigen Gesetzentwurf, Drucksache 16/10995, eine schwammige Formulierung gewählt wurde. Die Formulierung „sind die Dienstpflichtigen berechtigt …“ – § 25 b Abs. 2 Satz 1, 3. ZDGÄndG – enthält keine verbindliche Vorgabe. Aus zivildienstpolitischer Sicht ist diese Regelung je- doch unbefriedigend. Zentrales Ziel der Zivildienstno- velle ist ja gerade die Ausgestaltung des Zivildienstes als Lerndienst. Wenn die wichtigen Seminare zur Weiterent- wicklung sozialer Kompetenzen unverbindlich geregelt werden, wird dieses Ziel konterkariert; darüber waren wir schnell mit dem Koalitionspartner einig. Ich bin froh, dass wir über einen Änderungsantrag mehr Ver- bindlichkeit ins Gesetz schreiben konnten und dass ab 2011 die Seminare zur Vertiefung der im Dienst erwor- benen persönlichen und sozialen Kompetenzen verbind- lich vorgesehen sind. Auch mit der Konsequenz, dass dies den Bund circa 13,5 Millionen Euro zusätzlich kos- ten wird. Uns war klar, dass eine Einigung mit den Haushältern schwierig wird; denn gerade die Haushaltskonsolidie- rung ist ein wichtiges politisches Ziel. Aber man kann natürlich auch nicht überall sparen. Die Konjunkturpa- kete I und II zeigen, dass der Staat in besonderen Aus- nahmesituationen auch den Geldhahn aufdrehen und zu- sätzliche Gelder bereitstellen muss. Ich bin daher den Haushältern sehr dankbar, dass sie den jährlichen Mehr- ausgaben ab 2011 keine Steine in den Weg gelegt haben und damit auch einen großen Beitrag zur Aus- und Fort- bildung der Zivildienstleistenden tätigen. Nur durch die Unterstützung der Haushaltspolitiker konnte unser zivil- dienstpolitisches Anliegen umgesetzt werden. Der Zivildienst ist eindeutig ein Erfolgsmodell und für jeden jungen Mann auch eine persönliche Bereicherung. Zudem trägt der Zivildienst wesentlich zur Berufsfin- dung und Berufsorientierung bei. Mit der weiteren Aus- gestaltung zum Lerndienst – dem Erwerb von Schlüssel- qualifikationen im Dienst selbst sowie der weiteren qualitativen Verbesserung von Lehrgängen – wird der Zi- vildienst noch attraktiver für die jungen Menschen. Die Zivildienstnovelle ist auch ein Baustein zur För- derung von bürgerschaftlichem Engagement. Im Gegen- satz zu den Freiwilligendiensten, wie dem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Freiwilligen Ökologischen Jahr, ist der Zivildienst ein Wehrersatzdienst und damit ein Pflichtdienst. Dennoch gibt es zwischen den beiden Dienstarten eine Menge von Berührungspunkten und Gemeinsamkeiten, die im Bericht der Kommission „Im- pulse der Zivilgesellschaft“ ausführlich dargestellt wer- den. Die zentrale Forderung des Berichts wird nun mit der Novelle umgesetzt: die Ausgestaltung des Zivil- dienstes als Lerndienst. Wir sind damit auch dem Auf- trag aus dem Koalitionsvertrag vom November 2005 nachgekommen und haben eine Fachdiskussion, die schon in der letzten Legislaturperiode mit der bereits ge- nannten Arbeitsgruppe „Impulse für die Zivilgesell- schaft“ begonnen hatte und mit mehreren Fachkonferen- zen fortgeführt wurde, zu einem guten Ende geführt. Sönke Rix (SPD): „Auch ein langer Weg beginnt mit dem ersten Schritt“. Diese Weisheit von Laotse ist inzwi- schen über 2 600 Jahre alt. Er muss damals schon etwas vom Dritten Zivildienstgesetzänderungsgesetz geahnt haben. Der erste Schritt fand im Koalitionsvertrag von No- vember 2005 statt. Zwischen SPD und CDU wurde be- schlossen, dass der Zivildienst zu einem Lerndienst aus- gebaut werden soll. Die Koalition war sich einig, dass der Zivildienst schon immer ein Lerndienst war. Aller- dings konnte der Zivildienstleistende bisher nur schwer nachweisen, ob und was er während des Zivildienstes gelernt hatte. In den vergangenen drei Jahren gab es auf dem Weg zu diesem Gesetzentwurf viele Schritte. Es gab Schritte nach vorn und auch ein paar Schritte wieder zurück. Ideen wurden geboren und aufgeschrieben, Initiativen, wie die freiwillige Verlängerung des Zivildienstes, ge- startet und – zum Glück – wieder fallengelassen. Erst im November 2008 gab es dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den wir heute in abschließender Beratung reden. Obwohl es eine lange Reise war, die die Berichterstat- ter zu diesem Gesetz miteinander im Jahr 2005 angetre- ten haben, sind wir nie aus dem Tritt gekommen. Bei manchen versagte höchstens kurzzeitig das Navigations- gerät. Aber heute stehen wir hier und präsentieren einen Gesetzentwurf mit einem ergänzenden Änderungsantrag. Zentrale Elemente im vorliegenden Gesetzentwurf sind die Neuregelungen für eine verpflichtende Lehr- gangsteilnahme der Zivildienstleistenden, das Recht auf ein qualifiziertes Dienstzeugnis und die neu geschaffene Berichtspflicht des Bundesbeauftragten für den Zivil- dienst. Was in dieser Legislaturperiode nie zur Debatte stand, war die Zukunft des Zivildienstes. Der Zivildienst ist ein Pflichtdienst, und trotzdem soll dieser Dienst sowohl dem jungen Mann als auch der Ge- sellschaft nutzen. Es geht nicht um das sture Ableisten des Dienstes. Vielmehr nehmen die Zivildienstleistenden auch etwas mit. Sie haben neue Eindrücke, sie lernen neue Menschen kennen. Sie kommen in ein völlig neues soziales Umfeld. Sie üben Tätigkeiten aus, die völlig neu für sie sind. Das geht nur durch Lernen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah dafür Folgendes vor: einen verpflichtenden eintägigen Lehr- gang über die Rechte und Pflichten des Zivildienstleis- tenden, einen viertägigen Lehrgang zur politischen Bil- dung und einen einwöchigen fachlichen Lehrgang, dessen Verpflichtung allerdings von der Art der Tätigkeit des Zivildienstleistenden abhängig ist. Die Teilnahme an einem dreitägigen Reflexionsseminar sowie an einem einwöchigen Kurs zur Stärkung sozialer Kompetenzen sollten freiwillig sein. Das hätte dazu geführt, dass es Zi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23349 (A) (C) (B) (D) vildienstleistende gegeben hätte, die während ihrer Dienstzeit an keiner einzigen Lernveranstaltung teilge- nommen hätten. Aber: Kein Zivildienstleistender sollte seinen Dienst ohne mindestens einen Lernteil beenden. Auch das Bun- desamt für den Zivildienst hat in seinen ersten Eckpunk- ten diesem Gedanken Rechnung getragen. Wir haben uns darum zusammen mit dem Koalitionspartner auf den vorliegenden Änderungsantrag geeinigt. In einem ge- staffelten Verfahren soll ein einwöchiges Seminar zur Vertiefung der im Dienst erworbenen persönlichen und sozialen Kompetenzen ab 2011 verpflichtend für alle Zi- vildienstleistenden stattfinden. In diesem Seminar lernt jeder Zivildienstleistende Verhaltensweisen, die er in seinem neuen Umfeld gegenüber den Kollegen, den an- deren Zivildienstleistenden aber auch den mittelbar oder unmittelbar zu pflegenden oder zu betreuenden Men- schen anwenden kann. Wir wollen, dass alle Zivildienst- leistenden an diesen Kursen teilnehmen, denn auch wer in seinem Zivildienst nur hausmeisterähnliche Aufgaben erfüllt, wird zum Beispiel mit Bewohnern eines Heimes, Kindern in Tageseinrichtungen oder auch Kranken in ei- nem Krankenhaus in Kontakt kommen. Schon ab 2010 sollen die Zivildienstleistenden das Recht haben, an die- sen Kursen teilzunehmen. Ich wünsche mir, dass sie schon dann regen Gebrauch davon machen. Für uns in der SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Wir begrüßen den rechtlichen Anspruch auf noch mehr Qua- lifizierung, Reflexion und Fortbildung. Mit dieser Ände- rung haben wir ein gutes Gesetz geschaffen, dass dem Ziel „Zivildienst als Lerndienst“ gerecht wird, was uns auch die Fachleute während der Anhörung im Dezember bestätigt haben. Ausdrücklich begrüßen wir, dass jetzt den Zivil- dienstleistenden ein qualifiziertes Dienstzeugnis ausge- stellt wird. Sie können es für ihre berufliche Zukunft nutzen und die erworbenen Fähigkeiten bei zukünftigen Arbeitgebern nachweisen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Weiterent- wicklung des Zivildienstes zu einem formalen Lern- dienst – informell war er das natürlich schon immer – nicht nur den jungen Männern zugutekommt. Auch die Gesellschaft profitiert von den Qualifikationen, die die Zivildienstleistenden während ihres Dienstes erwerben. Auch vor diesem Hintergrund ist die Weiterentwicklung wichtig und richtig. Ein Wort zum Schluss noch zu der sogenannten frei- willigen Verlängerung, über die lange diskutiert wurde. Ich begrüße ausdrücklich, dass diese angedachte Rege- lung nicht im Gesetzentwurf erwähnt wird. Wir als SPD haben nach Diskussionen deutlich gemacht, dass wir dieses Instrument nicht wollen und auch nicht brauchen. Zum einen würde diese Regelung zu einer Konkurrenz zwischen Freiwilligem Sozialen Jahr und Zivildienst führen. Zum anderen wollten wir den Zivildienst durch eine freiwillige Verlängerung nicht verstetigen. Und was viele vergessen: Die Kosten der freiwilligen Verlänge- rung wären auf den Träger oder die Einsatzstelle zuge- kommen. Wenn ein Zivildienstleistender jedoch Zeit zu über- brücken hat, weil sein Studium erst in einigen Monaten beginnt, ist eine Verlängerung heute schon möglich. Die Zivildienstleistenden werden dann von ihrer Einsatz- stelle für drei oder mehr Monate angestellt. „Man kommt ja nicht ans Ziel, weil man vom Ziel ge- träumt hat. Sondern man kommt zum Ziel, weil man den Weg dahin gegangen ist.“, sagte schon Helmut Schmidt. Das haben wir getan. Ina Lenke (FDP): 2008 gab es circa 460 000 Muste- rungsverfahren und 200 000 Ausmusterungen. Als ich 1998 als neue Abgeordnete in den Deutschen Bundestag einzog, wurden noch rund 160 000 Grundwehrdienstleis- tende einberufen, im Jahre 2008 waren es noch rund nur 68 000, hierin inbegriffen sind sehr viele, die während der ersten Monate wieder nach Hause geschickt wurden und sogar die freiwillig länger dienenden Wehrdienstleisten- den, die wesentlich höhere Bezüge als den normalen Wehrsold erhalten. Im Zivildienst haben wir die gleiche Situation: 1998 gab es rund 129 00 Einberufungen, 2008 waren es noch 85 000 Einberufungen. Wenn – bei etwa gleich großen Jahrgängen – jährlich über 140 000 junge Männer weniger der Wehrpflicht nachkommen, kann schon bei oberflächlicher Betrachtung irgendwas nicht mehr stimmen. Wenn Zivildienstleistende, die nach dem Grundgesetz nur einen Ersatzdienst für die Wehrpflicht leisten, mittlerweile wesentlich mehr sind als die Grund- wehrdienstleistenden, ist das gesamte System aus den Fugen geraten. Ursprünglich wurde der Entwurf des vorliegenden 3. ZDGÄndG seitens der Bundesregierung initiiert, um den sogenannten „Freiwillig verlängerten Zivildienst“ zu installieren, was zu noch mehr Ungerechtigkeiten geführt und die Zivildienstleistenden gegenüber den Grund- wehrdienstleistenden deutlich schlechter gestellt hätte – ein Vorhaben, das daher von der Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnt wird, also selbst in der Großen Koalition letztendlich wegen des Widerstandes in der SPD keine Mehrheit fand. Der vorliegende Gesetzentwurf ist also lediglich eine Rumpffassung des eigentlich geplanten Gesetzes. Dies wurde besonders in der Anhörung deutlich, in der vor allem darüber diskutiert wurde, was aus dem Gesetz gestrichen wurde und in der die Sachverständigen immer wieder mit der Frage nach der zeitlichen Verlängerungsoption konfrontiert wurden. Statt weiterhin, trotz des Scheiterns dieser Verlänge- rungsoption, diese Überlegungen zu verfolgen, sollte das Ministerium mehr über die fast unbekannte Möglichkeit, den Zivildienst in zeitlich getrennten Abschnitten – 6 plus 3 Monate – abzuleisten, informieren. Der richtige Ansatz, die zeitliche Lücke zwischen dem Ende des neunmonatigen Zivildienstes und dem Beginn einer Ausbildung über- brücken zu können, ist bereits heute möglich. Im Zivil- dienstgesetz regelt der § 24 Abs. 2 ZDG die Möglichkeit des abschnittsweisen Zivildienstes, wovon der erste Abschnitt also 6 Monate dauert. Hiermit können bereits heute Wartezeiten, zum Beispiel bei Aufnahme eines Studiums, weitgehend vermieden werden, wenn alle 23350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Beteiligten über den Ablauf und die Organisation eine Einigung erzielen. Die Aufteilung muss allerdings heute bereits im Einberufungsbescheid festgelegt werden, eine spätere einvernehmliche Lösung ist nicht möglich. Die FDP hat hierzu einen Entschließungsantrag vorgelegt, um aufzuzeigen, dass bereits heute eine Schließung die- ser Zeitlücke möglich ist. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft es weder den Zivildienst zu einem Lerndienst auszubauen noch die mögliche zeitliche Kluft zwischen Beendigung des Zivil- dienstes und der Aufnahme eines Studiums oder einer anderen Ausbildung zu schließen. Der Änderungsantrag der Koalition hat den Entwurf verbessert, aber die Änderungen sind unzureichend, um von einem Lerndienst sprechen zu können. Dass durch den Änderungsantrag der Koalition der Art. 4 Nr. 3 des ZDÄndG gestrichen wurde, ist zwar zu begrüßen, dass diese Regelung aber überhaupt den Weg durchs Kabinett und die Zustimmung der zuständigen Ministerin fand, ist skandalös. Die gestrichene Änderung hätte die heutige Rechtsstel- lung des Zivildienstleistenden quasi auf den Kopf gestellt und hätte weitere Nachteile für Pflichtdienstleistende ein- geführt. Bisher können Zivildienstleistende, wenn sich während des Zivildienstes eine vorübergehende Dienstuntauglich- keit einstellt, die über das Ende der Wehrpflicht hinaus andauerte, nur auf ihren Antrag hin entlassen werden. Stellen diese keinen Antrag, geht der Dienst planmäßig und unter Beibehaltung der Geld- und Sachbezüge zu Ende, ohne dass aktiv am Dienst teilgenommen werden darf. Diese Regelung gibt Planungssicherheit für die Wehr- pflichtigen wie für Arbeit- und Ausbildungsplatzgeber. Insbesondere wird aber die Wehrpflicht zusammenhängend abgeleistet und spätere Einberufungen sind nicht mehr möglich. Die beabsichtigte Änderung hätte ermöglicht, bei neu eintretenden oder durch die Wehrpflicht verur- sachten gesundheitlichen Einschränkungen, die zu einer vorübergehenden Dienstuntauglichkeit führen, die über das planmäßige Dienstende hinaus andauern, die Entlassung auch gegen den Willen des Wehrpflichtigen auszusprechen. Die spätere Wiederherstellung der Dienstfähigkeit hätte zur erneuten Einberufung für die noch offene Grund- wehrdienstzeit geführt. Die betroffenen Wehrpflichtigen hätten nicht nur Nachteile durch ihre gesundheitlichen Einschränkungen, sondern sie wären zusätzlich belastet worden, weil ihnen zugemutet worden wäre, ihre gesamte Ausbildungs-, Berufs- und Lebensplanung auf eine zweite Einberufung abzustellen. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch die Qualität des ge- samten Gesetzesvorhabens. Dass es der Bundesregierung nicht um die Einführung eines Lerndienstes geht, sondern mit ein paar Begriffen gespielt wird, die sich gut anhören und deren politische Vermarktung einfach erscheint, liegt leider auf der Hand. So sieht der Bundeshaushalt 2009 eine Absenkung der Lehrgangskosten von 33,68 Millionen Euro (2008) auf 30,68 Millionen Euro (2009) vor. Gleich- zeitig soll die Zahl der Einberufungen von 85 000 auf 88 700 angehoben werden. Mehr Einberufungen hätten bei einer gleichbleibenden Seminarquote zwangsläufig ein Aufstocken der Haushaltsmittel zur Folge. Es geschieht aber das genaue Gegenteil, die Zahl der Einberufungen steigt und gleichzeitig werden die Haushaltsmittel für Lehrgänge verringert. Deutlicher kann die Bundesregie- rung es nicht zeigen: Dieses Gesetz dient ausschließlich der Augenwischerei! Elke Reinke (DIE LINKE): Wieder einmal zeigt sich: Die Bundesregierung tut sich schwer, den Zivil- dienst von Grunde auf zu verbessern. Der Änderungsan- trag der Koalitionsfraktionen bringt auch nur leichte, zö- gerliche Korrekturen. Am Ende werden wir aber trotzdem wieder den gerne verwendeten Satz hören: „Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ Aber wo ist das Ziel? Das Ziel der Fraktion Die Linke ist hingegen eindeu- tig: Wir sind für die Abschaffung der Wehrpflicht und al- ler Zwangsdienste. Die Wehrpflicht ist ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte und Lebensplanungen junger Männer. Sie ist ein Auslaufmodell und wird für die Lan- desverteidigung nicht gebraucht. Wir sind daher für die Umwandlung des Zivildienstes, der als Ersatzdienst Be- standteil der Wehrpflicht ist. Durch freiwerdende Mittel müssen die Jugendfreiwil- ligendienste gestärkt werden: Es ist eine echte Offensive für sozial abgesicherte, regulär bezahlte und mitbestim- mungsrelevante Dienste nötig. Die Zahl der Freiwilli- gendienstplätze muss mindestens verdoppelt werden, da- mit alle jungen Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten wollen, das auch tun können. Die freiwilligen Dienste müssen zudem als Lern- und Bildungsdienste hohen qualitativen Anforderungen genügen. Solange wir noch die Wehrpflicht haben, wünsche ich mir das natür- lich auch für den Zivildienst. Dies bleibt aber leider ein frommer Wunsch, denn es gibt unter anderem folgende drei Problemfelder: Ein Problem bleibt die Wehrungerechtigkeit. Für die Bundesregierung ist der Zivildienst anscheinend immer noch das ungeliebte Kind der Wehrpflicht. Der Ersatz- dienst ist inzwischen längst Regeldienst. Und die Wehr- ungerechtigkeit würde sich ohne die Kriegsdienstver- weigerer noch viel deutlicher zeigen. Die Möglichkeit, als Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen zu werden, ist nämlich wesentlich höher als die, zur Bundeswehr einberufen zu werden. Der Linken ist wichtig, dass die jungen Männer nicht in einem Zustand der Ungewissheit gehalten werden. Sie dürfen nicht in ihrer Lebensgestaltung verunsichert wer- den, weil sie nicht wissen, ob und wann der Staat mit der Wehrpflicht zuschlägt. Welch geringe Bedeutung die Bundesregierung dem Zivildienst beimisst, zeigt sich auch an Folgendem: Anders als für die Grundwehrdienstleistenden haben „Zivis“ keinen Vertreter im Bundestag, der sich für ihre Anliegen einsetzt und dessen Jahresberichte dort sogar diskutiert werden müssen. Stattdessen wird der Beauf- tragte für den Zivildienst von der Bundesregierung ein- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23351 (A) (C) (B) (D) gesetzt. Hier wäre ein Umdenken in Richtung Mitbe- stimmung dringend geboten. Die Wehrpflicht behindert zweitens die Ausbildungs- und Berufschancen junger Männer. Durch dieses Gesetz entstehen für die Wehrpflichtigen Nachteile auf dem Arbeitsmarkt, da auch § 2 des Arbeitsplatzschutzgeset- zes geändert werden soll. Wehrpflichtige haben in der Vergangenheit zu Recht stets darauf verwiesen, dass Ar- beitgeber die Verlängerung eines befristeten Arbeitsver- hältnisses oder die Übernahme der Wehrpflichtigen ab- lehnen, wenn die Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes bevorsteht. Wenn am Ende des Zwangs- dienstes dann der Arbeitsplatz weg ist, ist das nicht das Problem der Bundesregierung. Die Linke kann nicht hinnehmen, dass so mit der be- ruflichen Zukunft junger Menschen gespielt wird. Wir werden hier um Verbesserungen kämpfen. Schließlich bereitet es mir Sorgen, dass mit Zivildienstleistenden verstärkt sozialversicherungspflichtige reguläre Arbeits- plätze besetzt und damit ersetzt werden. Der Ersatz- dienst ist nicht arbeitsmarktneutral, wie ursprünglich vorgesehen: Zivildienstleistende übernehmen oft Tätig- keiten, die im Grunde von ausgebildeten Fachkräften ausgeübt werden müssen. Und sie werden außerdem von der Zivildienststelle wegen der geringeren Lohnkosten bevorzugt eingestellt. So tragen „Zivis“ unabsichtlich zur Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen bei. Die Linke will die Arbeit zum Beispiel in der Alten- betreuung, Kinderbetreuung sowie im Gesundheits- und Pflegebereich anders organisieren: Wir brauchen hier vor allem gut ausgebildete und qualifizierte, wenigstens nach gesetzlichem Mindestlohn bezahlte Fachkräfte, nicht Zivildienstleistende als Nothilfsmaßnahme. Wir wollen einen öffentlich finanzierten Beschäftigungssek- tor, aber keinen Zivildienst zum Minimaltarif. Der Gesetzentwurf führt insgesamt nicht zu einer zu- kunftsfähigen Entwicklung des Zivildienstes. Natürlich begrüßt die Linke, dass sich die Mehrheit der jungen Männer für einen zivilen sozialen Dienst und nicht für den Kriegsdienst entscheidet. Sie dürfen jedoch für ihre gesellschaftlich wertvolle, anerkannte Arbeit nicht auch noch benachteiligt werden. Über alledem steht aber unsere Forderung: Die Wehr- pflicht muss weg! Zum einen, weil die Linke eine Frie- denspartei ist, die sich den Menschenrechten und dem Völkerrecht eng verbunden fühlt. Zum anderen, wie ge- sagt, weil die Wehrpflicht die Ausbildungs- und Berufs- chancen beeinträchtigt. Unsere Gesellschaft braucht engagierte und gut aus- gebildete junge Menschen. Anstatt dieses Potenzial in einem Zwangsdienst zu verheizen, wäre es dringend er- forderlich, allen jungen Menschen einen ungehinderten Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen und gleichzei- tig Freiwilligendienste wirklich zu fördern. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarte Ziel, den Zivildienst zum Lerndienst umzugestalten, wird mit dem vorgelegten Gesetzentwurf verfehlt. Zwar ist es ein kleiner Fortschritt, dass die Zivildienstleistenden in Zu- kunft nach ihrer Tätigkeit den Anspruch auf ein qualifi- ziertes Zeugnis haben, in dem ihre Kompetenzen doku- mentiert werden. Viel wichtiger wäre es jedoch gewesen, eine angemessene Zahl an Bildungstagen für alle Zivil- dienstleistenden tatsächlich verbindlich zu ermöglichen. Die diesbezüglichen Änderungen der Koalitionsfraktio- nen im Gesetzgebungsverfahren sind unzulänglich, denn eine bloße Berechtigung zur Teilnahme an Seminaren reicht nicht aus. Die Verpflichtung, an einem Seminar zu speziellen Fachthemen teilzunehmen, wird durch die Formulierung „soweit dies erforderlich ist“ aufgeweicht und ad absurdum geführt. Für viele Zivildienstleistende gilt damit weiterhin das Prinzip „learning by doing“. Dies wird ihren verantwortungsvollen Aufgaben absolut nicht gerecht! Zentrale Probleme des Zivildienstes werden in die- sem Dritten Änderungsgesetz von der Koalition nicht angegangen. Angesichts der Schließung von Zivildienst- schulen und einer Kürzung der Mittel für Lehrgänge bei gleichzeitig mehr Zivildienstleistenden, kann nicht von einer Umgestaltung zum Lerndienst gesprochen werden. Es ist bezeichnend, dass erst kurz vor dem Ende Ihrer Regierungszeit eine Gesetzesänderung beschlossen wird, bei der es mehr als zweifelhaft ist, dass sie tatsäch- lich zu spürbaren Verbesserungen im Alltag der Zivil- dienstleistenden führt. Der angebliche „Lerndienst“ wird von Ihnen auch da- durch konterkariert, dass Sie im aktuellen Haushaltsjahr 2009 die Mittel für Vorhaben zur Ausgestaltung des Zi- vildienstes als Lerndienst von 750 000 Euro auf 350 000 Euro mehr als halbiert haben. Das ist kein Signal für ei- nen zivildienstpolitischen Aufbruch, sondern für Ab- bruch gewesen. Nicht zuletzt haben Sie in Ihrem Änderungsgesetz die Forderung von Verbänden nicht aufgegriffen, die frie- densethische Profilierung des Zivildienstes voranzutrei- ben und Lerninhalte wie „konstruktive Konfliktlösung“ als Aufgabenstellung zu benennen. Unseren Änderungsantrag, Ungleichbehandlungen von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden bei der Teilnahme an Musterungsuntersuchungen zu beseitigen, haben Sie im Ausschuss abgelehnt, ohne auch nur ein einziges Gegenargument zu nennen. Ich appelliere an Sie: Hören Sie endlich auf, den Gleichbehandlungs- grundsatz mit Füßen zu treten! Erfinden Sie nicht immer neue Ausflüchte bei den Untauglichkeitszahlen, und las- sen Sie nicht erst Gerichte entscheiden, dass es mit der ungerechten Einberufungspraxis so nicht weitergehen kann! Erst gestern hat das Kölner Verwaltungsgericht er- klärt, dass es die geltende Einberufungspraxis und die mit ihr verbundene Wehrungerechtigkeit als verfas- sungswidrig beurteilt, und hat eine entsprechende Rich- tervorlage an das Bundesverfassungsgericht weitergege- ben. Sie haben in dieser Legislaturperiode die eklatante Wehrungerechtigkeit weiter verschlimmert und benach- teiligen dabei insbesondere die Kriegsdienstverweigerer und damit die Zivildienstleistenden. Durch die Uneinigkeit der Regierungskoalition wurde das Zivildienstgesetz deutlich verzögert. Hauptgrund 23352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) war die von der Union und Ministerin von der Leyen ge- wollte optionale Dienstverlängerung, die das ungerechte System der Wehrpflicht weiter zementiert hätte. Erst auf massiven Druck haben Sie dieses unsinnige Instrument, das reguläre Arbeitsplätze hätte gefährden können, wie- der aus Ihrem Gesetzentwurf gestrichen. Traurig, aber wahr: Diese Nichtänderung ist das Beste an Ihrem Ge- setz. Warum die FDP dieser „alten Kamelle“ nun einen eigenen Entschließungsantrag widmet, ist wenig ver- ständlich. An den weiterhin bestehenden und entschei- denden Schwachpunkten des vorgelegten Gesetzes geht sie damit vorbei. Die heutige Verabschiedung des Gesetzes dokumen- tiert aber auch, dass die Koalition am Dogma der Wehr- pflicht und dem von ihr abgeleiteten Zivildienst festhält. Dies ist im europäischen Vergleich strukturkonservativ, rückwärtsgewandt und sicherheitspolitisch unnötig! Unsere grünen Alternativen zu dieser Politik sind klar: ein Ausstieg aus der Wehrpflicht und die Konver- sion des Zivildienstes, eine Verdoppelung der Freiwilli- gendienstplätze und keine sozialen Pflichtdienste sowie parallel die Umwandlung der Bundeswehr in eine Frei- willigenarmee mit einem freiwilligen Kurzdienst für junge Männer und Frauen. Neben diesen mittelfristigen Zielen müssen kurzfristig die Möglichkeiten zum Ersatz des Pflichtdienstes durch Freiwilligendienste dringend ausgeweitet werden. Anstatt alte Strukturen zu zementieren, brauchen wir schnellstmöglich einen massiven Ausbau der Jugendfrei- willigendienste nach klaren und transparenten Qualitäts- standards. Hier gibt es ein riesiges Potenzial von engage- mentbereiten Jugendlichen, die nur darauf warten, sich einbringen zu können. Als Grüne haben wir entspre- chende Vorschläge zu Konzeption und Finanzierung ge- macht. Notwendig ist jetzt der Mut zu klaren Entscheidungen und richtigen Prioritätensetzungen. Ich hoffe, dass sich in diesem Parlament bald die Mehrheit für Freiwilligkeit statt Zwang entscheidet und es dann keine mutlosen Ge- setze zur Fortführung von Pflichtdiensten mehr gibt. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend: Am 10. April 1961 traten die ersten Kriegsdienst- verweigerer ihren Wehrersatzdienst an; in diesem Jahr werden mehr als 85 000 junge Männer ihren Zivildienst leisten. Das ist etwa jeder vierte junge Mann eines Jahr- gangs. Gegenstand dieses Gesetzentwurfs und dieser Aus- sprache ist nicht die allgemeine Wehrpflicht. Solange es diese gibt und solange junge Männer von ihrem Grund- recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen, so lange gibt es den Zivildienst. Und so lange ist es un- sere gemeinsame Aufgabe, diesen Dienst so gut wie möglich zu gestalten. Leider gibt es Wehrpflichtgegner, die meinen, ihrem Ziel zu dienen, wenn sie den Zivildienst kritisieren oder gar verteufeln. Ich wende mich entschieden gegen diese Stellvertreterkämpfe, die vor allem dem Engagement der Zivildienstleistenden Unrecht tun. Junge Männer geben im Zivildienst heute neun Monate ihres Lebens für un- sere Gesellschaft, leisten ihren Beitrag für mehr Menschlichkeit. Sie erleben die tägliche Praxis sozialer Probleme und menschliches Leid häufig zum ersten Mal. Dies ist für ihren späteren Lebens- und Berufsweg prä- gend. Ihre Werte, Einstellungen und Schlüsselqualifika- tionen entwickeln und verändern sich in diesen neun Monaten. Der Zivildienst ist daher eine besondere so- zial- und jugendpolitische Chance für unsere Gesell- schaft. Deshalb ist es unsere Pflicht, diese neun Monate Lerndienst weiterzuentwickeln. Das Dritte Zivildienst- gesetzänderungsgesetz wird den rechtlichen Rahmen da- für schaffen. Zum Dienstbeginn wird es für jeden Zivildienstleis- tenden einen besonderen Informationstag über Rechte und Pflichten, über Geld- und Sachbezüge geben. Da- rüber hinaus soll selbstverständlich jeder Zivildienstleis- tende weiterhin an einem Seminar zur politischen Bil- dung sowie jeder Zivildienstleistende mit fachlich anspruchsvoller Tätigkeit weiterhin an einem Seminar zu fachspezifischen Fragen teilnehmen. In einem neuen einwöchigen Seminar zur Vertiefung der persönlichen und sozialen Kompetenzen sollen die im Dienst erwor- benen Schlüsselqualifikationen und -kompetenzen für die Zukunft der jungen Männer bewusst gemacht und gesichert werden. Ferner wollen wir die Gelegenheit zur Reflexion der Erlebnisse im Dienst schaffen. Dies ist vor allem für die Zivildienstleistenden, die mit menschli- chem Leid konfrontiert werden, eine wertvolle und not- wendige Unterstützung. Den Dienst und die dort erworbenen Kompetenzen je- des Zivildienstleistenden wollen wir, insbesondere für die berufliche Zukunft, in einem qualifizierten Dienst- zeugnis für alle sichern. In der Praxis bewährt hat sich, dass der Bundesbeauf- tragte für den Zivildienst für jeden Zivildienstleistenden ohne Verpflichtung zur Einhaltung des Dienstwegs quasi als Ombudsmann zur Verfügung steht und sich um seine Sorgen und Probleme kümmern kann. Das wollen wir gesetzlich klarstellen. Für sein persönliches und uner- müdliches Engagement möchte ich hier dem Bundesbe- auftragten, Herrn Dr. Jens Kreuter, besonders danken. Außerdem soll der Bundesbeauftragte für den Zivil- dienst künftig in einem ausführlichen Bericht über die Entwicklung und Lage im Zivildienst Rechenschaft ab- legen. Dies wird für uns alle von großem Interesse sein; denn allein die Zahlen im Zivildienst sind beeindru- ckend: Über 2,5 Millionen junge Männer haben seit 1961 Zivildienst geleistet. Im Jahr 2007 haben wir eine Trendwende erreicht. Seitdem steigen die Zahlen wieder. Zusammen mit den Ersatzdiensten, insbesondere den Friedensdiensten im Ausland, erfüllen Jahr für Jahr mehr als 90 000 anerkannte Kriegsdienstverweigerer ihre Zi- vildienstpflicht. In den unterschiedlichsten Institutionen sind Zivil- dienstleistende anzutreffen: in Krankenhäusern, in geschützten Werkstätten, integrativen Schulen, Alten- pflegeeinrichtungen und bei der individuellen Schwerst- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23353 (A) (C) (B) (D) behindertenbetreuung, aber auch bei Bahnhofsmissionen, in der Kultur, im sozialen Sport oder im Umweltschutz. Ein neueres Einsatzgebiet sind Kindertagesstätten, in de- nen Zivildienstleistende als männliche Bezugspersonen für unsere Kinder mehr als willkommen sind. Ebenso bedeutend ist, dass viele junge Männer zum ersten Mal soziale Felder unserer Gesellschaft erleben; Felder, die immer noch in ihrer Beschäftigungsstruktur weiblich dominiert sind. Erste Ergebnisse unseres der- zeit laufenden Forschungsprojekts bestätigen dies ein- drucksvoll: Aus Sicht der Zivildienststellen entwickeln sich die Kompetenzen der jungen Männer im Zivildienst weiter. Insbesondere im Bereich der sozialen Kompeten- zen sehen über 90 Prozent der Zivildienststellen positive Entwicklungen bei den Zivildienstleistenden. Mehr als die Hälfte der Zivildienststellen wurde von den For- schern als „eher lernfeldaktiv“ bewertet. Bereits jetzt ge- staltet eine große Anzahl von Einsatzstellen das Lernfeld Zivildienst aktiv. Die Bundesregierung hat so zum richtigen Zeitpunkt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Zivildienst auf dieser tragfähigen Grundlage als Lerndienst weiter ge- stalten wird. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Stärkung des europäi- schen Haischutzes (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Wir beraten heute die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Stärkung des eu- ropäischen Haischutzes“. Um es vorwegzunehmen: Ich stimme der Beschlussempfehlung zu, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Bevor ich dies im Detail erläutere, möchte ich mich zunächst dem Thema etwas genauer zuwenden, um das es in diesem Antrag geht. Denkt man an einen Hai, dann hat man in Anlehnung an berühmte Filme oft das Bild eines angsteinflößenden und für Menschen gefährlichen Tieres vor Augen. Die Realität jedoch sieht anders aus. Haie sind in der Regel scheue und vorsichtige Fische. Menschen gehören jedoch nicht zu ihrem Beuteschema. Pro Jahr gibt es nur ungefähr 100 Hai-Unfälle, von de- nen fünf bis 15 tödlich enden. Diese sind zwar sehr tra- gisch, aber in der Relation zu den vielen Millionen Men- schen, die jedes Jahr Aktivitäten im Wasser ausüben, ist das eine sehr geringe Zahl. Generell gelten nur 44 der 500 Haiarten als gelegentliche Angreifer. Im Gegensatz zu seinem schlechten Image ist der Hai vielmehr ein wichtiger Teil des maritim-biologischen Gleichgewichtes. Denn die Haie gehören zu den ältesten Tieren der Welt – schon vor den Dinosauriern schwam- men sie durch die Meere. Noch heute besteht eine große Artenvielfalt von über 500 verschiedenen Haiarten. Haie leben in nahezu allen Gewässern auf der Welt. Sie neh- men eine Schlüsselrolle ein. Da sie häufig schwache und kranke Tiere fressen, tragen sie so zur Gesunderhaltung der Beutetierbestände bei. Da sich die Meeresökosys- teme über Millionen von Jahren als Ganzes entwickelt haben, kommt jeder Art eine wichtige Funktion zu. Wenn ein Beutegreifer im Nahrungsnetz verschwindet, kann es zur starken Vermehrung der Beutetiere kommen, und das Gleichgewicht gerät ins Wanken. Ungemach droht dem Hai vonseiten der Menschen. Wir stellen heute für den Hai eine viel größere Gefahr dar, als sie es für uns je waren. Haie sind nicht nur als Einzeltier, sondern in ihrer ganzen Spezies bedroht. Wie eine Studie aus dem Jahr 2003 zeigt, wurden die Hai- bestände im nordwestlichen Atlantik in den letzten 16 Jahren durchschnittlich um die Hälfte reduziert. Be- sonders stark betroffen sind einige große Arten: Der Ti- gerhai büßte 65 Prozent, der Weiße Hai 79 Prozent und der Hammerhai gar 89 Prozent seiner Bestände ein! Auch in Europa sind die Haie von diesem Niedergang nicht verschont: Von den 116 verschiedenen in den Ge- wässern der Europäischen Union lebenden Haiarten sind zahlreiche vom Aussterben bedroht. So gelten bereits ein Viertel der bei uns lebenden Haiarten als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht – weitere 20 Prozent sind gefährdet. Vom Dornhai ist beispielsweise nur noch 5 Prozent seines ursprünglichen Bestandes vorhanden. Hauptsächliche Ursache dafür ist die starke Befi- schung des Haies. Seit 1984 ist die weltweite Fang- menge um ein Drittel auf 800 000 Tonnen pro Jahr ge- stiegen. In der EU wurden 100 000 Tonnen gefangen. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur an die Schillerlocke erinnert – eine Delikatesse in Deutschland. Diese wird aus dem Bauchlappen des Dornhais gewonnen. Damit tragen auch die Verbraucher in unserem Land maßgeb- lich zu dessen Dezimierung bei. Mittlerweile hat der Ap- petit der Europäer dazu geführt, dass der Dornhai nur noch außerhalb von europäischen Gewässern gefangen werden kann. Daneben verenden unzählige Haie als Bei- fang auf der Suche nach Thunfisch und Marlin. Des Wei- teren werden Haie gezielt für pharmazeutische Produkte und zur Gewinnung der Haihaut für Lederprodukte aller Art gejagt. Schließlich bedrohen auch gewisse Sportfi- scher den Hai, für die die Haikiefer begehrte Trophäen sind. Besonders grausam ist die Fangmethode, um an die Haifischflossen zu gelangen, das sogenannte „Finning“. Die Flossen gelten als beliebte Delikatesse, und der Han- del damit gilt als besonders lukrativ. Den Haien werden beim „Finning“ die Flossen abgeschnitten und die Tiere lebend ins Wasser zurückgeworfen, wo sie dann elendig verenden. Die Flossen machen nur 14 Prozent des Kör- pers aus, bringen auf dem internationalen Markt aber wesentlich mehr als das Fleisch. Erschwerend kommt hinzu, dass die Haie nur sehr langsam wachsen und des- halb eine längere Zeit für ihre Geschlechtsreife benöti- gen. Einige Haiarten erzeugen erst nach 15 oder bis zu 30 Jahren Nachkommen und sind deshalb besonders an- fällig für Überfischung. Angesichts der dramatischen Situation der Hai- bestände hat die Europäische Union bereits seit 2003 eine Reihe von Regelungen zur Erhaltung und nachhalti- gen Bewirtschaftung von Haibeständen erlassen. Dazu 23354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) gehören die Festsetzung von Gesamtfangmengen und Quoten, die Finningverordnung, die Verordnung über das Management von Tiefseefischerei sowie ein Fang- verbot für Riesenhai und Weißen Hai. Seit 2005 wurden zudem immer strengere Regelungen zum Schutze des Dornhaies und des Heringshaies erlassen. Konnte zu- nächst noch unkontrolliert Jagd auf beide Arten gemacht werden, hat sich dies nun geändert. So ist der gezielte Fang verboten und lediglich der Beifang erlaubt. Aber auch hier wurden die Quoten kontinuierlich zum Schutz der Tiere gesenkt. Mit dem am 5. Februar 2009 von der EU-Kommis- sion vorgelegten Haiaktionsplan sollen nun Ratsbe- schlüsse zu zusammenhängenden Maßnahmen zum Schutz und Wiederaufbau sowie zur Sicherstellung einer nach- haltigen Bewirtschaftung von Haien innerhalb der EU vorbereitet werden. Dabei sollen die bereits genannten Regelungen zusammen mit weiteren Maßnahmen in ei- nem schlüssigen und zielführenden gemeinschaftsweiten Plan zum Schutz der Haie zusammengeführt werden. Auch wenn man nun kritisieren kann, dass es lange ge- dauert hat, bis sich die EU mit dem Schutz der Haie in- tensiv befasst hat, ist es nicht zuletzt dem Druck Deutschlands zu verdanken, dass dies nun geschehen ist. Ein großer Erfolg, wie ich finde. Vor allem für die in den Gewässern der EU lebenden Haiarten! Dieser EU-Haiaktionsplan enthält nun kurz gesagt Regelungen zur besseren Erforschung der Haibestände, der Rolle der Haie im Ökosystem, verfolgt das Ziel einer nachhaltigen Haifischerei, einer Regulierung der Bei- fänge und einer Verschärfung des Verbotes des Abtren- nens von Haifischflossen. Die endgültigen Schlussfolge- rungen des Agrar- und Fischereirates sind für Ende April zu erwarten. Hier setzt auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen an, die den Aktionsplan als in Teilen zu vage kritisiert. Die Bundesregierung soll sich daher für die zü- gige Konkretisierung und Umsetzung der Ziele des EU- Haifischaktionsplans einsetzen. Angesichts der Dezi- mierung der Haifischbestände sei ein besonderer Schutz – insbesondere der bereits gefährdeten Arten – dringend erforderlich. Die Bundesregierung solle sich daher dafür stark machen, im Rahmen der Umsetzung des EU-Hai- aktionsplans, die Fang- und Beifanghöchstgrenzen für alle Haiarten zu reduzieren und für gefährdete Arten auf null herabzusetzen, sich auf internationaler Ebene kon- sequent für den Schutz gefährdeter Haie einzusetzen und Ausnahmeregelungen des EU-weiten Finningverbotes zu beenden und dies auch zu kontrollieren. Diesen Antrag habe ich mit Interesse zur Kenntnis ge- nommen, muss aber im Ergebnis feststellen, dass er nicht notwendig ist, da die Bundesregierung bereits auf allen Feldern, die der Antrag anspricht, aktiv geworden ist – und dies auch mit Erfolg. Lassen Sie mich das et- was genauer ausführen, wobei ich eines besonders beto- nen möchte: Wir setzen uns nachdrücklich für eine nach- haltige Fischerei von Haien und einen verstärkten Schutz von gefährdeten Haiarten ein. Deshalb begrüßen wir den EU-Haiaktionsplan ausdrücklich. Damit dieser erfolg- reich sein kann, kommt es auf eine konsequente und un- verzügliche Umsetzung an – nicht ohne Grund setzt sich die Bundesregierung daher seit langem für eine zügige Erarbeitung des Aktionsplanes und die Verabschiedung klarer Ratsbeschlüsse in Brüssel ein. Dabei kommt folgenden Punkten besondere Bedeu- tung zu: So gilt es zunächst einmal, die Datenlage zu verbessern, damit man am Ende auch genau weiß, wo- rüber man eigentlich redet. Ohne genaue Angaben über den Bestand einzelner Haiarten ist es nur sehr schwer möglich, sinnvolle und zielführende artspezifische Re- gelungen zu deren Schutz und Bewirtschaftung zu fin- den. Zudem gilt bei allen Maßnahmen zu beachten, dass Haie nur über niedrige Reproduktionsraten verfügen und von einer Überfischung daher besonders betroffen sind. Auch die wichtige Bedeutung der Haie für das Ökosys- tem muss berücksichtigt werden. In diesem Zusammen- hang ist auch die Vermeidung von Beifängen besonders wichtig. Hier müssen technische Lösungen gefunden werden, damit diese Tiere nicht mehr oder weniger zu- fällig in den Netzen der Fischer landen. Dies kann man sich angesichts der angespannten Bestandssituation nicht länger leisten. Wenn es doch zu unerwünschten Beifän- gen kommt, muss auch klar geregelt sein, in welchem Zustand der Hai sein muss, damit man ihn wieder zurück ins Wasser werfen kann, ohne ihn vorsätzlich an Bord des Schiffes oder im Wasser verenden zu lassen. Abschließend ist auch – wie von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert – die soge- nannte Finningverordnung zu verbessern. Hier gibt es ganz klare Defizite, sodass nach wie vor noch viel zu vielen Tieren nach dem Fang die Flossen abgeschnitten werden. Die Bundesregierung wird sich für eine unver- zügliche Überarbeitung dieser Verordnung einsetzen, um diesen tierquälerischen Methoden einen Riegel vorzu- schieben. Hier habe ich einen klaren Standpunkt: Ohne einen vernünftigen Grund darf man kein Tier töten. Eine Verwendung von nur 15 Prozent der Tiere für die menschliche Ernährung ist sicherlich kein solcher Grund. Diesem Anspruch muss die überarbeitete Fin- ningverordnung gerecht werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Bundesregie- rung setzt sich bereits sehr engagiert und erfolgreich für den Schutz der Haie ein. Und dies nicht nur im Rahmen der Verhandlungen zum Haiaktionsplan auf europäischer Ebene. Auch auf internationaler Ebene nutzt die Regie- rung zahlreiche Organisationen und Abkommen, um den Schutz von Haibeständen sicherzustellen. Als Beispiel sei nur einmal die Vertragstaatenkonferenzen des Bonner Übereinkommens zum Schutz wandernder, wild leben- der Tierarten erwähnt. Hier hat man sich erfolgreich für die Aufnahme des Dorn- und Heringshais eingesetzt. Gleiches soll bei dem Washingtoner Artenschutzüber- einkommens wiederholt werden. Zusammenfassend lautet mein Petitum deshalb: Ers- tens. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist wegen fehlender gegenwärtiger Notwendigkeit, auf- grund der bereits großen Anstrengungen der Bundesre- gierung im Rahmen des Haischutzes, abzulehnen. Zwei- tens. Zudem kündige ich bereits heute an, dass wir das Thema Anfang Mai erneut im Ausschuss beraten wer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23355 (A) (C) (B) (D) den, um uns über die endgültigen Ergebnisse des Haiak- tionsplanes zu informieren. Wir tragen eine große Verantwortung für unsere Mit- geschöpfe, denn sie bereichern nicht nur unser Leben, sie ermöglichen es erst. Deshalb profitieren vom Schutz der Haie nicht nur die Tiere, sondern auch wir selbst. Holger Ortel (SPD): Mit dem am 5. Februar von der Kommission verabschiedeten Haiaktionsplan kommt endlich mehr Bewegung in das Vorhaben des Schutzes gefährdeter Haibestände in Gewässern inner- und außer- halb der Gemeinschaft. Die Bemühungen gingen zu- nächst schleppend voran. Sie nehmen nun aber an Fahrt auf. Es gilt, einige gefährdete Bestände effektiv zu schützen, was jedoch vor dem Hintergrund unterschied- licher Interessen in der Gemeinschaft eine komplexe Aufgabe darstellt. Für Haie gilt, was für alle Meeresbewohner gilt: Sind sie gefährdet, brauchen sie unseren Schutz. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass von den im Antrag aufge- führten 130 Arten einige Bestände in bedrohlichem Zu- stand befinden. Deshalb begrüßen wir den Haiaktions- plan und die Bemühungen der Bundesregierung, diesen Plan zügig umzusetzen. Was die konkrete Umsetzung des Plans allerdings anbelangt, bleibt der Antrag doch weitestgehend unkonkret. Ich hätte mir schon ein wenig mehr erhofft als die Forderung nach der zügigen Kon- kretisierung und Umsetzung. Ihr Antrag sagt nichts über Ihre Vorstellungen über konkrete Maßnahmen aus. Da- mit machen sie es sich zu einfach. Eine gezielte, nach- haltige Bewirtschaftung der Haibestände ist kompliziert. Wie ja bekannt ist, werden die meisten Haie als Beifänge angelandet, in der Tiefseefischerei, der demersalen wie auch der pelagischen Fischerei. Die gemischten Fische- reien, vor allem die demersalen, so zu regeln, dass Bei- fänge vermieden werden können, ist eine komplexe Auf- gabe. In einigen Teilen der Tiefsee existiert ein Stellnetzverbot, durch das Tiefseehaie geschont werden. Ein Verbot kann aber nicht überall Anwendung finden. Für eine nachhaltige Befischung unter Schonung der Haifischbestände bedarf es der Erforschung und Ent- wicklung fangtechnischer Methoden, die es ermögli- chen, andere Fischarten zu befischen, ohne dass gleich- zeitig Haie als Beifänge ins Netz gehen. Die Selektivität der Fangtechniken muss mit dem Ziel einer Verringe- rung des Beifangs von Haien erhöht werden. Doch dazu braucht es auch eine fundierte wissen- schaftliche Basis. Die Rolle der Haie als Predatoren im Ökosystem ist bislang nur ansatzweise bekannt. Diese muss noch wesentlich mehr erforscht werden. Der ICES oder andere wissenschaftliche Einrichtungen können es gar nicht leisten, von jetzt auf gleich die Bestände der wichtigsten Haibestände zu schätzen, sodass auch Maß- nahmen zur Erhaltung der Bestände nur sukzessive ein- geführt werden können. Und mit der Bestandsschätzung wäre ja erst ein Anfang gemacht. Den im Februar vorgelegten Haiaktionsplan begrüßen wir ausdrücklich. Die Bemühungen um die Haie inner- und außerhalb der Gemeinschaftsgewässer gingen bis- lang verhalten voran. Deutschland hat kein Interesse an einer langsamen Umsetzung des Haiaktionsplanes. Die Bundesregierung konnte für ihr Vorhaben, den Dornhai auf der 14. CITES-Konferenz in Anhang II listen zu las- sen, keine Mehrheit gewinnen. Aber sie hat bereits ange- kündigt, es auf der nächsten Konferenz im Jahr 2010 er- neut zu versuchen. Im Agrar- und Fischereirat im Dezember 2008 hat sich die Bundesregierung bereits für ein Verbot der ge- zielten Fischerei auf Dornhai in Gemeinschaftsgewäs- sern eingesetzt. Der Rat konnte sich aber nicht dafür ent- scheiden. Die Bundesregierung hat allerdings eine Mehrheit für ein Verbot der Fischerei auf Dornhai ab dem Jahr 2010 finden können. Ich kann versichern: Die Bundesregierung wird sich hier auch für die Einhaltung dieses Verbotes stark machen und darüber hinaus für Er- haltungsmaßnahmen des Heringshais einsetzen. Der Antrag der Grünen geht leider gar nicht auf die Gewässer außerhalb der Gemeinschaft ein, in denen die Mitgliedstaaten Haie gezielt oder als Beifänge fangen. Auch darauf findet der Haiaktionsplan Anwendung. Bei der Bewirtschaftung dieser Bestände kann die Gemein- schaft auf die Nachhaltigkeit hinwirken. In einer Reihe von regionalen Fischereiorganisationen ist die Gemein- schaft Mitglied. Ich möchte die Bundesregierung auffor- dern, auch in diesen Organisationen, wie zum Beispiel NEAFC oder NAFO, die Bemühungen für eine Verbes- serung der Datenlage und für angemessene Bewirtschaf- tungsmaßnahmen weiterhin zu unterstützen. Hier zeigt sich, dass die verschiedenen Bestände nicht alle in schlechtem Zustand sind. Ein großes Handelsunterneh- men, Vorreiter im Vertrieb ökozertifizierter Produkte, hat die Schillerlocke, die aus dem Bauchlappen des Dorn- hais hergestellt wird, wieder in sein Sortiment aufgenom- men. Es lässt sogar den Dornhai im Nordwestatlantik zer- tifizieren. Eine gezielte Betrachtung der verschiedenen Bestände, auf die der Haiaktionsplan abzielt, ist also an- gebracht. Abschließend möchte ich auf den letzten Punkt des Antrages, die Aufklärung und Information der Bevölke- rung über mögliche gesundheitsschädigende Auswirkun- gen des Verzehrs von Haifleisch, eingehen. Die Bundes- regierung ist sowohl auf dem Gebiet der Forschung wie auch auf dem Gebiet der Aufklärung und Information der Bevölkerung aktiv. Die Bundesregierung verfügt über gute Kenntnisse zur Belastung von Haifischfleisch mit toxischen Substanzen wie beispielsweise Methyl- quecksilber. Die zuständigen Bundesländer prüfen risi- koorientiert und anhand von Stichproben, ob die gelten- den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Angesichts eines durchschnittlichen Pro-Kopf- Verbrauchs von bis zu 15,7 Gramm tut die Bundesregie- rung das ihr Mögliche, um die Bevölkerung vor den möglichen Gefahren des Verzehrs von Haiprodukten zu warnen. Im Übrigen ist der Verbrauch in Deutschland seit Jahren rückläufig. Ich denke, das Grundanliegen dieses Antrages wird in allen Fraktionen positiv gesehen. Aber worauf die Bun- desregierung festgelegt werden soll, ist eine Mischung aus Maßnahmen, die sie bereits ergriffen hat, und Maß- 23356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) nahmen, die keineswegs praktikabel sind. Dabei sollte Ihnen doch bekannt sein, dass sich die Bundesregierung nachdrücklich für ein verantwortungsvolles Manage- ment von Haifischereien und für einen verstärkten Schutz gefährdeter Haiarten einsetzt. Jeder will einen angemessenen Schutz für gefährdete Meerestiere, aber mit undifferenziertem Aktionismus und ungenauer Da- tenlage werden wir diesen Schutz nicht erreichen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Haie sind fas- zinierende Tiere. Der Hai gehört mit den Rochen und Seekatzen zu den Knorpelfischen. Weltweit umfasst diese Fischgruppe über 1 000 verschiedene Arten. In den EU-Gewässern lassen sich insgesamt 118 unterschied- liche Arten nachweisen. Bei vielen Menschen verursachen Haie eher Angst und Schrecken als Interesse. Durch Kinofilme wie „Der weiße Hai“ wird das negative Image der Haie als men- schenfressende Killer weiter verstärkt – ganz zu Un- recht, denn es gibt nur wenige Beweise für die viel- zitierte Gefährlichkeit der Haie. Unsere Angst vor dem Mythos Hai ist auf die generelle menschliche Furcht vor dem Unbekannten, dazu in dem uns fremden Element Wasser, zurückzuführen. Mittlerweile sind viele Haiarten in ihrem Bestand be- droht. Der Anfang des Jahres vorgestellte EU-Aktions- plan für die „Erhaltung und Bewirtschaftung der Hai- bestände“ führt den Rückgang der Haipopulationen primär auf die spezifischen biologischen Merkmale der Haie sowie auf eine unregulierte und zu intensive Befi- schung zurück. Weltweit ist der legale Haifischfang zwi- schen 1984 und 2004 von 600 000 auf 840 000 Tonnen im Jahr angestiegen. Hinzu kommen schätzungsweise circa 13 Millionen Haie, die pro Jahr als ungewollter Beifang in der Fischerei verenden. Wegen ihres biolo- gisch bedingten geringen Reproduktionspotenzials kön- nen sich die Haibestände nur schwer von Überfischung oder anderen negativen Entwicklungen erholen. Die derzeit in der EU gültigen Fanggrenzen für den Hai und die bestehenden Schutzbestimmungen gelten nur für wenige Arten und sind häufig entgegen den wis- senschaftlichen Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung, I-CES, erfolgt; sie sind zumeist zu hoch. Im Nordostatlantik sind bereits ein Drittel aller Haiarten vom Aussterben bedroht und auf der Roten Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion, IUCN, zu finden. Deutschland hat sich bereits in der Vergangenheit in der Diskussion um den Haiaktionsplan für den Schutz der Haie eingesetzt. Unser Land hat in den letzten Jahren mehrere Artenschutzinitiativen, wie Anträge beim Washingtoner Artenschutzübereinkom- men, CITES, für Dorn- und Heringshai sowie die Auf- nahme von Hai- und Rochenarten auf die Liste der ge- fährdeten Arten bei der Oslo-Paris Konvention, OSPAR, eingebracht. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich im Rahmen der Umsetzung des EU-Haiaktionsplanes für die Redu- zierung der Fanghöchstgrenzen für Haiarten, besonders für die in den EU-Gewässern gefährdeten Arten wie Dorn- und Heringshai, ein. Anders als in den EU-Ge- wässern hat sich die Bestandssituation des Dornhais vor der Westküste der USA, Nordostpazifik, in den vergan- genen Jahren deutlich verbessert. Der Bestand ist hier mittlerweile wieder so gut, dass die offiziellen Fangquo- ten für die Jahre 2007 und 2008 erhöht werden konnten. Die Dornhai-Populationen um Südafrika und im Südpa- zifik um Australien und Neuseeland herum werden nach Angaben der IUCN-Roten-Liste als „nicht gefährdet“ eingestuft. Für die Zukunft bietet sich bezogen auf den Dornhai noch eine weitere Alternative: Es gibt derzeit vielversprechende Bestrebungen, den Dornhai als erste Haiart durch den Marine Stewardship Council, MSC, zertifizieren zu lassen. Nach jetziger Planung, wird diese MSC-Zertifizierung bereits Ende 2009 ihren Abschluss gefunden haben. Wir befürworten eine Zertifizierung durch den MSC, weil dadurch die nachhaltige Bewirt- schaftung von Dornhaibeständen gesichert wird. Das heißt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auch künftig nicht völlig auf den Genuss der beliebten Schil- lerlocken verzichten müssen. Als Schillerlocken werden die geräucherten Bauchlappen des Dornhais bezeichnet. Aus Sicht der FDP ist von besonderer Bedeutung, dass im EU-Aktionsplan ein umfassendes Verbot des Finnings EU-weit implementiert wird. Nur durch eine solche Maßnahme kann sichergestellt werden, dass diese tierschutzwidrige Praxis endlich beendet wird. Beim so- genannten Finning werden den Fischen die Flossen ab- geschnitten, und die oft noch lebenden Tiere werden an- schließend ins Meer zurückgeworfen. Die gewonnenen Haifischflossen werden als beliebte Delikatesse zumeist auf dem asiatischen Markt vertrieben; sie finden sich aber auch auf den Speisekarten vieler europäischer Res- taurants wieder. Die FDP setzt sich in diesem Bereich für die von Fi- schereiwissenschaftlern schon seit langem geforderte Hai-Ganzkörperanlandung im Hafen ein – nur so kann gewährleistet werden, dass kein Finning praktiziert wird. Ein weiteres Ziel muss nach unserer Auffassung sein, auf internationaler Ebene konsequent für eine Verbesse- rung des Schutzes gefährdeter Haiarten einzutreten. Die Verminderung von Haifisch-Beifängen im Bereich der Industriefischerei ist hierfür eine geeignete Maßnahme. Die FDP hatte bereits in der vergangenen Legislatur- periode in ihrer Initiative: „Industrieller Fischfang in Nord- und Ostsee“, Bundestagsdrucksache 15/1447, ge- fordert, die Industriefischerei in den EU-Gewässern ein- zuschränken. Weder die rot-grüne noch die jetzige Bun- desregierung haben in diesem Bereich bislang etwas unternommen. Die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gestellte Forderung zur stärkeren Kontrolle und Überwachung von Fischtrawlern der EU-Fangflotte verkennt, dass be- reits heute umfangreiche Überwachungsmaßnahmen er- folgen. Eine zusätzliche Verschärfung der Kontrollen in der Fischerei führt zu weiterem bürokratischen Aufwand und ist für die Fischer nicht mehr hinnehmbar. Trotzdem stimmt die FDP-Bundestagsfraktion dem vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu. Wir wollen, dass der EU-Haiaktionsplan zügig konkretisiert und umge- setzt und das jeglichem Tierschutz widersprechende Fin- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23357 (A) (C) (B) (D) ning beendet wird. Die Einschätzung der Großen Koali- tion, es sei schon alles getan worden, teilen wir nicht. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Die Linke unterstützt ausdrücklich den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen zur Stärkung des europäischen Hai- schutzes. Knorpelfische, zu denen der Hai gehört, zählen zu den ältesten Lebewesen. Ihr Alter wird auf mehr als 400 Millionen Jahre geschätzt. Gegenüber anderen Fischarten zeichnen sie sich durch ein sehr langsames Wachstum und ein spätes Einsetzen der Geschlechtsreife aus. Beim Dornhai zum Beispiel setzt die Geschlechts- reife erst mit etwa 25 Jahren ein. Die Fortpflanzungsrate ist vergleichsweise niedrig. Das alles führt dazu, dass Haie besonders empfindlich auf Fischerei reagieren. Bestandsverluste sind kaum aus- zugleichen. Daraus folgt, dass Maßnahmen zur Erhal- tung der Bestände langfristig angelegt werden und einer strengen Kontrolle unterliegen müssen, so Haifischex- pertin Diane E. Notwendig. Artenspezifische Fangme- thoden sowie die weltweite Ächtung der grausamsten Methode der Haitötung, des „Finnings“ – hier werden nach dem Fang die Flossen abgetrennt; anschließend wird der Hai wieder ins Meer geworfen, wo er elend zu- grunde geht – sind erforderlich. Im Hinblick auf artenspezifische Fangmethoden sind vor allem solche zu fördern, die ungewünschten Beifang weitgehend verhindern. Täglich werden Hunderte Ton- nen Beifang über Bord gekippt. Beifang kann man fol- gendermaßen illustrieren: Man nimmt eine Tüte Smar- ties, sucht sich die roten heraus und wirft den Rest weg. Dem Meer zurückgegebener Beifang hat zumeist eine schlechte Überlebenschance. Mit dem EU-Haiaktionsplan sollen der Erhalt und die Bewirtschaftung der Haifischbestände streng reguliert werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, die Bevölkerung über die Gesundheitsgefahren beim Verzehr von Haifleisch aufzuklären. Bei Stichprobenuntersuchungen, auch in Deutschland, wurden Konzentrationen von Me- thylquecksilber festgestellt, die deutlich über dem Grenzwert lagen. In einem vom Sharkprojekt initiierten Forschungsprojekt – vergleiche „Unterwasser“ 10/05 – wurde zudem auf die gesundheitlichen Folgen aufmerk- sam gemacht. Zur Stärkung des Haifischschutzes fordert die Linke: Erstens dürfen Haifische und Kadaver innerhalb der EU zur besseren Finningkontrolle nicht mehr getrennt entla- den werden, um Kontrolle zu ermöglichen, zweitens for- dern wir das Ganzkörperanlandungsgebot – Verhältnis zwischen Flossen und Kadavern zur Finningkontrolle –, drittens die Entwicklung und Umsetzung eines ökosys- temrelevanten europäischen Aktionsplanes für Haie mit Fangbegrenzungen nach wissenschaftlicher Maßgabe, viertens den Schutz der von der Ausrottung bedrohten Haiarten – Aufnahme in den Anhang II des Washingto- ner Artenschutzabkommens CITES, fünftens die Reduk- tion der Beifangmengen in der Fischerei – Änderungen der Fischereitechniken – die Reduktion der Überkapazi- täten der europäischen Fischfangflotten und das Verbot der Grundschleppnetzfischerei, sechstens die wissen- schaftliche Erfassung der existierenden Haibestände, siebtens fordern wir die Erfassung und zentralisierte Sammlung von Daten über den Handel mit Haien, ach- tens eine verbraucherschutzrelevante Informationspoli- tik und Transparenz über giftige Inhaltsstoffe, die beim Verzehr von Raubfischarten zwangsläufig aufgenommen werden, und neuntens die Errichtung großflächiger Mee- resschutzgebiete. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entgegen weitverbreiteter Vorstellungen, Haie kämen bei uns nicht vor, leben etwa 130 verschiedene Hai-, Rochen- und Chimärenarten in den EU-Gewäs- sern. Deren Bestände wurden in den letzten Jahren stark dezimiert. Gründe dafür sind hauptsächlich die nicht nachhaltige Fischerei und die gestiegene Nachfrage nach Haiprodukten, insbesondere nach Haiflossen im asiatischen Raum. Haie werden nicht nur als Beifang angelandet, sondern seit Mitte der 80er-Jahre auch verstärkt gezielt gejagt. Haie aber sind gegenüber Überfischung besonders empfindlich, da die meisten Haiarten sehr langsam wachsen, sehr alt werden und nur wenige Nachkommen haben. Laut Weltnaturschutzunion, IUCN, ist rund ein Drittel der Haiarten in den europäischen Gewässern vom Aussterben bedroht. Zudem gibt es einen deutlichen all- gemeinen Rückgang der Haipopulationen. Neben der negativen Auswirkung der Dezimierung der Haibestände auf die Haiarten selbst kann diese auch sehr ernste Folgen für das gesamte Meeresökosystem sowie die Fischereiwirtschaft haben. Haie stehen im Meeresöko- system an der Spitze der Nahrungspyramide, sie tragen zur Gesunderhaltung der Beutetierbestände bei und haben daher eine wichtige Funktion. Ein stärkerer Schutz der Haie – insbesondere der bereits gefährdeten – ist daher dringend erforderlich. Am 5. Februar hat die EU-Kommission einen Aktions- plan zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Haibestände in europäischen Gewässern – den sogenannten Haiaktions- plan – vorgelegt. Wir begrüßen diesen Schritt der EU- Kommission sehr, da der Aktionsplan gute Vorschläge für Maßnahmen enthält, um unter anderem Haibestände und -fischereien sowie die Rolle der Haiarten im Öko- system besser zu erforschen, eine nachhaltigere, gezielte Haifischerei durchzusetzen und Beifänge zu regulieren und eine strengere Überwachung des Finningverbots zu erzielen. Teilweise sind die Vorschläge im EU-Haiaktionsplan je- doch sehr vage gehalten, weswegen die Phase der Imple- mentierung der vorgeschlagenen Maßnahmen und die Um- setzung des Aktionsplans nun entscheidend sein werden. Bereits am 24. und 25. April soll auf der Ratssitzung über den Aktionsplan entschieden werden. Daher for- dern wir die Bundesregierung auf, sich bei dieser Rats- sitzung im Sinne des Haischutzes für eine konsequente und zügige Verabschiedung und Umsetzung des EU-Hai- aktionsplans einzusetzen und bereits im Vorfeld konkrete Maßnahmen zu erarbeiten. 23358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) Konkret fordern wir die Einführung einer obligatori- schen Meldepflicht der Haifänge und Beifänge von Haien für die EU-Mitgliedstaaten, um die Situation der Bestände besser erfassen zu können, die Fang- und Beifanghöchst- grenzen für alle Haiarten zu reduzieren und für gefährdete Haiarten wie Dornhai oder Heringshai auf Null herabzu- setzen, die Schließung der Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher des EU-weiten Finningverbots und stärkere Kontrollen an Bord der Fischtrawler zur Überwachung des Verbots und die Aufklärung und Information der Be- völkerung über mögliche gesundheitsschädigende Aus- wirkungen des Verzehrs von Haifleisch zu verstärken. Auch in Deutschland wird Haifleisch – unter anderem in Form von Haisteaks oder vor allem unter dem Namen Schillerlocke – konsumiert. Doch der Verzehr kann nega- tive Folgen für die Gesundheit haben, da Haifleisch stark mit toxischen Substanzen wie Methylquecksilber belastet ist, welches von der WHO als möglicher Krebsauslöser geführt wird. Es ist höchste Zeit, den Haischutz auf europäischer Ebene voranzutreiben. Der Aktionsplan der EU-Kom- mission muss daher zügig und konsequent umgesetzt werden. Im Sinne eines konsequenten Verbraucherschutzes ist darüber hinaus die Aufklärung über mögliche gesund- heitliche Risiken durch den Verzehr von Haiprodukten dringend erforderlich. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorschrif- ten der Zahlungsdiensterichtlinie (Zahlungs- diensteumsetzungsgesetz) (Zusatztagesordnungs- punkt 8) Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Wir fassen heute den Beschluss über das Zahlungsdiensteumset- zungsgesetz (ZAG). Welche Ziele verfolgen wir damit? Zum einen die gebotene Umsetzung der europäischen Zahlungsdiensterichtlinie. Inhaltlich geht es um eine an- gemessene Aufsicht über den Zahlungsverkehr, um mehr Wettbewerb im Binnenmarkt und mehr Nutzen für Kun- den und Anbieter. In den vergangenen Wochen haben wir in großer Detailarbeit eine Vielzahl von Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf vorgenommen. Diese Detailarbeit hat sich auch in ergänzenden Hinwei- sen im Ausschussbericht fortgesetzt. Herauszustellen sind sicher folgende Punkte: Wir stärken die Aufsicht nochmals deutlich. Dies ist wichtig unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise. Dafür führen wir Monatsausweise für Zahlungsinstitute ein, damit Behörden schnellen Zu- gang zu Informationen haben. Und wir stellen klar, dass Eigenkapital in Institutsgruppen nicht mehrfach genutzt werden kann. Wir können darüber hinaus auch davon ausgehen, dass im sogenannten Abrechnungsverkehr keine Aufsichtslücken bestehen. Wir stärken den Wett- bewerb erheblich. Und hierauf lege ich für die CSU be- sonderen Wert. So gibt es jetzt einen klaren Hinweis auf die Zuständigkeit der Kartellbehörden im Gesetz. Dies ist wichtig, falls Zahlungsdienstleistern der Zugang zu Zahlungssystemen verwehrt werden sollte. Die Bundes- regierung soll zudem prüfen, ob die gefundene Regelung ihr Ziel effektiv erfüllt. Es erfolgt eine deutliche Beto- nung des freien Marktzugangs ohne Diskriminierung, vor allem auch für grenzüberschreitende Tätigkeiten. Wir grenzen ein, wem gegenüber Teilnehmer an Zah- lungssystemen interne Daten offenlegen müssen. Dies hätte sonst zur Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen führen können. Von den Maßnahmen profitieren insbe- sondere kleine und neue Unternehmen – und selbstver- ständlich der Kunde. Wir haben beträchtlich entbürokra- tisiert. So ist nun klargestellt, dass nur die jeweils strengeren Anforderungen gelten, wenn im ZAG und KWG parallele Regelungen vorhanden sind. Münzgeld- handling soll in der Regel nicht unter eine Aufsicht fal- len. Zahlungen innerhalb von Konzernen oder Verbund- gruppen sind nicht erfasst. Damit haben wir auch ein einhelliges Petitum von Bundesrat und Zentralem Kredit- ausschuss aufgenommen. Automatisch erteilte Erlaub- nisse für Zahlungsdienstleistungen sollen darüber hinaus einfach und unbürokratisch zurückgegeben werden kön- nen. Nach dem Jahressteuergesetz 2009 waren eine Reihe von Folgeänderungen im Kreditwesengesetz notwendig geworden, die wir jetzt umgesetzt haben. Für einige Un- ternehmen, zum Beispiel Acquirer im Kreditkartenge- schäft, ist von besonderer Bedeutung auch die Korrektur eines Schreibfehlers in der Zahlungsdiensterichtlinie, so- weit dies national möglich ist. Formal korrekt kann dies zwar nur auf EU-Ebene erfolgen. Wir haben aber im Be- richt klargestellt, dass die Behörden ihre Verwaltungs- praxis anpassen sollen. Kein Unternehmen soll wegen eines Schreibfehlers der EU Nachteile erleiden. Auch aus Verbrauchersicht ist das ZAG ein großer Schritt nach vorne. Einige sehen zwar die Gefahr von re- volvierenden Krediten und Überschuldung der Verbrau- cher. Diese Befürchtung teile ich aber nicht. Das deut- sche Kreditkartensystem ist einfach nicht mit dem angelsächsischen System vergleichbar. Außerdem hätte eine von der Richtlinie abweichende Regelung dem „Eu- ropäischen Pass“ widersprochen. Dieser setzt voraus, dass Zahlungsdienste in allen EU-Ländern nach den gleichen Bedingungen angeboten werden können. Zu- dem wird im ZAG nur der aufsichtsrechtliche Teil der Richtlinie umgesetzt. Weitergehende Überlegungen zum Verbraucherschutz sollten daher im Verfahren zum zivil- rechtlichen Teil angesprochen werden; denn dort geht es um das Verhältnis von Kunde zu Zahlungsdienstleister. Aber auch im Rahmen des ZAG haben wir viel für den Verbraucherschutz getan. Es gibt nun klare Anforderun- gen an Zahlungsinstitute, zum Beispiel bezüglich der Eigenmittelanforderungen. Wir haben die Regelungen auch für andere Sicherungsmaßnahmen im Sinne der Verbraucher ausgeschöpft, anders als in anderen Län- dern. Ein Beispiel: Es gibt eine strikte insolvenzrecht- liche Absicherung von Kundengeldern bei Zahlungs- instituten. Dies ist der Ersatz für die fehlende Einlagensicherung. Deshalb müssen Kundengelder auf Treuhandkonten verwaltet oder von Banken oder Versi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23359 (A) (C) (B) (D) cherungen garantiert werden. Dies gilt in Deutschland auch unterhalb der Summe von 600 Euro. Vor allem aber wird der Verbraucher von mehr Wettbewerb, mehr Transparenz im einheitlichen europäischen Markt und klaren Zuständigkeiten der Aufsicht profitieren. Ein besonderer Punkt war die Frage der Änderung des Informationsfreiheitsgesetzes. Dabei geht es um eine Abwägung der Informationsinteressen der Bürger mit dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Aufsicht. Der Bundesrat hat den Wunsch geäußert, eine sogenannte Bereichsausnahme für die Finanzaufsicht in das IFG aufzunehmen und so die Aufsicht zu stärken. Diese ist auch auf vertrauliche Informationen angewie- sen. Das gilt auch für die internationale Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Andererseits ist das Informa- tionsrecht der Bürger wichtig, gerade in Zeiten der Fi- nanzmarktkrise. Der Punkt war auch in der Anhörung sehr umstritten. Vor diesem Hintergrund haben Gesprä- che innerhalb und zwischen den Fraktionen ergeben, dass noch offene Fragen und weiterer Diskussionsbedarf bestehen. Wir ändern deshalb das IFG im Rahmen des ZAG nicht. Insgesamt lautet das Fazit: Wir haben unsere Ziele erreicht. Der Aufsichtsteil der Zahlungsdienste- richtlinie ist umgesetzt, die Aufsicht über Zahlungsinsti- tute gestärkt. Wir haben mehr Wettbewerb durch freien Marktzugang für Zahlungsinstitute. Dadurch erzielen wir mehr Nutzen für Kunden und Anbieter bei gleichzei- tig hohem Niveau des Verbraucherschutzes. Das Stim- mungsbild gibt dieser Einschätzung Recht. Die betroffe- nen Verbände sind zufrieden, im Ausschuss hat auch die Opposition vielen Punkten zugestimmt. Und in einer produktiven Zusammenarbeit mit der SPD konnten wir unsere Verbesserungsvorschläge zielstrebig umsetzen. Martin Gerster (SPD): Wir haben die letzte Sitzungs- woche vor Ostern. Lassen sich mich deshalb einen gewag- ten Vergleich anstellen. Ich möchte das „Zahlungsdienste- umsetzungsgesetz“, das wir heute beschließen wollen, einmal mit einem Osternest vergleichen: Das Gesetz ist rund, die Inhalte stimmen, und das Gesamtwerk stößt all- gemein auf große Zustimmung. Zunächst galt es aber, ein unschönes Kuckucksei zu entfernen, das dem Gesetz untergeschmuggelt werden sollte. Ein Ei, das – so meine Wahrnehmung – mehr Schlagzeilen produziert hat, als der eigentliche Entwurf, um den es heute gehen soll. Ich spreche vom durch den Freistaat Bayern angestoße- nen Versuch, den Gesetzentwurf als Vehikel zu nutzen, um das Informationsfreiheitsgesetz aufzuweichen. Ge- fordert wurde nicht mehr und nicht weniger als eine Bereichsausnahme für alle im Sektor Finanzaufsicht täti- gen Behörden und öffentlichen Stellen. Ich hatte diesen hochproblematischen Punkt ja bereits in meiner Rede zur ersten Lesung angesprochen und meine Skepsis gegenüber allen Plänen ausgedrückt, Hand an das IFG zu legen. Umso mehr freue ich mich, dass sich alle Frak- tionen des Hauses mittlerweile auf dieser Linie versam- melt haben, ohne sich vor den Karren ihrer Parteifreunde in der bayerischen Landesregierung spannen zu lassen. Dem Kollegen Uhl stimme ich jedenfalls vollkommen zu, dass diese Bundesratsinitiative zumindest „politisch instinktlos“ ist – wenn nicht Schlimmeres. Für uns Sozialdemokraten steht fest: Am Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Informationen aus der Verwaltung wird nicht gerüttelt – auch wenn es für die betroffenen Behörden unbequem sein mag. Es wäre aber auch naiv zu ignorieren, dass es tatsächlich Versuche gibt, das Informationsfreiheitsgesetz gezielt zu miss- brauchen. Beispielsweise um sich Auskünfte über Geschäftsgeheimnisse Dritter zu beschaffen. Die damit verbundenen Gefahren müssen wir ernst nehmen und an das Verantwortungsgefühl jener appellieren, die glauben, sich solcher Manöver bedienen zu müssen. Machen wir uns klar: Die aktuelle Krise der Finanz- märkte stellt ein Umfeld dar, in dem schon kleinste In- diskretionen zur Situation von Banken und Unternehmen kritische Konsequenzen haben können. Dennoch ist und bleibt die Informationsfreiheit ein zentrales Bürgerrecht, an dem wir aus Prinzip festhalten. Ich will aber nicht darüber sprechen, was wir – aus gutem Grund – nicht machen, sondern den eigentlichen Inhalten des Zahlungsdiensteumsetzungsgesetzes zu ihrem Recht verhelfen. Die können sich nämlich, wie ich meine, durchaus sehen lassen: Mit dem Gesetz setzen wir die aufsichtsrechtlichen Vorgaben der EU-Zahlungsdiensterichtlinie eins zu eins in nationales Recht um – eine wichtige Weichenstellung für die Etablierung eines gemeinsamen europäischen Zahlungsraums. Den Hauptteil des Entwurfs bildet das sogenannte Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz, ZAG. Damit wird unter anderem ein Rechtsrahmen für die neu zu eta- blierende Kategorie der Zahlungsinstitute geschaffen, die bislang keinem harmonisierten Aufsichtsregime in der Europäischen Union unterworfen waren. Zudem werden Zahlungsinstitute zukünftig einer Solvenzaufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht un- terliegen. Damit sollen eine laufende Aufsicht über diese Zahlungsinstitute sichergestellt und für den Kunden im Falle einer Zahlungsunfähigkeit bestehende Ausfallrisi- ken minimiert werden. Wir schaffen also mit dem Gesetz Strukturen für alle Zahlungsinstitute, die wie bei Banken über die Einhaltung der entsprechenden Sicherungsmaß- nahmen und -regeln wachen. Somit wird das Aufsichtsge- fälle behoben, das sonst zwischen Kreditinstituten und im Sinne der Richtlinie als Zahlungsinstituten definierten Un- ternehmen bestehen bliebe. Wie uns die Anhörung vom 11. Februar bestätigt hat, liegen wir mit dem Gesetz richtig. So stießen die Pläne zur Richtlinienumsetzung bei den geladenen Sachverstän- digen und Verbänden auf breite Zustimmung. Dort wo es Bedenken gab, konnten wir sie weitestgehend ausräumen: Das betraf zum einen Fälle, in denen Unklarheiten be- standen, ob und inwiefern Zahlungsdienstleister unter den Anwendungsbereich und die Aufsichtsregelungen des ZAG fallen würden. Zum anderen ging es um die Vermeidung unnötiger Doppelaufsichten und bürokrati- scher Belastungen für die entsprechenden Unternehmen. Zu guter Letzt will ich noch erwähnen, dass uns daran gelegen war, die notwendige Einbindung der jeweils 23360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) zuständigen Kartellbehörden auch im Gesetz zu betonen. Schließlich wollen wir mit der Umsetzung der Richtlinie Markteintrittsbarrieren abbauen und gleiche Wettbewerbs- bedingungen im europäischen Binnenmarkt schaffen. Doch auch hier braucht der Markt einen klaren ord- nungspolitischen Rahmen. Gerade auf europäischer Ebene sehe ich gegenwärtig noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, die Kräfte des Marktes im Sinne der Menschen zu zügeln. Das hat sich auch im Zuge der Verhandlungen um die Zahlungsdienste- richtlinie gezeigt. In diesem Zusammenhang darf ich das Engagement der Bundesregierung loben, die die Zeichen der Zeit erkannt und sich hier klar auf der Seite der Marktregulierung und des Verbraucherschutzes positioniert hat. So wurde die von anderen Ländern gewollte Aufweichung der aufsichts- rechtlichen Anforderungen an das Kreditkartengeschäft in vielen Punkten erfolgreich verhindert. Beispielsweise konnte erreicht werden, dass bei von Zahlungsinstituten ausgegebenen Karten Kredite innerhalb von 12 Monaten zurückgeführt werden müssen. Das mag dem einen oder anderen nicht kurz genug sein. Aber es ist ein Schritt und sollte ausreichen, um Probleme vermeiden, wie wir sie bei überschuldeten Kreditkartennutzern aus den USA kennen. Auf diese Gefahren hinzuweisen, wie es Professor Reifner in der Anhörung getan hat, ist sicherlich ver- dienstvoll, wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei den in Deutschland üblichen Kreditkarten in der Regel um sogenannte Debit-Karten handelt, die monats- weise vom normalen Girokonto abgerechnet werden. Ich sehe deshalb auch nach der Umsetzung der Richtlinie nicht, dass uns amerikanische Verhältnisse ins Haus stehen. Überdies muss ich an dieser Stelle auf eines hinwei- sen: Das Gesetz, über das wir hier beraten, stellt nur ei- nen Teil der Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie dar. Die zivilrechtlichen Regelungen, die das Verhältnis zwischen Zahlungsinstituten und Kunden regeln, werden in einem separaten Gesetzgebungsverfahren behandelt. Federführend ist hier der Rechtsausschuss. Ich empfehle deshalb grundsätzlich, die entsprechenden Sachfragen im Rahmen dieses Teils der Richtlinienumsetzung zu klären. Was die Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vor- schriften der Zahlungsdiensterichtlinie angeht, lautet mein Fazit: Als deutscher Gesetzgeber können wir diese Vollharmonisierung in voller Harmonie zu einem guten Abschluss bringen. Frank Schäffler (FDP): Die FDP-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, da es sich im Wesent- lichen um eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie handelt. Ob es in Einzelpunkten zu Wettbewerbsverzer- rungen oder Doppelaufsichten kommt, müssen wir bei der Gesetzesanwendung weiterhin im Auge behalten. Wesentlicher Diskussionspunkt im Rahmen der Ge- setzesberatung war eine vom Bundesrat vorgeschlagene Einschränkung des Informationsfreiheitsgesetzes. Der Bundesratsinitiative Bayerns hatten übrigens elf Bundes- länder, unter anderem Hamburg, zugestimmt. Wir haben als FDP-Fraktion bereits zu Beginn der Beratungen im Finanzausschuss deutlich gemacht, dass wir diese Ein- schränkung ablehnen. Um die Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen, muss auch transparent gemacht werden, wie die Bankenauf- sicht im Einzelfall gehandelt hat. Um diesen Punkt auch politisch vernünftig aufarbeiten zu können, dürfen die Akten nicht verschlossen bleiben. Daneben bekennen wir uns natürlich zum Ziel einer effektiven Finanzaufsicht. Wenn schützenswerte Daten von Unternehmen betroffen sind, müssen diese im Einzelfall vertraulich bleiben. Das Informationsfreiheitsgesetz enthält eine Reihe von Ausnahmen zum Schutz öffentlicher und privater Belange. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind gene- rell geschützt, und eine entsprechende Beauskunftung nach dem Informationsfreiheitsgesetz erfolgt nicht, wenn solche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dadurch ver- letzt werden könnten. Darauf hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in der Anhörung ausdrücklich hingewiesen. Da somit auch die Interessen der Finanzinstitute berücksichtigt werden, lehnen wir eine Einschränkung der berechtigten Infor- mationsansprüche der Bürger ab. Das vorliegende Gesetzgebungsverfahren ist nur der aufsichtsrechtliche Teil der nationalen Umsetzung der Single Euro Payments Area, SEPA. Wir sollten auch in den anderen Bereichen der SEPA-Umsetzung möglichst unbürokratische Verfahren wählen. Der einheitliche Euro-Zahlungsverkehrsraum, der der deutschen Kredit- wirtschaft erhebliche Anstrengungen abverlangt, muss für Bürger und Unternehmen so attraktiv wie möglich gestaltet werden, damit die SEPA-Produkte auch ange- nommen werden. Um die kritische Masse bei der SEPA- Nutzung zu erreichen, muss auch die öffentliche Hand SEPA aktiv nutzen. Über 50 Prozent des Zahlungsver- kehrs in Deutschland erfolgen durch die öffentliche Hand. Deshalb ist die Beteiligung der öffentlichen Hand an dem politisch gewollten Projekt SEPA eine Grundvorausset- zung für eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Ich will meine Aus- führungen unter die Überschrift stellen: Gestaltungs- spielräume nutzen: Verantwortungsvolle Kreditvergabe statt Überschuldung und Wucher. Wenn EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden, gibt es immer Gestaltungsspielräume. Gerade bei der Zahlungsdienste- richtlinie kommt es darauf an, diese zu nutzen. Nur so können wir Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer schüt- zen. Daher lege ich mein Hauptaugenmerk auf eben diese Spielräume, die im Gesetzentwurf der Bundesre- gierung leider noch ungenutzt sind. Die EU-Richtlinie sieht vor, den europäischen Zahlungs- verkehr zu vereinheitlichen. Dazu zählt, auch Institute ohne Bankerlaubnis zum Zahlungs- und Kreditgeschäft zuzu- lassen. Konkret: Mobilfunkbetreiber, Kreditkartenanbie- ter und Einzelhandelsunternehmen können bald Geldge- schäfte abwickeln, ohne mit einer zugelassenen Bank Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 23361 (A) (C) (B) (D) zusammenzuarbeiten. Da klingeln sicherlich bei vielen die Alarmglocken, was das für den Verbraucherschutz oder die Finanzstabilität bedeutet. Die Alarmglocken läuten völlig zu Recht und hoffentlich auch im Bundes- tag laut genug. Der Sinn der Richtlinie besteht darin, den Zahlungs- verkehr zu vereinheitlichen – nicht mehr und nicht weni- ger. Genau da können und müssen wir ansetzen. Auf genau dieses Ziel müssen wir die Freigabe von Kreditge- schäften beschränken. Und in der Tat: Die Richtlinie überlässt es dem nationalen Gesetzgeber, die Grenzen ab- zustecken – zwischen Zahlungsverkehr einerseits und weiterreichender Kreditvergabe andererseits. Weil genau dieser Spielraum im vorliegenden Gesetzentwurf nicht sinnvoll genutzt wird, hat die Linke im Finanzausschuss noch auf Änderungen gedrungen. Unser entsprechender Änderungsantrag ist aber leider – ich würde sogar sagen: gegen besseres Wissen – abgelehnt worden. Wir haben eine Änderung von § 2 Abs. 3 zur exakte- ren Definition des Erlaubnisvorbehalts vorgeschlagen. Die von uns vorgeschlagene Formulierung hätte eine klare einschränkende Definition zu dem Verhältnis von Zahlungsvorgang und Kreditgewährung dargestellt. Sie hätte einerseits Gewähr dafür geboten, dass den Notwen- digkeiten des Zahlungsverkehrs Rechnung getragen wird, und andererseits die Gefahr der Überschuldung durch Kreditkartenkredite weitgehend gebannt. Dabei haben wir auch der von der Bundesregierung vorgetragenen Auffassung widersprochen, dass der Schutz vor Wucher und Überschuldung ausschließlich zivilrechtlich, nicht aber aufsichtsrechtlich bewerkstelligt werden könne. Es geht uns darum, klar zu definieren und einzugren- zen, welche Kreditgeschäfte ohne Bankzulassung getä- tigt werden dürfen. Der Gesetzesentwurf der Bundesre- gierung hingegen überlässt das der freien Gestaltung der Anbieter. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Nicht-Banken weiterhin unentgeltlich Kurzkredite ver- geben – etwa beim Kauf eines Kühlschranks, eines Fern- sehers oder einer Musikanlage. Was jedoch nicht den Bach hinuntergehen darf, sondern was wir stärken müs- sen, ist eine verantwortungsvolle Kreditvergabe. Wir lehnen es daher ausdrücklich ab, dass Nicht-Banken per Barabhebung am Automaten Kredite verkaufen dürfen. Hochgradig tückisch sind auch Geschäfte mit Kreditkar- ten, deren Zinsen sich danach richten, wann jede ein- zelne Zahlung erfolgt: Es reicht dann nicht, den ausste- henden Gesamtbetrag im Blick zu haben. Vielmehr muss man jede einzelne Zahlung im Kopf behalten. Denn vom Zeitpunkt jeder Zahlung hängt ab, wie hoch und wie lange der Teilbetrag verzinst wird. Die fehlende Trans- parenz birgt die Gefahr, sich zu überschulden oder schlicht mehr zu zahlen als nötig. Schuldnerberatungen aus den USA und Großbritannien verweisen auf eine Vielzahl von Fällen, in denen sich aus Zinseszinsen er- drückende Überschuldungssysteme entwickelt haben. Wir fordern: Kreditverträge müssen transparent sein. Und die Kreditvergabe muss über die gesamte Laufzeit fair erfolgen. Dafür tritt die Linke ein. Wir wollen, dass entgeltliche Ratenkredite von über zwölf Monaten nur durch reguläre Banken vergeben werden. Reguläre Ban- ken unterliegen im Gegensatz zu anderen Anbietern der regulären Bankaufsicht. Auch brauchen Kreditnehmerinnen und Kreditneh- mer wirksame Mittel, um ihre Rechte zu vertreten. Ebenso wie Verbraucherschutzorganisationen halten wir es deshalb für dringend geboten, die Informationsfreiheit zu wahren. Das heißt: Beweise, die der Finanzaufsicht vorliegen, müssen auch den Beschwerdeführern zugäng- lich sein. Die europäische Richtlinie bietet diese Spielräume. Es ist unsere Aufgabe, sie zu nutzen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Grünen befürworten grundsätzlich den europäischen Zahlungsverkehr. Es entspricht der Lebenswirklichkeit vieler Menschen, zwischen den EU-Staaten zu pendeln und ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr eindeutig in ei- nem Staat zu haben. Es macht Sinn, wenn innerhalb der EU einheitliche Regeln in diesem Bereich herrschen. Die Staatengemeinschaft hat hier ganz klar die Rege- lungskompetenz. Das vorliegende Gesetz setzt die ent- sprechenden EU-Richtlinien in deutsches Recht um. In dem Gesetz geht es primär um den Marktzugang der An- bieter und um aufsichtsrechtliche Fragen. Zivilrechtliche Aspekte werden in einem eigenen Gesetz behandelt. Trotz der grundsätzlichen Zustimmung zur Idee des europäischen Zahlungsverkehrs wird die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen gegen das Gesetz stimmen. Hauptgrund dafür ist, dass die Belange der Verbrauche- rinnen und Verbraucher im Gesetz zu wenig berücksich- tig wurden und die Bundesregierung mit ihrer Gesetzes- vorlage hinter dem Spielraum zurückgeblieben ist, den die EU-Richtlinie geboten hätte. Während der Beratungen im Bundesrat hat die bayeri- sche Landesregierung – unter Beteiligung der selbster- nannten Bürgerrechtspartei FDP – einen Änderungsvor- schlag eingebracht, der die Bestimmungen des Informationsfreiheitsgesetzes, IFG, stark beschnitten hätten. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie hat das nichts zu tun, aber CSU und FDP wollten sich offen- sichtlich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, die In- formationsrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Finanzaufsicht zu beschneiden. Dabei sind im IFG ohnehin schon zahlreiche Ausnahmen vorgesehen, die die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen der Finanzun- ternehmen sichern. Die Anhörung und die Debatte im Finanzausschuss haben gezeigt, dass eine Einschrän- kung des IFG unnötig ist und die Informationsrecht der Bürgerinnen und Bürger unverhältnismäßig einge- schränkt hätte. Ich bin froh, dass sich CSU und FDP mit ihrem Ansinnen nicht durchsetzen konnten. Die Bundesregierung hat den Spielraum der Richtli- nie nicht zugunsten der Verbraucherinnen und Verbrau- cher genutzt. Es geht um Haftungsfragen bei EC- oder Kreditkarten. Bisher war der Selbstbehalt auf 150 Euro unbesehen weiterer Umstände beschränkt. Das ist nun aufgehoben. Der Verbraucher muss nachweisen, dass er 23362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 214. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 (A) (C) (B) (D) nicht in der Lage war, die Zahlungskarte sperren zu las- sen. Das ist unter Umständen nur schwer zu leisten, um- ständlich und offenbart wenig Zutrauen in die Redlich- keit der Kundinnen und Kunden. Überschuldung ist in Deutschland wahrscheinlich das gesellschaftliche Problem, das am wenigsten Aufmerk- samkeit erfährt. Sehr lange versuchen Menschen mit Zahlungsschwierigkeiten diese zu verschleiern. Der Nachbar, die Familie, die Kollegen sollen nichts merken. Da wir uns aktuell mitten in einer schweren Rezession befinden und die Arbeitslosenzahlen weiter nach oben gehen werden, wird es auch zu mehr Überschuldungen kommen. Dieser Zustand tritt dann ein, wenn Menschen ihre laufenden finanziellen Verpflichtungen nicht mehr aus ihrem regelmäßigen Einkommen bedienen können. Das ZAG bietet neuen Anbietern von Finanzdienst- leistungen einen leichteren Marktzugang. Ihre Geschäfts- praxis konzentriert sich auf das Kreditkartengeschäft. In Deutschland ist es bisher üblich, dass Kreditkarten Zah- lungsaufträge sammeln und dann in einem Vorgang ab- rechnen. Im angelsächsischen Raum haben Kreditkarten eine echte Kreditfunktion. Dabei werden häufig beste- hende mit neuen Krediten beglichen. Das Problem ist, dass der ausstehende Gesamtbetrag keine Auskunft über die Struktur der Verschuldung gibt, da Fristen zu beach- ten sind. Es droht durch diese Unübersichtlichkeit Über- schuldung leichter einzutreten. Hier wären mehr Informationspflichten und Transpa- renz gefordert – gerade vor dem Hintergrund der Kredit- kartenverschuldung in den USA und Großbritannien, die Millionen Menschen in die Überschuldung treibt, wäre es gut gewesen, eine vorsichtige Regelung zu finden, die die Verbraucherinnen und Verbraucher besser schützt. Genauso mit den Bestimmungen zum Abrechungszeit- raum: 12 Monate sind dafür in der Richtlinie vorgese- hen, was zu noch mehr Unübersichtlichkeit beiträgt. Der Abrechnungszeitraum hätte auf vier Monate beschränkt werden müssen. Wir befürchten also, dass hier der Weg für neue Fehl- entwicklungen am Finanzmarkt beschritten wird. 214. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. März 2009 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621400000

Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in unsere Tages-
ordnung gibt es einige Glückwünsche zu übermitteln.

Heute feiert der Kollege Uwe Beckmeyer seinen
60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich dazu herzlich. Ich wünsche für das nächste und die
folgenden Jahre alles Gute.


(Beifall)


Der Kollege Dr. Max Stadler ist bereits am Montag
dieser Woche 60 Jahre alt geworden, und der Kollege
Wilhelm Josef Sebastian beging am vergangenen
Samstag seinen 65. Geburtstag. Auch diesen beiden Ju-
bilaren möchte ich auf diesem Wege noch einmal die gu-
ten Wünsche des ganzen Hauses übermitteln.


(Beifall)


Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-
bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD:

Rede
Bekämpfung der Kinderpornografie im Inter-
net

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:

zu den Antworten der Bundesregierung auf die
Fragen Nr. 19 und 20 auf Drucksache 16/12355

(HRE)


(siehe 213. Sitzung)


ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 36)


a) Beratung des Antrags der Abgeordn
Toncar, Burkhardt Müller-Sönkse
Addicks, weiterer Abgeordneter und
der FDP
tzung

den 26. März 2009

.00 Uhr

Für ein kohärentes und effizientes Konzept
der deutschen humanitären Hilfe

– Drucksache 16/7523 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Hans-Michael Goldmann, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Transparente und eindeutige Produktkenn-
zeichnung als Voraussetzung für ökologische
Konsumentenverantwortung

– Drucksache 16/11911 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Federführung strittig

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Wolfgang Wieland, Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion

text
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Visumsfreie Einreise türkischer Staatsangehö-
riger für Kurzaufenthalte ermöglichen

– Drucksache 16/12437 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Fraktionen FDP, DIE
LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

ksache 16/12480 –
isungsvorschlag:
ss für Wahlprüfung, Immunität und
eten Florian
n, Dr. Karl
der Fraktion

– Druc
Überwe
Ausschu

Geschäftsordnung






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu TOP 37)


a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 543 zu Petitionen

– Drucksache 16/12438 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 544 zu Petitionen

– Drucksache 16/12439 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 545 zu Petitionen

– Drucksache 16/12440 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 546 zu Petitionen

– Drucksache 16/12441 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 547 zu Petitionen

– Drucksache 16/12442 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 548 zu Petitionen

– Drucksache 16/12443 –

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 549 zu Petitionen

– Drucksache 16/12444 –

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 550 zu Petitionen

– Drucksache 16/12445 –

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 551 zu Petitionen

– Drucksache 16/12446 –

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 552 zu Petitionen

– Drucksache 16/12447 –
ZP 5 Wahlen zu Gremien
a) Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der

unselbständigen Stiftung „Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“
Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD
– Drucksache 16/12417 –

b) Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der
Stiftung „Deutsches Historisches Museum“
– Wahlvorschläge der Fraktionen DIE LINKE

und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/12419 –

– Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP
– Drucksache 16/12418 –

ZP 6 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Con-
terganstiftungsgesetzes
– Drucksache 16/12413 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth

(Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Stärkung des europäischen Haischutzes
– Drucksachen 16/12290, 16/12458 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Markus Kurth

ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vor-

(Zahlungsdiensteumsetzungsgesetz)

– Drucksachen 16/11613, 16/11640 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksachen 16/12430, 16/12487 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Albert Rupprecht (Weiden)

Martin Gerster
Frank Schäffler
Dr. Barbara Höll
Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 9 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der Förderung von Biokraft-
stoffen

– Drucksachen 16/11131, 16/11641 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 16/12465 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)

Marko Mühlstein
Michael Kauch
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/12466 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Andreas Weigel
Ulrike Flach
Michael Leutert
Anna Lührmann

Dabei soll wie meist in solchen Fällen von der Frist
für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, ab-
gewichen werden. Die von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen verlangte Aktuelle Stunde findet entgegen der
ursprünglichen Ankündigung nicht statt. Der Tagesord-
nungspunkt 9 – hierbei geht es um den Stadtumbau Ost –
soll abgesetzt und an dieser Stelle der Tagesordnungs-
punkt 11 – Innere Führung in der Bundeswehr – aufgeru-
fen werden. Morgen werden die Tagesordnungs-
punkte 33 und 34 getauscht.

Schließlich mache ich auf vier nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der in der 183. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-

(11. Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über geneti-

(Gendiagnostikgesetz – GenDG)


– Drucksachen 16/10532, 16/10582 –
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich-
tung eines Bundesaufsichtsamtes für Flug-
sicherung und zur Änderung und Anpassung
weiterer Vorschriften

– Drucksache 16/11608 –

überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung arzneimittelrechtlicher und anderer Vor-
schriften

– Drucksache 16/12256 –

überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien

Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union (21. Ausschuss) zur Mitberatung über-
wiesen werden.

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Artikel 87 d)


– Drucksache 16/12280 –

überwiesen:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Sind Sie mit all diesen Vorschlägen einverstanden? –
Das sieht so aus. Dann ist das so beschlossen.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 e auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine NATO-Erweiterung – Sicherheit und
Stabilität mit und nicht gegen Russland

– Drucksachen 16/11247, 16/11971 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Eduard Lintner
Markus Meckel
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überprüfung und Korrektur der Strategie
beim Afghanistanengagement vor dem NATO-
Gipfel in Kehl/Straßburg beginnen

– Drucksache 16/12113 –

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

NATO-Gipfel für eine strategische Neuaus-
richtung nutzen – Neue Schritte zur Abrüs-
tung und für gemeinsame Sicherheit einleiten

– Drucksache 16/12322 –

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

60 Jahre NATO – Deutschland muss sich in
Diskussion über die Zukunft der NATO kon-
struktiv einbringen

– Drucksache 16/12433 –

Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1621400100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir

freuen uns, dass Deutschland gemeinsam mit Frankreich
am Ende der nächsten Woche Gastgeber des NATO-Gip-
fels, des Jubiläumsgipfels zum 60-jährigen Bestehen des
Bündnisses, sein wird.

Es gibt für mich keinen Zweifel: Es wird nicht nur ein
Jubiläumsgipfel, sondern vor allem ein in die Zukunft
gerichteter Gipfel sein, ein Gipfel, auf dem die Weichen
für die zukünftige Arbeit in der transatlantischen Part-
nerschaft und auch mit Blick auf unser vereinigtes
Europa gestellt werden müssen. Dieser Gipfel wird auch
ein Markstein für die deutsch-französischen Beziehun-
gen sein.

Mir liegt sehr daran, dass wir diesen Gipfel heute
richtig einordnen. Vielleicht hilft uns dazu ein Zitat aus
einem Interview, das Albaniens Ministerpräsident
Berisha am letzten Montag der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung gegeben hat. Auf die Frage, was die NATO
Albanien eigentlich bringen werde, antwortete er – ich
zitiere –:

Das Ziel der Nato ist, dass aus Feinden Freunde
werden. Da ist es doch ein großartiger Sieg, wenn
das einst härteste Kommunistenland der Welt nun
zur westlichsten Allianz zählt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


In diesen wenigen Worten wird die historische
Dimension des bevorstehenden Gipfels zum 60. Ge-
burtstag der NATO deutlich. Diese historische Dimen-
sion sollten wir, auch wenn sie Vergangenheit ist, nie-
mals vergessen – gerade wir in Deutschland nicht.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist für uns heute ein
Leben in Frieden und Freiheit im wiedervereinigten
Deutschland und in Europa ganz selbstverständlich ge-
worden. Aber diese Selbstverständlichkeit sollte sich
nicht allzu sehr in unser Denken und Handeln einschlei-
chen. Denn es ist und bleibt ein Schatz, in Frieden und
Freiheit zu leben.

Für Frieden und Freiheit stand in den vergangenen
60 Jahren – gerade auch in schwierigen Zeiten – keine
Organisation so klar und so verlässlich ein wie die Nord-
atlantische Allianz. Ich denke, die Erinnerung an Mauer
und Stacheldraht genügt, dass wir heute über alle Par-
teigrenzen hinweg sagen können: Deutschland hat der
NATO und der Solidarität unserer Verbündeten viel zu
verdanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Trotz aller wahrlich nicht gering zu schätzenden Pro-
bleme können wir in diesem Jahr der Jubiläen feststel-
len: Das wiedervereinte Deutschland feiert 20 Jahre
deutsches und europäisches Glück.

Präsident Sarkozy und ich waren von Beginn an da-
von überzeugt: Kaum ein Ort symbolisiert Sinn und Be-
stimmung europäischer und atlantischer Friedenspolitik
so sehr wie der Brückenschlag über den Rhein. Gerade






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
dort, wo sich Deutsche und Franzosen über Jahrhunderte
hinweg als erbitterte Gegner gegenüberstanden, sind wir
heute in enger Freundschaft verbunden und dem Frieden
auf unserem Kontinent verpflichtet.

Mit Deutschland und Frankreich werden erstmals
zwei Länder einen NATO-Gipfel gemeinsam ausrichten.
Damit verbunden ist auch ganz konkret eine Reihe ge-
meinsamer, zukunftsgerichteter Schritte zwischen unse-
ren Ländern in der Sicherheitspolitik.

Am Rande der Sicherheitskonferenz in München sind
Präsident Sarkozy und ich übereingekommen, dass in
Zukunft die deutsch-französische Brigade in beiden
Ländern stationiert sein wird. Vor dem Hintergrund un-
serer Geschichte ist es eine wahrhaft bewundernswerte
Geste des französischen Präsidenten, dass deutsche Sol-
daten, wie er es in München sagte, nach Frankreich ein-
geladen sind. Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Präsident Sarkozy hat in den letzten Tagen sein Land
wieder in die integrierten Strukturen der NATO zurück-
geführt. Das ist ein Schritt Frankreichs, dessen Bedeu-
tung wir gar nicht hoch genug einschätzen können. Es ist
ein Bekenntnis zu einer NATO im 21. Jahrhundert.
Parallel dazu hat die französische Präsidentschaft im
vergangenen Jahr gemeinsam mit uns für die Stärkung
der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik geworben, weil wir diese beiden Punkte – Europäi-
sche Sicherheits- und Verteidigungspolitik und das trans-
atlantische Bündnis – in einer gemeinsamen Linie und
einer gemeinsamen Richtung sehen.

Für die Bundesregierung gehören eine starke atlanti-
sche Sicherheitspartnerschaft und eine europäische Si-
cherheitspolitik untrennbar zusammen. Ich sage voraus,
dass sich diese Zusammengehörigkeit in den nächsten
Jahren noch sehr viel stärker zeigen wird, vielleicht auch
zeigen muss. Wir freuen uns natürlich, dass gerade an-
lässlich dieses NATO-Gipfels der neu gewählte amerika-
nische Präsident Barack Obama erstmals als amerikani-
scher Präsident in Europa und Deutschland sein wird.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar
habe ich gesagt: Transatlantische Partnerschaft heißt,
dass wir gemeinsam analysieren, gemeinsam entschei-
den und, wann immer möglich, auch gemeinsam han-
deln. Wir Europäer wissen einerseits um die Größe der
Herausforderungen und die Brisanz der Krisen, sei es
nun der Nahostkonflikt, sei es Afghanistan oder sei es
das Nuklearprogramm des Iran. Wir wissen andererseits
genauso um die Chancen, die in einer vertrauensvollen
und starken transatlantischen Partnerschaft stecken,
wenn sie sich in der konkreten Politik zu bewähren hat.

Was können wir nun von diesem NATO-Gipfel erwar-
ten? Vorneweg dies: Die NATO braucht eine Anpassung
ihrer Strategie an die neuen Herausforderungen; denn
das aktuelle strategische Konzept der NATO stammt von
1999. Seither haben wir eine Fülle neuer Erfahrungen
gemacht. Stellvertretend für diese stehen der 11. Septem-
ber 2001 und die daraus folgende ISAF-Operation in
Afghanistan. Beim Gipfel muss deshalb die Überarbei-
tung des strategischen Konzepts in Auftrag gegeben
werden, um deutlich zu machen: Die NATO gibt sich
nicht nur mit dem Blick auf eine 60-jährige Erfolgsge-
schichte zufrieden, sondern sie ist auch zu einer Neube-
stimmung des Kurses für die Zukunft bereit. Dabei muss
es im Kern darum gehen, die wesentlichen Aufgaben der
Allianz strategisch miteinander zu verbinden.

Im Zentrum des Bündnisses steht natürlich auch künf-
tig das Bekenntnis zur Solidarität der Mitgliedstaaten.
Ein Angriff auf ein Mitglied ist ein Angriff auf das
Bündnis insgesamt; das ist die Verabredung. Diese Ver-
abredung bleibt auch der Wesenskern der Allianz. Dieses
Bekenntnis zur Solidarität erfordert heute neue Maßnah-
men, andere Schritte als früher, zum Beispiel Einsätze
außerhalb des Bündnisgebiets. Genau an diese operative
Realität muss das neue strategische Konzept anknüpfen:
Es muss sie darstellen und entfalten und die Folgerungen
daraus ziehen.

Diese neue operative Realität erfordert ein neues
Verständnis von Sicherheit und der Herstellung von
Sicherheit. Dieses neue Konzept nennen wir – ich
glaube, parteiübergreifend akzeptiert – das Grundprinzip
der vernetzten Sicherheit. Dieses Grundprinzip der
vernetzten Sicherheit muss Eingang in die strategische
Ausrichtung der Allianz finden.

Ich glaube, am Beispiel Afghanistan wird jedem klar,
dass ein Erfolg nur möglich ist, wenn die NATO mit ih-
ren militärischen Mitteln Teil eines umfassenden und
kohärenten Ansatzes zugunsten der Stabilisierung des
Landes ist. Zu diesem Ansatz gehört die ganze Vielfalt
von zivilen Aktionen und Maßnahmen zugunsten einer
guten Entwicklung des Landes. Dieses Grundverständ-
nis, das wir jetzt in Afghanistan entwickelt haben, wird
aber in Zukunft nicht ein Einzelfall sein, sondern muss
zum strategischen Allgemeingut der NATO, also der Al-
lianz, werden.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)


Der Erfolg der NATO wird immer mehr von ihrer Fä-
higkeit zur Vernetzung ihrer militärischen Instrumente
mit vielfältigen Partnern abhängen, etwa mit anderen in
politischen Krisenlösungen eingebundenen Organisatio-
nen. Die NATO muss dieses Verhältnis definieren. Sie
steht nicht einfach über diesen Organisationen, sondern
ist Teil einer vernetzten Sicherheit, zum Beispiel mit den
Vereinten Nationen, mit der OSZE, mit der Europäi-
schen Union oder mit der Afrikanischen Union genauso
wie mit zivilen Kräften der Entwicklungspolitik oder mit
Nichtregierungsorganisationen. Das hört sich einfach an,
ist aber vergleichsweise revolutionär, sowohl auf der
Seite derer, die militärische Aktionen durchführen, als
auch auf der Seite derer, die im zivilen Bereich engagiert
sind. Deshalb muss dies durchgeführt, entwickelt und
dann auch mit Leben erfüllt werden.

Ich füge hinzu: Das strategische Konzept wird auch
klar die Grenzen des Wirkungskreises der Allianz auf-
zeigen müssen. Ich sehe keine globale NATO. Die
Allianz ist und bleibt vornehmlich auf die kollektive Si-
cherheit der nordatlantischen Partner konzentriert. Sehr






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
wohl heißt das heute auch, dass sie Sicherheit gegebe-
nenfalls außerhalb ihres Bündnisgebietes sichern muss.
Aber das heißt eben nicht, dass Staaten rund um den
Globus Mitglieder werden können, sondern dass dies
von Mitgliedstaaten aus dem transatlantischen Raum ge-
leistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, nun ist es wie immer:
Manche warnen davor, allzu intensiv über das strategi-
sche Konzept zu diskutieren, da natürlich unterschiedli-
che Auffassungen der Verbündeten zutage treten könn-
ten. Ich glaube, davor sollten wir und davor dürfen wir
keine Angst haben; denn die Allianz kann bereits an eine
starke Reformtradition anknüpfen. Bereits früher wur-
den viele wichtige Anregungen auch von außen aufge-
nommen. Diesen Weg sollten wir auch diesmal gehen.
Deshalb setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass
der Generalsekretär bei der Erarbeitung des neuen Kon-
zepts von einer Gruppe ausgewiesener Experten unter-
stützt wird.

Wir brauchen den unverstellten Blick auf das strate-
gisch Notwendige, und dabei muss von Anfang an klar
mitgedacht werden, dass die NATO auch ihre Strukturen
für die Aufgaben der Zukunft fitmachen muss. Anders
als zu den Zeiten des Kalten Krieges, als der wesentliche
Punkt die Abschreckung war, als die NATO-Kräfte
glücklicherweise nicht militärisch aktiv werden mussten,
haben wir heute Operationen zu bewältigen, in denen
militärische Aktivitäten notwendig sind. Wenn man die
Klagen des NATO-Generalsekretärs hört, wie schwierig
es ist, Ausrüstung und Ähnliches zusammenzubekom-
men, dann wird einem klar, dass ein solches strategi-
sches Konzept auch sehr praktische Aufgaben erfüllen
muss.

Die Aufgaben ergeben sich in Europa und Amerika
gleichermaßen aus den neuen Herausforderungen, vor
denen wir stehen. Wir müssen heute an die Parallelität
schwieriger, oft ganze Regionen destabilisierender
Konflikte denken, an die Gefahren des transnationalen
Terrorismus, an zunehmende Proliferationsrisiken, an
die sicherheitspolitischen Auswirkungen von Umwelt-
problemen, an die Sicherung unserer Energieversorgung
oder an Fragen des Zugangs zu begrenzten Ressourcen.
Weder Amerika noch Europa können diese Herausforde-
rungen alleine meistern. Kein Land auf der Welt kann
heute die Probleme alleine lösen. Das muss die Grund-
lage unserer Zusammenarbeit sein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Weil diese Herausforderungen so vielfältig sind, ist es
natürlich auch Aufgabe der NATO, alles daranzusetzen,
dass möglichst viel Prävention auf der Welt betrieben
wird, damit es nicht zu dem Punkt kommt, an dem nur
noch militärische Mittel helfen können. Auch das ist ein
ganz wichtiger Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Unsere zukünftige Sicherheit und unser Leben in
Frieden und Freiheit werden deshalb in ganz entschei-
dendem Maße von zweierlei abhängen: zum einen da-
von, wie eng wir Europäer unseren Zusammenhalt mit
den Nordamerikanern gestalten, und zum anderen da-
von, ob wir die großen Zukunftsthemen der globalen
Wirtschaft, der Sicherheit und der Umwelt gemeinsam
gestalten können. Vor diesem Hintergrund wird die Ent-
scheidung, das strategische Konzept der NATO zu über-
arbeiten, die übergeordnete Aufgabe dieses NATO-Gip-
fels sein. Das strategische Konzept soll zum nächsten
NATO-Gipfel fertig sein. Es wird also keine unendliche
Aufgabe.

Neben dieser Erarbeitung des strategischen Konzepts
geht es aber auch um vier weitere Dinge, die ich hier
nennen möchte.

Erstens. Afghanistan – das wissen wir alle – ist die
wichtigste aktuelle Bewährungsprobe für die NATO.
Führen wir uns nur zwei Zahlen vor Augen: Die NATO
hat derzeit etwa 70 000 Soldaten in verschiedenen Ope-
rationen, davon sind allein rund 50 000 in Afghanistan
eingesetzt. Wir werden zu Afghanistan in der nächsten
Woche ein Treffen der Außenminister der ISAF-Trup-
pensteller und der Vertreter weiterer in Afghanistan en-
gagierter Organisationen in Den Haag durchführen, um
dem Thema auch beim Gipfel der Allianz breiten Raum
zu geben. Wir erwarten dabei vor allem Aufschlüsse
über die neuen strategischen Linien in der Afghanistan-
politik der Vereinigten Staaten von Amerika. Für mich
bleibt unser grundsätzliches Ziel klar, an dem wir auch
den Erfolg zu messen haben: Von Afghanistan darf nicht
wieder eine terroristische Bedrohung der Sicherheit bei
uns, das heißt bei den Mitgliedstaaten der NATO, ausge-
hen. Das ist die Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen gemeinsam mit allen anderen Partnern und
Organisationen, die dort tätig sind, und vor allem mit
den Afghanen selbst erreichen, dass das Land dauerhaft
selbst für seine Sicherheit sorgen kann.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Nach wie viel Jahren?)


Wir sollten uns erinnern: Afghanistan als ein in seinen
staatlichen Strukturen nicht gefestigtes Land war der
Ausgangspunkt und der Nährboden für die Attentate
vom 11. September 2001.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, so ist es!)


Weil es dort keinen funktionierenden Staat gab, war dies
möglich. Daraus ist unser Engagement für Afghanistan
entstanden; denn es hat unsere Sicherheit, die Sicherheit
der Mitgliedstaaten der NATO, bedroht.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)


Jetzt wissen wir, dass wir wirksame staatliche Struk-
turen aufbauen müssen. Wir wissen, dass dies Entschlos-
senheit erfordert. Aber wir haben auch erlebt, es erfor-
dert mehr Geduld, als wir uns am Anfang vielleicht






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
vorgestellt haben. Ich werde mich beim Gipfel dafür ein-
setzen, dass die beiden wesentlichen Prinzipien unserer
Präsenz noch besser verwirklicht werden.

Zum einen muss die NATO ihr Engagement noch
stärker mit dem anderer Organisationen verschränken.
Ich unterstütze deshalb ausdrücklich – das macht die
ganze Bundesregierung – die Arbeit des UN-Repräsen-
tanten Kai Eide für eine bessere Gesamtkoordinierung
aller zivilen Aktivitäten. Hier gibt es noch etliches zu
tun. Wir sollten die Vereinten Nationen immer wieder
darin bestärken, dass dies von entscheidender Wichtig-
keit ist. Unser Prinzip bleibt richtig: Es wird keine dau-
erhafte Sicherheit gelingen ohne Wiederaufbau, und es
wird keinen Wiederaufbau geben ohne Sicherheit.

Zum anderen gilt es vor allen Dingen, die Eigenver-
antwortung der Afghanen weiter zu stärken. Das heißt
für mich vor allem, dass wir die afghanische Führung
noch stärker in die Pflicht nehmen, damit diese alles,
aber wirklich auch alles unternimmt, um ihr Land gut
und effizient zu regieren, Kriminalität zu bekämpfen und
vor allem mit aller Kraft gegen den unsäglichen Drogen-
handel anzugehen. Das ist eine Erwartung, die wir an
Afghanistan haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir als Allianz werden alles tun, damit die anstehen-
den Wahlen in Afghanistan gut und erfolgreich ablaufen.
Ich begrüße ausdrücklich, dass die amerikanische Regie-
rung in ihre Strategie jetzt auch Pakistan einbindet. Ich
erinnere daran, dass der Bundesaußenminister dies be-
reits während unserer G-8-Präsidentschaft eingeleitet
hat. Es wird jetzt allerdings sehr darauf ankommen, dass
wir die richtige Balance finden zwischen den Aspekten,
die zwischen Pakistan und Afghanistan strategisch kohä-
rent gestaltet werden müssen, ohne zu vergessen, dass
nicht alle Probleme von Pakistan auch Probleme von Af-
ghanistan sind. Es bleiben zwei unterschiedliche Länder.

Ich begrüße auch den amerikanischen Ansatz, sich
stärker auf eine gute Entwicklung in den Regionen Af-
ghanistans zu konzentrieren. Dies passt gut zu unserem
im deutschen Verantwortungsbereich im Norden bereits
praktizierten Konzept, Sicherheit mit der Kräftigung lo-
kaler und regionaler Entwicklungen zu verbinden, wie
dies auch der Verteidigungsminister bei seiner letzten
Reise noch einmal deutlich gemacht hat.

Ich will in diesem Zusammenhang eines festhalten:
Mit unseren bisherigen Leistungen in Afghanistan seit
2002 können wir Deutschen uns im Bündnis wirklich se-
hen lassen. Bundesregierung und Bundestag haben be-
reits in den vergangenen Monaten entschieden, die Trup-
penstärke der Bundeswehr im Rahmen unseres gültigen
Mandats im Norden weiter zu erhöhen. Beim Polizeiauf-
bau bleiben wir der nochmaligen Stärkung unseres Kon-
tingents verpflichtet. Über den Sicherheitsbereich hinaus
bleiben wir, wie dies seit Jahren der Fall ist, mit bedeu-
tenden Mitteln und wichtigen Projekten in Afghanistan
engagiert. Ich werde dies auf dem Gipfel mit allem
Nachdruck darlegen. Ich glaube, wir können uns mit un-
seren Leistungen sehen lassen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Solda-
tinnen und Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern
und Diplomaten danken. Sie leisten bei ihren schwieri-
gen und gefährlichen Aufgaben eine ausgezeichnete Ar-
beit. Vor denjenigen, die in Afghanistan schwere Ver-
wundungen davongetragen oder gar ihr Leben gelassen
haben, verneigen wir uns. Ich denke, das sage ich in Ih-
rer aller Namen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


In den letzten Wochen wurde eine Debatte darüber
geführt, mit wem in Afghanistan zusammengearbeitet
werden kann und mit wem nicht. Meine Auffassung ist,
dass mit allen, die unzweideutig Terror, Gewalt und fei-
gen Attentaten gegen Vertreter der internationalen Ge-
meinschaft abschwören, zusammengearbeitet werden
kann. Es kann und muss stärker mit denjenigen zusam-
mengearbeitet werden, die ihr Land wieder aufbauen
wollen, die die wesentlichen rechtsstaatlichen Prinzipien
respektieren, wie auch immer sie sich nennen. Das gilt
vor allem für die regionalen Stammesfürsten. Diejenigen
aber, die den Wiederaufbau bekämpfen, die mit Gewalt
und Terror drohen und die wesentlichen Menschenrechte
mit Füßen treten, können für uns keine Partner sein. Sie
müssen wir gemeinsam mit den Afghanen konsequent
bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zweitens. Ein wichtiges Thema beim Gipfel werden
die Beziehungen der Allianz zu unseren Partnern im
Osten und insbesondere zu Russland sein. Wir wollen
auf dem Gipfel mit Albanien und Kroatien wieder zwei
Länder als neue Mitglieder begrüßen. Ich bin zuversicht-
lich, dass uns der Grenzstreit zwischen Slowenien und
Kroatien hier keinen Strich durch die Rechnung macht.
Ich hoffe, dass in naher Zukunft auch der mazedonische
Beitritt möglich wird und nicht länger an einer Namens-
frage scheitert. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil mir
der Beitrittsprozess wichtig bleibt und ich nicht
möchte, dass wir den Blick darauf verlieren. Ich sage
ausdrücklich: Georgien und die Ukraine behalten eine
Beitrittsperspektive. Die Tatsache, dass sich immer wie-
der weitere Länder aus freien Stücken um die Aufnahme
in das Bündnis bemühen, zeigt die Attraktivität der Alli-
anz.

Ich stehe weiterhin voll und ganz dazu, dass wir euro-
päische Demokratien aufnehmen sollten, die gewillt und
die fähig sind, zu unserer gemeinsamen Sicherheit bei-
zutragen. Gerade wir Deutschen wissen noch gut, dass
die freie Bündniswahl ein hohes Gut ist.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, genau!)


Wir dürfen nicht zulassen, dass andere aufgrund ihres
veralteten Denkens in Einflussräumen versuchen, dem
mit einem Veto einen Riegel vorzuschieben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
In den Beziehungen zu Russland werden wir auf
dem Gipfel auch förmlich die Wiederaufnahme der Zu-
sammenarbeit im Rahmen des NATO-Russland-Rates
beschließen. Die Außenminister der Allianz haben die-
sen wichtigen Schritt bereits vorbereitet. Wir setzen als
atlantische Partner darauf, dass sich Russland kooperativ
verhält. Die NATO-Partner und Russland stehen zum
großen Teil vor den gleichen sicherheitspolitischen Be-
drohungen. Über diese sollten wir im NATO-Russland-
Rat offen und im Geiste guter Zusammenarbeit spre-
chen. Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir die Chance
haben, gemeinsame Antworten zu finden, sei es zum
Schutz vor zukünftigen weitreichenden Raketen von Re-
gimes wie dem Iran, sei es bei Fragen der Proliferation
oder der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Ich werde
diese Fragen nächste Woche noch einmal ausführlich mit
Präsident Medwedew beraten. Dabei werden wir auch
über seine Vorschläge zu einer europäischen Sicherheits-
architektur sprechen.

Wenn es um Architektur geht, dann muss man sich,
wie es so schön heißt, natürlich zunächst um das Funda-
ment kümmern. Das Fundament in der Sicherheitspolitik
heißt immer wieder Vertrauen. Genau dieses Vertrauen
muss gefestigt werden, auch und gerade mit Blick auf
Russland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir uns einmal anschauen, wie die Lage ist,
stellen wir fest: Die Defizite liegen nicht in den Regeln,
die wir für die Sicherheitspolitik in Europa haben, die
übrigens in der OSZE gemeinsam mit Russland be-
schlossen worden sind. Wenn es ein Defizit gibt, dann ist
es ein Defizit bei der Implementierung, das heißt bei den
gelebten Regeln und nicht bei den geschriebenen Re-
geln. So sind aus meiner Sicht manche Konflikte rasch
und leicht lösbar. Ich erinnere zum Beispiel an den Kon-
flikt zwischen Moldawien und Transnistrien. Moskau
könnte hier ein Zeichen seines guten Willens setzen. Das
würde uns in vielerlei Fragen sehr voranbringen.

Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung möchte
eine gute und vertrauensvolle Partnerschaft mit Russ-
land. Dies ist im deutschen Interesse, dies ist im europäi-
schen Interesse, und dies ist auch im atlantischen Inte-
resse. Russland hat schon jetzt eine wichtige Rolle in der
euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur. Die OSZE und
der NATO-Russland-Rat existieren bereits als Foren. Ich
schlage vor, dass wir auch in der gemeinsamen Europäi-
schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik regelmäßige
Konsultationen mit Russland aufbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist auch im deutschen Interesse, dass der Dialog
zwischen der neuen amerikanischen Administration und
Russland wieder stärker in Gang kommt. Es besteht die
Chance, dass sich jetzt eine enge und gute Partnerschaft
entwickelt. Ich sage ausdrücklich: Die NATO will Russ-
land als guten Partner. Wir sind seit 20 Jahren keine
Gegner mehr. Die Zeit des Kalten Krieges ist unwieder-
bringlich vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Ich unterstütze ausdrücklich die Initiativen
des Bundesaußenministers, das Profil der NATO in den
Bereichen Abrüstung und Rüstungskontrolle zu stär-
ken. Wir haben bereits auf unserem letzten Gipfel in Bu-
karest hierzu wichtige Festlegungen getroffen. Ich hoffe,
dass wir diese bestätigen und ausbauen können. Die Per-
spektiven dafür sind vielleicht so gut wie lange nicht
mehr. Wir können hoffen, dass es im nuklearen Bereich
bald zu Fortschritten kommt, und zwar bei den Regelun-
gen zur Reduzierung strategischer Atomwaffen und wo-
möglich auch bei der Haltung der amerikanischen Regie-
rung zum Atomteststoppabkommen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zur
nuklearen Teilhabe. Wir sollten gut aufpassen, dass wir
Ziel und Weg nicht vermischen. Ich bleibe bei dem Ziel
der vollständigen Abschaffung aller Massenvernich-
tungswaffen. Sich diesem Ziel verantwortlich zu
nähern, heißt, die richtigen Etappen zu fixieren und vor
allen Dingen wasserdichte Prüfmechanismen zu etablie-
ren, denen sich alle unterwerfen.

Die NATO hat ihr Nuklearpotenzial gegenüber dem
Jahr 1989 bereits um rund 95 Prozent reduziert und die
Bereitschaftsstrukturen der Nuklearwaffen gesenkt. Zu-
gleich stellen wir aber fest, dass sich die Zahl der nu-
klearen Akteure und Arsenale ebenso wie die Risiken
der Proliferation weltweit erhöht haben. Deshalb ist dies
eines der großen Sicherheitsrisiken, denen wir entschie-
den und entschlossen entgegentreten müssen. Dies ist
eine der Aufgaben, an deren Bewältigung auch Deutsch-
land ein elementares Interesse hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Die Bundesregierung hat deshalb die nukleare Teilhabe
in der Allianz im Weißbuch verankert, weil wir wissen,
dass sie uns Einfluss im Bündnis, auch in diesem höchst-
sensiblen Bereich, sichert.

Im konventionellen Bereich ist der Erhalt des KSE-
Systems ein großes Anliegen der Bundesregierung. Hier
müssen die atlantischen Partner gemeinsam Russland
noch von den Vorteilen einer kooperativen Politik über-
zeugen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass im Auswärtigen
Amt demnächst eine Konferenz stattfindet, die gerade
diesen KSE-Prozess wieder beleben und vorantreiben
soll. Ich finde es gut, dass der Bundesaußenminister ge-
rade dies zu einem Thema Deutschlands macht, damit
wir den richtigen Weg forcieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Viertens. Fortschritte erhoffe ich mir beim Gipfel
auch für die Zusammenarbeit zwischen der NATO
und der Europäischen Union. Das Potenzial für die
Nutzung von Synergien ist groß. Die jeweilige Politik,
auch in der Europäischen Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik, ist sozusagen aus der Taufe gehoben und
gestärkt worden. Aber die Wahrheit ist: Wir müssen eine
Vielzahl von Blockaden überwinden. Um es beim Na-






(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
men zu nennen: Gerade die ungelösten Konflikte zwi-
schen Zypern und der Türkei führen immer wieder dazu,
dass in jeder praktischen Frage, in der eine enge Koope-
ration von NATO und europäischer Sicherheitspolitik
notwendig wäre, Schwierigkeiten auftreten.

Wir sollten entschlossen und gemeinsam darauf hin-
wirken, dass diese Kooperation von EU und NATO end-
lich Realität werden kann; sei es im Kosovo, sei es in an-
deren Missionen, wo wir jedes Mal Stunden und
Aberstunden damit verbringen, um irgendein Problem
praktisch lösen zu können.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!)


Die Vielzahl der mit dem Jubiläumsgipfel der
NATO verbundenen Aufgaben ist unübersehbar. Eines
sollten wir als Politiker hierbei nicht vergessen: Dieses
Treffen in Straßburg, Kehl und Baden-Baden sollte in
der vorgesehenen Form stattfinden können. Das ist nicht
zuletzt auch denen zu verdanken, die durch ihre Arbeit
den sicheren Verlauf dieses Gipfels ermöglichen. Ich
meine die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern
und auch die französischen Kollegen. Sie arbeiten mit
großem Engagement und äußerst professionell zusam-
men. Wir haben ihnen schon heute Dank zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich ergänze ausdrücklich: Auch all diejenigen, die
ihre Meinung gegen die Politik der NATO kundtun wol-
len, haben meinen Respekt, wenn sie sich beim Aus-
druck ihres Protestes an die Regeln unseres freiheit-
lichen Rechtsstaates halten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich hoffe, dass sie dabei auch daran denken, dass es ganz
entscheidend die NATO war, die über Jahrzehnte hinweg
in und für Deutschland Frieden und Freiheit garantiert
hat und damit auch Garant für das Recht auf Meinungs-
und Demonstrationsfreiheit war und ist, das sie heute ge-
nießen.

Wir wollen für den NATO-Gipfel gute Gastgeber
sein. Ich danke deshalb allen, die an den Vorbereitungen
teilhaben: den Bundesministern des Auswärtigen, der
Verteidigung und des Innern, der Landesregierung von
Baden-Württemberg, den Sicherheitsbehörden von Bund
und Ländern und ganz besonders den Menschen in Ba-
den-Baden, Kehl und Straßburg, die sicherlich gute
Gastgeber sind.

Ich hoffe, dass der Gipfel unser aller Bewusstsein für
die Notwendigkeit einer Sicherheitspolitik schärfen
wird, die auch in unserer globalisierten Welt in guten
Partnerschaften gestaltet ist und Frieden und Freiheit für
uns alle schützt. Um Frieden und Freiheit wird es auch in
den kommenden Jahren und Jahrzehnten der transatlanti-
schen Wertegemeinschaft der NATO gehen. Deutschland
wird seinen Beitrag dazu leisten.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621400200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1621400300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Für uns war die Nordatlantische Allianz immer
mehr als ein Verteidigungsbündnis. Die NATO ist eine
Wertegemeinschaft, und sie war stets Ausdruck unserer
engen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von
Amerika. Diese transatlantische Freundschaft ist viel
mehr als ein Bündnis von Regierungen. Es ist die
Freundschaft unserer Völker, die auf gemeinsamen Wer-
ten fußt.

Der Erfolg der NATO beruht auf zwei Säulen: auf
dem Konzept der Unteilbarkeit von Sicherheit im euro-
atlantischen Raum und auf dem doppelten Ansatz aus
militärischer Stärke und Vertrauensbildung durch Dialog
und Kooperation. Auf beide Säulen kann die NATO wei-
ter bauen.

60 Jahre nach der Gründung der NATO hat sich aber
das sicherheitspolitische Umfeld fundamental verän-
dert. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass sich auch
die Bundesregierung für eine Überarbeitung des stra-
tegischen Konzeptes der NATO einsetzt.


(Beifall bei der FDP)


Es gehört zum Wesenskern der NATO, dass überall im
Bündnis das gleiche Maß an Sicherheit herrscht, dass es
innerhalb der Nordatlantischen Allianz keine Zonen un-
terschiedlicher Sicherheit gibt. Das verleiht dem Bünd-
nis seine Stabilität.

Wir wollen, dass die NATO nach einer schwierigen
Phase in den euroatlantischen Beziehungen wieder zum
zentralen Ort der sicherheitspolitischen Debatte wird.
Wir wollen die Partnerschaft mit den USA neu bele-
ben, innerhalb und außerhalb der NATO, in der Sicher-
heitspolitik, aber auch in allen anderen Fragen, die un-
sere Wertegemeinschaft insgesamt betreffen. Mit dem
Amtsantritt des neuen US-Präsidenten hat sich die
Chance eröffnet, die transatlantische Partnerschaft neu
zu begründen. Jetzt wäre der Moment, in dem die Drähte
zwischen Washington und Berlin heißlaufen müssten
und in dem wir die Chance nutzen sollten, die außenpoli-
tische Revision durch die neue US-Regierung durch ei-
gene Ideen und Vorschläge zu bereichern. Es ist nicht
klug, den Meinungsbildungsprozess in den USA nur
passiv abzuwarten. Das berühmte Fenster der Gelegen-
heiten ist jetzt geöffnet, und wir sollten die Gelegenheit
jetzt ergreifen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, wir wollen den Erfolg in
Afghanistan. Es ist richtig, Frau Bundeskanzlerin, dass
Sie dies zu einem Schwerpunkt Ihrer Regierungserklä-
rung gemacht haben. Das ist nicht Altruismus, sondern
das liegt in unserem ureigenen Interesse. Kabul darf nie
wieder die Hauptstadt des Terrorismus in der Welt wer-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
den. In dem Augenblick, in dem wir als westliches
Bündnis Afghanistan aufgäben, wäre Kabul wieder die
Hauptstadt des Terrorismus in der Welt. Deswegen liegt
unser Engagement im eigenen, im deutschen, im euro-
päischen Interesse.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Walter Kolbow [SPD])


Notwendig sind natürlich die Ausbildung der afghani-
schen Streitkräfte und der Polizei vor Ort sowie der Auf-
bau einer funktionierenden Justiz. Notwendig ist – da
sind wir alle einig – der zivile Aufbau. Wir wenden uns
dagegen, einen Widerspruch zwischen zivilem Aufbau
und militärischem Einsatz zu konstruieren. Kein Kran-
kenhaus könnte gebaut werden, kein Brunnen würde ge-
bohrt und keine Schule für Mädchen eröffnet werden,
wenn nicht unsere Soldatinnen und Soldaten für die Si-
cherheit der dort Arbeitenden sorgen würden.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen auch zukünftig für die NATO keine Uni-
versalzuständigkeit in Sachen Sicherheit, weder mate-
riell – da haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, recht – noch
geografisch. Die primäre Verantwortung für den Welt-
frieden bleibt bei den Vereinten Nationen. Vorstellun-
gen, die NATO könnte sich zu einer Art Ersatz-UNO der
Demokratien dieser Welt entwickeln, erteilen wir eine
klare Absage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber ebenso unzweideutig stellen wir fest: All dieje-
nigen, die die Zerschlagung der NATO immer wieder
gefordert haben, müssen heute anerkennen, dass die
NATO den Frieden auf der Welt sicherer und eben nicht
unsicherer gemacht hat.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Was die NATO ohne Zweifel braucht, ist ein stärkeres
Denken und Handeln in Kategorien der vernetzten
Sicherheit. In Afghanistan erleben wir, dass der sicher-
heitspolitische Fortschritt natürlich von Erfolgen im
zivilen Bereich abhängt. Dem muss die NATO im Ein-
satz stärker Rechnung tragen. Zudem muss die NATO in
ihrer strategischen Ausrichtung den nicht militärischen
Ursachen für Bedrohungen stärkere Bedeutung beimes-
sen.

Wir wollen, dass der europäische Pfeiler innerhalb
der NATO gestärkt wird. Das heißt nicht zuletzt, dass
wir die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik weiter ausbauen, um einen stärkeren europäischen
Beitrag – nicht in Konkurrenz zur NATO – einbringen zu
können. Die Rückkehr Frankreichs in die Komman-
dostrukturen der NATO wird diesen Prozess ohne Zwei-
fel befördern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Wir wollen eine NATO, die Abrüstungsinitiativen
und Rüstungskontrolle wieder stärkeres Gewicht bei-
misst, nuklear und konventionell. Deswegen wünschen

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1621400400
Von dem kommenden
NATO-Gipfel sollte das Signal ausgehen, dass die
NATO die Vorschläge des amerikanischen Präsidenten
für eine drastische Reduzierung des atomaren Potenzials
insgesamt unterstützt. Neue Raketenstationierungen und
die Modernisierung der Arsenale lehnen wir ab. Wir ha-
ben in den nächsten Jahren die Chance, die Abrüstung
voranzubringen und eine Aufrüstungsspirale noch recht-
zeitig zu verhindern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Verhältnis zu Russland hat für die NATO weiter-
hin eine besondere Bedeutung. Wie leicht alte Reflexe
aufleben können, hat 2008 die Georgien-Krise gezeigt.
Weil wir einen solchen Rückfall nicht zulassen dürfen,
muss die NATO ihre Strategie gegenüber Russland über-
denken. Wir begrüßen die Wiederbelebung des NATO-
Russland-Rates, mit der auf diesem Gipfel begonnen
werden soll.

Das Gleiche gilt für die Erweiterungsstrategie der
NATO. Sie gehört eingebettet in eine Gesamtstrategie,
die auf einen Mehrwert an Stabilität und Sicherheit ab-
zielt. Erweiterung ist für die NATO kein Selbstzweck.
Die demokratische und rechtsstaatliche Reife neuer Mit-
glieder ist die Grundvoraussetzung für deren Aufnahme.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die NATO muss in jedem Einzelfall die Frage beantwor-
ten, ob einerseits eine Aufnahme für das Bündnis mehr
Sicherheit bedeutet und ob andererseits die NATO dazu
in der Lage ist, die Beistandsverpflichtung glaubhaft auf
ein neues Mitglied auszuweiten.


(Beifall bei der FDP)


Wir wünschen der Bundesregierung für den NATO-
Gipfel, der symbolträchtig in Frankreich und in Deutsch-
land stattfindet, viel Erfolg. Denn das ist keine Frage von
Opposition und Regierung, sondern eine Frage, die
Deutschland, Europa und den Frieden in Freiheit betrifft.

Seit 60 Jahren leistet die NATO den entscheidenden
Beitrag zur Sicherheit und Freiheit ihrer Mitglieder.
Dass die NATO im Kalten Krieg die Freiheit schützen
konnte, ohne ihr Militär einsetzen zu müssen, hat sie
zum erfolgreichsten Bündnis aller Zeiten gemacht. Jetzt
müssten die strategischen Weichen für die NATO so ge-
stellt werden, dass das Bündnis auch in Zukunft erfolg-
reich ist.

Bei allem Respekt vor denen, die diesen Gipfel jetzt
zum Anlass nehmen, gegen die NATO zu demonstrieren:
Es war die NATO, die dafür gesorgt hat, dass diese De-
monstrations- und Meinungsfreiheit überhaupt bei uns
möglich wurde und erhalten blieb.

Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621400500

Nächster Redner ist der Kollege Walter Kolbow für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1621400600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

Frau Bundeskanzlerin, dies ist ein Jubiläumsgipfel, dies
ist ein Freundschaftsgipfel zusammen mit Frankreich;
aber es ist auch ein Zukunftsgipfel. Die in der Regie-
rungserklärung dargelegte Analyse und die damit ver-
bundenen Schlussfolgerungen werden von meiner Frak-
tion geteilt. Wir legen auch im Zusammenhang mit dem,
was Sie, Herr Kollege Westerwelle, dargelegt haben,
Wert auf folgende Aussage: Für Deutschland gehört die
NATO weiterhin zu den wichtigen Grundpfeilern unse-
rer Sicherheitspolitik. Als Bundesrepublik Deutschland,
als wiedervereinigtes Land sind wir in diesem Werte-
bündnis ein berechenbarer und verlässlicher Partner.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den albanischen Mi-
nisterpräsidenten erwähnt. Ja, es ist ein Vorteil der
NATO gewesen, dass aus Feinden Freunde wurden.
Aber man muss in diesem Bündnis auch Freunde bleiben
können. Jeder muss dazu seinen Beitrag leisten. Man
muss auch bereit sein, Wahrheiten zur Kenntnis zu neh-
men und sie untereinander auszutauschen. Sie haben
darauf hingewiesen: Es kann nicht sein, dass an einem
von einem NATO-Partner ausgehenden Namensstreit die
Aufnahme eines wichtigen kleinen Landes wie Mazedo-
nien, das sich um die Integration von Ethnien bemüht
und seinen Beitrag leisten will, scheitert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, dass wir – ich bin einer derjenigen gewe-
sen, der während und nach dem Kosovo-Krieg im Auf-
trag der Bundesregierung humanitäre Hilfeleistungen in
Mazedonien, in Albanien und im Kosovo selbst zu ko-
ordinieren hatte – das quälende Ereignis des Kosovo-
Krieges auch nach zehn Jahren, betrachtet man Lö-
sungsmöglichkeiten in vergleichbaren Regionen, noch
nicht haben überwinden können. Wir müssen in diesem
Zusammenhang in den Sudan schauen. Wir müssen se-
hen, dass es die Auseinandersetzungen in Gaza gab und
dass es auch im Südkaukasus zu einem Krieg gekommen
ist. Es ist wichtig, dass die Institutionen der NATO, der
Europäischen Union und der OSZE zusammenwirken
und als eine Präventionseinrichtung vorgehen können.
Es bedarf der ausstrahlenden Wirkung des Bündnisses
der NATO als Wertegemeinschaft, aber auch als Prä-
ventionsgemeinschaft. Deswegen braucht sie mittler-
weile auch einen zivilen Rahmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir bekräftigen sowohl unsere Solidarität und Ge-
schlossenheit als auch unser Bekenntnis zu den gemein-
samen Visionen und Werten des Washingtoner Vertra-
ges. Ich unterstreiche für meine Fraktion ausdrücklich,
dass der Grundsatz der Unteilbarkeit der Sicherheit aller
Bündnispartner von ausschlaggebender Bedeutung ist,
wie es auch mein Vorredner sagte. Ich glaube, dass eine
starke kollektive Verteidigung unserer Bevölkerung und
unseres Gebietes, des Bündnisgebietes, das Kernziel
bleibt und dass wir in diesem Zusammenhang die Ziele
und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen be-
kräftigen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In der Tat, die NATO blickt auf eine lange und erfolg-
reiche Geschichte zurück. Sie war insbesondere in Zei-
ten der Ost-West-Konfrontation der zentrale verteidi-
gungspolitische Rahmen für Deutschland und seine
Partner. Allerdings war die NATO angesichts der prekä-
ren Sicherheitslage während des sogenannten Kalten
Krieges stets zu notwendigen Anpassungen und Verän-
derungen bereit und fähig. Der Harmel-Bericht mit sei-
nen Pfeilern der Sicherheit und Entspannung hat der
NATO die Chance eröffnet, sich den veränderten außen-
politischen Rahmenbedingungen im Nachkriegseuropa
anzupassen. Die politischen Folgerungen des Harmel-
Berichtes flossen 1967 in die neue NATO-Strategie ein
und haben die NATO auch als politisches Bündnis ge-
stärkt. Deshalb hat unser Außenminister Frank-Walter
Steinmeier recht, wenn er jetzt und für die Zukunft ge-
wissermaßen einen neuen Harmel-Bericht als Grundlage
für eine grundsätzliche Verständigung über den künfti-
gen Weg hinaus fordert.

60 Jahre nach Gründung des Bündnisses muss die
NATO ihre Zukunftsfähigkeit, die sie oft genug bewie-
sen hat, zeigen. Ich denke, dass wir durch die Erörterung
von Erweiterungsfragen und – das räume ich ein – auch
durch die Schwierigkeiten, die wir bei der Bewältigung
von Auslandseinsätzen immer wieder haben, eine ehrli-
che Aufgabendiskussion zu lange vertagt haben.


(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])


Heute steht die NATO vor großen Herausforderun-
gen. Die Bundeskanzlerin hat sie in der Regierungser-
klärung umfassend beschrieben. Es ist in diesem Zusam-
menhang für meine Fraktion wichtig, noch einmal
darauf hinzuweisen, dass wir die Rückkehr der französi-
schen Freunde in die militärische Integration der NATO
begrüßen und dass dies natürlich auch eine Stärkung der
NATO bedeutet: politisch wie auch in der Erfüllung ihrer
Aufgaben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Die Erweiterung und die politischen sowie sicher-
heitspolitischen Veränderungen haben natürlich Auswir-
kungen auf die NATO als militärisches und politisches
Bündnis. Das betrifft sowohl ihre Organisation als auch
ihre strategische Ausrichtung. Mit der neuen amerikani-
schen Administration weht – das unterstreiche ich für
meine Fraktion – ein frischer Wind durch das Bündnis
und die Strategic Review. Ich teile Ihre Auffassung, Herr
Westerwelle, dass dies aktiv begleitet werden muss und
dass wir jetzt auch die Kontakte mit unseren amerikani-






(A) (C)



(B) (D)


Walter Kolbow
schen Freunden nicht nur nutzen, sondern sie auch inten-
sivieren sollten, um unsere Auffassungen zu platzieren,
damit dann im Zusammenhang mit dieser Strategic
Review auch eine Antwort des Bündnisses auf diese
neue Strategie herauskommen kann und wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich glaube, dass die Unterstützung der Elder States-
men sinnvoll ist. Kissinger, Perry, Shultz und Nunn ha-
ben der Abrüstungspolitik neuen Schwung gegeben,
den nun die USA und Russland in der Abrüstungspolitik
nutzen. Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt,
Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr haben sich ein-
schlägig geäußert und dienen einer möglichen Renais-
sance einer Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik,
die die NATO als Präventionsbündnis dringend braucht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen – ich unterstreiche
das, was meine Vorredner gesagt haben; ich bin aber si-
cher, dass wir auch andere Meinungen hören werden –,
sich grundsätzlich auf Perspektiven für das nächste Jahr-
zehnt zu verständigen. Deswegen muss dieser Gipfel
Auftakt für eine umfassende Zukunftsdebatte der
NATO sein. Die angestrebte und öffentliche Zustim-
mung zum neuen Konzept erfordert – das richtet sich
auch an die Bundesregierung – eine frühzeitige Rück-
koppelung mit dem Parlament und eine bewusst initiierte
und öffentlich begleitete Debatte. Jetzt haben wir die
Chance, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesen
Dialog einzubeziehen. Diese Chance dürfen wir nicht
verstreichen lassen. Dieser Dialog gestaltet sich dank der
Mitwirkung der Weisen, die Akzeptanzpersonen sind,
günstig. Wenn das mit der Ausstrahlungswirkung dieser
außen- und sicherheitspolitisch erfolgreichen Bundesre-
gierung verbunden wird, dann werden wir der vorherr-
schenden Skepsis gegenüber einer größeren internatio-
nalen Beteiligung und einem größeren internationalen
Engagement, insbesondere im Zusammenhang mit unse-
ren Entscheidungen zu Auslandseinsätzen, die wir zu
treffen haben, sinnvoll begegnen und öffentliches Ver-
ständnis für globale Zusammenhänge fördern können.

Die SPD-Bundestagsfraktion steht an der Seite einer
aktiven Bundesregierung. Deswegen ist das für mich
eine Zweibahnstraße: die Entwicklung der neuen NATO-
Strategie und das Fitmachen des Bündnisses für eine Zu-
kunft möglichst ohne militärische Einsätze. Es geht hier
um ein Bündnis für Prävention, Sicherheit und die Werte
der Demokratie: Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.

Ich danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621400700

Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621400800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herrn! Als die NATO nach dem Zweiten Weltkrieg ge-
gründet wurde, wusste die Staatengemeinschaft, dass Si-
cherheit nur gemeinsam zu erreichen sein würde. Die
NATO wurde als Verteidigungsbündnis konzipiert und
verpflichtete sich auf die Charta der Vereinten Nationen.
In dieser Charta ist festgelegt, dass auf Gewaltanwen-
dung verzichtet wird, außer im Verteidigungsfall. In die-
ser Charta ist festgelegt, dass selbst die Androhung von
Gewalt kein Mittel der Politik sein soll.

In den 60er-Jahren diskutierte die NATO über die
Strategie des Gleichgewichts. Ein ehemaliger Bundes-
kanzler hat dazu ein lesenswertes Buch geschrieben. Als
im Zuge der Aufrüstung die Strategie des Gleichge-
wichts immer mehr hinterfragt wurde, verlor die NATO
an Unterstützung, auch im Westen, in der ehemaligen
Bundesrepublik Deutschland.


(Zuruf von der SPD: Im ganzen Westen!)


– Bitte schön: im ganzen Westen. – Es gab große De-
monstrationen. Hunderttausende versammelten sich im
Hofgarten und wiesen darauf hin, dass unter Bezug-
nahme auf die Theorie des Gleichgewichts die Überrüs-
tung nicht mehr zu rechtfertigen gewesen sei. Sie wiesen
darauf hin, dass es keinen Sinn macht, sich mehrfach
vernichten zu können und solche Drohungen aufrechtzu-
erhalten. Sie forderten Abrüstung.

Ich erinnere daran, weil eines im Grunde genommen
immer festzustellen war: In allen Reden wurde zwar die
Abrüstung beschworen, aber in Wirklichkeit wurden
permanent die militärischen Fähigkeiten, wie es so
schön hieß, verbessert. Auch heute noch gehört es zur
Wahrhaftigkeit, zu sagen: Die NATO, dieses Bündnis,
das diesen Werten verpflichtet sein soll, ist verantwort-
lich für zwei Drittel der Rüstungsausgaben der ganzen
Welt. Das stimmt mit dem, was erklärt wird, schlicht und
einfach nicht überein.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach dem Fall der Mauer hat die NATO ihre Struktur
entscheidend gewandelt. Sie ist nicht länger ein Bündnis,
das der Verteidigung verpflichtet ist, sondern sie ist
heute ein Interventionsbündnis, das völkerrechtswid-
rige Kriege und Kriege um die Öl- und Gasfelder des
Vorderen Orients führt.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine wahrhaftige Debatte verlangt es, dass wir heute
darüber reden. Diese NATO lehnen wir und viele andere
ab, die demnächst demonstrieren werden, um sich für
Frieden und Abrüstung einzusetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen diese NATO durch eine Verteidigungs-
gemeinschaft ersetzen, durch ein Bündnis kollektiver
Sicherheit, das in erster Linie dem Frieden und der Ab-
rüstung verpflichtet ist. Wir wollen ein kollektives Ver-
teidigungsbündnis, das den Begriff der Entspannung
wieder in den Vordergrund seiner Politik stellt, wie es






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
bereits im Harmel-Bericht, der schon erwähnt wurde, ge-
fordert worden ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist falsch, Spannungen zu verschärfen, zum Beispiel,
indem man einseitig Raketen an der Grenze zu Russland
stationiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen ein Bündnis, das auf Vertrauensbildung
setzt, was ursprünglich einmal vorgesehen war. Es ist
falsch, dadurch Misstrauen hervorzurufen, dass man ent-
gegen den Versprechungen, die man beispielsweise
Michail Gorbatschow im Zusammenhang mit der Ein-
heit gegeben hat, Zug um Zug weitere Staaten Osteuro-
pas in die NATO aufnimmt; denn dadurch werden alte
Einkreisungsängste in Russland wieder wach. Das ist
doch das Gegenteil von dem, was man versprochen hat.
Das muss heute zumindest einmal angesprochen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen ein Bündnis, das die Zusammenarbeit, die
Kooperation mit anderen wieder in den Vordergrund
seiner Politik rückt; denn Sicherheit ist heute nur ge-
meinsam zu erreichen. Das gilt im Besonderen für Russ-
land. Wir sind nach wie vor dafür, dass Russland die
Mitgliedschaft in einem solchen Bündnis angeboten
wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass sich das Bündnis dem Völkerrecht
verpflichtet fühlt. Für ein solches Bündnis könnten wir
eintreten. Wir müssen das Völkerrecht wieder zur
Grundlage der deutschen Außenpolitik und zur Grund-
lage der Bündnispolitik machen. Wir haben in den letz-
ten Jahren das Völkerrecht zur Seite gelegt, wenn nicht
mit Füßen getreten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie im Inneren eines Staates, so ist auch zwischen den
Staaten das Recht die Grundlage des Friedens. Wer das
Völkerrecht missachtet, dient dem Frieden nicht, son-
dern verschärft die Spannungen in der Welt und dient
letzten Endes auch nicht den Sicherheitsinteressen unse-
res Landes.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Völkerrecht wurde im Jugoslawien-Krieg miss-
achtet. Das Völkerrecht wird im Irak-Krieg missachtet.
Das hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt und
dieser Bundesregierung einen Bruch des Völkerrechts
vorgeworfen. Warum redet man nicht darüber?


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Die NATO war nicht im Irak!)


– Ich komme gleich darauf zurück. – Das Völkerrecht
wird auch in Afghanistan missachtet. Dort werden die
Genfer Konventionen nicht beachtet.

Wenn man hier sagt, die NATO führt im Vorderen
Orient Öl- und Gaskriege, stößt man auf Skepsis, teil-
weise auf Empörung. Um dies zu belegen, zitiere ich den
ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten
in Amerika, John F. Kerry, der seine Kandidatur mit fol-
gendem Vorhaben verknüpfte:

Wenn ich Präsident bin, werde ich alles daranset-
zen, alternative Treibstoffe und die entsprechenden
Fahrzeuge der Zukunft zu entwickeln, damit dieses
Land innerhalb von zehn Jahren vom Öl des Nahen
Ostens unabhängig wird und unsere Söhne und
Töchter nicht mehr für dieses Öl kämpfen und ster-
ben müssen.

Kann man es klarer formulieren, dass es hier um Öl- und
Gaskriege geht? Will man sich dieser Wahrheit einfach
verschließen, und will man keine Konsequenzen daraus
ziehen, meine Damen und Herren?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ist dies das viel beschworene Wertebündnis, das hier im-
mer wieder angesprochen wird, ein Bündnis, das auch
als gemeinsamen Wert anerkennt, sich mit militärischen
Mitteln die Rohstoffe anderer Länder zu sichern? Ist dies
die Grundlage dieses Wertebündnisses? Noch in den
80er-Jahren war klar, dass die deutsche Politik ihre Hand
niemals zu einer solchen Politik reichen würde. Leider
ist dieser Konsens der 80er-Jahre völlig verloren gegan-
gen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Im Mittelpunkt der Diskussion der letzten Jahre stand
ein Begriff, der für mich einer der gefährlichsten, ja,
wenn man so will, einer der schlimmsten der in der Poli-
tik in den letzten Jahren entwickelten Begriffe ist: der
Begriff der humanitären Intervention.

