Protokoll:
16200

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 200

  • date_rangeDatum: 22. Januar 2009

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:34 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/200 Jahresgutachten 2008/09 des Sachver- ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 16/10985) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Drucksachen 16/10486, 16/11669) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für einen sozial gerechten Mindestlohn in Deutschland (Drucksachen 16/1878, 16/11669) . . . . . . Olaf Scholz, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21566 D 21567 A 21569 A 21570 B 21573 A 21575 B 21577 C 21579 C 21580 D 21585 C 21585 D 21586 A 21588 D 21590 D 21593 B 21593 D Deutscher B Stenografisc 200. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Paul Schäfer (Köln) . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Hedi Wegener zur Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2009 der Bun- desregierung Konjunkturgerechte Wachstumspolitik (Drucksache 16/11650) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 21565 B 21565 B 21565 B 21566 D Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 21582 C 21584 B undestag her Bericht tzung en 22. Januar 2009 l t : Tagesordnungspunkt 12: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über die Fest- setzung von Mindestarbeitsbedin- gungen (Drucksachen 16/10485, 16/11669) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über zwin- gende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäf- tigte Arbeitnehmer und Arbeitneh- merinnen (Arbeitnehmer-Entsende- gesetz – AEntG) 21585 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . 21594 B 21595 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Nahles (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufs- recht, zur Errichtung einer Schlich- tungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichts- ordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften (Drucksache 16/11385) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung truppenzollrechtlicher Vorschriften und anderer Vorschriften (Truppenzollrechtsänderungsgesetz) (Drucksache 16/11566) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 15. Okto- ber 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija über die Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 16/11567) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 13. Novem- ber 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Haschemitischen Königreich Jordanien über die Förde- rung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 16/11568) e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über den Zugang von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie Nach- richtendiensten zum Visa-Informations- system (VIS-Zugangsgesetz – VISZG) (Drucksache 16/11569) . . . . . . . . . . . . . . . 21597 C 21599 D 21602 A 21603 A 21604 C 21605 D 21607 C, D 21608 C, 21613 C 21610 B 21611 A 21611 A 21611 A 21611 B f) Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Schutz der Bienenvölker sicherstellen (Drucksache 16/10322) . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umstellung der Um- satzsteuer von der Soll- auf die Istbe- steuerung (Drucksache 16/9836) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betäubungslose Kastration von Ferkeln beenden – Alternativen fördern (Drucksache 16/10615) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehrweg- systeme durch Lenkungsabgabe auf Einwegverpackungen stützen (Drucksache 16/11449) . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Präven- tion der Glücksspielsucht stärken (Drucksache 16/11661) . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Perso- nenbeförderungsgesetzes (Drucksache 16/11635) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 23. März 2007 des Übereinkommens vom 20. August 1971 über die Interna- tionale Fernmeldesatellitenorganisation „ITSO“ (Drucksachen 16/10932, 16/11629) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeord- 21611 B 21611 B 21611 C 21611 C 21611 D 21611 D 21612 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 III neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Afrika auf dem Weg zu De- mokratie und nachhaltiger Entwick- lung unterstützen (Drucksachen 16/4425, 16/5310) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedenspro- zesses im Nahen Osten nach der Resolu- tion 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 (Drucksachen 16/3547, 16/6496) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neujustierung der Auswärtigen Kultur- politik (Drucksachen 16/6604, 16/7970) . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisie- rung Pakistans (Drucksachen 16/8752, 16/9430) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige Ghetto-In- sassen erleichtern (Drucksachen 16/6437, 16/10334) . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Konsequenzen aus der Exis- tenz weiterer fauler Wertpapiere bei deut- schen Banken im Umfang von Hunderten Milliarden Euro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Maurer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21612 B 21612 C 21612 D 21612 D 21613 A 21615 B 21615 D 21617 A Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ortwin Runde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energie- kosten sozial ausrichten – Sozialtarife einführen, wirksame Strompreisaufsicht schaffen, Energiesparen ermöglichen (Drucksachen 16/10510, 16/11626) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: E.ON-Netz in die öffentli- che Hand übernehmen (Drucksachen 16/8494, 16/11627) . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biogaseinspeisung und Wärme- einsparung jetzt voranbringen – Konse- quenzen aus Erdgas-Streit und Ressourcen- verknappung ziehen (Drucksache 16/11645) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21618 A 21619 B 21620 A 21621 B 21622 C 21623 D 21624 D 21625 D 21627 B 21628 A 21629 A 21630 B 21630 B 21630 B 21630 C 21632 B 21633 C 21635 B 21636 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapital- beteiligung (Mitarbeiterkapitalbe- teiligungsgesetz) (Drucksachen 16/10531, 16/10721, 16/11679) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/11680) . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mitarbeiterbeteiligung – Eigenverant- wortliche Vorsorge stärken (Drucksachen 16/9337, 16/11679) . . . . . . Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Josef Laumann, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 28. April und 5. Mai 2008 des Über- einkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) (Drucksachen 16/10535, 16/11664) . . . . . . . . 21638 B 21639 B 21640 A 21640 B 21640 D 21643 A 21643 A 21643 D 21644 A 21644 A 21644 B 21645 D 21647 C 21648 C 21650 A 21651 D 21653 B 21654 B 21655 D 21657 C Ortwin Runde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Um- setzung der EU-Zentralasienstrategie (Drucksachen 16/8951, 16/10712) . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Hedi Wegener (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP: Angemessene und zukunftsorientierte Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD: Angemessene und zu- kunftsorientierte finanzielle Unterstüt- zung der Contergangeschädigten si- cherstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für einen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medi- zinskandals (Drucksachen 16/11223, 16/8754, 16/8748, 16/11625) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: 21657 D 21659 C 21660 D 21662 A 21662 D 21663 D 21664 D 21665 A 21666 A 21667 B 21668 C 21669 D 21670 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 V Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für Conterganbetroffene (Drucksache 16/11639) . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Blumenthal (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Lockerung des Verbots wiederholter Befristungen (Drucksache 16/10611) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen, unbefristete Beschäftigung stärken (Drucksache 16/9807) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Infrastruktur und Marketing für den Wassertourismus in Deutschland verbes- sern (Drucksachen 16/10593, 16/11303) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Tarif- flucht verhindern – Geltung des Günstig- keitsprinzips bei Betriebsübergängen nach § 613 a BGB sicherstellen (Drucksache 16/10828) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung 21671 A 21671 A 21672 C 21673 C 21674 D 21676 A 21677 B 21677 B 21677 C 21677 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gesine Multhaupt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem durch eine diffe- renzierte Gleichstellungspolitik voran- treiben – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Frauen auf dem Sprung in die Wissenschaftselite – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE: Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisie- rung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungsverhältnisse herstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gen- der-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung – zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Her- born), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gleichstellung und Genderkompetenz als Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Innovation in der Wissenschaft (Drucksachen 16/9756, 16/9604, 16/8742, 16/5898, 16/8753, 16/11631) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Einheitliches Strom- netz schaffen – Unabhängige Netzgesell- schaft gründen (Drucksache 16/9798) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA- Verfahrensgesetz) (Drucksachen 16/10492, 16/11666) . . . . . 21678 A 21679 A 21679 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/11667) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Novel- lierung des Personenbeförderungsge- setzes – Wettbewerb im öffentlichen Personenfernverkehr zulassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes – Fern- linienbusverkehre ermöglichen (Drucksachen 16/384, 16/842, 16/3905) . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . Klaus Hofbauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2009 (ERP-Wirtschaftsplan- gesetz 2009) (Drucksachen 16/10663, 16/11628) . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21679 B 21679 C 21680 D 21681 D 21682 B 21682 D 21683 C 21684 A 21685 A 21686 A 21687 A 21688 A 21689 A 21689 B 21690 B 21690 D 21691 C 21692 A Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Norman Paech, Hüseyin- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan (Drucksachen 16/5141, 16/6778) . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (Drucksache 16/11339) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Rainder Steenblock, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stärkung des Hohen Repräsentanten der EU in Bos- nien-Herzegowina (Drucksache 16/11074) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen)(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21692 D 21693 A 21694 A 21694 D 21695 A 21696 B 21697 A 21697 A 21698 C 21699 C 21700 B 21701 A 21701 C 21702 B 21702 C 21703 B 21704 B 21705 A 21705 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 VII Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Michael Leutert, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschiebestopp für Flücht- linge aus Sri Lanka – zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Undine Kurth (Quedlinburg), Monika Lazar und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Asylsuchende aus Sri Lanka besser schützen (Drucksachen 16/4203, 16/4427, 16/9111) . . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine NATO-Erweiterung – Si- cherheit und Stabilität mit und nicht gegen Russland (Drucksache 16/11247) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Markus Meckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung: – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen – Entwurf eines Gesetzes über zwingende Ar- beitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland be- 21706 C 21706 D 21707 D 21708 C 21709 A 21709 D 21710 D 21710 D 21712 B 21713 B 21713 D 21714 D 21715 D 21717 A schäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehme- rinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG) – Beschlussempfehlung: Für einen sozial gerechten Mindestlohn in Deutschland (Tagesordnungspunkt 12 a und b) . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Lockerung des Verbots wiederholter Befristungen – Antrag: Befristete Arbeitsverhältnisse be- grenzen, unbefristete Beschäftigung stärken (Tagesordnungspunkt 18 a und b) . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Infrastruktur und Marketing für den Wassertourismus in Deutsch- land verbessern (Tagesordnungspunkt 19) Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Tarifflucht verhindern – Geltung des Günstigkeitsprinzips bei Betriebsübergän- gen nach § 613 a BGB sicherstellen (Tages- ordnungspunkt 20) Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Andreas Steppuhn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . 21717 D 21718 A 21719 B 21719 D 21720 B 21720 C 21720 C 21721 D 21722 C 21723 B 21724 A 21724 D 21725 C 21727 B 21729 B 21729 D 21730 C 21731 A 21732 B 21733 C VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Qualitätssicherung im Wissenschaftssys- tem durch eine differenzierte Gleichstel- lungspolitik vorantreiben – Frauen auf dem Sprung in die Wissen- schaftselite – Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisierung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungsverhältnisse her- stellen – Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gender-Per- spektiven in Wissenschaft und Forschung – Gleichstellung und Genderkompetenz als Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Inno- vation in der Wissenschaft (Tagesordnungspunkt 21) inger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . thaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . eper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . itte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . r (BÜNDNIS 90/ NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l gegebene Reden zur Beratung des inheitliches Stromnetz schaffen – e Netzgesellschaft gründen (Ta- spunkt 22) üßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . lmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . pp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Fell (BÜNDNIS 90/ NEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . itteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21735 D 21737 A 21738 D 21740 A 21740 D 21741 D 21743 A 21744 C 21745 A 21745 D 21746 B Anette Hüb Gesine Mul Cornelia Pi Dr. Petra S Krista Sage DIE GRÜ Anlage 7 Zu Protokol Antrags: E Unabhängig gesordnung Dr. Georg N Rolf Hempe Gudrun Ko Ulla Lötzer Hans-Josef DIE GRÜ Anlage 8 Amtliche M 21734 B 21735 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21565 (A) (C) (B) (D) 200. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21717 (A) (C) (B) (D) nen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG) (Drucksache 16/1048616/11669)Paula, Heinz SPD 22.01.2009 – zum Entwurf eines Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland be- schäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin- Nitzsche, Henry fraktionslos 22.01.2009 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.01.2009 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Addicks, Karl FDP 22.01.2009 Ahrendt, Christian FDP 22.01.2009 Dr. Akgün, Lale SPD 22.01.2009 Annen, Niels SPD 22.01.2009 Behm, Cornelia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.01.2009 Bodewig, Kurt SPD 22.01.2009* Brüderle, Rainer FDP 22.01.2009 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 22.01.2009 Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 22.01.2009 Dreibus, Werner DIE LINKE 22.01.2009 Ehrmann, Siegmund SPD 22.01.2009 Ernst, Klaus DIE LINKE 22.01.2009 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 22.01.2009 Gloser, Günter SPD 22.01.2009 Granold, Ute CDU/CSU 22.01.2009 Großmann, Achim SPD 22.01.2009 Hauer, Nina SPD 22.01.2009 Hempelmann, Rolf SPD 22.01.2009 Hinz (Essen), Petra SPD 22.01.2009 Dr. Jahr, Peter CDU/CSU 22.01.2009 Kurth (Quedlinburg), Undine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.01.2009 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 22.01.2009** Lösekrug-Möller, Gabriele SPD 22.01.2009 Meinhardt, Patrick FDP 22.01.2009 Mücke, Jan FDP 22.01.2009 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO ** für die Teilnahme an der Jahrestagung der Ostseeparlamentarier- konferenz Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung: – zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Drucksa- che 16/10485) Raab, Daniela CDU/CSU 22.01.2009 Raidel, Hans CDU/CSU 22.01.2009 Reiche (Potsdam), Katherina CDU/CSU 22.01.2009 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 22.01.2009 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 22.01.2009 Schily, Otto SPD 22.01.2009 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 22.01.2009 Dr. Stinner, Rainer FDP 22.01.2009 Strothmann, Lena CDU/CSU 22.01.2009 Dr. Struck, Peter SPD 22.01.2009 Tauss, Jörg SPD 22.01.2009 Teuchner, Jella SPD 22.01.2009 Thießen, Jörn SPD 22.01.2009 Thönnes, Franz SPD 22.01.2009*** Veit, Rüdiger SPD 22.01.2009 Dr. Wend, Rainer SPD 22.01.2009 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 21718 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) – zur Beschlussempfehlung: Für einen sozial gerechten Mindestlohn in Deutschland (Drucksachen 16/1878, 16/11669) (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Gitta Connemann (CDU/CSU): Ich stimme beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung nicht zu. Denn auch nach sorgfältiger Abwägung des Für und Wider habe ich schwerwiegende rechtliche und politische Be- denken sowohl im Hinblick auf die grundsätzlichen Wir- kungen beider Gesetzentwürfe als auch auf die hand- werkliche Umsetzung. Es ist zwar zuzubilligen, dass im Vergleich zu den ur- sprünglichen Vorstellungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erhebliche Verbesserungen erreicht werden konnten. Hier ist aus meiner Sicht insbesondere zu nennen, dass auf der Grundlage des AEntG nur bun- desweite Tarifverträge erstreckt werden dürfen, dass laut MiArbG der Hauptausschuss die Einführung von Min- destarbeitsentgelten nur beschließen darf, wenn er so- ziale Verwerfungen in einer Branche feststellt, dass durch das MiArbG ausschließlich Mindestentgelte und nicht auch sonstige Arbeitsbedingungen festgesetzt wer- den können, dass die Vereinbarung tarifvertraglicher Ausschlussfristen im AEntG und im MiArbG möglich bleibt und dass es eines gemeinsamen Antrages beider Tarifvertragsparteien bedarf. Diese Änderungen beseiti- gen aber nicht meine grundsätzliche Befürchtung, dass die grundgesetzlich verankerte Tarifautonomie durch beide Gesetzentwürfe geschwächt wird. Es bleibt die Kernfrage: Tarifautonomie, quo vadis? Diese muss ich für mich negativ beantworten. Denn aus meiner Sicht werden durch die beiden Gesetzentwürfe die Vorausset- zungen dafür eröffnet, Tarifverträge durch eine staatliche Lohnfestsetzung zu verdrängen. Es wird ein Tarifnach- rang geschaffen. Darin sehe ich eine Aushöhlung der Ta- rifautonomie und damit eines Eckpfeilers der sozialen Marktwirtschaft. Bei dieser Tarifautonomie handelt es sich nicht um eine Floskel, sondern um ein hohes Verfassungsgut, das aus gutem Grund seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland geschützt wird. Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz garantiert die Koalitionsfreiheit, das heißt die Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirt- schaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten, ihr fern- zubleiben oder sie zu verlassen. Sie begründet das Recht der Tarifparteien, Tarifverträge frei von staatlichen Ein- griffen abzuschließen. Diese Regelungsbefugnis er- streckt sich insbesondere auf das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen. Die von Ge- werkschaften und Arbeitgebern verhandelten Tarifver- träge haben immer Vorrang vor staatlich festgesetzten Löhnen und Arbeitsbedingungen – bislang. Dieser Tarifvorrang ist bisher gesetzlich festgeschrie- ben. Durch beide Gesetzentwürfe wird diese gesetzliche Lage in ihr Gegenteil verkehrt. Zukünftig können staat- lich verordnete Löhne Tarifvertrage außer Kraft setzen. Dies kommt insbesondere in der Neuformulierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes zum Ausdruck. So bestimmt § 2 Abs. 3 des bisherigen MiArbG: „Tarif- vertragliche Bestimmungen gehen den Mindestarbeits- bedingungen vor.“ Dieser klare und eindeutige Tarifvorrang wird in dem Gesetzentwurf zum Mindestar- beitsbedingungenänderungsgesetz gestrichen und durch eine stark einschränkende Übergangsregelung ersetzt. Danach sollen zukünftig nur Tarifverträge, die vor dem 16. Juli 2008 bestanden, und deren Folgetarifverträge vorrangig sein. Diese Regelung nimmt Tarifregelungen per se den Vorrang, die später entstehen, wie zum Bei- spiel bei neuen Branchen oder Tariflandschaften. Im Übrigen kann der Abschluss eines Folgetarifvertrages je- derzeit einseitig von einer Tarifvertragspartei verhindert werden. Auch der Bundesrat hat deshalb zu Recht in sei- ner Stellungnahme die Beibehaltung eines absoluten Ta- rifvorrangs im MiArbG gefordert. Dieser Forderung ist bedauerlicherweise nicht Rechnung getragen worden, sodass ein Tarifnachrang geschaffen wird. Dies gilt auch für den Gesetzentwurf zum Arbeitneh- mer-Entsendegesetz. Laut § 1 Abs. 3 a des bisher gelten- den AEntG kann eine Rechtsverordnung nach diesem Gesetz nur für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Ar- beitnehmer Anwendung finden. Dieser Tarifvorrang wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf zum AEntG beseitigt. Die Rechtsverordnung nach dem AEntG soll zukünftig Vorrang vor Tarifverträgen haben. Sie unter- wirft alle, auch die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, den Festsetzungen der Rechtsverordnung, die an einen ande- ren, abweichenden Tarifvertrag gebunden sind. Es wird damit die Möglichkeit eröffnet, bestehende Tarifsstruk- turen zu verdrängen, mithin ein Tarifnachrang einge- führt. Tarifautonomie, quo vadis? Das Recht, dass Gewerk- schaften und Arbeitgeberverbände, frei von politischen Diktaten und staatlicher Einflussnahme für ihre freiwilli- gen Mitglieder eigenverantwortlich und auf gleicher Au- genhöhe Mindestarbeitsbedingungen vereinbaren, wird ohne Not und sachliche Rechtfertigung ausgehöhlt. Diese besteht nur dann, wenn ein nachgewiesenes öf- fentliches Interesse besteht, wie beispielsweise die Ver- hinderung von sozialen Verwerfungen durch Lohndum- ping ausländischer Entsendearbeitnehmer. In diesen Fällen haben Branchenmindestlöhne ihren berechtigten Sinn. Deshalb ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz 1996 geschaffen worden. Es hat das Ziel, den deutschen Arbeitsmarkt vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Diese Zielsetzung befürworte ich uneingeschränkt, sofern seine bisherigen Voraussetzungen vorliegen. Es müssen eine Entsendeproblematik vorliegen und ein Ta- rifvertrag mit einer mindestens 50-prozentigen Tarifbin- dung vorliegen. Dies war bei dem Gebäudereinigerhand- werk der Fall, bei der Ausweitung auf die Branche der Briefdienstleistungen schon nicht mehr. Der Branchen- primus hat das Gesetz instrumentalisiert, inländischen Wettbewerb zu verhindern. Die Folgen zeigen sich vor Ort. Private Wettbewerber mussten aufgeben, Arbeits- plätze gingen verloren. Der verbleibende Monopolist schließt Filialen und zieht sich insbesondere aus der Flä- che zurück. Die Rechnung zahlen Verbraucher und Ar- beitnehmer. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21719 (A) (C) (B) (D) Branchenmindestlöhne haben trotz dieses Sündenfalls ihren Sinn, wenn soziale Verwerfungen durch Entsende- arbeitnehmer nachgewiesen sind und in diesen Branchen Tarifverträge mit einer mindestens 50-prozentigen Tarif- bindung gelten. Dazu stehe ich uneingeschränkt. Die Baubranche ist ein solches positives Beispiel. Die 1996 geschaffenen Voraussetzungen haben sich insoweit be- währt. Diese sind jedoch bei einigen der Branchen, die jetzt in das AEntG aufgenommen werden sollen, nicht gegeben. So liegt im Fall der Aus- und Weiterbildungs- branche die Tarifbindung unter 50 Prozent. Und im Fall der Großwäschereien sowie des Wach- und Sicherheits- gewerbes weicht die gesetzliche Branchendefinition vom Geltungsbereich des zugrunde gelegten Mindest- lohntarifvertrages ab. Gute Arbeit muss anständig bezahlt werden. Ich glaube aber wie die Mütter und Väter des Grundgesetzes daran, dass die Tarifvertragsparteien besser als der Staat in der Lage sind, die angemessenen Regelungen zu tref- fen. Dieses Vermögen wird ihnen abgesprochen, auch durch die vorgesehene Differenzierung nach Art der Tä- tigkeit und damit der Erstreckung mehrerer Lohngrup- pen. Beide Gesetzentwürfe sehen vor, dass nach Art der Tätigkeiten (Berufe), nach Regionen und dem Kriterium „gelernt – ungelernt“ differenziert werden kann. Die Er- streckung mehrerer Lohngruppen ermöglicht faktisch die Erstreckung umfangreicher horizontaler Lohngitter. Ein Branchenmindestlohn im eigentlichen Sinne ist bei einer solchen Erstreckung nicht mehr gegeben. Nur das unterste Entgelt in einer Branche und in einer Region kann ein Mindestentgelt sein. Eine staatliche Festlegung ganzer Lohngitter verletzt die Tarifautonomie, die den Tarifvertragsparteien die Festlegung eines tätigkeits- adäquaten Entgelts zu Recht vorbehält. Ein so weitge- hender staatlicher Eingriff ist auch sozialpolitisch nicht gerechtfertigt, da soziale Verwerfungen in höheren Lohngruppen ausgeschlossen sind. Es ist deshalb auch kein anderes Land bekannt, in welchem der Staat im Rahmen von Mindestlöhnen eine solche Differenzierung vornehmen würde. Die Möglichkeit der Erstreckung mehrerer Lohngruppen lädt zudem dazu ein, Anträge auf Erstreckung eines Tarifvertrages zum bloßen Zweck der Verhinderung von Wettbewerb zu stellen und damit zu instrumentalisieren. Auch dies hat das unrühmliche Bei- spiel des Postmindestlohnes deutlich gezeigt. Durch beide Gesetzentwürfe wird die Möglichkeit er- öffnet, dass sich der Staat mehr und mehr in die Lohnfin- dung einmischt. Genau dies wollten die Mütter und Vä- ter des Grundgesetzes verhindern. Ich könnte weitere rechtliche und politische Bedenken anführen. Bereits die vorgenannten sind für mich persönlich jedoch so schwerwiegend, dass ich den heute zur Abstimmung ste- henden Gesetzentwürfen nicht zustimmen kann. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die funktionie- rende Tarifautonomie ist seit Jahrzehnten eine der zen- tralen Säulen der sozialen Marktwirtschaft in Deutsch- land. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für unser erfolgreiches wirtschaftliches und gesellschaftliches Ordnungsmodell genießt sie zu Recht hohen Verfas- sungsrang und hat zwei Seiten. Die positive Koalitions- freiheit gibt Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften das Recht, frei von politischen Diktaten und staatlicher Einflussnahme für ihre freiwilligen Mitglieder eigenver- antwortlich und auf gleicher Augenhöhe Mindestarbeits- bedingungen zu vereinbaren. Die negative Koalitions- freiheit sichert zugleich das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, nicht Mitglied einer Koalitionspartei zu sein. Fast zwanzig Jahre lang habe ich in der Vergangenheit als Unternehmer und als gewählter Arbeitgebervertreter in herausgehobener Stellung selbst aktiv tarifpolitische Verantwortung wahrnehmen dürfen. Aus dieser intensi- ven persönlichen Erfahrung konnte ich die Vorzüge deutscher Tarifautonomie für Beschäftigte und Unter- nehmen selbst hautnah erleben. Nach sorgfältiger Abwägung kann ich den vorliegen- den beiden Branchenmindestlohngesetzentwürfen des- halb nicht zustimmen. Denn sie gefährden meines Er- achtens die funktionierende deutsche Tarifautonomie ohne Not und sachliche Rechtfertigung, weil sie nicht in ausreichendem Maße sicherstellen, dass auch künftig Tarifverträge grundsätzlich Vorrang vor staatlich festge- setzten Mindestlöhnen genießen bzw. dass fremdbe- stimmte Tarifverträge oder Arbeitsbedingungen tatsäch- lich nur ausnahmsweise bei einem nachgewiesenen erheblichen Öffentlichen Interesse wie beispielsweise der Verhinderung von sozialen Verwerfungen durch Lohndumping ausländischer Entsendearbeitnehmer auf nicht Tarifgebundene erstreckt werden. Darum habe ich auch verfassungsrechtliche Beden- ken. Zugleich bergen die Gesetzentwürfe die große Ge- fahr, dass die unabdingbare Verhandlungssymmetrie von Gewerkschaften und Arbeitgebern empfindlich gestört wird und dass im Falle von Tarifkonkurrenz einseitig in eine pluralistische Tariflandschaft eingegriffen werden kann. Auch habe ich insbesondere nach den jüngsten Er- fahrungen des Postmindestlohns begründete wirtschafts- und beschäftigungspolitische Zweifel, ob bei allen der nun in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenomme- nen Branchen hierfür eine tatsächliche Notwendigkeit besteht. Vielmehr fürchte ich, dass die Verfahren beider Gesetze zur Abschottung von Märkten und Verhinde- rung fairen Wettbewerbs instrumentalisiert werden kön- nen. Die Zeche hierfür zahlen am Ende vor allem der Mittelstand, die Beschäftigten und Verbraucher. Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Die funktio- nierende Tarifautonomie ist seit Jahrzehnten eine der zentralen Säulen der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für unser erfolgreiches wirtschaftliches und gesellschaftli- ches Ordnungsmodell genießt sie zu Recht hohen Ver- fassungsrang. Sie drückt sich in zweifacher Weise aus: Die positive Koalitionsfreiheit gibt Arbeitgeberverbän- den und Gewerkschaften das Recht, frei von politischen 21720 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) Diktaten und staatlicher Einflussnahme für ihre freiwil- ligen Mitglieder eigenverantwortlich und auf gleicher Augenhöhe Mindestarbeitsbedingungen zu vereinbaren. Die negative Koalitionsfreiheit sichert das Recht von Ar- beitnehmern und Arbeitgebern, nicht Mitglied einer Koalitionspartei zu sein. Der Erhalt der Tarifautonomie war Grundlage meiner intensiven Mitarbeit in den beiden Koalitionsarbeits- gruppen „Arbeitsmarkt“ und „AEntG – Branchenerwei- terung“. Dabei stand ich einer Regelung auf Branchen- basis grundsätzlich positiv gegenüber und habe die in der Arbeitsgruppe der Koalition besprochenen Be- schlüsse zu Mindestlöhnen in fünf Branchen auch mitge- tragen. Allerdings kam für mich von Anfang an nur eine Lösung in Betracht, die den Vorrang von Tarifverträgen vor staatlicher Lohnfestsetzung unangetastet lässt. Tarif- verträge dürfen nicht durch staatliches Handeln gebro- chen werden. Dieser Grundsatz wird durch die beiden Gesetzesvorlagen verletzt. Im MiArbG wird der klare und eindeutige Tarifvorrang in § 8 Abs. 2 gestrichen und durch eine sehr einschränkende Übergangsregelung er- setzt. Im neuen § 7 des AEntG soll die Rechtsverord- nung künftig Vorrang vor Tarifverträgen haben und un- terwirft auch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Festsetzungen der Rechtsverordnung, die an einen ande- ren, abweichenden Tarifvertrag gebunden sind. Staatliche Lohnfestlegungen müssen die absolute Ausnahme bleiben. Sie lassen sich schon aus verfas- sungsrechtlichen Gründen nur dann rechtfertigen, wenn nachgewiesenermaßen ein erhebliches öffentliches Inte- resse besteht. Dies ist beispielsweise bei der Verhinde- rung sozialer Verwerfungen durch Lohndumping auslän- discher Entsendearbeitnehmer der Fall. Mit den beiden Gesetzentwürfen kann eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die die Verhandlungssymmetrie von Gewerk- schaften und Arbeitgebern empfindlich stört und zu ei- ner Schwächung der Tarifautonomie in Deutschland füh- ren kann. Aus den genannten Gründen kann ich den beiden Ge- setzesvorlagen nicht zustimmen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Die Tarifautono- mie ist eine tragende Säule der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für unser erfolgreiches wirtschaftliches und gesellschaft- liches Ordnungsmodell genießt sie zu Recht hohen Ver- fassungsrang. Die zu beschließenden Gesetzesänderun- gen geben Löhnen, die durch Rechtsverordnung festgesetzt werden, mithin diesen Ministerentscheidun- gen Vorrang vor den Einigungen der Tarifparteien. Als Ökonom sehe ich diese Problematik im Kontext der wei- ter gehenden wirtschaftlichen Problematik von Mindest- löhnen, die der Markträumung im Wege stehen und mit- hin Arbeitsplätze im unteren Leistungssegment kosten. Mir liegt daran, im Rahmen dieser Erklärung klarzu- stellen, dass ich den heute zu treffenden Beschluss für falsch halte. Gleichzeitig beuge ich mich aber der Mehr- heitsmeinung der Fraktion, insbesondere weil ich das umfangreiche Potential sehe, gegenteilige Entscheidun- gen in Wahlkampagnen zu instrumentalisieren. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Lockerung des Verbots wiederholter Befristungen – Antrag: Befristete Arbeitsverhältnisse be- grenzen, unbefristete Beschäftigung stärken (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Gitta Connemann (CDU/CSU): Was verbinden Sie mit dem Bild des Hahnenkampfes? Die Altsprachler un- ter Ihnen werden an die Antike erinnert. Schon bei Julius Cäsar ist in „De bello gallico“ vom Kampf der Hähne die Rede. Die Tierfreunde unter uns wissen darum, dass Hahnenkämpfe eine Tierquälerei darstellen und deshalb verboten sind. Die Freunde der Poesie sehen die meta- phorische Bedeutung, die für eine Auseinandersetzung zwischen zwei geltungsbewussten Kontrahenten um Einfluss und Status steht. Und ich? Ich denke an die Fraktionen der Linken und der FDP, jedenfalls in der heutigen Debatte. Denn Sie befehden sich wie das liebe Federvieh, in diesem Fall aufgehängt an der Frage einer Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Dieses Gesetz eröffnet derzeit die Möglichkeit des Abschlusses von befristeten Verträ- gen. Ein solcher ist zulässig, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Diese Gründe sind eng abgegrenzt. So können unter anderem öffentliche Arbeitgeber befristete Arbeits- verträge abschließen, wenn der Arbeitnehmer aus Haus- haltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Betätigung bestimmt sind, und der Arbeitnehmer entsprechend beschäftigt wird. Eine frühere Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber ist hierbei kein Hinderungs- grund. Das Gesetz gestattet auch die Befristung ohne sachli- chen Grund bis zur Dauer von zwei Jahren mit einer höchstens dreimaligen Verlängerung innerhalb dieser Frist. Eine Befristung ist dann unzulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber zuvor ein befristetes oder unbe- fristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Hier betreten nun unsere Kontrahenten die Arena. Ihre Forderungen könnten gegensätzlicher nicht sein. Nach dem Willen der Fraktion der FDP soll die Mög- lichkeit einer sachgrundlosen Befristung nahezu unbe- schränkt ausgeweitet, nach dem Willen der Fraktion der Linken ersatzlos gestrichen werden. Die Lektüre beider Anträge offenbart eine sehr einseitige Weltsicht nach dem Motto „Schwarz-Weiß“. Eine solche Sichtweise ist einfach. Sie wird nur nicht der Realität gerecht. Denn dort geht es um Betroffene, deren Interessen aus jeweils legitimen Gründen abweichen. Ein unbefristeter Vertrag ist aus Sicht eines Arbeit- nehmers natürlich einem befristeten vorzuziehen. Denn er gibt größere Beschäftigungssicherheit und damit auch persönliche Sicherheit. Zwar kann auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet werden. Das Ende ist ihm aber nicht schon von Beginn an eigen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21721 (A) (C) (B) (D) Arbeitgeber sind dagegen eher zögerlich, sich in allen Fällen unbefristet zu binden. Denn eine Anpassung zum Beispiel an konjunkturelle Veränderungen, wie wir sie jetzt erleben, ist damit nur noch eingeschränkt möglich. Sie stellen deshalb tendenziell weniger Arbeitnehmer ein, wenn sie generell gezwungen sind, unbefristete Arbeits- verträge abzuschließen. Deshalb muss innerhalb des rechtlichen Rahmens eine Abwägung zwischen dem legitimen Wunsch nach Absicherung und der Beschäftigungswirkung vorgenom- men werden. Im Teilzeit- und Befristungsgesetz sind diese unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmern einerseits und Arbeitgebern andererseits miteinander in Einklang gebracht worden. Der Gesetzgeber hat beiden Interessen Rechnung getragen. Eine solche Interessenab- wägung findet in der Arena unserer beiden Antragsteller nicht statt. Beide schreiben sich lediglich die Interessen jeweils eines der Beteiligten auf das Gefieder; Verzei- hung: die Fahne. Und so prallen in der heutigen Debatte die Gegensätze aufeinander. Die Fraktion der FDP fordert, ein Verbot wiederholter Beschäftigung vor Ablauf von drei Monaten einzuführen und damit die Befristungsmöglichkeiten nahezu unbe- schränkt auszuweiten. Damit soll zwar vermeintlich den Interessen von Unternehmen Rechnung getragen werden, nicht jedoch von Arbeitnehmern. Denn eine solche grund- sätzliche Ausweitung birgt die Gefahr, dass die befristete Beschäftigung zum Dauerzustand wird. Aus diesem Grund muss die Möglichkeit der sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge zum Schutz der Arbeitnehmer beschränkt werden. Die Fraktion der Linken will dagegen mit ihrer Forde- rung nach einer ersatzlosen Streichung der sachgrund- losen Befristung vermeintlich Arbeitnehmer schützen. Vermeintlich. Denn was sich auf den ersten Blick als Schutzmaßnahme darstellt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Bumerang. Befristete Arbeitsverträge sind besser als keine Arbeitsplätze. Und das wäre die Konsequenz, wenn es Arbeitgebern gänzlich verboten wäre, flexibel auf die Entwicklungen am Markt zu re- agieren. Ihre Forderung würde dazu führen, dass Arbeit- geber eher weniger Arbeitnehmer beschäftigen und in florierenden Zeiten Mengen an Überstunden anhäufen lassen, anstelle in diesen guten Zeiten mehr Arbeitneh- mer zu beschäftigen. Diese Arbeitnehmer erhalten mit ihrem befristeten Arbeitsvertrag eine Chance. Diese Chancen würden die Linken vernichten. Die seinerzeit rot-grüne Bundesregierung hat es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP am 16. Februar 2005 wie folgt formuliert: Die Regelung des § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befris- tungsgesetz gibt Arbeitgebern, die sich zunächst nicht zu unbefristeten Einstellungen entschließen können, die Möglichkeit, bis zur Dauer von zwei Jahren befristete Arbeitsverträge abzuschließen, die nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein müssen. Das ist vor allem eine beschäftigungs- politisch sinnvolle Alternative zur Überstundenarbeit. Zugleich bekommen Arbeitssuchende die Gelegen- heit, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen, ihre Eignung und Leistungsfähigkeit zu beweisen und damit ihre Chancen auf eine unbefristete Weiterbe- schäftigung zu verbessern. Meine Damen und Herren von den Linken und der FDP, eine Interessenabwägung liegt Ihren Anträgen nicht zugrunde. Es geht Ihnen also offensichtlich nicht um die Sache, sondern allein um Einfluss und Status – wie eben bei einem Hahnenkampf. Wir befinden uns jedoch nicht in einer Arena, sondern im wirklichen Leben. Und dem wer- den Sie mit Ihren Anträgen nicht gerecht, die wir, die Mit- glieder der CDU/CSU-Fraktion, ablehnen werden. Schwarz-Weiß-Malerei ist mit uns nicht zu machen. Wir stellen uns der Realität. Diese zeigt das Bild, dass sich eine Anzahl von Betrieben und Unternehmen in- folge der internationalen Finanzmarktkrise aktuell in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Diese sehen sich laut einer Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskammertages momentan nicht in der Lage, Mit- arbeiter am Ende ihres befristeten Arbeitsvertrages fest einzustellen. Der DIHK schlägt deshalb vor, zumindest für eine Übergangszeit eine Verlängerung von sach- grundlosen Befristungen über den Zeitraum von zwei Jahren zu ermöglichen. Die Möglichkeit, befristete Ver- träge nochmals sachgrundlos um zwei Jahre zu verlän- gern, sollte nach diesem Vorschlag zumindest für die Jahre 2009 und 2010 eingeführt werden. Der DIHK weist auch darauf hin, dass sich die derzei- tige Regelung, wonach eine sachgrundlose Befristung beim selben Unternehmen nur einmal im Erwerbsleben möglich ist, in der aktuellen Situation als problematisch erweisen könnte. Denn wenn heute aufgrund einer schwachen Auftragssituation ein Mitarbeiter am Ende eines befristeten Vertrages nicht weiter beschäftigt wer- den könne, könnte dieser Mitarbeiter zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erneut befristet eingestellt werden, wenn sich Silberstreifen am Horizont zeigen würden. Da aber angesichts der Tiefe der Krise auch am Beginn der Erholungsphase noch Vorsicht bei Festeinstellungen vor- herrschen dürfte, könnte diese Regelung den Wiederauf- bau von Beschäftigung erschweren. Wohlgemerkt: Der DIHK fordert keine unbeschränkte Ausweitung wie die FDP. Ich finde, dass wir beide Vorschläge gemeinsam ernst- haft prüfen sollten. Die Bundesregierung hat sich zu Recht die Beschäftigungssicherheit als wichtiges Ziel des Stabilitätspaktes gesetzt. Sollte mit den vorgeschlagenen Regelungen Arbeitslosigkeit – übrigens auch daraus resul- tierende Transferleistungen – vermieden werden können, sollten wir diese ohne ideologische Scheuklappen be- handeln. Meine Damen und Herren von den Linken, liebe Kollegen aus der FDP, leider haben Sie diese ideo- logischen Scheuklappen nicht abgelegt. Wir werden des- halb die vorliegenden Anträge ablehnen, nach denen nun wirklich kein Hahn kräht. Josip Juratovic (SPD): Wir debattieren heute über Anträge von der FDP und der Linken zum Thema befris- tete Arbeitsverhältnisse. Die FDP möchte sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse häufiger ermöglichen, die Linke möchte sie abschaffen und begründete Befristun- 21722 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) gen erschweren. Schon diese Bandbreite zeigt, dass es vernünftig ist, hier zurzeit keine Änderungen herbeizu- führen. Welche Motive hatte der Gesetzgeber, befristete Ar- beitsverträge zu gestatten? Befristete Arbeitsverträge er- möglichen den Unternehmern, flexibel auf schwankende und unsichere Auftragslagen zu reagieren. Befristete Ar- beitsverhältnisse sind eine sinnvolle Alternative zu Überstunden und zur Auslagerung von Aufträgen. Für Arbeitnehmer sind sie zudem eine Chance für einen Ein- stieg in ein längeres Arbeitsverhältnis. Im Jahr 2006 wurden 45 Prozent aller Abgänger aus Befristung in demselben Betrieb übernommen. Befristete Arbeitsver- träge sind also eine Brücke zur Dauerbeschäftigung. Natürlich sehe ich auch die Nachteile dieser Arbeits- verhältnisse. Es ist der Wunsch jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers, eine Daueranstellung zu erhal- ten. Denn häufig sind befristete Arbeitsverhältnisse schlechter entlohnt. Außerdem erhalten Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnis- sen viel seltener die Möglichkeit zur Teilnahme an Wei- terbildungsmaßnahmen. Die SPD-Fraktion lehnt den Antrag der FDP ab, weil befristete Arbeitsverträge die Ausnahme und unbefris- tete Beschäftigung der Normalfall bleiben müssen. Die FDP schlägt vor, dass die sachgrundlose Befristung nach einer kurzen dreimonatigen Unterbrechung wiederholt zulässig ist. Dies hätte eine erhebliche Ausweitung be- fristeter Arbeitsverhältnisse zur Folge, und das wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land nicht. Außerdem würde dadurch die Arbeitslosen- versicherung belastet, da die dreimonatige Unterbre- chung wohl hauptsächlich durch die Zahlung von Ar- beitslosengeld überbrückt wird. Das vom Unternehmer zu tragende Risiko schwankender Auftragslagen würde weitgehend auf den Arbeitnehmer und die Arbeitslosen- versicherung abgewälzt. Würden wir dem Antrag zu- stimmen, so würden wir wieder eine Kette befristeter Arbeitsverhältnisse zulassen. Nach drei Monaten Pause wäre dann wieder eine bis zu zwei Jahre befristete An- stellung beim gleichen Arbeitgeber zulässig. Warum sollte ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer dann noch un- befristet einstellen? Kurzum: Der Antrag der FDP ist nicht zu Ende gedacht und ist eine Gefahr für die Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch der Antrag der Linken fordert Änderungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Nur wollen die Linken die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Ar- beitsverträgen. Weiter wollen sie befristete Arbeitsver- träge erschweren und den Arbeitgeber verpflichten, befristet Beschäftigte unbefristet weiterzubeschäftigen. Diese generelle Pflicht zur Weiterbeschäftigung befristet Beschäftigter auf unbefristeten Stellen wäre aber ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit, die im Grund- gesetz garantiert ist. Im Einzelfall kann heute schon der Betriebsrat darauf Einfluss nehmen, dass ein gleich ge- eigneter befristet Beschäftigter eine zu besetzende unbe- fristete Stelle erhält. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Betriebsrat weiß ich, dass dies auch genutzt wird. Unser politisches Ziel muss es sein, die Rahmenbedin- gungen so zu gestalten, dass die Menschen in sichere Beschäftigung kommen, und zwar aufgrund ihrer per- sönlichen Fähigkeiten und Qualifikation und nicht durch politische Zwangsverordnung. Die Begründung des Antrags der Linken macht ein- mal mehr deutlich: Glaube keiner Statistik, die du nicht selber verfälscht hast. Der von den Linken beklagte An- stieg befristeter Beschäftigung ist nämlich nahezu aus- schließlich auf eine veränderte Erfassungsmethodik seit 2005 zurückzuführen. Die SPD-Fraktion will Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer schützen und gleichzeitig die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen ermöglichen. Deswegen lehnen wir die Anträge von der FDP und der Linken ab. Anette Kramme (SPD): „Allen Menschen Recht ge- tan, ist eine Kunst, die niemand kann“ – weiß der Volks- mund seit langem. Angesichts der vorliegenden konträ- ren Anträge wird er wohl wieder einmal Recht behalten. Die Linke will die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverhältnissen massiv begrenzen. Die FDP will die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverhältnis- sen massiv ausweiten. Was ist in solchen Fällen die beste Lösung? Das zu tun, wovon man selbst überzeugt ist, um wenigstens mit sich selbst im Reinen zu sein. Wir Sozialdemokraten setzen uns in dieser Frage tra- ditionell für möglichst ausgewogene Regelungen ein. Unser Ziel ist in erster Linie die unbefristete und sozial abgesicherte Arbeit. Dies ist wichtig für die Lebenspla- nung der Menschen. Wer sich von Job zu Job hangelt, kann bestimmte Projekte im Leben nur schwer angehen. Die Familienplanung wird oft hintenangestellt, größere Anschaffungen werden meist nicht gewagt, oder man bekommt kaum Kredite bewilligt, etc. Studien belegen zudem, dass befristet Beschäftigte oft schlechter bezahlt werden und sich seltener weiterbilden. Wir wollen deshalb einen Ausgleich schaffen zwi- schen dem Schutz der Arbeitnehmer einerseits und ande- rerseits dem Bedürfnis der Unternehmen, auf Markt- schwankungen mit etwas Flexibilität zu reagieren. Deshalb haben wir uns 2001 bei der Auflage des Teil- zeit- und Befristungsgesetzes für eine maßvolle Begren- zung von Befristungen entschieden. Das TzBfG regelt in § 14 Abs. 1, wann ein sachlicher Grund zur Befristung vorliegt. Acht zulässige Sachgründe werden beispielhaft genannt. § 14 Abs. 2 eröffnet zudem die Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsvertrags, im- merhin bis zu maximal zwei Jahren. Letzteres kann man wie Sie, liebe Kollegen von der Linkspartei, durchaus kritisch sehen. Persönlich bin auch ich der Meinung, dass sich jede vereinbarte Befristung sachlich erklären lassen sollte. Das ist übrigens auch Po- sition der SPD-Fraktion. Ihre Forderung hingegen, ver- ehrte Kollegen der FDP, die sachgrundlose Befristung auszuweiten, halte ich für verfehlt! Schon 2001, als wir das Teilzeit- und Befristungsrecht schufen, existierte die von Ihnen vorgeschlagene Rege- lung im Beschäftigungsförderungsgesetz. Wir haben uns damals bewusst dagegen entschieden, sie ins TzBfG auf- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21723 (A) (C) (B) (D) zunehmen. Denn sie schützt gerade nicht vor Kettenbe- fristungen, wie Sie behaupten. In der Praxis liefe Ihr Vorschlag darauf hinaus, dass ein Arbeitnehmer befristet beschäftigt ist, dann drei Monate arbeitslos bleibt, um anschließend neu befristet eingestellt zu werden. Die Kosten für die Überbrückung müsste die Arbeitslosen- versicherung tragen. Das ist nun gerade nicht das Ziel. Im Übrigen ist Ihre Darstellung vom armen Hascherl, das nicht auf eine befristete Stelle eingestellt werden könne, sobald es nur einen einzigen Tag als Student im gleichen Unternehmen gejobbt hatte, polemisch und zum Teil einfach falsch. Weder Ausbildung noch Be- triebspraktika von Studenten gelten als Arbeitsverhältnis im Sinne des TzBfG. Die Betroffenen können also nach dem Ende ihrer Ausbildung oder ihres Jobs durchaus sachgrundlos befristet eingestellt werden. Etwas anderes gilt zwar für sogenannte Werkstudenten oder Ferienjob- ber, bei denen die entgeltliche Arbeitsleistung im Vor- dergrund steht. Die können später tatsächlich nicht mehr auf eine sachgrundlos befristete Stelle eingestellt wer- den. Doch ich gehe fest davon aus, dass jeder Arbeitge- ber, der einen Ex-Werkstudenten oder Ex-Ferienjobber weiterbeschäftigen möchte, einen Sachgrund für die Be- fristung findet. § 14 Abs. 1 TzBfG bietet Möglichkeiten. Eine Befristung ist zum Beispiel möglich, wenn sie im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt – Nr. 2 – oder zur Erprobung dient – Nr. 5 –. Die geforderten Änderungen der FDP sind aus meiner Sicht nicht nur unnötig für den dargestellten Fall. Sie wären auch ein falsches arbeitsmarktpolitisches Signal. Deshalb empfehlen wir die Ablehnung des Antrags. Es spricht einiges dafür, sachgrundlose Befristungen künftig auszuschließen. Das steht sogar im Koalitions- vertrag. Wie wärs, liebe Kollegen von der Union? Wol- len wir das noch mal anpacken? Nachdem wir uns jetzt schon so friedlich auf Mindestlöhne und Entsendegesetz geeinigt haben? Es ist auch überlegenswert, Arbeitgeber dazu zu ver- pflichten, einen befristet Beschäftigten zu übernehmen, sobald eine entsprechende unbefristete Stelle frei wird. Zum Teil funktioniert das schon heute dank des Be- triebsverfassungsgesetzes – § 99 Abs. 2 Nr. 3 –. Ein Be- triebsrat kann die Zustimmung zur Einstellung auf einen unbefristeten Arbeitsplatz verweigern, wenn ein gleich geeigneter befristet Beschäftigter nicht berücksichtigt wurde. Die Verabschiedung von AEntG und MiArbG heute war ein Erfolg für die Arbeitnehmer in den Niedriglohn- branchen. Damit haben wir einen wichtigen Punkt aus dem Koalitionsvertrag erfüllt. Die Abschaffung sach- grundloser Befristungen wäre ein weiterer Etappensieg im Rennen um Arbeitnehmerrechte und Koalitionstreue. Liebe Kollegen der Union, geben Sie Ihrem Herzen ei- nen Stoß. Dirk Niebel (FDP): Die Finanzkrise ist auf dem Ar- beitsmarkt angekommen. Und auch die nahe Zukunft sieht trüb aus. Zwar sinkt das Arbeitskräfteangebot aus demografischen Gründen, aber schon in zwei Jahren werden nach den Prognosen wieder 4 Millionen Men- schen arbeitslos sein. Deshalb müssen wir jetzt alle Möglichkeiten nutzen, um Beschäftigung zu stabilisie- ren. Die Zahl der Kurzarbeiter ist überdurchschnittlich gestiegen. Mit dem Kurzarbeitergeld können Unterneh- men, die konjunkturbedingt in Schwierigkeiten geraten sind, ihre Mitarbeiter bis 18 Monate halten, ohne ihnen kündigen zu müssen. Das zeigt doch, dass Unternehmen sehr großes Interesse an ihrem eingearbeiteten, qualifi- zierten Personal haben und Instrumente brauchen, die ih- nen bei veränderter Auftragslage Flexibilität ermögli- chen. Unser Gesetzentwurf ist ein effektives Instrument für mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt. Es ist keine Satire, sondern Realität, dass derzeit ein Arbeitnehmer nicht auf eine sachgrundlos befristete Stelle eingestellt werden kann, wenn er als Student bei diesem Unterneh- men schon einmal befristet beschäftigt war. Sie werden mir doch zustimmen, dass es besser ist, befristet in Ar- beit zu sein als unbefristet arbeitslos bleiben zu müssen. Im Übrigen werden zum Beispiel im öffentlichen Dienst aus Haushaltsgründen kaum noch Dauerarbeitsverhält- nisse angeboten. Damit verschlechtern sich die Chancen für diejenigen weiter, die schon einmal bei einer Ge- bietskörperschaft befristet beschäftigt waren. In meinem Wahlkreis ist die Universität Heidelberg der größte Ar- beitgeber, also das Land Baden-Württemberg. Wer als Studierender einmal befristet an der Uni beschäftigt war, kann lebenslänglich nicht mehr auf eine befristete Stelle beim Land hoffen. Das ist doch schizophren. Eine befristete sachgrundlose Beschäftigung darf der- zeit höchstens zwei Jahre dauern. Die Möglichkeit sach- grundloser Befristung von Arbeitsverträgen ermöglicht Arbeitsuchenden, insbesondere denen, die länger ar- beitslos waren, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Sie können ihre Leistungsfähigkeit beweisen und damit ihre Chancen auf Weiterbeschäftigung verbessern. Derzeit wird eine sachgrundlose Befristung ausge- schlossen, wenn mit dem Arbeitnehmer früher schon ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestan- den hat. Das führt zu einer Vielzahl von Problemen und hat insbesondere für ältere Arbeitnehmer große Nach- teile. Welches Unternehmen hat noch Personalunterla- gen von vor zwanzig Jahren? Wer nicht gegen dieses Ge- setz verstoßen will, muss frühere Beschäftigungszeiten durch mühsame Prozeduren ausfindig machen. Dabei besteht bei Frauen und Männern die Möglichkeit, dass sie unter einem anderen Namen schon einmal beschäftigt waren, wenn sie durch Heirat ihren Nachnamen geändert haben. Es ist an der Zeit, diese lebenslange Beschäftigungs- sperre aufzuheben. Wir sind auch gegen Kettenarbeits- verhältnisse. Die können wir mit einem Beschäftigungs- verbot beim ehemaligen Arbeitgeber für eine Frist von drei Monaten verhindern. Drei Monate reichen völlig aus. Das ist die bessere Alternative zu einem lebenslan- gen Arbeitsverbot. Damit haben diejenigen, um die es hier geht, wenigstens eine Chance, eine Zeit lang be- schäftigt zu werden und nicht dauerhaft in der Arbeitslo- sigkeit bleiben zu müssen. 21724 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) Die aktive Arbeitsmarktpolitik der schwarz-roten Re- gierung war genauso wenig erfolgreich wie die Arbeits- marktpolitik der rot-grünen Regierung. Die eine Regie- rung hat formal abgewirtschaftet, die andere faktisch. Es ist Zeit für einen Politikwechsel, und den gibt es nur mit uns, mit der FDP, in den Ländern wie im Bund. Arbeit muss billiger werden. Steuern und Sozialabgaben müs- sen gesenkt werden. Und den Bürgerinnen und Bürgern muss mehr vom Bruttoverdienst bleiben. Kornelia Möller (DIE LINKE): Deutschland auf dem Weg zum Land der prekären Arbeitsverhältnisse! Das galt bereits während des Aufschwungs, und es gilt be- sonders in Zeiten von Rezession und Wirtschaftskrise. Deshalb kommt unser Antrag zur Begrenzung befristeter Arbeitsverhältnisse zum richtigen Zeitpunkt auf die Ta- gesordnung. Denn wir müssen jetzt handeln. Weit über 80 Prozent aller Beschäftigten halten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis für einen Bestandteil gu- ter Arbeit. 80 Prozent! Die Realität hingegen sieht ganz anders aus: Bereits 2006 hatten wir mehr als 4,6 Millio- nen befristet Beschäftigte – neben 600 000 Leiharbeite- rinnen und Leiharbeitern, 6,75 Millionen geringfügig Beschäftigten und 4,5 Millionen sozialversicherungs- pflichtigen Teilzeitarbeiterinnen und Teilzeitarbeitern, die alle ebenfalls zur wachsenden Zahl prekär Beschäf- tigter zählen. Tendenz steigend. Die Linke betrachtet nicht nur mit Sorge, dass ein wachsender Anteil befristeter Beschäftigung das Ar- mutsrisiko erhöht, welches heute bereits viele Vollzeit- jobs charakterisiert; siehe JAB-Studie. Befristete Beschäftigung trägt vor allem dazu bei, Langzeitarbeits- losigkeit zu verfestigen. Denn aus betriebswirtschaftli- chen Erwägungen investieren Unternehmen eben nicht in befristet Beschäftigte, gehen Weiterbildungs-, Qualifi- zierungs- und andere Personalentwicklungsmaßnahmen meist an ihnen vorbei. Und daran werden auch die voll- mundig angekündigten Qualifizierungsprogramme der Koalition wenig ändern, von denen sich der Arbeits- minister bereits wieder Vollbeschäftigung verspricht. Befristete Beschäftigung ist generell mit der Tendenz beruflichen Kompetenzmangels bzw. -verlusts verbun- den. Befristete Beschäftigung schränkt den Kündigungs- schutz ein, benachteiligt besonders jüngere Menschen und Frauen, verhindert Ansprüche, die aus der Dauer der Betriebszugehörigkeit resultieren, und sie steht einer Entscheidung Jüngerer für Familie und Kinder entgegen, weil die aktuellen Regelungen zum Schutze von Mutter- und Elternschaft keine Sicherheit bei befristetem Ar- beitsverhältnis gewährleisten. All das ist bekannt und weitgehend auch wissen- schaftlich untermauert, ebenso wie die Ursachen, die den Druck auf zunehmend schlechtere Arbeit ständig erhö- hen. Die Ursachen sind im hohen Sockel der Langzeit- arbeitslosigkeit und natürlich in der Angst vor Hartz IV zu sehen, in der Angst vor gesellschaftlichem Absturz und großer Armut, vor Diskriminierung und Willkür. Wer Erwerbslose in zwei Klassen einteilt, der hat den Konkurrenzdruck unter den Erwerbslosen und zwischen ihnen sowie denen, die noch beschäftigt sind, so ver- schärft, dass die Schwelle, jede noch so schlechte Arbeit anzunehmen, immer tiefer rutscht. Getreu dem jedem Humanismus hohnsprechenden Slogan „Jede Arbeit ist besser als keine“. Auch deshalb fordern wir: Hartz IV muss weg. Dann wird es auch leichter, die Zahl befristeter Arbeitsverhält- nisse wieder einzuschränken, wie es unser Antrag vor- sieht. Wenn Sie Ihre Ankündigungen einer umfassenden Qualifizierungsoffensive ernst meinen, dann stimmen Sie unserem Antrag auf Einschränkung befristeter Ar- beitsverhältnisse zu. Denn Unternehmen werden vorran- gig in die Weiterbildung ihrer unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen investieren. Nun zu Ihnen, Herr Arbeitsminister Olaf Scholz: Hören Sie auf, den Menschen das Märchen von der Voll- beschäftigung vorzugaukeln! Ihre Regierung ist nicht einmal in der Lage, die selbst gesetzten Ziele bei den Ar- beitsmarktprogrämmchen „Jobperspektive“ und „Kom- munalkombi“ umzusetzen. Optimismus zu verbreiten und sich der Lächerlichkeit preiszugeben, sind zwei un- terschiedliche Dinge. Und Ihre absurde Vorstellung von Vollbeschäftigung dient höchstens als Vorlage für neue Manipulationen der Arbeitsmarktstatistik. Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie als Arbeitsminister für aus- reichende Beschäftigung mit voller Bezahlung sorgen würden. Nehmen Sie endlich die Ausweitung öffentlich geförderter Beschäftigung in Ihr Konjunkturprogramm auf! Stattdessen haben Sie den Schutzschirm für diejeni- gen, die ihn am dringendsten benötigen, die Langzeit- arbeitslosen, fahrlässig in die Ecke gestellt. Da stellen Sie auf der einen Seite 480 Milliarden für die Banken bereit und reduzieren auf der anderen Seite trotz Rezes- sion und Entlassungswellen die Beiträge zur Arbeitslo- senversicherung auf 2,8 Prozent. Sie blockieren so die finanziellen Mittel für solche wertvollen Initiativen wie in Berlin. Hier kämpfen enga- gierte Frauen und Männer im Senat und in den Bezirken um neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Rahmen eines öffentlich geförderten Beschäftigungs- sektors. Das ist ein Kampf um gute Arbeit, den Sie, meine Damen und Herren Koalitionäre, über das Fest- halten an getrennten Rechtskreisen und mit dem Redu- zieren der Mittel für die Arbeitsmarktpolitik verhindern. Spannen Sie endlich den Schutzschirm auf für die Bür- gerinnen und Bürger, stellen Sie endlich die Menschen in den Mittelpunkt! Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP spricht in ihrem Antrag ein Problem an, für das tatsächlich eine unkomplizierte Lösung gefunden wer- den sollte. Wer jemals in einem Unternehmen oder in ei- ner Behörde zum Beispiel als Student befristet oder auch unbefristet gearbeitet hat, hat, wenn in diesem Unterneh- men später wieder eine sachgrundlos befristete Stelle an- geboten wird, keine Chance auf diesen Job. Es gilt in diesem Falle ein Wiedereinstellungsverbot, und zwar le- benslang. Dadurch können den Betroffenen Praxiserfah- rungen zum Beispiel während der Ausbildung zum Nachteil gereichen: Sie knüpfen Kontakte, um hinterher vor verschlossenen Türen zu stehen. Gleiches gilt für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21725 (A) (C) (B) (D) Arbeitnehmer, die nach einer Phase der Arbeitslosigkeit einen Wiedereinstieg ins Erwerbsleben suchen und den bei einem vorherigen Arbeitgeber finden könnten. Auch wir Grünen glauben, dass der lebenslange Aus- schluss nicht notwendig ist, um unerwünschte sach- grundlose Kettenarbeitsverträge zu verhindern. Ob eine Wartefrist von drei Monaten eine angemessene Dauer ist, um diese Kettenverträge auszuschließen, sollten wir während der Beratungen im Ausschuss jedoch noch dis- kutieren; wir haben bislang eine Frist von sechs Monaten für sinnvoll gehalten. Diametral entgegengesetzt zum Antrag der FDP sind die Forderungen der Linken. Die Linke fordert unter an- derem, die sogenannte sachgrundlose Befristung ganz abzuschaffen, und darüber hinaus die Einschränkung be- fristeter Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Die geforderte Abschaffung der sachgrundlosen Be- fristung ist aus meiner Sicht aber ein Stochern im Nebel. Sie wissen genauso wenig wie ich, wie häufig und mit welcher Intention Verträge sachgrundlos befristet wer- den. Die Vermutung, ein Verbot würde schon die Richti- gen treffen, kann aber nicht zielführend sein. Es gibt eben Fälle, in denen eine befristete Beschäftigung nicht nach den geltenden Sachgründen gerechtfertigt werden kann. Gäbe es die sachgrundlose Befristung in diesen Fällen nicht, wäre in den allermeisten Fällen die Konse- quenz, dass diese Stellen überhaupt nicht angeboten würden. Denken Sie zum Beispiel an Existenzgründer und Existenzgründerinnen sowie kleine Unternehmen, die ihre Aktivitäten ausweiten, aber nicht sicher sein kön- nen, dass ihr Erfolg von Dauer ist. Das sind typische Konstellationen, die mit großer unternehmerischer Unsi- cherheit verbunden sind. Da ist es natürlich naheliegend und sinnvoll, zusätzliche Mitarbeiter zunächst einmal befristet einzustellen, um bei zurückgehenden Aufträgen reagieren zu können. Müsste der Unternehmer oder die Unternehmerin in einer solchen Situation die Verantwor- tung für ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis ein- gehen, würden er oder sie auf den Versuch einer Expan- sion in den meisten Fällen wohl verzichten. Das Risiko wäre einfach zu hoch. Allerdings sehe ich ebenso wie die Linke mit großem Unbehagen den hohen Anteil befristeter Beschäftigung zum Beispiel im öffentlichen Dienst. Geradezu skanda- lös ist zum Beispiel die Praxis einiger Länder, Lehrer als befristete Saisonarbeiter zu beschäftigen und in den Sommerferien zulasten der Bundesagentur für Arbeit auf die Straße zu setzen. Hinzu kommt, dass insbesondere im öffentlichen Dienst die Chancen von befristet Be- schäftigten auf eine unbefristete Stelle schlecht sind: Nur etwa jedem Vierten gelingt binnen drei Jahren der Über- gang auf einen unbefristeten Arbeitsplatz. In anderen Branchen sieht das ganz anders aus, beispielsweise im produzierenden Gewerbe oder bei distributiven Dienst- leistungen. Befristete Beschäftigung kann ein wichtiges Instru- ment sein, um den Arbeitsmarkt insbesondere für Be- rufseinsteiger zugänglicher zu machen. Die Begleitfor- schung zeigt, dass dies in vielen Branchen eine dauerhafte Perspektive eröffnet. Das ist aber – und das sehe ich auch – nicht überall der Fall, und das sollten wir ändern. Die Ausschussberatungen bringen uns diesem Ziel hoffentlich näher. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Infra- struktur und Marketing für den Wassertouris- mus in Deutschland verbessern (Tagesord- nungspunkt 19) Renate Blank (CDU/CSU): Ideale Segelwinde, ge- mütliche Häfen, lange Sandstrände, idyllische Buchten – ich sehe hier schon einige sehnsuchtsvolle Blicke –, aber nein, ich rede jetzt nicht von einer romantischen Südseeinsel, sondern von der Ostsee, einem der schöns- ten Segelreviere der Welt. Ja, das Wassersportland Deutschland, es ist vielfältig, hält Überraschungen bereit und liegt im Trend. „Das vornehmste Element ist das Wasser“; das wussten schon die alten Griechen – Pindar, etwa um 518 bis 442 v. Chr., altgriechischer Lyriker, Komponist. Deutschland bietet in der Tat „vornehmste“ Bedingungen für den Wassersport: Ein Wasserstraßennetz von 10 000 Kilome- tern Länge, rund 2 400 Kilometer Küste und 18 Inseln sowie eine der größten und schönsten zusammenhängen- den Gewässerlandschaften Europas in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bilden einen einzigartigen Standortvorteil für Deutschland. 800 Fahrgastschiffe mit 200 000 Plätzen bieten Fahrten auf Flüssen und Seen an, und 750 000 Sport- und Freizeitboote garantieren indi- viduelle Entdeckungen. Acht der 13 deutschen Na- tionalparks, die direkt am Wasser liegen oder große Wasserflächen einschließen, sind ideale Gebiete für Wattwanderungen, Vogelbeobachtungen, Radtouren oder Kanuwanderungen. Auch Süddeutschland bietet viele und interessante Wassersportmöglichkeiten. Zahl- reiche Städte an Küsten, Seen, Kanälen oder Flüssen la- den zu kulturellen Erlebnissen ein. Keine Frage: Deutschland ist ein sehr interessantes Wassersport- und Urlaubsrevier. Leider sind die vielfältigen Möglichkei- ten, mit denen das Wasser touristisch genutzt werden kann, noch lange nicht ausgeschöpft. Eine große Stärke im internationalen Wettbewerb sind dabei unsere zentrale Lage in Europa und die guten Ver- kehrsanbindungen. Kurz gesagt: Die natürlichen geogra- fischen Besonderheiten in Deutschland machen das Wasser zum Ursprung für touristisch vielfältige Mög- lichkeiten in Deutschland. 