Mit einem Satz haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, an
die Opfer erinnert, meine beiden anderen Vorredner
nicht, und deshalb erinnere ich an dieser Stelle für meine
Fraktion an die Opfer. Im Jugoslawien-Krieg sind nach
unterschiedlichen Angaben 2 000 bis 3 000 Zivilisten
Opfer der Bombardierung geworden. In Afghanistan
sind im letzten Jahr nach internationalen Angaben über
2 000 Zivilisten ums Leben gekommen, 40 Prozent da-
von – entschuldigen Sie bitte, ich muss diese Zahl nen-
nen – durch die militärischen Aktionen der NATO und
ihrer Verbündeten. Warum reden wir nicht darüber? Wa-
rum kam das in einzelnen Reden überhaupt nicht und bei
der Kanzlerin lediglich in einem Nebensatz vor? Die
Zahl der Toten im Irak geht in die Hunderttausende,
wenn nicht über die Jahre hinweg in die Millionen.

An dieser Stelle frage ich noch einmal: Was heißt hu-
manitäre Intervention? Es heißt Dazwischengehen aus
Gründen der Menschlichkeit. Diese gesamte Strategie ist
total unglaubwürdig, weil beispielsweise jetzt in jedem
Jahr 10 Millionen Kinder an Unterernährung sterben,
wegen Seuchen und Wasserverschmutzung, weil jedes
Jahr 12 Millionen Menschen sterben, die an Krankheiten
leiden, die heilbar sind. Wenn wir wirklich humanitär in-
tervenieren wollten, hätten wir hier an dieser Stelle die
Möglichkeit, viele Leben zu retten, ohne andere Men-
schen ermorden und töten zu müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])







(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Deshalb ist der Begriff der humanitären Intervention,
wenn er das Militärische mit einbezieht, kein Begriff,
auf den man die Außenpolitik stützen kann. Deshalb
macht er denjenigen moralisch unglaubwürdig, der im-
mer wieder mit zu verantworten hat, dass die großen
Menschheitsaufgaben, die mit viel geringerem Aufwand
zu lösen wären, ohne dass man andere Menschen ermor-
det und umbringt, nicht angegangen werden, während er
beim Militärischen sofort bereit ist, das Humanitäre in
den Vordergrund zu rücken und umfangreiche Mittel da-
für aufzuwenden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Deshalb genügt es nicht, wenn wir immer wieder an
die Soldatinnen und Soldaten erinnern, die selbstver-
ständlich nicht selbst entschieden haben, diese Aufgabe
zu übernehmen; auch dies stelle ich hier einmal klar. Sie
sind dort, weil wir dies beschlossen, weil der Deutsche
Bundestag diesen Auftrag erteilt hat, und selbstverständ-
lich haben sie eine schwierige Aufgabe, die Anerken-
nung findet. Aber wir stehen in der Verantwortung, diese
Aufgabe zu hinterfragen.

Wenn jetzt beispielsweise der amerikanische Präsi-
dent eine totale Kehrtwende macht und sagt, dieser
Krieg sei nicht zu gewinnen, und hinzufügt, wir hätten
auch eine Exitstrategie ins Auge zu fassen, dann wun-
dere ich mich, dass darüber überhaupt nicht diskutiert
wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Damit zeichnet sich doch eine totale Kehrtwende ab.

Wollen Sie erst dann die Konsequenzen ziehen, wenn
die anderen sagen, nun bequemt euch bitte endlich, ein-
mal umzudenken? Ich fordere hier für meine Fraktion
den Rückzug der Truppen aus Afghanistan. Das ist es,
was auch die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland
nach wie vor will.

Es ist gut, dass die Bundeskanzlerin hier denjenigen,
die für eine andere Außenpolitik, für eine Friedenspoli-
tik demonstrieren, Respekt gezollt hat. Sie haben recht,
wenn Sie sagen, dass sich die Demonstrantinnen und
Demonstranten an die Regeln des freiheitlichen
Rechtsstaates halten müssen. Dies möchte ich für meine
Fraktion nachdrücklich unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das gilt aber nicht nur für die Demonstrantinnen und
Demonstranten, sondern genauso für die Staaten, die
diese Veranstaltung organisieren


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und die das Demonstrationsrecht nicht in unzulässiger
Weise einschränken dürfen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich grüße von hier aus diejenigen, die für den Frieden
demonstrieren wollen. Ich appelliere an sie, die Regeln
unseres Rechtsstaates zu beachten. Ich appelliere aber
auch an die Regierenden, dafür Sorge zu tragen, dass ei-
nes der fundamentalsten Rechte, von dem jetzt so oft ge-
sagt wurde, dass wir es der NATO verdanken, ausgeübt
werden kann, nämlich das Recht auf freie Demonstration
für Frieden und Abrüstung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621400900

Peter Ramsauer ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1621401000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Lafontaine, ich glaube, mit einer solchen marktschreieri-
schen Demagogie


(Lachen bei der LINKEN)


werden Sie dem Ernst des Themas nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wer so schreit und hinterher lacht, hat unrecht – so lehrt
es ein Sprichwort, das ich in Kinderzeiten gelernt habe
und das von seiner Gültigkeit, lieber Herr Lafontaine,
nichts verloren hat.


(Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Das sagt der deutsche Volksmund, und Sie sollten sich
an manches, was der deutsche Volksmund lehrt, erin-
nern.

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-
rung von Chancen gesprochen. Jawohl, die NATO ist
eine große Chance für Deutschland, und Deutschland
und Europa brauchen dieses Bündnis. Deutschlands In-
teressen lassen sich ohne die NATO nicht schützen: Frie-
den in Europa, Freundschaft mit unseren Nachbarn,
Sicherheit für Handel und Sicherheit für Reisen. In ande-
ren Staaten gehören die nationalen Interessen zum par-
teiübergreifenden Konsens. In Deutschland ist das leider
nicht ganz so. Hier steht oft schon allein der Begriff „na-
tionale Interessen“ im Geruch politischer Unkorrektheit.


(Zuruf von der LINKEN)


Ich bin vollkommen anderer Ansicht. Ich glaube, das
Wahren nationaler Interessen macht unsere Außenpolitik
glaubwürdig und berechenbar. Deswegen halte ich es an
einem Tag wie heute für angebracht, von deutschen und
nationalen Interessen in der Außen- und Sicherheitspoli-
tik zu sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu diesen Interessen gehört die Erfahrung, dass es
ohne die NATO in Deutschland keinen erfolgreichen
Wiederaufbau gegeben hätte, dass es kein Wirtschafts-
wunder gegeben hätte und dass wir kein Leben ohne
Angst hätten. Ohne die NATO – das sage ich vor allen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Ramsauer
Dingen an die Kollegen von der linken Fraktion – hätten
die Bundesrepublik und Westeuropa Stalins Expansions-
streben und damit kommunistischer Diktatur und Miss-
wirtschaft nicht widerstehen können. Das ist eine histori-
sche Tatsache.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ohne die NATO hätten wir nicht das Glück der Wie-
dervereinigung gehabt. Auch da sage ich an die Adresse
der Linken: Ohne die NATO würden unsere Landsleute
in den neuen Bundesländern heute nicht in Freiheit und
Sicherheit leben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der LINKEN)


Das gehört zur Wahrheit der letzten 60 Jahre.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Aha! Hat also die NATO damals in Leipzig demonstriert? War da also die NATO auf der Straße, ja?)


Ohne die NATO hätten wir auch nicht die Erfolge bei
der Abrüstung, die wir zu verzeichnen haben.

Ich werde nie vergessen, dass ich dabei sein durfte,
als der damalige Wirtschaftsminister Michael Glos vor
zwei Jahren in Murmansk eine Anlage zur Verschrottung
ehemaliger sowjetischer Atom-U-Boote eingeweiht hat.
Deutlicher und augenfälliger kann tatsächliche Abrüs-
tung nicht werden.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Damals in Murmansk war ich stolz darauf, dass die Ab-
rüstungsverhandlungen zu diesen Ergebnissen geführt
haben, sodass wirkliche Abrüstung in Form von Ver-
schrottung stattfinden konnte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621401100

Herr Kollege Ramsauer, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hänsel?


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Oh nein! Mein Gott, auch das noch!)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1621401200

Bitte sehr.


(Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Die sitzt ganz links außen!)


– Aha. Das wusste ich nicht. Jetzt weiß ich es.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621401300

Herr Ramsauer, Sie haben ein interessantes Ge-

schichtsverständnis. Sie sagten nämlich, dass die NATO
in der DDR auf die Straße gegangen ist.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach was! Aber Sie sind in der DDR auch nicht auf die Straße gegangen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: So ein Unsinn! – Was das wieder soll! – Oh! Oh!)


Das ist mir völlig neu.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Es waren die Menschen in der DDR, die
diese massive Bewegung in Gang gesetzt haben, nicht
die NATO. Außerdem haben Sie den Begriff „Freiheit“
verwendet und gesagt, die NATO habe ermöglicht, dass
wir heute in Freiheit leben; das hat auch die Kanzlerin in
ihrer Rede mehrmals erwähnt.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Stellen Sie jetzt mal bitte Ihre Frage! Kommen Sie endlich auf den Punkt!)


In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage an Sie:


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Na endlich!)


Wie weit ist es mit unserer Freiheit gekommen, wenn es
heutzutage in Frankreich und in Deutschland nicht mög-
lich ist, so wie wir es uns vorstellen, zu demonstrieren,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


weil das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt
wurde, sodass es nicht mehr möglich ist, sich öffentlich
zu artikulieren? Das gipfelte darin – ich glaube, dass
viele von Ihnen das gar nicht wissen –, dass in Frank-
reich sogar verboten wurde, die Friedensfahne, ein inter-
nationales Zeichen, aus dem Fenster zu hängen. Die Be-
völkerung in Frankreich darf keine Friedensfahnen mehr
aus dem Fenster hängen.


(Abgeordnete der Fraktion Die Linke halten Transparente und Fahnen hoch – Zurufe von der CDU/CSU: Was ist denn da los? – Was machen die denn?)


Wir solidarisieren uns mit diesem Protest und sagen: Wir
wollen das Recht auf Meinungsfreiheit wahrnehmen,
und wir hoffen, dass am 4. April dieses Jahres viele
Menschen nach Straßburg kommen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621401400

Räumen Sie jetzt erst einmal diese ganzen Klamotten

weg. Ihnen, Frau Kollegin Hänsel, erteile ich einen Ord-
nungsruf,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie bitte? Das ist ein Zeichen des Friedens!)


weil Sie bereits zum wiederholten Male gegen die auch
mit den Mitgliedern Ihrer Fraktionsführung abgestimm-
ten Mindestnormen eines vernünftigen parlamentari-
schen Umgangs verstoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich mache Sie vorsichtshalber darauf aufmerksam, dass
ich im Wiederholungsfall auch von meinem Recht, Sie






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
von der Sitzung auszuschließen, Gebrauch machen
werde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Mätzchen haben mit Parlamentarismus überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1621401500

Herr Präsident, wenn Sie gestatten, fahre ich in mei-

ner Rede fort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Genau! Bloß nicht darauf eingehen! Einfach weitermachen!)


Ich möchte mir nur eine Bemerkung erlauben – ich bitte,
diese Ausführungen mit Blick auf die Geschäftsordnung
als Antwort zu behandeln; denn dann werden sie nicht
auf meine Redezeit angerechnet –:


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD], zur CDU/CSU gewandt: Er hat das ganze Theater durch die Zulassung der Zwischenfrage doch erst ermöglicht! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Ich habe die Zwischenfrage zugelassen; das ist richtig.
Das spricht für Liberalität und Toleranz. – Liberalität
und Toleranz wären heute ohne die NATO nicht mög-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Linken, zu dem, was
auf Ihren Transparenten steht – ich habe die Begriffe
„Frieden“, „Peace“ und „Pace“ gelesen –, kann ich nur
sagen: Die größte Friedensgarantie und Friedens-
macht war in den letzten 60 Jahren die NATO. Darauf
können wir stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wussten die Deutschen, wie ich den Ergebnissen
einer Umfrage entnehmen konnte, schon vor 20 Jahren.
Damals waren 86 Prozent der Deutschen für die NATO.
Nach einer Umfrage des letzten Jahres vom German
Marshall Fund halten heutzutage immerhin noch 62 Pro-
zent der deutschen Bevölkerung die NATO für unent-
behrlich. Jawohl, die Mehrheit der deutschen Bevölke-
rung hat recht. Sie von der Linken haben unrecht. Wir
sind stolz auf die NATO.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms [FDP])


Meine Damen und Herren, dank der NATO kann
Deutschland, kann Europa auch mit Russland eine
Nachbarschaft auf Augenhöhe pflegen. Der Georgien-
Krieg und der Gaskonflikt haben gezeigt: Russland ist in
der Tat kein einfacher Partner und Nachbar. Es ist den-
noch gut, dass der NATO-Russland-Rat seine Arbeit
wieder aufgenommen hat. Selbstverständlich müssen
wir NATO-Partner uns aber untereinander abstimmen,
bevor wir mit Russland beraten. Das gibt großen und
kleinen NATO-Partnern gleichermaßen die Gewissheit
gleicher Sicherheit. NATO und EU stehen im Verhältnis
zu Russland vor ähnlichen – um nicht zu sagen: vor glei-
chen – Herausforderungen. Sie sollten aus genau diesem
Grunde eine gemeinsame Russland-Strategie verfolgen.

Die NATO ist nicht nur für Europa und Deutschland
eine Chance, sondern auch für die Vereinigten Staaten
und Kanada. Die einzig verbliebene Weltmacht USA
wird mit den Problemen der Welt auch nicht alleine fer-
tig. Jede Auseinandersetzung, selbst wenn sie mit militä-
rischen Mitteln geführt werden muss, ist ein Wettstreit
um Rückhalt, ein Kampf um die Köpfe; wer hier verliert,
hat keinen Erfolg. Im Wettstreit um die öffentliche Mei-
nung hat ein Bündnis natürlich die besseren Chancen als
jeder einzelne Partner für sich.

Die Entwicklung von einer bipolaren zu einer poly-
zentrischen Welt geht unvermeidlich und unvermindert
weiter. In diesem Kontext vervielfacht ein solches Bünd-
nis den Einfluss, den jeder Partner für sich allein haben
könnte. Die Liste der Themen, die diesseits und jenseits
des Atlantiks unterschiedlich gesehen werden, ist lang:
internationale Gerichtsbarkeit, Klimaschutz, Prolifera-
tion und viele Abrüstungsfragen. Bei manchen Aspekten
bringt Präsident Obama Bewegung und Wandel; aber ei-
nes ist natürlich auch klar: Präsident Obama wird wie
alle seine Vorgänger im Amt des Präsidenten amerikani-
sche Interessen immer an erster Stelle schützen. Das
müssen wir wissen.

Unser gemeinsames Interesse muss es sein, die trans-
atlantische Partnerschaft zu festigen. Europa und Nord-
amerika sind sich bei der Analyse der Bedrohungen
einig: Terrorismus, religiöser Fundamentalismus, zerfal-
lende Staaten, internationale Kriminalität. Der Georgien-
Krieg hat die Möglichkeit zwischenstaatlicher Konflikte
wieder in das Blickfeld der NATO gerückt. Die Rück-
kehr Frankreichs in die militärischen Strukturen der
NATO erleichtert jetzt die Kooperation zwischen ESVP
und NATO. Ich glaube, das ist ein großer Schritt hin zu
einer tragfähigen euro-atlantischen Sicherheitspart-
nerschaft.

Die NATO war und ist nicht nur ein Sicherheits-, son-
dern auch ein Wertebündnis. Ich halte es für unverzicht-
bar, darauf hinzuweisen. Herr Kollege Westerwelle, Sie
haben Ihre Ausführungen dankenswerterweise mit die-
sem Aspekt begonnen, der zu sehr in Vergessenheit ge-
rät.

Zu unseren gemeinsamen Wertvorstellungen gehört
auch das Eintreten für freien Welthandel. Gerade in einer
Zeit wie der heutigen, in der wir uns schwersten welt-
wirtschaftlichen Verwerfungen gegenübersehen, gehört
nicht Abschottung zu den Rezepten, sondern gerade
freier Welthandel. Auch dazu liefert die NATO einen
wertvollen Beitrag.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Ramsauer
Wir sprechen vom transatlantischen Marktplatz, auf dem
sich jeder ohne Hemmnisse am Handel beteiligen kann.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Europa und Amerika
brauchen eine stabile NATO. Dafür muss gewährleistet
sein, dass sich die NATO nicht überdehnt, dass sie sich
in ihren Operationen nicht verzettelt und dass sie sich
ständig strategisch modernisiert.

Die NATO nicht überdehnen heißt: Die Tür zur
NATO ist zwar für neue Mitglieder offen – wir begrüßen
Albanien im Bündnis; der Beitritt Kroatiens darf, wie Sie,
Frau Bundeskanzlerin, gesagt haben, nicht scheitern –;
aber für alle Beitritte gilt, dass durch jeden Beitritt am
Ende ein Mehr an Sicherheit für die gesamte Allianz ge-
leistet werden muss.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist das Entscheidende!)


Die Bewerber stehen deshalb in der Pflicht, die Bei-
trittskriterien zu erfüllen. In meinen Augen erfüllen
Georgien und die Ukraine diese Beitrittskriterien so
schnell noch nicht, aber es gilt, dass sie weiterhin eine
Beitrittsperspektive haben.

Die NATO darf sich nicht verzetteln. Die Bundes-
kanzlerin hat gesagt, dass natürlich die Grenzen des Wir-
kungskreises der Allianz aufgezeigt werden müssen. Das
müssen wir immer klar im Auge behalten, und wir müs-
sen vor jeder Operation sorgfältig und gewissenhaft prü-
fen, ob die Voraussetzungen für einen solchen Einsatz
erfüllt sind. Dazu gehört auch, dass ein solcher Einsatz
immer in ein zukunftsweisendes und erfolgversprechen-
des politisches Lösungskonzept eingebunden ist.

Die NATO muss sich strategisch ständig modernisie-
ren. Dazu braucht es keiner neuen speziellen Experten-
runden, denn diese Arbeit kann innerhalb der gegebenen
Gremien der NATO geleistet werden.

Meine Damen und Herren, wenn es die NATO nicht
schon gäbe, dann müssten wir sie heute gründen. Wir
gratulieren der NATO zum 60. Geburtstag. Ich glaube,
wir können sagen: Wir gratulieren uns Deutschen zur
NATO. Wir können es nicht oft und laut genug sagen:
Wir brauchen die NATO als Deutsche, als Europäer und
als Weltbürger für eine Zukunft in Frieden, in Freiheit
und in Sicherheit.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621401600

Das Wort erhält jetzt der Kollege Jürgen Trittin.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621401700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-

deskanzlerin, wir begrüßen es, dass Deutschland und
Frankreich diesen NATO-Gipfel gemeinsam ausrichten.
Das ist ein wirklich starkes Zeichen der deutsch-franzö-
sischen Freundschaft.

Gerade weil wir das begrüßen, wollen wir Ihnen aber
doch etwas Nachdenkliches mit auf den Weg geben: Wo-
mit begann eigentlich die deutsch-französische Freund-
schaft? – Sie begann damit, dass beiderseits der Grenzen
Menschen, wie übrigens auch der spätere Bundeskanzler
Helmut Kohl, damit angefangen haben, die Grenzzäune
abzubauen. Ich frage mich deshalb in der Tat: Ist es ei-
gentlich ein gutes Signal, dass wir jetzt entlang dieser
Grenze zum ersten Mal seit Jahren wieder Grenzkontrol-
len haben und dass bestimmte Grenzübergänge tagelang
gesperrt sind? Ich frage mich auch: Ist es wirklich ein
gutes Signal, Teile der Einwohnerschaft von Kehl meh-
rere Tage quasi unter Hausarrest zu stellen? Ich finde,
das ist eine falsche Begleitmusik zu diesem richtigen
Event.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist aber kleine Münze! Fällt Ihnen nichts Besseres ein?)


Die NATO soll eine neue Strategie haben. Ich
glaube, das ist nötig. Übrigens: Gerade weil man in einer
neuen Situation lebt, muss das, was hier gerade zwischen
Herrn Ramsauer und der Linksfraktion aufgeführt
wurde, nicht immer wieder aufgeführt werden.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich habe das nicht bestellt! – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Die haben das aufgeführt!)


An beide gerichtet: Wir haben nicht mehr die 80er-
Jahre. Wir hören heute nicht mehr „bots“, wir hören
„Franz Ferdinand“. Die Blockkonfrontation ist vorbei,
und Sie bekommen das hier auch nicht gemeinsam wie-
der inszeniert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben Steine geworfen! – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Ich sage nur: Mescalero!)


Die NATO hatte eine Funktion: Sie hat unsere Sicher-
heit gewährleistet. Nach Ende der Blockkonfrontation
hatte sie übrigens noch eine weitere wichtige Funktion:


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Joschka Fischer würde sich für eine solche Rede schämen!)


Die NATO hat dazu beigetragen, dass es nach dem Ende
der Blockkonfrontation nicht zu einer Renationalisie-
rung der Sicherheitspolitik gekommen ist. Diese Ver-
dienste sollte man auch nicht durch solche fahrlässigen
Reden, Herr Ramsauer, infrage stellen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Fahrlässig? Wer war denn ein Sicherheitsrisiko?)


Seitdem gibt es die Diskussion über die Sinnsuche
und die neue Aufgabenstellung. Frau Bundeskanzlerin,
ich habe versucht, sehr aufmerksam zuzuhören. Wenn
ich die NATO wäre, dann müsste ich als rüstiger 60-Jäh-
riger in Altersteilzeit, der auf der Suche nach einer neuen
Aufgabe ist, sagen: Ich habe Ihren Worten keine wirklich
neue Aufgabenbeschreibung entnommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
Dafür hätten Sie auch auf die Probleme eingehen müs-
sen. Wie verhält es sich mit der Konkurrenz zwischen ei-
ner gestärkten Europäischen Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik und der NATO? Ist es wirklich sinnvoll,
dass die NATO, wenn die EU vor Somalia im Auftrag
der Vereinten Nationen gegen Piraten kämpft, schnell
mit ein paar Schiffen hinterherfahren muss, damit keiner
merkt, dass sie bei dieser Aufgabe weder gefragt noch
notwendig ist? Das ist falsch. Es ist reine Ressourcen-
verschleuderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von Ihnen war auch nichts zu der Frage zu hören, wie
die Zukunft der Bundeswehr innerhalb der NATO ausse-
hen soll. Wollen wir weiterhin an einer Wehrpflicht
festhalten, die fast alle unsere NATO-Partner abgeschafft
haben, die uns in vielerlei Hinsicht daran hindert, unse-
ren Bündnisverpflichtungen nachzukommen und von der
die Gerichte sagen, dass sie so, wie sie praktiziert wird,
an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit stehe? Das
wird demnächst vor dem Bundesverfassungsgericht ver-
handelt. Auf diese Fragen geben Sie keine Antwort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zu den Fragen, auf die Sie Antworten
geben. Zur Abrüstung zum Beispiel haben Sie erklärt,
dass Sie Russland von den Vorzügen des KSE-Vertrages
überzeugen wollen. Ich habe einen ganz einfachen Rat-
schlag, Frau Merkel: Ratifizieren Sie doch endlich den
angepassten KSE-Vertrag! Dann haben Sie ein überzeu-
gendes Argument, um Russland dazu zu bewegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Sie haben zur nuklearen Teilhabe gesagt, man dürfe
den Weg und das Ziel nicht verwechseln. Ich habe nach
Ihrer Rede den Eindruck, für Sie ist und bleibt der Weg
das Ziel, nämlich die nukleare Teilhabe. Sie wollen, wie
Sie wörtlich gesagt haben, nicht auf Ihren Einfluss im
Bündnis auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten.
Das ist aber ein anderes Ziel als unseres, und es ist ein
anderes Ziel als das, das Persönlichkeiten wie Henry
Kissinger, Hans-Dietrich Genscher und selbst Helmut
Schmidt in ihrer Global-Zero-Erklärung niedergelegt ha-
ben, nämlich die Welt von allen Atomwaffen zu be-
freien. Das ist das Ziel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war auch eine Ohrfeige für die Nichtverbreitungs-
politik, dass Sie die Aufrüstung Indiens – obwohl Indien
außerhalb des Atomwaffensperrvertrages nuklear aufge-
rüstet hat – nun mit der Lieferung von Nuklearmaterial
an Indien belohnen. Sie haben in Ihrer Rede festgestellt,
dass sich die Proliferationsrisiken erhöht hätten. Nein,
Frau Merkel, die Proliferationsrisiken sind nicht durch
anonyme Mächte, die das Nichtverbreitungsregime un-
terwandert haben, erhöht worden, sondern durch Ihre
Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Afghanistan ist ein weiteres Thema. Ich glaube üb-
rigens nicht, dass die Zukunft der NATO an Afghanis-
tan hängt. Afghanistan darf nicht scheitern. Ein Schei-
tern – darin stimme ich allen meinen Vorrednern mit
Ausnahme von Herrn Lafontaine zu – hätte insbeson-
dere für die Afghaninnen und Afghanen katastrophale
Folgen. Ich kann das Gerede von der vernetzten Sicher-
heit – sei es im Dialekt der südhessischen Weinberge, sei
es in Ihrem Templiner Timbre, Frau Bundeskanzlerin –
nicht mehr hören. Ich möchte, dass das Konzept der ver-
netzten Sicherheit innerhalb der NATO, das vor zwei
Jahren beschlossen worden ist, umgesetzt wird: in Af-
ghanistan, am Boden, jeden Tag. Das hieße, dass Sie die
Zahl der Polizistinnen und Polizisten und der Polizeiaus-
bilder endlich aufstocken. Die Europäische Union muss
mindestens 2 000 Kräfte zur Verfügung stellen, mindes-
tens 500 davon von deutscher Seite.

Wenn Sie die vernetzte Sicherheit ernst nehmen, dann
muss der Skandal ein Ende haben, dass derzeit mehr
Feldjäger als Bundespolizisten in der Polizeiausbildung
beschäftigt sind. Das ist ein Versagen der Bundesregie-
rung bei der vernetzten Sicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie die lokalen Kräfte stärken wollen, dann
stellt sich die Frage, wie sich das mit dem Vorfall am
vergangenen Wochenende vereinbaren lässt, als in Imam
Sahib in der Provinz Kunduz das Gästehaus eines mit
uns verbündeten Bürgermeisters – möglicherweise hat
ihn auch Herr Jung bei seinem letzten Treffen mit den
Stammesältesten getroffen – von einer Geheimdienst-
operation der Amerikaner betroffen war. Nach EUPOL-
Angaben – nicht nach NGO-Angaben – hatte diese Ope-
ration zur Folge, dass vier Personen entführt worden
sind. Der Leibwächter, der Koch, der Fahrer und ein
weiterer Angestellter des Bürgermeisters sind erschos-
sen worden. Das alles hat im Norden Afghanistans statt-
gefunden, also dort, wo Deutschland Verantwortung
trägt. Es ist ohne Zustimmung und Unterrichtung
Deutschlands passiert. Wenn Sie von vernetzter Sicher-
heit reden, dann müssen Sie endlich dafür sorgen, dass
mit solchen Kommandoaktionen, die den Erfolg der
NATO-Operation massiv infrage stellen, in ganz Afgha-
nistan und insbesondere dort, wo die Deutschen Verant-
wortung haben, endlich Schluss gemacht wird. Das ist
die Herausforderung, wenn man über vernetzte Sicher-
heit redet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe den Eindruck, Frau Merkel: Sie sind auf die
neue Zeit und die neue Administration in den USA über-
haupt nicht vorbereitet. In München haben Sie sich in Ih-
rem Beitrag zum Iran auf die Frage nach neuen Sanktio-
nen beschränkt. Mittlerweile bietet Barack Obama einen
Dialog an. Der Iran nimmt nächste Woche an der Konfe-
renz in Den Haag teil. In der heutigen Regierungserklä-
rung begrüßen Sie den Besuch von Barack Obama in
Europa. Letztes Jahr, als er vor dem Brandenburger Tor
reden wollte – übrigens eine gute Rede –, waren Sie
noch gar nicht so begeistert. Sie haben angesichts der ak-
tuellen Situation einfach nicht verstanden, umzuschal-
ten. Das, was die neue Politik der USA ausmacht, ist ein






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
Angebot zum Dialog. Dazu gehört, zuzuhören. Dazu
gehört aber auch, die eigenen Probleme und die Kon-
flikte anzusprechen. Eine wortreiche Richtungslosigkeit
– nichts anderes war Ihre heutige Regierungserklärung –
hilft dabei überhaupt nicht. So werden Sie nicht zum Ak-
teur der internationalen Politik. Das muss beendet wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621401800

Das Wort erhält nun der Kollege Gert Weisskirchen

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1621401900

Herr Präsident! Liebe Frau Bundeskanzlerin, wenn

man sich 60 Jahre NATO in einem Zeitraffer vor Augen
führt, dann wird man zu folgendem Ergebnis kommen
können: Zuerst stand Containment, die Eindämmung der
Gefahren, die insbesondere von der damaligen Sowjet-
union ausgingen, im Mittelpunkt. Dann kam die Phase
der Entspannung, eingeleitet durch den Harmel-Bericht
und die Politik der sozialliberalen Koalition unter Willy
Brandt und Walter Scheel. Dann kam die Öffnung der
NATO. Lieber Kollege Lafontaine, bei all dem, was Sie
mit Blick auf ein Geschichtsgemälde beschrieben haben,
haben Sie offenbar vergessen – ich kann mich noch gut
daran erinnern –, dass Sie es waren, der gesagt hat:
Nehmt doch Russland bzw. die Sowjetunion in die
NATO auf! – Wer sich wie Sie heute hier hinstellt und
geradezu einen Schattenriss von Ängsten und Problemen
im Zusammenhang mit der NATO deklamiert, der sollte
sich bitte daran erinnern, was er selbst einst gesagt hat.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat er doch gesagt!)


Dann werden Sie zu einem ganz anderen Ergebnis kom-
men.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hat er doch gesagt!)


Es handelt sich hier um einen Lernprozess. Ich ge-
stehe freimütig zu, dass ich ihn selber mitgemacht habe.
Als die Mauer fiel, gab es in Europa Sorgen – daran
kann ich mich noch sehr gut erinnern –: Wie wird sich
Deutschland nun entwickeln? Wird Deutschland in der
EU und der NATO, dem Verteidigungsbündnis, ein kon-
struktiver Partner und Nachbar bleiben? Oder werden
sich möglicherweise diejenigen in Deutschland, die ge-
genüber der NATO und der EU kritisch eingestellt sind
– dazu gehören auch Sie –,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie früher der Kollege Weisskirchen!)


durchsetzen? Wird es möglich sein, Deutschland in den
Allianzen des Westens fest zu verankern, oder wird
Deutschland, wenn das nicht der Fall ist, einen Nationa-
lisierungskurs einschlagen, der dazu führen würde, dass
Deutschland wieder zu einer Gefahr für andere werden
kann? Der Sinn der Allianzen, in die wir eingetreten sind
und die wir festigen wollen, ist doch, dass Deutschland
ein konstruktiver Nachbar ist und sich an Maßnahmen
zur Sicherung von Frieden und Freiheit beteiligt. Das ist
der zentrale Sinn jener westlichen Allianzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer das im Ernst infrage stellt, wer beispielsweise
den Lissabon-Vertrag ablehnt, wer die NATO in der
Form, wie es hier geschehen ist, angreift, lieber Kollege
Lafontaine, der wird Fragen heraufbeschwören. Unsere
polnischen und anderen Nachbarn werden fragen, was
das für ein Deutschland ist, das sich aus den westlichen
Allianzen herauszulösen versucht. Dann wird die Angst
vor Deutschland wieder groß werden. Das müssen wir
doch gemeinsam verhindern. Deswegen noch einmal:
Der konstruktive Beitrag, den die Bundesrepublik
Deutschland in jeder Phase der NATO – Eindämmung,
Entspannung, Öffnung – geleistet hat, ist ein Beitrag
zum Frieden in Europa und in der Welt. Darauf werden
wir weiterhin aufbauen.

Jetzt kommt die entscheidende Frage – die Frau Bun-
deskanzlerin hat sie gestellt –, nämlich was das mit Blick
auf die Zukunft heißt. Welche Form muss die NATO an-
nehmen, in welche Richtung wird sie sich weiterent-
wickeln, und wie könnte die Überschrift über die nächste
Phase lauten? Ich würde vorschlagen, sich zu überlegen,
ob die NATO nicht wieder an die zweite Phase, die sie
stark gemacht hat, anknüpfen kann. Ich meine damit,
nach der Öffnung wieder zur Entspannung zurückzu-
kehren und einen eigenständigen Beitrag dazu zu leisten.
Entspannung fängt mit Abrüstung und Rüstungskon-
trolle an. Wir haben doch jetzt Verbündete auf der ande-
ren Seite des Atlantiks, die genau dieses Ziel – ich erin-
nere an den Präsidentschaftswahlkampf von Barack
Obama – vertreten. Obama ist einer derjenigen in den
USA, die gesagt haben: Wir wollen eine von Massenver-
nichtungswaffen freie Welt. – Welchen besseren Bünd-
nispartner können wir, die Bundesrepublik Deutschland
und Europa, uns denn gemeinsam wünschen, damit diese
Vision wieder zur Überschrift über das auch militärische
Bündnis wird? Ich möchte bei all der Kritik, die wir an
der NATO üben können, darum bitten, mit zu berück-
sichtigen – der Kollege Trittin hat eben darauf hingewie-
sen –, dass die NATO nicht nur die Renationalisierung
verhindern kann, sondern dass sie auch bei der Öffnung
gegenüber Osteuropa eine, wenn man so will, Reform-
orientierung der Militärs in den dortigen Staaten durch-
gesetzt hat. Das, was damals noch viel zu stark diktato-
risch ausgerichtet war, ist durch den Einfluss der NATO-
Partnerschaften demokratisiert und zivilisiert worden.
All das sind Schritte, die uns gemeinsam geholfen ha-
ben, unseren Kontinent besser zu machen und dafür zu
sorgen, dass von unserem Kontinent Frieden ausstrahlt.

Natürlich werden wir noch eine Reihe von Fragen be-
antworten müssen, die sich auf dem Wege, den wir zu
bewältigen haben, stellen. Lassen Sie mich am Schluss
einige ganz kurz nennen. Wollen wir künftig aktiver han-
deln, um zu Stabilität in solchen regionalen Konflikten
beizutragen, die unsere Sicherheit existenziell bedrohen?
Das ist eine ganz zentrale Frage. Ich meine, es wird da-






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)

bei immer darauf ankommen, dass dann, wenn wir uns
an solchen Konfliktlösungen beteiligen, unverrückbar
im Mittelpunkt die Bindung unserer Handlungen an das
eigene Recht, an die Verfassung und an das Völkerrecht
stehen muss.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist für uns ganz zentral, dass die Beschlüsse der
UNO und des Weltsicherheitsrats die Legitimations-
grundlage für dieses Handeln sein müssen. Dass dies im
Falle des Kosovo anders war, darf nicht als Begründung
herangezogen werden, um sich künftig anders zu verhal-
ten. Die damalige Handlung muss eine Ausnahme blei-
ben. Das Völkerrecht, die UNO-Charta und die Ent-
scheidungen des Weltsicherheitsrats sind die Grundlagen
für unser eigenes Handeln. Das muss und wird auch so
bleiben. Es wird darauf ankommen, wie die Instrumente
verbessert werden können, damit Europa und die Bun-
desrepublik Deutschland ein Faktor des Friedens, der
Freiheit und der Solidarität bleiben bzw. wieder neu wer-
den.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621402000

Der Kollege Dr. Rainer Stinner ist der nächste Redner

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1621402100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

vielen der bisherigen Reden ist davon gesprochen wor-
den, welche Bedeutung die NATO für Deutschland hat.
Dazu ist vieles Richtige und Wichtige gesagt worden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich möchte die Frage umdrehen: Welche Bedeutung
hat Deutschland für die NATO, und wie wird diese Rolle
ausgeführt? Ohne jeden Zweifel sind wir der zweit- bzw.
drittgrößte und wichtigste Partner in der NATO. Füllen
wir diese Rolle auch wirklich aus? Daran sind Zweifel
angebracht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Es gibt eine ganze Reihe von Situationen, in denen auch
wir als Parlamentarier mit Planungen der NATO kon-
frontiert werden, ohne das Gefühl zu bekommen, dass
Deutschland bei diesen Planungen einen wichtigen Input
gegeben hat. Ich möchte zwei Beispiele bringen:

Erstens. Gegenwärtig wird im Rahmen der NATO in-
tensiv geplant, die Präsenz im Kosovo sehr deutlich zu
reduzieren, und zwar von 14 000 auf – in 18 Monaten –
1 800 Soldaten. Das sind Planungen; ich weiß es. Unsere
Frage an die Bundesregierung, was der deutsche Beitrag,
wo die deutsche gestalterische Kraft ist, ist bisher vage,
wenn überhaupt, beantwortet worden. Es ist wichtig,
dass wir, Deutschland, als zweit- bzw. drittgrößter Trup-
pensteller bei vielen Kontingenten unseren Einfluss in
der NATO wirklich geltend machen. Die gestalterische
Kraft Deutschlands in der NATO muss gestärkt werden.


(Beifall bei der FDP)


Zweitens. Die NATO-Response-Force, die NATO-
Eingreiftruppe, ist gescheitert – das muss man so deut-
lich sagen –, und zwar konzeptionell und auch von der
Ausführung her. Ich gebe zu, dass wir als Deutsche treu
und brav auf Punkt und Komma unsere Aufgaben erfüllt
haben. Jawohl, das ist richtig. Das nützt aber nichts,
wenn wir feststellen müssen, dass das Konzept der NRF
insgesamt gescheitert ist, und zwar nicht nur militärisch,
sondern vor allen Dingen politisch. Fälschlicherweise ist
auf einem NATO-Gipfel die militärische Einsatzfähig-
keit der NRF konstatiert worden; aber spätestens ein hal-
bes Jahr danach mussten wir feststellen, dass die politi-
sche Einsatzfähigkeit dieses Instruments nicht gegeben
ist. Auch hier müssen wir als Parlamentarier und als
Deutsche erwarten, dass die deutsche Bundesregierung
deutlicher sagt, wie sie ein solches Instrument der NATO
in Zukunft gestalten möchte. Dieser Input muss gegeben
werden. Hier muss Deutschland nachlegen.

Deutschland kann seinen Einfluss in der NATO natür-
lich nur geltend machen, wenn dem eine breite außen-
und sicherheitspolitische Debatte in unserem Lande
vorausgeht. Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundesaußen-
minister, Herr Verteidigungsminister, auch hier muss ich
am Ende der Wahlperiode sagen: Deutschland hat seine
Hausaufgaben in den letzten vier Jahren nicht gemacht.
Sie hätten anlässlich der Debatte über das Weißbuch die
Chance gehabt, eine breite gesellschaftliche Debatte
über Außen- und Sicherheitspolitik zu führen. Das haben
Sie versäumt. Das Weißbuch vermodert in den Schrän-
ken; es wird kaum zur Kenntnis genommen. Auch hier
im Deutschen Bundestag wird kaum darauf rekurriert.

Frau Bundeskanzlerin, meine Herren Minister, ich
hoffe – damit möchte ich schließen –, dass die jetzige
Debatte über das wichtige neue NATO-Konzept auch
Sie, die Bundesregierung, endlich dazu bringt, die drin-
gend notwendige grundsätzliche Debatte über Außen-
und Sicherheitspolitik in Deutschland anzustoßen und
breit zu führen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1621402200

Das Wort erhält der Kollege Eckart von Klaeden für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1621402300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hier sind auch Frauen! So viel Zeit muss sein!)


Mir fehlt die Zeit, auf alles einzugehen, was von den
Oppositionsfraktionen hier vorgetragen worden ist. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden
will aber als vertrauensbildende Maßnahme dem Kolle-
gen Trittin gegenüber ankündigen, dass jedenfalls ich
auf Ihren Satz, die Wehrpflicht hindere uns daran, unse-
ren Bündnisverpflichtungen nachzukommen, in den
kommenden Wochen und Monaten zurückkommen
werde. Auch Ihre Darstellung unserer Position zum
AKSE-Vertrag halte ich für grundlegend falsch. Der An-
satz der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktio-
nen ist es, in einer Zug-um-Zug-Ratifizierung dazu zu
kommen, dass Russland seinen Verpflichtungen, unter
anderem aus den Istanbul-Commitments, nachkommt.
Sie treten jetzt für eine Ratifizierung ein, ohne dass
Russland diesen Verpflichtungen nachkommt. Das halte
ich für falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die NATO ist am 4. April 1949 gegründet worden.
Sie ist eine Reaktion auf die Erfahrungen des Zweiten
Weltkriegs gewesen. Der Zweite Weltkrieg ist nicht des-
wegen ausgebrochen, weil man mit Hitler zu wenig ver-
handelt hat oder weil man auf angebliche Anliegen von
Nazideutschland nicht genug eingegangen ist – ich erin-
nere nur an das Münchner Abkommen von 1938 –, son-
dern er ist deswegen ausgebrochen – so jedenfalls die
Überzeugung der Gründer der NATO –, weil man Nazi-
deutschland nicht entschlossen entgegengetreten ist,
weil die europäischen Staaten ihre Bündnisverpflichtun-
gen, Polen gegenüber zum Beispiel, nicht haben erfüllen
können oder wollen und weil die Vereinigten Staaten
von Amerika sich nach dem Ersten Weltkrieg vom euro-
päischen Kontinent zurückgezogen haben.

Daraus hat man die Konsequenz gezogen, dass die
freien Nationen Europas und die Vereinigten Staaten ein
dauerhaftes Verteidigungsbündnis eingehen müssen, das
die Präsenz der Amerikaner in Europa als Garantiemacht
für unsere Sicherheit und unsere Freiheit gewährleistet.
Diese Erkenntnis ist nach wie vor richtig. Wenn wir uns
aber das Statement des ersten NATO-Generalsekretärs
Lord Ismay ansehen, der nach dem Grund für die NATO
gefragt wurde und gesagt hat: „It is to keep the Russians
out, the Americans in and the Germans down“ – die Rus-
sen draußen zu halten, die Amerikaner drin zu halten
und die Deutschen niederzuhalten –, dann zeigt sich
doch, wie sehr sich die NATO Gott sei Dank verändert
hat. Wir können insbesondere darauf stolz sein, dass der
60. Geburtstag in Deutschland und Frankreich gefeiert
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Die NATO hat sich weiterentwickelt. Die territoriale
Verteidigung, die im Kalten Krieg für uns das Wichtigste
gewesen ist, spielt für uns heute keine so große Rolle
mehr. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es Bündnis-
staaten gibt, die nach wie vor auf die Art.-5-Garantie zu
Recht großen Wert legen. Das gilt zum Beispiel für die
baltischen Staaten. Das gilt aber auch für die Türkei; das
wird klar, wenn wir uns vor Augen führen, dass Iran,
Irak und Syrien zu ihren Nachbarn gehören.

Zur territorialen Verteidigung sind die Dimensionen der
regionalen und der globalen Sicherheit hinzugekommen.
Eine wichtige Erkenntnis aus der aktuellen sicherheitspoli-
tischen Diskussion ist, dass diese unterschiedlichen Ebe-
nen unserer Sicherheitspolitik nicht gegeneinander aus-
gespielt werden können, sondern, im Gegenteil, einander
ergänzen. Man kann globale Sicherheit nicht auf Kos-
ten der regionalen Sicherheit gewinnen. Man kann ter-
ritoriale Sicherheit nicht gewinnen, wenn man nicht
auch die Dimensionen der regionalen und der globalen
Sicherheit berücksichtigt. Der Satz von Peter Struck,
dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch ver-
teidigt wird, hat nach wie vor seine Gültigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ein Witz!)


Für die regionale Sicherheit ist erstens die Erweite-
rung von NATO und Europäischer Union als Rahmen
von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Frieden in
Europa ein gutes Beispiel. Dafür, wie sehr dieser Rah-
men gefährdet ist, auch auf regionaler Ebene, sind die
Balkan-Kriege und wiederum der Kosovo-Einsatz Bei-
spiele.

Weil der Kosovo-Einsatz so häufig von der Links-
partei angesprochen wird, will ich in diesem Zusammen-
hang auf das jüngste Urteil des UN-Tribunals für das
ehemalige Jugoslawien verweisen, in dem Milan
Milutinovic, der Nachfolger von Slobodan Milosevic als
serbischer Präsident, freigesprochen worden ist. Das ist
nicht bemerkenswert; denn jeder Angeklagte hat vor die-
sem UN-Tribunal das Recht auf einen fairen Prozess,
und er bekommt ihn auch.

Interessant ist aber, was das Gericht im Rahmen der
Verurteilung der anderen Angeklagten festgestellt hat,
und zwar zum großen Teil aus serbischen Quellen. Es
führt in seiner über 1 700 Seiten langen Begründung aus:
Einheiten des serbischen Innenministeriums und serbi-
sche Truppen haben zwischen März und Mai 1999 mehr
als 700 000 Albaner über die Grenzen des Kosovo ge-
trieben. In Kosovo wurden ganze Landstriche verwüstet.
Ein albanisches Dorf nach dem anderen ging in Flam-
men auf. Es wurde belegt – wiederum durch serbische
Quellen –, wie Belgrader Truppen Zivilisten ermordeten,
die sich in Kellern, Wäldern, gar in Flussläufen versteckt
hatten. Das Urteil zeigt auf, wie Menschen ertränkt wur-
den, indem man sie in Brunnenschächte warf. In dem
Urteil wird ebenfalls deutlich, dass ein Großteil dieser
Verbrechen auf die zusammengestellten Sondereinheiten
der serbischen Polizei zurückgeht, die am schlimmsten
wüteten. Sie waren zum Teil aus amnestierten Straftätern
zusammengestellt. Diese Einheiten kennen wir bereits
aus anderen Auseinandersetzungen, aus den Kriegen in
Bosnien-Herzegowina.

Das bringt mich zu dem Massaker von Srebrenica
1995. Die dortigen Massenexekutionen – über 8 000 Män-
ner und Jungen und auch einige Frauen sind ermordet
worden – liefen nach einem typischen Muster ab: Zuerst
wurden die Opfer in leerstehenden Schulgebäuden und
Lagerhäusern interniert. Ihnen wurden Nahrung und Ge-
tränke verweigert. Sie wurden in Busse und Lastwagen
verfrachtet und zu den Exekutionsräumen verbracht.
Dort hat man ihnen die Augen verbunden und die Arme






(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden
auf dem Rücken gefesselt. Man hat den Gefangenen be-
fohlen, sich aufzureihen. Dann wurden sie erschossen.
Sie fielen in die Massengräber. Diejenigen, die die Sal-
ven überlebten, wurden mit weiteren Schüssen getötet.
Während die Exekutionen stattfanden, wurde schweres
Erdräumgerät herangefahren, um die zum Teil noch le-
benden Menschen mit Erde zu überdecken. Danach hat
es mehrfache Umbettungen dieser Massengräber gege-
ben, um die Spuren zu verwischen.

Das sind alles keine Neuigkeiten. Das alles haben wir
gewusst, als wir uns im Jahre 1999 schweren Herzens
dazu entschlossen haben, durch einen Einsatz der NATO
diesem Treiben ein Ende zu setzen, und diesem Treiben
ist ein Ende gesetzt worden. Das ist unsere Entscheidung
gewesen. Ihre Entscheidung ist es gewesen, dass Ihr
heute noch amtierender Fraktionsvorsitzender am
14. April gut erholt und wohl gebräunt Herrn Milosević
umarmt und geküsst hat.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist die dritte Ebene, die globale Sicherheit, für die
die NATO auch erforderlich ist und die unseren Einsatz
im Bündnis rechtfertigt, nämlich den Einsatz in Afgha-
nistan. Auf den einen Grund, warum dieser Einsatz für
uns wichtig ist, ist immer wieder hingewiesen worden,
nämlich dass Afghanistan Brutstätte, Vorbereitungsraum
und sicherer Hafen für Terroristen gewesen ist und dass
die Angriffe auf die Twin Towers und das Pentagon
– übrigens auch über Deutschland – in Afghanistan ihren
Ursprung genommen haben.

Der zweite Aspekt, warum Afghanistan für uns wich-
tig ist, missfällt Ihnen besonders. Es gibt zwei Daten, die
für das Jahr 1989 von besonderer Bedeutung sind. Das
eine ist der häufig zitierte 9. November 1989, an dem die
Mauer gefallen ist. Ein anderes wichtiges Datum – nicht
für unsere Region, aber für Afghanistan – ist der
15. Februar 1989, der Tag, an dem der letzte sowjetische
Soldat Afghanistan über die Freundschaftsbrücke nach
Usbekistan hat verlassen müssen. Zwischen beiden Da-
ten besteht ein Zusammenhang. Da Sie aber mit diesen
beiden Ereignissen nicht einverstanden sind, wundert es
mich auch nicht, dass Sie sich so vehement dagegen
wenden, dass wir den Fehler nicht wiederholen, der An-
fang der 90er-Jahre gemacht worden ist, nämlich dass
wir uns dafür einsetzen, dass Afghanistan ein so stabiles
Land werden kann, dass die Taliban nicht wieder zurück
an die Macht kommen können, sondern dass Afghanis-
tan seinen eigenen Weg zur Demokratie auf der Grund-
lage universaler Prinzipien wie Freiheit, Menschen-
rechte und Rechtsstaatlichkeit finden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Uns ist klar, dass in den nächsten Jahren der Einsatz
zur Verhinderung von Failing States – davon ist gespro-
chen worden –, aber auch der Einsatz zur Stabilisierung
von Failing oder Failed States, also gescheiterten bzw.
scheiternden Staaten, ein wesentlicher Teil unserer
Sicherheitsvorsorge bleiben wird. Wenn diese Erkennt-
nis richtig ist, dann ist das, was von der Koalition vorge-
schlagen wird und von der Bundeskanzlerin hier noch
einmal betont wurde, die einzig richtige Konsequenz
daraus, nämlich der Comprehensive Approach, der
Ansatz der vernetzten Sicherheit, der besagt, dass
nicht allein mit militärischen Mitteln für Frieden gesorgt
wird, sondern diese mit dem zivilen Aufbau kombiniert
werden. Ohne militärische Sicherheit ist kein ziviler
Aufbau möglich. Aber militärische Sicherheit wird mit-
tel- und langfristig nicht zu erreichen sein, wenn es die
Komponente des zivilen Aufbaus nicht gibt. Beides ist
untrennbar miteinander verbunden und aufeinander an-
gewiesen.

Deswegen müssen wir auch darüber nachdenken
– das soll mein letzter Satz sein –, wie wir auf europäi-
scher Seite die Kapazitäten für diesen vernetzten Ansatz
verbessern können. Es reicht nicht, ihn zu fordern; wir
müssen unseren Forderungen und Reden auch Taten fol-
gen lassen. Deswegen ist die Rückkehr Frankreichs in
die militärische Integration der NATO so wichtig, weil
der ideologische Streit zwischen einer Außen- und
Sicherheitspolitik in der EU und einer Außen- und
Sicherheitspolitik in der NATO nun endgültig der Ver-
gangenheit angehören kann. Wir müssen aber, wenn wir
unseren eigenen Prinzipien folgen wollen, auch bereit
sein, auf der zivilen Seite mehr als bisher zu tun.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621402400

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Wolfgang

Gehrcke das Wort.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621402500

Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Eigentlich habe

ich wenig Neigung, mich mit dem seltsamen Geschichts-
bild des Kollegen von Klaeden, das nicht besonders be-
gründet war, auseinanderzusetzen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wir nehmen es zur Kenntnis!)


Wenn jemand heute immer noch nicht in der Lage ist, zu
erkennen und hier auszusprechen, dass das Zusammen-
wirken von deutscher Rüstungsindustrie und deutschem
Großkapital und die Verachtung von demokratischen Er-
rungenschaften letztendlich zur Nazidiktatur geführt ha-
ben, halte ich das für rückschrittlich und wenig bemer-
kenswert.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich wollte aber an Sie appellieren, ein Stückchen An-
stand auch gegenüber Kollegen, die anderer Auffassung
sind, nicht zu verlieren. Mein Kollege Gysi ist nach Bel-
grad zu dem Gespräch mit Milosevic gefahren, um ihm
deutlich zu machen: Wenn man den Druck auf die Alba-
ner im Kosovo aufrechterhält, wird es zum Krieg kom-
men. Wenn die Gräueltaten nicht gestoppt werden, wird
der Krieg die Antwort sein. – Gysi ist nicht hingefahren,
um sich mit Milosevic zu umarmen, sondern um ihm zu






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
sagen: Wer die UNO nicht holt, wird die NATO erhal-
ten. – Ich finde, das verdient Respekt,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


weil es eine andere Position war, als einen Krieg vom
Zaun zu brechen. Diesen Respekt sollte man bei aller un-
terschiedlichen Auffassung auch hier nicht verlieren.
Man kann das für falsch halten und muss diese Position
nicht teilen. Ich fand jeden Versuch, den Frieden dort zu
retten und zu bewahren, richtig. Man sollte auf jeden
Fall unterstellen, dass es in vernünftiger und lauterer Ab-
sicht geschehen ist. Wenn nicht in dieser Art und Weise
miteinander gesprochen wird, dann werden auch die
Kalter-Krieg-Reden, die hier gehalten werden, nicht
enden. Ich fand, Sie haben hier eine Kalter-Krieg-Rede
gehalten, die uns überhaupt nicht voranbringt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621402600

Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1621402700

Herr Kollege Gehrcke, ich stelle bemerkenswerte

Parallelen fest. Der erste Punkt: Unsere Analysen des-
sen, was zum Zweiten Weltkrieg geführt hat, verlaufen
in der Tat diametral. Wir werden über die Ursachen si-
cherlich im Laufe des Jahres noch sprechen; es gibt ja
das eine oder andere Jubiläum, bei dem man darauf noch
wird hinweisen können. Ein Gedenktag wird sicherlich
der 70. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes sein, den man
aus guten Gründen als das Manifest des Antieuropa be-
zeichnen kann. Die Sowjetunion ist zu Beginn des Zwei-
ten Weltkriegs einer der wichtigsten Verbündeten Nazi-
deutschlands gewesen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Deshalb ist sie auch überfallen worden!)


Vielleicht sprechen wir dann auch über die Frage, wer
das heute noch leugnet oder in diesem Punkt die Ge-
schichte verklärt.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ausweichmanöver!)


Das gilt auch für den zweiten Punkt, den Sie ange-
sprochen haben. Sie haben wenigstens nicht infrage ge-
stellt, dass Herr Gysi Herrn Milosevic umarmt und
geküsst hat; davon gibt es auch entsprechende Filmauf-
nahmen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ein Niveau!)


Aber Sie hätten auch sagen können, dass Sie mit Ihren
Initiativen in Wirklichkeit versucht haben, jeden ernst-
haften Verhandlungsansatz,


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das ist infam!)


um den wir uns wirklich bis zuletzt bemüht haben, zu
unterlaufen. Ein guter Beleg dafür ist die Tatsache, dass
die Massaker, die Verbrechen, die von serbischer Seite
verübt worden sind, von Ihnen und Ihnen nahe stehen-
den Presseorganen nach wie vor verschwiegen, vernied-
licht oder heruntergespielt werden.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wer hat denn die UCK verniedlicht?)


Genauso wie es eine Gemeinschaft der Demokraten gibt,
gibt es in dieser Frage eine Übereinstimmung der Extre-
misten; diese Haltung ist exakt die, die auch von NPD
und DVU vertreten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621402800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Alexander Bonde das Wort.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621402900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Angesichts des Treffens der Regierungschefs sowie der
Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten
nächste Woche im Badischen muss man sich entschei-
den, ob man ein Klassentreffen zum 60-jährigen Jubi-
läum inszenieren will oder ob man die Frage aufwerfen
will: Welche Rolle hat zukünftig die NATO, und mit
welchem strategischen Ansatz reagiert das Bündnis auf
eine völlig veränderte Welt?

Die Kanzlerin hat keine Antwort auf die Frage gelie-
fert, wohin es mit der NATO gehen soll. Sie hat vor al-
lem erneut keine Taten angekündigt und auch nicht
signalisiert, was die deutsch-französischen Gastgeber zu
tun gedenken, um einen Anstoß in Richtung einer neuen
Strategie zu geben. Frau Merkel, sowenig Moderieren
und Reden hilft, ein Land zu regieren – wir erleben auch
in anderen Bereichen, dass Sie nicht handeln –, so wenig
wird die NATO es schaffen, ihre neue Rolle zu finden,
wenn man den anstehenden Gipfel auf Galadiners und
ein Unterhaltungsprogramm der Weltklasse reduziert,
wie es von der Bundesregierung in Baden-Baden insze-
niert wird.

Auch in Sachen Afghanistan müssen Sie zeigen, ob
Ihre Ankündigungen etwas wert sind. Sie haben erneut
bekannt, wie wichtig der Aufbau ist, und haben eingefor-
dert, das Bündnis müsse mehr tun. Ich sage Ihnen, wes-
halb Ihnen eine solche Argumentation ohne entspre-
chende Taten auf die Füße fällt. Sie setzen beim NATO-
Gipfel 15 000 Polizisten aus den Ländern und über 6 000
Bundespolizisten ein. In anderthalb Tagen werden allein
auf deutscher Seite mehr Stunden Polizeiarbeit abgeleis-
tet, als Deutschland 2008 für die Polizeiausbildung in
Afghanistan aufgewendet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine Glaubwürdigkeitslücke, die durch die Kluft
zwischen Reden und Handeln der Bundesregierung ent-
steht. Addiert man die Kosten für diesen Gipfel, so
kommt man nahe an den Betrag heran, den Deutschland
in einem Jahr für den zivilen Wiederaufbau in Afghanis-
tan ausgibt. Auch da tut sich eine Glaubwürdigkeitslü-
cke auf. Eine schöne Sonntagsrede hier ist eben kein
Beitrag zum Wiederaufbau in Afghanistan.






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Fatale ist, dass Sie auf einen Gipfel der Symbole
setzen. Das Bekenntnis zur deutsch-französischen
Freundschaft, das hier ausgedrückt werden soll, zeigt
sich vor Ort dadurch, dass die Grenze zum ersten Mal
seit Jahrzehnten geschlossen ist. Es zeigt sich dadurch,
dass Sie für einen zehnminütigen Fototermin auf einer
Brücke über dem Rhein die Stadt Kehl zwei Tage lang
zu einer Sicherheitszone machen und 700 Menschen un-
ter Hausarrest stellen. Diese Symbole sind eben nicht
Ausdruck der deutsch-französischen Freundschaft,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sondern sie zeigen, wie weit Berlin vom Schwarzwald
entfernt ist und wie wenig Ahnung Sie davon haben, was
deutsch-französische Freundschaft vor Ort konkret be-
deutet. Weder Abiturienten, die in Turnhallen ihr Abitur
schreiben müssen, noch zwei Tage lang gesperrte Auto-
bahnen und Bundesstraßen von 45 Kilometer Länge
oder Menschen unter Hausarrest sind ein Symbol für
Freiheit und Sicherheit. Sie sind vielmehr Ergebnisse ei-
ner auf Prestige gerichteten Planung der Bundesregie-
rung, die lieber Pomp an drei unterschiedlichen Orten in-
szeniert, anstatt die Strategiedebatte in der NATO
tatsächlich anzugehen. Das ist das eigentliche Versagen
der Bundesregierung in der Außen- und Sicherheitspoli-
tik. Dies ist ein Grund, sich bei den Bürgerinnen und
Bürgern zu entschuldigen, aber kein Grund, sich in Lob-
hudeleien zu ergehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621403000

Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1621403100

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Der anstehende Gipfel der NATO, Herr Kollege Bonde,
ist mehr als eine Familienfeier zum 60-jährigen Jubi-
läum.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja, allerdings!)


Der Gipfel stellt wichtige Weichen für die Zukunft des
Bündnisses, indem neue Mitglieder aufgenommen wer-
den und Frankreich in die integrierten Kommandostruk-
turen zurückkehrt.

Herr Kollege Trittin, in der Rückkehr Frankreichs in
die NATO liegt eine Chance, dass der Interessenkonflikt,
der darin besteht, die europäische Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik als Konkurrenz zur NATO zu sehen,
eine Diskussion ist, die der Vergangenheit angehört.
Auch unsere osteuropäischen Partner werden erkennen:
Die Säule der europäischen Fähigkeiten stärkt die
NATO. Ich möchte nicht von der Vision ablassen, dass
es eines Tages sehr eng verzahnte europäische Streit-
kräfte als einen europäischen Pfeiler innerhalb des
Bündnisses gibt.


(Beifall bei der SPD)


Innerhalb der NATO wird aber natürlich aufzuneh-
men sein, wie sich die Welt seit 1999 verändert hat. Ich
glaube, es ist gut, dass der Außenminister einen Vor-
schlag für ein abgestuftes Diskussionsverfahren gemacht
hat. Wir müssen bei der Weiterentwicklung der Strategie
den Zeitdruck herausnehmen; denn unsere Partner im
Osten brauchen ein bisschen mehr Zeit. Wir brauchen
Raum für Diskussionen mit ihnen, ganz besonders nach
den Ereignissen in Georgien.

Wir müssen im Hinblick auf die Strategiedebatte
aufpassen, dass nicht alle neuen Herausforderungen, die
in der Welt sichtbar werden, quasi automatisch innerhalb
der neuen NATO-Strategie bewältigt werden. Die Kunst
wird vielmehr in der Beschränkung liegen. Dies gilt vor
allen Dingen für die Frage der Reichweite der NATO.
Die NATO hat derzeit in der Welt einzigartige Fähigkei-
ten. Daraus dürfen wir aber nicht ableiten, dass wir am
Ende die Einzigen sein können und sollen, die die Pro-
bleme der Welt lösen. Wir müssen mit dafür sorgen, dass
die NATO die Gründung anderer regionaler Sicherheits-
bündnisse durch ihre Kraft nicht verhindert, sondern
dass diese durch die Expertise und die Fähigkeiten der
NATO im logistisch-operativen Bereich gestärkt werden.
So könnte die Richtung der NATO aussehen.

Bei all dem bleibt es aber dabei, dass Art. 5 des
NATO-Vertrages die Strahlkraft der NATO ausmacht;
dabei wird es bleiben. Dies sind die Ernsthaftigkeit und
die Glaubwürdigkeit der Abschreckung; ich verwende
diesen Begriff ganz bewusst. Am Ende wird dies dafür
sorgen, dass wir in der Lage sind, wichtige Schritte zur
Rüstungskontrolle zu machen. Dann kann mit den Part-
nern an den Rändern des Bündnisses gesprochen wer-
den. Im Rahmen der Glaubwürdigkeit der Abschreckung
kann man dann auch verstehen, dass Russland ein Si-
cherheitspartner in Europa sein muss, der eine enge An-
bindung und Kooperation braucht.

Ein einziges Mal in den letzten 60 Jahren wurde
Art. 5 als Beistandsverpflichtung und als Verpflichtung
zur Solidarität in Anspruch genommen. Im Zusammen-
hang mit Afghanistan ist zunächst die Frage erlaubt: Gilt
dies unbeschränkt, oder muss man nach acht Jahren
nicht auch fragen, wann andere Mechanismen den Bei-
standsmechanismus ersetzen? Damit meine ich nicht,
dass wir den Einsatz in Afghanistan beenden. Das ist
keine billige Erklärung, wie es die Linken heute getan
haben.

Herr Lafontaine, Ihre Rede beruhte nicht nur auf der
Unwahrheit, sondern war auch billig. Sie löste die billige
Theaterinszenierung auf Ihren hinteren Reihen aus. Un-
ter diesen Fahnen hier werden sich in Baden-Baden eine
Menge vernünftiger Menschen versammeln. Diejenigen,
die für eine friedliche Welt auf die Straße gehen, haben
im Übrigen auch in meiner Partei Platz. Sie beleidigen
mit dieser billigen Argumentation zumindest einen Teil
der Menschen, die sich auf der Straße für eine friedliche
Welt einsetzen.






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Arnold
Ich begründe dies in zwei Bereichen. Sie rühren alles
zusammen. Bei diesem Zusammenrühren verschweigen
Sie glatt, dass die NATO nie im Mittleren Osten einen
Krieg geführt hat. Der Einsatz im Irak war eine amerika-
nische Aktion mit freiwilligen Partnern. Sie wissen sehr
wohl, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesre-
gierung diesem Druck konsequent widerstanden hat. Der
Einsatz der NATO in Afghanistan – da nehmen Sie es
mit der Wahrheit überhaupt nicht ernst; der NATO-Ein-
satz umfasst nur ISAF – ist zu hundert Prozent durch zig
Resolutionen der Vereinten Nationen klar mandatiert.
Was wollen Sie eigentlich mehr? Nein, Sie wollen die
Menschen täuschen; das ist das eigentliche Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist gut, dass sich der NATO-Gipfel sehr intensiv
mit Afghanistan auseinandersetzt. Wir müssen aber auf-
passen, dass die neue Strategie, über die zwangsläufig
gesprochen werden wird, weil es eine neue Regierung in
Amerika gibt, durchaus kritisch hinterfragt wird. Ich
wäre schon froh, wenn statt des Führens immer neuer
strategischer Debatten in Afghanistan endlich konse-
quent das umgesetzt würde, was wir gemeinsam mit der
Mehrheit in diesem Haus als richtig erkannt haben. Das
ist für mich der entscheidende Schritt. Dieser vernetzte
Ansatz, von dem alle reden, muss mehr sein als ein poli-
tisches Postulat; er ist operativ notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu muss man in Kabul die NATO und die Vereinten
Nationen enger verzahnen. Dazu muss jeder Helfer, auch
die deutschen Helfer in Kunduz und in Faizabad, die
Bundeswehr als ein Knoten in diesem Netz verstehen
und akzeptieren. Ich fürchte, auch wir haben bis dorthin
noch einen weiten Weg zurückzulegen.

Es ist richtig, in Afghanistan statt auf die zentrale Re-
gierung viel stärker auf die regionalen und gewachsenen
Strukturen, die Jirgas, als Teil der Zivilgesellschaft zu
setzen und deren Rat in afghanisches Regierungshandeln
einzubinden. Das ist im Übrigen die einzige Chance, das
dortige Regierungshandeln auf Dauer zu verbessern.
Auch die Korruption kann nur durch die Kontrollmecha-
nismen der Zivilgesellschaft bekämpft werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen nicht zuletzt – ich könnte noch viele Bei-
spiele nennen – die Einladung der amerikanischen Part-
ner ernst nehmen – das hat der amerikanische Vizepräsi-
dent in München gesagt – und ihnen auch sagen, was wir
nicht für richtig halten.


(Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Inkaufnahme von viel zu vielen zivilen Opfern ist
für den Einsatz, den Auftrag und die Menschen in Af-
ghanistan mehr als kontraproduktiv.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Ereignisse in der letzten Woche, als es in Kunduz ei-
nen amerikanischen Einsatz gab, sind dem Parlament zu
berichten. Wir sind froh, dass die Bundesregierung dies
für morgen Vormittag angekündigt hat. Aber auch ohne
heute die Details zu kennen, möchte ich sagen: Es kann
nicht angehen, dass im deutschen Verantwortungsbe-
reich zwei militärische Operationen parallel arbeiten und
die deutsche Führung im Norden unter der ISAF nicht
korrekt informiert und einbezogen wird. Das sagen wir
auch den amerikanischen Partnern; das ist richtig und
notwendig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621403200

Kollege Arnold, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1621403300

Ich komme zum Ende.

Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz anmerken.
Manche meinen, Afghanistan sei der NATO unglaublich
wichtig. Natürlich ist der Einsatz in Afghanistan im Au-
genblick die wichtigste Aufgabe der NATO. Wir sind
aber nicht wegen der NATO und ihrer Erfolge in Afgha-
nistan. Wir bleiben der Menschen wegen in Afghanistan,
die auf eine gute Zukunft setzen. Immerhin 90 Prozent
wollen eine Zukunft ohne Taliban. Wir bleiben auch in
Afghanistan, weil es unseren Sicherheitsinteressen ent-
spricht, keinen Rückzugsraum für den internationalen
Terrorismus zuzulassen. Ich mag mir gar nicht ausma-
len, was passieren würde, wenn Afghanistan zerfallen
würde –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621403400

Kollege Arnold, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1621403500

– und aus einem zerfallenen Afghanistan heraus ver-

sucht würde, Pakistan zu destabilisieren.

Herzlichen Dank für Ihre Geduld.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621403600

Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lamers für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1621403700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

60 Jahre NATO, das heißt: 60 Jahre erfolgreiches Wir-
ken und Handeln für Frieden und Sicherheit in der Welt.
Dafür steht das Bündnis heute und in Zukunft. Ich danke






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)

unseren Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Geiste
weltweit ihren Dienst leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Am 4. April 2009 feiert die NATO ihren 60. Geburts-
tag. Sie hat allen Grund, stolz darauf zu sein. Sechs Jahr-
zehnte sind ein erstaunliches Alter für ein Bündnis sou-
veräner Nationalstaaten, erst recht für ein Bündnis sou-
veräner Nationalstaaten von zwei Kontinenten. Als der
Nordatlantikvertrag am 4. April 1949 unterzeichnet wur-
de, sagten nicht wenige der NATO nur eine kurze Le-
bensdauer voraus. Diese Skeptiker haben sich geirrt.
Herr Lafontaine, die NATO lebt. Sie ist lebendiger denn
je; und das ist wirklich gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die NATO ist heute das einzige funktionierende Si-
cherheitsbündnis weltweit. Sie war notwendig, als sie
gegründet wurde, sie ist in den letzten sechs Jahrzehnten
immer wichtiger geworden, und sie wird auch in Zu-
kunft für die Sicherheit und den Frieden unentbehrlich
sein.

Der anstehende Jubiläumsgipfel ist von besonderer
Bedeutung. Zwei neue Mitgliedstaaten, Albanien und
Kroatien, werden in das Bündnis aufgenommen. Nach
43 Jahren kehrt Frankreich in die integrierte Militär-
struktur der NATO zurück – ein Gewinn für die Allianz,
ein Gewinn für uns alle. Zum ersten Mal seit seinem
Amtsantritt am 20. Januar wird der neue amerikanische
Präsident, Barack Obama, nach Europa reisen. Obama
steht für Aufbruch, für Dialog, für Wandel und für die
Erkenntnis, dass kein Land, nicht einmal die USA, die
sicherheitspolitischen Herausforderungen alleine meis-
tern kann. Der Jubiläumsgipfel ist daher ein guter Zeit-
punkt, um den Blick nach vorne zu richten.

Wir stehen heute vor einer ganzen Reihe neuer He-
rausforderungen und Gefahren, Gefahren, die nicht an
den Grenzen von Staaten haltmachen, sondern die ganze
Welt bedrohen: internationaler Terrorismus, Weiterver-
breitung von Massenvernichtungswaffen, Failed States
– gescheiterte Staaten –, Cyberwar, Energieknappheit,
Klimawandel und Trinkwasserknappheit. Diesen He-
rausforderungen muss sich die NATO stellen.

Entscheidend für die Stärke und Glaubwürdigkeit des
Bündnisses ist der gemeinsame Kampf gegen den inter-
nationalen Terrorismus. Ausgangspunkt war der
11. September 2001, war Afghanistan. Dort wurden die
Terroristen in Camps ausgebildet. Von Afghanistan darf
nie wieder Terror ausgehen, der uns, unsere Städte und
Gemeinden, erreicht. Deshalb ist ein Scheitern keine Op-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen mehr tun, um diese Mission zum Erfolg
zu führen. Wir brauchen einen vernetzten Sicherheitsan-
satz, militärische Macht kombiniert mit zivilem Wieder-
aufbau, was Bundesverteidigungsminister Franz Josef
Jung immer wieder fordert und zu Recht anmahnt. Um
wirklich erfolgreich zu sein, müssen wir unsere Strategie
optimieren. Wir müssen mehr mit den Stammesältesten
vor Ort, mit den Verantwortlichen in den Provinzen re-
den. Wir müssen mit ihnen sprechen und ihr Vertrauen
gewinnen. Sie müssen spüren, dass wir sie, die gemäßig-
ten Kräfte, respektieren.

Worin liegen die Herausforderungen für die NATO?
Was erwarte ich vom NATO-Gipfel?

Erstens erwarte ich eine Deklaration zur atlantischen
Sicherheit.

Zweitens brauchen wir ein klares Mandat für ein
neues strategisches Konzept. Es ist Zeit, das Bündnis an
die neuen, globalen Veränderungen anzupassen. Die Bei-
standsverpflichtung aus Art. 5 muss weiterhin das
Kernstück des Bündnisses sein: Jeder für den anderen. –
Der vernetzte Sicherheitsbegriff muss von allen NATO-
Staaten aufgenommen und umgesetzt werden.

Wir brauchen drittens die Weiterentwicklung der Eu-
ropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, nicht
als Konkurrenz zur NATO, sondern als intelligente Form
der Kooperation mit der NATO.

Viertens, zur NATO-Erweiterung: Die Tür muss of-
fen bleiben. Klar muss aber auch sein, dass nur die Mit-
gliedstaaten der NATO entscheiden, wer neues Mitglied
werden darf. Eine Mitsprache Dritter oder gar ein Veto-
recht lehne ich kategorisch ab, Herr Putin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir suchen eine verstärkte Zusammenarbeit mit Staaten,
die unsere Werte teilen, zum Beispiel mit Australien,
Neuseeland und Japan.

Ich denke insbesondere an das Thema Energiesicher-
heit. Wir müssen energiepolitisch unabhängig werden,
damit kein Druck auf uns ausgeübt werden kann. Ganz
aktuell: Putin schleudert gerade wieder seine Blitze ge-
gen die Europäische Union, weil sie die Gaspipeline in
der Ukraine modernisieren will. Meine Damen und Her-
ren, mag er im fernen Kreml ruhig grummeln. Aber be-
drohen und erpressen können soll er uns nicht. Davor
müssen wir uns schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen eine gemeinsame Energiepolitik von EU
und NATO.

Natürlich brauchen wir Russland, um Krisen und si-
cherheitspolitische Herausforderungen in der Welt be-
wältigen zu können. Aber bei aller Gesprächsbereit-
schaft müssen wir Russland immer die roten Linien
aufzeigen, die es nicht ohne Konsequenzen überschrei-
ten darf. Von dort muss Vertrauen aufgebaut werden.

Die NATO steht vor großen Herausforderungen. Ich
bin davon überzeugt, dass wir sie gemeinsam meistern
werden – ganz im Sinne von Immanuel Kant, der einmal
gesagt hat: Friede muss gestiftet werden, er kommt nicht
von allein.

Ich danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621403800

Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1621403900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Am Ende einer solchen Debatte sollten wir
uns noch einmal vier Jahre zurückerinnern. Seinerzeit
haben wir auch eine Debatte über die NATO in Deutsch-
land geführt, nachdem der damalige Verteidigungsminis-
ter Struck im Auftrag des Bundeskanzlers eine Rede auf
der Sicherheitskonferenz in München gehalten hatte.
Damals hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder gefor-
dert, die NATO wieder zu einem Ort der politischen De-
batte zu machen. An dieser Stelle erinnere ich – Ent-
schuldigung, Herr Kollege Schäuble – an ein Zitat von
Ihnen:

Wir brauchen keine Debatte über die NATO. Das
Bündnis ist intakt.

Es wäre gut gewesen, wenn wir uns damals die politi-
sche Debatte über die Zukunft der NATO geleistet hät-
ten.


(Beifall bei der SPD)


Dann hätten wir nämlich in der nächsten Woche eine
gute Voraussetzung für „60 Jahre NATO“.

Es war gut, dass die Bundeskanzlerin am Ende ihrer
heutigen Rede gesagt hat, dass wir keine globale NATO
brauchen. Auch diese Debatte haben wir in Deutschland
einmal anders geführt. Es ist richtig, dass wir uns auf die
Kernelemente des Verteidigungsbündnisses beschrän-
ken. Dass die globale NATO nicht mehr zur Diskussion
steht, begrüßt meine Fraktion. – So weit meine erste Be-
merkung.


(Beifall bei der SPD)


Eine zweite Bemerkung richte ich an den Kollegen
Lafontaine. Man kann das eine oder andere immer wie-
der infrage stellen und vernebeln und auch irgendeine
historische Leistung für sich selbst reklamieren, ohne sie
erbracht zu haben. Unabhängig davon glaube ich, dass es
sinnvoll wäre, wenn auch Sie sich einer Debatte stellten,
die in den Vereinten Nationen nach einer schwierigen
Diskussion zu dem Abschluss gekommen ist, dass es
auch die Völkergemeinschaft auf der Grundlage der Er-
fahrungen in Jugoslawien – vor allem im Kosovo – und
insbesondere in Ruanda und anderswo, jetzt im Sudan,
für legitim hält, im Rahmen solcher Völkerrechtsverlet-
zungen zum Instrument der humanitären Intervention
zu greifen. Das ist ganz ohne Frage keine Ultima Ratio.
Aber ich würde mich freuen, wenn Sie wenigstens zur
Kenntnis nähmen, dass die Völkergemeinschaft dies dis-
kutiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens bedarf es vier Bedingungen, die für eine Zu-
kunft der NATO beachtet werden sollten: erstens eine
Konzentration und Beschränkung auf Dinge, die man
auch schafft, und nicht auf alles, was man sich wünscht;
zweitens keine Überforderung oder einen Sicherheits-
verlust durch neue Mitglieder; drittens aus meiner Sicht
insbesondere den Ausbau und die Vertiefung mit ande-
ren Institutionen und eine tatsächliche Partnerschaft mit
Russland. Deswegen begrüße ich, dass die Bundeskanz-
lerin hier angekündigt hat, mit Präsident Medwedew
über seinen Vorschlag einer neuen Sicherheit insbeson-
dere von Wladiwostok bis Vancouver zu sprechen. Dies
hat natürlich seine unmittelbare Bedeutung für Europa.
Es wäre ein großer Sicherheitsgewinn, wenn wir uns an
dieser Debatte beteiligten. Wir vonseiten der Sozialde-
mokratie sind dazu bereit.


(Beifall bei der SPD)


Die vierte Bedingung für die Gestaltung der Zukunft
der NATO ist die Frage von Abrüstung und Rüstungs-
kontrolle. Hier gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege
Westerwelle. Dies ist aber nicht Ihre Erfindung. Viel-
mehr hat der Außenminister in den letzten vier Jahren al-
les dafür unternommen, dass Abrüstung und Rüstungs-
kontrolle wieder ein Thema der NATO werden. Das ist
ein wichtiger Bestandteil. Man kann nicht davon ausge-
hen, dass wir die Verträge sozusagen von einer Woche
auf die andere abschließen könnten. Es ist aber auch in
Teilen der anderen Fraktionen nicht unumstritten gewe-
sen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle in das
Schlussdokument von Bukarest gekommen sind. Das
war wichtig. Sie, Herr Außenminister, haben dies zu-
sammen mit dem norwegischen Außenminister ge-
schafft.


(Beifall bei der SPD)


In diesem Zusammenhang erinnere ich an die
nukleare Abrüstung, die zuerst zwischen den USA und
Russland erarbeitet oder gleichsam erkämpft werden
muss. Den größten Applaus hat der damalige Präsident-
schaftskandidat Obama hier in Berlin von den Deutschen
bekommen, als er sich dazu bekannte, für eine nuklear-
waffenfreie Welt einzutreten. Er weiß, dass das nicht von
heute auf morgen gelingen wird. Aber das war genau der
Satz, auf den Europa gewartet hat. Deswegen sollten wir,
sollte die Bundesregierung ihn auf jeden Fall bei diesem
Vorhaben unterstützen.


(Beifall bei der SPD)


Gleichzeitig sage ich: Wenn wir diese Debatte auf-
nehmen, müssen wir auch mit anderen Ländern, die über
Kernwaffen verfügen, darüber sprechen. Eine ehrliche
Debatte ist zum Beispiel mit Frankreich und Großbritan-
nien erforderlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie stehen vor einer umfassenden Modernisierung ihres
Atomwaffenarsenals. Es ist zwar nicht groß; aber da-
durch sind sie in die nukleare Abschreckung eingebun-
den. Deswegen ist es an der Zeit, dass auch diese Regie-
rungen ihr Vorgehen überdenken.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich
Es wäre gut, auch über die Frage des nuklearen Erst-
einsatzes zu sprechen. Das hat in dieser Debatte noch
keine Rolle gespielt. Aber wenn wir den Atomwaffen-
sperrvertrag ernst nehmen, müssen wir in der NATO
auch über die Frage des Ersteinsatzes diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der vierte Punkt – hier stehen wir vor einer großen
Herausforderung – betrifft die Frage, wie wir mit der
Raketenabwehr umgehen. Ich will jetzt gar nicht auf
die mögliche US-amerikanische Raketenabwehr in
Polen und Tschechien eingehen. Wir haben in Bukarest
verabredet, dass die NATO eine Raketenabwehr auf-
bauen soll; wir sind zumindest auf einem guten Weg
dorthin. Ich glaube, es wäre klug, mit Russland über die-
ses Thema zu sprechen, weil Russland und die NATO
gleiche Interessen haben, auf diese Herausforderungen
zu reagieren.

Zum Schluss möchte ich Ihnen, Herr Außenminister,
danken. Sie haben eine Initiative unternommen, den
KSE-Vertrag zu retten. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg
bei diesen Bemühungen, insbesondere auf der Konfe-
renz im Juni dieses Jahres. Wenn Sie es für notwendig
halten, hier über den AKSE-Vertrag zu sprechen und
dem Parlament diesen Vertrag möglicherweise noch zur
Beschlussfassung zuzuleiten, dann sind wir von der
SPD-Fraktion dazu bereit, dies mitzutragen.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621404000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/12424. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Keine NATO-Erweiterung – Sicherheit
und Stabilität mit und nicht gegen Russland“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/11971, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/11247 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion
und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12113
mit dem Titel „Überprüfung und Korrektur der Strategie
beim Afghanistanengagement vor dem NATO-Gipfel in
Kehl/Straßburg beginnen“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12322
mit dem Titel „NATO-Gipfel für eine strategische Neu-
ausrichtung nutzen – Neue Schritte zur Abrüstung und
für gemeinsame Sicherheit einleiten“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Auch dieser Antrag ist abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 3 e. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12433 mit
dem Titel „60 Jahre NATO – Deutschland muss sich in
Diskussion über die Zukunft der NATO konstruktiv ein-
bringen“.

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwer-
bung und zur Verbesserung des Verbraucher-
schutzes bei besonderen Vertriebsformen

– Drucksache 16/10734 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/12406 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Verbraucherschutz beim Telefonmarketing
verbessern – Call-Center erhalten

– Drucksachen 16/8544, 16/12406 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jerzy Montag

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Jerzy Montag, Ulrike Höfken, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Verbot von Telefonwerbung zum Schutz der
Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam
durchsetzen

– Drucksachen 16/4156, 16/6059 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin der Justiz, Brigitte Zypries.


(Beifall bei der SPD)



Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1621404100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Heute ist – davon bin ich sehr überzeugt – ein guter
Tag für die deutschen Verbraucherinnen und Verbrau-
cher.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])


Endlich schaffen wir es, den lästigen, unerlaubten Tele-
fonanrufen wirksame Regeln entgegenzusetzen. Ich bin
ganz zuversichtlich, dass die Anzahl der unerlaubten Te-
lefonanrufe signifikant, also deutlich, zurückgehen wird.


(Beifall des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel [SPD])


Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass solche An-
rufe nie mehr vorkommen – das wäre Blödsinn; denn das
kann niemand versprechen –, aber ihre Zahl wird erheb-
lich zurückgehen.

Mit unserem Gesetzentwurf setzen wir dort an, wo es
in der Praxis die meisten Probleme gab: bei Wett- und
Lotteriedienstleistungen, bei Zeitungen und Zeitschrif-
ten sowie bei Dienstleistungen im Telekommunikations-
sektor. Künftig gibt es bei Verträgen über Wett- und
Lotteriedienstleistungen und über die Lieferung von Zei-
tungen und Zeitschriften, die am Telefon geschlossen
werden, ein Widerrufsrecht. Weil am Telefon keine Be-
lehrung möglich ist, kann ein solcher Vertrag in Zukunft
innerhalb eines Monats widerrufen werden.

Auf alle Fälle können sich die Verbraucherinnen und
Verbraucher merken, dass es in Deutschland in den ge-
nannten Bereichen keine Ausnahme von der 14-tägigen
Widerrufsfrist mehr gibt; das ist eine Zahl, die man im
Kopf haben sollte. Man sollte wissen: Innerhalb von
14 Tagen kann man grundsätzlich jeden Vertrag, der am
Telefon oder über das Internet geschlossen wurde, ohne
jegliche Angabe von Gründen widerrufen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aufgrund der Vielzahl der Anrufe zur Umstellung bei
der Telekommunikation wollen wir darüber hinaus eine
Regelung in das BGB einfügen, die besagt, dass man bei
allen Anbieterwechseln, die eine Umstellung im Hinter-
grund voraussetzen, im Vorhinein eine schriftliche
Kündigung vorlegen muss, dass man bereit ist, den An-
bieter zu wechseln.

Wie sich gerade herausgestellt hat, war es vernünftig,
dass wir den Geltungsbereich dieser Regelung nicht auf
die Telekommunikation beschränkt haben. In den letzten
Tagen und Wochen haben mir Verbraucherverbände ge-
sagt, dass in letzter Zeit häufig Anrufe von Stromanbie-
tern zu verzeichnen seien, in denen die Verbraucher um
einen Anbieterwechsel gebeten würden. Mit anderen
Worten: Es ist vernünftig, die generelle Regelung in das
BGB aufzunehmen: Immer dann, wenn im Hintergrund
umgeschaltet wird und der Verbraucher nichts davon
merkt, muss für den Anbieterwechsel eine schriftliche
Kündigung vorgelegt werden. Diese Regelung gilt für
alle Dauerschuldverhältnisse, etwa bei Telefon, Strom,
Gas und Wasser.

Wir flankieren diese Regelungen durch eine Ver-
pflichtung zur ausdrücklichen Einwilligung des Ver-
brauchers in Anrufe. Wer dagegen verstößt, muss bis zu
50 000 Euro Bußgeld zahlen. Außerdem dürfen Ruf-
nummern künftig nicht mehr unterdrückt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


All diese Maßnahmen schützen den seriösen Kauf-
mann und den seriösen Geschäftsverkehr. Denn klar ist:
Wir wollen die Möglichkeit, am Telefon Geschäfte abzu-
schließen, nicht verunmöglichen; das ist nicht unser Ziel.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ja! So ist es!)


Wir wollen, dass sinnvolle Möglichkeiten dieses Me-
diums im Interesse der Verbraucher, gerade der älteren
Verbraucher, erhalten bleiben. Beispielsweise sollen sie
auch weiterhin bei Bofrost anrufen und Tiefkühlkost be-
stellen können.


(Dirk Manzewski [SPD]: Keine Werbung, bitte! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sagen Sie es doch ganz allgemein! Die Leute können weiterhin Pizza bestellen! Oder Wein!)


– Keine Schleichwerbung, okay. Ja, das gilt auch für
Pizza.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Und sie können nach wie vor den Eismann anrufen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
– Ja, das gilt auch für den Eismann. – Das alles hat bis-
her funktioniert, und das soll auch weiterhin funktionie-
ren.

Ich bin sehr froh, dass sich dieses Hohe Haus nicht
dazu hat verleiten lassen, auf den Vorschlag des einen
oder anderen Verbraucherschutzministers, eine Bestäti-
gungslösung einzuführen, einzugehen.

Dazu möchte ich noch ein paar Takte sagen; denn ich
hoffe, dass der Bundesrat unserem Gesetzentwurf, so
wie wir ihn heute verabschieden, zustimmt. Ich meine,
dass eine Bestätigungslösung, die darauf hinausläuft,
dass jeder Vertrag, der in einem rechtswidrigen Anruf
geschlossen wird, schriftlich bestätigt werden muss, den
Verbrauchern Steine statt Brot gibt.

Erstens. Eine solche Regelung würde zu einer erheb-
lichen Rechtsunsicherheit führen. Man würde sich
darüber streiten, ob der Unternehmer oder der Kunde an-
gerufen hat. Wenn klar wäre, dass der Unternehmer an-
gerufen hat, dann müsste auf der nächsten Streitebene
geklärt werden, ob es jemals eine Einwilligung des Kun-
den in diese Anrufe gegeben hat, sodass dieser rechtmä-
ßig war. Man muss nicht glauben, dass die Unternehmen
auf eine solche Regelung nicht reagieren würden; im
Zweifel würden sie alle Gespräche aufzeichnen. Viele
Verbraucher würden sich vielleicht nicht mehr so genau
daran erinnern, ob sie in Anrufe eingewilligt haben oder
nicht. Im Übrigen muss man sagen, dass nicht alle Ver-
braucher weiße Schafe und die Unternehmer schwarze
Schafe sind: Es gibt natürlich auch zahlreiche Verbrau-
cher, die gegebenenfalls ein Ding daraus machen wür-
den.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele?)


Zweitens. Wir glauben – das haben wir immer gesagt –,
unseriöse Unternehmen würden bei einer solchen Rege-
lung versuchen, die Verbraucher durch weitere Anrufe
dazu zu bringen, zu unterschreiben: „Wir haben Ihnen
das doch zugeschickt, unterschreiben Sie doch bitte!“
Das wäre schlecht; denn es würde genau das provozie-
ren, was wir vermeiden wollen, nämlich unerlaubte Tele-
fonanrufe.

Drittens. Das europarechtlich gebotene Nacheinander
von Bestätigung und Widerrufsmöglichkeit würde die
Vertragsabwicklung enorm erschweren. Man hätte dann
erst die Bestätigung und dann die Widerrufsmöglichkeit.
Das wäre ein Problem.

Im Übrigen gäbe es – Herr Kollege Montag, Sie sind
immer für die Dogmatik zugänglich – erhebliche Wer-
tungswidersprüche im bürgerlichen Recht. Im Moment
ist es nach unserer Rechtsordnung so, dass bei arglistiger
Täuschung oder gar Drohung ein Vertrag zunächst wirk-
sam und nur anfechtbar ist. Bei unlauterer Telefonwer-
bung hingegen wäre der Vertrag zunächst unwirksam
und könnte nur in Textform bestätigt werden.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwebend unwirksam, das gibt es!)


All das würde Probleme an anderen Ecken schaffen.
Mit der 14-tägigen Widerrufsfrist für alles haben wir Re-
gelungen, die gelernt sind und sich in allen Fällen be-
währt haben. Die Monita bei der Telefonwerbung gab es
nur in jenen Geschäftsgebieten, in denen es diese Wider-
rufsfrist nicht gab. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das
Gesetz funktionieren wird. Gleichwohl wird die Bundes-
regierung selbstverständlich entsprechend dem Votum
des Hauses nach drei Jahren das Gesetz überprüfen und
es evaluieren, um zu schauen, ob es tatsächlich so funk-
tioniert, wie wir jetzt annehmen, oder ob wir Änderun-
gen vornehmen müssen.

Ich bedanke mich sehr herzlich für die ausführliche,
lang andauernde und konstruktive Beratung zu diesem
Thema. Ich bedanke mich insbesondere bei den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses, die das
ganze Verfahren sehr sachkundig und ausdauernd beglei-
tet haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621404200

Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1621404300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Ja, es ist gut, dass wir mit der heutigen Beratung
Lücken in unserem Recht schließen, um die Stellung des
Verbrauchers zu stärken. Es ist nicht nur eine subjektive
Wahrnehmung, dass diese unerlaubten Anrufe eine Be-
lästigung darstellen; auch die Umfragen belegen dies.
Eine Forsa-Umfrage von 2007 belegt, dass 71 Prozent
der über 65-Jährigen Cold Calls, unerlaubte Werbe-
anrufe, erhalten haben. Insgesamt hat weit mehr als die
Hälfte der Befragten solche Anrufe erhalten.

Das zeigt: Hier besteht Handlungsbedarf. Es war
notwendig, genau zu überlegen, welchen Weg man geht,
um die Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher
zu verbessern. Wir, die FDP-Fraktion, haben dazu einen
Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir unterstützen
den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der wirklich in
vielen Punkten mit unseren Vorstellungen überein-
stimmt. Deshalb werden wir hier heute bei der Abstim-
mung über diesen Gesetzentwurf mit Ja stimmen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Nach dem Wettbewerbsrecht sind Werbeanrufe natür-
lich schon länger unerlaubt, aber das gilt eben nicht im
Verhältnis zum Verbraucher. Das hat man vielen Bürge-
rinnen und Bürgern natürlich nicht erklären können. Sie
sagen: Ihr redet von unerlaubten Werbeanrufen, aber wir
sind nicht in der Situation, angemessen reagieren zu
können. Das können unter anderem die Konkurrenten
und Verbände. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich,
dass wir im geltenden Rechtssystem bei der Stärkung der
Stellung der Verbraucher bleiben und das Widerrufs-
recht ausbauen; denn wenn es einen Teil Bestätigungs-
regelung und einen Teil Widerrufsregelung gäbe, dann
wäre das nicht unbedingt dazu angetan, für den Verbrau-






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
cher deutlicher zu machen, wie die Rechtslage gerade
aussieht. Dafür müsste er dann am besten immer die Ge-
setze zur Hand nehmen. Ich denke also, es ist gut und
richtig, das Widerrufsrecht, wonach die Verträge inner-
halb einer bestimmten Frist storniert werden können,
auszubauen und damit dem Verbraucher gerade in den
Bereichen, in denen es bis heute eben nicht galt, eine
stärkere Stellung zu geben.


(Beifall bei der FDP)


Natürlich muss man die unterschiedlichen Interessen
bei jedem Gesetzgebungsverfahren in Einklang bringen.
Es ist natürlich auch ein berechtigtes Interesse von Un-
ternehmen, werben zu dürfen. Dem wollen wir Schran-
ken setzen. Das ist passiert, es erfolgt mit diesem Ge-
setzentwurf.

Wir als Liberale setzen aber auch auf den Verbrau-
cher, der seine Rechte wahrnehmen kann, wenn er bes-
ser informiert und aufgeklärt ist. Wir müssen eben mehr
tun, um sie über diese Rechte zu informieren, sodass sie
sie auch innerhalb vorgegebener Widerrufsfristen aus-
üben können. Ich glaube, dass das sehr wohl gelingen
kann. Deshalb sind wir dafür, dass dieser Weg, der in
dem Gesetzentwurf und auch in unserem Antrag schon
vorgestellt wurde, beschritten wird.

Bei Dauerverträgen gibt es eine ganz klar andere
Situation. Dabei wird versucht, den Betroffenen Ände-
rungen unterzuschieben. Wir haben uns in der Anhörung
intensiv mit diesen Sachverhalten befasst. Deshalb ist es
richtig, für die Kündigung des alten Vertrages nach einer
ungewollten Änderung des Vertrages, die untergescho-
ben wurde und bei der man als Verbraucher nicht wahr-
nimmt, auf was man sich jetzt eingelassen hat, was es
mehr kostet und was die Inhalte des Vertrages sind, die
Schriftform vorzusehen. Ich denke, das ist richtig und
eine ausgewogene, gute Regelung.

Ich glaube, es entspricht der Praxis und ist richtig,
dass wir die Mehrwertdienste, also die Telefonaus-
künfte, aus dieser Regelung herausgenommen haben;
denn wenn der Verbraucher vor jeder Auskunft erst
durch einen Ansagedienst auf Band über sein Widerrufs-
recht belehrt worden wäre, dann wäre er der Erste gewe-
sen, der verschreckt worden wäre. Ich denke, auch das
haben wir in der Anhörung hervorragend erörtert. Des-
halb ist es gut, dass wir diese Änderungen im laufenden
Gesetzgebungsverfahren noch vorgenommen haben.

Das Rufnummernunterdrückungsverbot ist richtig.
Man muss den Anrufer in einem ersten Schritt identifi-
zieren können. Dass der Verbraucher im Hinblick auf die
Frage, wer anruft, durch eine einheitliche Vorwahl viel-
leicht noch mehr gestärkt werden würde – er würde dann
vielleicht gar nicht erst abheben –, ist ein weiterer Punkt,
den wir genannt haben.

Die Linie in dem Gesetzentwurf stimmt aber. Wir
denken, es ist gut, dass wir diese Lücken im Recht jetzt
schließen. Wie gesagt: Wir als FDP unterstützen den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621404400

Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1621404500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau

Ministerin Zypries! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Erstes möchte ich mich sehr für die kollektive Ver-
nunft der FDP bei der Beratung über diesen Gesetzent-
wurf und dafür bedanken, dass sie uns dabei zur Seite
steht und dem guten Gesetzentwurf der Koalitionsfrak-
tionen zustimmt. Ich bedanke mich auch für die wirklich
kooperative und solidarische Zusammenarbeit; denn ich
bin sehr froh, dass wir diesen Gesetzentwurf heute hier
verabschieden.

Wir haben eine gewisse Strecke hinter uns. Frau
Ministerin Zypries, Sie erinnern sich sicherlich noch da-
ran: Es hat am Anfang etwas gedauert, bis ich Sie davon
überzeugen konnte, dass wir Regelungsbedarf haben.
Wenn Gesetze nicht mehr passen, dann müssen wir sie
anpassen. Das ist völlig klar. Denn die Gesetze sind für
die Menschen da, nicht umgekehrt.

Es spielt sicherlich auch eine Rolle, dass wir Politiker
nicht den ganzen Tag zu Hause sind, wo unser Festnetz-
anschluss ist. Wir sind auch oft abends nicht zu Hause
und bekommen deshalb nicht mit, welche Plage sich in
unserem Land ausgebreitet hat: unerlaubte, belästigende
Telefonwerbung. Wenn ich mit Besuchergruppen oder
bei einer größeren Veranstaltung zuhause über das
Thema belästigende Telefonwerbung und die Konse-
quenzen daraus – nämlich dass Menschen in Verträge
hineingerutscht sind oder dazu gedrängt wurden, obwohl
sie das nicht wollten bzw. auch keinen Abschluss getä-
tigt haben – gesprochen habe, bin ich immer auf Zustim-
mung gestoßen. Vor allem haben wir Politikerinnen und
Politiker durch solche Gespräche erfahren, welche Bei-
spiele es gibt.

Das Beispiel einer älteren Dame aus meinem Wahl-
kreis schlägt dem Fass den Boden aus. Sie ist 76 Jahre
alt. Weil der eine oder andere Kollege gerade zusam-
menzuckt: Das ist so alt sicherlich nicht.


(Heiterkeit – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So alt sind wir gar nicht!)


– Ich habe nicht in unsere Reihen geschaut.


(Joachim Stünker [SPD]: In welche Reihen haben Sie denn geschaut?)


Diese etwas reifere Dame, die selbst keinen Internet-
anschluss besitzt, hat einen Vertrag mit einer Laufzeit
von eineinhalb Jahren für eine sogenannte Flatrate für
das Internet abgeschlossen. Obwohl die Dame selbstver-
ständlich nie einen solchen Abschluss tätigen wollte, er-
hielt sie ständig Anrufe. Sie hat mitgezählt und aufge-
schrieben, dass abends nach 20 Uhr mit zehn bis
15 Anrufen zu rechnen war. Das ist ein starkes Stück.
Daran ändert auch das UWG nichts. Denn es ist schon
nach heutiger Gesetzeslage verboten, Verbraucherin-
nen und Verbraucher ohne deren Zustimmung anzuru-






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
fen. Das ist schon heute illegal. Aber was hilft das
schönste Gesetz, wenn es letztlich seine Wirkung ver-
fehlt?

In der Gesetzesberatung haben wir mit sehr vielen be-
troffenen Gruppen gesprochen. Uns wurde sehr oft mit-
geteilt, dass es kein Problem gebe und dass es sich nur
um einige wenige schwarze Schafe handele.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gehört, aber es stimmt nicht!)


Das mag auch sein. Ich möchte eines vorab sagen: Nicht
jedes Callcenter ist auf unlauterem Weg unterwegs. Aber
für den Verbraucher zählt letztlich, wie viele Anrufe er
bekommt. Auch 20 schwarze Schafe sind für den einzel-
nen Verbraucher mehr als genug.

Deshalb ist das Maßnahmenbündel, das wir erarbeitet
haben, meiner Meinung nach ein richtiger Schritt hin zu
mehr Rechtssicherheit für die Verbraucherinnen und
Verbraucher, wenngleich ich auch zu bedenken gebe,
dass wir mit diesem Gesetz keine hundertprozentige
Sicherheit bekommen werden. Es wird auch weiter da-
mit zu rechnen sein, dass es solche unlauteren Firmen
gibt, die versuchen, gerade ältere Menschen wie auch
jüngere Menschen und, was mich sehr erschüttert hat,
vor allen Dingen auch Mitglieder von Selbsthilfegrup-
pen anzurufen.

Ich habe gerade von einer Seniorenorganisation erfah-
ren, dass sich einige Callcenter Listen von Alzheimer-
Selbsthilfegruppen besorgt und die darauf aufgeführten
Personen ganz gezielt angerufen haben. Das ist, mit Ver-
laub, eine Sauerei, wenn ich das so sagen darf. Das geht
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was werden wir jetzt machen? Die Telefonnummer
darf nicht mehr unterdrückt werden. Die Opposition
wird sicherlich wieder danach fragen, welche Folgen es
hat, wenn die Telefonnummer dennoch unterdrückt wird.
Das wird es sicherlich auch weiter geben, aber es ist jetzt
mit bis zu 10 000 Euro Bußgeld bewehrt.

Klar ist auch, dass jemand, der etwas verkaufen will,
irgendwann seine Identität preisgeben muss, weil er sein
Geld bekommen will und der Käufer wissen muss, an
wen das Geld geht. Wenn jemand in einen Geschäftsver-
trag eintreten will, dann muss er sich zu erkennen geben.
Gibt er sich nicht mit der Rufnummer zu erkennen, dann
ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher klar, dass
es nicht mit rechten Dingen zugeht.

Notwendig ist auch, Frau Ministerin – ich denke, das
sollte vonseiten Ihres Hauses mit dem Verbraucher-
schutzministerium und Frau Aigner gekoppelt werden –,
eine flankierende Kampagne. Denn viele Verbraucherin-
nen und Verbraucher kennen die aktuelle Rechtslage
nicht. Viele sind immer noch viel zu höflich und legen
bei solchen Anrufen nicht auf bzw. schreiben nicht mit.
Deshalb wünsche ich mir, dass wir eine Aufklärungs-
kampagne starten, die unsere Maßnahmen begleitet.
Wir haben auch darüber diskutiert, ob die Nummer
desjenigen, der der Auftraggeber für ein Callcenter ist,
oder die des Anrufers – also das Callcenter selbst – ange-
geben werden soll. Mir ist klar, dass die Firmen gerne
ihre Nummer als Absender hätten. Aber wir haben auch
erlebt, dass sich die Firmen, die wegen unlauterer Praxis
angesprochen wurden, gerne hinter das Callcenter zu-
rückziehen und sagen: Die Anweisung haben wir nie ge-
geben. – Wenn sich aber der Callcentermitarbeiter zu er-
kennen geben muss, wird sich das Callcenter in Zukunft
überlegen, ob es bestimmte Aufträge annimmt oder
nicht.

Wie sieht es denn mit einem unlauter zustande ge-
kommenen Vertrag aus? Ich persönlich finde es irritie-
rend, dass ein Vertrag, der dadurch zustande gekommen
ist, dass jemand unlauter, also ohne gesetzliche Grund-
lage, angerufen hat, legal ist, wenn er in Anspruch ge-
nommen wird. Hier bleibt die Logik ein bisschen auf der
Strecke. Auch ich habe nicht den Stein der Weisen ge-
funden. Letztlich werden jedenfalls die Unternehmen
belohnt, die sehen, dass es sich doch noch lohnt, unlauter
anzurufen.


(Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Genau das ist der Punkt, Herr Montag. Darüber haben
wir bereits gesprochen. – Ich sympathisiere sehr mit dem
Vorschlag, den Herr Hauk und Herr Uhlenberg im Bun-
desrat eingebracht haben. Nun geht es aber darum, eine
Lösung zu finden. Aus meiner Sicht als verantwortungs-
volle Politikerin bringt es wenig, nun zu sagen: Jetzt las-
sen wir just aus diesem Grund das Gesetz platzen. Es
hilft wenig, wenn wir die grüne Taube auf dem Dach ha-
ben.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir könnten es gemeinsam machen, Frau Kollegin!)


Mir ist lieber, dass das, was im vorliegenden Gesetzent-
wurf vorgesehen ist, für unsere Verbraucherinnen und
Verbraucher umgesetzt wird.

Heute ist ein guter Tag für unsere Verbraucherinnen
und Verbraucher. Ich bin dankbar und froh, dass es der
Koalition gelungen ist, die Regierung ein bisschen vor
sich herzutreiben. Ich weiß, dass die Ministerin das nicht
gerne hört. Aber das entspricht unserem Selbstverständ-
nis. Deshalb sind wir heute dort angekommen, wo wir
sind.


(Zuruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Frau Höfken, ich bedanke mich sehr für diesen Ein-
wurf.

Die Grünen kritisieren immer. Sie waren aber auch
einmal in der Regierungsverantwortung und haben die
Verbraucherministerin gestellt.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Was?)


Sie war aber eine Ankündigungsministerin. Liebe Frau
Höfken, Sie hätten in Ihrer Regierungszeit längst ein Ge-
setz, wie Sie es sich nun wünschen, durchsetzen können.






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
Aber damals gab es noch nicht einmal Vorlagen, über die
wir hätten beraten können. Mir sind Politiker und Regie-
rungen lieber, die etwas konkret umsetzen – ich sehe,
dass die Kollegen der SPD etwas die Stirn in Falten wer-
fen, weil sie selber damals dabei waren –


(Dirk Manzewski [SPD]: Wir haben das auch gemacht! Sie waren damals dagegen!)


und letztlich denen helfen, die über den Tisch gezogen
werden und nicht auf gleicher Augenhöhe mit denen
sind, die ihnen etwas anbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das müssen wir mal sagen!)


– „Das müssen wir mal sagen“, sagt auch Kollege Gehb.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist
wichtig und eine Warnung an die Unternehmen, die
glauben, sie seien nun mit einem blauen Auge davonge-
kommen. Wir möchten das sogenannte Slamming unter-
binden. Da Anglizismen immer ein Problem darstellen,
erkläre ich das: Wir möchten das Unterschieben bzw. das
Wechseln eines Dauervertrages bzw. eines Dauer-
schuldverhältnisses zum Beispiel bei Strom und Gas
oder Telefonverträgen – so wird der Verbraucher bei der
Telekom abgemeldet und dann bei einem anderen Unter-
nehmen angemeldet, ohne dass er das weiß – verhindern.
Deshalb sieht das Gesetz eine Textform vor.

Frau Ministerin, ich bin sehr froh, dass festgehalten
ist, das Gesetz nach drei Jahren daraufhin zu überprüfen,
ob es Lücken gibt, und es gegebenenfalls anzupassen.
Ich bin froh, dass wir diese Regierung haben und die Zu-
sammenarbeit zwischen Wirtschafts- und Rechtspoliti-
kern sowie den Verbraucherpolitikern so gut ist. Die
Bürgerinnen und Bürger werden das zu schätzen wissen,
auch wenn sich die Grünen und die Linken jetzt be-
schweren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621404600

Das Wort hat die Kollegin Karin Binder für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621404700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Zypries, Sie
haben vorhin eine Bemerkung gemacht, die ungefähr so
lautete: Die Verbraucher können sich oft nicht mehr da-
ran erinnern, ob und was sie am Telefon vereinbart ha-
ben.


(Brigitte Zypries, Bundesministerin: Nein, ob sie eine Einwilligung gegeben haben oder nicht!)


– Ja, eben. – Genau daran wird deutlich, warum unlau-
tere Werbeanrufe nur mit einer schriftlichen Bestätigung
zu einem wirksamen Vertrag führen dürfen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Können Sie das auch einmal logisch darstellen!)


Die Botschaft des heutigen Tages geht an die Telefon-
marketingbranche, insbesondere an die unseriösen Un-
ternehmen in dieser Branche. Diese lautet: Machen Sie
ruhig weiter so!


(Widerspruch bei der SPD)


Rufen Sie die Leute weiter an, wann immer Sie wol-
len. – Denn der Anteil der Menschen, die so rechtskun-
dig sind, dass sie genau wissen, wie sie mit einem sol-
chen unlauteren Werbeanruf umgehen können, vor allem
mit einem daraus entstehenden Vertragsverhältnis, ist re-
lativ gering. Deshalb werden diese Firmen nach wie vor
ihren Profit herausschlagen und mit Leuten Geschäfte
machen, die sich das eigentlich nicht leisten können.

Es ist zwar eigentlich verboten, jemanden ohne seine
vorherige ausdrückliche Einwilligung anzurufen und
ihm ein Werbe- oder Verkaufsgespräch aufzudrücken,
aber wenn sich jemand dann doch zu einem mündlichen
Vertragsabschluss überreden lässt, dann ist dieser un-
lauter zustande gekommene Vertrag wirksam. Diese
Absurdität verstehen wohl nur Juristen. Mit Logik hat
das für mich nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Was haben Ihre Ausführungen mit Logik zu tun?)


Diesen Zustand hätte man sehr wohl ändern können.
Man hätte Verbraucherinnen und Verbraucher weitaus
besser vor telefonisch untergeschobenen Verträgen
schützen können. Man hätte die Privatsphäre der Men-
schen weitaus besser gegen die unzähligen unerlaubten
Anrufe schützen können und müssen. Aber genau das tut
die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf nicht.


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Jetzt hören wir mal konkrete Beispiele!)


Was müssen die Menschen von einer Regierung hal-
ten, die Jahre für eine Gesetzesinitiative gegen uner-
laubte Telefonwerbung braucht, die sich dann aber sehr
arrogant über die Vorschläge und sachdienlichen Hin-
weise hinwegsetzt?


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Was?)


Verbraucherverbände, Bundesrat, zahlreiche Bundeslän-
der, die Verbraucherministerkonferenz und die Opposi-
tionsfraktionen


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Darauf habe ich gewartet! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht alle, haben wir eben gehört!)


werden einfach ignoriert. Deren Vorschläge und Forde-
rungen tropfen einfach ab. Das hat nach meiner Auffas-
sung Kohl’sche Qualitäten. Dieses Verhalten ist ein
Musterbeispiel ministerieller Starrköpfigkeit und Bera-
tungsresistenz.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder
Ich halte es für einen Riesenfehler, dass sich die Koali-
tion der sogenannten Bestätigungslösung so vehement
verweigert. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, könn-
ten die Regierung heute allerdings doch noch auf den
richtigen Kurs bringen. Stimmen Sie einfach unserem
Änderungsantrag zu!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass ein Vertrag erst dann zustande
kommt, wenn die Verbraucherin oder der Verbraucher
einer telefonisch gemachten Zusage innerhalb von zwei
Wochen eine schriftliche Bestätigung folgen lässt. Erst
dann wird der Vertrag wirksam. Das kommt dann zum
Tragen, wenn jemand ohne vorherige Einwilligung an-
gerufen wurde, was eigentlich gar nicht zulässig ist. Bei
dem von Bundesjustizministerin Zypries immer wieder
gerne und häufig zitierten


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Dann ist die Pizza kalt!)


– genau –, aber unsachgemäßen Beispiel vom Pizzaser-
vice handelt es sich um eine aktive Bestellung. Das hat
überhaupt nichts mit diesen unlauteren Werbeanrufen zu
tun. Das Beispiel ist einfach fehl am Platz.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zumindest ich habe bisher noch von keinem Pizzaser-
vice gehört, dass er seine Kunden anruft und fragt: „Habt
ihr zufällig gerade Hunger? Dann kommen wir vorbei.“
Das ist wirklich Unsinn.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verbraucherschutz heißt für mich, dass nicht nur ein
beschränkter Personenkreis mit ausgeprägten Rechts-
kenntnissen und Kampfgeist vor Betrug geschützt wird.
Im Gegenteil: Es kann nicht angehen, dass Verbrauche-
rinnen und Verbraucher genötigt werden, gegen unterge-
schobene Verträge selbst aktiv zu werden, um die daraus
resultierenden Verpflichtungen wieder loszuwerden.
Eine schriftliche Vertragsbestätigung innerhalb von zwei
Wochen wäre die einfachste und praktikabelste Lösung
im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre nicht zuletzt deshalb am besten, weil es auch
für die Anbieter nicht mehr so lukrativ wäre, unlauter zu
arbeiten. Dann würde sich das Problem des ständigen
Eindringens in die Privatsphäre der Menschen relativ
rasch erledigen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)


Ein weiterer wesentlicher Punkt in unserem Ände-
rungsantrag ist die Höhe des Bußgeldes. Die Linke for-
dert eine deutliche Anhebung. Wir wissen doch, dass die
Gerichte höchst selten die Höchstgrenzen der angedroh-
ten Bußgelder ausschöpfen. Aus dem Justizministerium
heißt es zwar: „Na ja, die Strafen summieren sich; da
käme schon ein erkleckliches Sümmchen zusammen“;
aber der Verbraucherzentrale-Bundesverband machte da
ganz andere Erfahrungen und berichtet in diesem Zu-
sammenhang von einem Beispiel aus Köln. Vor zwei
Jahren hat dort das Oberlandesgericht gegen eine große
Telekommunikationsfirma lediglich ein Ordnungsgeld
von 40 000 Euro verhängt. Diese 40 000 Euro sind
knapp ein Sechstel dessen, was an Ordnungsgeld mög-
lich wäre; es entspricht dem, was durch den Abschluss
von 100 bis 200 Telefonverträgen pro Jahr eingenom-
men wird. Doch wie viel Tausend Verträge schließt diese
Firma unerlaubt? Das, was hier beschrieben wird, trifft
nicht nur auf diese Telekommunikationsfirma zu, son-
dern auch auf viele andere Unternehmen.


(Dirk Manzewski [SPD]: Die Sachen, die jetzt sanktioniert werden, sind bislang noch nicht sanktioniert worden!)


Sie erledigen ein solches Ordnungsgeldverfahren wirk-
lich mit links; sie zahlen das Bußgeld ganz locker aus
der Portokasse.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nichts mit links! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist uns zu unsicher!)


Wir halten es für dringend geboten, den Bußgeldrah-
men für die unerlaubte Telefonwerbung deutlich anzuhe-
ben, und zwar auf 250 000 Euro; denn dann tut es we-
nigstens ein bisschen weh. So könnte verhindert werden,
dass weiterer Schaden entsteht.


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Mir tut was ganz anderes auch weh!)


Ich komme zum Schluss. Wir wollen, dass die Men-
schen vor dem unbefugten Eindringen in ihre Privat-
sphäre geschützt werden. Wir wollen, dass sie vor Über-
rumpelung geschützt werden. Wir wollen, dass sie vor
Abzocke geschützt werden, und wir wollen, dass sie vor
neuen Schuldenfallen geschützt werden, die wir in der
Situation, in die wir gerade hineinschlittern, ganz be-
stimmt nicht brauchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem An-
trag zu. Dann haben wir diesen Schutz.

Danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Helau!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621404800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Jerzy Montag das Wort.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621404900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Klarstellung vorneweg: Die Pizza, die die Bundes-
justizministerin Zypries nach einem arbeitsreichen Tag
abends bestellt – sie sei ihr gegönnt –, hat mit dem
Thema, über das wir reden, nichts zu tun. Lassen wir das
Pizzabeispiel also endlich einmal weg!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
Wovon reden wir? Reden wir wirklich von Petitessen
und Randerscheinungen eines ansonsten ehrbaren Ge-
werbes? Reden wir von einigen wenigen schwarzen
Schafen eines boomenden und anständigen Wirtschafts-
zweigs? Die Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Ab-
satzforschung meldete im ersten Quartal 2006 82,7 Mil-
lionen unerlaubter, also rechtswidriger, telefonischer Wer-
bekontakte. Das sind 900 000 pro Tag, über 300 Millionen
pro Jahr. Im Dezember 2008 bezifferten die Gesellschaft
für Konsum-, Markt- und Absatzforschung und der Ver-
braucherzentrale Bundesverband diese Anrufe wiederum
auf über 300 Millionen pro Jahr. Es gibt also keinen
Grund für eine Entwarnung, wie uns manche Lobby-
gruppen gelegentlich einflüstern wollen. Stattdessen
müssen wir feststellen: Das Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb wird systematisch und massenhaft verletzt.
86 Prozent der Bevölkerung fühlen sich durch solche un-
erwünschten Telefonanrufe belästigt; Hunderttausende
werden belogen und betrogen. Der Gesetzgeber, also
wir, sind aufgerufen, darauf konsequent, effektiv und
verbraucherfreundlich zu reagieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden von unerwünschten, unerlaubten Telefon-
werbeanrufen, die als Aufklärung, als Information, als
Service daherkommen und in Vertragsabschlüssen
enden. Das ist auch ihr einziger Zweck. Sie enden in
überrumpelten, übertölpelten Verbraucherinnen und Ver-
brauchern, die – es ist von der Kollegin Klöckner schon
berichtet worden – für Internetanschlüsse zahlen, ob-
wohl sie keine Computer haben, die für Zeitschriften
zahlen, die sie nicht lesen wollen, und die für wertlose
Auskünfte und Belehrungen zahlen. Manchmal zahlen
sie nur für das Anhören von Gedudel in endlosen Warte-
schleifen, weil sie auf leere Versprechungen wie Reisen,
Lottogewinne oder Preise reagieren. Wir reden von un-
redlichem Geschäftsgebaren, von unlauterem Werbever-
halten, von Überrumpelungsstrategien, die generalstabs-
mäßig geplant und eingeübt werden. Nicht zuletzt reden
wir von Zigmillionen Euro an abgezocktem Geld.

Diese unerwünschten, belästigenden und in Überrum-
pelungsabsicht getätigten Werbeanrufe waren bis 2004
völlig legal. Als wir sie 2004 zu einem wettbewerbswid-
rigen, unlauteren Geschäftsverhalten machten, taten wir
dies gegen den erbitterten Widerstand der Union.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das war doch so gar nicht!)


Deshalb ist das verbraucherpolitische Gehabe der Union
heute mehr als peinlich. Vom Verhalten der FDP, die
2004 ebenfalls gegen die Reform gestimmt hat, will ich
gar nicht erst reden.

Den Profiteuren des Cold Calling war und ist dies
ziemlich wurscht. Ihre Rechnung war und ist einfach:
praktisch sanktionslose Verstöße sind wie Kavaliers-
delikte; Hauptsache, die Kasse stimmt. Was haben wir
Grünen schon 2004 vorgeschlagen, was schlagen wir
heute vor, und was ist auch bitter nötig?

Erstens. Werbeanrufe darf es nur bei vorheriger aus-
drücklicher Einwilligung geben. Um jeden Streit da-
rüber zu vermeiden, wer wen angerufen hat und ob eine
Einwilligung vorlag oder nicht, schlagen wir vor: Die
Einwilligung der Verbraucherinnen und Verbraucher
muss in Textform vorliegen. Im Streitfall trifft den Anru-
fer die Beweislast für das Vorliegen der Einwilligung.
Dass das mit der Einwilligung in Textform gar nicht so
schlecht ist, findet man im Gesetzentwurf bestätigt, in
dem Sie das für einzelne Bereiche durchaus so vorsehen.

Bereits diese klaren und einfachen Vorschriften wür-
den Verbraucherinnen und Verbraucher effektiv schüt-
zen, zum Rechtsfrieden beitragen und den Betrügern
jede Lust am Betrug nehmen.

Kommt es trotz fehlender Einwilligung bei einem un-
lauteren, gesetzwidrigen Werbeanruf zu einem Vertrags-
abschluss, ist der Vertrag schwebend unwirksam – so un-
ser zweiter Vorschlag – und bedarf einer ausdrücklichen
Bestätigung in Textform. – Ich habe Ihre Sympathie,
Frau Kollegin Klöckner, deutlich herausgehört. – Damit
hat es ausschließlich der Verbraucher, in dessen Privat-
sphäre eingedrungen wurde und der in seinen Rechten
verletzt ist, in der Hand, ob er den Vertrag, weil von ihm
gewünscht, erhalten will.

Frau Bundesjustizministerin Zypries, auch für denje-
nigen, der, wie ich, für die Dogmatik des Zivilrechts et-
was übrig hat, ist hier kein Widerspruch zu sehen. Wenn
Ihnen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichtet
hätten, was wir bei der Anhörung im Rechtsausschuss zu
diesem Thema gehört haben, dann hätten Sie auch erfah-
ren, dass uns wenigstens einige Sachverständige, die
sich mit diesem Thema beschäftigt haben, gesagt haben:
Zwischen einem Vertrag, der unter Täuschung, Arglist
oder Druck zustande gekommen ist, und einem Vertrag,
der so zustande gekommen ist, besteht ein Unterschied,
weil ein Schutzrecht nach § 823 BGB verletzt wird, weil
hier durch den Telefonanruf in die Privatsphäre des Ein-
zelnen rechtswidrig eingebrochen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen ist die Folge der schwebenden Unwirksam-
keit und des Erfordernisses einer ausdrücklichen schrift-
lichen Bestätigung dogmatisch sehr wohl sauber und im
Sinne von Verbraucherfreundlichkeit geboten.

Dies wäre eine einfache, klare und unmissverständli-
che Regelung. Das wäre wahrer Verbraucherschutz,
nicht gegen moderne Kommunikationsformen und neue
Wege des Vertragsabschlusses gerichtet, sondern nur ge-
gen diejenigen gerichtet, die die neuen, modernen For-
men zu Lug und Trug nutzen wollen. Auch der Bundes-
rat geht bisher genau in diese Richtung; ich hoffe, er hält
an dieser Position fest.

Bei den Koalitionsfraktionen, die sich in dieser Frage
gegenseitig behindern, ist als Ergebnis die Wider-
spruchslösung herausgekommen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor der Lobby eingeknickt!)


Sie wird als zweitbeste Lösung bezeichnet. Dabei ist sie
nicht gerecht; denn sie hilft den Rechtsverletzern, ihre
unrechtmäßigen Gewinne zu realisieren. Wir Grünen
wollen diesen sogenannten zweitbesten Weg nicht mit-






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
gehen. Wir haben bessere Vorschläge und lehnen des-
halb Ihren Gesetzentwurf ab.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621405000

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1621405100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Montag, bei dieser Frage sollte es nicht
um Rechtsdogmatik gehen,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit hat Frau Zypries begonnen!)


wie Sie eben ausgeführt haben, sondern einzig und allein
um die Frage, wie wir Missbräuche wirksam verhindern
können. Das ist das Thema. Darum kümmern wir uns.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP])


Wir haben gehört, dass viele Unternehmen in der Ver-
gangenheit millionenfach gegen geltendes Recht versto-
ßen haben; denn das derzeit geltende UWG untersagt be-
reits diese Art von Cold Calls. Die Angerufenen fühlen
sich in der Tat erheblich belästigt. Jedem Betroffenen
kann man nur raten: Legen Sie in einem solchen Fall
auf! Das ist der beste und wirksamste Schutz, den Sie
haben können.

Darüber hinaus haben wir in dem neuen Gesetzent-
wurf eine wirksame Bekämpfung unerlaubter und beläs-
tigender Werbeanrufe vorgesehen. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher bekommen wirksame Rechte. Was
lange währt, wird endlich gut. Die Kollegin Klöckner hat
zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass mit diesem
Gesetzentwurf die kollektive Vernunft gesiegt hat; auch
in der CDU, auch bei der FDP.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Nur bei der SPD nicht!)


Nur bei der Frage, wer es eigentlich erfunden hat,
habe ich das ein bisschen anders in Erinnerung.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich habe noch die Antwort aus dem Ministerium! Die Briefe habe ich heute noch!)


Ich kann mich daran erinnern, dass wir diejenigen wa-
ren, die sich viele Jahre sehr intensiv um dieses Thema
gekümmert haben. Aber in diesem Fall sollte der Aus-
spruch von Helmut Kohl gelten: Wichtig ist, was hinten
rauskommt.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da hat er mal wieder recht!)


Es wurde bereits mehrfach angesprochen: Der Kern
dieses Gesetzes ist ein umfassendes Widerrufsrecht.
Dieses Rechtsmittel ist den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern bekannt. Sie können es einsetzen. Es ist ein
wirksames Instrument, um zu verhindern, dass Verträge
am Telefon untergeschoben werden. Eine grundsätzliche
schriftliche Bestätigung würde nach unserer Einschät-
zung eher zu mehr als zu weniger Anrufen führen. Die
Unternehmen würden versuchen, diese schriftliche Be-
stätigung durch Anrufe von den Verbraucherinnen und
Verbrauchern einzufordern.

Auf eines möchte ich deutlich hinweisen: Wir werden
sehr genau analysieren, wie dieses Gesetz wirkt. Wir ge-
hen davon aus, dass es wirksam ist, aber wir werden das
nach drei Jahren genau analysieren. Dieses Gesetz sorgt
dafür, dass sich Anbieter und Nachfrager endlich auf
Augenhöhe begegnen.

Bei Verstößen sieht das Gesetz ein Bußgeld von bis
zu 50 000 Euro vor. Liebe Frau Kollegin Binder, eine
tatsächlich verhängte Geldbuße durch Gerichte kann im
Einzelfall aber deutlich höher sein als diese 50 000 Euro.
Insofern ist das ein Sanktionsinstrument, das den Unter-
nehmen im Zweifelsfall wirklich wehtut. Das ist kein
Punkt, der hier kritisch angemerkt werden sollte.

Dass Rufnummern nicht mehr unterdrückt werden
dürfen, haben wir gehört. Das ist der richtige Weg, damit
diejenigen, die angerufen werden, wissen, wer sie anruft.
So können sie sich im Zweifelsfalle sofort an diejenigen
wenden, die angerufen haben. Sie landen nicht erst bei
auftraggebenden Unternehmen, die nicht wissen, dass
angerufen worden ist. Ich glaube, wir haben eine sehr
gute, eine richtige Lösung gefunden.

Für den Fall eines telefonisch angebahnten Anbieter-
wechsels ist zukünftig die Textform mit Unterschrift für
die Kündigung des alten Vertrages notwendig. Damit
wird es diese Art des Unterschiebens von Verträgen in
Zukunft nicht mehr geben.

Durch das Widerrufsrecht erfassen wir im Übrigen
auch Abofallen im Internet. Das ist ein wichtiger Aspekt
des Missbrauchs, den wir aufgegriffen haben. Auch das
wird mit diesem Gesetzentwurf in Zukunft beseitigt.

Hiermit werden deutliche, einheitliche und nachvoll-
ziehbare Regelungen eingeführt, mit dem Ergebnis, dass
die Flut der unerwünschten und belästigenden Telefon-
anrufe in Zukunft drastisch reduziert sein wird. Dies ist
ein guter Tag für den Verbraucherschutz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621405200

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Hans-

Michael Goldmann.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1621405300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ja, es ist ein guter Tag für den Verbraucher-
schutz. Deswegen heißt unser Antrag völlig zu Recht:
„Verbraucherschutz beim Telefonmarketing verbessern“.

Die Rechtsausführungen, die hier gemacht worden
sind, sind hilfreich. Sie sind allerdings aus meiner Sicht






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
an einigen Stellen, geschätzter Kollege Montag, ein
Spiegelbild dessen, was wir im Verbraucherschutz ver-
hindern müssen. Wir müssen Botschaften haben, die der
Verbraucher versteht.


(Beifall bei der FDP)


Ob es sich hier um schriftliche Bestätigung, Sofortaner-
kennung oder Widerrufsrechte handelt, ist in der Sache
zu diskutieren, muss aber als Botschaft des Gesetzes bei
dem Verbraucher in Klarheit ankommen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das, was Sie dargestellt haben, Herr Montag, versteht
aus meiner Sicht nur ein Fachjurist, aber nicht der Ver-
braucher.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Das ist ein wichtiger Punkt. Dieser Gesetzentwurf wird
federführend im Rechtsausschuss beraten. In der Aus-
wirkung ist es aber für die Rechtsanwälte nicht so inte-
ressant, höchstens für ein Abstauben an der einen oder
anderen Stelle; es ist jedoch hochinteressant für diejeni-
gen, die davon betroffen sind.


(Beifall bei der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Deswegen ist der Widerruf auch schlecht!)


Deswegen muss man einen klugen Kompromiss finden,
Herr Kollege. Dieser kluge Kompromiss ist in diesem
Gesetzentwurf gefunden worden. Ich persönlich bin der
Meinung, dass die Widerrufsrechte bei den Verbrauchern
verankert sind. Aber ich finde es wichtig, dass man eine
gute Mischung zwischen der schriftlichen Bestätigung
und dem Recht auf Widerruf erreicht. Das ist in diesem
Gesetzentwurf nach meiner Auffassung gut gelöst.

Das ist auch keine neue Erkenntnis, liebe Kollegin
Klöckner, sondern das ist eine Vernunftsposition, die die
FDP in dieser Frage schon lange vertritt


(Beifall bei der FDP – Julia Klöckner [CDU/ CSU]: Oh!)


und die auch im Ausschuss von uns immer wieder ange-
sprochen worden ist.

Ich will aber noch einen anderen Bereich ansprechen,
der mir wichtig ist und den wir ebenfalls in unsere Über-
legungen einbeziehen. Wir dürfen bei den Verbraucher-
rechten keine nationalen Gesetze mehr machen, sondern
wir müssen dafür sorgen, dass die Gesetze auf europäi-
scher Ebene harmonisiert sind. Wir werden kommende
Woche wieder mit der Verbraucherkommissarin Gesprä-
che führen. Ich bin gegen eine Vollharmonisierung auf
niedrigem europäischem Niveau. Aber ich bin durchaus
dafür, dass wir die Bausteine, die bei uns gut geregelt
sind, auf europäischer Ebene retten. Wir haben lange um
Verbraucherrechte gekämpft. Es ist nötig, europäische
Rechte zu schaffen, die für die Verbraucher Schutzrechte
bedeuten; darauf sollten wir hinarbeiten.

Mit dem Gesetz, das heute auf den Weg gebracht
wird, gehen wir in die richtige Richtung. Wir müssen
uns allerdings auch darüber im Klaren sein, dass es ge-
rade in diesem Bereich keinen Sinn hat, ein nationales
Gesetz zu verabschieden, das der europäischen Gesetz-
gebung möglicherweise entgegensteht oder darüber hi-
nausgeht. Deswegen ist der nächste Zielpunkt unserer
Arbeit zum Schutz der Verbraucher, einen Einklang auf
europäischer Ebene herzustellen. Dieser Gesetzentwurf
ist eine gute Grundlage dafür. Deshalb stimmen wir
gerne zu.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Was man in drei Minuten so alles sagen kann!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621405400

Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Guter Mann!)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1621405500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Das ist heute die vierte Rede, die ich
im Deutschen Bundestag zum Thema unerlaubte Tele-
fonwerbung halten darf, und es ist die für mich schönste
Rede, weil wir heute endlich einen guten Gesetzentwurf
verabschieden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP] – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist die wichtigste Aussage!)


Wir haben länger als ein Jahr über das Thema gespro-
chen. Am Anfang war – Frau Klöckner hat es schon an-
gesprochen – in der Tat ein wenig Überzeugungsarbeit
zu leisten. Darum geht es aber heute nicht. Wir brauchen
uns auch keine Dinge aus der Vergangenheit vorhalten
zu lassen. Entscheidend ist, dass wir für die Zukunft et-
was Vernünftiges erreichen, dass – wenn ich das ein we-
nig kalauerhaft sagen darf – die Große Koalition und die
FDP gemeinsam mit heißen Herzen gegen kalte Anrufe
vorgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre schönste Rede!)


Ich glaube, das sollte das Signal der heutigen Debatte
sein.

Man muss in der Tat aufpassen: Man kann sicherlich
über Detailfragen – ich komme gleich darauf zu spre-
chen – diskutieren und an einigen Dingen herummäkeln.
Das ist Oppositionsarbeit, wie sie von den Grünen ver-
standen wird. Aber die Botschaft des heutigen Tages
muss klar sein: Es gibt für den Verbraucher substanzielle
Verbesserungen. Neben den Änderungen im Bundesge-
setzblatt ist der Umstand vielleicht wichtiger, dass wir
den Verbrauchern im Umgang mit diesen ungeheuerli-
chen Anrufen mehr Selbstvertrauen geben.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Die Bürger in diesem Lande brauchen – das hat Herr
Goldmann eben schon richtig gesagt – eine klare Bot-
schaft. Aus diesem Grunde möchte ich als vorletzter
Redner in dieser Debatte zusammenfassen, warum wir
gehandelt haben und wie wir handeln.

Die jetzige Praxis vieler unerlaubter Werbeanrufe
durch schwarze Schafe der Branche – das trifft sicherlich
nicht auf die gesamte Branche zu; es gibt auch viele
„weiße Schafe“ – ist ein Ärgernis für die Menschen in
Deutschland.


(Beifall des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel [SPD])


Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben die Forsa-
Umfrage erwähnt, die immer wieder zitiert wird. Fast
neun von zehn Deutschen fühlen sich durch Werbean-
rufe belästigt. Es handelt sich um ein Massenphänomen
und um kein Einzelphänomen. Es gibt sicherlich erhebli-
chere Eingriffe in die Privatsphäre der Menschen. Aber
es gibt wohl nur wenige, die in solch massenhafter
Weise und so ungeniert auftreten.

Es ist zugleich ein Ärgernis für den Rechtsstaat. Denn
dieses Verbot steht seit einigen Jahren im UWG, im Ge-
setz gegen den unlauteren Wettbewerb. Trotzdem wird
– in den letzten Jahren noch mit zunehmender Tendenz –
dieses Verbot ignoriert. Der Gesetzgeber kann daher
nicht untätig bleiben und muss den unseriösen Unterneh-
men der Branche die passende Antwort geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So viel zum Warum.

Wie gehen wir vor? Wir haben fünf zentrale Maßnah-
men ergriffen. Diese will ich – auch das gehört zu der
klaren Botschaft an die Verbraucher – im Folgenden er-
wähnen.

Zum Ersten muss eine ausdrückliche Einwilligung
vorliegen. Es reicht nicht mehr aus, dass ein Callcenter
meint, es liege schon eine Einwilligung vor oder man
könne aus einem bestimmten Verhalten auf eine Einwil-
ligung schließen. Dass eine ausdrückliche Einwilligung
gegeben sein muss, gibt deutlich mehr Rechtssicherheit.

Zum Zweiten verlangen wir, dass die anrufenden
Callcenter – um es bildlich zu sagen – ihr Visier hoch-
klappen, dass also die Rufnummer angezeigt wird. Das
hat mehrere Effekte. Zum einen kann man Verdacht
schöpfen, wenn keine Nummer angezeigt wird. Zum an-
deren kann man als Verbraucher, wenn eine Nummer an-
gezeigt wird, zurückverfolgen, wer eine Rechtsverlet-
zung begangen hat.

Wer einen Anruf mit anonymer Nummer angenom-
men hat, bei dem es sich nach ein paar Sekunden heraus-
stellt, dass es sich um einen Werbeanruf handelt, der
muss nicht erst in seinem Gedächtnis kramen, ob er eine
entsprechende Einwilligung gegeben hat, sodass der An-
ruf vielleicht doch legal ist. Denn wenn sich bei einem
Anruf mit anonymer Telefonnummer herausstellt, dass
es sich um den Anruf eines Werbenden handelt, sollte
man sofort auflegen. Das ist nicht unhöflich, sondern
eine ganz normale Verhaltensweise, die hoffentlich in
ganz Deutschland Schule machen wird.


(Rainer Brüderle [FDP]: Macht es jetzt schon! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Und ein Bußgeld!)


– Genau: Und die Nichtanzeige wird zusätzlich noch mit
einem Bußgeld belegt.

Zum Dritten haben wir in den Gesetzentwurf hinein-
geschrieben, dass ein Bußgeld in Höhe von 50 000 Euro
für den Fall, dass die Regeln verletzt werden, verhängt
werden kann. Das ist ein durchaus stattlicher Betrag. Ich
betone: Dieser Betrag kann auch mehrfach aufgrund
mehrerer Einzelfälle von einem Unternehmen gefordert
werden. Wenn sich ein Unternehmen beharrlich und auf
lange Sicht diesen Rechtsregeln verweigert, kann dieser
Betrag deutlich größer sein als 50 000 Euro und im
sechs- bis siebenstelligen Bereich liegen.

Zum Vierten haben wir – Frau Zypries hat es erwähnt –
für die Bereiche dauerhafter Lieferungen – dazu zählen
etwa Telefonverträge und Stromverträge – eine beson-
dere Regelung vorgesehen, weil hier eine besondere
Konstellation vorliegt. In diesen Fällen soll nämlich von
einem Anbieter zum anderen gewechselt werden. Darin
liegen zwei Gefahren. Die erste Gefahr ist, dass ich den
Wechsel gar nicht bemerke, weil ich zum Beispiel beim
Strom nicht erkennen kann, ob er vom alten Anbieter
stammt oder von dem, der mir einen Vertrag unterge-
schoben hat. Das Gleiche gilt auch für andere Bereiche
wie dem Telefonbereich. Hier muss eine klare Warn-
funktion gegeben sein. Die zweite Gefahr ist, dass dieje-
nigen, die aufgrund der Rechnung den Wechsel bemer-
ken und sich vielleicht erfolgreich dagegen wehren,
zwar aus dem untergeschobenen Vertrag herauskommen,
aber am Ende ohne Telefon- und Stromanbieter daste-
hen, weil der alte Vertrag nicht mehr gilt. Das wäre dann,
wie ich schon einmal gesagt habe, vielleicht ein ganz
wirksamer Schutz gegen unerlaubte Telefonanrufe, aber
nicht der, den wir wollen. Wir wollen, dass die Leute te-
lefonieren können, aber mit den Gesprächspartnern, die
sie anrufen möchten oder von denen sie angerufen wer-
den wollen. Deswegen ist eine Bestätigungsregelung
vorgesehen. Sie ist eine spezielle Lösung für ein speziel-
les Problem, also passgenau.

Zum Fünften gehen wir mit diesem Gesetzentwurf
ganz effektiv gegen Abofallen im Internet, aber auch im
Telefonbereich vor. Da werden bisher Lücken im Wider-
rufsrecht ausgenutzt. Wir wollen das Widerrufsrecht
stärken. Wir wollen, dass man nachher nicht durch ein
Lockangebot zwölf Monate oder noch länger kosten-
pflichtig gebunden wird.

Diese fünf Maßnahmen sind effektiv; sie sind klar
und wirksam. Natürlich kann man sich zu fast jeder die-
ser Maßnahme Varianten bzw. Alternativen vorstellen.
Aber im Einzelnen ist während der Beratungen und auch
während unserer Berichterstattergespräche deutlich ge-
worden: Bei all diesen Alternativen und Varianten, die
zum Teil der Bundesrat ins Gespräch gebracht hat, über-
wiegen die Nachteile deutlich den Nutzen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Ich will drei Punkte herausgreifen. Ein Vorschlag war
zum Ersten, nicht die Rufnummeranzeige des Callcen-
ters, sondern die des Auftraggebers, der dahintersteht,
vorzusehen. Man kann sich schon jetzt ausmalen, wie
der arme Verbraucher zwischen Unternehmer, Auftrag-
geber und Callcenter hin und her verwiesen wird


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Richtig!)


und dann immer noch nicht weiß, wer sein echter An-
sprechpartner ist. Das haben wir aus diesem Grunde zu
Recht nicht vorgesehen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen wir auch nicht!)


Man hätte natürlich zum Zweiten ein höheres Buß-
geld verhängen können. Der Bundesrat hat von
250 000 Euro gesprochen. Wenn wir ein Bußgeld von
250 000 Euro vorgesehen hätten, hätte eine Oppositions-
fraktion dieses Hauses bestimmt 500 000 oder 1 Million
Euro gefordert. Über andere Beträge kann man zwar
nachdenken; aber man muss immer in der Systematik
unserer Rechtsordnung – diese ist durch politische Ent-
scheidungen zustande gekommen – bleiben. Zum Bei-
spiel werden in § 119 des Ordnungswidrigkeitengesetzes
grob anstößige und belästigende Handlungen als Ord-
nungswidrigkeit geahndet. Da ist ein Bußgeld von maxi-
mal 10 000 Euro vorgesehen. Es passt also einfach nicht
in das System, Beträge zu wählen, die deutlich über die
jetzige Systematik hinausgehen. 50 000 Euro sind fühl-
bar; dies ist ein stattlicher Betrag, der zudem mehrfach
anfallen kann.

Zum Dritten kann man natürlich darüber diskutieren,
ob wir nicht unser ganzes BGB-System ändern und sa-
gen wollen: Im Prinzip, zumindest in besonderen Kon-
stellationen, darf es nur noch schriftliche Verträge bzw.
Verträge geben, die schriftlich bestätigt werden. Ich halte
das für deutlich übertrieben. Wir würden Gefahr laufen,
im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Regeln
über die Aufstellung von Verträgen festlegen zu müssen.
Das hieße, dass wir das, was wir erreicht haben, also die
gesamten Regeln über den Vertragsschluss in das BGB
zurückzuholen – das war ein mühsamer Prozess –, wie-
der aufgeben und die Rechtsordnung fragmentieren wür-
den. Wir würden die Unsicherheit, ob ein Anruf erlaubt
oder unerlaubt war, in alle möglichen Zivilprozesse über
die Gültigkeit des Vertrages verlagern. Viele Anwälte
hätten dann wahrscheinlich einen Textbaustein für ein
solches Argument in der gerichtlichen Auseinanderset-
zung. Wir würden – diesen Satz darf ich aufgreifen – den
Verbrauchern Steine statt Brot geben; das ist meine feste
Überzeugung.

Diese drei Punkte sind also keine gelungenen Bei-
spiele für wirkliche Alternativen oder Varianten.

Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, so
glaube ich, den richtigen Weg eingeschlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir schaffen wichtige und wirksame Verbesserungen,
die passgenau – ich habe es in einigen Beispielen ausge-
führt – auf das Problem zugeschnitten sind. Es wird
nicht übertrieben reagiert, sondern sehr angemessen und
wirksam.

Wir werden auch – das ist für diejenigen sehr wichtig,
die Skepsis an den Tag legen – eine Evaluierung vor-
nehmen. Wir werden überprüfen, wie sich das Gesetz
auswirkt. Ich sage ja immer: Die Sprache, die wir im
Bundestag pflegen, ist oft etwas schief. Wir sollten Ge-
setzentwürfe nicht sozusagen auf Nimmerwiedersehen
verabschieden, sondern müssen sie im Auge behalten,
auch nachdem wir sie im Deutschen Bundestag be-
schlossen haben.

Wir werden das tun. Wir haben uns aber – ich habe es
gesagt – gegen unpraktikable Maximalforderungen ge-
wehrt. Wir wollen uns nicht für solche Maximalforde-
rungen auf die Schulter klopfen, sondern denjenigen, die
eine Rechtsverletzung begehen, auf die Finger klopfen.
Heute ist ein guter und schöner Tag; denn wir haben jetzt
ein Jahr über dieses Thema geredet und können heute
handeln, indem wir diesen Gesetzentwurf beschließen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621405600

Das Wort hat der Kollege Dirk Manzewski für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1621405700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

zahlreiche Freunde der Rechts- und Verbraucherpolitik!

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Rainer Brüderle [FDP]: Wirklich etwas Neues! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Freundinnen aber auch!)


Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Te-
lefonwerbung überhaupt verboten ist. Frau Klöckner,
seien Sie mir nicht böse, aber ich muss es sagen, weil Sie
mich gerade gereizt haben:


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ehrlich?)

Dass das so ist, ist Rot-Grün zu verdanken – damals ge-
gen den erheblichen Widerstand der Union.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damals fielen Worte wie: Die können doch einfach auf-
legen. – Ein Kollege sprach von Regierungsterror, und
eine mir ansonsten sehr sympathische Kollegin sprach
von einer Bevormundung der Bürger.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Es kam ja nichts!)


Wir müssen uns allerdings eingestehen – deswegen ist
es richtig, dass wir uns an dieses Thema noch einmal
herangewagt haben –, dass die bestehenden Sanktions-
möglichkeiten wie der Unterlassungsanspruch, der
Gewinnabschöpfungsanspruch oder auch der Schadens-
ersatzanspruch offenbar nicht ausreichen, die belästigen-
den Telefonanrufe in den Griff zu bekommen; denn sie






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
haben mittlerweile ein nicht mehr hinzunehmendes Aus-
maß angenommen.

Hier setzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung an,
indem er eben das bestehende Sanktionsrecht weiter
verschärft. Wichtig ist, dass jeder einzelne Verstoß ge-
gen das bestehende Verbot der unerlaubten Telefonwer-
bung künftig mit einer selbstständigen Geldbuße geahn-
det wird. Eine solche Geldbuße gab es bislang nicht. Bei
Werbeanrufen darf die Rufnummer nicht mehr unter-
drückt werden, um die Identität zu verschleiern. Ein Pro-
blem in der Vergangenheit war, dass trotz bestehenden
Verbotes der Anrufer nicht festgestellt und deshalb nicht
sanktioniert werden konnte. Diese Rufnummernunter-
drückung wird nunmehr verboten und künftig ebenfalls
mit einer Geldbuße sanktioniert.

Gut finde ich übrigens, dass wir den ursprünglichen
Gesetzentwurf insoweit geändert haben, als nun definitiv
allein die Telefonnummer des Anrufers und nicht al-
ternativ die von dessen vermeintlichen Auftraggeber im
Display zu erscheinen hat. Den Betroffenen ist es mei-
ner Auffassung nach nicht zuzumuten, mit dem ver-
meintlichen Auftraggeber nun den Streit darüber auszu-
tragen, ob denn nun tatsächlich eine entsprechende
Beauftragung eines Callcenters vorlag oder nicht. Ich
möchte die Callcenter auch nicht aus der Verantwortung
entlassen, dies mit ihrem Auftraggeber vorab abzuklä-
ren; denn es sind letztendlich die Callcenter, die diese
belästigenden Anrufe tätigen.

Ehrlicherweise muss ich eingestehen, dass diese Re-
geln natürlich Umgehungspotenzial beinhalten; das ist
auch von Ihnen, Frau Kollegin, gesagt worden. Rufnum-
mern können, insbesondere wenn die Anrufe über den
Computer erfolgen, manipuliert werden. Selbst die Iden-
titätsfeststellung hilft nicht weiter, wenn die Anrufe aus
dem Ausland erfolgen. Aber – auch das ist zu Recht ge-
sagt worden – nicht alle Anrufe sind unseriös. Zumin-
dest gegenüber dem seriösen Teil der Branche werden
diese neuen Regularien weiterhelfen.

Durch das Gesetz werden auch die Widerrufsmög-
lichkeiten ausgeweitet. Anders als bislang können künf-
tig nämlich auch Verträge über die sogenannten Ge-
schäfte des täglichen Lebens, also über die Lieferung
von Zeitungen, Zeitschriften, Illustrierten, aber auch
über den Verkauf von Lotterie- und Wettdienstleistun-
gen, widerrufen werden. Bislang gab es hier kein Wider-
rufsrecht. Wir schließen damit eine große Lücke und
werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit
weiterhelfen.

Wir werden auch den Schutz vor untergeschobenen
Verträgen verbessern. In der Vergangenheit ist es sehr
häufig vorgekommen, dass Verbraucher erst durch zuge-
sandte vermeintliche Auftragsbestätigungen darauf auf-
merksam wurden, dass ihre telefonische Einwilligung
zur Zusendung von Informationsmaterial von der ande-
ren Seite ganz frech als Vertragsannahme, zum Beispiel
zum Wechsel ihres Telefonanbieters, ausgelegt worden
ist und die Widerrufsmöglichkeiten, die sie hatten, durch
die unbemerkte Nutzung des neuen Netzes bereits entfal-
len waren. Wir werden eine Änderung dadurch errei-
chen, dass das Widerrufsrecht zukünftig eben nicht mehr
durch die erstmalige Inanspruchnahme einer Dienstleis-
tung erlischt und – das halte ich für noch wichtiger – die
Kündigung eines solchen Dauerschuldverhältnisses bzw.
die Vollmacht hierzu nunmehr zwingend der Schriftform
bedarf.

Erlauben Sie mir, an dieser Stelle noch einmal zu er-
wähnen, dass ich mir persönlich trotz aller Verbesserun-
gen durch diesen Gesetzentwurf durchaus noch mehr
hätte vorstellen können. Ich habe in den vorangegange-
nen Debatten schon deutlich gemacht, dass auch ich
Sympathien für die große Bestätigungslösung habe, die
auch vom Bundesrat und einigen Vorrednern hier heute
vorgetragen worden ist. Der Charme dieser großen Be-
stätigungslösung wäre gewesen, dass der Anreiz, diese
unerlaubten Telefonanrufe zu tätigen, ohne einen Ver-
tragsschluss am Ende verloren gehen würde. Die beste
Möglichkeit, diese Telefonanrufe zu verhindern, wäre
also ein schriftliches Bestätigungserfordernis gewesen.

Die Ministerin hat aber mit ihren Bedenken nicht un-
recht; denn so unproblematisch wäre diese Lösung na-
türlich auch nicht gewesen; das muss man ganz deutlich
sagen. Die große Bestätigungslösung – ich habe mich
gewundert, dass diese Lösung von den Befürwortern
ohne Wenn und Aber so einfach vorgetragen wurde –
hätte mit Sicherheit Rechtsunsicherheit zur Folge ge-
habt; da hat die Ministerin völlig recht. Sie hätte am An-
fang mehr Bürokratie geschaffen. Es wäre auch nicht
auszuschließen gewesen, dass wir hierdurch erheblich in
den Bereich des Fernabsatzes eingreifen und möglicher-
weise Hindernisse aufbauen würden, die weder dem In-
teresse der Wirtschaft noch dem der Verbraucher gerecht
werden.

Insoweit halte ich es für vertretbar, dass wir zunächst
den weniger einschneidenden Weg gehen und die Wir-
kung des Gesetzes nach drei Jahren evaluieren, um fest-
zustellen, ob die im Gesetz enthaltenen Möglichkeiten
ausreichend sind, um Verbraucherinnen und Verbraucher
tatsächlich und wirksam vor unerlaubter Telefonwer-
bung zu schützen. Danach können wir entscheiden, ob
wir doch den einschneidenderen Weg der Bestätigung
gehen.

Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Der
vorliegende Gesetzentwurf stellt im Vergleich zur der-
zeitigen Rechtslage eindeutig – ich betone das – eine
Verbesserung für die Verbraucherinnen und Verbraucher
in unserem Land dar. Ich nenne noch einmal die Stär-
kung des Sanktionsrechts, die Ausweiterung des Wider-
rufsrechts und den verbesserten Schutz vor untergescho-
benen Verträgen. Ich kann zwar nachvollziehen, dass
sich der eine oder andere mehr gewünscht hat und sich
deswegen der Stimme enthält. Wie man angesichts die-
ser Verbesserungen den Gesetzentwurf, der eindeutig
Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher mit sich bringt, aber ablehnen kann, kann ich beim
besten Willen nicht nachvollziehen, Kollege Montag.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da zeigt sich, wer Verantwortung hat!)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621405800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämp-
fung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung
des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsfor-
men. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12406,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/10734 in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/12426?
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/12455. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 4 b: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Verbraucherschutz beim Telefonmarke-
ting verbessern – Call-Center erhalten“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/12406, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8544 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechtsaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Verbot von Telefonwerbung zum Schutz
der Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam durchset-
zen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/6059, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4156 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 j sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf:

36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 6. November 2008 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik Österreich zur Vermeidung der Dop-
pelbesteuerung auf dem Gebiete der Erb-
schaftsteuern bei Erbfällen, in denen der
Erblasser nach dem 31. Dezember 2007 und
vor dem 1. August 2008 verstorben ist

– Drucksache 16/12236 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-
rung des elektronischen Rechtsverkehrs und
der elektronischen Akte im Grundbuchverfah-
ren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-,
register- und kostenrechtlicher Vorschriften

(ERVGBG)


– Drucksache 16/12319 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des
Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwen-
dung des Grundsatzes der gegenseitigen Aner-

(Umsetzungsgesetz Rahmenbeschluss Einziehung)


– Drucksache 16/12320 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes über die Entschädigung für
Strafverfolgungsmaßnahmen

– Drucksache 16/12321 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes

– Drucksache 16/12427 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfol-
gung der Vorbereitung von schweren staats-
gefährdenden Gewalttaten

– Drucksache 16/12428 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Mücke, Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick
Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Konjunktur jetzt stärken – Überlange Pla-
nungszeiten verhindern

– Drucksache 16/11750 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Monika
Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Flüchtlinge entsprechend den Vorgaben der
Qualifikationsrichtlinie schützen

– Drucksache 16/12323 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-
Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gleiche Bezahlung, gleiche Behandlung und
Mindestlohn für Leiharbeitnehmerinnen und
-arbeitnehmer

– Drucksache 16/12435 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

j) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Umweltgutachten 2008 des Sachverständigen-
rates für Umweltfragen
Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels

– Drucksache 16/9990 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Für ein kohärentes und effizientes Konzept
der deutschen humanitären Hilfe
– Drucksache 16/7523 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Hans-Michael Goldmann, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Transparente und eindeutige Produktkenn-
zeichnung als Voraussetzung für ökologische
Konsumentenverantwortung
– Drucksache 16/11911 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Wolfgang Wieland, Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Visumsfreie Einreise türkischer Staatsangehö-
riger für Kurzaufenthalte ermöglichen
– Drucksache 16/12437 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Fraktionen FDP, DIE
LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
– Drucksache 16/12480 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen. Dies betrifft die Tagesordnungspunkte 36 a bis
36 j sowie die Zusatzpunkte 3 a, 3 c und 3 d. Interfrak-
tionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist. Es geht um den Zusatz-
punkt 3 b. Interfraktionell wird die Überweisung des
Antrags der Fraktion der FDP betreffend die „Transpa-
rente und eindeutige Produktkennzeichnung als Voraus-
setzung für ökologische Konsumentenverantwortung“,






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Drucksache 16/11911, an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen von
CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion
der FDP wünscht die Federführung beim Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion der FDP abstimmen, also über die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Überweisungsvorschlag ist abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, also
über die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stim-
men der übrigen Fraktionen angenommen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 37 a
bis 37 i sowie den Zusatzpunkten 4 a bis 4 j. Es handelt
sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 37 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung des notariellen Disziplinar-
rechts
– Drucksache 16/12062 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/12460 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/12460, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12062 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Internationalen Familien-
rechtsverfahrensgesetzes
– Drucksache 16/12063 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/12461 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/12461, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12063 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 8. Oktober 2008 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Indien über Sozialversicherung

– Drucksache 16/12065 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/12352 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12352,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/12065 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkom-
men vom 19. Oktober 1996 über die Zustän-
digkeit, das anzuwendende Recht, die Aner-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
kennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit
auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung
und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern

– Drucksache 16/12068 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/12462 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/12462, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12068 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Vorschriften des Interna-
tionalen Privatrechts an die Verordnung (EG)

Nr. 593/2008
– Drucksache 16/12104 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/12463 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Daniela Raab
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/12463, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12104 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gefahrgutbeförde-
rungsgesetzes
– Drucksache 16/12118 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)

– Drucksache 16/12451 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Anton Hofreiter

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/12451, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/12118 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung der Freihäfen Emden und Kiel
– Drucksache 16/12228 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 16/12454 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/12454, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12228 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 h:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom
26. März 1999 zur Haager Konvention vom
14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei
bewaffneten Konflikten
– Drucksache 16/12234 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 16/12452 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Monika Griefahn
Harald Leibrecht
Wolfgang Gehrcke
Dr. Uschi Eid

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/12452, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12234
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 i:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Stabilisierungs- und
Assoziierungsabkommen zwischen den Euro-
päischen Gemeinschaften und ihren Mitglied-
staaten einerseits und Bosnien und Herzego-
wina andererseits
– Drucksache 16/12235 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 16/12453 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Uta Zapf
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck (Bremen)


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/12453, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/12235 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Wir kommen damit zu den Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.

Zusatzpunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 543 zu Petitionen
– Drucksache 16/12438 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 543 ist damit ange-
nommen.

Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 544 zu Petitionen
– Drucksache 16/12439 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 544 ist damit einstim-
mig angenommen.

Zusatzpunkt 4 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 545 zu Petitionen
– Drucksache 16/12440 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 545 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.

Zusatzpunkt 4 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 546 zu Petitionen
– Drucksache 16/12441 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 546 ist einstimmig an-
genommen.

Zusatzpunkt 4 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 547 zu Petitionen
– Drucksache 16/12442 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 547 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Zusatzpunkt 4 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 548 zu Petitionen
– Drucksache 16/12443 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 548 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.

Zusatzpunkt 4 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 549 zu Petitionen
– Drucksache 16/12444 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 549 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der
anderen Fraktionen angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Zusatzpunkt 4 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 550 zu Petitionen
– Drucksache 16/12445 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 550 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Zusatzpunkt 4 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 551 zu Petitionen
– Drucksache 16/12446 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 551 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 4 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 552 zu Petitionen
– Drucksache 16/12447 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 552 ist angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:

Wahlen zu Gremien
a) Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der

unselbständigen Stiftung „Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“
Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD

– Drucksache 16/12417 –

b) Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der
Stiftung „Deutsches Historisches Museum“
– Wahlvorschläge der Fraktionen DIE LINKE

und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

– Drucksache 16/12419 –

– Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP

– Drucksache 16/12418 –

Zusatzpunkt 5 a. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
16/12417 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahl-
vorschlag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Zusatzpunkt 5 b. Hierzu liegen ein gemeinsamer
Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und
FDP sowie ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktio-
nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Wir
stimmen zuerst über den Wahlvorschlag der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/12419 ab. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahl-
vorschlag ist abgelehnt.

Wir stimmen nun über den Wahlvorschlag der Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache
16/12418 ab. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahl-
vorschlag ist angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD

Bekämpfung der Kinderpornografie im Inter-
net

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Bosbach für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1621405900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt im Deutschen Bundestag eine Fülle von strittigen
Themen. Das ist nicht weiter schlimm; das gehört zum
Wesen einer lebendigen Demokratie. Es muss aber auch
politische Themen geben, bei denen fraktions- und par-
teiübergreifend Einigkeit besteht. Für die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion sage ich – als Vertreter ohne Vertre-
tungsmacht sage ich das auch für alle anderen Fraktio-
nen –: Wir wollen Kindesmissbrauch und Kinderporno-
grafie entschlossen bekämpfen, wo immer wir das
können – nicht nur, aber auch im Internet.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Kinderpornografie ist ein abscheuliches Geschäft, mit
dem man Millionen verdienen kann, und zwar mit dem
Leid von Jugendlichen und Kindern, ja sogar von
Kleinstkindern; ein Drittel aller Opfer ist unter drei Jahre
alt.

Wir freuen uns, dass wir eine Ministerin haben, die
dieses Problem nicht nur wortreich beschreibt und be-
klagt, die nicht nach der Methode „Ich habe für jede Lö-
sung ein Problem“ arbeitet, sondern für jedes Problem
eine Lösung sucht. Frau Ministerin von der Leyen, wir
sind Ihnen für Ihre Initiative von Herzen dankbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Entwicklung ist besorgniserregend; Besitz und
Verbreitung von Kinderpornografie spiegeln sich in der
Polizeilichen Kriminalstatistik wie folgt wider: 1995 gab
es 414 Fälle mit 1 350 Tatverdächtigen; 2006 gab es






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Bosbach
7 300 Fälle mit 5 700 Verdächtigen; 2007 gab es
11 350 Fälle mit knapp 10 000 Tatverdächtigen.

Das Internet ist nicht nur eine fantastische technische
Errungenschaft und Einrichtung. Es wird leider immer
häufiger auch als Werkzeug zur Begehung von Straftaten
benutzt. Bei der Kinderpornografie im Internet gab es
von 2006 auf 2007 einen Aufwuchs von 111 Prozent.
Wir schätzen, dass es von 2006 auf 2007 im Internet
50 000 bis 60 000 Seiten mit kinder- und jugendporno-
grafischem Inhalt gab. Manche Videos werden bis zu
50 000-mal pro Monat angeklickt. Das zeigt die gewal-
tige Dimension des Problems.

Es soll keiner sagen, er habe diese Bilder ja nur ange-
klickt und der Kindesmissbrauch sei ja schon vorher ge-
schehen; denn sonst gäbe es diese Präsentation im Inter-
net nicht. Diese Argumentation ist pervers; denn jeder,
der ein solches Bild anklickt bzw. eine solche Präsenta-
tion herunterlädt, stiftet andere an, erneut Kinder für die-
sen Zweck zu missbrauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] und der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt Länder, die mit dem Sperren solcher Seiten im
Internet bereits Erfahrungen gesammelt haben. Teilweise
geschah dies auf vertraglicher Basis, teilweise auf ge-
setzlicher Basis. Betrachten wir die Erfahrungen des
Landes Norwegen und rechnen wir die Zahlen Norwe-
gens auf die Verhältnisse in Deutschland um: Durch die
Sperrung dieser Seiten könnten wir zwischen 300 000
und 400 000 Aufrufe pro Tag verhindern.

Wir wollen ein zweistufiges Verfahren, und zwar zu-
nächst und sofort eine vertragliche Vereinbarung mit den
Providern. Es ist bedauerlich, dass sich die Bundes-
ministerin der Justiz nicht in der Lage sieht, ein solches
vertragliches Verfahren mitzutragen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht auch gar nicht!)


Das ist aber nicht weiter dramatisch; denn wir wollen ja
auch ein Gesetzgebungsverfahren in Gang setzen. Die
Gesetzgebungszuständigkeit liegt hier beim Bundesmi-
nister für Wirtschaft. Dort ist sie in guten Händen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Gradistanac [SPD]: Das bezweifle ich! Wo ist er denn? – Caren Marks [SPD]: Er ist leider nicht anwesend! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Behandlung der Justizministerin?)


Wer jetzt sagt, dass die Sperrung kinderpornografi-
scher Seiten an die Bemühungen der chinesischen Re-
gierung erinnert, Zensur auszuüben, der hat nichts be-
griffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])


In China geht es darum, regierungskritische Äußerungen
zu verbieten, sodass sich das Ausland nicht über die Ver-
hältnisse in diesem Land informieren kann. Das ist etwas
völlig anderes als die Sperrung kinderpornografischer
Seiten, die ohnehin verboten sind. Hier geht es nur da-
rum, dass wir mittels Technik verhindern, dass Straftaten
begangen werden können – nicht mehr und nicht weni-
ger. Es ist ja nicht so, als sei das alles straflos. Das war
schon immer strafbar.

Wir können diesen Markt wahrscheinlich auch nicht
austrocknen. Mit ihrer Aussage in der heutigen Ausgabe,
die Maßnahmen seien nur begrenzt wirksam, hat die
Süddeutsche Zeitung recht. Aber das ist doch ein völlig
schräges Argument gegen die Initiative. Mir ist eine
Maßnahme, mit der eine begrenzte Wirkung erzielt wird,
lieber als ein Unterlassen, das eine unbegrenzte Wir-
kungslosigkeit zur Folge hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Gradistanac [SPD]: Das ist nicht die Alternative!)


Es geht nicht nur, aber zunächst darum, dass wir mit
den Providern Verträge abschließen. Das soll in den
nächsten Tagen geschehen. Deswegen sollte man noch
einmal die benennen, die bereit sind, eine solche Unter-
zeichnung zu leisten: Bis zur Stunde sind das Telekom,
Vodafone/Arcor, Telefónica und O2. Daneben gibt es
noch zwei Provider, die auf dem Wege sind und sich ein
bisschen beeilen sollten: Das sind Kabel Deutschland
und Hansenet/Alice.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine Vertragspartner!)


Die FDP hat gestern beklagt, dass Ministerin von der
Leyen Provider benannt hat, die nicht bereit sind, auf
freiwilliger Basis mit dem Bundeskriminalamt zu koope-
rieren.


(Zurufe von der FDP)


Die FDP hat gesagt: Die Nennung ist problematisch;
denn das könnte die Provider ja in Verlegenheit bringen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Soll sie ja auch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621406000

Herr Kollege Bosbach.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1621406100

Ich bin gleich fertig.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621406200

Ja, bitte.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1621406300

Für diese Argumentation habe ich sogar Verständnis.

Deswegen tue ich das hier noch einmal.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621406400

Nein, Herr Kollege Bosbach.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1621406500

Bis zur Stunde sind United Internet/1&1, Freenet AG

und Versatel nicht dazu bereit. Wir sollten sie dringend






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Bosbach
darum bitten, sich einer Vereinbarung nicht zu verschlie-
ßen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621406600

Das Wort hat der Kollege Christoph Waitz von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Christoph Waitz (FDP):
Rede ID: ID1621406700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Man merkt schon, welcher Pfeffer in dieser
Diskussion ist.

Ich habe gestern an der Fragestunde teilgenommen
und die Präsentation von Frau von der Leyen gehört. Ich
muss Ihnen ehrlich sagen: Ich empfinde es schlichtweg
als einen extrem schlechten Politikstil, wenn man ver-
sucht, Sachverhalte, die man hier im Parlament nicht
nachvollziehen kann, weil man an den entsprechenden
Verhandlungen nicht teilgenommen hat, in dieser Art
und Weise öffentlich zu machen und bestimmte Unter-
nehmen, deren Position und Argumente man schlicht-
weg nicht kennt, in dieser Art und Weise an den Pranger
zu stellen. Das verstehe ich nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist sogar ihre Verpflichtung!)


Mir läuft die Zeit davon. Ich hoffe, ich bekomme das
in den Griff.

Es ist schwer, in Worte zu fassen, was Kindern welt-
weit angetan wird, um kinderpornografische Inhalte zu
produzieren. Frau von der Leyen macht das immer sehr
plastisch deutlich, und sie hat recht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum sich Men-
schen diese Bilder und Inhalte ansehen. Klar ist aber,
dass wir nicht tatenlos zusehen können.

Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt den Kampf
gegen Kinderpornografie voll und ganz. Wir können
nicht hinnehmen, dass Jungen und Mädchen weltweit in
dieser Form Schaden zugefügt wird.


(Beifall bei der FDP)


Unser Rechtsstaat hat eine besondere Schutzverpflich-
tung gerade gegenüber Kindern und Jugendlichen. Die-
ser Verpflichtung müssen und werden wir nachkommen.

Trotz aller Freiheiten, die das Internet den Menschen
täglich weltweit bietet, ist das Internet kein rechtsfreier
Raum. Die steigende Anzahl kinderpornografischer In-
halte im Internet macht deutlich, dass wir dringend et-
was unternehmen müssen, um diese Inhalte einzudäm-
men.

Natürlich geben wir uns nicht der Illusion hin, dass
Kinderpornografie im Internet völlig zu verhindern
wäre. Die technischen Voraussetzungen dafür sind
schlicht und ergreifend nicht gegeben. Wer nach diesen
Inhalten sucht, der wird sie unter Umgehung der jetzt
vorgesehenen Sperren auch weiterhin finden. Professor
Sieber vom Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht macht in seinem Gutachten zu
Sperrverfügungen im Internet nicht nur deutlich, dass
diese Sperren auch an DNS-Servern einen Eingriff in
Art. 10 Grundgesetz, also sozusagen in die Kommunika-
tionsfreiheit, darstellen, sondern er beschreibt in ihm
auch, wie leicht diese Sperren umgangen werden kön-
nen. Dazu genügt unter Umständen schon der Einsatz ei-
ner internationalen Suchmaschine. Die detaillierte Be-
schreibung, wie man DNS-Sperren umgehen kann,
findet sich schon seit vielen Jahren auf der Internetseite
des Chaos Computer Clubs.

Trotzdem muss der Staat tun, was in seiner Macht
steht, um Kinderpornografie zurückzudrängen. Nicht
mehr und nicht weniger erwarten wir von unserem
Rechtsstaat.


(Beifall bei der FDP)


Wie die Analyse internationaler Filterlisten ergeben
hat, befinden sich die Server, auf denen kinderpornogra-
fische Inhalte abgelegt sind, zumeist im Ausland. Betrof-
fen sind insbesondere – das habe ich schon gestern in der
Fragestunde erwähnt – Nordamerika, Australien und
Westeuropa. In diesen Staaten und Regionen steht Kin-
derpornografie unter Strafe. Eine Schutzlücke ist aus
strafrechtlicher Sicht weder in Deutschland noch in den
anderen erwähnten Staaten vorhanden. Aus Sicht der
FDP-Fraktion ist es entscheidend, durch die Verbesse-
rung der internationalen Strafverfolgung und eine ver-
besserte Kooperation der Strafverfolgungsbehörden da-
für zu sorgen, dass kinderpornografische Inhalte
möglichst weitgehend aus dem Internet verschwinden.
Es geht also nicht nur darum, sie zu sperren, sondern
man sollte sie schlichtweg verschwinden lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Wahl des amerikanischen Präsidenten begründet
meines Erachtens die berechtigte Hoffnung, jetzt bei der
internationalen Harmonisierung des Internetstrafrechts
ein weiteres Stück voranzukommen.

Den Strafverfolgungsbehörden stellen sich im In- und
Ausland die gleichen Herausforderungen. Wenn ich die
Stellungnahme des Bundes Deutscher Kriminalbeamter
richtig verstanden habe, dann brauchen wir in Deutsch-
land zur Bewältigung dieser Aufgaben mehr und besser
qualifizierte Ermittler. Darüber hinaus ist der internatio-
nale Druck auf diejenigen Staaten notwendig, die Kin-
derpornografie nach wie vor unzureichend und schlep-
pend verfolgen.

Wir können es nicht bei mehr oder weniger symboli-
schen Sperrermächtigungen oder Sperrverfügungen be-
lassen. Wir müssen das eigentliche Problem angehen.
Das sind meines Erachtens die Produzenten und Ver-
markter kinderpornografischer Inhalte. An dieser Stelle
muss der Verfolgungsdruck weiter erhöht werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Christoph Waitz
Liebe Kolleginnen und Kollegen, je größer ein Ein-
griff in die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger ist,
desto stärker gilt die Verpflichtung, diesen Eingriff ge-
setzlich zu regeln. Dabei gilt immer der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Sosehr ich die Bereitschaft vieler
Internetprovider begrüße – Herr Bosbach hat die Namen
im Einzelnen genannt –, auf der Basis einer vertragli-
chen Regelung DNS-Sperren für Internetseiten mit kin-
derpornografischen Inhalten umzusetzen, der Vertrag
zwischen dem Bundeskriminalamt und den Providern
bedarf unserer Meinung nach einer spezialgesetzlichen
Regelung zur Unterfütterung. Maßnahmen auf der Basis
des im Bundeskabinett beschlossenen Eckpunktepapiers
halten wir für nicht ausreichend rechtlich abgesichert. So
habe ich auch unsere Justizministerin Zypries verstan-
den. Die beträchtlichen technischen, einfachgesetzlichen
und verfassungsrechtlichen Fragen verbieten einen mit
einem Eckpunktepapier versehenen Schnellschuss.

Da die technische Umsetzung möglicher DNS-Sper-
ren mindestens mehrere Monate in Anspruch nimmt,
sollten wir die Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode
gemeinsam dazu nutzen, die nötigen gesetzlichen
Grundlagen zu schaffen. Eine gesetzliche Regelung darf
aber nicht zum Einfallstor für die Durchregulierung des
Internets werden. Fragen des Urheberrechts oder der all-
gemeinen Haftung von Internetprovidern dürfen nicht
mit der Sperrung von kinderpornografischen Seiten ver-
quickt werden. Eine Regelung der DNS-Sperrermächti-
gung im Telemediengesetz, wie Sie es vorhaben, wäre
das Trojanische Pferd,


(Renate Gradistanac [SPD]: Sehr gut!)


über das alle weiteren Themen um mögliche Lizenz- und
Rechteverletzungen künftig auf die Provider abgewälzt
werden könnten.

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Ganz schwache Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621406800

Das Wort hat die Kollegin Christel Humme von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1621406900

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Zur Erinnerung, worüber wir heute reden: Wir reden
heute über die Schwächsten in der Gesellschaft: die Kin-
der – Kinder, die Opfer von sexueller Gewalt und Aus-
beutung werden. Nach Angaben des Bundeskriminalam-
tes wird Kinderpornografie immer brutaler und kommt
häufiger vor. Selbst vor Babys macht Kinderpornografie
keinen Halt. Wir stellen auch fest: Die Verbreitung im
Internet nimmt rasant zu. Das können und wollen wir
nicht hinnehmen. Gegen diese abscheulichen Verbre-
chen müssen wir auf allen Ebenen wirksam vorgehen.


(Beifall im ganzen Hause)

Es ist ja nicht so, dass wir in der Vergangenheit nichts
gemacht hätten.


(Monika Griefahn [SPD]: Genau! – Renate Gradistanac [SPD]: Exakt!)


Es ist schon viel getan worden; das dürfen wir nicht ver-
gessen. Im Kampf gegen Kinderpornografie haben wir
unter anderem das Strafgesetzbuch mehrfach verschärft
und einen eigenen Straftatbestand Kinderpornografie ge-
schaffen. Beim Bundeskriminalamt gibt es eine Spe-
zialeinheit, die Zentralstelle „Kinderpornografie“. Die
Zusammenarbeit mit internationalen Behörden wurde in-
tensiviert. Das Bundeskriminalamt und die Landeskrimi-
nalämter durchforsten gezielt das Internet auf kinderpor-
nografische Inhalte. Kinderpornografische Internetseiten
werden auf deutschen Servern schon heute gesperrt. All
diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass allein 2006
1 481 Personen wegen der Straftat Kinderpornografie
verurteilt worden sind. Angesichts ihrer Personalausstat-
tung leisten die Behörden – ich schaue in Richtung In-
nenministerium – Enormes. Das sei an dieser Stelle auch
einmal erwähnt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Handel mit Kinderpornografie im Internet breitet
sich, wie gesagt, immens aus. Deshalb müssen wir wei-
ter tätig werden und alles uns Mögliche tun. Herr
Bosbach, es geht also nicht um eine Auseinandersetzung
zwischen Ministerien. Vielmehr geht es um die Frage:
Wie sieht es mit ausländischen Websites aus? Lassen
sich diese Seiten genauso gut sperren wie die kinderpor-
nografischen Seiten auf deutschen Servern? Wir wissen:
Hier ist ein kommerzieller Markt entstanden, der Millio-
nenumsätze verspricht. Ein Massengeschäft mit 300 000
bis 400 000 Klicks pro Tag! Es muss uns gelingen, die-
sen kommerziellen Markt durch Zugangssperren, wie sie
bereits in Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark,
Großbritannien und Italien angewendet werden, zu stö-
ren. Technische Zugangssperren könnten – so sagt der
Präsident des BKA – den Handel eindämmen. Allein in
Norwegen wurden 15 000 Versuche, auf kinderporno-
grafische Angebote zuzugreifen, abgewehrt. Für uns
Kinder- und Familienpolitikerinnen und -politiker ist
klar: Jede Maßnahme, die hilft, den Zugang zu Kin-
derpornografieseiten zu stören, zu behindern oder gar zu
verhindern, ist richtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Bosbach, Sie haben recht: Es bleibt die Frage,
warum die Internetbetreiber in Deutschland zögern,
wenn es um eine freiwillige vertragliche Vereinbarung
geht. Sicherlich ist ihnen auch die deutsche Rechtslage
bekannt. Sie wollen sich nicht in einem rechtsfreien
Raum bewegen. Deshalb hat der Präsident des Bundes-
kriminalamtes bereits im August des letzten Jahres in ei-
nem Interview eine gesetzliche Verpflichtung für die In-
ternetbetreiber gefordert.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme
Ich glaube, es ist nicht der richtige Weg, jetzt zwei
Ministerien gegeneinander auszuspielen, Herr Bosbach.


(Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das tun die ja selber!)


Frau von der Leyen, wenn wir uns schon vor einem hal-
ben Jahr auf den Weg gemacht und auch mit dem Justiz-
ministerium und nicht nur mit dem Innenministerium
oder dem Wirtschaftsministerium die Zusammenarbeit
gesucht hätten, dann würden wir heute nicht über Eck-
punkte, sondern über einen Gesetzentwurf diskutieren.
Ich glaube, ein Gesetz wäre die richtige Maßnahme.


(Beifall bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darum kündige ich für die SPD-Fraktion heute einen
eigenen Gesetzentwurf gegen Kinderpornografie im In-
ternet an, der zeitnah nach den Osterferien eingebracht
werden wird, damit wir schnell handeln können; denn
wir wollen beides: Wir wollen, dass sich die Internetbe-
treiber auf den Weg machen, die technischen Möglich-
keiten für eine Zugangssperre zu schaffen – dafür brau-
chen sie Zeit –, und wir wollen die Zeit nutzen, eine
sichere gesetzliche Grundlage zu schaffen. Das ist der
richtige Weg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, uns ist klar, dass
die Bekämpfung der Verbreitung sexueller Gewalt im In-
ternet nur ein Baustein in einer Gesamtstrategie zum
Schutz unserer Kinder sein kann. Wir brauchen eine Ge-
samtstrategie, zu der unter anderem eine effektive Straf-
verfolgung im In- und Ausland, Opferschutz, aber auch
Aufklärung und Prävention gehören.


(Beifall des Abg. Christoph Waitz [FDP])


Es gibt nicht nur bei den Internetbetreibern Handlungs-
bedarf. Es gibt auch Handlungsbedarf bei den Mobil-
funkunternehmen, den Suchmaschinen und anderen rele-
vanten Akteuren im Bereich der neuen Medien, nicht
zuletzt bei den Lehrern, Erziehern, Pädagogen sowie den
Eltern. Wir, die Gesellschaft, müssen Stellung nehmen,
wir müssen Kinderpornografie ächten. Mit der immer
wieder anzutreffenden Bagatellisierung muss Schluss
sein.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621407000

Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich von der Frak-

tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621407100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir von Kinderpornografie, sexuellem Missbrauch
oder sexueller Ausbeutung von Kindern sprechen, dann
reden wir von schrecklichen Verbrechen an Kindern, die
tiefe Narben an Körper und Seele hinterlassen und mit-
unter auch zum Tod führen. Gegen Kinderpornografie in
den neuen Medien – sprich: Internet – muss entschieden
vorgegangen werden. Auf dem Weltkongress gegen die
sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in
Rio de Janeiro im November letzten Jahres haben wir als
Vertreter der Kinderkommission mit den Regierungs-
delegationen zusammengesessen und besprochen, dass
international zusammengearbeitet werden muss, auf
nationaler Ebene aber die rechtlichen Voraussetzungen
geschaffen werden müssen, um effektiv gegen sexuellen
Missbrauch vorgehen zu können. Das, was machbar ist,
sollte unverzüglich umgesetzt werden.

Nun ist natürlich die Frage, was in Deutschland natio-
nal umsetzbar ist. Was ist in Bezug auf Kinderpornogra-
fie überhaupt in den letzten Jahren geschehen? So gut
wie nichts. Hinsichtlich mit den Internetprovidern ab-
zuschließender Verträge – das ist das Kernstück der
heutigen Debatte – wurden von verschiedener Seite
verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, auch aus dem
Justizministerium kamen entsprechende Bedenken. In
den gestern im Kabinett verabschiedeten Eckpunkten hat
sich die Regierung nun darauf verständigt,

zügig ein Gesetzgebungsverfahren zu initiieren, in
dem ein verbindlicher rechtlicher Rahmen für die
Erschwerung des Zugangs

geschaffen wird. In diesem erforderlichen Gesetz sollen
auch die verfassungsrechtlichen Fragen einer Klärung
zugeführt werden. Also gibt es doch zu Recht verfas-
sungsrechtliche Bedenken?

Wie nun gestern auf der nationalen Folgekonferenz
gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern zu erfah-
ren war, betrifft die mit einigen Providern vertraglich
vereinbarte Sperrung von Internetseiten Sperrungen auf
DNS-Ebene. Laut Sachverständigen ist diese Sperre je-
doch ein untaugliches Mittel. Zum einen soll diese
Sperre leicht zu umgehen sein, zum anderen sollen Kin-
derpornos nicht frei im Netz verfügbar sein, sondern vor
allem über sogenannte Nutzergruppen getauscht werden.
Durch das Sperren werden die Seiten nicht aus dem In-
ternet entfernt; die Kinderschänder sind dort weiter ak-
tiv. Die Seiten müssen da heraus.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Den Opfern wird damit in keiner Weise geholfen. Die
Polizei braucht mehr Personal und eine bessere techni-
sche Ausstattung, um an die Täter heranzukommen. Es
reicht nicht aus, die Straße zu sperren, in der der Täter
wohnt. Diese Kritik des Vorsitzenden des Bundes Deut-
scher Kriminalbeamter teilen wir.

Frau von der Leyen, was ist denn in den Jahren Ihrer
Regierung passiert? Was ist aus den Initiativen der
15. Wahlperiode geworden? Was ist mit dem Rahmenbe-
schluss zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von






(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
Kindern und Kinderpornografie, der am 20. Januar 2004
in Kraft getreten ist? Was ist mit den Ergebnissen der
Arbeitsgruppe zur Kooperation im Kinderschutz im Ost-
seeraum?

Es werden ja immer wieder die Vergleiche mit dem
Access Blocking in Skandinavien herangezogen. Diese
Vergleiche hinken laut Aussagen der Sachverständigen.
Zwar gibt es Zahlen über die geblockten Seitenaufrufe,
es gibt aber überhaupt keine Zahlen darüber – deshalb
kann man auch keine Rückschlüsse ziehen –, ob ein ge-
blockter Nutzer sich anschließend anders den Weg zu
der Website verschafft hat. Im Übrigen muss man auch
sagen, dass die neulich öffentlich gewordenen geheimen
Sperrlisten aus Dänemark zu 90 Prozent keine Seiten mit
Kinderpornografie betrafen; deswegen muss man die
entsprechenden Zahlen eventuell ein bisschen korrigie-
ren. Am gestrigen Tage konnte ich auf der nationalen
Folgekonferenz zu Rio mit Vertretern von UNICEF re-
den. Sie haben mir bestätigt, dass das, was in Skandina-
vien geschieht, zwar schön klingt, aber kaum Wirkung
entfaltet, schon gar nicht im Kampf gegen Kinderporno-
grafie.

Wann ist denn mit einem Gesetzentwurf zu rechnen,
in dem dem Ansinnen Rechnung getragen wird und in
dem wirksame Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch
von Kindern aufgezeigt werden? Insoweit ist es schon
klasse, dass in der EU-Kommission gestern zwei Vor-
schläge auf den Tisch kamen, welche gegen Menschen-
handel und sexuellen Missbrauch Handlungsvorschläge
aufzeigen. Diese werden gegenwärtig im EU-Ministerrat
diskutiert; danach werden sie in nationales Recht umge-
setzt – ich hoffe, schnell. Dann bleibt auch nicht das üble
Geschmäckle von Zensur und Internetüberwachung, für
das die Union ständig selber sorgt. In der gestrigen Pres-
semeldung von den Unionskollegen Börnsen und
Dr. Krings wird nämlich klargestellt, dass es nicht um
Kinderpornografie allein geht. Erst die Kinderpornogra-
fie, dann Rassismus, dann Gewaltverherrlichung – und
dann? Terroristische Propaganda? Vielleicht Verstöße
gegen Urheberrechtsgesetze? Und dann?


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit so was!)


– Das finde ich auch. Was die CDU da plant, ist unver-
schämt.

Es ist an der Zeit, endlich wirkungsvoll aktiv zu wer-
den und die Strafverfolgungsbehörden entsprechend aus-
zustatten, statt verpuffende Maßnahmen ohne Hilfe für
die Opfer als Riesenerfolg zu feiern und zugleich Herrn
Schäuble Tür und Tor zu öffnen. Wir sollten an die Op-
fer denken und nicht an die nächsten Wahlen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621407200

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Ursula

von der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Mäd-
chen im Grundschulalter wird mit einem Besenstiel
missbraucht. Ein Säugling hängt gefesselt von der Decke
und wird vergewaltigt. So schildert die Staatsanwältin
Hantel-Maschke öffentlich, was sie bei ihrer Anklage-
vorbereitung im Bereich „Kinderpornografie im Inter-
net“ hundertfach auf Bildern und auf Filmen sieht. Sie
sagt: Einige der Kinder überleben das nicht; wenn ein
Säugling vergewaltigt wird, ist innen alles kaputt. Das ist
das Grauen, über das wir hier sprechen.

In Deutschland kann man das anklicken. Das ist zwar
strafbar, aber es geschieht Tag für Tag hunderttausend-
fach. Deshalb möchte ich hier im Hohen Hause nicht nur
im Namen der Bundesregierung, sondern gerne im Na-
men aller sagen, dass wir der Kinderpornografie im Netz
entschlossen den Kampf ansagen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Handel mit diesen Bildern ist ein Millionenge-
schäft. Es ist ein gut organisierter, krimineller Markt.
Die BITKOM sagt, es ist wahrscheinlich einer der größ-
ten kriminellen Märkte im Internet. Die Opfer werden
immer jünger; die Bilder werden immer brutaler. Jedes
zweite betroffene Kind ist im Vorschulalter. Das ist uner-
träglich. Es ist richtig, dass wir eine Gesamtstrategie
brauchen. Das oberste Ziel ist, weltweit die Täter zu stel-
len und weltweit die Quellen zu schließen. Das ist eine
Sisyphosarbeit, die jeden Tag von den obersten Polizei-
behörden geleistet wird. 90 Prozent der dafür zur Verfü-
gung stehenden Ressourcen werden für das Stellen der
Täter, für den Schutz der Opfer und für das Schließen
der Quellen eingesetzt. Dies muss in diesem Raum ein-
mal deutlich gesagt werden.

Aber wir können mehr tun, und darum geht es doch
heute. Es geht nicht darum, ob eine einzelne Strategie
allumfassend ist, sondern darum, ob wir noch mehr tun
können. Wir werden den völlig ungehinderten Zugang
zu diesen widerlichen Bildern in Deutschland sperren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was mich in den letzten fünf Monaten dieser Diskus-
sion so maßlos geärgert hat, ist, dass man bis zu diesem
Punkt eine breite Zustimmung erfährt. Dann werden die
Türen geschlossen, und dann kommt das große Aber. Es
wird gesagt, was alles aus welchen Gründen nicht geht,
anstatt eine Diskussion darüber zu entfalten, wie wir et-
was schaffen können, wie etwas geht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Das erste Argument lautet: technisch unmöglich. Wir
haben es heute wieder in verschiedenen Varianten ge-
hört. Aber wenn dieselben Telefongesellschaften, die
auch hier in Deutschland sind, dies in Schweden, in
Finnland, in Norwegen, in Dänemark, in Großbritannien,
in der Schweiz und sogar in Italien umsetzen können,






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
dann ist die Behauptung, das sei technisch unmöglich,
ein krachendes Unfähigkeitszeugnis für Deutschland.
Das sollten wir uns nicht ausstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das zweite Argument lautet: rechtlich unmöglich. –
Ja, es ist nicht trivial. Aber wir sollten doch nicht den
Eindruck erwecken, dass unser Rechtsgefüge eine solche
Schändung von Kindern und den Anblick dieser Schän-
dung in irgendeiner Form schützen würde, dass wir
machtlos wären, wenn es darum geht, rechtlich dagegen
vorzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ute Kumpf [SPD]: Das sagt doch keiner!)


Zum Thema Verträge will ich deutlich betonen: Ges-
tern hat der Verfassungsminister im Kabinett eindeutig
gesagt, dass die Verträge, die wir mit den Providern an-
streben, verfassungsrechtlich in Ordnung sind.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen keine Verträge schließen, sondern Gesetze vorlegen!)


Keiner hat widersprochen. – Auch dies sollte damit ge-
klärt sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das dritte Argument lautet: Das bringt doch nichts;
die Sperren kann man umgehen. – Ja, das ist richtig.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Wenn man sehr versiert ist, kann man diese Sperren um-
gehen.


(Ute Kumpf [SPD]: Die Männer sind versiert!)


Noch einmal: Das ist ein Millionengeschäft. Es geht fol-
gendermaßen: Das Anfixen geschieht über Spammails.
Die permanente Beschäftigung mit solchen Inhalten
führt dann zum Abbau von Hemmschwellen und löst den
Hunger nach mehr aus. Die Nachfrage steigt. Das heizt
den Markt an, wie wir alle hier im Raum wissen. Es ist
eben so, dass 80 Prozent der User über das Internet, über
diesen allgemeinen Weg, dort hineinfinden. Natürlich
sind die 20 Prozent Schwerpädokriminellen in speziellen
Foren, in speziellen Chatrooms, in speziellen Gruppen.
Wer so argumentiert, könnte auch sagen: Es lohnt sich
nicht, an einer Tür ein Schloss anzubringen, weil diese
Tür aufgebrochen werden kann. Das ist kein Argument
dafür, Präventionsmaßnahmen von Anfang an im Keim
zu ersticken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Christel Humme [SPD]: Das hat keiner gesagt! Gegen wen reden Sie denn überhaupt?)


Wir kapitulieren nicht vor diesem Verbrechen. Des-
halb haben wir gestern im Kabinett Eckpunkte für ein
Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Inter-
net beschlossen. Diese Eckpunkte sind ein Teil der Ver-
abredung, die wir am 13. Januar 2009 mit den sieben
größten Providern und den drei Dachverbänden
BITKOM, eco und FSM getroffen haben. Wir werden in
einem ersten Schritt jetzt die Verträge zwischen dem
Bundeskriminalamt und den einzelnen Internetanbietern,
die das wollen, schließen. In einem zweiten Schritt
– überlappend – kommt das Gesetz. Die Zugangsanbie-
ter haben von der Bundesregierung dieses deutliche
Signal in Form eines Eckpunktepapiers gefordert. Jetzt
ist es da.

Herr Wunderlich, die EU-Kommission hat in der Tat
gestern die Initiative Deutschlands begrüßt und noch
einmal bekräftigt, dass wir diesen Kampf international
führen müssen. Aber Sie haben vergessen, noch etwas zu
sagen. Die EU-Kommission hat nämlich insbesondere
begrüßt, dass wir in Deutschland endlich die Sperrung
entsprechender Internetseiten anstreben. Das ist der
Kern der Aussage der EU-Kommission gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will nicht verschweigen, dass wir im Vorfeld der
Vertragsverhandlungen zermürbend lange dafür ge-
braucht haben, um viele Fragen bezüglich der Eckpunkte
zu klären.


(Caren Marks [SPD]: Falsche Adressaten!)


Vielleicht ist der Diskussionsprozess aber auch richtig
und gut gewesen. Da hat so mancher schwere Brocken
auf unserem Weg gelegen. Ich sage deutlich: Das Gesetz
kommt; darauf kann sich jeder Zauderer und jeder Be-
denkenträger verlassen.


(Caren Marks [SPD]: Sie hätten schon längst etwas vorlegen können!)


Im Telemediengesetz wird unser fester politischer Wille
umgesetzt. Was sofort möglich ist, nämlich mit der ver-
traglichen Lösung, wird jetzt umgesetzt, wird jetzt Wirk-
lichkeit.

Ich danke an dieser Stelle sehr all den Internetzu-
gangsanbietern, die sich klar positioniert haben. Wir
brauchen im Kampf gegen die Kinderpornografie im In-
ternet alle in der Gesellschaft. Wir brauchen alle gesell-
schaftlichen Gruppen. Alle müssen sich positionieren.
Keiner kann sich mehr im Nebel des Nichtwissens ver-
stecken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Andere europäische Länder führen diese Diskussion
genauso wie wir schon seit Jahren. Manche haben ent-
sprechende Schritte inzwischen getan. Wir haben die
Zahlen aus Norwegen gehört. In Schweden werden bei
9 Millionen Einwohnern rund 50 000 Klicks am Tag ge-
blockt. All jenen, die den Untergang des Internets vo-
raussagen, denen sei noch einmal gesagt: Schweden,
Finnland, Dänemark, Norwegen, England, die Schweiz,
Italien, Neuseeland und Kanada sind alles freie Länder
mit einem gut funktionierenden Internet. In Dänemark
gab es seit 2005 exakt fünf Beschwerden. Aber alle diese
Länder eint die strikte Haltung: Das Internet ist kein






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
rechtsfreier Raum, und die Würde und die Unverletz-
lichkeit eines Kindes ist ein höheres Gut als die Massen-
kommunikation. Das sollte unser gemeinsames Motto
sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Caren Marks [SPD]: Schön, dass Sie es auch schon merken!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621407300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621407400

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich bin Teilnehmerin der seit gestern in Berlin
tagenden zweitägigen Konferenz gegen sexuellen
Missbrauch an Kindern. Eines steht fest: Wir stehen in
Deutschland vor neuen Herausforderungen. Kinder-
prostitution, Kinderhandel und Kinderpornografie bilden
einen riesigen Markt mit Millionen Opfern. Laut
UNICEF werden jährlich 12 Milliarden Euro durch se-
xuelle Ausbeutung von Kindern weltweit umgesetzt. Da
dürfen wir nicht wegschauen.


(Beifall im ganzen Hause)


Die neuen Medien spielen dabei zwar eine große
Rolle, aber wir können und dürfen unsere Antworten
nicht auf ein einziges Thema reduzieren. Wir können
nicht behaupten, dass das der Haupt- und damit einzige
Ansatzpunkt bei der Bekämpfung des sexuellen Miss-
brauchs ist.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Hat das irgendeiner behauptet? – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das macht doch keiner!)


Ein Heilversprechen ist das bei diesem komplexen
Thema auch nicht.

Die rechtlichen, die technischen Fragen, Frau von der
Leyen, müssen von uns gestellt werden. Was wäre denn,
wenn wir sie nicht stellten? Was wäre denn, wenn wir
auf die heiklen Punkte nicht hinwiesen? Was glauben
Sie, wie schnell wir ausgelacht werden würden, wenn
wir eine Regelung träfen, die nicht durchgreift?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir müssen diese Fragen schon allein deshalb stellen,
weil wir Antworten brauchen. Was machen wir mit
Filesharing? Was machen wir mit Peer-to-Peer-Grup-
pen? Wie setzen wir uns als Gesetzgeber durch, und
zwar konsequent


(Renate Gradistanac [SPD]: Nachhaltig und wirksam!)


und nicht nur in der Symbolik und in Signalen? Das ist
doch die Kernfrage!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Caren Marks [SPD]: Es geht um Wirksamkeit und nicht um Populismus!)


Ich möchte sogar noch weitergehen und einige Be-
denken formulieren. Mit den Internetsperren alleine wer-
den wir den Handel mit kinderpornografischem Material
nicht zum Erliegen bringen. Mit diesen Sperren alleine
werden wir kein Kind davor bewahren, missbraucht zu
werden. Mit diesen Sperren helfen wir keinem einzigen
traumatisierten Kind, den Weg ins Leben zurückzufin-
den. Mit diesen Sperren werden wir keinen einzigen Tä-
ter fassen.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sind Sie dafür oder dagegen? – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Prävention!)


Frau Ministerin, ich frage Sie: Wir hatten in der rot-
grünen Regierung diesbezüglich einen sehr guten
Aktionsplan ausgearbeitet. Warum haben Sie diesen
Aktionsplan nicht weiter verfolgt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Warum ist in den letzten drei Jahren nichts passiert? Wa-
rum gibt es keine Projektmittel, und mehr noch, warum
sind die zuständigen Mitarbeiter im Ministerium inzwi-
schen mehr oder weniger ins Archiv versetzt worden?
Sie sind zuständig! Handeln Sie! Geben Sie Antworten
darauf! Wo ist der Aktionsplan?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wie kommt es, dass
100 Teilnehmer einer Konferenz der Meinung sind:
Wenn in Deutschland etwas passiert, dann beruht es auf
der Handlungsfähigkeit der Nichtregierungsorganisatio-
nen und der Ehrenamtlichen? Wo sind Ihre Programme?
Wo sind Ihre Antworten? Wo ist Ihr nationaler Aktions-
plan? Warum haben Sie das Engagement von damals ge-
stoppt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die Aktion ist die Sperrung der Seiten!)


Ja, Internet erleichtert es den Tätern, Pornografie zu
verbreiten. Ja, Internet verspricht Anonymität. Aber ge-
rade die Ermittlungen in diesem Bereich waren in den
letzten Jahren sehr erfolgreich. Hier müssen wir anset-
zen und die Polizei und die Ermittlungsbehörden stär-
ken. Unser Ziel muss sein, die Täter zu ergreifen, und
deshalb dürfen sie nicht vorgewarnt sein. Wir müssen er-
reichen, dass so etwas gar nicht erst stattfindet.

Es gibt auch gute Gründe, diese Internetseiten trotz-
dem zu sperren. Der beste Grund sind die Kinder.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Jetzt sind wir beim Thema! – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren die ganze Zeit beim Thema! – Caren Marks [SPD]: Das andere gehört dazu!)







(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz
– Was heißt hier: „Jetzt sind wir beim Thema“? Genau
das ist Ihr Problem: Sie wollen nur etwas herausposau-
nen. Aber wollen Sie auch wirklich etwas ändern? Wol-
len Sie etwas bewegen, oder wollen Sie hier nur eine
Show abziehen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Caren Marks [SPD]: Wir wollen etwas bewegen!)


Müssen wir nicht wirklich handeln, oder geht es hier nur
um Parteiprogrammatik? Wir sind der Bundestag, wir
sind verantwortlich, wir müssen handeln! Es reicht nicht,
leere Versprechungen zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Machen Sie einfach mit!)


Ich sage ganz deutlich: Es wird nicht reichen, irgend-
welche Verträge zu schließen. 75 Prozent der Provider,
sagen Sie, würden damit erreicht. Es müssen aber
100 Prozent sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Deswegen machen wir lieber gar nichts, oder was?)


Das wäre entschlossenes Handeln. Deshalb brauchen wir
ein Gesetz, und dafür werden Sie uns auch als Bündnis-
partner finden, Frau Ministerin, aber nicht für scheinhei-
lige Angebote, die man nicht erfüllen kann. Machen Sie
uns eine Vorlage! Die hätten Sie längst machen können.
Warum haben Sie das nicht getan? Diese Frage müssen
Sie sich gefallen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621407500

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Brigitte

Zypries.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1621407600

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Frau Kollegin Deligöz, Ihr letzter Ansatz war leider
falsch. Wenn wir es schaffen könnten, mit einem Gesetz
100 Prozent der Kinderpornografie im Internet zu ver-
hindern, dann wäre ich weiß Gott glücklich. Aber auch
mit einem Gesetz werden wir das nicht schaffen. Das
muss man einfach wissen.

Wovon reden wir denn? Dass Kinderpornografie ein
fürchterliches Verbrechen ist, darüber sind wir uns alle
einig, und es ist oft genug gesagt worden. Deshalb wie-
derhole ich es nicht noch einmal. Aber auch wenn es um
die Bekämpfung von fürchterlichen Verbrechen geht,
kann doch der Rechtsstaat nicht vor der Tür bleiben.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können nicht einfach so tun, als bräuchten wir da
keine Regeln, als wäre die Tatsache der Fürchterlichkeit
des Verbrechens alleine Grund genug, alles zu rechtferti-
gen, was man meint, tun zu müssen. Das geht nicht.

Wir bekämpfen Kinderpornografie seit vielen Jahren.
Eine der Maßnahmen, die seit vielen Jahren existiert und
für die allen Providern in Deutschland Dank gebührt, ist,
dass von allen Seiten, die in Deutschland gehostet wer-
den, rechtswidrige Inhalte immer sofort heruntergenom-
men werden. Das gilt nicht nur für Kinderpornografie,
sondern zum Beispiel auch für Rechtsextremismus. Man
muss nur mitteilen, dass jemand rechtswidrige Inhalte
deponiert hat, dann werden diese vom Provider entfernt.
Das läuft seit vielen Jahren so.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Dann ist ja alles gut! – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Dann können wir ja bei dem bleiben, was wir haben!)


– Nein, lieber Herr Bosbach, das können wir eben nicht.
Wir reden nicht über Server, die in Deutschland gehostet
werden,


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Eben! Jetzt sind wir beim Thema!)


sondern über solche, die im Ausland gehostet werden.
Da besteht nun einmal – leider oder auch zum Glück –
die Schwierigkeit, dass wir dort keine Vorschriften ma-
chen können.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Deswegen wollen wir es ja sperren!)


– Deswegen wollen Sie sperren; das ist eine Überlegung,
die durchaus richtig ist. Sie wollen die Möglichkeit sper-
ren, dass ein Internetuser in Deutschland einen bestimm-
ten Weg auf der Datenautobahn zu einem Server zum
Beispiel in Australien geht. Das können Sie aber nur,
wenn Sie sehen, wohin er geht. Das heißt, Sie müssen
den Internetverkehr filtern. Das ist ein Eingriff in die
Grundrechte, und deshalb brauchen wir ein Gesetz.

Darum bin ich froh, dass wir gestern im Kabinett die
Eckpunkte für einen Gesetzentwurf beschlossen haben,
den wir hier gemeinsam verabschieden werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU])


Das ist so verabredet, und das ist wichtig und richtig. Es
ist nichts dagegen zu sagen, dass man versucht, das, was
man für falsch hält, mit allen Mitteln zu bekämpfen. Es
zeichnet dieses Hohe Haus aus, dass immer sehr intensiv
darüber diskutiert wird, welche Weiterungen und Folge-
rungen das hat und was wir real bewirken können. Da-
rüber muss man sich immer im Klaren sein. Deswegen
ist es wichtig und richtig, dass, wie beispielsweise von
der FDP, gesagt wird, wo die Probleme mit den Internet-
providern liegen, wo Haftungsprobleme gesehen wer-
den. Davor kann man die Augen nicht verschließen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Machen wir auch nicht!)


Das heißt aber nicht, dass wir die Kinderpornografie
nicht bekämpfen wollten. Selbstverständlich wollen wir
das. Aber man muss das auf einer klaren, realistischen,
durchdachten Basis machen. Um nichts anderes geht es.
Darüber können wir dann sicherlich sehr schnell Einig-
keit erzielen.


(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben, meine Damen und Herren, in den letzten
Jahren eine Menge unternommen. Wir haben nicht nur
die freiwillige Vereinbarung mit den Providern getrof-
fen, dass von deutschen Servern alles, was rechtswidrig
ist, heruntergenommen wird, sondern wir haben auch die
Gesetze verändert. Wir haben das Herstellen, das Ver-
breiten und den Besitz von Kinderpornografie lückenlos
unter Strafe gestellt. Es gibt nirgendwo mehr eine Geset-
zeslücke. Schon der Versuch, sich im Internet kinderpor-
nografisches Material herunterzuladen, ist eine Straftat.
In diesem Bereich gibt es immer wieder großartige Er-
mittlungserfolge. Ich erwähne in diesem Zusammenhang
nur die Operation „Himmel“ der Behörden in Sachsen-
Anhalt, die zur Feststellung von 12 000 Verdächtigen in
Deutschland geführt hat. Es funktioniert also. Diese
Leute kann man verfolgen, und man kann ihrer habhaft
werden.

Ich bin der festen Überzeugung – darüber müssen wir
aber noch innerhalb der Regierung sprechen –, dass die
Leute, die versuchen, sich von ausländischen Servern
Material herunterzuladen, und die ermittelt werden, na-
türlich auch strafrechtlich verfolgt werden müssen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können nicht sagen „Stopp! Tu das nie wieder!“,
sondern da müssen wir klare Kante zeigen. Entweder wir
haben ein Gesetz, das den Versuch unter Strafe stellt – in
diesem Fall muss es auch vollzogen werden –, oder wir
müssen das Gesetz ändern. Beides auf einmal können
wir nicht machen. Davor würde ich warnen; denn damit
würden wir uns als Gesetzgeber lächerlich machen.

Die Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit auf
den Weg gebracht haben, zeigen Wirkung. Wir haben
viel erreicht. Die Zahl von fast 15 000 Verurteilungen im
Jahre 2006 wurde schon genannt.

Wir haben auch international eine Menge erreicht. In-
terpol führt seit Jahren einen bewundernswerten und
sehr erfolgreichen Kampf gegen die Hersteller dieser Fo-
tos. Da macht der Generalsekretär von Interpol, Noble,
eine ausgesprochen gute Arbeit, die man nur loben kann.
Während unserer Ratspräsidentschaft saßen Staats-
anwälte aus Deutschland, Experten aus allen EU-Staaten
und Herr Noble an einem Tisch und haben ganz klar ge-
sagt: Nationale Lösungen machen keinen Sinn. Wir müs-
sen sehen, dass wir auf internationaler Ebene gemeinsam
und geschlossen vorgehen. Das Netz ist international,
also müssen auch die Handlungen international sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist uns wichtig, mit dem Gesetz die rechtlichen Re-
gelungen dafür zu treffen, dass wir ein Access-Blocking
machen können. Ich würde noch weitergehen und nicht
nur die DNS, also die allgemeinen Domänennamen, be-
rücksichtigen. Wir müssen auch auf die Ebene darunter
gehen, sonst erreichen wir viel zu wenig. Es ist möglich,
auf dieser Ebene das Surfverhalten zu verfolgen. Dann
können wir sagen: Wer immer versucht, auf die Seite
dieses oder jenes Anbieters zu gehen oder auf diese oder
jene Inhalte zuzugreifen, wird erstens gestoppt – Ihr Vor-
schlag – und zweitens strafrechtlich verfolgt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn in Deutschland sind diese Handlungen strafbar.
Dann sind wir auf einem guten Weg.

Ich freue mich, dass der Kollege zu Guttenberg ges-
tern angekündigt hat, sich an einem Gesetzgebungsver-
fahren zu beteiligen. Es gab schon einmal Versuche, die
allerdings nicht so erfolgreich waren. Es wäre super,
wenn es jetzt schneller gehen würde.

Die SPD-Fraktion wird im Übrigen einen Gesetzent-
wurf nach der Osterpause vorlegen, wie wir heute von
Frau Humme gehört haben. Es spricht also alles dafür,
dass wir bis spätestens Anfang Mai eine Anhörung im
Deutschen Bundestag durchführen können. Wir können
dann gemeinsam mit den Sachverständigen die bis dahin
vorliegenden Entwürfe durchsehen und zu vernünftigen
Ergebnissen kommen. Ich denke, unser gemeinsames
Ziel ist es, möglichst viel zu erreichen. Es geht nicht um
plakative Maßnahmen, sondern es geht darum, bei der
Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet einen
Schritt weiter zu gehen.


(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Dem Dank von Frau von der Leyen an die Provider
schließe ich mich an. Ich finde es gut, dass die Provider
bereit sind, etwas zu machen. Wir wissen von ihnen,
dass es drei bis sechs Monate dauert, bis sie die techni-
schen Voraussetzungen geschaffen haben, um das ma-
chen zu können, was wir von ihnen wollen, nämlich das
Access-Blocking zu realisieren. Auch das bestärkt mich
in meiner Annahme, dass wir im Sommer – ich werde
mich sehr stark dafür einsetzen – ein entsprechendes Ge-
setz haben. Bis dahin haben die Internetprovider die
technischen Voraussetzungen geschaffen, um die Rege-
lungen dieses Gesetzes umsetzen zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621407700

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1621407800

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Wer immer zu dem Thema spricht, muss sich
zunächst vergewissern, worüber er spricht und wie die
Tat aussieht, über die wir reden. Deswegen bin ich Frau
von der Leyen dankbar, dass auch sie mit der Tatschilde-
rung begonnen hat, damit wir mit folgender Frage daran
anknüpfen können: Was ist die richtige rechtliche Ant-
wort des Staates auf diese Tat? Im Internet sehen wir ent-
setzliche, unbeschreibliche Bilder einer ganz abscheuli-
chen Tat.


(Christel Humme [SPD]: Ich nicht!)


Was tut der Staat? Er sagt: So ist es heute im weltweiten
Netz. Das muss der Staat wohl hinnehmen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie bei Frau Zypries nicht zugehört?)


Da darf man nicht sperren. – Dieser liberale Umgang mit
solch entsetzlichen Taten befremdet mich, meine Damen
und Herren von der FDP.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christoph Waitz [FDP]: Sie haben nicht zugehört!)


Ich glaube, der Staat muss handeln. Wenn er handeln
muss, dann gibt es in Deutschland zwei Wege: durch
eine Vereinbarung jetzt und sofort oder durch ein Gesetz
einige Monate später.


(Renate Gradistanac [SPD]: Nicht Entwederoder! Man kann beides tun!)


– Wir machen beides, richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen jetzt und sofort in Deutschland mit einer ent-
sprechenden Vereinbarung Erfahrungen sammeln.

Frau Zypries, ich möchte nicht, dass Sie jetzt beifällig
nicken. Ich möchte, dass Sie sich an Ihren Brief von vor
zwei Wochen erinnern,


(Caren Marks [SPD]: Das ist anmaßend! Wie sind Sie denn drauf?)


in dem Sie schreiben – ich habe den Brief hier –, dass
Sie diesen Weg für falsch, für rechtswidrig, ja für verfas-
sungswidrig halten.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist viel Wahres dran!)


Meine Damen und Herren, bitte erinnern Sie sich an
die Väter des Grundgesetzes.


(Caren Marks [SPD]: Es gab auch Mütter!)


Stellen Sie sich einmal vor, die Väter


(Caren Marks [SPD]: Und Mütter!)


des Grundgesetzes hätten diese Taten im Fernsehen bei
der Abfassung des Art. 5 des Grundgesetzes gesehen
und hätten dann gesagt: Wir wollen, dass dies unter
Kunstfreiheit fällt.

(Caren Marks [SPD]: Das ist ein Skandal! – Monika Griefahn [SPD]: Das ist strafbar! Das hat sie doch gesagt! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn! Das ist Quatsch! – Weitere Zurufe von der SPD)


Stellen Sie sich einmal vor, die Väter des Grundgesetzes
hätten diese abscheulichen Bilder gesehen und hätten ge-
sagt: Wir wollen, dass Provider so etwas frei machen
können. Das fällt unter die Berufsfreiheit.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stellen Sie sich vor, die Väter des Grundgesetzes


(Caren Marks [SPD]: Ich bestehe auf die Mütter!)


hätten, als sie Art. 10 des Grundgesetzes, das Fernmel-
degeheimnis, abgefasst haben, gesagt: Wer solche Bilder
anschaut, den dürfen wir nicht stören. Das ist das Fern-
meldegeheimnis.


(Ute Kumpf [SPD]: So ein Schwachsinn! – Caren Marks [SPD]: Keine Ahnung! – Monika Griefahn [SPD]: Das ist strafbar! Das hat sie ganz deutlich gesagt! – Christoph Waitz [FDP]: Das sagt doch niemand! – Ernst Burgbacher [FDP]: Das will doch keiner!)


Ist das Ihre Grundrechtsinterpretation? Ist das der Um-
gang mit dem weltweiten Netz angesichts unserer
Grundrechtsartikel?

Ich halte es für ein Zerrbild der Grundrechtsinterpre-
tation, wenn wir diese Artikel in dieser Weise heranzie-
hen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten zur Verfassung nie mehr reden! – Monika Griefahn [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!)


Sie wurden in diesem Zusammenhang – Herr Montag,
das können Sie nicht wissen – von der Ministerin der
Justiz so herangezogen; ich fantasiere nicht.

Ich meine, wir sollten uns bei drei Menschen bedan-
ken: erstens bei Herrn Ziercke, dem Präsidenten des
Bundeskriminalamtes. Er hat im Herbst 2007 anlässlich
der Herbsttagung gesagt: Das ist ein Schwerpunkt mei-
ner Arbeit. Bei der Kinderpornografie im Internet muss
der Staat eingreifen, und zwar sofort.


(Caren Marks [SPD]: Das hat die SPD schon lange gesagt! – Frank Spieth [DIE LINKE]: Wie stattet ihr die Polizei aus?)


– Herr Ziercke, vielen Dank.

Nach dieser Tat des Herrn Ziercke, die begrüßenswert
ist, gab es zweitens eine quälende Diskussion bei uns In-
nenpolitikern aller Seiten über den Umgang mit Reichs-
bedenkenträgern, die sagten, das sei technisch und recht-
lich nicht möglich. Dann wurden die entsprechenden
Artikel aufgezählt. Es geschah nichts. Deswegen be-
danke ich mich bei Frau von der Leyen. Eineinhalb Jahre






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Uhl
Untätigkeit aufgrund der Behandlung von Bedenken
wurden durch Frau von der Leyen unterbrochen, indem
sie gesagt hat: Das ist mein politischer Wille.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Frau von der Leyen hat drei Jahre gebraucht, um zu merken, dass es dieses Thema gibt!)


Erst das hat Bewegung in die Sache gebracht. Minister
Schäuble hat ihr dabei die juristische Unterstützung ge-
geben, die sie braucht,


(Christoph Waitz [FDP]: Das ist eine interessante Formulierung!)


indem er entgegen der Justizministerin gesagt hat: Der
Vertragsweg ist verfassungsgemäß; der Vertragsweg ist
möglich. – Und diesen gehen wir.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daneben werden wir einen Gesetzentwurf auf den
Weg bringen. Deswegen drittens vielen Dank an den
Kollegen zu Guttenberg,


(Caren Marks [SPD]: Wo ist er denn? Er ist ja sehr an dem Thema interessiert!)


der bereits gestern Abend, wenn ich richtig informiert
bin, einen Rohentwurf zur Diskussion vorgelegt hat. Er
ist federführend zuständig. Wir werden am Schluss se-
hen, wer sich in Bedenken ergeht und wer im Kampf ge-
gen die Kinderpornografie mitstimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden dann das Parlament in solche und solche
aufteilen: in solche, die nur Bedenken haben, und in sol-
che, die den Kampf mit uns zusammen aufnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Schönen guten Morgen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621407900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Gradistanac

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1621408000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
sexueller Ausbeutung und Gewalt ist seit über 30 Jahren
Thema der Frauenbewegung und seit nunmehr 20 Jahren
ein Schwerpunkt meiner politischen Arbeit, davon
11 Jahre im Deutschen Bundestag.

Frau Ministerin, Sie haben sich des Themas wohl erst
in Vorbereitung des Weltkongresses in Rio gewidmet.
Sie haben vor einigen Tagen in Vorbereitung auf diese
internationale Konferenz gesagt – das steht auf der
Homepage der Bundesregierung –:

Da ist mir zum ersten Mal klargeworden, was ei-
gentlich Kinderpornographie ist. Ich habe das Aus-
maß des Grauens vorher nicht gekannt.

(Caren Marks [SPD]: Das wussten wir schon lange!)


Dafür fehlt mir schlichtweg die Fantasie, dass Sie als
mehrfache Mutter und Ärztin, als ehemalige Landes-
ministerin und seit mehr als drei Jahren nunmehr als
Bundesministerin für Familie und Jugend solche Kom-
petenzlücken aufweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Jetzt wird mir auch klar, warum Sie erstens beim drit-
ten Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Kin-
dern und Jugendlichen Ende November 2008 in Rio
nicht anwesend waren,


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


warum es zweitens uns überhaupt nur durch sehr viel
Überzeugungsarbeit und viel Druck seitens der Kinder-
kommission gelungen ist, eine Regierungsdelegation
durchzusetzen, und warum drittens von Ihrem Ministe-
rium drei Jahre lang nichts an Initiativen ausgegangen
ist.

Wir fangen hier aber nicht bei null an. Beim zweiten
Weltkongress 2001 in Yokohama führte die damalige
SPD-Ministerin Christine Bergmann unsere Delegation
an und hat ihren internationalen Einfluss genutzt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Anschließend hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr
2003 unter der SPD-Ministerin Renate Schmidt den ers-
ten nationalen „Aktionsplan zum Schutz von Kindern
und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeu-
tung“ aufgelegt und umgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben unter anderem das Strafrecht verschärft
und den Opferschutz verbessert. Zu den Schwerpunkten
des Aktionsplans zählen auch die Bekämpfung von Sex-
tourismus und die Bekämpfung der Kinderpornografie.
Hier gehört Deutschland zu den Nachfrageländern. In
Vorbereitung des dritten Weltkongresses haben ich und
andere gefordert, dass wir Prioritäten in Richtung der
Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet setzen.
Dies spiegelt sich im Abschlussdokument und in unserer
Zusatzerklärung wider.

Fakt ist, dass wir in diesem Teilbereich der Internet-
kriminalität eine Steigerung zu verzeichnen haben, die
sich auch auf Handys erstreckt. Wir brauchen wirksa-
mere Maßnahmen zur Identifizierung der Opfer und der
Täter. Vor allem die Versorgung der Opfer durch kompe-
tente Fachkräfte muss sichergestellt werden.


(Beifall bei der SPD)


Neben der Verbrechensverfolgung muss auch die Sper-
rung von Internetseiten bei Access-Providern ermöglicht
werden. Um die Täter zu verfolgen – das hat schon die
Justizministerin in ihren Ausführungen klar gemacht –,






(A) (C)



(B) (D)


Renate Gradistanac
brauchen wir vor allem den Ausbau der grenzüberschrei-
tenden Zusammenarbeit.

Ich erwarte von der Bundesregierung umgehend ei-
nen zweiten Aktionsplan. Der Bereich der neuen Medien
ist ein Baustein bei der Weiterentwicklung der Gesamt-
strategie. Neben Vorgaben für die Internetwirtschaft – da
erwarte ich das Engagement der Regierung und von Ih-
nen, Frau Ministerin – erwarten wir auch verbindliche
Vorgaben für die Tourismuswirtschaft und die Finanz-
wirtschaft. Wir müssen den Kauf von Kinderpornografie
per Kreditkarte stoppen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir kommen voran, um den Zugang zu Kinderporno-
grafie im Internet zu erschweren. Wichtig ist aber, nicht
nur Verträge mit einzelnen Providern abzuschließen.
Nein, die gesamte Internetwirtschaft muss wissen, wo
wir die Grenzen ziehen. Hierfür brauchen wir eine klare,
nachhaltige und rechtssichere Grundlage. Deshalb er-
warten wir ein eigenes Gesetz, Frau Ministerin.

Ich begrüße es, dass die Bundesregierung mit der
Festlegung der Eckpunkte ihre Entschlossenheit bekräf-
tigt hat und zügig ein Gesetzgebungsverfahren initiieren
wird. Die SPD-Fraktion wird dieses Verfahren, bei dem
die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten sein
werden, begleiten. Ich begrüße ausdrücklich die Klar-
stellung, dass eine Ausweitung auf andere Zwecke nicht
beabsichtigt ist.

Frau Ministerin von der Leyen, es ist gut, dass Sie das
Problem erkannt und sich unsere Forderungen zu eigen
gemacht haben. In diesem Zusammenhang danke ich be-
sonders Frau Justizministerin Brigitte Zypries.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621408100

Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1621408200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Norwegen 2004, Schweden 2005, Schweiz 2006.
Warum betone ich das? Das sind Länder, die Access-
Blocking bereits eingeführt haben. Und Deutschland?
Wo stehen wir? Seit Jahren diskutieren wir über eine
freiwillige Selbstverpflichtung. Bis heute ist aber nichts
geschehen. Viele Länder waren bereits vor uns aktiv.
Deutschland ist noch nicht mit im Boot. Deshalb ist die-
ser Schritt wichtig. Deshalb bin ich froh, dass unsere Mi-
nisterin so hartnäckig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Frau von der Leyen weiß leider erst seit einigen Tagen, dass es Kinderpornografie gibt!)

Ein Wort zur Kinderpornografieszene. Der Kollege
Bosbach hat bereits gesagt, dass wir immer mehr Konsu-
menten, Bilder und Videos haben. Wir haben immer jün-
gere Opfer; zum Teil sind es sogar Säuglinge. Das bringt
den Tätern immer mehr Geld. Vor allen Dingen haben
wir aber auch immer größere Verfahren. Allein bei der
Operation „Himmel“ waren es 12 000 Beschuldigte.

Vielleicht kennen Sie den Spruch „Wer ein Ziel ver-
folgt, sucht Wege; wer blockieren will, sucht Gründe.“
Was wir von den Bedenkenträgern heute wieder gehört
haben, ist für die Kinder mehr als unangenehm.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christoph Waitz [FDP]: Da haben Sie nicht gut zugehört! – Caren Marks [SPD]: Das ist unglaublich!)


Zweifel an der Wirksamkeit, Zweifel an der Umsetz-
barkeit, die Sorge vor vermeintlichen Schadensersatz-
ansprüchen oder Angst vor der Einführung einer
vermeintlichen Zensur sind schlechte Argumente. Ent-
schuldigen Sie, aber mir wäre es lieber, wenn Sie dieses
Engagement für den Schutz der betroffenen Kinder auf-
bringen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Uns geht es darum, dass es voran geht!)


Wir wollen eine konkrete Verfolgung der Täter. Das
Strafrecht allein wird es nicht richten. Neben Access-
Blocking brauchen wir eine bessere Opferidentifizie-
rung. Wir brauchen eine bessere Technik zur Löschung
der Bilder im Internet. Wir brauchen mehr Personal für
die Ermittlung. Liebe Kollegin Ekin Deligöz, das, was
Sie gesagt haben, ist ja alles richtig. Das eine zu tun,
heißt doch aber nicht, das andere zu lassen. Deswegen
kann ich diese Kritik nicht nachvollziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht sollten einige Kollegen einmal die Presse-
meldungen durchsehen. Europa hat uns für das, was wir
auf den Weg gebracht haben, viel Beifall gespendet.
Auch die EU-Kommission hat ein entsprechendes Geset-
zesvorhaben auf den Weg gebracht.


(Caren Marks [SPD]: Ja genau! Ein Gesetzesvorhaben!)


Sie erwartet eine EU-weite Einführung von Sperrlisten.
Da ist es gut, wenn Deutschland mit gutem Beispiel vor-
angeht. Access-Blocking ist meiner Ansicht nach das ge-
eignete Instrument, um diesen kommerziellen Markt
auszutrocknen.


(Caren Marks [SPD]: Ohne Täterverfolgung!)


Eine Delegation war – das war eben schon Thema –
in Brasilien. Dort haben wir unseren Staatenbericht vor-
gelegt. Die anderen Staaten waren von dem, was wir er-
reicht haben, begeistert.


(Caren Marks [SPD]: Was Rot-Grün auf den Weg gebracht hat!)


Wir haben gesagt: Wir werden den Aktionsplan fort-
schreiben. Ja, diese Nation nimmt ihre Verantwortung
wahr.






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll

(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es! Richtig!)


Was haben Sie denn im Laufe von zehn Jahren gemacht?
Sie haben alles verschlafen. Entschuldigung. Deutsch-
land und die EU-Kommission drücken aufs Tempo. Das
ist schon lange überfällig.

Warum Access-Blocking? Es ist eine gute Präven-
tionsmaßnahme, auch wenn von dem einen oder anderen
gesagt wird, es sei nicht das geeignete Mittel. Es geht
darum, Zufallskontakte zu unterbinden. In diesem Zu-
sammenhang habe ich zwei kleine, kritische Anmerkun-
gen, eine zur Rede des Kollegen Wunderlich und eine
zur Rede der Kollegin Deligöz. Es ist gefragt worden, ob
es in Norwegen, das die gleiche DNS-Sperre eingeführt
hat, nicht Täter gibt, die das notwendige Spezialwissen
haben, um die Sperre zu umgehen. Interpol hat Norwe-
gen danach gefragt. Die Norweger haben gesagt: Nein,
unserer Einschätzung nach machen die Täter das nicht.
Die 20 Prozent, die sich in den sogenannten Peer-to-
Peer-Groups aufhalten, werden wir vielleicht nicht errei-
chen. Aber wir erreichen 80 Prozent des Marktes. Ich
finde, damit hätten wir im Vergleich zu heute schon viel
erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Werden nur illegale Inhalte gesperrt? Manche Leute
befürchten ja, wir würden nicht nur das sperren. Ich er-
laube mir die Antwort der Länder gegenüber Interpol auf
die Frage, was die Länder gemacht haben, die diese
Sperre eingeführt haben, wiederzugeben. Sie haben aus-
drücklich gesagt: Es wird nichts anderes gesperrt. Wer
die Eckpunkte gelesen hat, die im Gesetzentwurf stehen,
weiß, dass dort wortwörtlich steht: Es ist sichergestellt,
dass keine legalen Angebote auf die Liste gelangen.
Also, bitte schön, Bedenkenträger, dies kommt nicht
zum Tragen!

Manche sagen, die Erfolgsquote der DNS liege nur
bei 70 Prozent. Was spricht gegen das Mittel? Sperrlis-
ten sind meiner Meinung nach besser als Nichtstun. Dies
geht auch an Sie, Herr Kollege Waitz, weil Sie sagten,
die Hoffnung sterbe zuletzt, Amerika sei auf einem gu-
ten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In Norwegen werden täglich 18 000 Seiten geblockt.
Wenn wir dazu übergehen könnten, auf Deutschland
hochgerechnet 400 000 Zugriffe zu unterbinden, dann
könnte Deutschland mit einer solchen Zahl in die erste
Reihe treten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)


Ich habe kein Problem damit, dass die Ministerin ges-
tern die fünf Provider genannt hat; denn viele Mobilbe-
treiber haben sich ja schon 2008 freiwillig bereiterklärt,
den Vertrag zu unterschreiben. Für diejenigen, die jetzt
noch sagen, dass sie die Gegenargumente der Provider
nicht kennen, gilt: Sie sind alle über die Presse bekannt
geworden. Meiner Meinung nach sind diese Bedenken
längst ausgeräumt.
Das Internet vergisst nichts. Bei der nächsten Nach-
folgekonferenz möchte ich, sofern ich wieder dabei sein
sollte, sagen können: Deutschland 2009, wir waren da-
bei. Deutschland stand an der Spitze der Bewegung für
eine EU-weite Einführung von Sperrlisten.

Für die Endverbraucher, die hier oben auf der Tribüne
sitzen, gilt: Fragen Sie Ihren Provider, ob er unterschrie-
ben hat!

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621408300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Griefahn von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1621408400

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Hier haben wir es mit dem etwas merkwürdigen
Eindruck zu tun, es gebe diejenigen, die sperren wollen,
und diejenigen, die nicht sperren wollen. Für die SPD-
Fraktion betone ich: Diese Unterscheidung akzeptieren
wir nicht. Jeder hier im Hause ist dafür, den Zugang zu
kinderpornografischen Seiten zu sperren.


(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit Ende der 90er-Jahre haben wir von der SPD-
Fraktion in der Bundesregierung und im Parlament be-
reits viel für den stärkeren Schutz von Kindern getan.
Auf die einzelnen Punkte wurde hingewiesen: Wir haben
den Aktionsplan gehabt und Provider dazu bewegt, Sei-
ten herunterzunehmen, die in Deutschland gehostet wer-
den. Aber wir haben noch nicht alle erforderlichen Maß-
nahmen umsetzen können, was auch daran liegt, dass
dieses Thema 2005 noch nicht in der gesamten Bundes-
regierung angekommen war; wir hätten seit 2005 den
Aktionsplan fortsetzen und eine gesetzliche Grundlage
haben können. Bislang haben wir sie leider noch nicht.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Gradistanac [SPD]: Es wurde auf die lange Bank geschoben!)


In diesem Zusammenhang wundere mich auch da-
rüber, warum es so kompliziert sein soll – dies verfolgt
mich schon seit 20 Jahren –, die Kinderrechtskonvention
zu unterzeichnen. Damit würde man die Kinderrechte
wirklich einmal in den Mittelpunkt stellen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, wir alle sind gefordert, gegen die Herstellung, die
Verbreitung und den Verkauf bzw. Kauf von Kinderpor-
nografie mit allen Mitteln und mit aller Deutlichkeit vor-
zugehen. Ja, es kann und muss noch mehr getan werden,
weil diese Gewalt gegen Klein- und Kleinstkinder und
die Nachfrage danach einfach nicht hinnehmbar sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was müssen es eigent-
lich für kranke Gehirne sein, die die Nachfrage nach sol-






(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
chen Bildern immer wieder anheizen und dabei nicht vor
Kindern unter zehn Jahren Halt machen? Mir ist unbe-
greiflich, dass wir immer wieder über die steigende
Nachfrage diskutieren müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, es muss deutlich gesagt werden, dass wir als rot-
grüne Koalition 2002 mit Gesetzesänderungen erreicht
haben, dass Straftaten noch stärker verfolgt werden. Die
Verfolgung hat bisher schon dazu geführt, dass mehr sol-
cher Straftaten registriert werden, wodurch auch die Sta-
tistik steigt. Es muss uns klar sein, dass durch die bereits
ergriffenen Maßnahmen Dinge öffentlich werden. Dies
ist auch gut so. An dieser Stelle spreche ich meinen
Dank denjenigen aus, die sich diese Bilder ständig angu-
cken müssen, um die Strafverfolgung durchzuführen. Sie
haben wirklich keinen beneidenswerten Job. Herzlichen
Dank dafür!


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir dürfen nicht dulden, dass weiterhin kinderporno-
grafische Seiten aufgerufen werden; wir wollen die
Sperre. Aber wir wollen zu einer Regelung kommen, die
den Zugang im Internet durch zielgenaue Technik und
eine gesetzliche Abgrenzung präziser verhindert. Das ist
wichtig.

Wir wollen nicht, dass etwas gemacht wird, das tech-
nisch größtenteils wirkungslos ist und vor Gerichten kei-
nen Bestand hat. Ich habe alles Mögliche darüber gele-
sen, wer betroffen sein könnte. Deswegen bin ich sehr
dafür – die SPD-Fraktion hat es angekündigt –, ein or-
dentliches Gesetz zu verabschieden zu genau dem
Zweck, den Zugang zu Kinderpornografie zu verhin-
dern, und zwar ein Spezialgesetz mit einem entsprechen-
den Titel – das ist das Richtige – und kein allgemeines
Gesetz, auf dessen Grundlage noch andere Internetseiten
gesperrt werden könnten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Anhörung des Unterausschusses Neue Medien
hat gezeigt: Einhellig halten die Experten die ursprüngli-
chen Vorschläge des Familienministeriums für wir-
kungslos und rechtlich fragwürdig. Ich bin froh, dass
jetzt alle an einem Strang ziehen und die gesetzliche
Grundlage schaffen wollen. Im Übrigen war auch der
Präsident des BKA anwesend und hat eine gesetzliche
Grundlage gefordert. Deswegen finde ich es gut, dass
wir das jetzt auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen hierbei mit Sorgfalt vorgehen. Wir müssen
wirklich die treffen, die wir treffen wollen, und wir müs-
sen die Täter ächten. Das ist ein wichtiger Punkt.

Der Verweis auf andere Länder, die bereits ähnliche
Sperrungen eingeführt haben, nützt nur bedingt; denn
auch da hören wir immer wieder von Protesten. Es ist
nicht wahr, dass es keine Proteste gibt. Absolut legale
Seiten werden ebenfalls gesperrt. Wir brauchen eine Lö-
sung, die dies verhindert. Ich möchte nicht in die Situa-
tion kommen, die es in China gibt, wo selbst harmlose
Seiten wie die Seite der Deutschen Welle über Fußball-
ergebnisse gesperrt werden.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist ein hinkender Vergleich, Frau Kollegin!)


Das kann leicht passieren, wenn wir Allgemeinvereinba-
rungen schließen und kein spezifisches Gesetz machen.

Übereinstimmend haben die Experten gesagt, dass
– technisch gesehen – die Seiten bisher nur sehr ineffek-
tiv gesperrt werden. Wir wollen, dass es spezifischer und
versiert gemacht wird, sodass der Zugang wirklich ge-
stört wird.

Wir wollen auch die strafrechtliche Verfolgung. Ich
glaube, das ist ganz wichtig. Wir brauchen diese drasti-
sche Bekämpfung. Ich denke, dieses ernste Thema eig-
net sich nicht für politisches Hickhack.


(Zuruf von der CDU/CSU: Für abwegige Vergleiche auch nicht!)


Ich wünsche mir, dass wir hier gemeinsam zügig zu Re-
gelungen kommen, die Hand und Fuß haben, ausschließ-
lich für diesen Fall gelten und nicht Tor und Tür für alles
andere öffnen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621408500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1621408600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Griefahn,
ich wäre froh, wenn der Appell, den Sie am Schluss aus-
gesprochen haben, auch für die Kolleginnen und Kolle-
gen Ihrer Fraktion gelten würde, dass es bei diesem
Thema kein parteipolitisches Hickhack gibt, sondern
dass gemeinsam konstruktiv um Lösungen gerungen
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Gradistanac [SPD]: Eben nicht zugehört?)


Denn die heutige Debatte hat deutlich gezeigt – da tun
Sie, Frau von der Leyen, mir fast ein bisschen leid –, mit
welchen Bedenkenträgern Sie sich über Monate rum-
schlagen mussten. Ich konnte im Vorfeld nicht glauben,
dass bei diesem Thema so viele Bedenkenträger nicht
nur draußen, sondern auch in diesem Hause unter uns
sind. Das war teilweise sehr beschämend.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Bär
Frau Gradistanac, es war einfach peinlich und unmög-
lich, diejenige anzugreifen, nämlich die Bundesministe-
rin von der Leyen, die sich seit Monaten als Einzige ge-
gen die Neinsager, gegen die Abersager, gegen alle
Bedenkenträger durchgesetzt hat. Sie haben darauf hin-
gewiesen, dass Sie vor acht Jahren beim Kongress in
Yokohama waren. Danach gab es ein paar Jahre eine rot-
grüne Bundesregierung, und auch jetzt ist die SPD wei-
ter an der Regierung beteiligt. Sie haben acht Jahre lang
zugeschaut und greifen jetzt die Ministerin an; das ist
doch kein politischer Stil, das ist unmöglich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Warum stehen wir heute überhaupt hier? Zum einen
natürlich dank unserer Ministerin – ich bin ihr wirklich
dafür dankbar –, zum anderen aufgrund abscheulicher
Verbrechen. Ich kann mich nicht erinnern, in meinen sie-
ben Jahren Bundestagszugehörigkeit jemals so ekelhafte,
widerwärtige Schilderungen gehört zu haben, wie sie die
Ministerin zu Beginn ihrer Rede in den Vordergrund ge-
stellt hat. Auch das ist wichtig; denn unter Kinderporno-
grafie kann man sich erst einmal nichts vorstellen. Es ist
für alle Zuhörer hier, aber auch draußen an den Bildschir-
men ganz wichtig gewesen, dass sie das angesprochen
hat. Wenn man sich das allein bildlich vorstellt, muss
man kein einziges dieser Fotos gesehen haben, um zu
wissen, dass man das ganz dringend bekämpfen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht um die Vergewaltigung und Schändung wehr-
loser Kinder. 43 Prozent der betroffenen Kinder sind
jünger als sechs Jahre, über 10 Prozent von ihnen jünger
als zwei Jahre. Hier besteht also dringender Handlungs-
bedarf. Wir müssen denjenigen, die von diesem Millio-
nengeschäft profitieren, den Markt rauben.

Wir haben es mit zwei Gruppen schwerkranker Men-
schen zu tun: zum einen mit Pädophilen, für die das An-
schauen derartiger Bilder zur Sucht geworden ist, zum
anderen mit denjenigen, die keine Skrupel haben, mit
solchen Bildern, also durch Straftaten, Millionen zu
scheffeln.

Ich bin unserer Ministerin wirklich dankbar – ich
möchte den Dank von Wolfgang Bosbach aufgreifen –,
dass sie dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat. Sie
ließ sich auch von denen, die ihr das Leben schwer ma-
chen wollten, nicht beirren oder abschrecken, sondern
hat ihr Ziel stetig weiterverfolgt. Frau von der Leyen,
dass wir heute so weit sind, haben wir Ihnen zu verdan-
ken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei diesem Thema geht es natürlich nicht nur um die
rein politische Aufgabe, die gesetzliche Grundlage dafür
zu schaffen – dieser Verantwortung müssen wir uns be-
wusst sein –, sondern auch um eine gesamtgesellschaftli-
che Aufgabe, also um eine Aufgabe unserer Zivilgesell-
schaft. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch dem
Verein „Innocence in Danger“ danken, namentlich seiner
Präsidentin Stephanie von und zu Guttenberg,


(Widerspruch bei der SPD)

die sich seit Jahren ehrenamtlich engagiert, sich für Prä-
vention stark macht und versucht, traumatisierte Kinder
wieder ins Leben zurückzuholen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssten eigentlich vom ersten Satz Ihres Redebeitrags an tiefrot geworden sein! – Caren Marks [SPD]: Jetzt wird es wirklich bitter! Geschmacklos!)


Dieser Verein hat internationale Studien erstellt, um
diesen Missstand zu bekämpfen, weil das eine gemein-
same – –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Erst die Abteilung auflösen und sich dann hier auf dem Rücken der Kinder gesundbeten! Das ist mal wieder typisch! So geht das aber nicht!)


– Frau Künast, ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum
Sie bei diesem Thema so herumgeifern. Das kann ich
nicht nachvollziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz einfach! Weil Sie sich hier mal wieder auf dem Rücken der Kinder gesundbeten! Ich verstehe nicht, dass Sie sich für Ihren Redebeitrag nicht schämen! Das sollten Sie nämlich tun!)


An dieser Stelle möchte ich, wie es auch meine Kolle-
gin Noll getan hat, an alle Provider appellieren, mit dem
Gesetzgeber zusammenzuarbeiten. Bei diesem Thema
hat es jeder Einzelne von uns in der Hand, nur mit denen
zusammenzuarbeiten, die das politische Ziel, diesem
Grauen im Internet ein Ende zu machen, unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Eine armselige Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621408700

Als letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde hat die

Kollegin Kerstin Griese von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1621408800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte an den Beginn der Debatte, als der Kollege
Bosbach sagte, dass wir uns bei diesem Thema alle einig
sind, anknüpfen. Ich finde, bei diesem Thema müssen
wir uns auch alle einig sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Wenn ich mir vor Augen führe, was in dem einen oder
anderen Redebeitrag gesagt wurde, bin ich allerdings,
ehrlich gesagt, ein bisschen fassungslos.


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Wir auch!)

Ich will ganz ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir

uns im Familienausschuss seit vielen Jahren sehr inten-
siv um den Schutz von Kindern und Jugendlichen küm-
mern. Dort sind wir uns auch einig. Ich halte es für nicht
angemessen, sich in dieser Debatte gegeneinander aus-






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Griese
zuspielen. Für meine Fraktion sage ich ganz deutlich:
Wir wollen das eine tun und das andere nicht lassen. Wir
wollen alles tun, was man tun kann, um die Kinderpor-
nografie zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD – Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Deswegen auch die Vertragslösung!)


Zu Beginn meiner Rede danke ich der Familienminis-
terin, der Justizministerin, dem Innenminister und dem
Wirtschaftsminister. Ich hoffe, dass Sie uns so schnell
wie möglich einen Gesetzentwurf vorlegen. Auch an
dieser Stelle möchte ich niemanden gegen den anderen
ausspielen; denn gerade bei diesem Thema gehört sich
das nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen zusammenarbeiten und zügig weitere
Schritte einleiten.

Ich will deutlich betonen: Der Schutz von Kindern
und Jugendlichen vor diesem furchtbaren Verbrechen ist
ein zentrales Anliegen. Wir wissen, dass die betroffenen
Kinder durch jeden Klick im Internet wieder zu Opfern
werden. Wir wissen auch – das ist heute schon mehrfach
gesagt worden –: Die Verbreitung von Kinderpornogra-
fie hat zugenommen, die Opfer werden immer jünger,
und mit der Kinderpornografie wird immer mehr Geld
verdient. Deshalb brauchen wir ein Gesamtkonzept: zur
Prävention, zum Schutz der Opfer, zur Strafverfolgung
und zur gesellschaftlichen Ächtung der Täter. Eigentlich
sollte von dieser Debatte ein Signal in diese Richtung
ausgehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)


Es geht, wie gesagt, darum, das eine zu tun und das an-
dere nicht zu lassen.

Erstens. Wir müssen alles tun, um Straftaten zu ver-
hindern. Wir müssen diejenigen finden, die Kinder miss-
brauchen. Wir müssen außerdem alles tun, damit diese
furchtbaren Straftaten gar nicht erst geschehen. Denn
wer als Kind missbraucht worden ist, leidet das ganze
Leben unter dem Missbrauch. Unsere Gesetzeslage ist
eindeutig: Kindesmissbrauch ist strafbar und verboten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Wir müssen die Opfer schützen. Wir müs-
sen die Kinder stark machen, damit sie in der Welt zu-
rechtkommen und lernen, Nein zu sagen. Sie müssen
aber auch wissen, an welche Stellen sie sich wenden
können, wenn sie Hilfe brauchen. Wir brauchen Schul-
psychologen sowie Schulsozialarbeiterinnen und -arbei-
ter. Wir brauchen eine Stärkung der Kinderrechte. Auch
dafür wünsche ich mir ein gemeinschaftliches Engage-
ment in diesem Haus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])

Drittens. Wir müssen die Täter bestrafen. Wenn man
so tut, als geschähe dies nicht, ist das der Debatte nicht
angemessen. Zum Glück werden die Täter bestraft. Seit
2003 gibt es einen eigenen Straftatbestand im Strafge-
setzbuch, der die Verbreitung, den Erwerb und den Be-
sitz von Kinderpornografie unter Strafe stellt. Allein
2006 wurden auf dieser Grundlage über 1 400 Personen
verurteilt. In den Jahren 2006 bis 2008 kam es zu drei
großen Verfahren mit Tausenden Beschuldigten. Das
zeigt, wie groß und schlimm das Problem ist; es zeigt
aber auch, dass unsere Strafverfolgungsbehörden an sei-
ner Bekämpfung arbeiten. Deshalb danke auch ich den-
jenigen – Kollegin Griefahn hat das schon getan –, die
die fürchterliche Arbeit auf sich nehmen, diese Internet-
seiten anzusehen, um die Täter aufzuspüren. Ich glaube,
das ist eine ganz schwierige Arbeit; sie muss gemacht
werden, damit wir der Täter habhaft werden. Vielen
Dank dafür.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Viertens. Wir müssen die Kinderpornografie im Inter-
net und darüber hinaus eindämmen. Um es noch einmal
zu sagen: Wenn auf deutschen Servern Kinderpornogra-
fie liegt, werden diese sofort abgeschaltet; denn es ist
strafbar. Das geschieht schon jetzt; es wäre schlimm,
wenn das nicht so wäre. Solche Server werden also nicht
nur gesperrt, sondern abgeschaltet. Heute sprechen wir
über ausländische Server, deren Inhalte über die deut-
schen Provider hierhin geleitet werden, sodass man auf
sie zugreifen kann. Ich akzeptiere nicht – das sage ich
ausdrücklich –, wenn der Eindruck erweckt wird, es
gäbe hier eine Spaltung; wir sind uns alle sehr einig, dass
solche Inhalte blockiert werden müssen. Das, was in
Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark, den Nieder-
landen, Großbritannien, Belgien, der Schweiz und ande-
ren Ländern getan wird, wird auch bei uns stattfinden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Wir brauchen dafür europaweite und weltweite Lö-
sungen; denn nur dann kommen wir weiter. Ich finde es
gut, dass die EU-Kommission alle Mitgliedsländer auf-
gefordert hat, Kinderpornografieseiten im Internet zu
sperren. Ich finde es gut, dass der Weltkongress in Rio
deutlich gemacht hat, was noch zu tun ist – es ist noch
viel zu tun –, um die sexuelle Ausbeutung von Kindern
und Jugendlichen zu bekämpfen.

Im Zuge der Diskussion um Kinder- und Jugend-
schutz, die wir im Familienausschuss oft führen, höre ich
oft das Argument, all das bringe nichts. Heute habe ich
in der Zeitung gelesen, dass der Vorstandsvorsitzende
des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft schon
jetzt weiß, dass eine Sperre nichts bringt, weil man sie
umgehen kann und weil dann andernorts veröffentlicht
wird. Ich finde das nicht hilfreich. Wir müssen vonseiten
der Politik deutlich machen, welche Regeln und Normen
wir in diesem Land setzen; dann müssen wir alles juris-
tisch und technisch Mögliche daran setzen, ihre Einhal-
tung zu gewährleisten.






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Griese
Allen, die schon jetzt sagen, das helfe sowieso nichts,
sage ich: Wir werden alles tun – in allen Facetten –, um
Kinderpornografie zu bekämpfen. Es geht um eine ge-
sellschaftliche Ächtung. Hier geht es um ein Verbrechen,
das tagtäglich in Büros stattfindet und so etwas wie eine
weiße Kriminalität ist. Das muss benannt werden, damit
die Menschen, die das machen, wissen, dass sie ein Ver-
brechen begehen, sodass die Opfer geschützt werden
und so etwas nicht mehr passiert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist gut, dass es einen freiwilligen Vertrag mit

75 Prozent der Internetanbieter gibt. Ich sage ausdrück-
lich: Von dieser Debatte muss ein Signal an die Anbieter
ausgehen, die bisher noch nicht mitmachen wollen – Free-
net, United Internet und Versatel –, sich dieser Vereinba-
rung anzuschließen. Außerdem muss ein Gesetz her. Eine
freiwillige Vereinbarung ist gut; aber ein Gesetz ist besser,
um wirklich alle zu erreichen. Ein solches Gesetz muss
schnell verabschiedet werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir werden uns diesem Verbrechen entschlossen ent-

gegenstellen. Es ist das Schlimmste, wovon wir in die-
sem Land erfahren, das Schlimmste, das Kindern passie-
ren kann. Deswegen sollten wir aus dem Deutschen
Bundestag gemeinsam die klare Botschaft – wir sollten
uns nicht gegeneinander ausspielen lassen – an die An-
bieter von Kinderpornografie und an diejenigen, die sich
Kinderpornografie strafbarerweise ansehen, richten: Wir
werden das nicht dulden; wir werden alles tun, um dieses
Verbrechen zu bekämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621408900

Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Anbau von gentechnisch verändertem Mais
stoppen
– Drucksache 16/11919 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Renate Künast vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621409000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht

uns heute und hier darum, den Verkauf und die Aussaat
von MON-810-Saatgut, also von Saatgut einer gentech-
nisch veränderten Maissorte, in Deutschland zu stoppen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD])

Es geht uns an dieser Stelle um eine ernsthafte De-
batte, die – das will ich gleich sagen – möglichst nicht so
aussieht wie die in der letzten Woche, als CDU/CSU und
FDP die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz
für ihre Aussagen im Ausschuss angepöbelt haben, Herr
Bleser.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das war ein bemerkenswerter Auftritt!)


– Herr Bleser, es gibt, wie immer der Auftritt von Gästen
auch ist, noch lange kein Recht, selber herumzupöbeln.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie waren doch gar nicht dabei!)


Ich habe zum Beispiel gehört, dass Ihr Auftritt manch-
mal auch bemerkenswert ist.

Ich will an dieser Stelle eine Debatte über den Mais
führen und wissen, wer eigentlich mit gespaltener Zunge
redet und wer jetzt wirklich für oder gegen MON 810 ist.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das werden Sie erfahren!)


Wenn ich mir die Redenliste anschaue, dann stelle ich
fest, dass sich schon wieder keine Rednerin und kein
Redner von der CSU traut, hier das Wort zu ergreifen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doppelte Zunge! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feige!)


Vielleicht ändert sich das ja noch im Laufe der Debatte.
Ansonsten schließen wir daraus, dass Sie von der CSU
mit Blick auf die Europawahl in Bayern anders spre-
chen, als Sie es wirklich meinen. Ich glaube, das ist die
einzig mögliche These.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Bayern sagen Sie Nein, in Berlin reden Sie entwe-
der gar nicht oder Sie sagen Vielleicht. Der andere Teil
der Union sagt dann Ja, und in Brüssel wird entweder
auch noch einmal Ja gesagt oder dafür gesorgt, dass Mit-
arbeiter vor Abstimmungen in den Ausschüssen – zum
Beispiel über den Bt-11-Mais – die Ausschusssitzungen
verlassen, damit sie nicht zeigen, was Deutschland in
dieser Sache eigentlich meint. Ich meine, Sie müssten
jetzt endlich einmal Farbe bekennen, und zu dem, was
Teile dieses Hauses reden, muss es endlich auch Taten
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es stellt sich natürlich eine Frage an die Landwirt-
schaftsministerin Frau Aigner.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist sie?)


– Wo sie ist? Das ist eine gute Zwischenfrage. Ich habe
schon fast erwartet, dass sie jetzt nicht hier ist. – Da sie
selber sagt, sie sei kritisch, und da sie auf Messen ein
Verbot ankündigt, stelle ich ihr die Frage: Warum trauen
Sie sich erstens nicht selbst hierher, und warum verhin-
dern Sie zweitens, dass es heute eine Abstimmung in






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
dieser Sache gibt, bevor die Bauern aussäen? – Mit Ih-
rem Verhalten lassen Sie die Bauern allein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass manches, was dort geredet wird, ein-
fach ein Ablenkungsmanöver ist. Wenn Seehofer als Mi-
nisterpräsident es nämlich ernst meinen würde, dann
würde er hier stehen und sagen, dass es sein größter poli-
tischer Fehler war, dass er als Gesundheitsminister 1998
in Brüssel MON 810 in der EU mit zugelassen hat.
Wenn er ehrlich wäre, dann würde er sagen, dass es der
größte Fehler seiner Amtszeit als Agrarminister war,
2005 MON-810-Saatgut in Deutschland zugelassen zu
haben, von dem wir jetzt nicht wissen, wie wir es wieder
loswerden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auf einen Punkt eingehen, der immer genannt
wird – er wird bestimmt auch in dieser Debatte ange-
sprochen werden –, nämlich, dass die Befürworter sa-
gen, dass die wissenschaftlichen Risiken nicht nachge-
wiesen sind. Wir müssen hier genau hinschauen. Mich
und uns Grüne treibt schon noch so etwas wie ein Vor-
sorgeprinzip. Es geht um die Frage, wie wir mit den Ver-
brauchern umgehen. Wenn wir uns nicht sicher sind,
dann muss das Vorsorgeprinzip gelten, das besagt: Wir
lassen nichts zu, bei dem wir noch begründete Zweifel
daran haben, dass es gefährlich sein könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Haben Sie Zweifel an der Wissenschaft?)


– Ich habe keine Zweifel an der Wissenschaft. Ich weiß
nur eines: Die WTO erlaubt weltweit den Anbau von
Genpflanzen. Sie erlaubt auch, weltweit die Wälder zu
roden, um danach was auch immer – meinetwegen auch
Gensoja – anzubauen. Das ist nicht mein Verständnis
von einer gerechten Welt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD] – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh!)


Wir sollten auch einmal unseren Kenntnisstand prüfen
bzw. nach dem Stand der Forschung fragen. Bei herbizid-
resistenten Genpflanzen wird die Wirkung der verstärkt
eingesetzten Herbizide auf die Umwelt in der Forschung
kaum untersucht. Auch die Auswirkungen des Anbaus
von Bt-Pflanzen auf Bodenorganismen werden nicht er-
forscht. Dabei sind die Bodenorganismen so ziemlich das
Wertvollste, das es in den Böden bzw. auf dem Acker gibt.

In die Zukunft blickend würde ich sagen, dass ange-
sichts des Welthungers, unserer Ernährungslage und der
nachwachsenden Rohstoffe nicht länger die Erdölquel-
len, sondern gute Böden das Objekt der Begierde sein
werden, das es zu schützen und zu bewahren gilt. Wir
haben den Anspruch, das zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie wollen die Menschen hungern lassen mit Ihrer Technologieverweigerung!)

Lassen Sie uns den Blick auf andere Staaten richten,
in denen der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen
schon sehr weit verbreitet ist. Nehmen wir zum Beispiel
Kanada und Indien. In Kanada – vor allem im Westen –
wird mittlerweile dreifach herbizidresistenter Raps ange-
baut. Es gibt Raps, der auf andere artverwandte Pflanzen
auskreuzt. Im Westen Kanadas baut niemand mehr kon-
ventionellen – also nicht gentechnisch veränderten –
Raps an, vom Ökolandbau ganz zu schweigen. Sie haben
alle die Segel gestrichen. Im Westen Kanadas geht man
mit der Giftspritze durch die Städte, weil die Grünflä-
chen mittlerweile aufgrund des Gentechnikeinsatzes mit
Super-Unkräutern verunreinigt sind. Das ist die Wahr-
heit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der SPD und der FDP – Peter Bleser [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das erzählt?)


Es wäre schön – das sage ich gerade in Richtung FDP,
den letzten, die glauben, dass die Märkte dieser Welt al-
les alleine regeln werden –, wenn das aus einem Fanta-
sieroman stammen würde. Es wird aber leider von kana-
dischen Bauern erzählt, die festgestellt haben, dass sie
selber dort keine Landwirtschaft mehr betreiben können.

Das andere Beispiel betrifft die gentechnisch verän-
derte Baumwolle in Indien. Mittlerweile verdienen die
Bauern mit konventionell angebauter Baumwolle mehr
und steigen deshalb wieder aus.

Ich komme zum Schluss. Wir haben an dieser Stelle
ein Problem, nämlich die Tatsache, dass Zulassungsbe-
hörden und deren Mitarbeiter mit der Wirtschaft verwo-
ben sind. An Frau Aigner gerichtet sage ich in diesem
Zusammenhang eines ganz klar: Wenn sie, was sie im-
mer wieder andeutet, zu MON 810 eine Entscheidung
treffen will, dann sollte sie das jetzt tun, bevor die Bau-
ern aussäen. Dabei sollte sie sich nicht von Herrn
Bartsch und Herrn Schiemann aus den nachgeordneten
Behörden beraten lassen. Das sind diejenigen, die gerade
mit Monsanto, Syngenta und anderen Fachartikel da-
rüber veröffentlichen, wie man möglichst billig ein Mo-
nitoring durchführen kann, um danach zu entscheiden,
ob das Monitoring gut war. Das ist eine Art von Filz, die
nicht entscheidungserheblich sein darf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir stellen MON 810 infrage und fordern, es zu ver-
bieten. Unserer Vorstellung von einer guten Landwirt-
schaft entspricht, dass die Bauern und die Verbraucher
noch Wahlfreiheit haben und dass Monsanto nicht zu
dem wird, was Microsoft für Computer ist, nämlich ein
Unternehmen, das die Patente auf alle wichtigen Lebens-
mittel hält, die zur Ernährung der Bevölkerung dieser
Welt nötig sind, und die Bauern zu Abhängigen macht.
Die Verbraucher und Bauern sollen frei entscheiden kön-
nen. Niemand darf das Patent auf die wesentlichen Ge-
treidearten dieser Welt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621409100

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/ CSU]: Ein unabhängiger Landwirt!)



Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621409200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

einmal will ich Frau Ministerin Aigner entschuldigen.
Sie nimmt an der Agrarministerkonferenz in Magdeburg
teil.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist in Ordnung; sie muss daran teilnehmen.

Ich bin sehr dankbar, Frau Künast, dass Sie vor mir
gesprochen haben. Denn Sie waren es doch, die mit einer
Stimmenthaltung in Brüssel die Freisetzungsrichtlinie
der Europäischen Union für gentechnisch veränderte
Pflanzen erst ermöglicht hat. Das war in Ihrer Amtszeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben dann auch den Entwurf eines ersten Gen-
technikgesetzes im Bundestag eingebracht. Das Gesetz
ist mit rot-grüner Zustimmung beschlossen worden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was steht drin?)


Wir haben es vor zwei Jahren verschärft und verbessert,
weil Sie nicht in der Lage waren, eine gute fachliche
Praxis zu definieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erst wir haben Wahlfreiheit und Koexistenz in Deutsch-
land ermöglicht. Sie haben die Rechtsgrundlagen ge-
schaffen und sind hier die erste Kämpferin gegen diese
Technologie. Das ist scheinheilig und nicht wahrhaftig,
Frau Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621409300

Herr Kollege Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Höhn?


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621409400

Gerne.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621409500

Herr Kollege Bleser, 1998 hat es in Brüssel eine erste

Entscheidung zur rechtlichen Zulassung von MON 810
gegeben. Damals war der Bundesgesundheitsminister
dafür zuständig. Können Sie bestätigen, dass der dama-
lige Gesundheitsminister Seehofer und nicht Renate
Künast hieß und dass die Entscheidung für MON 810
sowohl 1998 in Brüssel als auch 2005 von Herrn
Seehofer, der dann Landwirtschaftsminister war, und
nicht von Renate Künast getroffen wurde?

Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621409600

Die Frage ist schon so oft gestellt worden, dass es

langweilig ist, sie zu beantworten.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie sie nicht beantworten wollen!)


Das Erste bestätige ich gerne. Damals war Herr Seehofer
Gesundheitsminister; das ist so weit richtig. Das andere
ist falsch. Sie wissen genau – ich habe vorhin versucht,
das zu erklären –: Die rechtlichen Grundlagen für den
Anbau sind von Frau Künast in Brüssel und Deutschland
gelegt worden. Dabei bleibe ich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann ist jetzt MON 810 zugelassen worden? Das nimmt Ihnen doch keiner ab!)


Frau Künast, ich möchte noch mit etwas aufräumen,
weil das sehr an moralische Dimensionen heranreicht.
Sie sagen, der ökologische Landbau sei in der Lage, die
Menschheit zu ernähren. Sie wissen genau, dass ein Drit-
tel der Menschheit ohne den Einsatz von Pflanzen-
schutzmitteln und Dünger schon heute verhungern
müsste.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! – Zuruf von der SPD: Wegen Pflanzenschutzmitteln und Dünger!)


Sie müssten dann entscheiden, wen es trifft. Es sind
nicht die Reicheren, sondern die Ärmeren, die darunter
leiden müssten. Das müssen Sie sich auch einmal vor-
halten lassen, wenn Sie hier solche Thesen vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir befassen uns heute in diesem Haus zum 40. Mal
seit Januar 2008 mit diesem Thema. Immer wieder die
gleiche Leier! Ich frage Sie: Warum machen Sie das?
Warum setzen Sie dieses Thema von Sitzungswoche zu
Sitzungswoche auf die Tagesordnung? Gibt es noch De-
tailfragen zu klären? Nein. Gibt es gesetzlichen Ände-
rungsbedarf? Nein. Selbst Sie sehen keinen. Es geht Ih-
nen also lediglich darum, eine Kampagne durchzuführen
und mit der Verunsicherung der Menschen politische
Ziele zu erreichen. Das ist Ihr Ziel und sonst gar nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es nur darum ginge, ob MON 810 auf ein paar
Hektar in Deutschland angebaut werden soll oder nicht,
würde ich sagen: Schwamm drüber! Das ist in ökonomi-
scher Hinsicht von keiner Bedeutung. Warum sagen wir
trotzdem, dass diese Technologie wichtig ist und dass
hier nach Recht und Gesetz und nach keinem anderen
Kriterium genehmigt werden muss? Wir tun das, weil
wir zutiefst von der Zukunft und dem Nutzen dieser
Technologie überzeugt sind und weil wir wissen, dass
man damit Pflanzenschutz- und Düngemittel einsparen
kann, dass man damit die Zahl der qualitätsbestimmen-
den Inhaltsstoffe erhöhen kann und dass wir damit auch
einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers leisten kön-
nen, und zwar ohne Urwälder zu roden, was Sie ja auch
nicht wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Bleser
Wir sind der festen Überzeugung, dass die Chancen die-
ser Technik die Risiken überwiegen. Ich will aber nicht
verkennen, dass es Ängste und eine Zurückhaltung in
der Bevölkerung gegenüber dieser Technologie gibt.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Warum denn?)


Deswegen gibt es ein strenges Zulassungsverfahren, das
von verlässlichen und demokratisch geschaffenen wis-
senschaftlichen Einrichtungen immer wieder überprüft
wird. Deswegen haben wir auch das Gentechnikgesetz
verschärft.

Welche Argumente haben Sie vorzubringen, die ge-
gen diese Technologie und den Anbau der Maissorte
MON 810 sprechen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie doch mal Frau Aigner!)


Vorgestern wurde ein Gutachten der Technischen Uni-
versität München in Bayern veröffentlicht. In einem
Langzeitversuch wurden 36 Kühe in einem Dauerfütte-
rungsversuch auf MON 810 getestet. Dieses Gutachten
liegt Ihnen vor. Es ist übrigens von der SPD-Fraktion im
Bayerischen Landtag beantragt


(Ulrich Kelber [SPD]: Das stimmt! Guter Antrag!)


und vom bayerischen Agrarministerium in Auftrag gege-
ben worden, das in diesen Fragen völlig unverdächtig ist.

In diesem Gutachten steht, dass 38 000 Datensätze
mit modernsten Analysegeräten untersucht worden sind.
Es wurde im Gutachten wörtlich festgehalten: Bei Kü-
hen, die mit MON 810 gefüttert wurden, gab es keine
Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähig-
keit im Vergleich zu konventionell gefütterten Tieren.
Auch die Milch zeigte keine Veränderungen gegenüber
Milch von konventionell gefütterten Kühen. – Ich will
die Süddeutsche Zeitung zitieren, in der Herr Patrick
Illinger schreibt:

Rückstände des Genfutters konnten beispielsweise
in der Kuhmilch trotz einer Nachweisgrenze von ei-
nigen Billionstel Gramm pro Milliliter nicht gefun-
den werden, berichtet der Physiologe Heinrich
Meyer.

Es konnten also mit modernsten Analysemethoden keine
Veränderungen gegenüber herkömmlicher Milch festge-
stellt werden. In der Welt schreibt Herr Miersch:

Das gentechnisch hinzugefügte Protein erwies sich
sogar als besonders leicht verdaulich.


(Lachen der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren von den Grünen, ignorieren
Sie solche wissenschaftlichen Aussagen? Das ist doch
keine professionelle Politik.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gutachten tue ich in den Schrank, in dem das Mäusegutachten aus Österreich steht!)

Das, was Sie hier betreiben, ist doch Symbolpolitik und
Verunglimpfung von Wissenschaftlern. Das tun Sie
schon die ganzen Jahre. Sie verunglimpfen mit Ihren
Anschuldigungen Leute, die seriös vorgehen. Das haben
Sie übrigens auch vorhin wieder getan, indem Sie die
Seriosität von Wissenschaftlern infrage gestellt haben.
Frau Künast, das ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621409700

Herr Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Künast?


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621409800

Bitte schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621409900

Bitte, Frau Künast.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat sich doch schon blamiert! – Heiterkeit bei der CDU/ CSU)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621410000

– Jeder blamiert sich auch mit seinem Zwischenruf so

gut, wie er kann. Herzlichen Glückwunsch dazu! Das ist
Ihrer weiteren parlamentarischen Karriere bestimmt zu-
träglich. – Sie haben uns gerade aufgefordert, das Gut-
achten aus Weihenstephan zu berücksichtigen. Das will
ich gerne tun. Es ist druckfrisch.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621410100

Ich kann es Ihnen gerne geben.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621410200

Nachdem ich den ersten Blick darauf geworfen habe,

frage ich mich schon, warum bei den einzelnen Durch-
gängen neun Kühe aus den Versuchsreihen gefallen sind.
Auch das werden wir klären. Wir werden schauen, wie
der Auftrag lautete. Nach meinem Kenntnisstand ist die
Frage nach den Auswirkungen auf die Natur nicht ge-
stellt worden, wenn auch dieses Ergebnis hinsichtlich
der Milch herausgekommen ist. Auch wurde nicht die
Frage der Auswirkung des Maisanbaus auf den Honig
gestellt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Imker sind ja auch Betriebe; sie stellen Honig her.
Nicht nur das – ihre Bienen tragen auch zur Bestäubung
bei. Wie wir alle wissen, ist die Bestäubung ein zwangs-
läufiger Bestandteil des natürlichen Kreislaufs.

Wenn ich verspreche, mir dieses Gutachten genau an-
zusehen, versprechen Sie, Herr Bleser, dann, sich das ös-
terreichische Gutachten genau anzusehen, welches erge-
ben hat, dass die Fruchtbarkeit von Mäusen, die mit
gentechnisch verändertem Futter gefüttert wurden,
sinkt? Sie müssen beide Seiten und alle wissenschaftli-
chen Gutachten berücksichtigen. Das ist keine Einbahn-
straße, Herr Bleser.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621410300

Frau Künast, Ihr Name hat in der Landwirtschaft nach

wie vor einen gewissen Klang, und Sie haben Ihren Ruf
heute noch einmal gefestigt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses österreichische Gut-
achten hält einer seriösen wissenschaftlichen – –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei mir klatschen die Bauern, bei der CSU nicht!)


– Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, sonst hätte ich Ih-
nen berichtet, auf welchen Namen mein Sohn unsere
schlechteste Kuh getauft hat.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nichts gegen Kühe! Aber bitte: die Antwort!)


Dieses österreichische Gutachten ist von seriösen, dafür
zuständigen Behörden widerlegt worden. Die EFSA wie
auch das BfR haben genau dieses Gutachten als nicht
relevant bezeichnet. Alle die von Ihnen zitierten Pseudo-
gutachten sind von den dafür zuständigen Einrichtungen
immer wieder widerlegt worden. Das ignorieren Sie.

Sie, Frau Künast, haben heute den Antrag gestellt,
MON 810 zu verbieten. Die Begründung für diesen An-
trag liefern Sie im ersten Satz. Ich zitiere:

Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in
Deutschland spricht sich seit Jahren in Umfragen
immer wieder gegen den Einsatz der Agro-Gen-
technik bei der Lebensmittelproduktion aus.

Sie machen also Politik aufgrund von Umfragen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anders als Seehofer!)


Frau Künast, der Schlag soll mich treffen, wenn ich ein-
mal auf dieses Niveau absinke,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine Beleidigung eines Ministerpräsidenten!)


wenn ich also nicht mehr bereit bin, auf wissenschaftli-
cher Basis nach bestem Wissen und Gewissen zu ent-
scheiden. Sie entscheiden aufgrund einer Umfrage, die
Sie selber in Auftrag gegeben haben,


(Beifall bei der CDU/CSU)


und zwar bei einer grünen Tarnorganisation namens
Campact. Diese Organisation verunglimpft seit zwei
Jahren gezielt Politiker und Wissenschaftler, indem sie
versucht, deren Glaubwürdigkeit zu beeinflussen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal zum Thema!)


Welche Arroganz drückt sich in Ihrem Verhalten aus,
wenn Sie ignorieren, dass weltweit 13,3 Millionen Bau-
ern diese Technologie nutzen, und das auf 125 Millionen
Hektar? Diese Ackerfläche ist elfmal größer als die Flä-
che Deutschlands. Nach Ihrer Ansicht sind all diese Bau-
ern dumm, falsch ausgerichtet; was sie machen, ist eine
gesundheitliche Gefahr für Leib und Leben und umwelt-
schädlich. Welche Arroganz drückt sich in Ihrer Einstel-
lung gegenüber diesen Menschen aus?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621410400

Herr Kollege Bleser, kommen Sie bitte zum Schluss.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1621410500

Ich sage Ihnen eines: Sie werden den Anbau von gen-

technisch verändertem Mais in bestimmten Regionen
nicht verhindern; das ist rechtlich gar nicht möglich.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie ab!)


In wenigen Jahren wird die Praxis Sie widerlegt haben.
Der Geschichte Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.


(Sönke Rix [SPD]: Das ist von Honecker!)


Ich will Ihnen nicht sagen, wen ich damit meine.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede trage ich jetzt nach Bayern! Das wollte ich nur hören! Danke, Herr Bleser!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621410600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1621410700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

wissen alle: Frau Künast ist Spezialistin für umfrage-
orientierte Politik, Herr Seehofer macht es ihr nach, und
alle beide werden damit langfristig scheitern.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Westerwelle? – Sönke Rix [SPD]: Das kennt die FDP ja gar nicht!)


– Westerwelle verfolgt eine vertrauenswürdige und ver-
lässliche Linie.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen sind die Umfrageergebnisse für die FDP wun-
derschön. Wir hoffen, dass sie bis zum Wahltag anhalten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Da muss selbst der Präsident schmunzeln!)


– Ich glaube, ich habe das Wort.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ich
glaube, diesen Satz kennt hier jeder. Wir alle wissen:
Hans-Dietrich Genscher ist in der Frage der deutschen
Einheit nicht zu spät gekommen. Wir haben die Einheit






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
verwirklicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der
CDU, ich will gern zugestehen: Auch Helmut Kohl hatte
ein wenig Anteil daran.


(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Aber wir als Liberale sind der Auffassung: Der Mann
der Einheit, das ist Hans-Dietrich Genscher.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Leute in Leipzig lachen sich gerade tot!)


Man fragt sehr selten, wer eigentlich bestraft wird,
wenn politische Entscheidungen zu spät fallen, wenn sie
falsch sind. Ich will Ihnen die Antwort geben: Das ganze
Land wird bestraft. Nehmen Sie das Beispiel Insulinpro-
duktion: 13,5 Jahre wurde verhindert – die Grünen hat-
ten einen Anteil daran –, dass Insulin mit gentechnischen
Methoden hier in Deutschland produziert wurde.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wir reden hier über Mais!)


Wer hat dafür gezahlt? Dafür haben die Menschen in
Deutschland gezahlt: durch den Abbau von Arbeitsplät-
zen, durch den Verlust von Investitionen, durch den Ver-
lust der Weltführerschaft in der Pharmazie. Opfer dieser
politischen Fehlentscheidungen waren die Menschen im
Land; sie wurden für die Politik dieses Landes bestraft.
Genau das droht bei der Grünen Gentechnik, und das
wollen wir als FDP hier verhindern.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Max Lehmer [CDU/CSU])


Mein Kollege Peter Bleser hat auf den bayerischen
Fütterungsversuch hingewiesen; das brauche ich nicht zu
wiederholen. Kollegin Künast, sicherlich wissen auch
Sie, dass es in Bayern ein Monitoring des Anbaus von
Bt-Mais gegeben hat. Dieses Monitoring hat deutlich ge-
macht, dass der Anbau von Bt-Mais wesentlich naturver-
träglicher ist als die Bekämpfung des Maiszünslers mit
chemischem Pflanzenschutz. Dies zeigt, dass es gerade
in den Gebieten, in denen es Maiszünsler gibt, sinnvoll
ist, diese Maissorten anzubauen. Wenn wir daran den-
ken, dass es im Oderbruch Befallsraten von 60 bis
80 Prozent gibt, dann erkennen wir, dass wir diese Sor-
ten auch in Deutschland brauchen, dass es also anders
ist, als Frau Aigner es dargestellt hat.


(Beifall bei der FDP)


Frau Kollegin Künast, im Prinzip können Sie doch
einfach einmal selbst nachlesen, was zum österreichi-
schen Mehrgenerationenversuch geschrieben worden ist.
Wenn Sie das tun, stellen Sie fest, dass die Futterrationen
eben nicht gleichwertig waren und dass das GVO-Futter
wahrscheinlich aufgrund falscher Lagerung mit Schim-
melpilzen, mit Mikroben verunreinigt war und dass es
kein gleichwertiges Futter war. Deswegen kann man aus
diesen Ergebnissen schlicht und ergreifend gar nichts
folgern.

MON 810 wird schon über zehn Jahre angebaut. Ver-
gleichbar mit Ihrer Verbotsforderung wäre es, wenn man
1955 gefordert hätte, den VW-Käfer in Deutschland zu
verbieten.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wirklich eine tolle Maßnahme! Damit kommen wir rich-
tig voran!

Sie haben das Thema Bienen angesprochen. Auch das
ist sehr spannend. Ich bin froh darüber, dass die Bundes-
regierung auf eine Frage von mir geantwortet hat:

Auf Grundlage der Praxisversuche kann eine toxi-
sche Wirkung von Bt-Mais auf gesunde Honigbie-
nenvölker mit hinreichender Sicherheit ausge-
schlossen werden.

Die Bundesregierung hat mir im Ausschuss weiter ge-
sagt: Honig enthält im Prinzip 0,5 Prozent Pollen. Ob da
ein bisschen was vom Bt-Mais dabei ist, ist völlig egal.
Das Premiumprodukt Honig ist dadurch in keiner Weise
beeinträchtigt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist illegal! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legal, illegal, scheißegal!)


– Es ist nicht illegal. – Sich auf nicht bestätigte Urteile
zu berufen, ist einfach nur dumm. Damit kommen wir
nicht weiter.


(Beifall bei der FDP)


Die Forderung nach dem Verbot ist ideologisch be-
gründet. Ideologisch begründete Forderungen bedeuten
politische Willkür. Wir als FDP lehnen dies ab. Die Ge-
schichte der weltanschaulich und politisch begründeten
Verbote zeigt: Solche Verbote sind ein Irrweg. Denken
Sie an Galileo Galilei! Die Erde dreht sich um sich selbst
und um die Sonne, wie wir alle heute wissen. Die Grü-
nen haben schon das Verbot der PET-Flasche, des PAL-
Fernsehens, des Handys, des PCs gefordert. Auch die In-
sulinproduktion mit gentechnisch veränderten Mikro-
organismen wollten sie verbieten. Das alles hat sich
nicht durchgesetzt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dioxin wollten wir verbieten – im Gegensatz zu Ihnen!)


– Dioxin gibt es nach wie vor. Verbieten kann man es
nicht. Aber es war sinnvoll, dass insbesondere die
schwarz-gelbe Regierung für einen Rückgang der Dioxin-
emissionen gesorgt hat. Das ist gut für unsere Wirtschaft.


(Beifall bei der FDP)


Wir in der FDP lehnen ideologisch begründete Ver-
bote als Angriffe auf die Freiheit und auf den Rechtsstaat
ab. Wir sehen in der biotechnologischen Züchtung große
Chancen. Wir haben sie realisiert in den Bereichen Arz-
neimittel, Vitamine, Enzyme und Aminosäuren. Das ist
eine Erfolgsstory.

Wir wollen, dass über die Zulassung von biotechnolo-
gisch gezüchteten Pflanzensorten auf wissenschaftlicher
Basis entschieden wird. Eine europäische Zulassung
muss EU-weit gelten – genauso wie die TÜV-Plakette






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
deutschlandweit gilt. Wir sind dagegen, dass Hamburg
und Schleswig-Holstein entscheiden können, dass baye-
rische Autos bei ihnen nicht mehr fahren dürfen. Ebenso
sind wir dagegen, dass in den Landesparlamenten ent-
schieden werden kann, welche Pflanzensorten in dem je-
weiligen Land angebaut werden.

Wir wollen Investitionen in biotechnologische Züch-
tung, und zwar zur Sicherung der Welternährung; mein
Kollege Bleser hat dies ausgeführt. Frau Kollegin
Künast, schauen Sie doch einmal ein bisschen genauer
nach Indien! Sehen Sie sich die IFPRI-Studie an!
Wenn Sie das tun, dann werden Sie feststellen, dass
die Bt-Baumwolle sehr wohl dazu beigetragen hat, die
Ernährungssicherheit auf dem Lande zu gewährleisten.
Dies wollen wir fortsetzen.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Ihre Einladung an bestimmte Rednerinnen und Red-
ner, die nichts weiter betreiben als Diffamierung, die
sich gegen jegliche wissenschaftliche Erkenntnisse stel-
len, hilft den Menschen in Indien nicht. Denken Sie an
die Menschen in Indien und nicht bloß an Ihre Wähler-
stimmen im Land!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Waren Sie mal in der Region? Haben Sie mal mit den betroffenen Bauern in Indien gesprochen?)


– Ja, ich habe mit den betroffenen Bauern gesprochen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wann?)


– Ich bin im vergangenen Jahr mit Minister Gabriel nach
Indien gereist und habe selbstverständlich solche Ge-
spräche geführt. Natürlich ist mir da genau das gesagt
worden, was auch in der IFPRI-Studie ausführlich be-
richtet worden ist.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Delegation hat nicht mit Bauern gesprochen!)


– Es mag sein, dass die Delegation das nicht getan hat.
Aber ich bin ein freier Mensch in einem freien Land. Ich
darf auf einer Reise des Umweltministers auch das Ge-
spräch mit Gesprächspartnern suchen, die Ihnen nicht in
den Kram passen, Herr Kelber. Hören Sie damit auf!
Was Sie machen, ist einfach unverschämt!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Ich bezweifle, dass Sie das gemacht haben! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie mal Namen!)


Wir wollen Investitionen in biotechnologische Züch-
tung. Dazu gehören für uns der Goldene Reis und der
überflutungsresistente Reis.

Wir sind uns bewusst, dass die Bevölkerung eine ge-
wisse Skepsis gegenüber der neuen Züchtungsmethode
hat. Skepsis ist also vorhanden. Es gibt aber keinerlei
Grund, Angst zu erzeugen. Grüne, CSU und SPD arbei-
ten dabei Hand in Hand. Die Bundeskanzlerin schaut zu.
Es ist unverantwortlich, wie die Bundeskanzlerin die In-
teressen Deutschlands verspielt, um in der südlichen
Sandburg Ruhe zu bewahren. Wer Angst erzeugt, macht
Menschen unfrei. Wir als Liberale fühlen uns dem freien
Menschen verpflichtet und wollen ihn nicht bevormun-
den, sondern mit den Informationen ausstatten, die er
braucht, um sich entscheiden zu können.

Bei dem Weg, den Seehofer und Söder in Bayern ge-
gangen sind, würde sich Franz Josef Strauß im Grabe
umdrehen.


(Beifall des Abg. Dr. Edmund Peter Geisen [FDP] – Sönke Rix [SPD]: Wer ist da noch an der Regierung? Ich dachte, die FDP regiert in Bayern mit! – Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Was macht denn die FDP da?)


Es gab einmal das Motto: Laptop und Lederhose. Der
Laptop ist unter Herrn Seehofer total unter die Räder ge-
raten. An die Adresse der Bundeslandwirtschaftsminis-
terin sage ich: Sie hat den Eid geschworen, dem deut-
schen Volk zu dienen. Von Gehorsam gegenüber dem
CSU-Vorsitzenden steht darin nichts.


(Beifall bei der FDP – Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Gibt es jetzt Parteiausschlussverfahren gegen FDP-Mitglieder in Bayern?)


Sie sind für die Hexenjagd gegenüber Landwirten, die
Bt-Mais anbauen, verantwortlich. Sie sind verantwort-
lich für die Verhinderung von Forschung, für die Zerstö-
rung beispielsweise in Üplingen in Sachsen-Anhalt. Sie
sind dafür verantwortlich, dass einem Landwirt, der sein
Feld für Freisetzungsversuche zur Verfügung stellen
wollte, die Tötung seiner Tiere angedroht worden ist.
Das ist die Politik von CSU, SPD und Grünen. Dies leh-
nen wir ab.


(Sönke Rix [SPD]: Passen Sie mal bei Ihren Regierungspartnern in Bayern auf!)


Ich bin in meiner Jugend sehr von dem Stück Bieder-
mann und die Brandstifter beeindruckt gewesen. Ich
weiß nicht, ob Sie es kennen. Für mich sind Söder und
Seehofer die Biedermänner, die der Brandstiftung zuse-
hen und dabei – das will ich Ihnen sagen – mit verbren-
nen werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621410800

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1621410900

Es hat sich bis jetzt in Deutschland nicht ausgezahlt,

sein Mäntlein politisch nach dem Wind zu hängen; denn
wir sind eine Wertegemeinschaft. In Deutschland zählen
Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit.
Wir lehnen den Antrag der Grünen ab.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Spärlicher Beifall von der FDP!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621411000

Der Kollege Schmitt möchte eine Kurzintervention

machen. Bitte schön.






(A) (C)



(B) (D)


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1621411100

Liebe Kollegin Happach-Kasan, wir waren zusam-

men mit Bundesminister Gabriel in Brasilien. Ich erin-
nere mich an viele Gespräche, die wir beide geführt
haben, zum Beispiel mit Vertretern der sogenannten
Kleinbauern, die sich gegenüber der Gentechnologie
sehr skeptisch geäußert haben. Die Gespräche mit NGOs
haben ergeben, dass auf Kleinbauern ein enormer Druck
ausgeübt wird, ihre Flächen aufzugeben, weil die neue
Gentechnologie nur mit großflächigen Anbaumethoden
funktioniert. Auch die Vertreter der Kirchen haben im
Prinzip die Technologie abgelehnt, weil sie nicht zur Lö-
sung der Probleme vor Ort führt. Das sind meine Erinne-
rungen an die Reise ins Amazonas-Gebiet. Ich denke,
Sie werden sich auch daran erinnern.


(Beifall bei der SPD – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aber ganz anders!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621411200

Zur Erwiderung Frau Happach-Kasan.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1621411300

Lieber Kollege, ich habe sehr gute Erinnerungen an

unsere gemeinsame Reise nach Brasilien, die ich als an-
genehm empfunden habe. Ich habe es auch als ange-
nehm empfunden, mit Bundesminister Gabriel zu reisen,
weil ich meine, dass er dort ein sehr wichtiges Pro-
gramm verfolgt hat. Im Mittelpunkt dieses Programms
stand allerdings nicht die Gentechnik – –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen dann ja auch nicht!)


– Frau Künast, Sie könnten einfach den Mund halten. Sie
sind im Augenblick schlicht und ergreifend nicht ge-
fragt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das entscheidet der Präsident!)


Im Mittelpunkt der Reise stand insbesondere der
Schutz der Urwälder. Wir haben beeindruckende Sied-
lungen im Bereich des Amazonas-Gebietes besichtigt.
Wir haben von den Brasilianern gehört, dass es ihr gro-
ßes Anliegen ist, den Zuckerrohranbau auszubauen und
Zuckerrohr zur Ethanolproduktion zu nutzen, um dieses
Ethanol auch auf den deutschen Markt zu bringen.

Bundesminister Gabriel hatte sich insbesondere dafür
eingesetzt, dass wir keine Einfuhrverbote für solches Zu-
ckerrohrethanol erlassen sollten, weil das genau die Poli-
tik sei, die die EU gegenüber solchen Einfuhren früher
verfolgt habe. Ich kann mich nicht erinnern, dass Gen-
technik ein großes Thema gewesen ist.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Sie verdrängen alles!)


– Nein, das ist nicht mein Problem. Herr Kelber, hören
Sie zu, es ist kein großes Thema gewesen. Es ist einmal
am Rande angesprochen worden.
Ich will Ihnen auch sagen, dass ich nicht nur in Brasi-
lien, sondern mit Kollegin Höfken auch in Argentinien
gewesen bin.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dort haben uns die Bauern etwas anderes erzählt. Sie ha-
ben uns nämlich gesagt, dass sie das gerne möchten. Im
Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Bt-Maisanbau-
ten illegal erfolgt sind, weil die Brasilianer gemerkt ha-
ben, wie erfolgreich er in Argentinien gewesen ist. Erin-
nern wir uns daran: Wenn eine Fläche von 120 Millionen
Hektar von 13 Millionen Landwirten bestellt wird, dann
können das nicht alles Großbauern, sondern müssen das
auch Kleinbauern sein, werter Herr Kollege.

Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass unsere ge-
meinsamen Reiseerfahrungen sehr gute Erfahrungen
sind. Aber sie tragen nicht dazu bei, zu klären, ob in Bra-
silien der Anbau von Bt-Mais bzw. gv-Soja sinnvoll ist
oder nicht. Das sollen diese Länder bitte selber entschei-
den und nicht wir hier in Deutschland.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Potenziell retrograde Amnesie!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1621411400

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1621411500

Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen!

Als jemand, der sonst in der Gesundheitspolitik und in
der Entwicklungspolitik zu Hause ist, bin ich erstaunt
über den Ton, in dem hier über Probleme, die die Men-
schen in Deutschland und in der ganzen Welt bewegen,
diskutiert wird.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass das schwer zu verstehen ist. Ich weiß,
dass das Thema strittig ist. Aber wir kommen bei diesem
Thema nur weiter, wenn wir uns ein wenig systemati-
scher und detaillierter mit den möglichen Lösungen aus-
einandersetzen.

In der Entwicklungspolitik gibt es zurzeit ein sehr
wichtiges Thema: dass die Agrarindustrie sich überall in
der Welt Flächen kauft. Wir haben gesehen, dass in Ma-
dagaskar ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche von
einer einzigen Firma aufgekauft wurde, die dort eine
Monokultur plant. Ich habe mit einer Delegation aus
Kongo-Brazzaville gesprochen, die mir berichtet hat,
dass entlang der Eisenbahnlinien – das sind viele Hun-
dert Kilometer – ein 20 Kilometer breiter Streifen aufge-
kauft worden ist, auf dem der Wald gelichtet und Öl-
pflanzen angebaut werden sollen. Auch die Paraguayer
haben von ihren Konflikten berichtet. Sie haben große
Sorge, weil sehr viele Menschen von ihren Ländereien
vertrieben werden, die als Kleinbauern ihre Existenz
durch Subsistenzwirtschaft gesichert haben und jetzt in






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Wodarg
die Slums der Städte vertrieben werden. Deshalb müssen
wir anschließend mit unseren Entwicklungshilfepro-
grammen dafür sorgen, dass sie nicht verhungern und
menschenwürdig leben können. Das sind die Folgen ei-
ner Agrarindustrie, die weltweit eine große Rolle spielt.

Es ist nicht so, dass die Menschen durch das Vorge-
hen der Agrarindustrie mehr zu essen haben. In der Ent-
wicklungspolitik sehen wir vielmehr das Gegenteil: Die
Agrarindustrie verjagt Menschen, die vorher zu essen
hatten, und sorgt dafür, dass wir hier jeden Tag billiges
Fleisch auf dem Teller haben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der Motor dieser ganzen Misere.

In meinem Wahlkreis gibt es eine Wurstfabrik, die
sehr fleißig und produktiv ist. Dort arbeiten Frauen bei
4 Grad an einer Wurstabfüllmaschine im Gruppen-
akkord; das heißt, sie passen auf, dass jede von ihnen
Leistung bringt. Wenn eine Frau nicht so gute Leistung
bringt, verdirbt sie den Schnitt der Gruppe. Das ist schon
psychologisch ein riesiges Problem. Diese Frauen arbei-
ten für etwa 1 000 Euro im Monat, und sie müssen bis zu
50 Kilometer zur Arbeit fahren, und das, damit die
Würstchen dieser Fabrik bei Lidl oder Aldi billiger ange-
boten werden können als die von der Konkurrenz. Damit
die Frauen sich diese Würstchen überhaupt leisten kön-
nen, müssen sie so billig sein. Das ist ein horrender
Kreislauf, in dem wir da stecken, der eine Katastrophe
für die Landwirtschaft und die Menschen bedeutet, nicht
nur in den Entwicklungsländern, sondern auch hier bei
uns.


(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Peter Bleser [CDU/CSU]: Was hat das mit Gentechnik zu tun?)


Grundsätzlich ist es doch so, dass wir, um gut leben
zu können, nicht nur billige Nahrung haben möchten,
sondern darüber hinausgehende Wünsche haben. Wir
wollen in einer Landschaft leben, in der wir uns gerne
bewegen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!)


Wir wollen nicht in bestimmten Jahreszeiten durch
große, dreieinhalb bis vier Meter hohe Maiswände fah-
ren und die Landschaft gar nicht mehr sehen, obwohl das
Land ganz flach ist. Wir wollen mobil sein in der Land-
schaft und einander besuchen können.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie wollen Heidi und Peter zurück!)


Wenn Sie sich anschauen, was in den Städten aus der
Mobilität geworden ist, wenn Sie sich das Blech an-
schauen, das auf den Straßen steht, weshalb die Kinder
nicht mehr allein auf die Straße gehen können,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das kann doch nicht wahr sein, was Sie da reden!)


dann sehen Sie, dass auch dort etwas verkehrt läuft. Wir
alle wissen, dass wir eine Energiewende brauchen. Aber
das gilt nicht nur für den Spritverbrauch, es gilt auch für
unsere Ernährungsgewohnheiten. Daran geht kein Weg
vorbei. So wie wir jetzt handeln, machen wir die Welt
kaputt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD] – Peter Bleser [CDU/CSU]: Was schlagen Sie vor?)


Auch wenn wir hocheffizient so weitermachen, ist das
keine positive Lösung. Denn unsere Wirtschaft entwi-
ckelt sich sehr schnell und im Wettbewerb, aber leider in
die falsche Richtung. Hier besteht die Möglichkeit, et-
was zu ändern.

Ich will Ihnen ein Erlebnis schildern, das ich gleich zu
Anfang meiner parlamentarischen Laufbahn hatte und
das mich damals ziemlich umgehauen hat. Ich bin auf
einer parlamentarischen Konferenz im Süden Englands
gewesen, einer trilateralen Konferenz, bei der – auf Ini-
tiative von Helmut Kohl, Mitterrand und Major – fran-
zösische, englische und deutsche Parlamentarier
versammelt waren. Wir hatten uns gemeinsam landwirt-
schaftliche Betriebe angeschaut. Ich war ja die ersten
Jahre im Landwirtschaftsausschuss. Anschließend haben
wir sehr gut gegessen. Wir waren eingeladen, saßen an
einer Tafel mit Silber, es gab rosa Vorhänge; wunder-
schön war das.

Rechts neben mir saß ein englischer Kollege, mit dem
ich mich über die Probleme der dortigen Landwirtschaft
– das war noch vor der BSE-Krise – unterhalten habe.
Mein Nachbar links neben mir sprach französisch. Ich
dachte zunächst, er sei von der französischen Delega-
tion. Als ich ihn fragte, woher er käme, antwortete er:
aus Brüssel. Dass jemand aus Brüssel bei einer trilatera-
len Konferenz anwesend war, erschien mir unpassend.
Also habe ich ihn gefragt, wen er vertreten würde. Er
antwortete: die Firma Monsanto. Auf meine anschlie-
ßende Frage, was er dann hier mache, antwortete er, dass
seine Firma die ganze Veranstaltung finanziert.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Und da waren Sie? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da war Ihr Appetit weg!)


– Da haben Sie recht. Mein Appetit war in der Tat weg.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Die Firma Monsanto ist vielfach überall auf der Welt
zur Zahlung von Strafen in Höhe von Millionen Dollar
verurteilt worden, weil sie Politiker bestochen hat. Sie
hat Praktiken überall auf der Welt etabliert, die bewir-
ken, dass Menschen Hunger leiden. Ich habe kein Ver-
trauen in diese Firma wie auch in andere große indus-
trielle Agrarfirmen, die natürlich die Ansprüche ihrer
Aktionäre befriedigen müssen und die erst an zweiter
Stelle – vielleicht aus Marketinggründen – die Ökologie
berücksichtigen.

Ich wünsche mir, dass wir unseren Weg finden. Ich
wünsche mir, dass wir eine Verbindung herstellen zwi-
schen unseren Verbrauchsgewohnheiten und dem, was
durch sie in der Welt verursacht wird. Wenn wir diesen
Zusammenhang nicht sehen, dann springen wir zu kurz.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Wodarg
Mit meiner Fraktion bin ich dagegen, dass wir in die-
sem Jahr – bis zum April müssen wir darüber entschei-
den – den Mais der Firma Monsanto in Deutschland an-
säen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich möchte, dass wir den Anbau verbieten, wie es in Ru-
mänien, Frankreich, Österreich, Ungarn, Griechenland,
Polen und Luxemburg der Fall ist.

Wenn Sie sich die Karte ansehen, auf der dargestellt
ist, wo der Mais dieses Jahr angebaut werden soll, dann
können Sie erkennen, dass das nur in den östlichen Bun-
desländern der Fall ist.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Lassen Sie sie doch!)


Ich habe für den Europarat einen Bericht zur Grünen
Gentechnik erstellt. Gentechnisch veränderte Pflanzen
werden mit Ausnahme von Spanien vorwiegend im Os-
ten Europas angebaut. Wir haben uns also in Osteuropa
vor Ort angeschaut, warum dies so ist, und festgestellt,
dass die Menschen in diesen Ländern überhaupt nicht
wissen, was in ihrem Land angebaut wird. Sie haben
deshalb auch kein Problembewusstsein. Die großen
Konzerne bestechen Politiker und schaffen dort Tatsa-
chen. Auf diese Weise wird die Grüne Gentechnologie
dort eingeführt, was bewirkt, dass gentechnisch verän-
derte Pflanzen überhaupt nicht mehr wegzukriegen sind.
Sie sind überall. Es gibt außerdem noch Gentransfers in
die Natur, die zu Verunreinigungen führen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Freiheit der FDP!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621411600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Happach-Kasan?


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1621411700

Ja, klar.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621411800

Bitte sehr.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1621411900

Herr Kollege Wodarg, Sie kommen wie ich aus

Schleswig-Holstein und wissen, dass wir dort mittelstän-
dische Pflanzenzüchter haben, die dem Bundesverband
Deutscher Pflanzenzüchter angehören, in dem mehr als
100 mittelständische Unternehmen zusammengeschlos-
sen sind. Diese Pflanzenzüchter haben natürlich eine
positive Haltung zur Grünen Gentechnik. Sie befürwor-
ten diese Technologie und hätten gerne Regelungen, die
es gestatten, dass sie sich mit gentechnologischer Züch-
tung beschäftigen. Wie stehen Sie dazu?


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1621412000

Frau Happach-Kasan, ich habe gerade meinen Bericht

für den Europarat erwähnt. Darin habe ich dieses Thema
– Sie können sich meinen Bericht einmal ansehen; ich
habe daran jahrelang gearbeitet – sehr differenziert be-
handelt.

Grüne Gentechnik umfasst nicht nur Bt-Toxin produ-
zierende Pflanzen; es gibt sehr viele Technologien, um
die herkömmliche Züchtung von Pflanzen zu verbessern.
Sie können mit gentechnischen Methoden analytische
Untersuchungen durchführen und auf molekularer Ebene
sehen, welche Vorgänge sich in den Pflanzen abspielen.
Dieses Wissen können die Züchter nutzen durch entspre-
chende Selektionen. Man kann also mit der Forschung,
die auf diesen Technologien basiert, sehr viel nützliches
Wissen schaffen. Was wir heute besprechen, ist nur ein
kleiner Bereich. Die Grüne Gentechnologie umfasst da-
neben sehr viele nützliche Methoden.

Das Monopolisieren von Saatgut und das In-die-Welt-
Setzen von Pflanzen, die ein Gift produzieren, von dem
wir nicht wissen, wie es sich auf die Ökokreisläufe lang-
fristig auswirkt, ist etwas anderes. Ich spreche hier gegen
die Freisetzung dieser Pflanzen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit meiner Fraktion wünsche ich mir, dass die Landwirt-
schaftsministerin eine klare Entscheidung fällt, und
zwar, bevor der Mais ausgesät wird. Ich fände es
schlimm, wenn hier vollendete Tatsachen geschaffen
würden. Die Bevölkerung will einen solchen Anbau
nicht; da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Ansonsten
sähe die Karte, die ich Ihnen hier gezeigt habe, nicht so
aus, wie sie sich hier darstellt. Von einem Anbau ist vor
allem die Bevölkerung in Osteuropa betroffen, die nicht
so gut Bescheid weiß.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Oh! Sind die alle dumm in den neuen Bundesländern?)


– Nein. Aber die Bevölkerungsdichte ist dort sehr ge-
ring. Die Landwirtschaft kann dort nicht mehr überle-
ben. – Sie glauben das nicht? Fahren Sie doch einmal
durch Brandenburg! Sehen Sie sich einmal die riesigen
Felder an! Wo sind denn da die Landwirte? Ich habe ei-
nen Landwirt aus Schleswig-Holstein gekannt, der
40 Hektar hatte. Nach der Wende ist er in den Osten ge-
fahren und hat dort für das Geld, das er für den Verkauf
seiner 40 Hektar bekommen hat, 4 000 Hektar gekauft.
Das ist kein Einzelfall.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621412100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Vaatz? – Herr Kollege Vaatz, bitte sehr.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1621412200

Herr Kollege Wodarg, ich habe vorhin zur Kenntnis

genommen, dass Sie den Anbau von gentechnisch verän-
derten Pflanzen in Osteuropa und speziell in Ostdeutsch-
land – Sie haben gerade eine Karte von Ostdeutschland
in die Luft gehalten – im Wesentlichen auf den vermin-
derten Informationsgrad und das mangelnde Risikobe-
wusststein der Bevölkerung dort zurückführen.






(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz
Meine Frage ist folgende: Können Sie sich vorstellen,
dass die Menschen in Ostdeutschland kein vermindertes
Risikobewusstsein, sondern ein völlig anderes Risikobe-
wusstsein haben, da sie nämlich die minimalen Risiken,
die aus dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflan-
zen erwachsen, als nahezu lächerlich betrachten und den
daraus zu erwartenden Nutzen gerne für sich in An-
spruch nehmen wollen? Dies hat einen einfachen Grund:
Im Gegensatz zu manchem aus dem Westen wissen sie,
dass gentechnisch veränderte Pflanzen wie jede andere
Pflanze, wenn sie vom Menschen genossen wird, im Ma-
gen-Darm-Trakt abgebaut werden und überhaupt keine
Schädigungen des Menschen verursachen können


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch gar nicht! Haben Sie es mal versucht?)


und dass Sie mit den Vorstellungen, die Sie ständig pfle-
gen, nämlich dass von gentechnisch veränderten Pflan-
zen Gefahr ausgehe, und damit, dass Sie diese Pflanzen
als Genmais bezeichnen, obwohl Sie ganz genau wissen,
dass jeder Mais aus Genen besteht,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Gespenster an die Wand malen, die keine reale Begrün-
dung haben und nur dazu dienen sollen, die Menschen
einzuschüchtern und von Ihren ideologischen Vorstel-
lungen zu überzeugen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1621412300

Die Verve, mit der Sie das vorgetragen haben, steht in

großem Gegensatz zum Inhalt Ihres Einwurfs. Ich bin
Arzt und Umweltmediziner. Ich habe nicht darüber ge-
sprochen, dass Menschen gesundheitlich gefährdet wer-
den. Das weiß ich nicht; das mögen Sie bitte zur Kennt-
nis nehmen. Es gibt noch gar nicht ausreichend viele
epidemiologische Untersuchungen darüber, die lange ge-
nug durchgeführt worden wären, um hier eine Aussage
zu ermöglichen. Dass es den Kühen, die in Bayern mit
gentechnisch verändertem Mais gefüttert worden sind,
gut geht, freut mich.

Ich habe davon gesprochen, was in der Landschaft
passiert. Wenn Sie einmal zur Kenntnis nehmen, welche
Bedenken der zuständige Minister von Brandenburg – er
ist von den Menschen in Brandenburg gewählt worden –
in Bezug auf die Entwicklung, die sein Land besonders
heftig trifft, hat, dann wissen Sie, dass auch die Men-
schen in Ostdeutschland große Angst vor diesem Anbau
haben und ihn für nicht gut halten.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist Unsinn! – Ulrike Flach [FDP]: So ein Quatsch!)


Ansonsten würden sie diesen Minister nicht gewählt ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Land Rumänien hat sich entschlossen, gentech-
nisch veränderten Mais nicht anbauen zu wollen.


(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Das finde ich bemerkenswert. Das Land Rumänien ist
Mitglied im Europarat und hat sich an der entsprechen-
den Debatte beteiligt. Ich habe diese Debatte damals im
Europarat in Gang gesetzt, um in der Parlamentarischen
Versammlung ein Bewusstsein für dieses Problem zu
schaffen. Das war vielen überhaupt nicht gegenwärtig.
Man wäre in Rumänien bei einer anderen Entscheidung
in der Situation gewesen, dass die dort produzierten Le-
bensmittel plötzlich der Kennzeichnungspflicht in ganz
Europa unterlägen. Die Betroffenen wären in die Falle
gelaufen und hätten ihre Produkte nicht mehr vermark-
ten können, wenn es zu Gentransfers gekommen wäre.
Das ist nicht fair. Die Strategie der beteiligten Unterneh-
men ist unverantwortlich, und deshalb möchte ich, dass
wir den Anbau von gentechnisch verändertem Mais ver-
bieten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621412400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling-

Schröter für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621412500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben jetzt Ende März. In gut vier Wochen werden
die Äcker wieder mit Mais bestellt. Leider ist auf einigen
auch die Aussaat des Genmais MON 810 geplant. Um
genau zu sein, waren im Februar 3 700 Hektar Anbauflä-
che beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-
mittelsicherheit gemeldet. Zum Glück werden es wohl
weniger Flächen sein, die mit dem Genmais verunstaltet
werden. Das kann zwei Ursachen haben.

Erstens erkennen jedes Jahr einige Landwirte mehr,
dass sie mit der Entscheidung, Genmais anzubauen, völ-
lig unnötig die gentechnikfreie Landwirtschaft und Im-
kerei gefährden. Debatten, Proteste, Streit mit Nachbarn
und Imkern sind meistens die logische Folge. Viele zie-
hen sich dann von ihrem Vorhaben zurück, und das ist
auch gut so.

Zweitens kann auch die Politik dieses Treiben stop-
pen, vor allem Bundeslandwirtschaftministerin Ilse
Aigner; das wurde hier schon angesprochen. Es liegt in
ihrer Hand, den Anbau von MON 810 in diesem Jahr zu
untersagen. Es ist kein Geheimnis, dass sich der CSU-
Vorsitzende und Ministerpräsident von Bayern gestern
für ein gentechnikfreies Bayern ausgesprochen hat. Wir
wollen das bundesweit. Folgen Sie also bitte Ihrem Par-
teivorsitzenden!

Andere Länder haben das schon vorgemacht. Öster-
reich will den Genmais nicht. In Frankreich sagt selbst






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Sarkozy „Non“ zum Genmais. In Griechenland setzt
man lieber auf traditionelle Oliven statt auf Laborpflan-
zen aus den Küchen von Monsanto. Warum also unsere
Äcker mit einer Pflanze bestellen, welche von so vielen
abgelehnt wird? Ich kann das nicht verstehen. Das ist des
Volkes Wille, und wir sind vom Volk gewählt. Die meis-
ten Bäuerinnen und Bauern wollen den Genmais
MON 810 nicht, Umweltschützerinnen und Umwelt-
schützer sowieso nicht. Als umweltpolitische Sprecherin
meiner Fraktion frage ich mich daher: Was macht der
Genmais? Wen tötet der Genmais? Wie sicher ist der
Genmais?

Der gentechnisch veränderte Mais MON 810 ist ein
Dauerproduzent von Gift. Anstatt Gift gegen seinen Wi-
dersacher, einen kleinen Schmetterling namens Mais-
zünsler bzw. dessen Raupen, dann zu verwenden, wenn
die Gefahr am größten ist, wird bei MON 810 schon vor-
sorglich Gift produziert.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das ist in etwa so, als wenn ich jeden Morgen anstatt ei-
nes Kaffees erst einmal ein Antibiotikum einnähme.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Nein!)


Ich weiß ja nicht, ob nicht im Laufe des Tages ein hinter-
listiger Keim auftaucht, welcher mich gegebenenfalls
krank macht.

Die Freunde der Agrogentechnik in den Reihen der
CDU und FDP werden sicherlich denken – Sie haben ja
auch schon gelacht –: Das Gift – es geht hier um ein To-
xin, welches das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis
produzieren kann – wird auch im Ökolandbau einge-
setzt, kann so schlimm also gar nicht sein. – Da muss ich
aber sagen: Das ist nicht das Gleiche. Erstens spritzt der
Biobauer nur dann,


(Johannes Röring [CDU/CSU]: Der Biobauer spritzt? – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist doch verboten!)


wenn der Schadensdruck so groß ist, dass es dringend
geboten ist. Zweitens handelt es sich bei dem, was die
Ökobauern spritzen, um ein Protoxin, welches erst im
Körper des Schädlings aktiv wird. Bei Genmais hinge-
gen ist es allzeit bereit und jederzeit toxisch. Drittens
wird das Bt-Toxin nach wenigen Tagen abgebaut; beim
Genmais bleibt es aber die ganze Vegetationsperiode er-
halten. Man könnte also sagen: ein giftiger Sommer die-
ses Jahr.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Als Umweltschützerin frage ich mich: Welche Aus-
wirkung hat die ständige Präsenz eines Giftes auf die
Umwelt? Wie wirkt sich das Gift auf Tiere aus, die ei-
gentlich gar nicht bekämpft werden sollen? Man be-
zeichnet diese Kollateralschäden als Nicht-Zielorganis-
men. Das Bundesamt für Naturschutz hat dazu schon
einige Publikationen herausgegeben. Diverse Schmetter-
linge müssen die Flügel strecken, wenn in der Nähe
Genmais steht. Auch den Honigbienen bekommt der
Genmais nicht gut, wie eine Studie der Universität Jena
herausgefunden hat, welche aber leider nicht fortgeführt
worden ist – warum auch immer.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denen fehlen die Millionen!)


In den USA wurde vor kurzem entdeckt, dass man auch
die Wirkung auf Wasserlebewesen näher untersuchen
sollte. Die Blackbox Boden ist sowieso immer noch ein
völlig unzureichend untersuchter Lebensraum.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Da sind Sie aber nur einseitig informiert!)


Wie lange kann sich Bt-Toxin hier anreichern? Solchen
Fragen müsste in einem sachlichen Zulassungsverfahren
nachgegangen werden.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Die sind doch alle erörtert worden bei dem Bt-MaisMonitoring in Bayern! Das wissen wir doch alles!)


– Ja, in Bayern. – Schaue ich mir allerdings die Bedin-
gungen an, unter denen transgene Pflanzen in der EU zu-
gelassen werden, dann bleiben für uns und die breite
Masse der Bevölkerung noch viele Fragen offen.

Wir brauchen einen richtigen Crashtest, quasi den
Elchtest für Genpflanzen. So etwas gibt es aber nicht.
Warum?


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Die Elche fressen sie auf!)


Weil keine der Genpflanzen diese Tests bestehen würde.
Es gäbe keine Agrogentechnik mehr, und die vielen
schönen Milliarden der Konzerne wären in den Sand ge-
setzt: BASF, Monsanto und Co. müssten nach neuen Fel-
dern Ausschau halten, um die Profitmaximierung weiter
voranzutreiben.

Die Linke sagt ganz klar: Wir wollen keine gentech-
nisch veränderten Pflanzen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass wir das jetzt auch wissen!)


weder den Genmais MON 810 noch transgenes Soja aus
Brasilien und schon gar nicht die blaue Blume von Frau
Happach-Kasan, die sie letzte Woche hier zur Schau ge-
stellt hat.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das war eine Nelke! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Genauso ist bei Insulin diskutiert worden!)


Liebe Kollegin, Ihnen sage ich: Diese Debatte sollte
ernsthaft geführt werden. Transgene Pflanzen wie Ku-
scheltiere ans Podium zu tragen, dient unserer Ansicht
nach nicht der Ernsthaftigkeit.

Wir stimmen dem Antrag der Grünen uneinge-
schränkt zu. Ich nenne für die Bevölkerung einmal die
Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause: Die SPD und die
CSU haben sich wiederholt dazu positioniert. Damit sind
theoretisch 222 SPD-Abgeordnete, 53 Linke, 51 Grüne
und 46 CSU-Abgeordnete für ein sofortiges Anbauver-
bot von MON 810. Das sind 372 Abgeordnete bzw.






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
61 Prozent. Das wäre die Mehrheit, die aber leider nicht
zum Tragen kommt. Ich finde das schade. Es wäre auch
möglich, dass Sie einen eigenen Antrag einbringen. Wer-
den Sie klüger! Das wäre ein wichtiger Schritt für die
gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei.

Ich habe Ihnen genau zugehört: Wenn jetzt schon
Herr Honecker und Herr Gorbatschow im Zusammen-
hang mit der Grünen Gentechnik bemüht werden, dann
sind wir weit gekommen.

Noch eine Bemerkung zum Schluss: Bei der bayeri-
schen Studie wurde nur zu 41 Prozent GVO-Futter ver-
wendet und nicht zu 100 Prozent. Mehr verträgt eine
Kuh nicht.


(Lachen bei der CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/CSU]: Mehr verträgt eine Kuh nicht? Was haben Sie für eine Ahnung! Das ist ja abenteuerlich! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Was für eine Sachkenntnis! Sie hat auch nur so viel getrunken, bis es ihr zum Hals stand!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621412600

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621412700

Mehr verträgt eine Kuh nicht! Haben Sie das gehört?


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621412800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Johannes Röring das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1621412900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Frage, ob, in welcher Form und unter welchen Rahmen-
bedingungen wir in Deutschland die Grüne Gentechnik
nutzen wollen, muss stets vor folgendem Hintergrund
diskutiert werden: Verantwortung. Diese Verantwortung,
Frau Künast und Frau Bulling-Schröter, nehmen Sie
– das habe ich gespürt – nicht wahr.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist immer ein guter Einstieg in die Rede!)


Aus der Industrie und der Medizin ist Gentechnik trotz
ähnlicher Debatten in der Vergangenheit heute nicht
mehr wegzudenken. Ich erinnere nur daran – das wurde
vorhin angesprochen –, dass ein hessischer Umweltmi-
nister namens Fischer unter anderem die Produktion von
gentechnisch verändertem Insulin jahrelang verhindert
hat, obwohl das für die Menschen wichtig war. Jetzt ma-
chen das eben andere, und wir kaufen es aus dem Aus-
land.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir reden aktuell über Grüne Gentechnik. Hier haben
wir zuallererst Verantwortung gegenüber dem Verbrau-
cher. Es muss garantiert werden, dass sichere, gesunde
und qualitativ hochwertige Lebensmittel für ihn und
seine Kinder zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen
die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen, und
wir müssen ausschließen, dass durch Gentechnik Schä-
den für Mensch und Umwelt entstehen können.

Wir haben aber auch Verantwortung gegenüber mög-
lichen Anwendern. Die Koalition hat ein modernes Gen-
technikgesetz verabschiedet.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621413000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Höfken?


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1621413100

Ja, bitte.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621413200

Ich muss sagen, diese Debatte ist zum Teil schwer zu

ertragen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Ich frage mich, was die Kollegen links von mir eigent-
lich antreibt, um so sektenhaft zu formulieren.

Was ich Sie fragen möchte, da Sie von Verantwortung
reden: Halten Sie es ernsthaft für verantwortungsvoll, in
geschlossenen Systemen gentechnisch zu produzieren,
ohne dass es eine entsprechende Gesetzesgrundlage
gibt? Wollen Sie tatsächlich sagen, dass all unsere Ge-
setze für die Produktion in geschlossenen Systemen un-
sinnig seien? War es nicht verantwortungsvoll, dass der
damalige Umweltminister Fischer gefordert hat, dass es
erst Gesetze geben muss, nach denen das abläuft, bevor
man mit der Produktion beginnt? Ist es Ihre Auffassung,
dass man sich von diesem Teil der Gentechnikgesetze
schleunigst verabschiedet, und nennen Sie dies Verant-
wortung?


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1621413300

Liebe Kollegin Höfken, die Realität hat uns da sehr

schnell eingeholt. Die Dinge sind produziert worden,
und wir haben klare Gesetze in Deutschland. Wir müs-
sen ganz einfach feststellen, dass Sie damals diese Angst
in unverantwortlicher Weise geschürt haben, sodass wir
diese Technik in Deutschland trotz unserer Topwissen-
schaftler und unserer Topgrundlagenforschung nicht zur
Anwendung bringen konnten; das haben andere ge-
macht. Das ist Ihr Beitrag zur Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Antwort!)