2007 haben wir ja bereits den Antrag „Attraktivität des Wassertourismus und des Was- sersports stärken“ verabschiedet, um diesen Positivtrend zu verstärken. Der damalige Beschluss beinhaltete zahl- reiche Vorschläge zur Förderung und Verbesserung des Wassersports in Deutschland. Unser jetziger Antrag soll diese Maßnahmen ergän- zen und flankieren bzw. eine ins Stocken geratene Um- 21726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) setzung aktivieren. Der Charterboottourismus verzeich- net zum Beispiel besonders hohe Zuwächse, wobei als wesentliche Voraussetzung für ein Wachstum des Char- terboottourismus die Schaffung von gebietsübergreifen- den Einwegfahrten gilt. Die hohen Zuwächse sind unter anderem auch dadurch entstanden, dass nach vielen Jah- ren des Zögerns die Möglichkeit geschaffen wurde, ein Boot zu mieten, um auf Kanälen und Flüssen – natürlich nicht auf dem Rhein – zu schippern, ohne einen Boots- führerschein zu besitzen. Für Wasserwanderer, Motor- bootfahrer und die Fahrgastschifffahrt müssen neue Routen erschlossen werden. Die Sport- und Wasser- sportwirtschaftsverbände sollen zukünftig verstärkt bei diesbezüglichen Planungen beteiligt werden und ihre praktischen Kenntnisse einbringen. Engpässe bei der Befahrbarkeit von Wasserwegen be- hindern den Wassertourismus. Hier könnte das Konjunk- turprogramm II helfen. Um auch eine optimale Nutzung zu erreichen, ist der sportbootgerechte Ausbau von War- testellen durch Anlegestege eine wichtige Vorausset- zung. Die Aufstellung einheitlicher Piktogramme erleichtert die Nutzung wassersportlicher Einrichtungen für deut- sche und ausländische Wassersportler. In unserem An- trag wird deshalb vorgeschlagen, diese flächendeckend und für alle Wassersportarten einzusetzen. Bereits vor- handene Informationsangebote sollen zu einem bundes- weiten Marketingkonzept zusammengeführt werden, und eine Broschüre sowie ein nutzergerechtes Internet- portal sollen den Wassersport endlich auch bundesweit präsentieren. Auch Genehmigungsverfahren können mithilfe einer Koordinierungsstelle erleichtert werden. Bei diesen Verfahren brauchen wir aber dringend eine Verschlankung. Dringend muss auch über Bürokratieab- bau nachgedacht werden. Deshalb fordern wir das Ministerium auf, alle Betei- ligten, Verbände und Vereine, auch den ADAC an einen Tisch zu holen, um unbürokratische Lösungen für alle Wassersportarten zu finden. Ein solcher Termin sollte bald zustande kommen, damit vielleicht noch in diesem Jahr mit Aktivitäten begonnen werden kann, damit die Bürgerinnen und Bürger touristische Angebote in Deutschland nutzen können. Die grenzenlose Freiheit auf dem Wasser, sie ist in Deutschland allzu oft nicht gegeben, stattdessen Regu- lierungswut allerorten. Allein auf Bundesebene mischen fünf Ministerien mit. Die Zahl der nachrangigen Behör- den, die in irgendeiner Form direkt oder indirekt Ein- fluss auf den Segelsport nehmen, ist enorm: 60 an der Zahl laut Zeitschrift Yacht 2005. Hinzu kommen die Ämter der Länder bis hin zu den regionalen Verkehrsres- sorts. Kompetenzgerangel und Streit um Zuständigkeiten sind da keine Seltenheit. Zu Beginn der Legislaturperiode ist man ja schon auf diese Probleme zum Thema Wassersport und Tourismus gestoßen; leider wurden die Hindernisse nicht so ganz beachtet. Mir fällt hierzu auch das Thema Bootsführer- scheine ein. Zum Beispiel: Wenn jemand den Bootsfüh- rerschein macht, anschließend dann den Segelschein und später den Küstensegelschein usw., wird immer wieder Grundwissen abgefragt. Das wäre nicht nötig; hier könnte Zeit gespart und Bürokratie abgebaut werden. Wir brauchen also eine komplette Überarbeitung des deutschen Führerscheinsystems unter Berücksichtigung der Fahrtgebiete und Bootstypen sowie die Überarbei- tung der Prüfungsfragenkataloge. Deshalb begrüße ich die Ankündigung des Verkehrsministers, die Moderni- sierung der Sportbootführerscheine voranzutreiben. Oder das Thema Sicherheit: Ich befürworte im Grundsatz die Forderung der Verbände nach verlässli- chen Unfallstatistiken und gemeinsame Kampagnen zur Schaffung eines Sicherheitsbewusstseins im Sportboot- bereich, aber auch die Entwicklung von Qualitätsstan- dards für die Ausbildung der Weiterentwicklung prakti- scher Prüfungsteile, die Bindung der Mindestausrüstung auch an das Fahrtgebiet, die Änderung der Trinkwasser- verordnung und die Schaffung eines einheitlichen Sport- schifffahrtrechts. Über eine Kennzeichnungspflicht muss noch diskutiert werden. Aber natürlich kann niemand, auch wenn wir einiges ändern, deshalb rosige Zukunftsaussichten für den Was- sertourismus verkünden. Auch der Tourismus muss sich in Schlechtwetterzeiten auf wirtschaftliche Krisen ein- stellen. Unstrittig ist aber: Der Tourismus ist eine der Leitökonomien der Zukunft. Der Wassertourismus rückt dabei zunehmend in den Fokus. Ich bin froh, dass nach der ersten großen bundesweiten Grundlagenuntersuchung zum Wassertourismus 2003, et- lichen Studien auf Landes- und kommunaler Ebene, mehreren Anläufen und Anträgen nun die Große Koali- tion dieses Thema ausführlich würdigt und Handlungs- empfehlungen ausspricht. Um aber im sich verschärfen- den nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen wir die sich bietenden wassertouristi- schen Potenziale verstärkt nutzen und den hohen Erwar- tungen der Gäste an das Angebot und die Dienstleis- tungsqualität gerecht werden. Hier soll der nun heute vorliegende Antrag den Grundstein für weitere gezielte Maßnahmen für dieses lukrative und deutschlandweit wachsende Marktsegment legen. Die Handlungsfelder zur Stärkung des Wassertouris- mus in unserem Antrag lassen sich kurz zusammenfas- sen in Stärkung der Infrastruktur für den Wassertouris- mus, Schaffung neuer wassertouristischer Angebote, begleitende Maßnahmen zur Stärkung des Wassertouris- mus, Steigerung der Qualität der wassertouristischen Angebote, verbessertes Marketing. Wassertourismus ist für alle Bundesländer ein Thema, wobei allerdings die Bedeutung dieses Marktsegmentes nicht zuletzt aufgrund ungleicher naturräumlicher Vo- raussetzungen sehr unterschiedlich ist. Während für die norddeutschen Bundesländer ein klarer Schwerpunkt beim Wassertourismus liegt, ist dieser für die anderen Bundesländer ein Teilsegment des gesamttouristischen Angebotes, das mehr oder weniger stark ausgefüllt und bedient wird. Zu den infrastrukturellen Basisangeboten auf und am Wasser gehören qualitativ gut ausgebaute Anlegestellen und Wasserwanderrastplätze. Deutschlandweit kenn- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21727 (A) (C) (B) (D) zeichnen zurzeit über 260 „Gelbe Wellen“ Anlegemög- lichkeiten und signalisieren dem Wassertouristen und Wassersportler ein „Herzliches Willkommen“. Allein Schleswig-Holstein bietet seinen Gästen rund 250 Sport- boothäfen mit über 30 000 Liegeplätzen. Rund 30 Sport- boothäfen und Marinas, hauptsächlich in Mecklenburg- Vorpommern, sind bislang mit den „Blauen Sternen“ ausgezeichnet worden. Sie sind Vorreiter, sichern Quali- tätsstandards, bauen ihre bestehenden Angebote aus und geben dem Verbraucher bessere Vergleichsmöglichkei- ten des Infrastruktur- und Serviceangebots. Bei aller Freude über das Wachstum im Wassertouris- mus: Es muss uns gelingen, weitere Marktanteile zu ge- winnen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen wir auf eine vielfältige Strategie. Wir brauchen eine verbesserte Imagepflege, Internationalität, Innovation, Individuali- sierung, Investitionsfreundlichkeit, Kooperation und Qualität. Ein Paket aus Rücksichtnahme gehört aber auch an Bord jedes Freizeitkapitäns. „Das Wasser ist ein freund- liches Element für den, der damit bekannt ist und es zu behandeln weiß“, stellte bereits Johann Wolfgang von Goethe fest. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass durch die richtige Behandlung von Struktur und Marketing der Wassertourismus in Deutschland profitiert. Unser Antrag hat zweifellos das Zeug dazu. Ich sage daher „Leinen los!“ und bitte um Zustimmung. Annette Faße (SPD): Das Jahr 2008 war für den Wassertourismus ein gutes Jahr! Zwei Anträge sind im letzten Jahr entstanden, den zweiten mit dem Titel „In- frastruktur und Marketing für den Wassertourismus ver- bessern“ werden wir heute verabschieden. Wenn es ge- lingt, die Forderungen im vorliegenden Antrag zügig umzusetzen, kann auch das Jahr 2009 ein wirklich gutes Jahr für die Wassersportler werden. Wassersport hat sich zum Breitensport entwickelt, den Wasseraffinen geht es um körperliche Fitness, um den Ausgleich von Bewegungsmangel und den Spaß am Sport und dem Erleben von Natur pur. Eines ist dabei klar, meine Damen und Herren: die Potenziale des Was- sertourismus sind nicht ausgeschöpft! Diese Feststellung war der Anlass und Auslöser zu zwei Anträgen im Deut- schen Bundestag, die beide den Wassertourismus zum Gegenstand haben. Der zweite Antrag ist im Verkehrsausschuss mit den Stimmen der Koalition und bei Zustimmung von FDP und Linken angenommen worden. Darüber freue ich mich, und es zeigt, dass wir parteiübergreifend die Chan- cen des Wassertourismus verbessern möchten. Allen Ur- laubern, ob aus Deutschland, Europa oder weltweit, möchten wir unser Land von der schönsten Seite präsen- tieren. Der Wassersport und Wassertourismus bietet uns dabei zahlreiche Möglichkeiten, die wir nutzen müssen. Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Destinationen des Wassertourismus. Segeln, Surfen, Kanu fahren oder Motorbootsport: Das sind Perlen, die wir auch entspre- chend präsentieren müssen. Der Tourismus insgesamt ist ein wichtiger Wirt- schaftsfaktor in Deutschland. Zwar sagt die Deutsche Zentrale für Tourismus für 2009 eine Abschwächung des Wachstums im weltweiten Tourismus von 2 bis 3 Pro- zent im letzten Jahr auf 0 bis 2 Prozent in 2009 voraus, dennoch stehen wir weltweit an vierter Stelle der belieb- testen Urlaubsziele, ein Wachstum bis zu 2 Prozent ist für das Reiseland Deutschland möglich. Deutschland hält damit einen Weltmarktanteil von 6 Prozent an allen Auslandsreisen. 75 Prozent der Incoming-Reisen kom- men aus Europa. Beim Inlandstourismus sind wir stark und bleiben es auch. In den ersten zehn Monaten des letzten Jahres verzeichneten wir im Deutschlandtouris- mus ein Plus von 3 Prozent. Allein in Deutschland exis- tieren 2,8 Millionen nicht exportierbare, an den Mittel- stand gebundene Arbeitsplätze im Tourismus. Schaut man sich genauer an, unter welchen Bedin- gungen der Tourismus in der Zukunft wachsen muss, dann wird klar: Der Wassertourismus kann dabei gewin- nen. Die Deutsche Zentrale für Tourismus stellt dazu fest: Jeder dritte Bundesbürger verbringt seine Hauptur- laubsreise in Deutschland. Deutschland liegt im Trend bei den Deutschen. Die Zahl der längeren innerdeut- schen Urlaubsreisen ab vier Nächten verstetigt sich. Durch die sich ändernden klimatischen Bedingungen ge- winnen Alternativen zum klassischen Skiurlaub an Be- deutung. Das weltweite Deutschland-Image wird in Zu- kunft stärker vom Image des Reiselandes Deutschland geprägt. Die Wachstumsdynamik kommt aus dem Aus- land; auch darauf müssen wir im Bereich Wassertouris- mus reagieren. Beispielsweise brauchen wir flächende- ckend international verständliche Beschilderungen. Tourismus muss sich insgesamt stärker international orientieren und in das Auslandsmarketing und Bildung investieren. Bund und Länder sollten dies unterstützen. Ein stärkeres Augenmerk sollten wir auf die Nutzung al- ler Vertriebswege richten. Das Internet nimmt eine wich- tige Rolle ein: 46 Prozent der Europäer beispielsweise informieren sich und buchen im Internet. Stichwort: Look and book! Wir müssen die Chancen des demogra- fischen Wandels nutzen. Hier ist natürlich auch die Wirt- schaft gefragt, ihre Angebote auf älter werdende Touristen auszurichten. Weltweiter Klimawandel: Kli- mawandel erzeugt verstärkte Nachfrage nach sanftem Tourismus. Gerade hier kann der Wassertourismus punk- ten. Der Wassertourismus als sanfte, an den intakten Ge- gebenheiten der Natur orientierte Form des Reisens hat noch starkes Wachstumspotenzial. Die DZT bezeichnet diese Form des Erholungstourismus als „Megatrend Ge- sundheit“ und plant bereits die Verstärkung ihrer Marke- tingaktivitäten in diesem Segment. Sportliche Aktivitä- ten im Urlaub werden immer beliebter, Wassersport bietet dabei die ideale Bandbreite von Natur, Sport und dem Bedürfnis, nachhaltig Urlaub zu machen, also die Umwelt dabei zu schonen. Tourismus besitzt eine beson- dere wirtschaftliche Bedeutung für die neuen Länder. Dort befinden sich einige der schönsten Wassersportge- biete, eine Chance für die betreffenden Regionen. Nach einer Mitgliederumfrage des ADAC (2008) sind allein in Deutschland 1,8 Millionen der 16 Millionen Mitglieder aktive Skipper, also Bootsführer in der Freizeitschiff- 21728 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) fahrt, die insbesondere in deutschen Revieren unterwegs sind. Der Bundesverband Wassersport stellt außerdem fest, dass circa 500 000 Wassersportler in Deutschland Boots- eigner sind. Sie besitzen Segeljollen, Segeljachten, Mo- toryachten oder offene Sportboote. 400 000 Boote sind allein auf deutschen Gewässern unterwegs. Der demografische Wandel macht sich bereits be- merkbar. Rund 80 Prozent der Bootseigner sind zwi- schen 40 und 70 Jahre alt. Am häufigsten sind Bootseig- ner in der Altersgruppe von 60 bis 64 Jahren. Die Verbände gehen davon aus, dass dies eine Folge des Booms der Freizeitschifffahrt in den 70er-Jahren ist. Das Interesse am eigenen Boot sinkt seitdem kontinuierlich mit den jüngeren Jahrgängen. Junge Familien beispiels- weise sollten als Zielgruppe verstärkt angesprochen wer- den. Das ist ein weiterer Indikator dafür, dass wir und natürlich auch die Verbände, die Industrie und die Län- der selbst neue Zielgruppen für den Wassersport begeis- tern müssen. Um mehr Menschen für den Wassersport zu gewin- nen, müssen einige Rahmenbedingungen vereinfacht werden. Wir haben bereits im letzten Jahr herausgearbei- tet, dass wir ein großes Problem sehr zügig lösen müs- sen: Das sind die Prüfungen, die notwendig sind, um Sportbootscheine zu erwerben. Sie sind theorielastig und mit Lernstoff überlastet. Der Anreiz, sich in diesen Lern- marathon zu begeben, um überhaupt in den Sport einsteigen zu können, ist nicht groß. Immer wieder errei- chen uns E-Mails und Briefe von aktiven Wassersport- lern oder solchen, die es werden wollen und die den Sinn nicht verstehen, warum sie die Antworten auf 593 Fra- gen auswendig lernen müssen, um mit ihrer kleinen Se- geljolle auf der Havel zu segeln. Ich habe mir die Prü- fungsfragen auf elwis.de angesehen, mit Rock’n’Roll hat das wirklich gar nichts zu tun, was man dort zu sehen be- kommt. Es gibt Fragen, die sind aus meiner Sicht nicht nötig. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Welche Anforderungen muss der Führer eines Segelboots auf den Binnenschiff- fahrtsstraßen erfüllen? Antwort: Er soll körperlich und geistig und fachlich geeignet sein. Oder: Wie ist die Ein- satzfähigkeit eines Feuerlöschers zu gewährleisten? Durch Einhaltung der Wartungsintervalle und durch das „Sich-vertraut-machen mit der Handhabung“. Zu Deutsch: Gebrauchsanleitung lesen. Deshalb haben wir im ersten Antrag beschlossen, dass die theoretische Prüfung überarbeitet und von praxisfer- nen Fragen befreit werden muss. Gleichzeitig wird die praktische Prüfung ausgebaut. Die einzelnen Führer- scheine werden besser aufeinander abgestimmt und auf Multiple-Choice-Verfahren umgestellt. Die Vorarbeiten hierzu laufen im Verkehrsministerium unter Mitarbeit der Verbände, und nächstes Jahr sollen die neuen Prü- fungen abgenommen werden. Das ist ein guter Erfolg für den Wassersport, der sich auch positiv auf den Wasser- tourismus auswirken wird. Ein ganz besonderes Segment im Wassersport bietet ein enormes Potenzial: die führerscheinfreien Charter- boote, die nach einer Einweisung auf besonderen Gebie- ten an Touristen vergeben werden dürfen. Die Wasser- tourismus Initiative Nordbrandenburg (WIN AG) hat sich dieser Urlaubsform besonders angenommen. Die WIN AG hat bereits einige Gebiete für die führerschein- freien Bootsfahrten eingerichtet und plant die Erweite- rung der Fahrmöglichkeiten. Bedingung für die Realisie- rung ist, dass eine Anschubfinanzierung des Bundes für die Übertragung von Bundeswasserstraßen an Länder und Kommunen möglich ist. Dieser Durchbruch ist uns ebenfalls nach langen Verhandlungen gelungen. Die Möglichkeit der Übertragung von Wasserstraßen mit ei- ner finanziellen Unterstützung durch den Bund hat es vorher nicht gegeben und ist für den Wassersport eine riesige Chance. Wichtige Voraussetzung für den Wassersport und den -tourismus sind durchgängig befahrbare Wasserwege- netze und die Beseitigung von Engpässen. Der Charter- boottourismus ist besonders auf die Erweiterung gebiets- übergreifender Einwegfahrten angewiesen. Schleusen, Bootsrutschen und -schleppen dürfen nicht zu einem Na- delöhr in der Infrastruktur werden. Die stetig wachsende Nutzung der Wassersportgebiete führt unweigerlich zu Engpässen an einigen Schleusen und mehrstündigen Wartezeiten in der Saison. Hier müssen wir Verbesserun- gen erzielen: Durch den Einsatz von Saisonkräften und die Erweiterung der Öffnungszeiten an Sportbootschleu- sen könnten Wartezeiten vermieden werden. Die Sport- und Wassersportverbände sollen stärker an Infrastruktur- planungen beteiligt werden, im Kontakt mit der Praxis können Maßnahmen effizienter geplant werden. Warte- stellen sollen sportbootgerecht und umweltverträglich ausgebaut werden, zum Beispiel durch Anlegestege und Laufrohre. Für viele Maßnahmen im Bereich Wassersport sind zahlreiche Genehmigungen erforderlich. Die landseiti- gen Genehmigungsverfahren sollten so koordiniert wer- den, dass nur ein Ansprechpartner aufgesucht werden muss. Generell müssen Möglichkeiten geprüft werden, wie zusätzliche Ressourcen erschlossen und bessere or- ganisatorische Strukturen geschaffen werden können. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist das Marketing; ich habe es schon angesprochen. Das Marketing im Was- sertourismus muss verbessert werden. Printbroschüren sollten verstärkt Gäste aus dem Ausland informieren und auf die Angebote in Deutschland aufmerksam machen. Dabei sollen wassertouristische und landseitige Ange- bote stärker verknüpft werden. Die DZT bestätigt, dass ein erfolgreiches Marketing Deutschland im Tourismus voranbringen wird. Vorhandene Informationsangebote sollten daher zu ei- nem bundesweiten Marketingkonzept zusammengeführt werden, das die Deutsche Zentrale für Tourismus in ei- ner Werbeaktion präsentieren oder in einer Broschüre zusammenfassen soll. Einheitliche Piktogramme sind mit ihrer Bildsprache besonders hilfreich für ausländi- sche Touristen. Sie sollten daher flächendeckend einge- setzt werden. Das gut sichtbare Symbol der gelben Welle ermöglicht ein gutes Erkennen der Anlegemöglichkeit und gibt Auskunft über Ausstattung des Anlegers und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21729 (A) (C) (B) (D) des Hafens, über touristische Einrichtungen und Sehens- würdigkeiten. Die gelbe Welle sollte in Kombination mit den Informationssymbolen ebenfalls flächendeckend eingesetzt werden. Das „Blaue Sterne“-System zur bun- deseinheitlichen Klassifizierung von Sportboothäfen in Bezug auf Service, Komfort und Sicherheit kann die Touristen ebenfalls bei der Auswahl ihrer Aufenthalte unterstützen. Neben der besseren Beschilderung müssen die Aus- und Weiterbildungsangebote im Tourismus vermehrt ge- nutzt werden. Speziell im Wassertourismus müssen sich die Anbieter und Mitarbeiter hohen Anforderungen stel- len, sie müssen optimale Touren planen und Informatio- nen häufig in einer Fremdsprache weitergeben können. Investitionen in Bildungsmaßnahmen sind Investitionen in die Zukunft der Unternehmen. Zum Marketing soll in- nerhalb eines Jahres ein Bericht vorgelegt werden, der ein Maßnahmenprogramm zum Wassersport enthält. Eine gute Vermarktungsstrategie, aber auch die Zu- sammenarbeit aller Beteiligten ist nötig, um die Men- schen an und in das Wasser zu bringen. Deshalb sollten zukünftig Bund, Länder und Kommunen verstärkt mit allen Verbänden zusammenarbeiten und sie in neue Pro- jekte und Entwicklungen einbeziehen. Alte Zöpfe dürfen auch mal abgeschnitten und neue Arbeitsformen einge- führt werden. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, so werden wir den Wassertourismus in Deutschland er- folgreich voranbringen! Patrick Döring (FDP): Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam einen Antrag beschließen können, der für die Zukunft des Wassersports und des Wassertouris- mus in Deutschland einiges hoffen lässt. Ich kann mich noch gut an die Debatten und Diskussionen erinnern, die wir an diesem Ort vor nicht langer Zeit zur Deregulie- rung und Erleichterung der Sport- und Freizeitschifffahrt geführt haben. Seinerzeit stand die FDP recht alleine in dem Bemühen, weitere Hürden für den Wassersport zu verhindern. Der von der Koalition vorgelegte Antrag und die Äußerungen des Ministers in den letzten Tagen lassen allerdings erkennen, dass gute und richtige Argu- mente auch vor der Regierung nicht Halt machen. Es bleibt weiterhin einiges zu tun, damit der Wasser- sport auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Deutschland eine Zukunft hat. Dabei gilt es nicht nur, die Infrastrukturen auszubauen, zu verbessern und zu erhalten. Wir müssen vor allem auch die Zugangshürden senken, um jüngere Generationen an diesen Sport heran- zuführen. Denn – das lassen die Zahlen deutlich erken- nen – wenn der Anteil an jüngeren Einsteigern in die Freizeitschifffahrt in den kommenden Jahren nicht deut- lich erhöht wird, ist damit zu rechnen, dass sich die Zahl der Bootseigner in den nächsten zwanzig Jahren halbiert. Um den, wie die Koalition in ihrem Antrag zu Recht herausstellt, bedeutsamen Markt und die damit verbun- denen Arbeitsplätze vor allem auch in strukturschwa- chen Regionen zu erhalten, müssen die Einstiegshürden dringend gesenkt werden. Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, wenn Minister Tiefensee in diesen Tagen eine Reform der Sportbootführerscheinprüfung ankün- digt, die deutlich schlanker und praxisnäher aussehen soll. Ich werde sehr aufmerksam beobachten, ob das, was am Ende herauskommt, auch dieser Zielsetzung ent- spricht. Denn wir haben bei dieser Regierung ja leider immer wieder erleben müssen, dass der Inhalt nicht hielt, was die Verpackung versprach. Die Reform der Prüfungsordnung darf in keinem Fall zu einer Mogelpackung werden. Die Verunsicherung und Skepsis bei den Wassersportlern ist durch Fehler der Vergangenheit bereits immens. Ich erinnere nur etwa an die Regierungspläne zur Einführung einer Kennzeich- nungspflicht auf See oder das aktuelle Desaster bei den Funkzeugnissen. Es ist geradezu unglaublich, wie die Koalition hier in den letzten Jahren Ansehen und Ver- trauen verspielt hat. Das war alles andere als Werbung für den Wassersport. Auch für die betroffenen Unternehmen hat das Hin und Her des Ministeriums bei der Zulassung britischer Funklizenzen nicht zu verachtende Folgen. Seit nunmehr über einem Jahr verlangt Ihr Haus, Minister Tiefensee, dass deutsche Inhaber der britischen Lizenz eine Zusatz- prüfung machen müssen. Aber trotz dieser langen Frist gibt es diese Prüfung nicht. Sie wird verlangt, kann aber nicht abgelegt werden. Mit Verlaub, das ist ein sehr schlechter Witz. Mittlerweile sind Hunderte Menschen betroffen. Und dabei ist auch noch höchst zweifelhaft, ob die Position der Regierung internationalen Abkommen entspricht, an die wir gebunden sind. Da liegt also noch einiges im Argen, das sie in Ihrem Antrag nicht einmal erwähnen, geschweige denn lösen. Ich will allerdings gerne einräumen, dass diese Pro- blematik nicht die Stoßrichtung ihrer Initiative ist. Und so sehr ich es für ein Versäumnis halte, dass sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sich dieser Dinge nicht end- lich annehmen und dem Ministerium klar und deutlich Weisung geben, dass in einer sicheren Sportart wie dem Wassersport im Zweifel in jedem Fall der Deregulierung Vorzug gegeben werden sollte, so sehr ich dies auch bedau- ere, so sind die von Ihnen hier vorgelegten Forderungen doch richtig und begrüßenswert. Die Verbesserung und Koordinierung des Marketings, die bessere Beschilderung und der touristische Ausbau von Wasserwegen, die Er- leichterung von Genehmigungsverfahren, die Verbesse- rung der Situation an den Schleusen, das ist alles richtig. Allerdings möchte ich gleichzeitig noch einmal war- nend darauf hinweisen, dass es nicht reichen wird, mehr für den Wassersport zu werben und die Situation auf den Wasserwegen etwas zu verbessern. Denn die Nachfrage bei Neueinsteigern wird in der gegenwärtigen Situation auch weiterhin viel zu oft und viel zu schnell erlöschen, sobald diese des finanziellen und vor allem auch zeitli- chen Aufwandes gewahr werden, dessen es in Deutschland bedarf, um ein Sportboot führen zu dürfen. Vieles von dem, was Sie heute zu tun gewillt sind, wird verpuffen, wenn Sie nicht auch diese Hürde für den Einstieg schnell und entschieden senken. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Die Koalition konstatiert einen erhöhten Bedarf an Geldern für Infra- struktur und Marketing im Wassertourismus und im 21730 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) Wassersport. Es ist gut und richtig, dass der Binnentou- rismus in den letzten Jahren gewachsen ist. Es ist auch ökologisch begrüßenswert, wenn Menschen vermehrt die vielfältigen Reize deutscher Regionen erkunden, statt Fernreisen zu unternehmen. In Zeiten der Wirt- schaftskrise wird sich dieser Trend zur inländischen Er- holung voraussichtlich noch weiter verstärken. Wollen wir die Attraktivität unserer Gewässer für Freizeit und Erholung steigern, so ist es unerlässlich, die Bedürfnisse insbesondere jener besonders zu beachten, die aus den unterschiedlichsten Gründen häufig kaum andere als inländische Erholungsmöglichkeiten nutzen können. Hierzu gehören auch insbesondere mobilitäts- eingeschränkte Personen. Wenn man sich vor Augen hält, dass nur zwei Bootsanleger der Fahrgastschifffahrt in Berlin barrierefrei sind und nur ein Schiff, so wird überdeutlich, wie viel da noch zu tun bleibt. Bei steigendem Nutzungsgrad der Wassersport- und Wassertourismusgebiete müssen wir aber auch verbind- liche Regeln reklamieren, um Risiken für Mensch und Umwelt zu minimieren. Der Schutz sensibler Uferzonen ist genauso sicherzustellen wie das möglichst gefahrlose Miteinander der verschiedenen Gewässernutzer. Dass dann, im Antrag versteckt, auch gleich die Vereinfachun- gen bei Ausbildung und Erwerb eines Sportbootführer- scheins vorgeschlagen werden, ist nicht ganz redlich. Denn nur bei „geeigneten Gewässern“ sollte auch die führerscheinfreie Führung bestimmter Kategorien von Sportbooten zugelassen werden. Damit die Risiken besser eingeschätzt werden kön- nen, ist eine Unfallstatistik, die Unfälle mit Freizeitboo- ten erfasst, aus unserer Sicht dringend notwendig. Die Fraktion Die Linke unterstützt die Förderung von Sport und Tourismus in Deutschland, auch auf dem Wasser. Wir alle wissen aber auch, dass Freizeitkapitäne zuwei- len mit ihren Booten überfordert sind. Schließlich sind Wasserstraßen auch Wege für den Gütertransport mit al- len daraus resultierenden Unfallgefahren. Ein weiterer Aspekt im Antrag fiel mir besonders auf. Es wird beschrieben, dass es an vielen, insbesondere au- tomatisierten Schleusen im Sommer durch die Freizeit- schifffahrt zu Problemen und zu überlangen Wartezeiten kommt. Die Unerfahrenheit vieler Freizeitschiffer ist ein Grund. Eine weitere Ursache ist aber auch – das ist eben- falls im Antrag zu lesen – der Personalabbau in den ver- gangen Jahren. Wo niemand mit Erfahrung an der Schleuse steht, um Boote einzuweisen, kommt es zu Engpässen. Das Thema Personal an Schleusen ist ein Beispiel dafür, wie sehr der Stellenabbau im öffentlichen Bereich zu Serviceeinschränkungen und Reibungsver- lusten führt. Gerade im Freizeitbereich könnten neue, sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden, mit denen die Attrakti- vität des Angebots gesteigert wird, der Service für die Nutzer verbessert wird, der Verkehrsdurchlauf beschleu- nigt wird und bei Problemen kompetente Partner um Hilfe gebeten werden können. Dabei muss Sorge dafür getragen werden, dass diese Saisonarbeitskräfte auch im Winter beschäftigt werden. Wenn ich mir die Schleusen- und Hafenanlagen in meinem Wahlkreis anschaue, stellt das aber bei entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen für das Personal kein Problem dar. Arbeit ist genug da. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gehören auch zu einem ganzheitlichen Tourismuskonzept. Aussa- gen der Koalition dazu vermissen wir. Deshalb enthält sich die Fraktion Die Linke bei der Abstimmung über den Antrag, der durchaus in vielen Punkten in die rich- tige Richtung geht. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle Jahre wieder ist der Wassertourismus Thema im Bundestag, unter Rot-Grün im Jahr 2004 erstmals. Aller- dings, meine Damen und Herren, wie Sie sich denken können mit einem anderen Schwerpunkt. Damals war der Schwerpunkt ein naturverträglicher Ausbau des Wassertourismus. Unsere gemeinsame Priorität damals war eine Entwicklung des Wassertourismus, die die Natur schützt und erhält. Denn was ist die große Attraktivität des Wassertouris- mus und des Wassersportes? Es ist ja gerade der Reiz, dass er so naturnah betrieben wird und eine besondere Freizeitmöglichkeit ist, die Natur und sportliche Betäti- gung verbindet. Darum ist es besonders wichtig, den weiteren Ausbau der Wassertourismusinfrastruktur na- turverträglich zu gestalten. Auf Länderebene haben wir einige hervorragende Beispiele von integrierten Schutz- und Nutzungskonzepten, die verbindliche Regeln für das Befahren festlegen, um sensible Gewässer zu schonen und zu erhalten. Aber dieser Antrag zeigt deutlich das umweltpolitische Profil der Koalitionsfraktionen. Das ist nämlich über- haupt nicht vorhanden. Das Wort „Naturschutz“ taucht hier überhaupt nicht mehr auf. Einzig beim Ausbau von Anlegestellen oder Ähnlichem finden sie die Umwelt- verträglichkeit noch erwähnenswert. Wortwörtlich blei- ben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, beim Wassertourismus auf Ihren stinkenden Motorboo- ten sitzen. Kein Wort in Ihrem Antrag über Angler, Paddler oder neue Antriebstechnologien für Sportboote und Fahrgastschifffahrt sowie den notwendigen Rückbau von überdimensionierten Schifffahrtsanlagen. Nichts als gähnende inhaltliche Leere bezüglich Marketing und In- frastrukturausbau. Zur Krönung fordern sie noch: 1-Euro- Jobber an den Schleusen. Denn seien wir ehrlich: Darauf läuft Ihre Forderung nach Saisonarbeitskräften doch hi- naus. Schließlich haben Sie noch vergessen zu erwähnen, welche große tourismuspolitische Leistung Sie im letz- ten Jahr für den Wassertourismus erbracht haben: Rot- Schwarz hat die Mehrwertsteuerermäßigung für die Aus- flugsdampfer, die uns hier in Berlin die Luft verpesten, eingeführt. Gratuliere! Von den Preisnachlässen der Schifffahrtsunternehmen haben sicher alle Touristen und Berliner im letzten Jahr profitiert. Wassertourismus braucht mehr als nur die wassertou- ristische Infrastruktur. Wichtigste Voraussetzung ist eine intakte Umwelt und eine interessante Kulturlandschaft. Aber bleiben wir bei Ihrem Wunsch nach touristischer Infrastruktur. Auch hier ist Ihr politischer Horizont et- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21731 (A) (C) (B) (D) was verengt. Wassertouristische Infrastruktur geht über Anlegestellen, Schleusen oder Häfen hinaus. Sie muss auch die Erreichbarkeit der Anleger vom Land aus be- inhalten. Da gibt es auch bundespolitisch noch viel zu tun. Wir Grünen sehen es als Aufgabe des Bundes, endlich einen nationalen Wasserwanderwegeplan analog zum nationalen Radwegeplan auf den Weg zu bringen. Hier gibt es seit Jahren Absichtserklärungen. Aber es passiert nichts. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Tarifflucht verhin- dern – Geltung des Günstigkeitsprinzips bei Be- triebsübergängen nach § 613 a BGB sicherstel- len (Tagesordnungspunkt 20) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Bei dem hier vorlie- genden Antrag lautet die Überschrift, kurz wiedergege- ben: Tarifflucht verhindern. Das ist tatsächlich ein Ziel, das es anzustreben gilt. Allerdings ist der Vorschlag der Fraktion Die Linke ungeeignet, dieses Ziel zu erreichen. Sie erklären in Ihrem Antrag, dass die Unternehmen mit „gesellschaftsrechtlichen Winkelzügen“ Tarifdum- ping betreiben. Das spricht für Ihre Fantasie bei der Wortwahl. Weit weniger Fantasie bringen Sie aber bei den Inhalten dieses Antrags zustande. Der § 613 a BGB regelt den Schutz von Beschäftigten bei Betriebsübergängen, und zwar von Beschäftigten die individuell Regelungen per Arbeitsvertrag getroffen ha- ben. Diese Menschen müssen davor geschützt werden, dass bei einer Betriebsübernahme der neue Arbeitgeber willkürlich die Arbeitsbedingungen zuungunsten des Be- schäftigten neu regelt. In diesen Fällen ist das Günstig- keitsprinzip anzuwenden. Beim Günstigkeitsvergleich ist immer auf das individuelle Interesse des einzelnen Arbeitnehmers abzustellen. Gesamtinteressen einer Be- legschaft sind nicht maßgeblich. Das ist der Schutz, den die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen, und das ist der Schutz, der den Beschäftigten in § 613 a für ein Jahr garantiert wird. Anders ist das bei bestehenden Tarifverträgen mit ent- sprechender Tarifbindung. Tarifverträge regeln kollektiv die Arbeitsbedingungen und den erforderlichen Schutz der Beschäftigten. Den erforderlichen besonderen Schutz genießen Tarifverträge über das Tarifvertragsge- setz und die Rechtsprechung. Aber nicht nur das spricht gegen eine Erfassung durch den § 613 a, sondern im Grundgesetz ist die Koalitionsfreiheit garantiert. Daher ist der Gesetzgeber bei allen Regelungen, die er trifft, angehalten, diesen Grundsatz zu beachten. Schon allein deshalb gibt es erhebliche rechtliche Bedenken im Hin- blick auf ein Aushebeln der Koalitionsfreiheit. In Ihrem Gesetzesentwurf, meine Damen und Herren der Linksfraktion, geht es um den inhaltlichen Vergleich zweier oder mehrerer Kollektivregelungen. Tarifverträge sind jedoch nach ständiger Rechtsprechung einer In- haltskontrolle entzogen, wie ihnen eigentlich bekannt sein sollte. Eine inhaltliche Bewertung eines Tarifvertra- ges, wie von Ihnen angestrebt, würde daher einer Zensur von Tarifarbeit gleichkommen. In dem Punkt wider- spricht der Antrag übrigens sich selbst. Was wäre zum Beispiel, wenn sich bei diesem Ver- gleich herausstellt, dass eine kleine Gruppe von Be- schäftigten mit dem neuen Tarifvertrag bessergestellt wird? Soll dann das Günstigkeitsprinzip wieder nur indi- viduell gelten, wie es der § 613 a vorschreibt. Aus dem Grund schließt das Bürgerliche Gesetzbuch Tarifver- träge aus. In der ständigen Rechtsprechung wird das Günstigkeitsprinzip bei Differenzen zwischen zwei oder mehr Tarifverträgen genau deshalb nicht angewandt. Ha- ben Sie sich im Übrigen auch einmal Gedanken darüber gemacht, was eine Anwendung des § 613 a in Ihrem Sinne für Kosten aufwirft? Kosten, die mit Sicherheit durch Arbeitsplatzvernichtung wieder eingespart wer- den. Und genau das schlagen Sie in Ihrem Antrag vor. Was Tarifverträge angeht, gilt Ähnliches für die Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, so wünschenswert Gewerkschaftsmitgliedschaften sind. Denn diese sind Voraussetzung für die Anwendung des § 613 a in Bezug auf die Tarifbindung. Sie zwingen mit einer Ausweitung des § 613 a BGB den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern Tarifverträge auf, ob sie es nun wollen oder nicht. Die Pflichtmitgliedschaft in Gewerkschaften, meine Damen und Herren der Linksfraktion, gab es und gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Aber vielleicht ist das ein Ziel ihres Antrages? Aus den genannten Gründen lässt der § 613 a BGB zu Recht die Anwendung des Günstigkeitsprinzips, bezo- gen auf Tarifverträge, nicht zu. Dies hat das Bundesar- beitsgericht mit seinem Urteil vom 11. Mai 2005 bestä- tigt. Ich möchte auch unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Vertrags- und besonders die Koaliti- onsfreiheit nicht umsonst zu den Grundpfeilern der Bun- desrepublik Deutschland gehören. Tarifverträge haben nicht nur einen rechtlich fundierten Hintergrund, son- dern auch inhaltliche. Es sind die Tarifvertragsparteien, die zuverlässig einschätzen können, was den Unterneh- men und den Beschäftigten zuzumuten ist. Denn die Re- gelungen eines Tarifvertrages sind auf die besonderen wirtschaftlichen Erfordernisse einer Branche oder Re- gion ausgerichtet. Unsere Gewerkschaften tragen, zuver- lässig und handlungsfähig, dieser Aufgabe im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rechnung. Oder will die Fraktion Die Linke allen Ernstes behaup- ten, dass die in ihrer Antragsbegründung genannten Ver- tragpartner Deutsche Telekom und Verdi Lohndumping betreiben? Damit stoßen sie mit Sicherheit nicht auf die Zustimmung eines Teiles ihrer Parteimitglieder. In den allgemeinen Diskussionen zu den Entwicklun- gen und Veränderungen in der Arbeitswelt darf man hier Europa nicht aus den Augen verlieren. Auch da spielt der Arbeitnehmerschutz eine herausragende