Ich fahre fort. Wir brauchen Rechtssicherheit für die
Anwender, die diese Technologie nach den gesetzlichen
Vorgaben anwenden dürfen. Verantwortung haben wir
auch in besonderem Maße gegenüber der Forschung, da-
mit sie ohne ideologische Scheuklappen – dies hat übri-
gens Ihr Fraktionsvorsitzender gestern beim Verband der
Chemischen Industrie deutlich gesagt – an die wissen-
schaftlichen Fragen herangeht.






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Röring

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war auch bei der chemischen Industrie!)


Wir müssen die Risiken aufmerksam analysieren;
denn wir tragen auch Verantwortung für die Bevölke-
rung weltweit. Hier können wir mit unserem Stand der
Wissenschaft dazu beitragen, Lösungen zu erarbeiten,
die vielen Menschen in der Welt zugutekommen. An die-
ser Stelle lobe ich besonders die Anstrengungen des
Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Bundesfor-
schungsministeriums, die in den nächsten fünf Jahren
Projekte in der Bioenergie-, Agrar- und Ernährungsfor-
schung an Hochschulen und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit Partnern
in der Wirtschaft mit bis zu 200 Millionen Euro unter-
stützen. Dabei wird die Grüne Gentechnik eine große
Rolle spielen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir haben auch Verantwortung dafür, die Bandbreite
der Chancen der Gentechnik weiter zu erforschen. Es
gibt vielversprechende Erfolge. Indien ist bereits ange-
sprochen worden. Das Märchen von den Landwirten, die
sich umbringen, weil sie in den Klauen der Gentechnik-
industrie sind, muss endlich ausgeräumt werden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Märchen!)


Wir haben im letzten Herbst mit Bauern aus Indien ge-
sprochen, die genau das Gegenteil gesagt haben. Diese
Bauern, unter ihnen auch Kleinbauern, äußerten, die Lö-
sung über die Bt-Baumwolle, bei der der Wurzelbohrer
auf bezahlbare Weise bekämpft wird – im Übrigen nicht
nur mit der Sorte einer Firma; es gibt mittlerweile zehn
bis 20 Sorten und Konstrukte mit starkem Wettbewerb –,
führe dazu, dass die Suizidrate, die erschreckend hoch
war, endlich wieder zurückgehe. Es ist genau das Gegen-
teil gewesen, und Sie behaupten immer noch das Glei-
che.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht! – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist so was von falsch!)


– Herr Kelber, ich habe es authentisch geschildert, wie
es Kollegen aus Indien berichtet haben. Was sie mir ge-
schildert haben, war sehr glaubhaft.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ich war vor Ort!)


Gentechnik kann also nicht nur Fluch, sondern auch
Segen sein. Wir haben auch Verantwortung für eine sich
schnell verändernde Welt, für Menschen, die nicht wie
wir hier in Deutschland und Europa im Überfluss leben
und täglich genügend Nahrung haben. Daher werden wir
genau beobachten müssen, ob die Gentechnik auch hier
Lösungen bieten kann.

Ich betone immer wieder – ich habe dies an dieser
Stelle schon des Öfteren gemacht –, dass wir mit der Tat-
sache umzugehen haben, dass sich weltweit die Acker-
fläche pro Erdbewohner halbieren wird. Frau Künast,
wenn Sie dann auch noch Bioenergie und andere Roh-
stoffe erzeugen wollen, muss die Anbauintensität noch
weiter erhöht werden. All dies negieren Sie.

Es ist unabdingbar, die Leistungsfähigkeit der Pflan-
zen zu erhöhen. Es gibt viele Ansätze. Die weltweite
Verbreitung von MON 810 erstreckt sich auf fast
30 Millionen Hektar Anbaufläche. Im Übrigen gab es
keine Schadensmeldung, obwohl dieser Mais seit weit
über zehn Jahren angebaut wird. Die Forderung, den An-
bau jetzt zu stoppen, kann ich nicht verstehen.

Ich bin darüber erschrocken, wie Sie, Frau Künast,
über meine Kollegen in der Welt gesprochen haben, die
Sie für zu dumm halten, mit modernen Techniken umzu-
gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe Landwirte in aller Welt kennengelernt, die im
Sinne der Landwirtschaft nachhaltig über Generationen
produzieren und die sehr wohl verantwortungsvoll mit
moderner Technik umgehen können. Über das Märchen
von der Abhängigkeit von Kleinbauern von dieser mo-
dernen Technologie kann ich nur lachen. Wir haben die
Freiheit, auch andere Pflanzen anzubauen.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Das, was Sie sagen, ist fast zynisch, wenn man die Realität sieht! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit Gentechnik! Da ist die Freiheit zu Ende!)


– Meine lieben Damen und Herren, ich merke, dass Sie
alle Experten sind. Vertrauen Sie einmal einem Land-
wirt, der jedes Jahr Pflanzen anbaut!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir bauen diese Maispflanzen an; das sind Hybridpflan-
zen, die man nicht nachbauen kann. Ich fühle mich in
keiner Weise abhängig, solange es genug Konkurrenz
gibt. Mit Ihrer ablehnenden Haltung fördern Sie die Mo-
nopolisierung; im Moment dominiert in diesem Bereich
eine Firma. Wir müssen für wesentlich mehr Wettbe-
werb sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir dürfen uns den Chancen der Gentechnik nicht
verschließen; denn nur verantwortungsvolle, nachhaltige
und zielgerichtete Politik und nicht einseitige Ideologie
darf hier unser Maßstab sein. Ich muss sagen, dass ich
bei Ihrem Antrag nichts von Verantwortung spüre. Ich
lehne ihn daher ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621413400

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1621413500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Bei dem Thema Grüne Gentechnik ist zumin-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
dest ein bisschen Leben in der Debatte. In der Tat sind
aber einige Redebeiträge und auch die Reihenfolge der
Rednerinnen und Redner ziemlich vorhersehbar.

Ich möchte auf zwei Bereiche eingehen. Frau Kolle-
gin Happach-Kasan, FDP, und Kollege Röring, CDU,
haben die Situation in Indien angesprochen. Ich glaube,
es bringt den Menschen, die uns zuhören oder diese De-
batte nachlesen – es wird ja alles protokolliert –, nicht
viel, nachzuprüfen, wann wer mit wem auf wessen Ein-
ladung und wo vor Ort in Indien war. Ich bin nicht ganz
so häufig unterwegs, wie man meiner Webseite entneh-
men kann; aber auch ich kann eine Indienreise nachwei-
sen.

Als Informatiker habe ich eines gelernt, nämlich Aus-
sagenlogik. Wenn die Erfahrungen mit Baumwolle in In-
dien so hervorragend waren, warum hat sich die indische
Regierung dann entschieden, beim nächsten Produkt,
nämlich bei Soja, auf Gentechnikfreiheit im gesamten
Land per Gesetz zu bestehen? Das ist die erste Nach-
frage.

Zweite Nachfrage: Wenn das Produkt so überlegen ist
und die Bauern die Mehrkosten – es war oft Verschul-
dung, die zu den Suiziden geführt hat – durch den Erlös
locker ausgleichen, warum muss die anbietende Firma
Monsanto dann jeden Konkurrenten, jeden Saatzuchtbe-
trieb, der herkömmliche Baumwolle vor Ort anbietet,
hektisch aufkaufen und dessen Produkte vom Markt neh-
men, damit die Bauern in der Region keine Alternative
mehr haben?


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Das sind doch Märchen!)


Das wäre doch nicht notwendig, wenn es so wäre, wie
Sie es beschrieben haben.

Frau Happach-Kasan, diejenigen, mit denen Sie gere-
det haben und von denen Sie erzählen, sind in der Regel
Menschen, die mit dem Einsatz von Grüner Gentechnik
ihr Geld verdienen. Da gilt in der Tat das gute alte Zitat
von Guido Westerwelle: Wenn man einen Teich trocken-
legen will, darf man nicht die Frösche fragen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621413600

Herr Kollege Kelber, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Happach-Kasan?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1621413700

Selbstverständlich.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1621413800

Kollege Kelber, ich freue mich, dass Sie anerkennen,

dass die Debatte etwas lebhafter und deshalb auch ein
bisschen spannend ist. Ich freue mich auch, dass Sie
ebenfalls in Indien waren, weil die Eindrücke, die man
dort gewinnt, für eine solche Debatte prägend sind. Ich
gehe einmal davon aus, dass wir da durchaus überein-
stimmen.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir in der Bewer-
tung übereinstimmen, dass Baumwolle und Soja zwei
verschiedene Pflanzen mit deutlich unterschiedlichen
Standortbedingungen und deutlich unterschiedlichen
Anbauvoraussetzungen sind und auch deutlich unter-
schiedliche Kenntnisse für deren Anbau vonnöten sind.
Ich glaube, auch da sind wir einer Meinung.

Ich habe die IFPRI-Studie angesprochen; sie ist im
Oktober veröffentlicht worden. Das Institut hat seinen
Sitz in Washington. Professor von Braun ist Leiter dieses
Institutes. Er dürfte Ihnen bekannt sein, weil er schon in
Bonn gearbeitet hat, und er ist mir bekannt, weil er zuvor
in Kiel gearbeitet hat.


(Zuruf des Abg. Gustav Herzog [SPD])


– Herr Kollege Herzog, ich komme selbstverständlich zu
meiner Frage. Da brauchen Sie gar keine Sorgen zu ha-
ben. – Die Ergebnisse dieser Studie machen deutlich,
dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln durch den
Anbau von Bt-Baumwolle gemindert werden konnte.
Dies ist zumindest aus umweltpolitischer Sicht eine
sinnvolle Entwicklung.

Jetzt will ich auf das Thema Baumwolle zurückkom-
men.


(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Sie machen es ja richtig spannend! Mittlerweile bin ich auf Ihre Frage wirklich gespannt!)


Haben Sie diese Studie eigentlich genau gelesen? Haben
auch Sie zur Kenntnis genommen, dass Baumwolle die
Pflanze ist, für die in Indien die höchsten Pflanzen-
schutzmittelaufwendungen getätigt werden, und sind
auch Sie zu dem Schluss gekommen, dass die Entschei-
dung der indischen Regierung, weiterhin in Bt-Baum-
wolle zu investieren, insofern durchaus sinnvoll sein
könnte?

Das hat man in Indien getan. Es gibt zwei Konstrukte,
die von Monsanto stammen: ein Konstrukt, das in Indien
entwickelt worden ist, und ein Konstrukt, das in China
entwickelt worden ist. Das heißt, es entsteht immer mehr
Vielfalt; dieses Thema hat Herr Kollege Röring
angesprochen. Vor diesem Hintergrund bin ich der
Auffassung, dass die Frage, wie man mit gv-Soja um-
geht, nichts mit den Erfahrungen, die man in Indien mit
Bt-Baumwolle gemacht hat und die insgesamt gesehen
gut sind, zu tun hat. Würden Sie diese Einschätzung tei-
len?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1621413900

Frau Happach-Kasan, meine wunderschöne Heimat-

stadt Bonn hat 320 000 Einwohner. Die Zahl der Men-
schen, die dort jemals gewesen ist, geht wahrscheinlich
in die Millionen. Auf Ihre Frage, ob ich Herrn Professor
von Braun persönlich kenne, muss ich Ihnen sagen: Ich
kenne nicht alle Menschen, die schon einmal in Bonn
waren, persönlich.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Professor von Braun ist aber jemand, den man durchaus kennen könnte!)







(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
Ich bemühe mich zwar, möglichst viele Hausbesuche
und Aktivitäten vor Ort durchzuführen; aber das habe
ich noch nicht ganz geschafft.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Schade!)


Ich kenne diese Studie nicht.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Auch das ist schade!)


Ich lasse sie mir aber gerne zuschicken und lese sie. Sie
wissen so gut wie ich, dass es Hunderte von Studien gibt.
Wahrscheinlich könnte ich Ihnen sofort locker zehn bis
zwanzig Studien nennen oder von den Mitarbeitern mei-
nes Büros heraussuchen lassen, die Sie nicht gelesen ha-
ben. Das ist aber nicht das spannende Spiel.

Beim Thema Soja sagen Sie, gentechnisch veränder-
tes Soja sei so überlegen, dass man es anbauen muss.
Wenn ich daraufhin sage, dass sich die indische Regie-
rung aufgrund der Erfahrungen mit gentechnisch verän-
derter Baumwolle dazu veranlasst sah, die angeblichen
Vorteile des nächsten Produkts nicht zu nutzen,


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist Ihre Folgerung! Das stimmt aber nicht!)


sondern darauf zu verzichten, dann handelt es sich, was
die Aussagenlogik angeht, um den Schluss, dass es im
Hinblick auf die Baumwolle Gründe für diese Entschei-
dung gegeben haben muss.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ja!)


Einen Grund haben Sie übrigens genannt. In der Tat
ist Baumwolle eine Pflanze, deren Anbau in der Regel
einen sehr hohen Pestizideinsatz zur Folge hat. Interes-
santerweise hat sich der Pestizideinsatz in den Regionen,
in denen Bt-Baumwolle angebaut wird, keineswegs
Richtung null bewegt.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Er wurde aber gemindert!)


Vielmehr berichten die Bauern, übrigens auch Bauern
aus anderen Weltregionen wie Südafrika, dass der Um-
fang des Pestizideinsatzes innerhalb kürzester Zeit wie-
der den alten Stand erreicht hat.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist doch kein Wunder! Das ist bei allen Pflanzen so! Eine ganz normale Entwicklung!)


Das Saatgut, das zum Einsatz kommt, ist also teurer, und
die Kosten für den Pestizideinsatz sind gleich hoch. Das
war auch der Grund für die Verschuldung der Bauern.
Sie mussten die Kosten für beides tragen, ohne bessere
Ernten zu haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der entscheidende Punkt.

Wie immer hat mir auch heute die Rede meines wer-
ten Koalitionskollegen Peter Bleser gefallen. Zur Erin-
nerung: Peter Bleser ist der agrarpolitische Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er hat, wie man nachle-
sen kann, eine fulminante Pro-Gentechnik-Rede gehal-
ten. Ich habe beobachtet, dass ihm sämtliche anwesen-
den Abgeordneten der CSU frenetisch Beifall geklatscht
haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Gut, dass wir das Protokoll haben!)


Es ist wichtig, zwischen den Pressemitteilungen von
Herrn Söder, Herrn Seehofer und neuerdings teilweise
auch Frau Aigner und dem Verhalten der CSU-Abgeord-
neten im Deutschen Bundestag zu unterscheiden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das Problem, das ich bei Verhandlungen mit un-
serem Koalitionspartner hinter verschlossenen Türen im-
mer wieder habe.

Ich habe mich über die Studie aus Bayern und über
ihr Ergebnis gefreut. Ich gehöre übrigens zu den Men-
schen, die sich relativ sicher sind, dass sie, wenn sie ihr
Leben lang Bt-Mais essen würden, vermutlich nicht da-
ran erkranken würden.


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Ich finde es gut, dass sich die SPD-Fraktion damals da-
für eingesetzt hat, diese Langzeitfütterungsstudie in Auf-
trag zu geben.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Ja! Sehr gut sogar!)


In diesem Zusammenhang habe ich mich an die An-
zeige erinnert, die Peter Ramsauer – er ist übrigens der
Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bun-
destag – im Landtagswahlkampf geschaltet hat.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja!)


In dieser Anzeige hieß es sinngemäß, die CSU sei immer
gegen diese Langzeitfütterungsstudie gewesen, und die
SPD habe mit ihrem Verhalten gezeigt, dass sie in Wirk-
lichkeit für Gentechnik sei. Diese Anzeige ist vier Tage
vor der Landtagswahl in der Heimatzeitung von Herrn
Ramsauer erschienen. So viel zum Thema „Ehrlichkeit
in der Argumentation“.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fragen der Gefährdung der Gesundheit durch gen-
technisch veränderten Mais sind in diesem Zusammen-
hang gar nicht entscheidend. Wenn Sie die Position der
SPD nachlesen, stellen Sie fest, dass dieses Thema über-
haupt nicht angesprochen ist. Vielmehr geht es um Fra-
gen der Artenvielfalt, der Abhängigkeit und der Wahl-
freiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das sind
die entscheidenden Fragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass die Konzentration auf wenige Sorten
einerseits die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft be-
treiben, gefährdet und die Vielfalt des Angebots an Le-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
bensmitteln reduziert und andererseits für die Ernährung
gefährlich ist.

Ein gutes Beispiel dafür ist Reis. Ich gehe bewusst auf
mehrere Sorten ein. Es gibt auf der Welt über 60 000 na-
türliche und auf Grundlage der Kulturvielfalt von Land-
wirten herangezogene Reissorten. Würden wir auf gen-
technisch veränderte Reissorten umsteigen, gäbe es am
Ende drei, vier oder fünf Sorten.

In den 70er-Jahren gab es einen starken Pilzeinfall in
alle Reissorten dieser Welt, teilweise mit bis zu 90 Prozent
Ernteausfall. Eine Resistenz gegen Pilze ist eine Multi-
geneigenschaft, die man mit Gentechnik auch in den
nächsten 30 Jahren vermutlich nicht erreichen wird, son-
dern nur durch Züchtung. Es hat sich unter 60 000 unter-
suchten Reissorten eine einzige als resistent erwiesen.
Was wäre passiert, wenn diese eine Sorte entweder ver-
drängt oder vorher vernichtet worden wäre? Übrigens,
das Tal, in dem diese Reissorte damals entdeckt wurde,
ist heute eine Talsperre; diese Reissorte ist nicht mehr
existent.


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Das hat mit Gentechnik nichts zu tun!)


Das ist die Frage der Artenvielfalt. Sie wissen, wie
stark der Widerstand der Landwirte gegen die grüne
Gentechnik ist. Frau Happach-Kasan, ich bin nicht be-
reit, gegen ihren erklärten Willen die Bevölkerung zu
zwingen, diese Produkte direkt oder indirekt zu kaufen,
oder die Landwirte zu zwingen, diese Sorten anzubauen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt! – Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Dazu bin ich auch nicht bereit!)


– Sie wehren sich aber gegen eine klare Kennzeichnung.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Nein!)


Sie wehren sich gegen eine klar nachvollziehbare
Koexistenz. Somit wollen Sie die Leute zwingen, diese
Produkte zu sich zu nehmen.


(Beifall bei der SPD)


Jede Generation wird für sich neu entscheiden müs-
sen, ob sie technologische Möglichkeiten, die die Grüne
Gentechnik ihnen bietet, akzeptieren will oder nicht, ob
diese Möglichkeiten Vorteile bringen oder aber gesell-
schaftliche Nachteile überwiegen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was ist das denn für eine Aussage?)


Wenn ich heute für meine Generation entscheide, wäge
ich die Nachteile und Vorteile für die Gesellschaft ab.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was ist denn Ihre Generation?)


Nachteile: Die Artenvielfalt wird reduziert, die Abhän-
gigkeit gesteigert, die Koexistenz erschwert; die Kosten
für gentechnikfreie Landwirtschaft steigen wegen der
Vielzahl der Sicherheitsmaßnahmen und der Überprü-
fungen. Nutzen dagegen: keiner. Bestimmte Sorten sind
resistent gegen ein bestimmtes Pestizid, Nutzen für die
Gesellschaft: null. Ergo: Es muss ein Verbot des Anbaus
dieser Pflanzen geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb erwarte ich von Bundeslandwirtschafts-
ministerin Ilse Aigner – selbstverständlich hat sie heute
beim EU-Agrarrat zu sein; sie ist hier durch einen Staats-
sekretär vertreten –, dass sie wie angekündigt eine Prü-
fung vornimmt – rechtzeitig, bevor die Landwirte dieses
Saatgut kaufen – und die Aussaat in Deutschland unter-
sagt. Das ist ihre Aufgabe; daran wird man ihre Aussa-
gen der letzten Wochen und Monate messen können.

Frau Aigner wird im Agrarrat auch darüber abstim-
men müssen, ob die Europäische Kommission, die sich
gerade eine blutige Nase geholt hat, Griechenland und
Frankreich zwingen kann, ihre Anbauverbote aufzuge-
ben. Ich bin Bundesumweltminister Sigmar Gabriel
dankbar, dass er klare Kante gezeigt hat: Es waren
Deutschlands Stimmen, die geholfen haben, dass Öster-
reich und Ungarn in ihren Ländern gentechnisch verän-
derte Pflanzen anbauen dürfen, dass die Europäische
Kommission unsere Nachbarn nicht zwingen durfte, et-
was gegen ihren Willen zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich hoffe, Frau Aigner hat denselben Mut und stimmt im
Agrarrat genauso ab.

Heute liegt uns ein Antrag vor, den die SPD in allen
Punkten unterstützen kann. Das verwundert nicht: Er
enthält nur Punkte aus dem Antrag, den wir unserem
Koalitionspartner in den Jahren 2006, 2008 und – vor
wenigen Tagen – 2009 vorgelegt haben.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wir haben ihn jedes Mal abgelehnt!)


Frau Präsidentin, da ich das letzte Mal für meine Wort-
wahl gerügt wurde, weise ich darauf hin, dass ich jetzt
nur meinen Koalitionspartner zitiere; er sagte, das sei
ihm scheißegal. Das ist die Wortwahl an dieser Stelle.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie bitte?)


Wir, die SPD-Fraktion, dürfen diesen Antrag nicht
einbringen. Wir dürfen laut Koalitionsvertrag – das ist
typisch für einen Koalitionsvertrag; Frau Höfken, Frau
Höhn und Frau Künast wissen, was Koalitionsverträge
sind – einem Antrag der Opposition nicht zustimmen.
Deswegen werden wir das heute nicht tun. Wir werden
weiter für den gleichen Inhalt kämpfen. Wir werden da-
rauf drängen, dass wenigstens einer der Abgeordneten
von der CSU, die in jeder Pressemitteilung sagt, sie teile
diese Position der SPD, zu dieser Meinung steht und sie
hier vorträgt. Die CSU sollte nicht versuchen, über die
Zeitungen der Bevölkerung ein Bild zu vermitteln, das
von der Meinung, die sie in Wirklichkeit vertritt, ab-
weicht.

Was gibt es jetzt zu tun?

Erstens. Wir müssen für verbindlich gentechnikfreie
Regionen in Europa sorgen. Die Menschen sollen ent-
scheiden können, was passiert, um auch die Kosten der






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
gentechnikfreien Landwirtschaft niedrig zu halten. Es
kann nicht sein, dass derjenige, der gentechnikfrei an-
bauen will, Mehrkosten hat, weil ein anderer eine gen-
technisch veränderte Pflanze anbaut, die keinen gesell-
schaftlichen Nutzen bringt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen muss es verbindlich gentechnikfrei sein. Das
kann zum Beispiel durch eine Änderung des europäi-
schen Rechts geschehen. Dann erwarte ich aber, dass wir
das mit den Stimmen der CSU-Bundestagsabgeordneten
im Bundestag beschließen oder dass die bayerische Lan-
desregierung irgendwann einmal eine Bundesratsinitia-
tive einbringt. Das wäre vielleicht wichtiger, als eine
Pressenotiz nach der anderen zu schreiben, in der steht,
was man angeblich vorhat. Tun Sie das doch einfach ein-
mal, anstatt nur davon zu reden.

Zweitens. Wir brauchen gentechnikfreies Saatgut.
Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen, die gentech-
nikfrei anbauen können, auch gentechnikfreies Saatgut
bekommen, was nicht schon verunreinigt ist.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das haben wir doch im Gesetz gemeinsam geregelt!)


Wir brauchen eine Demokratisierung der Zulassung,
weil es neben der reinen Überprüfung, ob eine unmittel-
bare Gefährdung für bestimmte Tierarten oder andere
Pflanzenarten vorliegt, eben auch die Überprüfung der
Langzeitfolgen für den Boden, wie Frau Kollegin
Künast gesagt hat, und auch der ökonomischen, sozialen
und kulturellen Zusammenhänge eines Landes – Stich-
worte: Verdrängungswettbewerb und Monopolisierung –
gibt.

Drittens und letztens brauchen wir eine technologie-
offene Forschung. Das sage ich in Richtung des For-
schungsministeriums, das hier zumindest lange Zeit ver-
treten war. Technologieoffene Forschung kann nicht
heißen, dass im Haushalt von Frau Schavan 90 Prozent
der Mittel für die Lösung bestimmter Probleme in der
Züchtung in die Grüne Gentechnik und keine 10 Prozent
in alternative Technologien gehen. Probleme identifizie-
ren und allen Technologien zur Lösung des Problems
gleiche Chancen einräumen, dann könnten wir über ei-
nen fairen Umgang mit Grüner Gentechnik reden.

Das ist die eigentliche Politik, die jetzt gemacht wer-
den sollte. In dieser Koalition ist sie nicht möglich. Ich
hoffe auf eine andere Option für eine Mehrheit, um eine
vernünftige Gentechnikpolitik machen zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621414000

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Franz-Josef Holzenkamp für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1621414100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal können Sie davon ausgehen,
dass es Einigkeit unter den CDU/CSU-Agrariern gibt.


(Lachen der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulrich Kelber [SPD]: Wo?)


Herr Kelber, Sie haben gerade die Kennzeichnung an-
gesprochen. Sie wissen, dass wir, die Union, beim Gen-
technikgesetz weitergehen wollten, als Sie gegangen
sind. Das ist Wahrheit und Klarheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist Wahn zum Quadrat!)


Auch wenn wir uns jetzt etwa zum vierzigsten Mal
mit diesem Thema befassen, nenne ich Ihnen zu Beginn
einige Schlagzeilen: „Wir sollen uns nicht in die Natur
einmischen“, „Dieser Prozess verändert die Eigenschaf-
ten des Lebensmittels“, „Gefährliche und unbekannte
Substanzen können gebildet werden“,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja auch!)


„Dieser Prozess kann nicht sachgerecht durchgeführt
werden, und unvorhergesehene Vorfälle können passie-
ren“,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


„Es besteht keinerlei Bedarf dafür“.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Kennen Sie diese Aussagen? Kommen sie Ihnen bekannt
vor?


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Alle von den Grünen!)


Hat das vielleicht mit der Atomenergie oder anderen ak-
tuellen Dingen zu tun? Nein, dies waren vor etwa
hundert Jahren die Argumente gegen die Milchpasteuri-
sierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie weiter! Die Rede kommt gut in Bayern!)


Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir alle ken-
nen die Befürchtungen und Ängste hinsichtlich der Gen-
technik. Unsere Fraktion nimmt sie sehr ernst. Es macht
aber schon nachdenklich, dass bei den Befragungen
ebenfalls herauskommt, dass die Verbraucher zu einem
sehr großen Teil der Meinung sind, dass in Lebensmit-
teln, zum Beispiel in Tomaten, keine Gene enthalten
sind. Ich will damit sagen – hierin sind wir alle, so
glaube ich, einer Meinung –:


(Ulrich Kelber [SPD]: Jetzt aber vorsichtig, was Sie sagen!)


Es besteht ein erheblicher Aufklärungsbedarf.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie einmal bei der CSU an!)







(A) (C)



(B) (D)


Franz-Josef Holzenkamp
Ich finde, Aufgabe der Politik muss es sein, Unterstüt-
zung und Informationen zu bieten, um diese Wissenslü-
cke zu schließen, und zwar wissenschaftsbasiert und
nicht durch eine reine Emotionalisierung dieser Themen
bzw. durch eine reine Symboldebatte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Oberstes Gebot bei der Grünen Gentechnik ist für uns
die Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621414200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kelber?


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1621414300

Ja, selbstverständlich.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Er hatte doch gerade das Wort!)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1621414400

Sie ist vergleichsweise kurz.

Sie haben ja gerade indirekt deutlich gemacht, dass
Menschen Angst vor gentechnisch veränderten Produk-
ten haben, weil sie glauben, dass nur in diesen Gene vor-
handen sind. Darf ich im Umkehrschluss davon ausge-
hen, dass Sie als CDU-Abgeordneter deswegen für die
Atomtechnologie sind, weil Sie die Funktionsweise ei-
nes Nuklearreaktors vollständig verstanden haben?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er soll auch erklären, wie es geht!)


– Erklären Sie es einfach einmal kurz.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1621414500

Das ist wieder eine Scheinfrage. Ich habe es nicht an-

ders erwartet. Sie hat mit dem Thema der heutigen De-
batte nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Technikverständnis!)


Ich habe nur deutlich gemacht – das unterstreiche ich
für meine Fraktion ausdrücklich –, dass wir mit den
Ängsten der Menschen sehr gewissenhaft umgehen. Wir
polemisieren aber nicht, sondern wir informieren, und
zwar einzig und allein auf sachlicher Basis. Das ist der
Unterschied zwischen uns und Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt Aufklärungsbedarf, dem wir nachkommen
wollen und müssen, statt die Dinge einfach pauschal zu
verteufeln. Wir wissen – das ist schon angeklungen –,
dass die Grüne Gentechnik breit genutzt wird. Sie wird
weltweit auf über 120 Millionen Hektar eingesetzt. Trotz
zahlloser wissenschaftlicher Studien – auch das will ich
noch einmal unterstreichen – konnte keinerlei Schädi-
gung für Mensch, Tier und Natur festgestellt werden.

Ich finde es bedauerlich, dass die Wissenschaftler, die
sich teilweise positiv zum Nutzen der Grünen Gentech-
nik äußern, von Teilen der Politik in ihrer wissenschaftli-
chen Integrität diffamiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wo bleiben Ihre Offenheit und Ihre viel gepriesene Tole-
ranz?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Teile der Politik wissenschaftliche Erkenntnisse
als Humbug abtun und die Grüne Gentechnik pauschal
und kompromisslos verteufeln, wie soll dann eine trans-
parente, wissenschaftsbasierte Verbraucheraufklärung
funktionieren? Wir alle wissen, dass sie so nicht funktio-
nieren kann, und Sie, meine Damen und Herren insbe-
sondere von den Grünen, verhindern es.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, die sogenannten Bt-
Pflanzen seien „besonders bedenklich hinsichtlich ihrer
schädlichen Wirkungen für Insekten und andere Orga-
nismen“. Wenn sie so gefährlich sind, wie Sie meinen,
dann wundert es mich, warum der Einsatz von Bt-Bakte-
rien als Spritzmittel im ökologischen Landbau nicht in-
frage gestellt oder debattiert wird. Auch darauf ist schon
hingewiesen worden.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil das etwas ganz anderes ist!)


Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich will das
nicht bewerten, sondern nur feststellen – das gilt gene-
rell –, dass pflanzeneigene Resistenzen, das heißt eigene
Abwehrkräfte, die höchste Form der Ökologie sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind aber nicht ihre eigenen Abwehrkräfte!)


Fakt ist doch, dass die Pflanzenzüchtung seit Jahrtau-
senden nichts anderes tut, als die Eigenschaften von
Pflanzen und Tieren zu verändern, und zwar zugunsten
der Menschen, und dabei Gene neu zu mischen. Das ma-
chen wir seit etwa 10 000 Jahren. Insofern ist eine diffe-
renzierte Betrachtung notwendig.

Ich weiß aber auch, dass die Grüne Gentechnik selbst-
verständlich kein Allheilmittel ist. Wir müssen sehr
sorgsam mit diesen Themen umgehen. Aber die Grüne
Gentechnik kann helfen, vielen Herausforderungen – sie
sind schon benannt worden – gerecht zu werden. Ich
möchte dazu die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-
Volhard zitieren, die sicherlich nicht in Verdacht gerät,
von irgendeiner Seite beeinflusst zu sein:

In Deutschland ist noch nicht hinreichend akzep-
tiert, dass die Anwendung der Gentechnik in der
Pflanzenzüchtung ein noch unausgeschöpftes Po-
tenzial für den ökologischen Landbau, für verbes-
serten Umweltschutz, die Erhaltung der Artenviel-
falt und für die Gesundheit bietet.

Das sagen Externe. Damit sollten wir uns sachlich aus-
einandersetzen.

Wir müssen uns entscheiden, ob wir diesen Weg in
unserem Land mitgehen und mit davon profitieren wol-






(A) (C)



(B) (D)


Franz-Josef Holzenkamp
len oder ob wir andere über uns hinweg entscheiden las-
sen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)


Wer den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen
verbieten möchte, muss deutlich sagen, dass wir dann in
absehbarer Zeit zu diesem Thema in Deutschland auch
keine Forschung mehr haben werden.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Das ist Tüdelkram!)


Er muss auch sagen, dass wir uns zukünftig in hohem
Maße von anderen Ländern abhängig machen,


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Exakt so ist es!)


dass unsere Vorstellungen in Bewertungsfragen interna-
tional weniger relevant sein werden


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Recht hat er!)


und – in diesem Punkt sind wir uns, glaube ich, alle ei-
nig – dass die Monopolisierung gefördert wird. Genau
das wollen wir alle doch gerade nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie beklagen zu Recht die Monopolisierung. Aber
glauben Sie wirklich, dass Sie sie durch Anbauverbote
verhindern? Sie fördern sie doch regelrecht. Das kann
ich überhaupt nicht verstehen.

Wir sind derzeit auf dem besten Weg, hervorragend
ausgebildete Forscher, hochentwickelte Saatgutunter-
nehmen und innovative Agrartechnologien auf Nimmer-
wiedersehen zu exportieren – Insulin, es ist schon ge-
nannt, lässt grüßen –, anstatt unsere mittelständischen
Zuchtunternehmen zu schützen und zu unterstützen. Das
kann nicht im Interesse unseres Landes liegen. Ideen
sind immer die Lebensgrundlage unseres Landes gewe-
sen. Dann kann so etwas keine Zukunft haben. Hätte es
in der Vergangenheit nicht Forscher wie Mendel, von
Liebig oder Thaer gegeben, würden wir heute wahr-
scheinlich nicht über Gentechnik reden, sondern über
den Hunger in der Welt und darüber, wie wir ihn besser
bekämpfen können.

Lassen Sie uns den Glaubenskrieg beenden! Kehren
wir zu einer differenzierten Sachlichkeit und Betrach-
tung zurück! Alles andere ist fahrlässig und gefährlich
für unser Land. Deshalb kann man Ihren Antrag nur ab-
lehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621414600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/11919. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sa-
che. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
sowie mitberatend an den Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit und den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Abstim-
mung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht
nach ständiger Übung des Hauses vor. Ich frage deshalb:
Wer ist für die Überweisung? – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Überweisung ist so beschlossen. Damit
stimmen wir über den Antrag in der Sache heute nicht
ab.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer (Hamm), Eckhardt Rehberg, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel,
Garrelt Duin, Ludwig Stiegler, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

In der Maritimen Wirtschaft Kurs halten

– Drucksache 16/12431 –

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Bundesregierung über die Ent-
wicklung und Zukunftsperspektiven der mari-
timen Wirtschaft in Deutschland

– Drucksache 16/11835 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat für
die Bundesregierung das Wort die Parlamentarische
Staatssekretärin Dagmar Wöhrl.


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1621414700


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn es einen weltwirtschaftlichen Abschwung
gibt, macht er natürlich auch vor einer Exportnation wie
Deutschland nicht halt, genauso wenig wie vor der mari-
timen Wirtschaft, denn 90 Prozent des Welthandels wer-
den über die Seehäfen abgewickelt. Dementsprechend
sind inzwischen viele Häfen von der Krise betroffen. Es
gibt Kurzarbeit und erste Entlassungen. Die Charter-
raten sind eingebrochen. Allein im letzten Jahr wurden
29 Schiffbauaufträge storniert. In diesem Jahr sind es
bisher 11. 19 Aufträge stehen auf einer sehr wackligen
Basis. Wir müssen zudem sehen, dass es erhebliche Ton-
nageüberkapazitäten gibt. Hinzu kommt die zögerliche
Haltung der Banken gerade in den Bereichen der Bau-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
zeitfinanzierung und der Bauendfinanzierung. Die
Schiffsfonds privater Anleger sind als Finanzierungs-
quelle inzwischen fast ausgelaufen.

Kurzum: Ich hätte mir für die für die Branche so
wichtige Sechste Nationale Maritime Konferenz, die am
Sonntag in Rostock beginnt, ein wirtschaftlich freundli-
cheres Umfeld gewünscht. Aber ich glaube, zu Recht sa-
gen zu können: Wir haben in vielen Bereichen schnell
und entschlossen gehandelt: auf der einen Seite durch
den Bankenschirm, mit dem wir die Funktionsfähigkeit
des Finanzsystems gesichert haben, und auf der anderen
Seite durch die von uns auf den Weg gebrachten zwei
Maßnahmenpakete, die mit Kreditprogrammen und
Bürgschaftsmöglichkeiten auch der maritimen Branche
helfen. Wir haben das Investitionsprogramm aufge-
stockt, von dem die See-Hinterland-Anbindung profitie-
ren kann und vieles andere mehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für uns ist es wichtig, dass wir die Liquiditätseng-
pässe, die momentan bestehen, überbrücken und den Un-
ternehmen, die gesund sind, helfen, an das andere Ende
des Ufers zu kommen. Wir haben es Gott sei Dank ge-
schafft, dass im KfW-Sonderprogramm der Schiffbaube-
reich explizit genannt worden ist.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Das Programm wird gut angenommen. Ich habe gestern
die Zahlen abgerufen. Es sind inzwischen Kreditanträge
in einem Volumen von 200 Millionen Euro im Bereich
der Bauzeitfinanzierung bewilligt worden. Ich glaube,
das ist eine beachtliche Zahl. Hinsichtlich der Bauendfi-
nanzierung beträgt die Zahl 5,1 Millionen Euro. Es sind
noch sehr viele Anträge – ein Volumen von 181 Millio-
nen Euro – in Bearbeitung. Wir müssen schauen, dass
wir noch schneller vorankommen.

Wir haben CIRR flexibler aufgestellt. Bis jetzt war es
nur möglich, CIRR zu beantragen, bevor man einen
Schiffbauauftrag vergeben hat. Zukünftig versuchen wir,
das flexibler zu handhaben und auch dann noch CIRR zu
bewilligen, wenn der Schiffbauauftrag schon erteilt wor-
den ist. Wir haben die Deckung bei den Hermesbürg-
schaften von 80 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro
erhöht. Wie man sieht, sind wir aktiv geworden. Dane-
ben gab es viele runde Tische mit den Beteiligten, ob das
die Banken, die Reeder oder die Werften gewesen sind,
die immer von den Sozialpartnern begleitet wurden.
Man muss sich aber über eines klar sein: Der Staat kann
nur unterstützend helfen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


Richten müssen es die maritimen Akteure selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir selbst können uns nicht an einer Werft beteiligen.
Das spreche ich ganz klar und deutlich hier aus. Wir
können auch nicht als Reeder von Containerschiffen tä-
tig werden. Auch wird es keine Abwrackprämie für
Schiffe geben. Auch das spreche ich hier explizit an,
weil ich gerade in letzter Zeit darauf von der Branche an-
gesprochen worden bin. Wir haben eine Krise, und die
Krise ist tiefgreifend, aber – davon bin ich wirklich über-
zeugt – sie wird nicht von Dauer sein. Auf das Ende der
Krise müssen wir vorbereitet sein. Wir sind momentan in
einem Tal, aber wir werden wieder herauskommen. Die
maritime Branche ist eine Zukunftsbranche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das müssen wir wissen, und das müssen wir uns vor Au-
gen halten. Die Globalisierung hört nicht von heute auf
morgen auf. Die Globalisierung wird weiter voranschrei-
ten, die Menschen werden weiter Güter, Nahrung und
Rohstoffe brauchen. Der internationale Handel wird wie-
der zunehmen. Natürlich wird die Seefahrt zukünftig da-
bei eine ganz wichtige Rolle spielen. Wir brauchen also
weiterhin unsere leistungsfähigen Häfen, die wir haben,
wir brauchen weiterhin unsere Werften, die hochinnova-
tiv sind.

Am Sonntag findet die Sechste Nationale Maritime
Konferenz statt. Es wird dort keine Small Talks geben,
und es wird dieses Mal nicht einfach werden. Wir wer-
den mit der Krisenbewältigung zu tun haben. Das kann
man nicht einfach zur Seite schieben, aber es wird auch
andere Themen geben. Es wird um Forschung und Ent-
wicklung gehen, es wird um Innovation gehen, und es
wird um Nachwuchssicherung gehen. Ich erwarte mir
Handlungsempfehlungen von allen Akteuren. Wir wer-
den wieder wie auch bei der letzten maritimen Konfe-
renz ein Pflichtenheft auflegen, das wir genauso wie das
Pflichtenheft abarbeiten werden, das wir zur Fünften Na-
tionalen Maritimen Konferenz aufgelegt haben. Ich ma-
che mir keinen Sorgen, dass wir das schwere Fahrwasser
durchschiffen werden. Wir sind gut aufgestellt. Wir ha-
ben unsere Stärken. Wir dürfen nicht nur von den mo-
mentanen Problemen reden. Wir müssen auch darstellen,
wo unsere Stärken liegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Stärken sind die leistungsfähigen Häfen. Allein
im letzten Jahr betrug der Umsatz über 320 Millionen
Tonnen. Das muss man sich einmal vorstellen. Wir ha-
ben eine unwahrscheinlich große Handelsflotte. Die
deutschen Reeder haben 3 300 Schiffe.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht unter deutscher Flagge!)


Es sind große Leistungen erbracht worden. Wir haben
sehr leistungsfähige Werften, die hochinnovativ sind,
mit Spitzentechnologie arbeiten und die sich rechtzeitig
darauf eingestellt haben, nicht auf Massengutfrachter zu
setzen, sondern die sich spezialisiert haben. Außerdem
haben wir sehr leistungsfähige Schiffbauzulieferbe-
triebe mit über 75 000 Mitarbeitern. Was die Export-
quote angeht, liegen wir damit an erster Stelle.






(A) (C)



(B) (D)


Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1621414800
Unsere Meerestechnologie
– manchmal habe ich das Gefühl, dass sie noch ein
Schattendasein fristet – ist eine Zukunftsbranche. Jeder,
der mich kennt, weiß, dass das für mich ein sehr wichti-
ges Thema ist. Unser Energiebedarf und unser Rohstoff-
bedarf werden steigen, und die landseitigen Ressourcen
werden knapper. Das heißt, wir werden Energie und
Rohstoffe zukünftig ökologisch vertretbar aus dem Meer
gewinnen müssen. Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Es geht um Exploration, Gewinnung unterseeischer Res-
sourcen und Abtransport der Rohstoffe. Dafür brauchen
wir die richtige Technologie. Wenn ich mir unsere For-
schungs- und Wissenschaftsinstitute in diesem Bereich,
gerade die in den Küstenländern, anschaue, dann stelle
ich fest: Wir sind unwahrscheinlich gut aufgestellt. Bis-
her stellen wir unser Licht wirklich unter den Scheffel.
Ich würde sogar sagen: Wir sind in diesem Bereich so
gut aufgestellt, dass wir die Besten auf der ganzen Welt
sind und dass wir auf unsere zukünftigen Aufgaben her-
vorragend vorbereitet sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt aber nicht an der Bundesregierung, sondern an den Unternehmen!)


– Lieber Kollege, wir haben allein in den letzten Jahren
20 Millionen Euro zur Förderung dieses Bereichs bereit-
gestellt. Wenn Sie sich mit diesem Bereich auskennen,
dann wissen Sie, was SUGAR ist: Wir fördern in
6 000 Metern Tiefe, um Erdgas zu gewinnen und um
CO2 im Meer zu binden. Ich glaube, wir sind auf diesem
Forschungsfeld wirklich spitze. Die Entwicklung dort ist
zwar noch nicht beendet, aber sehr weit vorangeschrit-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Ende meiner Rede möchte ich eine Hoffnung äu-
ßern. Wir haben uns in den letzten Jahren sehr viel Mühe
hinsichtlich der Nachwuchssicherung in diesem Bereich
gegeben; das war auch ein wichtiges Thema der letzten
maritimen Konferenz. Alle haben daran gearbeitet; die
Sozialpartner haben kräftig mitgeholfen; die Länder ha-
ben ihre Ausbildungskapazitäten erweitert. Auch von
unserer Seite ist sehr viel getan worden; die Verbände
haben ebenfalls sehr viel getan, zum Beispiel sehr viel
Geld in die Hand genommen. Wir sind auf einem guten
Weg: Die Anzahl der Nautiker und die der Schiffsbe-
triebstechniker steigen. An der Steigerung der Anzahl
der Ingenieure müssen wir noch arbeiten. Die Abbre-
cherquote von 30 Prozent in diesem Bereich ist leider
immer noch zu hoch.

Ich kann an die vielen jungen Menschen nur appellie-
ren: Meerestechnologie ist eine Zukunftsbranche. Sie
sollten sich von dem momentanen Tief und auch von den
Kassandrarufen in fast allen Zeitungen nicht irremachen
lassen. Ich wiederhole: Es ist eine zukunftsfähige Bran-
che. Ich kann wirklich mit ruhigem Gewissen sagen:
Bauen Sie Ihre Zukunft darauf auf! Wenn Sie sich dafür
entscheiden, haben Sie eine gute Entscheidung getrof-
fen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Leinen los!)


Es gilt, Strukturen zukunftsfähig weiterzuentwickeln,
technologische Entwicklungen und Innovationen voran-
zutreiben und in die Zukunft zu investieren; das ist ge-
rade im technologischen Bereich ganz wichtig. Wenn be-
werkstelligt wird, dass jeder in diesem Bereich seine
Hausaufgaben macht, dann ist mir nicht bange, sondern
ich glaube, dass wir aus diesem Prozess gestärkt heraus-
kommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621414900

Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege

Hans-Michael Goldmann.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1621415000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn Sie eine Besuchergruppe wären, würde
ich sagen: Moin!


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Moin!)


Dann wüsste sie in etwa, woher man kommt.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Du siehst auch wie ein Kapitän aus!)


Um zu untermauern, warum man natürlich eine be-
sondere Beziehung zur maritimen Wirtschaft hat, wenn
man aus dieser Region kommt: Papenburg baut ziemlich
gute Schiffe.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meyer-Werft!)


– Frau Dr. Dückert, auch Sie waren schon einmal da und
haben ein Lob ausgesprochen. Ich bin immer froh, wenn
Grüne etwas loben.

Wir sind in besonderer Weise daran interessiert, dass
dieser Bereich Kurs hält. Ich kann das, was Sie gesagt
haben, im Wesentlichen nur unterstützen: Es ist ein toller
Bereich; es macht unheimlich viel Spaß, für diesen Be-
reich zu arbeiten. Im Moment hat er – wie viele andere
Bereiche – Schwierigkeiten. Aber man muss natürlich
auch sagen: Dieser Bereich war in einem Hoch. Das war
besonders positiv und besonders bemerkenswert.

Ich habe eine besondere Beziehung zum Wahlkreis
Leer. Vielleicht kennen Sie Leer. Es ist relativ einfach,
sich diesen Namen zu merken: Das, was auf dem Num-
mernschild der Autos steht, klingt genauso wie der
Name der Stadt. Aber viele wissen nicht, dass Leer der
zweitgrößte Reedereistandort der Bundesrepublik
Deutschland ist. Wie kommt das? In Leer gibt es eine
Seefahrtsschule, aus der viele tüchtige Leute hervorge-
gangen sind,






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber in Flensburg gibt es auch eine!)


die das gemacht haben, was man in dieser Zeit machen
musste: modernsten Schiffbau realisieren, und dies mit
guten finanziellen Rahmenbedingungen, die in Deutsch-
land herrschen, die Tonnagesteuer nutzen, Ausbildung
betreiben, Spezialschiffe auf den Markt bringen. Reeder
aus dieser Region sind von der Krise nicht derart betrof-
fen wie andere, weil sie in Bezug auf ihre Schiffe eine
gute Mischung haben.

Derjenige, der im Moment Containerschiffe hat, ist
schlecht dran. Mehr als 1 000 davon liegen in Singapur
fest, wie ich gehört habe; auch oben an der Küste liegt
jede Menge davon. Aber wenn man das Richtige macht,
dann kann man erfolgreich sein; in diesem Bereich, der
in klassischer Weise nachhaltig geprägt ist, nämlich öko-
nomisch, ökologisch und sozial, kann man damit sehr er-
folgreich sein.


(Beifall bei der FDP)


Es war eine gute Idee, die damals unser Kollege
Robbe hatte, als er in Verbindung mit dem damaligen
Bundeskanzler Schröder die maritime Konferenz aus
dem Boden gestampft hat – die erste fand in Emden statt –
und den maritimen Koordinator erfunden hat. – Frau
Wöhrl, wir hatten schon einmal einen, der seine Rede bei
einem nautischen Essen in Emden mit einem „Glück
auf“ abschloss; er kam aus einer etwas anderen Branche.
Obwohl Sie aus Nürnberg kommen, haben Sie sich wirk-
lich sehr gut und sehr schnell eingearbeitet. Es macht
einfach Spaß, Sie auf vielen Veranstaltungen zu hören;
das machen Sie gut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir werden auch in Rostock wieder die Weichenstellun-
gen vornehmen, die notwendig sind, um aus den mo-
mentanen Schwierigkeiten herauszukommen.

Das gilt auch für viele Elemente des heute hier vorlie-
genden Antrags. Die Zukunftsstrategie bei Leadership,
die Investitionsförderung im Schiffbau, die Investitionen
in die Wasserstraßen, die Senkung der Lohnnebenkos-
ten, die Ausbildungsplatzförderung in der Seeschifffahrt
und der Kampf gegen die Piraterie, all das sind Dinge,
die wir nur unterstützen können.

Ich bin auch froh darüber, dass wir im Offshore-Be-
reich eine raumordnerische Lösung gefunden haben, die
dazu führt, dass das Gesamtpotenzial auf den Weg ge-
bracht werden kann. Das gilt nicht nur für Cuxhaven,
sondern auch für Emden und andere Standorte an der
Küste. Jetzt müssen wir noch dafür sorgen, dass wir den
Strom anschließend auf vernünftige Weise an Land be-
kommen. Dazu muss man kluge Wege gehen und groß-
zügig sein, selbst wenn es manchmal teuer ist; denn wir
bekommen diese Trassen nur platziert, wenn wir dabei
auch die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Meines
Erachtens sind wir hierbei insgesamt auf einem sehr gu-
ten Weg.

Aber es gibt in diesem Antrag ebenso Schattenseiten,
die vielleicht nur aus einer gewissen Unüberlegtheit re-
sultieren. Ich spreche eine Angelegenheit an, die Sie in
Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen: Das sind die
Fristen für die Rückflaggung. Erstens ist nicht ganz rich-
tig, was Sie darin sagen. Es geht um 500 Schiffe, und
zwar bis 2010, aber sei es drum; darüber wollen wir
einmal hinwegsehen. Aber in dieser Zeit, in der diese
Branche unter einem enormen Druck steht, das Ziel zu
postulieren, nicht nur 500, sondern 600 Schiffe rückzu-
flaggen, ist schlicht verkehrt. Das bringt nichts; vielmehr
muss man hier auf Folgendes hinweisen: Wir haben eine
besondere Situation. Die Reeder haben ihre Aufgaben
erfüllt, 500 Schiffe sind da. Wir haben die Möglichkeit,
damit das deutsche Register zu stärken, die Ausbil-
dungsplatz- und die Beschäftigungssituation zu verbes-
sern, aber damit ist es dann auch gut.

Einen anderen Punkt, der uns immer wieder am Her-
zen liegt, sprechen Sie nicht an. Ich verstehe nicht, wa-
rum das Haus – in diesem Falle, kurz gesagt, das Ver-
kehrsministerium – so unflexibel ist. Es geht mir um die
Übertragung von Aufgaben an Private. In meinen Augen
ist es einfach haushalterischer Blödsinn – so will ich ein-
mal vorsichtig sagen – und fachlich nicht geboten, dafür
zu sorgen, dass dies sozusagen bundeseigene Schiffe
sind. Solche Spezialschiffe können durchaus auch Ree-
der bauen und sie dann dem Bund zur Verfügung stellen,
um damit hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen.


(Beifall bei der FDP)


Hinzu kommt, dass auf diesen Schiffen nicht nur ho-
heitliche Aufgaben wahrgenommen werden; vielmehr
kann man das sehr intelligent miteinander vernetzen, ge-
rade in der jetzigen Zeit, da die Reeder danach suchen, in
welchem Spezialschiffbau sie Aufträge akquirieren kön-
nen, die den Werften dann auch helfen.

Darüber haben wir auch schon einmal gesprochen,
Frau Wöhrl: Zukünftig geht es bei aller Vorsicht ent-
scheidend darum, dass die deutschen Werften Spezial-
schiffbau betreiben. Die Zeit des Containerschiffbaus ist
vorbei, ob man dies nun beklagt oder nicht, und wir
müssen unsere Werften dahin gehend konditionieren,
dass sie vom Personal und von der technischen Ausstat-
tung her in der Lage sind, diesen Spezialschiffbau zu
realisieren. Darum müssen wir uns gemeinsam küm-
mern.


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie uns mit ThyssenKrupp Marine Systems
beginnen und beobachten, wie die Standortfrage geklärt
wird. Sie dürfen das nicht nur ihren speziellen Vorstel-
lungen unterordnen und entscheiden, für die Bundes-
wehr in Kiel zu bauen, Emden zu schließen und in Ham-
burg Passagierschiffe und Megajachten zu bauen. So
geht es nicht. Man muss klar feststellen: Für diesen Ver-
bund hat es damals politische Weichenstellungen gege-
ben. Dabei müssen auch Werften nach alter Art wie die
Nordseewerke eine Chance haben; denn sie sind im Spe-
zialschiffbau erprobt. Man muss in diesem Bereich Wei-
chenstellungen vornehmen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
Wir müssen auf die Ratifizierung des Seearbeitsüber-
einkommens der Internationalen Arbeitsorganisation
drängen. Es ist prima, dass Sie, Frau Wöhrl, die Proble-
matik der Ingenieurslücke angesprochen haben; denn
wir haben in diesem Bereich ein riesiges Problem, und
wir müssen an einem Strang ziehen. Beziehen Sie das
jetzt nicht zu sehr auf örtliche Begebenheiten, aber es ist
schon ein dolles Ding, was in der Seefahrtsschule in
Leer passiert ist. Über Jahre hat die Seefahrtsschule ver-
sucht, sich neue Standbeine zu erarbeiten. Sie ist dabei
politisch ungenügend begleitet worden. Das ist zwar in
der Tat ein Thema der niedersächsischen Ebene,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist Kommunalpolitik!)


aber ich finde, dass wir in Gesamtverantwortung dafür
sorgen müssen, dass die Entwicklungen in diesem Be-
reich vorangetrieben werden.

Lassen Sie mich einen weiteren Bereich ansprechen,
in dem wir an einem Strang ziehen sollten: Der eine oder
andere von Ihnen kennt sicherlich den berühmten ISPS-
Code. Die Überlegung war, den ISPS-Code auf den ge-
samten Bereich der maritimen Wirtschaft, also auch auf
die Binnenschifffahrt, zu übertragen. Das ist Schwach-
sinn. Auch wenn die Amerikaner nach den Erfahrungen,
die sie gemacht haben, extreme Angst vor terroristischen
Anschlägen haben, was ich verstehen kann, ist ein ISPS-
Code, der jeden Container – das sind Millionen und
Abermillionen – scannt, nicht realistisch. Man muss den
Amerikanern deutlich machen, dass das mit uns nicht zu
realisieren ist. Dieser Ansatz setzt an der falschen Stelle
an. Das Verhältnis von Aufwand und Wirksamkeit muss
erhalten bleiben.

Mein letzter Punkt ist die Stromversorgung von Land.
Das ist ein ganz heißes Thema. Wenn die Bild-Zeitung
auf der ersten Seite schreibt, dass jemand, der an einer
Schleuse am Nordostseekanal wohnt, meint, er be-
komme Krebs, weil Schiffe herumtuckern, dann ist das
von der Sache her nicht geboten; das ist keine Frage.
Aber wir müssen uns damit beschäftigen. Wenn
30 Prozent der Staubemissionen an den Küsten durch
Schiffsverkehr entstehen, dann haben wir ein Problem.
Aber wir haben auch eine Chance; denn im CO2-Bereich
sind die Schiffe absolute Spitze. Was andere Bereiche
– Schwefel und Stickstoff – betrifft, müssen wir im Um-
weltbereich Anstrengungen unternehmen.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Antrag haben wir schon vor Jahren beraten!)


– Ja, das ist richtig, aber es ist nicht sehr viel passiert,
lieber Kollege Steenblock. Wir sind in Hamburg gerade
dabei, das Ganze für die großen Passagierschiffe hinzu-
bekommen. Wir können alle gemeinsam helfen. Im Be-
reich der maritimen Wirtschaft kann uns nichts Schlim-
meres passieren, als dass sich etwas gegen den
ökologischen Verkehrsträger Schiff aufbaut, was wir
dann nicht mehr lösen können, weil es zu viel Wider-
stand gegen gute Lösungen gibt. Deswegen sollten wir
in dieser Frage so viele Gemeinsamkeiten wie möglich
erreichen.
In dem Antrag stehen gute und schlechte Dinge. Wir
werden uns bei der Abstimmung enthalten


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


und weiterhin die maritime Arbeit positiv begleiten. Wir
sehen uns alle in Rostock wieder. Bis dann.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621415100

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Margrit Wetzel

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1621415200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Goldmann, mit der Enthaltung können wir
leben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach, Frau Dr. Wetzel, Sie verstehen es eben nicht!)


Ich finde, wir bekommen das auch so hin.

Die maritimen Konferenzen sind eindeutig eine Er-
folgsgeschichte. Wir wollen auch in Zeiten der Wirt-
schaftskrise, dass das maritime Bündnis und alle mariti-
men Vereinbarungen weiter zu einem Erfolg beitragen.
Wir müssen den Stand halten. Deshalb ist die Kernbot-
schaft unseres Antrages, den wir sehr bewusst noch vor
der maritimen Konferenz platziert haben, klar: Wir wol-
len, dass die Strategie – erfolgreiche maritime Vereinba-
rungen, erfolgreicher Standort Küste – erfolgreich fort-
gesetzt wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dass das nicht einfach ist, wissen wir. Den Schiffbau
hat es als Erstes sehr hart getroffen; das kann man nicht
wegdiskutieren. Die Aufträge brechen weg. Aber wir
wissen ebenso, dass die Prozess- und Produktinnovatio-
nen unsere Werften in die Lage versetzen, die Nase welt-
weit vorn zu haben. Das ist wichtig. Deshalb, Frau
Wöhrl, ist es Ihre Aufgabe, bei der Europäischen Union
hartnäckig dafür zu werben, dass die Innovationsförde-
rung nicht von Aufträgen abhängig gemacht wird.

Auch wir als Parlament haben uns positioniert. Wir
wollen den Werften helfen, indem wir für die Zeit von
2009 bis 2011 auf die Rückzahlung der Innovationsför-
derung verzichten. Herzlichen Dank an die Kollegen
Volker Kröning und Eckhardt Rehberg, denen es maß-
geblich zu verdanken ist, dass wir das so festschreiben
konnten!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Frau Wöhrl, der Arbeitskräftepool steht vor einer Na-
gelprobe.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Den gibt es doch gar nicht!)


Eigentlich gehen wir seit Jahren davon aus, dass er sich
in einer Krise wie dieser bewähren würde. So weit ist es
aber immer noch nicht. Wir müssen die Nachwuchs-
sicherung großschreiben und vor allen Dingen dafür sor-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Wetzel
gen, dass die Krisenzeit für Qualifizierung genutzt wird;
denn wir alle wissen aus den letzten Jahren, dass wir zu
wenig Fachkräfte haben. Qualifizierung in dieser Zeit ist
wichtig, um die Fachkräfte halten zu können.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist genau richtig!)


Wenn wir das nicht machen, stehen wir wieder hintan.

Die maritimen Technologien sind schon erwähnt wor-
den. Sie haben im Grunde eine glänzende Zukunft. Das
ist eine Aussicht, die uns alle beflügeln muss. Die deut-
schen Unternehmen und die Institutionen haben die nö-
tige Systemkompetenz, um sich diesen Markt der Zu-
kunft zu erschließen. Sie werden das erfolgreich tun,
nicht nur bei der Offshore-Windkraft, sondern auch bei
der Polartechnik, der Öl- und Gasgewinnung, der ökolo-
gischen Gewinnung mineralischer Rohstoffe und vor al-
lem mit Blick auf das gewaltige Potenzial an Energie,
das das Meer birgt. Das ist alles längst noch nicht er-
schlossen. Da haben wir Herausforderungen zu beste-
hen. Dabei müssen wir immer bedenken, dass wir eine
ökologische Verpflichtung haben, sicherlich auch zum
Nutzen der Wirtschaft – das ist ganz klar –, aber vor al-
lem zum Nutzen der Menschen und des Klimas.

In den Häfen macht uns große Sorge, dass dort Be-
schäftigungslosigkeit droht. Darum müssen wir uns
kümmern. Auf der anderen Seite – da geht ein Dank an
Frau Roth; das nationale Hafenkonzept hat garantiert
eine gute Zukunft – bitten wir darum, die Masterpläne
Güterverkehr und Logistik auf EU-, Bundes- und Lan-
desebene zu verknüpfen, damit die Häfen auch für die
Zukunft gut aufgestellt sind. Es wird garantiert eine po-
sitive Zukunft sein,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Schön optimistisch! Das ist richtig!)


denn der Welthandel wird wieder zunehmen; das ist
überhaupt keine Frage.

Dann zum Thema Schifffahrt, das Sie eben schon an-
gesprochen haben, Herr Goldmann. Es ist richtig: Die
Aufträge und die Raten brechen weg. Aber wir alle ha-
ben in den vergangenen Jahren verfolgt, welche hervor-
ragenden Umsätze die Reeder gemacht haben. Ein ver-
antwortungsvoller Unternehmer legt Polster an und sorgt
in guten Zeiten für schlechte Zeiten vor. So einfach ist
das.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ja!)


Ich gehe davon aus, dass die Reeder entsprechende Pols-
ter angelegt haben.

Wir haben ganz bewusst gefordert, ein verbessertes
Rückflaggungsverhalten der Reeder auch in Zeiten der
Krise festzuschreiben. Wir stärken damit ganz bewusst
der Staatssekretärin und unseren Vertretern im entspre-
chenden Workshop den Rücken. Wir wollen als Parla-
ment deutlich machen, dass wir die 600 internationalen
Handelsschiffe in den Jahren 2009 und 2010 erwarten,
im Übrigen nicht erst in den Monaten November und
Dezember 2010; auch das muss einmal betont werden.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach, Frau Wetzel!)


Wir wollen vor allem, dass neue Ziele vereinbart wer-
den. Wir wollen eine Poolbildung bei Einschiffsreede-
reien. Auch denen stünde eine Rückflaggungsquote gut
zu Gesicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen nicht, dass die, die richtig was machen, we-
niger rückflaggen. Aber die Einschiffsreedereien müssen
ebenfalls gebeten werden, die deutsche Flagge zu unter-
stützen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wovon denn?)


Wir wollen vor allen Dingen, dass das Verhältnis der
deutschen Flagge zur Drittstaatenflagge deutlich verbes-
sert wird. Das schreiben wir in unserem Antrag fest, und
das ist wichtig.

Ein weiterer Punkt unseres Antrages ist die Ausbil-
dung. Ich will jetzt nicht alles wiederholen, was im An-
trag steht. Wir wissen, wie intensiv die Ausbildungsbe-
mühungen in der Vergangenheit waren, aber sie müssen
fortgesetzt werden.

Vor allen Dingen haben wir den sehr positiven Be-
reich des Klima- und Umweltschutzes aufgenommen,
der bei den Reedern zum Teil ein bisschen umstritten ist;
denn verbesserte Treibstoffe sind natürlich auch teurer.
Aber die Beschlüsse der IMO zur Reduzierung von
Schwefel-, Stickoxiden und CO2 halten wir für absolut
richtungweisend.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: CO2 ist kein Problem!)


Allerdings sind wir der Meinung, dass die Schwefel-
emissionsüberwachungsgebiete für die Nord- und Ostsee
zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Weil sie aber den
Klimaschutz fördern, wollen wir, dass sie auf die ande-
ren europäischen Binnenmeere entsprechend ausgewei-
tet werden. Daran werden wir noch stark arbeiten müs-
sen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Viel Spaß!)


Es ist richtig, dass die Bundesregierung und die Ree-
der eine Studie in Auftrag gegeben haben, in der der
Preis und die Verfügbarkeit der sauberen Treibstoffe un-
tersucht werden sollen. Aber Treibstoffe sind eben nicht
alles. Herr Goldmann, Sie hatten schon die Landstrom-
versorgung erwähnt. Wir halten die Landstromversor-
gung durchaus für positiv. Aber wir sehen auch sehr
deutlich, dass da noch einige Fragen zu klären sind.

Da ist zunächst einmal die Frage: Für welche Häfen
und für welche Schiffe? Denn diese Art der Versorgung
ist nicht für alle Schiffe und für alle Häfen verfügbar.
Das wissen wir sehr genau. Die nächste Frage lautet:
Wie sieht die Gesamtumweltbilanz aus? Wir wollen si-
cherlich keine Landstromversorgung mit einem Kohle-
kraftwerk nebenan. Ich hoffe, darin sind wir uns einig.

Internationale Standards müssen geklärt werden. Das
gilt für die Stromspannung genauso wie für die bordsei-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Wetzel
tigen Anschlüsse. Außerdem gehört zur Daueraufgabe,
dafür zu sorgen, dass die EU die Befreiung des Land-
stroms von der Stromsteuer genehmigt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oh!)


– Natürlich ist das eine Aufgabe. Ich dachte, Sie sind
darüber informiert, Herr Goldmann.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was soll das denn jetzt, Frau Dr. Wetzel?)


Es geht weiterhin um technische Innovationen beim
Schiffsbau und auch beim Schiffsbetrieb. Wichtig ist,
dass wir technologieoffene Lösungen entwickeln. In der
Seeschifffahrt darf es keine umweltpolitischen Sonder-
rollen zum Beispiel für Entwicklungsländer geben. An-
sonsten würden Standortverlagerungen drohen. Damit
würde sich ein kontraproduktiver Effekt ergeben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Beim Schiffsbetrieb setzen wir auch auf die Fach-
kompetenz gut ausgebildeter und gut qualifizierter
Crews. Energieeffizientes Fahren, Ausschöpfung aller
Möglichkeiten zur Emissionsminderung, das Erreichen
eines optimalen Verhältnisses von Geschwindigkeit und
Treibstoffverbrauch, eine umsichtige Routenplanung
oder SkySails, also die Ausnutzung der natürlichen Kraft
des Windes: All das sollten wir ausnutzen.

Beim Emissionshandel sind wir uns ebenfalls einig:
Die Seeschifffahrt soll in den Emissionshandel einge-
bunden werden. Aber auch da darf es nicht zu Wettbe-
werbsverzerrungen kommen. Ich finde es sehr gut, dass
die IMO neben dem Emissionshandel auch ein Kompen-
sationsmodell diskutiert. Wenn den Belastungen Einnah-
men in gleicher Höhe gegenüberstehen – das gilt auch in
Entwicklungsländern, wo die größten Effekte erzielt
werden –, dann sollten wir für die Lösungen offen sein,
die den größten Nutzen für die Ökologie bringen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


Die globale Wirksamkeit geht unseres Erachtens sowohl
auf der Einnahmenseite als auch auf der Ausgabenseite
vor.

Meine Bitte ist, unseren Antrag zu unterstützen. Die
FDP ist damit nicht gemeint,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Vielleicht besinnt sie sich noch!)


aber die Grünen und die Linken, die sich bisher noch
nicht positioniert haben.

Mein Wunsch ist, dass die maritime Konferenz dazu
führt, dass wir weiterhin zukunftsweisende Beschlüsse
fassen, die den Standort Deutschland wirklich voranbrin-
gen und deutlich machen, dass es sich – auch in der
Krise – um eine Erfolgsgeschichte handelt. Dafür müs-
sen wir einen klaren Kurs halten.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621415300

Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Die Ahnungslosen!)



Lutz Heilmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621415400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eine gute Nachricht vermeldeten gestern die
Lübecker Nachrichten: Auch wenn die Umschlagszah-
len im vierten Quartal 2008 um 20 Prozent eingebrochen
sind, gibt es im Lübecker Hafen erst einmal keine Kurz-
arbeit.

Ganz anders sieht es bei der HDW-Werft in Kiel aus,
die Kurzarbeit angemeldet hat. Das wurde notwendig,
weil die Auftraggeber keine Finanzierungszusage von
den Banken erhalten haben. Die Kieler Werft Lindenau
meldete bereits Insolvenz an. Bei den Werften von Thys-
senKrupp in Emden und Kiel wurde vor kurzem der Bau
von vier Containerschiffen gestoppt. Der Grund waren
wiederum fehlende Finanzierungszusagen von Banken.

Die Wadan-Werften in Wismar und Rostock warten
schon seit Monaten auf die versprochenen Aufträge ihrer
neuen russischen Eigner. Seit September 2008 haben
drei weitere norddeutsche Schiffbaubetriebe Insolvenz
angemeldet: die Schichau Seebeckwerft in Bremerha-
ven, die Cassenswerft in Emden und die SMG-Werft in
Rostock.

Reeder in Wedel erhalten keine Kredite, um den Bau
von Schiffen zu Ende zu führen, und gehen sprichwört-
lich mit der Dose betteln. Das war letzte Woche Freitag
im Schleswig-Holstein-Magazin zu sehen. Der Vorsit-
zende des Schiffbauverbandes sagte gegenüber dem
Norddeutschen Rundfunk: Serienschiffbau wird es in
Deutschland mit Sicherheit nicht mehr geben.

In den Häfen Hamburgs und Rostocks gibt es Kurzar-
beit. Die Hamburger Hafen- und Lagergesellschaft rech-
net mit einem schwierigen Jahr 2009.

Dies ist die Realität der letzten Wochen in weiten Tei-
len der maritimen Wirtschaft. Ich bin froh, dass auch von
der Frau Staatssekretärin und meinen übrigen Vor-
rednern anerkannt wurde, dass wir eine Krise haben;
denn Ihr Antrag lässt diese Erkenntnis vermissen. In Ih-
rem Antrag blenden Sie diese Realität aus.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie leider recht!)


In Ihrem Antrag findet sich gerade einmal in zwei Sätzen
das Wort „Krise“, ansonsten nicht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, steht nichts drin!)


Im Bericht der Bundesregierung ist von einer zyklischen
Wachstumsdelle die Rede. Von Krise will die Bundesre-
gierung in diesem Bericht nichts wissen. Es ist eine Ver-
höhnung der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter in
den Werften, wenn Sie in Ihrem Bericht schreiben – ich
zitiere –:






(A) (C)



(B) (D)


Lutz Heilmann
Die Bundesregierung hat auf die Herausforderun-
gen der Finanzmarktkrise und ihre Auswirkungen
auf die Gütermärkte schnell und entschlossen rea-
giert. Mit dem Sonderfonds Finanzmarktstabilisie-
rung wurde die Grundlage zur Stabilisierung des
Bankensektors und zur Kreditversorgung der Wirt-
schaft geschaffen.

Wo ist die HSH Nordbank, deren Kerngeschäft doch
die Schiffsfinanzierung ist? Können Sie mir sagen, wie
es sein kann, dass sich eine Bank, in die Sie gerade Mil-
liarden versenkt haben, weigert, Werften und Reedern
Finanzierungen zu gewähren? Sie vernebeln, Sie reden
klein und lassen die Menschen im Regen stehen.

Erlauben Sie mir jetzt, ein paar Gedanken zu Ihrem
Antrag zu äußern. Zum Abschnitt Schiffbau. Sie spre-
chen von Maßnahmen zur Schließung der Ingenieur-
lücke und zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses.
Das kann ich unterschreiben. Berufe im Schiffbau wer-
den stark nachgefragt, wie diese Woche auch die Lübe-
cker Nachrichten wieder meldeten. Das alles sind zwar
schön geschriebene Sätze. Aber was ist, wenn es keine
Werften mehr gibt, in denen die Fachkräfte arbeiten kön-
nen?

Sie wollen prüfen, ob Schiffbauaufträge der Bundes-
ministerien bzw. der Bundesbehörden zeitlich vorgezo-
gen werden können. Auch hier könnte ich guten Gewis-
sens zustimmen, wenn es sich dabei natürlich um zivile
und nicht um militärische Schiffsneubauten handelt.

Zum Abschnitt Hafenwirtschaft und Logistik. Die
Koalition begrüßt den Entwurf eines nationalen Hafen-
konzepts. Endlich, kann ich nur sagen: Jahrelang haben
Sie uns vertröstet. Es gab immer wieder Ausreden. Aber
schauen wir uns den Entwurf einfach einmal an: Was
stellen wir fest? Nichts ist zu lesen von einer Koopera-
tion der deutschen Seehäfen an der Nordrange, nichts
von einer eindeutigen Bevorzugung der Bahn bei der
Hinterlandanbindung. Die Beseitigung von sogenannten
Infrastrukturhemmnissen wird zum Oberziel erklärt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ist doch gut!)


Umwelt- und Klimaschutz verkommen zu Lippenbe-
kenntnissen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch nicht!)


Lassen Sie mich gleich zum Kapitel Klima- und Um-
weltschutz kommen. Sie wollen Bemühungen unterstüt-
zen, Schiffsemissionen durch eine landseitige Stromver-
sorgung in Häfen zu reduzieren. Frau Kollegin Wetzel,
Sie haben das angesprochen; wir haben auf unserer
Reise durch Schweden und Dänemark im letzten Jahr
recht viel darüber diskutiert. Aber es reicht nicht, sozu-
sagen einen Einheitsstecker für diese ganze Sache zu su-
chen. Es muss mehr her, zum Beispiel – Sie haben es an-
gesprochen – die Befreiung von der Stromsteuer. Ich
habe mehrmals nachgefragt: Das Finanzministerium hat
mir immer wieder gesagt, ein entsprechender Antrag sei
eingereicht. Es liege jetzt an der Europäischen Kommis-
sion. Ich bitte Sie: Tun Sie als Regierung etwas dafür!
Ihr Umweltminister hat letztendlich ganz gut dafür ge-
kämpft, dass die für Pkws zulässigen CO2-Werte hoch-
gesetzt wurden und der Klimaschutz im Pkw-Verkehr ad
absurdum geführt wurde. Ich bitte Sie also darum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nächste Woche fin-
det in Rostock die Sechste Nationale Maritime Konfe-
renz statt. Eine Menge Reden und Workshops stehen auf
dem Programm. Sogar ein Workshop zum Umweltschutz
ist vorgesehen. Bedauerlicherweise darf der Parlamenta-
rische Staatssekretär des Umweltministers seine Gedan-
ken und Anregungen erst am Ende der Konferenz kund-
tun. Ich hätte es, wenn wir schon von nachhaltiger
Entwicklung und nachhaltiger Politik sprechen, als gut
empfunden, wenn der Umweltstaatssekretär die Mög-
lichkeit gehabt hätte, am Anfang der Konferenz über
Klimaschutz usw. in der maritimen Wirtschaft zu spre-
chen,


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das sind Ihre Prioritäten! Die Tagesordnung!)


damit seine Anregungen dann in die Workshops einflie-
ßen können. Ich halte es nicht für richtig, dass er am
Ende der Veranstaltung als eine Art Feigenblatt auch
noch ein paar Worte sagen darf.

Ich vermisse konkrete Workshops dazu – ich war er-
staunt, dass auch die Bundesregierung anerkennt, dass
wir eine Krise haben; ich habe schon darauf hingewiesen –,
wie wir aus der Krise herauskommen wollen. Schaue ich
mir die Tagesordnung an, so stelle ich fest, dass es dazu
nichts gibt. Soll das wieder in den Anfangsreden hübsch
dargestellt werden, und dann wird es so gemacht, wie
Sie sich das vorstellen? Das ist nicht der richtige Weg.
Auch hier zeigt sich klipp und klar, dass Sie die Krise
völlig ausblenden, nach dem Motto: Was nicht sein darf,
kann auch nicht sein.

Zum Schluss möchte ich festhalten: Die Regierung
wird ihrer Verantwortung nicht gerecht. Der uns vorlie-
gende Antrag blendet die Realität der Krise aus. Glei-
ches gilt für den vorgelegten Bericht. Sie vernebeln, Sie
reden klein, und Sie lassen die Menschen im Regen ste-
hen. Die Linke fordert einen Schutzschirm für die Men-
schen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621415500

Das Wort hat nun der Kollege Rainder Steenblock für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung hat ihren Jahreswirtschaftsbericht
2008 mit dem Motto „Kurs halten!“ versehen. Was aus
diesem Motto am Ende – am Ende des Jahres 2008 und
dann Anfang des Jahres 2009 – wurde, haben wir alle er-
lebt. Es war notwendig, das Steuer dramatisch herumzu-
reißen, weil Kurs halten manchmal auch bedeuten kann,






(A) (C)



(B) (D)


Rainder Steenblock
dass man massiv aufläuft und dass große Unfälle gesche-
hen können.

Bei dem, was wir heute haben, wurde nicht nur das
Motto des letzten Jahreswirtschaftsberichts abgekupfert,
sondern es wurde damit auch eine völlig ahistorische Be-
wertung der maritimen Wirtschaft in Deutschland ver-
bunden. „Kurs halten!“ ist nicht das Motto. Wenn man
sich den Antrag, den Sie gestern eingebracht haben, und
die Mutter dieses Antrags einmal anschaut, dann stellt
man fest, dass das der Antrag ist, den die rot-grüne
Koalition im Jahre 2005 eingebracht hat.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Da hast du aber eine komische, selektive Wahrnehmung!)


– Gucken Sie sich das einmal an, liebe Kollegin. Dieser
Antrag ist fast wörtlich von dem Antrag abgeschrieben,
den Rot-Grün damals eingebracht hat.


(Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU)


Ich will jetzt gar keine Textexegese machen, aber es ist
nicht nur in den Überschriften, sondern auch in der Sa-
che das Gleiche.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Aber dann müssten Sie den Antrag ja für super halten!)


Da ist nicht einmal im Ansatz irgendetwas Neues drin.

Der Kollege Heilmann hat an dieser Stelle recht: Die-
ser Antrag bezieht sich in überhaupt keiner Weise auf die
Situation, in der sich die maritime Wirtschaft im Augen-
blick befindet. In dem Antrag werden Sachen referiert,
die zum Teil völlig richtig sind, die schon immer richtig
waren und die in Zukunft auch richtig sein werden, die
mit der Situation heute aber überhaupt nichts, aber auch
g
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1621415600
Das ist ganz toll, wir haben ein
Kreditvolumen von 200 Millionen Euro für den Schiff-
bau in Deutschland. Ich weiß nicht, ob sie schon jemals
gehört hat, was es kostet, ein Schiff zu bauen, und um
welches Volumen es da geht. Die HSH Nordbank ist ei-
ner der großen Schiffbaufinanzierer der Welt; sie hat ein
Schiffbaukreditvolumen von 100 Milliarden Euro. Wir
haben mit der Bank eine Reihe von Schwierigkeiten. Da
geht es aber um ganz andere Größenordnungen. Mit
200 Millionen Euro lässt sich jemand aus Saudi-Arabien
vielleicht eine Jacht bauen, aber damit lässt sich nicht
die internationale Schiffswirtschaft ankurbeln. Diese
Bundesregierung ist hinsichtlich der Kriterien, um die es
eigentlich geht, jenseits von Gut und Böse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will das an einem Beispiel noch einmal deutlich
machen. Frau Wöhrl hat ja das Stichwort Abwrackprä-
mie genannt. Worum geht es? Unser Antrag war damals,
Frau Wetzel, mit dem Stichwort „Innovationskraft stär-
ken!“ überschrieben. Ich glaube, wir sind uns alle einig,
dass das richtig ist. Bei dem Stichwort Abwrackprämie
möchte ich zu bedenken geben, dass wir – anders als bei
dem, was die Bundesregierung mit den Autos macht –
beim Schiffsabwracken ein echtes globales ökologisches
und soziales Problem haben. Denn zwei Drittel der
Schiffe, die weltweit abgewrackt werden, werden in In-
dien und in Bangladesch unter menschenunwürdigen
und unter ökologisch desaströsen Bedingungen abge-
wrackt. Das ist eine ganz große Sauerei, die dem interna-
tionalen Recht und dem EU-Recht widerspricht. Denn
die Schiffe, die abgewrackt werden, laufen aus den deut-
schen Häfen unter der Bedingung aus, dass sie als Abfall
deklariert werden und in der EU entsorgt werden müs-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Schiffe werden dann aber erst in internationalen
Gewässern als Abfall deklariert. Dann steuern sie Indien
und Bangladesch an, und da werden die Menschen mit
dem Abwracken dieser Schiffe gequält. Das ist unwür-
dig.

In so einer Situation gilt es, das Potenzial unserer
deutschen Werften zu nutzen und innovative Strategien
für das Abwracken von Schiffen zu entwickeln. Wir ha-
ben zig Ölplattformen und Gasförderstrukturen in der
Nordsee, deren Nutzung bald ausläuft und die entsorgt
werden müssen. Einige erinnern sich vielleicht noch an
das Greenpeace-Shell-Spektakel, das wir einmal hatten.
Das ist ein riesiges ökologisches Problem. Hier wären
wir – in dem Sinne, die Krise einmal als Chance zu nut-
zen – gut aufgestellt, die Arbeitsplätze in Deutschland
innovativ zu nutzen, um ökologische Probleme sozial
und auf einem hohen technischen Standard zu lösen. Es
wäre Aufgabe der Bundesregierung, sich über so etwas
Gedanken zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr gute Idee!)


Die Flaggenfrage ist schon angesprochen worden. Die
deutschen Reeder haben international eine machtvolle
Stellung. Wir sind die „Größten“ auf der Welt, was die
bereederten Schiffe angeht. Unter deutscher Flagge fährt
allerdings nur eine Minderheit. Deshalb ist das, was Frau
Wetzel gesagt hat, richtig: Wir müssen uns ehrgeizige
Ziele setzen. Die Subventionen, die den deutschen
Reedern gegeben werden, um ihnen einen Vorteil zu ver-
schaffen, müssen sich in von Deutschland bereederten
Schiffen niederschlagen. Es müssen Arbeitsplätze auf
Schiffen unter deutscher Flagge geschaffen werden, auf
denen die ökologischen und sozialen Standards einge-
halten werden. Das ist eine soziale Politik. Eine solche
Politik wird von uns immer unterstützt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist überhaupt gar keine Frage – da bin ich voll da-
bei –, dass wir unsere Forschungsstandorte stärken müs-
sen. Wir haben weltweit führende Forschungsstandorte:
IFM-GEOMAR in Kiel und AWI in Bremerhaven. Wir
haben dort eine hervorragende technische Ausrüstung.
Diese Institute sind weltweit Klasse. Wir müssen das
auch bei der Ressourcenförderung nutzen. Ich finde, das
ist eine wichtige Aufgabe. Wir Grüne sagen: Ja, man
muss darüber reden. Wir wollen aber auch über die Kri-






(A) (C)



(B) (D)


Rainder Steenblock
terien und die Bedingungen diskutieren. Gashydrate sind
nicht automatisch die beste Antwort auf die Energie-
krise. Das Gefahrenpotenzial ist nämlich sehr groß.
Trotzdem muss man sich diesen Fragen nähern.

Lassen Sie mich ein Letztes dazu sagen, wie man
diese Krise als Chance nutzen kann. Wir haben schon
vor der Krise bei den Frachtraten eine fallende Tendenz
gehabt. Man hat schon vor der Krise mit Schiffen kaum
noch Geld verdient, eben weil es strukturelle Probleme
in diesem Bereich gibt. Deshalb ist es natürlich wichtig,
unsere Häfen auszubauen. Wir müssen die Verkehre ver-
nünftig organisieren.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie wollen Sie denn reinkommen?)


Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Wir führen seit Jah-
ren eine Debatte über die Hinterlandanbindung der Hä-
fen. Wir kommen aber überhaupt nicht voran. Wir müs-
sen die Waren nicht nur in die Häfen schaffen, sondern
sie auch aus den Häfen rausschaffen. Jeder, der weiß,
was in den Häfen passiert, weiß auch, dass das Problem
darin besteht, die Waren aus den Häfen herauszubekom-
men.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sie verhindern doch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur!)


Wir haben Hamburg als Eisenbahnhafen. Das ist sehr
gut. Aber wir brauchen für Hamburg und Bremerhaven
eine vernünftige Anbindung an die Eisenbahn. Der Aus-
bau der Knotenpunkte – das wissen alle, die sich mit der
Materie ein bisschen beschäftigen – ist das zentrale
Thema. Wir brauchen keine neuen Autobahnen, sondern
müssen die Hinterlandanbindung der Häfen über die
Schieneninfrastruktur ausbauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – HansMichael Goldmann [FDP]: Ja zu Y?)


– Herr Goldmann, ich weiß das wohl. Ich wurde in Leer
geboren. Von daher müssen Sie mich nicht katholisch
machen. Ich kenne mich an der Küste relativ gut aus,
nicht nur in Leer, nicht nur Ostfriesland, sondern auch in
Hamburg und Schleswig-Holstein. Ich habe dort überall
schon gewohnt. Für jemanden aus Papenburg ist das
vielleicht ein weiter Weg.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU]: Da kriege ich ja Heimweh!)


Es ist nun einmal so, dass wir eine andere Verkehrs-
infrastruktur brauchen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was sagt ihr denn zur Y-Trasse?)


Dafür muss Geld ausgegeben werden. Die Leute dürfen
nicht länger vertröstet werden. So sieht Gestaltung der
Zukunft aus. Dann kann man die Krise als Chance nut-
zen. Das unterstützen wir.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was sagt ihr zur Y-Trasse? – Gegenruf des Abg. Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ist nicht, wie sie reinkommen, sondern das
Problem ist, wie sie rauskommen!)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621415700

Nächster Redner ist der Kollege Clemens Bollen für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Clemens Bollen (SPD):
Rede ID: ID1621415800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Papenburg und Leer liegen gar nicht so weit auseinan-
der, lieber Rainder Steenblock. Ich komme aus der Re-
gion Leer, Papenburg. Insofern kenne ich die Wege.

Ich freue mich, dass bei der Frage der maritimen
Wirtschaft ein so großer Konsens besteht.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Da ich die Gesamtentwicklung in der Werftindustrie
über Jahre hinweg aus verschiedenen Perspektiven ver-
folgen durfte, weiß ich, dass das ein ganz wichtiger
Schritt ist. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in de-
nen die Werftindustrie, die heute eine hochmoderne In-
dustrie ist, in denen der gesamte maritime Bereich als
Altbereich bezeichnet wurde.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


Deshalb bin ich froh darüber, dass wir diesen Konsens
gefunden haben.

Die Maritime Konferenz ist nicht irgendeine Konfe-
renz. Sie setzt Maßstäbe für die weitere Entwicklung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Sicherlich kann man über Details reden. Herr
Heilmann, ich freue mich, dass wir darüber diskutieren,
zu welchem Tagesordnungspunkt ein Staatssekretär re-
det. Über die Einrichtung eines Workshops können wir
gerne reden. Ich glaube aber, dass die Kernprobleme
größer sind. Deshalb ist unser Antrag, der auch mit „In
stürmischer See Kurs halten“ überschrieben werden
könnte, sehr wohl berechtigt. Hier wurde eben die Zahl
1 000 genannt. Sicher ist auf jeden Fall, dass mehr als
500 Schiffe aufliegen. Dies zeigt die gegenwärtige dra-
matische Situation, die uns allen Sorgen macht.

Dennoch sind die Perspektiven der maritimen Wirt-
schaft, wie hier bereits deutlich wurde, durchaus gut.
Kurzfristig müssen wir natürlich den Herausforderungen
begegnen. Mit unserem Antrag versuchen wir beides:
das langfristige Wachstum zu ermöglichen, aber auch
kurzfristige Antworten zu geben. Wir haben im Hinblick
auf die Kurzarbeit zeitnah die richtigen Entscheidungen
getroffen, um die Arbeitsplätze bei Unterbeschäftigung
zu erhalten.

Beschäftigung, Wertschöpfung und Ausbildung müs-
sen bei diesem industriellen Kern für die Zukunft gesi-






(A) (C)



(B) (D)


Clemens Bollen
chert werden. Allein in der Werftindustrie sind einschließ-
lich der Zulieferer über 100 000 Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer beschäftigt. Das ist eine enorme Zahl.
Viele denken hier nur an die Werften und an die Küste.
Man muss aber auch die Auswirkungen auf das Binnen-
land sehen, etwa auf die Verlängerung von Schleusen am
Neckar oder die Motorenproduktion in Süddeutschland.
Die Werftindustrie findet eben nicht nur an der Küste
statt; das gilt auch für viele andere Teile der maritimen
Industrie. Dies muss immer wieder deutlich gemacht
werden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Was staatliche Investitionen anbelangt, wird von mir
der Versuch unterstützt, in dieser Krise Bauaufträge vor-
zuziehen. Die Sicherung der Innovationsfähigkeit ist ein
zentraler Punkt. Eben ist Papenburg angesprochen wor-
den. Lieber Michael Goldmann, wir kennen uns dort aus.
Die Meyer Werft baut modernste Kreuzfahrtschiffe, die
weltweit nachgefragt werden. Dieser industrielle Kern
für die gesamte Küste – dies gilt auch für andere Werften –
macht die globale Spitzenposition deutlich. Die damit
verbundenen weiteren Technologien sind für die Wirt-
schaft von zentraler Bedeutung. Deshalb müssen auch
die Innovationen, wie in unserem Antrag gefordert wird,
unbürokratisch gefördert werden. Dies sage ich auch mit
Blick auf Staatssekretärin Wöhrl. Es gibt ja auch Bei-
spiele dafür, dass es noch Probleme bei der Innovations-
förderung gibt. Dazu gehört auch, dass im Schiffbau
Tests unabhängig von konkreten Bauaufträgen durchge-
führt werden können; dies ist für das Entstehen von
Know-how ganz wichtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche See-
schifffahrt steht ebenfalls vor großen Herausforderun-
gen. Dies wurde eben deutlich, als von den Einbrüchen
am Weltmarkt die Rede war. Es wurde der Reederei-
standort Leer genannt. Aber auch Haren an der Ems ist
nicht zu vergessen, Hamburg als großer Reedereistand-
ort natürlich auch nicht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und Rhauderfehn! – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Und Schleswig-Holstein!)


– Den wichtigen Standort Haren an der Ems wollte ich
doch einmal genannt haben; ihn haben Sie vergessen.

An diesen Beispielen wird deutlich, welche Bedeu-
tung der Logistik zukommt. Auch hierzu noch eine Zahl:
Über 2,7 Millionen Menschen sind in der Logistikkette
beschäftigt. Gerade eine umweltfreundliche Transport-
möglichkeit wie die Schifffahrt muss weiterhin unter-
stützt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Deshalb sind auch die im Maritimen Bündnis für Ausbil-
dung und Beschäftigung entstandenen Vorschläge umzu-
setzen. Ich mahne in diesem Zusammenhang noch ein-
mal den Beschäftigungspool an, über den wir seit vielen
Jahren reden. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem
dieses Vorhaben umgesetzt werden muss. Es wäre fatal,
wenn in der Krise die Fachkräfte verloren gingen, die
dann, wenn die Konjunktur wieder anspringt, nicht mehr
zur Verfügung stünden. So etwas ist schon häufig pas-
siert; das darf nicht wieder passieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dies gilt natürlich auch für die Ausbildung der Seeleute.

Etwas stärker muss noch betont werden, dass es unter
den Bedingungen der Wirtschaftskrise sozial gerecht zu-
gehen muss. Es darf nicht zu einem Wettlauf kommen,
wer die sozialen Standards zuerst drückt. Die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer haben an dieser Krise über-
haupt keine Schuld. Sie liefern Qualität und hohe Leis-
tung im maritimen Sektor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb ist es auch Zielsetzung unseres Antrags, die
Rahmenbedingungen weiterhin zu verbessern, damit
auch künftig in diesem Bereich Wertschöpfung herge-
stellt werden kann. Dies gilt ebenso für die Stärkung der
Häfen. Gerade in unserer Region ist die Verschlickung
ein Problem, das wir im Hinblick auf die Häfen an der
Unterems zeitnah lösen müssen, damit auch diese Häfen
weiter gestärkt werden.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621415900

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.


Clemens Bollen (SPD):
Rede ID: ID1621416000

Noch kurz zum Stichwort Offshorewindenergie: Hier

handelt es sich um eine Zukunftstechnologie, für die
jetzt alle Rahmenbedingungen geschaffen werden müs-
sen.

Zukunftsweisende Technologien fördern, konkrete
Stärkung der maritimen Wirtschaft in der Krise bereit-
stellen, die Anliegen der Unternehmen und Beschäftig-
ten ausgewogen im Blick haben, das sind die Ziele unse-
res Antrages. Ich freue mich, dass wir da so großen
Konsens haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621416100

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der

Kollege Eckhardt Rehberg.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1621416200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-

ordnete!


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Fragt ihn nicht, wo Hansa Rostock jetzt steht!)


– Das besprechen wir beide nach Mitternacht.

Natürlich hätte man sich für die Maritime Konferenz
am Sonntag und Montag in Rostock – ich bin sehr froh,






(A) (C)



(B) (D)


Eckhardt Rehberg
dass sie in Rostock stattfindet – etwas schöneres Wetter
im wirtschaftlichen Bereich wünschen können. Ich
glaube, dass die Bundesregierung die Realitäten nicht
ausblendet und dass wir das in dem Antrag und insbe-
sondere, Kollege Heilmann, auch beim Handeln in den
letzten Wochen und Monaten nicht getan haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das, was Sie hier gerade geboten haben, war mehr als
peinlich.

Ich könnte Horrorszenarien beschreiben ohne Ende.
Aber schauen wir uns einmal von den vier Werften, die
leider Insolvenz anmelden mussten, zwei an. Schichau
Seebeck Shipyard in Bremerhaven ist im Augenblick da-
bei, sich in den Bereichen Offshore und Reparaturleis-
tungen zu diversifizieren. Das ist doch ein vernünftiger
Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Anerkennen, Mut machen!)


Die Lindenau-Werft hat den größten Doppelhüllentanker
der Welt noch auf Kiel. Er wird fertig gebaut; dies ge-
schieht übrigens mit Unterstützung des Bundes, der
KfW. Die Werft ist im Augenblick dabei, einen Auftrag
zum Bau eines Fruchtsafttankers zu akquirieren; das ist
ein Hightechtanker. Das heißt, wir werden immer Bewe-
gung haben. Aber wir müssen konstatieren, dass Weiter-
entwicklung hier möglich, wichtig und richtig ist.

Ein Weiteres: Natürlich ist es mir lieber, wenn Werft-
eigner eine Telefonnummer in Deutschland haben und
deutsch verstehen. Es ist natürlich schwieriger, wenn es
zu 70 Prozent russische Eigentümer sind.

An dieser Stelle möchte ich, da ich in den Prozess ein-
gebunden war, auf Folgendes hinweisen: Innerhalb von
Tagen hat die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpom-
mern, weil der KfW-Schirm noch nicht aufgespannt war,
60 Millionen Euro Darlehen als Zwischenfinanzierung
ausgereicht, damit eine RoPax-Fähre für Stena fertigge-
baut werden konnte. Dieses Darlehen ist mittlerweile
durch den Bund abgelöst worden.

Hier zu sagen, wir seien für die Krise nicht gewappnet
und reagierten in der Krise nicht richtig, ist eine Verhöh-
nung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!)


Wir haben uns sehr wohl dafür eingesetzt.

Ich will noch eine Lanze für die deutschen Werften
brechen. Manche – ich nehme als Beispiel die Volks-
werft in Stralsund – waren zu 100 Prozent eine Tochter
der größten Reederei der Welt, A. P. Moeller-Maersk.
Sie haben natürlich Containerschiffe bauen lassen. Diese
Werft hat es innerhalb von zwölf Monaten geschafft, von
einem Altauftragsbestand von 80 Prozent Container-
schiffen zu einem Neuauftragsbestand von nur noch
20 Prozent Containerschiffen zu kommen. Das heißt,
80 Prozent der Aufträge betreffen nun Spezialschiffe.
Das bedeutet Zukunft; das ist der richtige Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Herr Kollege Steenblock, wer ist die Mutter dieses
Antrages? Die Mutter dieses Antrages ist der Antrag der
Koalitionsfraktionen von Februar 2007. Das ist eine
Weiterentwicklung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn ich einmal die Anforderungen durchgehe, die
wir uns als Politik gestellt haben, sehe ich: Wir haben die
Einführung von CIRR durchgesetzt;


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gut!)


heute wird CIRR sogar nachträglich für das vorangegan-
gene Jahr gezahlt. Wir haben die FuE-Mittel bis zum
Jahr 2001 verdoppelt. Wir verzichten auf die bedingte
Rückzahlbarkeit von Zuschüssen für die Innovationsför-
derung an kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben
jetzt eine dreijährige Aussetzung beschlossen. Das heißt,
wir setzen genau an dem Punkt an, wo es wichtig ist, und
zwar nicht nur bei den Werften, sondern auch bei For-
schung, Entwicklung und Innovation.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Gut!)


Hier setzt der Bund, hier setzen wir gemeinsam als Bun-
destag die Rahmenbedingungen. Das ist richtig und ent-
scheidend, um den Werften und dem Schiffbau zu hel-
fen, damit sie eine gute Zukunft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt, jedenfalls
nach meiner Kenntnis, keine vergleichbare Veranstal-
tung in Deutschland, bei der es um eine solch große
Branche geht. Seit der ersten Konferenz vor zehn Jahren
hat sich herauskristallisiert, dass die maritime Wirtschaft
eine für ganz Deutschland systemrelevante Industrie und
ein für ganz Deutschland systemrelevanter Wirtschafts-
zweig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Deswegen hat Rot-Grün sie gestärkt!)


Es gehört zur Aufgabe dieser Konferenz, diese Botschaft
zu transportieren. Es gibt keinen anderen Bereich, in
dem Sozialpartner und Politik auf solch kollegiale Art
und Weise zusammenarbeiten. Unsere Erfolge sind be-
achtlich.

Kollege Heilmann, natürlich haben wir uns auch mit
Blick auf die Krise weitere Aufgaben gestellt. Ich will
nur einige kurz erwähnen: Wir haben schon im Voraus
dafür gesorgt, dass der Schiffbau aus der Zinsschranke
ausgenommen wird. Wäre der Schiffbau von der Zins-






(A) (C)



(B) (D)


Eckhardt Rehberg
schranke betroffen, dann hätten die Werften – so sage ich
voraus – erhebliche Probleme.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Probleme!)


Ich bin dem Finanzminister sehr dankbar, dass er sich
mit diesem Thema insgesamt befassen wird.

Wir wollen sicherstellen, dass die Landesbürgschaf-
ten der Küstenländer nicht von der EU zurückgenommen
werden; hier gibt es einen Prüfauftrag. Wir wollen au-
ßerdem dafür sorgen, dass die Entwicklungshilfe
– Stichwort Indonesien – an Aufträge für deutsche Werf-
ten gekoppelt werden kann. Auch das ist eine Aufgabe
der Politik.


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Ich gehe sogar noch weiter. Auch der Marineschiff-
bau im Ausland bringt den deutschen Werften an Nord-
und Ostsee Arbeit. Hier sind uns andere Länder ein
Stück weit voraus. An dieser Stelle spielt selbstverständ-
lich auch das Vorziehen öffentlicher Aufträge eine Rolle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Kollege Goldmann, meiner Meinung nach ste-
hen die Reeder in der Pflicht. Die Politik hat mit großer
Mühe den Lohnsteuereinbehalt durchgesetzt; Stichwort
Tonnagesteuer. Das war keine einfache Aufgabe.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig! Und wir bleiben dran!)


Bei den bisherigen Maritimen Konferenzen gab es im-
mer ein Geben und Nehmen. Man kann nicht immer nur
vom Stamme Nimm sein,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


sondern man muss das, was man zugesagt hat, auch ein-
halten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Lassen Sie mich an dieser Stelle an den Patriotismus
erinnern, den eine große Reederei in Rostock seit Jahren
an den Tag legt. Ich meine die Reederei Aida, die ihre
Kreuzfahrtschiffe in Papenburg bauen lässt; drei Auf-
träge stehen übrigens noch in den Büchern. Da auch dies
ein wichtiges Zukunftsfeld ist, haben wir in unserem An-
trag formuliert, dass die Herstellung von Wettbewerbs-
gleichheit in Europa auch mit Blick auf deutsche See-
arbeitsplätze von Bedeutung ist.

Dadurch, dass der italienische Staat Sozialbeiträge
und Steuern komplett übernimmt, verliert diese Reederei
pro Jahr und Schiff – ich möchte den Betrag einmal nen-
nen – rund 5 Millionen Euro. Wenn wir also wollen, dass
noch mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren, dann
besteht unsere Aufgabe darin, „to level playing field“.
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen – diese Reederei ist
dazu bereit –, dass in Deutschland die gleichen Bedin-
gungen wie in Italien herrschen. Das Ziel, das Flagg-
schiff von Kreuzfahrern wieder unter deutscher Flagge
fahren zu lassen, ist diese Anstrengung wert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich weiß, dass das Geld kostet; aber wir können nur die-
sen Weg gehen. Deswegen sage ich Ihnen, Herr Kollege
Goldmann: Die Reeder dürfen nicht nur vom Stamme
Nimm sein.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sind sie ja auch nicht!)


Auch Geben gehört dazu, jedenfalls nach meiner Auffas-
sung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Schluss noch einige Anmerkungen zum Ha-
fenverkehr und zu den Hinterlandanbindungen machen.
Auch in diesem Bereich hat der Bund in den letzten Mo-
naten das getan, was getan werden musste. Allerdings
muss ich darauf hinweisen – das tue ich auch im Namen
meiner Kollegen aus den nordwestdeutschen Küstenlän-
dern –, dass an dieser Stelle die Landesregierungen
ebenfalls in der Pflicht sind.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: So ist es!)


Sie müssen baureife Projekte vorhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist egal, welche politische Farbe eine Landesregie-
rung hat: Eine vernünftige Planung kann man nicht in
einem halben Jahr abschließen. Das dauert teilweise
deutlich länger. Ich appelliere an alle norddeutschen
Landesregierungen, baureife Projekte vorzuhalten,
sprich Planfeststellungsverfahren durchzuführen. An-
sonsten bringen uns alle Anstrengungen nicht weiter.

Nun möchte ich noch gerne das Thema Küstenwache
anreißen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Ein wichtiges Thema!)


Das Pallas-Unglück ist mittlerweile zehn Jahre her. Bis
heute wurde in diesem Bereich allerdings nur relativ we-
nig getan. Ich kann nur an uns alle appellieren, alle ideo-
logischen Scheuklappen fallen zu lassen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir brauchen eine einheitliche Bundesküstenwache, und
zwar auf einer sauberen Rechtsgrundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben im Augenblick eine Menge Probleme im
Bereich der maritimen Wirtschaft. Es ist aber falsch,
Horrorszenarien zu entwerfen. Ich kann mich gut an die
Situation in Mecklenburg-Vorpommern in den 90er-Jah-
ren erinnern: 1992 Werftenprivatisierung, 1996 Vulkan-
Krise. Wir haben es jetzt geschafft, die Studierendenzah-






(A) (C)



(B) (D)


Eckhardt Rehberg
len an der Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik
der Uni Rostock gegenüber 1999 zu verdoppeln; das hat
zehn Jahre gedauert. Wir sollten eine Zukunftsbranche,
eine Hightechbranche nicht schlechtreden. Auch die
Flugzeugindustrie hat Probleme; sie wird aber nicht
schlechtgeredet.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Der Automobilbau!)


Wir sollten zu unserer maritimen Wirtschaft stehen, zu
den Werften, zum Schiffbau, zur Seeverkehr- und Hafen-
wirtschaft, zur maritimen Technologie insgesamt.

Wenn man einen Strich darunter macht, erkennt man:
Die maritime Wirtschaft erreicht ein Umsatzvolumen
von 54 Milliarden Euro. Insgesamt arbeiten fast 400 000
Menschen in diesem Bereich. Damit handelt es sich um
eine wichtige Branche für Ost, West, Nord und Süd.

Ich darf Sie herzlich nach Rostock einladen und Sie
dort willkommen heißen.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621416300

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Christian Kleiminger für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christian Kleiminger (SPD):
Rede ID: ID1621416400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Lassen Sie mich zunächst sagen: Ich freue mich
sehr, dass mit der Sechsten Nationalen Maritimen Kon-
ferenz am kommenden Wochenende eines der wichtigs-
ten maritimen Ereignisse unseres Landes in meinem
Wahlkreis Rostock stattfindet. Wir alle in der Region,
besonders die zahlreichen Beschäftigten in unserer hei-
mischen maritimen Industrie, sind gespannt auf die Dis-
kussionen und die Ergebnisse; denn die maritime Wirt-
schaft ist in der Tat eines unserer wichtigsten
Standbeine. Sie bietet viele Chancen auf gute Arbeit
– das wird im Antrag der Koalition aufgegriffen und an-
gesprochen – in den Bereichen Schiffbau und Logistik,
Offshorewindenergie und alternative Meerestechnolo-
gie, Wissenschaft, Forschung und ökologische Innova-
tionen.

Wir sehen in unserer norddeutschen Region eine
wichtige Drehscheibe im Ostseeraum, die es nachhaltig
auszubauen und zu stärken gilt. Natürlich hinterlässt die
Wirtschafts- und Finanzkrise aber ihre Spuren. Deshalb
setzen die Menschen in Rostock, die Betriebsräte, mit
denen ich spreche, gerade jetzt auf das maritime Bünd-
nis. Sie fordern gerade jetzt das ein, wofür Kanzler
Gerhard Schröder immer klar gestanden hat: Zugeständ-
nisse an die Eigentümerseite etwa bei der Tonnagesteuer
werden immer klar und deutlich an die Bedingung der
Sicherung von Arbeit und Beschäftigung in der Seewirt-
schaft geknüpft.


(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht sein, dass sich jetzt in der Krise ein-
zelne Arbeitgeber aus der Verantwortung stehlen und
den Eindruck erwecken, sich beispielsweise aus der
Ausbildung junger Menschen zurückziehen zu wollen.
Ich sage klar und deutlich: Man kann hier sicherlich
nicht alle Arbeitgeber über einen Kamm scheren; die Be-
triebsräte vor Ort berichten auch von guten Beispielen.
Es gibt aber auch ein paar schwarze Schafe unter den
maritimen Arbeitgebern, über die man auch am kom-
menden Wochenende reden muss. Hierbei geht es um die
Themen Rückflaggung, Ausbildung und Beschäftigung
in Deutschland. Die Zahl der Ausbildungsplätze in der
Seeschifffahrt ist über einige Jahre gestiegen; aber in-
zwischen stagniert die Zahl. Hier müssen wir aufpassen
und wieder an die Verantwortung der Unternehmen erin-
nern.

Trotz der Krise muss in Deutschland am Schiffbau
festgehalten werden, gerade auch an der Ostseeküste.
Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung
auch die Wadan-Standorte in Wismar und Rostock-War-
nemünde unter den Schutzschirm gestellt hat.

Ich begrüße es außerordentlich, dass sich die Koali-
tion in dem vorliegenden Antrag für eine Stärkung des
Fährverkehrs – also für die Verlagerung von der Straße
auf die Schiffe – ausspricht und dass sie darin die Forde-
rung aufgreift, die seewärtigen Zufahrten und die Hafen-
hinterlandanbindungen unter Beachtung ökologischer
Kriterien bedarfsgerecht auszubauen und zu verbessern.

In diesem Zusammenhang ist auch die Verlängerung
der TEN-Achse von Rostock über die Ostsee bis hin
nach Kopenhagen ein notwendiger Schritt. Er hätte auch
für mein Bundesland erhebliche Bedeutung, nicht zuletzt
als eine Art Ausgleichsmaßnahme für das Projekt einer
Festen Fehmarnbelt-Querung, das ich übrigens – diese
persönliche Anmerkung sei mir am Schluss an dieser
Stelle erlaubt – mehr denn je für ökologischen und öko-
nomischen Unsinn halte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr mutig! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Wer klatscht denn da?)


Sie sehen, dass es viel Diskussionsstoff gibt, und ich
sage: Herzlich willkommen in Rostock!


(Beifall bei der SPD – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Schluss klatsche ich mal mit!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1621416500

Ich schließe die Aussprache.

Tagesordnungspunkt 6 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 16/12431 mit dem Titel „In
der Maritimen Wirtschaft Kurs halten“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
und Enthaltungen der Fraktion der FDP und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 b. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/11835 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG)


– Drucksache 16/10067 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/12407 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz
Klaus Uwe Benneter
Mechthild Dyckmans
Dr. Barbara Höll
Jerzy Montag

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Frau Bundesministerin Brigitte Zypries für die Bundes-
regierung das Wort.


(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])



Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1621416600

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen sowie insbesondere lieber Kollege Benneter!


(Dirk Manzewski [SPD]: Warum wird er ausdrücklich genannt?)


– Weil er geklatscht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Sehr schön.

Das Gesetz, das wir heute beschließen, ist die größte
Reform des Bilanzrechts seit mehr als 20 Jahren. Es ist
aber nicht nur eine große Reform – solche Reformen
sind wir hier in letzter Zeit vom Rechtsausschuss ja ge-
wöhnt –, sondern es ist vor allen Dingen auch eine gute
Reform; solche Reformen sind wir vom Rechtsausschuss
allerdings auch gewöhnt.


(Beifall bei der SPD)


Wir erreichen mit dieser Reform dreierlei:

Erstens. Wir verschärfen die Regeln für die Offenle-
gung von Risiken. Damit stärken wir die Aussagekraft
von Bilanzen und das Vertrauen in diese Zahlen. Das ist
gerade in diesen Tagen ein wichtiges Signal. Damit zei-
gen wir vor allen Dingen auch, dass wir an verschiede-
nen Stellen dabei sind, Lehren aus der Finanzkrise zu
ziehen – unter anderem eben auch mit dieser Reform des
Bilanzrechts.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht an allen!)


Zweitens. Wir bauen Bürokratie ab und erleichtern
damit die Bilanzierung. Mit diesem Bürokratieabbau
wollen wir vor allen Dingen die kleinen und die mittel-
ständischen Unternehmen entlasten. Mehr als
500 000 Unternehmen in Deutschland sind von diesen
Erleichterungen in Bezug auf die Bürokratie betroffen.
All diese werden künftig einfacher bilanzieren können,
weil wir die Schwellenwerte anheben.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Frau Dyckmans, das ist wirklicher Bürokratieabbau! Sie hören wieder nicht zu! – Gegenruf der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Wir sind dabei, Herr Benneter!)


– Nachdem alle Fraktionen mitbekommen haben, dass es
um Bürokratieabbau geht, können wir ihn auch bezif-
fern, Herr Kollege Benneter: Nach Berechnungen des
Statistischen Bundesamtes gibt es ein Einsparvolumen
von 2,5 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft.
Schon das allein ist ein großer Erfolg dieses Gesetzes.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Drittens stärkt die Reform das deutsche Recht im inter-
nationalen Wettbewerb. Unser bewährtes HGB-Bilanz-
recht braucht nämlich die Konkurrenz mit den interna-
tionalen Standards der Rechnungslegung nicht zu
scheuen.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Es bleibt nicht nur eine vollwertige Alternative zu den
internationalen Regelwerken, sondern hat auch den ent-
scheidenden Vorteil, dass es die Nachteile dieser Regel-
werke vermeidet. Auch das ist ein gutes Ergebnis.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die großen, börsennotierten Unternehmen orientieren
sich heute an den internationalen Standards der Rech-
nungslegung. Für die kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen – also für das Gros der deutschen Kapitalge-
sellschaften – sind diese Regelungen aber viel zu
kompliziert und deshalb nicht brauchbar. Sie können
sich weiterhin nach dem deutschen HGB-Bilanzrecht
richten, das ihnen ein kostengünstiges und bewährtes
Regelwerk an die Hand gibt.

Die Handelsbilanz wird aber in Zukunft durch unsere
Reform aussagekräftiger. Ich will dazu nur zwei Bei-
spiele nennen. Zum einen ermöglichen wir mit dieser
Reform, künftig selbstgeschaffene immaterielle Vermö-
gensgegenstände des Anlagevermögens in der Bilanz zu
aktivieren. Das betrifft zum Beispiel Patente. Diese Ver-
mögenswerte sind dann kein totes Kapital mehr, sondern
man kann beziffern, wie sie kapitalisiert werden könn-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
ten, und es entsprechend in der Bilanz ausweisen. Zum
anderen werden wir künftig die Rückstellungen für an-
stehende Verpflichtungen realistischer bewerten.

Zur Verbesserung der Aussagekraft gehört auch, dass
die wirtschaftlichen Risiken bei sogenannten Zweckge-
sellschaften künftig besser aufgedeckt werden müssen.
Gerade im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise
war ein relevanter Punkt, dass man nicht richtig ein-
schätzen konnte, womit bei den Zweckgesellschaften
noch zu rechnen war. Das war in der Bilanz ganz hinten
im Anhang im Kleingedruckten versteckt, das keiner
mehr richtig gelesen hat. Das muss geändert werden.
Deswegen haben wir entschieden, dass die Zweckgesell-
schaften künftig in die Bilanz selbst aufgenommen wer-
den müssen. Das ist gerade im Lichte der Finanzmarkt-
krise ein wichtiger Schritt, bei dem das Haus noch über
den Regierungsentwurf hinausgegangen ist.

Eine weitere Änderung gegenüber dem Regierungs-
entwurf betrifft die Fair-Value-Bewertung von Finanz-
instrumenten. Nach den Beratungen im Deutschen Bun-
destag wird diese Zeitwertbewertung für normale
Handelsunternehmen gestrichen. Sie bleibt also auf die
Kreditinstitute beschränkt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Dafür ist sie nach wie vor sinnvoll. Wir wollen aber
keine Schönwetterbilanzierung und haben deshalb einen
Sicherheitsabschlag vorgesehen.

Als weitere Konsequenz aus der Finanzmarktkrise
werden Kreditinstitute verpflichtet, einen Teil ihres Han-
delsgewinns künftig in ein bilanzielles Sicherheitspolster
einzubringen. Dazu führen wir einen Sonderposten ein,
der für die Ausschüttung gesperrt ist. Diese Rücklage
wird gebildet, wenn man Gewinne macht, damit sie in
Zeiten, in denen es dem Unternehmen schlecht geht, ka-
pitalisiert werden kann. Diesen Zusammenhang kennen
wir alle: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. – Das
soll künftig auch für die Gesellschaften gelten.

Wir haben gerade über diesen Punkt mit den Bericht-
erstatterinnen und Berichterstattern intensiv beraten.
Uns allen war dabei sehr wichtig, dass wir die Attraktivi-
tät der deutschen Kreditinstitute nicht beeinträchtigen.
Ich glaube, wir haben eine gute Lösung gefunden, die
die Kreditinstitute nicht überfordert, aber gleichzeitig
deutlich macht, dass wir aus dem, was wir zurzeit erle-
ben, Lehren ziehen.

Ich bin den Berichterstatterinnen und Berichterstat-
tern für die konstruktive Zusammenarbeit in diesem und
in allen anderen Punkten sehr dankbar. Auch für das Bi-
lanzrechtsmodernisierungsgesetz gilt die Struck’sche
Formel: Kein Gesetzentwurf kommt so aus dem Bundes-
tag heraus, wie er hineingegangen ist. Es waren immer
sehr konstruktive Beratungen, für die ich mich bedanken
möchte. Ich möchte mich auch bei Herrn Dr. Ernst aus
meinem Hause bedanken, der dieses Vorhaben vorberei-
tet und immer intensiv und sachkundig begleitet hat.
Vielen Dank dafür!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die neuen Bilanzierungsregeln müssen ab 2010 ange-
wandt werden. Wer möchte, kann sie schon für das Jahr
2009 nutzen. Wir sind deshalb so eilig und haben den
Bundesrat um Fristverkürzung gebeten, weil die Erleich-
terungen für die kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen sogar noch rückwirkend für das Bilanzjahr 2008
gelten sollen. Das scheinen wir zu erreichen. Soweit ich
höre, ist der Bundesrat mit einer Fristverkürzung einver-
standen, sodass das Gesetz rechtzeitig in Kraft treten
kann.

Ich danke Ihnen noch einmal für die konstruktiven
Beratungen und hoffe, dass alles, was wir uns von die-
sem Gesetz versprechen, tatsächlich realisiert wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621416700

Die Kollegin Mechthild Dyckmans hat jetzt das Wort

für die Fraktion der FDP.


(Beifall bei der FDP)



Mechthild Dyckmans (FDP):
Rede ID: ID1621416800

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Vorweg möchte ich mich ganz herzlich bei den
Berichterstattern aller Fraktionen und den Mitarbeitern
aus dem BMJ für die vertrauensvolle und gewinnbrin-
gende Arbeit bedanken. Diese Arbeit wurde der heraus-
ragenden Bedeutung dieses Gesetzesvorhabens gerecht.
Gerade weil verschiedene Änderungswünsche – auch
der FDP-Bundestagsfraktion – berücksichtigt wurden,
wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die FDP-Bundestagsfraktion spricht sich seit langem
für ein modernes Handelsrecht aus. Ich selbst habe ziem-
lich bald, nachdem ich in den Deutschen Bundestag ge-
wählt worden war, die Frage an das Justizministerium
gestellt, wie es mit dem BilMoG weitergeht. Es hat
lange gedauert, aber endlich liegt ein Gesetzentwurf
vor. Ziel des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes ist,
die bewährte HGB-Bilanz zu einer dauerhaften und im
Verhältnis zu den internationalen Rechnungslegungs-
standards vollwertigen, aber kostengünstigen und ein-
facheren Alternative weiterzuentwickeln. Dabei sollen
die Eckpunkte des HGB-Bilanzrechts und das bisherige
System beibehalten werden. Die HGB-Bilanz bleibt also
grundsätzlich Grundlage der Ausschüttungsbemessung
und der steuerlichen Gewinnermittlung. Es geht mit an-
deren Worten darum, das deutsche Bilanzrecht zu einem
Vorbild für Europa weiterzuentwickeln. Dieses Ziel ist
richtig und wichtig und wird von der FDP voll unter-
stützt.


(Beifall bei der FDP)


Darüber hinaus sollen Unternehmen – die Frau Bun-
desministerin hat es schon gesagt – von unnötigen Kos-
ten entlastet werden. Der Druck, der auf vielen Unter-
nehmen liegt, neben den deutschen Bilanzregeln auch
die internationalen Rechnungslegungsstandards anzu-






(A) (C)



(B) (D)


Mechthild Dyckmans
wenden, ist enorm. Die internationalen Standards sind
für den deutschen Mittelstand aber der falsche Weg.
Auch die geplanten internationalen Standards für kleine
und mittelständische Unternehmen sind nicht zielfüh-
rend, weil sie viel zu kompliziert sind. Besonders her-
vorzuheben sind für die FDP-Bundestagsfraktion die Re-
gelungen im BilMoG, die zu einer Deregulierung und
einer Kostensenkung bei mittelständischen Unterneh-
men führen. Die Frau Justizministerin hat schon gesagt,
dass es hier erhebliche Einsparungen für die Unterneh-
men geben wird. Es wird also zu tatsächlichen Entlas-
tungen des Mittelstandes kommen. Das begrüßen wir
sehr.


(Beifall bei der FDP)


Das BilMoG hat insbesondere im Umfeld der Finanz-
marktkrise eine Bedeutung erlangt, die weit über das In-
teresse der reinen Fachöffentlichkeit hinausgeht. Zu nen-
nen sind hier zwei Stichworte: zum einen die
Zweckgesellschaften und zum anderen die Fair-Value-
Bewertungen. Die Verhandlungen über diese beiden
Punkte erwiesen sich als äußerst schwierig. Hier war die
Sachverständigenanhörung sehr hilfreich. Selten waren
wir so auf fachlichen Rat angewiesen. Deshalb herzli-
chen Dank an alle Sachverständigen!


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der SPD)


Beim Rückblick auf die Entstehung der Finanzmarkt-
krise rückte ein Problem sehr schnell in den Mittelpunkt.
Den findigen Bankern und Juristen war es gelungen,
Risiken aus der Bilanz des Mutterunternehmens heraus-
zunehmen und diese Risiken in sogenannte Zweck-
gesellschaften auszulagern. Damit erfolgte nicht nur eine
Bereinigung der eigenen Bilanz, sondern diese Zweck-
gesellschaften waren oftmals auch der deutschen Banken-
aufsicht entzogen. Die im Regierungsentwurf zunächst
vorgesehene Erweiterung des Konsolidierungskreises
und damit die Pflicht der Einbeziehung von Zweck-
gesellschaften ging uns nicht weit genug. Wir konnten
im Rahmen der Berichterstattergespräche wesentliche
Änderungen durchsetzen. Diese werden zwar nicht dazu
führen, dass es in Zukunft unmöglich sein wird, Risiken
zu verlagern – es wird immer Findige geben, die neue
Ideen haben –, aber die Verlagerung von Risiken wird
künftig so weit wie möglich erschwert.

Eine weitere wichtige Änderung, die wir mit Blick
auf die Finanzmarktkrise vorgenommen haben, betrifft
die Fair-Value-Bewertung von Finanzinstrumenten. Für
einfache Handelsunternehmen bleibt es bei dem Vor-
sichtsprinzip des deutschen Handelsgesetzbuchs. Das
heißt, es gibt keine Bewertung nach dem beizulegenden
Zeitwert. Aber auch für den Bereich der Banken kam es
zu erheblichen Einschränkungen. Einen vollständigen
Verzicht auf die Fair-Value-Bewertung zu fordern, war
weder möglich noch sinnvoll; denn zum einen entspricht
sie schon heute den internationalen Standards, zum ande-
ren hätten wir unseren Banken im internationalen Wett-
bewerb sehr geschadet, wenn wir das gemacht hätten.
Wir haben allerdings zwei Sicherungsstufen eingebaut,
nämlich den Risikoabschlag und die Ausschüttungs-
sperre, die die Frau Justizministerin schon erwähnt hatte.
Das ist ein gutes Gesetz, aber eines ist uns nicht
gelungen: Wir haben kein von der Rechtssprache her
verständliches Gesetz gemacht. Bei einigen Paragrafen
und den darin vorgesehenen Verweisungen wird sich der
Anwender erst eine Übersichtsskizze machen müssen,
damit er überhaupt weiß, was gemeint ist. Aber wenn am
1. April 2009 der Redaktionsstab Rechtssprache im Bun-
desjustizministerium seine Arbeit aufnimmt – ich hoffe,
dass das nicht nur ein Aprilscherz ist, Frau Bundesjustiz-
ministerin –, dann wird das, so hoffe ich, besser werden.

Schönen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD] – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mir nicht so sicher!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621416900

Die Kollegin Antje Tillmann spricht jetzt für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1621417000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal bedauern wir, dass Demokratie so langwierig
ist. Beim BilMoG war es ganz gut, dass wir seit 2007
diskutiert haben, weil wir die Erfahrungen aus der
Finanzmarktkrise heute mit in die Diskussion über die-
ses Gesetz aufnehmen konnten und weil es seitdem um
die internationalen Rechnungslegungsstandards für mit-
telständische Unternehmen sehr ruhig geworden ist.
Kein Mensch redet mehr davon, dass auch kleine und
mittlere Unternehmen diese Rechnungslegungsstandards
anwenden. Der Wertansatz des HGB ist deutlich in den
Vordergrund gerückt. Das ist gut so, und das führt dazu,
dass wir heute ein Gesetz verabschieden werden, das ge-
rade kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr
gute Hilfen bietet, zum Bürokratieabbau beiträgt und
trotzdem dazu führt, dass Chancen und Risiken in der
Bilanz ausgewiesen werden.

Wir haben seit Beginn dieser Debatte viele Paragrafen
des Gesetzes immer wieder durcheinandergewirbelt. Ich
möchte mich bei Ihnen, Herr Dr. Ernst, bedanken, dass Sie
das immer mitgemacht haben, dass Sie uns die Vor- und
Nachteile jedes neuen Gedankens, den wir formuliert ha-
ben, aufgezeigt und dass Sie Formulierungsvorschläge
gemacht haben.

Das Gesetz, das heute vorliegt, ist ein gutes Gesetz.
Es bleibt bei den Deregulierungsmaßnahmen, die schon
im ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehen waren.
Wir werden 500 000 Einzelkaufleute um knapp 1 Mil-
liarde Euro pro Jahr entlasten, weil für die Buchführungs-
und Bilanzierungspflichten andere Kriterien gelten als
bisher. Wir werden 7 400 Kapitalgesellschaften von Büro-
kratiekosten in Höhe von 300 Millionen Euro entlasten,
weil wir die Größenklassen neu ordnen. Mehr Unterneh-
men als bisher kommen in den Genuss der Erleichterun-
gen, die für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften
gelten, nämlich dass sie zum Beispiel den Jahresabschluss
nicht von einem Abschlussprüfer prüfen lassen müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Antje Tillmann
Die erstmalige Anwendung dieser begünstigenden
Vorschrift haben wir praxisgerecht gestaltet. Es kann
durchaus sein, dass wir diese Erleichterungen am Ende des
Gesetzgebungsverfahrens sogar schon für das Bilanzjahr
2008 durchsetzen werden, sodass die Unternehmen in
der jetzigen wirtschaftlichen Krise zusätzliche finanzielle
Mittel zur Verfügung haben.

Wir verbessern aber auch die Aussagekraft der Bilanz
erheblich, um sie damit auch international wettbewerbs-
fähig zu machen. Es wird künftig möglich sein, Patente,
Know-how, Ideen von Start-up-, IT- oder Medienunter-
nehmen in der Bilanz auszuweisen. Diese Entwicklungen
sind das Potenzial dieser jungen Unternehmen, und sie
können in der Bilanz gezeigt werden, was natürlich erleich-
tert, sich am Markt kostengünstig Kapital zu beschaffen. Im
Interesse des Gläubigerschutzes ist es aber richtig, dieses
Bilanzierungswahlrecht bei den immateriellen Wirtschafts-
gütern mit einer Ausschüttungssperre zu verbinden. Hier
sind wir dem alten Grundsatz des Handelsgesetzbuches
treu geblieben. Das Vorsichtsprinzip ist ein wesentlicher
Maßstab.

Die Aussagekraft der Bilanz wird auch dadurch erhöht,
dass wir die Rückstellungen künftig praxisnäher bewerten.
Die Art, wie Rückstellungen bilanzrechtlich behandelt
wurden, war immer öffentlicher Kritik ausgesetzt, weil in
der Bilanz nie der tatsächliche Wert ausgewiesen werden
konnte. Künftig werden Rückstellungen mit realistische-
ren Werten und dabei zu erwartenden Preis- und Kosten-
steigerungen bewertet, umgekehrt aber marktgerecht
abgezinst. Um die Auswirkungen der Bewertung bei
Pensionsverpflichtungen auf die Unternehmen abzumil-
dern, lassen wir eine Übergangszeit von 15 Jahren zu, in
denen diese Bewertung vorgenommen werden kann. Da-
durch werden die Unternehmen in der jetzigen Krise
nicht unnötig finanziell belastet.

Mir als Steuerpolitikerin ist klar, dass mit dieser realis-
tischen Bewertung in der Handelsbilanz der Druck steigen
wird, auch in der Steuerbilanz realistische Werte anzuset-
zen. Das wird auf der Tagesordnung des Finanzausschus-
ses bleiben müssen. Heute werden wir aber das HGB re-
formieren, und darauf sollten wir uns konzentrieren.

Anders als im Regierungsentwurf vorgesehen, haben
wir uns hinsichtlich der Frage „Zeitwertbewertung bei
Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind“, entschieden.
Der sogenannte Fair Value ist in der Finanzmarktkrise
zum Angstfaktor geworden. Ich gebe gerne zu, dass auch
wir ein bisschen vorsichtiger geworden sind, als wir es
zu Beginn der Krise gewesen wären. Wir haben uns ent-
schieden, im allgemeinen Teil des HGB, also in dem
Teil, der auch für Nichtbankinstitute anzuwenden ist, auf
eine Fair-Value-Bewertung zu verzichten, auch wenn wir
uns dann die Frage gefallen lassen müssen, warum das-
selbe Wertpapier in einem Industrieunternehmen künftig
anders bewertet werden soll als in einer Bank. Wir sind
sicher, so die Finanzmarktkrise durch Bewertungsverän-
derungen nicht noch zu verschlimmern.

Bei Kreditinstituten haben wir uns anders entschieden.
Kreditinstitute haben Finanzinstrumente schon bisher
mit dem beizulegenden Wert bewertet. Es wäre ein Wett-
bewerbsnachteil für deutsche Institute entstanden, wenn
wir das rückgängig gemacht hätten. Wir werden zwei
Sicherheitsposten einführen. Der eine, der Risikoab-
schlag – er ist schon im Gesetz verankert –, wird ergänzt
durch den Sonderposten „Fonds für allgemeine Bank-
risiken“, auf dem in jedem Geschäftsjahr mindestens
10 Prozent der Nettoerträge des Handelsbestands aus
Finanzinstituten – bis zu einer Summe von 50 Prozent
der Erträge – zu sammeln sind, sodass diese Institute we-
sentlich besser ausgestattet in die nächste Krise gehen
können.

Wir haben uns auch entschieden, bei Finanzinstituten
das Umwidmungsverbot fallen zu lassen. Wenn Banken
sich entscheiden, Finanzinstrumente nicht mehr zum
Handel vorzusehen, wird es künftig möglich sein, dass
diese Instrumente vom Handelsbestand in das Anlage-
vermögen umgewidmet werden und damit wesentlich
weniger scharfen Bewertungsfortschritten unterliegen.
Das ist in dieser Krise in der Europäischen Union kurz-
fristig bei den IFRS geschehen. Wir werden im Gesetz
verankern, dass diese Möglichkeit in schwierigen Situa-
tionen besteht, etwa wenn der Markt zusammenbricht.

Viele andere im Gesetz verankerte Maßnahmen gründen
sich auf EU-rechtliche Vorgaben. Wir haben Richtlinien
umgesetzt, zum Beispiel hinsichtlich des Unternehmens-
führungsberichtes und zur Errichtung von Prüfungsaus-
schüssen. Diese Themen waren offensichtlich so unstreitig,
dass sie in der Debatte keine große Rolle mehr gespielt
haben. Wir werden das eins zu eins umsetzen, um im
Gesetz keine zusätzlichen Belastungen für Unternehmen
zu forcieren.

Ich glaube, dass wir mit der heute zu verabschiedenden
HGB-Reform eine gute Grundlage gelegt haben, interna-
tional wettbewerbsfähige Bilanzrichtlinien zu schaffen
und unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen
den Druck zu nehmen, IFRS anzuwenden. Wir sollten
diese Schritte jetzt zügig umsetzen und damit den Unter-
nehmen die Möglichkeit bieten, ihr Vermögen, ihr Kapital
in der Bilanz offen auszuweisen, positiv auszuweisen
und damit im Wettbewerb standzuhalten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621417100

Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621417200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Für die Modernisierung des Bilanzrechts erwies sich die
Finanzkrise als Segen. Vor zwei Jahren begonnen, sollte
sie zur Entbürokratisierung der Rechnungslegung, zur
Anpassung an die internationale Rechnungslegung und
zur Öffnung der guten, alten HGB-Bilanz dienen.

Die Bilanzierung nach dem Handelsgesetzbuch mit
ihrem Vorsichtsprinzip galt als überholt. Zwar birgt die
HGB-Bilanz ebenfalls Probleme, zum Beispiel die
Möglichkeit zur Ansammlung stiller Reserven, die oft






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
unversteuert bleiben, aber trotzdem hat sie viel für sich.
Im Kern sollte sie entsorgt werden, weil sie ein Hemm-
nis bei der Profitmaximierung insbesondere bei Banken
darstellt. Noch vor einem Jahr konnten die Banken dank
des Fair-Value-Ansatzes bei der Bewertung der Finanz-
instrumente in ihrem Handelsbestand mit ihren Bilanzen
glänzen. Die Marktwerte überboten stets die Anschaf-
fungspreise. Dadurch entstanden ganz massiv nicht
realisierte Gewinne, Buchgewinne, die sich bei steigen-
den Marktpreisen noch weiter erhöhten. Bankmanager,
Analysten und Anleger wollten erreichte Gewinnhöhen
immer weiter überbieten. Dadurch waren sie zu immer
riskanteren Geschäften bereit. Der Übermut, die Gier
und ihre Bonuszahlungen trieben sie an.

Doch was bis dahin ein Segen für die Geldbörsen von
Bankmanagern und Aktionären war, erwies sich zwi-
schenzeitlich als Fluch. Durch die Finanzkrise und die Be-
wertung nach dem Fair Value entstand bei den Banken ein
immenser Abschreibungsbedarf. In den Bilanzen befand
sich plötzlich wertloser Schrott, der die Kreditvergabe der
Banken an die Wirtschaft gefährdete und gefährdet.

Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass
wir alle einen Gang zurückgeschaltet haben und auch Sie
sich wieder auf den sicherheitsorientierten Ansatz des
Handelsbilanzrechts besonnen haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb begrüßen wir auch wichtige Änderungen, die
im Gesetzgebungsprozess vorgenommen wurden. Dazu
zählt erstens, dass bei Nichtbanken auch zukünftig Finanz-
instrumente nur mit ihren Anschaffungskosten bilanziert
werden sollen. Zweitens gehört dazu, dass es bezüglich
der Aktivierung von selbsterstellten immateriellen Wirt-
schaftsgütern – ebenfalls den IAS entlehnt – bei einem
Wahlrecht bleiben soll. Drittens zählen dazu der Risiko-
abschlag für Finanzinstrumente des Handelsbestandes bei
Banken sowie die ausschüttungsgesperrte Zwangsrück-
lage, die diese nach der Neufassung des § 340 e HGB
künftig bilden müssen. Zwar wird mit der letztgenannten
Änderung die Zwangsrücklage Kernkapital der Banken
– dies kann das Anliegen einer besseren Risikovorsorge
konterkarieren –, allerdings schiebt die dazu verankerte
Regelung immerhin einen Riegel vor, indem nicht reali-
sierte Gewinne nicht in Gänze ausgeschüttet werden
können und die Banken über diesen Teil ihres Eigen-
kapitals keine Verfügungsmacht haben. Nach Abwägen
des Für und Widers können auch wir damit leben.

Dies sind aus unserer Sicht positive Ansätze. Wichtig
ist aber auch, für Transparenz in den Bilanzen der Banken
und Unternehmen zu sorgen sowie deren Risikostrukturen
offenzulegen, um nicht erneut böse Überraschungen wie
bei IKB und HRE zu erleben.

Insbesondere unter dem Aspekt der Transparenz geht
uns die Reform des Bilanzrechts nicht weit genug. Sie
haben, ebenfalls unter dem Schock der Finanzkrise, die
Bilanzierung von sogenannten Zweckgesellschaften im
HGB eingeführt. Zweckgesellschaften dienen dem Initia-
tor dazu, bestimmte Unternehmensrisiken zu übernehmen,
zum Beispiel Verbindlichkeiten oder Forderungen; obwohl
er über komplizierte Verträge finanziell haftet, stehen
diese Risiken nicht in seiner Bilanz. Die wirtschaftliche
Situation stellt sich somit positiver dar, als sie es tatsäch-
lich ist. Genau diese Intransparenz macht den Charme
von Zweckgesellschaften aus. Ins Gerede gekommen
sind diese Zweckgesellschaften insbesondere im Zusam-
menhang mit dem Handel von forderungsbesicherten
Wertpapieren, den sogenannten ABS, durch die Banken.
Banken lagerten so im großen Stil ihre Forderungen an
Zweckgesellschaften aus und blendeten damit das Aus-
fallrisiko aus ihrer eigenen Bilanz aus.

Zwar müssen Zweckgesellschaften nach den inter-
nationalen Rechnungslegungsvorschriften – IAS – seit
2003 bei ihren Initiatoren konsolidiert werden, wenn
diese die Mehrheit der Risiken und Chancen tragen.
Trotzdem bestätigen Praktiker, dass vor allem durch so-
genannte Silokonstruktionen genau diese Vorschrift um-
gangen wurde. Das große, böse Erwachen kam mit dem
Crash. Der Gestaltungswut der Banken und ihrer Berater
wollen wir einen Riegel vorschieben. Deshalb unterbrei-
ten wir Ihnen heute nochmals einen Änderungsantrag
zum § 290 HGB.

Vor wenigen Tagen versprach Frau Merkel den Ban-
ken, ihnen mehr Spielraum bei der Bilanzierung einzu-
räumen. Aber damit kehrt die Krise an ihren Ausgangs-
punkt zurück, die durch überbewertete Aktiva bei den
Banken ausgelöst wurde. Es war ein atemberaubendes
Tempo, mit dem im Herbst vergangenen Jahres bei den
Bilanzierungsregeln für Banken vom Prinzip des Fair
Value abgewichen wurde. Die Deutsche Bank konnte
durch diesen Schritt allein im dritten Quartal ihr Vorsteu-
erergebnis um gut 900 Millionen Euro verbessern. Wenn
man aber die Geister, die man rief, wieder loswerden
will, warum hat man sie erst gerufen?

Zweifellos können mit bilanzrechtlichen Vorschriften
Finanzkrisen weder verhindert noch verursacht werden.
Aber Bilanzierungsregeln können Krisen verstärken. Die
zukünftige Debatte über Bilanzierungsregeln darf des-
halb auch nicht davon bestimmt sein, Banken zu ver-
sprechen, ihre Bilanzen nach Bedarf gestalten zu kön-
nen. Nicht die Bedürfnisse von Couponschneidern oder
Bankmanagern müssen die Debatte bestimmen. Viel-
mehr geht es darum, Bilanzen wieder auf den Gläubiger-
schutz – Lieferanten und Kreditgeber – auszurichten.

In diesem Zusammenhang stehen für uns in der
nächsten Zeit drei Schwerpunkte im Mittelpunkt. Ers-
tens. Bilanzen müssen vollständig sein, sie müssen alle
Chancen und Risiken der Unternehmen abbilden. Zwei-
tens. Die Rechnungslegung sollte wieder verstärkt eine
Kontrollfunktion bezüglich der wirtschaftlichen Situa-
tion der Unternehmen ausüben. Drittens. Die Bewer-
tungsprinzipien müssen einfach, transparent und gestal-
tungsneutral sein.

Aus diesem Grund werden wir dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen können, obwohl er einige richtige As-
pekte enthält. Wir werden sicherlich weiterhin gemein-
sam in der Diskussion bleiben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621417300

Jetzt spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grü-

nen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621417400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bilanzrechtsmodernisierung ist ein erkennbar tro-
ckenes Thema. Gleichwohl ist es ein sehr wichtiges. Die
deutsche handelsrechtliche Rechnungslegung als Grund-
lage für die steuerliche Gewinnermittlung und die Ge-
winnausschüttung, errichtet nach den Grundsätzen einer
ordnungsgemäßen Buchführung, steht erkennbar unter
Druck.

Auf der einen Seite gibt es Rechnungslegungsrege-
lungen aus den USA – US-GAAP –, auf der anderen
Seite gibt es die IFRS-Regelungen der Europäischen
Union, die wir 2004 auch für kapitalmarktorientierte Un-
ternehmen in Deutschland zur Pflicht gemacht haben.
Durch diese beiden Regelungen stehen alle international
tätigen Unternehmen in Deutschland – bis hin zum Ein-
zelhandelskaufmann – mehr oder weniger unter dem
Druck, neben der HGB-Bilanz auch noch freiwillig ei-
nen dieser beiden oder gar beide Abschlüsse zu machen.

Die weltweite Finanzkrise – wie von den Vorrednerin-
nen und Vorrednern bereits angesprochen – hat eines of-
fengelegt: Insbesondere die internationalen Rechnungs-
legungsstandards haben es ermöglicht, dass Risiken aus
den Bilanzen ausgelagert worden sind. Ich verweise an
dieser Stelle nur auf ausgelagerte Risiken im Zusam-
menhang mit der Hypo Real Estate und der DEPFA, der
HRE-Tochter in Irland. Wir werden uns mit diesen Pro-
blemen sogar in einem Untersuchungsausschuss be-
schäftigen müssen.

In dieser Situation ist es ein schwieriges Unterfangen,
eine grundlegende Reform des Handelsgesetzbuches zu-
stande zu bringen. Nach unserer Auffassung ist dies im
Grundsatz gelungen, insbesondere deswegen, weil im
parlamentarischen Verfahren viele Vorschläge vonseiten
der Opposition, auch von uns Grünen, eingeflossen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist auch der Grund, weswegen wir dieses Gesetz
nicht ablehnen. Ich habe nicht die Zeit, Ihnen alle Vor-
züge vorzuführen.


(Christoph Strässer [SPD]: Das ist aber schade!)


Das bleibt den Kolleginnen und Kollegen der Koalition
überlassen. Am besten hätte das sicherlich Kollege Merz
gekonnt. Leider wird er dazu heute nicht reden.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Aber ich höre zu!)


Aber nun zu der Kritik. Die Bundesregierung wollte
eigentlich ursprünglich bei allen Handelsunternehmen
die Bewertung von Aktien, Wertpapieren und anderen
Finanzinstrumenten vom bisherigen Prinzip der An-
schaffungskosten auf das volatile Prinzip des Marktprei-
ses – euphemistisch und die Tatsachen verschleiernd
„True and Fair Value“ genannt – umstellen. Damit wird
bei Marktpreisen über den Anschaffungskosten eine
Luftbuchung in die Bilanz gebracht. Nicht realisierte
und vielleicht auch nie zu realisierende Werte werden
wie real existierende Habenposten bewertet. So aufge-
hübschte Bilanzen entfernen sich radikal von der ord-
nungsgemäßen Buchführung des HGB. In der heutigen
Situation der Finanzmärkte und in der heutigen Debatte
über eine Wirtschaftskrise wirken sie wie Öl, das man
ins Feuer gießt. Solchen Neuerungen stimmen wir Grü-
nen auf keinen Fall zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Koalition ist hier auch zurückgerudert und hat die
Fair-Value-Bewertung für Handelsunternehmen wieder
zurückgenommen. Dort aber, wo sie am gefährlichsten
ist, bei den mit Finanzinstrumenten handelnden Banken,
ist sie im Gesetz geblieben. Das ist ein Fehler, meine Da-
men und Herren. Das weiß die Koalition auch, weshalb
sie zwei – allerdings nicht ausreichende – Bremsen ge-
gen das Spiel mit Buchgeld in der Bilanz der Banken
eingebaut hat. Vom virtuellen Marktwert soll ein Sicher-
heitsabschlag abgezogen werden. Also kommt Fair
Value minus X in die Bilanz. Nur leider ist die Höhe die-
ses X gesetzlich nicht fixiert.


(Christoph Strässer [SPD]: Dann ist es auch kein X!)


Das ist ein Manko. Von den realen Gewinnen beim Han-
del mit Finanzinstrumenten müssen die Banken 10 Pro-
zent in einen Fonds für allgemeine Bankrisiken einzah-
len und dort auch gesondert ausweisen. Dies wirkt zwar
wie eine Ausschüttungssperre, die dazu dient, dass sich
die Aktionäre die virtuell gebuchten Gewinne nicht real
auszahlen lassen und damit das Unternehmen nicht aus-
räumen können. Der Webfehler bei diesem System ist je-
doch, dass dieses Geld – als Sicherheit für die Fair-
Value-Bilanzierung gedacht – gleichzeitig dem Kern-
kapital der Banken zugeführt wird und damit der Risiko-
absicherung künftiger Kreditausreichungen dient.

Eine Sicherheit für zwei sich addierende Risiken, das
ist eine Mogelpackung an Sicherheit. Damit haben Sie es
uns, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
letztendlich unmöglich gemacht, dem vorliegenden Ge-
setzentwurf zuzustimmen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Darüber müssen wir noch einmal nachdenken!)


Die Verantwortung für zukünftige Bilanzakrobatik der
Banken, aufgehübschte Bilanzen und verflüchtigte
Sicherheiten tragen Sie allein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621417500

Jetzt spricht Klaus Uwe Benneter für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1621417600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

ginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!






(A) (C)



(B)


Klaus Uwe Benneter
Der vorliegende Gesetzentwurf ist gut. Das Gesetz heißt
Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz. Sie sehen an dem
Titel, dass wir versuchen, in einem Wort vieles von dem
unterzubringen, was der Gesetzentwurf beinhaltet. Es
müsste eigentlich noch „Bilanzrechtskostengünstigkeits-
gesetz“ oder „Bilanzrechtsvereinfachungsgesetz“ hei-
ßen; aber das haben wir in den Titel dann doch nicht
mehr aufgenommen.

In allererster Linie ist dieses Gesetz, das wir heute
verabschieden, ein gutes Gesetz für den deutschen Mit-
telstand. Es ist auch ein gutes Gesetz für die deutsche
Bankenlandschaft, Herr Kollege Montag. Die Kredit-
institute sind zwar nicht begeistert, dass wir ihnen mehr
Transparenz und Risikovorsorge vorschreiben. Das war
aber dringend notwendig. Denn aus der Finanzkrise ha-
ben wir gelernt: Mehr Transparenz und mehr Vorsorge
ist besser für die Banken und für uns alle.

Aus der Vielzahl der Einzelregelungen, die ich nicht
alle vortragen kann – das hätte auch Herr Kollege Merz
nicht geschafft –,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der hätte mehr Zeit gehabt!)


will ich drei Punkte, die mir wichtig erscheinen, hervor-
heben, um zu verdeutlichen, dass es ein gutes Gesetz ist.

Erstens: Entlastung. Dieses Gesetz ist ein Bürokratie-
abbaugesetz. Das war immer Ihr Anliegen; hier wurde es
durchgesetzt. Bisher waren alle Kaufleute zur handels-
rechtlichen Buchführung und zur Aufstellung einer
HGB-Bilanz verpflichtet. Das wird jetzt geändert. Wir
befreien kleine Einzelkaufleute mit einem Jahresüber-
schuss bis 50 000 Euro und Umsätzen bis 500 000 Euro
von der handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzie-
rungspflicht. Diese Kaufleute können künftig ihre
Buchführung auf eine einfache Einnahmenüberschuss-
rechnung umstellen. Das ist vertretbar und für die betrof-
fenen Unternehmen eine ganz enorme Arbeitserleichte-
rung, die auch mit erheblichen Kosteneinsparungen
verbunden ist. Deswegen ist es wichtig, dass dieses Ge-
setz so schnell wie möglich in Kraft tritt. Denn die Über-
gangsvorschrift sieht vor, dass man diese Regelung
bereits für das Jahr 2008, also für das vergangene Ge-
schäftsjahr, anwenden kann.

Zum Bürokratieabbau gehört auch die Anhebung der
Schwellenwerte um ungefähr 20 Prozent. Sie wissen,
wir unterscheiden zwischen kleinen, mittleren und
großen Unternehmungen und Kapitalgesellschaften. Je
größer die Gesellschaft ist, desto höher sind die Anfor-
derungen an Rechnungslegung, Transparenz und Prü-
fungspflichten. Ein kleines Unternehmen muss bei-
spielsweise seine Gewinn- und Verlustrechnung nicht
offenlegen und seinen Jahresabschluss nicht prüfen las-
sen. Als kleines Unternehmen galt bisher ein Unterneh-
men mit einer Bilanzsumme von bis zu 4 Millionen
Euro. Dieser Wert – das gilt auch für die Umsatzsumme –
wird erhöht werden. Neben den Einzelkaufleuten wer-
den also auch viele kleine Unternehmungen eine große
Kostenersparnis erfahren.

Zweitens – ganz wichtig –: Zweckgesellschaften.
Hier müssen wir eine Lehre aus der Finanzmarktkrise
ziehen. Seitens Frau Dr. Höll ist hier schon zu Recht da-
rauf hingewiesen worden, dass an dieser Stelle manipu-
liert wurde, indem Risiken aus der Bilanz ausgelagert
wurden. Das wird künftig nicht mehr möglich sein. Der
sogenannte Schrott wird in den Bilanzen ersichtlich sein
und kann auf diese Weise nicht mehr wegradiert werden.

Sie alle haben schon darauf hingewiesen, dass wir ge-
genüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf in den
parlamentarischen Beratungen vieles durchgesetzt ha-
ben. Wir haben erreicht, dass Unternehmen künftig
einen Konzernabschluss erstellen und einen Konzernla-
gebericht aufstellen müssen, wenn sie auf Tochterunter-
nehmen mittelbar oder unmittelbar einen beherrschen-
den Einfluss ausüben können. Ein beherrschender
Einfluss besteht nun nach den neuen Regelungen auch
dann, wenn die Mutter bei wirtschaftlicher Betrachtung
die Mehrheit der Chancen und Risiken der Tochter trägt.
Auf eine formale Mindestbeteiligung wie bisher kommt
es nicht mehr an.

Drittens: Zeitwertbewertung bei Finanzinstrumenten
gibt es künftig nur im Bankenbereich. Das hat der Kol-
lege Montag hier moniert. Er hat gemeint, damit würden
wir weiterhin zulassen, dass die Zeitwertbewertung Mit-
verursacher oder gar Brandbeschleuniger im Zusammen-
hang mit einer Finanzmarktkrise sein könnte. Ich denke,
dem ist nicht so. Außerhalb des Bankenbereichs gehen
wir auf das bewährte Vorsichtsprinzip zurück. Alle Un-
ternehmen, selbst wenn sie mit Wertpapieren und Finanz-
instrumenten handeln, können weiterhin nach dem
Anschaffungskostenprinzip bilanzieren. Nur bei Kredit-
instituten ist es anders. Warum? Weil das international
üblich ist


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein gutes Argument!)


und weil die Zeitwertbewertung – das sollte man
wissen – bei uns schon längst gang und gäbe ist, und
zwar mit Zustimmung der Bankenaufsicht, obwohl sie
bisher nicht im Gesetz stand. Das heißt, wir regeln einen
Zustand, der sich bei uns faktisch längst so abspielt. Wir
haben jetzt auch Bremsen eingebaut, und zwar sowohl
den Risikoabschlag als auch den Sonderfonds, und betei-
ligen insofern auch die Aktionäre am Risiko.

Wie gesagt, dies alles ist uns in den Beratungen ge-
lungen. Das war im Regierungsentwurf ursprünglich so
nicht vorgesehen. Deshalb sollte an dieser Stelle ein Lob
des ganzen Hauses für Herrn Dr. Ernst zum Ausdruck
kommen,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


der unter der bewährten Führung der Bundesjustizminis-
terin sehr gute Arbeit leisten konnte.

Entbürokratisierung und Entlastung, Konzernab-
schlüsse mit allen Zweckgesellschaften und Risikovor-
sorge beim Handel mit Finanzinstrumenten – das sind im
Wesentlichen die mir wichtigen Stichworte. Wir verab-
schieden heute ein kostengünstiges und vorsichtiges Bi-
lanzrecht. Es ist einfacher und kostengünstiger als all
das, was bisher im Bereich der internationalen Rech-

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Uwe Benneter
nungslegungsstandards für die mittelständischen Unter-
nehmen entwickelt wurde. Das zeigt: Unser HGB ist ein
Leuchtturm im Dickicht der internationalen Bilanzie-
rungsvorschriften und ein sehr gutes Vorbild. Im Bünd-
nis für das deutsche Recht können wir es international
nur zur Nachahmung empfehlen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621417700

Der Kollege Dr. Jürgen Gehb hat jetzt das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte auf Deutsch!)



Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1621417800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

dauere alle Zuhörer auf den Besucherrängen, die ausge-
rechnet bei dieser Debatte anwesend sein müssen. Es ist
schon für uns selber schwer, alles zu verstehen: IFRS,
IAS, US-GAAP, Fair Value, Fair Value minus X. Das ist
eine Debatte, da lacht das Herz der Zuschauerinnen und
Zuschauer sowie der Zuhörerinnen und Zuhörer.

Aber es nützt ja nichts: Die Rechtspolitik wird viel zu
häufig auf Mord und Totschlag, Sexualdelikte und Si-
cherungsverwahrung zurückgestutzt. Dabei bestehen die
Rechtspolitik und die Juristerei aus einem bunten Strauß,
einem tollen Bouquet von Materien! Dazu gehören na-
türlich auch das Wirtschaftsrecht und das Bilanzrecht.
Wir haben erst vor kurzem das MoMiG verabschiedet.
Auch das ist eine Typik im Wirtschaftsrecht: MoMiG,
UMAG, KapMuG, BilMoG.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unimog!)


Schon die Abkürzungen zergehen einem auf der Zunge.

Meine Damen und Herren, das BilMoG ist jetzt der
zweite Meilenstein auf dem Gebiet des Wirtschafts-
rechts. Ich sehe, Frau Dyckmans nickt. Nicht so zufrie-
den war sie damals beim MoMiG, also bei der GmbH-
Reform. Dabei sieht man einmal, welch tolle Entwick-
lung die genommen hat.

Ich habe vor etwa einem halben Jahr in meiner Rede
zum Haushaltsplan der Justiz, zum Einzelplan 07, an
dieser Stelle prophezeit, dass wir in dieser Legislaturpe-
riode auch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz ver-
abschieden. Heute tun wir dies. Das ist nicht nur die Be-
wahrheitung einer Prophezeiung von mir, sondern stellt
unter Beweis, dass diese Große Koalition zum einen
handlungswillig und zum anderen handlungsfähig ist
und nicht nach dem römischen Grundsatz vorgeht: Ut
desint vires, tamen est laudanda voluntas – Wo auch die
Kräfte versagen, ist nur der Wille zu loben. Nein, wir ha-
ben es nicht nur beim Willen bewenden lassen.


(Ute Kumpf [SPD]: Würden Sie es bitte übersetzen?)


– Habe ich doch schon gemacht, auch schon für die
Oberrealschüler: Wenn es auch an den Kräften mangelt,
so ist dennoch der Wille zu loben. – Wir sind also hand-
lungswillig und handlungsfähig, zumindest auf dem Ge-
biet der Rechtspolitik allen Unkenrufen zum Trotz, dass
diese Koalition nichts mehr hinbekomme. Das ist
schlichtweg falsch, meine Damen und Herren von der
Opposition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klang heute Mittag ganz anders!)


Der Bundespräsident hat vorgestern in seiner viel be-
achteten vierten Berliner Rede ausgeführt, dass die Be-
völkerung einen Anspruch darauf hat, dass die Regie-
rung und natürlich auch die Parlamentarier – denn bei
uns ist es noch immer so, dass die Parlamentarier die Ge-
setze verabschieden; manche Zeitungen schreiben ja, die
Bundesregierung habe dieses und jenes Gesetz verab-
schiedet – handeln und Lösungen anbieten, die nachhal-
tig sind. Mit diesem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
bieten wir eine Lösung, die heute, morgen und übermor-
gen Bestand haben wird, meine Damen und Herren.

Nun singen wir bei Wahlveranstaltungen oder bei an-
deren Veranstaltungen immer das Hohelied auf den Mit-
telstand. Alle reden vom Mittelstand, aber es wird nichts
dafür gemacht! Doch im Zentrum dieses Gesetzes steht
endlich einmal der kleine und mittlere Unternehmer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP])


Das sind nicht nur große Worte; er steht wirklich im
Zentrum. Wieso? Es ist heute schon gesagt worden, dass
die nicht kapitalmarktorientierten Unternehmer in Zu-
kunft eine begrenzte Pflicht zur Buchführung, zur Inven-
tierung und zur Bilanzierung haben. Ich will einmal die
Zahlen nennen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, die letzten Zuhörer gehen weg!)


Auch Herr Benneter hat eben die Summen genannt: ab
500 000 Euro Umsatzerlös und ab 50 000 Euro Gewinn-
erlös. Aber der Ersparniseffekt für den Mittelstand liegt
bei über 1 Milliarde Euro. Das muss man sich einmal auf
der Zunge zergehen lassen! Wenn wir auch noch die
Fälle hinzunehmen, in denen es durch die Schwellen-
wertabsenkung zu weiteren Einsparungen kommt, sind
es round about 1,3 Milliarden Euro. Meine Damen und
Herren, das ist eine ordentliche Hausnummer. Ich finde,
da zeigt sich endlich einmal, dass man nicht nur leere
Versprechungen macht, sondern dass bei den Leuten
auch etwas ankommt. Die Enttäuschung wäre groß,
wenn wir dauernd Begehrlichkeiten weckten und die
Lippen spitzten, aber nicht pfeifen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Heute ist ja ein Tag der Danksagung. Alle sagen: Das
ist ein schöner Tag für die Rechtspolitik! Jetzt werden
auch schon die Beamten des Ministeriums gelobt. Herr
Ernst ist heute viel gelobt worden – wahrscheinlich auch
zu Recht. Gelegentlich denke ich, dass die Beamten das
in Erfüllung ihrer beamtenrechtlichen Pflicht machen,


(Heiterkeit)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Jürgen Gehb
aber vielleicht haben sie es ja auch überobligatorisch ge-
macht.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür kann man sie einmal loben!)


Aber damit es nicht heißt, ich sei ein Stoffel, möchte
ich natürlich auch allen danken, und zwar in erster Linie
den Berichterstattern, die mit viel Sachverstand und
Kompetenz diese schwierige Materie durchdrungen ha-
ben:


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


die Antje Tillmann und sogar der Montag haben eben ein
bisschen dazu beigetragen.


(Heiterkeit – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lasse ich mir rahmen!)


Aber eines will ich sagen, pars pro toto, auch wenn ich
das sonst nicht mache. Einer ist mehrfach genannt wor-
den; es wurde bedauert, dass er nicht geredet hat. Ich
meine einen Mann, der seit Jahren mit seiner finanz-
politischen, wirtschaftspolitischen und rechtspolitischen
Brillanz die Säle gefüllt hat, der auch an dieser Gesetzes-
materie Hand und Geist angelegt hat


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten ihn reden lassen sollen!)


und der diesem Gesetz im wahrsten Sinne des Wortes
gut getan hat – wie er in seiner zukünftigen Tätigkeit
wahrscheinlich dem ganzen Land gut tun wird. Ich
nenne meinen Kollegen, den Parlamentarier Friedrich
Merz, an dieser Stelle ganz besonders.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Meine Damen und Herren, jetzt gehen schon die letz-
ten Zuschauer, wie Herr Montag gesagt hat.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Nein! Sie kommen!)


– Ja, jetzt kommen frische; die können das ja gar nicht
wissen. Damit aber damit kein Ursachenzusammenhang
hergestellt wird, sage ich mit Blick auf die Uhr – viel-
leicht bekomme ich einen Bonus für die nächste Rede –
und weil wir gerade beim Danksagen sind, Ihnen allen,
meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und da-
für, mir so gelauscht zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621417900

Herr Gehb, ein Bonus für die nächste Rede wird nicht

gewährt, aber Sie bekommen einen Bonus für das Publi-
kum. Das ist so eine Art Publikumsjoker, den wir in Zu-
kunft hier verteilen werden.

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Modernisierung des Bilanzrechts. Der
Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/12407, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/10067 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Es geht um
den Änderungsantrag auf Drucksache 16/12425. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung durch die ein-
bringende Fraktion und bei Gegenstimmen im übrigen
Haus abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zu-
stimmung durch die CDU/CSU, SPD und FDP, ohne Ge-
genstimmen und bei Enthaltung der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf
stimmen möchte, möge sich erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zu-
vor angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael

(Bayreuth)

der FDP

Elektromobilität – Für einen bezahlbaren und
klimaverträglichen Individualverkehr

– Drucksache 16/10877 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für. Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für. Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael

(Bayreuth)

der FDP

Elektromobilität durch Änderung von immis-
sionsschutz- und verkehrsrechtlichen Rege-
lungen fördern

– Drucksache 16/12097 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Hans-Josef Fell, Dr. Anton Hofreiter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umfassende Förderstrategie für Elektromobi-
lität mit grünem Strom entwickeln

– Drucksache 16/11915 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattie-
ren, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten
soll. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner in unse-
rer Debatte ist Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1621418000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es freut mich sehr, dass wir heute endlich im Deutschen
Bundestag über das Thema Elektromobilität sprechen.
Die FDP-Fraktion hat als erste Fraktion einen Antrag
hierzu eingebracht. Mittlerweile haben wir einen zwei-
ten Antrag vorgelegt, weil uns das Thema zum einen
sehr am Herzen liegt und zum anderen sehr begeistert.

Das hat viele Gründe: Das ist das erste Mal, dass die
Autofahrer einen wirklich nennenswerten Beitrag zum
Klimaschutz leisten können. Neu ist auch, dass sie die-
sen Beitrag zum Klimaschutz leisten können, ohne ab-
kassiert zu werden. Zum ersten Mal versucht man nicht,
die Autofahrer an der Tankstelle oder auf anderem Weg
abzuzocken. Man kann frei entscheiden und trotzdem et-
was Gutes für die Umwelt tun. Deswegen ist die Elektro-
mobilität aus unserer Sicht ein ganz wichtiges Zukunfts-
thema.


(Beifall bei der FDP)


Zum ersten Mal hat man die Möglichkeit, die Um-
welt- und die Verkehrspolitik zu versöhnen. Das ist für
die FDP entscheidend, weil wir Mobilität nicht verhin-
dern, sondern ermöglichen wollen. Wir wollen Mobilität
auf ökologischem und klimafreundlichem Weg ermögli-
chen. Das könnte uns auf diese Art und Weise gelingen;


(Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP])


im Übrigen ohne den Menschen den Spaß zu verderben.
Ich glaube, das ist das, was uns von dem einen oder an-
deren in diesem Raum unterscheidet.


(Beifall bei der FDP)


Wir stellen die technischen Innovationen vornan. Wir
sagen: Die deutsche Automobilindustrie hat hier die
Chance, zukunftsfähige Konzepte zu verwirklichen, und
dadurch würden unsere Exportchancen deutlich steigen.
Deshalb haben wir diese Anträge eingebracht.

Die Grünen haben ebenfalls einen Antrag zu dieser
Thematik eingebracht. Im ersten Moment klingen sie
ähnlich. Wenn man sie durchschaut, stellt man aber fest,
dass der Duktus ein bisschen anders ist. Bei den Grünen
geht es um Tempolimit, um kleinere Autos und darum,
dass man, wenn möglich, ein bisschen seltener Auto
fährt, dass man die individuelle Mobilität ein bisschen
einschränkt, dass man häufiger mit dem Rad, der Bahn
oder dem Bus fahren könnte. Mobilität zum Abgewöh-
nen – so könnte man das vielleicht zusammenfassen.


(Beifall bei der FDP – Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das ist individuell! – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie eigentlich gegen Radfahren?)


Wir glauben, dass diese Art der Miesmacherei dem
Thema nicht gerecht wird, weil man dadurch Leute aus-
einanderbringt, die man jetzt endlich einmal zusammen-
bringen könnte.

In dem Antrag der Grünen steht zum Beispiel: „Elek-
tromobilität löst nicht alle Verkehrsprobleme.“ Das ist
keine große Neuigkeit; das ist auch uns bekannt. Elek-
tromobilität kann aber einen Beitrag leisten, ebenso wie
die Fotovoltaik, die das Energieproblem nicht alleine lö-
sen kann, die aber ebenfalls einen wichtigen Beitrag leis-
tet. Und das zählt schließlich auch. Deswegen sollten wir
das nicht schlechtreden, sondern Bemühungen auf die-
sem Gebiet unterstützen.


(Beifall bei der FDP)


Im Antrag der Grünen kann man auch lesen, dass es
noch lange dauern wird, bis sich die Elektromobilität
durchsetzen wird. Wir hoffen, dass das schnell geht.
Deswegen bitten wir darum, dass Sie diesen Prozess mit
anschieben und nicht das Haar in der Suppe suchen. Hel-
fen Sie mit, dass es weitergeht.

Der Antrag der Grünen ist überschrieben mit „Umfas-
sende Förderstrategie für Elektromobilität mit grünem
Strom entwickeln“. Die Grünen schreiben: „Die Kfz-
Steuer für Elektrofahrzeuge wird am CO2-Ausstoß der
Stromerzeugung orientiert.“ Das ist der zentrale Unter-
schied zu dem, was wir gerne hätten. Das klingt im ers-
ten Moment zwar ganz vernünftig, bedeutet aber für die
Kunden, die ihr Auto über die Steckdose aufladen, dass
sie einmal für den Strom ohnehin die Zertifikate und die
Emissionsrechte bezahlen. Zusätzlich soll eine Kfz-
Steuer etabliert werden. Das bedeutet, dass man doppelt
zur Kasse gebeten wird, obwohl man das Klima nicht
zusätzlich schädigt; und das aus reiner Ideologie heraus.
Das ist vollkommen wahnsinnig.


(Beifall bei der FDP – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das zeigt, dass die Grünen nichts begriffen haben!)


Dies ist vollkommen sinnlos, weil man damit denjeni-
gen doppelt bestraft, der sich klimafreundlich und klima-
neutral verhält. Dies erschließt sich mir überhaupt nicht.
Unser Ansatz ist ein ganz anderer: Wir wollen die Kfz-
Steuer abschaffen und auf die Mineralölsteuer umlegen.
Dann hätten die Elektromobile tatsächlich einen Vorteil,
weil für sie diese Steuer nicht mehr gezahlt werden muss
und sie kein Öl verbrauchen.


(Beifall bei der FDP)


Dadurch könnte man diese Form der Mobilität anschie-
ben: nicht dadurch, dass man sie bestraft, sondern da-
durch, dass man sie fördert.






(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
Wir wollen es klimaverträglich machen. Das ist ein
wichtiger Punkt. Die 80 Gramm pro Kilometer, von de-
nen Sie geschrieben haben, kann man mit Elektroautos
fast schon erreichen; beim jetzigen Energiemix ist man
bei circa 90 Gramm pro Kilometer. Auch unser Ziel ist
es, dies deutlich zu senken, indem man die erneuerbaren
Energien fördert. Damit kämen wir auf 60 Gramm pro
Kilometer. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern das ist
machbar.

Es geht aber nicht nur um die erneuerbaren Energien,
sondern beispielsweise auch um eine Laufzeitverlänge-
rung von Kernkraftwerken. Auch dadurch wird der CO2-
Ausstoß reduziert, ebenso dadurch, dass man alte Kohle-
kraftwerke durch effizientere ersetzt und CCS nicht ver-
teufelt, sondern als zusätzliche Option ermöglicht, so-
dass man in diesem Bereich CO2-neutral arbeiten kann.
Dies brächte uns nach vorn. In diesem Bereich müssen
wir aber noch viel Aufklärungsarbeit leisten.


(Beifall bei der FDP)


Der entscheidende Punkt sind nicht die Laufzeitver-
längerung von Kernkraftwerken oder die Steuerkonzepte
der Grünen, sondern – an dieser Stelle sind wir dann
doch wieder zusammen – die Tatsache, dass man hiermit
die erneuerbaren Energien fördern kann. Der große
Nachteil der erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne
ist, dass sie nicht grundlastfähig sind. Verwendet man sie
nach ihrer Einspeisung zur Ermöglichung emissions-
freier Mobilität, können im Gegenzug die Autobatterien
auch dafür sorgen, dass Netzschwankungen ausgegli-
chen werden. Gäben die Batterien der Fahrzeuge, wenn
sie nachts in der Garage stehen, wieder Strom ab, könnte
dies Schwankungen ausgleichen, die dadurch entstehen,
dass weniger Wind- oder Sonnenenergie eingespeist
wird. Dadurch könnte man etwas mehr Grundlastfähig-
keit erreichen und auf diese Weise die erneuerbaren
Energien ganz weit nach vorne bringen. Dies wäre prak-
tisch ein Turbo für die erneuerbaren Energien, was wir
als FDP ganz großartig finden.


(Beifall bei der FDP)


Gestern hat der Haushaltsausschuss die von der Bun-
desregierung vorgesehenen Mittel zur Förderung der
Elektromobilität freigegeben. Es waren 500 Millionen
Euro und damit weniger als ein Fünftel dessen, was in
die Erforschung der Batterietechnik gesteckt werden
muss. Dies ist ein riesiger Nachteil, weil die Speicherfä-
higkeit das Entscheidende ist, um die Elektromobilität
voranzubringen und wettbewerbsfähig zu machen. Man
muss also die Batterietechnik so weit entwickeln, dass
größere Radien für Elektromobile möglich werden.
Wenn die Große Koalition hierfür maximal ein Fünftel
der erforderlichen Mittel ausgeben will, dann merkt
man, dass die Problematik den Herrschaften überhaupt
nicht klar ist. Ich hoffe, dass hier noch ein Umdenken
stattfindet. Wenn wir in Investitionen von gestern wie
Abwrackprämien investieren, anstatt uns um Elektromo-
bilität zu kümmern, dann hat dies nichts mit nachhaltiger
Mobilität, aber viel mit Politik von gestern zu tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621418100

Der Kollege Dr. Andreas Scheuer spricht jetzt für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1621418200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Kollege Meierhofer, über Ihren Schlusssatz habe
ich mich schon ein wenig gewundert. Sie haben den Bo-
gen von der Elektromobilität über die Abwrackprämie
bis hin zur Großen Koalition gespannt, um die gute
Maßnahme der Abwrackprämie zu kritisieren. Sie wer-
den als Umweltpolitiker akzeptieren,


(Horst Meierhofer [FDP]: Nein!)


dass neue Fahrzeuge den Fahrzeugbestand in Deutsch-
land auffrischen.


(Horst Meierhofer [FDP]: Neuer Ferrari!)


Dies bedeutet, dass die Abwrackprämie auch zu einer
Schonung des Klimas beiträgt.

Das heutige Thema ist die Elektromobilität. Das Elek-
troauto wurde 1899 erfunden. Auf der Weltausstellung
im Jahre 1900 wurde der Lohner-Porsche vorgestellt.
Dies zeigt, wie lange wir gebraucht haben, bis wir das
Thema Elektromobilität hier im Deutschen Bundestag
diskutieren. Ich hoffe, dass die Entwicklungsstadien in
den kommenden Jahren nicht mehr so lange dauern, wie
seit der Erfindung des Elektroautos bis heute vergangen
sind.

Mobilität wird zunehmend zur sozialen Frage des
21. Jahrhunderts. Bei Pilotprojekten zur Einführung der
Elektromobilität müssen wir uns entscheiden, ob wir uns
erst einmal auf die Ballungszentren konzentrieren oder
ob wir uns zugleich darüber unterhalten wollen, wie die
Elektromobilität im ländlichen Raum aussehen kann. Da
wird der ÖPNV sicherlich eine Vorbildfunktion haben.
Dort können wir – auch im Hinblick auf Motorentechnik –
vieles in Bewegung bringen.

Ich greife fünf Punkte heraus. Erstens ist bei der Elek-
tromobilität entscheidend, wie wir die Infrastruktur ge-
stalten. Herr Kollege Meierhofer, es gibt bereits Unter-
nehmen, die keine staatlichen Subventionen brauchen,
sondern diese Chance nutzen und eine Infrastruktur für
Elektromobilität in Deutschland aufbauen wollen. In
Israel, in Kalifornien und in Dänemark laufen bereits
Pilotprojekte; dort steht man kurz vor der Einführung.
Wir sollten uns daran beteiligen. Die Bundesregierung
macht sehr viel dafür. Sie stellt 500 Millionen Euro für
den Bereich der alternativen Antriebstechniken mit dem
Schwerpunkt Elektromobilität zur Verfügung; das ist ein
Wort.

Die Unternehmen, die sich hier engagieren und die
jetzt Gespräche führen wollen, planen zum Beispiel,
dass die Verbraucher mit dem Elektroauto ins Parkhaus
eines Supermarktes fahren können und dort das Auto
zum Aufladen an eine Steckdose anschließen können,
von der genau erkannt wird, um welches Auto es sich
handelt und welchen Vertrag der Besitzer mit dem






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Scheuer
Stromanbieter hat. Außerdem soll es möglich sein, am
Arbeitsplatz in die Tiefgarage zu fahren und das Elektro-
auto dort zum Aufladen anzuschließen. Wenn man billi-
geren Strom beziehen möchte, soll ein Pendler morgens
zur Arbeit und abends mit dem Elektroauto nach Hause
fahren können und zum Aufladen Nachtstrom nutzen
können. Diese Projekte sind im Rahmen der Entwick-
lung einer Infrastruktur topaktuell und laufen jetzt an.
Ich glaube, das hat die Bundesregierung mit dem Kon-
junkturpaket hervorragend unterstützt. Wir wollen an
dieser Stelle weiterkommen.

Damit kommen wir zum zweiten Punkt: Energie-
sicherheit und Versorgungssicherheit. Mein Vorredner,
Kollege Meierhofer, hat es angesprochen. Wir müssen,
Herr Kollege Hettlich von den Grünen, offen darüber
diskutieren, wie wir zu Kernkraftwerken stehen, wenn es
bei uns vielleicht irgendwann 2 Millionen, 5 Millionen
oder 10 Millionen Elektroautos gibt. Wie erreichen wir
dann Energiesicherheit? Der Strom wird dann wohl nicht
nur aus regenerativen Energiequellen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der dritte entscheidende Punkt betrifft die Weiterent-
wicklung der Batterie. Die weitere Erforschung der
nächsten Generation der Batterien unterstützt das For-
schungsministerium mit sage und schreibe 60 Millionen
Euro. Die Wirtschaft hat sich verpflichtet, mit 360 Mil-
lionen Euro einzusteigen. Hier müssen Antworten auf
die Fragen gefunden werden, wie wir Batteriesicherheit
garantieren und die Lebensdauer von Batterien und da-
mit natürlich auch die Radien für die Fahrten mit Elek-
troautos vergrößern können.

Der vierte entscheidende Punkt ist der Wirkungsgrad
des Elektroantriebes.

Der fünfte Punkt ist der Preis. Dieser wird im Antrag
der Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion und
auch im Antrag der Grünen erwähnt. Die Preise müssen
für die Verbraucher attraktiv sein. Ich habe mir den An-
trag von Bündnis 90/Die Grünen sehr genau angeschaut,
Kollege Hettlich. Wir sollten uns jetzt nicht mit Forde-
rungen nach Steuerermäßigungen überbieten, keinen
Subventionsmarathon beginnen und kein drittes, viertes
und fünftes Konjunkturpaket anschließen.


(Horst Meierhofer [FDP]: Das macht ihr schon selber!)


Vielmehr sollten wir jetzt erst einmal die Diskussion da-
rüber führen, wie wir Elektromobilität in Deutschland
ganzheitlich und unter Berücksichtigung der fünf
Punkte, die ich vorher genannt habe, einführen.

Alternative Antriebstechniken sind schon serienreif,
aber dies bringt uns nichts, wenn deren Einführung an
der mangelnden Infrastruktur scheitert. Dazu kommt die
Diskussion über den Preis. Natürlich kann das Auto rela-
tiv günstig sein. Aber wenn die entsprechende Infra-
struktur, um das Auto aufzuladen, fehlt, dann bringen
mir das kostengünstigste Auto und vor allem auch ein
Steueranreiz, wie ihn die Kolleginnen und Kollegen der
Grünen fordern, nichts.

(Michael Kauch [FDP]: Ja, das ist Aufgabe der Politik! – Horst Meierhofer [FDP]: Ärmel hoch!)


Ich denke, der „Nationale Entwicklungsplan Elektro-
mobilität“ der Bundesregierung ist der richtige Schritt.
Auch die Koordinierungsplattform unter den Ministerien
ist äußerst wichtig, um bei der Entwicklung einer um-
weltschonenden Antriebstechnik Zeit zu gewinnen. Der
VDA zum Beispiel hat ein größeres Positionspapier vor-
gelegt; manche Universitäten haben Gutachten erstellt.
Der Pool an Ausarbeitungen ist vorhanden. Wir sollten
jetzt in die Diskussion einsteigen. Ich denke, die Kolle-
ginnen und Kollegen der Grünen haben ein Sammelsu-
rium von Themen zusammengestellt. Über den einen
oder anderen Punkt können wir uns sicherlich noch un-
terhalten. Selbstverständlich wird sich die Koalition in
diesen Beratungsmarathon einbringen. Die FDP hat zwei
Anträge zu diesem Thema eingebracht. Ich denke, wir
sollten ohne Scheuklappen diskutieren.

Lieber Kollege Hettlich, die Grünen haben in ihrem
Antrag einen Zuschuss für Elektroroller in Höhe von
1 000 Euro gefordert. Ich rate euch: Schaut euch die
Preise von Elektrorollern einmal genau an. Momentan
gibt es ein Produkt, das nur 1 500 Euro kostet.


(Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde ich aber nicht empfehlen!)


Wenn sich der Staat bei einem Preis von 1 500 Euro mit
1 000 Euro beteiligt, dann ist das nicht mehr verhältnis-
mäßig.

Ein anderer Aspekt, der mich am Antrag der Grünen
stört, ist die Werbung für die japanischen Autohersteller.
Ich denke, die deutsche Automobilindustrie hat genug
Modelle in der Pipeline, um marktfähig zu sein. Natür-
lich gehört zur Realität, dass momentan aufgrund der
Automobilkrise bei der Grundlagenforschung gespart
wird. An dieser Stelle muss vielleicht auch der Staat ein
bisschen nachsteuern.

Schauen Sie sich einmal die Modelle an, die auf der
Motorshow in Detroit vorgestellt wurden,


(Michael Kauch [FDP]: Das ist doch viel zu weit weg!)


beispielsweise die A-Klasse von Mercedes; auch BWM,
Audi, VW und alle anderen großen Automobilhersteller
waren dort mit serienreifen Produkten vertreten. Ich
denke, die diesjährige IAA wird ein weiterer Baustein
auf dem Weg hin zu mehr Elektromobilität sein. Die
neuen Entwicklungen, die dort vorgestellt werden, soll-
ten wir uns genau ansehen.

Zum Schluss noch eine kurze Bemerkung zu Ihnen,
Herr Kollege Meierhofer. Ich habe viel Sympathie für
Ihren kurzen, aber sehr guten Vorschlag zur Einführung
von Wechselkennzeichen für Elektroautos.


(Horst Meierhofer [FDP]: Sehr gut! Das freut mich!)


In Österreich wurden mit Wechselkennzeichen bei her-
kömmlichen Fahrzeugen bereits sehr gute Erfahrungen
gemacht.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Scheuer

(Horst Meierhofer [FDP]: Genau! Nicht bloß bei Oldtimern!)


Warum sollten wir nicht den Anreiz setzen, auch für
Elektroautos Wechselkennzeichen einzuführen? Das
Auto, das auf Sprit angewiesen ist, steht vielleicht in der
Garage, sodass jemand, der in einem Ballungsraum lebt,
für überschaubare Strecken eventuell das Elektroauto
nutzt. Das ist ein praxisorientierter Hinweis, den die Ko-
alition gerne aufgreift.


(Beifall des Abg. Horst Meierhofer [FDP])


Natürlich muss ich mich noch mit den Kolleginnen und
Kollegen von der SPD beratschlagen, ob wir uns in die-
sem Punkt einigen können. Wenn sich die Politik ohne
Scheuklappen mit diesem Thema befasst, wird es uns
gelingen, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Herr Kollege Hettlich, welche Fraktion ihren Antrag
zuerst eingebracht und welche Fraktion den längsten An-
trag verfasst hat, ist nicht entscheidend. Es kommt da-
rauf an, wer die gemachten Vorschläge letztlich am bes-
ten zusammenfasst und im Deutschen Bundestag eine
Mehrheit organisiert. Wem das gelingt, werden wir am
Ende der Debatte feststellen. Ich freue mich auf die Dis-
kussionen, die wir, wie gesagt, ohne Ressentiments und
ohne Scheuklappen führen sollten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621418300

Dorothée Menzner erteile ich jetzt für die Fraktion

Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621418400

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Die Probleme, die dazu geführt haben, dass wir über-
haupt über Elektromobilität diskutieren, sind bekannt:
Lärm und Feinstaub in den Städten, CO2-Emissionen,
deren Umfang deutlich gesenkt werden muss, und die
Endlichkeit fossiler Energieträger. Vor dem Hintergrund,
dass im Antrag der FDP suggeriert wird, mithilfe der
Elektromobilität könnten wir ganz schnell Lösungen er-
zielen, wage ich zu behaupten: Das ist ein bisschen opti-
mistisch.

In diesem Monat wurde eine Studie des WWF veröf-
fentlicht, in der die Auswirkungen von Elektroautos auf
den Kraftwerkspark und die CO2-Emissionen in
Deutschland ausführlich untersucht worden sind. Im Fa-
zit der Studie heißt es – ich zitiere –:

Der realistischerweise erwartbare Beitrag der Elek-
tromobilität zur Erreichung der Klimaschutzziele
bis 2020 ist gering.

Kurzfristig kann uns die Elektromobilität also nicht hel-
fen. Nichtsdestotrotz sind wir natürlich gerne bereit,
über die Möglichkeiten der Elektromobilität, aber auch
über Hybridfahrzeuge und andere Vorschläge zu disku-
tieren. Wir Linke knüpfen die Förderung der Elektromo-
bilität an eine Reihe wichtiger Kriterien.
Erstes Kriterium. Es macht, auch im Hinblick auf die
Reduzierung der CO2-Emissionen, nur Sinn, auf Elektro-
mobilität umzusteigen bzw. sie weiterhin zu fördern,
wenn wir wirklich erneuerbare Energien nutzen. Ich wie-
derhole jetzt nicht all das, was wir in den bisherigen De-
batten über dieses Thema gesagt haben. Sie alle kennen
das Märchen, durch die Nutzung von Atomstrom könne
der Umfang der CO2-Emissionen verringert werden. Wir
haben immer wieder bewiesen, dass das nicht der Fall
ist. Da die FDP in ihrem Antrag ehrlicherweise formu-
liert, dass dieses Argument ihrer Meinung nach einen
Grund für eine Laufzeitverlängerung darstellt, sage ich
Ihnen: Das lehnen wir entschieden ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens. Die Anreize für und der Druck auf die Au-
tomobilindustrie, weiterhin verbrauchsarme Fahrzeuge
mit Verbrennungsmotoren zu entwickeln und ihre Flot-
ten dahin gehend zu modernisieren, müssen erhalten
bleiben. Die Diskussion über verbrauchsarme Fahrzeuge
und ihre Entwicklung darf nicht abbrechen.

Drittens. Wir werden die Probleme nicht durch Elek-
tromobilität lösen können, wenn wir nicht zugleich den
ökologisch und ökonomisch sinnvolleren öffentlichen
Personennahverkehr ausbauen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dort, wo öffentlicher Nahverkehr möglich ist, ist er im-
mer sehr viel sinnvoller als Individualverkehr. Der öf-
fentliche Nahverkehr muss bedarfsgerecht gestaltet und
sinnvoll getaktet werden; er muss für die Menschen zu-
gänglich sein. Damit lässt sich viel mehr CO2, Lärm und
Feinstaub reduzieren als mit allen Elektroautos.


(Beifall bei der LINKEN)


Kollege Scheuer hat es eben angesprochen: Es nützt
nichts, allein die Fahrzeuge in den Blick zu nehmen; wir
müssen auch an die Infrastruktur denken. Herr Scheuer,
Sie haben dabei nicht bedacht, dass wir auch das Last-
und Lademanagement sehr genau in den Blick nehmen
müssen. Wir müssen schauen, wie sich Elektromobilität
in den Spitzenzeiten auswirkt, was sie für unsere Strom-
netze bedeutet. Auch darüber haben wir in der Vergan-
genheit diskutiert. Wir haben immer wieder vorgebracht,
dass die Privatisierung der Stromnetze nicht der goldene
Weg war. Hier müsste eine ganze Menge passieren. Es
kann auch nicht zukunftsweisend sein, wenn wir zwar
die Abhängigkeit von Ölmultis überwinden, dafür aber
zukünftig in eine verstärkte Abhängigkeit von Strom-
konzernen geraten.

Für uns ist es wichtig, dass Mobilität umwelt- und
ressourcenschonend, bedarfsgerecht und sozial ausge-
wogen gestaltet wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Für uns kommt es nicht infrage, hier über Nobelmobili-
tät, sozusagen über das elektrische Zweitauto für eine
Familie, zu diskutieren, aber die Menschen, die Schwie-
rigkeiten haben, sich überhaupt mit Mobilität zu versor-






(A) (C)



(B) (D)


Dorothée Menzner
gen, weiterhin mit einem alten, spritfressenden Auto
durch die Gegend gondeln zu lassen, sie vor verschlosse-
nen Bahnhöfen stehen zu lassen, ihnen keine Busverbin-
dungen mehr zu bieten und sie dann auch noch die er-
höhte Zeche dafür zahlen zu lassen.

Darüber müssen wir gemeinsam diskutieren, wenn es
um neue Formen der Mobilität geht. Elektromobilität
kann eine dieser Formen sein. Es wird aber immer da-
rauf ankommen, Mobilität sozial gerecht zu gestalten
und nicht Ökologie gegen Ökonomie und soziale Ge-
rechtigkeit zu stellen.

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621418500

Jetzt spricht für die Bundesregierung der Parlamenta-

rische Staatssekretär Ulrich Kasparick.

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1621418600


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestag
die Bundesregierung in die Lage versetzt, ein großes
Paket auf den Weg zu bringen, das zwischen vier Bundes-
ministerien verabredet worden ist. Das Bundesministerium
für Verkehr, das Bundesumweltministerium, das Bundes-
wirtschaftsministerium und das Bundesforschungsminis-
terium haben verabredet: Wir wollen Deutschland zum
Leitmarkt für Elektromobilität machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen in einem globalen Wettbewerb die Führungs-
rolle übernehmen.

Die Vereinigten Staaten investieren in den nächsten
zehn Jahren 150 Milliarden US-Dollar in erneuerbare
Energien. Japan investiert in den nächsten zwei Jahren
etwa 2,5 Milliarden US-Dollar. Deutschland ist seit ges-
tern in der Lage, allein im Bereich der Elektromobilität
ein Programm in einem Umfang von über 2 Milliarden
Euro zu starten; der öffentliche Anteil, den der Haus-
haltsausschuss gestern bewilligt hat, beträgt 500 Millio-
nen Euro.

Damit können wir gemeinsam mit der Industrie eine
Hebelwirkung erzielen, die uns mitten in der Krise hilft,
einer der wichtigsten Branchen in Deutschland frischen
Wind unter die Segel zu geben und Mobilität zu organi-
sieren, die vom Erdöl unabhängig sein wird. Hinzu
kommt das, was wir seit vergangenem Jahr in Deutsch-
land im Rahmen der Wasserstoffstrategie auf den Weg
gebracht haben. Der Deutsche Bundestag hat die Bun-
desregierung in die Lage versetzt, weitere 500 Millionen
Euro einzusetzen, um diese Technologie nach vorn zu
bringen. Verabredet ist, dass sich die Industrie im selben
Volumen beteiligt.

Damit haben wir ein Investitionspaket, das weit über
3 Milliarden Euro umfasst, damit wir in einer konzertier-
ten Aktion zwischen Forschung, Bundeswirtschafts-
ministerium, Umweltministerium und Verkehrsressort
die Sache wirklich anpacken und umsetzen können. Der
Zeitpunkt ist genau richtig. Wir müssen die Krise nut-
zen, um stärker aus ihr herauszukommen, als wir in sie
hineingegangen sind. Wir wollen als stärkste Ökonomie
in Europa dabei die Musik machen und nicht den ande-
ren hinterherlaufen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gestern sind die Mittel freigegeben worden. Heute ist
der Aufruf ins Land gegangen: Man kann sich jetzt be-
werben, eine Modellregion für Elektromobilität zu wer-
den. Der Wettbewerb wird von unserem Ministerium
gestaltet. Wir stellen dafür 150 Millionen Euro zur Ver-
fügung.

Die Idee ist, dass die Einführung der neuen Mobilität
von den Ballungsgebieten ausgehen wird. Wir haben uns
mit den Nahverkehrsgesellschaften, den Energieversor-
gungsunternehmen, der Automobilindustrie und den
Forschungseinrichtungen verabredet. Durch den Natio-
nalen Energiegipfel, den wir vor einigen Tagen zwischen
vier Ministerien und der gesamten deutschen Industrie,
die dafür maßgeblich ist, verabredet haben, ist klar, dass
alle mitgehen: zum Beispiel die Energieversorger und
auch die Automobilindustrie. Alleine Daimler investiert
in den nächsten knapp 12 Monaten bis zu 2 Milliarden
Euro in die Forschung.

Die Wirtschaft hat erkannt, worum es geht. Es geht
darum, in einem globalen Wettbewerb die Standards zu
setzen. Wir glauben, dass wir mit den Möglichkeiten, die
die deutsche Industrie hat, gut aufgestellt sind. Wichtig
an diesem Paket ist, dass wir die gesamte Wertschöp-
fungskette abdecken: von der Batterieentwicklung bis
hin zu integrierten Verkehrskonzepten in den Ballungs-
räumen. Wir müssen hier sehr viel über Softwareanwen-
dung, Fahrplangestaltung und die Einbindung des öf-
fentlichen Nahverkehrs reden. Wir wollen das für den
Bereich der individuellen Mobilität genauso wie für den
Geschäftsverkehr. Es geht dabei also um die Mobilität
der Wirtschaft genauso wie um die Mobilität im indivi-
duellen Bereich.

Ich komme zum Schluss. Herzlichen Dank dem Haus-
haltsausschuss des Deutschen Bundestages und dem Par-
lament, dass Sie die Regierung in die Lage versetzen,
jetzt mit einem solch konzertierten Paket anzutreten.
Sehr erstaunt hat uns allerdings, wie sich die FDP ges-
tern im Haushaltsausschuss verhalten hat. Sie hat dieses
Paket nämlich abgelehnt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Horst Meierhofer [FDP]: Zu Recht!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621418700

Peter Hettlich spricht jetzt für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621418800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Elektromobilität wird in diesen harten
Zeiten offensichtlich die Heilsaufgabe zugewiesen, ei-
nerseits unser Klima und dazu auch noch unsere Auto-
mobilindustrie zu retten und uns andererseits unabhän-
gig von Erdölimporten zu machen und gleichzeitig auch






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
noch für dauerhaft niedrige Treibstoffkosten zu sorgen.
Ich glaube, damit haben wir uns etwas vorgenommen,
was durch die Elektromobilität nicht geleistet werden
kann und wird; denn sie ist nicht die eierlegende Woll-
milchsau.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Herr Kollege, Sie sprechen aber schon für die Grünen, oder?)


– Warten Sie einmal ab.

Es ist ein fundamentaler Irrtum, wenn die Automobil-
industrie und auch einige Politiker glauben, dass es
reicht, einfach den Verbrennungsmotor und den Ben-
zintank auszubauen und dafür einen Elektromotor und
Batterien einzubauen.


(Horst Meierhofer [FDP]: Doch!)


– Nein, das reicht eben nicht; denn es ist auch ein Um-
denken hinsichtlich der Technologie und auf vielen Ebe-
nen erforderlich. Das heißt konkret: Wir brauchen nicht
nur technischen Lösungen an den Fahrzeugen, sondern
wir brauchen auch Lösungen um die Fahrzeuge herum
bzw. bezogen auf unsere Infrastruktur.

Auch wenn die CO2-Emissionen, die geringe Geräusch-
entwicklung – übrigens nur bei niedrigen Geschwindig-
keiten – und die hohe Energieeffizienz der Motoren na-
türlich eindeutig für Elektromobilität sprechen, so lösen
wir damit ganz und gar nicht die Probleme, die ich auch
als Baupolitiker immer wieder anspreche, nämlich die
zerfaserten Siedlungsstrukturen, die mangelnde Tragfä-
higkeit unserer Infrastruktur und besonders den Flächen-
verbrauch.

Ob Ihnen das gefällt oder nicht: Durch die Elektromo-
bilität wird von uns ein anderes Mobilitätsverhalten ver-
langt und sind neue Mobilitätsketten erforderlich; denn
auf längere Sicht werden die Reichweiten gering sein.
Das liegt an der Speichertechnologie. Wir werden sie
eben mit anderen Verkehrsträgern sehr viel enger vernet-
zen müssen. Aus meiner Sicht wird beispielsweise das
Elektrocarsharing in Zukunft eine viel stärkere Rolle
spielen als im Augenblick das normale Carsharing.

Deswegen unterstützen wir als Grüne alle Bemühun-
gen um eine verbesserte Mobilitätskultur und -qualität;
denn eines sage ich Ihnen auch: Ein „Weiter so wie bis-
her!“ kann es in der Verkehrspolitik, ob mit oder ohne
Elektromobilität, nicht geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dorothée Menzner [DIE LINKE])


Wir als Grüne haben schon 2007 in unserem Energie-
konzept bis zum Jahre 2020 mit 1 Million Elektrofahr-
zeugen gerechnet. Wir haben aber auch darauf hingewie-
sen, dass der Weg bis dahin steinig und lang ist und dass
der Beitrag, der mit der Elektromobilität zum Klima-
schutz geleistet wird, zunächst einmal gering ist. Das ist
auch klar, da man entsprechende Steigerungsraten erst
einmal initiieren muss.

Damit sich das ändert, verweise ich auf ein erfolgrei-
ches Konzept: Wir haben bei den erneuerbaren Energien
mit dem 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm und
dem EEG gezeigt, dass man diese Einführungsschwelle
mit einer strategischen Förderung überwinden kann. Wir
befinden uns heute im Stadium der Marktreife und kön-
nen sagen: Der Erfolg spricht Bände. Im Bereich der er-
neuerbaren Energien sind allein im letzten Jahr mehr Ar-
beitsplätze geschaffen worden, als Opel zum heutigen
Zeitpunkt insgesamt an Mitarbeitern hat.

Wir sehen also, dass Marktanreizprogramme Sinn
machen. Deswegen ist es auch konsequent, dass wir sa-
gen: Wir wollen für Plug-in-Hybridfahrzeuge und für
batterieelektrische Fahrzeuge bis zu 5 000 Euro Unter-
stützung gewähren, damit eine Markteinführung dieser
Fahrzeuge ermöglicht wird.

Für mich ist auch die Frage der Stromdeckung sehr
wichtig. Wenn ich davon ausgehe, dass die Zahl von
3 Terawattstunden für 1 Million Fahrzeuge stimmt – sie
ist sehr reichlich bemessen –, dann entspricht das
0,3 Prozent des aktuellen deutschen Stromverbrauchs.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ihr müsst
mir einmal vorrechnen, warum ihr dann über die Lauf-
zeitverlängerung für Kernkraftwerke debattiert. Das ist
völlig absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es lohnt sich also immer. Bei 10 Millionen Fahrzeu-
gen wären das gerade mal schlappe 3 Prozent. Bis 2020
decken wir das mit links aus erneuerbaren Energien ab.


(Horst Meierhofer [FDP]: Wir sind ambitionierter!)


Die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der
Elektromobilität wird die Reichweite sein. Damit kom-
men wir zur Automobiltechnologie. Lieber Andi
Scheuer, du solltest dich mal mit der Technologie von
Loremo befassen – das war schließlich ursprünglich ein
bayerisches Produkt –: Gewichtsreduzierung, Aerodyna-
mik und die Reduzierung des Bordstromverbrauchs, ob
bei einem Verbrennungsmotor oder mit Elektroenergie.
Genau das ist die Zukunft. Das gilt übrigens auch für
Fahrzeuge mit konventioneller Antriebstechnik. Dahin
müssen wir kommen. Das bringt einen Vorteil.

Ich möchte noch kurz auf neue Technologien wie die
Radnabenmotoren eingehen. Dadurch wird auch eine
Leistungsreduzierung bei Motoren möglich. Um einen
100-Kilowatt-Verbrennungsmotor zu ersetzen, ver-
braucht man nicht viermal 25 Kilowatt mit einem Rad-
nabenmotor. Es ist eine deutliche Verringerung möglich,
weil eine höhere Effizienz erreicht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Last but not least brauchen wir eine bessere Batterie-
technologie. In diesem Zusammenhang füge ich hinzu,
lieber Ulrich Kasparick, dass 89 Millionen Euro aus dem
Programm ein bisschen wenig sind. Die Amerikaner
investieren 1,5 Milliarden Dollar in die Förderung der
Batterietechnologie. Wenn wir nicht aufpassen, dann
werden wir möglicherweise in diesem Bereich den An-
schluss verlieren.






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
Wie gesagt, die Elektromobilität bietet uns Chancen;
sie birgt aber auch Risiken. Wir Grünen sprechen das
auch in unserem Antrag an vielen Stellen an. Aber wir
gehen diesen Weg mit. Wir wollen der deutschen Auto-
mobilbranche durchaus eine Zukunft ermöglichen, aber
wir gehen dabei nicht kritiklos vor. Insofern denke ich,
dass wir in den nächsten Wochen noch spannende Dis-
kussionen zu diesem Thema führen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621418900

Rita Schwarzelühr-Sutter hat jetzt das Wort für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1621419000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin froh, dass mein Kollege Peter Hettlich
zum Schluss noch die Kurve gekriegt hat. Im Titel des
Antrags der Grünen geht es zwar um eine Förderstrate-
gie für Elektromobilität, aber während der Rede konnte
man teilweise glauben, dass ihr gar nicht für Elektromo-
bilität seid, die doch eine große Chance bietet.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was? Das haben wir aber anders gehört!)


Die Frage, mit der wir uns heute beschäftigen, lautet:
Wie sieht die Mobilität in der Zukunft aus? Wie können
wir auch in Zukunft bezahlbare und für jeden zugängli-
che Mobilität anbieten, die den Anforderungen an den
Klimaschutz gerecht wird? Mit anderen Worten: Wir
müssen Mobilität zukunftsfähig machen.

Der starke Trend zur Urbanisierung und das schnelle
Wachstum der Städte werden dazu führen, dass sich in
den Städten der Zukunft auch die Mobilität der Zukunft
entscheidet. Diese Potenziale wollen wir nutzen und In-
novationen fördern, die Mobilität sauberer, leiser, besser
und bezahlbar machen. Elektromobilität bietet hierzu ei-
nen hervorragenden Lösungsansatz. Denn insbesondere
die Metropolen der Welt brauchen neue postfossile Ver-
kehrskonzepte.

Elektromobilität kann einen wesentlichen Beitrag zur
Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor
leisten. In der Energiebilanz sind elektrische Antriebe im
Vergleich zum Verbrennungsmotor bereits beim heuti-
gen Kraftwerksmix effizienter und können damit zu ei-
ner Verringerung des CO2-Ausstoßes beitragen.

In der Stadt der Zukunft, in der viele Elektrofahr-
zeuge unterwegs sind, kann auch an einer Hauptstraße
das Fenster geöffnet werden und man kann in Ruhe die
saubere Luft genießen. Emissionen von Schadstoffen
und Klimagasen werden radikal reduziert. Das wird zu
einer völlig neuen Lebensqualität in den Ballungszentren
führen.

Nicht zuletzt entscheidet sich aufgrund der Akzeptanz
der Elektromobilität, wie es weitergeht. Dabei spielen
auch emotionale Faktoren eine Rolle.
Damit dies alles Wirklichkeit wird, müssen die deut-
sche Automobilindustrie, die Wissenschaft und die Ener-
gieversorgungswirtschaft die Akzeptanz von Elektrofahr-
zeugen erreichen und geeignete Modelle entwickeln.
Denn schon heute ist der Wettlauf um neue Technolo-
gien weltweit in vollem Gange. Alle deutschen Auto-
mobilhersteller arbeiten in Kooperation mit Energie-
versorgern an der Entwicklung von Elektrofahrzeugen,
Batterien und Infrastruktur.

Ich begrüße es außerordentlich, dass die Bundesregie-
rung die Potenziale der Elektromobilität erkannt hat. Ich
denke, es ist durchaus etwas Besonderes, wenn sich vier
Ressorts auch parteiübergreifend einigen können, an ei-
nem Strang ziehen und die Elektromobilität nach vorne
bringen.


(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wir verstehen uns doch!)


Mit 500 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II
werden Forschung und Entwicklung im Bereich Elektro-
mobilität gefördert; das ist ein wirklich großer Schritt.
Dass die Haushälter jetzt die Mittel freigegeben haben,
ist ein Punkt. Der andere ist: Es ist mit einer Hebelwir-
kung zu rechnen, weil sich die Wirtschaft zur Hälfte be-
teiligen wird.

Deutschland muss weiter seine starke Stellung auf
dem Leitmarkt Mobilität sichern. Schon heute stellen
Produkte und Dienstleistungen, die einen Beitrag zur
nachhaltigen Mobilität leisten, einen Weltmarkt mit ei-
nem Volumen von 180 Milliarden Euro dar. Bis 2020
wird sich dieses Volumen voraussichtlich verdoppeln.
Ich denke, das ist eine gute Chance, unseren Wirtschafts-
standort zu sichern und unseren Unternehmen eine Zu-
kunftsperspektive aus der Konjunkturkrise heraus zu
bieten.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621419100

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/10877, 16/12097 und 16/11915 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Bernd
Siebert, Ulrich Adam, Michael Brand, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Rainer Arnold,
Dr. Hans-Peter Bartels, Petra Heß, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Konzept der Inneren Führung stärken und
weiterentwickeln






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innere Führung stärken und weiterent-
wickeln

– zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Alexander Bonde, Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bundeswehr – Innere Führung konsequent
umsetzen

– Drucksachen 16/8378, 16/8376, 16/8370,
16/12071 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)

Gerd Höfer
Dr. Rainer Stinner
Dr. Hakki Keskin
Winfried Nachtwei

Verabredet ist, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debat-
tieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister der Verteidigung, Franz Josef Jung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Heß [SPD])


Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Innere Führung ist zu einem Markenzeichen
der Bundeswehr geworden. Der Staatsbürger in Uniform
ist das prägende Leitbild unserer Armee. Ich darf folgen-
den Satz, den mein damaliger Generalinspekteur Ulrich
de Maizière zu Recht geprägt hat, hinzufügen: „Innere
Führung ist der innere Kompass für unsere Soldatinnen
und Soldaten, ausgerichtet an den Werten unseres
Grundgesetzes.“ Die Innere Führung ist allerdings auch
ein dynamischer Prozess. Sie muss sich deshalb laufend
mit den sicherheitspolitischen und gesellschaftspoliti-
schen Veränderungen auseinandersetzen und sich ent-
sprechend weiterentwickeln. Ich bin dem Deutschen
Bundestag sehr dankbar, dass er gerade heute diese De-
batte führt, um zu einer Fortentwicklung und Stärkung
der Inneren Führung der Bundeswehr beizutragen. Die
Regierung hat mithilfe des Parlaments Folgendes veran-
lasst:

Erstens haben wir in dieser Legislaturperiode viel im
Hinblick auf die Innere Führung erreicht. Wir haben die
Zentrale Dienstvorschrift neu erlassen, damit die Innere
Führung an die Einsatzrealität der Bundeswehr als einer
Armee im Einsatz für den Frieden angepasst wird.

Zweitens haben wir die politische Bildung weiterent-
wickelt. Das heißt konkret: Sie bietet nun einen geeigne-
ten Rahmen, um unseren Soldatinnen und Soldaten die
Legitimität der Einsätze der Bundeswehr besser zu ver-
mitteln.
Drittens haben wir, ausgehend vom Leitbild des
Staatsbürgers in Uniform, die Vorschrift zum lebens-
kundlichen Unterricht, die fast 50 Jahre alt war, neu kon-
zipiert. Gerade dieser wendet sich nun als berufsethische
Unterrichtung an alle Soldatinnen und Soldaten. Ich bin
sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kir-
che und auch der Militärseelsorge für die Unterstützung,
aber auch für den Beitrag, den sie zur lebenskundlichen
Unterrichtung unserer Soldatinnen und Soldaten leisten,
sehr dankbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mit der Überarbeitung der drei Zentralen Dienstvor-
schriften haben wir die Innere Führung umfassend wei-
terentwickelt. Wir haben auch der konzeptionellen Vor-
gabe unseres Weißbuches entsprochen, indem wir die
herausragende Bedeutung der Inneren Führung für den
Transformationsprozess der Bundeswehr unterstrichen
haben.

Die Innere Führung bewährt sich in der Praxis. Ich
kann immer wieder bei meinen Truppenbesuchen, sei es
im Inland, sei es im Ausland, feststellen, dass die Innere
Führung von unseren Soldatinnen und Soldaten unmit-
telbar gelebt wird. Dies wird besonders im Auslandsein-
satz deutlich. Der Erfolg im Auslandseinsatz hängt auch
von der Einstellung unserer Soldatinnen und Soldaten
ab, von ihrem Auftreten und von ihrem Miteinander mit
der einheimischen Bevölkerung vor Ort. Eine wichtige
Rolle spielt auch das Führungsverhalten der Vorgesetz-
ten. Egal wohin ich komme, welcher Auslandseinsatz
auch immer es sei, ich höre immer nur Positives von der
Bevölkerung und den politisch Verantwortlichen über
das Auftreten unserer Soldatinnen und Soldaten. Auch
das hat mit unserer Einstellung zur Inneren Führung zu
tun. Ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten sehr
dankbar, dass sie die Prinzipien der Inneren Führung
auch und gerade im Auslandseinsatz leben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich füge hinzu: Wir haben im Zusammenhang mit der
neuen Dienstvorschrift den Punkt „Familie und Dienst“
ergänzt. Auch in dieser Hinsicht steht die Bundeswehr
vor neuen Herausforderungen. Wir haben mittlerweile
16 000 Soldatinnen, was eine Bereicherung für die Bun-
deswehr darstellt. Es ist richtig, dass wir die Möglichkei-
ten, Elternzeit und Teilzeit wahrzunehmen, erweitert ha-
ben. So haben wir mittlerweile eine flächendeckende
Organisation von Familienbetreuungszentren und El-
tern-Kind-Zimmern an 37 Standorten in der Bundes-
republik Deutschland eingerichtet. Wir haben konkrete
Maßnahmen für die weitere Verbesserung der Kinderbe-
treuung eingeleitet. Dies sind sehr konkrete Punkte. Da-
mit sind wir dem Anspruch, Familie und Dienst bzw.
soldatischen Auftrag miteinander zu vereinbaren, unmit-
telbar gerecht geworden.

Zur Inneren Führung gehören auch die Beteiligung
unserer Soldatinnen und Soldaten, aber ebenso Themen
wie die sanitätsdienstliche Versorgung und die Erhöhung
der Attraktivität der Bundeswehr. Ich freue mich sehr






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
darüber – das gehört meines Erachtens ebenfalls zu die-
sem Feld –, dass es gestern möglich war, einen Soldaten,
der im Mai des Jahres 2007 im Einsatz in Kunduz erheb-
lich verwundet worden ist, nachdem er durch eine her-
vorragende Rettungskette und Sanitätsversorgung wie-
derhergestellt war, auf der Grundlage des Einsatz-
Weiterverwendungsgesetzes als Berufssoldaten zu über-
nehmen. Dies ist, wie ich finde, ein wichtiges Zeichen,
dass wir unserer Verantwortung und der Fürsorgepflicht
gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten gerecht
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundeswehr steht mitten in der Gesellschaft. Sie
hat ein hohes Ansehen. Die Bundeswehr findet unter
87 Prozent unserer Bevölkerung Zustimmung. Es ist
aber auch wahr, dass wir noch mehr Unterstützung unse-
rer Auslandseinsätze durch die Bevölkerung und mehr
Kommunikation in den gesellschaftlichen Gruppen brau-
chen. Ich glaube – das spüre ich immer wieder –, dass
unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Interesse unse-
rer Sicherheit ein Risiko für Leib und Leben eingehen,
die Unterstützung unserer Bevölkerung verdienen; denn
letztlich tun sie ihren Dienst im Interesse der Bürgerin-
nen und Bürger unseres Landes.

Mittlerweile ist die Innere Führung zum Exportschla-
ger geworden. 20 Nationen haben ein Interesse daran,
diese Grundprinzipien in ihre Armee einzubeziehen. Ich
möchte mich gerade beim Unterausschuss „Weiterent-
wicklung der Inneren Führung“, der sich mit diesen Fra-
gen beschäftigt, herzlich dafür bedanken, dass wir
gemeinsam die Grundsätze der Inneren Führung der ge-
sellschaftlichen Entwicklung immer weiter anpassen.
Dies ist der beste Weg, die Bundeswehr modern, leis-
tungsfähig und damit auch attraktiv zu halten – im Inte-
resse unserer Sicherheit, im Interesse von Frieden, Recht
und Freiheit unseres Vaterlandes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621419200

Die Kollegin Birgit Homburger hat jetzt das Wort für

die FDP-Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1621419300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir debattieren heute das Ergebnis der Arbeit des Unter-
ausschusses „Weiterentwicklung der Inneren Führung“.
Der Abschlussbericht dieses Unterausschusses mit den
Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Inneren Füh-
rung ist bereits am 21. Juni 2007 vorgelegt worden. Es
sind also knapp zwei Jahre ins Land gegangen, bis wir
uns heute hier im Plenum damit beschäftigen. Nichtsdes-
totrotz ist es richtig, sich damit zu beschäftigen. Herr
Minister, Sie haben es gerade schon deutlich gemacht
– ich möchte das für die Fraktion der FDP unterstrei-
chen –: Die Innere Führung ist ein Markenzeichen der
Bundeswehr. Sie prägt das Bild der Bundeswehr hier in
Deutschland und ganz besonders im Ausland; das zeigt
sich bei den Auslandseinsätzen. Wenn man mit Vertre-
tern anderer Länder spricht, stellt man fest: Die Innere
Führung ist etwas, worum wir vielerorts beneidet wer-
den.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist richtig, der Inneren Führung Aufmerksamkeit
zu schenken und darüber auch im Parlament zu diskutie-
ren. Herr Minister, Sie haben gesagt: Manches wurde ge-
tan. – In der Tat ist das eine oder andere in dieser Legis-
laturperiode getan worden. Ich möchte aber schon sehr
deutlich sagen: Es bleibt noch vieles zu tun.

Eines der zentralen Ergebnisse des Unterausschusses
des Verteidigungsausschusses „Weiterentwicklung der In-
neren Führung“ ist, dass deutlich gemacht wurde – und
zwar quer durch alle Fraktionen –, dass wir eine Steige-
rung der Attraktivität der Bundeswehr brauchen. Die
Bundesregierung hatte mit der Verabschiedung des
Dienstrechtsneuordnungsgesetzes im November 2008
eine, wie ich finde, auf absehbare Zeit einzigartige
Chance, die Attraktivität des Dienstes zu steigern. Diese
Chance wurde aus meiner Sicht vertan.


(Beifall des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP])


Es wurden punktuell kleinere Verbesserungen erreicht;
aber leider ist auch die eine oder andere Verschlechte-
rung zu beklagen.

Ich möchte ein Beispiel ansprechen, das heute auch
der Wehrbeauftragte bei der Vorstellung seines Berichtes
in der Öffentlichkeit thematisiert hat: Es geht um die Ge-
bietsärzte und Rettungsmediziner, die der Bundeswehr
in den letzten Jahren in großer Anzahl „von der Fahne
gegangen sind“. Ursache für diese Ärzteflucht sind zum
einen deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen auf dem
zivilen Arbeitsmarkt, und das will unter den Bedingun-
gen von Ulla Schmidt schon etwas heißen.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wohl wahr!)


Ursache dafür sind zum anderen die Rahmenbedingun-
gen des Dienstes, die sich innerhalb der letzten Jahre
durchaus verschlechtert haben. Das hat der Wehrbeauf-
tragte zu Recht angesprochen. Ich möchte hinzufügen:
Es gibt einen ähnlichen Exodus bei den Transportpiloten
der Luftwaffe.

Wie reagiert die Bundesregierung beim Dienstrechts-
neuordnungsgesetz? Sie nimmt durch die Streichung
eines entsprechenden Passus in § 125 des Beamten-
rechtsrahmengesetzes und durch die Einführung eines
sogenannten Zustimmungsvorbehalts des Bundesminis-
teriums der Verteidigung schlicht allen Zeit- und Berufs-
soldaten die Möglichkeit, in ein Beamtenverhältnis zu
wechseln. Herr Minister, das sind Zwangsmaßnahmen
statt Attraktivitätssteigerung. Wir sind überzeugt davon,
dass das nicht der richtige Weg ist.

Die bis 2014 befristete monatliche Zulage in Höhe
von 600 Euro für Fachärzte, Rettungsmediziner und
Flugzeugkommandanten der Luftwaffe, die im Dienst-
rechtsneuordnungsgesetz verankert wurde, erscheint als
eine etwas hilflose Reaktion und, wie wir mittlerweile
wissen, durchaus auch als kontraproduktiv im Binnen-






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
verhältnis zwischen den Soldatinnen und Soldaten.
Diese Zusage kann natürlich auch nicht darüber hinweg-
täuschen, dass die Bundesregierung grundlegende Pro-
bleme der Attraktivität des Dienstes nicht in den Griff
bekommt. Deshalb muss mehr getan werden, als Stillhal-
teprämien zu bezahlen und darauf zu hoffen, dass sich
die Situation irgendwie ohne weiteres Zutun bessert.


(Beifall bei der FDP)


Wir brauchen also ein Gesamtprogramm zur Attrakti-
vitätssteigerung. Das bedeutet aus unserer Sicht, dass
wir endlich eine eigene Besoldungsgruppe S benötigen.

Angesichts des Zustandes der Kasernen, in denen
Dienst getan wird, brauchen wir darüber hinaus auch an
dieser Stelle eine Verbesserung der Situation. Zwar ha-
ben wir jetzt durch das Konjunkturpaket II die eine oder
andere Investition zu erwarten; nichtsdestotrotz bleibt
hier einiges zu tun.

Uns ist immer wieder vorgetragen worden, dass die
Rahmenbedingungen des Soldatenberufs von zentraler
Bedeutung sind, wenn sich in den nächsten Jahren junge
Menschen für einen Dienst in der Bundeswehr entschei-
den sollen. Dazu gehören Aspekte wie die Versetzungs-
häufigkeit, aber eben auch die von Ihnen angesprochene
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies ist ein aus
meiner Sicht ganz zentraler Punkt, an dem sich in der
Vergangenheit zu wenig getan hat, Herr Minister.

Bei Truppenbesuchen, aber im Übrigen auch vom
Deutschen BundeswehrVerband wird immer wieder vor-
getragen, dass der Aspekt der Familienfreundlichkeit
sehr wichtig ist. Hierzu steht im Abschlussbericht des
Unterausschusses „Innere Führung“ in den Handlungs-
empfehlungen – ich zitiere –:

Gerade hier muss die Bundeswehr mit eigenen Ein-
richtungen etwas tun, wenn die Kommunen auf-
grund ihrer Finanzausstattung sich nicht in der Lage
sehen, gerade an großen Standorten mehr Betreu-
ungsstätten zu bieten.

Das zieht sich durch sämtliche Stellungnahmen, Herr
Minister, auch durch die Ihre am heutigen Abend im Ple-
num des Deutschen Bundestags. Es ist jedoch festzustel-
len, dass wir über Pilotprojekte bisher nicht hinausge-
kommen sind. Das ist kein Wunder, denn Geld zur
Realisierung dieser Maßnahmen ist im Haushalt nicht
verankert worden, obwohl es im letzten Jahr im Rahmen
der Haushaltsberatungen versprochen worden ist.

Vor diesem Hintergrund sagen wir vonseiten der
FDP-Bundestagsfraktion ganz deutlich, Herr Minister:
Wir dürfen, Sie dürfen hier nicht bei Bekundungen ste-
hen bleiben; vielmehr muss hier schlicht und ergreifend
gehandelt werden. Wenn Sie auch auf Dauer die Attrak-
tivität des Soldatenberufs erhalten wollen, dann muss an
den Stellen, an denen wir dringenden Bedarf haben, die
Attraktivität der Truppe gesteigert werden. Dazu gehö-
ren eben auch solche „weichen“ Faktoren, über die wir
ansonsten nur selten reden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621419400

Gerd Höfer spricht jetzt für die SPD-Fraktion.


Gerd Höfer (SPD):
Rede ID: ID1621419500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine
allgemeine Vorbemerkung machen. Erstens. Es ist ein
ungewöhnlicher Vorgang, wenn Dinge, die von einem
Unterausschuss eines Ausschusses zur Weiterentwick-
lung der Inneren Führung vorgelegt worden sind, teil-
weise heute schon in der Praxis umgesetzt wurden. Da-
für habe ich dem Bundesministerium der Verteidigung
und dem Bundesminister zu danken.

Zweitens. Trotz der Kritik von der Kollegin
Homburger bedauere ich außerordentlich, dass wir nicht
zu einem gemeinsamen Antrag durch Integration oder
Einbeziehung der Anträge der Grünen und der FDP ge-
kommen sind. Wir waren dicht daran, aber in letzter
Minute ist es gescheitert.

Ich zitiere aus der neuen Zentralen Dienstvorschrift
– ZDv – 10/1 „Innere Führung“ – die Soldatinnen und
Soldaten auf der Tribüne, die Kameradinnen und Kame-
raden werden verstehen, was das ist –:

Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr er-
füllen ihren Auftrag, wenn sie aus innerer Überzeu-
gung für Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Ge-
rechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie
als die leitenden Werte unseres Staates aktiv eintre-
ten.

Hier wird ein hohes moralisches Rüstzeug für die Solda-
tinnen und Soldaten formuliert; denn einerseits geht es
um die Bindung der Soldatinnen und Soldaten an das
Grundgesetz, andererseits um die Bindung an den Auf-
trag.

All dies zusammen ist eine militärische Führungs-
philosophie für die Vorgesetzten, aber auch ein Leitbild
für den Staatsbürger in Uniform. Diese Vorschrift ist
sehr anspruchsvoll. Ich habe im Unterausschuss „Innere
Führung“ gesagt, normalerweise könne man so etwas in
einer Vorschrift nicht regeln, weil eine innere Überzeu-
gung nicht befohlen werden und eine Befolgung dieser
Grundsätze nicht kontrolliert werden kann. Aber den-
noch sollte man auf dieses Leitbild hinarbeiten. Das ist
die vornehmste Arbeit der Vorgesetzten in diesem Be-
reich.

Was die Bindung an das Grundgesetz betrifft, so wün-
sche ich mir, dass die politische Bildung einen etwas
stärkeren Stellenwert im Dienstalltag der Bundeswehr
bekommt, damit man die Bindung an Menschenrechte,
Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit,
Gleichheit, Solidarität und Demokratie zumindest lehrt.
Ob und wie stark sie dann internalisiert wird, hängt vom
Einzelnen ab. Auf diesen Bereich, Herr Minister, sollte
das Augenmerk gerichtet werden.

Die Bindung an den Auftrag ist bei der Bundeswehr
ein Teil der soldatischen Tradition; denn in der Bundes-
wehr gilt die Auftragstaktik, die im Gegensatz zur Be-
fehlstaktik dem Soldaten eine Eigenverantwortung bei






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Höfer
der Erfüllung des Auftrags einräumt. Er hat somit die
Möglichkeit, die Erfüllung dieses Auftrags nach seinem
Können, Ermessen und Wissen selbst zu gestalten.

Allerdings gibt es auch Gefährdungspotenziale, die
ich nennen will, weil alles das, was sich verbessert hat
und verbessert werden wird – das ist ja auch schon auf-
geführt worden –, von Frau Kollegin Wegener darge-
stellt wird. Gefährdungspotenziale liegen unter anderem
darin – das hat mit der Institution des Wehrbeauftragten
nichts zu tun; er kann nichts dafür; es ist gut, dass es ihn
gibt –, dass die Masse der Eingaben – 2008 waren es
5 474 – überwiegend von Zeit- und Berufssoldaten ge-
macht werden, am wenigsten von den Wehrpflichtigen.
Bei diesen Eingaben ist festzustellen, dass die Masse de-
rer, die Eingaben eingereicht haben, ihren Disziplinar-
vorgesetzten umgehen. Das wäre, wenn das weiter fort-
schreiten würde, eine Umgehung der Prinzipien der
Inneren Führung.

Das liegt unter anderem an Folgendem: Wenn der
Wehrbeauftragte Eingaben hat, wendet er sich an das
Ministerium. Im Ministerium geht es die „Hühnerleiter“
herunter, und man kontaktiert den Disziplinarvorgesetz-
ten desjenigen, der betroffen ist; der erste ist der Kompa-
niechef, der zweite der Bataillonskommandeur. Dann
geht es die Hühnerleiter wieder hoch, und es wird eine
Entscheidung getroffen.

Dabei sind zwei Aspekte zu beachten. Ich möchte die
Kameradinnen und Kameraden ermuntern, die Diszipli-
narvorgesetzten mehr in die Pflicht zu nehmen, bei ihnen
vorbeizuschauen und im gemeinsamen Gespräch die
Dinge, die sie beschweren, zu lösen. Dafür ist er da;
denn er hat eine umfängliche Fürsorgepflicht. Wenn also
die Disziplinarvorgesetzten umgangen werden, dann ist
das kein Zeichen für gelebte Innere Führung.

Ein zweites Gefährdungspotenzial – das werden Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen im Parlament, nicht
gerne hören – hat mit der Frage zu tun, ob das Prinzip
der Auftragstaktik in der Bundeswehr stringent und dau-
erhaft durchgehalten werden kann; denn die Summe der
Anfragen aus dem Parlament und der Berichtsanforde-
rungen durch den Verteidigungsausschuss führt dazu,
dass es die Hühnerleiter wieder heruntergeht und derje-
nige, der in irgendeiner Form im Einsatz gehandelt hat,
indirekt dem Parlament gegenüber rechenschaftspflich-
tig wird, indem er diese Anfragen und Eingaben beant-
worten muss.

Das verunsichert viele der Kommandeure und Verant-
wortlichen vor Ort, weil sie sich fragen: Wie weit geht
eigentlich mein Ermessensspielraum? Diesen sollten sie
im Sinne des Prinzips der Auftragstaktik im Rahmen der
Inneren Führung haben. Weiter fragen sie sich: Inwie-
weit sollen wir uns praktisch für alles rechtfertigen, was
gewesen ist? In Stößen kommen die Anträge und Einga-
ben aus dem Verteidigungsausschuss und dem Parla-
ment. Das führt teilweise dazu, dass die Führer vor Ort
nicht frei sind in ihrer Entscheidung und sich erst rück-
versichern, was sie zu tun bzw. zu lassen haben. Ich habe
gesagt, das ist ein Gefährdungspotenzial. Ich habe nicht
behauptet, dass es immer und überall so ist. Aber wir
sollten aufpassen, dass wir mit unserem parlamentari-
schen Eifer – so will ich es einmal nennen – nicht über-
regulieren und nicht eine zusätzliche Bürokratie schaf-
fen, die die Führer vor Ort vor allem im Einsatz
erheblich belastet.

Ich bitte Sie, das mit zu bedenken, und danke für die
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621419600

Für die Linke hat der Kollege Dr. Hakki Keskin das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621419700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es geht heute um die Innere Führung der Bundeswehr,
und dies aus gutem Grund. Die Antragsteller meinen,
dass die Grundsätze, die das Handeln der Soldatinnen
und Soldaten bestimmen, an neue Realitäten angepasst
werden müssen.

Im Kern geht es um die Frage, wie das bisherige Leit-
bild des Staatsbürgers in Uniform unter den gesellschaft-
lichen Veränderungen beibehalten werden kann. Mit ge-
sellschaftlichen Veränderungen sind in erster Linie die
zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr ge-
meint. Die Soldatinnen und Soldaten müssen auch unter
Kampfbedingungen und in einer fremden gesellschaftli-
chen Umgebung ein politisch und moralisch zu verant-
wortendes Handeln unter Beweis stellen. Die Innere
Führung verfolgt also das Ziel, die Bundeswehr in die
rechtsstaatliche Ordnung einzubinden und in die Gesell-
schaft zu integrieren. Damit sollen die Verselbstständi-
gung einer militärischen Eigenkultur und die Entstehung
eines soldatischen Sonderethos ausgeschlossen werden.

Diesem Konzept können wir natürlich zustimmen.
Das Problem ist jedoch seine praktische Anwendung,
wie wir dies beispielhaft gerade gesehen haben. In den
jährlichen Berichten des Wehrbeauftragten werden die
Defizite immer wieder aufs Neue aufgelistet, ohne dass
sich daran bislang etwas Grundsätzliches geändert hätte.
Vorfälle wie die körperlichen Misshandlungen von Sol-
daten in der Coesfelder Kaserne sind zwar nicht die Re-
gel, aber leider auch keine Einzelfälle. Es muss klar sein,
dass bei der Menschenwürde keine Kompromisse ge-
macht werden dürfen. Die Gehorsamspflicht von Solda-
tinnen und Soldaten endet dort, wo erkennbar rechtswid-
rige Handlungen befohlen werden. Zugleich müssen die
Soldatinnen und Soldaten besser vor Verletzungen ihrer
Menschenwürde geschützt werden. Daher brauchen sie
mehr Anlaufstellen mit Vertrauenspersonen, an die sie
sich mit ihren Problemen wenden können.

Die Linke fordert zum wiederholten Male, die Rechte
des Wehrbeauftragten zu stärken. Seine Arbeit hat sich
bewährt. Unserer Ansicht nach sollte er das Recht haben,
eigenständig und ohne konkreten Anlass Berichte vom
Verteidigungsministerium über einzelne Reformvorha-
ben anzufordern. Selbstverständlich sollte er auch unan-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hakki Keskin
gemeldet Truppenbesuche in den Einsatzgebieten im
Ausland durchführen.

Eines der Hauptprobleme bildet die Überfrachtung
der Bundeswehr mit Sonderaufgaben. Mittlerweile prä-
gen riskante Auslandseinsätze in innenpolitischen Frie-
denszeiten den Bundeswehralltag. Der Ausnahmefall ist
somit zum Regelfall geworden. Genau aus diesem
Grunde wollen die Antragsteller die Grundsätze der In-
neren Führung umstrukturieren. Insbesondere im Koali-
tionsantrag sticht dieser Aspekt deutlich hervor.

Die Linke lehnt als einzige Fraktion im Bundestag die
Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland ab.


(Beifall bei der LINKEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle Einsätze! Auch Peacekeeping!)


Der Kernauftrag der Bundeswehr liegt nach unserer
Meinung, lieber Kollege, in der Landesverteidigung. Da-
mit sind die Staatsgrenzen der Bundesrepublik Deutsch-
land gemeint. Wir können nicht mit Initiativen einver-
standen sein, die den Zweck haben, die Bundeswehr zu
einer permanenten Einsatzbereitschaft sogar im Ausland
zu befähigen. Die Sicherheit für Deutschland wird damit
gewiss nicht größer, sondern immer stärker gefährdet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621419800

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621419900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Innere Führung und das Leitbild vom Staatsbürger
in Uniform sind eine zentrale Lehre aus der verheeren-
den Aggressionsgeschichte der Wehrmacht. Diese Lehre
ist eine wichtige Errungenschaft zur Einbindung von
Streitkräften in die bundesdeutsche Demokratie und ein
Gütesiegel der Bundeswehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans Raidel [CDU/CSU])


Die Wertschätzung der Inneren Führung ist bei allen
Fraktionen dieses Hauses insgesamt hoch. Darüber – das
sage ich nicht einfach nur daher – besteht Konsens.
Auch wenn wir nachher über die Anträge unterschied-
lich abstimmen, so muss man bei genauem Hinsehen
doch sagen, dass es sehr viele Überschneidungen gibt.
Auch wenn unser Antrag und der Antrag der FDP abge-
lehnt werden, werden wir zu weiteren vernünftigen Be-
ratungen kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Nun zu Aspekten, bei denen kein Konsens besteht,
weil sie Probleme im Alltag der Soldaten beleuchten.

Zu einem mündigen Soldaten und einer mündigen
Soldatin gehört selbstverständlich die Soldatenbeteili-
gung. Wie sieht es aber damit aus? Der Herr Wehrbeauf-
tragte hat heute seinen Jahresbericht vorgelegt. Ich
schaue mir immer zunächst das entsprechende Kapitel
an. Es ist schon notorisch, dass immer wieder festgestellt
werden muss: Es mangelt an dieser Stelle sehr. Diesmal
muss der Wehrbeauftragte sogar die Schlussfolgerung
ziehen, dass die Soldatenbeteiligung, dieses wesentliche
Element, offensichtlich nicht ernst genommen wird.
Dies ist nicht hinzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE])


Wir hören immer wieder von Soldaten, dass sie bei
Politikerbesuchen in den Einsatzgebieten des Öfteren
dazu vergattert werden, nicht außer der Reihe an die
Politiker heranzutreten und mit ihnen Gespräche zu füh-
ren. Das ist eine Art Maulkorb. Der Wehrbeauftragte
stellt des Weiteren fest, dass die Zahl der anonymen Ein-
gaben aus Angst vor Benachteiligung eindeutig zuge-
nommen hat. Dies ist mit den Vorgaben der Inneren Füh-
rung nicht vereinbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Aspekt, mit dem wir Verteidigungspoliti-
ker uns immer mehr beschäftigen müssen und der auch
vom Wehrbeauftragten heute sehr deutlich genannt wor-
den ist, ist die Tatsache, dass in den Streitkräften das
Vertrauen in die höhere militärische und politische Füh-
rung offenkundig bröckelt. Wir wissen, dass dies ver-
schiedene Facetten hat. Als Erstes muss man feststellen,
dass die Spitzen der Politik und wahrscheinlich auch zu
einem Teil wir es nicht schaffen, den Auftrag der Bun-
deswehr in den Einsatzgebieten überzeugend darzustel-
len. Wir müssen plausibel machen, dass die Einsätze
aussichtsreich sind. Dass dies noch nicht der Fall ist, ist
ein erhebliches Defizit, an dessen Beseitigung intensiv
gearbeitet werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Innere Führung ist nicht nur eine Sache der Bun-
deswehr, ihrer Soldatinnen und Soldaten und der politi-
schen Führung, sondern auch eine Sache der Gesell-
schaft. Das ist bisher fast gar nicht angesprochen
worden.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Ich spreche es an!)


Von vom Balkan und aus Afghanistan zurückkehrenden
Soldaten hört man fast durch die Bank, dass sie mit ihren
Erfahrungen und Leistungen überwiegend auf Desinte-
resse stoßen. Der Begriff des Bundespräsidenten
„freundliches Desinteresse“ trifft inzwischen nicht mehr
zu; er ist inzwischen beschönigend. In Wirklichkeit gibt
es mittlerweile eher die Reaktion, die kalte Schulter zu
zeigen, ausgedrückt zum Beispiel in der Frage, an einen
Soldaten gerichtet, der in Afghanistan Schlimmes erlebt
und sich fantastisch eingesetzt hat: Warum machst du
das denn für A 10? Du bist doch im Grunde selbst
schuld.

Solche Haltungen breiten sich inzwischen aus. Solda-
ten, die seelisch verwundet aus dem Einsatz zurückkom-






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
men – es sind ja viel mehr, als wir wissen –, stoßen in
der Regel auf wenig Verständnis. Die Erfahrungswelten
von Soldaten im Einsatz, ihren Familien und der Zivilge-
sellschaft driften immer mehr auseinander. Dies ist de
facto ein Entfremdungs- und Desintegrationsprozess.
Das ist menschlich belastend und politisch hochriskant.
Dem muss entgegengewirkt werden. Dem kann aber
nicht einfach durch symbolische Handlungen entgegen-
gewirkt werden.

Folgendes ist dafür notwendig: Es muss zum einen
ehrlich mit der Realität der Einsätze umgegangen wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es muss eine verlässliche Fürsorge für die Soldaten ge-
ben, und zwar auch für diejenigen, die ausgeschieden
sind und die sehr oft völlig vergessen werden: für die Ve-
teranen. Das ist ein zunehmendes Problem. Ganz ent-
scheidend ist zum anderen, dass ein wirklicher Dialog
inklusive einer Streitkultur zwischen der Zivilgesell-
schaft, der Bundeswehr und der Politik zustande kommt.
Darum steht es zurzeit schlecht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621420000

Herr Kollege Nachtwei!


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621420100

Ich komme zum Ende.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621420200

Nein, Sie müssen schon am Ende sein.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621420300

Die Chancen sind gut; aber sie müssen von allen ganz

anders genutzt werden, weil eine kooperative Friedens-
politik auf das Zusammenwirken von Zivilexperten,
Diplomaten, Polizisten und Soldaten angewiesen ist.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621420400

Ich gebe das Wort der Kollegin Anita Schäfer, CDU/

CSU-Fraktion.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1621420500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Innere Führung in der Bundeswehr steht für die Ein-
bindung der Soldatinnen und Soldaten in das freiheitli-
che und demokratische Wertesystem der Bundesrepublik
Deutschland. Wir haben uns im Unterausschuss zur In-
neren Führung ausführlich mit diesem Thema befasst.
Wir haben uns die Frage gestellt: Wie muss dieses be-
währte Modell an Veränderungen in Gesellschaft und
Politik angepasst werden, an Veränderungen, die direkte
Auswirkungen auf die Bundeswehr haben, beispiels-
weise durch die Erlangung der vollen staatlichen Souve-
ränität Deutschlands nach der Wiedervereinigung, mit
der die Übernahme größerer internationaler Verantwor-
tung verbunden war? Wichtig war für uns auch, über die
Öffnung aller Bereiche des Dienstes bei der Bundeswehr
für Frauen zu diskutieren und praktikable Lösungen zu
finden.

Im Abschlussbericht des Unterausschusses „Innere
Führung“ wurde dies umfassend dokumentiert. Die Er-
gebnisse sind in die Gestaltung der neuen Zentralen
Dienstvorschrift „Innere Führung“ eingeflossen. Nun
muss sich diese erneuerte Richtschnur im Alltag der
Truppe beweisen.

Auch der Wehrbeauftragte hat heute in seinem Jahres-
bericht wieder auf die besondere Bedeutung der Inneren
Führung hingewiesen. Dabei wird an einigen Stellen
deutlich, wo es bei der Umsetzung im täglichen Dienst-
bereich hapert. Hier gilt es, ständig weiter an Verbesse-
rungen zu arbeiten.

Mir sind bei all diesen Fragen einige Dinge besonders
wichtig: Innere Führung besteht nicht nur aus dem Pa-
pier der ZDv 10/1. Es reicht nicht, wenn diese ordnungs-
gemäß vereinnahmt im Regal der Vorschriftenstelle
steht. Auch allein ihre Lektüre führt noch nicht zu dem
Ziel, den Soldaten zu einem verantwortungsbewusst
handelnden Staatsbürger in Uniform zu machen. Sicher-
heit über ethische Grundsätze, tapferes Dienen, interkul-
turelle Kompetenz, wohl verstandenes Traditionsbe-
wusstsein – all dies lässt sich nicht einfach durch Lesen
lernen. Ich nenne auch die politische Bildung und den le-
benskundlichen Unterricht in der Bundeswehr.

Vor allem aber geht es um das gelebte Miteinander in
der Truppe und besonders um die Vorbildfunktion des
Vorgesetzten – angefangen beim Gruppenführer in der
Grundausbildung, der jedes Quartal mit neuen Wehr-
pflichtigen umgeht. Innere Führung ist ein lebendiger
Prozess, der sich auch zwischen den Neuauflagen der
Dienstvorschrift ständig weiterentwickelt. Wir müssen
dabei übrigens auch darauf achten, dass Innere Führung
mit zeitgemäßen Mitteln und Begriffen vermittelt wird.
Vor allem aber sind es die Soldaten selbst, die die
Grundlagen der Inneren Führung unter immer wieder
neuen Umständen anwenden müssen: ob in ihrer Ver-
mittlung als Vorgesetzte oder im Handeln auf ihrer
Grundlage gegenüber Dritten, im täglichen Dienst am
Heimatstandort genauso wie im Einsatz.

Dafür müssen wir ihnen aber auch die praktische
Möglichkeit geben, beispielsweise im Bereich der Ver-
einbarkeit von Familie und Dienst. Dieser Bereich ist als
neues Gestaltungsfeld der Inneren Führung auf-
genommen worden. Dafür ist es nun auch notwendig, die
erforderlichen Teilzeitstellen und die entsprechende Per-
sonalstruktur zur Verfügung zu stellen. Der Bundes-
wehrVerband hat kürzlich noch einmal auf die Situation
im Sanitätsdienst hingewiesen. Hier sind derzeit
800 Stellen wegen familienbedingter Abwesenheit va-
kant.

Keine Frage: Die sanitätsdienstliche Versorgung un-
serer Soldaten ist hervorragend. Es gilt aber dafür zu sor-
gen, dass das auch langfristig so bleibt, und zwar im
Ausland ebenso wie im Inland. Erste Verbesserungen ha-






(A) (C)



(B) (D)


Anita Schäfer (Saalstadt)

ben wir gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium
bereits erreicht. Wir werden auf diesem Weg weiter vo-
rangehen. Dazu gehören die ausreichende personelle
Unterfütterung flexibler Besetzungsmöglichkeiten und
generell attraktive Dienstbedingungen. Das gilt nicht nur
für den Sanitätsdienst, sondern auch für alle anderen
Truppengattungen.

Wir werden uns auch weiter für die Verbesserung der
Möglichkeiten zur Kinderbetreuung einsetzen. Hier ha-
ben wir mit dem Verteidigungsministerium bereits ein
ganzes Paket an Maßnahmen geschnürt. Die Umsetzung
dieser Maßnahmen steckt zwar noch in der Anfangs-
phase; von einem flächendeckenden Angebot sind wir
noch weit entfernt. Aber wir von der Union werden da-
rauf achten, dass die notwendigen Mittel bereitgestellt
werden und dass qualifiziertes Personal schnellstmög-
lich die wichtigen Aufgaben übernimmt. Denn es ist un-
erlässlich, dass diese Möglichkeiten auch tatsächlich in
der Breite der Truppe ankommen und genutzt werden
können. Dazu gehören beispielsweise auch Eltern-Kind-
Arbeitszimmer für jeden Standort, und zwar mit der not-
wendigen Ausstattung; der Raum allein nutzt nichts. Zu-
dem möchte ich noch einmal die Arbeit der Familienbe-
treuungszentren hervorheben. Hier sollten wir alles
dafür tun, dass ihre Effektivität durch die intelligente
Vernetzung mit ehrenamtlichem Engagement weiter ge-
steigert wird.

Die Bundeswehr hat sich mit der Gesellschaft und mit
der internationalen Rolle der Bundesrepublik gewandelt
und wird sich auch weiter wandeln. Gleichzeitig muss
sie ein festes Gerüst aus Werten und Tradition bewahren,
um ihren Soldaten Orientierung zu geben. Das ist die
Herausforderung, vor der die Innere Führung immer ge-
standen hat und weiter stehen wird. Das ist kein automa-
tischer Prozess. Vielmehr erfordert dies immer wieder-
kehrende Überprüfungen und sorgfältige Justierung.
Dieser Verantwortung müssen Parlament und Regierung
stets aufs Neue gerecht werden.

Wegen der besonderen Bedeutung des Themas hätte
ich es begrüßt, wenn wir uns als Ergebnis unserer Bera-
tungen auf einen gemeinsamen Antrag verständigt hät-
ten, zumal wir in vielen Bereichen nahe beieinander la-
gen. Umso mehr bedauere ich, die Anträge von FDP und
Grünen heute ablehnen zu müssen.

Unsere Zusammenarbeit im Unterausschuss „Innere
Führung“ war sehr konstruktiv. Im Namen des Vorsit-
zenden, Herrn Dr. Karl Lamers, möchte ich den Kolle-
ginnen und Kollegen dafür noch einmal ganz herzlich
danken. Auch Sie, Herr Minister Dr. Jung, und die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses möchte ich
an dieser Stelle in den Dank einschließen.

Der Weiterentwicklung der Inneren Führung sollten
wir weiterhin gemeinsam große Aufmerksamkeit wid-
men, damit sie das Erfolgsmodell bleibt, das die Bundes-
wehr zu einer fest in der Demokratie verankerten Armee
gemacht hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621420600

Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin

Hedi Wegener.


(Beifall bei der SPD)



Hedi Wegener (SPD):
Rede ID: ID1621420700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Da-

men! Als letzte Rednerin stelle ich fest: Es ist vieles ge-
sagt, aber noch nicht alles.

Ich fange mit dem Antrag der Koalition an. Darin ha-
ben wir in weiser Voraussicht festgelegt:

Die Grundsätze der Inneren Führung sind eine Er-
folgsgeschichte. Sie sind integraler Bestandteil der
Bundeswehr und zugleich ihr charakteristisches,
unverwechselbares Markenzeichen.

Weiter heißt es:

Die Gestaltungsfelder der Inneren Führung müssen
dynamisch auf die gesellschaftlichen, militärischen
und technologischen Entwicklungen, die veränder-
ten Einsatzszenarien der Bundeswehr und die stra-
tegischen Veränderungen und Herausforderungen
reagieren. Sie müssen immer wieder an der Wirk-
lichkeit überprüft und … angepasst werden.

Um genau diese Entwicklungen geht es. Neben den
Umwälzungen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes
haben sich eben auch die gesellschaftlichen Rahmenbe-
dingungen verändert. Zwei Entwicklungen spreche ich
an: Zum einen ist dies die Integration von Frauen in die
Bundeswehr, eine der größten Herausforderungen in den
letzten Jahren. Zum anderen ist für junge Familien – nicht
nur für Soldatinnen, sondern auch für Soldaten – die Ver-
einbarkeit von Familie und Dienst eine ganz zentrale
Frage der Lebensplanung geworden. Immerhin sind zur-
zeit streitkräfteweit 8,6 Prozent aller Berufs- und Zeitsol-
daten Frauen. 16 300 Frauen tun ihren Dienst in der Bun-
deswehr. Im Sanitätsdienst haben wir eine Quote von
41,2 Prozent und bei den übrigen Laufbahnen von
5,4 Prozent. Das ist eigentlich reichlich wenig. Festge-
schrieben hatten wir 50 Prozent und 15 Prozent. Wir sind
also noch weit von unserem Ziel entfernt, und die Zahl
der Bewerberinnen und Bewerber ist inzwischen rückläu-
fig. Woran mag das liegen?

Wir haben in der letzten Woche eine Studie des So-
zialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr mit dem
munteren Titel „Truppenbild mit Dame“ zur Verfügung
gestellt bekommen. Darin werden einige Schwierigkei-
ten bei der Vereinbarkeit von Familie und Dienst sowie
bei der Teilzeitarbeit beschrieben. Teilzeitarbeit steht bei
den meistgenannten Problemen der Frauen in der Bun-
deswehr an zweiter Stelle. Bei den Männern steht das
Problem der Vereinbarkeit immerhin auf Platz drei.

Meine Herren und Damen, wir wollen in Zukunft den
Anteil der Frauen in der Bundeswehr vergrößern. Frauen
wirken integrativ und steigern die Attraktivität der Bun-
deswehr. Die Attraktivität der Bundeswehr müssen aller-
dings auch wir steigern. Deshalb fordern wir in unserem
Antrag, dafür Sorge zu tragen, dass zeitgemäße Kon-
zepte zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst entwi-






(A) (C)



(B) (D)


Hedi Wegener
ckelt werden. Die Zentrale Dienstvorschrift 10/1, die
heute Abend schon mehrfach genannt worden ist, führt
dazu aus:

Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Dienst ist eine wesentliche Führungsaufgabe.
Angemessene Rücksichtnahme auf familiäre und
partnerschaftliche Belange der Soldatinnen und
Soldaten bei der Umsetzung dienstlicher Erforder-
nisse ist eine dienstliche Pflicht aller Vorgesetzten
und der Personalführung.

Im Jahr 2008 haben von den 175 000 Soldaten knapp
60 000 ein oder mehr Kinder. Von den circa 15 000 Sol-
datinnen, die befragt worden sind, sind es knapp 2 400.
Im Übrigen sind auch das nicht besonders viele. Immer-
hin nutzen heute circa 800 Soldaten die Elternzeit, und
an 37 Standorten – der Herr Minister hat es gesagt – gibt
es Eltern-Kind-Zimmer. Herr Minister Jung, als flächen-
deckend würde ich das aber nicht bezeichnen.

In einer Broschüre der Bundeswehr heißt es:

Die Attraktivität des Dienstes und damit der Erfolg
der Personalgewinnung und -bindung ist maßgeb-
lich von der Vereinbarkeit von Familie und Dienst
in den Streitkräften abhängig.

Auch der Bericht des Wehrbeauftragten macht deutlich,
dass es hier dringenden Verbesserungsbedarf gibt. Ge-
rade heute Morgen hat der Wehrbeauftragte seinen Jah-
resbericht 2008 vorgestellt, über den wir noch diskutie-
ren werden. Von ihm haben wir gehört, dass sich die
Zahl der Eingaben zu diesem Thema verdreifacht hat.

Herr Keskin, in einem Punkt haben Sie in jedem Falle
nicht recht. Sie haben gefordert, dass der Wehrbeauf-
tragte ohne Anmeldung zu den Soldaten geht. Dies tut er
jetzt schon. Er sagt es vorher natürlich nicht immer den
Abgeordneten, weil diese dann, wenn sie besonders me-
diengeil sind, noch vor dem Besuch des Wehrbeauftrag-
ten zur Presse gehen. Dies funktioniert natürlich nicht.
Ich halte es für gut, dass er auch heute schon in die
Standorte geht, ohne sich anzumelden. Über dieses
Thema werden wir aber noch sprechen.

Herr Robbe macht auf ein weiteres Problem aufmerk-
sam: dass wir uns in Zukunft in stärkerem Maß der
Pflege und Betreuung der Familienangehörigen im Aus-
land widmen müssen. Dies ist bei uns im Ausschuss ein
ständiges Thema.

Meine Herren und Damen, generell kann zwar gesagt
werden, dass die Integration der Frauen in die Streitkräfte
funktioniert. Es sollte uns aber zu denken geben, dass im-
mer noch ein Drittel der Männer glaubt, dass die Bundes-
wehr mit Frauen an Kampfkraft verliere, und ein Viertel
glaubt, die eigene Einheit wäre ohne Frauen besser. Der
Bericht des Wehrbeauftragten zitiert ein typisches Bei-
spiel für die in Männerköpfen scheinbar herrschende
Denkweise. So äußerte sich ein Bataillonskommandeur
zur Anwesenheit einer Soldatin: Das ist ja gut, dann ha-
ben wir jemanden, der den Tisch abräumt. – Im normalen
Leben würde frau sagen: „Blödmann, mach doch deinen
Kram alleine“. Bei der Bundeswehr geht das aber leider
nicht, erst recht nicht bei Vorgesetzten. Hier ist also noch
einiges zu tun.

Ich weiß aber, dass dieses Thema beim General-
inspekteur in guten Händen ist. – Ich vermute, Herr Ge-
neralinspekteur, dass Sie sich bei solchen Vorkommnis-
sen auch manchmal die Haare raufen.

Meine Herren und Damen, in einer Broschüre der
Bundeswehr heißt es:

Die Attraktivität des Dienstes und damit der Erfolg
der Personalgewinnung und -bindung ist maßgeb-
lich von der Vereinbarkeit von Familie und Dienst
in den Streitkräften abhängig.

Daran wollen wir uns halten. Wir wollen weiterhin daran
arbeiten, dass die Attraktivität der Bundeswehr steigt
und es mehr Frauen in der Bundeswehr gibt. Letzteres
richte ich besonders an die jungen Damen, die auf der
Tribüne sitzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621420800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses auf Drucksache 16/12071. Unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss
die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU
und SPD auf Drucksache 16/8378 mit dem Titel „Kon-
zept der Inneren Führung stärken und weiterentwi-
ckeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU
und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8376 mit dem Titel „Innere
Führung stärken und weiterentwickeln“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi-
tion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/8370 mit dem Titel „Bundeswehr – Innere Führung
konsequent umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen
der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Kostenpflichtige Service-Telefonnummer der
Arbeitsagentur in eine gebührenfreie Rufnum-
mer umwandeln

– Drucksachen 16/9097, 16/11802 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Mast

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Katja Mast, SPD-Fraktion.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1621420900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Menschen in Arbeit vermitteln und ihnen neue
Chancen auf Teilhabe geben – das waren unsere Ziele
bei der Umwandlung der alten Arbeitsämter zu moder-
nen, kundenorientierten Agenturen für Arbeit. Wir ha-
ben die früheren Arbeitsämter umgekrempelt und die
Mitarbeiter von Papierkram entlastet; denn klar ist: Je
mehr Zeit für die persönliche Beratung zur Verfügung
steht, umso schneller findet der oder die Arbeitsuchende
wieder einen Job.

Doch damit nicht genug: Um unser Ziel, mehr Zeit für
persönliche Gespräche zu schaffen, zu erreichen, muss-
ten weitere Schritte gegangen werden. Deshalb wurden
für Standardanfragen Servicetelefonnummern eingerich-
tet. Die telefonische Beratung hat sich in den letzten
zehn Jahren stark verbessert. Während Ende der 90er-
Jahre nur 30 Prozent der Kundenanfragen ihr tatsächli-
ches Ziel erreichten, haben wir heute eine durchschnittli-
che Erreichbarkeit von über 80 Prozent. Der Antrag,
über den wir heute beraten, geht darauf ein.

Lassen Sie mich aber noch kurz zur aktuellen Lage
kommen. Gerade in der Wirtschaftskrise brauchen wir
mehr Zeit für die Vermittlung und deshalb mehr Vermitt-
ler für Arbeitsuchende. Aus diesem Grund haben wir im
Rahmen unserer Konjunkturprogramme I und II dafür
gesorgt, dass sich zusätzlich 5 000 Vermittlerinnen und
Vermittler intensiv um die Vermittlung kümmern kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allein im Jahr 2007 gingen 50 Millionen Anrufe bei
den Telefoncentern der Arbeitsagenturen, der Familien-
kassen und zahlreicher Arbeitsgemeinschaften ein. Dies
zeigt: Unsere Strategie stimmt. Der Beratungsservice am
Telefon wird von den Kunden angenommen. Als Bun-
destagsabgeordnete aus einem Flächenwahlkreis ist mir
klar, woran das liegt. Beispielsweise braucht ein Bewoh-
ner aus Sternenfels bis zur Familienkasse in Nagold
zweieinhalb Stunden. Heute ruft er einfach an. Per Tele-
fon geht das schnell, direkt und unbürokratisch.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist doch überhaupt nicht das Thema!)

Das ist der Grund, weshalb die Menschen froh sind, dass
es Servicehotlines gibt: Sie können anrufen, kommen
gut durch und werden beraten.

Die durchweg hohe Kundenzufriedenheit – das ergibt
die Evaluation der Servicetelefone durch die Bundes-
agentur für Arbeit – und die große Nachfrage zeigen, dass
wir auf einem guten Weg sind. Aber wir wissen, dass wir
noch ein Stück des Weges vor uns haben; denn wir wol-
len uns damit nicht zufriedengeben. Wir wollen die welt-
beste Arbeitsvermittlung. Dazu gehören die Kundenser-
vicehotlines.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute diskutieren wir über die Frage: Muss ich für
diesen zusätzlichen Telefonservice Gebühren zahlen? In
diesem Fall handelt es sich wohlgemerkt nicht um Ge-
bühren an die Bundesagentur für Arbeit – dies könnte
man, wenn man will, dem Antrag entnehmen –, sondern
um Gebühren an die Deutsche Telekom, und zwar zum
normalen Ortstarif. Aktuell betragen die von den Anru-
fern aus dem Festnetz zu tragenden Gebühren 3,9 Cent
pro angefangener Minute. Auf das Jahr gerechnet entste-
hen durchschnittlich Kosten von 1 bis 2 Euro, insbeson-
dere auch deshalb, weil man sich von der Bundesagentur
für Arbeit zurückrufen lassen kann und die Dauer der
Telefonate deshalb relativ kurz ist.


(Zurufe von der LINKEN)


Die SPD-Bundestagsfraktion steht zur Selbstverwal-
tung der Bundesagentur für Arbeit. Der Verwaltungsrat
ist aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie
Vertretern des Bundesministeriums und der Landes-
arbeitsministerien zusammengesetzt. Dieser Verwal-
tungsrat genießt unser Vertrauen; dies bedeutet gleich-
zeitig Verantwortung.

Bei der Modernisierung der Arbeitsvermittlung haben
wir deshalb eine Dreiteilung der Verantwortlichkeiten
eingeführt: Die Politik setzt die Rahmenbedingungen,
das Bundesarbeitsministerium gewährleistet, dass Ge-
setze und sonstiges Recht beachtet werden, und ein star-
ker Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan der Bun-
des-agentur für Arbeit sorgt für die Zweckmäßigkeit und
Durchführung der Arbeitsvermittlung selbst und ist auch
Kümmerer im Hinblick auf den Servicegedanken bei der
Arbeitsvermittlung.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Der Verwaltungsrat ist „Kümmerer“? Sehr interessant!)


Die Sozialdemokraten sehen in einer gebührenfreien
Servicetelefonnummer ein berechtigtes Anliegen einer
modernen Dienstleistungseinrichtung, die aus Beitrags-
und Steuermitteln finanziert wird.

Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, finden, dass es
aber nicht Aufgabe des Parlaments ist, sich in jede orga-
nisatorische Detailfrage der Bundesagentur für Arbeit
einzumischen. Wir sind der festen Überzeugung, dass
diese operativen Fragen bei den Mitgliedern des Verwal-
tungsrats der Bundesagentur für Arbeit in guten Händen
sind, daher auch dort zu klären sind und hoffentlich bald






(A) (C)



(B) (D)


Katja Mast
in unserem Sinne einer kostenfreien Servicehotline ent-
schieden werden.


(Beifall bei der SPD)


Weil wir aber der Auffassung sind, dass dies eine Frage
der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit ist,
lehnen wir den vorliegenden Antrag ab.

Jetzt bleiben mir noch zwei Minuten und 30 Sekun-
den Redezeit. Ich schenke sie meinen Kolleginnen und
Kollegen als Lebenszeit und schließe damit meinen Re-
debeitrag.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621421000

Der Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP-Fraktion, hat

seine Rede zu Protokoll gegeben.1)

Ich erteile dem Kollegen Paul Lehrieder, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1621421100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und

Herren Kollegen! Es passiert selten, dass die Linkspartei
die Arbeit der Regierungskoalition in einem ihrer An-
träge lobt. Wenn das, wie heute, einmal der Fall ist, freut
uns das natürlich, Herr Claus, auch wenn Ihr Lob leider
etwas versteckt daherkommt.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Was? Wieso? Der erste Satz!)


Darüber kann man sich wirklich freuen: dass die Bun-
desagentur für Arbeit bürgernahe telefonische Beratung
anbietet, seit sich die Arbeitsverwaltung dank der umfas-
senden Reformen der Großen Koalition von einer
schwerfälligen Behörde zu einer modernen Dienstleis-
tungsbehörde am Arbeitsmarkt gewandelt hat. Unser
Ziel war es, sie so weit wie möglich an den Bedürfnissen
der von ihr betreuten Kunden auszurichten. Auch des-
halb wurde das Modell des Kundenzentrums zum Herz-
stück der Reform der Organisation der Arbeitsverwal-
tung. Um die Arbeitsabläufe möglichst reibungslos zu
gestalten, den Kunden als Menschen in den Mittelpunkt
zu stellen und ihm so kompetent und so schnell wie
möglich zu helfen, hat die Bundesagentur für Arbeit
52 Servicecenter eingerichtet. Hier nehmen etwa
3 000 Mitarbeiter für 480 Arbeitsagenturen telefonische
Anfragen entgegen.

In einem „Selbstversuch“ konnte sich mein Büro da-
von überzeugen, dass – jenseits der sonst für Hotlines oft
typischen minutenlangen Wareschleifen – Anrufe bereits
nach wenigen Sekunden entgegengenommen wurden.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Habt ihr das schon einmal ausprobiert?)


– Ja, natürlich, Frau Reinke.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Sogar auf Bundestagskosten!)


1) Anlage 2
Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich weiß, wovon ich
rede. – Die Menüstruktur der Hotline ist zudem über-
sichtlich und leicht verständlich. Es werden Fragen zu
Hartz IV und Kindergeld, zur Berufsberatung und zur
Ausbildungsvermittlung beantwortet. Auch bei Fragen
zum persönlichen Fall eines Betroffenen wird kompetent
weitergeholfen.

Sicherlich könnte auch hier noch das eine oder andere
verbessert werden. So könnte zum Beispiel die Möglich-
keit, sich über die Servicenummer arbeitsuchend zu mel-
den, für den Anrufer noch besser herausgestellt werden.
Bisher ist sie unter dem Menüpunkt „Andere Anliegen“
versteckt.

Am Service macht die Linkspartei ihre Kritik aber gar
nicht fest. – Herr Claus, Sie müssen schon zuhören. – Sie
hat sicher lange gesucht, bis sie endlich glaubte, mit der
Gebühr von 3,9 Cent pro Minute ein Haar in der Suppe
gefunden zu haben. Die Arbeitsagenturen würden durch
die Hotline entlastet, gäben die Einsparungen aber nicht
an die Kunden weiter, heißt es im Antrag der Linkspar-
tei.

Sie behaupten, die Bundesagentur für Arbeit stelle da-
mit die Qualität ihrer Beratungsdienste infrage und
bürde den Arbeitslosen erhebliche Kosten auf. Sie tun
so, als hätte die Bundesagentur für Arbeit ihre Service-
nummer nur im eigenen Interesse, zur eigenen Entlas-
tung und Rationalisierung eingerichtet


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)


und ihre Kunden einer teuren kommerziellen Hotline
ausgeliefert, die nur die Taschen des Anbieters füllt. So
diskreditieren Sie letztlich die Absichten der Bundes-
agentur für Arbeit.


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)


Sie verknüpfen Dinge, die nichts miteinander zu tun
haben.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das steht doch gar nicht drin!)


Die Entlastung der Arbeitsagenturen durch die Service-
telefonnummer und die Kosten dafür laufen auf ver-
schiedene Ebenen. Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst,
dass Entlastungen nicht nur in Form von Geld, sondern
auch in Gestalt kürzerer Bearbeitungszeiten, qualitativ
besserer Beratung und letztlich von Lebensqualität wei-
tergeben werden können. Die Servicecenter setzen sich
mit den Problemen der Bürgerinnen und Bürger direkt
auseinander und können vieles schon im Vorfeld durch
eine einfache Auskunft klären. So werden die Arbeits-
vermittler vor Ort entlastet. Sie haben nun freie Kapazi-
täten und können sich stärker auf ihre Hauptaufgabe
konzentrieren: Arbeitslose wieder in Arbeit zu vermit-
teln. Ich glaube, da ziehen wir am selben Strang.

Am meisten profitieren aber die Menschen, die auf
ihre örtliche Arbeitsagentur angewiesen sind. Zu den
früheren Zuständen wird sicher niemand mehr zurück
wollen. Wenn Sie, liebe Kollegen von der Linkspartei,
einmal mit Betroffenen gesprochen hätten, hätten sie Ih-
nen sicherlich berichtet, wie das war: Wer nämlich noch






(A) (C)



(B) (D)


Paul Lehrieder
vor wenigen Jahren mit seinem zuständigen Arbeitsamt
verbunden werden wollte, hatte oft mit langen Warte-
schleifen und besetzten Leitungen zu kämpfen. Er
musste es in vielen Fällen mehrmals probieren, bis er mit
seinem Sachbearbeiter sprechen konnte. Dafür mussten
auch damals schon Telefongebühren aus eigener Tasche
gezahlt werden. Unter dem Strich kostete das sicher um
einiges mehr als die 3,9 Cent, die jetzt pro Minute zu
zahlen sind, ganz zu schweigen von den Gebühren, die
vor der Telekom-Privatisierung fällig waren.

Es kann also keine Rede davon sein, dass Arbeitslose
über die Servicenummer zusätzlich zur Kasse gebeten
werden. Die Zahlen, um die es hier geht, müssen wir ins
rechte Licht rücken: 3,9 Cent pro Minute kostet ein An-
ruf bei der Servicehotline der Arbeitsagentur. Ein Anruf
beim Servicecenter wird in durchschnittlich zwei bis
fünf Minuten bearbeitet, wie mir eines der Servicecenter
auf Anfrage mitteilen konnte. Damit reden wir von Kos-
ten zwischen 7,8 und 19,5 Cent pro Anruf. Jeder wird
sich sicherlich ausrechnen können, was es kosten würde,
wenn die örtlichen Arbeitsagenturen stattdessen mit öf-
fentlichen Verkehrsmitteln aufgesucht werden müssten.
Die Kosten für Fahrscheine liegen nicht im Centbereich,
sondern in vielen Fällen bei 2 Euro. Betroffene, die nicht
in der Stadt, sondern in ländlichen Gebieten leben, wer-
den noch um einiges tiefer in die Tasche greifen müssen,
wenn sie ihre Arbeitsagentur direkt mit dem ÖPNV oder
auch mit dem eigenen Kfz erreichen wollen. Bis zur
Höhe von 6 Euro muss die Fahrt zur Arbeitsagentur im
Übrigen von den Arbeitslosen selbst getragen werden;
das ist Ihnen sicherlich bekannt.

Ich könnte noch einiges zu diesem Thema sagen. Ich
möchte aber das gute Beispiel der Kollegin Mast auf-
greifen und Ihnen die verbleibenden drei, vier Minuten
Redezeit als verbleibende Lebensarbeitszeit schenken.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621421200

Ich gebe das Wort dem Kollegen Roland Claus, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621421300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zugegeben, ich habe gegen Anträge der Fraktion Die
Linke in diesem Haus schon weitaus klügere Argumente
als die soeben von den Vorrednern vorgetragenen gehört.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Ich habe auch schon klügere Anträge gehört!)


– Geben Sie es einmal zu Protokoll, dass wir fast aus-
schließlich sehr kluge und gute Anträge einbringen.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt!)

Der Vorschlag der Fraktion Die Linke lautet: Die bun-
desweite Servicetelefonnummer der Arbeitsagentur soll
für Anrufende kostenfrei sein.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Schon wieder verdreht!)


Es geht nicht darum, dass wir die Möglichkeit der Te-
lefonberatung infrage gestellt hätten; das haben wir
überhaupt nicht getan. Wir haben auch nichts – das
wurde uns vorhin unterstellt – in unserem Antrag ver-
steckt, sondern das wird gleich im ersten Satz hervorge-
hoben. Wir wollen, dass es kostenfrei geschehen kann.
Die Linke schlägt zur Finanzierung vor, dass die Kosten
mit dem Rahmenvertrag zwischen Bundesagentur und
Telekom abgegolten werden; dafür gibt es allemal Spiel-
raum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag hätte
es heute in der Hand gehabt, eine kleine Verbesserung
der Lebenslage von Arbeitsuchenden zu beschließen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht immerhin um 7 Millionen Menschen, die
ALG II beziehen; durch den Fortgang der Krise werden
mehr Menschen davon betroffen sein. Bekanntlich hat
allein VW angekündigt, in diesem Jahr alle 16 500 Leih-
arbeiterstellen zu streichen.

In diesem Hause sind 480 Milliarden Euro zur Ban-
kenrettung in einer historischen Schrecksekunde be-
schlossen worden. 4 Cent pro Gesprächsminute sollen
nicht drin sein? Ich bitte Sie! Das ist doch absurd. Wa-
rum folgen Sie unserem Antrag nicht?


(Beifall bei der LINKEN)


Ich gebe zu: Ich konnte mir bis eben nicht vorstellen,
dass Sie den Antrag wirklich ablehnen wollen. Ich
dachte, das läuft anders, so wie wir es auch aus dem
Bundestag kennen. Ich dachte, dass Sie uns wortreich,
sozusagen im Würgegriff des Sachzwanges, erklären,
warum das alles nicht geht, dann aber wenigstens – auch
das kennen wir – einen ähnlichen Koalitionsantrag nach-
schieben, mit dem Sie dieses Anliegen bedienen.


(Andrea Nahles [SPD]: Sie haben nicht verstanden, dass es um Selbstverwaltung geht!)


Sie aber sagen dazu Nein.

Die SPD hat sich jetzt selbst verordnet, öffentlich
nicht mehr von dem Begriff Agenda 2010 zu reden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, die Schere
der Agenda 2010 haben Sie aber offenbar noch immer
im Kopf, und das ist fatal.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun will ich mich kurz mit den Einwänden beschäfti-
gen:

Zum einen sagt man: Das kostet nicht viel. Was aber
ist „nicht viel“? Ich denke, wir alle als Bundestagsabge-
ordnete haben keine Ahnung davon, was von Arbeitslo-
sigkeit Betroffene an Lebenslagen in diesem Lande er-
dulden müssen. Wir sollten uns dieses Argument nicht
zu eigen machen.






(A) (C)



(B) (D)


Roland Claus
Weiter sagen Sie: Die reden da vielleicht zu lange. Ich
kann nur zurückfragen: Wollen wir die Leute zum
Schweigen bringen, oder wollen wir ihnen helfen?


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Es hat doch kein Mensch gesagt, dass sie zu lange reden!)


Schließlich kommen Sie mit dem wirklich absurden
Argument, dass die Bundesregierung der BA nicht hi-
neinreden könnte. Dabei weiß niemand besser als die
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wie oft gerade
dieses Bundesministerium in die BA hineinregiert. Das
ist doch nun wirklich ein alter Hut. Da lachen ja die
Hühner.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbst wenn Sie mit dem Kostenargument recht hät-
ten: All das, was hier passiert, ist immer ein Akt der
Entwürdigung und Diskriminierung. In unserem Grund-
gesetz heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantast-
bar“. Es gibt danach aber einen zweiten Satz: „Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt“. Während der erste Satz also gewissermaßen
ein Gebot ist, ist der zweite Satz ein Staatsauftrag. Die-
sen Staatsauftrag negieren Sie, wenn Sie sich hier einem
so einfachen Vorschlag widersetzen.


(Andrea Nahles [SPD]: Sie reden völlig an der Sache vorbei!)


Meine Damen und Herren, ein ganz kleines Stück die-
ser versagten Würde hätten wir den Betroffenen heute
zurückgeben können. Selbst dazu sind Sie nicht bereit.
Sie sind und bleiben offenbar eine Große Koalition der
sozialen Kälte. Es tut mir leid.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Oje! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das muss Ihnen gar nicht leidtun!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621421400

Die Kollegin Brigitte Pothmer hat ihre Rede zu Proto-

koll gegeben.1)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kostenpflichtige Ser-
vice-Telefonnummer der Arbeitsagentur in eine gebüh-
renfreie Nummer umwandeln“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11802, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/9097 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.

1) Anlage 2
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Con-
terganstiftungsgesetzes

– Drucksache 16/12413 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Antje Blumenthal, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])



Antje Blumenthal (CDU):
Rede ID: ID1621421500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Debatte am 22. Januar dieses Jahres zu unserem
Antrag „Angemessene und zukunftsorientierte Unter-
stützung der Contergangeschädigten sicherstellen“ ha-
ben wir unseren Gesetzentwurf angekündigt. Ich habe
damals gesagt, dass wir die Hände nicht in den Schoß le-
gen werden.

Mit unserem heute vorgelegten Gesetzentwurf bewei-
sen wir, dass wir die Probleme der contergangeschädig-
ten Menschen angepackt haben und Lösungen vorlegen.
Die Lösungen weisen deutliche Verbesserungen für die
Betroffenen aus.

Natürlich haben die Meinungen der Betroffenen auch
unsere Beratungen bestimmt. Aber durch ihre Uneinig-
keit war das leider nicht immer ganz einfach. Uns ist be-
wusst, dass wir es nicht allen recht machen können, aber
ich denke, wir erreichen mit diesem Gesetzentwurf ein
gutes Ergebnis.

Ich freue mich sehr – lassen Sie mich dies als ersten
Punkt nennen –, dass wir uns über die Öffnung der Aus-
schlussfrist einigen konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, das ist ein Meilenstein für die Betroffenen,
aber auch für uns Parlamentarierinnen und Parlamenta-
rier der Großen Koalition. Ich habe mir das im Januar
noch nicht vorstellen können, aber es ist geglückt.


(Christel Humme [SPD]: Ausdauer zahlt sich aus!)


Bisher konnten nur bis zum 31. Dezember 1983 ge-
stellte Anträge anerkannt werden. Nach diesem Zeit-
punkt gestellte Anträge mussten wegen Fristversäumnis
abgelehnt werden. Nun öffnen wir die Ausschlussfrist
vom 1. Juli 2009 bis zum Dezember 2010. Die Betroffe-
nen erhalten damit die Möglichkeit, in diesem Zeitraum
von 18 Monaten einen neuen Antrag zu stellen und da-






(A) (C)



(B) (D)


Antje Blumenthal
mit Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz zu
beantragen. So wie die bisher Leistungsberechtigten ihre
Leistungen beziehen, gilt das dann auch für die neu An-
erkannten.

Nicht nur die Menschen, die bisher von der Aus-
schlussfrist betroffen waren, werden bei Anerkennung
ihrer Schädigungen eine finanzielle Unterstützung erhal-
ten. Auch die bereits jetzt Leistungsberechtigten erhalten
noch ab diesem Jahr eine jährliche Sonderzahlung. Die
Firma Grünenthal hat zugesagt, 50 Millionen Euro in die
Conterganstiftung einzuzahlen. Weitere 50 Millionen
Euro werden aus dem Stiftungsvermögen der Contergan-
stiftung aufgebracht. Diese insgesamt 100 Millionen Euro
erhalten die Betroffenen und die nachträglich anerkannten
contergangeschädigten Menschen über einen Zeitraum
von 25 Jahren. Das sind bis zu maximal 4 000 Euro je
nach Schweregrad der Behinderung.

Wir wurden oft gefragt, warum die 100 Millionen
Euro nicht sofort ausgeschüttet werden. Wir haben auch
lange über diese Möglichkeit diskutiert. An die durch-
schnittliche Lebenserwartung eines Menschen ange-
lehnt, war zunächst an einen Auszahlungszeitraum von
35 Jahren gedacht worden. Aber auch hier sind die For-
derungen der Betroffenen unterschiedlich. Einige verlan-
gen die sofortige Auszahlung, andere wünschen sich,
dass die Sonderzahlungen gestaffelt werden. Der nun
festgelegte Zeitraum von 25 Jahren gewährleistet den
Betroffenen eine dauerhafte finanzielle Zusatzleistung,
die durch Zins und Zinseszins größer ausfällt als eine
einmalige Ausschüttung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Damit die jährlichen Sonderzahlungen an die Menschen
vollständig ausgezahlt werden können, wird der Bund
die Verwaltungskosten der Stiftung vollständig und ohne
Minderung übernehmen.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Schritt ist es,
die Stiftung umzustrukturieren. Bisher sah der Stiftungs-
zweck vor, einerseits monatliche Leistungen für die con-
tergangeschädigten Menschen zu erbringen und anderer-
seits Projekte generell für behinderte und damit nicht nur
für contergangeschädigte Menschen zu fördern. Uns war
es wichtig, dass die Stiftungsgelder ausschließlich den
contergangeschädigten Menschen zugute kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb sollen auch nur noch Projekte unterstützt wer-
den, die den Conterganopfern helfen. Demzufolge kann
der Stiftungsrat von 15 auf maximal 7 Mitglieder ver-
kleinert werden, da die Vertreter der Wohlfahrtspflege,
der Sozialhilfeträger und der Behindertenorganisationen
nicht mehr erforderlich sind. Viele Betroffene haben den
Wunsch geäußert, mehr Mitspracherecht bei der Stiftung
zu erhalten.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)


– Herr Seifert, hören Sie bitte zu! – Wir sind diesem
Wunsch nachgekommen und haben festgelegt, dass nun
zwei contergangeschädigte Menschen im Stiftungsrat
vertreten sein werden.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Wie großzügig!)


Die Betroffenen selbst können durch Wahlen entschei-
den, wer diese zwei Vertreterinnen oder Vertreter sind.
Weiter ist vorgesehen, dass auch eine contergangeschä-
digte Person im Stiftungsvorstand sitzen wird.

Bereits in der Anhörung im letzten Jahr hat uns eine
Stiftungsexpertin Hinweise gegeben, wie die Stiftung ef-
fizienter arbeiten kann. Deshalb werden die Zuständig-
keiten zwischen dem Stiftungsrat und dem Stiftungsvor-
stand neu geregelt und klar getrennt. Der Stiftungsrat
soll als Kontroll- und Aufsichtsorgan fungieren und
grundsätzliche Fragen entscheiden, während der Vor-
stand die Entscheidungen ausführt. Wir versprechen uns
dadurch eine effizientere Arbeit der Stiftung. Diese wol-
len wir noch erhöhen, indem wir die Stiftungsaufgaben
in Vermögensverwaltung, Beratung und Auszahlung der
Leistungen neu aufteilen. Dadurch werden wir die Ver-
waltungskosten weiter reduzieren können.

Ob es in Zukunft eine Geschäftsstelle geben wird, die
für die Beratung der Betroffenen, Koordination, Projekt-
förderung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, wird
sich zeigen, wenn die Umstrukturierung der Stiftung
stattfindet.

Wie Sie sehen, haben wir viel erreicht. Ich möchte
noch ein weiteres Beispiel bringen, das zeigt, dass wir
die Nöte der contergangeschädigten Menschen nicht nur
sehen, sondern diese auch schnell lösen können. Uns er-
reichten in letzter Zeit Briefe von Betroffenen, die in der
gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert
sind. Ihre monatliche Unterstützungsleistung wird von
den Krankenversicherungen als beitragspflichtige Ein-
nahme angesehen. Wir haben darauf sofort reagiert und
im Gesetzentwurf klargestellt, dass die Leistungen auch
für freiwillig Versicherte anrechnungsfrei sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist, glaube ich, niemandem zu vermitteln, dass für ein
und dieselbe Leistung unterschiedliche Entscheidungen
getroffen werden. Damit können sich die Krankenkassen
jetzt nicht mehr herausreden.

In unserem Antrag im Januar hatten wir angekündigt,
eine mögliche Dynamisierung der monatlichen Leistun-
gen zu prüfen. Wie Sie dem Gesetzentwurf entnehmen
können, wird künftig die monatliche finanzielle Unter-
stützung dynamisiert und somit an die Steigerung der ge-
setzlichen Renten automatisch angepasst. Ich spreche
hier bewusst von der „monatlichen finanziellen Unter-
stützung“. Auch dies ist eine Forderung der Betroffenen.
Sie finden den Begriff „Rente“ nicht zutreffend und wol-
len eine klare Abgrenzung zum Rentenbegriff.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sie wollen eine Entschädigung!)


Ich denke, mit diesem Gesetz werden wir den Betrof-
fenen in Zukunft ein Stückchen mehr gerecht werden.
Viele Wünsche und Forderungen werden mit diesem Ge-
setzentwurf umgesetzt. Da im Mai eine Anhörung zu un-
serem Gesetzentwurf durchgeführt wird, haben die






(A) (C)



(B) (D)


Antje Blumenthal
Betroffenen noch einmal die Gelegenheit, Stellung zu
nehmen. Ich hoffe, gemeinsam mit den Betroffenen und
Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, zu
einem erfolgreichen Abschluss zu kommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621421600

Ich gebe das Wort dem Kollegen Heinrich Kolb,

FDP-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1621421700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Debatten über die Belange contergangeschädigter Men-
schen sind keine einfachen Debatten. Ich finde es gleich-
wohl erfreulich, dass wir heute erneut darüber debattie-
ren können und dass es uns absehbar wohl gelingt, die
Leistungen für den Kreis der Betroffenen zu verbessern.
Im letzten Jahr konnten wir mit der Zustimmung aller
Fraktionen des Hauses eine Verdoppelung der monatli-
chen Renten – künftig: monatliche finanzielle Unterstüt-
zung – erreichen. Heute gehen wir den ersten Schritt hin
zu einer jährlichen Einmalzahlung und einer automati-
sierten Dynamisierung der monatlichen Rente. Bei allen
verständlichen Frustrationen, die die Betroffenen ob der
Politik der letzten Jahrzehnte im Bereich Contergan er-
fahren haben, halte ich das im letzten Jahr Erreichte für
sehr bemerkenswert, wobei sich die FDP – das will ich
sehr deutlich sagen – immer dessen bewusst ist, dass alle
Leistungen den gesundheitlichen Schaden und die seeli-
sche Belastungen der Betroffenen nicht wirklich werden
ausgleichen können.


(Beifall bei der FDP – Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sehr wahr!)


Am 22. Januar 2009 hat der Deutsche Bundestag ei-
nem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und
der FDP zur Sicherstellung einer angemessenen zu-
kunftsorientierten Unterstützung contergangeschädigter
Menschen zugestimmt. In ihrer Rede zu diesem Antrag
hat meine Fraktionskollegin Ina Lenke Gemeinsamkei-
ten betont, aber auch deutlich gemacht, dass einige For-
derungen der FDP über den gemeinsam mit der Koali-
tion beschlossenen Antrag hinausgehen. Für die FDP-
Fraktion sah sie insbesondere bei zwei Punkten keinen
Prüfbedarf mehr bzw. hielt diese für umsetzungsreif.
Diese beiden Punkte waren die Dynamisierung des Ren-
tenanspruchs und die Streichung des Fristausschlusses.
Frau Kollegin Blumenthal, ich begrüße grundsätzlich,
dass sich die Koalition dieser Auffassung mit dem vor-
liegendem Gesetzentwurf weitgehend angenähert hat.
Allerdings sehen wir noch immer Änderungsbedarf:

Ich beginne – erster Punkt – mit der Dynamisierung
des Rentenanspruchs. Vor der Erhöhung der Contergan-
renten zum 1. Juli 2008 erfolgte die letzte Rentenerhö-
hung für Conterganopfer zum 1. Juli 2004. Diese langen
Zeiträume zwischen den Anpassungen sind unbefriedi-
gend, da die Inflation die Rentenerhöhung aushöhlt. Die
prozentuale jährliche Anpassung der gesetzlichen Rente
auf die Conterganrenten zu übertragen, ist ein aus unse-
rer Sicht gangbarer und unbürokratischer Weg der Dyna-
misierung. Wir sind aber der Meinung, dass gleichzeitig
die monatliche Zahlung in geeigneten Zeiträumen, zum
Beispiel alle fünf Jahre, grundlegend überprüft werden
sollte, da mit fortschreitendem Alter der Contergange-
schädigten der Hilfebedarf weiter zunehmen dürfte. Frau
Kollegin Blumenthal, hier hätte die FDP gerne eine ent-
sprechende Klarstellung im Gesetz.

Der zweite Punkt ist der Fristausschluss. Bis zum
31. Dezember 1983 mussten Ansprüche bei der Stiftung
„Hilfswerk für behinderte Kinder“, die 2005 in
„Conterganstiftung für behinderte Menschen“ umbe-
nannt wurde, geltend gemacht werden, um einen An-
spruch auf Zahlung zu erhalten. Der Gesetzgeber ging
davon aus, dass diese Frist ausreichend ist. Wir wissen
nunmehr alle, dass diese Annahme nicht zugetroffen hat.
Ich kann nicht verstehen, dass diese alte Frist jetzt durch
eine neue Frist bis zum 31. Dezember 2010 ersetzt wird.
Die FDP hält diesen Zeitraum für zu kurz, da auch heute
noch Betroffene des Conterganskandals entdeckt wer-
den, die schon deshalb die Frist nicht wahrnehmen kön-
nen, weil sie von ihrer Betroffenheit nichts wissen. Das
gilt insbesondere dann, wenn Contergan auch innere Or-
gane geschädigt hat. Der Sinn der durch Gesetz vom
17. Dezember 1971 errichteten Stiftung des öffentlichen
Rechts ist und war es aber, Individualleistungen für alle
Behinderten, deren Fehlbildungen durch Thalidomid,
also Contergan, hervorgerufen wurden, zu erbringen.
Wer eindeutig zu dieser Gruppe gehört – dieser Meinung
bin ich schon, und dieser Meinung ist auch meine Frak-
tion –, muss auch Leistungen nach diesem Gesetz unab-
hängig von Ausschlussfristen erhalten können. Wenn der
vorliegende Gesetzentwurf davon ausgeht, dass 60 Pro-
zent all derjenigen, die noch Anträge auf Leistung stel-
len, nach dem Gesetz den Rentenhöchstsatz beziehen
werden, dann zeigt das aus meiner Sicht sehr deutlich,
dass die Fristsetzung falsch war und auch eine neue Frist
den Anforderungen wohl nicht gerecht werden wird.


(Beifall bei der FDP)


Ich will ganz deutlich sagen: Egal ob es sich um
100 oder 500 Personen handelt und egal in welchem
Umfang es gegebenenfalls Nachzahlungen geben wird,
die FDP ist für die sofortige Streichung sowohl der alten
als auch der neuen Frist. Das ist für uns der einzig ver-
nünftige Weg.


(Beifall bei der FDP)


Viele der weiteren im Gesetz vorgesehenen Regelun-
gen kann die FDP unterstützen. Wir halten es für sinn-
voll, dass der Stiftungszweck sich künftig ausschließlich
auf Contergangeschädigte bezieht und damit der eigent-
liche Sinn der Stiftung nochmals unterstrichen wird. Es
ist auch richtig, den Verwaltungsapparat durch den Bund
zu finanzieren. Wir haben Zweifel, ob man tatsächlich
eine hauptamtliche Geschäftsführung benötigt. Sollte
diese Geschäftsführung aber tatsächlich eingerichtet
werden, plädieren wir dafür, dass auf jeden Fall ein oder
zwei Behinderte eingestellt werden, bevorzugt aus der
Gruppe der betroffenen Menschen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Ich komme zum Schluss. Die von der Grünenthal
GmbH eingebrachte Spende von 50 Millionen Euro
ermöglicht es, eine jährliche Sonderzahlung für den be-
sonderen Bedarf der contergangeschädigten Personen
auszuschütten. Darüber hinaus werden wir nochmals
50 Millionen Euro aus dem Stammvermögen der Stif-
tung unmittelbar an die leistungsberechtigten Personen
auszahlen. Der Kapitalstock der Stiftung wird bis auf ei-
nen Restbetrag von 7 Millionen Euro nach und nach auf-
gezehrt. Durch diese langfristige Kapitalisierung des
Stiftungsvermögens fließt dieses somit dem Kreis der
betroffenen Menschen zu, also denen, die einen An-
spruch darauf haben.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621421800

Herr Kollege Kolb, Sie müssen jetzt wirklich zum

Schluss kommen.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1621421900

Ja. – Insgesamt stehen den Betroffenen damit 100 Mil-

lionen Euro nebst Erträgen für die jährlichen Sonderzah-
lungen zur Verfügung. Die FDP hält den hier aufgezeig-
ten und eingeschlagenen Weg für gut und wird den
Gesetzentwurf unterstützen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621422000

Ich gebe das Wort der Kollegin Marlene Rupprecht,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1621422100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jahrelang beschäftigen wir uns jetzt mit den Folgen von
Contergan und den Schädigungen, die Menschen davon-
getragen haben, weil ihre Mütter in der Schwangerschaft
Thalidomid eingenommen haben. Rund 10 000 Kinder
wurden vor rund 50 Jahren weltweit geboren, die nicht
alle durch das Medikament Contergan, aber durch den
Wirkstoff Thalidomid geschädigt worden sind. Diese
10 000 Kinder kamen fehlgebildet zur Welt. In Deutsch-
land gibt es noch etwa 2 700 Menschen, die durch dieses
Schlafmittel geschädigt wurden. Die meisten betroffenen
Menschen haben versucht, ihr Leben trotz starker und
stärkster Behinderung zu leben und damit klarzukom-
men. Ich glaube, das hätten sie auch weiterhin so ge-
macht, wenn nicht im Fernsehen ein Film gelaufen wäre,
der alle aufgeschreckt und auch die gezeigt hat, die nicht
so tough sind, die nicht ohne Weiteres mit allen Schwie-
rigkeiten klarkommen. Manchmal wirken mediale Er-
eignisse sehr aufrüttelnd. In diesem Fall begrüße ich das
mediale Ereignis, weil es dazu beitrug, die ganze Proble-
matik noch einmal genauer anzuschauen. Wir haben in
drei Schritten darauf reagiert.

Der erste Schritt war, dass wir die monatlichen Zah-
lungen verdoppelt haben. Dass die betroffenen Men-
schen doppelte Leistungen erhalten, hat am 1. Juli des
letzten Jahres Gesetzeskraft erhalten. Ich glaube, dass
wir dafür im ganzen Haus Unterstützung hatten. Dafür
danke ich; denn trotz aller Wahlkampfankündigungen tut
es manchmal ganz gut, vernünftig miteinander zu spre-
chen, wenn es darum geht, etwas für betroffene Men-
schen zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der zweite Schritt war, einen Antrag zu stellen, in
dem all die Fragen behandelt werden, die die Menschen
betreffen, etwa: Wie kann man mit dem Verschleiß von
Gelenken oder der Wirbelsäule umgehen? Welche Hilfs-
mittel gibt es? Vor allem alte Menschen haben häufig
keine Hilfsmittel. Ein junger Mensch kann trainieren, bis
er mit den Zehen einen Stift halten kann, um zu schrei-
ben. Wer 65 Jahre alt ist, kann das nicht mehr ohne Wei-
teres, ebenso wenig wie er mit den Zähnen einen Reiß-
verschluss zuziehen kann. Wir haben relativ wenig
Erfahrung in diesem Bereich, und wir wollen, dass da-
rüber geforscht wird, wie geholfen werden kann, zum
Beispiel durch die Entwicklung von Hilfsmitteln. Eine
weitere in diesem Antrag gestellte Frage lautete: Welche
besonderen Bedürfnisse hat diese Gruppe Menschen? Es
sind nicht viele Bedürfnisse; ihre Anzahl ist überschau-
bar.

Wir wollen, dass Erfahrungen europaweit ausge-
tauscht werden, ungeachtet der Tatsache, dass – anders
als bei Contergan – die Einnahme eines Präparates, für
dessen Herstellung es eine Lizenz gab, nicht in die Zu-
ständigkeit des deutschen Staates fällt. Der Klarheit we-
gen muss man auch sagen: Für Schädigungen durch Mit-
tel, die nicht in Deutschland hergestellt wurden, sind wir
nicht zuständig.

In diesem Zusammenhang danke ich der FDP dafür,
dass sie diesen Antrag unterstützt hat. So wird deutlich:
Wir ziehen am selben Strang, auch wenn man das eine
oder andere im Laufe des Prozesses korrigieren muss.
Ich denke, die Fraktionen werden so viel Größe haben,
sich das noch einmal anzuschauen und im Dialog ver-
nünftige Lösungen zu finden.

Ich möchte an dieser Stelle zwei Frauen danken, die
ganz hervorragend verhandelt haben: Ich möchte
Christel Humme und Ilse Falk dafür danken, dass sie
sich mit Grünenthal zusammengesetzt haben,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


ohne dass es dafür eine Rechtsgrundlage gab; ich will
das hier betonen. Wir können im Nachhinein bedauern,
dass damals Verträge geschlossen wurden. Diese Ver-
träge sind vom Verfassungsgericht überprüft worden,
und man hat festgestellt: Juristisch lässt sich daran nichts
mehr ändern. Wir mussten also verhandeln.

Dieses Verhandlungsergebnis sind die 50 Millio-
nen Euro, die jetzt in die Stiftung einfließen. Die ersten
50 Millionen Euro, das heißt 100 Millionen DM, waren
längst aufgebraucht. Auch der Bund hatte in diese Stif-
tung 100 Millionen DM eingebracht; das muss man hier
ebenfalls sagen. Wir haben die Bundesmittel seit 1980
um 220 Millionen DM aufgestockt. Das heißt, in diese
Stiftung sind viele Bundesmittel geflossen; sonst hätten
die Leistungen nicht erbracht werden können.






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Rupprecht (Tuchenbach)


(Beifall der Abg. Ilse Falk [CDU/CSU])


Wir haben im Rahmen der vorherigen Gesetzgebung
und der Beratung des Antrages mit den Betroffenen ge-
sprochen. Für diejenigen, die erst sehr spät – beispiels-
weise als ihre Mutter auf dem Sterbebett lag – erfahren
haben, dass ihre körperlichen Beeinträchtigungen da-
durch verursacht waren, dass ihre Mütter Contergan ein-
genommen hatten, war mit dem Fristende in den
80er-Jahren die Tür zu. Das heißt, sie hatten keine
Chance mehr auf Entschädigung, auch wenn sie darauf
einen Anspruch hatten. Deshalb öffnen wir das Ganze
noch einmal. Wir wollen es nicht gänzlich öffnen, weil
die Zahl derer, die betroffen sind, überschaubar ist.

Diejenigen, die nun im Nachhinein vor allem im Hin-
blick auf Schädigungen innerer Organe untersucht wer-
den und untersucht worden sind, bekommen ab 1. Juli
2009 die Chance, bis zum 31. Dezember 2010 noch ein-
mal Anträge zu stellen. Wenn sie ihre Anträge in diesem
Jahr stellen, bekommen sie auch die jährliche Einmal-
zahlung bereits für das jetzt laufende Jahr.

Diejenigen, deren Anträge bislang aufgrund der Frist-
versäumnis abgelehnt wurden, werden wir anschreiben;
wir wollen also, dass sie darüber informiert werden, ei-
nen Antrag einreichen zu können. Wir wollen aber auch
über die Medien darauf hinweisen – ich nehme an, dies
wird das Ministerium machen –, dass jetzt noch einmal
die Chance besteht, seinen Antrag auf monatliche Leis-
tungen und Einmalzahlungen zu stellen.

Frau Blumenthal, ich sage es auch hier: Selbst wenn
wir manchmal hart miteinander gerungen haben und ich
zuweilen beinahe daran verzweifelt bin, dass wir genau
dann, wenn wir meinten, die letzte Mine geräumt zu ha-
ben, die nächste entdeckt haben, haben wir sie doch im-
mer wieder gemeinsam weggeräumt. Die letzte davon
haben wir noch am letzten Freitag miteinander aus der
Welt geschafft. Es war manchmal schwierig, aber wir
haben es geschafft, im Interesse der Betroffenen einen
vernünftigen, guten Gesetzentwurf vorzulegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auf dieses gemeinsame Ringen bezieht sich meine
Bitte an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
auch wenn wir jetzt Wahlkampf haben. Es gibt viele
Punkte, bei denen Sie sich gut profilieren können.
Selbstverständlich ist es auch Ihr Recht, uns vorzufüh-
ren, wenn Sie glauben, dass wir gravierende Fehler ge-
macht haben. Im Interesse der Menschen bitte ich aber
darum, dass wir im Gesetzgebungsverfahren – wir haben
heute die erste Lesung – ebenso, wie wir es bisher in der
Behindertenpolitik praktiziert haben, eng zusammenar-
beiten und das Gespräch suchen, wenn uns noch etwas
auffällt. Ich bitte darum, sich darauf verständigen zu
können. Es wäre für die Betroffenen ein gutes und auch
für uns ein würdiges Signal nach außen, dass wir eine
Lösung gefunden haben, wenn wir am 1. Juli sagen
könnten: Das Gesetz ist verabschiedet, es tritt in Kraft,
und die betroffenen Menschen haben etwas davon.

Wir haben uns vorgenommen, dass wir diese Rege-
lung in den nächsten 25 Jahren nicht wieder aufdröseln
und noch einmal von vorn beginnen. Vielmehr hoffen
wir, dass wir so gearbeitet haben, dass das Gesetz zu-
mindest diese Zahl von Jahren überdauert. Ich halte et-
was davon, Gesetze zu verabschieden, die nicht hingehu-
delt sind, wie man bei uns im Süddeutschen sagt,
sondern die fundiert und gut sind. Ich bin davon über-
zeugt; ansonsten würde ich heute nicht hier stehen und
es vertreten. In diesem Sinne hoffe ich auf die Unterstüt-
zung aller in diesem Hause.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621422200

Nächster Redner ist der Kollege Ilja Seifert, Fraktion

Die Linke.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621422300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Heute, genau heute tritt die
UNO-Behindertenrechtskonvention für Deutschland in
Kraft. Seit heute ist der Staat verpflichtet, hat er sich
selbst verpflichtet, umfassende Teilhabe für alle Men-
schen mit Behinderung zu ermöglichen. Mit dem, was
Sie hier vorlegen, erreichen Sie dies nicht einmal für die
kleine Gruppe der Contergangeschädigten.

Zumindest Folgendes muss ich noch einmal sagen:
Wir können hier reden, worüber wir wollen, aber der
Vergleich, der seinerzeit geschlossen wurde, steht auf
sittenwidriger Grundlage. Er wurde unter Druck erzeugt,
und insofern ist er immer noch anfechtbar. Aber unab-
hängig davon hat sich der Staat verpflichtet, das zu über-
nehmen, was eigentlich Grünenthal machen müsste. In-
sofern freue ich mich, dass in Ihrem jetzt vorliegenden
Gesetzentwurf gegenüber Ihrem Antrag vom Januar tat-
sächlich einige positive Fortschritte zu verzeichnen sind.
Sie will ich durchaus würdigen, zum Beispiel die Dyna-
misierung der monatlichen Entschädigung. Aber wenn
wir wirklich helfen wollten, müssten wir im ersten
Schritt mindestens 50 Prozent drauflegen; denn Deutsch-
land liegt immer noch am Ende aller Länder, die solche
Entschädigungen zahlen. Wir sind immer noch diejeni-
gen, die am allerwenigsten zahlen.

Weiterer Punkt. Sie wollen die Dauer der Ausschüt-
tung, die Sie jährlich vornehmen, von 35 auf 25 Jahre re-
duzieren. Na toll! Viele der Betroffenen sagen ohnehin:
Gebt uns das, was uns zusteht, sofort! Darauf wollen Sie
nicht eingehen. Sie können sich aber nicht damit heraus-
reden, dass es Streit hierüber gibt. Ermöglichen Sie doch
Wahlfreiheit, sagen Sie: Wer das Geld gleich haben will,
bekommt es gleich, wer es sich 25 Jahre lang auszahlen
lassen will, kann es sich 25 Jahre lang auszahlen lassen.
Das wäre Wahlfreiheit, das wäre Selbstbestimmung.


(Christel Humme [SPD]: Das ist kein solidarischer Gedanke!)


Nächster Punkt. Sie heben die Ausschlussfrist auf,
wenn auch nur für kurze Zeit. Sie sagen, am Tag der An-
tragstellungen bekommen die Leute ihre Rente, ihre Ent-
schädigung. – Damit ignorieren Sie, dass diese Menschen
schon 50 Jahre lang mit ihrer Behinderung leben. Wenn
man schon nicht jeden Cent, der diesen Menschen rück-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert
wirkend zustehen müsste, berechnen will, wäre es das
Mindeste, ihnen eine Einmalzahlung von 100 000 Euro
zukommen zu lassen. Das wäre ungefähr das, was sie in
den 50 Jahren bzw. seit es diese Stiftung gibt, nicht be-
kommen haben. Das wäre angemessen. Ich finde, man
sollte daran erinnern, dass wir selbst mit der Verdopplung
der Renten, die 2008 vorgenommen worden ist, hinter
dem bleiben, was alle anderen Länder gemacht haben.
Dass es eine rückwirkende Zahlung nach Ihrem Gesetz-
entwurf nicht geben soll, ist nicht in Ordnung.

Letzter Punkt. Sie wollen die Besetzung der Stif-
tungsgremien ändern. Einverstanden; aber die Linke ist
ein heftiger Verfechter des Selbstvertretungsrechts der
Betroffenen. Mindestens die Hälfte aller Plätze in diesen
Gremien müssten von Betroffenen besetzt werden. Min-
destens die Hälfte heißt, da es um ungerade Zahlen geht,
die Mehrheit. Warum trauen Sie den Betroffenen nicht
zu, ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände – auch
wenn diese noch so verkrüppelt sind – zu nehmen? Ha-
ben Sie den Mut dazu! Dann werden wir gemeinsam et-
was erreichen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621422400

Ich gebe das Wort dem Kollegen Markus Kurth,

Bündnis 90/Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621422500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! In Zeiten wie diesen, wo die Große Koalition wich-
tige Entscheidungen wie die Bekämpfung der Steuerhin-
terziehung nicht mehr treffen zu können scheint, in
Zeiten wie diesen, wo die Regierungsfraktionen teil-
weise grob unverantwortlich handeln wie bei der Weige-
rung, das Funktionieren der Jobcenter sicherzustellen, in
Zeiten wie diesen, wo Union und SPD alles in allem ein
dunkles Gemälde des Zerfalls zeichnen, ist man für je-
den hellen Pinselstrich dankbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein aufhellender Tupfer in der schwarz-roten Düster-
nis


(Lachen der Abg. Christel Humme [SPD])


ist zweifelsohne die vorliegende Neufassung des Con-
terganstiftungsgesetzes. Sicher, der Punkt, der die Ge-
schädigten des Conterganskandals am meisten bewegt,
nämlich eine nach heutigen Maßstäben angemessene Ent-
schädigung, dürfte aus ihrer Sicht nicht befriedigend ge-
löst sein. Die große Aufgabe einer grundsätzlichen Neu-
bemessung der monatlichen Ausgleichszahlung bleibt
aus meiner Sicht und nach Auffassung meiner Fraktion,
Bündnis 90/Die Grünen, bestehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es bleibt in der Verantwortung der Bundesrepublik
Deutschland, die Haftungsnachfolge wirksam wahrzu-
nehmen.

Der vorliegende Gesetzentwurf stellt aber eine durch-
aus brauchbare Grundlage dar, um in der kommenden
Legislaturperiode und auch in den weiteren Beratungen
die Folgen des Conterganskandals politisch aufzuarbei-
ten. Insofern wäre es falsch, Frau Humme, diesen Ge-
setzentwurf gering zu schätzen oder als ungenügend ab-
zuqualifizieren; das tue ich ausdrücklich nicht.

Wir begrüßen, dass der Kreis derer, die nach dem Con-
terganstiftungsgesetz entschädigt werden, mit diesem
Gesetzentwurf auch für solche Personen geöffnet wird,
die aufgrund der Einnahme von Contergan eine Schädi-
gung erlitten, die nicht äußerlich sichtbar ist. Ich teile al-
lerdings die Bedenken bezüglich der neuen Fristsetzung,
die Herr Kolb vorgetragen hat. Was wollen Sie tun, wenn
wieder Personen – die Contergangeschädigten sind ja um
die 50 Jahre alt – entdecken, dass sie Schädigungen der
inneren Organe haben, die durch die Einnahme von Con-
tergan verursacht worden sind? Angesichts der geringen
Zahl derer, auf die das noch zutreffen dürfte, ist ein Frist-
verzicht im Laufe der Beratungen meiner Meinung nach
durchaus zu bedenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Wir begrüßen ausdrücklich, dass der vorliegende Ge-
setzentwurf vorsieht, dass Contergangeschädigte aus den
Erträgen des Stiftungsvermögens jetzt gezielt gefördert
werden sollen. Außerordentlich positiv hervorzuheben
ist auch die automatisierte Dynamisierung der monatli-
chen Leistungen sowie deren Umbenennung von
„Rente“ in „monatliche finanzielle Unterstützung“.

Die Reform des Conterganstiftungsgesetzes muss
nach unserer Auffassung allerdings die Möglichkeit ei-
ner Einmalzahlung für die Betroffenen eröffnen, die dies
ausdrücklich wünschen. Warum soll es nicht möglich
sein, wenn ein Betroffener dies wünscht, den auf ihn ent-
fallenden Anteil des gesamten Stiftungsvermögens in
Form einer Einmalzahlung zu gewähren? Im Sinne des
Wunsch- und Wahlrechts würde das den individuellen
Wünschen – auch Sie von den Liberalen müssten das als
freiheitliche Partei gut finden – entsprechen. Die ande-
ren, die die Auszahlung über einen längeren Zeitraum
bevorzugen, könnten diese Möglichkeit wählen; das
restliche Vermögen würde sich weiter verzinsen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts des eingangs beschriebenen Zustands der
Großen Koalition ist das Erreichte durchaus anerken-
nenswert. Ich weiß aus Zeiten der rot-grünen Koalition
selbst, wie schwierig es sein kann, als Sozialpolitiker für
gesellschaftliche Minderheiten Mittel loszueisen, selbst
wenn dies, wie in diesem Fall, vollkommen berechtigt
ist. Insofern gebührt der Dank im bisherigen Prozess
ausdrücklich den Kolleginnen Antje Blumenthal und
Marlene Rupprecht. Auch wenn in der Entschädigungs-
frage sicherlich weiterhin Meinungsunterschiede beste-
hen werden und wir weiterhin auf unserem Standpunkt
beharren werden, hoffe ich doch insgesamt auf gute und
konstruktive Beratungen in diesem Hause.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621422600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/12413 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Winfried Hermann, Bettina
Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Besteuerung von Dienstwagen CO2-effizient
ausrichten und Privilegien abbauen

– Drucksache 16/10978 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621422700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Guten Abend! Es ist spät; man sieht es an den geleerten
Reihen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es ist nie zu spät! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Spät ist relativ!)


– Für das Parlament ist es offensichtlich spät.

Wir reden heute über das Thema Dienstwagen. Wel-
che Rolle haben die Dienstwagen überhaupt bei uns?


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der ist schon vorgefahren!)


Wenn ich im Freundes- oder Bekanntenkreis oder heute
Mittag bei einer Besuchergruppe frage, was sie meinen,
wie viel Prozent neu zugelassener Wagen auf unseren
Straßen wohl die Dienstwagen ausmachen, dann kom-
men Schätzungen von 10 bis – ganz mutig – 20 Prozent.
Wenn ich dann sage, dass es 60 Prozent sind und bei den
Mittelklasse- und Oberklassewagen sogar 85 Prozent,
dann sind alle sehr erstaunt.

Damit haben die Dienstwagen eine extreme Relevanz
für den Gebrauchtwagenmarkt. Denn ein Merkmal der
Dienstwagen ist, dass sie relativ schnell wieder abgesto-
ßen werden. Nach circa zwei Jahren sind es Auslaufmo-
delle; dann gibt es neuere Modelle, also muss ein neuer
Dienstwagen her.
Die zweite Rolle, die der Dienstwagen spielt – neben
der Möglichkeit des Transports, die natürlich wichtig ist,
aber nicht das Wichtigste –, ist die eines Statussymbols.
Deswegen muss es immer ein relativ neuer und relativ
großer Wagen sein. Das Image muss gut sein; je höher
der Posten


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


– ich glaube, bei Ihnen ist das noch eher so als bei uns –,
umso größer muss der Wagen sein. An diesen Fakten
– da können Sie, meine Kollegen, so viel polemisieren,
wie Sie wollen – kommen Sie nicht vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich nehme keine Schuldzuweisung vor und sage nicht,
dass es Ihre Schuld ist.

Reden wir weiterhin über die Fakten. Häufig sind
Dienstwagen ein fester Bestandteil der Mitarbeitermoti-
vation und Teil der Bezahlung. In der Tat werden Ge-
haltsteile umgewidmet und für Dienstwagen verwandt.
Das wertet dieses Statussymbol noch einmal auf. An die-
ser Stelle muss schon die Frage erlaubt sein, ob die All-
gemeinheit die Statussymbole unserer Führungskräfte
subventionieren muss.

Nach unserem Vorschlag, den wir Ihnen heute vorle-
gen, hätten wir auf der Basis der heutigen Dienstwagen-
flotte Steuermehreinnahmen von 2,7 Milliarden Euro,
wenn wir eine Abschreibung vornähmen, die sich nach
dem CO2-Ausstoß richtete. Unser Vorschlag ist – das ist
ja auch unser Ziel in der Umwelt-, Verkehrs- und Klima-
schutzpolitik –, für Wagen mit einem CO2-Ausstoß bis
zu 120 Gramm pro gefahrenen Kilometer die volle Ab-
schreibungsmöglichkeit einzuräumen. Für Wagen mit ei-
nem CO2-Ausstoß bis zu 240 Gramm pro gefahrenen
Kilometer gibt es einen Abschreibungsfaktor, der sich
aus dem Zielwert – das sind die 120 Gramm – und dem
Istwert – das ist der Wert des tatsächlich ausgestoßenen
CO2 – errechnet. Bei einem Ausstoß über 240 Gramm
pro gefahrenen Kilometer ist keine Abschreibung mehr
möglich. Das ist die Null-Bürokratie-Variante.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das soll natürlich in vergleichbarer Weise auch für die
Kraftstoffkosten und für die private Nutzung von Dienst-
wagen gelten.

Aus umweltpolitischer Sicht ist das Ziel allerdings
nicht – das will ich den Herren Finanzpolitikern, die
nach mir reden, sagen –, die Steuermehreinnahmen zu
halten. Wir wollen geringer werdende Steuermehrein-
nahmen an dieser Stelle; denn unser Ziel ist ein geringe-
rer CO2-Ausstoß auf unseren Straßen.

Die Regierung hat leider fatalerweise versäumt, so-
wohl bei der Abwrackprämie als auch bei der Neurege-
lung der Kfz-Besteuerung eine ökologische Komponente
einzuführen. Das widerspricht allem, was wir ständig in
Ihren Reden hören. Sie sprechen immer davon, wie not-
wendig es sei, einen Anstoß für ökologische Innovatio-
nen zu geben und für den Verkehr auf der Straße den
CO2-Ausstoß zu senken. Aber es werden keine Len-
kungsinstrumente vorgeschlagen.






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl
Der zentrale Hebel sind in der Tat die Dienstwagen.
Wenn die Regierung jetzt die letzte Gelegenheit ergreift
und wenigstens bei den Dienstwagen zupackt und um-
steuert, dann ist tatsächlich die Möglichkeit gegeben, ein
anderes Image für Dienstwagen zu etablieren. Wenn wir
unsere Ziele erreichen wollen, dann kann das Image für
die große Zahl von Dienstwagen, die jedes Jahr neu zu-
gelassen werden, nicht mehr sein: möglichst groß, mög-
lichst PS-stark und möglichst hoher CO2-Ausstoß. Es
muss ein modernes, ein ökologisches und ein zukunfts-
fähiges Auto sein, das möglichst wenig CO2 ausstößt.
Nur mit einer solchen Imageveränderung bekommen wir
den Innovationsdruck in der Automobilindustrie endlich
hin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hatte heute Morgen das Vergnügen, an einem
Frühstück des BDI teilzunehmen und ein Gespräch mit
einem Vertreter des Verbandes der Automobilindustrie
zu führen. Er sagte mir: Ihr Umweltpolitiker wollt im-
mer eine angebotsorientierte Politik betreiben und sagt,
was wir machen sollen – zum Beispiel die Grenzwerte
vermindern. Es muss aber auch jemand diese Wagen
kaufen. Wenn die entsprechende Nachfrage nicht vor-
handen ist, dann können wir so viel produzieren, wie wir
wollen.

Hier besteht aber die Möglichkeit, Nachfrage zu
schaffen. Ich garantiere Ihnen: Wenn diese Abschrei-
bungsmöglichkeiten hinsichtlich des CO2-Ausstoßes de-
gressiv gestaltet werden, dann schaffen wir Nachfrage.
Das ist ein guter Grund für die Automobilindustrie, an-
dere Wagen zu entwickeln, zu produzieren und auf den
Markt zu bringen. Diese Wagen haben ein anderes
Image. Dann haben wir endlich erreicht, wovon wir die
ganze Zeit reden, nämlich weniger CO2-Ausstoß auf un-
seren Straßen.

Gutes Gelingen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621422800

Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1621422900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Eines muss man Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, lassen: Mutig sind Sie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und konsequent!)


Es gehört wirklich Mut dazu, in der aktuellen Krise, von
der vor allem unsere Automobilhersteller und deren Zu-
lieferer betroffen sind und in der Hunderttausende von
Menschen Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren,
solche Forderungen zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für eine Argumentation? – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun wir denn der Automobilindustrie an?)


Ihr Antrag ist aus meiner Sicht an wirtschaftlicher
und steuerlicher Unbedarftheit nicht zu überbieten.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])


Sie sprechen von einem Abbau von Privilegien und mei-
nen dabei die AfA. Die Abschreibung zeichnet aber le-
diglich den Wertverlust des Firmenvermögens nach. Es
geht um den Werteverzehr während der betriebsgewöhn-
lichen Nutzungsdauer. Bei den Abschreibungsregelun-
gen handelt es sich nicht um irgendwelche steuerlichen
Privilegien. Es geht vielmehr um die zutreffende Ermitt-
lung der jährlich absetzbaren Abnutzungskosten als Be-
triebsausgaben.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet doch niemand!)


Jetzt lautet Ihre Forderung, das System der AfA, das
System der Absetzbarkeit von Betriebsausgaben, mit ei-
ner ökologischen Ausrichtung zu versehen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Dies widerspricht aber den Grundprinzipien unseres
Steuerrechts und führt zu einer ganz erheblichen Ver-
komplizierung.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gerade eine Kfz-Steuer beschlossen, die sich am CO2-Ausstoß orientiert! Wo sind Sie denn? Haben Sie Ihre eigene Regierungspolitik nicht mitgekriegt?)


Wir brauchen derzeit aber keine Verkomplizierung, son-
dern eine Vereinfachung unseres Steuerrechts.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wäre einfach widersinnig, zwei im Anschaffungspreis
und in der Nutzungsdauer gleiche Wirtschaftsgüter nur
deshalb unterschiedlich zu behandeln, weil sie sich im
Kraftstoffverbrauch bzw. beim CO2-Ausstoß unterschei-
den.

Das würde, wenn man dies konsequent umsetzt, be-
deuten, dass man letztendlich sämtliche Maschinen und
sämtliche Heizungsanlagen mit einem höheren CO2-
Ausstoß sowie Gebäude, die vielleicht nicht ausreichend
gedämmt sind, zukünftig anders abschreiben müsste als
andere.


(Dr. Thea Dückert Es geht hier um eine Steuersubvention! Das würde bedeuten, dass ein Betrieb, der einen Kühlschrank kauft, der vielleicht ein bisschen mehr Strom verbraucht als ein anderer, diesen nicht mehr abschreiben dürfte. Entschuldigung, das ist doch absurd. Da kann man doch überhaupt keine Grenze ziehen. Olav Gutting (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Emissionshandel finden Sie wahrscheinlich auch absurd?!)





(A) (C)


(B) (D)


Es leuchtet keinem ein, welche Ungleichbehandlung Sie
bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern vornehmen wollen.
Welche Verkomplizierung das darüber hinaus für das
deutsche Steuerrecht zur Folge hätte, will ich mir gar
nicht ausmalen.

Es geht bei Ihrem Hinweis auf angebliche Steuerpri-
vilegien aus meiner Sicht letztendlich nur darum, eine
populistische Neiddebatte loszutreten. Sie sagten ja vor-
hin selbst, dass es etwas ganz Schlimmes ist, wenn je-
mand einen Dienstwagen hat.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch einfach einmal zu!)


Schauen Sie sich einmal die Zahlen an: Der ganz über-
wiegende Teil der Dienstwagen sind Klein- und Mittel-
klassewagen


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sind sie nicht! Falsch informiert!)


und eben nicht Ihr Porsche Cayenne, den Sie immer wie-
der anführen. Es stimmt einfach nicht, dass die von Ih-
nen angesprochene 1-Prozent-Regelung bei der privaten
Nutzung von Dienstfahrzeugen ein steuerliches Privileg
ist. Es ist lediglich eine allgemein anerkannte und sach-
gerechte Vereinfachungsregel, die sich in der Vergangen-
heit bewährt hat.

Der Vorteil aus der Pkw-Gestellung durch den Arbeit-
geber wird beim Arbeitslohn hinzugerechnet. Das heißt,
die Privatnutzung des Dienstfahrzeuges ist mit dem per-
sönlichen Steuersatz zu versteuern. Dabei wird der Brut-
tolistenpreis des Kfz zugrunde gelegt, bei größeren Fahr-
zeugen also ein höherer Preis. Ihre Statussymbole
werden zu Recht von vornherein mit einem höheren
Wert angesetzt und sind folglich höher steuerlich belas-
tet.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Eben!)