Rolle. Das haben wir im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmer- Entsendegesetz erfahren. Nur unter Berücksichtigung 21732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) gesamteuropäischer Belange sind Arbeitnehmerschutz- gesetze möglich. Wie wir wissen, bekommen wir immer wieder Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die uns veranlassen, nationales Recht anzupassen. Aber gerade in Bezug auf den § 613 a BGB hat der EuGH festge- stellt, dass die deutsche Regelung die Koalitionsfreiheit besonders schützt. Diesbezüglich sollten wir den § 613 a auf keinen Fall aufs Spiel setzen, indem wir jetzt etwas hineininterpretieren. Es bleibt lediglich zu überlegen, ob man den Günstig- keitsvergleich bei verschiedenen Methoden zur Rege- lung von Arbeitsbedingungen anwenden kann, beispiels- weise wenn ein Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag mit einer Betriebsvereinbarung des übernehmenden Betrie- bes kollidiert. Hier könnte es möglicherweise erforder- lich sein, durch klare Definition Missbrauch und Willkür gegenüber den Beschäftigten zu vermeiden. Zum Abschluss möchte ich klarstellen: Die Beschäftig- ten sind bei Betriebsübergängen durch den § 613 a indivi- duell vor Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen ausreichend geschützt. Wenn bei einer Betriebsüber- nahme zwei oder mehr Tarifverträge gelten, wird es rechtlich sehr bedenklich. Dem steht hauptsächlich das Grundgesetz mit der Garantie zur Koalitionsfreiheit ent- gegen. Hier sind die Gewerkschaften in der Verantwor- tung, ihre Mitglieder vor Ungerechtigkeiten zu schützen. Es gibt daher keine Veranlassung, den § 613 a BGB in Bezug auf Tarifverträge um die Anwendung des Güns- tigkeitsprinzip auszuweiten. Im Gegenteil, die Auswei- tung würde unweigerlich zu rechtlichen Diskussionen führen. Außerdem haben wir vom Europäischen Gerichtshof die Bestätigung, dass § 613 a BGB den europäischen Anforderungen genügt. Die Bundesrepublik Deutsch- land würde sich keinen Gefallen tun, das Gesetz zu än- dern. Die Fraktion Die Linke sollte von ihrer Linie abkeh- ren, alles staatlich regeln zu wollen. Das vermittelt viel- leicht den Eindruck, sie sei die Partei der Gerechtigkeit, was aber nicht zutrifft. Bei genauer Prüfung ergibt sich sehr schnell, dass Unsicherheiten das Ergebnis sind. Deshalb empfehle ich, den vorliegenden Antrag mit ablehnender Tendenz zur Prüfung an den Ausschuss zu überweisen. Andreas Steppuhn (SPD): Tarifflucht bei Betriebs- übergängen verhindern, so fasse ich den Titel dieses An- trages der Linken, den wir hier heute beraten, einmal kurz zusammen. Sicherlich, das hört sich natürlich im ersten Moment gut an, keine Frage. Doch gestatten Sie mir einen Blick hinter die Kulissen, um diese Forderung einmal genauer zu beleuchten. Das, was sich in der Wirklichkeit dahinter verbirgt, möchte ich Ihnen darlegen. Denn so einfach, wie Sie hier Ihre Forderungen wieder einmal aufmachen, ist es in der Praxis einfach nicht. Das kann ich Ihnen als langjähriger Gewerkschafter, der oft mit diesem Thema zu tun hat, sagen. Sie fordern mit Ihrem Antrag die Änderung des § 613 a Abs. 1 BGB, konkret: dass bei einem Betriebsübergang und einer Unternehmensumwandlung die bisherigen Tarif- regelungen auch dann weitergelten sollen, wenn die bei dem neuen Unternehmer geltende Tarifregelung schlech- ter ist. Oder anders ausgedrückt: Das gesetzlich geltende Ablöseprinzip soll, wenn es nach Ihrem Willen ginge, von einem Günstigkeitsprinzip ersetzt werden. Sicherlich, ich kann in Ansätzen die Motivation Ihrer Forderung nach- vollziehen. Dennoch muss man hier genau hinsehen und ein paar andere Aspekte beachten. Es ist richtig, dass der § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB eine Ausnahme vom Günstigkeitsprinzip aufweist. Diese soll aber nicht, wie Sie es darlegen, zur Benachteiligung für die Arbeitnehmer führen. Denn ebenfalls ist in § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 auch der Schutz der Arbeit- nehmer enthalten. Denn hier wird auch dargelegt, dem Arbeitnehmer beim Betriebsübergang die bisherigen Ar- beitsbedingungen zu erhalten und sie zu wahren. Um es kurz zu sagen: Die Rechtsstellung des Arbeitnehmers soll durch den Betriebsübergang weder verschlechtert noch verbessert werden. Nur für den Fall, dass er durch den Betriebsübergang den Schutz eines Tarifvertrages ver- liert, soll er durch § 613 a Abs. 1 geschützt werden. Beim Übergang von einem Tarifvertrag in einen ande- ren Tarifvertrag jedoch ist dieses Schutzbedürfnis nicht gegeben, und der Gesetzgeber geht hier zu Recht von der „qualitativen Gleichwertigkeit aller Tarifverträge“ im Rechtssinne aus. Würden die gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses gewor- denen Kollektivregelungen resistent gegen eine Ände- rung durch eine andere Kollektivregelung, so würde man dem § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB einen überzogenen Schutzzweck zubilligen. Der Arbeitnehmer stünde dann im Fall des Betriebsübergangs besser da als ohne Be- triebsübergang. Dies würde nicht dem Sinne des Geset- zes entsprechen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach dem Verlust eines Tarifvertrages zu schützen, son- dern vielmehr eine Bewertung und Auswahl einzelner Tarifverträge zur Folge haben. Da bei Rechtsnormen gleichen Ranges jedoch das Ordnungs- bzw. Ablösungs- prinzip gilt, tritt der neue Tarifvertrag an die Stelle des alten, sodass ein weiteres Schutzbedürfnis für die Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer faktisch nicht gege- ben ist. Im Übrigen entspricht die Regelung des § 613 a Abs. 1 BGB auch den Vorgaben der EG-Betriebsüber- gangsrichtlinie. Hier das Günstigkeitsprinzip einzuführen, funktioniert zudem schlicht nicht. Denn das Günstigkeitsprinzip gilt nicht im Verhältnis zwischen den verschiedenen Tarifver- tragsparteien. Es greift dann ein, wenn eine individuelle arbeitsvertragliche Regelung für den Arbeitnehmer objek- tiv günstiger ist als die entsprechende Regelung im Tarif- vertrag. Damit soll dem Arbeitnehmer ermöglicht werden, bessere als die gesetzlichen oder kollektiven Arbeits- bedingungen zu vereinbaren. Im Übrigen vergessen Sie das in Deutschland veran- kerte Recht der Tarifautonomie, die es den Tarifvertrags- parteien, also den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, ermöglicht, Tarifverträge abzuschließen. Hier wollen wir nicht eingreifen. Grundsätzlich ist die Festlegung von Arbeitsentgelten und anderen Arbeitsbedingungen Sache Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21733 (A) (C) (B) (D) der Tarifvertragsparteien. Ihnen obliegt es, in Fällen des Übergangs von Arbeitnehmern in Unternehmen mit un- günstigeren tariflichen Entlohnungs- und Arbeitsbedin- gungen Übergangsregelungen durchzusetzen, Verschlech- terungen auszuschließen bzw. abzumildern. Dies durch die Sinnentstellung bestehender Gesetze auf den Gesetz- geber zu übertragen, halte ich für nicht angemessen. Ein Beispiel – Sie haben es in Ihrem Antrag ja auch auf- gegriffen –: Die Deutsche Telekom AG und die Tarifaus- einandersetzungen aus dem Jahr 2007. Eine kurze Anmerkung hierzu meinerseits. Tarifpartner war hier Verdi. Verdi hatte seinerzeit eine Übergangsregelung für die Arbeitnehmer ausgehandelt und durchgesetzt, die in die T-Service-Gesellschaften wechselten. Es ist richtig, dass in den T-Service-Gesellschaften ein um 6,5 Prozent abgesenktes Gehalt galt. Jedoch hatte Verdi diese Redu- zierung des Gehaltes über einen Zeitraum von 42 Mona- ten durch Ausgleichszahlungen, die stufenweise erfolgen, abgemildert. Konkret lautet die Vereinbarung: 100 Pro- zent in den ersten 18 Monaten, im folgenden Jahr zu 66 Prozent und im letzten Jahr zu 33 Prozent. Nun, meine Damen und Herren, Sie sehen, so, wie Sie es hier in Ihrem Antrag darstellen, war es schlichtweg nicht. Die derzeitige Konjunkturkrise macht uns aber deutlich: Tarifverträge müssen flexibel sein können. Es muss auch gewährleistet sein, dass durch Tarifverträge die Arbeitsbe- dingungen entsprechend angepasst werden können. Die geltende gesetzliche Regelung ist eben nicht darauf aus- gerichtet – so wie Sie es unterstellen –, es den Unterneh- men so günstig und einfach wie möglich zu machen, die Arbeitnehmer in Lohndumping zu treiben. Vielmehr soll mit der gesetzlichen Regelung zum Beispiel bei Über- nahmen oder in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine arbeitsplatzerhaltende Sanierung von Unternehmen mög- lich sein, damit eine schlechte wirtschaftliche Lage eben nicht in Kündigungs- und Entlassungswellen ausartet. Deshalb hat der Gesetzgeber auch unter anderem diese Regelung geschaffen. Doch hier möchte ich noch einen anderen sehr wichtigen Punkt mit in den Zusammenhang einbringen: Mindest- löhne. Das Thema bietet sich an, um Ihnen noch einmal deutlich zu machen, wie wichtig Mindestlöhne für die Menschen sind. Ich spreche dabei nicht von Dumping- mindestlöhnen, sondern von Mindestlöhnen, von denen die Menschen auch gut und auskömmlich leben können, von Mindestlöhnen, die ihre Arbeit angemessen wider- spiegeln, von Mindestlöhnen, die eine Tarifflucht von vornherein ausschließen, weil sie existieren und nicht gedrückt werden können, weil sie die Tarifflucht obsolet machen. Als SPD und SPD-Bundestagsfraktion kämpfen wir, und zwar nicht erst seit heute, für die Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen in Deutschland. Erst heute sind wir hier einen wichtigen Schritt weiter- gekommen Wir haben es geschafft. Wir haben uns in der Koalition durchgesetzt. Wir haben das Arbeitnehmerentsende- gesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz gegen die Bestrebungen der Union reformiert. Wir haben beide Gesetze heute beschlossen. Damit werden weitere sechs Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufge- nommen. Ein weiterer und wichtiger Schritt in unserem Kampf für einen flächendeckenden Mindestlohn für alle Bereiche. Ein Wettlauf um niedrige Löhne und schlech- tere Arbeitsbedingungen führt eben nicht zu mehr Beschäftigung. Vielmehr schwächen niedrige Löhne die Kaufkraft und die Binnenkonjunktur. Gleichzeitig gehören für uns sowohl die Tarifautonomie als auch die Mitbestimmung im Betrieb und in den Un- ternehmen zu den Fundamenten unseres Sozialstaates. Sie sorgen für einen fairen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dies, meine Damen und Herren, war immer auch ein Vorteil für den Standort Deutschland: sichere Arbeitnehmerrechte und gute soziale Standards. Heinz-Peter Haustein (FDP): Der hier zu beratende Antrag der Fraktion Die Linke fordert, das sogenannte Ablösungsprinzip bei Betriebsübergängen durch das Günstigkeitsprinzip zu ersetzen. Nach derzeitiger Rechtslage tritt bei Betriebsübergängen der neue Be- triebsinhaber in die Rechte und Pflichten der bestehen- den Arbeitsverhältnisse ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch die Rechtsnorm eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeits- nehmer und dem neuen Inhaber. Vor Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang dürfen die Regelungen nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden. Die Ausnahme von dieser Regelung ist das Ablösungsprin- zip. Es besagt, die Rechte und Pflichten werden nicht In- halt des neuen Arbeitsverhältnisses, sofern sie bei dem neuen Betriebsinhaber durch einen anderen Tarifvertrag oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt sind. Soweit die jetzige Rechtslage. Die Linke möchte nun § 613 a BGB dergestalt än- dern, dass eine Schlechterstellung von Arbeitnehmern bei Betriebsübergängen aufgrund des Wechsels in einen anderen Tarifvertrag oder eine andere Betriebsvereinba- rung beim neuen Inhaber nicht mehr möglich ist. Entlar- vend ist in dem Zusammenhang die Begründung des Antrages. Ich möchte zwei Stellen zitieren: „Durch Auf- spaltung, Ausgründung, … schaffen Unternehmen Kon- stellationen, die es … erlauben, zum Zwecke der Ge- winnsteigerung … große Teile der Belegschaft schlechter zu stellen.“ Und: „Um dieses Ziel der Ver- schlechterung der Konditionen“ – gemeint sind die Ver- schlechterungen für die Arbeitnehmer – „zu erreichen, …“ Hierin offenbart sich die Denkart der Linken: Dem Un- ternehmer geht es nach Auffassung der Linken nur um Gewinnsteigerung und um sein Ziel, die Arbeitnehmer- schaft auszuquetschen. Sie führen immer noch Ihren Klassenkampf wie zu Zeiten der Industrialisierung. Leider ist auch Ihre Argu- mentation ungefähr so zeitgemäß wie die Dampfma- schine. Sie blenden einfach die Realitäten der sozialen Marktwirtschaft aus und wollen nicht zur Kenntnis neh- men, dass Wirtschaft in Zeiten von Globalisierung und weltweitem Wettbewerb mit seinen Zwängen und Not- wendigkeiten etwas komplizierter ist als die Tauschwirt- schaft. Der Kapitalist auf der einen, der ausgebeutete Ar- 21734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) beitnehmer auf der anderen Seite – das ist nicht mehr die Rollenverteilung. Grenzüberschreitend und weltweit tä- tige Unternehmen im globalen Wettbewerb sind heute die Realität. Dass auch schlicht die Fortführung des Be- triebes das Ziel des Unternehmers sein kann, müssten Sie erst einmal zur Kenntnis nehmen. Und dass das Ziel der Fortführung des Betriebes mitunter in wirtschaftlich schwierigen Situationen eine Aufgabe ist, die uns allen etwas abverlangt, wäre die zweite wichtige Feststellung. Wenn man berücksichtigt, dass es wirtschaftlich schwierige Zeiten geben kann, in denen Flexibilität ver- langt ist und es die Alternative Konkurs des Unterneh- mens oder Anpassung der Arbeitnehmerschaft an die Si- tuation unter Inkaufnahme einer Schlechterstellung gibt, kann doch die Konsequenz für uns nicht sein, dass wir eine solche Schlechterstellung von vornherein ausschlie- ßen. Die Folgen sind klar: Das Unternehmen muss schließen, weil es dem Wettbewerb nicht mehr gewach- sen ist. Die Menschen verlieren ihre Beschäftigung. Die Ausgaben steigend mit der Arbeitslosigkeit. Dem gegen- über stehen zusätzlich Einnahmeausfälle durch ausblei- bende Steuern; denn wer arbeitslos ist, kann auch keine Steuern zahlen. Wenn aber dies die Folgen des Antrags der Linken und der Forderung nach Geltung des Günstigkeitsprin- zips sind, dann brauchen wir einen anderen Begriff. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass das, was die Linken wollen, nicht „günstig“ ist, und zwar für keinen: nicht für die betroffenen Menschen, die arbeitslos wer- den, nicht für den Staat und nicht für die Steuerzahler. Völlig außer Acht gelassen wird bei der Argumenta- tion des Antrages auch der Aspekt, dass die aktuelle Rechtslage dem Zweck der Vereinheitlichung von Rege- lungen in einem Betrieb dient. Sonst fordern die Linken bei jeder Gelegenheit einheitliche Regelungen und glei- che Bedingungen. Hier ist nun von dem Argument keine Rede mehr. Wir brauchen daher eine Neudefinition des Günstig- keitsprinzips. Nicht nur eine Beibehaltung des Status quo kann je nach Fallkonstellation die günstigste Variante sein. Eine Schlechterstellung bei Arbeitszeit oder Lohn kann, wenn die Alternative die Arbeitslosigkeit ist, eine sehr attraktive Möglichkeit sein, weil es bedeutet, dass die Menschen überhaupt Arbeit haben. Mit dem Verständnis der Linken davon, was gut für die Menschen ist – wie es auch im vorliegenden Antrag wieder zum Ausdruck kommt –, wird nichts zum Wohle der Menschen geregelt. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Banker als Verursa- cher der Finanz- und Wirtschaftskrise bekommen von dieser schwarz-roten Bundesregierung Milliarden Euro hinterhergeworfen. Nicht etwa zweckgebunden zur kre- ditgebundenen Sicherung der Wirtschaft, nein, um mit ihrer spekulativen Politik fortzufahren. Wer leidet am schwersten unter den Folgen diese Politik? Die Bürge- rinnen und Bürger, die ohnehin schon wenig zum Leben haben, die Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher, die Niedriglohnempfänger und die Rentnerinnen und Rent- ner und nicht zuletzt unsere Kinder. Die Krise ist aber nicht auf das Versagen einer Gruppe von Managern zu- rückzuführen, sie ist dem System des Kapitalismus im- manent. Krisen gehören zu seinem Zyklus, und das stän- dige Mahnen seitens unserer Fraktion, rechtzeitig aufzuwachen, bleibt erfolglos. Die Regierung rettet mit ihren Paketen das System und zwingt die Bürgerinnen und Bürger zum Mittun. Bezeichnend ist, dass Hunderttausende Leiharbeiter und -arbeiterinnen sowie Teilzeitjobber – diejenigen, die am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht sind – außen vor bleiben. Für sie wird der mit der Agenda 2010 aus- gebaute Niedriglohnsektor zur Falle. Und sie haben nichts von den vereinbarten Regeln zur Kurzarbeit. Da viele von ihnen nur kurzzeitige Beschäftigungen haben, können sie oftmals nicht einmal Arbeitslosengeld bean- spruchen, sondern sie fallen gleich in Hartz IV. Den Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Gewerk- schaften wird Lohnzurückhaltung empfohlen, um den Konsolidierungsprozess nicht zu gefährden. Die Leihar- beit ist massiv von betriebsbedingten Kündigungen be- troffen, und die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit hat bei der Bundesagentur für Arbeit bereits im Dezember mas- siv zugenommen. Soziale Verantwortung ist für Großunternehmen, wie beispielsweise die Deutsche Telekom AG, ein Fremd- wort. Ende 2007 bzw. Anfang 2008 hat das Unterneh- men ohne wirtschaftliche Not und lediglich zur Steige- rung seiner Gewinne mehrere Callcenter mit Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an private Callcenter- Betreiber verkauft, so unter anderem der Verkauf von VCS, Vivento Customer Services, an Arvato Services, Bertelsmann Konzern. Dabei geht es um elf Standorte mit 1 950 Beschäftigten. In etwa der gleichen Größen- ordnung wurde auch an Walter Services verkauft, und der letzte Deal war mit D & S Europe mit circa 500 Be- schäftigten. Es erfolgt ein Betriebsübergang nach § 613 a BGB von einem tarifierten Unternehmen – VCS/Deutsche Te- lekom – zu einem nicht tarifierten Unternehmen oder ei- nem Unternehmen mit einem schlechteren Tarifvertrag. In diesem Zusammenhang erfolgt eine Sicherung der bisherigen Konditionen nur bis Ende 2008 bzw. bis zum Ende der Frist nach § 613 a BGB. Nach Aussage von Ar- vato/Bertelsmann beträgt das durchschnittliche Jahres- einkommen der ehemaligen VCS-Beschäftigten 36 000 Euro. Das bedeutet bereits ab 1. Januar 2009 wird das Jahreseinkommen um circa ein Drittel gekürzt und soll dann weiter nach Ablauf von fünf Jahren auf die 1 224 Euro pro Monat bzw. 14 688 Euro pro Jahr absin- ken. Damit entsteht eine Verdiensteinbuße von über 58 Prozent. Darüber hinaus sollen die Arbeitsbedingungen ver- schlechtert werden, die Wochenarbeitszeit von 38 Stun- den auf 40 Stunden erhöht und der Urlaub um drei bis vier Tage verkürzt und die Zuschläge für Feiertags-, Nachtarbeit und Überstunden gesenkt werden. Erreicht werden soll dies mittels individuell neu abgeschlossener Arbeitsverträge oder neuer Betriebsvereinbarungen. Ta- rifverhandlungen werden strikt abgelehnt: „haben sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21735 (A) (C) (B) (D) überholt und passen nicht zum Prinzip Bertelsmann“. Um den Druck zu erhöhen, werden Einzelgespräche ge- führt, oft mehrfach, und es wird teilweise mit Standort- schließungen gedroht. Aus Angst vor dem Arbeitsplatz- verlust und einem Absturz in Hartz IV haben bereits viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue Ar- beitsverträge unterschrieben, in denen eine kontinuierli- che Verschlechterung ihrer Einkommens- und Arbeits- verhältnisse einzelvertraglich festgeschrieben ist. Diese Vorgehensweisen spielen sich so aber auch im Banken- und Versicherungsgewerbe, aber vor allen Dingen auch im Einzelhandel ab. Es muss verhindert werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so zum Spielball unternehmerischer Entscheidungen werden. Dies ist in der heutigen Zeit und unter den gegebenen Bedingungen nur möglich durch gesetzliche Regeln, die gerade das von mir ge- schilderte Vorgehen unmöglich machen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer wieder nutzen Unternehmen jede sich nur bie- tende Möglichkeit, um ihre Gewinne auf Kosten der Be- schäftigten zu steigern. Es werden so lange legale gesell- schaftsrechtliche Kapriolen geschlagen, bis sich die Taschen der Unternehmer ordentlich füllen; die Beschäf- tigten müssen dafür dann den Gürtel enger schnallen. Dabei wird auch nicht Halt gemacht vor Regelungen, die eigentlich dazu gedacht waren, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen. Dazu gehört auch § 613 a des Bürgerlichen Gesetzbu- ches. Eigentlich sollen die Rechte der Beschäftigten über diese Vorschrift bei einem Teilübergang oder bei einem vollständigen Übergang des Betriebes an einen neuen Eigentümer gewahrt bleiben. Der Paragraf bestimmt, dass der neue Arbeitgeber in die Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses eintritt. Wenn diese über einen Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen geregelt wa- ren, so werden sie Bestandteile des Arbeitsverhältnisses bei dem neuen Arbeitgeber und dürfen frühestens nach einem Jahr zum Nachteil der Beschäftigten geändert werden. Es gibt aber auch davon eine Ausnahme: Wenn es bei dem neuen Inhaber einen anderen Tarifvertrag und/oder eine andere Betriebsvereinbarung gibt, dann gelten die Regelungen des neuen Unternehmens auch ohne Übergangsfrist und auch wenn die Beschäftigten dadurch schlechter gestellt werden. Festzustellen ist, dass Unternehmen den Paragrafen missbrauchen, um die Löhne ihrer Beschäftigten zu drü- cken. Dafür werden formal, ohne die tatsächlichen Be- sitzverhältnisse zu verändern, Betriebsteile aus Unter- nehmen so herausgelöst, dass schlechtere Tarifverträge zur Geltung kommen. Die Beschäftigten sind die Leid- tragenden: Die Arbeit bleibt die gleiche, aber der Lohn sinkt. Das ist Lohndumping. Das Vorgehen des Telekom- Konzerns ist hierfür ein unrühmliches Beispiel. Es ist unsere Aufgabe, solche Schlupflöcher in den Gesetzen zu schließen. Wir sind es den Beschäftigten schuldig, dass gut gemeinte gesetzliche Regelungen auch wirklich gute Wirkung zeigen. Wenn sich nun Re- gelungslücken auftun, wenn es skrupellosen Rechts- und Personalabteilungen gelingt, über die Gründung von Tochtergesellschaften die bisher geltenden Tariflöhne abzusenken, wenn das auch noch in Verbindung mit Leiharbeit durch konzerninterne Arbeitnehmerüberlas- sung geschieht und wenn wir das als Gesetzgeber alles wissen, dann müssen wir handeln und das ändern. Wie ein geänderter § 613 a aussehen muss, damit die Beschäftigten bei Betriebsübergängen wirklich besser geschützt sind, sollten wir im Ausschuss klären. Ich hoffe, dass wir zu einer guten Lösung kommen; denn ich gehe davon aus, dass auch Sie, meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, ein Interesse daran haben, die Missstände zu beheben, und sich von daher kon- struktiv an der Ausschussberatung beteiligen werden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem durch eine differenzierte Gleichstellungs- politik vorantreiben – Frauen auf dem Sprung in die Wissen- schaftselite – Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisierung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungsverhältnisse herstel- len – Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gender-Perspek- tiven in Wissenschaft und Forschung – Gleichstellung und Genderkompetenz als Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Inno- vation in der Wissenschaft (Tagesordnungspunkt 21) Anette Hübinger (CDU/CSU): Vor nunmehr über 100 Jahren wurde das Frauenstudium in Preußen zuge- lassen, vor mehr als 90 Jahren wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt, und vor über 50 Jahren ist das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft getreten. Diese Zeitpunkte stellen ohne Frage wichtige Zäsuren in der deutschen Geschichte dar. In den folgenden Jahrzehnten – vor allem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts – wurde in Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen Deutsch- lands sehr viel erreicht. Trotz allen Fortschritts müssen wir aber auch heute noch Schlagzeilen wie diese lesen: „Frauen verdienen 20 Prozent weniger“, „Schwangere haben schlechte Kar- ten“ oder „Alleinerziehende Mütter haben es schwer am Arbeitsmarkt“. Die Diskriminierung von Frauen berührt auch in unserer heutigen modernen Welt noch sehr viele gesellschaftliche Bereiche. Dieser Befund trifft leider auch auf das deutsche Wissenschafts- und Forschungs- system zu. 21736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) Mit dem heute zur Abstimmung vorgelegten Antrag „Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem durch eine differenzierte Gleichstellungspolitik vorantreiben“ stellen wir uns dieser Herausforderung. Die Lage von Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungsein- richtungen lässt sowohl Licht als auch Schatten erken- nen. Der aktuellste Bericht zur Thematik der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz unterstreicht diese Einschätzung. Aus ihm geht hervor, dass der Anteil von Frauen in Wis- senschaft und Forschung zwar langsam, aber stetig wei- ter wächst. In diesem Zusammenhang muss betont wer- den, dass dieser Trend alle Qualifikationsstufen, also auch die Leitungspositionen umfasst. Der aktuelle Bericht „Chancengleichheit in Wissen- schaft und Forschung“ der Gemeinsamen Wissen- schaftskonferenz basiert auf den Jahren 2006, 2007 und zeigt, dass im Jahr 2006 5 735 Frauen als Professorinnen in Deutschland tätig waren. Dies entspricht einem Frauen- anteil von 15,2 Prozent. Im Vergleich dazu mussten wir im Jahr 1992 noch einen sehr geringen Anteil von 6,5 Pro- zent attestieren. In den zurückliegenden Jahren konnte somit die Zahl der Professorinnen mehr als verdoppelt werden. Mir ist bewusst, dass die aktuellen 15 Prozent Frauen- anteil an Professuren im internationalen Vergleich noch kein Ruhmesblatt darstellen. Aus meiner Sicht spricht allerdings nichts dagegen – und mit den Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen wir dieses Ziel –, in den nächsten Jahren ähnliche Steigerungsraten wie im Zeit- raum von 1992 bis 2006 anzustreben. Damit können wir schneller, als vielleicht vonseiten der Opposition ge- dacht, zum internationalen Spitzenfeld aufschließen. Des Weiteren geht aus dem Datenmaterial hervor, dass knapp 50 Prozent der Studienanfänger Frauen sind, der Frauenanteil an den Promotionen bei circa 40 Pro- zent liegt und der Anteil an den Habilitationen immerhin über 20 Prozent beträgt. Dies kann uns natürlich, gerade was die Habilitationen und den Karriereschritt hin zur Professur betrifft, nicht zufriedenstellen. Doch bei allem noch nötigen Verbesserungsbedarf ist es ein solides Fun- dament, auf dem wir aufbauen können. Entsprechend fällt auch das Fazit der Gemeinsamen Wissenschafts- konferenz im genannten Bericht aus: „Obwohl in fast al- len Bereichen Verbesserungen zu verzeichnen sind, ver- deutlicht das aktuelle Datenmaterial, dass das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe noch nicht erreicht ist. Es gilt deshalb, die Bemühungen zu verstärken, damit sich der Anteil von Frauen an qualifizierten Bildungsab- schlüssen auch in einer steigenden Beteiligung von Frauen an Entscheidungs- und Führungspositionen in Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft fortsetzen kann.“ Genau diese Maxime liegt unserem Antrag zugrunde. Wir verstärken mit dem vorgelegten Antrag unsere Be- mühungen auf dem Feld der Gleichstellungspolitik im deutschen Wissenschafts- und Forschungssystem, und dies lassen wir uns nicht kleinreden. Bevor ich unsere Maßnahmen zusammenfassend vor- stelle, möchte ich voranstellen, dass sich heute glückli- cherweise die Einsicht durchgesetzt hat, dass starre Quo- tenregelungen nicht das erwartete Allheilmittel sind, wie von deren Befürwortern so oft behauptet. Auch das sogenannte Kaskadenmodell ist mit Vor- sicht zu betrachten. Natürlich ist es verlockend, als Be- zugsgröße bei der Stellenbesetzung mindestens den glei- chen Frauenanteil durchzusetzen, welchen die direkt vorangegangene Qualifikationsstufe aufweist. Bei ge- nauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass es sich hier um eine – wie ich zugegeben muss – flexible Quote, aber doch um eine Quote handelt. Ein solcher Ansatz verur- sacht bei vielen Wissenschaftlerinnen und auch bei mir Bauchschmerzen. Wir haben noch ausreichend viele, sinnvolle gleichstellungspolitische Instrumente und Maßnahmen im Köcher, und müssen nicht mit unnötigen Zwängen drohen. Ich kann allerdings nicht abstreiten, dass die Orientierung am Prinzip des Kaskadenmodells in einigen Bereichen durchaus sinnvoll ist, und deshalb verweisen wir auch in unserem Antrag darauf. Im Rah- men von Selbstverpflichtungen oder Zielvereinbarungen bietet die Ausrichtung an diesem Grundprinzip einen praxisgerechten Bezugsrahmen. Da die Ursachen der Diskriminierung von Frauen im Wissenschafts- und Forschungssystem vielfältig sind, fallen unsere Antworten entsprechend differenziert aus. Die von uns vertretene breit gefächerte Gleichstellungs- politik zielt deshalb akzentuiert auf folgende Schwer- punkte ab: verbindliche Zielvereinbarungen im Rahmen der Forschungs- und Institutionenförderung zu etablie- ren – dies impliziert auch, bei Nichteinhaltung negative Sanktionsmaßnahmen in Betracht zu ziehen –, Frauen auf den Weg in Spitzenpositionen zu fördern, die aktive Ansprache von Frauen zu verbessern und unterstützende Coaching- und Mentoringprogramme weiter zu forcie- ren, die Transparenz bei Beurteilungs- und Berufungs- verfahren zu erhöhen, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere zu erleichtern und Frauen für wissenschaftliche Fächer zu begeistern, in denen sie heute noch nicht aus- reichend vertreten sind. Verwiesen sei an dieser Stelle auf natur- und ingenieurwissenschaftlich ausgerichtete Studiengänge. Diese Ziele und Maßnahmen flankieren nicht zuletzt die erfolgreich laufenden Programme der Bundesregie- rung. Oft wird leider übersehen, welche Aktivitäten von- seiten der Bundesregierung schon angestoßen wurden. Um es Ihnen zu verdeutlichen, hier einige Beispiele: Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Karriere wurde eine Kinderbetreuungskomponente im BAföG eingeführt; es wurde die Möglichkeit eröffnet, die Befristungszeit von Beschäftigungsverhältnissen an Hochschulen von Müttern und Vätern um zwei Jahre pro Kind zu verlängern, soweit im Zeitraum der Beschäfti- gung Kinder unter 18 Jahren betreut werden; im Rahmen des Professorinnenprogramms werden 200 Professuren für Frauen über eine Laufzeit von fünf Jahren gefördert, und zur vermehrten Gewinnung von jungen Frauen für mathematische, ingenieur- und naturwissenschaftliche Berufe wurde der Pakt für Frauen in MINT-Berufen ins Leben gerufen. Diese Liste könnte mit den Maßnahmen zur Frauenförderung im Rahmen der Exzellenzinitiative, des Paktes für Forschung und Innovation, des Hoch- schulpakts 2020 und der vielfältigen Berücksichtigung von Genderaspekten in der Forschung erweitert werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21737 (A) (C) (B) (D) Es wird deutlich: Der Bund stellt sich seiner Verant- wortung. Was mussten sich die Fraktionen der CDU/ CSU und SPD nicht alles seit der Veröffentlichung ihres Antrages anhören. Angeblich hat uns ja der Mut verlas- sen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir werden auch in Zukunft stringent den Weg einer breit gefächer- ten Gleichstellungspolitik verfolgen. Wir sind uns näm- lich der Tatsache bewusst, dass es sich bei diesem wich- tigen gesellschaftlichen Thema um einen fortlaufenden Prozess handelt, und deshalb bleiben wir am Ball. Der vorliegende Antrag ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem Wissenschafts- und Forschungssys- tem, in dem jeder, ob Frau oder Mann, mit gleichen Chancen seinen Karriereweg meistern kann. Deshalb bitte ich darum, dem vorliegenden Antrag der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD zuzustimmen. Gesine Multhaupt (SPD): Gestatten Sie mir, mit ei- nem Zitat von Dr. Karin Mölling, einer Wissenschaftle- rin in der Schweiz, zu beginnen: „Die Frage, ob ich als Frau mit einem hübschen Kleid unter meiner Schutzklei- dung hier stehe oder als Mann die Versuchsreihen an- lege, spielt inzwischen erfreulicherweise keine wirkliche Rolle mehr. Es geht doch in erster Linie um die Ergeb- nisse in der Forschung. Da wollen und da müssen wir rasch Fortschritte machen, ganz unabhängig vom Ge- schlecht.“ Karin Mölling ist Professorin an der Universi- tät in Zürich. Als Virologin forscht sie an einem Pro- gramm zur Bekämpfung von Aids. Endlich – das lässt sich aus der Aussage der Professo- rin heraushören – wird exzellente Wissenschaft nach Leistung und ihren Ergebnissen beurteilt und hängt nicht mehr vorwiegend vom Geschlecht ab. In der Frage der Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft können wir für die vergangenen Jahre also kleine Fortschritte verbuchen. Darüber hinaus macht sie mit ihrer Aussage Mut. Frauen im Wissenschaftssystem ist es trotz aller Wider- stände in den zurückliegenden Jahren gelungen, ein ge- sundes und gewachsenes Selbstbewusstsein an den Tag zu legen. Sie wissen um ihre Leistungen. Sie nehmen selbstverständlich und selbstbewusst einen festen Platz in Forschungseinrichtungen und an Universitäten ein. Ob in der Physik oder Biologie, ob in der Quantenme- chanik oder Mathematik, mit den Frauen in Forschung und Wissenschaft geht es voran. Die verschiedenen Initiativen und Bemühungen, die wir Sozialdemokraten in den zehn Jahren unserer Regie- rungsbeteiligung für Wissenschaftlerinnen an den Tag gelegt haben, tragen somit Früchte. Schritt für Schritt sind wir im Wissenschaftsbereich durch eine differen- zierte Gleichstellungspolitik vorangekommen. Gemein- sam haben wir in der Bundesregierung wegweisende Ge- setzesvorhaben auf den Weg gebracht, von denen Frauen in Wissenschaft und Forschung heute profitieren. Ich will nur einige Beispiele nennen: Die Exzellenz- initiative, der Pakt für Forschung und Innovation, die Initiativen für mehr Frauen in den sogenannten MINT- Berufen, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Tätigkeit und Kinderbetreuung und auch die Stipendienförderung von Studierenden mit Kin- dern gehören dazu. Besonders hervorheben möchte ich das Professorinnenprogramm. Damit werden 200 zusätz- liche Professuren für Frauen an insgesamt 79 Hochschu- len und Universitäten möglich. Das alles sind wichtige Etappen auf dem Weg zu einer umfassenden Gleichstellung der Frauen in der Wissen- schaft. Hier ist die sozialdemokratische Handschrift un- verkennbar. Wir werden in diesen Anstrengungen wei- termachen, damit der Anteil der Frauen in der Wissenschaft vor allem auch in den für Frauen untypi- schen Fachbereichen weiter wächst. Gemeinsam mit un- serem Koalitionspartner konnten wir ein entsprechendes Maßnahmenpaket auf die Beine stellen, das Karriere- hemmnisse junger Frauen abbaut. Dazu gehört beispiels- weise die noch immer nicht überzeugend geregelte Ver- einbarkeit von Beruf und Familie. Es ist unbestritten, dass die Bremsen auf der Karriere- leiter für Frauen nicht individueller Natur sind, sondern vor allem strukturelle Gründe haben. Beispielsweise ist bekannt, dass viele der Berufungsverfahren viel zu lang dauern. Sie bieten damit keinerlei Planungssicherheit, die aber insbesondere Frauen brauchen, wenn sie zusätz- lich Familie und Beruf miteinander in Einklang bringen möchten. Professorin Magdalena Götz, die im Bereich der Stammzellenforschung arbeitet, hat das einmal so auf den Punkt gebracht: „Noch lassen sich Kinder und Karriere für Wissenschaftlerinnen in Deutschland schwer vereinbaren. Aus diesem Grund hängen viele Frauen die Forschung an den Nagel, oder sie wandern ins Ausland ab, wo es bessere Regelungen gibt.“ Um hier der Abwanderung gegenzusteuern, ist also Hand- lungsbedarf dringend geboten. Weiter zählt zu den strukturellen Barrieren die Tatsa- che, dass bei den Berufungsverfahren den Frauen eine „notwendige Kultur der Ermutigung“ fehlt, wie das die ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht, Jutta Limbach, genannt hat. Promotion, Habilitation und Be- rufung auf eine Professorinnenstelle dauern für eine ver- nünftige Karriere- und Lebensplanung viel zu lang. Der Wissenschaftsrat hat errechnet, dass die durchschnittli- che Dauer eines Berufungsverfahrens bei 14 Monaten an Fachhochschulen und bei 20 Monaten an Universitäten liegt. Der Gesamtprozess von der Ausschreibung bis zur Anhörung und zum Berufungsverfahren dauert bis zu 2,7 Jahre. Das ist ein geradezu skandalöser Zeitraum, der Planbarkeit unmöglich macht. Zur nötigen Planbarkeit eines Berufs- und Karriere- wegs gehört auch die Frage der Finanzierbarkeit. Damit bin ich beim Stichwort der Studienfinanzierung. Wir So- zialdemokraten sprechen uns aus gutem Grund gegen Studiengebühren aus. Es gibt berechtigte Annahmen, dass die Studiengebühren, die in einzelnen Bundeslän- dern erhoben werden, Frauen von einer Wissenschafts- laufbahn abschrecken. Leider konnten wir die Kollegen von der Union nicht davon überzeugen, diese Forderung in unserem Antrag mit aufzugreifen. Besonders freue ich mich, dass verbindliche Zielver- einbarungen und das sogenannte Kaskadenmodell für unseren Koalitionspartner keine Fremdwörter mehr sind und sich die Fraktion auf diese Position eingelassen hat. Kaskadenmodell bedeutet, dass man sich bemüht, in ei- 21738 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) ner unteren Qualifikationsebene einen bestimmten fest- gelegten Anteil an Frauen zu erreichen, und dann das Ziel verfolgt, in der nächsthöheren Hierarchiestufe die- sen Anteil ebenfalls zu erreichen. Damit gelingt es, den Frauenanteil vor allem in den Positionen zu steigern, wo er ohne ein regulierendes Instrument dieser Art bisher eher überproportional abnimmt. Gleichzeitig machen wir mit diesem Vorhaben deut- lich, dass wir Sozialdemokraten uns nicht auf reine Ab- sichtserklärungen oder Freiwilligkeitsregelungen verlas- sen. Wir streben verbindliche Zielvereinbarungen an und scheuen uns auch nicht mehr, öffentliche Fördermittel an positive Anreize zur Gleichstellung zu koppeln. Sollten die festgeschriebenen Zielvereinbarungen nicht einge- halten werden, sollten unserer Auffassung nach auch Sanktionsmaßnahmen in Betracht gezogen werden. Doch um Frauen in der Wissenschaft mit einer diffe- renzierten Gleichstellungspolitik voranzubringen, gibt es nicht nur die Große Koalition im Bund. Es lohnt sich auch ein Blick in die Bundesländer. Die Länder sind oh- nehin im Sinne des föderativen Systems wichtige Weg- bereiter und teilweise auch Unterstützer auf dem Weg zur Gleichstellung. In Brandenburg steht die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Mittelpunkt der Bemühungen, um junge Frauen für die Forschung zu in- teressieren. In Bremen wird diskutiert, die Zahl der Frauen in der sogenannten Post-doc-Phase zu erhöhen. Das steigert dann auch mittelfristig den Anteil von Junior- professorinnen und Professorinnen. In Berlin bildet die Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensberei- chen den zentralen Kern des politischen Selbstverständ- nisses. Zur Gleichstellung in der Wissenschaft sollen Controllinginstrumente genutzt werden, um den Anteil der Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Das sind nur einige Beispiele, die dem Ziel dienen, die Gleichstel- lungspolitik für Frauen in der Wissenschaft zügig voran- zubringen. Wir haben längst erkannt: Regulierende Maßnahmen waren und sind unverzichtbar, um die Talente und Fähig- keiten der Frauen innerhalb ganz unterschiedlicher Wis- senschaftsfelder zur Entfaltung zu bringen. Das ist wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Forschungseinrich- tungen auf internationalem Parkett. Und das ist bedeut- sam für unsere Wirtschaft, die in der Konkurrenz mit an- deren Ländern zu bestehen hat. Wir können es uns nicht leisten, die Fülle an Kreativität, Wissen und Ausdauer nur zur Hälfte auszuschöpfen und Frauen nicht zum Zuge kommenlassen. Allein in den Ingenieurswissen- schaften werden nach Schätzungen des Bundesministe- riums für Bildung und Forschung demnächst 85 000 kluge Köpfe fehlen. Soweit aber darf es nicht kommen. Deshalb setzen wir uns mit allem Nachdruck für Maßnahmen zu einer differenzierten Gleichstellungs- politik im Wissenschaftsbereich ein, um dem Fachkräf- temangel, dem demografischen Wandel und dem inter- nationalen Wettbewerb kompetent begegnen zu können. Wir Sozialdemokraten haben immer für die Rechte der Frauen, ihre Chancen und Ansprüche auf der Grund- lage des Gleichheitsgrundsatzes gekämpft. Ich erinnere nur an das Frauenwahlrecht, an dessen historische Be- deutung in diesen Tagen ja besonders erinnert wird. Wir haben für Gleichstellungsgesetze und Quotenregelungen gestritten, und wir werden auch weiterhin alle vorhande- nen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Gleichstellung der Frauen im Wissenschaftsbereich weiter voranzutrei- ben. Vor kurzem ist das Datenmaterial zu Frauen in Hoch- schulen und Forschungseinrichtungen von der Gemein- samen Wissenschaftskonferenz vorgelegt worden. Da- raus geht hervor, dass sich der Anteil an Professorinnen auf 15,2 Prozent gesteigert hat. Das entspricht einer Stei- gerung von insgesamt 1,1 Prozent gegenüber dem Vor- jahr. In unserem Antrag waren wir noch davon ausge- gangen, dass der Anteil der Frauen an Professuren bei 13,6 Prozent liegt. Der leichte Anstieg ist kein Grund zum Jubeln, aber ein kleiner Schritt voran. Daran erken- nen wir, dass der stete Tropfen den Stein höhlt. Ich stelle also fest: Die kontinuierlichen Bemühungen unsererseits, aber auch die in den Ländern und an den Hochschulen haben zu einer anwachsenden Teilhabe von Frauen im akademischen Bereich geführt. Die Maßnahmenbündel müssen weitergeführt und kon- tinuierlich angewandt werden. Entscheidend sind – das haben wir in unserem Antrag deutlich gemacht – posi- tive Anreize für die Umsetzung von Gleichstellungszie- len. Wir überlassen die Entwicklung der Gleichstellung nicht ausschließlich dem guten Willen, schon gar nicht dem Zufall. Wir machen uns wie bisher stark für passge- naue Maßnahmen. Schon Marie Curie, die zweifache Nobelpreisträgerin, hat erkannt, dass der Weg in die Wissenschaft lang – und wie sie sagt – „nicht ohne Be- schwer“ sei. Als sie nach intensiven Privatstudien 1891 eine Anstellung als Gouvernante aufgab, um ein Physik- studium in Paris aufzunehmen, war sie als Frau – nicht nur in ihrem Fach – eine absolute Ausnahmeerschei- nung. Gut 100 Jahre später tragen wir mit unserem An- trag dafür Sorge, dass hochbegabte Frauen wie sie keine Ausnahmeerscheinungen bleiben. Sie werden mit ihren spezifischen Qualifikationen und Fähigkeiten, mit ihren innovativen Forschungsvorhaben gezielt gefördert wer- den. Die Professorin für Mathematik Olga Holtz von der Universität Berlin hat mit Blick auf ihre Karrierelauf- bahn jungen Wissenschaftlerinnen einmal den Rat gege- ben, sie sollten keinesfalls auf Ermutigung von außen warten. Wir Sozialdemokraten werden mit unserem An- trag dafür sorgen, dass die Ermutigung selbstverständ- lich wird. Cornelia Pieper (FDP): Die gleichberechtigte Teil- habe von Frauen im deutschen Wissenschaftssystem ist eine der grundlegenden Voraussetzungen dafür, dass Deutschland auch in Zukunft seine Exzellenz und seinen Wettbewerbsvorsprung in den konkurrierenden Wissen- schafts- und Wirtschaftssystemen der Welt weiter halten bzw. ausbauen kann. Doch wie gehen wir mit dieser Ein- sicht um? Ich komme jedenfalls zu der Auffassung, dass Staat und Gesellschaft ihrer Verantwortung für den wis- senschaftlichen Nachwuchs insgesamt nicht in vollem Umfang nachkommen. Wir wissen doch alle: Unsere Gesellschaft kann sich eine Zurückhaltung bei der Einbeziehung von Frauen im Wissenschaftssystem einfach nicht mehr leisten. Darum Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21739 (A) (C) (B) (D) werbe ich an dieser Stelle noch einmal für den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion „Frauen auf dem Sprung in die Wissenschaftselite“, in dem wir uns aus gutem Grund für ein Kaskadenmodell – ich sage ausdrücklich: kein Quotenmodell – ausgesprochen haben. Eine Kaskade be- ginnt an der Spitze. Die Übertragung von Verantwortung und Leitungsaufgaben an Frauen ist somit eine Führungs- aufgabe ersten Ranges. Also muss sich die Einsicht auf jeder Stufe der Kaskade durchsetzen, dass Frauen in dem Maße beteiligt werden, wie es ihrem Anteil an der Vor- stufe entspricht. In einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz muss ein Kas- kadensystem verankert werden. Sie, Frau Ministerin Dr. Schavan, haben die Chance vertan, uns dieses Gesetz vorzulegen. Die Zeit dafür ist reif, die Voraussetzungen sind gegeben. Bereits vor über 15 Jahren hat die FDP- Bundestagsfraktion die Forderung erhoben und auch durchgesetzt, eine wirkliche Chancengleichheit für Frauen in der Wissenschaft schrittweise durchzusetzen. Die Probleme junger Wissenschaftlerinnen in der Gesellschaft wurden seitdem zunehmend besser erkannt und objektiv bestehende Hemmnisse zielgerichtet abge- baut. Die von FDP-Bildungsministern ins Leben gerufe- nen Hochschulsonderprogramme haben diesbezüglich ihr Ziel nicht verfehlt. Seitdem hat sich viel getan. Seit Beginn der 90er-Jahre hat sich der Anteil von Frauen, die sich für eine wissenschaftliche Karriere entscheiden, deutlich erhöht. Und es hat sich gezeigt: Es sind eben nicht kurzlebige Kampagnen, die zum Erfolg führen. Die Stellung der Frauen in Wissenschaft und Forschung zu stärken, bedeutet zugleich, einen langen Atem zu haben. Bund und Länder haben eine Vielzahl von gemeinsa- men Aktivitäten unternommen, um die Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Mädchen und jun- gen Frauen in Bildung und Wissenschaft zu fördern. Die erzielten Ergebnisse zeigen eine beachtliche Trend- wende zu mehr Gleichstellung in den verschiedenen Qualifikationsstufen von Schulen, Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Mit dem Erreichten können und dürfen wir uns nicht zufrieden- geben. Trotz aller Anstrengungen ist es bis heute nicht gelungen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf allen Stufen des Wissenschaftssystems zu gewährleisten. Auch heute noch sind Frauen in der wissenschaftlichen Forschung unterrepräsentiert, und das nicht nur in der öffentlichen Forschung und Lehre, nein, auch in den for- schenden Unternehmen. Für die nächste Zeit gilt es deshalb, die Bemühungen zu verstärken, damit sich der stetig wachsende Anteil von Frauen mit qualifizierten Bildungsabschlüssen in einer wirklich steigenden Einbe- ziehung in Entscheidungs- und Führungspositionen in Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft nachhaltig fort- setzen kann. Die Vorbereitung auf eine akademische Laufbahn beginnt bereits in der Schule. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann gelangen wir sehr schnell zu der Ein- sicht, dass bereits im Kindergarten und in der Schule mit einer zielgerichteten Förderung von Mädchen und jun- gen Frauen begonnen werden muss. Sehr früh muss ihr Interesse gerade auch auf mathematische, natur- und technikwissenschaftliche Disziplinen, den so genannten MINT-Disziplinen, gelenkt werden. Der heute bereits eingeschlagene Weg ist richtig, denn bei der Wahl des Studienplatzes entscheiden sich heute junge Frauen im- mer noch öfter als ihre männlichen Kommilitonen für die geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Studien- gänge. Sie alle wissen, dass heute 52,7 Prozent der Schulab- gänger mit Hochschulzugangsberechtigung junge Frauen sind. Das hört sich gut an. Doch das sind nur rund 37 Prozent der Schulabsolventinnen eines Altersjahr- gangs. Zum Vergleich: In Finnland sind das 93 Prozent; in Norwegen 80 Prozent, in Italien 76 Prozent und im OECD-Durchschnitt 68 Prozent. Bei den Studienanfängern liegt der Anteil von Frauen – Erstimmatrikulierte – mit 49 Prozent seit Jahren unter der 50-Prozent-Marke. Vergleicht man die Ergebnisse der Studienabschlüsse im Jahr 2004 mit den Studien- anfängerzahlen fünf bis sechs Jahre zuvor, wird deutlich, dass der Frauenanteil bei den Hochschulabschlüssen nahezu identisch ist mit dem Frauenanteil bei den Erst- immatrikulierten der Jahre 1997 bzw. 1998; der Anteil der Frauen in dieser Qualifikationsphase ist also konstant. Erfreulich ist, dass sich unter denen, die tatsächlich am Ende ihres Studiums einen Hochschulabschluss er- reichen, 49,6 Prozent Frauen sind. Deutlich besser noch schlagen sich Frauen an den Universitäten. Dort erreich- ten 54 Prozent einen akademischen Abschluss. Das sieht in den anderen OECD-Staaten, wie Schweden mit 25 Prozent und Finnland mit 23 Prozent, ganz anders aus. Übrigens, der OECD-Durchschnitt liegt bei nur 20 Prozent. Ein entscheidender Schritt in einer Wissenschaftskar- riere ist die Promotion. Der Anteil von Frauen, der heute bei 39 Prozent liegt, stieg in den letzten 18 Jahren deut- lich an. So weit, so gut. Der Teufel steckt aber bekannt- lich im Detail. Wenn wir die Ursachen dafür ermitteln wollen, warum heute noch relativ wenige Frauen Spit- zenpositionen in der Forschung und Entwicklung beklei- den, dann muss man sich die Qualifikationswege und die Berufungen der letzten Jahre in Führungspositionen schon etwas genauer anschauen. In der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften promo- vierten mit einem Anteil von 11,3 Prozent die wenigsten Frauen. In allen anderen Bereichen lag er bei über einem Viertel, zum Beispiel 30,7 Prozent im Bereich Mathema- tik, Naturwissenschaften. Bei den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften betrug der Frauenanteil an den Promotionen 32,2 Prozent, in der Fächergruppe Sprach- und Kulturwissenschaften 50,5 Prozent und in der Fächer- gruppe Kunstwissenschaft 60 Prozent und 77,1 Prozent im Bereich Veterinärmedizin. Der Anteil der Frauen an den Habilitationen beträgt heute 22,7 Prozent. Mit Blick auf die Fächergruppen ergibt sich eine ähnliche Verteilung wie bei den Promo- tionen, jedoch auf niedrigerem Niveau: Ingenieurwissen- schaften 15,5 Prozent, Veterinärmedizin 38,1 Prozent, Kunst, Kunstwissenschaft 25,7 Prozent, Sprach- und Kul- turwissenschaften 35,2 Prozent. Heute werden 13,6 Prozent der Professuren von Frauen wahrgenommen. Positiv hervorzuheben ist, dass die Anzahl der Professuren, die von Männern besetzt 21740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) sind, über den genannten Zeitraum nahezu gleich blieb, wohingegen sich die Anzahl der Professuren, die mit Frauen besetzt sind, zwischen 1992 und 2004 mehr als verdoppelt hat. Wollen wir also die guten Ausgangspositionen für eine wirklich gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in unserer Gesellschaft nutzen, brauchen wir auch ein gut ausfinanziertes Wissenschaftssystem und müssen ver- hindern, dass Professorenstellen abgebaut werden. Was wir brauchen, sind zusätzliche Professorenstellen und vorzeitige Berufungen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Berliner Physike- rin und Soziologin Petra Lucht sagte kürzlich in einem Interview, dass es wichtig sei, nicht die Frauen ändern zu wollen, wenn man ihre Beteiligung in Wissenschaft und Forschung fördern wolle. Diesem Satz kann ich uneinge- schränkt zustimmen. Wer will, dass es mehr Ingenieurin- nen, mehr Forscherinnen und auch mehr Hochschulleh- rerinnen gibt, der muss die Bedingungen in den Blick nehmen, die Frauen von einer wissenschaftlichen Karrie- re abhalten, der muss das gesamte Qualifikations- und Berufungssystem auf geschlechterbezogene Ausschluss- mechanismen abklopfen. Das fängt bereits vor dem Studium an. Befragungen von Abiturientinnen und Abiturienten zeigen deutlich, dass junge Frauen sensibler auf Studiengebühren und die damit einhergehenden finanziellen Belastungen reagie- ren als Männer. Selbst die andauernde Debatte darüber verunsichert viele weibliche Studieninteressierte derart, dass sie sich lieber auf den vermeintlich sicheren Weg einer beruflichen Ausbildung begeben. Wenn wir also wollen, dass sich Frauen verstärkt für ein Studium ent- scheiden, dann müssen Studiengebühren tabu sein, so wie das meine Partei von Anfang an gefordert hat. Lei- der werden insbesondere solch soziale Sensibilitäten von Frauen bei wissenschaftspolitischen Entscheidungen kaum beachtet. Und natürlich haben Nachwuchswissen- schaftlerinnen aufmerksam registriert, dass die Mitglie- der der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht bereit waren, verbindliche Gleichstellungsziele zu vereinbaren. Männlich dominierte Gremien begreifen Geschlech- tergerechtigkeit nach wie vor nicht als Chance, wissen- schaftliche Leistungen von Frauen für Spitzenleistungen zu mobilisieren. Wissenschaft gewinnt, wenn Frauen nach ihren Ideen, Werten und Perspektiven forschen. Frauen können sehr genau einschätzen, welche Einrich- tungen offensiv unterstützen oder wo nach alten sozialen Verhaltensgewohnheiten blockiert wird. Immer erzählen Wissenschaftlerinnen haarsträubende Geschichten über Reaktionen auf eine Schwangerschaft, über abwertende Urteile männlicher Vorgesetzter oder über männlich do- minierte Berufungskommissionen. Gute Beispiele in der Gleichstellung gibt es längst, auch in Deutschland. Im rot-rot regierten Land Berlin gehört Gleichstellung zu den harten Kriterien der Mittel- zuweisung an Hochschulen. Wer zu wenig tut, muss an die anderen Hochschulen Geld abgeben. Zugleich för- dert das Land individuell Berufungen von Frauen. Nicht zuletzt werden interdisziplinäre Zentren mit genderwis- senschaftlicher Prägung finanziell besonders unterstützt. Diese Politik hat Berlin unangefochtenen auf den ersten Platz im Gleichstellungsranking des Center of Excellent Women in Sciences gebracht. Heute sind in Berlin 21,2 Prozent aller Professuren von Frauen besetzt; im Bundesschnitt nur 16,2 Prozent. Bleibt es bei der heutigen bundesweiten Entwick- lungsgeschwindigkeit, würde es noch mindestens 35 Jahre dauern, bis Frauen und Männer gleichermaßen in der Hochschullehre vertreten sind. Lediglich 0,3 Pro- zent Wachstum ist auf der höchsten Stufe in den letzten drei Jahren erzielt worden, und das nach jahrzehntelan- gen Debatten. Dafür muss sich die Bundesregierung wirklich schämen. Sie tut zu wenig und das Wenige halbherzig. Sie legen ein Professorinnenprogramm auf und vergeben Stipendien. Aber die frauenfeindlichen Grundstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem bleiben nahezu unangetastet. Vor allem müssen endlich die schlechten Beschäftigungsbedingungen im akademi- schen Mittelbau abgeschafft werden. Trotz bester Befä- higung bleiben viele Aspirantinnen auf dem langen Weg zur Professur auf der Strecke. Die Praxis der ewigen Be- fristungen muss beendet werden. Unbefristete Stellen und damit verlässliche Perspektiven müssen finanziert werden. Das Idealbild des männlichen Gelehrten, der sich der Wissenschaft weiht, ist von gestern. Moderne Wissen- schaft ist kein Opfergang, der privat soziale Desaster hervorbringt. Kompetenz in moderner Wissenschaft wächst mit sozialer Verantwortung aus der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frau Ministerin, machen Sie es doch wie Ihre Kollegin Frau von der Leyen. Setzen Sie verbindlich Ziele. Sie können sie doch mit den For- schungsorganisationen vereinbaren, sodass der Pakt für Innovation und Forschung auch ein Pakt für Gleichstel- lung wird. Verfehlen die Einrichtungen die Ziele in der Frauenförderung, folgen schmerzliche finanzielle Einbu- ßen. Konsequent und systematisch müssen Blockaden für Frauen abgebaut werden. Weibliche Potenziale, Werte und Erfahrungen sind männlichen gleichrangig zu be- werten. Wo, wenn nicht zuerst in Wissenschaft, Bildung und Kultur, sollte Aufklärung auch Impulse für konkrete Veränderungen setzen? Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Thema Gleichberechtigung in Wissenschaft und For- schung besteht eine augenfällige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Einerseits bestreitet heute wohl niemand mehr, dass die Unterrepräsentanz von Frauen und die Unterrepräsentanz von genderrelevanten Studien im Wissenschaftssystem ein massives Problem darstellen. Das Wissenschaftssystem ist durch hohe Ge- rechtigkeits-, Qualitäts- und Innovationsdefizite gekenn- zeichnet. Diese Einsicht hat dazu geführt, dass sich in- zwischen alle größeren wissenschaftlichen Institutionen und die Politik dem Ziel von mehr Chancengleichheit rhetorisch verpflichtet fühlen. Andererseits hat die ver- stärkte rhetorische Aufmerksamkeit für das Thema bis- lang noch viel zu wenig entschlossenes Handeln für neue Wege bei der Gleichberechtigung zur Folge. Aus diesem Grund hat sich auch bis heute viel zu wenig an den schlechten Karrierechancen für Wissenschaftlerinnen oder auch der Situation der Genderforschung verändert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21741 (A) (C) (B) (D) Es ist leider sogar so, dass die inzwischen breit etablierte Gleichstellungsrhetorik wichtige Erkenntnisse verdeckt: dass nämlich die bisherigen gleichstellungspolitischen Instrumente Frauen zwar zu mehr Sichtbarkeit im Wis- senschaftssystem verholfen haben, dass aber in den Spit- zenpositionen nach wie vor nahezu geschlechtshomo- gene Verhältnisse herrschen, und das, obwohl der Frauenanteil auf den vorgelagerten Qualifikationsstufen steigt. Ganz offensichtlich reicht aber auch eine noch so mo- dern vorgetragene Gleichstellungsrhetorik nicht aus, um Ziele von mehr Chancengleichheit tatsächlich durchzu- setzen. Auch der Antrag der Koalition krankt daran, zwar einer modernen Gleichstellungsrhetorik das Wort zu reden, insbesondere im Forderungsteil, aber davor zu- rückzuschrecken, wenn es um die Festschreibung ver- bindlicher Zielquoten geht. Die Vorschläge für eine bes- sere Beteiligung von Frauen nehmen sich gleichwohl sehr zahm aus. So werden die Länder lediglich aufgefor- dert, zu prüfen, „inwieweit auf Basis des Kaskadenmo- dells auf jeder Qualifikationsstufe Geschlechterausge- wogenheit erreicht werden kann“. Offenbar hat hier eine gewisse Arbeitsteilung zwischen SPD und CDU/CSU eine Rolle gespielt: Während die SPD ihren Vorstellun- gen in Gestalt einer modernen, ansprechenden Gleich- stellungsrhetorik Ausdruck verleihen konnte, hat sich die CDU/CSU dort, wo es auf die Schlussfolgerungen aus ebendieser Gleichstellungsrhetorik angekommen wäre, mit eher moderaten Forderungen durchgesetzt. Damit bleibt der Antrag jedoch hinter den nötigen Erfor- dernissen zurück. Der Wissenschaftsrat hat in der Anhörung, die wir zu dem Thema vor einem Jahr durchführten, klargemacht: Wenn wir nicht deutlich zulegen beim Tempo, die Frau- enanteile in Wissenschaft und Forschung zu erhöhen, dann ist erst 2090 mit einem ausgewogenen Geschlech- terverhältnis zu rechnen. Damit endlich deutlich mehr Frauen am Wissenschaftssystem partizipieren, brauchen wir eine entschieden stärkere Verbindlichkeit und Über- prüfbarkeit in den qualitativen und quantitativen Ziel- vorgaben. Das heißt, überall dort, wo der Bund Geldge- ber ist oder als Mitglied in Aufsichtsräten oder Kuratorien Einfluss auf wissenschaftliche Einrichtungen und Forschungsvorhaben hat, muss er in Zukunft dafür sorgen, überprüfbare qualitative und quantitative Vorga- ben und Steigerungsquoten der Frauenanteile zu imple- mentieren, durchzusetzen und zu kontrollieren. Er muss ferner darauf hinwirken, dass überprüfbare Vorgaben über konkrete Steigerungsquoten Eingang finden sowohl in Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen den Ländern und wissenschaftlichen Einrichtungen als auch in die forschungsbezogene Mittelvergabe. Flankiert wer- den muss der Steigerungsprozess von Elementen der Evaluation, Erfolgskontrolle und schnellen Reaktion, wenn Ziele nicht erreicht werden. Nun betont die Regierung in ihrem Antrag, sie sei hier beispielsweise mit dem Professorinnenmodell auf dem richtigen Weg. Doch genau das Professorinnenmodell macht deutlich, dass gerade nicht dafür gesorgt wird, mehr Verbindlichkeit und Überprüfbarkeit der gleich- stellungspolitischen Ziele durchzusetzen. Zwar bilden beim Professorinnenmodell Gleichstellungskonzepte die Grundlage für eine Förderung. Die einmal bewilligte Förderung selber ist kurioserweise aber nicht an die Ein- haltung der in den Konzepten dargelegten Ziele gekop- pelt. Vielmehr, so teilt das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung mit, sei eine „Überprüfung der aufgeführten Ziele im Rahmen des Professorinnenmo- dells nicht beabsichtigt“. Man gehe stattdessen davon aus, dass die „genannten Ziele und geplanten Maßnah- men auch realisiert“ würden. Damit wird bei dem zentralen Programm der Koali- tion für mehr Chancengleichheit der alte Fehler bisheri- ger gleichstellungspolitischer Bemühungen wiederholt. Genau dieses „Davon-ausgehen“ ist der Grund dafür, warum gleichstellungspolitische Initiativen der Vergan- genheit im Wissenschaftssystem bislang eben nicht den Erfolg gebracht haben, den man sich erhofft hatte. Nam- hafte Vertreter der wissenschaftlichen Gemeinschaft ar- gumentieren unterdessen radikaler. Dass man bei der Chancengleichheit nur mit sehr viel mehr Verbindlich- keit vorankommt, diese Einsicht unterstützt nicht nur der Wissenschaftsrat in seiner letzten Empfehlung für mehr Chancengleichheit, sondern mittlerweile auch solche In- stitutionen wie die Robert Bosch Stiftung. In einem Auf- ruf, der aus dem dritten Wissenschaftsgespräch der Ro- bert Bosch Stiftung hervorgegangen ist, fordern namhafte Vertreterinnen aus der Wissenschaftsszene eine 40-Prozent-Frauenquote für wissenschaftliche Kommissionen, Gremien und Beiräte. Diese Quote soll einklagbar sein und bei Missachtung mit Sanktionen ge- ahndet werden können. Es wäre zu hoffen, dass sich die Koalitionsfraktionen dieser Sicht der Dinge endlich anschließen. Nach Lage der Dinge wird uns das Thema in jedem Fall weiter be- schäftigen, so lange, bis gleichberechtigte Verhältnisse endlich Einzug ins Wissenschaftssystem gehalten haben. Und das wird hoffentlich nicht erst 2090 der Fall sein. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einheitliches Strom- netz schaffen – Unabhängige Netzgesellschaft gründen (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Es wird Sie viel- leicht überraschen, wenn ich einleitend sage: Die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen hat recht mit ihrer Problem- beschreibung. Aber Sie beschreiben uns nichts Neues. Die Regierung ist seit Jahren dabei, Abhilfe zu schaffen, und wir sind derzeit auf einem guten Weg. Fest steht, dass dauerhaft unregulierte Monopole wie unsere Stromnetze in ihrem Erschließungsbereich volks- wirtschaftlich unerwünscht sind. Aus der Wohlfahrtstheo- rie ist den Ökonomen bekannt, dass die maximale Wohl- fahrt auf Märkten nur dann erreicht wird, wenn der Preis für ein Produkt den Grenzkosten entspricht, also den Kosten, die durch die Produktion einer zusätzlichen Ein- heit eines Produktes entstehen. Jede Abweichung des Preises von den Grenzkosten verursacht Ineffizienzen und führt somit zu Wohlfahrtsverlusten. Monopolisten verlangen aufgrund ihrer Marktmacht gerade keine 21742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) Grenzkostenpreise, sondern setzen Preise, die häufig weit darüber liegen. Sie sichern sich so einen maximalen Gewinn, der größer ist als unter Wettbewerb. Dem ste- hen jedoch höhere Wohlfahrtsverluste aufseiten der Konsumenten gegenüber, die – in unserem Fall – höhere Strompreise als nötig zu zahlen haben. Im Ergebnis steht ein Verlust an gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt. Politi- sches Gegensteuern ist gefragt. Was kann aber der Staat in dieser Situation tun, um diese Wohlfahrtsverluste zu verhindern oder zumindest zu begrenzen? Bei einem natürlichen Monopol wie den Stromnetzen ist diese Frage nicht frei von jedweder Komplexität zu beantworten. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Der Staat könnte erstens das Angebot in diesem Markt selbst über- nehmen. Dies entspräche mehr oder weniger dem Vor- schlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Auf die Stromnetze übertragen hieße dies in aller Konsequenz, die Netze zu verstaatlichen und durch den Staat zu be- treiben. Für mich ist klar, dass in der Praxis staatliche Unternehmen deutlich ineffizienter arbeiten als Privat- unternehmen. Der Staat ist nicht der bessere Unterneh- mer. Das sage ich auch angesichts der Finanzkrise und der sich daraus ergebenden Veränderungen, die nicht wünschenswert, aber unvermeidbar sind. Der Staat müsste unstrittig die Stromkonzerne für den Verlust Ih- res Eigentums angemessen entschädigen. Schließlich handelt es sich hier um einen Eingriff in die grundge- setzlich geschützten Eigentumsrechte von Unternehmen. Ob der Staat das finanziell stemmen könnte, bleibt ange- sichts der aktuellen finanzpolitischen Herausforderun- gen fraglich. Kurzfristig orientierten Hedgefonds und vergleichbaren spekulativen Anlegern wären Tür und Tor geöffnet, sollten wir die Energiekonzerne zu einer Veräußerung ihrer Netze zwingen. Wollen wir mit unse- rer Energieversorgung derart spielen? Die zweite wirtschaftstheoretische Möglichkeit be- steht darin, regulierend in den Markt einzugreifen. Ver- einfacht gesagt bedeutet dies, dass der Staat dem Mono- polisten Preise oder Preisobergrenzen vorschreibt. Nachteile dieser Methode bestehen erstens im administ- rativen Aufwand der Regulierung, der mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. In Deutschland gibt es alleine etwa 900 Stromnetzbetreiber, das heißt also 900 zu regu- lierende regionale bzw. lokale Monopole. Hinzu kommt zweitens die Informationsasymmetrie zwischen der re- gulierenden Behörde und den Netzbetreibern. Denn Letztere kennen ihre tatsächliche Kostenfunktion viel besser als die Regulierungsbehörde und haben ein natür- liches Interesse, ihre Kosten höher anzugeben, als diese tatsächlich sind, weil sie auf dieser Basis höhere Preise genehmigt bekommen können. In der Praxis hat sich die Bundesregierung zunächst für die Mammutaufgabe des zweiten Wegs entschieden: die Bundesnetzagentur bzw. die Regulierungsbehörden der Bundesländer – für Unternehmen mit weniger als 100 000 angeschlossenen Kunden – müssen auf der Basis des Energiewirtschaftsgesetzes von 2005 alle Entgelte für die Nutzung von Stromnetzen vorab genehmigen. In ei- ner ersten Stufe sind dazu in allen Unternehmen Kosten- prüfungen vorgenommen worden, auf deren Basis die ersten Genehmigungen ergangen sind. Dabei sind die Entgelte im Durchschnitt um etwa 10 bis 15 Prozent ge- genüber dem vorherigen Niveau abgesenkt worden. In der zweiten Stufe wird versucht, eine Art Wettbewerbs- druck zu simulieren, indem die besten, das heißt die kos- tengünstigsten Netzbetreiber als Benchmark für alle an- deren dienen, die sich dann innerhalb eines bestimmten Zeitraumes an dieses Niveau anpassen müssen. Für die Preisgenehmigung ist dann nicht mehr das individuelle Kostenniveau, sondern nur noch das eines vergleichba- ren effizienten Unternehmens entscheidend. Die gegenwärtig geltenden, weniger eingriffsintensi- ven Entflechtungsvorgaben haben nur in unzureichen- dem Maße zur Entwicklung eines funktionsfähigen Wettbewerbs geführt. Hier stimme ich durchaus mit al- len Antragstellern überein. Wir mussten in den vergan- genen Monaten lernen, dass mit diesem Verfahren letzt- lich kein hinreichend effizienter Markt etabliert werden kann, was viele von uns bereits vermutet haben. Eine staatliche Aufsicht oder Preiskontrolle kann nie so gut arbeiten, dass sie den Informationsvorsprung der agie- renden Unternehmen wettmachen könnte. Immer wieder wurden auch negative Auswirkungen auf die Investi- tionsbereitschaft der Netzbetreiber an die Wand gemalt. Auch das halte ich für nachvollziehbar. Aber wir wollen und können unsere Probleme lösen, ohne in altbekannte Strukturen zurückzufallen und Ver- staatlichungen voranzutreiben. Sie selbst loben in Ihrem Antrag die Anreizregulierung als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Ich verspreche Ihnen, die Regie- rung und dabei führend unser Wirtschaftsminister Michael Glos werden noch zahlreiche Schritte unter- nehmen, bis dieses von Ihnen so trefflich beschriebene Problem des natürlichen Monopols bei den Stromnet- zen – auch zur Zufriedenheit der schlussendlich zur Kasse gebetenen Stromkunden – gelöst ist. Wir wollen uns bei einer Lösung jedoch an den Grundpfeilern unserer Marktwirtschaft orientieren, wenn wir die Voraussetzungen für ein effizientes und so- mit kostengünstiges Netz schaffen. Um etwas klarzustel- len: Wir sind für eine unabhängige Netzgesellschaft, aber diese sollte nicht vom Staat aufoktroyiert, vor allem aber nicht als Mitunternehmer kontrolliert und beein- flusst werden. Wir möchten, dass sich die Konzerne aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen heraus für ein ge- meinsames Vorgehen beim Betrieb und bei Investitionen in die Stromnetze entscheiden. So abwegig, wie von Ih- nen beschrieben, ist eine freiwillige Kooperation der großen Unternehmen auch gar nicht. Von unterschiedli- chen Experten werden die möglichen Ersparnisse eines koordinierten Netzbetriebs mit dreistelligen Millionen- beträgen beziffert. Im Oktober letzten Jahres konnte unser Wirtschafts- minister Glos den renommierten Manager Max Dietrich Kley als Moderator für eine mögliche Netzgesellschaft in Deutschland gewinnen. Er wird in vertraulichen Ge- sprächen mit den Energieversorgungsunternehmen mög- liche Optionen für die Gründung einer Stromnetzgesell- schaft ausloten. Gleichzeitig wird er klären, wie die Stromverbraucher entlastet werden könnten, wenn eine Verständigung auf eine Laufzeitverlängerung für Kern- kraftwerke zustande käme. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21743 (A) (C) (B) (D) Also: Wir sind auf einem guten Weg, Strom für un- sere Verbraucherinnen und Verbraucher in naher Zukunft zu fairen Preisen zur Verfügung zu stellen. Rolf Hempelmann (SPD): Über die Eigentumsfrage und die Organisation von Strom- und Gasnetzen sind wir im Bundestag schon seit mehreren Jahren in der Diskus- sion. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die No- vellierung des Energiewirtschaftsgesetzes 2005 mit der Schaffung der Regulierungsbehörden, Entflechtungsvor- schriften für die integrierten Energiekonzerne sowie Re- gelungen für einen diskriminierungsfreien Netzzugang. Seither wurden zahlreiche Erfolge erreicht: Die Ent- flechtungsvorschriften sind weitgehend umgesetzt; zwei Runden Kostenregulierung haben zu einer Kostensen- kung bei den beantragten Entgelten bei Strom- und Gas- netzen um rund 4 Milliarden Euro geführt; seit Jahresan- fang ist die Anreizregulierung in Kraft. Im Juni 2007 ist darüber hinaus die Kraftwerks-Netz- anschlussverordnung in Kraft getreten, die den vorrangi- gen Anschluss neuer Kraftwerke an das Stromnetz re- gelt. Bezeichnend ist, dass die Grünen diesen Umstand in Ihrem Antrag, der immerhin mit Juni 2008 datiert ist, geflissentlich übergehen. Der sichere und diskriminie- rungsfreie Anschluss von Kraftwerken Dritter ist also schon heute sichergestellt und wird auch in Zukunft – ganz unabhängig von der Schaffung einer nationalen Netzgesellschaft – eine Aufgabe von Politik und Regu- lierungsbehörden bleiben. Die EU-Kommission setzt – dies fordern die Grünen auch mit diesem Antrag – weiterhin auf die hundertpro- zentige eigentumsrechtliche Entflechtung der Energie- versorgungsunternehmen von ihren Strom- oder Gasnet- zen. Diese Forderung ist zweifelsohne sehr populär. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob eine eigentumsrechtliche Entflechtung die noch bestehenden Probleme bei der Schaffung von mehr Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten wirklich löst. Eine genaue Analyse des Im- pact Assessments der EU-Kommission vom September 2007 zeigt, dass es keinen stichhaltigen Beweis dafür gibt, dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung von Stromerzeugung und Stromnetzen beispielsweise zu niedrigeren Netzentgelten oder weniger Diskriminierung beim Netzzugang führt. Ein A.T.-Kearney-Gutachten vom Januar 2008 hat ebenfalls bestätigt, dass ein Zusam- menhang zwischen eigentumsrechtlicher Entflechtung und dem Strompreisniveau, den Netzinvestitionen, dem Kuppelstellenausbau, der Höhe der Netzentgelte sowie der Zuverlässigkeit der Netze empirisch nicht belegbar ist. Diese Auffassung wird im Übrigen auch von der Bundesnetzagentur und der Monopolkommission geteilt. Deshalb hat meine Fraktion den „Dritten Weg“, den die Bundesregierung zusammen mit Frankreich und sechs weiteren Staaten im Rahmen der Debatte des Drit- ten EU-Binnenmarktpakets vorgeschlagen hat, aktiv be- gleitet und mit daran gearbeitet, dass der Vorschlag eine echte Alternative zur eigentumsrechtlichen Entflechtung darstellt. Teilweise aus der Debatte um die eigentums- rechtliche Entflechtung heraus, teilweise aber auch im Zusammenhang mit einem parallel geführten Miss- brauchsverfahren der EU-Kommission resultieren die – nicht ganz freiwilligen – Verkaufsabsichten einiger Stromkonzerne bezüglich ihrer Übertragungsnetze. Die daraus resultierende veränderte Situation hat die politi- sche Debatte noch einmal befördert. Ich habe Bundeswirtschaftsministerium und Bundes- regierung schon im Frühjahr und Sommer 2008 mehr- fach – auch im Bundestag – aufgefordert, diese veränderte Situation aufzugreifen und mit den Übertra- gungsnetzbetreibern in einen konkreten Dialog über die Chancen einer Netzgesellschaft einzusteigen. Es hat dann etwas gedauert, aber seit Anfang Oktober 2008 führt nun Ex-BASF-Vorstand Max Dietrich Kley als Moderator im Auftrag der Bundesregierung Gespräche mit den Übertragungsnetzbetreibern. Wegen der bekannten Verkaufsprozesse drängt die Zeit. Die Aufgabe des Moderators muss darin bestehen, einen Einigungsprozess zwischen den Energieversorgern als derzeitige Eigentümer der Netze möglichst zügig her- beizuführen und den Unternehmen aufzuzeigen, dass es sowohl in ihrem eigenen Interesse als auch im Interesse der Politik ist, schnell zu einer einvernehmlichen Lösung bei der Neuordnung der Übertragungsnetze zu kommen. Noch haben Energieversorger und Politik gemeinsam die Möglichkeit, aktiv zu handeln, anstatt nur zu reagie- ren. Dennoch kann sich die Politik keine Schnellschüsse erlauben. Es muss klar sein, dass eine Lösung gegen den Willen der derzeitigen Eigentümer nicht denkbar ist. Langwierige eigentumsrechtliche Auseinandersetzungen wären zu befürchten. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass die dringend notwendigen Investitionen in den Um- und Ausbau unserer Netze wegen so eines Rechtsstreits nicht getätigt würden. Ich sage klar und deutlich, dass wir als SPD-Fraktion die Bestrebungen der Bundesregierung zur Schaffung ei- ner Netzgesellschaft begrüßen. Da sind wir uns mit dem Koalitionspartner einig. Vorrangig sollte so eine Netzge- sellschaft privatwirtschaftlich organisiert werden. Eine Beteiligung der öffentlichen Hand ist dabei zunächst ein- mal nicht zwingend. Seit Jahren lassen wir uns auf den Energiemärkten vom Grundsatz leiten, dass privatwirt- schaftlich gehandelt wird, während die Regulierungsbe- hörden im staatlichen Auftrag kontrollieren und regulie- ren. Dies betrifft natürlich auch die Frage der Berechnung und Anerkennung von Netzentgelten sowie die Umsetzung der Anreizregulierung. Beides ist schon jetzt Aufgabe von Netzbetreibern und Regulierungsbe- hörden. Daran würde die Schaffung einer nationalen Netzgesellschaft nichts verändern. In diesem Zusammenhang gilt ganz unabhängig da- von, ob sich die Netze in privatem, staatlichem oder ge- mischtem Eigentum befinden, dass den Regulierungsbe- hörden eine doppelte Aufgabe zukommt. Sie haben einerseits den Auftrag, die Netzentgelte über die Regu- lierung auf ein angemessenes Niveau zu bringen. Darü- ber hinaus ist es allerdings auch ihre Aufgabe, angemes- sene Rahmenbedingungen für Investitionen in die notwendige Erneuerung sowie den Aus- und Umbau der Netze zu schaffen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise, in der der Staat Milliar- densummen zur Stützung von Banken und Konjunktur in die Hand nimmt, gilt heute stärker denn je, dass der Re- 21744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) gulierer dem Komplex Investitionen im Rahmen der jetzt beginnenden Anreizregulierung ein besonderes Ge- wicht einräumen muss. Vor dem Hintergrund der Sicherung langfristiger In- vestitionen in die Netze, insbesondere zur Flankierung unserer energiepolitischen Ziele beim Ausbau erneuer- barer Energien, der Kraft-Wärme-Kopplung oder der de- zentralen Energieversorgung kann es sinnvoll sein, dass sich der Staat – über die Rahmengesetzgebung hinaus – an einer nationalen Netzgesellschaft beteiligt. Wir leh- nen allerdings eine Netzgesellschaft ab, an der die öf- fentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist. Eher denken wir an eine Minderheitsbeteiligung des Staates mit einer Sperrminorität von 25,1 Prozent. Das ist spätestens seit Anfang Januar öffentlich bekannt. Bevor es allerdings dazu käme, wären noch zahlrei- che Fragen zu klären, beispielsweise bezüglich der Kos- ten so eines Engagements der öffentlichen Hand oder wie sichergestellt werden kann, dass eine Miteigentü- merschaft des Staates nicht mit den Kontroll- und Regu- lierungsaufgaben der öffentlichen Hand kollidieren. Wie auch die Grünen fordern wir schon seit längerer Zeit eine möglichst breite Eigentümerstruktur bei einer nationalen Netzgesellschaft. Völlig unverständlich ist jedoch, warum die Grünen in ihrem Antrag in- oder ausländischen Energieversor- gungsunternehmen verbieten wollen, sich an einer Netz- gesellschaft zu beteiligen. Dies würde – ganz im Sinne der EU-Kommission – de facto einer eigentumsrechtli- chen Entflechtung auf Übertragungsnetzebene entspre- chen. Ich habe bereits ausgeführt, warum dieser Weg – auch aus Sicht der Experten der Bundesnetzagentur – nicht zielführend ist. Bei einer Netzgesellschaft kommt es vielmehr darauf an, zusätzliche Eigentümer über die bisherigen hinaus in eine Netzgesellschaft in einer Form einzubinden, in der kein Eigentümer eine dominante Größe erreichen kann. Ausländische Miteigentümer soll- ten dabei genauso wenig ausgeschlossen werden wie die Ausweitung des Netzes über nationale Grenzen hinaus. Im Sinne einer zügigen Investition in die Netze ist eine umfassende Lösung, die die derzeitigen Eigentümer mit einbezieht, sicher schneller zu erreichen. Neben der bereits erwähnten eigentumsrechtlichen Frage spielt da- bei auch eine Rolle, dass das Netzgeschäft – bei allem Misstrauen gegenüber den derzeitigen Übertragungs- netzbetreibern – technisch höchst anspruchsvoll ist. Daher sollte und kann auf das Expertenwissen der der- zeitigen Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen einer Netzgesellschaft nicht verzichtet werden. Abschließend möchte ich noch meine Ungeduld über den Fortgang des Moderationsprozesses ausdrücken. Es ist bisher nicht bekannt, inwieweit es dem Moderator in den vergangenen knapp vier Monaten gelungen ist, Fort- schritte zu erzielen. Da die Verkaufsprozesse bei Vatten- fall Europe und Eon aber bereits weit vorangeschritten sind, bleibt nicht mehr viel Zeit für ein aktives Handeln der Politik. Im Namen meiner Fraktion erwarte ich daher einen zeitnahen Abschluss des Moderationsprozesses und – daraus abgeleitet – konkrete Vorschläge der Bundes- regierung zur Ausgestaltung einer Netzgesellschaft. Gudrun Kopp (FDP): Der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen gibt mir Gelegenheit, hier noch einmal ganz deutlich zu sagen, dass wir von den Liberalen jede staat- liche Beteiligung an einer deutschen Netzgesellschaft ablehnen. Eine „vielfältige Eigentümerstruktur“, wie sie sich die die Grünen vorstellen, wird das selbsterklärte Ziel, „Monopolstrukturen zu vermeiden“, kein Stück näher bringen. Monopolstrukturen liegen ja nicht begründet in homogenen Eigentümerstrukturen, sondern in der Markt- stellung eines Unternehmens oder einer Gesellschaft. Die Energienetzwirtschaft kennt so gut wie keinen parallelen Netzbau, weshalb dieser Sektor zu Recht als natürliches Monopol bezeichnet wird. Natürliche Monopole tendieren immer dazu, Kosten zu produzieren, völlig unabhängig davon, wer dieses Monopol betreibt. Das wäre auch und gerade bei einem öffentlichen Unternehmen nicht an- ders. Und genau deshalb ist es unabdingbar, dass diese Monopole staatlich reguliert werden. Dies geschieht in Deutschland seit 2005 durch die Bundesnetzagentur. Es gibt also bereits eine staatliche Kontrolle. Eine Verstaatlichung von Energienetzen – sei es im Übertragungsnetzbereich, im Verteilnetzbereich oder in beiden – löst nicht ein einziges Problem, das wir heute auf den Energiemärkten haben, es schafft lediglich neue. So müsste zunächst einmal ein Enteignungsverfahren durchgeführt werden für diejenigen Netze, die nicht frei- willig veräußert werden. Dafür sieht unser Grundgesetz zu Recht hohe Hürden vor, die zu überschreiten vermutlich Jahre in Anspruch nehmen würde, in denen kein Cent in den dringend notwendigen Ausbau der Netze investiert würde. Auch bleibt unbeantwortet, woher das Geld für eine solche Transaktion kommen soll. Soll der Bund, der noch immer aufgrund einer verfehlten Haushaltspolitik jedes Jahr neue Schulden aufnimmt, die Steuern erhöhen, um diese Milliardenbeträge zusammenzubringen? Und wenn ja, welche Steuern wollen Sie erhöhen? Darüber hinaus bringen öffentliche Unternehmen im- mer ganz spezifische Probleme mit sich, die jeder von uns von seinen örtlichen Sparkassen oder Unternehmen wie der Deutschen Post AG oder Telekom kennt. Zunächst einmal werden diese Betriebe – das ist im kommunalen Bereich deutlich zu erkennen – allzu gern benutzt als Versorgungsposten für verdiente Partei- freunde, die nach Parteienproporz eingesetzt werden – nicht immer zum Vorteil der Unternehmen. Ferner wer- den diese Unternehmen nicht selten mit sachfremden Aufgaben überfrachtet. Ich frage mich im Übrigen, welche Privatinvestoren sich an einer Gesellschaft beteiligen werden, bei der sie per Definition zu einer dauerhaften Minderheitsbeteiligung verdammt sind und deren Gewinne zudem von vornhe- rein erheblich eingeschränkt bleiben. Die Vielzahl der Beschränkungen, die jeglichen marktwirtschaftlichen Re- geln widersprechen, werden so eine Netzgesellschaft zu einem hundertprozentig verstaatlichten Unternehmen ma- chen. Ohne die Möglichkeit, mit angemessener Verzin- sung die entsprechenden Gewinne zu generieren, ist eine so ausgestaltete Netzgesellschaft prädestiniert, die ein- gebrachten Steuergelder zu verpulvern. Wir von der FDP setzen dagegen auf unsere Idee einer unabhängigen deutschen „Netz AG“. An dieser „Netz AG“ können die gegenwärtigen Übertragungsnetzbetreiber ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21745 (A) (C) (B) (D) sprechend dem Wert ihrer eingebrachten Netze anteils- mäßig beteiligt werden. Das Verhältnis der „Netz AG“ zu den vier Eignern ist personell so auszugestalten, dass Interessenkonflikte ausgeschlossen sind und die unterneh- merische Selbstständigkeit der „Netz AG“ gewährleistet bleibt. Bei dieser „Netz AG“ bleibt die volle Verantwor- tung für Investitionen in das Netz, ebenso verbleiben alle Einnahmen aus der Netznutzung bei der „Netz AG“. Die Vorteile einer solchen Lösung sind: ein beachtlich redu- ziertes Diskriminierungspotenzial für neue Anbieter im Erzeugungsbereich und eine effizientere Entflechtung. Auch der Netzausbau in Deutschland sowie Netzinvesti- tionen könnten so in Form einer deutschlandweiten Netzentwicklungsplanung erfolgen. Zudem könnten so die vier bisher getrennt geführten Regelzonen zu einem deutschlandweiten Regelenergiemarkt zusammengefasst werden. Diese und weitere Synergieeffekte sind nur mit einer unabhängigen „Netz AG“ ohne staatliche Beteili- gung zu generieren. Als Kontrollinstrumente des Bundes sind mit der Bundesnetzagentur und dem Bundeskartell- amt bereits effiziente und schlagkräftige Instanzen geschaffen, um Gefahren durch Machtkonzentrationen zu beheben und Wettbewerb zu garantieren. Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Die Verstaatli- chung von Produktionsmitteln kann kein Rezept für die Zukunft sein. Daher lehnen wir von der FDP den Antrag der Grünen ab. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die vier großen Energie- konzerne in Deutschland nutzen ihre Monopolstellung bei den Übertragungsnetzen konsequent für die eigene Rendite aus. Sie treiben die Preise in die Höhe und si- chern sich ihre Marktmacht auf Kosten der Verbrauche- rinnen und Verbraucher, auf Kosten der Umwelt und auf Kosten der Energiesicherheit. Deshalb ist es dringend notwendig, die Übertragungsnetze aus den Konzernen herauszulösen. Die Bundesregierung spielt hier ein un- rühmliches Spiel zugunsten der großen Konzerne. Die Unterstützung von Global Playern ist ihr wichtiger als der Verbraucher- und Umweltschutz. Leider bleiben Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, mit Ihrem Antrag auf halben Weg stehen. Sie wollen, wie Sie schreiben, um „Monopolstrukturen zu vermeiden“, Private an einer neuen Netzgesellschaft be- teiligen. Sie können bei der Frage des Netzbetriebes aber Monopolstrukturen nicht vermeiden, da es sich schlicht- weg um ein natürliches Monopol handelt. Der Transport von Energie ist eine elementare Infra- strukturaufgabe, ganz besonders in einer hoch entwi- ckelten Industriegesellschaft. Niemand kann ohne Ener- gie, Licht, Strom, Wärme am wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Der Strom muss verlässlich in jeder Sekunde bereitgestellt werden kön- nen. Er muss mit möglichst geringer Umweltzerstörung und geringem Ressourcenverbrauch erzeugt und bereit- gestellt werden. Und er muss bezahlbar sein. Da ist es kontraproduktiv, private Investoren mit reinzuholen. Das Interesse von privaten Investoren ist doch klar zu benen- nen: die Erzielung einer möglichst hohen und sicheren Kapitalrendite. Diese Gewinne müssen die Stromkun- dinnen und -kunden bezahlen. Die sind als Kunden ge- fangen und können nicht raus. Sie können weder zu ei- nem anderen Netzbetreiber wechseln noch auf den Bezug von Strom oder Gas verzichten. Private Investoren richten ihre Geschäftspolitik nicht an den Notwendigkeiten einer umweltschonenden Ener- gieversorgung, an der langfristigen Erhaltung der Netze, geschweige denn an anderen Zielen wie dem Erhalt quali- fizierter Arbeitsplätze aus. Da nutzt es wenig, dass der Anteil von privaten Investoren unter 50 Prozent liegen soll. Dass die privaten Investoren ihre Ziele in einer öf- fentlich-privaten Netzgesellschaft durchsetzen werden, da können Sie sicher sein. Dazu brauchen sie keine Mehrheit in dem Unternehmen. Selbst wenn Sie von den Grünen aus ideologischen Gründen das nicht wollen: Die Strom- netze gehören – genauso wie die Straßen und das Schie- nennetz – in die öffentliche Hand. Die öffentliche Hand kann die Ziele der sicheren und effizienten Stromversor- gung mit den Zielen der sauberen und bezahlbaren Versor- gung am besten vereinigen. Die Investitionsmittel für den nötigen Ausbau und die Erneuerung der Netze können weiterhin über die Nutzungsentgelte refinanziert werden. Die öffentliche Hand muss aber keine höchstmögliche Rendite mit den Netzen erzielen. Sie kann deshalb die Preise senken. Und was am wichtigsten ist: Sie kann den Netzbetrieb auf die energiepolitischen Ziele von Klima- schutz und Atomausstieg ausrichten. Eine solche Netzge- sellschaft für die Übertragungsnetze sollte von Bund, Ländern und Gemeinden geführt werden. Dies würde die Chance für mehr demokratische und gesellschaftliche Kontrolle eröffnen, was nicht der Fall wäre, wenn der Bund alleine agieren würde. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Strommarkt in Deutschland kommt nicht voran. Die Preise steigen, erst vorgestern hat RWE erneut eine Er- höhung um etwa 7 Prozent angekündigt. Rund 80 Pro- zent der Stromerzeugung liegen in der Hand der vier großen Konzerne, die damit auch das Geschehen an der Strombörse diktieren und so die Preise nach oben trei- ben. Und last, but not least sind die Stromübertragungs- netze vollständig in der Hand der großen vier. Diese Vormachtstellung muss gebrochen werden. Da- rin sind wir uns einig mit der Europäischen Kommis- sion, die bis zuletzt versucht hat, eine besitzrechtliche Trennung von Netzbetrieb und Stromerzeugung auch in Deutschland durchzusetzen. Das Vorhaben scheiterte, wie wir mit Erschrecken feststellen mussten, am Wider- stand der Bundesregierung, die sich in Brüssel auch in der Frage der Stromnetze zum Vorkämpfer der Konzern- interessen aufschwang – und sich damit kräftig bla- mierte. Denn mitten in den Brüsseler Verhandlungen gab der Eon-Konzern seinerzeit bekannt, sich von seinen Stromnetzen trennen zu wollen. Ihm folgte inzwischen auch Vattenfall Europe. Damit ergibt sich die vielleicht einmalige Chance, in Deutschland den Betrieb der Über- tragungsnetze neu zu organisieren zugunsten einer fairen Marktentwicklung, zugunsten eines beschleunigten Aus- baus erneuerbarer Energien und zugunsten der Verbrau- cherinnen und Verbraucher. Der Bundeswirtschaftsminister bewegt sich in der Netzfrage im Schneckentempo. Erst hat er für die Kon- zerne gekämpft, jetzt, so wird er in den Medien zitiert, glaubt er, dass wir um einen gemeinsamen Netzbetrieb „nicht herumkommen“ werden. Ja, Herr Glos, dann han- 21746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 (A) (C) (B) (D) deln sie jetzt und nicht erst in ferner Zukunft. Sorgen sie dafür, dass es so schnell wie möglich eine bundesweite Netzgesellschaft gibt! Wir Grünen haben dazu einen ganz konkreten Antrag eingebracht. Für uns steht an ers- ter Stelle, den Netzbetrieb neutral zu machen. Denn fai- ren Wettbewerb kann es erst geben, wenn die Übertra- gungsnetze nicht mehr von denen betrieben werden, die den Strom erzeugen und verkaufen. Wir schlagen deshalb eine Netzgesellschaft vor, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehört. Wir wollen keine Verstaatlichung, weil ein Netzmonopol in Staats- hand nicht zu mehr Innovation und Verbraucherschutz führt; das zeigen zahlreiche Beispiele, etwa Frankreich. Wir wollen ein modernes Unternehmen, in dem Bund, Länder und Kommunen die Mehrheit der Anteile halten und private Investoren die Minderheit. Wir wollen vor allem keine monopolartigen Besitzverhältnisse und wün- schen daher einen breiten Streubesitz aus öffentlicher und privater Beteiligung. Die Stromversorger aber gilt es von der Netzgesellschaft auszuschließen. Wir dürfen nicht länger den Bock zum Gärtner machen. Dazu ist die Schaffung neutral betriebener Stromnetze zu wichtig für die Zukunft unserer Energieversorgung. Ein einheitliches Stromübertragungsnetz würde Strom- kunden einen zweistelligen Millionenbetrag jährlich er- sparen. Das hat die Bundesnetzagentur gerade errechnet. Dann wäre Schluss mit dem undurchsichtigen Handel mit Regelenergie, der den Konzernen die Chance bietet, Geld von der einen in die andere Tasche zu wirtschaften – zu- lasten vor allem von Ökostromanbietern und ihren Kun- den. Ein neutrales Stromübertragungsnetz würde alle Stromerzeuger gleich behandeln und die immer noch ekla- tante Behinderung erneuerbarer Energien beim Netzan- schluss beenden. Ein neutrales Stromübertragungsnetz würde die drin- gend benötigten Investitionen in den Neubau von Strom- leitungen, aber auch von Stromspeichern und innovati- ver Regeltechnik voranbringen. Wir müssen die Netze jetzt fit machen für eine Zukunft, in der 30, 40 und per- spektivisch 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Das ist mit den Oligopolisten von Eon, RWE & Co. nicht zu machen. Die wollen vor allem ihre alten AKW und ihre neuen Kohlekraftwerke ans Netz bringen und so ihre marktbeherrschende Stellung auf Jahrzehnte zementieren. Die Zukunft der Stromnetze wird entscheiden, wie wir unsere Energiezukunft gestalten. Nur ein neutrales Stromübertragungsnetz in mehrheitlich öffentlicher Hand mit Streubesitz kann fairen Wettbewerb und Vor- fahrt für klimafreundlichen Strom sicherstellen sowie eine Zementierung des Energiekartells der großen vier verhindern. Wir dürfen die Chance, jetzt zukunftsfähige Strukturen im Energiemarkt zu schaffen, nicht verpas- sen. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu! Anlage 8 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 853. Sitzung am 19. De- zember 2008 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haus- haltsgesetz 2009) – Viertes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes – Düngegesetz – Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäfti- gung – Zweites Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Fünftes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Achtes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisie- rung des Steuerverfahrens (Steuerbürokratieab- baugesetz) – Gesetz zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsge- setz – DNeuG) – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- setzes – Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ – Fünftes Gesetz zur Änderung des Filmförde- rungsgesetzes – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb – Gesetz über den Zugang zu digitalen Geodaten (Geodatenzugangsgesetz – GeoZG) – Zweites Gesetz zur Änderung des Autobahnmaut- gesetzes für schwere Nutzfahrzeuge – Viertes Gesetz zur Änderung des Straßenver- kehrsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- zes und zur Änderung des Gesetzes zur Änderung der Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkommens – Gesetz zur Neufassung des Raumordnungsge- setzes und zur Änderung anderer Vorschriften (GeROG) – Erstes Gesetz zur Änderung des Wohngeldgeset- zes – Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – Gesetz zu den Abkommen vom 26. Mai 2006 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Sonderverwaltungs- region Hongkong der Volksrepublik China über die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen und über die Überstellung flüchtiger Straftäter Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 21747 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zu dem Vertrag vom 26. Februar 2008 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Bau und die Instandhal- tung von Grenzbrücken in der Bundesrepublik Deutschland im Zuge von Schienenwegen des Bundes, in der Republik Polen im Zuge von Eisen- bahnstrecken mit staatlicher Bedeutung – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Juli 2007 über die Beteiligung der Republik Bulgarien und Rumäniens am Europäischen Wirtschaftsraum – Gesetz zu den Protokollen vom 9. Juli 2008 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Repu- blik Albanien und der Republik Kroatien – Gesetz zur arbeitsmarktadäquaten Steuerung der Zuwanderung Hochqualifizierter und zur Ände- rung weiterer aufenthaltsrechtlicher Regelungen (Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz) – Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internatio- nalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt – Gesetz zur Förderung von Familien und haus- haltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungs- gesetz – FamLeistG) – Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingun- gen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitrege- lungen und zur Änderung anderer Gesetze Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat begrüßt, dass im Interesse der Portabi- lität von Wertguthaben auch die Möglichkeit einer Über- tragung auf die gesetzliche Rentenversicherung eröffnet werden soll. Im Hinblick auf die in Abhängigkeit von der festge- setzten Wertgrenze zunächst zu erwartenden geringen Fallzahlen von Übertragungen auf die Rentenversiche- rung erscheint eine Ansiedlung der Zuständigkeit aus- schließlich bei der Deutschen Rentenversicherung Bund für einen befristeten Übergangszeitraum – wie auch vom Bundesrat gefordert – sinnvoll. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung jedoch auf, die weitere Entwicklung zu den von der Deutschen Rentenversicherung Bund verwalteten Wertguthaben zu beobachten und die im Rahmen der Organisationsreform der gesetzlichen Rentenversicherung gefundene Kompe- tenzverteilung zwischen Regionalträgern und Bundesträ- gern zu beachten. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Ausführung der Gesetze grundsätzlich Ländersache ist und es den Ländern obliegt, Aufgaben den Landesbehörden zuzu- weisen. – Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpoli- tischen Instrumente Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat bedauert, dass die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates, die ABM im Rechts- kreis des SGB II nicht zu streichen, nicht aufgegriffen hat, da damit insbesondere den Regionen mit einem ho- hen Anteil an Langzeitarbeitslosen ein erprobtes und be- währtes arbeitsmarktpolitisches Instrument nicht mehr zur Verfügung steht. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, zumindest sicherzustellen, dass die Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante – ebenso wie ABM – auch in ver- gaberechtlich zulässiger Weise bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein Wirtschaftsunternehmen durchgeführt werden können. Die Aufnahme einer ver- traglichen Nebenbedingung, dass die Zuweisung geför- derter Arbeitnehmer nicht diskriminierend ist, soll auch künftig möglich sein, um die Wirtschaft in geförderte Arbeit einzubeziehen. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung zu § 16 d SGB II enthält lediglich die Bemerkung, dass im Übrigen die Vorschriften zu den Arbeitsgelegenheiten unverändert bleiben. Dagegen ist eine Klarstellung er- forderlich, um Rechtssicherheit für die Zukunft zu schaf- fen. Es soll ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet sein, dass Arbeitslose, die in einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante beschäftigt sind, unmittelbar in die Aus- führung öffentlicher Aufträge einbezogen werden kön- nen. Solche sogenannten Vergabe-ABM haben sich we- gen ihres engen Bezugs zur regionalen Infrastruktur in Ostdeutschland besonders bewährt. Daher sollte die Möglichkeit der Vergabe im Rechtskreis des SGB II bei den vergleichbaren Arbeitsgelegenheiten in der Entgelt- variante auch zulässig sein. – Erstes Gesetz zur Änderung des Bundeseltern- geld- und Elternzeitgesetzes Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat hält die Vereinfachung des Elterngeld- verfahrens im Interesse der Eltern und der mit dem Voll- zug befassten Länder für besonders dringlich. Notwendig ist insbesondere eine Vereinfachung der Einkommensermittlung. Der Bundesrat legte in seinem einstimmig beschlos- senen Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Elterngeld- vollzugs (Bundesratsdrucksache 225/08 (Beschluss) vom 23. Mai 2008) entsprechende Vorschläge vor. Auch der Bundesrechnungshof sprach in seinem Be- richt nach § 88 Abs. 2 BHO über die Wirkungsweise und Umsetzbarkeit der Regelungen nach dem Bundeseltern- geld- und Elternzeitgesetz am 19. September 2008 die Empfehlung aus, die Einkommensermittlung deutlich zu vereinfachen. Die Bundesregierung kündigte in ihrem im Oktober 2008 gemäß § 25 BEEG zu erstattenden Bericht in Ab- stimmung mit den Ländern eine Prüfung von Vereinfa- chungsmöglichkeiten an. Die Bundesregierung wird aufgefordert, unter Einbe- ziehung des Gesetzentwurfs des Bundesrats alle Verein- fachungsmöglichkeiten zu ergreifen und so schnell wie möglich umzusetzen. – Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) Der Bundesrat hat ferner die nachfolgende Entschlie- ßung gefasst: Durch das Jahressteuergesetz 2009 sollen die Rege- lungen zur Umsatzsteuerbefreiung für ambulante und (A) (C) (B) (D) stationäre Heilbehandlungsleistungen an die Terminolo- gie der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie angepasst wer- den. Grundsatz der Neuregelung war und ist, dass im Krankenhausbereich Schlechterstellungen gegenüber dem geltenden Recht nicht eintreten sollen. Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass einzelne Krankenhäuser ab dem 1. Januar 2009 nicht mehr unter die Befreiungsvor- schrift fallen, obwohl ihre Umsätze nach geltendem Recht steuerfrei sind. Dies würde bei den betroffenen Krankenhäusern zu einer erheblichen steuerlichen Mehr- belastung führen und gegebenenfalls die dort vorhande- nen Arbeitsplätze gefährden. Der Bundesrat fordert des- halb die Bundesregierung auf, den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung in dieser Hinsicht zu prüfen und er- forderlichenfalls durch geeignete Maßnahmen spätestens im Rahmen des nächsten geeigneten Gesetzgebungsver- fahrens rückwirkend sicherzustellen, dass dem Grund- satz „Keine Schlechterstellung gegenüber dem Status- quo“ Rechnung getragen wird. Begründung: Künftig werden Krankenhausbehandlungen insbeson- dere von solchen Krankenhäusern von der Umsatzsteuer befreit, die nach § 108 SGB V zugelassen sind. Darunter fallen private Krankenhäuser insbesondere dann, wenn sie einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen haben. Nach geltendem Recht kann ein Krankenhaus unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG in Verbindung mit § 67 Abs. 2 AO mit seinen Umsätzen auch dann von der Umsatzsteuer befreit sein, wenn es keinen Versorgungsvertrag abge- schlossen hat. So können Krankenhäuser nach § 67 Abs. 2 AO steuerbegünstigt sein, wenn mindestens 40 vom Hundert der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als nach der Bundespflegesatzverord- nung berechnet wird. Die Fälle des § 67 Abs. 2 AO kön- nen nach der Neuregelung nicht mehr unter die Steuer- befreiungsvorschrift subsumiert werden. Die Abgeordnete Kerstin Müller (Köln) hat darum gebeten, bei dem Entwurf eines … Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes zur Vermeidung und Bewälti- gung von Schwangerschaftskonflikten auf Drucksa- che 16/11347 nachträglich in die Liste der Antragsteller aufgenommen zu werden. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen auf Drucksache 16/8757 und den Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung angemessener Arbeitsbedingungen für grenzüber- schreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG) auf Druck- sache 16/8758 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Fort- schritte zur Entwicklung der verschiedenen Felder des Geoinformationswesens im nationalen, europäischen und internationalen Kontext – Drucksachen 16/10080, 16/10285 Nr. 17 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab- wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte – Stand 30. Juni 2008 – – Drucksachen 16/10081, 16/10285 Nr. 18 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- tel 11 10 Titel 681 01 – Versorgungsbezüge für Beschädigte – – Drucksachen 16/11169, 16/11306 Nr. 3 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- tel 60 03 Titel 632 01 – Zahlungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetz – – Drucksachen 16/11198, 16/11478 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- tel 12 25 Titel 893 01 – Prämien nach den Wohnungsbau-Prämiengesetz – – Drucksachen 16/11368, 16/11478 Nr. 1.6 – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Unterrichtung durch die Bundesregierung Risikostruktur und strukturwandelbedingte Belastun- gen der landwirtschaftlichen Krankenversicherung – Drucksachen 16/10713, 16/10949 Nr. 5 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr 2006 und 2007 (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2006/2007) – Drucksachen 16/10230, 16/10949 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsberichte 2006 und 2007 der Bundesnetzagen- tur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen für den Bereich Eisenbahnen gemäß § 14b Abs. 4 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksachen 16/10460, 16/10949 Nr. 2 – 21748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 nd 91, 1 2, 0, T 22 200. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. Januar 2009 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620000000

Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.


(Zuruf von der Zuschauertribüne)


– Es kann manches sein, aber das Rederecht ist nun ein-
mal auf die Mitglieder des Bundestages beschränkt und
gilt nicht für die Besucher unserer Plenardebatten.

Nach dieser Kurzintervention


(Heiterkeit)


möchte ich gerne dem Kollegen Paul Schäfer zu seinem
60. Geburtstag gratulieren, den er am vergangenen
Sonntag gefeiert hat. Alle guten Wünsche für die nächs-
ten Jahre!


(Beifall)


Der Kollege Martin Burkert hat sein Amt als Schrift-
führer niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Frak-
tion der SPD die Kollegin Hedi Wegener vor. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist die Kollegin Hedi Wegener hiermit zur Schrift-
führerin gewählt.

Rede
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-
Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Programm für ein selbstbestimmtes Leben
ohne Armut – Eine Neuformulierung des Drit-
ten Armuts- und Reichtumsberichtes

– Drucksache 16/10654 –


(siehe 199. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
tzung

en 22. Januar 2009

.00 Uhr

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfah-
ren

(Ergänzung zu TOP 31)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing,
Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf
die Istbesteuerung

– Drucksache 16/9836 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betäubungslose Kastration von Ferkeln been-

text
den – Alternativen fördern

– Drucksache 16/10615 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mehrwegsysteme durch Lenkungsabgabe auf
gverpackungen stützen

ksache 16/11449 –
isungsvorschlag:
Einwe

– Druc
Überwe

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Prävention der Glücksspielsucht stärken

– Drucksache 16/11661 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Winfried
Hermann, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung
des Personenbeförderungsgesetzes

– Drucksache 16/11635 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 32)


Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige
Ghetto-Insassen erleichtern

– Drucksachen 16/6437, 16/10334 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Konsequenzen aus der Existenz weiterer fau-
ler Wertpapiere bei deutschen Banken im Um-
fang von Hunderten Milliarden Euro

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Josef Fell, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Biogaseinspeisung und Wärmeeinsparung
jetzt voranbringen – Konsequenzen aus Erd-
gas-Streit und Ressourcenverknappung ziehen

– Drucksache 16/11645 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

ZP 6 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Umsetzung der EU-Zentralasienstrategie

– Drucksachen 16/8951, 16/10712 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für
Conterganbetroffene

– Drucksache 16/11639 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden. – Ich kann auch
dazu offensichtlich Einvernehmen feststellen. Dann ist
das so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Jahreswirtschaftsbericht 2009 der Bundes-
regierung
Konjunkturgerechte Wachstumspolitik

– Drucksache 16/11650 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung

– Drucksache 16/10985 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Zum Jahreswirtschaftsbericht 2009 liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir debattieren über den Jahreswirtschaftsbe-
richt 2009 in der schwersten Rezession in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Wachs-
tum in Höhe von 1,3 Prozent im Jahr 2008 müssen wir
für 2009 erstmals einen Rückgang des Bruttosozialpro-
duktes in Höhe von zweieinviertel Prozent prognostizie-
ren. Deutschland war lange auf der Sonnenseite der
Globalisierung. Wir waren Gewinner des weltwirtschaft-
lichen Aufbruchs, den es in den letzten Jahren gegeben
hat. Wir sind jetzt natürlich davon berührt, wenn es mit
der Weltwirtschaft, verursacht durch die Finanzmarkt-
krise, abwärtsgeht. Wir müssen dadurch Rückgänge bei
den Ausfuhren prognostizieren. Wir rechnen mit einem
Rückgang in Höhe von 9 Prozent bei den Ausfuhren. Die
Betroffenheit der deutschen Wirtschaft reicht allerdings
über den Außenhandel hinaus. Betroffen ist die Ertrags-
kraft deutscher Direktinvestitionen im Ausland; das ist
eine ganze Menge. Betroffen ist auch die Stimmung bei
Investoren und Konsumenten.