Sie nennen in Ihrem Antrag ein Beispiel: die An-
schaffung eines Porsche Cayenne zu einem Preis von
68 000 Euro. Wenn wir diesen Preis ansetzen, dann be-
deutet das nach der 1-Prozent-Regelung eine Versteue-
rung von monatlich 809 Euro für den Nutzer dieses
Fahrzeuges. Bei einer Abschreibung von fünf Jahren ist
das ein zu versteuerndes Einkommen von insgesamt fast
50 000 Euro. Wenn wir angesichts dieser Preisklasse von
einem Steuersatz von fast 50 Prozent ausgehen, dann er-
hält der Staat von dem Nutzer dieses Pkws Steuereinnah-
men von über 24 000 Euro. Das ist mehr als der Steuer-
ausfall, den Sie dem Unternehmen ankreiden. Das ist
mehr als das, was dem Staat nach Ihrem Antrag verloren
gehen soll. Die Steuereinnahmen aus der privaten Nut-
zung gleichen somit die Steuerminderung aus der Ab-
schreibung bei einem Unternehmen, also aus dem jährli-
chen Werteverzehr, gewöhnlich wieder aus.
Sie haben vergessen, in Ihrem Antrag die anderen
Lenkungselemente, die es bereits gibt, zu erwähnen. An
der Tankstelle findet ja schon eine Lenkung statt, indem
für größere Fahrzeuge, die mehr verbrauchen, über die
Mineralölsteuer und die Ökosteuer höhere Energiesteu-
ern und zusätzlich eine höhere Kfz-Steuer gezahlt wer-
den muss. Das heißt, es gibt schon Lenkung im Markt,
und der Gesetzgeber hat schon erhebliche Anreize für
kleinere Kfz mit einem gewöhnlich auch geringeren
Schadstoffausstoß geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Anreize werden mit der Umstellung der Kfz-
Steuer, die wir ja gerade beschlossen haben und die sich
nun am CO2-Ausstoß orientiert, noch deutlich erhöht. Es
gibt keine besseren Lenkungs- und Steuerungselemente
als diese beiden Komponenten: Kfz-Steuer und Energie-
steuer zusammen. Das wird am Markt Wirkung zeigen.

Hingegen kann ich als Baden-Württemberger bei
dem, was Sie hier vorschlagen, nur die Hände über dem
Kopf zusammenschlagen und den Kopf schütteln. Sie
setzen bewusst die Arbeitsplätze von Zehntausenden Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land
aufs Spiel. Das können die Beschäftigten in der Automo-
bilindustrie derzeit wirklich nicht brauchen. Warum las-
sen Sie die Leute nicht einfach die Autos kaufen, die sie
wollen? Wir haben doch bereits Lenkungselemente. Las-
sen Sie doch die Leute, wenn sie Lust haben, mehr Geld
auszugeben! Das können sie doch gerne machen. Wissen
Sie: Ihr Antrag passt letztlich genau zu Ihrer Linie


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicherlich!)


und zu dem Ziel, die Deindustrialisierung Deutschlands
voranzutreiben. In diese Richtung geht Ihr Antrag.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu passt es auch, dass Ihre Kollegin, die Fraktions-
vorsitzende Künast, schon mehrmals in der Öffentlich-
keit dazu aufgerufen hat: Leute, kauft Hybridautos von
Toyota! Tolle Idee! Ich frage mich: Wozu brauchen wir
in Deutschland überhaupt noch eine Automobilindus-
trie?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit Ihren dauernden Angriffen auf die deutschen Auto-
bauer und insbesondere auf die daran hängenden Ar-
beitsplätze gefährden Sie Zehntausende von Jobs bei
Daimler, Audi, BMW, Porsche und VW.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nicht dadurch wahrer, dass Sie es jede Minute wiederholen!)


Das werden wir verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Gebot der Stunde heißt Vertrauen. Das Gebot der
Stunde heißt Stabilität,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Experimente!)







(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting
auch in der Steuergesetzgebung. Es heißt aber nicht ideo-
logisch geprägte Steuererhöhung zur weiteren Verunsi-
cherung bei Kfz-Käufern.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621423000

Der Kollege Dr. Volker Wissing, FDP, hat seine Rede

zu Protokoll gegeben.1)

Ich rufe deshalb den Kollegen Reinhard Schultz,
SPD-Fraktion, auf.


Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1621423100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will jetzt nicht ganz so martialisch zu dem Antrag
sprechen, sondern versuchen, kollegial zu argumentie-
ren.

Auch wir in der SPD-Fraktion haben uns insbeson-
dere im letzten Jahr Gedanken gemacht, ob wir eine öko-
logische Steuerung in die Dienstwagenbesteuerung ein-
bauen sollen. Das war zu einem Zeitpunkt, zu dem wir
nicht davon ausgehen konnten, dass wir kurzfristig zu ei-
ner Kraftfahrzeugsteuerreform kommen. Die haben wir
nun, und zwar mit einer – aus Ihrer Sicht vielleicht nicht
hinreichenden,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


aber doch deutlich erkennbaren – CO2-Komponente. Ich
bin überzeugt, dass wir im Lauf der nächsten Jahre diese
CO2-Komponente ausbauen werden.


(Beifall bei der SPD)


Es gab bei uns viele, die gerne jetzt schon einen etwas
progressiveren Teil da reingebracht hätten. Aber solche
Reformen verlangen natürlich nach Kompromissen in-
nerhalb einer Koalition. Nichtsdestotrotz ist der CO2-
Anteil deutlich erkennbar und wird auch spürbar auf das
Käuferverhalten wirken. Das ist ein Beitrag zum Klima-
schutz im Straßenverkehr. Deswegen sind aus unserer
Sicht Sonderbetrachtungen, die aus einer Zeit stammen,
zu der wir nicht glaubten, uns mit den Ländern über die
Kfz-Steuerreform einigen zu können, völlig überflüssig
geworden. Aus diesem Grund wird es von uns jetzt und
in absehbarer Zeit keine Unterstützung dafür geben.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt auch einige grundsätzliche Argumente, die da-
gegen sprechen. Herr Gutting hat darauf hingewiesen:
Wir vertreten – und darauf sind wir vom Bundesverfas-
sungsgericht aus guten Gründen mehrfach hingewiesen
worden – das Nettobesteuerungsprinzip.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sollten wir normalerweise!)


Tatsächlich entstehender Aufwand muss also bei der Ge-
winnermittlung vor Besteuerung berücksichtigt werden.

1) Anlage 3
Es gibt einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt: Der-
selbe Besteuerungsgegenstand kann nicht willkürlich oft
besteuert werden. Nach Ihrem Antrag wäre bei Dienstwa-
gen der CO2-Anteil die Grundlage nicht nur bei der Kfz-
Besteuerung und bei der Abschreibung, sondern – so hät-
ten Sie es ja gerne – auch noch bei der Besteuerung des-
jenigen, der dieses Auto privat nutzt. Der CO2-Anteil
würde also sozusagen dreimal besteuert. Herr Gutting,
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Mine-
ralölsteuer dadurch eine CO2-Komponente erhalten hat,
dass wir sie unter dem Stichwort Ökosteuer aus Klima-
schutzgründen bewusst erhöht haben. Das wäre sozusa-
gen die vierte Besteuerung desselben Gegenstandes. Ich
glaube, das wäre wirklich des Guten zu viel.

Frau Kotting-Uhl, ich weiß nicht, wo Sie die Zahlen,
die Sie hier genannt haben, herhaben. Die Zulassungs-
zahlen von 2008 sind allgemein zugänglich und eindeu-
tig. Sie sagten, 60 Prozent der Neuzulassungen seien
Dienstwagen. 2008 waren es 30,3 Prozent. Das ist eine
Abweichung, die größer ist, als ein Schätzfehler es sein
kann. Das sind Zahlen aus der amtlichen Zulassungssta-
tistik.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das war die Kumulierung wie bei der Steuer!)


Wenn Sie sich die Zusammensetzung der Fahrzeuge
ansehen, stellen Sie fest, dass 73,9 Prozent zur Mini- und
Mittelklasse gehören oder Mini-Vans oder Vans sind.
Auch das sind keine Geschäftsführerbrummer, sondern
Nutzfahrzeuge.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber an denen ändern wir ja auch gar nichts!)


Wissen Sie, woran das liegt? Solche Autos werden nicht
in erster Linie von „Bonzen“ oder vergleichbaren Ge-
stalten gefahren. Das sage ich in Anführungszeichen we-
gen des Vorwurfs: Bonzenauto gleich CO2-Schleuder.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist aber nur im Münsterland so!)


– Das ist die klare münsterländische Sprache. – Solche
Autos werden von Monteuren, Außendienstmitarbeitern,
Vertretern und Handwerkern gefahren. Viele von denen
haben nicht viel Geld, stehen entweder in einem abhän-
gigen Beschäftigungsverhältnis oder sind selbstständig.
Sie nutzen diese Autos im Wesentlichen tatsächlich zu
beruflichen Zwecken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ändert sich nichts!)


Wissen Sie, wie viele Fahrzeuge von den im Jahr
2008 zugelassenen 960 000 Dienstfahrzeugen zur Ober-
klasse zählen? Ich sage es Ihnen, da Sie die Statistik of-
fensichtlich nicht gelesen haben: 1,5 Prozent dieser
Fahrzeuge zählen zur Oberklasse.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Hört! Hört! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Hört! Hört!)







(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

Jetzt können Sie die gehobene Mittelklasse, die meines
Erachtens noch nicht in den Bereich Luxus gehört, be-
trachten, die 8,3 Prozent ausmacht. Ein besonderes Är-
gernis sind die 7,6 Prozent Geländewagen. Diese werden
sicherlich nicht nur von Forstwirten, Bauingenieuren
und Brückenbauern gefahren. Das will ich gar nicht aus-
schließen. Diese Autos bilden aber im Verhältnis zu den
73,9 Prozent an kleinen und mittleren Fahrzeugen, die
mit Image und Status überhaupt nichts zu tun haben,
eine kleine Menge.

Natürlich gibt es auch den Fall, dass Mitarbeiter von
Firmen im Gesamtgefüge dessen, was sie geldlich und un-
entgeltlich an Vorteilen bekommen – quasi ins Gehalt ein-
gepreist –, einen Dienstwagen gestellt bekommen – weil
sie relativ viel im Außendienst sind –, den sie auch privat
nutzen können. Derjenige zahlt einen angemessenen An-
teil. Der muss steuerlich geltend gemacht werden. Im
Augenblick ist das 1 Prozent vom Listenpreis. Auch da-
rüber müssen wir in einer Zeit, in der die Automobil-
preise fallen, gelegentlich einmal nachdenken. Selbst
Neufahrzeuge sind heute weit unter Listenpreis zu be-
kommen. Ich finde es nicht ganz zeitgemäß, wenn bei ei-
nem Handwerker, der sich einen alten Mercedes Kombi
für 15 000 Euro kauft, ein Listenpreis von 40 000 Euro
als Besteuerungsgrundlage herangezogen wird. Das sage
ich bewusst in meiner Eigenschaft als Mittelstandspoliti-
ker. Darüber muss man bei Gelegenheit sicher einmal
nachdenken. Das steht nicht ganz oben auf der Tagesord-
nung, ist aber dennoch ein wichtiger Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


30 Prozent dieser Dienstwagen stellen den Großteil
der Neuzulassungen; das ist überhaupt nicht zu bestrei-
ten. Frau Kotting-Uhl, Sie haben die Schlüsselrolle zwar
beschrieben, aber leider nicht richtig. Wissen Sie, was
durch Dienstwagen entsteht? Durch den relativ schnellen
Umsatz – Dienstwagen werden schnell verkauft –
kommt es relativ schnell zu Innovationen. Vielleicht
kommt es nicht immer zu den Innovationen, die wir uns
wünschen. Manche Sachen sind viel zu langsam gekom-
men. Ich führe sehr kritische Diskussionen mit der Auto-
mobilindustrie hinsichtlich ihrer Produktpolitik, was
Umweltfreundlichkeit und CO2-Verbrauch anbelangt.
Trotzdem ist festzuhalten, dass durch den schnellen Um-
satz der Dienstwagen Innovationen viel schneller in die
Breite gegeben werden, als das in der Vergangenheit der
Fall war, wo ausschließlich die Premiumfahrzeuge Inno-
vationsträger gewesen sind. Das hat sich vollständig ver-
ändert. Das finde ich gut.

Ein Nebeneffekt ist, dass diese relativ schnell ver-
kauften Dienstwagen – als Jahreswagen oder junge ge-
brauchte – dazu beitragen, dass auch Leute, die kein di-
ckes Portemonnaie haben, relativ schnell an ein
neuwertiges Auto kommen. Das empfinde ich nicht un-
bedingt als Nachteil. Das kann ich nicht kritisieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herr Gutting hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dies
angesichts der heutigen Situation auf dem Automobil-
markt überhaupt kein Nachteil ist. Wir fördern es ja, Jah-
reswagen und junge Gebrauchte über die Umweltprämie
schneller verkaufen zu lassen.

Insofern hinken Sie mit Ihrem Antrag von der Sache
und der statistischen Grundlage her sowie aus verfas-
sungsrechtlicher Sicht – eigentlich unter jedweden Ge-
sichtspunkten – hinter der Wirklichkeit her. Ich hätte es
verstanden, wenn Sie über Ihren Antrag, der aus dem
letzten Jahr stammt, früher diskutiert hätten. Dann hätte
dies zumindest noch den Reiz gehabt, über eine Alterna-
tive zu einer nicht vorhandenen CO2-orientierten Kraft-
fahrzeugsteuer zu diskutieren. Aus heutiger Sicht ist die-
ser Antrag meines Erachtens ein Dokument der
Vergangenheit, das an Bedeutung verloren hat. Sie soll-
ten gar nicht erst darüber abstimmen lassen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621423200

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Barbara Höll, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621423300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Reden wir Klartext: Der Ausstoß von Treibhausga-
sen ist die Hauptursache für den Klimawandel. Seine
Abwendung erfordert ein gesellschaftliches Umdenken,
gerade auch in Zeiten der Krise, Herr Gutting. Nur weni-
ger Autoverkehr ist langfristig der wirksame Ansatz, um
den Klimawandel noch zu stoppen. Dies erfordert ge-
waltige Veränderungen im Denken und im Handeln. Wir
brauchen die stärkere Regionalisierung der Wirtschafts-
strukturen, das Zusammenführen von Wohnen, Arbeiten
und Leben, um das Pendeln zu reduzieren, den verstärk-
ten Einsatz von umweltgerechter und energiesparender
Technik, den Ausbau der erneuerbaren Energien usw.
Die Liste ließe sich fortführen.

Allein der Verkehrssektor verursacht insgesamt
20 Prozent der Treibhausgasemissionen. Bei Personen-
kraftwagen stagnieren die Emissionen seit Jahren auf ho-
hem Niveau. Einerseits steigen die Fahrleistungen konti-
nuierlich an, andererseits sinken der durchschnittliche
Kraftstoffverbrauch und damit die Emissionen zu lang-
sam. Klimaschutzaspekte werden in diesem Bereich von
der Bundesregierung nach unserer Einschätzung nur äu-
ßerst unzureichend beachtet.

Nun, in der dramatischen Wirtschaftskrise, werden
ökologische Aspekte erst recht nachrangig behandelt.
Wie so oft droht der Blick wieder einmal auf das Wohl
und Wehe des Fetischs Auto verkürzt zu werden. Dabei
geht es doch konjunkturpolitisch nicht nur ums Auto;
auch alle anderen Arbeitsplätze brauchen angesichts des
dramatischen Ausmaßes der Krise einen Schutzschirm.
Problematisch an der Abwrackprämie ist, dass gezielt
ein einzelner Wirtschaftssektor gehätschelt wird. Warum
nicht auch Abwrackprämien für alte Geschirrspüler,
Waschmaschinen und Tiefkühlgeräte, die alle Strom-
und Wasserschlucker sind?

Aus Klimaschutzperspektive ist die Abwrackprämie
nicht richtig, da sie niemanden davon abhält, einen Sprit-
schlucker zu kaufen. Sie hätten wenigstens Parameter






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
einführen müssen und in der Krise die Chance ergreifen
können, Geld ganz gezielt dafür einzusetzen, Anreize für
Investitionen in energiesparendere Motoren zu setzen.
So ließe sich Klimaschutz verwirklichen, und gleichzei-
tig würden Arbeitsplätze in der deutschen Automobilin-
dustrie gesichert.

Die Grünen greifen nun mit dem sogenannten Dienst-
wagenprivileg einen kleinen Teilbereich heraus. Die Rich-
tung hat Charme; wir brauchen hier ein politisches
Zeichen. Anreize zum Kauf von spritsparenden Kraftfahr-
zeugen sind auch aus Sicht der Linken eine sinnvolle
Maßnahme. Aber die Probleme werden sich damit leider
nicht lösen lassen. Einerseits besteht bereits heute ein gro-
ßer Teil der Dienstwagen aus kleinen, preiswerten und so-
mit spritsparenden Wagen. Es sind die Kleinwagen von
Kranken- und Altenpflegerinnen, von Pizzalieferanten
und zahlreichen anderen Außendienstmitarbeiterinnen
und -mitarbeitern. Sie sind heute schon aufgrund ihrer ge-
ringen Einnahmen schlicht und ergreifend gezwungen,
auf sparsame Kleinwagen zurückzugreifen.

Andererseits sind die großen Dienstwagen, also die
eigentlichen Spritschlucker – geben wir es zu –, oftmals
mehr Statussymbole als Transportmittel. Deren steuerli-
che Mehrbelastung müsste schon enorm ausfallen, um
einen Umstieg auf kleinere, weniger repräsentative Fahr-
zeuge zu erreichen. Daher stellt sich die Frage: Kann der
CO2-Ausstoß über steuerliche Maßnahmen dieser Art
vermindert werden? Es ist leider eine Illusion, dass Steu-
ern bei denen, die sich „dicke“ Autos leisten können, das
Verhalten ändern. Ich glaube, dass sich kaum jemand
von seinem großen Schlitten trennt, wenn er ein paar
Euros mehr Steuern zahlen muss.

Belassen wir es deshalb nicht bei Symbolpolitik, son-
dern konzentrieren wir uns auf die Kernaufgaben: Ver-
kehrsvermeidung und neue innovative Techniken.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1621423400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10978 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Peter Albach, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU

(Cottbus)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Einheit in Vielfalt – Kulturpolitik in und für
Europa aktiv gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi
Eid, Undine Kurth (Quedlinburg), Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vielfalt verbindet – Europäische Kultur stär-
ken und weiterentwickeln

– Drucksachen 16/11221, 16/10339, 16/12137 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stephan Eisel
Steffen Reiche (Cottbus)

Christoph Waitz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Undine Kurth (Quedlinburg)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die

Bundesregierung

Vorschlag für einen Beschluss des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über das Pro-
gramm „Kultur 2007“ (2007–2013)

KOM (2004) 469 endg.; Ratsdok. 11572/04

– Drucksachen 16/820 Nr. 72, 16/1700 –

Berichterstattung:
Abgeordnte Johann-Henrich Krummacher
Steffen Reiche (Cottbus)

Christoph Waitz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katrin Göring-Eckardt

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph
Waitz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr.
Claudia Winterstein, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Europäische Kulturpolitik neu ausrichten

– Drucksache 16/11909 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Stephan Eisel, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Eisel (CDU):
Rede ID: ID1621423500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Bitte gestatten Sie mir, dass
ich zu Beginn dieser Debatte zunächst an den vor fast ge-
nau einem Jahr verstorbenen Kollegen Johann-Henrich
Krummacher erinnere. Denn ihm oblag in seiner Tätig-
keit im Kulturausschuss seinerzeit die Berichterstattung
zu diesem Thema. Er hat die Initiative ergriffen, aus dem
Enquete-Bericht „Kultur in Deutschland“ im Rahmen
der europäischen Kulturpolitik eine erste Konsequenz zu
ziehen. Ich habe diese Berichterstattung übernommen.
Ich glaube, wir alle denken mit großer Hochachtung und






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Stephan Eisel
Respekt an Johann-Henrich Krummacher, der diesen
Prozess eingeleitet hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Europäische Kulturpolitik steht dafür, dass Europa,
dass die Europäische Union nicht einfach eine Freihan-
delszone ist, auch nicht nur eine politische Interessen-
gemeinschaft, sondern eine Kultur- und Wertegemein-
schaft, eine Gemeinschaft, in der die Achtung vor der
Würde des Menschen, vor der Freiheit des Einzelnen
und vor der Verantwortung für das Gemeinwohl im Mit-
telpunkt steht. Nur der Bezug auf diese Grundwerte
macht die politischen Entscheidungen in sich schlüssig.
Das merken wir gerade in diesen Zeiten der Krise.

Die europäische Geschichte hat gezeigt, dass diese
Grundwerte keineswegs selbstverständlich sind. Gerade
die Geschichte des letzten Jahrhunderts mit den totalitä-
ren Diktaturen, die diese Grundwerte massiv verletzt ha-
ben, hat gezeigt und ruft in Erinnerung, dass wir etwas
dafür tun müssen, dass die Achtung vor der Würde des
Menschen, der Freiheit des Einzelnen und der Verant-
wortung für das Gemeinwohl erhalten bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist einer der ersten und wichtigsten Punkte in un-
serem Antrag. Ich will das in diesem Jahr der Gedenk-
tage und Jubiläen nicht am deutsch-französischen Bei-
spiel, sondern am deutsch-polnischen Beispiel deutlich
machen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Vor 70 Jahren, am 23. August 1939, haben sich zwei to-
talitäre Regime zusammengeschlossen und den soge-
nannten Hitler-Stalin-Pakt geschlossen; dies geschah vor
allem auf Kosten des polnischen Volkes. Auch das ist
europäische Geschichte. Zwei Generationen später wa-
ren es das polnische Volk mit der Gründung von Solidar-
nosc und der polnische Papst, die die Voraussetzungen
dafür geschaffen haben, dass wir Deutsche in diesem
Jahr 20 Jahre Mauerfall feiern können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch das ist europäische Geschichte. Es zeigt unsere
Verpflichtung und gibt uns die Hoffnung, dass wir diese
Werte mit dem, was wir im Rahmen der europäischen
Kulturpolitik politisch bewegen, stabilisieren und beför-
dern können.

Die Kraft Europas und die kulturellen Leistungen Eu-
ropas haben die Zerrissenheit unseres Kontinents über-
standen. Die Kraft Europas ist die kulturelle Vielfalt.
Deshalb haben wir unseren Antrag mit „Einheit in Viel-
falt“ überschrieben.

Wer europäische Kulturpolitik betreibt, kann dabei
nicht so verfahren wie bei der Fahrt in einem Heißluft-
ballon – wenn man weit weg ist vom Grund und kein
Lüftchen weht –, sondern muss sich dorthin begeben, wo
Kultur gemacht wird. Kultur beinhaltet die Freiheit des
Einzelnen, seine Entfaltungskraft, die Zivilgesellschaft
vor Ort.

Die Maßnahmen, die wir in unserem Antrag genannt
haben und deren Umsetzung wir von der Bundesregie-
rung fordern, sind ganz überwiegend Maßnahmen, bei
denen es um die Stärkung der Vielfalt geht. Europäische
Kulturpolitik ist das klassische Beispiel für die Umset-
zung des Subsidiaritätsprinzips. Sie muss von unten
nach oben wachsen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir fordern, mehr für den Kulturaustausch zu tun;
denn Vielfalt heißt, voneinander zu lernen. Wir wollen
Netzwerke fördern; denn durch Netzwerke wird die
Vielfalt miteinander in Verbindung gebracht. Wir schla-
gen vor, die Modalitäten der Beantragung von Kultur-
projekten, die auf europäischer Ebene durchgeführt wer-
den, zu vereinfachen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Wir sind der Meinung, dass es einen Überbrückungs-
fonds geben muss. Er ist auch in finanzieller Hinsicht
von Bedeutung, weil bei vielen europäischen Projekten
erwartet wird, dass die Antragsteller sie vorfinanzieren.
Das ist gerade für kleine Initiativen ein Problem. Wir
wollen außerdem, dass die kulturelle Eigenart nationaler
Minderheiten – ich denke zum Beispiel an die Sorben –
mehr als bisher zur Geltung kommt. Dabei geht es um
die Kraft Europas, die Vielfalt unserer Geschichte und
die Vielfalt des kulturellen Alltags.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE] – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Vergiss die Friesen nicht!)


Hinzu kommt der Gesichtspunkt der Einheit. Wie wir
wissen – das müssen wir allerdings mehr als bisher reali-
sieren –, leben nur 7,5 Prozent der Weltbevölkerung in
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In der Welt
sind wir also nur eine kleine Gruppe. In der globalisier-
ten Welt werden wir Europäer allerdings gemeinsam
wahrgenommen. Deshalb muss sich die Vielfalt zu einer
gemeinsamen Stimme entwickeln.

Wir schlagen vor, darüber nachzudenken, eine euro-
päische Kulturstiftung zu gründen. Wir brauchen eine
Stimme Europas, auch im medialen Bereich, um in der
globalisierten Welt ein Instrument zur Verfügung zu ha-
ben, mit dem wir unsere Grundwerte und unsere Über-
zeugungen in die Welt transportieren und vertreten kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Außerdem begrüßen wir die Initiative des Europäischen
Parlaments, in Brüssel ein Haus der europäischen Ge-
schichte zu errichten,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Gute Idee!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Stephan Eisel
um den Menschen deutlich zu machen, welch eine Er-
folgsgeschichte die europäische Einigung ist.

Allerdings ist es uns hier im Parlament nicht gelun-
gen, durch einen gemeinsamen Antrag aller demokrati-
schen Fraktionen Einheit in Vielfalt zu demonstrieren.


(Beifall der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


– Frau Kollegin, ich sagte: aller demokratischen Fraktio-
nen;


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


das habe ich mit Absicht so formuliert; insofern haben
Sie an der falschen Stelle geklatscht. – Das ist bedauer-
lich, weil wir damit auch ein Beispiel dafür hätten geben
können, dass es möglich ist, sich trotz aller Vielfalt zu ei-
nigen.

Ich möchte den Kollegen, die an den langwierigen
Verhandlungen beteiligt waren, herzlich danken. Ich be-
danke mich insbesondere bei Frau Kollegin Eid, die das
Ziel der Vielfalt der Positionen und des Respekts vor un-
terschiedlichen Positionen auch in den Diskussionen
über diesen Antrag immer wieder hochgehalten hat. Ich
bedanke mich auch beim Kollegen Waitz – er ist heute
nicht hier –, für den es einfacher gewesen wäre, einen
gemeinsamen Antrag zustande zu bringen, wenn die
Kulturpolitiker in seiner eigenen Fraktion etwas mehr
Gehör gefunden hätten.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)


Ich danke auch dem Kollegen Reiche, der in der ihm ei-
genen Nachdrücklichkeit mehr auf die Koalitionseinheit
als auf die -vielfalt Wert gelegt hat.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Allerdings! In seiner unnachahmlichen Art!)


Wichtig ist, dass wir uns, auch wenn wir heute keinen
gemeinsamen Antrag verabschieden, in der Sache einig
sind und bei der Konkretisierung dessen, was in unserem
Antrag steht, gemeinsam vorgehen. Wir müssen die
Vielfalt Europas und die Vielfalt unserer kulturellen Ge-
schichte im Rahmen dieses Antrags umsetzen, um der
Freiheit der Menschen, der Achtung voreinander und
dem Respekt voreinander im Alltag der Kulturpolitik
Geltung zu verschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621423600

Der Kollege Christoph Waitz hat seine Rede zu Proto-

koll gegeben.1)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Steffen Reiche für
die SPD-Fraktion.

1) Anlage 4

Steffen Reiche (SPD):
Rede ID: ID1621423700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jean Monnet soll gesagt haben, wenn er Europa noch
einmal neu begründen könnte, würde er mit der Kultur
beginnen. Das ist zumindest gut erfunden. Wir sollten es
jetzt im Blick behalten, wo Europa in die vermutlich
schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Zwei-
ten Weltkrieg, seit der Gründung der Europäischen
Union hineingeht.

Manche sprechen von einer Kultur-, ja Demokratie-
krise, die dem zugrunde liegt, vielleicht aber zumindest
folgt. Um Europa trotz dieser Herausforderung zu be-
wahren, es so zu entwickeln, dass es gestärkt aus der
Krise herauskommt, bedarf es der europäischen Kultur –
nicht nur unserer Konfliktlösungskultur, sondern einer
Kultur, die uns Orientierung gibt, uns aus der Krise he-
rauszukommen hilft, einen gemeinsamen Boden schafft,
wo in dieser Situation sicher geglaubte Fundamente
doch wegbrechen.

Hätten wir nur eine Wirtschaftsunion, wären wir
wirklich arm dran. Aber wir haben auch eine Union der
europäischen Kulturen. So wie durch die Wirtschafts-
union Wohlstand und Attraktivität Europas gesteigert
werden, so steigert auch die europäische Kultur, die Sin-
fonie der Kulturen Europas, den Wohlstand und die At-
traktivität der Europäischen Union. Nicht nur um die im
Maastrichter Vertrag begründete europäische Bürger-
schaft mit Leben zu erfüllen, benötigt Europa eine ge-
meinsame europäische Kultur, die im harmonischen
Konzert der verschiedenen europäischen Kulturen be-
steht. Wir brauchen gemeinsame kulturelle Werte; denn
sie bedeuten eine gemeinsame Werteorientierung, was
die Basis und die Struktur des gesellschaftlichen, des
ökonomischen und des politischen Systems angeht.

Diese Krise wird die gemeinsame europäische Kultur
entwickeln und stärken; zum einen, weil uns die gemein-
sam gemachten Erfahrungen prägen werden, und zum
anderen, weil wir ohne ein Mehr an europäischer Kultur
nicht heil aus dieser Krise herauskommen werden. Be-
merkenswert ist: Die Europäer erwarten jetzt geradezu
europäische Antworten auf die aktuellen Entwicklungen.

Die europäische Kultur entsteht und wächst in den
Städten und Gemeinden. Sie wird von den Regionen ge-
fördert und prägt diese. Die Nationen Europas sind Kul-
turräume. Wie andere Nationen ist auch Deutschland
eine Kulturnation. Aber auch Europa ist ein Kulturraum.
Die Ebenen haben sich eigentlich immer gegenseitig ge-
stärkt; sie nehmen sich nichts weg, indem sie eigene
Kompetenzen wahrnehmen und Aufgaben erfüllen, son-
dern bilden gemeinsam das europäische Kulturquartett.
Städte spielen die erste Geige, Regionen spielen den sta-
bilen Grundton der Bratsche, die Nationen verstärken
das Ganze mit dem satten Ton des Cellos, und Europa
trägt wie der Kontrabass die gemeinsame Grundmelodie.
Ein Instrument nimmt die Melodie des anderen auf und
führt sie weiter. Daraus entsteht die Harmonie und Fülle
des europäischen Kulturquartetts.

Deshalb ist es gut, dass wir heute auf der Grundlage
des gemeinsam beschlossenen Kapitels „Kultur in
Europa“ im Schlussbericht der Enquete-Kommission






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Reiche (Cottbus)

„Kultur in Deutschland“ gleich über drei Anträge disku-
tieren. Dabei überwiegen Gemeinsamkeiten; aber die
Akzente sind an manchen Stellen verschieden gesetzt.
Wir sind ganz nah beieinander.

Noch nie hat Kultur in der Europäischen Union eine
so anerkannte Rolle gespielt wie heute. Sie wird geför-
dert, ist Gegenstand größter europäischer Kongresse;
Parlament, Kommission und Rat sehen die europäische
Kulturförderung zunehmend als ihre eigene Aufgabe an.
Im Rahmen des Programms „Kultur“ werden im Zeit-
raum von 2007 bis 2013 erhebliche Mittel zur Verfügung
gestellt.

Wir haben in den letzten zehn Jahren Bundeskultur-
politik gemeinsam erkannt: Wenn ein Akteur mehr auf-
tritt, stärkt das die Kultur und die Länder. Im Grunde ist
das eifersüchtige Wachen darüber, wer zuständig ist, ein
Reflex von gestern. Wir müssen die deutsche Erfahrung
für Europa nutzbar machen. Den Nationen wird durch
Europa als Kulturakteur nichts genommen. Im Gegen-
teil: Europa fördert den europäischen Kulturdialog, hilft
uns, das Gemeinsame der verschiedenen nationalen Kul-
turen zu erleben. Europa hilft uns, die europäische Kul-
tur im Dialog der Kulturen zu entwickeln.

In Berlin bin ich Potsdamer, in Bayern bin ich Bran-
denburger, in Frankreich bin ich Deutscher, und in
China, in Australien und in Amerika bin ich Europäer.
Ich fühle mich so, und ich werde so gesehen. Deshalb ist
es gut, dass es die offene Methode der Koordinierung
gibt.

Die Union leistet einen Beitrag zur Entfaltung der
Kulturen der Mitgliedstaaten unter … gleichzeitiger
Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.

So steht es im Vertragswerk der Union.

Der Wirtschafts- und Lebensraum und die gemein-
same Unionsbürgerschaft haben gemeinsame kulturelle
Wurzeln und mehr als je zuvor auch eine gemeinsame
kulturelle Zukunft. Wir müssen anerkennen, dass es ne-
ben unseren Kommunen und Ländern sowie dem Bund
einen weiteren Akteur in der Kulturpolitik gibt, nämlich
auf europäischer Ebene die Europäische Union.

Wir können deshalb nicht die Tatsache ignorieren,
dass die Maßnahmen der EU tief in unsere Kulturpolitik
hineinwirken. In der Konsequenz muss man dann aber
eben auch bereit sein, dieses kulturpolitische Wirken
mitzugestalten. Wegen seiner Bedeutung ähnlich der in
der Wissensgesellschaft sollte man damit ebenso ähnlich
der Methode der offenen Koordinierung folgen.

Mit Recht dürfen wir eben auch erwarten, dass das
subsidiäre Prinzip der Kulturpolitik dadurch nicht ge-
fährdet wird. Auch durch den Bologna-Prozess wurde
das Fortschreiten der Wissenschaft nicht infrage gestellt.
Es geht auch nicht um Entdemokratisierung, da durch
die Methode der offenen Koordinierung das administra-
tive Handeln der EU-Staaten nicht ersetzt wird.

Kultur in Europa – europäische Kultur – ist überall im
Aufwind. Die Künstler treffen sich zu gemeinsamen
Projekten, Ausstellungen werden an mehreren Orten in
Europa gemeinsam durchgeführt, europäische Verbände
organisieren, europäische Stiftungen finanzieren, und
durch europaweite Tagungen werden der Austausch und
die Planung neuer gemeinsamer Projekte ermöglicht.

Meines Erachtens finden sich bei immer mehr Vorha-
ben auch immer mehr Partner, die sich etwas zu sagen
haben und gemeinsam mehr als alleine schaffen. Ein
großartiges Beispiel dafür ist der europäische Film. Im-
mer mehr Filme sind Koproduktionen, immer mehr
Filme werden von zwei oder drei und mehr europäischen
Partnern gemacht. Durch regionale und nationale Film-
fördermittel werden europäische Meisterwerke ermög-
licht: Filme, die in Europa spielen und von Europäern
für Europäer gedreht wurden. Plötzlich gelingt uns, was
die Nationalstaaten vergeblich forderten: Der europäi-
sche Film spielt neben dem US-amerikanischen eine ste-
tig wachsende Rolle. In manchen Wochen dominiert er
sogar schon die Kinos in Europa.

Einige der im Antrag angesprochenen Projekte sind
mittlerweile zum Glück schon im Werden. Der Europäi-
sche Rat möchte die zwischenstaatliche Initiative für ein
europäisches Kulturerbesiegel nach dem Vorbild der
Europäischen Kulturhauptstädte in eine förmliche Initia-
tive der Europäischen Union umwandeln. Schließlich
wird die Kommission sehr bald eine Empfehlung hin-
sichtlich der Kulturhauptstädte Europas 2012 und 2013
abgeben.

Wir halten die Idee, dass wir 2010 neben Pécs als
Europäische Kulturhauptstadt und dem Ruhrgebiet als
Europäische Kulturhauptstadtregion auch eine Kultur-
hauptstadt Europas benennen, die noch nicht in einem
EU-Mitgliedsland liegt, nämlich Istanbul, für so zu-
kunftsweisend, dass wir sie über das Jahr 2010 hinweg
fortgesetzt wissen wollen. Es muss dafür Sorge getragen
werden, dass dieser Standpunkt auch bei der Abgabe der
Empfehlung durch die Kommission berücksichtigt wird.

Das EU-Kulturförderprogramm für 2007 bis 2013,
mit 408 Millionen Euro über die gesamte Laufzeit aus-
gestattet, hat nur etwas mehr als rund 7 Cent pro Bürger
und Jahr zur Verfügung. Die Forderung nach mehr Geld
liegt da auf der Hand. Deshalb sollte sich die Bundes-
regierung im Rat verstärkt dafür einsetzen, dass ein an-
gemessener Anteil vom EU-Haushalt kulturellen Zwe-
cken dient. Wir hätten uns hier eine deutlichere Bindung
auf einen Anteil von 1 Prozent gewünscht, hoffen aber
nach wie vor, dass dieser Wunsch hinsichtlich eines An-
teils von 1 Prozent von anderen zukünftig als angemes-
sen angesehen wird.

„Was ist dieses Europa?“, fragt der Dichter Paul
Valéry. Die Antworten sind so unterschiedlich wie die
Menschen, die sie geben. Aber die, die aus Afrika und
anderen Krisenregionen der Erde hierher zu uns nach
Europa kommen, reizt sicherlich auch der Wohlstand. Es
ist aber nicht nur eine ökonomische Hoffnung, sondern
auch ein kulturelles Versprechen, das Europa so faszinie-
rend macht. Die Kultur in Europa zu entwickeln und zu
bewahren und die europäische Kultur zu stärken, sind
wir also nicht nur den Europäern, sondern auch der Welt
gegenüber schuldig.






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Reiche (Cottbus)

In dieser Verantwortung stehen wir. Deshalb finde ich
es gut, dass wir diesen Antrag gemeinsam eingebracht
haben und dass wir uns trotz zweier unterschiedlicher
Anträge im Kern so nahe sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621423800

Das Wort hat nun Kollegin Lukrezia Jochimsen für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621423900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Entdeckung der kulturellen Dimension Europas auch
und gerade als Element der europäischen Integration ist
eine existenzielle Aufgabe der Politik. Sie ist Aufgabe
und Abenteuer gleichermaßen. Denn historisch haben
sich die durchaus sehr unterschiedlichen Kulturen Euro-
pas für sich und sogar gegeneinander entwickelt, mit be-
wussten und nichtbewussten Einflussnahmen, Nach-
ahmungen, Unterdrückungen und Ablehnungen.

Es ist auch deswegen keine leichte Aufgabe, weil die
Dimension Europas innerhalb der EU bisher vor allem
als Wirtschaftsverbund, Währungseinheit, politische
Struktur, Rechtskonstruktion und Sicherheitsbündnis be-
stimmt wurde. Das war auch im Lissabon-Vertrag der
Fall, den wir gerade deshalb ablehnen, weil wir uns als
eine proeuropäische Partei begreifen


(Lachen des Abg. Dr. Stephan Eisel [CDU/ CSU])


– ja, Herr Kollege –, die eine andere, eine bessere EU
will: ohne Ausgrenzung und Armut, ohne eine wach-
sende soziale Spaltung. Wir wollen vor allem eine fried-
liche EU, die im Sinne der Charta der Vereinten Natio-
nen Krieg ächtet.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das steht alles im Lissabon-Vertrag drin!)


Auch das ist für uns ein Fundament der kulturellen Di-
mension Europas.

Spät setzt nun die Erkenntnis ein, dass die europäi-
sche Integration ohne kulturellen Dialog nicht gelingen
kann. Wir plädieren für eine Politik, die sich auf den
Schutz und die Förderung von Kultur in ihrer Vielfalt
richtet und der Kulturpolitik einen höheren Stellenwert
gibt. Wir sehen in der Mitteilung der Kommission über
eine europäische Kulturagenda den Beginn für eine
neue, abgestimmte europäische Kulturpolitik, die Ein-
heit und Vielfalt schützt und fördert, wie im Antrag auch
mehrfach betont wird. Wichtig ist dabei, dass die Kultur
nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine ge-
sellschaftliche Produktivkraft ist.

In der Enquete-Kommission hatten wir uns partei-
übergreifend auf eine Analyse der Situation und die da-
rauf basierenden Handlungsempfehlungen geeinigt.
Meine Fraktion war zu jeder Zeit zu einer konstruktiven
Mitarbeit an einem gemeinsamen Antrag bereit. Der ist
leider nicht zustande gekommen.

Warum wir angeblich keine demokratische Fraktion
und unsere Wähler keine Demokraten sind, müssen Sie
uns eines Tages noch einmal genau erklären, lieber Herr
Kollege. Das sind Sie uns und vor allen Dingen unseren
Wählern schuldig.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: DKP-Leute, Stasi-Leute, SEDLeute! Das ist alles nicht demokratisch!)


Sie haben wieder mit Hinweis darauf, wir seien keine
demokratische Fraktion, die Zusammenarbeit mit uns
abgelehnt.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Was machen Sie denn mit den Stasi-Spitzeln in Ihrer Fraktion?)


So ist leider ein gemeinsamer Antrag nicht zustande
gekommen, und wir haben heute über drei verschiedene
Anträge zu befinden, die so verschieden gar nicht sind.
Wir werden keinen der Anträge ablehnen. Dem der Grü-
nen werden wir zustimmen, da er aus unserer Sicht die
weitergehenden Forderungen enthält und den Intentio-
nen des Berichts der Enquete-Kommission am ehesten
entspricht. Den Vorschlag, einen großen europäischen
Kunstpreis auszuloben und vor allem den, einen europa-
weiten Feiertag zu schaffen, finden wir gut.

„Culture comes before Economy“, soll Kommissions-
präsident Barroso konstatiert haben. Wenn das stimmt,
dann müsste den Millionen Kulturschaffenden in Europa
ein neuer Stellenwert eingeräumt werden. Ihre soziale
Lage ist schlecht. Ihre Arbeitsbedingungen und ihre so-
ziale Sicherung sind schlecht. Ihre urheberrechtlichen
Belange werden missachtet. Wenn da politisch nicht ge-
gengesteuert wird, entsteht gerade durch das Aufblühen
einer Kulturwirtschaft ein Kulturwirtschaftsproletariat.
Das dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Nur schlechtmachen!)


Leider bleiben, was diese Kernfrage betrifft, alle drei
Anträge vieles schuldig. Damit bleibt dieser Bereich
eine Aufgabe für uns alle in der Zukunft.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Steffen Reiche [Cottbus] [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621424000

Das Wort hat nun Kollegin Uschi Eid, Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621424100

Guten Abend, Herr Präsident! Verehrte Damen und

Herren! Ich freue mich, dass wir noch vor Ostern Gele-
genheit haben, über die europäische Kulturpolitik im
Bundestag zu debattieren. Trotz langer und intensiver
Bemühungen gelang es uns nicht, heute einen interfrak-
tionellen Antrag zur europäischen Kulturpolitik vorzule-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid
gen. Wie Sie wissen, ist meine Fraktion mit einem An-
trag in Vorleistung gegangen, in der Hoffnung, dass am
Ende des Beratungsprozesses ein interfraktioneller An-
trag steht. Ein solcher war leider nicht möglich.

Alle Anträge, über die wir heute abstimmen, orientie-
ren sich an den Empfehlungen der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ und unterscheiden sich deshalb
nur in wenigen Punkten. Aus diesem Grund wird sich
meine Fraktion bei der Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses zum Antrag der Koalition
und zum Antrag der FDP enthalten.

Uns allen ist klar, dass die Europäische Union nicht
nur unter wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunk-
ten zu betrachten ist, sondern dass mit der EU-Erweite-
rung auch das Zusammenleben von Menschen mit ihren
unterschiedlichen Kulturen, Sprachen, Traditionen und
ihrer Geschichte eine große Herausforderung für die eu-
ropäische Einigung darstellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nun einige Punkte nennen, die uns Grüne im
Hinblick auf die europäische Kulturpolitik besonders
wichtig sind. Zentrales Anliegen ist es, die Identifikation
der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten mit den
europäischen Werten zu unterstützen und eine gemein-
same europäische Öffentlichkeit zu befördern. Deshalb
fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf,
sich vor allem für die Maßnahmen einzusetzen, die die-
sen staaten- und kulturübergreifenden europäischen
Charakter besonders unterstreichen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


zum Beispiel eine europäische Akademie der Künste,
die Stärkung des europäischen Films, eine mediale
Stimme Europas via Internet oder Rundfunk oder auch
die Einführung eines europäischen Feiertags am 9. Mai.
Wir wollen besonders kleinere, grenzüberschreitende
Künstler- und Kulturinitiativen in Europa stärken; denn
Europa wächst von unten her zusammen.Wir wollen die
Cultural Contact Points stärken, damit sie Künstlern und
Kulturschaffenden mehr Hilfestellung und Informatio-
nen über Projekte der EU-Förderung geben können.

Der Erinnerungsarbeit und der Aufarbeitung von Ver-
brechen in Kriegen und Diktaturen messen wir einen be-
sonders hohen Stellenwert bei. Deutschland hat dabei
angesichts der furchtbaren Naziverbrechen, die ganz
Europa überzogen haben, eine besondere Verantwor-
tung. Ein sensibler Umgang mit der Vergangenheit, die
Verantwortung für die eigene Geschichte und der konti-
nuierliche Dialog zwischen den europäischen Partnern
sind unerlässlich für ein friedliches Zusammenleben in
Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


Die jüngsten Spannungen im deutsch-polnischen Ver-
hältnis zeigen, dass noch viele Anstrengungen nötig
sind, um das Vertrauen unserer Nachbarn zu gewinnen
und eine belastbare Basis für die europäischen Bezie-
hungen zu schaffen. Der kulturelle Austausch und der
langfristige Dialog können viel dazu beitragen. Aller-
dings kann auch ein unbedachtes Wort eines Ministers in
kürzester Zeit mehr zerstören, als langfristige Dialoge
und Begegnungen bewirken können. So haben Minister
Steinbrücks Ausfälle gegenüber der Schweiz – das kann
ich Ihnen nicht ersparen – irreparable Schäden in unse-
rem Verhältnis verursacht, die auch durch die beste kul-
turelle Kooperation und 100 Goethe-Institute nicht be-
hoben werden können. Ich fordere die Bundeskanzlerin
an dieser Stelle auf, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht
wieder vorkommt.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Gott sei Dank ist sie nicht da!)


Als Süddeutsche, die für die grenzüberschreitenden Be-
lange zwischen der Schweiz und Baden zuständig ist,
liegt mir das ganz besonders am Herzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Schweiz und Baden?)


– Für uns alle da unten – die Badener, die Alemannen
und diejenigen am Bodensee – ist das ganz wichtig. Das
sieht man vielleicht da oben durch eine etwas andere
Brille.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Greif nicht den Präsidenten an!)


– Ich meinte nicht Sie, Herr Präsident; ich meinte jene
Bank dort.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich dachte, in Stuttgart!)


Des Weiteren halten wir eine stärkere Vernetzung und
Kooperation von einzelnen Kulturakteuren innerhalb der
EU sowie die Etablierung einer gemeinsamen europäi-
schen außenkulturpolitischen Strategie für dringend er-
forderlich.

Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung die vorlie-
genden Anträge als Startsignal versteht und sich stärker
als bisher in der Europäischen Union für eine Intensivie-
rung des Kunst- und Kulturaustauschs und der Begeg-
nung einsetzt, um die europäische Einigung durch kul-
turpolitische Impulse voranzubringen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621424200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 16/12137. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/11221 mit dem Titel „Einheit in






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Vielfalt – Kulturpolitik in und für Europa aktiv gestal-
ten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der
Linken und der Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/10339 mit dem Titel „Vielfalt
verbindet – Europäische Kultur stärken und weiterentwi-
ckeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der
SPD und der FDP gegen die Stimmen der beiden ande-
ren Fraktionen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 16/1700 zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung mit dem Titel „Vorschlag für einen Be-
schluss des Europäischen Parlaments und des Rates über
das Programm ‚Kultur 2007‘ (2007 – 2013)“. Der Aus-
schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/11909 mit dem Titel „Europäische
Kulturpolitik neu ausrichten“. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der
SPD gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
Grünen und der Linken abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommt Arbeit
auf mich zu. Die muss ich jetzt noch bewältigen. Haben
Sie ein bisschen Geduld mit mir!


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wir stärken Ihnen dabei den Rücken!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüg-
lich beschaffen

– Drucksachen 16/6999, 16/8242 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Gerd Höfer
Elke Hoff
Paul Schäfer (Köln)

Alexander Bonde

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Reden zu
Protokoll zu geben. Es handelt sich um die Reden der
Kolleginnen und Kollegen Raidel, Reichel, Hoff, Höger
und Bonde.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Schutzsystem gegen
Sprengfallen unverzüglich beschaffen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/8242, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/6999 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der CDU/CSU, der SPD und der Linken gegen die Stim-
men der FDP bei Enthaltung der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 15:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

Pakistan stabilisieren und seine demokratische
Entwicklung vorantreiben

– Drucksache 16/12432 –

Es ist vereinbart worden, die Reden zu Protokoll zu
geben. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen
und Kollegen Haibach, Pflug, Riemann-Hanewinckel,
Hoff, Gehrcke und Nachtwei.2)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf
Drucksache 16/12432. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen und der
FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 16:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Rücknahme der Klage gegen Italien vor dem
Internationalen Gerichtshof und Entschädi-
gung für italienische und griechische NS-Opfer

– Drucksache 16/12168 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Bär,
Griefahn, Hoyer, Jelpke und Wieland.


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1621424300

Wir sind heute nicht hier, um die deutsche Verantwor-

tung für die Gräuel des NS-Regimes vor und während des
Zweiten Weltkrieges infrage zu stellen oder die Untaten
zu verharmlosen. Wir sind heute ebenso nicht hier, um
Sinn und Zweck von Entschädigungen für die Opfer die-
ser Verbrechen zu hinterfragen.

1) Anlage 5
2) Anlage 6


(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Bär
Der Antrag der Fraktion Die Linke, der heute vorliegt,
zielt darauf ab, dass die Bundesregierung ihre Klage ge-
gen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof zurück-
zieht und italienische sowie griechische NS-Opfer ent-
schädigt. Der Beweggrund der Bundesregierung, Klage
einzureichen, ist nicht der, keine Verantwortung für die
Geschehnisse in Distomo und Civitella zu übernehmen,
sondern ein rechtlicher. Es geht darum, den Schutz eines
essenziellen Grundsatzes des Völkerrechts, nämlich die
Staatenimmunität, nochmals bestätigen zu lassen. Italien
hat die Staatenimmunität Deutschlands verletzt, indem es
Klagen gegen die Bundesrepublik zuließ und diesen Kla-
gen stattgegeben hat. Die Staatenimmunität ist eines der
wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts und muss daher
unbedingt gewahrt bleiben. Dies ist im Interesse Deutsch-
lands und auch im Sinne der internationalen Gemein-
schaft. Ohne dieses Prinzip wäre es unmöglich, nach
einem Konflikt zwischen Staaten wieder eine Friedens-
ordnung herzustellen. Ohne dieses Prinzip wäre es
ebenso unmöglich, die Vergangenheit hinter sich zu las-
sen und wieder in die Zukunft zu schauen.

Das Prinzip der Immunität heißt nicht, dass wir die
Vergangenheit vergessen. Es ist dafür da, gemeinsam und
konstruktiv an einer besseren Zukunft zu arbeiten und aus
vergangenen Erfahrungen zu lernen. Italien hat sich dazu
entschieden, das Prinzip der Staatenimmunität zu verlet-
zen. Jedoch respektiert Italien die Entscheidung der Bun-
desregierung, Klage vor dem Internationalen Gerichts-
hof einzureichen, und ist der Ansicht, dass die Anhörung
auf positive Weise zur Klärung der Angelegenheit beitra-
gen wird.

Ich bin mir sicher, dass Italien weiß, dass es hier nicht
darum geht, sich vor Entschädigungen zu drücken. Die
Aufarbeitung der Geschehnisse im Dritten Reich hat in
der deutschen Kultur zu Recht einen sehr hohen und über-
aus wichtigen Stellenwert. Wir tragen unserer Vergan-
genheit Rechnung, nicht nur durch symbolische Handlun-
gen, wie zum Beispiel durch die Errichtung von
Gedenkstätten, sondern auch durch finanzielle Entschä-
digungszahlungen. Solche Zahlungen hat auch Italien er-
halten. Bereits in den 60er-Jahren hat die Bundesrepublik
Deutschland umfassende und abschließende Entschädi-
gungsvereinbarungen mit beiden Ländern getroffen. Da-
nach hat Deutschland für die Opfer der NS-Verfolgung in
Italien insgesamt 40 Millionen Deutsche Mark an Italien
und 115 Millionen Deutsche Mark an Griechenland ge-
zahlt. Darüber hinaus wurden weitere Entschädigungs-
leistungen für circa 1 000 italienische Militärinternierte
gezahlt. Auch im Rahmen der Stiftung „Erinnerung, Ver-
antwortung und Zukunft“ haben 3 395 zivile italienische
Zwangsarbeiter finanzielle Zuwendungen erhalten. Ita-
lien hat infolgedessen im eigenen Namen und im Namen
seiner Staatsangehörigen auf alle Ansprüche gegen
Deutschland und seine Staatsangehörigen verzichtet, so-
fern sie auf Rechte und Tatbestände zurückgehen, die in
der Zeit des Zweiten Weltkriegs entstanden sind. Es be-
steht somit kein Grund für eine zusätzliche Zahlung von
Entschädigungsleistungen.

Ich möchte hierbei nochmals unterstreichen, dass un-
sere moralische Verantwortung natürlich unabhängig
von den Rechtsfragen besteht und wir uns dieser weder
Zu Protokoll
entziehen dürfen, noch entziehen können. Es geht hier
nicht um die Leugnung der deutschen Vergangenheit, wir
wollen uns nicht vor Zahlungen drücken. Es geht hier um
die Lösung einer rechtlichen Frage, die durch das Verhal-
ten Italiens aufgeworfen wurde. Wenn die Bundesrepublik
jetzt kein Zeichen setzt, wird die Immunität unseres Staa-
tes auch von anderen Ländern angegriffen werden.
Ebenso wird die Staatenimmunität auch für andere Län-
der infrage gestellt. Das dürfen wir nicht zulassen. Die
einzige Lösung ist die Klage vor dem Internationalen Ge-
richtshof. Wie bereits angemerkt, hat dies auch Italien
eingesehen und respektiert die Klage der Bundesrepublik.

Der Antrag, der uns heute vorliegt, hat das Anliegen
der Bundesregierung nicht erfasst und versteht den Kern
der Sache bewusst falsch. Es bleibt anzumerken, dass der
Antrag, der uns heute vorliegt, von einer Partei kommt,
die als Staatspartei der DDR 40 Jahre lang überhaupt
keine Veranlassung gesehen hat, ausländische NS-Opfer
zu entschädigen.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1621424400

Die Verbrechen, die von Deutschland ausgehend von

1933 bis 1945 geschehen sind, gehören zu den dunkelsten
Kapiteln unserer Geschichte. Wir haben in Deutschland
auch heute, über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs, nach wie vor uneingeschränkt die Verantwor-
tung, an diese Vergehen zu erinnern, der Opfer zu geden-
ken und alles dafür zu tun, dass die Erinnerung an sie
Mahnung für zukünftige Generationen ist.

Es ist keine Frage: Deutschland steht zu seiner Verant-
wortung. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit
auch Opferentschädigungen gezahlt. Im Zuge des 1961
abgeschlossenen Globalabkommens waren das für italie-
nische NS-Opfer 40 Millionen DM. Daneben erhielten
über 3 000 zivile Zwangsarbeiter Leistungen durch die
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ be-
ziehungsweise die Jewish Claims Conference in Höhe von
circa 1,89 Millionen Euro.

In dem Friedensvertrag zwischen Deutschland und
Italien 1947 hat Italien eine Verzichtserklärung für wei-
tere Entschädigungszahlungen abgegeben. Trotzdem sind
vor italienischen Gerichten derzeit über 50 Einzel- und
Sammelklagen gegen Deutschland anhängig, mit denen
von der Bundesrepublik Schadensersatz im Zusammen-
hang mit dem Zweiten Weltkrieg verlangt wird. Einige
Fälle betreffen italienische Militärinternierte, die nach
1943 von Deutschland inhaftiert wurden und in Deutsch-
land Zwangsarbeit leisten mussten. In anderen Fällen
klagen die Opfer oder die Nachfahren von Opfern deut-
scher Kriegsverbrechen in Italien. Gleichzeitig wird vor
italienischen Gerichten versucht, ein in Griechenland ge-
gen Deutschland ergangenes Urteil wegen eines SS-Mas-
sakers 1944 in Distomo zu vollstrecken.

Ich glaube, bei dieser Aufzählung wird klar, dass hier
eine wahre Prozesslawine droht. Die Klagen stehen im
Konflikt mit der völkerrechtlich gewährleisteten Staaten-
immunität. Das Prinzip der Staatenimmunität besagt,
dass kein Staat wegen seines hoheitlichen Handelns vor
den Gerichten eines anderen Staates verklagt oder gegen
ihn vollstreckt werden kann. Dieses Prinzip gilt selbstver-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
ständlich nicht nur für Deutschland, sondern für alle
Länder und macht überhaupt erst möglich, dass es eine
internationale friedliche Zusammenarbeit geben kann.
Nach den zahlreichen internationalen Konflikten, wovon
der Zweite Weltkrieg sicherlich der schwerste war, muss
es so ein Prinzip geben, damit man irgendwann wieder in
eine Situation der Befriedung kommt. Ohne dieses Prin-
zip gäbe es eine individuelle Klagewelle gegen Staaten
weltweit, was nicht nur zur totalen internationalen
Rechtsunsicherheit, sondern auch global zu einer politi-
schen Eiszeit führen würde.

Der italienische Kassationshof sieht das anders: Er
hat in insgesamt drei Urteilen entschieden, dass sich
Deutschland in diesen Fällen der Kriegsverbrechen nicht
auf Staatenimmunität berufen könne. Wenn dieses Prinzip
recht behielte, dann müsste das in ähnlichen Fällen auch
für andere Kriege gelten.

Sie sehen, wie weitreichend die Konsequenzen wären,
wenn das grundlegende Prinzip der Staatenimmunität,
das das internationale Miteinander gewährleistet, außer
Kraft gesetzt wird. Ich zitiere jemanden, der nach eigener
Aussage das Urteil des italienischen Kassationshofes für
sehr gefährlich hält: „Wenn die Gerichte von Fall zu Fall
entscheiden, ob einem Staat Immunität zukommt, wird
das Prinzip der Staatenimmunität unberechenbar. Die
Welt braucht aber Rechtssicherheit. Sonst gerät alles aus
den Fugen.“ Dieses Zitat stammt nicht von einem Deut-
schen, sondern vom italienischen Außenminister Frattini.
Die italienische Regierung ist in dieser Frage der glei-
chen Auffassung wie die deutsche Regierung, und das
zeigt mir, dass es richtig ist, auch im Sinne der inter-
nationalen Gemeinschaft auf dem Prinzip der Staaten-
immunität zu bestehen.

Ich sage noch einmal ganz klar: Damit treten wir kei-
nen Millimeter von der Verantwortung Deutschlands zu-
rück. Wir relativieren nicht unsere Schuld, zu der wir
nach wie vor klar stehen. Die deutsche Regierung ist sich
mit der italienischen darin einig, dass es zwei Dimensio-
nen der Debatte gibt: zum einen die juristische und zum
anderen die politisch-moralische. Beide sind zwar mit-
einander verflochten, aber die Rechtsfrage lässt sich
nicht moralisch aus der Welt schaffen, und genauso wenig
kann unsere Verantwortung für eine gesellschaftliche
Auseinandersetzung mit dem Unrecht des Zweiten Welt-
krieges durch einen Gerichtsbeschluss erledigt werden.
Der juristische und der politisch-moralische Prozess er-
gänzen sich. Keiner wäre, für sich allein, in der Lage, die
Grundlage für eine gute gemeinsame Zukunft zu legen.
Stattdessen wollen wir das gemeinsam angehen.

Deswegen haben am 18. November im letzten Jahr
Außenminister Franco Frattini und Frank-Walter
Steinmeier mit ihrem gemeinsamen Besuch der Gedenk-
stätte „La Risiera di San Sabba“ – des einzigen KZs Ita-
liens – ein in der Öffentlichkeit beider Länder viel beach-
tetes Zeichen für die Anerkennung des Leids der Opfer
des Nazifaschismus gesetzt. Außerdem haben die Minis-
ter Historiker beider Länder zu einer gemeinsamen Kon-
ferenz in das deutsch-italienische Begegnungszentrum
der Villa Vigoni eingeladen. Die heutige Debatte findet zu
einem guten Zeitpunkt statt, denn genau morgen beginnt
Zu Protokoll
diese Konferenz, bei der es um die deutsch-italienische
Kriegsvergangenheit und das Schicksal der italienischen
Militärinternierten gehen wird. Dies ist die Auftaktveran-
staltung zu einer gemeinsamen Historikerkommission,
die ab morgen ihre Arbeit aufnehmen wird, aus der am
Ende auch ein Bericht hervorgeht. Sowohl Deutschland
als auch Italien haben leidvolle Erfahrungen mit totalitä-
ren Regimen. Mit der gemeinsamen historischen Aufar-
beitung können wir auch eine gemeinsame Erinnerungs-
kultur schaffen.

Wenn wir etwas in die Breite schauen, dann sehen wir
auch viele andere Beispiele dafür, dass Deutschland sei-
ner Verantwortung für ein gutes Verhältnis mit Italien ge-
recht wird. In keinem anderen Land haben wir so viele
kulturelle Institutionen wie in Italien. Allein fünf wissen-
schaftliche Institute, vier Häuser mit Stipendien für
Künstler, sieben Goethe-Institute, die Villa Vigoni, drei
Deutsche Schulen, insgesamt über 30 deutsch-italieni-
sche Kulturinstitute – das ist so viel wie nirgendwo sonst.
Und auch Italien ist in Deutschland mit der weltweit
größten Zahl von Kulturinstituten vertreten. Ich glaube,
das allein zeigt schon sehr deutlich, wie weit wir in den
65 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs schon ge-
kommen sind.

Ich würde mir wünschen, dass dieser gemeinsame Weg
noch weiter verstärkt wird. Derzeit wird an einer Inter-
netplattform für deutsche und italienische Jugendliche
gearbeitet. Ich finde das sehr begrüßenswert und würde
mir wünschen, dass wir in diese Richtung noch weiter ge-
hen und nach dem Vorbild des deutsch-französischen
oder deutsch-polnischen Jugendwerks auch ein deutsch-
italienisches Jugendwerk ins Leben rufen. Das ist natür-
lich auch immer eine Frage des Geldes, aber ich denke,
hier können wir wirklich nachhaltig in die deutsch-ita-
lienischen Beziehungen investieren und zur Verständi-
gung beitragen.

Noch ein Wort zu dem besonderen Fall, bei dem vor
italienischen Gerichten versucht wird, ein in Griechen-
land gegen Deutschland ergangenes Urteil wegen eines
SS-Massakers 1944 in Distomo zu vollstrecken. Das
höchste griechische Gericht hat beschieden, dass dieses
Urteil wegen der geltenden Staatenimmunität gar nicht
vollstreckt werden kann. Deswegen versuchen die Kläger
jetzt, es in Italien vollstrecken zu lassen. Auch wenn die
Rechtslage in diesem Fall vonseiten der griechischen Ge-
richte unumstrittener ist, so wird doch klar, dass wir in
der politisch-moralischen Dimension der deutsch-grie-
chischen Beziehungen noch lange nicht am Ziel sind. Ich
würde mir deshalb ein ähnliches Zeichen, wie es die Au-
ßenminister in Italien gesetzt haben, und einen ähnlichen
Anstoß wie die Historikerkommission auch in Griechen-
land wünschen.

Abschließend möchte ich den in meinen Augen wich-
tigsten Aspekt des Konfliktes unterstreichen. Anstatt dass
dieser Konflikt Deutsche und Italiener entzweit hätte, hat
uns das Problem eher zusammengeführt, und darüber bin
ich sehr froh. Der vorliegende Antrag bestätigt leider
wieder einmal meinen Eindruck, dass die Linke mehr da-
ran interessiert ist, Symbolpolitik zu fordern, als dass sie



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
sich für realistische Maßnahmen einsetzt. Deswegen wer-
den wir dem Antrag nicht zustimmen können.


Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1621424500

Hintergrund des heute hier zu diskutierenden Antrages

sind mehr als 50 Einzel- und Sammelklagen gegen die
Bundesrepublik Deutschland, die sich auf den Zeitraum
von 1943 bis 1945 beziehen und die in Italien derzeit an-
hängig sind. Diese Klagen sind von ehemaligen Zwangs-
arbeitern, Militärinternierten und Opfern der Verbrechen
der NS-Besatzung sowie deren Angehörigen angestrengt
worden. Daneben wird vor italienischen Gerichten ver-
sucht, das in Griechenland ergangene „Distimo“-Urteil
zu vollstrecken.

Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen:
Deutschland kann und will sich der moralischen Verant-
wortung für das unermessliche Leid, das die nationalso-
zialistische Herrschaft über Europa und darüber hinaus
gebracht hat, niemals entledigen. Die Erinnerung an die
NS-Kriegsverbrechen wird immer lebendig sein – als
Mahnung für uns alle, und für viele Opfer und deren An-
gehörige leider auch als Teil ihrer ganz persönlichen
Biografie. Dass Deutschland heute seinen Platz als
gleichberechtigter Partner in der Mitte Europas einneh-
men kann, verdanken wir nicht zuletzt auch den Opfern
der NS-Gewaltherrschaft, die Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg eine neue Chance gegeben haben. Das
verpflichtet Deutschland in besonderem Maße dazu, aktiv
Beiträge zu Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit und
zu der Durchsetzung der Menschenrechte zu leisten.

Der italienische Kassationsgerichtshof hat in bislang
insgesamt drei Urteilen entschieden, Deutschland könne
sich im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit
nicht auf den Grundsatz der Staatenimmunität beziehen,
und damit den Weg frei gemacht für die Fortsetzung der
Verfahren sowie weitere Entschädigungsklagen. Die Bun-
desregierung hat sich dem entgegengestellt und inzwi-
schen Klage vor dem Internationalen Gerichtshof einge-
reicht.

Die Fraktion Die Linke hat dies zum Anlass genom-
men, die Bundesregierung dazu aufzufordern, die Klage
vor dem IGH zurückzuziehen und die Urteile der italieni-
schen Gerichte anzuerkennen.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP-Bun-
destagsfraktion unterstützt die Bundesregierung in ihrer
Klage vor dem IGH und in ihrer Rechtsauffassung hin-
sichtlich der hier dargestellten Problematik ausdrück-
lich. Und ich füge hinzu, dass ich den hier vorliegenden
Antrag der Fraktion Die Linke für unverantwortlich
halte. Das gilt sowohl für die Anschuldigung, „das bishe-
rige Verhalten der Bundesregierung [sei] eine Verhöh-
nung der Opfer und eine Blamage für die Bundesrepublik
Deutschland“, als auch für die Forderung, Deutschland
solle auf seine Staatenimmunität verzichten.

Die Bundesrepublik Deutschland begann bereits im
Jahre 1960 im Rahmen eines Vertrages mit Griechenland
über die abschließende Regelung der Entschädigungs-
frage für begangenes NS-Unrecht mit der Zahlung von
insgesamt 115 Millionen DM. Die Zahlungen gingen di-
Zu Protokoll
rekt an die griechische Regierung, die für die Verwen-
dung der Mittel verantwortlich war. Im Falle Italiens
wurde die Frage der Entschädigungen durch den Frie-
densvertrag des Jahres 1947 und ein 1961 geschlossenes
Abkommen abschließend geregelt. Vor diesem Hinter-
grund ist es schlichtweg unredlich, zu behaupten,
Deutschland habe sich bei der Aufarbeitung von Kriegs-
verbrechen mehr oder weniger aus der Verantwortung
gestohlen.

Das Prinzip der Staatenimmunität ist ein Stabilitäts-
faktor für die internationalen Rechtsbeziehungen und hat
sich nach meiner Überzeugung auf den Versöhnungspro-
zess nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges positiv und
nicht etwa negativ ausgewirkt. Es schützt nicht zuletzt
auch die Bundesrepublik Deutschland und andere Staa-
ten vor Entschädigungsforderungen, denen sie in der
Summe niemals gerecht werden könnten.

Diese Auffassung vertreten wir übrigens nicht alleine,
sondern wir teilen sie auch mit Verantwortungsträgern in
Italien. Am 20. Juni 2008 hat sich der italienische Außen-
minister Frattini wie folgt geäußert: „Ich halte dieses Ur-
teil …“, gemeint war das Urteil des Kassationsgerichts-
hofes vom 6. Mai, „… für gefährlich. Wenn die Gerichte
von Fall zu Fall entscheiden, ob einem Staat Immunität
zukommt, wird das Prinzip der Staatenimmunität unbere-
chenbar. Die Welt braucht aber Rechtssicherheit. Sonst
gerät alles aus den Fugen.“

Das griechische Verfassungsgericht hat bereits am
17. September 2002 Weltkriegsklagen in Griechenland
wegen der deutschen Staatenimmunität für unzulässig
erklärt. Entsprechend verfuhr der Areopag später bei an-
deren Weltkriegsklagen. Auch das Bundesverfassungsge-
richt in Karlsruhe entschied, dass es keine juristische
Grundlage für Klagen gebe, die eine Haftung des deut-
schen Staates für in Griechenland begangene Kriegsver-
brechen begründen könnten.

Wenn zu solch grundsätzlichen Fragen wie der Staaten-
immunität international unterschiedliche Rechtsauffas-
sungen bestehen, dann ist es eine Selbstverständlichkeit,
dies durch ein internationales Gericht überprüfen zu las-
sen. Die Klage der Bundesregierung, die sie am 23. De-
zember 2008 beim Internationalen Gerichtshof einge-
reicht hat, trägt dem Rechung und ist nach Auffassung
meiner Fraktion auch sehr gut begründet. Die Klage im-
pliziert in keiner Weise, Schuld oder Verantwortung rela-
tivieren zu wollen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621424600

Wie die Bundesrepublik mit den Opfern von Wehr-

machts- und SS-Verbrechen umgeht, ist ein einziges de-
mütigendes Trauerspiel. Sie versucht, so billig wie mög-
lich davonzukommen, und verweigert bis heute den
Menschen, die Massaker der Nazitruppen überlebt ha-
ben, bzw. ihren Angehörigen jegliche Entschädigung.

In mehreren Grundsatzentscheidungen hat der italie-
nische Gerichtshof bestätigt, dass die überlebenden Op-
fer bzw. ihre Nachkommen einen Rechtsanspruch auf Ent-
schädigung haben; dazu gehören neben italienischen
Opfern auch die Überlebenden des SS-Massakers im



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
griechischen Distomo. Die Bundesregierung ist jedoch
nicht bereit, diese Urteile zu akzeptieren, sondern klagt
gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof. Die
Fraktion Die Linke fordert, diese Klage zurückzuziehen
und den NS-Opfern endlich zu ihrem Recht zu verhelfen.

Die Bundesregierung hat NS-Opfer jahrzehntelang
mit dem Hinweis vertröstet, erst müsse Deutschland ei-
nen Friedensvertrag unterzeichnet haben. Dann, nach
dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und der Wiedervereinigung,
hieß es plötzlich, so viele Jahrzehnte nach Kriegsende
seien Entschädigungsansprüche nicht mehr legitim.

Auf den Versuch, sie auf so infame Weise auszutrick-
sen, haben griechische und italienische Opferverbände
juristisch geantwortet, und sie haben Recht erhalten, was
Die Linke ausdrücklich begrüßt. Denn es gilt festzuhal-
ten: Es hat bisher keine Entschädigung für die Opfer von
Wehrmachtsverbrechen gegeben! Die Bundesregierung
verweist immer wieder auf das sogenannte Globalabkom-
men aus den 1960er-Jahren, als 40 Millionen D-Mark ge-
zahlt wurden, und vergisst dabei stets den Hinweis, dass
diese – sowieso lächerlich geringe – Summe nur für so-
genannte NS-typische Verfolgung gedacht war. Verbre-
chen gegen die Menschheit, wie sie Wehrmacht und Waf-
fen-SS in Italien vor allem während ihres Rückzuges ab
Herbst 1943 begangen haben, fielen nicht in diese Kate-
gorie.

Auch die italienischen Militärinternierten, die unter
völkerrechtswidrigen Bedingungen zur Zwangsarbeit in
Deutschland gezwungen wurden, sind nie entschädigt
worden. Vielmehr wurden sie aus der Zwangsarbeiter-
Entschädigung explizit ausgeschlossen. Die Linke bzw.
die PDS hat diesen Ausschluss aus der Entschädigung
immer kritisiert. Zu Recht, wie italienische Gerichte nun
feststellen, denn auch die Militärinternierten haben von
ihnen grünes Licht für Entschädigungsklagen bekommen.

Das Bedauern, das die Bundesregierung regelmäßig
bekundet, wenn sie auf die deutschen Verbrechen ange-
sprochen wird, kann ich mittlerweile nur noch als heuch-
lerisch bezeichnen. Sie vergießt Krokodilstränen, will
sich aber so billig wie möglich aus der Affäre ziehen. Es
reicht allenfalls für symbolische Gesten, die kaum etwas
kosten.

Als Antwort auf die Urteile der Gerichte haben sich die
deutsche und die italienische Regierung darauf geeinigt,
eine Historikerkommission einzusetzen. Das ist schön
und billig und verpflichtet zu nichts. Es ist bezeichnend,
was die zuständige Kulturabteilung der deutschen Bot-
schaft in Rom auf die Frage meines Büros geantwortet
hat, ob denn auch Opferverbände an der Arbeit dieser
Kommission teilnehmen könnten: „Natürlich nicht“, hieß
es da. Ohne den Mitgliedern der Kommission ihren guten
Willen absprechen zu wollen: Das zeigt schlagend, dass
die Kommission von der Bundesregierung lediglich als
Feigenblatt gesehen wird, welches die Blöße ihres Versa-
gens kaschieren soll.

Für Die Linke sind symbolische Gesten durchaus not-
wendig, ebenso wie historische Aufarbeitung. Doch we-
der Tagungen noch protokollarische Auftritte in KZ-Ge-
denkstätten können reale Politik ersetzen und schon gar
Zu Protokoll
nicht die berechtigten Forderungen der noch lebenden
NS-Opfer aushebeln.

Ein Wort zur Staatenimmunität. Dahinter will sich die
Bundesregierung ja verstecken, weil nach ihrer Sicht der
Dinge die italienischen Bürgerinnen und Bürger nicht
das Recht haben, den deutschen Staat zu verklagen. Man
muss doch festhalten: Die deutschen Soldaten, die in Ita-
lien gewütet und Dutzende von Massakern, Tausende von
Morden begangen haben, waren doch keine durchgedreh-
ten Einzeltäter! Die Verbrechen waren keine individuel-
len Exzesse, sondern sie waren von der obersten politi-
schen und militärischen Führung des Deutschen Reiches
ausdrücklich gewollt und sogar regelrecht angeordnet;
die Rache- und Sühnebefehle des Oberkommandos der
Wehrmacht zeigen das ja mehr als deutlich. Die Massaker
waren Chefsache, die Soldaten, die sie ausgeführt haben,
sind deshalb nicht weniger verbrecherisch, aber dass der
Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches die Verantwor-
tung dafür nun von sich weisen will, ist perfide.

Doch nicht nur politisch ist die sogenannte Staaten-
immunität in diesem Fall eindeutig abzulehnen, sondern
auch juristisch – das haben sowohl der griechische
Areopag als auch der italienische Corte di Cassazione
entschieden: Für solche Verbrechen gegen die Mensch-
heit, wie sie die Nazitruppen verübt haben, gibt es keine
Immunität.

Nebenbei sei erwähnt: Dass die italienische Regierung
sich hier auf die Seite der Bundesregierung schlägt, kann
kaum verwundern, schließlich hat auch Italien noch so
manche Leiche aus seiner faschistischen Kriegführung
während der 1930er- und 1940er-Jahre im Keller liegen
und fürchtet offenbar, seinerseits verklagt zu werden.
Eine widerliche Kumpanei!

Die Bundesregierung hat noch nie das Gespräch mit
den NS-Opfern gesucht. Sie schreckt nicht einmal davor
zurück, diese nun zu diffamieren und ihnen vorzuwerfen,
ihre Klagen stellten „eine ernsthafte Belastung der
deutsch-italienischen Beziehungen“ dar. So steht es in
der Klageankündigung, die Ende Dezember vorigen Jah-
res beim IGH eingereicht worden ist. Hinter solchen Wor-
ten steckt eine Kaltblütigkeit, die einen schaudern lässt.
Die gleiche Bundesregierung, die es ablehnt, rechtskräf-
tige Urteile von EU-Mitgliedstaaten zu akzeptieren und
den Opfern des Nazirechts Entschädigung zu gewähren,
wirft ausgerechnet diesen Opfern vor, die Interessen des
deutschen Staates zu gefährden.

Die Fraktion Die Linke ist dieses Trauerspiel leid, und
damit wissen wir uns einig mit den Opfern des „Dritten
Reiches“ und den Geboten der Humanität. Die Bundes-
regierung hat mit den Urteilen der griechischen und der
italienischen Justiz die Quittung für ihr entschädigungs-
politisches Versagen erhalten. Wir fordern sie nun auf, die
Klage vor dem Internationalen Gerichtshof zurückzuzie-
hen und endlich die rechtskräftig gewordenen Entschädi-
gungsansprüche zu akzeptieren. Ich bin sehr gespannt
darauf, wie die anderen Fraktionen dieses Parlamentes
auf unseren Antrag reagieren. Es geht hier auch um die
Glaubwürdigkeit der deutschen Geschichtspolitik. Las-
sen Sie den Opfern des Nationalsozialismus endlich Ge-
rechtigkeit zuteil werden!



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621424700

Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS haben im

Zweiten Weltkriege eine Reihe unsäglicher Massaker an
Zivilisten angerichtet. Besonders betroffen davon waren
ab 1943 Italien und Griechenland, aber auch das ehema-
lige Jugoslawien. Mit der Behauptung, gegen Partisanen
vorzugehen, wurde die Bevölkerung ganzer Dörfer kalt-
blütig zusammengetrieben und systematisch ermordet.
Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um Männer oder
Frauen, um Alte oder Kinder handelte.

Dieses Vorgehen wurde oftmals als „Kollektivstrafe“
gerechtfertigt. Allen bekannt ist etwas das Massaker an
den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Nachdem eine Wi-
derstandsgruppe 33 deutsche Soldaten bei einem An-
schlag getötet hatte, haben die verantwortlichen Kom-
mandeure aus Gefängnissen in Rom 335 Personen – die
bestialische Logik hieß: zehn Italiener müssen für jeden
toten Deutschen sterben – zusammengetrieben, vor die
Tore der Stadt transportiert und dort systematisch er-
schossen.

Ähnlich liegt der Fall bei der Ermordung von 228 Be-
wohnern des griechischen Ortes Distomo. Auch hier ver-
barg sich hinter der Schutzbehauptung der „Vergeltungs-
aktion“ für den Tod einiger deutscher Soldaten ein
systematischer Massenmord.

Es gibt viele weitere Fälle dieser Art und es gibt die
große Gruppe der sogenannten Militärinternierten, de-
nen der Status der Kriegsgefangenen damals verweigert
wurde und die deshalb Zwangsarbeit leisten mussten.

Italienische Gerichte haben nun bis zur höchsten In-
stanz entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland
schadensersatzpflichtig ist und dass diese Ansprüche
auch vollstreckt werden können. Auch Hinterbliebene
und Nachfahren der griechischen Opfer haben in Italien
versucht, ihre Schadensersatzansprüche vollstrecken zu
lassen.

Es steht für mich völlig außer Frage, dass es die Pflicht
der Bundesregierung ist, die Hinterbliebenen der Opfer
zu entschädigen und dafür zu sorgen, dass diese Ereig-
nisse – zum Beispiel in der deutsch-italienischen Histori-
kerkommission – restlos aufgeklärt werden und ihrer ge-
bührend gedacht wird.

Die pauschalen Zahlungen, die in den 60er-Jahren von
der Bundesrepublik geleistet wurden, waren nicht ausrei-
chend. Sie waren zudem eine Form der allgemeinen
Wiedergutmachung. Viele derer, die in der einen oder an-
deren Form Opfer des nationalsozialistischen Besat-
zungsregimes, der Wehrmacht und der Waffen-SS gewor-
den sind, haben diese Zahlungen nicht erreicht. Und auch
im Rahmen der Entschädigung der ehemaligen Zwangs-
arbeiter, die von der rot-grünen Bundesregierung mit der
Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“ ermöglicht wurde, blieben diese Opfer außen
vor. Es ist also höchste Zeit, dass auch für die Opfer des
NS-Terrors in Südeuropa eine ähnliche Entschädigung
bereitgestellt wird.

Der vorliegende Antrag will aber etwas anderes. Er
fordert die Anerkennung der Urteile aus Italien und Grie-
chenland und die Rücknahme der deutschen Klage vor
dem Internationalen Gerichtshof. Das ist in dieser Form
nicht zu unterstützen. Denn mit der Anerkennung der Ur-
teile und der Rücknahme der Klage würde das Prinzip der
Staatenimmunität aufgegeben. Dieses Prinzip gehört
aber zu den Kernbeständen des internationalen Rechts.
Es kann und sollte nicht durch eine alleinige deutsche
Entscheidung ausgesetzt und infrage gestellt werden.

Das ändert aber nichts an der moralischen Pflicht,
schnellstmöglich einen Weg zu finden, die Opfer von da-
mals angemessen, unbürokratisch und schnell für ihre
Leiden zu entschädigen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621424800

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/12168 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 17 a und
17 b:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Telekommunika-
tionsgesetzes

– Drucksache 16/10731 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/12405 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Möglichkeiten missbräuchlicher Ortung von
Mobiltelefonen mittels privater Anbieter be-
gegnen

– Drucksache 16/9608 –

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Es
handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kolle-
gen Krogmann, Dörmann, Otto (Frankfurt), Schui und
Dückert.1)

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12405,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/10731 in der Ausschussfassung anzunehmen.

1) Anlage 7






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP bei
Enthaltung der Linken und der Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/12456. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen der FDP mit den Stimmen des Hauses im Übri-
gen abgelehnt.

Wir kommen zum Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/9608 mit dem Titel „Möglichkeiten
missbräuchlicher Ortung von Mobiltelefonen mittels pri-
vater Anbieter begegnen“. Abweichend von der Tages-
ordnung soll über den Antrag heute abgestimmt werden.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
FDP und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 18:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin,
Josef Philip Winkler, Rainder Steenblock, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine zukunftstaugliche und menschen-
rechtlich fundierte Europäische Migrations-
politik

– Drucksachen 16/10341, 16/12464 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen sind

(RemsMurr)


Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/12464, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/10341 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken

1) Anlage 8
gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der FDP
angenommen.

Tagesordnungspunkt 19:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes

(Drittes Zivildienstgesetzänderungsgesetz)


– Drucksache 16/10995 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 16/12372 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Sönke Rix
Ina Lenke
Elke Reinke
Kai Gehring

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/12373 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Grübel, Rix, Lenke,
Reinke, Gehring und der Parlamentarische Staatssekretär
Kues.2)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Zivildienstgesetzes und anderer Gesetze. Der
Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt auf Drucksache 16/12372, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/10995 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen
angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.

2) Anlage 9






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Abstimmung über den Entschließungsantrag der FDP
auf Drucksache 16/12457. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
FDP bei Stimmenthaltung von Grünen und Linken abge-
lehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Adoptionen von minderjährigen Kindern för-
dern

– Drucksache 16/12293 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Granold,
Lambrecht, Lenke, Wunderlich und Deligöz.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1621424900

Heute beraten wir in erster Lesung den Antrag der

FDP, der sich mit der Adoption minderjähriger Kinder
befasst. Wir begrüßen diese Debatte, denn das Thema ist
wichtig.

Die Union spricht sich grundsätzlich für eine Förde-
rung der Adoptionen von minderjährigen Kindern aus.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der nach wie
vor hohen Zahl von Abtreibungen sowie der wachsenden
Zahl von Kindesmisshandlungen und -vernachlässigun-
gen. Es wäre für diese Kinder besser, ein neues Zuhause
bei den vielen Eltern zu finden, die sich heute leider oft
vergeblich um ein Kind bemühen. Der Gesetzgeber ist ge-
fordert, hier im Sinne der Kinder die richtigen gesetzli-
chen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir unterstützen
daher grundsätzlich die Zielsetzung des Antrages, die
Adoption von minderjährigen Kindern zu fördern.

Das deutsche Adoptionsrecht sieht eine Höchstalters-
grenze für adoptionswillige Eltern nicht vor. Die Anneh-
menden müssen lediglich ein bestimmtes Mindestalter er-
reicht haben. Dieses beträgt 21 Jahre bzw. bei
Stiefkindadoptionen 25 Jahre. Im Übrigen spielt das Alter
der Annehmenden lediglich mittelbar eine Rolle bei der
Prüfung der Eignung der Bewerber und der Frage, ob zu
erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem
Kind eine Eltern-Kind-Beziehung entsteht. Die Frage der
Eignung der Bewerber muss also letztlich in jedem Ein-
zelfall von den zuständigen staatlichen Stellen geprüft
und beantwortet werden.

Die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft
der Landesjugendämter, die in der Praxis eine wichtige
Richtlinie darstellen, sehen allerdings im Alter der Be-
werber einen Indikator für andere Merkmale – etwa die
Gesundheit oder Belastbarkeit. Insofern gehen die Emp-
fehlungen davon aus, dass es dem Wohl des Kindes nicht
dient, wenn der Altersunterschied zwischen Kind und El-
tern mehr als 40 Jahre beträgt.

Die FDP fordert nun, die Frage des Alters stets einzel-
fallbezogen – das heißt individuell – zu beurteilen. Da-
rüber hinaus soll gesetzlich festgehalten werden, dass ein
Altersunterschied von mehr als 40 Jahren im Einzelfall
als unschädlich anzusehen ist. Aus Sicht der Union ist
dieses Anliegen grundsätzlich berechtigt. Die gesell-
schaftlichen Bedingungen haben sich langfristig verän-
dert. Die Annahme, dass ein Altersunterschied von mehr
als 40 Jahren in der Regel nicht dem Wohl des Kindes
dient, kann so nicht mehr aufrechterhalten bleiben. Wir
stellen fest, dass Mütter ihre Kinder heute immer später
zur Welt bringen. Schwangerschaften bei 40-jährigen
Frauen sind heute längst keine Seltenheit mehr. Anders
als früher ist hiermit weder unter medizinischen noch un-
ter psychologischen Gesichtspunkten ein signifikant er-
höhtes Risiko verbunden. Dies gilt insbesondere auch für
die Kinder. Die Menschen werden zudem immer älter.
Sechzigjährige sind heute gesünder und vitaler als noch
vor 20 Jahren. Ein Altersunterschied von mehr als
40 Jahren kann deshalb nicht länger per se ein Grund für
die fehlende Eignung der Bewerber sein. Im Übrigen ist
es nicht gerechtfertigt, dass bestimmte Personengruppen
– ich denke hierbei insbesondere an Prominente wie
Herrn Schröder – privilegiert werden, indem bei ihnen
ein größerer Altersunterschied offenbar kein Problem
darstellt. Angesichts dieses Widerspruches dürfen wir uns
nicht wundern, dass die Akzeptanz der gängigen Adop-
tionspraxis mehr und mehr schwindet.

In diesem Sinne äußerte sich auch die Bundesregie-
rung. So heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage
der FDP-Fraktion aus der letzten Legislaturperiode mit
Blick auf die Frage des Altersunterschiedes und etwaiger
Nachbesserungen: „In diesem Zusammenhang sollte die
gesellschaftliche Entwicklung und der veränderte Alters-
aufbau der Gesellschaft berücksichtigt werden (…)“. Die
Union teilt insofern die Kritik an der geltenden Praxis
und den einschlägigen Empfehlungen zum Altersunter-
schied. Eine gesetzliche Klarstellung, dass es keine obere
Altersgrenze gibt, halten wir jedoch weder für ein geeig-
netes Instrument noch für erforderlich. Die Frage der
persönlichen Eignung unter Berücksichtigung des Alters-
unterschiedes unterliegt einer stetigen dynamischen Ent-
wicklung und sollte deshalb nicht durch eine konkrete ge-
setzliche Regelung zum Altersunterschied abschließend
festgelegt werden. Stattdessen präferieren wir eine am
Kindeswohl orientierte Einzelfallprüfung. Der richtige
Weg ist daher eine Änderung der einschlägigen Empfeh-
lungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landes-
jugendämter. Die Union wird darauf hinwirken, dass eine
entsprechende Änderung zeitnah geprüft und gegebenen-
falls umgesetzt wird.

Nach dem Willen der FDP soll darüber hinaus eine
Gesetzesänderung dahingehend vorgenommen werden,
dass bei Stiefkindadoptionen wie im geltenden Recht der
Erwachsenenadoptionen die Möglichkeit gegeben wird,
das Verwandtschaftsverhältnis zu beiden leiblichen El-
ternteilen bei einem einvernehmlichen Wunsch von
Mutter, Vater sowie adoptionswilligem Stiefelternteil und
einer entsprechenden notariellen Beurkundung beizube-


(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
halten. Schon bei der Überarbeitung des Lebenspartner-
schaftsgesetzes im Jahr 2005 und der damit verbundenen
Einführung der Stiefkindadoption durch gleichge-
schlechtliche Lebenspartnerschaften hat die Union da-
rauf hingewiesen, dass das geltende Recht der Stiefkind-
adoption Mängel aufweist und diese zunächst überarbeitet
werden sollten, bevor man darüber diskutiert, ob der
Kreis der Berechtigten in einem weiteren Schritt auf
gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften erweitert
wird. Wir sind damals mit unseren Bedenken leider nicht
gehört worden. Offensichtlich ging es einigen damals
wohl mehr um die Selbstverwirklichung der gleichge-
schlechtlichen Lebenspartner als um die Interessen der
Kinder. Die Stiefkindadoption bringt für die betroffenen
Kinder zum Teil erhebliche Nachteile. Aus diesem Grund
plädieren wir dafür, das Recht der Stiefkindadoptionen
sorgfältig zu überprüfen und dann gegebenenfalls zu no-
vellieren. Es verbieten sich jedoch in diesem sensiblen
Bereich Schnellschüsse jeder Art.

Im Übrigen bezweifele ich, dass sich die Kolleginnen
und Kollegen von der FDP überhaupt darüber im Klaren
sind, was sie hier eigentlich fordern. Bei der Erwachse-
nenadoption werden gemäß § 1770 BGB bei entsprechen-
dem Wunsch die aus der Abstammung herrührenden Ver-
wandtschaftsverhältnisse des Angenommenen durch die
Annahme grundsätzlich nicht berührt. Im Falle des Todes
des Angenommenen sind deshalb seine leiblichen Eltern
und seine Adoptiveltern nebeneinander erbberechtigt.
Darüber hinaus – das ist das Entscheidende – bleiben in
diesem Fall die gegenseitigen Unterhaltspflichten beste-
hen. Die Beibehaltung des Verwandtschaftsverhältnisses
entsprechend der Erwachsenenadoption würde folglich
bedeuten, dass das betroffene Kind gegenüber dem abge-
benden leiblichen Elternteil nicht nur berechtigt, sondern
zusätzlich auch erb- und unterhaltspflichtig wäre. Das
Kind wäre somit später zum Beispiel gegenüber drei El-
ternteilen unterhaltspflichtig. Mit dem zusätzlichen Ver-
wandtschaftsverhältnis sind zudem weitere für das Kind
negative Rechtsfolgen verbunden. Anders als bei der Er-
wachsenenadoption wird das Kind hier aber nicht ge-
fragt, ob es diese Rechtsfolge wünscht. Vor diesem Hin-
tergrund kann ich mir nicht vorstellen, dass dies wirklich
so gewollt ist. Diese Fragen müssen zunächst einmal ge-
klärt werden. Insofern kann dem Antrag schon aus diesem
Grund nicht zugestimmt werden.

Soweit die FDP erneut die gemeinsame Adoption
durch eingetragene Lebenspartnerschaften fordert, kann
ich hier für die Union ganz klar sagen: Dies lehnen wir
ab. Entscheidender Maßstab ist und bleibt für uns das
Kindeswohl. Wir stellen nicht in Abrede, dass sich homo-
sexuelle Menschen genauso wie heterosexuelle Eltern
rührend um ihre eigenen, um adoptierte oder um die Kin-
der ihres Lebenspartners kümmern können und wollen.
Wir können jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen,
dass eine Adoption durch gleichgeschlechtliche Partner-
schaften – dies gilt sowohl für die Stiefkindadoption, aber
noch mehr für die gemeinsame Adoption – sich negativ
auf das Kindeswohl auswirkt. Diesbezüglich sind noch
keine fundierten Daten über die Auswirkungen auf die be-
troffenen Kinder vorhanden.
Zu Protokoll
Jedes Kind braucht Mutter und Vater für eine gesunde
Entwicklung. Der Bezug zu beiden Geschlechtern ist da-
bei von zentraler Bedeutung. Die Union steht mit dieser
Einschätzung nicht allein. Ich möchte darauf hinweisen,
dass sich unter anderem auch die frühere Vizepräsidentin
des Deutschen Bundestages von Bündnis 90/ Die Grünen,
Antje Vollmer, in der Vergangenheit wiederholt gegen ein
Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Lebenspartner
ausgesprochen hat. Ich zitiere: „Kinder wollen einen Va-
ter und eine Mutter.“ Es gibt berechtigte Zweifel, dass
eine gemeinsame Adoption durch gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften generell mit dem Kindeswohl ver-
einbar ist. Solange aussagekräftige empirische Untersu-
chungen nicht vorliegen, sollte sich der Gesetzgeber in
dieser Frage unbedingt zurückhalten. Im Übrigen weise
ich darauf hin, dass derzeit noch ein Normenkontrollver-
fahren Bayerns zur Stiefkindadoption durch gleichge-
schlechtliche Lebenspartnerschaften vor dem Bundesver-
fassungsgericht anhängig ist. Eine Entscheidung wird für
dieses Jahr erwartet. Wir sollten zunächst die abschlie-
ßende Klärung der damit verbundenen verfassungsrecht-
lichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht
abwarten. Bis dahin verbietet sich jede weitere Gesetzes-
änderung in diesem Bereich von selbst.

Zu den weiteren Vorschlägen der FDP ist Folgendes zu
sagen: Die summarische Prüfung der Anerkennungsfä-
higkeit unbegleiteter Adoptionen durch die deutschen
Auslandsvertretungen erscheint grundsätzlich sinnvoll.

Die Forderung, sich bei den Landesjugendämtern an-
gesichts des geplanten Ausbaus der Kindertagesbetreu-
ung für die Streichung jener Empfehlung einzusetzen, wo-
nach die Erziehung des Kindes nicht überwiegend durch
außerhalb der Familie stehende Personen wahrgenom-
men werden soll, lehnen wir hingegen ab. Die persönli-
che Betreuung durch die Eltern entspricht generell – und
nur darum geht es bei den Empfehlungen – eher dem Kin-
deswohl als die Betreuung durch Fremde. Dies gilt erst
recht, wenn man berücksichtigt, dass Adoptivkinder viel-
fach ein schweres Schicksal haben und deshalb in der Re-
gel eine besondere persönliche Erziehung und Fürsorge
durch die Eltern benötigen. Aber auch hier gilt: Die
Frage der Betreuungssituation ist lediglich indikatori-
scher Natur.

Zusammenfassend ist also festzuhalten: Für die Union
stand und steht das Kindeswohl stets an erster Stelle und
nicht die Interessen bzw. die Selbstverwirklichung der El-
tern. Deshalb sind wir alle gehalten, mit diesem Thema
äußerst sensibel umzugehen. Die Adoption stellt für die
betroffenen Kinder immer einen sehr tiefen Einschnitt in
ihr Leben dar. Ihr Schutz muss daher absolute Priorität
haben.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1621425000

Wir beraten heute in erster Lesung den von der Frak-

tion der FDP eingebrachten Antrag „Adoptionen von
minderjährigen Kindern fördern“. Der Antrag enthält
einige positive Anregungen, die vom Ansatz her überle-
genswert sind. Für die Prüfung tiefgreifender Änderun-
gen in sehr verschiedenartigen Bereichen und Problem-
kreisen brauchen wir jedoch noch Zeit. Es gibt viele



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
offene Fragen, bei denen vorrangig das Kindeswohl
– ganz im Sinne von Art. 21 c der UN-Kinderrechtskon-
vention – zu beachten ist. Dort heißt es unter c „Die Ver-
tragsstaaten, die das System der Adoption anerkennen
oder zulassen, gewährleisten, dass dem Wohl des Kindes
bei der Adoption die höchste Bedeutung zugemessen
wird; die Vertragsstaaten stellen sicher, dass das Kind im
Fall einer internationalen Adoption in den Genuss der für
nationale Adoptionen geltenden Schutzvorschriften und
Normen kommt.“

Vor diesem Hintergrund, also dem der Wahrung des
Kindeswohls, sind noch viele Fragen zu klären. Daher
lehnen wir den Antrag der FDP insgesamt ab. So regt der
Antrag bezüglich Auslandsadoptionen an, bei unbegleite-
ten Adoptionen, das sind selbst organisierte Adoptionen,
schon vor der Einreise des Kindes nach Deutschland die
Anerkennungsfähigkeit der Auslandsadoption zu prüfen.
Das soll von den Auslandsvertretungen summarisch zu
prüfen sein.

Bei der Verhinderung von unbegleiteten Adoptionen
sehe auch ich Handlungsbedarf. Sie sind im Inland nicht
möglich, Jugendämter werden automatisch als Bera-
tungs- und Begleitinstanz eingeschaltet. Das Haager
Adoptionsübereinkommen lässt unbegleitete Auslands-
adoptionen für die Vertragsstaaten, darunter die Bundes-
republik Deutschland, nicht zu. Die Frage ist, wie seine
Regelungen, unter anderem das hier vorgesehene Adop-
tionsvermittlungsverfahren, in der Praxis durchzusetzen
sind. Im Ausland sind unbegleitete Adoptionen oftmals
möglich und werden häufig von Privatpersonen begleitet.
Unbegleitete Adoptionen können in Deutschland legal
anerkannt werden. Hier ergeben sich große Bedenken,
wie das Kindeswohl gewahrt werden kann, das den Leit-
gedanken in unserem Adoptionsrecht darstellt. Dabei
handelt es sich in dem FDP-Antrag um einen Vorschlag
zur Verwaltungspraxis, der derzeit schon beachtet wird.
Er reicht im Übrigen auch nicht aus, unbegleitete
Auslandsadoptionen zu verhindern. In visum- und pass-
rechtlichen Fragen prüfen die deutschen Auslandsvertre-
tungen schon jetzt im Vorfeld die Frage der Anerken-
nungsfähigkeit einer im Ausland erfolgten Adoption. Dies
geschieht unabhängig davon, ob die Auslandsadoption
unter Beteiligung einer deutschen Auslandsvermittlungs-
stelle erfolgt ist oder „unbegleitet“ vorgenommen wor-
den ist. Die Erstreckung der Wirksamkeit einer ausländi-
schen Adoption auf Deutschland ist Grundvoraussetzung
dafür, dass Kinder im Weg des Familiennachzuges nach
Deutschland einreisen dürfen. Maßgeblich für die Aner-
kennungsfähigkeit eines ausländischen Adoptionsdekrets
ist vor allem, dass eine dem deutschen Recht genügende
Kindeswohlprüfung vorgenommen worden ist. Fehlt es
nach summarischer Prüfung der Auslandsbehörden da-
ran, kann die Einreise des Kindes schon jetzt untersagt
werden.

Unbegleitete Auslandsadoptionen sind außerdem
wirksamer dadurch zu verhindern, dass die Adoptionsbe-
werber frühzeitig dazu angehalten werden, deutsche Aus-
landsvermittlungsstellen in die Auslandsadoption einzu-
binden. Ihre Einschaltung ist für Adoptionen aus Staaten,
die wie Deutschland dem Haager Adoptionsübereinkom-
men von 1993 angehören, sowieso vorgeschrieben. Nur
Zu Protokoll
durch eine frühzeitige Einbindung der Adoptionsvermitt-
lungsstellen kann sichergestellt werden, dass das Kindes-
wohl gesichert ist, das den Leitgedanken unseres Adop-
tionsrechts bildet.

Bezüglich der Auslandsadoptionen regt der Entschlie-
ßungsantrag außerdem an, durch ein Forschungsvorha-
ben zu ermitteln, ob begleitete Auslandsadoptionen dem
Kindeswohl zuträglicher sind als unbegleitete, dazu emp-
fiehlt der Antrag eine Evaluierung der in den letzten Jah-
ren geänderten adoptionsrechtlichen Vorschriften sowie
einen Bericht an den Deutschen Bundestag. Das
BMFSFJ plant, ein Forschungsvorhaben zum Adoptions-
recht durchzuführen, das auch die im Antrag einbezoge-
nen Aspekte aufnimmt. Im Vorfeld hierzu wurde eine qua-
lifizierte Literaturrecherche in Auftrag gegeben, die dem
Thema Adoption trotz Wissenszuwachs noch eine Vielzahl
von offenen Fragen zuweist. Eine interministerielle Ar-
beitsgruppe, unter anderem bestehend aus dem BMJ,
BMFSFJ und dem Auswärtigen Amt unter Beteiligung
der Auslandsvermittlungsstellen, hat die Arbeit aufge-
nommen und ist derzeit dabei, Lösungen zum Problem-
kreis der Auslandsadoptionen zu erarbeiten. Sie wird sich
an dem Forschungsvorhaben beteiligen.

Zudem regt der Antrag an, eine Empfehlung der Lan-
desjugendämter aufzuheben, die besagt, dass Adoptivkin-
der nicht überwiegend von außerhalb der Familie stehen-
den Personen erzogen werden dürfen. Die Bundesebene
kann aber weder direkt noch indirekt Einfluss auf die
Landesjugendämter nehmen, da diese zur Landesverwal-
tung gehören.

Weitere Änderungen im familienrechtlichen Bereich
des Adoptionsrechts schlägt der Antrag dahin gehend vor,
dass bei der Bewertung des Altersunterschiedes zwischen
Adoptionsbewerbern und Adoptivkindern ein Altersun-
terschied von 40 Jahren im Einzelfall möglich ist. Auch
hier kann von der Bundesebene kein Einfluss auf die Lan-
desjugendämter genommen werden. Im Übrigen prüfen
die Landesjugendämter schon jetzt das Alter der Adoptiv-
eltern individuell. Die Empfehlungen zur Adoptionsver-
mittlung bestätigen dies. Auch kennt das Familienrecht
keinen Höchstaltersunterschied, den es zu ändern gäbe.
Die Vormundschaftsgerichte können auch bereits jetzt ei-
nen Altersunterschied von mehr als 40 Jahren im Einzel-
fall als rechtlich unbedenklich ansehen. Es gibt dort kei-
nen Automatismus im Hinblick auf die Altersgrenzen, es
zählt nur die Gesamtbetrachtung, ob eine Adoption dem
Kindeswohl dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem
Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis
entsteht.

Ein weiterer Vorschlag der FDP im Familienrecht be-
zieht sich darauf, bei Stiefkindadoptionen wie bei Er-
wachsenen-Adoptionen die Verwandtschaft zu den leibli-
chen Eltern bei Einverständnis aller beizubehalten. Dies
bedeutet einen Bruch zum geltenden Familienrecht, denn
hier gilt, dass die Adoption mit allen Konsequenzen end-
gültig ist. Auch lässt das Europäische Adoptionsüberein-
kommen von 1967, 2008 gerade revidiert und derzeit zur
Ratifizierung im BMJ, eine solche Änderung nicht zu.
Verwandtschaftsbeziehungen zum leiblichen Elternteil,
auch die unterhaltsrechtlichen und erbrechtlichen An-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
sprüche an die leiblichen Verwandten des Kindes sind mit
der Annahme vollständig aufgehoben. Enge Ausnahmen
bestehen nur bei der Annahme von Minderjährigen durch
nahe Verwandte und bei einem verwitweten Elternteil. Ob
für weitere Ausnahmen ein Bedürfnis besteht, ist fraglich.
Mit der Stiefkindadoption erhält das Kind eine vollstän-
dige Familie, in der es sich entwickeln und entfalten kann.
Der tatsächliche Kontakt zu dem leiblichen Elternteil
muss nicht zwangsläufig durch die Adoption abbrechen.

Dazu schlägt die FDP vor, gleichgeschlechtlichen
Paaren, die in einer Lebensgemeinschaft zusammenle-
ben, die gemeinsame Adoption zu ermöglichen. Zur An-
gleichung der Lebenspartnerschaft an die Ehe im Adop-
tionsrecht und zur Ermöglichung einer gemeinsamen
Adoption für eingetragene Lebenspartnerschaften habe
ich bereits Stellung genommen. Ein erster Schritt in diese
Richtung war die Stiefkindadoption, die seit Beginn 2005
möglich ist. Das von der rot-grünen Koalition 2004 ver-
abschiedete Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspart-
nerschaftsrechts glich nach der Einführung des Lebens-
partnerschaftsgesetzes von 2001 weiterhin die Rechte
und Pflichten in der Lebenspartnerschaft denen in der
Ehe so weit wie möglich an. Es wurde im Zuge dessen
auch ein kleines Adoptionsrecht, die Stiefkindadoption
leiblicher Kinder der Lebenspartnerin oder des Lebens-
partners eröffnet. So ist es durch die Stiefkindadoption
seit Beginn 2005 erstmals möglich in Deutschland, dass
zwei Mütter oder zwei Väter rechtlich als Elternpaar an-
erkannt werden. Die gemeinschaftliche Annahme bleibt
aber Ehepaaren vorbehalten. Aufgrund des Verbotes von
Kettenadoptionen kann ein adoptiertes Kind auch nicht
durch weitere Personen adoptiert werden. In Deutsch-
land leben mindestens 13 000 Kinder bei homosexuellen
Paaren. Oft stammen diese Kinder aus vorangegangenen
Beziehungen, immer öfters werden Kinder aber auch via
Samenspende hineingeboren.

Das Recht eingetragener Lebenspartner, gemein-
schaftlich ein Kind anzunehmen, bedeutet nach der Stief-
kindadoption einen neuen Schritt. Allerdings behält auch
das Europäische Adoptionsübereinkommen von 1967 die
gemeinsame Adoption Ehegatten vor. Über die Aufhe-
bung des Verbots wird diskutiert. Selbstverständlich ha-
ben wir uns wie immer an den Wünschen und Bedürfnis-
sen der Menschen zu orientieren. Für die Änderungen des
Adoptionsrechts müssen die gesellschaftlichen Rahmen-
bedingungen stimmen. Sicherlich kann sich gerade im
Fall von Pflege- und Adoptivkindern ein gesellschaftli-
ches Bedürfnis für eine gemeinschaftliche Adoption die-
ser Kinder durch gleichgeschlechtliche Paare durchset-
zen. Dass die Paare selbstbewusst zu ihrer Lebensweise
stehen, wurde von den Adoptionsvermittlungsstellen, die
Erfahrungen mit homosexuellen Paaren hatten, als posi-
tiv für die Entwicklung der Kinder beurteilt. Es bleibt
aber noch abzuwarten, wie sich die gesellschaftliche
Akzeptanz nach der Einführung der Stiefkindadoption
weiterentwickelt. Das BMJ hat dazu eine Rechtstatsa-
chenforschung zur Situation von Kindern in Lebenspart-
nerschaften in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse eine
solide Tatsachengrundlage für eine Diskussion über die
Zulassung der gemeinsamen Adoption liefern soll.
Zu Protokoll
Wie zu erkennen ist, handelt es sich bei der Adoption
um ein sehr komplexes Thema, und sicherlich bedarf die
Aufarbeitung vor allem im Sinne des Kindeswohls einer
gründlichen Vorbereitung und nimmt noch Zeit in An-
spruch.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1621425100

Im Jahr 2007 wurden 4 509 Kinder und Jugendliche

adoptiert. Etwa 55 Prozent der adoptierten Minderjähri-
gen wurden von einem Stiefelternteil oder von Verwand-
ten als Kind angenommen. Das ist positiv zu bewerten.

32 Prozent der adoptierten Kinder besaßen nicht die
deutsche Staatsangehörigkeit. In der Antwort des Staats-
sekretärs aus dem Familienministerium auf die Frage
nach unbegleiteten Adoptionen wird der Anteil auf
50 Prozent geschätzt.

Die Zahl der zur Adoption vorgemerkten Kinder blieb
mit 886 gegenüber 2006 unverändert. Demgegenüber ha-
ben 8 914 Adoptionswünsche vorgelegen, also ein Kind
auf 10 mögliche Adoptiveltern.

Bei eingetragenen Lebenspartnerschaften besteht bis-
her in Deutschland nur die Möglichkeit der Stiefkind-
adoption. Das heißt, dass ein Elternteil der leibliche Va-
ter oder die leibliche Mutter ist. Ansonsten können nur
Einzelpersonen adoptieren.

Eine gesetzliche Altersbeschränkung bei Adoptionen
nach oben gibt es in Deutschland zwar nicht, aber die Ar-
beitsgemeinschaft der Landesjugendämter hat sozusa-
gen festgelegt, dass der Altersunterschied zwischen dem
adoptieren Kind und den Adoptiveltern nicht größer als
40 Jahre sein soll. Diese Regelung sollte überdacht wer-
den, da es nicht nur Einzelfälle sind, wenn Mütter selbst
heutzutage auch einige Jahre über das 40. Lebensjahr hi-
naus ein Kind gebären.

Wenn uns auch sehr nah ist, dass Eltern ein Kind zu
adoptieren wünschen, so steht doch an erster Stelle das
Wohl des Kindes. Darüber besteht sicher hier im Hause
Einvernehmen. Eine Adoption in ein anderes Land sollte
grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn die Adoptions-Be-
dürftigkeit des Kindes gegeben ist, das heißt in der Her-
kunftsfamilie eine Verbleib nicht möglich ist und sich im
Heimatstaat des Kindes keine geeigneten Bewerber und
Bewerberinnen finden. Adoptionen aus Nichtvertrags-
staaten des Haager Übereinkommens über den Schutz
von Kindern (HAÜ) sind nach der Rechtslage möglich.
Jedoch wird die Anerkennung bei 4 Prozent der Adoptio-
nen in Deutschland versagt. Wenn man auch noch weitere
Verfahren mit in die Berechnung einbezieht, dann werden
circa 10 Prozent der gerichtlichen Anerkennungsverfah-
ren abgelehnt. Das ist für Kinder, die bereits in Deutsch-
land sind, eine schwere und schwierige Sache.

Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregie-
rung auf, das Adoptionsrecht einer Prüfung zu unterzie-
hen und erstens bei unbegleiteten Adoptionen vor Ein-
reise der Kinder nach Deutschland eine Prüfung der
Anerkennungsfähigkeit der Adoption bei den deutschen
Auslandsvertretungen durchführen zu lassen; zweitens
nicht mehr als Voraussetzung für eine Adoption zum
Beispiel die Nichterwerbstätigkeit eines Elternteils zur



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
Auflage zu machen, das heißt die Streichung von Zif-
fer 6.4.2.12 der Empfehlungen zu Adoptionsvermittlung
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter,
drittens auch eingetragenen Lebenspartnerschaften die
gemeinsame Adoption zu ermöglichen, viertens das die
Prüfung des Alters der Adoptivmutter oder des Adoptiv-
vaters nicht nach einer starren Altersgrenze, sondern in-
dividuell beurteilt werden soll, fünftens den Paragrafen
des BGB so zu ändern, das der Altersunterschied zum
Kind von 40 Jahren im Einzelfall nicht maßgeblich ist,
sechstens dass bei Einvernehmen von Mutter, Vater und
adoptionswilligem Stiefelternteil bei notarieller Beurkun-
dung das Verwandtschaftsverhältnis zu beiden leiblichen
Elternteilen beibehalten werden kann, siebtens For-
schungsvorhaben in die Wege zu leiten, welche Faktoren
zum Gelingen von Adoptionen beitragen, achtens Erfah-
rungen mit den geänderten adoptionsrechtlichen Vor-
schriften zu evaluieren und den Deutschen Bundestag
über die Ergebnisse der ressortübergreifenden Bund-
Länder-Gruppe zu informieren.

Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen im Aus-
schuss.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621425200

Mit dem vorliegenden Antrag werden die gegenwärti-

gen Zustände im Zusammenhang mit Adoptionen Minder-
jähriger zutreffend dargestellt. Die Bundesregierung
wird unter anderem aufgefordert, „bei unbegleiteten
Adoptionen von Kindern vor Einreise der Kinder in die
Bundesrepublik Deutschland bzw. bei Visumserteilung
eine summarische Prüfung der Anerkennungsfähigkeit
der Adoption bei den deutschen Auslandsvertretungen
durchführen zu lassen.“ Die Regierung soll sich bei den
Landesjugendämtern angesichts des geplanten Ausbaus
der Kindertagesbetreuung für eine Streichung von Zif-
fer 6.4.2.12 der Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung
der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter
einsetzen, wonach die Erziehung des Kindes nicht über-
wiegend durch außerhalb der Familie stehende Personen
wahrgenommen werden soll.

Gleichgeschlechtlichen Paaren, welche in einer Le-
benspartnerschaft zusammenleben, soll die gemeinsame
Adoption ermöglicht werden. Bei den Landesjugendäm-
tern soll die Bundesregierung darauf hinweisen, dass es
sich bei der Prüfung des Alters des Adoptionsbewerbers
um ein Merkmal handelt, dessen Bedeutung für die Adop-
tion in jedem Fall individuell zu beurteilen ist. Der § 1743
BGB ist dahingehend zu ändern, dass gesetzlich festge-
halten wird, dass ein Altersunterschied zwischen dem zu
adoptierenden Kind und den Adoptionsbewerbern von
mehr als 40 Jahren im Einzelfall als unschädlich angese-
hen werden kann. Gesetzliche Änderungen sind dahin
gehend vorzulegen, dass bei Stiefkindadoptionen wie bei
Erwachsenenadoptionen ermöglicht wird, das Ver-
wandtschaftsverhältnis zu beiden leiblichen Elternteilen
bei einvernehmlichem Wunsch von Mutter, Vater und
adoptionswilligem Stiefelternteil bei notarieller Beurkun-
dung beizubehalten. Die Erfahrungen der letzten Jahre
mit den geänderten adoptionsrechtlichen Vorschriften
sind zu evaluieren und der Deutsche Bundestag über die
Zu Protokoll
Ergebnisse der ressortübergreifenden Bund-Länder-
Gruppe zu informieren.

Die Linke unterstützt die Forderung, auch gleichge-
schlechtlichen Paaren eine gemeinsame Adoption zu er-
möglichen. Auch eine grundsätzliche Erforschung zum
Gelingen von Adoptionen sowie eine adoptionsrechtliche
Evaluation sind zu befürworten. Zudem ist die beabsich-
tigte Beibehaltung des Verwandtschaftsverhältnisses bei
Stiefkindern richtig, um adoptierten Kindern ein Recht
auf Herkunft zu gewähren. Verständlich ist aus Sicht der
FDP auch die geforderte Streichung von Ziffer 6.4.2.12
der Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung der Bundes-
arbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter. Angesichts
des Kita-Ausbaus könnte die Forderung, wonach die Er-
ziehung des Kindes nicht überwiegend durch außerhalb
der Familie stehende Personen wahrgenommen werden
soll, möglicherweise anachronistisch sein. Dabei müsste
man sich allerdings auch über den Begriff des „überwie-
genden“ Aufenthalts unterhalten, der durch Ganztags-
kitas nach Ansicht der Linken noch nicht erfüllt wäre. Mit
einer Streichung der Vorschrift begibt man sich allerdings
in die Gefahr, dass die Erziehung des Kindes durch die
Adotpiveltern nicht mehr Voraussetzung für eine Adop-
tion ist.

Die Einzelfallprüfungen – auch bezogen auf die 40-Jah-
res-Differenz – dürften sinnvoll sein. Nicht in jedem Fall
sollte dieser Altersunterschied entscheidend sein. Eine
summarische Prüfung der Anerkennungsfähigkeit der
Adoption durch die deutschen Auslandsvertretungen se-
hen wir aufgrund vieler negativer Erfahrungen beim Fa-
miliennachzug hingegen kritisch: Die Auslandsvertretun-
gen sind ohnehin überlastet und die Qualität einer
solchen Vorprüfung wäre möglicherweise unzureichend.
Die sich hieraus ergebenden zeitlichen Verzögerungen
würden zudem alle Einreisen adoptierter Kinder aus dem
Ausland treffen. Angesichts der schon jetzt langen Verfah-
rensdauer wäre eine Verlängerung unzumutbar. Dies wird
in den Ausschussberatungen noch zu thematisieren sein,
um letztlich einen Antrag zu formulieren, welcher der zu
erhoffenden Intention des vorliegenden Antrags – dem
Kindeswohl – entspricht und der von allen Fraktionen ge-
tragen werden kann.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621425300

In der UN-Kinderrechtskonvention, die die Bundes-

republik Deutschland 1992 ratifiziert hat, findet sich ein
Artikel, von dem ich finde, er sollte zum Leitsatz der Kin-
derpolitik werden. Hier steht unter Drittens: „Bei allen
Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von
öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen
Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetz-
gebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kin-
des ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen
ist.“ Ich betone „vorrangig“. Da dies für alle Kinder
gleich welcher Herkunft gilt, ist damit aus meiner Sicht
auch schon das Wesentlichste zum Antrag der FDP gesagt.
Es kommt aus der Perspektive der Kinder immer auf den
Einzelfall an.

Werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, auch
wenn ich Ihnen in einigen Punkten Ihres Antrages zu-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz
stimme, so teile ich nicht Ihre Motivation, die dahinter-
steckt. Sie argumentieren mit Ihrem Hinweis auf die rück-
läufigen Adoptionszahlen bevölkerungspolitisch. Als
Familienpolitiker sollten wir uns allerdings ausschließlich
auf die familiären Rahmenbedingungen und damit vorran-
gig auf das Kindeswohl konzentrieren. In Ihrem Antrag
vermisse ich die Erklärungen für die rückläufigen Zahlen
der Adoptionen. Sie verweisen nicht auf Probleme, die es
mit dem Adoptionsverfahren gibt, geschweige denn, dass
Ihre Forderungen entsprechende Lösungen und Antworten
sind.

Ich stimme Ihnen zu, dass sich unsere Gesellschaft ver-
ändert und auch das Adoptionsrecht kontinuierlich auf
den Prüfstand gestellt werden muss, damit es den gegen-
wärtigen und zukünftigen Gegebenheiten auch gerecht
wird. Lassen sie mich vor diesem Hintergrund noch zu eini-
gen Forderungen aus Ihrem Antrag etwas sagen.

Die Tatsache allein, dass die Menschen immer älter
werden, begründet für mich nicht, dass damit auch die
Empfehlungen der BAG-Landesjugendämter zum Alters-
unterschied zwischen Adoptivkind und seinen Adoptions-
eltern aufgeweicht werden sollten. Es handelt sich, wie
Sie selber schreiben, um Empfehlungen, die im Einzelfall
und vor allem orientiert am Kindeswohl geprüft werden.
Verraten Sie mir bitte, warum es hier einer gesetzlichen
Klarstellung bedarf?

Wie Sie wissen, haben wir Grüne uns immer für den
Ausbau der Kindertagesbetreuung stark gemacht. Ich bin
der Auffassung, dass es für die Mehrheit der Kinder ein
Gewinn ist, Angebote der frühkindlichen Bildung in
Anspruch zu nehmen. Bei jüngst adoptierten Kindern ist
es meiner Meinung nach sehr stark vom Einzelfall abhän-
gig, ob diese Kinder besser ausschließlich von ihren
Eltern betreut werden sollten oder ein Angebot der
frühkindlichen Bildung ergänzend förderlich sein kann.
Die Landesjugendämter sollen Ihre Empfehlung bei der
nächsten Überarbeitung des Papiers überdenken. Es liegt
mir aber nicht, die Bundesregierung aufzufordern, sich
pauschal gegen eine Empfehlung der BAG auszusprechen.

Die Lebensformen der Menschen sind in den letzten
Jahrzehnten immer vielfältiger geworden. Neben der
klassischen Familie mit zwei verheirateten leiblichen Eltern
haben vielfältige weitere Formen des Zusammenhalts und
Miteinanderlebens an Bedeutung gewonnen. Diese reichen
von nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Ein-Eltern-
oder Patchwork-Familien, gleichgeschlechtlichen Partner-
schaften bis hin zu familiären Netzwerken, die auch Men-
schen ohne verwandtschaftliche Bindung einschließen.

Für uns Grüne ist Familie da, wo Kinder sind. Wir for-
dern schon lange die Anerkennung der Vielfalt familiärer
Lebensformen. Anders als Eheleuten ist eingetragenen
Lebenspartnerinnen oder Lebenspartnern eine gemein-
same Adoption gegenwärtig nicht möglich. Mit dem Gesetz
zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und an-
derer Gesetze im Bereich des Adoptionsrechts hat meine
Fraktion bereits gefordert, bestehende Benachteiligungen
endlich zu korrigieren. Ein genereller Ausschluss vom
gemeinsamen Adoptionsrecht stellt die Fähigkeit von
Lesben und Schwulen zur Kindererziehung aus ideologi-
schen Gründen pauschal infrage. Diese willkürliche Dis-
kriminierung ist nicht gerechtfertigt. Sie schadet auch
immer dort dem Kindeswohl, wo sie die Stigmatisierung
bereits bestehender Familien mit gleichgeschlechtlichen
Eltern fördert.

Sie wissen, an diesem Punkt sind wir Grüne uns aus-
nahmsweise mal mit der FDP einig. Was die anderen
Punkte anbelangt; werden wir uns mit diesen im weiteren
Verfahren noch kritisch beschäftigen müssen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621425400

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/12293 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
federführend beim Rechtsausschuss beraten werden soll.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 21 a
und b:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen
Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föde-
ralismusreform

– Drucksache 16/12409 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Britta Haßelmann,
Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betreutes Wohnen für ältere Menschen – Qua-
litätskriterium Nutzerorientierung
– Drucksache 16/12309 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die

(Rosenheim)

lamentarischen Staatssekretärs Kues.


Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1621425500

Durch die am 1. September 2006 in Kraft getretene Fö-

deralismusreform sind die Gesetzgebungszuständigkei-
ten zwischen Bund und Ländern neu aufgeteilt worden.
Die Gesetzgebungskompetenz für das Heimrecht ist im
Bereich der öffentlichen Fürsorge auf die Länder über-
tragen worden. Das heißt, für die ordnungsrechtlichen
Vorschriften auf dem Gebiet des Heimrechts sind allein
die Länder zuständig. Viele Bundesländer haben mittler-


(A) (C)



(B) (D)


Markus Grübel
weile eigene Heimgesetze erlassen. So hat unter anderem
Baden-Württemberg seit dem 1. Juli 2008 ein eigenes
Landesheimgesetz. Andere Bundesländer wie Nordrhein-
Westfalen und Bayern haben auch eigene Landesheimge-
setze erlassen.

Der Bund bleibt aber weiterhin für die zivilrechtlichen
Regelungen zuständig. Demnach stehen die in den §§ 5
bis 9 und 14 des Heimgesetzes enthaltenen Regelungen
weiterhin der Gestaltung durch den Bundesgesetzgeber
offen. Da nun die ordnungsrechtlichen und zivilrechtli-
chen Vorschriften nicht mehr in einem Bundesgesetz ge-
regelt werden können, ist es notwendig, die zivilrechtli-
chen Vorschriften in einem gesonderten Gesetz zu regeln
und diese darüber hinaus auch weiterzuentwickeln.

Gab es anfänglich noch Meinungsverschiedenheiten
mit den Ländern bezüglich der Zuständigkeit, so ist diese
jetzt geklärt: Der Bund, federführend das zuständige
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, hat daher einen Gesetzentwurf zur Neuregelung
der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach
der Föderalismusreform erarbeitet, dessen Kernbestand-
teil Art. 1, nämlich der Gesetzentwurf zur Regelung von
Verbraucherverträgen über Wohnraum mit Pflege- oder
anderen Betreuungsleistungen (WBVG) ist.

Diesen Gesetzentwurf stellen wir heute in erster Le-
sung im Plenum vor. Ich denke, dies ist ein parteipolitisch
unstreitiges Gesetz, welches wir sachorientiert im Aus-
schuss und im Plenum debattieren können. Ich sehe hier
keine ideologischen Aufhänger, die dazu führen könnten,
dass wir hier in parteipolitisches Gezänk verfallen.

Mit dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz

(WBVG) wollen wir den Schutz älterer, pflegebedürftiger

und behinderter Menschen stärken. Das nun vorgelegte
Gesetz soll vor Benachteiligung bei Verträgen, die für die
Überlassung von Wohnraum mit Pflege- oder Betreu-
ungsleistungen geschlossen werden, schützen. Gerade im
Alter, bei Pflegebedürftigkeit oder bei Behinderung
möchten die Menschen so selbstbestimmt und selbststän-
dig wie möglich leben. Zudem haben sich die starren
Grenzen zwischen ambulant betreuten und stationären
Wohnformen aufgelöst. Die Angebotsvielfalt wurde durch
die neuen Wohn- und Betreuungsformen viel größer.
Gleichzeitig sind die Inhalte der Angebote, wie zum Bei-
spiel beim „Betreuten Wohnen“, häufig unklar. Im Koali-
tionsvertrag haben wir uns dafür ausgesprochen, neue
Wohn- und Betreuungskonzepte zu unterstützen und die
Widersprüche zwischen Heimrecht und den Vorschriften
des SGB XI zu beseitigen. Der jetzt vorgelegte Gesetzent-
wurf greift diese Forderungen auf.

Älteren Menschen, und nur diese leben in der Regel in
Heimen bzw. in Pflegeeinrichtungen, fehlt oft das Wissen
und die Erfahrung, um als gleichberechtigte Verhand-
lungs- und Vertragspartner aufzutreten. Das WBVG si-
chert den Verbraucherschutz für die Bewohnerinnen und
Bewohner von Pflegeeinrichtungen, es stärkt aber auch
den Schutz für diejenigen, die sich für eine neue Wohn-
und Betreuungsform entscheiden.

Zu den wichtigsten Vorschriften des Wohn- und Betreu-
ungsvertragsgesetzes gehören:
Zu Protokoll
Erstens. Die Verbraucher haben einen Anspruch auf
Informationen vor dem Vertragsschluss. Die Unterneh-
men müssen schriftlich und leicht verständlich Auskunft
über Leistungen, Entgelte und das Ergebnis von Quali-
tätsprüfungen geben.

Zweitens. Die Verträge werden grundsätzlich auf un-
bestimmte Zeit und schriftlich abgeschlossen. Für die
Kurzzeitpflege kann eine Befristung vereinbart werden.

Drittens. Das vereinbarte Entgelt muss angemessen
sein. Erbringt das Unternehmen vertraglich festgelegte
Leistungen nicht oder nicht wie vereinbart, kann die Ver-
braucherin oder der Verbraucher das Entgelt entspre-
chend kürzen.

Viertens. Bei Änderung des Pflege- oder Betreuungs-
bedarfs haben die Verbraucher Anspruch auf eine ent-
sprechende Anpassung des Vertrags. In besonderen Fäl-
len können die Vertragsparteien vereinbaren, dass das
Unternehmen von der Anpassungspflicht befreit ist.

Fünftens. Eine Kündigung des Vertrags ist für die Un-
ternehmen nur aus wichtigen Gründen möglich. Die Ver-
braucher können dagegen den Vertrag jederzeit kurzfris-
tig kündigen.

Mit dem WBVG werden die vertragsrechtlichen Vor-
schriften des Heimgesetzes abgelöst und weiter entwi-
ckelt. Für die Anwendbarkeit des Gesetzes kommt es nicht
mehr auf die Einrichtungsform an, maßgeblich sind aus-
schließlich die vertraglichen Vereinbarungen. Das Ge-
setz gilt für Verträge, die die Überlassung von Wohnraum
mit Pflege- oder Betreuungsleistungen verbinden. Der
Anwendungsbereich des Gesetzes ist daher nicht auf
Heime beschränkt, ebenso werden auch neue Wohn- und
Betreuungsformen erfasst.

Ausgenommen sind Verträge, bei denen neben dem
Wohnraum allgemeine Betreuungsleistungen wie die Ver-
mittlung von Pflegeleistungen, Notruf- oder hauswirt-
schaftliche Versorgungsdienste angeboten werden.

Im ursprünglichen Referentenentwurf, der auf einige
Kritik gestoßen war, fiel das klassische betreute Wohnen
bzw. das Wohnen mit Service in den Anwendungsbereich
des Gesetzes. Dies hätte dazu geführt, dass Wohnungsun-
ternehmen zu Heimbetreibern geworden wären, mit der
Folge, dass dies praktisch das Aus für Seniorenwohn-
anlagen bedeutet hätte, die bisher nicht vom Heimgesetz
erfasst wurden. Die Präzisierung des Anwendungsbe-
reichs wird die in Deutschland dringend notwendigen In-
vestitionen in den Neu- und Umbau von seniorengerech-
ten Wohnungen weiter zunehmen lassen. Bis 2020 werden
zusätzlich noch 800 000 altengerechte Wohnungen benö-
tigt.

Ich selbst habe zum Referentenentwurf eine Veranstal-
tung in meinem Wahlkreis Esslingen durchgeführt und
Heimbetreiber, Heimaufsicht und Heimbeiräte eingela-
den. Neben dem Anwendungsbereich wurden auch noch
einige andere Punkte kritisiert, die mittlerweile im Ge-
setzentwurf nachgebessert wurden. So wurden die vorver-
traglichen Informationspflichten so gefasst, dass den
Leistungskomplexen nach dem SGB XI und den Rahmen-
bedingungen bei Anspruch auf Sozialhilfe stärker Rech-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Markus Grübel
nung getragen wird. Die Beschränkung der Nachholung
des schriftlichen Vertragsabschlusses auf zwei Wochen
wurde aufgehoben. Eine Harmonisierung mit den Vor-
schriften des SGB XI und SGB XII erfolgt hinsichtlich
vertraglicher Vereinbarungen über die Generalklausel
des § 15 WBVG. Das zeigt, es sind bereits Verbesserungen
gegenüber dem Referentenentwurf erreicht worden. Es
liegt jetzt an uns Fachpolitikern, im Ausschuss und aus
den Ergebnissen der Anhörung das Beste zu machen und
das Gesetz in Detailfragen noch nachzujustieren.

Wir haben es hier jedoch mit einer sehr trockenen und
zum Teil hoch komplexen Materie des Zivilrechts zu tun,
bei der sich in Detailfragen manchmal nur noch speziali-
sierte Rechtsanwälte auskennen. Dabei dürfen wir das
zentrale Ziel nicht aus dem Auge verlieren: mehr Ver-
braucherschutz für die Seniorinnen und Senioren, aber
nicht zulasten der Anbieter und vor allem nicht mehr
Bürokratie. Es darf keinen „Überschutz“ geben. Die
Heimverträge müssen verständlich und möglichst auch
nicht zu lang gefasst sein. Ich weiß, wovon ich spreche,
als Notar habe ich oft genug diese Erfahrung gemacht.
Heimverträge mit 20 oder 30 Seiten sollten tunlichst ver-
mieden werden und nicht eine Folge des Gesetzes sein.

Das Gesetz soll zum 1. September 2009 in Kraft treten.
Eine Übergangsvorschrift stellt sicher, dass die Neurege-
lung erst sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten Anwen-
dung auf Verträge findet, die nach dem bisherigen Heim-
recht abgeschlossen wurden. Für andere Altverträge wie
zum Beispiel Miet- und Dienstverträge im Bereich des be-
treuten Wohnens gilt das Gesetz auch zukünftig nicht. Be-
troffen sind circa 680 000 ältere Menschen, die in rund
10 500 Pflegeheimen leben. Daneben gelten die Regeln
auch für Menschen in ambulanten Betreuungsformen.
Insgesamt ist mit jährlich circa 300 000 Vertrags-
abschlüssen zu rechnen.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1621425600

Die Föderalismusreform vor fast zwei Jahren hat

Nachwirkungen für den Ausschuss Familie, Senioren,
Frauen und Jugend: Die Koalitionsfraktionen bringen
heute in erster Lesung als Paralleleinbringung einen Ge-
setzentwurf zu Regelung von Verträgen über Wohnraum
mit Pflege- oder Betreuungsleistungen, das sogenannte
WBVG-E, in den Deutschen Bundestag ein.

Wie einige von Ihnen wissen, war ich eine entschie-
dene Gegnerin der Verlagerung des Heimrechts auf die
Länder. Wie ist der derzeitige Sachstand? Zwar hält sich
die Mehrheit der Bundesländer noch mit einer Entwick-
lung eines eigenen Heimgesetzes zurück. Das alte Heim-
gesetz behält dadurch in diesen Bundesländern seine
Gültigkeit, wobei wir zugeben müssen, dass es mit seiner
Beschränkung auf das Heim künftig den modernen Wohn-
formen zum Beispiel von pflegebedürftigen Senioren
nicht mehr wirklich gerecht wird. Zur Kenntnis nehmen
müssen wir auch, dass mittlerweile drei unionsgeführte
Bundesländer – Bayern, Baden-Württemberg und Nord-
rhein-Westfalen – ein eigenes Heimrecht beschlossen
haben. In diesem wurde durch eigene entsprechende Re-
gelungen das Recht des Bundes, die zivilrechtlichen Re-
gelungen des Heimrechts weiterhin zu gestalten, ange-
Zu Protokoll
zweifelt. Wenn wir nicht aufpassen und der Bund nicht
handelt, gibt es in Zukunft nicht nur einen Flickenteppich
bei den ordnungsrechtlichen Regelungen des Heimrechts,
sondern auch ein undurchschaubares Gestrüpp von ver-
tragsrechtlichen Regelungen für die pflegebedürftigen
Verbraucher bzw. ihre Angehörigen.

Die Große Koalition versucht nun, das Beste aus die-
ser Situation zu machen. Wir sind der Auffassung, dass
die verbraucherschutzrechtlichen Regelungen im Heim-
recht keine Ländersache sind und nach der Rechtssyste-
matik allein dem Bund die Gesetzgebungskompetenz
zusteht. Wir haben jetzt mit dem WBVG einen Gesetzent-
wurf vorgelegt, der sich sehen lassen kann.

Das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz ist ein Ver-
braucherschutzgesetz, das älteren Menschen und pflege-
oder betreuungsbedürftigen Personen sowie behinderten
Volljährigen einen besonderen Verbraucherschutz ein-
räumt. Durch passgenaue zivilrechtliche Regelungen er-
halten diese Personengruppe – die einen besonderen
Schutzbedarf hat, weil sie besonders vulnerabel ist – und
die jeweiligen Anbieter vergleichbar einem Mietvertrag
eine deutschlandweit einheitliche vertragliche Grund-
lage für die Überlassung von Wohnraum und die gleich-
zeitige Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistun-
gen.

Das Ziel unseres Gesetzes ist, die Selbstständigkeit
und die Selbstbestimmung auch bei besonderem Hilfebe-
darf zu sichern, den pflege- oder betreuungsbedürftigen
Menschen Wahlfreiheit bezüglich ihrer Versorgung zu
gewährleisten und so dazu beizutragen, dass diese Perso-
nengruppe selbstständig den Alltag meistern und selbst-
bestimmt Entscheidungen bezüglich ihrer Unterbringung
und der benötigten Leistungen treffen kann. Das wird
nicht in wirklich allen Fällen möglich sein, aber der Ge-
setzentwurf ist zumindest ein Beitrag zu mehr selbststän-
diger Teilhabe einer Personengruppe, die bei rechtlich
komplexen Entscheidungen häufig überfordert ist. Denn
diese Verträge müssen häufig in schwierigen Lebenspha-
sen und akuter Bedarfslage unter großem Zeitdruck ab-
geschlossen werden. Die Verträge müssen diese Gruppe
so weit wie möglich vor Übervorteilung schützen.

Zum Aufbau des komplizierten Gesetzeswerkes: Das
Gesetz ist ein sogenanntes Artikelgesetz und enthält vor
allem natürlich das neue Wohn- und Betreuungsvertrags-
gesetz, das die früheren zivilrechtlichen Regelungen des
Heimgesetzes, also des Heimvertragsrechtes ablöst. Da-
rüber hinaus enthält es Folgeänderungen für die Pflege-
versicherung und die Sozialhilfe sowie das Inkrafttreten
des Gesetzes zum 1. September 2009.

Bewährte zivilrechtliche Regelungen des bisherigen
Heimgesetzes werden in dem neuen Gesetz übernommen.
Neu geregelt bzw. ergänzt werden Vorschriften über vor-
vertragliche Informationspflichten, die wichtige Verbrau-
cherschutzregelungen enthalten, zudem gibt es Verbesse-
rungen beim Vertragsinhalt, der Vertragsanpassung, der
Entgelterhöhung und bei der Kündigung eines entspre-
chenden Vertrages. In den §§ 3 und 6 des WBVG werden
Informationspflichten vor Vertragsschluss und verbes-
serte Regelungen zur Vertragstransparenz aufgenom-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Angelika Graf (Rosenheim)

men; auch werden Regelungen zum Schutz vor benachtei-
ligenden Vertragsklauseln getroffen.

Bereits bei der Diskussion um die Verlagerung der Ge-
setzgebungskompetenz an die Länder war uns klar, dass
ein novelliertes Heimgesetz oder ein Heimvertragsgesetz,
wie es uns jetzt vorliegt, mit dem SGB XI, also der Pfle-
geversicherung, harmonisiert werden muss. Und wir ha-
ben uns das nicht leicht gemacht. Besonders bezüglich
der Regelungen für den bedauerlichen Fall des Todes ei-
nes Heimbewohners gab es bei unseren internen Diskus-
sionen noch einigen Klärungsbedarf. § 15 WBVG und
weitere Einzelregelungen zielen nun auf diese Harmoni-
sierung mit den sozialrechtlichen Vorschriften, worüber
ich sehr froh bin. Und auch Regelungen zur Berücksich-
tigung ersparter Aufwendungen für Zeiten der Abwesen-
heit des Verbrauchers und zur Fortgeltung des Vertrags
bei Tod des Verbrauchers dienen der Harmonisierung mit
Vorschriften der Sozialen Pflegeversicherung. Und wir
wollen nicht, dass die vielen neuen Wohnformen von
Senioren, die seit einigen Jahren so vielfältig entstehen
und sich etablieren, durch die neuen Regelungen und
neue bürokratische Hürden gefährdet sind.

Daher wird die SPD bei den weiteren Beratungen
– zum Beispiel der gestern beschlossen Anhörung – da-
rauf achten, dass diese Maßgaben bei dem neuen Wohn-
und Betreuungsvertragsgesetz auch gezielt berücksich-
tigt werden.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1621425700

Das Heimrecht befindet sich in einem Umbruch. Mit

Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 wurde die
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes im Heimrecht
trotz heftiger Kritik von vielen Fachleuten und Verbänden
auf die Bundesländer übertragen.

Das im Jahre 1974 in Kraft getretene Heimgesetz
wurde zum damaligen Zeitpunkt auf Anregung der Bun-
desländer geschaffen und als entscheidender Schritt be-
grüßt, die weithin zersplitterten landesrechtlichen
Zuständigkeiten für Heime grundsätzlich und bundes-
einheitlich zum Schutz der Bewohner zu sichern und mit
der Heimmindestbauverordnung einen Standard für die
baulichen Voraussetzungen zu schaffen. Noch immer ist
das Heimgesetz ein Schutzgesetz. Darüber hinaus sind in
das Heimrecht auch Qualitätselemente integriert – Heim-
mindestbauverordnung, Heimpersonalverordnung –, die
weit über eine Gefahrenabwehr hinausgehen. Das Heim-
recht hat eine besonders starke Verzahnung mit anderen
Regelungen in anderen Rechtsbereichen, unter anderem
dem SGB XI. Es hat also als Bundesgesetz ganz wesent-
lich dazu beigetragen, die Rahmenbedingungen für Men-
schen mit Hilfe-, Pflege- und Betreuungsbedarf grund-
sätzlich zu verbessern. Es hat im Zeitraum seines
Bestehens zahlreiche Nachbesserungen erfahren, eine
Entwicklung, die den zu schaffenden Ländergesetzen erst
noch bevorsteht. Meines Erachtens ist das eine eher un-
günstige Entwicklung für die Betroffenen und wohl auch
ein Grund, warum erst wenige Bundesländer, wie zum
Beispiel Baden-Württemberg, ein eigenes Landesheimge-
setz geschaffen haben.
Zu Protokoll
Man kann die Rückübertragung des Heimrechts auf
die Länder als Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juris-
ten bezeichnen, da viele juristische Unklarheiten bleiben.
Die FDP hat 2006 bei der Grundgesetzänderung einen
Änderungsantrag – Drucksache 16/813 – in den Bundes-
tag eingebracht, um dies noch zu verhindern. Wir und an-
dere Fraktionen dieses Hauses haben diese Entwicklung
von Anfang an abgelehnt. Wie weitreichend die Folgen
sein werden, ist immer noch nicht absehbar. Besonders
Befürchtungen wegen der drohenden Absenkung der
Fachkraftquote, noch 50 Prozent, scheinen berechtigt, da
einzelne Bundesländer dies bereits thematisiert haben.
Solange im jeweiligen Bundesland noch kein neues Län-
derheimrecht verabschiedet wurde, gilt weiterhin das
Bundesheimrecht.

Das Heimrecht kann in seiner bestehenden Form nicht
vollständig in Länderkompetenz übertragen werden. Das
war auch das Ergebnis der Expertenanhörung im Deut-
schen Bundestag im Zuge der Föderalismuskommission.
Alle zivilrechtlichen Regelungsbereiche, wie die Regelun-
gen zum Heimvertrag, gehören zur Bundeskompetenz.
Dies gilt auch für die Regelungen zum finanziellen Schutz
der Heimbewohner und zu deren Mitwirkung. Hier darf
es keine untereinander abweichenden Regelungen auf
Länderebene geben. Eine solche Zersplitterung liegt we-
der im Interesse des Bürgers noch in dem des Zusammen-
halts in der Gesellschaft. Das vorliegende Gesetz regelt
also die Bereiche der §§ 5 bis 9 und § 14 des alten Heim-
gesetzes, deren Neuregelung gemäß der durch die Föde-
ralismusreform veränderten Gesetzgebungszuständigkei-
ten erforderlich geworden ist.

Aufgrund veränderter Familienstrukturen, zunehmen-
der Mobilität und der Vereinzelung von Menschen nimmt
die Gruppe der sogenannten modernen Pflegebedürfti-
gen zu, die in ihrem Wohnumfeld kein stabiles Unterstüt-
zungsnetz haben. Für sie und auch für die Gruppe der
schwerstpflegebedürftigen alten und der schwerst- und
schwerstmehrfachgeschädigten behinderten Menschen
bleibt bisher häufig nur eine Unterbringung im Heim.
Dies wird dazu führen, dass die Zahl der Heimplätze in
den nächsten Jahren kontinuierlich steigen wird, wenn
nicht vehement gegengesteuert wird.

Länder wie Schweden zeigen, dass Menschen mit ei-
nem Unterstützungsbedarf auch ohne Heime zurechtkom-
men können. Dort gibt es vielfältige Unterstützungsange-
bote, die den betroffenen Bürgern ein normales Leben im
Rahmen ihrer Verhältnisse ermöglichen. Ich will nicht be-
streiten, dass ich auch diesen Weg für schwierig halte.
Dennoch: Vorfahrt für ambulante Versorgung.

Den Liberalen ist es daher ein besonderes Anliegen,
dass bei der Neugestaltung der zivilrechtlichen Vorschrif-
ten größte Sorgfalt herrscht. Gerade bei der Definition
des Anwendungsbereichs des neuen Wohn- und Betreu-
ungsvertragsgesetzes muss sichergestellt sein, dass
Vorkommnisse wie die behördliche Bewertung einer
Seniorenwohngemeinschaft als Heim endgültig der Ver-
gangenheit angehören. Mich erfüllen daher Meldungen
mit Sorge, die diese Zielsetzung nur teilweise erreicht se-
hen, da die verwendeten Rechtsbegriffe zu unbestimmt
seien. Zwar finden sich in der Gesetzesbegründung Er-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
läuterungen der Begriffe, dies ist aber nicht ausreichend.
Ich richte daher die dringende Bitte an die Bundesregie-
rung, mögliche Änderungsanregungen aus den Reihen
der Sachverständigen auch tatsächlich ernst zu nehmen
und umzusetzen.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621425800

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit heute in

Kraft. Darüber freue ich mich, und nimmt man die vielen
Presseerklärungen von heute zur Hand, scheinen sich
noch mehr darüber zu freuen. Obwohl die Vorgaben die-
ser Konvention seit heute in Deutschland für Politik, Ver-
waltung und für die Gerichte verbindliches Recht sind,
werden die Betroffenen wohl leider noch sehr lange war-
ten müssen, bis diese Konvention in ihrem wirklichen Le-
ben greift. Die Beauftragte der Bundesregierung für die
Belange behinderter Menschen forderte heute in ihrer
Presseerklärung dazu auf, die Impulse dieser Behinder-
tenrechtskonvention ganz konkret für die Gestaltung ei-
ner inklusiven Gesellschaft zu nutzen. Allerdings hat auch
sie schon ein bisschen kapituliert. Erst „In der kommen-
den Legislaturperiode muss es einen detaillierten
Aktionsplan zur Umsetzung der Ziele der Konvention ge-
ben. Ein solcher Plan muss in enger Zusammenarbeit mit
behinderten Menschen und ihren Interessenverbänden
entstehen“, so Evers-Meyer. Obwohl die Bundesrepublik
Deutschland zu den Erstunterzeichnern gehörte und bei
dem entsprechenden Willen schon längst Bundesregie-
rung, Behindertenorganisationen und andere gesell-
schaftliche Kräfte an einem Tisch sitzen könnten, um ei-
nen Aktionsplan zu erarbeiten, wird nun auf frühestens
2010 vertröstet.

Art. 19 der Behindertenrechtskonvention verpflichtet
Bund und Länder unter anderem zu gewährleisten,
a) dass Menschen mit Behinderungen „die Möglichkeit
haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entschei-
den, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet
sind, in besonderen Wohnformen zu leben; b) Menschen
mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeinde-
nahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrich-
tungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstüt-
zungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen
Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Ge-
meinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft so-
wie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von
der Gemeinschaft notwendig ist“. Daran muss sich ab so-
fort jede Heimgesetzgebung messen. Insofern möchte ich
hier noch einmal für Die Linke ausdrücklich betonen,
dass die Veränderungen bei der Zuständigkeit im Heim-
recht mit der 2006 in Kraft getretenen Föderalismus-
reform der falsche Weg waren. Die Kleinstaaterei bringt
für Heimbewohnerinnen und Bewohner keine Verbesse-
rungen. Auch solch katastrophale Zustände, dass ein jun-
ger Mann mit Behinderungen wie Matthias Grombach
aus Sachsen-Anhalt seit Jahren gegen seinen Willen in ei-
nem Heim leben muss, gehören trotz UN-Behinderten-
rechtskonvention und Föderalismusreform zum Alltag.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition
wird nun der Versuch unternommen, aus den in Bundes-
kompetenz verbliebenen §§ 5 bis 9 und 14 des Heimgeset-
zes ein neues, in sich schlüssiges Gesetz zu machen. Die
Zu Protokoll
restlichen Paragrafen wurden bzw. werden in den Län-
dern zu eigenen Heimgesetzen verarbeitet. Nimmt man
das alte Heimgesetz, wird deutlich, dass sein Auseinan-
derreißen die Sache für die Betroffenen kaum leichter und
verständlicher machen wird. Mit mindestens zwei
Gesetzen sowie darauf aufbauenden Verordnungen und
Rechtsprechungen werden sich die „Verbraucher“ und

(im alten Heimrecht heißen sie noch „die Bewohnerin/der Bewohner“ und „der Träger“)

bzw. auseinandersetzen müssen.

Gestärkt werden sollen mit dem neuen Gesetz die
Rechte der Verbraucher. Das begrüßt und unterstützt Die
Linke. Gerade die zumindest teilweise Trennung von Leis-
tungen, die das Wohnen betreffen, von den verschiedenen
Betreuungsleistungen ist überfällig und sinnvoll. Damit
ist zumindest theoretisch möglich, Pflege- oder Versor-
gungsleistungen nicht vom Heimbetreiber, sondern von
externen Anbietern zu beziehen. Ich hoffe, dass mit dieser
Wahlmöglichkeit auch mehr Qualität bei den Leistungen
kommen wird.

Offen bleiben allerdings weiterhin eine Reihe von
Punkten, die von den in Heimen und ähnlichen Einrich-
tungen lebenden Menschen seit langem gefordert werden.
Dazu gehören das Recht auf eigene Schlüssel, das Recht
auf geschlechtergleiche Assistenz, akzeptable Regelun-
gen zu Haustieren, uneingeschränktes Besuchsrecht,
Kontaktmöglichkeiten zum Heimbeirat oder nachteils-
freie Beschwerdemöglichkeiten für angestellte Pflege-
kräfte. Notwendig ist auch eine verbindliche bundesweite
Fachkräftequote. Vielleicht wird einiges davon in den
Landesgesetzen vernünftig geregelt. Vielleicht?

Offen bleibt ebenfalls die Einbeziehung bzw. Abgren-
zung zu betreuten Wohnformen. Insofern unterstützen wir
den Antrag der Grünen.

Die Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner zu stär-
ken, wäre auch ohne Föderalismusreform möglich gewe-
sen. Aus den in Bundeskompetenz verbliebenen sechs
Paragrafen werden im neuen Gesetz 17 Paragrafen, und
ich bezweifle, dass die neuen Heimgesetze der Länder
kürzer und auch verständlicher werden. Insofern also:
Ich bin auf die Meinung der Sachverständigen bei der An-
hörung am 22. April gespannt.

An der zentralen Frage – Warum will die große Mehr-
heit der Menschen im Alter, bei Pflegebedarf oder der
Menschen mit Behinderungen nicht in ein Heim? – mo-
gelt sich die Bundesregierung auch mit diesem Gesetzent-
wurf vorbei. Insofern bleibt der für diese Wahlperiode an-
gekündigte Paradigmenwechsel leeres Gerede.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun wird zeitlich Druck gemacht, nachdem es so lange
hat auf sich warten lassen – die Neuregelung der zivil-
rechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Fö-
deralismusreform. Einigen Bundesländern war diese
Wartezeit deutlich zu lang. Nach der beschlossenen Fö-
deralismusreform sind sie recht zeitnah dazu übergegan-
gen, ihre nun ordnungsrechtliche Kompetenzrolle wahr-
zunehmen. Herausgekommen sind dabei klangvolle



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Scharfenberg
Gesetzesvorhaben wie beispielsweise das am 3. Juli 2008
durch den Bayerischen Landtag beschlossene Gesetz zur
Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im

(Pflegeund Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG)


Und genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz:
Für die Länder war an einem bestimmten Punkt nicht
mehr klar, für was sie zuständig sind und was vom Bund
zu regeln ist. Damit hat die Föderalismusreform das von
uns vorausgesagte und befürchtete Chaos zutage ge-
bracht. Deshalb überrascht es uns nicht, dass durch die
Länder Ausführungen vorweggenommen wurden, die
jetzt erst durch das „Neue Heimgesetz“ nach der Föde-
ralismusreform geregelt werden: doppelte, ja dreifache
Arbeit, weil die Länder ihre teilweise verabschiedeten
Regelungen nun noch einmal überdenken und anpassen
müssen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und
SPD, was nun einmal lange währt, wird schlussendlich
gut, diesen Eindruck konnte ich bei der Sichtung des Re-
ferentenentwurfs noch teilen. So gelang es dem Referen-
tenentwurf in seiner neuen Denkweise, aus Sicht des
Verbraucherschutzes innovative Wege zu gehen und kon-
sequent außer den stationären Einrichtungen auch Wohn-
gruppen und betreute Wohnformen mitzudenken. Und nun
liegt uns ein Gesetzesentwurf vor, der sich von der begrü-
ßenswerten und überraschenderweise neuen Denkweise
verabschiedet und unsinnige Trennungen vornimmt, die
meines Erachtens sachlich nicht haltbar sind.

Alle Angebote, die Wohnraum überlassen und außer-
dem Pflege- und andere Betreuungsleistungen vorhalten
oder vermitteln – und dies betrifft die klassischen Formen
des betreuten Wohnens –, sind gestrichen: nicht ein einzi-
ger Passus findet Anwendung. Der überwiegende Anteil
der Wohngruppenangebote unterliegt voll und ganz und
ohne Differenzierung der zivilrechtlichen Regelung des
Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes. Was dies für die
Weiterentwicklung des alternativen Wohnangebots be-
deutet, ist noch nicht ganz abzusehen.

Das verstehe, wer will – entweder wird ein Gesetz er-
lassen, in dem der Verbraucherschutz oberste Priorität
hat, oder wir liberalisieren den Markt und überlassen al-
les und jedem sich selbst. Wenn etwas sachlich keinen
Sinn ergibt, aber politisch trotzdem von der Koalition
durchgesetzt wird, verbirgt sich dahinter wie so oft in die-
ser Legislatur eine erfolgreiche Einflussnahme von Lob-
byverbänden, wie in diesem Falle von Anbietern des be-
treuten Wohnens. Die Koalition hat mit diesen Anbietern
besonderes Mitleid, denn sie waren und sind es bisher
nicht gewohnt, dass man ihnen rechtliche Vorschriften
macht. Sie sahen sich durch den Referentenentwurf in ih-
rer Existenz bedroht, weil man ihnen ein Mindestmaß an
Leistungstransparenz, Qualität und Verbraucherorientie-
rung abverlangte. Eine wirklich unzumutbare Forde-
rung!

Leider ist die Lobby der Nutzerinnen und Nutzer des
betreuten Wohnens nicht schlagkräftig genug, um ihre In-
teressen in dem Gesetzgebungsverfahren zum Tragen zu
bringen. Dies liegt daran, dass die meisten bei Einzug in
eine betreute Wohnform bereits zwischen 75 und 79 Jahre
Zu Protokoll
alt sind und mehrfache gesundheitliche Einschränkungen
aufzeigen – und einen damit einhergehenden Hilfe- und
Unterstützungsbedarf. Eigentlich genau die Gruppe, die
eben nicht mehr die selbstbestimmten Nutzer und Nutze-
rinnen sind, für die sie gehalten werden.

Fehlende Transparenz, fehlende Mindeststandards,
fehlender Rechtsschutz und fehlende Verbraucherorien-
tierung führen dazu, dass sich viele Inanspruchnehmer
des betreuten Wohnens betrogen und in die Irre geführt
fühlen – weil sie eine Leistung oft für viel Geld eingekauft
haben, die nicht hält, was sie verspricht. Dies ist auch die
Realität des betreuten Wohnens – es gibt hier Menschen,
die in einer völlig unpassenden Wohnform landen und
vorher gar nicht wussten, auf was sie sich hier einlassen.
So zum Beispiel bemerkten Bewohner, durch den bei-
ßenden Geruch im Hause alarmiert, dass die Leiche des
73-jährigen Nachbarn in der Katholischen Betreuten Se-
niorenwohnanlage bei Hamburg bereits seit zehn Tagen
unentdeckt in einer Wohnung lag – betreutes Wohnen und
keiner da, keine Betreuungsperson, nicht einmal ein
Hausmeister.

Mit Ihrer Entscheidung, das betreute Wohnen aus dem
Gesetzentwurf zu streichen, überlassen Sie Menschen mit
einem besonderen Schutzbedarf schutzlos dem freien
Markt. Verantwortungslose Anbieter und alle, die diesen
Markt nutzen und minderwertige Ware anbieten, tummeln
sich weiterhin auf dieser Wohnwiese und kein Gesetz weit
und breit, das ihnen Einhalt gebietet. Für mich eine inhu-
mane Entscheidung, die mir nochmals vor Augen führt,
dass Ihnen Lobbyisten wichtiger sind als die Bürgerinnen
und Bürger.

Dr
Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1621425900


Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben CDU, CSU
und SPD im Koalitionsvertrag gemeinsam eine Novellie-
rung des Heimgesetzes vereinbart. Mit der Föderalismus-
reform 2006 hat sich der Rahmen für die beabsichtigte
Neuregelung geändert. Die Länder können jetzt den ord-
nungsrechtlichen Teil des Heimgesetzes durch eigene
heimrechtliche Vorschriften ersetzen. Der Bund ist wei-
terhin für den zivilrechtlichen Teil des Heimgesetzes zu-
ständig.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuregelung
der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes ma-
chen wir von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch
und entwickeln die vorhandenen Regelungen zu einem
modernen Verbraucherschutzgesetz weiter. Dazu werden
die den Heimvertrag betreffenden Vorschriften des Heim-
gesetzes durch ein neues Wohn- und Betreuungsvertrags-
gesetz abgelöst.

Wir wollen ältere Menschen sowie pflegebedürftige
oder behinderte volljährige Menschen vor Benachteili-
gungen bei Verträgen schützen, in denen die Überlassung
von Wohnraum mit der Erbringung von Pflege- oder
Betreuungsleistungen verknüpft ist. Wir wollen dazu
beitragen, dass der in der Charta der Rechte hilfe- und
pflegebedürftiger Menschen verankerte Anspruch auf



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
Selbstbestimmung auch im Zivilrecht die notwendige Ab-
sicherung erfährt.

Für die Verbraucherinnen und Verbraucher geht es bei
diesen Verträgen vielfach um Entscheidungen, die trotz
ihrer weitreichenden Bedeutung schnell getroffen werden
müssen. Es geht um die Veränderung des Lebensmittel-
punkts und die Absicherung von Betreuung und Pflege.
Das notwendige Wissen und die erforderliche Erfahrung,
um die komplexen Angebote und Vertragsgestaltungen
überschauen zu können, ist jedoch häufig nicht gegeben.

Hier setzen wir mit dem Gesetz an. Wir schaffen Son-
derregelungen gegenüber dem Bürgerlichen Gesetzbuch,
die auf die besondere Situation dieser Menschen zuge-
schnitten sind: Vorvertragliche Informationspflichten
und entsprechende Transparenzanforderungen an den
Vertrag sichern die Entscheidungsfreiheit der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher. Mindestanforderungen an
die Leistungen des Unternehmers sowie die Angemessen-
heit des Entgelts schützen vor Benachteiligung bei der
Ausgestaltung der Vertragsgegenstände. Besondere An-
forderungen an Entgelterhöhung und Vertragsanpassung
bei Änderung des Pflege- oder Betreuungsbedarfs be-
rücksichtigen die langfristige Bindung der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher. Kündigungsvorschriften und das
Verbot abweichender Vereinbarungen zulasten des Ver-
brauchers sichern das erzielte Schutzniveau. Dabei be-
rücksichtigen wir an jedem Punkt die notwendige Harmo-
nisierung mit den sozialleistungsrechtlichen Regelungen
insbesondere der Sozialen Pflegeversicherung.

Anders als das bisherige Heimgesetz knüpft die Neure-
gelung nicht mehr an bestimmte Wohn- oder Einrich-
tungsformen an. Entscheidend sind allein die konkreten
Vertragsinhalte. Damit wird der Anwendungsbereich des
Gesetzes für zukünftige Entwicklungen geöffnet und ein
klarer rechtlicher Rahmen auch für neue Wohn- und Be-
treuungsformen geschaffen.

Die Entwicklung neuer Wohn- und Betreuungsformen
ist eine Bereicherung. Sie ermöglicht hilfebedürftigen
Menschen, ein für sie passendes Angebot zu finden und
ihre individuellen Wünsche und Vorstellungen zu ver-
wirklichen. Das wollen wir unterstützen. Gleichzeitig
sind die Inhalte der neu entstehenden Angebote aber viel-
fach noch unklar. Gerade hier besteht besonderer Schutz-
bedarf. Deshalb beschränkt sich das Gesetz nicht auf den
Verbraucherschutz von Menschen in Heimen oder ande-
ren stationären Pflegeeinrichtungen. Es ist bei entspre-
chender Vertragsgestaltung vielmehr auch auf das soge-
nannte betreute Wohnen und andere neue Wohn- und
Betreuungsformen anwendbar. Es trägt durch seine
Schutzvorschriften dazu bei, dass das Vertrauen der Ver-
braucherinnen und Verbraucher in diese Angebote ge-
stärkt wird.

Nicht erfasst wird das sogenannte Service-Wohnen,
bei dem neben dem Wohnraum ausschließlich allgemeine
Betreuungsleistungen wie Notrufdienste oder Leistungen
der hauswirtschaftlichen Versorgung Gegenstand der
vertraglichen Vereinbarung sind. Diese Angebote dienen
nicht in gleichem Maße der Bewältigung eines durch
Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten
Hilfebedarfs.
Das Gesetz soll zum 1. September 2009 in Kraft treten.
Für vor diesem Zeitpunkt geschlossene Heimverträge ist
eine Übergangsvorschrift vorgesehen. Für andere Altver-
träge gilt das Gesetz nicht. Hier haben sich die Beteilig-
ten auf eine bestimmte Rechtslage eingestellt, die nach-
träglich nicht mehr verändert werden soll.

Mit dem Gesetz können wir noch in dieser Legislatur-
periode einen wichtigen Beitrag zum Schutz älterer, pfle-
gebedürftiger und behinderter Menschen leisten und
diese zugleich in ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung
stärken.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621426000

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 16/12409 und 16/12309 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sie sind damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 22 a
und b:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes

(Änderung der Altfallregelung)


– Drucksache 16/12415 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verlängerung der Frist für die gesetzliche Alt-
fallregelung

– Drucksache 16/12434 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Grindel, Veit,
Wolff (Rems-Murr), Jelpke und Winkler.


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1621426100

An den Beginn der Debatte gehört die Feststellung,

dass die gesetzliche Altfallregelung und die Bleiberechts-
regelung der Innenministerkonferenz wesentlich erfolg-
reicher gewesen sind, als das von der Opposition im Vor-
feld vermutet worden ist und bis zum heutigen Tag leider
behauptet wird. Insgesamt ist bis zum Stichtag 30. Sep-
tember 2008 rund 52 000 bisher Geduldeten eine Aufent-
haltserlaubnis nach diesen beiden Regelungen erteilt
worden. Die heutige Zahl dürfte bei rund 60 000 Perso-
nen liegen, die einen abgesicherten Aufenthaltsstatus


(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
haben. Das ist weit mehr als bei jeder anderen vergleich-
baren Regelung dieser Art. Das ist eine großartige huma-
nitäre Leistung, bei der der Staat Integrationsleistungen
der geduldeten Ausländer anerkannt hat und in einer
Situation hilft, bei der eine sofortige Abschiebung
schlechthin nicht vertretbar wäre.

Aber angesichts des Umstandes, dass hier gerade die
Linkspartei sich aufplustert, haltlose Unterstellungen
verbreitet und diesen Antrag zur Verlängerung der ge-
setzlichen Fristen für die Altfallregelung stellt, lohnt es
sich vielleicht, einfach einmal in die jeweiligen Bundes-
länder zu schauen, wer besonders intensiv von der Alt-
fall- und Bleiberechtsregelung Gebrauch macht und wer
hier besonders restriktiv vorgeht. Und da ist schon inte-
ressant, dass wir in Bayern, Baden-Württemberg, Nord-
rhein-Westfalen oder Hessen, also in den Ländern, in
denen Union und FDP die Verantwortung tragen, Ableh-
nungsquoten haben, die unter 10 Prozent liegen. Die mit
Abstand höchste Quote von Antragsablehnungen bzw.
Anträgen, die immer noch nicht bearbeitet worden sind,
haben wir ausgerechnet in Berlin mit über 50 Prozent.
Also genau da, wo die Linkspartei die politische Verant-
wortung trägt, wird besonders hartherzig und besonders
schleppend mit den Anträgen der geduldeten Personen
umgegangen. Da kann ich nur sagen: Halten Sie sich mal
lieber zurück, hier im Bundestag äußerlich wohlfeile An-
träge zu stellen und maßlose Reden zu halten, und tun Sie
lieber dort etwas, wo Sie zum Handeln in der Lage sind.
Die Linkspartei ist in dieser Frage – wie ja auch in vielen
anderen, wo Sprüche und politisches Handeln weit aus-
einanderklaffen – absolut unglaubwürdig!

Dass in den Ländern sehr im Sinne der Prämierung
von gelebter Integration und eben nicht engherzig über
die Anträge entschieden wird, lässt sich an der hohen
Quote der positiv beschiedenen Anträge ablesen. Wir
wissen doch alle, dass viele Asylbewerber im Rahmen der
Verfahren – gerade bei der Erstantragstellung – nicht so
mitwirken, wie das nach den Buchstaben des Gesetzes
vorgeschrieben wäre. Und wenn man die Gesetzesformu-
lierung sehr buchstabengetreu auslegen würde, könnte
das in vielen Fällen einer Einbeziehung in die Altfallre-
gelung entgegenstehen. Aber die Behörden in den Län-
dern – und ich wiederhole, das sind in den meisten Fällen
unionsregierte Länder – richten sich ganz offenbar an
den konkreten Integrationsleistungen der Geduldeten
aus. Und das ist auch richtig so. Wenn eine Familie sich
durch eigener Hände Arbeit ernähren kann, wenn sie ihre
Kinder erfolgreich auf die Schule schicken, wenn sie sich
in unsere Gesellschaft eingegliedert haben und dem Staat
nicht auf der Tasche liegen und wenn sie schon so lange
in Deutschland leben, dass eine Rückkehr in das Heimat-
land kaum vertretbar wäre, dann wollen wir ihnen eine
faire Chance für ein Leben in unserem Land geben. Und
ich wiederhole mit allem Nachdruck: Diese faire Chance
kriegen sie vor allem in Ländern, die von CDU und CSU
regiert werden. Insofern haben wir wahrlich keinen
Nachholbedarf in Hinweisen, wie man humanitär mit
dem Problem umgeht, dass es wegen der außergewöhn-
lichen Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitmarkt
infolge der weltweiten Finanzmarktkrise jetzt vielleicht
etwas schwerer ist, eine Beschäftigung und damit die Fä-
Zu Protokoll
higkeit nachzuweisen, den Lebensunterhalt selbst bestrei-
ten zu können.

Nur muss dazu Folgendes gesehen werden: Die augen-
blickliche Lage auf dem Arbeitsmarkt ist – Gott sei
Dank – immer noch so, dass wir deutlich weniger Ar-
beitslose haben als zu dem Zeitpunkt, als die Bleibe-
rechts- bzw. Altfallregelung beschlossen worden ist. Inso-
fern vertreten wir als CDU/CSU die Auffassung, dass es
im Augenblick keinen Bedarf für hektische Aktivitäten des
Gesetzgebers gibt. Wir sagen ausdrücklich zu, dass wir
die Lage auf dem Arbeitsmarkt im November sehr genau
beobachten werden. Sollte sich dann wirklich eine dra-
matische Änderung der Lage ergeben, die zu unüber-
windlichen Hürden für die Geduldeten führen würde,
dann sind wir bereit, über eine zeitnahe Verlängerung der
Fristen im Aufenthaltsgesetz nachzudenken. Das kann
man innerhalb weniger Wochen gesetzgeberisch auf den
Weg bringen, zumal es ja auch eine irrige Vorstellung ist,
dass nun ab 2. Januar 2010 alle Geduldeten sofort abge-
schoben werden würden, wenn sie bis dahin nicht in die
Altfallregelung einbezogen wären. Insofern hat der Ge-
setzgeber zu Beginn der nächsten Legislaturperiode ei-
nen hinreichenden zeitlichen Spielraum.

Aber ich will im Lichte der derzeitigen Arbeitsmarkt-
lage, wo wir ja immer noch eine Vielzahl offener Stellen
auch in Berufszweigen haben, die keine hohen Qualifika-
tionsanforderungen stellen, wenn ich etwa an die Berei-
che der Pflege oder des Einzelhandels denke, betonen,
dass wir auch von den Geduldeten nicht den Druck neh-
men dürfen, sich ganz engagiert um eine dauerhafte be-
rufliche Eingliederung zu bemühen. Was die Linkspartei
und auch die Grünen hier vorschlagen, läuft im Kern auf
eine allgemeine Bleiberechtsregelung ohne Integrations-
leistungen hinaus. Genau das haben wir nicht gewollt.
Wir wollten nach dem Motto „Fördern und Fordern“ mit
der von uns getroffenen Gesetzesänderung einen Anreiz
schaffen: für ganz konkrete Schritte hin zu einer berufli-
chen Integration und zu einer schulischen Integration der
Kinder. Das würde konterkariert, wenn wir den Anträgen
der Grünen und der Linkspartei folgen würden. Deshalb
lehnen wir sie ab.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1621426200

Als sich Union und SPD vor nunmehr dreieinhalb Jah-

ren zur Großen Koalition zusammentaten, schrieben sie
sich bekanntermaßen folgenden Prüfauftrag in den Ko-
alitionsvertrag: „Wir werden das Zuwanderungsgesetz
anhand der Anwendungspraxis evaluieren. Dabei soll
insbesondere auch überprüft werden, ob eine befriedi-
gende Lösung des Problems der so genannten Kettendul-
dungen erreicht worden ist.“

Ich erinnere daran, dass die rot-grüne Koalition mit
dem Zuwanderungsgesetz die Duldung eigentlich gene-
rell abschaffen wollte. Dies ist damals jedoch am Wider-
stand der CDU/CSU im Bundestag und Bundesrat ge-
scheitert. Im Ergebnis waren Ende des Jahres 2006 rund
180 000 Ausländer – darunter etwa 50 000 Kinder – le-
diglich im Besitz einer Duldung, das heißt, ihre Abschie-
bung war nur ausgesetzt und die Betroffenen haben sozu-
sagen auf gepackten Koffern ohne jede vernünftige



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit
Zukunftsperspektive hier in Deutschland gelebt, und zwar
Zigtausende von ihnen schon sechs bzw. acht oder noch
mehr Jahre lang.

Um diesen Missstand zu beheben, verhandelte die
Große Koalition über eine gesetzliche Altfallregelung.
Wir alle wissen, wie kontrovers sich die Verhandlungen
gestalteten. Doch wir wissen auch, dass wir am Ende ei-
nen Kompromiss gefunden haben. Er mag in der Öffent-
lichkeit umstritten gewesen sein, und er mag den Bericht-
erstattern auf beiden Seiten viele Zugeständnisse
abverlangt haben. Doch letztlich zählt nur eines: Hat er
den Menschen, die wir erreichen wollten, geholfen? Und
hier lautet die Antwort Ja. Ich habe selber gesagt, dass
die Regelung des § 104 a des Aufenthaltsgesetzes dann
ein Erfolg ist, wenn wir mit ihr und dem IMK-Beschluss
mehr als 50 000 Menschen den Weg in die Aufenthalts-
erlaubnis ebnen können. Die jüngste umfassende Auswer-
tung aus dem September 2008 verdeutlicht, dass dieses
Ziel erreicht worden ist. 52 977 ehemals Geduldete haben
eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Nach dreieinhalb Jahren der Großen Koalition ist je-
doch nicht nur die Zeit für eine Bilanz gekommen. Es
bleibt uns vielmehr auch noch ein halbes Jahr, in dem wir
als Gesetzgeber noch handeln können, vielleicht sogar
müssen. Denn es geht um die Frage, ob der eben darge-
stellte Erfolg auf der Kippe steht. Sie alle kennen die Zah-
len: Von den 28 721 Aufenthaltserlaubnissen, die nach
der gesetzlichen Altfallregelung erteilt wurden, sind
23 334 auf Probe erteilt. Das bedeutet: Auch diese Per-
sonen müssen bis Ende 2009 ihren Lebensunterhalt ver-
dienen können. Das ist nicht immer leicht. Hier darf ich
auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verweisen,
der zu Recht die Probleme aufführt, die ehemals Gedul-
dete bei der Arbeitssuche haben. Ich will sie nicht alle
wiederholen, aber einen herausgreifen, der mir beson-
ders wichtig erscheint. Als wir die Frist Dezember 2009
beschlossen, konnte keiner von uns die einschneidende
Wirtschaftskrise des Jahres 2008 erahnen, die im Laufe
des Jahres 2009 ihre Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt
noch stärker als heute zeigen wird.

Mit milliardenschweren Konjunkturpaketen, die in der
Geschichte unserer Republik ohne jedes Beispiel sind,
versuchen wir, die absehbare negative Wirtschaftsent-
wicklung zumindest abzufedern. Mit der gleichen logi-
schen Konsequenz sollten wir als Gesetzgeber aber auch
überall dort handeln, wo ansonsten unbeabsichtigte Kon-
sequenzen drohen. Damit meine ich die vormals eben nur
geduldeten ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbür-
ger, die unter den erschwerten Wirtschafts- und Arbeits-
marktbedingungen eben auch schlechtere Chancen ha-
ben, ihre Arbeitsstelle zu behalten oder eine neue zu
finden. Wenn infolgedessen nun eine große Zahl derer, die
die Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten haben,
zurück in die Duldung fielen, so wäre dies für alle Betei-
ligten fatal: für die SPD-Fraktion, weil sie dem Richt-
linienumsetzungsgesetz trotz erheblicher Bedenken in an-
deren Punkten vor allem deshalb zugestimmt hat, um die
Altfallregelung zu erreichen; für die Große Koalition,
weil damit ein gemeinsam erstrittener Erfolg gefährdet
wäre; und für die Betroffenen, denen eine einmal einge-
räumte Perspektive wieder genommen würde. In ihrem
Zu Protokoll
Interesse müssen wir gemeinsam diskutieren, um die Frist
des § 104 a Abs. 5 AufenthG zu verlängern, das heißt ih-
nen noch mehr Zeit für die Arbeitssuche geben zu können.

Der Gesetzentwurf der Linken greift dies wie folgt auf:
Die Aufenthaltserlaubnisse sollen hiernach unabhängig
von der Lebensunterhaltssicherung erteilt werden. Auf
die Lebensunterhaltssicherung ganz zu verzichten, ist
aber zu weitgehend und nicht durchsetzbar. Auch bei den
Aufenthaltserlaubnissen zu anderen Zwecken, abgesehen
von einigen humanitären Titeln, wird nie ganz auf die Le-
bensunterhaltssicherung verzichtet. Deshalb empfehle
ich, diesen Antrag abzulehnen.

Sachgerechter ist der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
nen. Er fordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem
die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis auf Probe über
die in § 104 a AufenthG genannte Frist hinaus angemes-
sen verlängert wird. Auch aus der Sicht der SPD-Frak-
tion wäre ein sofortiges Handeln des Gesetzgebers drin-
gend geboten, um eine entsprechende Gesetzesnovelle
noch vor der Sommerpause zu verabschieden und
schnellstmöglich in Kraft zu setzen. Leider konnten wir
unseren Koalitionspartner hiervon – noch? – nicht über-
zeugen. Auch in der CDU/CSU-Fraktion sieht der eine
oder andere zwar das Problem, glaubt aber an eine recht-
zeitige Lösungsmöglichkeit nach der Bundestagswahl.
Genau hier habe ich aber meine Zweifel. Eine handlungs-
fähige Mehrheit – welche auch immer – und eine neue
Bundesregierung werden die Sacharbeit frühestens im
November aufnehmen, und die dann noch verbleibenden
wenigen Wochen bis zum Jahresende reichen sicherlich
für ein fristgerechtes Handeln nicht mehr aus.

Hinzu kommt aber vor allem: Wenn nach geltender
Rechtslage die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis auf
Probe abläuft, haben die Betreffenden natürlich noch we-
niger Chancen, gegebenenfalls eine neue Arbeitsstelle zu
finden oder auch nur zu behalten. Eine ungewisse Zukunft
ist aber vor allem für die Betroffenen eine völlig unnötige
psychische Belastung. Nicht zuletzt ist eine unklare Ent-
wicklung der Rechtslage für die Ausländerbehörden mehr
als lästig.

Ich rege daher dringend an, dass wir in einem unmit-
telbar nach Ostern anzuberaumenden Berichterstatterge-
spräch mit Staatssekretär Peter Altmaier und seinen
Fachleuten im BMI gemeinsam zu einer vernünftigen und
zeitnahen Lösung kommen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Die Reform des Bleiberechts durch die Bundesregie-

rung im Sommer 2007 war ein längst überfälliger Schritt.
Wenn bei lange geduldeten, gut integrierten Ausländern
eine Abschiebung nicht mehr vertretbar ist, muss dieser
Tatsache durch eine vernünftige und unbürokratische Re-
gelung Rechnung getragen werden.

Doch die entscheidenden Kriterien waren und sind
„lange geduldet und gut integriert“. Aus Sicht der FDP
muss die tatsächliche Integration das entscheidende Kri-
terium sein, nachgewiesen durch eigenständigen Lebens-
unterhalt, deutsche Sprachkompetenz und Akzeptanz im



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

persönlichen sozialen Umfeld auch außerhalb der Mi-
grantengesellschaft.

Der eigenständige Lebensunterhalt ist dabei von ent-
scheidender Bedeutung. Das Zahlenmaterial, das Grüne
und Linke in den vorliegenden Anträgen zitieren, deutet
genau darauf hin, dass dies eine für die Integration sehr
bedeutsame Anforderung ist. Es ist berechtigt, die Frage
nach der Perspektive eines gesicherten Lebensunterhal-
tes zu stellen. Und es ist zutiefst inhuman, Menschen hier
eine Aufenthaltsperspektive vorzugaukeln, die hier ihren
Lebensunterhalt nicht selbst verdienen können. Wer so et-
was tut, der hält Alimentierung für humane Politik. Wir
Liberalen halten es dagegen für human, Menschen Chan-
cen für ein erfülltes Leben zu eröffnen. Dazu gehört auch,
klar zu sagen, wer im Hinblick auf den Arbeitsmarkt nach
Deutschland passt und wer nicht.

Es wird in diesem Zusammenhang einmal mehr deut-
lich: Arbeit ist ein bedeutender Integrationsfaktor. Der
Zusammenhang von Arbeitserlaubnis und Aufenthalts-
recht muss deshalb eine besondere Aufmerksamkeit fin-
den. Arbeit ermöglicht den Zuwanderern, finanziell auf
eigenen Beinen zu stehen und fördert dadurch das Selbst-
wertgefühl nicht nur des Berufstätigen, sondern auch der
Familienangehörigen. Sie ermöglicht soziale Kontakte
und schafft Akzeptanz in der Bevölkerung. Dies ist auch
im Interesse der Gesellschaft als Ganzes. Ohne gleichbe-
rechtigten Arbeitsmarktzugang können Zuwanderer sich
nicht aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit befreien. Er-
werbstätigkeit ist die Grundlage für wirtschaftliche Ei-
genständigkeit. Deshalb ist es notwendig, dass mit der
Aufenthaltserlaubnis automatisch auch die Aufnahme ei-
ner Erwerbstätigkeit ermöglicht wird.

Die große Schwierigkeit einer sinnvollen Bleiberechts-
regelung besteht darin, einerseits den unhaltbaren Zu-
stand der Kettenduldungen abzuschaffen, andererseits
aber die Zuwanderung nach Deutschland so zu steuern,
dass diese auch nachhaltige Akzeptanz bei den Bürgerin-
nen und Bürgern findet. Auch hier muss die Integration
die Leitlinie sein.

Gerade in diesem Zusammenhang müssen wir endlich
auch beim Problem der sogenannten Altfälle ehrlich den
Tatsachen ins Auge schauen. Dazu gehört, die Arbeits-
marktverhältnisse zu akzeptieren und die daraus resultie-
renden Schlussfolgerungen klar zu ziehen: Wir brauchen
qualifizierte Zuwanderung. Wer dem Daueraufenthalts-
recht Letzterer in vermeintlich humanitärer Gesinnung
das Wort redet, riskiert die steigende Ablehnung der Be-
völkerung gegen Zuwanderer und könnte den Boden für
gesellschaftliche Spannungen aufgrund des Vorwurfs der
Ausnutzung des Sozialsystems bereiten.

Der Antrag der Linken hat exakt die entgegengesetzte
Zielsetzung: Er verneint die Notwendigkeit einer eigen-
ständigen Lebensunterhaltssicherung für Menschen, die
ein Aufenthaltsrecht in Deutschland suchen, und akzep-
tiert ausdrücklich, dass er „Kosten in unbekannter Höhe
durch die Gewährung von Sozialleistungen“ verursacht.
Eine solche Rücksichtslosigkeit gegenüber unserem
Sozialsystem trägt die FDP nicht mit.
Zu Protokoll
Der Antrag der Grünen ist dagegen diskussionswür-
dig. Zwar weckt er ebenfalls Zweifel an der aus Sicht der
FDP unverzichtbaren Forderung nach selbstverdientem
Lebensunterhalt, der ergänzenden SGB-II-Anspruch aus-
schließt. Allerdings weisen die Grünen zu Recht darauf
hin, dass die Bundesregierung lange Zeit geduldete Men-
schen durch ein Arbeitsverbot an der Integration in den
Arbeitsmarkt gehindert hat. Zudem wollen die Grünen
nicht das „Aufenthaltsrecht auf Probe“ durch das Aufent-
haltsrecht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ersetzen, wie das die
Linkspartei tut, sondern nur die Fristsetzung, bisher
31. Dezember 2009, verlängern. Darüber lässt sich ange-
sichts des langjährigen Arbeitsverbotes und angesichts
der wirtschaftlich angespannten Situation reden.

Das eigentliche Problem, für Migranten welcher Art
auch immer den Zutritt zum Arbeitsmarkt und damit die
Integration in Deutschland zu erleichtern, kann keine
Ausländergesetzgebung leisten, sondern nur eine konse-
quente Deregulierung des Arbeitsmarktes.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621426300

Wie Sie wissen, ist die Beendigung der sogenannten

Kettenduldungen eine wesentliche innenpolitische For-
derung der Linksfraktion. Einen geeigneten Gesetzent-
wurf haben wir bereits zu Beginn dieser Wahlperiode hier
vorgelegt. Danach sollte die Erteilung eines Aufenthalts-
titels allein von der bisherigen Aufenthaltsdauer abhän-
gig sein. An dieser Forderung halten wir auch weiterhin
fest. Die Entwicklungen bei der Zahl der Geduldeten und
insbesondere der langjährig Geduldeten zeigen, dass das
Problem mit der aktuellen Altfallregelung nur kurzfristig
gelindert werden konnte. Die Zahl derjenigen, die seit
mehr als sechs Jahren lediglich geduldet werden,
stagniert seit über einem Jahr. Es ist nicht auszuschlie-
ßen, dass sie auch wieder steigt. Deshalb brauchen wir
gesetzliche Regelungen, die die Entstehung von Ketten-
duldungen dauerhaft verhindern und bestehende Ketten-
duldungen beenden.

Leider konnte sich die Linksfraktion mit ihrem Vor-
schlag damals nicht durchsetzen. Stattdessen wurde zu-
nächst von der Innenministerkonferenz und dann vom
Bundestag eine völlig ungenügende und hartherzige Re-
gelung beschlossen. Im Sommer 2007 trat eine soge-
nannte Altfallregelung für langjährig geduldete Flücht-
linge in Deutschland in Kraft. Wir haben schon damals
scharf kritisiert, dass der Bundestag diese Bleiberechts-
regelung an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft
hat. Wer eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, muss geset-
zestreu gewesen sein, darf keine Verbindungen zu ver-
meintlichen Extremisten haben, soll immer mit der Aus-
länderbehörde kooperiert haben. Die schwierigste Hürde
ist aber der eigenständige Lebensunterhalt. Das geht aus
den Zahlen, die wir regelmäßig erfragen, ganz klar her-
vor. 80 Prozent derjenigen, die das Bleiberecht beantragt
haben, sind nur im Besitz einer sogenannten Aufent-
haltserlaubnis „auf Probe“. Das sind insgesamt über
28 000 Menschen. Können sie zum 31. Dezember dieses
Jahres nicht nachweisen, von eigenem Gehalt leben zu
können, droht der Rückfall in die Duldung. Und in eini-
gen Fällen, das muss man ganz klar sagen, droht die so-
fortige Abschiebung.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
Davor hat die Linke von Beginn an gewarnt. Leider
wurden unsere Warnungen von der Realität noch über-
holt, denn die derzeitige Wirtschaftskrise war im Sommer
2007 noch nicht absehbar. Migrantinnen und Migranten
in Beschäftigungssektoren mit geringen Qualifikations-
anforderungen werden am härtesten getroffen. Wer nur
eine gering qualifizierte Beschäftigung hat, ist von Ar-
beitsplatzverlust und Lohneinbußen am stärkten betrof-
fen. Es ist naheliegend, dass gerade die ehemals Gedul-
deten im besonderen Maße von dieser Entwicklung
betroffen sind.

Zum Kriterium des eigenständigen Lebensunterhalts
ist mittlerweile auch ein Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts ergangen. Dieses Urteil hat klargestellt, dass
auch jeder nur theoretisch bestehende Anspruch auf er-
gänzende Hilfen des Staates bedeutet, dass dieses Krite-
rium nicht erfüllt wird. Die Konsequenzen dieses Urteils
sind noch nicht im Einzelnen absehbar. Die erforderli-
chen Verdienstgrenzen liegen über dem, was die Auslän-
derbehörden bisher als Verdienstgrenzen festgelegt hat-
ten, abgesehen von allen Unterschieden zwischen den
Bundesländern. Gerade für Familien mit mehreren Kin-
dern, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig sein kann,
wird mit diesem Urteil eine geradezu unüberwindliche
Hürde geschaffen. Auch hier muss gegengesteuert wer-
den, um nicht ausgerechnet die Familien faktisch von der
Bleiberechtsregelung auszuschließen.

Deshalb fordern wir mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf, bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse
auf den eigenständigen Lebensunterhalt zu verzichten.
Dies muss selbstverständlich auch für die auf Probe er-
teilten Aufenthaltserlaubnisse gelten. Die Gesetzesände-
rung dient in erster Linie dem Ziel, den ursprünglichen
Gesetzeszweck auch wirklich erreichen zu können, näm-
lich eine langfristige Aufenthaltsperspektive für die Be-
troffenen.

Mit diesem Status quo soll dem Bundestag in der kom-
menden Wahlperiode die Gelegenheit gegeben werden,
eine dauerhaft wirksame Bleiberechtsregelung zu be-
schließen. Aber wir können nicht mehr bis zur nächsten
Wahlperiode warten. Die Koalition hat die derzeitige Re-
gelung so gestrickt, dass noch in diesem Jahr etwas getan
werden muss. Der nächste Bundestag wird aller Erfah-
rung nach nicht mehr genug Zeit haben, noch in diesem
Jahr eine Neuregelung zu beschließen. Zudem muss der
Bundesrat dem ebenfalls zustimmen. Ich kann also alle
Fraktionen nur einladen, unseren Vorschlag zügig zu be-
raten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsge-
setzes wurde im Sommer 2007 mit den §§ 104 a und 104 b
Aufenthaltsgesetz eine Bleiberechtsregelung für langjäh-
rig geduldete, hier lebende Menschen geschaffen. Die
Fraktionen von CDU/CSU und SPD hatten diese Rege-
lung als „Richtungswechsel“ gefeiert: Integrationswil-
lige Ausländerinnen und Ausländer, die lange Jahre bei
uns mit einer Duldung in Angst vor Abschiebung und Aus-
weisung gelebt hätten, würden nun eine realistische
Zu Protokoll
Chance erhalten, eine eigenständige wirtschaftliche
Existenz in ihrer neuen Heimat aufzubauen.

Bereits frühzeitig geäußerte Befürchtungen von uns
scheinen sich nun zu bestätigen: Die gesetzliche Altfall-
regelung – eines der innenpolitischen Kernvorhaben der
Großen Koalition – droht leerzulaufen: Nicht nur, dass
bislang lediglich rund ein Viertel aller infrage kommen-
den Personen ein vorläufiges Bleiberecht erhalten haben –
es besteht die akute Gefahr, dass ein Großteil derjenigen,
die eine „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ erhalten
haben, diese Ende 2009 nicht wird verlängern können
und infolgedessen wieder in die Duldung zurückfallen
wird.

Um dem vorzubeugen – und zwar rechtzeitig und nicht
erst nach der Wahl des nächsten Bundestages –, haben
wir den vorliegenden Antrag eingebracht. Er beinhaltet
zwei Forderungen: zum einen eine Fristverlängerung für
die Stellung von Anträgen nach der gesetzlichen Altfall-
regelung. Denn es zeichnet sich ab, dass es aus Gründen,
die nicht in der Person der Bleiberechtskandidatin oder
des Bleiberechtskandidaten liegen, für viele potenziell
Begünstigte der Altfallregelung unmöglich sein wird, in-
nerhalb der gesetzlichen Frist, 31. Dezember 2009, die
Vorgaben der gesetzlichen Bleiberechtsregelung zu erfül-
len.

Spät – nämlich erst Ende Juni 2008 – hat die Große
Koalition ihr „Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen
Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit
Zugang zum Arbeitsmarkt“ aufgelegt. Auch hierüber
werden Begünstigte der Altfallregelung die geforderte
Lebensunterhaltssicherung nicht bis Ende 2009 nachwei-
sen können, vergleiche Bundestagsdrucksache 16/11361.

Ebenfalls bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der Zu-
gang zum Arbeitsmarkt trotz dieser Maßnahmen für viele
Geduldete wegen struktureller Barrieren unmöglich ist.
Zum einen bestand jahrelang ein Arbeitsverbot für gedul-
dete Menschen, sodass es sich größtenteils um ungelernte
Arbeitskräfte handelt, zum anderen sind die Jobs am un-
teren Ende der Lohnskala oft nicht lebensunterhaltssi-
chernd. Dazu kommt, dass dieser Personenkreis für die
Sicherstellung des Lebensunterhaltes aufgrund der An-
rechnung von Freibeträgen – Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichtes vom 26. August 2008 – einen wesentlich
höheren Verdienst erwirtschaften muss als vergleichbare
deutsche Arbeitnehmer.

Im Übrigen wird die aktuelle Wirtschaftskrise diesen
Personenkreis vergleichsweise heftiger treffen als an-
dere. Im Ergebnis werden also viele der momentan mit ei-
ner Aufenthaltserlaubnis auf Probe ausgestatteten
Flüchtlinge aufgrund des Stichtages 31. Dezember 2009
zum 1. Januar 2010 wieder in die Duldung zurückfallen.
Zusammen mit den neu hierherkommenden Flüchtlingen
werden Kettenduldungen also genau nicht abgeschafft,
wie es der Gesetzgeber wollte, sondern erneut festge-
schrieben.

Die zweite Forderung in unserem Antrag ist eine groß-
zügigere Auslegung der „Lebensunterhaltssicherung“
beim Übergang der „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“
zur „normalen Aufenthaltserlaubnis“ – zum Beispiel



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Josef Philip Winkler
über die Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz:
§ 104 a Abs. 5 Aufenthaltsgesetz schreibt vor, dass eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Aufenthaltsgesetz
nach dem 31. Dezember 2009 nur dann verlängert wer-
den kann „wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis
zum 31. Dezember 2009 überwiegend eigenständig durch
Erwerbstätigkeit gesichert war oder wenn der Ausländer
mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt
nicht nur vorübergehend eigenständig sichert“.

Am 26. August 2008 hat nun das Bundesverwaltungs-
gericht in einem Grundsatzurteil in einem Fall des Fami-
liennachzugs (1 C 32.07) die Voraussetzungen für die Si-
cherung des Lebensunterhalts deutlich verschärft: Der
Lebensunterhalt ist demzufolge nur dann gesichert, wenn
das gemäß SGB II anrechenbare (und nicht das Netto-)

Einkommen so hoch ist, dass kein ergänzender SGB-II-
Anspruch mehr besteht. Regelungen zu sogenannten Ab-
setz- und Freibeträgen sind nach Ansicht des Bundesver-
waltungsgerichtes auch im Aufenthaltsrecht anwendbar.
Ob diese Leistung tatsächlich in Anspruch genommen
wird oder ob man aus Gründen der – vermeintlichen –
Aufenthaltssicherung darauf verzichtet, ist nach dem Ur-
teil gänzlich unerheblich. Infolge dieses Grundsatzurteils

(Erwerbserforderlich, um den Lebensunterhalt zu decken. „Aus Sicht der Bundesregierung ergibt sich aus dem [o. g.] Urteil des BVerwG kein unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf“ Es bestehen aber unstreitig untergesetzliche Handlungsmöglichkeiten des Bundes – namentlich auf der Ebene der Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz. Im Rahmen der derzeit laufenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zu den Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz sollte daher unbedingt eine Klarstellung erfolgen, die Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung in Fällen des gesetzlichen Bleiberechts so zu handhaben, dass Härtefälle vermieden werden. Damit möglichst viele geduldete Menschen von der jetzigen Bleiberechtsregelung profitieren können, muss sie kurzfristig nachgebessert werden. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, in den anstehenden Beratungen im Innenausschuss hierfür einen interfraktionellen Konsens zu erreichen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/12415 und 16/12434 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über den Auskunftsaustausch in Steuersachen – Drucksache 16/12066 – – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften – Drucksache 16/12067 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – Drucksache 16/12449 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Binding (Heidelberg)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621426400


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es gilt das gedachte Wort!)


Thiele, Kolbe, Höll und Schick.


Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1621426500

Jersey ist mit 90 000 Einwohnern die bevölkerungs-

reichste der Kanalinseln, 20 Kilometer vor der Küste der
Normandie gelegen und als solche letztes Relikt des mittel-
alterlichen englischen Festlandsbesitzes in der Norman-
die. Jerseys staatsrechtliche Lage ist fast so kompliziert
wie die Berlins vor der Wiedervereinigung. Es gehört
nicht zum Vereinigten Königreich und untersteht damit
nicht der Gesetzgebung des britischen Parlaments. Viel-
mehr ist es unmittelbarer Kronbesitz – crown dependency –
mit eigener Gesetzgebung, Verwaltung und insbesondere
Steuersystem.

Wirtschaftlich ist die Insel Tourismusziel und Finanz-
platz. Die Hälfte des Bruttosozialprodukts stammt aus der
Finanzbranche, und dort arbeitet ein Viertel der Beschäf-
tigten.

Was zieht die Banken auf die kleine, windige Kanal-
insel? Offenbar hängt dies damit zusammen, dass Jersey
keine allgemeine Körperschaftsteuer erhebt und nur Ban-
ken und Versicherungen mit dem erträglichen Steuersatz
von 10 Prozent belastet. Der Einkommensteuersatz be-
trägt ebenfalls maßvolle 20 Prozent in der Spitze. Des-
halb gilt Jersey bisher trotz des unwirtlichen britischen
Wetters auch als „Steueroase“. Hier böte sich dem Bundes-
finanzminister eine weitere Gelegenheit, den Kanalinsel-
indianern mit der Kavallerie oder vergleichbaren maritimen
Fortbewegungsmitteln zu drohen. Allerdings hat er dies
bisher wohlweißlich unterlassen. Es ist nicht einmal
bekannt, ob er in dieser Sache mit seinen Parteifreunden
Tony Blair oder Gordon Brown schon einmal ernsthaft
geredet hat.

Deutschland hat mit dem Abkommen mit Jersey vom
4. Juli 2008 erstmals ein Abkommen über Auskunftsaus-
tausch für Besteuerungszwecke mit einem Gebiet unter-


(A) (C)



(B) (D)


Manfred Kolbe
zeichnet, das in der „Steueroasenliste 2000“ der OECD
aufgeführt war. Infolge der Listung durch die OECD hat
sich die Regierung von Jersey in einer politischen Erklä-
rung vom 22. Februar 2002 gegenüber der OECD zur
Akzeptanz der OECD-Standards zu Transparenz und
effektivem Auskunftsaustausch verpflichtet.

Zunächst hatte Jersey die Umsetzung dieser Verpflich-
tung davon abhängig gemacht, dass die OECD-Grundsätze
zu Transparenz und Auskunftsaustausch auch von anderen
Staaten akzeptiert werden, die zwar nicht in der „Steuer-
oasenliste“ aufgeführt sind, die aber ebenfalls ein Umfeld
bieten, welches es nichtansässigen Personen ermöglicht, in
ihrem Heimatstaat Steuern zu hinterziehen, sogenannter
Level-Playing-Field-Vorbehalt. Auf Deutsch: Ich mache
nichts, wenn du nichts tust. Gemeint waren mit den anderen
die OECD-Mitgliedstaaten Österreich, Luxemburg und
die Schweiz und außereuropäische Finanzzentren wie
Singapur und Hongkong. Bei ihnen allen ist der Level-
Playing-Field-Vorbehalt sehr beliebt, da dann keiner mit
der Einführung der OECD-Standards beginnen muss und
sichergestellt ist, dass nichts passiert.

Erst der stärker werdende politische Druck hat Jersey
dann zur Unterzeichnung des Abkommens vom 4. Juli 2008
bewegt. Am 2. März 2009 ist dem die Isle of Man gefolgt,
und am heutigen 26. März 2009 hat auch die Kanalinsel
Guernsey unterschrieben.

Das Auskunftsabkommen entspricht im Inhalt und Auf-
bau weitgehend dem OECD-Musterabkommen für Aus-
kunftsaustausch aus dem Jahre 2002. Das Abkommen
berechtigt die deutschen Finanzbehörden und Strafver-
folgungsbehörden, Jersey um Auskunft in einer konkreten
Steuersache zu ersuchen, die Gegenstand einer Ermittlung
oder Untersuchung ist. Auskünfte sind in jedem Verfahrens-
stadium zu erteilen, das nicht nur im Strafverfahren, sondern
bereits im Steuerfestsetzungsverfahren.

Natürlich mag man es bedauern, dass Jersey sich als
faktischer Bestandteil der Europäischen Union nicht zur
Einführung der weitergehenden EU-Standards bereit
erklärt hat, aber immerhin ist die Anerkennung der
OECD-Standards ein erster richtiger Schritt.

Doppelbesteuerungsabkommen mit Jersey: Am gleichen
4. Juli 2008 wurde auch ein Mini-DBA mit Jersey unter-
zeichnet. Mit diesem Abkommen erkennt Deutschland
Jerseys Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit
und zum Auskunftsaustausch auf der Grundlage der
OECD-Standards an. Das DBA beschränkt sich auf die
Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Alterseinkünften,
Bezügen aus öffentlichen Kassen und Unterhaltsleistungen
für Studenten, Praktikanten und Lehrlinge.

Die praktischen Auswirkungen sind daher gering,
aber immerhin ist es gelungen, bei der Besteuerung der
Alterseinkünfte durchzusetzen, dass auch Sozialversiche-
rungsrenten, die nach dem deutschen Recht der nach-
gelagerten Besteuerung unterliegen, im Quellenstaat
Deutschland zu besteuern.

Die beiden heute vorliegenden Abkommen sind ein
Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und zur
Eindämmung eines schädlichen Steuerwettbewerbs von
sogenannten Steueroasen. Es zeigt, dass es Steueroasen
Zu Protokoll
nicht nur in der Karibik oder in Asien gibt, sondern dass
auch Kernmitgliedsländer der EU wie Großbritannien
ihre Oasen gepflegt haben. Gleiches gilt auch für Luxem-
burg oder Österreich, die bis heute nicht die EU-Stan-
dards bei Zinseinkünften praktizieren. Deshalb halte ich
es auch für unfair, wenn der Bundesfinanzminister immer
nur die Schweiz oder Lichtenstein ins Visier nimmt und
andere Staaten mit möglicherweise mehr Einfluss ver-
schont.

Heute ist jedenfalls ein guter Tag für die Bekämpfung
der Steuerhinterziehung. Die Unionsfraktion begrüßt die
beiden Abkommen und wird ihnen zustimmen.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1621426600

Aus der Kapitalverkehrsfreiheit, einer der vier Grund-

freiheiten innerhalb der Europäischen Union und Voraus-
setzung für die Entstehung globaler Finanzmärkte heuti-
ger Prägung, ergeben sich Schwierigkeiten für die
Durchsetzung länderspezifischer Besteuerungsansprü-
che. Würden sich alle Länder fair verhalten, gäbe es keine
Probleme. Leider ist dies nicht so. Die Steuerbehörden in
Deutschland stehen vor der Herausforderung, dass ei-
nige Staaten und Gebiete keine oder zumindest nur sehr
geringe Steuern erheben und zugleich keinen Zugang zu
Informationen ermöglichen, die für die Besteuerung in
Deutschland zwingend erforderlich sind. Dazu gehören
insbesondere Bankinformationen, Informationen über Ei-
gentumsverhältnisse an Rechtsträgern, die der Steuerhin-
terziehung – oder drastischer ausgedrückt: der Steuer-
flucht – dienen. Dieser schädliche Steuerwettbewerb geht
zulasten der bei weitem überwiegenden Anzahl steuerehr-
licher Bürgerinnen und Bürger. Um dies einzudämmen
und zurückzudrängen, sind wir auf internationale Zusam-
menarbeit und Unterstützung angewiesen. Die Organisa-
tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, OECD, hat hier wertvolle Vorarbeiten geleistet und
Grundsätze zu Transparenz und effektivem Auskunfts-
austausch entwickelt.

Der Abschluss des Abkommens zwischen Deutschland
und Jersey über den Auskunftsaustausch in Steuersachen,
die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung
der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften ist ein
erster wichtiger Erfolg im Kampf gegen schädlichen
Steuerwettbewerb. Jersey setzt damit die OECD-Stan-
dards zu Transparenz und Auskunftsaustausch gegenüber
der Bundesrepublik um.

Wir erhoffen uns davon eine wichtige Signalwirkung
für die Etablierung einer effektiven internationalen
Zusammenarbeit in Steuersachen, die den legitimen Be-
steuerungsanspruch Deutschlands durchsetzt, eine Be-
steuerung von im Ausland erzielten Kapitalerträgen
ermöglicht und damit eine Gleichbehandlung aller hier-
zulande Steuerpflichtigen begründet. Die am 2. März
2009 unterzeichneten Abkommen mit der Isle of Man so-
wie die für heute geplante Unterzeichnung eines Abkom-
mens mit Guernsey zeigen die Verhandlungserfolge der
Bundesregierung und unsere Fortschritte bei der Durch-
setzung von Transparenz und Kooperation. Ein schöner
Anlass, unserem Finanzminister Peer Steinbrück und den
Beamtinnen und Beamten im Ministerium zu danken.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Lothar Binding (Heidelberg)

Das Abkommen über den Auskunftsaustausch in Steu-
ersachen ist das erste seiner Art mit einem Gebiet, das die
OECD auf ihrer Liste aus dem Jahr 2000 als Steueroase
geführt hatte. Die Regierung von Jersey kommt damit ih-
rer entsprechenden Zusage gegenüber der OECD aus
dem Jahr 2002 nach. Wir legen damit die vertragliche
Grundlage für eine effiziente Zusammenarbeit zwischen
den Steuerbehörden, die mehr als eine politische, aber
rechtlich unverbindliche Absichtserklärung ist.

Denn bislang hatte Jersey die Zusage zur Umsetzung
der OECD-Standards davon abhängig gemacht, dass sich
auch alle anderen Staaten daran orientieren. Auch
solche, die – bislang und immer noch – der Steuerhinter-
ziehung Vorschub leisten und von diesem schädlichen in-
ternationalen Steuerwettbewerb profitieren. Dieser soge-
nannte Level-Playing-Field-Vorbehalt war in der Praxis
der internationalen Steuerpolitik weniger ein Appell an
Fairness und Gleichbehandlung aller Finanzzentren und
„Steueroasen“, sondern ein willkommener Vorwand, um
eigene Wettbewerbsvorteile zu konservieren und wir-
kungsvolle Besteuerung mit grenzüberschreitenden Sach-
verhalten zu blockieren.

Das zwischenstaatliche Abkommen mit Jersey orien-
tiert sich in Aufbau und Inhalt weitgehend am OECD-
Musterabkommen für Auskunftsaustausch aus dem Jahr
2002. Es regelt den Austausch von Bankinformationen
und Informationen über Eigentumsverhältnisse an
Rechtsträgern – etwa Stiftungen, Briefkastenfirmen oder
Trusts. Diesen Informationsaustausch benötigen die
deutschen Steuerbehörden für Ermittlungen und Untersu-
chungen bei einem Verdacht auf Steuerhinterziehung oder
-betrug ebenso wie für normale Besteuerungszwecke.

Deutsche Finanz- und Strafverfolgungsbehörden ha-
ben künftig im Zuge einer Ermittlung oder Untersuchung
die Möglichkeit, Jersey um Auskünfte in einer konkreten
Steuersache zu ersuchen. Dies gilt nicht erst in einem
Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung, sondern auch
im normalen Steuerfestsetzungsverfahren. Die Kanalin-
sel verpflichtet sich, entsprechende Informationen vorzu-
halten oder alles dafür zu tun, um diese Informationen zu
beschaffen. Unsere Steuerbehörden bekommen damit ein
wirksames Werkzeug zur Ermittlung der Besteuerungs-
grundlage in die Hand, um Bankinformationen und Infor-
mationen über die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaf-
ten und die Begünstigten anderer Rechtsträger zu
erhalten.

Das Abkommen über den Auskunftsaustausch steht in
einem engen Zusammenhang mit dem ebenfalls unter-
zeichneten Abkommen über die Zusammenarbeit in Steu-
ersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei
bestimmten Einkünften. Ich unterstreiche dabei, dass un-
sere Arbeitsrichtung dabei schon explizit in der Über-
schrift verdeutlicht wird, nämlich die Vermeidung der
Doppelbesteuerung und die Verhinderung der Steuerver-
meidung und Steuerhinterziehung. Das ist ein wichtiger
Schritt, der auch schon darauf hindeutet, dass wir, bezo-
gen auf unsere internationalen Kontakte und bilateralen
Abkommen, auch Steuervermeidung und Steuerhinterzie-
hung zum Schutz des Steuersubstrats in Deutschland in
den Blick nehmen.
Zu Protokoll
Konkret geht es um die Vermeidung der Doppelbesteu-
erung bei Alterseinkünften, bei Bezügen aus öffentlichen
Kassen sowie von Unterhaltsleistungen für Studenten,
Praktikanten oder Lehrlinge. Jersey besteuert zwar das
Einkommen natürlicher Personen mit einem Steuersatz
von 20 Prozent, eine allgemeine Körperschaftsteuer hin-
gegen wird nicht erhoben. Lediglich Banken und Versi-
cherungen werden mit einem Körperschaftsteuersatz in
Höhe von 10 Prozent belegt. Die Vereinbarung sieht im
Einzelnen vor, dass Altersbezüge nur von der Vertrags-
partei besteuert werden, in der der Empfänger seinen
Wohnsitz hat. Ruhegehälter aus öffentlichen Kassen so-
wie Renten aus der Sozialversicherung werden hingegen
von derjenigen Vertragspartei besteuert, aus der sie
stammen. Hält sich ein Student, Lehrling oder Praktikant
aus Deutschland auf Jersey auf, darf der Ansässigkeits-
staat, also Jersey, Unterhaltszahlungen nur dann besteu-
ern, wenn sie aus Jersey selbst stammen; kommen die Un-
terhaltszahlungen hingegen aus Deutschland, werden sie
von der Besteuerung freigestellt.

In Anlehnung an die EU-Zinsrichtlinie hat sich Jersey
außerdem dazu verpflichtet, auf Zinszahlungen, die von
Banken, Stiftungen oder Trusts zugunsten von Personen
in einem Mitgliedsland der EU geleistet werden, einen
Quellensteuerabzug in Höhe von derzeit 20 Prozent vor-
zunehmen und 75 Prozent davon an den jeweiligen Mit-
gliedstaat zu überweisen.

Trotz dieser guten Entwicklung bleibt uns als langfris-
tige Aufgabe, nicht nur mit Jersey, aber auch mit Jersey,
einen automatischen Auskunftsaustausch in Steuersachen
– im ganz normalen Festsetzungsverfahren – zu vereinba-
ren. Vor dem Wort „automatisch“ schrecken natürlich
noch einige Staaten zurück, aber als Motivation für ein
faires Verhältnis zwischen Steuerbürger und Staat auf der
Grundlage des Wohnsitzlandprinzips ist der automati-
sche Auskunftsaustausch sehr gut geeignet.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1621426700

Die FDP stimmt den beiden Gesetzentwürfen zu,

sowohl dem Gesetzentwurf zum Abkommen mit Jersey
über den Auskunftsaustausch in Steuersachen als auch
dem Gesetzentwurf zum Abkommen mit Jersey über die
Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der
Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften.

Das grundlegende Abkommen mit der Kanalinsel Jersey
über den Auskunftsaustausch ist ein Signal für einen ver-
nünftigen Umgang mit dem, was viele „Steuerparadiese“
nennen. Es ist ohne verbale Kraftmeierei gelungen, die
Insel Jersey zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen
Finanzbehörden zu bewegen, die den Regeln des OECD-
Standards zu Transparenz und effektivem Auskunftsaus-
tausch entspricht. Es sind nicht „Indianer“ und „Kavalle-
rie“ bemüht worden oder, was einem bei dieser Insel viel-
leicht hätte einfallen können, „Piraten“ und „Fregatten“.
Es ist gegenüber Jersey kein Porzellan zerschlagen worden,
wie es sozialdemokratische Spitzenkräfte bei unseren
südlichen Nachbarn in der Schweiz geschafft haben.

Geräuschlos ist es lobenswerterweise auch gelungen,
am 2. März ein Abkommen mit der Isle of Man und – nach



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
den Planungen – am heutigen Tage ein Abkommen mit
der Kanalinsel Guernsey zu unterzeichnen.

Das Abkommen über den Auskunftsaustausch verdient
deshalb Anerkennung, weil es das legitime Interesse
Deutschlands an einer Bekämpfung des unlauteren Steuer-
wettbewerbs und einer Bekämpfung der Steuerhinterzie-
hung wahrt, ohne dabei über die Stränge zu schlagen. Mit
den Beratungen zur Eindämmung des unlauteren Steuer-
wettbewerbs wurde auf OECD- und EU-Ebene übrigens
schon zur Zeit der Koalition von CDU/CSU und FDP in
der zweiten Hälfte der 90er-Jahre begonnen, um hier ein-
mal Legendenbildungen vorzubeugen.

An der Notwendigkeit einer Bekämpfung der Steuer-
hinterziehung hat meine Fraktion nie einen Zweifel gelas-
sen. Steuerhinterzieher schädigen die steuerehrlichen
Bürgerinnen und Bürger sowie die gesetzestreuen Unter-
nehmen. Die Steuersätze könnten niedriger sein, wenn es
gelänge, die Steuerhinterziehung zu beseitigen oder sie
doch zumindest massiv zurückzudrängen. Die Deutsche
Steuergewerkschaft spricht von einem jährlichen Einnah-
menverlust für den Staat von 30 Milliarden Euro. Allein auf
dem Gebiet des Umsatzsteuerbetrugs liegen die Steueraus-
fälle laut Ifo-Institut bei 17,5 Milliarden Euro.

Wenn sich das Abkommen mit Jersey über den Aus-
kunftsaustausch an den OECD-Standards orientiert, dann
heißt das, dass ein begründeter Anlass für das Auskunfts-
ersuchen vorliegen muss. Die erbetenen Informationen
müssen für die Besteuerung „voraussichtlich erheblich“
sein. Ein automatischer Auskunftsaustausch, gewisser-
maßen eine Rasterfahndung, oder unbegrenzte Spontan-
auskünfte sind nicht zulässig. Fishing Expeditions, die
ohne jeglichen konkreten Anlass Material über Steuer-
pflichtige sammeln sollen, sind nicht Gegenstand des Ab-
kommens. Die OECD befürwortet keine „Fischzüge“ in
einem anderen Staat nach dem Motto „Ich hätte gern alle
Namen mit dem Buchstaben A.“ Dies hat der Vertreter
der OECD, Geoffrey Owens, in der „FAZ“ vom 20. Fe-
bruar 2008 zu Recht gesagt. An diesen Bedingungen für
den Informationsaustausch ist bei weiteren Abkommen
dieser Art festzuhalten.

Die Notwendigkeit, Steuerhinterziehung zu bekämpfen,
rechtfertigt noch längst nicht alle Mittel. Der Referenten-
entwurf bzw. die Kabinettsvorlage eines Gesetzes zur
Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken und der Steuer-
hinterziehung, über das in der Koalition zurzeit nach
Kräften gestritten wird, scheinen das zu vergessen.

Eine unkooperative Haltung solcher Staaten, die den
OECD-Standard nicht erfüllen, darf nicht dazu führen,
dass steuerehrliche Bürgerinnen und Bürger sowie
Unternehmen mit wirtschaftlichen Kontakten zu diesen
Gebieten unter den Generalverdacht der Steuerhinter-
ziehung gestellt und mit übermäßigen bürokratischen
Pflichten überzogen werden. Auf die Entscheidungen der
Regierungen in diesen Ländern haben diese Steuerpflich-
tigen schließlich keinen Einfluss. Ebensowenig kann es
bei diesen Ländern und Gebieten angehen, dass euro-
päisches Recht und völkerrechtliche Vereinbarungen wie
Doppelbesteuerungsabkommen verletzt werden oder dass
Regelungen, die in das Gesetz gehören, in rechtsstaatlich
Zu Protokoll
bedenklicher Weise in Rechtsverordnungen gepackt wer-
den.

Die Bundesregierung sollte ihre Kräfte nicht auf den
zweifelhaften Entwurf eines Steuerhinterziehungsbekämp-
fungsgesetzes konzentrieren, sondern auf den Abschluss
weiterer Abkommen à la Jersey. Dieser Weg ist offensicht-
lich erfolgversprechend. Auf ihm sollte fortgefahren werden,
zumal weltweit von Staaten wie Australien, Großbritan-
nien und USA schon fast 50 Abkommen mit Steueroasen,
zum Beispiel mit den Cayman-Inseln, abgeschlossen wor-
den sind.

Die Wurzel allen Übels aber ist unser undurchschau-
bares Steuerrecht mit seinen hohen Steuersätzen, mit deren
weiterer Erhöhung die SPD liebäugelt. Eine echte Steuer-
reform, die das deutsche Steuerrecht bei den Steuerpflich-
tigen wieder akzeptabel machen würde, hat die Große
Koalition erst überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
Stattdessen hat sie die größte Steuererhöhung in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durch-
gesetzt. Das Steuerreformkonzept der FDP, das in seinen
Grundzügen seit langem auf dem Tisch liegt, würde der
Steuerhinterziehung in weiten Bereichen den Boden ent-
ziehen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621426800

Nach jahrelangem Stillstand in der politischen Diskus-

sion um Steueroasen erleben wir derzeit geradezu eine
Konjunktur bei diesem Thema. Erinnern wir uns: Herr
Eichel schwang noch das stumpfe Schwert der Steueram-
nestie, um Steuersünder freundlichst ins Inland zurückzu-
bitten. Herr Steinbrück führte eigens die Abgeltungsteuer
ein, nach dem Motto, „25 Prozent von Hundert sind bes-
ser als 0 Prozent von nichts“. Nun wird mit Folterwerk-
zeugen, wie zum Beispiel einseitigen Maßnahmen, ge-
droht.

Die Versuche scheinen zu fruchten: So hat Jersey be-
reits im vergangenen Jahr ein Doppelbesteuerungsab-
kommen und ein Abkommen über den Informationsaus-
tausch unterzeichnet. Beide liegen uns heute zur
abschließenden Beratung vor. Die Isle of Man tut es, nach
Auskunft des BMF, heute. Zweifellos ist das endlich ein
Schritt in die richtige Richtung. Allein die Möglichkeit,
Auskünfte über steuerrelevante Sachverhalte oder Eigen-
tumsverhältnisse von Steuerinländern bekommen zu kön-
nen, ist besser, als permanent in die Geheimhaltungs-
schranken gewiesen zu werden. Positiv ist auch, dass das
Auskunftsersuchen mit Jersey nach OECD-Standard ver-
einbart wurde, Jersey den Finanzbehörden also auch
ohne Verdacht auf Steuerstraftaten Daten liefern muss.

Allerdings wird am Beispiel Jersey das Problem jahre-
langen Duldens von Steueroasen offenbar: In Jersey – so
haben es die Vertreter des BMF gestern zugeben müssen –
existieren weder Register über Unternehmen und Stiftun-
gen, noch Daten über Steuerpflichtige. Damit wird jedes
Auskunftsersuchen deutscher Finanzbehörden – trotz Ab-
kommen – bis auf Weiteres ins Leere laufen. Zwar hat
Jersey zugesagt, diesen Zustand zu ändern und seine
Rechtslage anzupassen. Aber auf die Geschwindigkeit
dieses Prozesses hat die Bundesrepublik keinen Einfluss.
Vor diesem Hintergrund geht es bei beiden Abkommen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
– auch das ist O-Ton des BMF-Vertreters – eher um einen
„präventiven Effekt“, um ein „Zeichen“, und um mehr
nicht. Deshalb haben wir es vorerst mit blanker Symbolik
zu tun.

An dem derzeitigen Zustand wird sich also mittelfristig
nichts ändern. Das ist schon ein Skandal, finde ich. Denn
am Fiskus vorbeigeschleust werden kann nur Kapital.
Dadurch werden Kapitaleinkommen massiv gegenüber
Arbeitseinkommen privilegiert. Dies zu dulden, heißt zu
dulden, dass gegen alle Grundsätze der Steuergerechtig-
keit verstoßen wird. Dazu kommt, dass Steueroasen sich
durch die Verweigerung der Herausgabe von Informatio-
nen zu den Einkommen von Steuerpflichtigen anmaßen,
Steuerausländer ganz oder überwiegend von der Steuer
zu befreien und damit die Einnahmen und die Finanzie-
rung öffentlicher Aufgaben anderer Staaten zu unterlau-
fen. Dies – ebenso wie der immense Schaden von rund
400 Milliarden Euro ausfallender Steuereinnahmen – ist
absolut nicht zu rechtfertigen.

Deshalb hat unsere Fraktion die Regierung bereits
Anfang vergangenen Jahres aufgefordert, einseitige
Maßnahmen gegen sogenannte unkooperative Staaten zu
ergreifen. Deshalb begrüßen wir auch den Referentenent-
wurf eines Steuerhinterziehungsgesetzes aus dem Hause
Steinbrück. Dieser sieht steuerliche Einschränkungen
vor, wenn Zahlungen an Personen oder Vereinigungen
mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem „unkooperativen
Staat“ geleistet werden bzw. dort Geschäfte gemacht wer-
den. Aus unserer Sicht sind derartige Maßnahmen sowohl
gegenüber den Steueroasen selbst als auch gegenüber
den Steuerflüchtigen legitim. Denn was treibt Letztere
an? Nicht etwa das komplizierte Steuerrecht oder zu hohe
Steuern hierzulande – wie CDU/CSU und verschiedene
Sachverständige in der gestrigen Anhörung glauben ma-
chen wollten. War Herr Zumwinkel also zu dumm fürs
deutsche Steuerecht? Nein. Die zuständige Staatsanwäl-
tin Frau Lichtinghagen brachte es auf den Punkt: Es ist
die blanke Gier.

Nun haben wir Zweifel, dass durch den Finanzminister
tatsächlich Änderungen angestrebt werden: Erstens
schwebt der Referentenentwurf wie ein Phantom über der
Debatte. Der Finanzminister hat ihn bis jetzt noch nicht
ins Kabinett und ins Parlament eingebracht. Mittelfristig
wird er sich damit als Drohkulisse auch überlebt haben.
Zweitens passt diese „Kavallerie“ des Herrn Steinbrück
auch nicht zu den Zusagen, die dem Regierungschef von
Luxemburg, Juncker, auf dem deutsch-französischen Gip-
fel vor Kurzem gemacht wurden: Dort hat Deutschland
klargemacht, dass Luxemburg, Österreich und Belgien
nicht auf der OECD-Liste der Steuerparadiese stehen
werden. Damit werden alle nationalen Maßnahmen durch
internationales Gemauschel konterkariert. Wie ernst sol-
len wir Sie da noch nehmen?

Alles also nur Wahlkampfgetöse? So ist es. Denn dort,
wo die Regierung tatsächlich Einfluss auf das Austrock-
nen von Steueroasen nehmen kann, lehnt sie das ganz be-
wusst ab: So wurde in der gestrigen Anhörung auch die
unselige Rolle deutscher Banken bei der Steuerhinterzie-
hung in Steueroasen beleuchtet. So hält der Bund inzwi-
schen 25 Prozent plus eine Aktie an der Commerzbank. In
Zu Protokoll
der Konsequenz könnte die strategische Geschäftspolitik
der Bank maßgeblich beeinflusst werden. Immerhin un-
terhält die Commerzbank in zahlreichen Steueroasen, wie
zum Beispiel Andorra, den Cayman Islands, Liechten-
stein, Luxemburg, Malta und Singapur, Niederlassungen
oder bietet den Service von Relationship Managern an.
Laut einer Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Frak-
tion beabsichtigt die Regierung weder, sich über die Tä-
tigkeiten der Bank in den Steueroasen Kenntnisse zu ver-
schaffen, noch diese Tätigkeiten im Sinne ihrer eigenen
Einnahmen einzustellen. Sie päppelt also die Bank mit
Steuergeldern auf und duldet gleichzeitig, dass eben diese
Bank aktiv bei der Steuerhinterziehung mitmischt. Dieses
Verhalten spricht für sich.

Unsere Fraktion hat klipp und klar gesagt: Wir sind für
einen automatisierten Informationsaustausch zwischen
den Staaten, für die Kontrolle des Kapitalverkehrs ins
Ausland, für die massive Ausweitung der EU-Zinsrichtli-
nie, für Anhebung der Zahl der Steuerfahnder und Be-
triebsprüfer, für einen zentralen Steuervollzug beim Bund
und für die Überarbeitung der Doppelbesteuerungsab-
kommen mit dem Ziel, von der Freistellungs- auf die An-
rechnungsmethode zu wechseln.

Steueroasen leben von dem Kapital, das in sie fließt
und sie blühen lässt. Sie auszutrocknen, ist ganz einfach.
Drehen wir den Geldhahn endlich zu und stoppen die
Steuerflucht!


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621426900

Jersey ist eine der typischen Steueroasen. Über 600 Mil-

liarden Dollar werden dort nach Auskunft der Jersey
Financial Services Commission verwaltet. Allein die
Deutsche Bank hat 79 verschiedene Tochtergesellschaf-
ten auf dieser Mini-Insel im Ärmelkanal. Präsent sind
auch Dresdner Bank und Sal. Oppenheim. Stolz wirbt die
Insel mit dem Schutz vor der Neugier ausländischer Fi-
nanzämter. Jersey, so heißt es auf der Internetseite von
Jersey Finance, schütze gemeinsam mit anderen gut re-
gulierten Jurisdiktionen das Recht auf Privatheit und Ver-
traulichkeit von Finanzinformationen – ein Euphemismus
für ein Bankgeheimnis. Und mit diesem Inselstaat hat die
Bundesregierung Abkommen über den Auskunfts-
austausch in Steuersachen und über die Zusammenarbeit
in Steuersachen und die Vermeidung von Doppelbesteue-
rung bei bestimmten Einkünften geschlossen, um die es
heute geht. Diese Abkommen sind nun auch mit Guernsey
und der Isle of Man auf dem Weg. Es geht also in der heu-
tigen Debatte auch um die Frage, ob wir mit diesem Weg
richtigliegen.

Zwei Ziele sind für uns Grüne dabei wichtig. Das erste
Ziel ist die Finanzmarktstabilität. Steueroasen sorgen für
instabile Finanzmärkte, weil Geldströme durch verschie-
dene Gesellschaften in Steuer- und Regulierungsoasen
verschleiert werden. Keine Finanzaufsicht kann gute Ar-
beit leisten, wenn wesentliche Transaktionen auf Off-
shore-Plätzen stattfinden.

Das zweite Ziel ist die Steuergerechtigkeit. Wenn Fi-
nanzströme verschleiert werden, dann ist Steuergerech-
tigkeit nicht zu erzielen, weil sich gerade die reichsten
und vermögendsten Menschen häufig der Steuerpflicht



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
entziehen. Gestern ist das bei der Anhörung im Finanz-
ausschuss sehr deutlich geworden. Offen werben auch
deutsche Banken von Steueroasen aus um das Geld auch
deutscher Kunden.

Wer diese zwei Ziele teilt, muss dem Steueroasen-Un-
wesen umfassend ein Ende bereiten. Kleinstverbesserun-
gen reichen nicht aus; sie können höchstens unter Beibe-
haltung des Oasenwesens partielle Verbesserungen in
einzelnen Steuerverfahren erreichen. Wir Grünen wollen
aber dem Steueroasen-Unwesen umfassend zu Leibe rü-
cken. Deshalb meinen wir: Deutschland darf sich nicht zu
früh mit kleinen Zugeständnissen aus den Oasenstaaten
zufriedengeben. Deswegen lehnen wir die vorliegenden
Abkommen als unzureichend ab.

Als ich zu Anfang der Legislaturperiode anfing, je-
weils den Tagesordnungspunkt Doppelbesteuerungsab-
kommen aufzurufen, da schien das vielen noch ein un-
wichtiges Thema. Heute stehen die Steueroasen auf der
Tagesordnung der Regierung weiter oben und damit na-
türlich auch die Abkommen, die wir mit anderen Staaten
in Bezug auf Doppelbesteuerung, Informationsaustausch
und andere steuerliche Sachverhalte schließen.

Damals schien die Befolgung der OECD-Standards
zum Informationsaustausch, die die sogenannte kleine
Auskunftsklausel vorsehen, noch ein wichtiger Fort-
schritt. Wenn man sich aber diese Auskunftsrechte ge-
nauer anschaut, dann muss man feststellen: Das reicht
bei weitem nicht aus. Die USA haben seit 2001 ein sol-
ches Abkommen mit Jersey und haben insgesamt in nur
vier Fällen Auskünfte auf der Grundlage dieses Abkom-
mens erhalten. In sieben Jahren vier Fälle? Das soll ein
relevanter Fortschritt sein und die Steueroase Jersey un-
schädlich machen? Ich glaube nicht, dass wir uns dieser
Illusion hingeben sollten. Jersey beruhigt denn auch seine
Kunden, dass man die neuen Informationsaustauschab-
kommen nicht zu fürchten brauche, sie kämen sowieso
nur in den seltensten Fällen zur Anwendung.

Der Kern des Problems ist, dass man als deutsche Fi-
nanzbehörde schon sehr viel wissen muss, um eine spezi-
fische, individualisierte Anfrage stellen zu können, wie
sie das Abkommen vorsieht; denn die verschiedenen
rechtlichen Konstruktionen verschleiern gezielt die Ei-
gentümer. Deswegen sollten wir uns nicht mit diesen mi-
nimalen Zugeständnissen zufriedengeben und auch nicht
ein Doppelbesteuerungsabkommen als Gegenstück zu
diesen unzureichenden Zugeständnissen von Jersey ab-
schließen.

Nötig ist ein automatischer Informationsaustausch für
Kapitalerträge in ganz Europa. Das muss auch mit Jersey
das Ziel sein. Die geringen Summen, die Jersey im Rah-
men der Quellenbesteuerung bislang überweist, zeigen,
dass die bisherigen Vereinbarungen, die denen mit der
Schweiz oder Liechtenstein entsprechen, völlig ungenü-
gend sind, um die Besteuerung deutscher Anlagegelder in
Jersey sicherzustellen. Jährlich sind bislang etwa
900 000 Euro überwiesen worden; das dürfte weit unter-
halb dessen liegen, was eigentlich erzielt werden müsste.
Deswegen unterstützen wir Grünen auch das Anliegen,
dass die europäische Zinssteuer-Richtlinie in drei Dimen-
sionen ausgeweitet wird: Geografisch müssen weitere
Länder einbezogen werden, es müssen neben Zinserträ-
gen alle Formen von Kapitalerträgen berücksichtigt wer-
den, und neben natürlichen Personen sollten auch juris-
tische Personen dieser Regelung unterworfen werden.

Ich will aber noch einen weiteren Punkt ansprechen.
Wer es ernst meint im Kampf gegen das Oasenunwesen,
darf auch den Konflikt mit den Banken nicht scheuen.
Auch die deutschen Banken sind ziemlich aktiv in den
Steueroasen, und zwar gilt das nicht nur für die großen
Privatbanken, sondern auch für die DZ Bank aus dem ge-
nossenschaftlichen Sektor und die Landesbanken aus
dem öffentlich-rechtlichen Sektor. Meine Forderung ist
hier ganz klar: Neben dem Druck auf die Steueroasen,
den der Bundesfinanzminister ausübt, sollte er auch mal
Druck auf die deutschen Banken ausüben, die aktiv mit
dabei sind, wenn es darum geht, in Steueroasen intrans-
parente Geschäfte zu machen. Sehr bemerkenswert ist
auch, dass selbst einfache Fragen, zum Beispiel um wel-
che Art von Tochtergesellschaften es sich in Jersey han-
dele, vom Vertreter der Deutschen Bank bei der gestrigen
Anhörung nicht beantwortet wurden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621427000

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von

der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
den Abkommen mit der Regierung von Jersey über
den Auskunftsaustausch in Steuersachen. Der Finanz-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a auf Druck-
sache 16/12449, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 16/12066 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen
der Grünen mit den Stimmen des Hauses im Übrigen an-
genommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der
Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steu-
ersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei
bestimmten Einkünften. Der Finanzausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b auf Drucksache 16/12449, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12067
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die
Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, Ulrike
Höfken, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verankerung eines
umfassenden Schutzes vor Passivrauchen im
Arbeitsschutzgesetz

– Drucksache 16/10337 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/12351 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Grotthaus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carola
Reimann, Lothar Binding (Heidelberg),
Dr. Margrit Spielmann und weiterer Abgeord-
neter

Effektiven Schutz vor Passivrauchen zügig
gesetzlich verankern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Birgitt Bender, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksamen Schutz vor Passivrauchen im öf-
fentlichen Raum umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt
Bender, Dr. Harald Terpe, Ulrike Höfken, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bundesweit einheitlichen Schutz vor Passiv-
rauchen in Gaststätten verankern

– Drucksachen 16/2730, 16/2805, 16/10338,
16/12408 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Connemann,
Eichhorn, Reimann, Volkmer, Parr, Bunge und Bender.


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1621427100

„Politik muss mit Taten und nicht nur mit Worten auf-

warten.“ Mit diesen Worten beendete Frau Kollegin
Birgitt Bender am 18. Dezember 2008 ihre Rede. In der
damaligen ersten Lesung versuchte sie, die Anträge und
den Gesetzentwurf zu begründen, die von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Passivrauchen ein-
gebracht worden sind. Sie versuchte es, aber es gelang
ihr nicht.

Denn nachdem sich ein Teil der Forderungen bereits
durch die Regelungen des Gesetzes zum Schutz vor den
Gefahren des Passivrauchens vom 27. Juli 2007 erledigt
hat, richtet sich das Augenmerk von Bündnis 90/Die Grü-
nen nun noch auf den Bereich des Arbeitsschutzes. So soll
ein umfassendes Rauchverbot für alle Arbeitsstätten in
das Arbeitsschutzgesetz aufgenommen und im selben
Zuge § 5 Arbeitsstättenverordnung aufgehoben werden.
Nur wenn der Arbeitgeber durch technische Sicherungen
einen vollständigen Schutz anderer vor Passivrauch ge-
währleisten kann, sollen Ausnahmen für abgetrennte
Räume zulässig sein. Ja, Frau Kollegin Bender, es ist
richtig: Politik muss mit Taten und nicht nur mit Worten
aufwarten. Daran misst die Bevölkerung zu Recht unser
aller Handeln. Der Politik wird in Gänze der Vorwurf ge-
macht, nur zu häufig Sonntagsreden zu halten, dem kein
Montagshandeln folgt. Darunter leiden wir alle. Denn es
geht um die Glaubwürdigkeit der politischen Klasse in
Gänze, um die es nicht gut bestellt ist.

Eine Ursache für diese Partei- und Politikverdrossen-
heit sind Anträge und Gesetzentwürfe wie Ihre. Um große
Worte sind Sie, meine Damen und Herren von
Bündnis 90/Die Grünen, darin nicht verlegen. Aber es
sind Worte, denen keine Taten folgen – können. Die Beto-
nung liegt auf „können“. Denn Sie fordern eine Gesetzes-
änderung, für die uns als Bund die Rechtsetzungskompe-
tenz fehlt. Das wissen Sie genau, meine Damen und
Herren von Bündnis 90/Die Grünen. Denn Ihnen ist be-
kannt, dass ein umfassendes Rauchverbot für alle Ar-
beitsstätten auch und insbesondere Gaststätten betreffen
würde. Die Gesetzgebungszuständigkeit für das Gaststät-
tenrecht steht aber seit der Föderalismusreform im Jahre
2006 den Ländern zu. Seitdem hat der Bund nur noch eine
eingeschränkte Rechtsetzungskompetenz im Arbeits-
schutz. Dem Bund ist es deshalb rechtlich nicht möglich,
dritte Personen in Arbeitsstätten vor den Gefahren des
Passivrauchens durch eine entsprechende Regelung in
der Arbeitsstättenverordnung bundesweit einheitlich zu
schützen. Dies war das Ergebnis von Rechtsprüfungen im
Rahmen der Beratungen zum Gesetz Schutz vor den Ge-
fahren des Passivrauchens. In diesem Rahmen wurde
schon damals auch geprüft, ob der Bund zu einer Strei-
chung des § 5 Abs. 2 Arbeitsstättenordnung befugt sei,
wie sie von Ihnen, meine Damen und Herren von
Bündnis 90/Die Grünen, gefordert wird. Nach dieser Vor-
schrift hat der Arbeitgeber in Arbeitsstätten mit Publi-
kumsverkehr Nichtraucherschutzmaßnahmen nur inso-
weit zu treffen, als die Natur des Betriebes und die Art der
Beschäftigung es zulassen. Damit wird insbesondere den
Betreibern von Ein-Raum-Gaststätten erlaubt, auch we-
niger einschneidende Maßnahmen zum Schutz ihrer Be-
schäftigten zu treffen. Die verfassungsrechtlichen Prü-
fungen ergaben seinerzeit, dass mit einer solchen
Streichung die Regelungskompetenz der Länder verletzt
würde. Nur wenn alle Länder sich gemeinsam für ein ein-
heitliches und umfassendes Rauchverbot in Gaststätten
entscheiden würden, käme eine Streichung dieser Vor-
schrift in Betracht. Bis dahin ist es Sache der Länder, in
der Frage des Nichtraucherschutzes eine Regelung zu
treffen, die auch zugunsten der Beschäftigten wirkt.

Dies ist sicherlich unbefriedigend. Denn die Gefahren
des Passivrauchens sind unbestritten. Es ist wissenschaft-
lich bewiesen, dass Passivrauchen das Risiko für chroni-
sche Erkrankungen mit gegebenenfalls tödlichem
Ausgang erhöht. Deshalb hat ja auch der Deutsche Bun-
destag im Mai 2007 reagiert und das Gesetz zum Schutz
vor den Gefahren des Passivrauchens verabschiedet. In
diesem Rahmen wurde § 5 Abs. 1 Arbeitsstättenverord-
nung, der den Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz regelt,
um folgende Regelung erweitert: „Soweit erforderlich,
hat der Arbeitgeber ein allgemeines oder auf einzelne Be-


(A) (C)



(B) (D)


Gitta Connemann
reiche der Arbeitsstätten beschränktes Rauchverbot zu
erlassen.“

Die Länder haben demgegenüber sehr unterschiedli-
che Regelungen in ihren jeweiligen Nichtraucherschutz-
gesetzen getroffen. Noch einmal: Dies ist unbefriedigend.
Denn damit gleicht die deutsche Nichtraucherschutz-
landschaft einem Flickenteppich. Was im einen Land
erlaubt ist, ist im anderen verboten. Aber genau diese Un-
terschiedlichkeit ist Ergebnis der föderalen Struktur und
der Verantwortung der Länder für die Gaststättengesetz-
gebung. Diese dürfen wir durch konkurrierendes Bundes-
recht nicht unterlaufen oder uns damit in Konflikt setzen,
so wünschenswert es auch wäre, aus dem Flickenteppich
ein Ganzes zu machen. Aber der Zweck heiligt eben nicht
die Mittel.

Es gibt aber auch inhaltliche Bedenken. Denn von der
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gewünschten
Neuregelung wären nicht nur Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer betroffen, sondern im Falle von Alten- und
Pflegeheimen oder Heimen für behinderte Menschen, die
ja ebenfalls Betriebe sind, auch deren Bewohner. Diese
Arbeitsstätten sind aber gleichzeitig Wohnstätten. Ich
habe bereits in der ersten Lesung darauf hingewiesen,
wiederhole es aber angesichts der Bedeutung. Die Situa-
tion der Bewohner von solchen Einrichtungen würde sich
mit einer Umsetzung des vorliegenden Gesetzesentwurfes
einschneidend ändern. Eine Umsetzung des Rauchver-
bots auf alle Arbeitsstätten hätte zur Folge, dass ältere,
pflegebedürftige, behinderte Menschen in ihrem Privat-
bereich nicht mehr rauchen dürften. Es muss hier einen
Spielraum geben, welche Schutzmaßnahme im Einzelfall
angemessen ist. Diesen geben Gesetzentwurf und Anträge
von Bündnis 90/Die Grünen nicht.

Wegen dieser rechtlichen und inhaltlichen Bedenken
lehnen wir diese ebenso ab wie den Antrag einiger Abge-
ordneter unter der Überschrift „Effektiver Schutz vor
Passivrauchen zügig gesetzlich verankern“. Denn der
dort geforderte Gesundheitsschutz von Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern wird schon heute von der Arbeits-
stättenverordnung vorgeschrieben. Nach § 5 Abs. 1
Satz 1 ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen
Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Be-
schäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesund-
heitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind, gege-
benenfalls auch durch ein Rauchverbot. Hinsichtlich der
Wahl der konkreten Maßnahmen innerhalb des Betriebes
lässt die Vorschrift aber dem Arbeitgeber und den Be-
triebs- und Personalräten Regelungsspielraum, der an-
gesichts der Vielgestaltigkeit der betrieblichen Verhält-
nisse notwendig ist.

Deshalb werden wir den vorliegenden Gesetzesent-
wurf und alle weiter vorgelegten Anträge ablehnen.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1621427200

Rauchen und Passivrauchen sind das größte Gesund-

heitsrisiko für Atemwegs-, Herz-Kreislauf- und Krebs-
erkrankungen in Deutschland. Dies ist unbestritten. Das
Deutsche Krebsforschungszentrum geht davon aus, dass in
Deutschland jährlich bis zu 140 000 Menschen an den Fol-
gen des Rauchens sterben, mindestens 3 300 allein durch
Zu Protokoll
das Passivrauchen. Die durch das Rauchen verursachten
Gesundheitskosten betragen rund 17 Milliarden Euro.

Die freiwilligen Vereinbarungen mit dem Deutschen
Hotel- und Gaststättenverband haben nicht zu Verbesse-
rungen des Nichtraucherschutzes geführt. Daher war es
folgerichtig, gesetzlich tätig zu werden. Der Bund hat in
dieser Legislaturperiode gesetzliche Regelungen in seinem
Kompetenzbereich getroffen.

Bereits im Jahr 2006 trat das Gesetz zur Änderung des
Vorläufigen Tabakgesetzes in Kraft. Das Gesetz umfasst
ein Werbe- und Sponsoringverbot in Hörfunk, Presse und
gedruckten Veröffentlichungen. Es regelt außerdem ein
Verbot des Sponsorings von Hörfunk und Veranstaltungen
durch Tabakfirmen. Daneben enthält es ein Verbot, Tabak-
erzeugnisse kostenlos zu verteilen.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz vor den
Gefahren des Passivrauchens im Jahr 2007 hat der Bund
den Nichtraucherschutz dort geregelt, wo er zuständig ist.
Alle Einrichtungen des Bundes sowie der Verfassungs-
organe des Bundes, die Verkehrsmittel des öffentlichen
Personenverkehrs und Personenbahnhöfe der öffent-
lichen Eisenbahnen sind seitdem rauchfrei. Das Gesetz
beinhaltet außerdem die Anhebung der Altersgrenze für
den Erwerb und Konsum von Zigaretten auf 18 Jahre. Ab
1. Januar 2009 dürfen Zigaretten an Automaten erst an
Volljährige abgegeben werden.

Damit ist die Regelungskompetenz des Bundes ausge-
schöpft. Die Zuständigkeit für landeseigene Einrichtungen
und die Gastronomie liegt bei den Ländern. Diese sind be-
reits tätig geworden und haben Nichtraucherschutzgesetze
für die Bereiche verabschiedet, für die sie zuständig sind.

Auch wenn es im Bereich der Gaststätten noch Nach-
besserungsbedarf gibt, so haben doch all die genannten
Maßnahmen dazu beigetragen, dass die Menschen in un-
serem Land heute besser denn je vor dem gefährlichen
Tabakrauch geschützt sind.

Die vorliegenden Anträge und der Gesetzentwurf der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zielen darauf ab, die ge-
setzlichen Regelungen zu Rauchverboten in öffentlichen
Einrichtungen und in den Gaststätten zu überarbeiten.
Das Arbeitsschutzgesetz soll nach Vorstellung von Bünd-
nis 90/Die Grünen im Sinne eines umfassenden Gesund-
heitsschutzes für Arbeitnehmer überarbeitet werden.

§ 5 der Arbeitsstättenverordnung gewährleistet einen
Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat
die Aufgabe, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen,
um die nicht rauchenden Beschäftigten wirksam vor dem
Tabakrauch zu schützen. In Arbeitsstätten mit Publikums-
verkehr muss der Arbeitgeber die Schutzmaßnahmen je-
doch nur insoweit treffen, wie es die Natur des Betriebes
zulässt.

Die Streichung dieses Absatzes, wie die Grünen es
fordern, würde nicht in Kneipen gelten, die vom Inhaber
alleine beziehungsweise von seinen Angehörigen mit
geführt werden. Außerdem wären durch eine solche Re-
gelung nur die Arbeitnehmer geschützt, nicht aber die
Gäste. Für sie sind nach der Föderalismusreform die
Länder über das Gaststättenrecht zuständig. Dies ist von



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Maria Eichhorn
Vertretern des Justizministeriums, des Innenministeriums
und des Arbeitsministeriums übereinstimmend bereits am
15. Januar 2007 bei einer Anhörung des Petitionsaus-
schusses des Bundestages festgestellt worden. Die Forde-
rung von Bündnis 90/Die Grünen, den Schutz vor Passiv-
rauch über das Arbeitsschutzgesetz bundeseinheitlich zu
regeln, geht demnach an der Realität vorbei.

Eine klare Regelung ist nur über das Gaststättenrecht
möglich, dies liegt in der Hand der Länder. Hier wäre eine
einheitliche Regelung sinnvoll, um die Menschen überall in
Deutschland gleichermaßen vor den Gefahren des Tabak-
rauches zu schützen. Im Urteil vom 30. Juli 2008 hat das
Bundesverfassungsgericht ganz klar herausgestellt, dass
auch ein ausnahmsloses Rauchverbot in Gaststätten zum
Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens verfassungs-
gemäß ist. Es sei zudem gerecht, da für alle gastronomi-
schen Einrichtungen und Kneipen dann die gleichen ge-
setzlichen Bestimmungen gelten würden.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesländer
daher aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2009 ihre Ge-
setze zum Rauchverbot neu zu fassen und gerecht für alle
Beteiligten zu gestalten. Diese Chance muss von den Län-
dern ergriffen werden, um eine einheitliche Gesetzeslage
zu schaffen. Nur so kann Rechtssicherheit und Klarheit
geschaffen werden. Notwendig sind klare Regelungen.
Jede Ausnahmeregelung führt zu einer unübersichtlichen
Rechtslage und zur Benachteiligung betroffener Gruppen.

Mehrere repräsentative Umfragen des Deutschen
Krebsforschungszentrums haben ergeben, dass es bei der
Bevölkerung eine große Zustimmung für einen umfassenden
Nichtraucherschutz gibt. Weiterhin wünschen sich die
Menschen eine für alle Bundesländer einheitliche Gesetz-
gebung. Die Meinung der Bevölkerung muss in den Neu-
fassungen der Gesetze Berücksichtigung finden.

Der Blick ins europäische Ausland zeigt: Nur mit einem
absoluten Rauchverbot kann letztlich das vorrangige Ziel
des Gesundheitsschutzes realisiert und gewährleistet wer-
den. So wird die strikte italienische Regelung von 80 Pro-
zent der Bevölkerung befürwortet und ist erfolgreich im
Sinne des Gesundheitsschutzes. Bereits fünf Monate nach
Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetzes ist der Ver-
kauf von Zigaretten um 13 Prozent zurückgegangen. Es
ist zu erwarten, dass sich dieser positive Trend auch in
Deutschland durchsetzt, wenn ausnahmslose Rauchver-
bote bundesweit eingeführt werden.

Der Bund kann nach Aussage verschiedener Ministe-
rien diese Regelungen jedoch nicht treffen. Es liegt an den
Bundesländern, ihre Bürger in allen öffentlichen Räumen
zu schützen.


Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1621427300

Unser Gruppenantrag war die Initialzündung für eine

Diskussion in Bund und Land, die jetzt nach der Födera-
lismuskommission I und dem Gaststättenrecht in Länder-
hand dazu geführt hat, dass wir verschiedenste Regelun-
gen in Bundesländern im Bereich der Gaststätten haben.
Dies führt immer wieder zu Diskussionen. Gesundheits-
politisch ist dies keine ideale Lösung. Deswegen haben
wir ab 1. September 2007 geltende konsequente Regelun-
Zu Protokoll
gen zum Nichtraucherschutz für öffentliche Gebäude, für
die der Bund zuständig ist, auf Bundesebene erlassen, die
ohne jede Diskussion heute große allgemeine Akzeptanz
genießen.

Jetzt liegt aus der Anfangszeit der Diskussion um den
Nichtraucherschutz noch ein Antrag der Grünen vor. Die-
sen lehnen wir zum jetzigen Zeitpunkt ab, denn nach dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Sommer
2008 haben die Bundesländer noch bis zum Ende dieses
Jahres Zeit, ihre einzelnen Gesetze zum Schutz vor dem
Passivrauchen zu überarbeiten. Ich plädiere deshalb da-
für, abzuwarten, ob die Länder ihre Hausaufgaben ma-
chen und in dem Prozess eine dem Nichtraucherschutz
dienliche, einheitliche Linie finden. Sollte dies allerdings
nicht gelingen, wonach es im Moment aussieht, müssen
wir prüfen, ob ein bundeseinheitliches Vorgehen doch
möglich ist. Mit einem Flickenteppich von 16 unter-
schiedlichen Nichtraucherschutzgesetzen ist niemandem
gedient.

Eine Bundesregelung könnte über den Arbeitsschutz
getroffen werden. Nach der intensiven Diskussion der
vergangenen Monate favorisiere ich diesen Weg jedoch
nicht mehr, da sich gezeigt hat, dass auch dieser Ansatz
Lücken aufweist. Denn die so geregelten Rauchverbote
gelten nur für Lokale mit Angestellten, reine Familienbe-
triebe bleiben außen vor. Wer keine Bedienungen oder
Putzfrauen angestellt hat, dem kann man dann auf dieser
Basis kein Rauchverbot vorschreiben. Deshalb halte ich
eine Variante, zu der die Verfassungsrichter in ihrem Ur-
teil einen Hinweis gegeben haben, für sinnvoller, nämlich
eine bundeseinheitliche Regelung mit dem Gesundheits-
schutz zu rechtfertigen. Dies wäre über § 74 des Grund-
gesetzes möglich, welcher erlaubt, Maßnahmen gegen
gemeingefährliche Krankheiten zu ergreifen.

Falls die Länder die ihnen zur Verfügung bleibende
Zeit nicht sinnvoll nutzen, muss das Problem bundesein-
heitlich gesetzlich geregelt werden. Denn es geht nicht
einfach nur um eine unangenehme Belästigung der Nicht-
raucher, sondern um eine eindeutig nachgewiesene Ge-
sundheitsgefahr. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass
Passivrauchen das Risiko für chronische Erkrankungen
erhöht, die tödlich enden können. Ein Blick in die wissen-
schaftlichen Publikationen zeigt: Wir reden hier nicht nur
von Augenbrennen, sondern von Herzerkrankungen,
Schlaganfällen und Lungenkrebs! Bei Erwachsenen führt
Passivrauchen unter anderem zu einem um 24 Prozent er-
höhten Risiko für Lungenkrebs und einem um 25 Prozent
erhöhten Risiko für koronare Herzerkrankungen. Laut ei-
ner Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums ster-
ben in Deutschland jährlich circa 3 300 Personen, weil
sie Passivrauch ausgesetzt sind. Konsequente Rauchver-
bote sind das einzig probate Mittel gegen diese völlig un-
nötigen Todesfälle.

Inzwischen haben sich auch erste Studien mit den ge-
sundheitlichen Auswirkungen eines Rauchverbots in öf-
fentlichen Räumen auf die Bevölkerungsebene befasst. In
diesen Studien wurden Herzinfarktraten in der Bevölke-
rung auf Basis von Daten zu Krankenhauseinweisungen
und Krankenhausdiagnosen vor und nach Einführung ei-
nes Rauchverbots in öffentlichen Räumen verglichen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carola Reimann
Bisher publizierte Studien aus Italien und den USA zeigen
eine deutliche Verringerung der Herzinfarktraten von
8 bis 19 Prozent.

Passivrauchen verursacht immens negative gesund-
heitliche Wirkungen. Rauchverbote zeigen überaus posi-
tive Effekte. Zudem sprechen sich 75 Prozent der Bürger
für einen strikten Nichtraucherschutz aus. Deshalb sind
jetzt die Bundesländer gefordert, verantwortungsvoll zu
handeln. Wenn sie bis Ende 2009 keine zufriedenstellen-
den Nichtrauchergesetzgebungen vorweisen können,
werden wir prüfen, wie wir den Nichtraucherschutz bun-
deseinheitlich regeln können.


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1621427400

Mit dem Bundesnichtraucherschutzgesetz ist ein gro-

ßer Schritt in Richtung rauchfreie Luft und damit für den
Gesundheitsschutz getan worden. Im Gesetz wurden Re-
gelungen zum Nichtraucherschutz in Bundesbehörden
und öffentlichen Verkehrsmitteln getroffen.

Die Rauchfreiheit in diesen Bereichen ist eine deutli-
che Verbesserung. Der Bundesgesetzgeber hat klar ge-
macht, dass Nichtrauchen das Normale ist und es auf
rauchfreie Luft einen Rechtsanspruch gibt.

Nach der Föderalismusreform liegt das Gaststätten-
recht leider in der Zuständigkeit der Länder. Ihnen oblag
es nun, für ihre Behörden und für die Gaststätten Rege-
lungen zu treffen. Die Verabredung von Eckpunkten gab
Anlass zur Hoffnung, ein Flickenteppich unterschiedli-
cher Regelungen könnte vermieden werden. In den kon-
kreten Gesetzgebungsverfahren wurde diese jedoch ent-
täuscht. Alle Länder haben Ausnahmen vom Rauchverbot
zugelassen, die wegen der damit verbundenen Ungleich-
behandlung Anlass zu Klagen gaben.

Die Gerichte haben diesen Klagen zum Teil stattgege-
ben. Insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts hat bestätigt, dass solche Ausnahmen – je nach
Ausgestaltung – unzulässige Ungleichbehandlungen dar-
stellen können. Das heißt aber nicht, dass das Rauchver-
bot unzulässig ist, sondern es eben die Ausnahmen davon
sind.

Für mich ist deshalb der Teil der Urteilsbegründung
von größter Bedeutung, der bestätigt, dass der Staat den
Gesundheitsschutz höher ansiedeln darf als die Freiheit
der Berufsausübung und die Handlungsfreiheit der Rau-
chenden. Ein generelles Rauchverbot ohne Ausnahmen
wäre deshalb zulässig.

In seinem Minderheitenvotum formuliert Bundesver-
fassungsrichter Bryde deutlich, was in der Urteilsbegrün-
dung nur zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommt: Es
gibt eine Kompetenz des Bundes zur Regelung genereller
Rauchverbote.

Das Bundesverfassungsgericht ist in dieser Frage der
Diskussion in den Parlamenten voraus. Unser Ziel muss
es sein, diesen Vorsprung aufzuholen.

Die Bundesländer sind aufgefordert, die Ungleichbe-
handlung ihrer Gastronomen aufzuheben. Wir appellie-
ren an die Bundesländer, einen generellen Nichtraucher-
schutz in der Gastronomie gesetzlich zu verankern.
Zu Protokoll
Sollten die Länder allerdings den Nichtraucherschutz
weiter aushöhlen, indem sie zum Beispiel den Gastwirten
in Einraumgaststätten anheimstellen, das Rauchen zu ge-
statten, ist der Bundestag gefordert. Im Interesse des Ge-
sundheitsschutzes der Bevölkerung müssten wir in der
nächsten Legislaturperiode eine bundeseinheitliche Re-
gelung treffen. Mögliche Wege dazu hat das Bundesver-
fassungsgericht aufgezeigt.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1621427500

Bereits kurz vor Weihnachten haben wir uns mit der

Frage beschäftigt, ob der Bund ein umfassendes Rauch-
verbot in Gaststätten über die Arbeitsstättenverordnung
beschließen sollte. Seit Dezember hat sich die Lage in
Deutschland aus liberaler Sicht verbessert – und den Ge-
setzesentwurf obsolet gemacht.

Im Sommer 2008 urteilte das Bundesverfassungsge-
richt, dass eine Überarbeitung der Nichtraucherschutzge-
setze nötig war. Die Bundesländer wurden aufgefordert,
ihre Gesetze unter Beachtung der Eigenverantwortung
der Bürger und ihrer freiheitlichen Rechte zu überarbei-
ten. Die Richter haben treffend erkannt, dass ein umfas-
sender Nichtraucherschutz auch dann gewährleistet wer-
den kann, wenn Ausnahmen möglich sind.

Die meisten Bundesländer nutzen die Möglichkeit,
sich für ein weniger strenges Rauchverbot zu entschei-
den. Ausnahmen sind ausdrücklich zugelassen. Während
sich Ende 2008 viele Länder noch in der Ausarbeitung ih-
rer Gesetze befanden, sind wir bereits einige Monate spä-
ter einen Schritt weiter. In Bayern, NRW, Brandenburg
und Rheinland-Pfalz werden die novellierten Gesetze ge-
rade den Parlamenten zugeleitet oder dort in den Aus-
schüssen diskutiert. Nach der Vorgabe des Bundesverfas-
sungsgerichtes müssen die Novellierungen bis zum
31. Dezember 2009 abgeschlossen sein. Wir befinden uns
voll im Zeitplan, es besteht kein Druck, über den Bund zu-
sätzliche Regelungen zu treffen. Und wir befinden uns
nicht im rechtsfreien Raum: Für die Übergangsphase bis
Ende des Jahres haben die Richter klare Vorgaben ge-
macht.

Die Grünen versuchen mit ihrer Initiative, diesen Pro-
zess zu torpedieren und an anderer Stelle eine Überregu-
lierung zu erzwingen. Wie ich bereits am 18. Dezember
erklärte, möchte ich das Augenmerk auf die Arbeitsplätze
in der Gastronomie richten. Die meisten Bundesländer
haben sich entschieden, Ausnahmeregelungen in der
Gastronomie zuzulassen. Diese Position teilt im Übrigen
auch die Bevölkerung. Die meisten Bürgerinnen und Bür-
gen wollen kein Totalverbot. In seiner abweichenden
Meinung erklärt der Verfassungsrichter Johannes
Masing, dass ein vollständiges Rauchverbot nicht ver-
hältnismäßig ist, sondern eine Bevormundung der Bürger
darstellt. Was richtig ist, bleibt richtig.

Zurück zu den Arbeitsplätzen in der Gastronomie: Seit
Oktober 2002 ist in § 5 der Arbeitsstättenverordnung

(ArbStättV) der Schutz des Arbeitnehmers vor Passivrau-

chen geregelt. § 5 ArbStättV statuiert kein generelles
Rauchverbot in Arbeitsräumen, sondern verpflichtet den
Arbeitgeber, nichtrauchende Beschäftigte zu schützen.
Die Arbeitgeber haben somit die Aufgabe, im Rahmen ei-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
ner Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, ob und in wel-
chem Umfang die Beschäftigten in ihrer Gesundheit ge-
fährdet werden oder sein könnten. Darunter fällt auch der
Schutz vor Passivrauchen. Dem Arbeitgeber wird ein Er-
messensspielraum zugebilligt, der unternehmerische As-
pekte wie Kosten, das zahlenmäßige Verhältnis von Rau-
chern und Nichtrauchern im Betrieb sowie Fragen der
Branchenüblichkeit berücksichtigt. Fazit: Die vorliegen-
den Regelungen sind umfassend, eine weitere Regulie-
rung durch den Bund ist überflüssig. Eigenverantwortung
kann gelebt werden. Staatliche Gängelung brauchen wir
nicht.

Trotzdem werden immer wieder Rufe nach einer Ver-
schärfung der Arbeitsstättenverordnung, ArbStättV,
durch den Bund laut, obwohl die geltenden Regelungen
bereits heute im Einklang mit dem WHO-Rahmenüber-
einkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums stehen.
Jetzt sowohl das Arbeitsschutzgesetz sowie die Arbeits-
stättenverordnung grundlegend zu ändern, um vor Pas-
sivrauchen am Arbeitsplatz zu schützen, ist weit über das
Ziel hinausgeschossen.

Auch auf europäischer Ebene gibt es immer wieder
vereinzelt Versuche, eine umfassende Regulierung beim
Rauchen zu erreichen. Nach wie vor verfügt die Euro-
päische Union mit gutem Grund allerdings nicht über
eine allumfassende Gesetzgebungskompetenz und kann
kein generelles Rauchverbot erlassen. Auch die EU-Ver-
tragsbestimmungen in den Bereichen Gesundheits-, Ver-
braucher- oder Arbeitnehmerschutz sehen ein solches
Verbot nicht vor. Es ist lediglich möglich, dass die EU
flankierende Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinie-
rung oder in Ergänzung der bereits ergriffenen Maßnah-
men der Mitgliedstaaten zum Gesundheitsschutz durch-
führt. Ob und wann die EU eine solche Initiative ins
Leben rufen wird, ist ungewiss, zumal auch in Brüssel und
Straßburg Wahlkampf angesagt ist. Ende Oktober 2008
hatte der Kommissar für Beschäftigung und soziale An-
gelegenheiten Vladimir Spidla, Tschechien, einen Vorstoß
zum Rauchverbot gewagt. In gemeinsamer Sache mit der
Kommissarin für Gesundheit Androulla Vassiliou,
Zypern, soll es eine Initiative zur Einführung eines euro-
paweiten Rauchverbots am Arbeitsplatz geben. Der Vor-
stoß von Kommissar Spidla kam nicht wirklich gut an. Ein
EU-weites Rauchverbot käme einer Aushebelung des
Subsidiaritätsprinzips gleich und verursachte zu Recht
heftige Reaktionen. Ende Januar 2009 hat Vladimir
Spidla sich erneut für ein Rauchverbot an allen Arbeits-
plätzen ausgesprochen. Konkret liegt auch heute noch
nichts auf dem Tisch. Laut einer Antwort der Gesund-
heitskommissarin Vassiliou vom 3. März 2009 auf eine
Frage des österreichischen EU-Abgeordneten Andreas
Mölzer erwägt die Kommission derzeit, „einen Vorschlag
für eine Empfehlung des Rates vorzulegen, um die Mit-
gliedstaaten dabei zu unterstützen, umfassende Rauch-
verbote gemäß ihrer Verpflichtungen aus dem FCTC zu
beschließen und einzuführen.“ Ein konkreter Entwurf ist
aber Sache der neuen Kommission, die erst Ende des Jah-
res ins Amt kommt. Fraglich ist nach wie vor, ob der Kom-
mission entsprechende rechtliche Mittel überhaupt zur
Verfügung stehen: Der Erlass einer Verordnung, die un-
mittelbar in nationales Recht umgesetzt werden müsste,
Zu Protokoll
ist europarechtlich nicht begründbar. Zudem wäre die Er-
arbeitung einer neuen Richtlinie sehr umstritten, da
ebenfalls keine eindeutige rechtliche Grundlage besteht.
Zum jetzigen Zeitpunkt eine erneute Regelung durchzu-
drücken, solange noch nicht mal die Vorgaben für die
aktuell gültigen Gesetze überarbeitet sind, ist weder sinn-
voll noch effizient, gleichgültig, ob es sich um den Bund
oder die EU-Kommission handelt.

Ich hoffe, dass dieser Aktionismus nicht durch Erfolg
gekrönt wird. Die Grünen sollten sich an die Regelungen
halten, die sie in den mitregierten Ländern unterstützen:
In Bremen haben sich die Grünen zusammen mit SPD,
CDU und FDP für eine liberale Lösung eingesetzt.


Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621427600

Das Versagen der Bundesregierung beim Schutz vor

Passivrauchen insbesondere in Gaststätten ist ein Lehr-
stück mangelnden politischen Willens und/oder Könnens.
Es ist ein markantes Beispiel einer Politik, die keine Ver-
antwortung für unbequeme Entscheidungen übernehmen
will, aber trotzdem Entscheidungen ankündigt, die sie
aber in Wirklichkeit nie treffen oder durchsetzen will.

Wie steht es derzeit mit der Gesetzgebung? Das Wort
Flickenteppich hat vermutlich selten besser gepasst als
bei den Regelungen zum Schutz vor dem Gefahrenstoff
Rauch. Statt einer einheitlichen Regelung, die es allen
Bürgerinnen und Bürgern, über kurz oder lang, deutlich
leichter machen würde, sich damit zu identifizieren oder
sie auch nur zu akzeptieren, haben wir nun 16 verschie-
denen Regelungen in den Bundesländern. Und daran
trägt diese Bundesregierung großen Anteil. Eine klare,
wenn auch strikte Regelung hätte viel weniger Wider-
stand und Aufruhr erzeugt. An dieser Stelle wird oft zu
Recht auf die Einführung des Sicherheitsgurtes hingewie-
sen. Vor Einführung gab es große Skepsis und Ablehnung.
Jahre später waren diese fast völlig verschwunden. Das
Sein bestimmt eben auch das Bewusstsein. Das, was die
Bundesregierung beim Schutz vor Passivrauchen in der
Gastronomie mit zu verantworten hat, schafft aber höchs-
tens Bewusstseinsstörungen.

Letztlich haben wir es in der Gastronomie mit drei
Gruppen von passivrauchenden Personen zu tun: mit
Gästen – Erwachsenen wie Kindern – , mit Arbeitgebe-
rinnen und Arbeitgebern und mit Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern. Betrachten wir diese drei Gruppen, müs-
sen wir feststellen, dass die Gäste noch am ehesten die
freie Wahl und Möglichkeit haben, dem Passivrauchen
auszuweichen. Besonders Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer können dies aber nicht, ohne ihren Arbeits-
platz aufzugeben. Letzteres zu fordern wäre zynisch. Da-
her muss besonders ihnen der größtmögliche Schutz vor
dem gefährlichen Passivrauchen ermöglicht werden.

Dieser Schutz ist in einem von SPD-Abgeordneten
initiierten Antrag vom September 2006 gefordert worden.
In dem Antrag wird der Bundestag aufgefordert – ich zi-
tiere –, „Einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundes-
tag einzubringen, welcher Arbeitnehmerinnen und Ar-

(also auch im Bereich der Gastronomie)

rauchen schützt“. Die SPD-Abgeordneten haben in der



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martina Bunge
letzen Woche diesem Antrag im Gesundheitsausschuss
nicht zugestimmt. Vermutlich wird das auch die Fraktion
heute nicht tun. Ich frage mich da, ob die SPD-Abgeord-
neten auch von der bereits benannten Bewusstseinsstö-
rung erfasst wurden oder ob es ihnen nur an Durchset-
zungsvermögen gegenüber der CDU/CSU fehlt.

Dem Antrag der Grünen, die sich bemüht haben, über
Veränderungen im Arbeitsschutzgesetz und in der Ar-
beitsstättenverordnung einen Weg aufzuzeigen, wie der
Arbeitsschutz an allen Arbeitsplätzen verankert werden
kann, tritt die SPD entgegen, indem sie sich auf mögliche
verfassungsrechtliche Bedenken zurückzieht. Die CSU
meint gar, die Regelung würde nur die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer schützen, nicht die Gäste. Als ob in
der Gastronomie die Bedienung und der Gast sich nicht
in den gleichen Räumen aufhalten würden! Die CDU
meint, der Antrag wolle nur vernebeln, dass eben nicht
nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sind,
sondern eben auch Gäste, und versucht daraus irgend-
welche Gründe zur Ablehnung des Antrags zu konstruie-
ren. Und ich sage Ihnen dazu gleich: Ja, auch in privaten
Räumen, beispielsweise in der ambulanten Pflege müssen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Passivrauchen
geschützt werden. Es kann nicht angehen, dass der
Wunsch zu rauchen des einen über den Wunsch nach Ge-
sundheitsschutz des anderen gestellt wird. Von der FDP
ist in dieser Frage eh nichts zu erwarten. Für die Gesund-
heit ist für sie jeder selbst verantwortlich, daher seien Re-
gelungen zum Gesundheitsschutz grundsätzlich unnötig.
Hier lautet die Devise: Wir warten beim Passivrauchen
gerne bis zum Sanktnimmerleinstag.

Ich halte alle diese Gründe nur für vorgeschoben und
widersprüchlich. Das eigentliche Problem ist doch, dass
weder die CDU/CSU, die SPD noch die FDP an einem
wirklichen wirksamen Schutz vor Passivrauchen bei den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Gastronomie-
bereich interessiert sind. Dann sollen sie aber auch klar
sagen, dass sie es richtig finden, dass zahlreiche Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer an Arbeitsplätzen be-
schäftigt sind, an denen sie tagtäglich Passivrauchen und
damit erheblichen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt
sind. Ich frage mich allerdings, warum der Schutz vor
Passivrauchen dann an anderen Arbeitsplätzen durchge-
setzt wurde. Oder ist nur die Gesundheitsgefährdung von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Gastrono-
mie in Ordnung, während andere Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer selbstverständlich zu schützen sind? Wenn
wenigstens die Interessen der Gastronomen dabei eine
Rolle spielen würde, aber wie heißt es in dem eigenen An-
trag der SPD-Abgeordneten so schön: Es ist wissen-
schaftlich belegt, dass eine rauchfreie Gastronomie zu
Umsatzsteigerungen, nicht zu Umsatzminderungen ge-
führt hat. Und die Praxis zeigt dies auch sehr gegenwär-
tig bei uns in den Bundesländern, wo der Schutz vor Pas-
sivrauchen in der Gastronomie einigermaßen konsequent
umgesetzt wird.

Ich denke, jedem in diesem Hause ist klar, dass der
wirksame Schutz vor Passivrauchen in der Gastronomie
auf Dauer nur Gewinne und Gewinner bringen wird. Um
diese Erkenntnis umzusetzen, braucht es nur den Willen
und den Mut, vernünftige Politik um- und durchzusetzen.
Zu Protokoll
Von beidem sind die Regierung und die FDP weit ent-
fernt.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621427700

Wir reden heute über den Schutz vor Passivrauchen.

Kein neues Thema, aber eines, das der Sache nach nicht
erledigt ist. Denn der Flickenteppich der Regelungen für
die Gaststätten, den wir bundesweit vorfinden, kann nicht
zufriedenstellen – uns Grüne jedenfalls nicht. Andere, die
einst mit großem Elan in die Debatte gingen, haben inzwi-
schen kapituliert. Oder, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, sollen wir etwa annehmen, dass es Ihnen
von vorneherein nur um verbale Entschlossenheit ging,
das Ergebnis aber zweitrangig war? Jedenfalls war es ein
trauriger Anblick, als im Gesundheitsausschuss alle an-
wesenden SPD-Mitglieder sich bei ihrem eigenen Antrag
mit der Forderung zum Nichtraucherschutz im Arbeits-
schutz enthielten. Ist das politische Entschlossenheit auf
sozialdemokratisch?

Wir Grünen haben seit 2006 mehrere konkrete Vor-
schläge in den Bundestag eingebracht, zuletzt unseren
Gesetzentwurf „Verankerung eines umfassenden Schut-
zes vor Passivrauchen im Arbeitsschutzgesetz“, der in
der Zielrichtung mit dem Gruppenantrag von Carola
Reimann und anderen übereinstimmt. Eine umfassende
Regelung im Arbeitsschutz hätte den Vorteil, dass alle Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer – auch die in der
Gastronomie – profitieren, und das wäre schon die halbe
Miete für rauchfreie Lokale. Oder sollen wir es vielleicht
gut finden, dass jetzt für die Kneipe in Mannheim andere
Regelungen gelten als in Ludwigshafen? Der Rhein trennt
zwar Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, aber die
Menschen auf beiden Seiten des Flusses verdienen den
gleichen Schutz vor Passivrauchen.

Und für die, die es vergessen oder verdrängt haben, sei
an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erinnert.
Rauchverbote in Gaststätten sind ohne Ausnahme mög-
lich! Mit dem derzeitigen Regelungsgewirr erzeugt man
doch erst den Widerstand der Bürgerinnen und Bürger,
auf den sich andere dann berufen. CDU/CSU und FDP
waren in diesen Debatten für einen konsequenten Schutz
vor Passivrauchen schon immer die absoluten Bremser
und verkauften dies als Freiheit. Dass die Freiheit auch
Grenzen hat, wo sie der Gesundheit der anderen schadet,
blieb außen vor. Aber auch das SPD-geführte Arbeitsmi-
nisterium zog kräftig mit am Bremshebel. Ich sage Ihnen:
Freiheit hat ihre Grenzen, wo sie der Gesundheit der an-
deren schadet! Aber die FDP lernt nie dazu: „Freie Fahrt
für freie Bürger“ – auch da bleiben der CO2-Ausstoß, die
Klimaschädigung oder die Verkehrstoten außen vor.
„Freier Qualm für freie Raucher“ lautet das Motto für
den Schutzzaun um die Raucherinnen und Raucher. Die
Mehrheit, die unter dem Qualm leidet, ist nicht im Blick.
Bei der FDP ist die Freiheit in schlechten Händen!

Wenn wir zum Ende dieser Legislaturperiode Bilanz
ziehen, dann haben wir erreicht, dass die öffentlichen Ge-
bäude und die öffentlichen Verkehrsmittel ebenso wie der
Bundestag größtenteils rauchfrei sind. Mich stört dabei
nicht, dass es die Möglichkeit gibt, Raucherräume einzu-
richten. Dies habe ich immer unterstützt. Dass jedoch kei-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender
nerlei Vorkehrungen wie Be- und Entlüftung oder leichter
Unterdruck, um die Umgebung vor dem Qualm der Rau-
cherräume zu schützen, vorgeschrieben sind, ist ein Skan-
dal. Hier hat die Bundesregierung versagt. Endlich eine
vernünftige Verordnung zu erlassen, ist die unerfüllte
Hausaufgabe, die dringend angegangen werden muss.
Wenn die Bundesregierung nichts tut, dann ist das Parla-
ment in der neuen Legislaturperiode gefragt.

Die Situation in den Gaststätten lässt sehr zu wün-
schen übrig. Der von uns als Flickenteppich unterschied-
lichster Regelungen in den Bundesländern vorhergesagte
Zustand ist leider Realität geworden und wird sich im
Laufe dieses Jahres vermutlich noch verschärfen. Hier
erleben wir gerade ein massives Rollback. Wir Grünen
werden auch in den Ländern dafür kämpfen, dass die Aus-
nahmen vom Rauchverbot nicht die Regel werden.

Sie sehen, wir werden auch in der nächsten Legislatur-
periode nicht arbeitslos und es wird weitere Debatten und
– so hoffe ich – Entscheidungen geben, die den Schutz vor
Passivrauchen weiter vorantreiben. Wir Grünen werden
nicht locker lassen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621427800

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Ge-

setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Verankerung eines umfassenden Schutzes vor Passivrau-
chen im Arbeitsschutzgesetz.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt auf
Drucksache 16/12351, den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10337 abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP gegen die Stimmen von Linken und Grünen ab-
gelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Druck-
sache 16/12408. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a die Ablehnung des Antrags der Abgeordne-
ten Reimann, Binding, Spielmann und weiterer Abge-
ordneter auf Drucksache 16/2730 mit dem Titel „Effekti-
ven Schutz vor Passivrauchen zügig gesetzlich verankern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP
gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Lin-
ken angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/2805 mit dem Titel „Wirksamen Schutz vor
Passivrauchen im öffentlichen Raum umsetzen“ für erle-
digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Einstimmig ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/10338 mit dem Titel „Bundesweit einheitlichen
Schutz vor Passivrauchen in Gaststätten verankern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge-
gen die Stimmen der Grünen und der Linken angenom-
men.

Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Hübinger, Stefan Müller (Erlangen), Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi
Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“ weiterhin aktiv umsetzen – Folge-
aktivitäten zur UNESCO-Weltkonferenz ent-
wickeln

– Drucksache 16/12450 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia

(Saarbrücken)


UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“ konsequent umsetzen

– Drucksache 16/12306 –

Folgende Redner haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben: Hübinger, Burchardt, Meinhardt, Schneider

(Saarbrücken), Eid und Storm.



Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1621427900

Die bisherige Umsetzung der UN-Dekade „Bildung

für nachhaltige Entwicklung“ in Deutschland wird inter-
national als beispielhaft anerkannt. Zu diesem positiven
Zwischenfazit gelangte Dr. Roland Bernecker, General-
sekretär der Deutschen UNESCO-Kommission e. V., in
der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung am 4. März 2009. Diese Ein-
schätzung ist sehr erfreulich und sollte von allen Frak-
tionen des Deutschen Bundestags entsprechend zur
Kenntnis genommen werden.

Zu dieser positiven Beurteilung trägt bei, dass sich in
Deutschland eine Vielzahl von unterschiedlichen Akteu-
ren engagieren, schon circa 800 Projekte zur Thematik
existieren und es auf Basis des Nationalen Aktionsplans
gelungen ist, Fortschritte in allen Bereichen der Bildung
bei der Verankerung des Leitbilds der nachhaltigen Ent-
wicklung zu erreichen.

Dass die Konferenz „World Conference on Education
for Substainable Development – Moving into the Second
Half on the UN Decade“ in der Zeit vom 31. März bis zum
2. April 2009 in Bonn stattfindet, ist sicherlich auch als
Anerkennung des deutschen Engagements zu werten. Die
Konferenz widmet sich der Bilanz der letzten fünf Jahre
und bietet somit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
aus den UNESCO-Mitgliedstaaten, aber auch uns Abge-


(A) (C)



(B) (D)


Anette Hübinger
ordneten des Deutschen Bundestages die Möglichkeit zur
Reflektion.

Neben der Bestandsaufnahme der bisherigen Umset-
zung umfasst das Aufgabenspektrum der Weltkonferenz
die Erörterung von strategischen Leitlinien für die zweite
Hälfte der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“. In diesem Zusammenhang wird zu klären sein,
welche neuen Akteure gewonnen werden müssen, wie
zukünftig Ressourcen für die umfangreichen weltweiten
Aktivitäten mobilisiert werden können und wie der Nord-
Süd-Austausch intensiviert werden kann. Die Ergebnisse
der Konferenz werden in einer „Bonner Erklärung“ mün-
den, welche – und dies unterstreicht den Stellenwert die-
ses Papiers – dem Exekutivrat und der Generalkonferenz
der UNESCO vorgelegt werden.

Die anstehende Weltkonferenz ist in meinen Augen
eine geeignete Plattform, die bisherige Umsetzung zu
analysieren, weiterführende Strategien für die zweite
Hälfte der Dekade zu entwickeln und den Blick auch
schon auf die Zeit nach Ablauf der UN-Dekade zu richten.
Deshalb bekräftigen wir im Rahmen unseres Antrages die
Ziele der UN-Dekade, regen darüber hinaus Maßnahmen
für die zweite Hälfe der Dekade an und fordern die Bun-
desregierung auf, geeignete Perspektiven zur weiteren
Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung
nach Auslaufen der UN-Dekade zu eröffnen. Daran an-
knüpfend rege ich an, vonseiten der Bundesregierung ei-
nen Bericht über die Ergebnisse und die daraus abzulei-
tenden Konsequenzen zu erstellen. Dieser kann eine gute
Grundlage bilden, um den Nationalen Aktionsplan wei-
terzuentwickeln und – wie schon angesprochen – Per-
spektiven für die Verankerung des Themas „Bildung für
nachhaltige Entwicklung“ für die Zeit nach Auslaufen
der UN-Dekade aufzuzeigen.

Als Deutscher Bundestag begleiten wir die Dekade seit
2004 intensiv. Der damals verabschiedete Antrag wurde
von allen Fraktionen des Hauses einstimmig angenom-
men. Nicht zuletzt diese breite Zustimmung war ein
Grund dafür, weshalb die UN-Dekade in Deutschland in
so vorbildlicher Weise umgesetzt wurde. Deshalb werbe
ich dafür, dass der vorliegende Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD mit einer ebenso breiten, frak-
tionsübergreifenden Mehrheit verabschiedet wird.


Ulla Burchardt (SPD):
Rede ID: ID1621428000

Mitten in der Krise über Nachhaltigkeit zu reden, das

mag einigen Ignoranten dieser Tage seltsam erscheinen.
Müssen wir in Zeiten wie diesen nicht unseren eigenen
Kopf retten? Muss der Staat dieser Tage nicht erst einmal
die Fehler des Raubtierkapitalismus auswetzen – sind da
Umweltschutz, Bildung und Nachhaltigkeit nicht purer
Luxus? Genau das sind sie nicht. Wenn wir in diesen Ta-
gen die Augen vor der Zukunft verschließen und falsche,
nicht nachhaltige Entscheidungen fällen, dann setzen wir
die eigene und die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel.

Erst vor ein paar Tagen hat es ein Bericht der Interna-
tionalen Energieagentur ganz dick unterstrichen: Wir
müssen uns jetzt wappnen für die Energiewende, für mehr
nachhaltiges Wirtschaften und regenerative Energiefor-
men – sonst werden wir machtlos, wenn der Ölpreis in
Zu Protokoll
spätestens vier Jahren explodieren wird und die Erholung
der Weltwirtschaft bedroht. Nicht umsonst haben wir weit
über 3 Milliarden Euro an Hilfen für die energetische Ge-
bäudesanierung bereitgestellt – ein besonders gutes Bei-
spiel für nachhaltige Entwicklung, können wir hier doch
in den kommenden 15 Jahren bis zu 50 Milliarden Euro
Heizkosten einsparen und die Belastung der Atmosphäre
mit CO2 erheblich verringern.

Nachhaltige Entwicklung, das heißt Kurswechsel, neu
denken und anders entscheiden als bisher. Es heißt raus
aus den alten Routinen in Wirtschaft, Wissenschaft und
Politik, es heißt, sich daran zu orientieren, dass der Er-
halt der natürlichen Lebensgrundlagen die Vorausset-
zung für eine zukunftsfähige wirtschaftliche und soziale
Entwicklung ist.

Nachhaltigkeit braucht die Einsicht, dass es keine Per-
spektive für eine Zukunft gibt, in der alle Menschen gut le-
ben können, wenn die alten Routinen, zu entscheiden, bei-
behalten werden. Ändern müssen sich die täglichen
Entscheidungen, die Art und Weise, wie Menschen ihre
Bedürfnisse befriedigen, wie sie miteinander und mit ih-
rer natürlichen Umwelt umgehen. Weniger wird dann
mehr: mehr Wohlstand und mehr Lebensqualität durch
weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, weniger
Schadstoffe, Emissionen und Abfälle. Gerade in Zeiten
der Krise ist Nachhaltigkeit das höchste Gebot – und da-
für brauchen wir Bildung und die Kreativität der nachfol-
genden Generationen.

Deshalb hat es sich als besonders weitsichtig erwie-
sen, dass die Vereinten Nationen und die UNESCO mit ih-
rem weltweiten Projekt „Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“ nicht einfach nur für ein Jahr, sondern eine
ganze Dekade lang für den entscheidenden Beitrag der
Bildung zur Nachhaltigkeit werben. Ob Aufschwung oder
Krise, in beiden Zeiten geht ohne Bildung gar nichts, will
man die Herausforderungen einer ökologisch, ökono-
misch und sozial nachhaltigen Entwicklung konstruktiv
nutzen.

Die Mitglieder des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung begrüßen es des-
halb nachdrücklich, dass Deutschland vom 31. März bis
zum 2. April dieses Jahres Gastgeber der UNESCO-Welt-
konferenz zur Halbzeit der Dekade ist. Bei dieser hochka-
rätig besetzten Konferenz geschieht, was gerade in der
Krise jetzt ganz wichtig ist: über den Tellerrand blicken.
Wir wollen sehen, was andere Länder für die nachhaltige
Entwicklung erreicht haben und was noch gemeinsam zu
tun ansteht. Und wir wollen eigene Fortschritte vorzei-
gen. Das sind einige. Das Neue fällt nicht vom Himmel, es
muss gelernt werden. Nachhaltigkeit war und ist der Auf-
trag zum Paradigmenwechsel: raus aus der Kurzatmig-
keit, auch von Wahlperioden, hin zur langfristigen Per-
spektive.

Was in Rio de Janeiro 1992 als erstes Herantasten be-
gann, hat der Bundestag in den vergangenen Jahren im-
mer wieder begleitet und angetrieben. Hier sind in den
letzten 15 Jahren die inhaltlichen Grundlagen gelegt und
die entscheidenden Weichen für eine Institutionalisierung
der Nachhaltigkeitsidee gestellt worden, an erster Stelle
durch die Arbeiten der beiden Enquete-Kommissionen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulla Burchardt
„Schutz des Menschen und der Umwelt“, die den Auftrag
von Rio auch als Auftrag für die bundespolitische Ebene
von der Leitidee bis zur Handlungsempfehlung durch-
buchstabiert haben. Als wichtig für den eigenen Erkennt-
nisfortschritt erwiesen sich auch die Studien des Büros
für Technikfolgenabschätzung, unserer „eigenen“ wis-
senschaftlichen Beratungskapazität.

Genauso richtig ist aber auch: Die Weltdekade ist wie
die nachhaltige Entwicklung kein Projekt, das sich vom
Parlament beschließen und von der Regierung exekutie-
ren lässt. Ohne das Engagement und die Beteiligung vie-
ler Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftli-
chen Bereichen ist eine nachhaltige Zukunftsgestaltung
nicht zu machen.

Ein Beispiel ist das Engagement der Mitarbeiter von
„Zweitsinn“, die in Dortmund aus Müll begehrte Designer-
möbel machen. Heute out, morgen hip: Kleine und mittel-
ständische Unternehmen in Kooperation mit der Techni-
schen Universität Dortmund sorgen dafür, dass das
Abfallvolumen deutlich sinkt, indem Möbel, die sonst
weggeworfen würden, als Rohstoff für die Herstellung
neuer Möbel genutzt werden und einen „zweiten Sinn“
erhalten – wie der Sessel Pixelstar, der aus recycelten
Span-, Pressstoff- und Tischlerplatten, aufgesägten Mas-
sivholztischen und gebrauchten Schaumstoffresten aus
alten Matratzen gemacht wird. Das Ding sieht Klasse
aus – und könnte die Bestuhlung im Bundestag vielleicht
eines Tages ersetzen.

„Nachhaltigkeit gestalten“ hat etwas mit Wissen und
Können zu tun; nachhaltige Zukunftsgestaltung braucht
neue Qualifikationen im umfassenden Sinne: „sustain
abilities“! Dazu gehört neues Sach- und Fachwissen über
die komplexen Zusammenhänge zwischen Mensch, Natur
und Technik.

Aber damit aus der Vision Nachhaltigkeit auch Wirk-
lichkeit wird, kommt es eben nicht nur auf das Wissen an.
„Sustain abilities“, das meint Fähigkeiten, dieses Wissen
auch anwenden zu können. Und das genau sind die Fähig-
keiten, die hierzulande bislang auf allen Bildungsebenen
zu wenig gefördert werden: vernetztes und vorausschauen-
des Denken, Probleme angemessen kommunizieren zu
können, sich in die Lage anderer hineinversetzen zu kön-
nen und nicht zuletzt die Fähigkeit zu lebenslangem Ler-
nen.

Jetzt bietet sich die Chance, die Leitidee der Nachhal-
tigkeit dauerhaft in informellen Bildungsprozessen wie in
den klassischen Bildungsinstitutionen zu verankern – von
der Grundschule bis zur Hochschule, in die berufliche
Aus- und Weiterbildung. Gelänge das in den verbleiben-
den Dekade-Jahren, dann wäre das für das Bildungsan-
gebot wie die Bildungspraxis in Deutschland ein qualita-
tiver Meilenstein.

Ich wünsche mir, dass diese – und auch die kommende –
Bundesregierung die Ziele der UN-Dekade umsetzt und
ihre Verankerung in allen Bildungsbereichen noch ver-
stärkt. Nachhaltigkeitsthemen sind nicht irgendein Zu-
satzmodul – und erst recht kein Spaß. Sie sind Quer-
schnittsanliegen: für die ganze Gesellschaft.
Zu Protokoll

Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1621428100

Der Umstand, dass Deutschland vom 31. März bis

2. April Gastgeber der UNESCO-Weltkonferenz „Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung“ ist, ehrt uns. Wir kön-
nen damit einen wichtigen Impuls für eine globale Strate-
gie zur verstärkten Zusammenarbeit und Entwicklung
unter ökonomischen, ökologischen, sozialen und ethi-
schen Aspekten liefern. Ja, gerade Wertefragen sollten
wieder verstärkt auf der Bildungsagenda stehen. Es gilt,
gemeinsam mit unseren Nachbarstaaten Antworten auf
drängende Fragen der Zukunft zu entwickeln und eine ge-
meinsame Basis für eine weiterführende, systematische
Politik zu schaffen.

Gerade wir Liberale haben kein Problem damit, dass
Lösungs- und Diskussionsansätze von der Situation in je-
dem Land abhängen. Und so verwundert es kaum, dass
die Staaten sehr unterschiedlich mit den zu lösenden Pro-
blemen umgehen. Allein auf nationaler Ebene findet sich
eine Vielzahl von Akteuren aus Verwaltungen, Wirtschaft
und Nichtregierungsorganisationen, die mit dem Ziel der
Verankerung der Bildung für nachhaltige Entwicklung

(BNE) erfolgreich zusammenwirken. Der Weg der Projekt-

auszeichnungen in Deutschland motiviert Schüler und
Schulen, Lehrer und Eltern. Dieser Weg muss weiter ver-
folgt werden.

In den vergangenen Wochen hat sich die AG-Bildung
der FDP-Bundestagsfraktion einige dieser Erfolg ver-
sprechenden Projekte etwas genauer angesehen. Erst
vorgestern saßen wir mit Vertreterinnen des Projekts
„leuchtpol“ zusammen. „leuchtpol“ will auf eindrucks-
volle Weise Kindern im Kindergartenalter die Lust auf
Entdecken, Lernen und Verstehen wecken und zugleich
für Erzieher und Erzieherinnen professionelle Weiterbil-
dungsseminare anbieten. So können sie Themen aus dem
Bereich Energie und Umwelt aktiv und spannend präsen-
tieren lernen und Kinder anregend auf der Erkundung des
Themenspektrums begleiten. Die Eon AG bringt sich als
Hauptsponsor ein und fördert, frei von ideologischen
Zwängen oder Vorgaben, einen verantwortungsvollen
Umgang der Kinder mit natürlichen Ressourcen. Auch
der Einsatz der Telekom-Stiftung in der frühkindlichen
Bildung ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Ein weiteres Projekt sind die Agenda-21-Schulen. De-
ren Arbeit ist wirklich hervorzuheben. Auf der Grundlage
eines Gutachtens von Professor Dr. Gerhard de Haan und
Dorothee Harenberg vom Arbeitsbereich Umweltbildung
der FU Berlin ist ein Programm aufgelegt worden, das
die „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ für allge-
meinbildende Schulen zum Ziel hat. Dabei konzentrieren
sich die Ideengeber auf drei Module, „Interdisziplinäres
Wissen“, „Partizipatives Lernen“ und „Innovative Struk-
turen“. Das Land Niedersachsen hat hier eine Vorreiter-
rolle eingenommen und sich an dem Programm mit dem
Vorhaben „Entwicklung und Erprobung einer ‚Bildung
für eine nachhaltige Entwicklung‘ durch neue Formen
der Kooperation von Schulen, Umweltbildungszentren
und anderen Partnern“ maßgeblich beteiligt und kann
mittlerweile eindrucksvolle Ergebnisse präsentieren. Ge-
rade wenn es gilt, schwächeren Schülerinnen und Schü-
lern Perspektiven für den weiteren Werdegang zu eröff-
nen und berufliche Chancen zu bieten, liefert dieses



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Patrick Meinhardt
Projekt wertvolle Ansätze. Und für uns Liberale ist beson-
ders wichtig: Es ist ein konkreter Schritt zu mehr Bil-
dungsgerechtigkeit! Deswegen gilt: Alle Beteiligte müs-
sen mitgenommen werden.

Heute ist ein Tag mit besonderer Symbolkraft. Die UN-
Behindertenrechtskonvention tritt in Deutschland in
Kraft. Gerade die damit verbundene Zielsetzung für mehr
integrative Bildungspolitik muss für uns Verpflichtung
sein. Das Motto der UNESCO „Bildung für alle“ hat
nicht allein die geografische Dimension, die Nord-Süd-
Kooperation im Blick. Es bezieht sich auch auf die Frage,
wie behinderte und nicht behinderte Menschen besser
miteinander und besser voneinander lernen können.

Die Fraktion Die Linke hat sich selber übertroffen. Sie
zieht nun sogar die UN-Dekade dazu heran, um wieder
einmal die ewige linke Litanei von der „Überwindung des
gegliederten Schulsystems“ hinunterzuleiern. Durch
ständiges Wiederholen wird auch die falscheste Lösung
nicht richtiger.

Das Thema Bildung zur nachhaltigen Entwicklung
geht uns alle an. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe,
fordert auch die Eltern zu mehr Erziehung und sollte ei-
nen Konsens weit über die Parteigrenzen hinweg ermög-
lichen. Deswegen ist es für mich hochgradig bedauerlich,
dass es nicht gelungen ist, einen fraktionsübergreifenden
Antrag zu Bildung für nachhaltige Entwicklung zu verab-
schieden. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte ihre Bereit-
schaft zur Kooperation signalisiert. Doch die Koalition
aus CDU und SPD hat es vorgezogen, Oppositionsfrak-
tionen auszuklammern und einen eigenen Weg zu
beschreiten. Schade! Das Resultat, als Kompromiss der
Regierungsfraktionen, dieser vorliegende Antrag „UN-
Dekade ,Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ weiterhin
aktiv umsetzen – Folgeaktivitäten zur UNESCO-Weltkon-
ferenz entwickeln“ ist dann auch kaum dazu geeignet,
laute Begeisterung hervorzurufen. Den Geist der Innova-
tion atmet er sicher nicht. Dennoch halten wir den hier
verfolgten Ansatz, ganz im Gegensatz zu dem Antrag von
der Linken, für vertretbar.

Gerade in der Bildungspolitik darf es keine Opposition
um der Opposition willen geben – zumindest nicht von
uns Liberalen. Wir stimmen dem Ziel zu, mit diesem An-
trag die UNESCO-Weltkonferenz Bildung für nachhaltige
Entwicklung in Deutschland zu begrüßen.


Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621428200

Ab kommenden Dienstag lädt Deutschland als Gastge-

ber zur UNESCO-Weltkonferenz „Bildung für nachhal-
tige Entwicklung“ nach Bonn. Mit dieser Konferenz fällt
der Startschuss für die zweite Halbzeit der UN-Dekade
gleichen Namens. „Bildung für nachhaltige Entwick-
lung“, das wäre ein guter Anlass, die Nachhaltigkeit des
eigenen, des deutschen Bildungssystems auf den Prüf-
stand zu stellen und Verbesserungen einzufordern. Statt-
dessen beschränkt sich der vorliegende Antrag der Gro-
ßen Koalition auf (im Übrigen ungerechtfertigte)

Lobeshymnen und unverbindliche und schwammige Ab-
sichtserklärungen. Chance verpasst, kann ich Ihnen da
nur sagen.
Zu Protokoll
Die Linke versteht die Forderung nach nachhaltiger
Bildung dagegen als umfassende Aufgabe – und vor die-
sem Hintergrund definieren wir in unserem Antrag drei
Herausforderungen: Erstens: Bildung ist nur dann nach-
haltig, wenn alle gleichermaßen an Bildung teilhaben
können. Noch so löbliche Vorzeigeprojekte helfen nicht
wirklich weiter, wenn es nicht gelingt, diese Errungen-
schaften in die Fläche zu übertragen und den Projektcha-
rakter zu überwinden. Zweitens braucht bessere Bildung
auch bessere Rahmenbedingungen. Mit der UN-Dekade
„Bildung für nachhaltige Entwicklung“ werden hehre
Ziele formuliert, die auch meine Fraktion unterstützt. Was
aber sind solche Zielsetzungen wert, solange im deut-
schen Bildungssystem Ganztagsschulen noch immer
nicht die Regel sind, es an Lehrerinnen und Lehrern man-
gelt, zu wenig Kleinkinder einen Krippen- und/oder Kita-
platz erhalten, Tausende Jugendliche ohne Ausbildungs-
platz im Regen stehen gelassen werden, jede bzw. jeder
Zehnte die Schule ohne Abschluss verlässt oder die Be-
treuungsquote an den Hochschulen immer weiter sinkt?
Es reicht nicht, die Proklamation der Ziele zu bejubeln, es
ist Aufgabe der Politik, für bessere Rahmenbedingungen
in der Bildung zu sorgen. Nicht zuletzt wäre es notwendig,
dass Bildung endlich als gesamtstaatliche Aufgabe von
Bund und Ländern wahrgenommen und die Bildungs-
kleinstaaterei überwunden wird.

Die dritte Herausforderung betrifft die inhaltliche
Seite der Bildung: Ziel der UN-Dekade ist es unter ande-
rem auch mithilfe der Bildung zu einer sozialen und de-
mokratischen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen.
Damit dieses Ziel gelingt, muss vieles geändert werden.
Bildungsinstitutionen müssen durch umfassende Mitbe-
stimmungsrechte aller Beteiligten grundlegend demokra-
tisiert werden. Lernende sollen nicht mehr in Konkurrenz
zueinander lernen müssen, sondern gemeinsam und soli-
darisch. Es reicht nicht, Demokratie zu lehren; das eigene
Leben demokratisch mitbestimmend zu gestalten, muss
für junge Mensch ganz konkret erfahr- und praktizierbar
sein.

Die Linke setzt sich dafür ein, dass diese drei Heraus-
forderungen umgesetzt werden. Nur dann kann die UN-
Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ernsthaft
zu einem Erfolg werden. Anstelle von unverbindlichen
Absichtserklärungen, richten wir in unserem Antrag kon-
krete Forderungen an die Bundesregierung. Dazu gehört
insbesondere die Erhöhung der Bildungsausgaben auf
mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und
das so schnell als irgend möglich und nicht irgendwann.

Auch strukturell liegt einiges im Argen. Ganz oben auf
der Tagesordnung muss die Abschaffung des gegliederten
Schulsystems und die Einführung von Gemeinschafts-
schulen stehen, in denen alle Kinder und Jugendlichen
gemeinsam lernen und individuell gefördert werden. In
der beruflichen Bildung muss jeder und jede Jugendliche
durch eine gesetzliche Umlagefinanzierung das Recht auf
einen Ausbildungsplatz erhalten, und das Studium darf
nicht zu einem Privileg für Reiche verkommen.

Wer die Ziele der UN-Dekade „Bildung für nachhal-
tige Entwicklung“ wirklich ernst nimmt, muss aber vor
allem mit dem größten Übel im deutschen Bildungssystem



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

aufräumen: der erschreckenden sozialen Ungleichheit.
Internationale Bildungsvergleichsstudien haben immer
wieder belegt, dass Kinder aus bildungsfernen Haushal-
ten, mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen
im deutschen Bildungssystem ausgegrenzt und fallen ge-
lassen werden. Diese Erkenntnisse dürfen nicht einfach
hingenommen werden. Es muss das oberste Ziel der Bil-
dungspolitik sein, diese Ungerechtigkeit aufzuheben und
das Recht auf Bildung für alle durchzusetzen. Das ist für
uns Linke der Maßstab, an diesem werden wir Erfolg und
Misserfolg dieser Dekade in unserem Land messen.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621428300

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die interna-

tionale Gemeinschaft zur UNESCO-Weltkonferenz „Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung“ nach Bonn eingela-
den hat und vorher mit dem VENRO-Kongress „Global
Learning, weltwärts and beyond“ die Möglichkeit eröff-
net, die internationale Sichtweise von Nichtregierungsor-
ganisationen in die Weltkonferenz einzubringen. Es ist
gut, dass der Deutsche Bundestag diese Konferenz zum
Anlass nimmt, über den Stand der Umsetzung zur Halb-
zeit der UN-Dekade in Deutschland eine Zwischenbilanz
zu ziehen.

Bei der Umsetzung kommt es vor allem darauf an,
nicht nur interessante Dekade-Projekte auszuzeichnen,
sondern – und hier sind insbesondere die 16 Länder und
deren Bildungsministerien gefragt – eine Umsteuerung
im Bildungssystem, im Curriculum, in der Aus- und Fort-
bildung der Lehrkräfte und im Hochschulwesen vorzu-
nehmen.

Der Bildungsleitgedanke der Nachhaltigkeit und neue
Anforderungen an das Lernen in einer international ver-
netzten Lebenswelt sind in den nationalen Bildungsbe-
richten, die alle zwei Jahre im Auftrag der Ständigen
Konferenz der Kultusminister der Länder und des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung erstellt wer-
den, immer noch kein Thema. So wird Bildung für nach-
haltige Entwicklung auch im jüngsten Bildungsbericht
nicht erwähnt, ebenso wenig im Fortschrittsbericht 2008
der Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstra-
tegie.

Wir müssen nicht nur in Deutschland unsere Hausauf-
gaben erledigen, um das Leitbild einer zukunftsfähigen
Entwicklung in unserem Bildungswesen wirkungsvoll zu
verankern, sondern auch einen Beitrag dazu leisten, das
Menschrecht auf Bildung durchzusetzen und die Ziele
„Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und „Bildung für
alle“ weltweit zu einem wirkungsvollen Programm zu
verbinden.

Die Schritte auf dem Weg zur Erreichung des 2. Mil-
lenniumsziels – Grundbildung für alle – sind unge-
nügend. Bis ins Unerträgliche wachsende Klassengrö-
ßen, unzureichende Lernbedingungen, fehlende oder
völlig unterqualifizierte Lehrerinnen und Lehrer und
keine Priorisierung bei den Mittelzuweisungen in natio-
nalen Haushalten oder im Rahmen der internationalen
Zusammenarbeit stärken die Befürchtungen, dass dieses
Millenniumsziel nicht erreicht wird. Wobei eines auch
Zu Protokoll
klar sei muss: Nicht nur die Quantität darf eine Rolle
spielen, sondern auch die Lerninhalte!

Auch der UNESCO-Weltbildungsbericht 2009 macht
überdeutlich, dass den großen Worten der Weltgemein-
schaft angemessene Taten noch fehlen. Immer noch gehen
75 Millionen Kinder weltweit nicht zur Schule, in Afrika
südlich der Sahara sind es sogar fast ein Drittel aller
Kinder. 16 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung
können nicht lesen und schreiben. Zwei Drittel dieser An-
alphabeten sind Frauen. Die Weltgesellschaft ist hin-
sichtlich ihrer Bildungssysteme nicht zukunftsfähig. Da-
bei haben sich 164 Länder im Jahr 2000 auf dem
Weltbildungsforum in Dakar verpflichtet, sechs Bildungs-
ziele bis zum Jahr 2015 zu erreichen: Ausbau der früh-
kindlichen Förderung und Erziehung, Grundschulbil-
dung für alle Kinder weltweit, Absicherung der
Lernbedürfnisse von Jugendlichen und Erwachsenen,
Halbierung der Analphabetenrate unter Erwachsenen,
Gleichberechtigung der Geschlechter und Verbesserung
der Bildungsqualität.

Der UNESCO-Weltbildungsbericht macht die riesigen
Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern deut-
lich und zeigt, dass es immer noch die gleichen Gründe
sind, die dazu führen, dass die gesteckten Ziele verfehlt
werden: erstens unzureichende Einkommen, zweitens Be-
nachteiligung von ethnischen Gruppen sowie Mädchen
und Frauen, drittens Sprachendiskriminierung und vier-
tens Ausschluss von Behinderten.

Die nationalen Regierungen müssen höhere Investi-
tionen in Bildung vornehmen und Anreize für Mädchen
und benachteiligte Gruppen setzen. Um nur ein Beispiel
zu nennen: Wer nimmt denn ernst, dass fast 10 Prozent
der Mädchen deshalb die Schule abbrechen, weil es in
den Schulen keine oder keine getrenntgeschlechtlichen
Toiletten gibt, die Schülerinnen aber zur Körperhygiene
während ihrer Menstruation eine private Sphäre brau-
chen? Mit dem Bau separater Schultoiletten durch
UNICEF konnte zum Beispiel in Bangladesch der Schul-
besuch von Mädchen um 11 Prozent erhöht werden.

Selbstverständlich muss auch mehr Gewicht auf die
Qualität von Bildungsinhalten gelegt und Toleranz, ge-
genseitiger Respekt und demokratisches Verhalten einge-
übt werden.

Die Verletzung von Kinderrechten in anderen Teilen
der Welt darf den Blick auf die Situation in Deutschland
nicht verstellen. In unserem Land existiert ein nicht zu
übersehender Zusammenhang zwischen sozialer Her-
kunft sowie Migrationshintergrund und Bildungserfolg
und damit ein markanter Unterschied hinsichtlich der In-
anspruchnahme des Bildungsangebotes. Die Studie „Un-
genutzte Potenziale“ von 2009 hat in jüngster Zeit die
prekäre Situation für die (meisten der) fast 20 Prozent der
deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund dar-
gestellt: „Zugewanderte sind im Durchschnitt schlechter
gebildet, häufiger arbeitslos und nehmen weniger am öf-
fentlichen Leben teil als die Einheimischen.“ Dies hat
meines Erachtens zwei verschiedene Ursachen. Zum ei-
nen gibt es Eltern, die es sich tatsächlich nicht leisten
können, ihren Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen,
und zum anderen gibt es Eltern, die das Angebot nicht in



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid
Anspruch nehmen wollen! Gegen beides muss etwas un-
ternommen werden, da hierdurch den Kindern Chancen
genommen werden. Wichtig wäre eine hinreichende Inte-
gration von Migrantinnen und Migranten in die Gestal-
tung unserer Bildungsprozesse.

Eine erfolgreiche Bildungspartizipation ist ein wichti-
ges Element der präventiven Armutsbekämpfung. Da-
rüber hinaus kann eine wirksame Strategie nur durch
vernetzte und nachhaltige Zusammenarbeit der unter-
schiedlichen Träger und Einrichtungen für Bildung und
Sozialarbeit ihre Kraft entfalten. Gleichzeitig gilt: Ohne
ausreichende Bildung ist Integration nahezu unmöglich.

Eigentlich bedürfte es keines besonderen Hinweises
darauf, dass in das Menschenrecht auf Bildung auch
Menschen mit Behinderung eingeschlossen sind. Aber
Menschen mit Behinderung gehören zu den Gruppen, die
in den Bemühungen zur Umsetzung der Bildung für nach-
haltige Entwicklung, in der Millenniumserklärung und in
den Zielen des Weltbildungsforums in Dakar 2000 kaum
Berücksichtigung finden. Nach Schätzungen der UNESCO
besuchen in Entwicklungsländern weniger als 1 bis 5 Pro-
zent der Kinder mit Behinderung eine Schule. 97 Prozent
der Erwachsenen mit Behinderung sind Analphabeten.
Der Umgang mit behinderten Menschen in unserem eige-
nen Bildungssystem entspricht durchaus nicht den
Grundvorstellungen von Gerechtigkeit und Zukunfts-
fähigkeit. 85 Prozent der Kinder mit sonderpädagogi-
schem Förderungsbedarf sind in Sonderschulen unterge-
bracht und nur 15 Prozent werden an allgemeinbildenden
Schulen unterrichtet.

Hans Jonas hat in seinem Buch „Das Prinzip Verant-
wortung“ einen neuen kategorischen Imperativ geprägt:
„Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten
Fortbestand der Menschen auf Erden, handele so, dass
die Wirkungen Deiner Handlung verträglich sind mit der
Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Wenn unser Bildungssystem in der Lage wäre, diesen Im-
perativ zu vermitteln, wären wir einen großen Schritt in
unserem Bemühen um Zukunftsfähigkeit und Gerechtig-
keit in unserer Gesellschaft vorangekommen.

A
Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1621428400


Die UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung
nähert sich ihrer Halbzeit. In Deutschland können wir auf
fünf Jahre erfolgreiche Umsetzung zurückblicken.

Zahlreiche Projekte und Initiativen aus allen Bil-
dungsbereichen tragen zur Verankerung dieses wichtigen
Themas bei. Allein über 800 Projekte konnten bislang als
offizielle Dekade-Projekte ausgezeichnet werden. Die
Umsetzung der Dekade in Deutschland gilt international
als vorbildlich. Dies ist sicherlich ein wesentlicher Grund
dafür, warum die UNESCO die Einladung des Bundesmi-
nisteriums für Bildung und Forschung angenommen hat,
die Halbzeitkonferenz in Deutschland abzuhalten.

Vom 31. März bis 2. April 2009 werden insgesamt
rund 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über
150 UNESCO-Mitgliedstaaten zu dieser Konferenz in
Bonn erwartet. Hier geht es vor allem darum, sich über
Zu Protokoll
das Erreichte auszutauschen und die strategischen Leit-
linien für die weitere Arbeit in der zweiten Hälfte der De-
kade zu beraten. Die Teilnahme von über 50 Ministerin-
nen und Ministern aus aller Welt unterstreicht die große
Bedeutung der UN-Dekade und der Bonner Weltkonfe-
renz.

Warum misst die Bundesregierung dem Thema Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung eine so große Bedeu-
tung bei? Was ist der besondere Beitrag der Bildung für
nachhaltige Entwicklung für die Bewältigung der großen
Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland und
weltweit stehen?

Leitbilder einer nachhaltigen Entwicklung sind dauer-
hafter Wohlstand, die langfristige Verfügbarkeit von Res-
sourcen sowie Bedingungen, die weltweit eine soziale
Teilhabe möglichst vieler Menschen ermöglichen. Der
Bildung für nachhaltige Entwicklung kommt dabei eine
Schlüsselrolle zu.

Nachhaltige Entwicklung umfasst zahlreiche Felder
des politischen Handelns. Zuallererst geht es darum, dass
wir alle lernen müssen, mit den begrenzt vorhandenen na-
türlichen Ressourcen sorgfältiger umzugehen. Hierbei ist
ein Ausgleich zwischen den Ländern des Nordens und des
Südens eine grundlegende Frage der Gerechtigkeit.

Darüber hinaus macht insbesondere die gegenwärtige
weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich, dass
wir prinzipiell darüber nachdenken müssen, wie wir
unser Handeln verändern müssen, um nachhaltiges
Wachstum zu erreichen. Gerade dieser Aspekt von
Nachhaltigkeit – das nachhaltige wirtschaftliche Han-
deln – rückt nun verstärkt auch in das öffentliche Inte-
resse.

Hier gibt es hervorragende Beispiele unter den
800 ausgezeichneten Dekade-Projekten. So lernen zum
Beispiel Schülerinnen und Schüler in sogenannten Schü-
lerfirmen nachhaltiges Wirtschaften. In einem Projekt,
das sich KonsumGlobal nennt, werden von Jugendlichen
für Jugendliche Stadtführungen zum Thema nachhaltiger
Konsum und Globalisierung angeboten. Jugendliche be-
kommen einen Einblick in die Auswirkungen und Zusam-
menhänge unseres Konsumverhaltens, beispielsweise
indem sie lernen, die Weltreise einer Jeans vom Baum-
wollfeld bis zum Ladentisch nachzuvollziehen.

Ein Schwerpunkt der Aktivitäten des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung für Bildung für nach-
haltige Entwicklung ist die Bereitstellung einer Plattform
für alle Beteiligten durch die Förderung der Deutschen
UNESCO-Kommission. So wurde eine „Organisations-
struktur“ mit einem Nationalkomitee, einem Runden
Tisch und thematischen Arbeitsgruppen fest etabliert und
insbesondere auch die Zusammenarbeit vielfältiger Ak-
teure aus Politik und Zivilgesellschaft sichergestellt.

Darüber hinaus engagiert sich das BMBF für die Inte-
gration von Bildung für nachhaltige Entwicklung in ver-
schiedenen Bildungsbereichen. Lassen sie mich exempla-
risch drei Beispiele herausgreifen:

Die Neuordnung der beruflichen Ausbildung durch die
Schaffung neuer und die Modernisierung bestehender



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Andreas Storm
Berufe ist eine kontinuierliche Aufgabe des BMBF. Unser
Ziel ist es, die Erlangung von Gestaltungs- und Hand-
lungskompetenzen im Sinne der Zusammenführung wirt-
schaftlicher Leistungsfähigkeit, des Schutzes der natürli-
chen Lebensgrundlagen und sozialer Verantwortung als
übergreifende berufliche Qualifikationsanforderung in
die Ausbildungsordnungen aufzunehmen.

Mit dem Rahmenprogramm „Forschung für Nachhal-
tigkeit“ fördert das BMBF gezielt Innovationen für eine
nachhaltige Entwicklung. Im Mittelpunkt stehen die vier
Aktionsfelder Nachhaltigkeit in Industrie und Wirtschaft,
nachhaltige Konzepte für Regionen, nachhaltige Nutzung
von Ressourcen und Strategien für gesellschaftliches
Handeln. Das Programm verbindet dabei technologi-
schen Fortschritt mit gesellschaftlichen Prozessen und
zielgerichtetem Transfer in das Bildungssystem.

Des Weiteren fördern wir auch in diesem Kontext ge-
zielt den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ein Beispiel da-
für ist das Fachprogramm des DAAD „Studieren und
Forschen für die Nachhaltigkeit“. Mit dieser Maßnahme
werden die internationale Fachkommunikation, Qualifi-
zierung und Forschung zu ausgewählten Themenberei-
chen der Nachhaltigkeitsforschung wie beispielsweise
Land- und Forstwirtschaft, biogene Ressourcen, Wasser
unterstützt.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass von der Halbzeitkon-
ferenz deutliche Impulse für die zweite Hälfte der UN-De-
kade ausgehen werden und damit zur nachhaltigen Ent-
wicklung auf der ganzen Welt beigetragen werden kann.
Bildung für nachhaltige Entwicklung verdient entschie-
den mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Zurzeit wird dieses
Thema noch zu häufig lediglich in Fachzirkeln diskutiert.
Wir müssen insbesondere durch Beispiele guter Praxis
mehr Menschen für Bildung für nachhaltige Entwicklung
interessieren. Die Weltkonferenz und die zweite Hälfte der
Dekade bieten uns die große Chance, dieses Interesse
hervorzurufen und Bildung für nachhaltige Entwicklung
fest in unserem Bildungssystem zu implementieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621428500

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den

Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 16/12450? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/12306. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP
gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grü-
nen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 26:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Strommarkt durchgreifend regulieren – Ener-
giepreissenkungen durchsetzen
– Drucksache 16/11908 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben: Dr. Pfeiffer, Hempelmann, Kopp, Hill, Höhn.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1621428600

„Alle Jahre wieder …“ heißt es in dem uns allen be-

kannten Kinderlied. Das wäre schön, wenn es nur alle
Jahre vorkommen würde. Aber Anträge der Linken, Teile
der Wirtschaft in Deutschland öffentlich zu kontrollieren
oder am besten gleich zu verstaatlichen, kommen inzwi-
schen täglich. Im Energiebereich waren es erst die Netze,
jetzt sind es die Strompreise. Morgen wollen sie wahr-
scheinlich auch noch den Stromverbrauch staatlich regu-
lieren. Was sie fordern, ist nichts anders, als das Rad der
Geschichte wieder zurückzudrehen. Davor kann ich nur
warnen.

Stein ihres Anstoßes sind Preiserhöhungen von einigen
Energieversorgern in Deutschland bei gleichzeitigen
Preissenkungen auf den Brennstoffmärkten, also bei
Steinkohle und Erdgas. Daraus ziehen Sie den Schluss,
dass die Märkte nicht funktionieren, Missbrauch
herrscht, Monopolstellungen ausgenutzt werden und ge-
nerell die Preise nichts mit Angebot und Nachfrage zu tun
haben. Es wäre wirklich schön, wenn die Welt so einfach
wäre! Leider ist das nicht so, und ich erkläre Ihnen auch
gerne, warum.

Wer heutzutage Strom produziert, ist darauf angewie-
sen, seinen Brennstoff auf dem Markt zu kaufen. Schon im
Interesse der Versorgungssicherheit unseres Landes wer-
den diese Brennstoffe langfristig erworben. Das bedeutet,
dass der Preis für Kohle oder Erdgas zu einem Zeitpunkt
vereinbart wird, der lange vor dem tatsächlichen Ver-
brennen liegt. Kauft man heute Brennstoff günstig ein,
kann man seinem Kunden frühestens im nächsten oder
übernächsten Jahr einen guten Preis bieten.

Eine andere Option sind Preisanpassungsformeln.
Viele Verträge vereinbaren einen Basispreis und eine ela-
borierte Preisformel, die zum Beispiel die Inflation oder
erhöhte Lohnkosten beinhaltet. Und diese Formeln ver-
weisen dann auch sehr häufig auf den Preis eines anderen
Gutes. Sehr viele langfristige Gaslieferverträge sind zum
Beispiel an den Preis für Öl gekoppelt. Folglich werden
die Veränderungen im Referenzwert dann nur zeitverzö-
gert weitergegeben. So ist es üblich, dass sich der Gas-
preis an den Ölpreis nach einem halben Jahr anpasst.
Wenn jetzt der Ölpreis sinkt, fallen die Gaspreise erst in
einigen Monaten. Als der Ölpreis aber vor einem Jahr
stieg, stiegen die Gaspreise auch erst mit einem halben
Jahr Verzögerung. Wir reden hier über normale Markt-
vorgänge und nicht über Abzockerei.

Da kommen wir schon zum zweiten Aspekt, nämlich
dem Vorwurf der unkontrollierten Bereicherung. Mir ist
unklar, woher der Gedanke kommt, dass es keine Kon-


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
trolle der großen Stromversorgungsunternehmen gibt.
Kaum einer anderen Branche hat der Staat so viele ver-
schiedene Kontrollinstanzen auferlegt wie dem Energie-
handel. Neben der Bundesnetzagentur, und der Bundes-
anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, haben
auch die Kartellämter der Länder und des Bundes sowie
die Wettbewerbsdirektion der Europäischen Kommission
ein genaues Auge auf alle Aktivitäten der Unternehmen.
Der Antrag erwähnt selbst die Untersuchungen der Kom-
mission. Genau hier zeigt sich doch, dass es kein Schlupf-
loch, keinen Persilschein für Energieversorgungsunter-
nehmen gibt. Wenn unlauter gehandelt wird, wird
dagegen durch die zuständigen Behörden vorgegangen.

Daher brauchen wir keine Strompreisaufsichtsbehörde
mehr. Diese Behörde wurde abgeschafft, um überhaupt
den Weg für einen Energiemarkt frei machen zu können.
Die Strompreisaufsicht ist nämlich nicht die Rettung vor
einer monopolisierten Versorgungswirtschaft, sie ist ein
wesentliches Element davon. Wenn die Preise zentral
staatlich festgelegt werden, gibt es keinen Anreiz, besser
und billiger zu werden. Es gibt keinen Anreiz, sich als
neuer Versorger auf dem Markt etablieren zu wollen. Es
gibt keinen Anreiz, als Kunde zu einem anderen Versorger
zu wechseln, schließlich haben alle den gleichen Preis.
Wir wollen aber nicht mehr die behäbigen Staatsmonopo-
listen von einst. Wir wollen Unternehmen, die im Wettbe-
werb um Kunden stehen, sich gegenseitig zu mehr Effi-
zienz treiben, sorgen aber zugleich mit unseren Regeln
dafür, dass die Sicherheit der Energieversorgung nicht
gefährdet wird. Nur so können wir auch Teil eines euro-
päischen Marktes sein, weil genau das auch das Leitmo-
tiv der gesamten europäischen Energiepolitik ist. Es wäre
fatal, aus dem europäischen Konzert auszuscheiden: Der
Weg ist richtig, und wir müssen ihn weitergehen.

Schließlich unterstellt der Antrag der Linken, dass der
Strommarkt „hochspekulativ“ ist, sich die Beteiligung
von Banken, Finanzdienstleistern und Hedgefonds als
sehr nachteilig erweist und der „Derivatehandel“ verbo-
ten gehört. Das ist Quatsch! Der Strommarkt ist ein Wa-
renmarkt, das bedeutet, dass Waren hergestellt und ver-
kauft werden; der Markt sorgt dafür, dass Hersteller und
Abnehmer – bzw. beim Strom meistens Weiterverteiler –
einander treffen. Weil die Elemente der Preisbildung und
die sehr stabile Abnehmerstruktur weitestgehend bekannt
sind, bietet sich der Markt für Spekulation gerade nicht
an. Die allermeisten Teilnehmer haben nämlich ein Pro-
dukt, das sie verkaufen wollen – sogar müssen –, oder
brauchen genau dieses Produkt für ihre eigenen Endkun-
den. Die Märkte sind also von echten physischen Interes-
sen getrieben. Die Rolle von anderen Spielern auf dem
Markt, wie Banken, ist weiterhin stark beschränkt. Zu-
gleich handelt es sich aber um eine wichtige Rolle. Denn
Banken bringen dem Markt die dringend benötigte Liqui-
dität. Jeder wird wohl der These zustimmen, dass ein
Markt umso besser ist, je mehr Marktteilnehmer es gibt.
Damit steigt die Chance, zu einem beliebigen Zeitpunkt
kaufen oder verkaufen zu können. Was hilft es, einen
Markt zu haben, wenn ich keinen Handelspartner finde?
Banken helfen hier, sie ermöglichen mehr Handel. Natür-
lich verdienen Banken daran, das ist aber auch legitim,
weil sie einen Service für den Markt bieten. Sie ergänzen
Zu Protokoll
die klassischen Marktteilnehmer, konkurrieren aber nicht
mit ihnen. Denn letztlich wird der Strom irgendwann von
einem Kraftwerk physisch produziert und von einem Ver-
braucher abgenommen. Banken helfen nur bei der richti-
gen Allokation.

Ein Missverständnis scheint schließlich auch in dem
Konzept des Derivatemarktes zu liegen. Es würde an die-
ser Stelle viel zu weit führen, den Begriff des Derivates
korrekt abzugrenzen. Aber anscheinend soll der Termin-
handel mit Strom damit gemeint sein. Wer vom Stromhan-
del redet, spricht automatisch von Terminhandel. Denn
der Strom, den ein Kraftwerk produziert, muss vor der
Produktion schon verkauft sein. Er ist schließlich nicht
lagerbar. Kann ein Kraftwerksbetreiber seinen Strom
nicht verkaufen, wird er seinen Brennstoff nicht verbren-
nen. Es ist daher nicht nur vernünftig, sondern praktisch
notwendig, dass Strom langfristig verkauft wird. Nur so
können letztlich auch die Versorgungssicherheit und ein
stabiler Strompreis für die Endkunden garantiert werden.
Der diffamierte Derivatehandel ist also ein Instrument
des Stromhandels, das auf Grund der Nichtlagerbarkeit
absolut zwingend ist. Und das gilt auch für den echten
Derivatehandel, also rein finanzielle Produkte. Denn
auch diese Produkte dienen nicht der Spekulation son-
dern der Absicherung von Preisen für Hersteller und Ab-
nehmer, sie erzeugen also wirtschaftliche Planbarkeit.

Ein letztes Missverständnis räume ich auch noch
gerne aus: Sinken die Preise etwa, weil die Banken und
Hedgefonds sich aus dem Stromhandel zurückgezogen
haben? Nein, natürlich nicht! Die Preise sinken, weil die
Nachfrage aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise sinkt.
Es wird weniger gearbeitet, da wird weniger Strom benö-
tigt. Und das Gleiche gilt auch für die Brennstoffe, auch
hier sinkt die Nachfrage, sodass die Preise nach unten ge-
hen.

Wahrscheinlich haben Sie nicht viel davon verstanden
oder verstehen wollen, aber ich fasse es Ihnen trotzdem
gerne nochmals zusammen:

Eine Strompreisaufsicht einzuführen, vernichtet Wett-
bewerb, statt ihn zu stärken. Gegen missbräuchlich über-
höhte Verbraucherpreise gehen die Wettbewerbsbehör-
den vor.

Den Derivatehandel zu verbieten, hieße, dem Strom-
handel seine dringend benötigte Langfristigkeit zu neh-
men. Aber nur durch Langfristigkeit können stabile Ver-
sorgung und auch stabile Preise geschaffen werden.

Die Kontrolle des gesamten Stromhandels einer öffent-
lichen Einrichtung zu übergeben, ist unnötig, da der ge-
samte Handel bereits einer entsprechenden Kontrolle
durch staatliche Stellen unterliegt. Jede Regulierung
sollte im Übrigen immer im europäischen Kontext ge-
schehen.

Den Stromhandelsmarkt nur für Unternehmen zu öff-
nen, die „unmittelbar physische Stromgeschäfte“ durch-
führen wollen, hieße, dem Markt dringend benötigte Li-
quidität zu entziehen. Die Folge wären deutlich
schwankendere Preise und gerade damit eine höhere At-
traktivität für spekulative Geschäfte.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
Den Spotmarkt – der Strombörsen oder aller kurzfris-
tiger Geschäfte? – vollständig den Regeln des Wertpa-
pierhandelsgesetzes, WpHG, zu unterwerfen, bedeutete
eine erstickende Überregulierung eines Marktes. Müss-
ten dann auch Obsthändler auf einem Großmarkt dem
WpHG unterworfen werden, wenn sie Äpfel verkaufen?
Im Übrigen gilt: Wenn Spotmarktpreise manipuliert wer-
den sollten, haben sowohl die Börsenaufsicht als auch die
Wettbewerbsbehörden die Möglichkeit, einzugreifen, ein
Kontrollvakuum besteht also nicht.

Aber diese Fakten werden Sie nicht wahrhaben wollen,
da sie Sie nur in Ihrer Parallelwelt stören. Darum wird es
an dieser Stelle leider auch weiterhin heißen: „Alle Tage
wieder …“


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1621428700

Der vorliegende Antrag der Linken versucht, einen

ausschließlichen Zusammenhang zwischen den Strom-
preiserhöhungen am Jahresanfang und einem Markt-
machtmissbrauch durch die großen Energieversorgungs-
unternehmen herzustellen, den es in dieser Reinform
sicher nicht gibt. Es ist zweifellos richtig, dass zahlreiche
Stromvertriebe ihre Preise Anfang 2009 erhöht haben.
Die meisten Vertriebe haben – ganz unabhängig davon,
ob sie zu einem Großkonzern gehören oder nicht – ihren
Strom für 2009 zu einem kleinen Teil bereits im Jahr 2007
und zum überwiegenden Anteil im ersten Halbjahr 2008
beschafft. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Groß-
handelspreise zu dem Zeitpunkt deutlich über denen von
heute lagen. Die Linken begründen dies nun ausschließ-
lich mit einem Missbrauch der Marktmacht durch die
großen vier EVUs und vergessen, einen Zusammenhang
zwischen den hohen Öl- und Gaspreisen, den – als Folge
des weltwirtschaftlichen Wachstums – hohen CO2-Zerti-
fikatepreisen und den Strompreisen an der EEX herzustel-
len.

Der Vorwurf, Eon und RWE hätten in der Vergangen-
heit ihre – zweifelsohne vorhandene – Marktmacht miss-
braucht, ist sicher durchaus richtig. Die mittlerweile
gegen Auflagen eingestellten Verfahren der EU-Kommis-
sion bestätigen dies. Seither hat sich jedoch sehr viel in
Sachen Transparenz insbesondere auf dem deutschen
Strommarkt getan. Die Transparenzinitiative wird auch
2009 mit einer gemeinsamen Internetplattform bei der
EEX weiter fortgesetzt. Was den Bereich der Strom- und
Gasnetze angeht, so konnte nach mehreren Jahren Regu-
lierung durch die Bundesnetzagentur sowie durch gesetz-
geberisches Handeln wie die Kraftwerksnetzanschluss-
verordnung ein diskriminierungsfreier Netzzugang
weitgehend hergestellt werden.

Die von den Linken in fast jedem Antrag zur Energie-
politik wiederholte Forderung nach einer Wiedereinfüh-
rung einer Strompreisaufsicht bei den Ländern wird auch
dadurch nicht richtiger, dass man sie gebetsmühlenartig
wiederholt. Was falsch ist, bleibt falsch! Die staatliche
Preisaufsicht hat sich immer nur auf den Vertrieb bezo-
gen. Hier hilft uns kein Rückfall in die staatliche Preis-
aufsicht, sondern nur mehr Wettbewerb. Im Strom-End-
kundenmarkt kommt dieser Wettbewerb mittlerweile sehr
gut in Gang. Im Jahr 2007 haben rund 1,3 Millionen
Zu Protokoll
Stromkunden den Versorger oder zumindest den Tarif ge-
wechselt. Eine staatliche Preisaufsicht würde diesen ge-
rade aufkeimenden Wettbewerb gleich wieder zunichte
machen. Die jüngsten Untersuchungen des Internetpor-
tals Verivox zeigen sogar, dass sich der Wettbewerb im
Endkundenmarkt im Strom- wie im Gasmarkt 2008 so gut
wie noch nie entwickelt hat. Im Durchschnitt kann jeder
Kunde in Deutschland zwischen 53 Strom- und acht Gas-
anbietern wählen und so bis zu 400 Euro im Vergleich
zum Tarif des Grundversorgers sparen.

Mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen haben wir dem Bundeskartellamt mehr
Macht im Kampf gegen missbräuchlich überhöhte End-
kundenpreise eingeräumt. Das ist der richtige Weg – und
er zeigt erste Erfolge, wie die ebenfalls auflagenbewehrte
Einstellung des Missbrauchsverfahrens gegen 29 Gas-
versorger bis Anfang Dezember 2008 gezeigt hat.
127 Millionen Euro müssen über eine zweimonatige Ver-
schiebung der Preiserhöhung und Boni in diesem Jahr an
die Kunden zurückgegeben werden. Weitere Verfahren
gegen Gasversorger stehen nach Aussage des Bundeskar-
tellamtes kurz vor dem Abschluss. Im Strommarkt hat das
Bundeskartellamt dagegen noch gegen keinen einzigen
Versorger ein Missbrauchsverfahren eröffnet. Auch das
ist ein Indiz dafür, dass es mit dem Wettbewerb dort so
schlecht nicht bestellt ist.

Die von den Linken geforderte staatliche Preisaufsicht
auf Länderebene konnte die Verbraucher dagegen schon
in der Vergangenheit nicht vor Preiserhöhungen schützen
und sie wird dies auch in Zukunft nicht können. Die
Energiekostenentwicklung der vergangenen Jahre stellt
für immer mehr Haushalte eine ganz erhebliche Belas-
tung dar – auch wenn die Energiepreise jetzt konjunktur-
bedingt fallen. Die Menschen erwarten von der Politik,
Handlungsoptionen aufgezeigt zu bekommen. Dabei soll-
ten wir der Bevölkerung jedoch keine unhaltbaren
Versprechungen machen. In Zeiten einer wachsenden
globalen Energienachfrage und gleichzeitig knapper
werdender Ressourcen wäre es falsch, Hoffnungen auf
dauerhaft niedrige Energiepreise zu wecken.

Nationale Politik kann auf die Preisentwicklung auf
den Weltmärkten nur sehr bedingt Einfluss nehmen. Sie
kann aber dabei mithelfen, wenn schon nicht die Preise,
so doch die Kostenbelastung für die Verbraucher im be-
zahlbaren Rahmen zu halten. Ganz oben auf der Tages-
ordnung muss deshalb stehen, gleichen Lebenskomfort
bei sinkendem Energieverbrauch zu ermöglichen. Die
Koalition hat ihre Energie- und Klimapolitik auf diese
Maxime ausgerichtet. Ein wesentlicher Pfeiler unserer
Politik ist das integrierte Energie- und Klimaprogramm,
in dem wir zahlreiche Maßnahmen aus allen Politikberei-
chen gebündelt haben. Kraft-Wärme-Kopplung und der
verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien im Strom- und
Wärmesektor verringern unsere Importabhängigkeit und
mindern die Energiekostenbelastung der privaten Haus-
halte.

Schon seit Jahren schaffen wir darüber hinaus mit dem
CO2-Gebäudesanierungsprogramm Anreize zur energeti-
schen Gebäudesanierung. Allein im vergangenen Jahr
wurden mehr als 100 000 zinsgünstige Kredite und Zu-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
schüsse mit einem Volumen von 6,4 Milliarden Euro für
energetische Sanierungen oder energiesparende Neubau-
ten zugesagt. Seit 2006 konnten rund 800 000 Wohnungen
energieeffizient saniert oder neu errichtet werden.
Gleichzeitig mit der dauerhaften Entlastung der Haus-
halte bei ihrer Energiekostenrechnung werden damit seit
2006 jährlich bis zu 220 000 Arbeitsplätze in der mittel-
ständischen Bauwirtschaft und im lokalen Handwerk ge-
sichert. Im Rahmen des ersten Konjunkturprogramms hat
die Koalition die Mittel für die CO2-Gebäudesanierung
für 2009 bis 2011 um je 580 Millionen Euro auf rund
1,5 Milliarden Euro jährlich aufgestockt.

Ein weiteres Element des integrierten Energie- und
Klimaprogramms ist das ebenfalls bereits verabschiedete
Gesetz zur Liberalisierung des Zähl- und Messwesens.
Anfang 2010 haben Endkunden das Recht, sich intelli-
gente Strom- und Gaszähler einbauen zu lassen. Damit
schaffen wir Transparenz über den tatsächlichen Ener-
gieverbrauch und eröffnen neue Möglichkeiten zur
gezielten Last- und Verbrauchssteuerung. In das Gesetz
haben wir auch die Pflicht für Energieversorgungsunter-
nehmen aufgenommen, spätestens Ende 2010 tageszeit-
oder lastvariable Tarife anbieten zu müssen. Damit eröff-
nen sich für Verbraucher und Energieversorger neue
Möglichkeiten.

Diesen Weg gilt es fortzusetzen, beispielsweise durch
Ausweitung des Contractings auf den Mietwohnbereich.
Contracting ist die Brücke ins Zeitalter der Energie-
dienstleistungen, ermöglicht ein professionelles Manage-
ment der Energieverbräuche und generiert – wenn es gut
ausgestaltet ist – Einsparungen von Energiekosten. Wir
wollen deshalb möglichst noch in dieser Wahlperiode
eine Regelung zur Erleichterung von Contracting im
Mietwohnbereich verabschieden.

Im Rahmen des noch für diese Legislaturperiode ge-
planten Energieeffizienzgesetzes wollen wir darüber hi-
naus einen Energieeffizienzfonds einrichten, der paritä-
tisch aus öffentlichen und privaten Mitteln gespeist wird.
Mit Mitteln aus diesem Fonds sollen vor allem eine Ener-
giesparberatung insbesondere finanzschwacher privater
Haushalte sowie ein anschließender Zuschuss für den
Austausch alter Haushaltselektrogeräte durch neue
Geräte mit der jeweils höchsten Energieeffizienzklasse
finanziert werden.

Sie werden verstehen, dass wir aus all diesen Gründen
den vorliegenden Antrag ablehnen.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1621428800

Der Antrag der Fraktion Die Linke ist für mich ein Bei-

spiel, wie man aus einer Analyse des deutschen Strom-
marktes, der ich teilweise zustimme, dennoch vollständig
falsche Schlussfolgerungen ziehen kann. Auch die FDP-
Bundestagsfraktion hat immer kritisiert, dass der deut-
sche Strommarkt in seiner wettbewerblichen Struktur im-
mer noch erhebliche Defizite aufweist. Solange wir auf
der Erzeugerebene ein Duopol von zwei Versorgern ha-
ben, bleibt auch der Spielraum für Preiswettbewerb auf
den folgenden Absatzstufen begrenzt.
Zu Protokoll
Nichtsdestotrotz finden wir in diesen Grenzen auf der
Endverbraucherstufe heute durchaus lebhaften Wettbe-
werb. Wer hier den richtigen Tarif wählt, kann mehr spa-
ren als die im Antrag der Linken aufgeführten Mehrkos-
ten von bis zu 80 Euro im Jahr, die als Preiserhöhung von
einigen Energieversorgern gefordert werden.

Für die grundlegenden Strukturen des Wettbewerbs
auf dem deutschen Strommarkt bleibt aber richtig, dass
wir hier dringend Veränderungen brauchen. Die FDP-
Bundestagsfraktion hat daher in ihren Anträgen wieder-
holt eine Stärkung des Bundeskartellamtes gefordert und
eine Erweiterung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen um das Recht, bei Missbrauch einer markt-
beherrschenden Stellung auch eine horizontale oder ver-
tikale Entflechtung vornehmen zu können. Ob sich der
von der europäischen Kommission gegenüber Eon er-
zwungene Verkauf eines Teils seiner Kraftwerkskapazitä-
ten positiv auf dem Markt auswirken wird, bleibt abzu-
warten.

Bedauerlich ist, dass sich auch bei der Auflösung der
zahlreichen Verflechtungen zwischen den großen Ener-
gieversorgern und Stadtwerken noch keine durchgrei-
fende Verbesserung zeigt. Der Verkauf der Thüga kommt
anscheinend nicht voran.

Statt an den Wurzeln des Problems, nämlich dem feh-
lenden Wettbewerbs bei der Stromproduktion anzusetzen,
will der Antrag der Fraktion Die Linke an den Sympto-
men kurieren. Die vorgeschlagene Rückkehr zu einer
Strompreisaufsicht bei den Ländern mag populär sein,
eine Lösung für das Preisproblem wird sie in keinem Fall
bringen. Die Strompreisaufsicht würde uns zurück in den
Zustand vor der Liberalisierung katapultieren. Genau
diese Aufsicht hat es nicht verhindern können, dass die
Strompreise in Deutschland zu Beginn der Liberalisie-
rung zu den höchsten Europas zählten. Die Kontrolleure
bei den Ländern waren den kontrollierten Unternehmen
vom Wissensstand jederzeit unterlegen. Das Ganze war
nichts anderes als ineffziente Basarökonomie.

Für den Wettbewerb käme die Rückkehr zur Preisauf-
sicht einer Katastrophe gleich. Neue Stromanbieter und
Händler würden zusammen mit den von ihnen geschaffe-
nen Arbeitsplätzen wieder vom Markt gefegt. Das Recht
des Verbrauchers, sich seinen Stromanbieter auszusu-
chen, wäre bei einem Einheitspreis Makulatur. Der ge-
samte Energiehandel würde gegen die Wand gefahren.
Denn steigen die Erzeugerpreise infolge von Preissteige-
rungen auf dem Markt für CO2-Zertifikate, so müsste der
Stromhandel im Einkauf höhere Preise zahlen, könnte
aber diese Preissteigerungen nicht mehr an die Endkun-
den weitergeben. Das heißt, die Stromhändler würden
hohe Verluste aufhäufen. Damit würde genau die Situa-
tion erzeugt, die in Kalifornien zum Zusammenbruch der
Stromversorgung geführt hat.

Die Forderung, den gesamten Stromhandel einschließ-
lich außerbörslichen Geschäften einer öffentlichen Ein-
richtung zu übertragen, zeigt was wirklich gewollt ist,
nämlich eine De-facto-Verstaatlichung der Stromwirt-
schaft. Dazu passt auch die Forderung der Fraktion Die
Linke, die Energienetze in staatliches Eigentum zu über-
führen. Dass der Staat mit einem Anteil von fast 40 Pro-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
zent an den Stromkosten der Haushalte bereits heute der
größte Preistreiber ist, bleibt leider unerwähnt.

Die FDP-Bundestagsfraktion ist dafür, dass Marktmacht
dort, wo sie von marktbeherrschenden Unternehmen ausge-
übt wird, effektiv kontrolliert wird und gegen Missbrauch
durch das Kartellamt oder die EU-Kommission streng vor-
gegangen wird. Wichtige Handelseinrichtungen wie die
Strombörse EEX müssen mit Aufsichtssystemen gekoppelt
werden, die Preismanipulation verhindern können. Des-
halb fordern wir eine Marktbeobachtungsstelle, die in der
Lage ist, die Handelsprozesse an der Börse zu überwa-
chen und einem Manipulationsverdacht sofort nachzuge-
hen. Die Handelsteilnehmer als solche zu beschränken,
bringt dagegen nichts. Damit wird nur Handelsliquidität
vom Markt genommen. Der Handel über zukünftige
Preise ist aufgrund der erforderlichen Prognosen immer
spekulativ, egal wer an diesem Handel beteiligt ist.

Die richtige Botschaft sollte also nicht der Ruf nach
mehr Staat sein, sondern bessere wettbewerbliche Struk-
turen und strikte Missbrauchsaufsicht.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621428900

Die Konjunktur bricht ein. Die Leute verlieren ihre

Jobs. Schon wird Lohnverzicht gefordert und selbst Autos
erhalten „Sozialhilfe“. Nur die Stromkonzerne machen
weiter wie bisher. Auch Anfang 2009 stiegen die Strom-
rechnungen wieder einmal um 10 Prozent – als gäbe es
keine Krise. Das ist für Die Linke völlig inakzeptabel. Das
ist Diebstahl per Steckdose.

Schlimmer noch: Dieser Feldzug gegen die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher wird maßgeblich von der
Bundesregierung betrieben. Erstens: CDU/CSU und
SPD haben die Strompreisaufsicht Mitte 2007 abge-
schafft. Seit diesem Zeitpunkt verteuert sich elektrische
Energie doppelt so schnell. Denn niemand sieht dem Kar-
tell hinter der Steckdose mehr auf die Finger. Zweitens:
Wirksame Maßnahmen der EU-Kommission gegen die
Energiekonzerne zur Eindämmung der Monopolwirt-
schaft werden von der Bundesregierung gezielt verhin-
dert. Erst diese Woche hat sie einen Vorschlag Brüssels
zur Zerschlagung des Stromkartells zu Fall gebracht –
ganz nach dem Wunsch von Eon, RWE und Co. Drittens:
die Große Koalition sieht dem Treiben von Hedgefonds
und Banken an der Strombörse EEX tatenlos zu. Dort
werden durch den Handel mit Derivaten künstliche
Strompreise erzeugt, die weit über den nachvollziehbaren
Stromgestehungskosten liegen. Die Strombörse war bis
zur Wirtschaftskrise nichts anderes als eine Gelddruck-
maschine für Spekulanten. Die Wirtschaftskrise selbst ist
der beste Beleg für die Zockerei an der EEX. Kaum geht
den Hedgefonds und Banken das Geld aus, sinkt der Han-
delspreis auf ein Drittel.

Beim Blick auf die Stromrechnung reiben sich nun
viele Verbraucherinnen und Verbraucher die Augen. Die
Spekulanten sind pleite und trotzdem drehen RWE und
Eon an der Preisschraube. Der Grund: Viele Stadtwerke
und Regionalversorger mit geringer Eigenversorgung
mussten sich weit im Voraus mit verfügbarem Strom vom
Markt eindecken. Sie bekommen jetzt die Energie gelie-
fert, die sie vor einem Jahr teuer kaufen mussten. Preis-
Zu Protokoll
senkungen sind deshalb erst ab Herbst zu erwarten. Des-
halb müssen wir jetzt den Spekulanten das Handwerk
legen. Ein Verbot des hoch spekulativen Derivatehandels
durch Hedgefonds und Banken verhindert eine erneute
Preisspirale nach oben, bevor diese wieder Spielgeld ha-
ben. Das ist doch klar: Hedgefonds kaufen keinen Strom,
um ihre Büros mit elektrischer Energie zu versorgen, son-
dern um 30 Prozent Profit zu machen. Das Stromgeschäft
gehört zurück in die Hände der Stadtwerke, und der Mo-
nopolwirtschaft der Konzerne muss durch eine wirksame
Preisaufsicht ein Ende bereitet werden.

Die Linke fordert deshalb eine wirksame Strompreis-
aufsicht mit Zuständigkeit bei den Ländern einzuführen,
der gegenüber die Energieversorger die Zusammenset-
zung aller Tarife vorab offenlegen müssen. Gleichzeitig
soll ein Verbraucherbeirat den Stromkundinnen und
Stromkunden ein Mitspracherecht gewährleisten und in
deren Interesse die behördliche Tätigkeit zu überwachen;
den Derivatehandel sowie Hedgefonds an der Strombörse
zu verbieten und die Kontrolle des gesamten Stromhan-
dels einschließlich außerbörslicher Geschäfte einer öf-
fentlichen Einrichtung zu übertragen; am Stromhandels-
markt nur Teilnehmer zuzulassen, die unmittelbar
physische Stromgeschäfte durchführen, und den Spot-
markt für den kurzfristigen Handel vollständig den Re-
geln des Wertpapierhandelsgesetzes zu unterwerfen, um
unzulässige Preisauftriebe für den langfristigen Termin-
markt zu unterbinden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich endlich auf
die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stel-
len, um die Abzocke per Steckdose zu beenden.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621429000

Steigende Energiepreise sind ein soziales Problem und

ein wichtiges Thema. Wir haben darüber an dieser Stelle
schon oft diskutiert – mindestens vierzehnmal in den letz-
ten drei Jahren. Vierzehnmal wurde die Preistreiberei der
Energiekonzerne gescholten, vierzehnmal der mangelnde
Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten beklagt.
Vierzehnmal wurde auf die prekäre Situation einkom-
mensschwacher Haushalte hingewiesen und vierzehnmal
Energiesparen als Lösung eingefordert. Und noch eines
war in allen Debatten gleich: Vierzehnmal wurde die Un-
tätigkeit der Bundesregierung kritisiert und das geschah
jedes Mal zu Recht.

Über 80 Prozent der Stromversorgung werden von den
vier großen Energiekonzernen beherrscht, und die Bun-
desregierung tut nichts, um dieses Kartell aufzubrechen.
Die Übertragungsnetze gehören zu 100 Prozent den glei-
chen vier Konzernen, und wenn es nach der Bundesregie-
rung geht, wird das auch immer so bleiben. Sie haben
nichts getan, um den Konzernen die Macht über die Netze
zu nehmen, und jede Initiative abgeblockt, die darauf ab-
zielte. Sie haben tatenlos zugesehen, wie die Energiekon-
zerne den Verbrauchern Jahr für Jahr Milliarden für ge-
schenkte Emissionszertifikate in Rechnung stellten, statt
diese unverdienten Profite abzuschöpfen und an die Ver-
braucher zurückzuerstatten. Und Sie haben auch Hin-
weise auf Manipulationen an der Leipziger Strombörse
nicht zum Anlass genommen, endlich durchzugreifen.
Das Ergebnis dieser Politik sind fehlender Wettbewerb,



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
unfaire Preise und Energiekonzerne, die schalten und
walten können, wie sie wollen.

Genauso ernüchternd sieht Ihre Bilanz beim Thema
Energieeffizienz aus. Dabei ist mehr Energieeffizienz
nicht nur ein Weg, die Energiekosten der Verbraucher zu
senken. Investitionen in mehr Energieeffizienz sind auch
das beste Konjunkturpaket: Sie schaffen Arbeitsplätze,
modernisieren unsere Wirtschaft und sparen Ressourcen.
Doch statt eine Energiesparoffensive zu starten, lähmt
sich die Bundesregierung im Streit zwischen Umweltmi-
nister und Wirtschaftsminister.

Die Umsetzung der europäischen Energieeffizienz-
Richtlinie ist jetzt schon seit über zehn Monaten überfäl-
lig. Das hat der Bundesregierung schon einen blauen
Mahnbrief aus Brüssel eingebracht. Und das Energie-
effizienzgesetz der Bundesregierung musste im Kabinett
schon dreimal ergebnislos vertagt werden. Notwendig
wären die Einrichtung eines Energiesparfonds, ein ver-
pflichtendes Energieaudit für energieintensive Unterneh-
men und die Vorgabe verbindlicher Einsparziele für die
Energieversorger. Indem sie nichts davon beschließt, ver-
gibt die Bundesregierung die Chance, die Verbraucherin-
nen und Verbraucher zu entlasten, das Klima zu schützen
und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Freuen können sich
darüber nur die Energiekonzerne, die an niedrigeren En-
ergierechnungen kein Interesse haben.

Die Bundesregierung ist entweder nicht willens oder
nicht fähig, mehr Energieeffizienz, faire Preise und ech-
ten Wettbewerb durchzusetzen. Ich fürchte, daran wird
auch eine fünfzehnte oder sechzehnte Bundestagsdebatte
nichts ändern. Da hilft nur eine neue Bundesregierung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621429100

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/11908 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.

Tagesordnungspunkt 27:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Mitteilung der Kommission an das Europäi-
sche Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den
Ausschuss der Regionen Gemeinsame Planung
der Forschungsprogramme: bessere Bewälti-
gung gemeinsamer Herausforderungen durch

(inkl. 11935/08 ADD 1 und 11935/08 ADD 2)

KOM(2008) 468 endg.; Ratsdok. 11935/08

– Drucksachen 16/10286 Nr. A.76, 16/12416 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Müller (Braunschweig)

René Röspel
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Krista Sager
Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben: Carsten Müller, Röspel, Pieper, Dr. Sitte,
Sager.


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1621429200

In Deutschland und Europa kann unsere Zukunft nur in

der Entwicklung hin zur Dienstleistungs- und Wissensge-
sellschaft liegen. Nur so können wir in Zeiten zunehmen-
der Globalisierung im direkten Wettbewerb mit anderen
Großwirtschaftsräumen wie Asien oder Nordamerika be-
stehen.

Die Vernetzung der zahlreichen Spitzenforschungsein-
richtungen Europas zu einem Europäischen Forschungs-
raum ist daher ein wichtiges Element zur besseren Nut-
zung unserer wissenschaftlichen Ressourcen. Nur so kann
langfristig eine Sicherung von Arbeitsplätzen und damit
die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden.
Wesentliche Elemente zur Verwirklichung eines Europäi-
schen Forschungsraums sind dabei das EU-Forschungs-
rahmenprogramm und das 3-Prozent-Ziel für Forschung
und Entwicklung. Die CDU/CSU-Bundestagfraktion setzt
sich darüber hinaus dafür ein, dass wir in Deutschland
10 Prozent des BIP für Bildung und Forschung erreichen.

Die Bundesregierung mit unserer Ministerin Dr.
Annette Schavan und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
unterstützen diese Bemühungen. Denn Freiheit und Mo-
bilität sind immer Grundlage für herausragende Wissen-
schaft und Forschung. Nur mit Exzellenz und Innovation
haben wir den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Herausforderungen der Zukunft etwas entgegenzusetzen.

Auch die EU Kommission versucht, den Europäischen
Forschungsraum weiter zu entwickeln. In Ihrer Mittei-
lung zur „Gemeinsamen Programmplanung“ empfiehlt
sie, die Koordinierung der nationalen Forschungspro-
gramme auf EU-Ebene zu verstärken. Diesen neuen An-
satz der EU-Forschungszusammenarbeit begründet die
Kommission vor allem damit, dass die bisherigen Bemü-
hungen der Koordinierung unzureichend seien.

Diese Feststellung der Kommission ist undifferenziert
und unzutreffend. Wir haben durch unsere Bemühungen
bereits viel erreicht, um die Leistungsfähigkeit des euro-
päischen Forschungsraumes zu erhöhen. Die Mitglied-
staaten haben in den letzten Jahren erhebliche Anstrengun-
gen unternommen, um die nationalen Förderprogramme in
ihrer Wirksamkeit zu verbessern und die internationale
Zusammenarbeit zu verstärken. Dass diese Bemühungen
erfolgreich sind, zeigen die Ergebnisse der regelmäßigen
unabhängigen Evaluierungen.

Die Methode der offenen Koordinierung hat sich in
diesem Zusammenhang als sehr erfolgreich erwiesen. Im
Vordergrund steht dabei die freiwillige Zusammenarbeit
der einzelnen Mitgliedstaaten und der Erfahrungsaus-
tausch anhand modellhafter und bewährter Beispiele aus
der Praxis (best practice). Auf diese Art der Politikkoor-
dinierung wurde beispielsweise ein Reform- und Diskus-
sionsprozess auf einzelstaatlicher Ebene in Gang gesetzt,
der als Ergebnis nationale FuE-Investitionszielvorgaben
in allen Mitgliedstaaten vorweisen kann.


(A) (C)



(B) (D)


Carsten Müller (Braunschweig)

Darüber hinaus besteht in bestimmten Gebieten be-
reits eine enge Vernetzung bzw. Koordination, unterstützt
durch das derzeitige 7. Forschungsrahmenprogramm so-
wie weitere europäische Initiativen, wie dem Europäi-
schen Forschungsrat und dem Europäischen Institut für
Forschung und Technologie.

Verbindliche Regelungen für die Einrichtung von
Strukturen sind wichtig für eine effiziente gemeinschaftli-
che Forschung in Europa. Derzeit ist aber keine Notwen-
digkeit für die Einführung weitergehender Steuerungs-
maßnahmen zu erkennen. Vielmehr ist es wichtig,
zunächst die neuen Instrumente der Forschungskoordi-
nierung auf ihre Wirksamkeit hin durch eine Evaluierung
zu gegebener Zeit zu überprüfen. Dies gilt für die Einrich-
tung des Europäischen Forschungsrats (ERC) und die
Errichtung des Europäischen Instituts für Innovation und
Technologie (EIT). Vor der Einführung neuer Verfahren
muss in jedem Fall sichergestellt werden, dass keine wei-
teren bürokratischen Hürden und finanziellen Belastun-
gen für die Mitgliedstaaten entstehen.

In einer Videokonferenz mit EU-Forschungskommis-
sar Potocnik hatte man den Eindruck, dass auch die Kom-
mission selbst nicht genau weiß, was sie will. Die EU-
Kommission blieb sehr im Ungefähren und hat damit kei-
nen Anlass gegeben, Kompetenzen an sie abzugeben.
Denn Kompetenzen gibt man nur dann ab, wenn man der
Überzeugung ist, dass sie auch kompetent ausgefüllt wer-
den.

Die geplanten Maßnahmen müssen in jedem Fall si-
cherstellen, dass die Entscheidungsfreiheit der einzelnen
Mitgliedstaaten über Art und Inhalt der nationalen For-
schung unangetastet bleibt. Die Kommission darf sich auf
diesem Weg keine zusätzlichen Kompetenzen wie zum
Beispiel die abschließende Entscheidung über Aufbau
und Standort von Forschungsinfrastrukturen aneignen.
Eine solche Vorgehensweise verletzt das Subsidiaritäts-
prinzip. Die Planung der Forschungsschwerpunkte der
Mitgliedstaaten ist keine originäre Aufgabe der EU-Kom-
mission. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf diesem
Weg finanzielle Mittel aus den bestehenden Programmen
entzogen werden. Will die EU eigene Instrumente imple-
mentieren, muss sie dafür auch eigenes Geld in die Hand
nehmen.

Die Einführung von weiteren Maßnahmen zulasten der
finanziellen Ausstattung von laufenden Programmen ist
kontraproduktiv und schwächt die positive Entwicklung
des Europäischen Forschungsraumes. Geld muss grund-
sätzlich in Maßnahmen und konkrete Projekte gesteckt
werden und nicht in Strukturen. Es gilt zu verhindern,
dass die sowieso schon als koordinierendes Element sehr
stark bürokratisch belastete EU nicht weitere Verwal-
tungsstrukturen aufbaut, die Kosten und Aufwand verur-
sachen. Dies öffnet Tür und Tor für einen Zugriff auf die
Kompetenzen der Mitgliedstaaten und möglicherweise
auf finanzielle Mittel, die für andere gemeinsame For-
schungsprogramme der Mitgliedstaaten vorgesehen wa-
ren.

Es gibt genug andere Ideen, die zu verfolgen sich
lohnt. Mit dem ERC und dem EIT wird bereits ein hohes
Maß an Forschungskoordinierung umgesetzt. Das macht
Zu Protokoll
den Europäischen Forschungsraum effektiv und schlag-
kräftig, gibt Impulse für neue Innovationen. Eine Konzen-
trierung ist gut zur Stärkung der Forschung. Sie darf aber
nicht bevormunden.

Besonders bei Großprojekten ist eine europaweite Zu-
sammenarbeit und in diesem Rahmen eine Vernetzung
sinnvoll und wünschenswert, da die einzelnen Mitglied-
staaten solche Aufgaben aufgrund ihres Umfangs nicht
alleine schultern können. Von einer generellen Festle-
gung von Forschungsthemen seitens der europäischen
Ebene ist jedoch dringend abzusehen. Das bisher gel-
tende und durch den Europäischen Verfassungsvertrag
weiter gestärkte Prinzip der Subsidiarität darf in diesem
Zusammenhang ebenfalls nicht verletzt werden. Vor dem
Hintergrund unserer ureigenen nationalen Interessen
kann eine zentral von Brüssel ausgehende Zuweisung von
Forschungsgebieten und Forschungsthemen nicht akzep-
tiert werden.

Die EU-Mitgliedstaaten befinden sich im Bereich der
Forschung nicht nur mit anderen Wirtschaftsräumen,
sondern auch untereinander im Wettbewerb. Nicht zuletzt
hat die nationale Festlegung von Forschungsschwer-
punkten ebenfalls enorme Auswirkungen auf die wirt-
schaftliche Leistungsfähigkeit und somit auch auf den
Arbeitsmarkt unseres Landes. Deutschland ist heute in
vielen Forschungsbereichen im weltweiten Vergleich füh-
rend. Eine zentralisierte Planung würde den Verlust von
Technologieführerschaft nach sich ziehen, mit direkten
negativen Auswirkungen auf unseren Wirtschaftsstandort
und unseren Arbeitsmarkt.

Forschung und Entwicklung sind wichtig – besonders
auch in Zeiten der wirtschaftlichen Krise. Die kommen-
den Herausforderungen an unsere Gesellschaft sind be-
reits heute bekannt: demografischer Wandel, begrenzte
Energieressourcen, Pandemien. Wir haben jetzt die
Chance, uns durch intensive Forschungs- und Entwick-
lungsinvestitionen darauf vorzubereiten und eine techno-
logische Spezialisierung zu erreichen. Darin liegt die Zu-
kunft der Mitgliedstaaten und der EU. Daher ist es umso
bedeutsamer, dass sich die Mitgliedstaaten in diesem Be-
reich stark aufstellen können, um so der Krise erfolgreich
zu begegnen.

Der Europäische Forschungsraum ist ein wichtiges
Element zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas
im globalen Wettbewerb um Innovationen und Technolo-
gien. Deutschland ist Teil dieses Forschungsraumes und
unterstützt die gemeinsame Koordinierung auf der Ebene
der EU. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von For-
schung und Innovation hat sich in unserer Gesellschaft
durchgesetzt. Heute sind drei von vier Europäern davon
überzeugt, dass Forschung und Entwicklung unsere Zu-
kunft sichern. Diese positive Haltung dürfen wir durch
eine Überregulierung nicht ohne Not aufs Spiel setzen.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1621429300

Das Europäische Parlament hat 2006 für den Zeit-

raum des 7. Forschungsrahmenprogramms von 2007 bis
2013 über 50 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln be-
reitgestellt. Das ist mehr als eine Verdoppelung des
Budgets des 6. Rahmenprogramms. Mit diesen Geldern



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
werden zum Beispiel die Zusammenarbeit von Wissen-
schaftlern aus verschiedenen Ländern zu einem Thema
unterstützt oder die Grundlagenforschung von Spitzen-
nachwuchswissenschaftlern durch den Europäischen
Forschungsrat finanziert. Im Durchschnitt gibt die Euro-
päische Kommission bis 2013 jedes Jahr circa
7 Milliarden Euro für Forschung aus. Das ist viel Geld,
aber auch gut angelegtes.

Das diesjährige Budget des deutschen Ministeriums
für Bildung und Forschung liegt, nach einer ordentlichen
Steigerung, bei über zehn Milliarden Euro. Davon gehen
3,5 Milliarden in die Projektförderung und 3,9 Milliarden
Euro werden für die Förderung der großen Forschungs-
einrichtungen verwendet. Hinzu kommen Gelder der
Bundesländer. Natürlich finanzieren auch alle anderen
europäischen Mitgliedstaaten nationale Forschungspro-
jekte, einige mehr, andere weniger. Circa 85 Prozent aller
öffentlichen Forschung wird innerhalb der Europäischen
Union auf nationaler Ebene geplant und finanziert. Im
Verhältnis dazu wirkt das 7. Forschungsrahmenpro-
gramm somit gleich viel kleiner.

Es gibt Themen, die aufgrund ihrer Komplexität oder
auch wegen ihrer gesellschaftspolitischen oder interna-
tionalen Bedeutung forschungspolitisch nicht von einem
Staat allein gelöst werden können. Ein Beispiel wäre die
Forschung im Bereich des Klimawandels, denn dies be-
trifft alle Staaten. Aber auch die Finanzierung von Groß-
projekten wie X-FEL bei Hamburg kann nur von mehre-
ren Staaten gemeinsam geleistet werden. Deshalb
arbeitet Deutschland mit vielen Ländern, auch außerhalb
der Europäischen Union, im Bereich Forschung bereits
jetzt sehr eng zusammen.

Die Europäische Kommission ist der Meinung, dass
die Forschungskooperation stärker ausgebaut werden
müsste. Und da das meiste Geld für Forschung, wie oben
beschrieben, nicht durch die Kommission, sondern durch
die Mitgliedsstaaten vergeben wird, sollen die Mitglied-
staaten ihre Programme besser aufeinander abstimmen.
Sie empfiehlt, auf der Basis der Freiwilligkeit und der va-
riablen Geometrie gemeinsame Forschungsprogramme
zu definieren, zu entwickeln und umzusetzen. Die „Koor-
dinierung der Koordinierung“ will die Kommission dabei
selbst übernehmen.

Prinzipiell ist der Aufruf zu einer engen For-
schungskooperation natürlich zu begrüßen. Und sie ist in
der Praxis ja auch schon alltägliches und notwendiges
Geschäft. Wir als SPD glauben aber, dass der von der
Kommission vorgeschlagene Weg nicht der richtige ist.
Damit stehen wir nicht allein. In Vorbereitung für diesen
Entschließungsantrag haben wir alle deutschen For-
schungsorganisationen um eine Stellungnahme gebeten.
Herr Professor Rietschel beispielsweise, Präsident der
Leibniz-Gemeinschaft, bringt es in seiner Antwort auf
den Punkt: „Auch ich betrachte die derzeitigen for-
schungspolitischen Entwicklungen in Europa in Teilen
mit Sorge.“ Alle Forschungsorganisationen sehen die
von der Kommission propagierte Gemeinsame For-
schungsplanung eher kritisch.

Anbei möchte ich einige der Hauptkritikpunkte aus den
Antwortschreiben nennen, die wir teilen: die fehlende
Zu Protokoll
Einbindung der Wissenschaft in die Themensuche; der
Aufbau neuer Instrumente, anstatt auf bereits bestehende
zurückzugreifen bzw. diese zu reformieren; die starke
Rolle der EU-Kommission, bei gleichzeitiger finanzieller
Enthaltsamkeit, besonders da man aus der Erfahrung
weiß, dass gemeinsame Koordinierung einen erhöhten
Verwaltungs- und Kostenaufwand zur Folge hat; die Ge-
fahr der Unübersichtlichkeit und Intransparenz der EU-
Forschungsförderung durch die Auslagerung auf eine
weitere Exekutivagentur mit eigenem Management und
Regeln; die mögliche Diskontinuität des Bereiches „Ko-
operation“ im 8. Forschungsrahmenprogramm.

Solche einstimmige Kritik ist selten und darf nicht
überhört werden. Aus diesem Grund haben wir SPD-For-
schungspolitiker gemeinsam mit den Kollegen aus der
Union den vorliegenden Antrag in den Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung einge-
bracht. Besonders gefreut hat es mich, dass dieser dort
einstimmig, sprich von allen Fraktionen des Deutschen
Bundestages, beschlossen wurde. Auch der Bundesrat
und die Bundesregierung haben bereits zur Gemeinsa-
men Programmplanung kritisch Stellung bezogen. Die
Gemeinsame Programmplanung wird somit sowohl von
der gesamten deutschen Wissenschaft wie auch allen For-
schungspolitikern als kritisch eingeschätzt.

Die Bundesregierung hat bereits im Dezember letzten
Jahres ihre Kritik an der Gemeinsamen Programmpla-
nung in Brüssel sehr deutlich vorgetragen. Ein Resultat
war die Schlussfolgerung des Wettbewerbsrates vom
2. Dezember 2008, in der einige deutsche Verbesserungs-
vorschläge aufgenommen wurden. Grundlegende Pro-
bleme bestehen an der Gemeinsamen Programmplanung
aber nach wie vor. Entscheidend wird jetzt sein, wie sich
die Detaildiskussionen entwickeln. Wir schicken die Bun-
desregierung jetzt mit Forderungen und einem starken
Mandat in diese Verhandlungen. Wir wollen, dass erst die
Erfahrungen und Evaluationen mit den neu geschaffenen
Initiativen und Einrichtungen abgewartet werden, bevor
neue Maßnahmen aufgebaut werden.

Und wir wollen bei aller Sinnhaftigkeit Gemeinsamer
Programmplanung die Kompetenz der Mitgliedstaaten
bei der Forschungsförderung und das Subsidiaritätsprin-
zip wahren.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal darauf hin-
weisen, dass auch das forschungsstarke Deutschland in
den letzten Jahrzehnten von der europäischen For-
schungsförderung sehr profitiert hat. Deshalb ist uns zum
Beispiel auch die Zukunft des Forschungsrahmenpro-
gramms sehr wichtig. Es geht uns hier also nicht darum,
die gesamte EU-Forschungsförderung zu kritisieren.
Aber wenn das Konzept der EU-Kommission für eine Ge-
meinsame Programmplanung im so großen, die europäi-
sche Idee mittragenden Mitgliedstaat Deutschland so
klar von Wissenschaft und Politik abgelehnt wird, dann
muss auch in Brüssel umgedacht werden.

Erlauben Sie mir bitte an dieser Stelle einmal, meinem
Mitarbeiter Richard Müller für die Recherche und Vorbe-
reitung dieser Rede ganz herzlich zu danken.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1621429400

Um eines gleich voranzustellen: Meine Fraktion und

ich stehen hinter der Ihnen heute zur Abstimmung vorlie-
genden Beschlussempfehlung. Wir stimmen dieser zu.

Grundsätzlich begrüße ich es, wenn innerhalb des
Europäischen Forschungsraumes gemeinsame Forschungs-
programme durchgeführt werden. Das fördert nicht nur
die Zusammenarbeit der nationalen Wissenschafts- und
Forschungsakteure der EU-Mitgliedstaaten bei der Be-
antwortung all jener wichtigen Fragestellungen, die aus
der Sicht eines Staates nicht oder nur unter erheblichem
Mitteleinsatz bearbeitet werden können. Trotzdem müs-
sen wir innerhalb der EU der 27 das Subsidiaritätsprin-
zip beachten. Die Europäische Gemeinschaft ist erst ge-
fragt, wenn der einzelne Nationalstaat seine Aufgaben
nicht mehr aus eigener Kraft lösen kann, oder die Auf-
gabe von gesamteuropäischem Interesse ist und von vorn-
herein den Einzelnen überfordern würde.

In dem uns hier vorliegenden Fall unternimmt die
Kommission unter dem Deckmantel einer Gemeinsamen
Programmplanung aber den Versuch, direkten Einfluss
auf die nationalen Forschungsprogramme auszuüben,
ohne überhaupt ein Signal für eine grundsätzliche finan-
zielle Beteiligung zu geben. Brüssel beabsichtigt, anstatt
sich dem Gedanken des Bürokratieabbaus verpflichtet zu
fühlen, neue Hierarchien und Verwaltungsapparate auf-
zubauen. So fließt immer mehr Geld in die Verwaltung als
in die Forschung. Und das finde ich schlichtweg empö-
rend. Was ist das für eine Forschungspolitik, die sagt,
wenn es eines Tages einen entsprechenden europäischen
Mehrwert gibt, dann könnte das später auch eine finan-
zielle Beteiligung der EU bedeuten? Die erheblichen Be-
denken der deutschen Seite – ob aus der Politik oder aus
der Wissenschaftsgemeinschaft – sind Ihnen bekannt.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich spreche mich
nicht gegen den Gedanken der Weiterentwicklung des
Europäischen Forschungsraums und der europäischen
Forschungslandschaft aus. Die Forschungsrahmenpro-
gramme der vergangenen 25 Jahre haben sich als ein
durchaus lernfähiges und immer wieder neu organisie-
rendes System erwiesen und waren erfolgreich. Europa
hat neue Instrumente für die Wissenschaftszusammenar-
beit geschaffen. Genannt seien hier besonders der Aus-
schuss für wissenschaftliche und technologische For-
schung, CREST, das Europäische Forschungsforum,
ERF, der Europäische Forschungsbeirat, ERAB und die
Europäische Wissenschaftsstiftung, EWS. Mit dem Be-
schluss zur Schaffung des Europäischen Forschungs-
raums, EFR, im Jahr 2000 haben wir die Wissenschafts-
und Forschungskooperation auf eine völlig neue Grund-
lage gestellt. Die Ausrichtungen des sechsten und des
siebten Forschungsrahmenprogramms auf die Stärkung
der europäischen Zusammenarbeit haben ihr Ziel nicht
verfehlt.

Doch das, was jetzt hier passiert, können und wollen
wir nicht einfach so hinnehmen! Es ist schlichtweg nicht
wahr, wenn die Kommission behauptet, dass die For-
schungserträge aus den nationalen Forschungsförderun-
gen nicht ausreichen. Das Gegenteil ist der Fall. Und was
Europa angeht: Haben wir nicht gerade erst wieder neue
Zu Protokoll
Einrichtungen wie die Einrichtung des Europäischen
Forschungsrates, ERC, und die Errichtung des Europäi-
schen Institutes für Innovation und Technologie, EIT, in
Budapest beschlossen? Ist es jetzt nicht besser, erst ein-
mal zu sehen, welchen Glanz diese Einrichtungen in un-
sere gemeinsame „europäische Hütte“ bringen?

Ich frage mich auch, ob die geplanten Maßnahmen für
den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten im Euro-
päischen Forschungsraum nicht eher hinderlich sind.
Zerstören sie nicht vielmehr die jedem Wettbewerb inne-
wohnenden mobilisierenden Kräfte? Ich spreche mich
ganz klar und deutlich dafür aus, dass die Kompetenzen
der Mitgliedstaaten bei der nationalen Forschungsförde-
rung uneingeschränkt erhalten bleiben. Eine Planung der
Forschungsprogramme, wie sie die Kommission vor-
schlägt, sollte von der europäischen Agenda verschwin-
den.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621429500

Meine Fraktion muss sich ja häufiger des Vorwurfs er-

wehren, sie agiere europafeindlich. Dies ist mitnichten
der Fall, auch dann nicht, wenn Initiativen europäischer
Gremien und Insititutionen kritisiert werden. Dies hat
kürzlich der gesamte Forschungsausschuss getan, indem
er einstimmig eine kritische Entschließung zum hier dis-
kutierten Papier der EU-Kommission verabschiedet hat.
Da einstimmige Beschlüsse auch im Ausschuss für Bil-
dung und Forschung selten sind, lohnt ein genauer Blick
auf das kritisierte Vorhaben der Kommission.

Die Kommission stellt eine grundlegende Kritik der
Forschungspolitiken der Mitgliedsstaaten an den An-
fang: Förderprogramme, die nicht europaweit oder in
multilateralen Verbünden koordiniert würden, seien „zer-
splittert“ und damit „ineffizient“. Das sind 85 Prozent
der Programme – aus Sicht der EU-Kommission viel zu
viel. Es werde zuviel doppelt geforscht, die Zersplitterung
behindere den freien Wissensaustausch und zudem seien
die nationalen Programme häufig „nicht tiefschürfend“
genug. Im Vergleich mit den USA, so die Kommission, sei
Europa mit solch einer fragmentierten Forschungsland-
schaft nicht wettbewerbsfähig. Daher müsse nun die
Kommission – nicht der Rat oder das Europäische Parla-
ment wohlgemerkt – das Heft des Handelns in die Hand
bekommen und neben den eigenfinanzierten Projekten
des Forschungsrahmenprogramms auch die strategische
Planung und Steuerung der nationalstaatlichen For-
schungsförderung übernehmen.

Den Beweis für die These mangelnder Wettbewerbsfä-
higkeit der europäischen Forschung bleibt die Kommis-
sion jedoch schuldig. Ihre Argumentation fußt auf der
bloßen Behauptung, dass Masse gleich Klasse sei. Wenn
man nur alle nationalen Programme zusammenführe, so
die Argumentation, dann kämen auch die besten Ergeb-
nisse heraus. Dies gilt, so meine ich, für die meisten For-
schungsfelder nicht. Im Gegenteil, es ist gerade die Dif-
ferenz und die Pluralität, die innovatives Wissen
hervorbringt: die Unterschiedlichkeit der Forschungs-
traditionen, die verschiedenen Schwerpunkte, die in den
Ländern gesetzt werden. Das Wettbewerbsprinzip ist der
Wissenschaft inhärent, es wird gerungen um neue Er-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
kenntnisse und um die besten Problemlösungen. Würde
man hier Themen von europäischer Ebene vorgeben und
institutionell zusammenbinden, wäre das für den wissen-
schaftlichen Wettbewerb aus unserer Sicht nicht förder-
lich. Es bleibt offen, worin der echte „europäische Mehr-
wert“ dieser europäischen Top-down-Steuerung besteht.

Der Forschungsausschuss hat zu Recht das Problem
der Subsidiarität angesprochen, denn über Forschungs-
förderung werden Weichen für gesellschaftliche Entwick-
lungspfade gestellt. Der vorliegende Kommissionsent-
wurf birgt die Gefahr, dass den Haushaltsgesetzgebern
der Mitgliedsstaaten die Hoheit über die Forschungsfi-
nanzierung in ihren eigenen Etats abhanden kommt. Der
SET-Plan zur Energieforschung wird als Vorbild für die
Gemeinsame Programmplanung genannt. An diesem
Vorbild lassen sich auch die Gefahren erkennen: Eine von
der KOM gesteuerte Programmplanung im Energiebe-
reich kann bedeuten, dass Deutschland zukünftig hohe
Millionenbeträge in die Entwicklung von neuen Atomre-
aktoren investiert, obwohl unsere Politik am Atomaus-
stieg festhalten will. Solch ein Vorgehen ist nicht demo-
kratisch zu nennen und widerspricht damit dem Prinzip
der Subsidiarität.

Die Kommission beruft sich auf das Konzept des Euro-
päischen Forschungsraums. Die Initiative soll dazu die-
nen, die Mobilität des Wissens als „fünfte Grundfreiheit“
sicherzustellen. Wir als Linke begrüßen das Entstehen ei-
nes europäischen Forschungsraums und erwarten, dass
dieser tatsächlich zu einem Raum des freien Austauschs
und der Mobilität wird. Er soll Rahmen für diesen Aus-
tausch setzen und interne Barrieren abbauen. Zu fragen
ist jedoch, ob damit auch die Ausrichtung der For-
schungsprogramme auf von der Kommission definierte
Großziele verbunden werden muss. Nach den Erfahrun-
gen mit anderen kommissionsgeführten Forschungsini-
tiativen der EU wie etwa den Europäischen Technologie-
plattformen können wir nur unsere Skepsis ausdrücken.
Auch in der gemeinsamen Programmplanung will die
Kommission die Industrie an der Planung und Ausrich-
tung der Programme beteiligen. Es wäre fatal, wenn das
Konzept des Europäischen Forschungsraums unter das
Paradigma des Lissabon-Prozesses und damit der Stand-
ortkonkurrenz mit den anderen großen Wirtschaftsregio-
nen gestellt würde. Dies dient weder einer freien und ge-
sellschaftsverantwortlichen Forschung noch macht es die
Verantwortung Europas zu einer globalen Zusammenar-
beit bei der Lösung wichtiger Fragen wie dem Klimawan-
del oder der grassierenden Armut deutlich.

Der Forschungsausschuss fordert in seiner Entschlie-
ßung zu Recht, dass erst einmal ähnlich gelagerte Initia-
tiven wie ERA-Net oder die genannten Gemeinsamen
Technologieinitiativen in ihren Auswirkungen evaluiert
werden, bevor ein derart weitgreifender Ansatz der Kom-
mission eingebracht wird. Bis Sommer 2009 sollen die
Bereiche für eine gemeinsame Planung ermittelt, bis
Ende 2009 bereits Empfehlungen für die Einleitung von
Initiativen durch die KOM gegeben werden. Dieses Vor-
gehen kann nur als unseriös eingeschätzt werden und
wird dem proklamierten Anspruch eines „langfristigen
und strategischen Prozesses“ in keiner Weise gerecht.
Der Europäische Forschungsraum dient aus unserer
Zu Protokoll
Sicht einer freien Wissenschaft in gesellschaftlicher Ver-
antwortung. Das schließt eine Vielfalt der Förder- und Fi-
nanzierungsstrukturen ein, die möglichst demokratischer
Kontrolle unterliegen sollen.

Die Linke fordert die Bundesregierung auf, die Finan-
zierung und die Strukturen des Forschungsrahmenpro-
gramms zu stärken. Derzeit wird die Ausrichtung des
8. Rahmenprogramms debattiert. Dabei wäre es sinnvoll,
den Bereich „Kooperation“ auch finanziell auszubauen
und fortschrittliche Elemente wie die „Gender Action
Plans“ in das Programm zu integrieren. Zudem ist die
Rolle der Wissenschaft bei der Definition der For-
schungsfelder zu stärken. Europafreundlich zu sein, heißt
engagiert an der Diskussion um europäische Politik teil-
zunehmen. Das hat der Ausschuss mit seiner Entschlie-
ßung geleistet, der wir uns als Linke anschließen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621429600

Es wichtig und richtig, den Europäischen Forschungs-

raum weiterzuentwickeln. Ein weit verzweigter, tragfähi-
ger und dynamischer Europäischer Forschungsraum
braucht dazu effiziente Strukturen und Förderinstru-
mente, die gute Zusammenarbeit und Koordinierung ge-
währleisten. Der Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion aber, hierfür ein neues Instrument, die Gemeinsamen
Programmplanung, zu installieren, wirft zahlreiche Fra-
gen auf.

Der Gemeinsamen Programmplanung liegt die Idee
zugrunde, den Programmplanungsprozess im Europäi-
schen Forschungsraum über die Festlegung von gemein-
samen Themen auf freiwilliger Basis zu steuern. Aber der
dabei von der EU-Ebene favorisierte Top-Down-Ansatz
beim Join-Programming stieß in seiner Ursprungsfas-
sung zu Recht auf Kritik und Widerstand. Denn dieser An-
satz läuft auf eine Zentralisierung europäischer For-
schungsplanung hinaus. Damit würde die EU-Ebene
ihren Machtanspruch überdehnen.

Alle Fraktionen hier im Bundestag sind sich darin ei-
nig, dass dies keine positive Entwicklung gewesen wäre.
Daher war es richtig, dass dieser Ansatz auch von deut-
scher Seite nicht akzeptiert wurde und sich infolgedessen
in seiner ursprünglichen Form auch nicht durchsetzen
konnte. Der Kompromiss sieht nun eine Entschärfung des
Top-Down-Ansatzes vor. Die Gruppe, die die Themenfin-
dung vornimmt, ist – anders als von der Kommission zu-
nächst vorgeschlagen – eine Untergruppe der CREST-
Gruppe. Damit haben die Mitgliedstaaten ihre Entschei-
dungsgewalt über die Themenfindung behaupten können.

Die Kompromissentscheidung, nun einen Prozess der
Gemeinsamen Programmplanung nach dem durch
CREST modifizierten Top-Down-Prinzip anzustreben,
lässt aber immer noch zahlreiche Fragen offen:

Unklar ist zum Beispiel, in welchem Verhältnis die Ge-
meinsame Programmplanung zu anderen, bereits beste-
henden Instrumenten wie dem Siebten Forschungsrah-
menprogramm, dem Europäischen Forschungsrat oder
auch dem EIT steht. Neue Ansätze sind kein Wert an sich,
sie müssen sinnvoll eingebettet sein in die vorhandenen
Instrumente der europäischen Forschungsförderung. Es



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager
macht jedenfalls keinen Sinn, die begrenzten Ressourcen
zur Fortentwicklung der europäischen Forschungsland-
schaft in immer neue Instrumente zu stecken, anstatt be-
währte Strukturen, Institutionen und Programme weiter-
zuentwickeln.

Viele der bestehenden Instrumente haben in der Ver-
gangenheit sinnvolle Impulse gesetzt und leisten bereits
ihren positiven Beitrag für Zielsetzungen, die jetzt mit der
Gemeinsamen Programmplanung umgesetzt werden sol-
len. Die Forschungsrahmenprogramme zum Beispiel
sind äußerst effizient und erfolgreich für die grenzüber-
schreitende Forschungskooperation. Die Forschungs-
rahmenprogramme haben auch dazu beigetragen, dass
Themen von gesamteuropäischer Dimension identifiziert
und inhaltliche Schwerpunkte abgestimmt werden. Wel-
chen zusätzlichen Nutzen und welche neuen Potenziale
soll nun die Gemeinsame Programmplanung als ein wei-
teres Instrument der Koordinierung tatsächlich bringen?

Dieses Problem führt zu einer weiteren offenen Frage.
Bislang ist noch völlig intransparent und schwer vorstell-
bar, wie der Prozess der Themenfindung, die die Gemein-
same Programmplanung leisten soll, tatsächlich erfolgt.
Wie sollen prioritäre Themen in Zukunft konkret identifi-
ziert werden? Nach welchen Kriterien? Welchen Mehr-
wert bringt hier die neue Form der Koordinierung?

Unklar ist ferner die Frage der Finanzierung. Die
Kommission beabsichtigt nicht, sich an der Finanzierung
der Gemeinsamen Programmplanung zu beteiligen. In
dem von der Regierungskoalition vorgelegten Antrag zum
Join-Programming wird hingegen gefordert, dass die
EU-Ebene bei der Finanzierung unterstützen soll, aller-
dings nicht aus bestehenden Forschungsprogrammen.
Die Finanzierungsfrage ist aber völlig offen und die Vor-
stellungen dazu äußerst unklar. Wir Grüne haben im For-
schungsausschuss dem Koalitionsantrag trotz dieser
Schwäche zugestimmt. Auf keinen Fall aber darf es da-
rauf hinauslaufen, dass eine solche Finanzierung auf
Kosten anderer, bewährter Programme und erfolgreich
etablierter Strukturen geht.

Für die Stärkung des Europäischen Forschungsraums
halten wir eine andere Initiative allerdings durchaus für
sinnvoll. Ich meine das Thema gemeinschaftlicher
Rechtsrahmen für europäische Großforschungsinfra-
strukturen (ERI) und auch die Frage nach einer Mehr-
wertsteuerbefreiung für Organisationen mit dieser neu zu
schaffenden Rechtsform (ERIC). Hier sollte sich die deut-
sche Regierung dafür einzusetzen, dass sich der ECOFIN
für eine solche Befreiung ausspricht, damit die Beratun-
gen zu dieser Frage beim Wettbewerbsrat im Mai zu ei-
nem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können.
Zu diesem Thema hat sich die Koalition leider bisher
nicht positioniert. Ein positives Ergebnis wäre tatsäch-
lich ein Schritt, um den Europäischen Forschungsraum
voranzubringen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621429700

Wir kommen zur Abstimmung. Der zuständige Aus-

schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, in
Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 28 a und
28 b:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Humanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhin-
dern
– Drucksache 16/12436 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Weitere Verschlechterung der Rechtssituation
von Homosexuellen in Nigeria verhindern
– Drucksachen 16/12107, 16/12459 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer (Göttingen)

Angelika Graf (Rosenheim)

Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Marieluise Beck (Bremen)


Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben: Haibach, Fischer (Göttingen), Riemann-
Hanewinckel, Graf (Rosenheim), Leibrecht, Leutert,
Beck (Köln).


Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1621429800

Die Situation der Homosexuellen in Nigeria hat sich

seit der parlamentarischen Behandlung am 26. April
2007 nicht zum Positiven verändert. Deshalb gebe ich
meine Rede, die ich damals gehalten habe, im folgenden
Wortlaut zu Protokoll. Wir müssen weiter darauf achten,
dass wir die Menschenrechtsverletzungen nicht akzeptie-
ren.

Die nigerianische Regierung hat im Jahre 2005 einen
umfassenden Gesetzentwurf gegen gleichgeschlechtliche
Partnerschaften verabschiedet. Nach diesem soll nicht
nur die Anerkennung solcher Partnerschaften ausge-
schlossen sein, nein, sogar die Eingehung einer gleichge-
schlechtlichen Partnerschaft, Vorbereitungshandlungen
hierzu und die Mitwirkung daran sollen mit bis zu 5 Jah-
ren Freiheitsentzug bewehrt werden. Gleiches soll da-
nach für die Werbung für und die Darstellung solcher
Partnerschaften sowie die Eintragung homosexueller
Vereine und Clubs gelten. Die 1999 in den nördlichen
Bundesstaaten eingeführte Sharia-Strafgesetzgebung


(A) (C)



(B) (D)


Hartwig Fischer (Göttingen)

sieht noch härtere Strafen für Homosexualität vor, die
dort als „Sodomie“ bezeichnet wird. So stellt zum Bei-
spiel der nördliche Bundesstaat Zamfara den gleichge-
schlechtlichen Kontakt von zwei Frauen aufgrund der
Sharia mit bis zu 50 Stockschlägen unter Strafe. Ich
möchte hier nur eine bekannte Verurteilung anführen:
Anfang 2002 wurde ein Mann im Bundesstaat Zamfara
wegen Sodomie zu 100 Stockschlägen und einer 1-jähri-
gen Gefängnisstrafe verurteilt.

Die geringe Zahl an bekannten Verurteilungen erklärt
sich dadurch, dass die Betroffenen Schutzgelder zahlen
oder in den Süden des Landes fliehen und überhaupt sehr
vorsichtig agieren, um sich nicht „erwischen“ zu lassen,
und dass zudem sehr wenige Informationen nach außen
dringen. Durch Berichte von Amnesty International ist
bekannt, dass viele Homosexuelle ein Doppelleben füh-
ren. Auf der einen Seite führen sie eine heterosexuelle Be-
ziehung, aber nur, damit sie damit ihre homosexuelle Be-
ziehung vor dem Staat verdecken können.

Am 14. Februar gab es zu dem Gesetzesvorschlag der
nigerianischen Regierung eine öffentliche Anhörung im
Repräsentantenhaus mit NROs, an der – nach anfängli-
chen Schwierigkeiten – auch Vertreter von Interessengrup-
pen der Homosexuellenverbände teilnehmen konnten. Am
22. Februar wurde der Senat mit dem Gesetzesvorschlag
befasst. Nach Einschätzungen von Beobachtern vor Ort
gibt es im Repräsentantenhaus Unterstützung für das
Gesetz, während der Senat gespalten scheint. Vor einer
möglichen Verabschiedung wird der Entwurf nun im
Ausschuss für Justiz, Menschenrechte und Rechtsangele-
genheiten des Senats behandelt. Die nigerianischen Zei-
tungen berichten allerdings offen über das Thema.

Ist das was sich gerade in Nigeria abspielt, ein Einzel-
fall? Mit Verlaub, nein! In den meisten afrikanischen
Ländern werden Schwule und Lesben verfolgt. In Sim-
babwe verglich Staatschef Mugabe Schwule mit Schwei-
nen und Hunden. In Namibia hat die Polizei Anweisung,
Homosexuelle festzunehmen und des Landes zu verwei-
sen. Auch in Kenia ist Homosexualität unter Männern ge-
setzlich verboten.

Aber es gibt auch andere afrikanische Länder, die mit
diesem Thema weit offener umgehen. Ich möchte dabei
noch mal das Augenmerk auf Südafrika lenken. Südafrika
hat als erstes afrikanisches Land die Homo-Ehe seit dem
30. November 2006 legalisiert. Es ist nicht zu verschwei-
gen, dass dies auch in Südafrika ein steiniger Weg war
und die Abstimmung im Parlament sehr knapp war. Die-
ser positive Ansatz muss ein Signal an alle anderen afri-
kanischen Staaten sein, denn Südafrika zeigt damit, dass
es gegen jede Art von Diskriminierung und Vorurteilen
ist. Diese Offenheit Südafrikas und die Achtung der Men-
schenrechte müssen unterstützt werden.

Wie kann die Bundesrepublik Deutschland nun aber
den Menschen in Nigeria helfen? Im Zusammenhang mit
der Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur gleichge-
schlechtlichen Partnerschaft gab es sowohl EU-Troika –
als auch Demarchen aller EU-Missionschefs bei ver-
schieden nigerianischen Dienststellen.
Zu Protokoll
Dazu gehören unter anderem der nigerianische Men-
schenrechtsbeauftragte, der Justizminister sowie der
Rechtsausschuss von Senat und Repräsentantenhaus. Bei
diesen Demarchen wurde deutlich gemacht, dass das vor-
gesehene Gesetz in zahlreichen Bestimmungen im Wider-
spruch zu internationalen Verträgen steht, deren Partei
auch Nigeria ist. Die EU-Missionsleiter haben die Ange-
legenheit seit 2006 aufmerksam verfolgt und sie auch mit
den Organisationen der nigerianischen Zivilgesellschaft
erörtert, die gegen den Gesetzentwurf ins Feld ziehen.
Die EU hat dabei hervorgehoben, dass dieses Gesetz,
falls es verabschiedet wird, gegen universelle Menschen-
rechtsstandards verstößt. Neben den Bemühungen der
EU-Missionsleiter hat der nigerianische Senator, der dem
zuständigen Ausschuss vorsteht, eine Überarbeitung des
Entwurfs zugesagt und will sicherstellen, dass dieser auf
internationaler Ebene akzeptabel ist und mit der nigeria-
nischen Verfassung im Einklang steht.

Wir müssen allen Staaten, die mit Deutschland zusam-
menarbeiten wollen, deutlich machen, dass eine vertrau-
ensvolle Zusammenarbeit nur möglich ist, wenn das Land
die Menschenrechte achtet und auch einhält. Die derzei-
tige Entwicklung ist ein klarer Verstoß gegen die Men-
schenrechte, deshalb muss Deutschland auch bei den
nächsten Regierungsverhandlungen deutlich machen,
dass wir dies nicht akzeptieren und dies auch Auswirkun-
gen auf die zukünftige Zusammenarbeit hat. Wir werden
Nigeria deutlich machen, dass es sich mit seiner Behand-
lung der Homosexuellen von seiner bisher positiven Ent-
wicklung entfernt und in alte Zeiten zurückfällt. Die Ein-
haltung der Menschenrechte ist ein Grundbaustein einer
lebendigen Demokratie.


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1621429900

Die gegenwärtige Lage in Sri Lanka ist besorgniserre-

gend. Es scheint, als seien beide Seiten des seit Jahrzehn-
ten währenden Konfliktes, Regierung und die sogenannte
tamilische Befreiungsarmee LTTE, bereit, in eine Art von
Endkampf einzutreten, und dies ohne Rücksicht auf Ver-
luste, bei Freund und Feind, bei den eigenen Kräften und
auch bei der Zivilbevölkerung.

Dabei sind die Rahmenbedingungen für das Eingrei-
fen der internationalen Gemeinschaft, besonders für
Deutschland und die EU, sowie auch für Hilfsorganisa-
tionen, denkbar ungünstig. Weder Regierung noch LTTE
sind offenbar zur Zeit willens, ihre militärischen Aktivitä-
ten zugunsten von Verhandlungen einzuschränken, die
Regierung, weil sie sich militärisch beinahe am Ziel
wähnt; die LTTE, weil sie sich zu einem „Kampf bis zum
letzten Atemzug“ entschieden hat.

Mit welcher Skrupellosigkeit dabei vorgegangen wird,
zeigt ein Beispiel der vergangenen Wochen: Da lässt die
LTTE zwei Flugzeuge, voll mit Bomben und Sprengstoff,
über die Hauptstadt Colombo fliegen, in der Absicht,
sinnlos Menschenleben zu vernichten. Daraufhin lässt die
Regierung diese beiden Flugzeuge von der Luftwaffe ab-
schießen – über Wohngebieten, den Tod von unschuldigen
Zivilisten wissentlich in Kauf nehmend. Gleichzeitig, das
beschreibt der vorliegende Antrag richtig, drohen Hun-
derttausende von Menschen Geiseln dieses Konflikts zu



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
werden, entweder in Lagern der Regierung oder in den
hart umkämpften Rückzugsgebieten der LTTE.

Insofern sind die Forderungen, die von Bündnis 90/
Die Grünen hier erhoben werden, nicht falsch: Einstel-
lung der Kampfhandlungen, eine aktive Rolle der inter-
nationalen Gemeinschaft, der wichtige und notwendige
Einsatz der Nachbarn, der Appell zur Einhaltung von
menschenrechtlichen und humanitären Standards.

Allerdings stellt sich bei allem, was daran richtig ist,
die Frage nach dem Wie, die der Antrag nicht beantwor-
tet. Denn so einfach ist das alles nicht. Deutschland und
die EU haben hier eine Verantwortung, aber wir sollten
uns auch eingestehen, dass unsere Möglichkeiten be-
grenzt sind.

Ein Weiteres kommt hinzu, das in diesem Antrag keine
Erwähnung findet. Die militärische Auseinandersetzung
wird, zu welcher Zeit auch immer, ein Ende finden. Und
dann? Soweit dies zurzeit übersehen werden kann, gibt es
zwar Überlegungen und Vorstellungen für eine Verfasst-
heit des Landes, die ein friedliches Zusammenleben zu-
mindest möglich macht. Aber wie viel Akzeptanz diese
Vorstellungen haben, wenn große Teile der Opposition an
Verhandlungen nicht einmal teilnehmen, das ist zumin-
dest mehr als fraglich.

Und schließlich wäre dann die wichtige Frage zu be-
antworten, wie eigentlich die Wunden, die in der Seele ei-
nes ganzen Volkes nach beinahe 25 Jahren bürgerkriegs-
ähnlicher Zustände entstanden sind, wieder geschlossen
werden können. Dazu gehört die juristische Aufarbeitung
der Vergangenheit, dazu gehört aber auch der schmerz-
volle Prozess der Versöhnung. Und auch diese Zukunfts-
perspektive gehört in einen solchen Antrag.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1621430000

Der heute zu beratende Antrag zur Rechtssituation der

Homosexuellen in Nigeria von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen ist im Prinzip ein guter Antrag. Wir – die
SPD-Bundestagsfraktion – haben uns dafür eingesetzt,
dass wir aus diesem Antrag der Grünen einen gemeinsa-
men Antrag mit allen Bundestagsfraktionen machen, im
Sinne der Sache. Leider war das mit der CDU/CSU-
Fraktion aber wieder einmal nicht möglich. Unser
Koalitionspartner lehnt unsere Bemühungen, übergrei-
fende Anträge zur weltweiten Lage und zum Menschen-
rechtsschutz von Homosexuellen zu initiieren, bereits seit
geraumer Zeit ab. Dabei müsste auch die Union einsehen,
dass die heutige Rechtssituation für Homosexuelle in Ni-
geria eine menschenrechtliche Katastrophe ist. Der aktu-
ell im nigerianischen Repräsentantenhaus diskutierte
Gesetzentwurf zum „Verbot gleichgeschlechtlicher Ehe-
schließungen“ wird die diskriminierende und für Homo-
sexuelle gefährliche Rechtssituation aber noch weiter
manifestieren.

Langer Rede kurzer Sinn: Die Menschenrechtspoliti-
ker der SPD hätten gern dem Antrag zugestimmt, sind
aber an die Koalitionsdisziplin gebunden. Der Koali-
tionsvertrag schreibt ein einheitliches Abstimmungsver-
halten der Koalitionsfraktionen fest. Wir wissen aber
auch: Unsere Bundesregierung, das heißt unser SPD-
Zu Protokoll
Außenminister Steinmeier und unsere SPD-Justizministe-
rin Zypries werden sich im Rahmen ihres Menschen-
rechtsdialoges mit Nigeria selbstverständlich dafür ein-
setzen, dass die Menschenrechte von Homosexuellen in
Nigeria verwirklicht werden können.

Dieser Menschenrechtsdialog stellt allerdings kein
Menschenrecht über ein anderes. Ohne die Situation von
Homosexuellen zu relativieren: Homosexuelle sind nicht
die einzige Gruppe, die keinen ausreichenden Menschen-
rechtsschutz durch ihre nigerianische Regierung erhält.
In Nigeria – einem Staat, in dem zum großen Teil das
islamische Recht der Scharia gilt – sind die Menschen-
würde verletzende Strafen wie die Todesstrafe, das
Auspeitschen, Steinigungen oder Amputationen leider
gängige Praxis. Zudem: Regelmäßig werden von nige-
rianischen Sicherheitskräften schwere Menschenrechtsver-
letzungen gegenüber Zivilisten begangen, beispielsweise
– außergerichtliche – Hinrichtungen, Vergewaltigungen,
Folter, Entführungen und Erpressung sowie die Zerstö-
rung von Wohnraum.

Auch Gewalt gegen Frauen ist in Nigeria allgegen-
wärtig. Dabei geht es um häusliche Gewalt und um
Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch durch
Staatsrepräsentanten. Ebenso sind Meinungs- und Ver-
sammlungsfreiheit von Menschenrechtsverteidigern und
Journalisten regelmäßig durch Drohungen und Über-
griffe der nigerianischen Geheimpolizei bedroht. Selten
werden diese schweren Menschenrechtsverletzungen
strafrechtlich verfolgt und die Verantwortlichen zur Re-
chenschaft gezogen.

Ich stelle fest: Nigeria ist kein Staat, in dem aus-
schließlich Homosexuelle diskriminiert werden. Wie
schon gesagt: Die Menschenrechte von Schwulen haben
für uns hohe Priorität weltweit. Für die Zukunft sollte
man jedoch den Fokus des menschenrechtlichen Engage-
ments bezüglich Nigerias insofern erweitern, als man
auch die anderen Menschenrechtsverletzungen in einen
Antrag mit aufnimmt.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1621430100

In Sri Lanka hat sich der seit vielen Jahren andau-

ernde Bürgerkrieg dramatisch zugespitzt. Die sri-lanki-
sche Regierung will offenbar bis zum bitteren Ende gegen
die LTTE kämpfen. Sie lehnt Verhandlungen ab und ak-
zeptiert ausschließlich eine bedingungslose Kapitulation.
Im Norden der Insel werden die Rebellen der LTTE immer
weiter eingekesselt. Nach dem Fall einiger wichtiger
Orte scheinen die Kämpfe in die Endphase zu gehen.

Die Lage der Menschen im Kampfgebiet ist besonders
verhängnisvoll. Auf einer Fläche von 50 km² verteidigen
sich die Kämpfer der LTTE, und geschätzte 130 000 bis
200 000 Zivilisten sind den Angriffen von beiden Seiten
ausgesetzt. Die Menschen zwischen den Fronten sind un-
säglichem Leid ausgesetzt: Artilleriebeschuss, Bombar-
dierungen, Granatfeuer, Vergewaltigungen, Hunger, Not
und Elend. Menschenrechtsverletzungen durch beide Sei-
ten werden in Kauf genommen, gezielt eingesetzt und sind
alltäglich geworden. Unter den eingeschlossenen Zivilis-
ten sind Schwerverletzte, alte Menschen, Frauen und
Kinder. Es fehlt ihnen an allem: überlebensnotwendige



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christel Riemann-Hanewinckel
Medikamente, Trinkwasser, Nahrungsmittel. Die hygieni-
sche und soziale Versorgung ist nicht gewährleistet. Bei
tropischen Temperaturen harren sie in Erdbunkern aus.
Dort kann nicht gekocht werden. Ein Überleben ist zum
Teil nur durch den Verzehr von Beeren, Blättern und Wur-
zeln möglich. Im Kreuzfeuer kann selbst die Verrichtung
der menschlichen Notdurft außerhalb der Bunker tödlich
sein.

Wer den Versuch wagt, aus dem Kessel zu fliehen,
schafft es nur unter gefährlichsten Bedingungen und
muss damit rechnen, sein Leben zu verlieren. Wer es
schafft, dieser Hölle zu entfliehen, findet sich schwer ver-
letzt, ohne Hab und Gut und getrennt von den Angehöri-
gen möglicherweise in einem der wenigen Krankenhäu-
ser wieder. Die Versorgung der Kranken mit 100 g Reis
pro Tag lässt keinen ernstlichen Willen der sri-lankischen
Regierung an ihrer Gesundung erkennen. Die Kranken-
häuser werden überwacht. Das Militär ist überall prä-
sent.

In sogenannten Transitlagern sind zurzeit weitere
45 000 Menschen untergebracht. Die Lager sind mit Sta-
cheldraht umzäunt, die Binnenflüchtlinge dürfen das Ge-
biet nicht verlassen. Einigen Hilfsorganisationen ist der
Zugang zum Lager gelungen. Was die Mitarbeiter berich-
teten, ist erschreckend: Die Menschen haben keinen Kon-
takt zur Außenwelt. Sie sind kaum bekleidet, Lebensmittel
sind verdorben und die Tagesration mit 600 Kalorien ist
völlig unzureichend. Schwer traumatisierte Menschen
bleiben sich selbst überlassen. Mütter flehen darum, ihre
Kinder aus dem Lager geben zu dürfen. Die Menschen
werden vom Militär in drei „Sicherheitskategorien“ ein-
geteilt und drangsaliert. Die Kindernothilfe berichtete,
dass Personen, die Verbindungen zur LTTE unterhalten,
abgeführt und erschossen werden. Sicherheitsüberprüfte
und unverdächtige Menschen sollen in sogenannte Wel-
fare Centres verbracht werden und später in ihre Heimat
zurückkehren können. Augenzeugen berichteten, dass
diese Unterkünfte vergitterte, viel zu kleine Behausungen
seien, in denen ein Aufenthalt von bis zu fünf Jahren ge-
plant sei.

All dies macht mich fassungslos. Eine politische Lö-
sung des Konflikts wird immer unwahrscheinlicher. Den-
noch: Die LTTE und die sri-lankische Regierung müssen
die Waffen ruhen lassen, um Verletzte zu bergen, Tote zu
begraben und die eingeschlossenen Menschen evakuie-
ren zu können. Die humanitäre Hilfe muss allen Bedürfti-
gen in ausreichendem Maße zukommen.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier
hat am 21. Januar 2009 einen Waffenstillstand gefordert,
um die Versorgung der Binnenflüchtlinge zu ermöglichen.
Er hat beide Seiten zu Verhandlungen aufgerufen. Auch der
Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon äu-
ßerte sich besorgt über die humanitäre Lage und forderte
den Schutz der Zivilbevölkerung. Die EU-Außenkommis-
sarin Ferrero-Waldner und auch die tschechische EU-
Ratspräsidenschaft äußerten im Gespräch mit dem sri-
lankischen Außenminister Bogollagama die Erwartung,
dass ein militärischer Sieg die Gelegenheit sein solle, ei-
nen Prozess der Versöhnung und des Wiederaufbaus in
Gang zu setzen. Die EU-Troika wollte bereits im Februar
Zu Protokoll
und im März nach Colombo reisen. Dies wurde von der
sri-lankischen Regierung bisher abgelehnt.

Der Antrag, den wir heute beraten, beschreibt die Sor-
gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die furcht-
bare Situation der Menschen in Sri Lanka. Die Forderun-
gen bleiben zum Teil hinter dem zurück, was Deutschland
und die EU und auch Teile der internationalen Gemein-
schaft bereits getan haben bzw. was sie von den Kriegs-
parteien gefordert haben. Eine Solidaritätserklärung mit
der notleidenden Zivilbevölkerung braucht keine An-
tragsform. Wir haben diesen Konflikt auf der Tagesord-
nung und wurden in den Ausschüssen bereits unterrichtet.

Die zentrale Frage bleibt weiterhin offen: Wie geht die
sri-lankische Regierung mit den Autonomiebestrebungen
der Tamilen um? Wir werden die Entwicklungen in Sri
Lanka weiter beobachten und unsere Erwartungen deut-
lich zum Ausdruck bringen. Deutschland wird weiterhin
humanitäre Hilfe leisten und für politische Verhandlun-
gen zur Verfügung stehen.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1621430200

Wir debattieren hier heute über zwei sehr wichtige

Themen. Daher hat es mich auch etwas irritiert, dass wir
in einer Debatte sowohl die Situation in Sri Lanka als
auch die Verschlechterung der Rechtssituation von Ho-
mosexuellen in Nigeria diskutieren. Ich finde nicht, dass
diese Vorgehensweise der Wichtigkeit dieser völlig unter-
schiedlichen humanitären Probleme gerecht wird.

Ich werde mich daher auf die Lage in Sri Lanka be-
schränken, da ich die Entwicklungen in diesem Land
schon seit einigen Jahren beobachte und die Kürze eines
Redebeitrages schon für die Erklärungen der komplizier-
ten Verhältnisse in Sri Lanka kaum ausreicht.

Mit Abscheu haben wir einige furchtbare Bilder und
Berichte, die uns aus Sri Lanka erreichen, gesehen und
gehört. Mit roher Gewalt und erschreckender Brutalität
gehen Militär und tamilische Rebellen gegeneinander vor
und nehmen dabei keine Rücksicht auf die Leiden der Zi-
vilbevölkerung.

Für ausländische Beobachter ist es kaum möglich, in
die Kampfgebiete zu gelangen. Man gewinnt den Ein-
druck, dass die Regierung die Vorgehensweise der tami-
lischen Rebellen toleriert: Um die staatliche Propa-
gandamaschinerie am Laufen zu halten, lässt man zu,
dass die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) die
Zivilbevölkerung als menschlichen Schutzschild miss-
braucht. Es ist ein abscheuliches Spiel mit Menschenle-
ben, das derzeit auf Sri Lanka zu beobachten ist. Und es
sind sowohl die tamilischen Befreiungstiger der LTTE als
auch die sri-lankische Regierung, die dafür verantwort-
lich zu machen sind.

Während die Regierung das Vanni-Kampfgebiet kom-
plett abgeriegelt hat, keine medizinische Versorgung für
die notleidende Zivilbevölkerung zulässt und die Men-
schen in den Flüchtlingscamps – laut Aussagen meiner
Quellen – „verrotten“ lässt und dabei auch noch Fami-
lien auseinanderreißt, hat sich die LTTE über die letzten
Jahre anscheinend ein großes Waffenarsenal zugelegt
und ist momentan zu einem langen, quälenden Stellungs-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Harald Leibrecht
krieg in der Lage, in dem sie die Zivilbevölkerung als
Schutzschild benutzt und ihre Kinder als Soldaten
zwangsrekrutiert.

Einige vom Tsunami betroffene Gebiete sind auch
Jahre nach der Katastrophe von 2004 weit davon ent-
fernt, wieder bewohnbar zu sein. Die LTTE aber konnte
sich seitdem angeblich sehr gut ausgestattete Quartiere,
Waffenlager und sogar eine kleine Flugzeugflotte auf-
bauen, finanziert, so scheint es, durch Hilfsgelder, die of-
fiziell für den Wiederaufbau und die Zivilbevölkerung
vorgesehen waren. Beide Seiten stehen sich also in die-
sem endlosen Konflikt auf Sri Lanka leider in nichts nach.
Wir sind dazu aufgerufen, das Leid der Zivilbevölkerung
so weit wie möglich zu lindern.

Gleichzeitig aber müssen wir uns verstärkt darüber
Gedanken machen, mit welcher langfristigen politischen
Lösung es nach einer Beendigung des gewaltsamen Kon-
flikts auf Sri Lanka weitergehen soll. Wie stellt sich die
sri-lankische Regierung das Zusammenleben mit der ta-
milischen Minderheit nach einem militärischen Sieg über
die Befreiungstiger vor? Sind nach über 26 Jahren Bür-
gerkrieg die entstandenen Wunden noch zu heilen?

Seitdem sich die von Norwegen geführte internatio-
nale Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM) im Januar
2008 nach mehrfacher Verletzung des Waffenstillstandes
von 2002 durch Regierung und Befreiungstiger aus Sri
Lanka zurückgezogen hat, scheint es keinerlei Einfluss
mehr von internationaler Seite auf die Konfliktparteien zu
geben. Mitarbeiter von politischen Stiftungen und Vertre-
ter diplomatischer Vertretungen wurden zuletzt von der
Regierung an ihrer Arbeit in der Konfliktregion gehindert
und bedroht. Ein solches Verhalten der sri-lankischen Re-
gierung ist absolut inakzeptabel!

Das Internationale Rote Kreuz (ICRC) ist die letzte in-
ternationale Organisation, die noch vor Ort tätig ist. An-
geblich wird es aber auch deren Vertretern immer mehr
erschwert, die bedürftigen Menschen zu erreichen. Die
sri-lankische Regierung verweigert nun selbst die Versor-
gung der Menschen in den Flüchtlingscamps!

Es gibt mehrere Forderungen, die wir als FDP-Frak-
tion angesichts der prekären Lage in Sri Lanka an die
Bundesregierung stellen:

Erstens. Die Bundesregierung muss sich innerhalb der
EU für ein konzertiertes Vorgehen gegenüber der sri-lan-
kischen Regierung einsetzen.

Zweitens. Dies schließt ein, die sri-lankische Regie-
rung dazu zu drängen, dass anerkannte internationale
Hilfsorganisationen wie beispielsweise das Rote Kreuz
die Menschen in den Flüchtlingscamps wieder versorgen
dürfen.

Drittens. Der sri-lankischen Regierung gegenüber ist
deutlich zu machen, dass die weitere Einschränkung der
Pressefreiheit sowie die Behinderung der Arbeit von in-
ternationalen Hilfsorganisationen, politischen Stiftungen
und diplomatischen Vertretern absolut inakzeptabel sind
und gegebenenfalls mit den entsprechenden Konsequen-
zen geahndet werden.
Zu Protokoll
Viertens. Die Länder, die für die Waffenlieferungen an
Regierung und Rebellen verantwortlich sind, sind zu ei-
nem Stopp dieser Waffengeschäfte aufzufordern.

Fünftens. Die Finanzströme der in Deutschland täti-
gen tamilischen Hilfsorganisationen im Hinblick auf Waf-
fengeschäfte sind zu überprüfen.

Die Situation in Sri Lanka ist fatal. Der Einfluss der in-
ternationalen Gemeinschaft ist seit dem Rückzug der
SLMM gering. Nicht zuletzt deswegen ist die Bundesre-
gierung aufgefordert, alles im Rahmen ihrer Möglichkei-
ten zu unternehmen und ihren Einfluss auf die Konflikt-
parteien geltend zu machen, um eine weitere Eskalation
der Gewalt zu verhindern – zum Wohle der sri-lankischen
Zivilbevölkerung!


Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621430300

Die politische Situation in Sri Lanka gibt Anlass zu

höchster Sorge. Die bürgerkriegsähnliche bewaffnete
Auseinandersetzung in Sri Lanka dauert nun schon über
25 Jahre an. Ihre Vorgeschichte ist aber für das Verstehen
der Konfliktnatur notwendig. Es ist nicht einfach nur ein
ethnischer Konflikt. Wer diese Deutung bevorzugt, macht
sich ein viel zu einfaches Bild. An anderen Orten der Welt
leben auch verschiedene Nationalitäten in einem Staat
zusammen, ohne dass es sogenannte ethnische Konflikte
gibt. Hier, in Sri Lanka, liegt ein postkolonialer Konflikt
vor.

Deutschland ist ein Staat – wie andere europäische
Staaten auch – mit einer kolonialen Vergangenheit. Zuge-
geben, im Gebiet des heutigen Sri Lanka hat sich diese
deutsche Vergangenheit nicht abgespielt. Aber wir sollten
langsam einmal eine politische Sensibilität dafür ausbil-
den, was die koloniale Vergangenheit für Verheerungen
angerichtet hat. Deswegen müssen wir ein Interesse an
der Befassung mit diesem Konflikt im Bundestag haben.
Daher begrüßt meine Fraktion auch den Antrag der Grü-
nen. Ohne einer detaillierten Debatte vorgreifen zu wol-
len, teilt meine Fraktion die darin aufgestellten Forde-
rungen.

Ein anderer Antrag der Grünen thematisiert die
Situation der Homosexuellen in Nigeria. Es geht aber
nicht nur um die Strafbarkeit homosexueller Handlungen
oder um die Diskriminierung anderer Lebensweisen, son-
dern bereits schon um die Strafbarkeit der Thematisie-
rung von Anliegen Homosexueller. Die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses lautet Ablehnung. Man könnte auch
sagen, dass die Mehrheit von CDU/CSU und SPD ihr
Unbehagen an der nigerianischen Praxis vielleicht rein
verbal äußern will, daraus aber keine politischen Hand-
lungen folgen sollen. Das ist aber nichts anderes als
Komplizenschaft mit Homophobie. Wir haben damals im
Ausschuss keine Vorschläge gehört, die vielleicht effekti-
ver sein könnten als die, die im Grünen-Antrag empfohlen
worden sind. Wir haben bis jetzt keinen anderen Antrag
der Koalition zum Thema vorliegen. Allein schon deshalb
wird meine Fraktion gegen die Beschlussempfehlung
stimmen. Sie wird es aber vor allem deswegen tun, weil
wir die Lageeinschätzung und die Forderungen des An-
trags der Grünen teilen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621430400

Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind „gegen

Gott, gegen die Bibel, unnatürlich, zwecklos, ungesund,
unkulturell, unafrikanisch und unnigerianisch. Sie sind
eine Perversion und eine Abartigkeit, die dazu geeignet
ist, sozialen und kulturellen Holocaust in diesem Land zu
betreiben. Sie führen zum Aussterben der Menschheit und
dürfen in Nigeria niemals Fuss fassen.“ So weit ein Aus-
zug aus der Stellungnahme der Anglikanischen Kirche in
Nigeria während der parlamentarischen Anhörung zur
sogenannten „Same Sex Marriage Prohibition Bill“, ei-
nem Gesetzentwurf zum Umgang mit Homosexuellen, am
11. März 2009. Diese hasserfüllte Äußerung der Anglika-
nischen Kirche macht das Umfeld und die Atmosphäre in
Nigeria deutlich, in der nun dieses Gesetz – nachdem es
bereits 2006 einen Anlauf gegeben hatte – verabschiedet
werden soll.

Nigeria ist – wie leider noch immer viele Länder auf
der Welt – kein Land, in dem man als Homosexueller
sorglos leben kann. Verhaftungen und Bedrängung von
Homosexuellen haben nach Berichten von Amnesty Inter-
national und Human Rights Watch in den letzten Jahren
noch zugenommen. Einvernehmlicher gleichgeschlechtli-
cher Verkehr wird bereits jetzt mit bis zu 14 Jahren Ge-
fängnis bestraft. Im Norden Nigerias steht unter der
Scharia-Gesetzgebung darauf der Tod durch Steinigung.
Sollte der Gesetzesentwurf tatsächlich verabschiedet
werden, so wird eine bereits unerträgliche Situation wei-
ter verschlimmert. Der Gesetzesentwurf oder Teile davon
verletzen das Recht auf Freiheit von Diskriminierung, das
Recht auf Familienleben, die Religions- und Glaubens-
freiheit, die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfrei-
heit. Der Gesetzesentwurf verletzt damit auch die nigeri-
anische Verfassung, die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte, die Afrikanische Menschenrechtscharta
und den Internationalen Pakt über bürgerliche und poli-
tische Rechte.

Darüber hinaus hat sich Nigeria als Mitglied des Men-
schenrechtsrates verpflichtet, die höchsten Standards an-
zulegen, um die Menschenrechte zu gewährleisten und zu
schützen, unabhängig von der sexuellen Identität eines
Menschen. Während einer Debatte zum Universal Perio-
dic Review, UPR, im Menschenrechtsrat im Februar 2009
hat der Vertreter Nigerias geäußert, es sei ihm keine
Gruppe von Lesben, Schwulen oder Transgender in Nige-
ria bekannt, aber als nigerianische Staatsbürger verfüg-
ten diese über die in der Verfassung Nigerias garantierten
Rechte.

Der Gesetzesentwurf wird erhebliche Auswirkungen
auf die Menschenrechtsarbeit in Nigeria haben. Es steht
zu befürchten, dass es verstärkt zu Verhaftungen von Per-
sonen kommt, denen Homosexualität oder die Unterstüt-
zung von Homosexuellen vorgeworfen wird, darunter fal-
len dann auch Menschenrechtsverteidiger. Der Vertreter
Nigerias vor dem Menschenrechtsrat wird dann auch in
Zukunft keine zivilgesellschaftliche Gruppe von Homose-
xuellen kennen, die für ihre Rechte eintreten, denn unter
diesem neuen Gesetz würden selbst private Treffen zu ei-
ner Gefahr werden. Personen, die eine gleichgeschlecht-
liche Hochzeit beobachten oder zugegen sind, können bis
zu fünf Jahre ins Gefängnis kommen, was letztlich zu ei-
Zu Protokoll
ner Gefahr für die Menschenrechte aller Nigerianerinnen
und Nigerianer werden kann. Der Willkür sind hier Tür
und Tor geöffnet.

Vor diesem Hintergrund, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von den Koalitionsfraktionen, macht es mich
fassungslos, wie Sie zum wiederholten Mal – und im Men-
schenrechtsausschuss kommentarlos – unseren Antrag
ablehnen. Einen wortgleichen Antrag von uns haben Sie
2007 mit der Begründung abgelehnt, der Gesetzentwurf
stünde ja noch nicht zur Abstimmung an. Nun steht er zur
Abstimmung an, und es zeigt sich, dass Ihre Begründung
zur Ablehnung 2007 nur fadenscheinig war. Offenbar gibt
es bei einigen Mitgliedern Ihrer Fraktionen noch immer
Vorbehalte, was die Menschenrechte von Homosexuellen
angeht, anders kann man sich Ihr Abstimmungsverhalten
gar nicht erklären. Auch ein Signal für einen gemeinsa-
men Textentwurf, wie bereits 2007 von uns angeboten, ha-
ben wir von Ihnen nicht erhalten. Angesichts des Leids,
das dieses Gesetz, sollte es in Kraft treten, verursachen
wird, fällt mir dazu nur ein Wort ein: schäbig!

Ich hoffe, dass die Bundesregierung nun trotzdem alles
in ihrer Macht Stehende tun wird, um zusammen mit ihren
europäischen Partnern gegenüber der nigerianischen
Regierung und dem nigerianischen Parlament zu de-
marchieren. Homosexuellenrechte sind Menschenrechte!

Auch wenn es in diesen Tagen stark danach aussieht,
dass der Bürgerkrieg in Sri Lanka zugunsten der Regie-
rung ausgeht, ist damit der 25 Jahre alte Konflikt im Land
längst nicht beendet. Die Brutalität beider Konfliktpar-
teien, die tausende Zivilistinnen und Zivilisten das Leben
gekostet hat, bildet vielmehr die Grundlage für zukünftige
Unruhen und Auseinandersetzungen. Dass die Regierung
von Sri Lanka meint, eine langfristige Lösung könne aus
den Gewehrläufen kommen, erfüllt uns mit großer Sorge
für die Zukunft Sri Lankas. Die Regierung von Präsident
Rajapakse hat erklärt, die Kämpfe gegen die LTTE wür-
den erst beendet, wenn diese „endgültig ausgelöscht“
seien. Wer glaubt, dass damit der Bürgerkrieg in wenigen
Wochen beendet sein wird, täuscht sich.

Im unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf,
sich viel stärker als bisher für einen sofortigen Waffenstill-
stand zwischen der Regierung Sri Lankas und der LTTE
einzusetzen, damit es den Zivilistinnen und Zivilisten ermög-
licht wird, die Kampfzone zu verlassen. Die Regierungstrup-
pen haben die LTTE auf ein Gebiet von nur 50 Quadratkilo-
meterzusammengedrängt. Bis zu 170 000 Zivilistinnen und
Zivilisten sollen sich dort noch aufhalten, die meisten von ih-
nen verletzt, ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, zu
Nahrungsmitteln und sauberem Wasser. Die humanitäre Ka-
tastrophe spitzt sich dramatisch zu, wie den Berichten des
Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zu entnehmen
ist. Die eingeschlossenen Zivilistinnen und Zivilisten müssen
dringend evakuiert werden.

Es gibt es Hinweise darauf, dass die Menschen, die aus
dem Kampfgebiet fliehen konnten, in Flüchtlings- und
Übergangslagern festgehalten werden. Dabei wird offen-
bar mit vermeintlichen LTTE-Kämpfern kurzer Prozess
gemacht. Es gibt Berichte über Erschießungskomman-
dos, über „Verfahren“ gegenüber den Flüchtlingen, die
jegliche Menschenrechtsstandards außer Acht lassen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

Diese Vorwürfe müssen aufgeklärt werden, und die Re-
gierung von Sri Lanka muss dringend ermahnt werden,
die von ihr übernommenen und die universal gültigen
Menschenrechtsverpflichtungen im Umgang mit allen
Bürgerinnen und Bürgern Sri Lankas einzuhalten. Dazu
gehört auch, dass Journalistinnen und Journalisten, so-
wohl inländische als auch internationale, sich frei und
ungehindert bewegen, recherchieren und ihre Meinung
äußern dürfen – auch und gerade, was die Situation in
den Flüchtlingslagern betrifft. Die Anzahl der Morde an
Journalistinnen und Journalisten in Sri Lanka in den letz-
ten Jahren ist erschreckend.

Ohne die Einhaltung von Menschenrechtsstandards
und den Schutz vor Diskriminierung wird es zu keiner
tragfähigen Lösung des blutigen Konflikts in Sri Lanka
kommen. Dazu gehört perspektivisch ein gewisses Maß
an Autonomie im Norden und Osten der Insel, ein bewuss-
tes Programm, das die starke wirtschaftliche Ungleich-
heit zwischen den Landesteilen abbaut, und eine erkenn-
bare Akzeptanz für die Bewahrung der kulturellen
Identität von Minderheiten in Staat und Gesellschaft.
Doch das ist Zukunftsmusik.

Die Bundesregierung und die EU sollten es allerdings
nicht bei reinen Appellen an die Regierung belassen. Sie
sollte sich in der EU für die Aussetzung von Handelsprä-
ferenzen einsetzen. Sie sollte in der Weltbank und der
Asiatischen Entwicklungsbank klarstellen, dass dies nicht
die Zeit für Neuzusagen in der Zusammenarbeit ist, und
bis auf Weiteres eine entsprechende Aussetzung in den
Bereichen fordern, die nicht direkt mit der Verbesserung
der humanitären Lage zu tun haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621430500

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/12436 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Dann haben wir das so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Weitere Verschlechterung der
Rechtssituation von Homosexuellen in Nigeria verhin-
dern“. Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/12459,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/12107 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 29 a und
29 b:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Bericht der Bundesregierung über ihre Ex-
portpolitik für konventionelle Rüstungsgüter
im Jahre 2007 (Rüstungsexportbericht 2007)


– Drucksache 16/11583 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Winfried Nachtwei, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Kerstin Müller (Köln), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik –
Parlamentarische Kontrollmöglichkeiten ver-
bessern

– Drucksachen 16/11388, 16/11975 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben: Fritz, Hempelmann, Kopp, Schäfer (Köln),
Nachtwei.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1621430600

Auch wenn der Rüstungsexportbericht 2007 erneut zu

unattraktiver Zeit auf der Tagesordnung des Deutschen
Bundestages steht, so diskutieren wir innerhalb von drei
Monaten immerhin zum zweiten Mal über Rüstungs-
exporte – und dies in Zeiten, in denen die Wirtschafts- und
Finanzkrise die Tagesordnung bestimmt und die Bundes-
tagswahl ihre Schatten voraus wirft.

Schauen wir uns die Zahlen in diesem in der Tat wieder
einmal sehr spät vorgelegten Rüstungsexportbericht
2007 an, so wird deutlich, dass die Gesamttendenz im
mehrjährigen Vergleich der Rüstungsexporte nach wie
vor eine starke Kontinuität zeigt. Die vorhandenen
Schwankungen bzw. Aufs und Abs ergeben sich vor allem
aus zwei Gründen: Zum Ersten ist das Gesamtvolumen so
gering, dass einzelne Großaufträge wie etwa die Ausfuhr
von Schiffen bereits zu einem nennenswerten Ergebnis
führen, und zum Zweiten ist das internationale Engage-
ment der Bundeswehr im Rahmen friedenserhaltender
Maßnahmen sowie die Notwendigkeit zur Schaffung von
innerer Stabilität und Sicherheit in fragilen Partnerlän-
dern auch mit dem Export notwendigen Materials ver-
bunden.

Dies erklärt etwa die Tatsache, dass Afghanistan zu ei-
nem der wichtigsten Empfängerländer deutscher Rüs-
tungsexporte zählt. Der Großteil der Lieferung nach Af-
ghanistan hat 2007 aus Panzern für den im Süden des
Landes stationierten NATO-Partner Kanada bestanden.
Es wäre undenkbar, hätten wir unseren Verbündeten im
gefährlicheren südlichen Teil Afghanistans die Hilfe ver-
weigert.

Ich möchte nicht allzu viele Zahlen nennen, aber auf
wenige Eckwerte von besonderer Bedeutung eingehen:
Der Gesamtwert der 2007 erteilten Einzelausfuhrgeneh-
migungen betrug 3,7 Milliarden Euro, womit ein leichter
Rückgang gegenüber dem Vorjahr – 4,1 Milliarden Euro –
zu verzeichnen ist. Mit circa 66 Prozent entfällt der über-
wiegende Anteil der Genehmigungen auf EU-, NATO-


(A) (C)



(B) (D)


Erich G. Fritz
und NATO-gleichgestellte Länder, mit denen bekannter-
maßen vielfältige Kooperationen im Rüstungsbereich be-
stehen. Der Anteil der Ausfuhren in Drittländer ist von
29 Prozent auf 33 Prozent gestiegen.

Wichtigste Empfängerländer waren die USA, die
Schweiz und das Vereinigte Königreich. Außerhalb der
EU/NATO waren es Afghanistan, Südkorea und Pakistan.

Zu den exportstärksten Branchen zählten in 2007 die
Landfahrzeugindustrie, militärische Elektronik und Luft-
fahrttechnik.

Der Gesamtwert der 2007 erteilten Sammelausfuhrge-
nehmigungen belief sich in 2007 auf 5,1 Milliarden Euro

(3,5 Milliarden Euro)

nehmigungen jedoch um Rüstungskooperationen mit an-
deren EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Staaten
handelt, sind diese Zahlen ein Zeichen dafür, dass die Eu-
ropäisierung des Rüstungssektors zunimmt. Und dies ist
ja auch politisch so gewollt! Wirklich nachvollziehbar ist
für die Mitglieder des Deutschen Bundestages die Bedeu-
tung dieser Genehmigungsform nach wie vor nicht.

Der Wert der tatsächlich aus Deutschland ausgeführ-
ten Kriegswaffen ist erneut gegenüber dem Vorjahr leicht
zurückgegangen – auf circa 1,1 Milliarden Euro. Damit
liegt der Anteil von Kriegswaffen an den deutschen Ge-
samtexporten bei circa 0,11 Prozent der deutschen Ge-
samtexporte. Das ist der niedrigste Wert seit 2002. Ein
Anteil von immerhin 75 Prozent des Gesamtwertes entfiel
dabei auf Ausfuhren in EU-, NATO und NATO-gleichge-
stellte Länder. Die übrigen Exporte umfassen hauptsäch-
lich die Ausfuhr von U-Booten nach Südkorea, die etwa
82 Prozent aller Drittlandsexporte ausmachen.

Die Genehmigungswerte für sogenannte Kleinwaffen,
insbesondere automatische Handfeuerwaffen, sind mit
48 Millionen Euro gegenüber den beiden Vorjahren um
circa 30 Prozent gestiegen, für die Gruppe der Drittstaa-
ten von 15,6 Millionen Euro auf 30,2 Millionen Euro.
Mexiko und Saudi-Arabien sind die beiden größten
Hauptabnehmer. 11 Millionen Euro gingen an die mexi-
kanischen Polizeibehörden und weitere 11 Millionen
Euro an die Armee Saudi-Arabiens, einen staatlichen
Endverwender also und strategischen Partner Deutsch-
lands. So erschreckend der enorme Anstieg beim Export
von Kleinwaffen ist, so deutlich muss auch darauf hinge-
wiesen werden dürfen, dass es auch hier ein Auf und Ab
und keinesfalls einen stetigen Zuwachs gibt. 2002 und
2003, also unter Rot-Grün, lagen die Zahlen mit 62 Mil-
lionen Euro und 53 Millionen Euro weitaus höher. Und es
gibt Hinweise, dass der Kleinwaffenexport in 2008 deut-
lich zurückgegangen ist. Dass die sogenannten Kleinwaf-
fen in vielen Krisen-, Bürgerkriegsstaaten und instabilen
Ländern mit fehlenden staatlichen Strukturen oder Ausei-
nandersetzungen rivalisierender Machtgruppen sowie
ethnisch motivierten Gewalttaten und Sezessionsbestre-
bungen eine für die Bevölkerung katastrophale Rolle
spielen, ist unzweifelhaft richtig. Deshalb muss vor allem
dem schwarzen und grauen Markt für Kleinwaffen auf der
Welt der Kampf angesagt werden, vor allem aber auch
der unverantwortlichen Verbreitung von Kleinwaffen
Zu Protokoll
durch staatliche oder staatsnahe Lieferanten außerhalb
der EU. Andererseits wird dort, wo der Staat das Macht-
monopol hat und es auch gegenüber organisierten krimi-
nellen Strukturen durchsetzen muss, die Lieferung von
Handfeuerwaffen auch weiter sinnvoll sein, wenn er ver-
antwortlich kontrolliert wird. Die dauerhafte Verringe-
rung der Kleinwaffen auf der Welt bleibt ein wichtiges
Ziel.

Begrüßenswert ist, dass der Rüstungsexportbericht
2007 erstmals Daten zu der im Jahr 2006 neu eingeführ-
ten Kontrolle von Vermittlungsgeschäften für Rüstungs-
güter enthält und damit ein zusätzlicher Schritt in Rich-
tung Transparenz getan worden ist. Insofern wiederholt
der heute ebenfalls zur Diskussion stehende Antrag der
Grünen die uns bekannten Forderungen nach mehr Kon-
trolle und Transparenz, übergeht die aktuellen rechtli-
chen Entwicklungen auf europäischer Ebene und ver-
gisst, dass die Rüstungsexportpolitik unter Rot-Grün
keinesfalls restriktiver und verantwortungsvoller war, als
sie es heute ist. Vielmehr steht die Rüstungsexportpolitik
der Bundesregierung in großer Kontinuität der unter-
schiedlichen Regierungen und bleibt auch künftig restrik-
tiv und verantwortungsbewusst. Wünschenswert ist – da
herrscht Konsens im Parlament – tatsächlich eine zeitna-
here Vorlage der Rüstungsexportberichte.

Die Frage des Endverbleibs von Rüstungsgütern, auch
in Kooperationsprojekten, beschäftigt uns seit Jahren.
Nicht nur einmal habe ich den Standpunkt vertreten, dass
den entsprechenden Vorschriften in den deutschen
Grundsätzen keine wirklich kontrollierbare Endver-
bleibsregelung gefolgt ist. Freilich gibt es Grundlagen für
eine Verbesserung in der Praxis: Zum einen regelt Art. 4
der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
den Endverbleib, zum anderen ist der EU-Verhaltens-
kodex für Waffenausfuhren am 8. Dezember 2008 durch
Beschluss des Rates der EU-Außenminister zu einem
rechtlich verbindlichen Gemeinsamen Standpunkt aufge-
wertet worden. Dafür haben sich die Bundesregierung
und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion seit Jahren einge-
setzt.

Die im Zusammenhang mit der Europäisierung des
Rüstungssektors oftmals geäußerte Kritik, dass die Ex-
portkontrollen auf europäischer Ebene vergleichsweise
schwach entwickelt seien, weckt die besondere Aufmerk-
samkeit des Bundestages. Wir werden genau beobachten,
wie der Gemeinsame Standpunkt sich in der Praxis aus-
wirken wird. Es gibt durchaus gute Ansätze, von denen
wir aber noch nicht wissen, wie sie in der Verwaltungs-
wirklichkeit umgesetzt werden: Die Frage des Endver-
bleibs ist in Art. 5 des Gemeinsamen Standpunktes gere-
gelt. Zudem gelten auch innerhalb der EU die üblichen
Reexportbestimmungen für Drittlandexporte, das heißt,
der Empfänger deutscher Exportgüter muss vor einem
Reexport eine Genehmigung der Bundesregierung einho-
len. Damit gewährleistet die Bundesregierung, dass von
Drittstaaten keine Technologien an Länder exportiert
werden, bei denen deutsche Zulieferungen enthalten sind,
die nach deutschem Exportrecht nicht genehmigungsfä-
hig wären.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Erich G. Fritz
Dennoch bleibt die Frage, wie etwa Sturmgewehre von
Heckler & Koch nach Georgien gelangen konnten. An
Lücken in der Gesetzgebung kann das eigentlich nicht lie-
gen. Die vorliegenden Regelungen müssen natürlich
auch konsequent angewandt werden. Insofern besteht
nach wie vor Verbesserungsbedarf, an dem die EU ge-
genwärtig arbeitet. Ich denke dabei an den Vorschlag
für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und
des Rates zur Vereinfachung der Bedingungen für die in-
nergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgü-
tern. Ziel dieser bis 2012 umzusetzenden sogenannten
Transferrichtlinie ist es, den Transfer von Verteidigungs-
gütern innerhalb der EU durch ein einfacheres und ein-
heitliches System zur Lizenzvergabe zu erleichtern und
zugleich die Transparenz und Rechenschaftspflicht inner-
halb der EU zu erhöhen. Dies ist ein weiterer richtiger
und notwendiger Schritt auf dem Weg zu effizienterer
Überwachung und stärkerer Kontrolle des Exports im
Binnenmarkt auf europäischer Ebene.

Diese Entwicklung, wie natürlich auch die rechtliche
Verbindlichkeit des Gemeinsamen Standpunktes, sollten
uns hoffnungsfroh stimmen, dass die Transparenz künftig
weiter erhöht und das Kontrollregime innerhalb der EU
durch die Durchführung strikterer Verfahren zur Harmo-
nisierung der Ausfuhrkontrollstrategien der Mitglied-
staaten verbessert wird.

Gerne wiederhole und erinnere ich an das, was ich be-
reits im Dezember an dieser Stelle gesagt habe, weil es
nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat: Wir alle hoffen,
das neue Miteinander der Weltgemeinschaft infolge der
Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise führe zu
der weltweiten Erkenntnis, dass auch militärische Sicher-
heit eine wichtige Voraussetzung staatlicher Stabilität
sein kann, dass aber militärische Sicherheit nicht Frieden
und Verständnis über ethnische, kulturelle und religiöse
Grenzen hinweg ersetzen kann. In diesem Sinne sollte die
Bundesregierung ihre restriktive und verantwortungs-
volle Rüstungsexportpolitik weiterführen und die Harmo-
nisierung auf europäischer Ebene weiter stützen und vo-
ranbringen.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht auch den en-
gen Zusammenhang mit den hoffentlich wieder in Gang
kommenden Bemühungen um Abrüstung sowohl im kon-
ventionellen wie vor allem im Bereich der Massenver-
nichtungswaffen. Nur über solche Initiative wird ein brei-
tes Bewusstsein in der Völkergemeinschaft zu erzielen
sein, dass Entwicklung und Frieden mit immer weniger
Waffen das Ziel der internationalen Politik sein muss.
Neue Instabilitäten können durch unkontrollierte Waffen-
lieferungen vor allem in Krisengebiete und Entwick-
lungsländer, wie bei einigen Lieferländern zu beobach-
ten, erst entstehen oder verschärft werden. Deshalb ist
international der Versuch zu machen, die Transparenz
von Rüstungsexportpolitik jenseits der EU, die einen er-
heblichen Fortschritt gemacht hat, ebenfalls zu erhöhen
und damit einen Beitrag zu weniger Rüstungsexport zu
leisten.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1621430700

Zunächst einmal möchte ich hervorheben, dass wir

heute unser in der letzten Debatte zu den Rüstungsexport-
berichten 2004 bis 2006 gegebenes Versprechen wahrma-
Zu Protokoll
chen, die Rüstungsexportberichte wieder einzeln und
möglichst zeitnah im Plenum zu debattieren. Der vorlie-
gende Rüstungsexportbericht für 2007 ist im Dezember
vom Kabinett verabschiedet worden.

Die Zahlen für den Berichtszeitraum erscheinen auf
den ersten Blick insgesamt ermutigend. Zwar wurde im
Vorfeld mehrfach kritisiert, dass der Gesamtumfang deut-
scher Rüstungsexporte im Jahr 2007 gestiegen ist. Diese
Entwicklung beruht vor allem auf einem Zuwachs der
Sammelausfuhrgenehmigungen im Rahmen von wehr-
technischen Kooperationen mit EU- und NATO-Partnern
– so zum Beispiel der Lieferung von deutschen Kompo-
nenten. Auf nationaler Ebene ergibt sich jedoch ein ande-
res Bild. So ist sowohl die Gesamtsumme der Einzelaus-
fuhrgenehmigungen als auch die Zahl der tatsächlich
exportierten Kriegswaffen gegenüber den Vorjahren zu-
rückgegangen. Der überwiegende Anteil davon, also
etwa 75 Prozent, entfällt auf EU-, NATO- und NATO-
gleichgestellte Länder. Exporte in Drittstaaten umfassten
in jenem Jahr vor allem U-Bootlieferungen nach Südko-
rea. Dabei ist der Anteil der Ausfuhren in Entwicklungs-
länder wie schon in den letzten Jahren weiter zurückge-
gangen auf circa 1,1 Prozent. Insgesamt ist der Anteil von
Kriegswaffen an den deutschen Gesamtexporten mit
0,11 Prozent in diesem Jahr so niedrig wie schon seit
2002 nicht mehr.

Hierzu möchte ich anmerken, dass es relativ müßig ist,
diesen Zahlen allzu großen Aussagewert zuzurechnen,
weil aus der Summe einzelner Exportgeschäfte nicht die
politische Strategie dahinter ableitbar ist. Letztlich zählt
ja nicht der Wert eines Geschäfts, sondern das Empfän-
gerland.

Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass künftig
präzisere Aussagen dazu getroffen werden, wie viele An-
träge eigentlich abgelehnt worden sind. Die Praxis der
wehrtechnischen Industrie, in der Regel zunächst einmal
informell vorzufühlen, ist äußerst intransparent. Auch
würde es mich interessieren, welchen Stellenwert Nach-
forschungen über den Endverbleib der Exporte haben.
Immer wieder einmal hört man, dass Waffenlieferungen
über Schmuggelwege dann doch ihren Weg in Krisenge-
biete finden. Das darf nicht passieren. Es zeigt aber auch,
dass eine nationale Rüstungsexportkontrolle allein nicht
ausreicht. Anstrengungen zur Intensivierung der interna-
tionalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet sind das A
und O.

Es ist daher zu begrüßen, dass die EU-Außenminister
bei ihrem Treffen vor drei Monaten beschlossen haben,
den EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte zu einem
rechtlich verbindlichen Gemeinsamen Standpunkt zu auf-
zuwerten. Das ist bemerkenswert – schließlich hat sich
Frankreich lange dagegen ausgesprochen. Der überar-
beitete Kodex nennt acht Kriterien wie die Menschen-
rechtslage oder die regionale Stabilität, die bei Rüstungs-
exportentscheidungen zu berücksichtigen sind. Außerdem
sind damit Berichtspflichten, ein intensivierter Informa-
tionsaustausch und Konsultationsmechanismen verbun-
den. Die Rüstungsexportkontrolle verbleibt zwar weiter
in nationaler Verantwortung. Gleichzeitig trägt der
Kodex aber zu einer europäischen Harmonisierung der



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
Rüstungsexportkontrolle bei. Die Aufwertung des Kode-
xes werte ich auch als wichtigen Impuls für die Initiative
zur Schaffung eines rechtlich verbindlichen internationa-
len Waffenhandelsabkommens.

Neben dem Rüstungsexportbericht beraten wir heute
einen Antrag der Grünen, der vor allem darauf abzielt,
die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten der deut-
schen Rüstungsexportpolitik zu verbessern. Die Kollegin-
nen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen bemängeln
darin insbesondere, dass die Regierung ohne Mitwirkung
des Parlaments Entscheidungen über Rüstungsexporte
treffen kann. Es ist jedoch nicht ohne Grund so, dass der
Schwerpunkt der Verantwortung bei der Bundesregie-
rung und die Kontrollverantwortung beim Parlament
liegt. Rüstungsexportentscheidungen werden im Einzel-
fall getroffen und geprüft. Dabei spielen betriebswirt-
schaftliche Kennzahlen einzelner Unternehmen eine
Rolle, die so nicht veröffentlicht werden können. Eine of-
fene Diskussion im Bundestag wäre unter diesen Bedin-
gungen gar nicht möglich. Hinzu kommt, dass Parlamen-
tarier realistisch gesehen nicht jede Einzelentscheidung
prüfen können. Unsere Aufgabe liegt vielmehr darin,
Transparenz einzufordern und ein Auge auf die Entwick-
lung auf dem sensiblen Markt der Rüstungsgüter und der
diesbezüglichen Exporte zu haben. Die Bundesregierung
ist seit dem Jahr 2000 dazu verpflichtet, dem Bundestag
jährlich einen Bericht über die Rüstungsexporte des je-
weils letzten Jahres zuzustellen. Dieser Bericht wird auch
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist – das will
ich wiederholen – Auffassung der SPD-Bundestagsfrak-
tion, dass diese Berichte dann auch tatsächlich zeitnah
auf die Plenartagesordnung gesetzt und debattiert wer-
den müssen. Wir haben heute einen guten Neuanfang ge-
macht.

Außerdem möchte ich daran erinnern, dass es einen
Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nichtver-
breitung gibt. Dieses Gremium widmet sich intensiv
Themen wie Streumunition, Kleinwaffen oder privaten
Sicherheitsanbietern, die ebenfalls von anderen Aus-
schüssen begleitet werden. Es ist unsere Pflicht, die Ent-
wicklungen auf diesen Gebieten langfristig und voraus-
schauend zu begleiten. Es ist nicht sinnvoll, kurzsichtig
anhand von aktuell anstehenden Exportentscheidungen
aktiv zu werden. Deshalb kann ich und auch meine Frak-
tion – obwohl wir uns in vielem ja auch einig sind – den
vorliegenden Antrag nicht mittragen.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1621430800

Es ist schon bemerkenswert; da musste das Parlament

über drei Jahre warten, um ein einziges Mal einen Rüs-
tungsexportbericht der Bundesregierung im Plenum dis-
kutieren zu können; und nun haben wir die zweite Debatte
zur Rüstungsexportpraxis der Bundesregierung in nicht
ganz drei Monaten, wenn auch zu nachtschlafener Zeit
und zu einem Bericht, dessen Zahlen bereits in die ver-
gangene Diskussion eingeflossen sind, da dieser noch
schnell zwei Tage vor der letzten Plenardebatte veröffent-
licht wurde.

Gerade aus diesem Grunde steht die heutige Debatte
symbolisch dafür, woran es den Rüstungsexportberichten
Zu Protokoll
der Bundesregierung sowohl formal als auch inhaltlich
mangelt: Transparenz und Verbindlichkeit. Bis heute gibt
es keinen festen Zeitpunkt, zu dem die Bundesregierung
sich verpflichtet, den Rüstungsexportbericht vorzulegen.
So dauert es nach Abschluss des Berichtsjahres nicht selten
über zwölf Monate bis zur Veröffentlichung der Rüstungs-
exportzahlen durch die Bundesregierung, und das, obwohl
die Bundesregierung bereits immer bis Juni nach Abschluss
des Berichtsjahres die entsprechenden Zahlen an die Euro-
päische Union melden muss. Es darf deshalb erstaunen,
dass es scheinbar mehr als ein halbes Jahr benötigt, um
diese Zahlen in eine für das Parlament und die Öffentlich-
keit präsentable Form zu bringen. Dies ist ein Mangel an
Aktualität, der seit längerem nicht nur von der FDP, sondern
auch von Parlament und NGOs kritisiert wird. Und am
Rande sei bemerkt, die Gemeinsame Konferenz für Kirche
und Entwicklung, die jedes Jahr ihren eigenen unabhängi-
gen Rüstungsexportbericht auf Basis der an die EU gemel-
deten Zahlen herausgibt, schafft es übrigens in der Hälfte
der Zeit.

Es wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein,
dies besser zu machen und einen Rüstungsexportbericht
vorzulegen, der es nicht an der nötigen Aktualität vermissen
lässt und auch zeitnah im Parlament debattiert werden
kann.

Wenn die Bundesregierung in ihrer Pressemitteilung
vom 17. Dezember 2008 darauf verweist, dass man im
Jahr 2007 die geringste Zahl an Kriegswaffen seit 2002
exportiert habe, dann ist dies lediglich ein schwacher
Versuch der Augenwischerei. Deutschland zählte auch im
Jahr 2007 zu den führenden Exporteuren von konventio-
nellen Rüstungsgütern weltweit, insbesondere im schwie-
rigen Bereich der Kleinwaffenexporte ist unter der Großen
Koalition ein erheblicher Anstieg zu verzeichnen. Gerade
aus diesem Grunde haben wir eine besondere Verantwor-
tung zu Transparenz und Nachvollziehbarkeit unserer
Ausfuhrentscheidungen. Und es ist deshalb besonders är-
gerlich, wenn sich beim näheren Hinsehen zeigt, dass es
dem Rüstungsexportbericht auch inhaltlich in einzelnen
Bereichen an Klarheit und Vollständigkeit mangelt.

Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang der
Bereich der Sammelausfuhren für Rüstungsgüter. Die
Zahlen der vergangenen Jahre belegen den Trend eines
steigenden Gesamtvolumens an Sammelausfuhren, der sich
im aktuellen Rüstungsexportbericht dadurch bestätigt, dass
im Jahr 2007 die Summe der Sammelausfuhren erstmals
das Gesamtvolumen an Einzelgenehmigungen für Rüs-
tungsgüter überschritten hat. Diese konstant zunehmende
Zahl an Sammelausfuhrgenehmigungen ist das Ergebnis
einer wachsenden Bedeutung der innereuropäischen Rüs-
tungskooperation. Das ist aus Sicht der FDP-Bundestags-
fraktion in jeder Hinsicht begrüßenswert. Problematisch
ist aber, dass die Bundesregierung die Ausfuhren in eu-
ropäische Partnerstaaten lediglich in einer pauschalen
Gesamtsumme in ihrem Rüstungsexportbericht ausweist
und damit von Parlament und Öffentlichkeit nicht nach-
vollzogen werden kann, an welche Staaten der EU Aus-
fuhren stattgefunden haben und wohin Rüstungsgüter mit
deutschen Komponenten über den Endhersteller expor-
tiert wurden. Dies ist aber notwendig. Denn trotz des
rechtsverbindlich gewordenen EU-Verhaltenskodexes für



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
Waffenausfuhren wird die Abwägung über eine endgül-
tige Ausfuhrentscheidung auch weiterhin auf nationaler
Ebene in den einzelnen EU-Staaten getroffen werden. Aus
diesem Grunde ist es wichtig, sichtbar zu machen, welche
EU-Staaten Empfänger deutscher Ausfuhren und mögli-
che Exporteure von Rüstungsgütern mit deutschen Kom-
ponenten sind. Dies kann aber nur eine differenziertere
Angabe der genehmigten Sammelausfuhren leisten.

Darüber hinaus fehlen im Rüstungsexportbericht wich-
tige Kategorien, um das Bild deutscher Ausfuhrpolitik zu
komplettieren. Die Anzahl und die Zielländer der geneh-
migten Exporte für Elektroschockgeräte und Fußfesseln
sind auch weiterhin nicht Bestandteil des Kanons, den der
Rüstungsexportbericht umfasst, obwohl seit Jahren durch
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty Internatio-
nal gewarnt wird, dass diese Geräte in einigen Staaten
gezielt zur Folter eingesetzt werden. Um hier Missbrauch
entgegenzuwirken, der insbesondere dadurch möglich
wird, dass einzelne Empfängerländer diese Güter an
Drittstaaten weiterexportieren, ist es erforderlich, den
Handelsfluss transparent und den Endverbleib nachvoll-
ziehbar zu machen.

Ein belastbarer Rüstungsexportbericht muss darüber
hinaus den aktuellen Entwicklungen und Proliferations-
gefahren Rechnung tragen. Längst befindet sich die
Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzbarkeit
ganzer Gütergruppen in der Auflösung. Deshalb sollte
die Bundesregierung dem Beispiel des Stockholmer Frie-
densforschungsinstituts SIPRI folgen und den Export von
sicherheitsrelevanten Dual-Use-Gütern an militärische
Empfänger in die Berichtsstatistik aufnehmen. Dies schafft
ein notwendiges Mehr an Transparenz und Nachverfolg-
barkeit, ohne dabei weitere bürokratische Lasten für die
deutsche Wirtschaft zu verursachen.

Das Ziel des ebenfalls heute zur Diskussion stehenden
Antrags von Bündnis 90/Die Grünen ist eine signifikante
Beschränkung des internationalen Handels mit Rüstungs-
und Dual-Use-Gütern. Parallel zu der Beschränkung des
Handels soll zusätzliche Bürokratie aufgebaut und Kredit-
bürgschaften sollen in einschlägigen Wirtschaftsbereichen
beendet werden. Die Forderung, die erprobte, sachnahe
und wirtschaftsfreundliche Zuständigkeit der Ausfuhr-
genehmigung im bislang konsultativ eingebundenen Aus-
wärtigen Amt zu bündeln, widerspricht einer konsistenten
Außenwirtschaftsförderung.

Wir Liberalen lehnen diesen Antrag daher ab.


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1621430900

2007 war erneut ein gutes Jahr für die Rüstungsindus-

trie. Die Bundesregierung genehmigte Rüstungslieferun-
gen im Wert von mehr als acht Milliarden Euro in aller
Herren Länder, von A wie Afghanistan bis Z wie Zypern.
Genehmigt wurden Exporte von Artilleriemunition bis
Zielortungsgeräte. Darüber hinaus wurde ein immer grö-
ßerer Teil als sogenannte Sammelausfuhrgenehmigungen
für Rüstungsexporte in unbekannte Staaten erteilt – im-
merhin im Wert von fünf Milliarden Euro. Qualität, Quan-
tität und in mehr als 60 Prozent der Genehmigungsfälle
sogar der Empfänger der deutschen Rüstungstechnologie
blieben unbekannt. Transparenz buchstabiert sich an-
Zu Protokoll
ders, verantwortungsvolle und restriktive Rüstungsex-
portpolitik auch.

Solange Fragen des Friedens weniger Schutzbedürfnis
genießen als die geschäftlichen Interessen einzelner Un-
ternehmen, sind Verhaltenskodizes für Rüstungsexporte
nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind.
Gerne jammert die Bundesregierung mit, wenn mal wie-
der deutlich wurde, wie lange deutsche Kleinwaffen, wie
zum Beispiel das vor mehr als drei Jahrzehnten entwi-
ckelte G-3-Sturmgewehr von Heckler&Koch im Sudan,
weltweit auf den Kriegsschauplätzen eingesetzt werden.
Genauso gerne wird geleugnet, dass die jetzigen Exporte
von Kleinwaffen oder gepanzerten Fahrzeugen eine ähn-
liche Lebenszeit haben. Wer weiß schon, wie die heute an
sogenannte strategische Partner gelieferten U-Boote in
20 Jahren eingesetzt werden? Die Bundesregierung auf
jeden Fall nicht. Das System der Endverbleibskontrolle
spottet jeder Beschreibung. Kontrolle bedeutet hier, dem
Empfänger tief in die Augen zu schauen und zu vertrauen,
dass er es schon nicht böse meint.

Obwohl die Praxis also zeigt, wie lückenhaft die Erfas-
sung der Rüstungsexporte ist, arbeitet die Bundesregie-
rung daran, das Exportkontrollsystem für konventionelle
Rüstungsgüter weiter auszuhöhlen. Vom ehemaligen EU-
Kommissar für Industrie, dem FDP-Politiker Martin
Bangemann, maßgeblich mitinitiiert, sollen innerhalb
der Europäischen Union nun die letzten Hürden für den
Rüstungsexport fallen, die letzten Möglichkeiten der Er-
fassung von Rüstungsexporten beseitigt werden. Die EU-
Richtlinie zur Schaffung eines Binnenmarktes für Vertei-
digungsgüter, die im Januar 2009 beschlossen wurde,
sieht vor, dass Waffenkomponenten keine Genehmigung
mehr brauchen und der Endverbleib auch nicht mehr
kontrolliert werden muss. Nach Möglichkeit sollen die
Rüstungsunternehmen in Zukunft selber die von ihnen ex-
portierte Menge an Rüstungsgütern melden und sich auch
um die Einhaltung des Endverbleibs kümmern. Schöne
Neue Welt!

Die Europäisierung der Rüstungsexportkontrolle führt
nur dazu, dass die Unzulänglichkeiten der nationalen
Kontrolle auf die europäische Ebene gehoben werden und
sich dort potenzieren. Letzten Endes ist dies weder im In-
teresse der Allgemeinheit noch in dem der Streitkräfte, die
vielleicht in absehbarer Zeit mit der eigenen Technik kon-
frontiert werden. Lediglich die Rüstungsindustrie profi-
tiert davon – denn dann gilt es natürlich Gegenmaßnah-
men gegen die eigene Rüstungstechnologie zu entwickeln.

Die Bundesregierung setzt leider den falschen Weg von
Rot-Grün fort. Seit 1999 wurden Rüstungsexporte im
Wert von mehr als 56 Milliarden Euro genehmigt. Deut-
sche Rüstungstechnologie und auch Waffen aus Bundes-
wehrbeständen wurde an Staaten geliefert, die Men-
schenrechte systematisch verletzten und an Kriegen und
bewaffneten Konflikten beteiligt sind, abgesichert wur-
den die Rüstungsgeschäfte zum Teil sogar mit staatlichen
Bürgschaften.

Die Genehmigungspolitik der Bundesregierung orien-
tiert sich vor allem an Produktionskapazitäten und Aus-
lastungen der deutschen Rüstungsunternehmen, den
bündnispolitischen und wirtschaftlichen Interessen. Häu-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (Köln)

fig dient der Export deutscher Rüstungstechnologie und
die Kooperation bei der Entwicklung von Rüstungspro-
jekten sogar dem Aufbau von Rüstungsproduktionskapa-
zitäten in Drittstaaten. Diese Praxis kann und muss be-
endet werden.

Die derzeitige weltweite Aufrüstung trägt zur interna-
tionalen Destabilisierung bei und gefährdet den Frieden
in vielen Regionen der Welt. Die Proliferation deutscher
bzw. westlicher Rüstungstechnologie macht die Welt nicht
sicherer, sondern trägt dazu bei, Kriege und Konflikte für
einige Staaten erst führbar zu machen. Zudem ist abzuse-
hen, dass die fortschreitende Europäisierung des Rüs-
tungsmarktes und die Globalisierung der Rüstungsindus-
trie die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten immer
weiter einschränken werden. Die Bundesregierung muss
hier endlich ein klares Gegenzeichen setzen und die Wei-
chen für eine wirklich restriktive Rüstungsexportpolitik
stellen.

Die Linke hat bereits im Dezember letzten Jahres dazu
einige erste Vorschläge in den Bundestag eingebracht,
die leider nicht die Zustimmung der anderen Fraktionen
gefunden haben: Stopp von Exportbürgschaften und
Stopp der Abgabe von Bundeswehrmaterial. Überschüs-
siges Gerät ist zu vernichten. Die deutsche Mitwirkung an
der Auslagerung von rüstungspolitischen Zuständigkei-

(wie zum Beispiel in der Europäischen Rüstungsagentur)

muss beendet werden. Die Liste ließe sich noch eine Weile
fortführen. Es besteht auf jeden Fall erheblicher Verbes-
serungsbedarf.

Aber eigentlich geht es hier und jetzt leider erst einmal
darum, überhaupt eine Teilhabe der Öffentlichkeit an der
Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung durchzuset-
zen. Regierung, Streitkräfte und Industrie mauscheln im
Dunkeln. Informationen werden – wenn überhaupt – nur
mit erheblicher Verspätung veröffentlicht: Heute disku-
tieren wir über einen Zeitraum, der bereits 16 Monate zu-
rückliegt! Wir erfahren nicht einmal, welche Waffen und
Rüstungskomponenten tatsächlich ausgeliefert wurden,
weil die Bundesregierung nicht bereit ist, die statistische
Erfassungssystematik zu ändern. Kontrolle wird hier ad
absurdum geführt.

Deutlichstes Zeichen für den Unwillen und das Des-
interesse der Regierung und der Regierungsparteien, ihre
Rüstungsexportpolitik auf den Prüfstand zu stellen, ist
der Umgang mit den jährlichen Rüstungsexportberich-
ten: Nachdem die Berichte für die Jahre 2004 bis 2006 in
einem Schwung erst Ende 2008 diskutiert wurden, wird
der „aktuelle“ Bericht für 2007 nun nur pro forma im
Bundestag behandelt – die Regierungsparteien haben
sich mit ihrem Wunsch durchgesetzt, die Redebeiträge
nur zu Protokoll zu geben. Der nächste Bundestag muss –
wenn er sich ernst nimmt – mit dieser Praxis brechen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1621431000

Nachdem wir auf Antrag der Grünen im Dezember

erstmals in dieser Legislaturperiode eine parlamentari-
sche Aussprache über die Rüstungsexportpolitik der
Bundesregierung hatten, mussten wir erleben, dass die
Koalitionsfraktionen alles dafür taten, dass die Rüstungs-
Zu Protokoll
exportpolitik der Bundesregierung nicht öffentlich the-
matisiert wird. Die Rüstungsexportberichte und unser
Antrag wurden im Eilverfahren und ohne Aussprache
durch die Ausschüsse gepeitscht. Und auch heute müssen
wir wieder erleben, dass für eine mündliche Aussprache
im Parlament keine Zeit ist.

Die Grünen mahnen seit Jahren an, dass sich dieser
Bundestag intensiver mit der Frage der Rüstungsexport-
politik beschäftigen muss. Leider scheuen die meisten
Fraktionen und Abgeordneten das Thema. Insbesondere
die Regierungsfraktionen stellen sich taub und blind.
Man beklagt im besten Fall, dass man vonseiten der Bun-
desregierung zu spät unterrichtet wird, und versteckt sich
ansonsten hinter der Behauptung, dass die Bundesrepu-
blik eine besonders restriktive Rüstungsexportpolitik be-
treibe und von daher alles in Ordnung sei. In der Union,
bei SPD und bei der FDP wird sogar offen gefordert, dass
Deutschland sich die Rüstungsexportgeschäfte nicht ent-
gehen lassen dürfe, dass man eine starke eigene Rüs-
tungsindustriekapazität erhalten müsse. Und weil der na-
tionale Markt das nicht hergibt und unsere Partner in der
NATO und EU ihre Rüstungsmärkte abschotten, wächst
der Druck, außerhalb von NATO und EU Absatzmärkte zu
finden.

Wir haben uns oft beklagt, dass die deutschen Rüs-
tungsexportberichte so spät kommen und andere Regie-
rungen ihre Parlamente frühzeitiger und umfassender
informieren. Eine vernünftige parlamentarische Behand-
lung ist damit unmöglich. Selbst die EU wird von der Bun-
desregierung früher und umfassender informiert als der
Bundestag. Gegenüber dem Bundestag wird behauptet,
die Ressorts müssten den knapp 30-seitigen Text mit den
Tabellen und Schaubildern oft mühsam Wort für Wort ab-
stimmen. Wenn die Bundesregierung mehr Zeit braucht,
um dem Bundestag weniger Informationen zu geben als
anderen, dann werden wir in Zukunft verstärkt dafür sor-
gen, dass der Bundestag wieder zeitnäher unterrichtet
wird.

Wenn wir uns die vorliegenden Zahlen für die vergan-
genen Jahren anschauen und auch in Betracht ziehen,
was internationale Erhebungen wie die des Stockholmer
Friedensforschungsinstituts SIPRI ergeben, dann wird
zum wiederholten Mal deutlich, dass von Restriktivität
keine Rede sein kann. Obwohl Staaten wie Frankreich,
Großbritannien und Russland immer wieder behaupten,
sie würden ihre Rüstungsexporte nun weiter und offensiv
ausbauen, landet in der Praxis dann doch die Bundesre-
gierung mit ihrer vermeintlich restriktiven Exportpolitik
regelmäßig unter den führenden Rüstungsexporteuren
weltweit. Und selbst wenn Franzosen oder Briten wieder
einen spektakulären Export verbuchen können, wie zum
Beispiel bei der skandalumwitterten Lieferung des Euro-
fighters an Saudi-Arabien, verdient die deutsche Rüs-
tungsindustrie an diesem Geschäft. Die Rüstungsunter-
nehmen haben inzwischen ein ausgeklügeltes und
arbeitsteiliges System entwickelt, wie man über Firmen-
sitz, Tochterfirmen, Kooperationsprojekte und Zuliefe-
rungen die Schwächen der jeweiligen nationalen Export-
politik nutzen kann, um am schnellsten und effektivsten
zum Ziel zu kommen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
Alljährlich werden auf direktem Wege Rüstungsgüter
im Wert von mehren hundert Millionen Euro in Entwick-
lungsländer und in Krisenregionen, 2007 zum Beispiel an
Pakistan und Indien, exportiert. Auch Staaten wie Ägyp-
ten, Indonesien, Jordanien, Südkorea oder die Vereinig-
ten Arabischen Emirate werden fleißig bedient. Wie hoch
die Exporte tatsächlich sind, was zu welchen Konditionen
geliefert wurde, wissen wir nicht. Denn die Exportstatis-
tik erfasst lediglich die tatsächliche Ausfuhr von Kriegs-
waffen und nicht die tatsächliche Ausfuhr der übrigen
Rüstungsgüter oder Güter mit doppeltem Verwendungs-
zweck. Die Genehmigungszahlen, etwa im Kleinwaffen-
bereich, sind erschreckend. Im Jahr 2007 hat die Bundes-
regierung den Export von Kleinwaffen im Wert von
30 Millionen Euro in Staaten außerhalb der EU und
NATO genehmigt. Amnesty International und andere be-
klagen zu Recht, dass diese deutschen Kleinwaffen in
Staaten wie Ägypten, Indien, Mexiko, Saudi-Arabien oder
den Vereinigten Arabischen Emiraten nichts verloren ha-
ben.

Ich halte nichts davon, jegliche Rüstungsexporte zu
verfluchen, und auch eine verstärkte Rüstungskoopera-
tion in Europa bedeutet in meinen Augen nicht zwangs-
läufig eine Militarisierung der EU. Im Gegenteil, wir
Grünen sind sogar der Auffassung, dass wir Überkapazi-
täten im Rüstungsbereich nur dann mit Aussicht auf Er-
folg abbauen können, wenn wir im Bündnisrahmen und
im Rahmen der EU enger zusammenarbeiten und auf na-
tionale Alleingänge verzichten. Das heißt aber grund-
sätzlich Ja zur europäischen Rüstungskooperation. Das
heißt Ja zu einer Europäischen Verteidigungsagentur, so-
fern sie endlich in die Lage versetzt werden würde, sich
dieses Themas auch ernsthaft annehmen zu dürfen. Und
das heißt Ja zu einer restriktiven und verbindlichen ge-
meinsamen Rüstungsexportpolitik der EU. Im internatio-
nalen Maßstab heißt dies auch Ja zu einem weitreichen-
den internationalen Waffenhandelsabkommen, wofür
sich nicht zuletzt dankenswerterweise zahlreiche Nobel-
preisträger und NGOs wie Amnesty International,
OXFAM und IANSA nachdrücklich einsetzen. Viele Ex-
porte sind in der Regel und im Grundsatz auch nicht zu
beanstanden. Aber es gibt hier eine Reihe von Geschäf-
ten, bei denen wir Grüne, Menschenrechtsgruppen und
viele andere – frei nach den Worten des Bundespräsiden-
ten – sagen: Das tut man nicht.

Eigentlich haben wir mit den Rüstungsexportrichtli-
nien und dem Gemeinsamen Standpunkt zu Waffenaus-
fuhren gute Grundlagen, anhand derer wir entscheiden
könnten. Diese Bundesregierung interpretiert diese
Grundsätze aber nicht mehr restriktiv, sondern extensiv.
Nachdem Rot-Grün damit Schluss gemacht hat, Länder
wie Indonesien den NATO-Staaten gleichzustellen, setzt
diese Regierungskoalition immer ungehemmter auf Ex-
porte in Krisenregionen. Die Kanzlerin, der Wirtschafts-
minister, der Verteidigungsminister und der Außenminis-
ter reisen nach Pakistan und Indien und bieten den beiden
Kontrahenten mit U-Booten, Jagdflugzeugen und Hub-
schraubern das Modernste an, was deutsche Rüstungs-
schmieden zu bieten haben. Die Käufer spielen die Ex-
portnationen hemmungslos gegeneinander aus. Sie
wollen ihre eigene Rüstungsindustrie aufbauen, die dann
wiederum exportieren muss, um ökonomisch überleben
zu können. Um den Zuschlag zu bekommen, werden nicht
selten dubiose Sonderzuwendungen fällig. Importeure
wie Pakistan und Indien fordern Technologietransfer und
Kompensationsgeschäfte in Milliardenhöhe. Die riskan-
ten Geschäfte werden dann auch noch mit milliardenteu-
ren Hermes-Bürgschaften abgesichert.

Wir meinen: Damit muss Schluss sein. Dies wider-
spricht eindeutig den Politischen Grundsätzen für den
Rüstungsexport. Rüstungsexporte sind kein Geschäft wie
jedes andere. Wir fordern eine stärkere Parlamentsbetei-
ligung. Und wir halten es für die Pflicht des Deutschen
Bundestages, bei solchen Exporten genauer hinzu-
schauen und die Stimme zu erheben. Es geht nicht an,
dass der Bundestag über den Einsatz bewaffneter Streit-
kräfte entscheidet, aber bei der Lieferung von Waffen
wegschaut und sagt, das ist Aufgabe der Exekutive. Wir
Grünen haben im Dezember einen Antrag vorgelegt, in
dem wir für mehr Transparenz und parlamentarische
Kontrolle und einen Systemwechsel in der Rüstungs-
exportpolitik geworben haben. Uns geht es um Export-
kontrolle und nicht Exportförderung.

Wir appellieren insbesondere an die Regierungsfrak-
tionen: Nehmen Sie Ihre Kontrollaufgabe wahr! Unter-
stützen Sie uns dabei, dass der Bundestag in die Lage ver-
setzt wird, im Vorfeld von strategisch wichtigen oder
kritischen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Es kann
nicht sein, dass dem Bundestag mit dem Hinweis auf Be-
triebs- und Geschäftsgeheimnisse Informationen vorent-
halten werden, die Rüstungsindustrie aber weiß, wann
der Bundessicherheitsrat tagt, was auf der Tagesordnung
steht und was entschieden wurde. Anschließend rühmt
sich das Unternehmen öffentlich für diese Aufträge. Der
Bundestag erfährt dann im besten Fall anderthalb Jahre
später offiziell von diesen Exporten, aber nur, wenn er in
der Lage ist, die kryptischen und lückenhaften Berichte
der Bundesregierung zu entschlüsseln. So kann und darf
es nicht weitergehen.

Bedanken möchte ich mich zum Schluss bei der Ge-
meinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung – GKKE –,
bei Amnesty International, OXFAM und den anderen
Nichtregierungsorganisationen, die mit ihrer kritischen
Beobachtung, ihren Berichten und ihren Forderungen
dazu beitragen, dass das Thema Rüstungsexportpolitik
auf der politischen Tagesordnung bleibt. In Zeiten einer
Großen Koalition ist dies wichtiger denn je.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1621431100

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/11583 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es auch so be-
schlossen.

Tagesordnungspunkt 29 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine
restriktive Rüstungsexportpolitik – Parlamentarische
Kontrollmöglichkeiten verbessern“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

sache 16/11975, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/11388 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge-
gen die Stimmen der Grünen und der Linken angenom-
men.

Zusatzpunkt 7:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth

(Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken,



(Zahlungsdiensteumsetzungsgesetz)


– Drucksachen 16/11613, 16/11640 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 16/12430, 16/12487 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Albert Rupprecht (Weiden)

Martin Gerster
Frank Schäffler
Dr. Barbara Höll
Dr. Gerhard Schick
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Stärkung des europäischen Haischutzes

– Drucksachen 16/12290, 16/12458 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Markus Kurth

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu geben. Das erfolgt von den Kollegen Jahr,
Ortel, Dr. Happach-Kasan, Dr. Enkelmann und Dr. Kurth

(Quedlinburg).1)


Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt auf Drucksache 16/12458, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12290 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositions-
fraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 8:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vor-

1) Anlage 10
Folgende Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben: Rupprecht (Weiden), Gerster, Schäffler,
Dr. Troost, Dr. Schick.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Druck-
sachen 16/12430 und 16/12487, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 16/11613 und
16/11640 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Lin-
ken und der Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 27. März 2009, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.