Es gibt allerdings auch Hoffnung. Es bestehen gute
Chancen, dass der private Verbrauch als Anker der wirt-
schaftlichen Entwicklung wirkt. Die Konsumausgaben
werden nach unserer Prognose 2009 um 0,8 Prozent
wachsen. Das liegt unter anderem an den gesunkenen
Öl- und Energiepreisen, aber auch an der Tatsache, dass
die Inflationsrate generell zurückgeht. Allein aufgrund
der sinkenden Energiepreise haben Konsumenten und
Unternehmen eine Ersparnis von 20 Milliarden Euro.
Das ist eine gewaltige Summe. Das reicht aber natürlich
nicht, um die außenwirtschaftlich bedingten Belastun-
gen, von denen ich gerade gesprochen habe, zu kompen-
sieren. Unsere Antwort auf diese große wirtschaftspoliti-
sche Herausforderung ist eine konjunkturgerechte
Wachstumspolitik. Das haben wir als Überschrift über
den Jahreswirtschaftsbericht geschrieben. Ich meine, wir
müssen alles tun, um den privaten Konsum und damit
auch ein Stück die Konjunktur zu stabilisieren, neben In-
vestitionsmaßnahmen, auf die ich noch zu sprechen
komme.
In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung
deswegen ein großes Konjunkturprogramm auf den Weg
gebracht. Es soll eine Brücke für Wachstum und
Beschäftigung hier in Deutschland bauen. Auch in der
schweren Zeit dürfen die Muskeln nicht erschlaffen. Wer
seine Muskeln nicht nutzt, wird schwächer.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Hanteltraining!)


Deswegen wollen wir auch in diesem schwierigen Jahr
unser Bestes tun. Ich bedanke mich bei dem Kollegen
Scholz und bei der Bundesagentur für Arbeit dafür, dass
sie entsprechende Übungsmaßnahmen ergriffen haben.
Die Schulungsmaßnahmen sollen auch die Gehirnmus-
keln trainieren.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch Liegestütze!)


Wir wollen die Arbeitnehmer erstens im Beschäfti-
gungsverhältnis halten, weil wir die Fachkräfte auch
nach der Krise brauchen, und zweitens wollen wir diese
Zeit für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das neue Paket setzt die Linie vom Oktober 2008
fort. Ich nenne als Beispiele die Erhöhung des Kinder-
gelds und die Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosen-
versicherung auf 2,8 Prozent, ferner das 15-Punkte-
Programm, das ich nicht noch einmal im Einzelnen er-
läutern muss. Das neue Programm, um das es geht, lässt
sich in vier Punkten zusammenfassen:

Erstens. Wir entlasten Bürger und Betriebe von Steu-
ern und Abgaben um insgesamt 18 Milliarden Euro in
diesem und im nächsten Jahr. Ihnen bleibt also künftig
mehr Netto vom Brutto. Wir wirken auch der kalten Pro-
gression entgegen. Ich freue mich, dass das endlich mög-
lich wird. Ich habe dafür jahrelang gekämpft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte unseren Bundespräsidenten zitieren, der in
der Bild-Zeitung von heute schreibt:

Jetzt müssen wir unsererseits das Wachstum im In-
neren stärken. Damit das nachhaltig gelingt, müs-
sen wir auch an die denken, die hart arbeiten und
ihre Steuern und Abgaben zahlen. Ihre Anstrengun-
gen sollen sich auch für sie selber lohnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Schön, dass das mal einer sagt!)


Ich meine, das ist richtig. Viele Millionen von Men-
schen, die ihr Geld hart erarbeitet haben, wissen, wie sie
es sinnvoll ausgeben. Wenn sich jemand entschließt, sein
Geld zu sparen, dann hilft das der Versorgung der Wirt-
schaft mit Krediten.

Zweitens. Durch den niedrigen Beitragssatz zur ge-
setzlichen Krankenversicherung, den wir durch die
Erhöhung des Bundeszuschusses ermöglichen, werden
Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie die über 18 Millio-
nen Rentner entlastet. Das ist der zweite große Schritt.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
Drittens. Die Bundesregierung weitet den Bürg-
schaftsrahmen für Unternehmen um 100 Milliarden
Euro aus; denn es darf in den kommenden Monaten nicht
zu Engpässen bei der Kreditversorgung kommen. Darum
geht es in allererster Linie. Es geht nicht darum, dass
sich der Staat als Unternehmer betätigt. Das kann die
Wirtschaft sehr viel besser. Aber wir müssen diese
schwierigen Zeiten überbrücken und sicherstellen, dass
die Unternehmen, die auch nach der Krise gebraucht
werden, diese Brücke begehen können;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn wir rechnen bereits in der zweiten Hälfte dieses
Jahres mit einer Verbesserung.

Viertens. Wir fördern mit 18 Milliarden Euro öffentli-
che Investitionen. Damit werden Schulen, Hochschulen
und Krankenhäuser modernisiert. Wir erneuern auch
Schienen, Wasserwege und Straßen.

Ich hoffe, dass dieses Paket rasch umgesetzt wird,
dass vor allen Dingen die Länder, die einen Großteil die-
ses Paketes umsetzen müssen, sehr rasch zu Vereinba-
rungen mit den Kommunen kommen und dass die Kom-
munen das, was sie betrifft, noch in diesem Jahr in die
Tat umsetzen können. Alles in allem beläuft sich dieses
Konjunktur- oder Maßnahmenpaket, wie immer Sie es
nennen wollen, auf 80 Milliarden Euro, die schnell, ziel-
gerichtet und vor allen Dingen dauerhaft wirksam einge-
setzt werden müssen. Das ist eine bedeutende Größen-
ordnung. Diese Hilfe geht weit über eine sektorale Hilfe
für die Automobilindustrie hinaus.

Das Programm wird also einen ganz entscheidenden
Beitrag dazu leisten, die negative Erwartungsspirale zu
durchbrechen und Vertrauen wiederherzustellen. Des-
halb ist es auch ein wichtiges Signal, dass die Bundes-
regierung nicht nur am Ziel der langfristigen Haus-
haltskonsolidierung festhält. Zusätzlich bauen wir eine
Schuldenbremse ins Grundgesetz ein.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2015! Peinlich!)


Damit stärken wir das Vertrauen der Bürger in die Zu-
kunft, auch in die Zukunft eines handlungsfähigen Staa-
tes, Herr Kuhn.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erst ab 2015!)


Das sind Schlüsselfaktoren bei der Überwindung dieser
Krise.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin überzeugt: Das Paket wird wirken. Je weniger es
zerredet wird, desto stärker wird die Wirkung dieses Pa-
ketes sein; denn Wirtschaft ist ein Stück weit auch Psy-
chologie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zerredet? Sie machen es ja gar nicht!)

Dass wir überhaupt so viel in die Hand nehmen und
mobilisieren können, hängt damit zusammen, dass in
den letzten drei Jahren sehr seriös gewirtschaftet worden
ist und dass es uns im vergangenen Jahr gelungen ist,
den öffentlichen Gesamthaushalt praktisch auszuglei-
chen. Dadurch ist es möglich, diese Maßnahmen zu er-
greifen, ohne dass wir in diesem Jahr die 3-Prozent-
Grenze von Maastricht übersteigen.

Wir werden mit den strukturellen Reformen auf dem
Arbeitsmarkt, die ich schon erwähnt habe, nicht nur sehr
viel bewegen. Vielmehr haben diese strukturellen Refor-
men überhaupt erst eine sehr gute Beschäftigungslage in
Deutschland ermöglicht, wie wir sie lange nicht mehr
hatten. Wir gehen also erstens mit einem starken Ar-
beitsmarkt in die Krise. Zweitens können wir große Fort-
schritte bei der Haushaltskonsolidierung vorweisen. Der
dritte wichtige Punkt ist, dass unsere Unternehmungen
gut aufgestellt sind. Sie sind im weiten Durchschnitt bes-
ser mit Eigenkapital versorgt, als es vor etlichen Jahren
der Fall war. Vor allen Dingen sind sie so gut am Markt
aufgestellt, dass sie diese Krise überwinden können. Ich
meine, dass diese Faktoren ganz entscheidend zum Auf-
bruch und zum Aufschwung in den vergangenen Jahren
beigetragen haben. Die Unternehmungen werden in der
großen Mehrheit selbst Wege finden, wettbewerbsfähig
aus der Rezession hervorzugehen.

Eine Katastrophe haben wir nicht, wohl aber wirt-
schaftlich schwierige Zeiten. Wer von einer Katastrophe
spricht, der zerstört den Optimismus, den wir brauchen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir einen guten Weg einge-
schlagen haben, um gestärkt aus dieser Phase herauszu-
gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen die Finanz- und Wirtschaftskrise vor al-
len Dingen mit den bewährten Mitteln der sozialen
Marktwirtschaft lösen, die uns einen fast unvergleichli-
chen Wohlstand bei gleichzeitiger sozialer Sicherheit ge-
bracht haben. Natürlich müssen darüber hinaus die Fi-
nanzmärkte mit neuen Regeln versehen werden;


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Ja!)


die Bundesregierung ist dabei, hier im internationalen
Konzert ihren Beitrag zu leisten.

Ich darf zum Abschluss noch einmal den Bundesprä-
sidenten zitieren, der heute in dem schon erwähnten Ar-
tikel in der Bild-Zeitung sagt:

Es geht um eine Marktwirtschaft, die sich weltweit
an Solidarität und Verantwortung bindet, ohne die
Kraft von Markt und Preis und Wettbewerb auszu-
schalten. Es geht um einen Kapitalismus mit
menschlichem Antlitz. Dazu kann unser Land einen
guten Beitrag leisten. Dann geht Deutschland ge-
stärkt aus der Krise hervor.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620000100

Das Wort hat nun der Kollege Ernst Burgbacher,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1620000200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst, Herr Minister Glos, möchte ich Ihnen ein Lob
aussprechen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Ja, Herrn Minister Glos. – Anders als Ihre SPD-Vor-
gänger versuchen Sie nicht, die Wachstumsprognosen
ständig politisch schöner zu machen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Sie haben uns im Aufschwung realistische Werte vorge-
legt. Sie tun das auch im Abschwung. Das halten wir für
ein gutes Vorgehen, das man auch ausdrücklich anerken-
nen darf.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ob das allerdings für die Beschäftigungszahlen zu-
trifft, ist die Frage. Man kann eigentlich nur hoffen, dass
die Werte eintreten, die Sie prognostizieren. Wir sind da
allerdings skeptisch; möglicherweise bekommen wir
doch eine andere Entwicklung. Aber wir hoffen mit Ih-
nen. Wir müssen alle gemeinsam hoffen, dass wir das
Problem im Griff behalten. Ich stimme Ihnen ausdrück-
lich zu: Es macht überhaupt keinen Sinn, sich jetzt mit
schlechten Raten zu überbieten und alles noch schlechter
zu reden. Ein Stück Optimismus ist angesagt. Darin
stimmen wir überein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Früher war der Jahreswirtschaftsbericht der wirt-
schaftspolitische Kompass der Bundesregierung. Das ist
dieses Mal leider nicht der Fall. Dieser Jahreswirt-
schaftsbericht ist eigentlich nur eine konjunkturpoliti-
sche Bestandsaufnahme. Das halten wir ausdrücklich für
falsch. Es gibt ein englisches Wort, das sinngemäß lautet:
Wenn Sie nicht über die Zukunft nachdenken, können Sie
keine haben. – Das trifft hier sehr stark zu. Deshalb brau-
chen wir einen wirtschaftspolitischen Kompass für
dieses Land. Den haben Sie, Herr Minister, leider nicht
vorgelegt.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben selbst davon gesprochen – das wird auch
im Bericht erwähnt –, dass der private Konsum die deut-
sche Wirtschaft stützen muss. Das ist ja richtig; nur,
meine Damen und Herren: Wer 20 Steuer- und Abgaben-
erhöhungen in drei Jahren beschließt, der kann nicht er-
warten, dass die Binnennachfrage in Schwung kommt.


(Beifall bei der FDP)


Selbst der Chefwirtschaftsweise der Bundesregie-
rung, Bert Rürup, stellt fest – ich zitiere –:
Andererseits ist der private Verbrauch bei uns seit
Jahren flach wie ein Brett. Den Export können wir
nicht stimulieren, also bleibt uns nur die Binnen-
nachfrage.

Aber Sie tun viel zu wenig, um die Binnennachfrage
anzukurbeln. Wenn wir sie tatsächlich stützen wollen,
dann müssen wir die Menschen jetzt entlasten. „Mehr
Netto vom Brutto“ muss jetzt gelten. Das ist das Wich-
tigste. Da ist bei Ihnen leider weitgehend Fehlanzeige.


(Beifall bei der FDP)


Wir fordern steuerliche Entlastungen. Wir wieder-
holen immer wieder: Das Allermindeste wäre doch jetzt,
dass Sie die für 2010 geplanten Entlastungen vorziehen.
Was unser Land unbedingt braucht, ist ein einfaches und
gerechtes Steuersystem mit niedrigen Tarifen. Das wird
im Mittelpunkt der FDP-Forderungen stehen, weil das
das Entscheidende für die Bürgerinnen und Bürger unse-
res Landes ist.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, wir müssen in der Ent-
wicklung Deutschlands seit 1998 eine ganz gefährliche
Diskrepanz feststellen. Auf der einen Seite hat die große
Mehrzahl der Unternehmen die guten Jahre genutzt, um
Betriebsabläufe zu optimieren und die Kostenstrukturen
grundlegend zu verbessern und gehört damit in ihrer
Wettbewerbsfähigkeit weltweit zur Spitzengruppe. Ge-
rade jüngste Untersuchungen bestätigen dies eindrucks-
voll, übrigens auch die Tatsache, dass wir über Jahre hin-
weg Exportweltmeister sind. Auf der anderen Seite
steht eine weitgehend verfehlte Wachstums- und Re-
formpolitik. Die Einführung von Mindestlöhnen in wei-
teren fünf Branchen sowie die geplante Änderung des
Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedin-
gungen gerade in dieser Woche sind ein trauriger aktuel-
ler Beleg für diese verfehlte Wachstums- und Reform-
politik.


(Beifall bei der FDP)


Auch die Unternehmensteuerreform mit ihren kosten-
treibenden Elementen – das werden Sie im Augenblick
vermehrt hören – geht gerade in konjunkturschwachen
Zeiten häufig an die Unternehmenssubstanz. Nimmt
man die Erbschaftsteuerreform dazu, die besonders Fa-
milienunternehmen erheblich belastet, dann zeigt sich:
Unter dem Strich ist die Wachstums- und Reformpolitik
verfehlt. Der Vorwurf, den wir Ihnen machen, lautet: Sie
haben in guten Zeiten in keiner Weise für schlechte Zei-
ten vorgesorgt, sondern Sie haben das Geld weiter aus-
gegeben. Herr Minister Glos, es stimmt ja nicht, dass Sie
ausgeglichene Haushalte vorgelegt haben. Trotz erheb-
lich höheren Steueraufkommens haben Sie in guten Zei-
ten noch einen Haushalt mit über 10 Milliarden Euro
neuen Schulden vorgelegt. Das geht nicht. Das ist eine
falsche Politik.


(Beifall bei der FDP)


Das, meine Damen und Herren, ist auch eine unserer
größten Sorgen. Wir brauchen mehr Entlastung. Das ist
richtig. Aber Sie nehmen jetzt eine ganze Menge Geld in
die Hand, um in ganz verschiedenen Bereichen Maßnah-






(A) (C)



(B) (D)


Ernst Burgbacher
men zu ergreifen. Sie begeben sich damit in eine Ver-
schuldung, die zu einer schweren Hypothek für die Zeit
des Aufschwungs wird. Wir haben schon heute fast
1,6 Billionen Euro Schulden. Seit zwei Jahren versuchen
wir in der Föderalismuskommission – ich selbst bin Mit-
glied –, strenge Schuldengrenzen zu finden.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber nicht alle!)


Was machen Sie jetzt? Alle Dämme reißen. Sie begeben
sich in eine zusätzliche Verschuldung. Ich frage Sie: Wer
soll diese noch beherrschen? Deshalb ist es unabdingbar
– das muss uns gelingen –, strengere Schuldengrenzen
einzuziehen. Das gebietet der Respekt vor den kommen-
den Generationen. Das gebietet aber auch die Sorge um
die Zukunft unseres Landes insgesamt.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen. Sie haben ein breites Spektrum vorge-
legt und gehen jetzt auf einzelne Branchen ein. Ich frage
Sie: Ist das wirklich der richtige Weg? Was ist eigentlich
mit den anderen Branchen? Wenn das verfügbare Ein-
kommen weiter zurückgeht, wenn die Binnennachfrage
weiter zurückgeht, dann wird es beispielsweise im wich-
tigen Bereich Tourismus und Gaststätten große Pro-
bleme geben. 2,8 Millionen Menschen verdienen in die-
sem Bereich ihr Brot. Werden wir auch denen helfen?

Es gibt nur eines, was wir jetzt tun müssen: die Bür-
gerinnen und Bürger entlasten, strenge Schuldengrenzen
einziehen. Wir sagen Ihnen zu: Was vernünftig ist, wird
von uns unterstützt; was falsch ist, wird genauso hart kri-
tisiert. Das ist unsere Rolle, die wir in hoher Verantwor-
tung vor den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
wahrnehmen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620000300

Ludwig Stiegler ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1620000400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede

des Kollegen Burgbacher hat wieder einmal gezeigt, wie
gut es ist, dass die FDP in diesen schwierigen Zeiten
nicht regiert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist arrogant!)


Die Weltwirtschaft ist durch das Befolgen liberaler
Prinzipien in die jetzige katastrophale Lage geraten.
Herr Burgbacher, gehen Sie in die Bibliothek und leihen
Sie sich von Keynes The End of Laissez-Faire aus. Dann
werden Sie sehen: Es ist schon früher erkannt worden,
dass man in schwierigen Zeiten nicht alles laufen lassen
kann. Bevor Sie wieder eine Steuerorgie veranstalten, le-
sen Sie die Ausführungen von Dominique Strauss-Kahn
vom Internationalen Währungsfonds,


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


in denen er deutlich gemacht hat, dass Steuersenkungen
in diesen Zeiten weitaus weniger bewirken als aktive
Maßnahmen wie Investitionen und Förderung von
Wachstum und Beschäftigung.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, dieser Jahreswirtschafts-
bericht zeigt eine jähe Wende an. Erinnern wir uns zu-
rück: Vor einem Jahr haben wir hier oft noch viele
Selbstgefälligkeiten über die Entwicklung der Weltwirt-
schaft und die Entwicklung unserer Wirtschaft hören
können. Die Frühwarnsignale wollte damals niemand
zur Kenntnis nehmen, obwohl es sie auch damals schon
gab.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Auch Steinbrück nicht!)


Wir lernen jetzt, dass mit des Geschickes Mächten kein
ewiger Bund zu flechten ist und wir allein mit dieser jä-
hen Wende fertig werden müssen.

Wir sollten uns an einem Tag wie dem der Debatte
des Jahreswirtschaftsberichts auch mit unserer Progno-
sefähigkeit auseinandersetzen. Ich denke in diesem Zu-
sammenhang zum Beispiel daran, dass die allermeisten
unserer Institute schöne Prognosen gemalt haben, aber
damit weit hinter der Kurve lagen. Ausgerechnet die
vom Weltwirtschaftsforum in Davos haben schon im Ja-
nuar gewarnt, und der Internationale Währungsfonds
hat, beschimpft von vielen, im April und dann wieder im
September sowie im Oktober – das wird auch jetzt im
Januar wieder so sein – die Realität aufgezeigt. Ich
denke, hieraus müssen wir Schlussfolgerungen ziehen.

Die Gemeinschaftsdiagnose muss überprüft werden.
Das Modell ist wohl nicht stimmig. Der Sachverständi-
genrat lag hinter der Kurve; sogar bei seinem Worst-
Case-Szenario lag er weit hinter der Kurve. Offenbar
fehlt unseren Prognostikern die internationale Sicht der
Dinge. Offensichtlich sind die Modelle nicht richtig kali-
briert, und die internationale Zusammenarbeit der Wis-
senschaftler ist noch ausbaubar.

Daraus sollten wir auch Schlussfolgerungen für
Deutschland ziehen. Wir müssen Strukturen aufbauen,
die in der neuen Weltsituation die Lage der Weltwirt-
schaft stärker im Blick haben und besser überwachen
können. Wir müssen mit der OECD, dem IMF und vor
allem auch der Weltbank kooperieren, um uns ein Bild
von der Lage in der ganzen Welt machen zu können; wir
dürfen nicht nur einen nationalen oder europäischen
Blick haben. Wir müssen Antworten in Bezug auf den
von der Bundesbank in ihrem Monatsbericht Dezember
2008 mit 85 Prozent angegebenen Offenheitsgrad unserer
Volkswirtschaft geben. Keine Volkswirtschaft der Welt ist
– sowohl durch Importe als auch durch Exporte – derart
mit der Weltwirtschaft verbunden wie unsere. Man
könnte die deutsche Wirtschaft fast als Derivat der Welt-






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
wirtschaft bezeichnen; denn wir sind eine Funktion der
weltwirtschaftlichen Entwicklung.

Das erfordert andere institutionelle Antworten von-
seiten der Bundesregierung. Bei den Forschungsinstitu-
ten sowie beim Sachverständigenrat muss insbesondere
der internationale Sektor ausgebaut werden. Ich hoffe,
dass im Rahmen der Nachbesetzung nach dem Ausschei-
den von Herrn Rürup jemand dazukommt, der dazu bei-
trägt, dass die internationalen Zusammenhänge besser
abgebildet werden, als sie im jetzigen Mix des Rates ab-
gebildet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir müssen die internatio-
nale und die europäische Zusammenarbeit erweitern und
verbessern. Niemand kommt aus dieser Krise alleine
heraus. Schon Helmut Schmidt hat uns in seinem Büch-
lein gelehrt, dass die Weltwirtschaft unser Schicksal ist.
Niemand darf glauben, er könne sich auf Kosten seines
Nachbarn einen Exit aus den Schwierigkeiten leisten.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir eine solidari-
sche Zusammenarbeit in Europa – vor allem mit den
Staaten Mittel- und Osteuropas, die unter der Lage ganz
besonders leiden –, aber auch mit der Dritten Welt. Des-
halb finde ich es gut, dass das Konjunkturprogramm der
Bundesregierung dank Heidemarie Wieczorek-Zeul auch
in diese Richtung ein Signal gesetzt hat. Das zeigt, dass
wir in der Krise nicht nur auf uns schauen, sondern auch
sehen, wie es den anderen geht; denn wir wissen, dass
wir aus der Krise nur gemeinsam wieder herauskommen
können.


(Beifall bei der SPD)


Die Erweiterung der G 7 auf die G 20, die immerhin
85 Prozent der Weltwirtschaft abbilden, unterstützen wir
sehr. Dies muss eine dauerhafte Einrichtung sein, nicht
nur bei der Neuregulierung der Finanzmärkte, sondern
auch in einer abgestimmten Wirtschaftspolitik. Auch das
erfordert institutionelle Vorkehrungen: dass man sich
kennt, dass in der Wissenschaft zusammengearbeitet
wird, dass die Politik aufeinander bezogen ist.

Wir müssen alle miteinander den Internationalen
Währungsfonds stärken, der als Einziger eine Welt-
übersicht hat und als Einziger auch denen eine Stimme
gibt – und immer mehr geben muss –, die im Chor der
Weltwirtschaft bisher keine Stimme haben. Nur auf diese
Weise können wir aus der Krise herauskommen.

Wir müssen eines lernen: Die Überschussländer müs-
sen mehr tun als die Defizitländer.


(Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Das gilt für China, für Japan und auch für Deutschland.
Wir können nicht sagen: Das geht uns nichts an; wir ha-
ben unsere Überschüsse. – Nein, wir müssen hier zusam-
menarbeiten.

Meine Damen und Herren, als Erstes steht die Konso-
lidierung des Bankensystems an. Ohne Konsolidierung
der Finanzwirtschaft gibt es keine Erholung der Welt-
wirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das haben wir inzwischen wohl gelernt. Im Rahmen der
Diskussionen um die Amtseinführung von Herrn
Geithner in den USA ist deutlich geworden, dass es an-
dernorts ebenso gesehen wird.

Dies müssen wir oft auch unserer Bevölkerung erklä-
ren. Es geht nicht darum, dass wir Aktionäre oder
Bankvorstände retten. Ohne das öffentliche Gut einer
funktionierenden Finanzwirtschaft mit einer ordentli-
chen Kreditversorgung werden wir nicht aus der Krise
herauskommen. Das ist die wichtigste und drängendste
Aufgabe, die in den nächsten Wochen und Monaten vor
uns liegt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu gehört die Kontrolle des Verhaltens von Vor-
ständen. Ich bin dankbar, dass der Kollege Poß mit sei-
nen Kollegen von der CDU/CSU gestern eine Verständi-
gung über Managergehälter erzielt hat. Es gab falsche
Anreize auf der Mikroebene, die zu Kurzfristigkeit und
zu einer übersteigerten Risikofreudigkeit geführt haben.
Denn das Risiko musste von den Managern nicht selber
getragen werden, sondern es gab andere, die das getan
haben. Die Boni mitnehmen und den Mist den anderen
überlassen: All das muss ein Ende haben.


(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])


Diese Entwicklung muss übrigens auch in der Wis-
senschaft nachgearbeitet werden. Die verfluchte Princi-
pal Agent Theory besagte: Ihr müsst die Manager am
goldenen Zügel führen, damit sie die Aktionärswünsche
befriedigen. Wenn die Aktionäre viel bekommen, dann
bekommen auch die anderen viel. – Wir haben schon im-
mer kritisiert, dass die Arbeitnehmerinteressen und die
Standortinteressen mit Blick auf die Zukunft zu kurz
kommen. Das muss jetzt bei den Reformen gründlich ge-
ändert werden. Die Leistung eines Managers darf nicht
an der Jahresperformance, sondern muss daran gemes-
sen werden, ob das Unternehmen auch noch Jahre später
Gewinne erwirtschaftet und seine Leute beschäftigen
kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist die Mikroebene. Aber auch auf der Makro-
ebene müssen wir mithelfen, dass die Banken wieder in
der Lage sind, Kredite auszureichen. Wir appellieren an
die Banken, dass sie die Angebote der Förderbanken
vom Bund und von den Ländern annehmen. Den meisten
von Ihnen wird es so gehen wie mir, nämlich dass Fir-
men anrufen und sagen: Die Banken wissen nichts von
entsprechenden Bundesprogrammen. – Dabei hat die
Bundeskanzlerin schon letztes Jahr gesagt, dass ab
1. Dezember Anträge gestellt werden können. Es kann
nicht sein, dass sich die Banken vor ihrer Verantwortung
drücken. Wir müssen den Firmen jetzt die Möglichkeit
geben, diese schwierige Phase zu überbrücken. Wenn
der Bund einen großen Teil der sorgfältig geprüften Risi-






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
ken übernimmt, dann sollten Möglichkeiten zur Kredit-
aufnahme auch angeboten werden. Das ist die öffentli-
che Aufgabe des Bankensystems.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen unsere Wirtschaft wieder ins Gleichge-
wicht bringen. Wenn wir die Kriterien des Stabilitäts-
und Wachstumsgesetzes zugrunde legen, dann müssen
wir sagen, dass die Wirtschaft schon einige Zeit aus dem
Gleichgewicht ist. Ich habe bereits auf die laufenden ho-
hen Überschüsse hingewiesen. Wir haben lange Zeit von
der Außenwirtschaft gelebt. Wir erleben nun, dass wir
von dieser Gleichgewichtsstörung heimgesucht wer-
den. Diesen Punkt müssen wir angehen. Wir können uns
nämlich nicht darauf verlassen, dass wir auf Dauer von
hohen Überschüssen leben können. Ich greife das Bild
des Wirtschaftsministers auf: Wir haben ein Außenwirt-
schaftsbein mit starken Muskeln, in dem es jetzt einen
Krampf gibt. Wir haben aber ein nur sehr schwach ent-
wickeltes Binnenwirtschaftsbein. Durch unsere Maßnah-
men muss die Binnenwirtschaft gestärkt werden; ansons-
ten geht die ganze Veranstaltung schief.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Warum tun Sie es dann nicht?)


Lassen Sie uns deshalb dafür sorgen, dass die Binnen-
wirtschaft aufholt.

Der Bauwirtschaftsindex ist von 100 im Jahr 2000 auf
70 heute abgesackt. Da gibt es noch riesige Spielräume.
Es gibt auch noch große Spielräume bei der Bildung, bei
der Umwelt, bei Forschung und Entwicklung und bei
den sozialen Diensten.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das ist aber nicht ganz neu!)


Wir müssen uns auch die Anteile der verschiedenen
Gruppen am Volkseinkommen ansehen. 2008 ist der Ar-
beitnehmeranteil erstmals wieder gestiegen. Herr
Burgbacher, gerade mit Mindestlöhnen werden wir dafür
sorgen, dass die Arbeitnehmeranteile am Volkseinkom-
men weiter steigen. Das ist die geeignete Maßnahme für
mehr Nachfrage und für mehr Massenkaufkraft. Diese
Aufgabe liegt vor uns.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen aufpassen, dass die Disinflation – so die
Bezeichnung der Europäischen Zentralbank – nicht zu
einer Deflation führt. Da gibt es noch viele Beschwichti-
gungsversuche. In diesem Zusammenhang denke ich
manchmal an Biedermann und die Brandstifter von Max
Frisch. In diesem Roman haben die Hauptpersonen im-
mer beschwichtigt, um dann hinterher überrascht zu
sein. Deshalb ist es gut, dass die Europäische Zentral-
bank und die anderen Zentralbanken der Welt ihre Auf-
gabe wahrnehmen.

Wir müssen uns auch um einen hohen Beschäfti-
gungsstand kümmern. Deshalb heißt die sozialdemokra-
tische Devise: qualifizieren statt entlassen. Das ist die
Botschaft an die Unternehmen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine Menge Instrumente. Wir haben in
Deutschland automatische Stabilisatoren, wie es sie
sonst nirgendwo in der Welt gibt. Da sind zum Beispiel
der niedrige Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung,
das Abschmelzen der Reserven und die Bundesgarantie.
Das sind bedeutsame Stabilisatoren für das Wachstum
der Wirtschaft. Diese sollten wir aufrechterhalten. Herr
Burgbacher, ich bin dankbar dafür, dass der Finanzmi-
nister im Gegensatz zu Ihnen zu diesen automatischen
Stabilisatoren steht.

Wir müssen die fallenden Energie- und Rohstoff-
preise nutzen, weil dadurch die Massenkaufkraft ge-
stärkt wird – das ist ein gewaltiger Impuls –, und wir
müssen die diskretionären Maßnahmen angehen. Ich
meine die 80 Milliarden Euro. Das sind aber nur die di-
rekten Effekte. Wenn man auch die Multiplikatoren be-
rücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass eine
Reihe weiterer Impulse zu erwarten ist.

Ich denke, die deutschen Maßnahmen können sich im
europäischen und im weltweiten Kontext sehen lassen.
Wir werden damit auch den Anforderungen des Interna-
tionalen Währungsfonds gerecht. Wir müssen uns immer
klar darüber sein, dass es nicht nur um uns geht, sondern
auch um unsere europäischen Nachbarn und um unsere
Partner in der Welt. Denen, die saudumm daherreden
und sagen, von der Abwrackprämie profitierten auch die
Hersteller ausländischer Fahrzeuge, sage ich: Ein Land,
das von der Weltwirtschaft abhängig ist, kann nicht sol-
che protektionistischen Sündenfälle begehen. Wir sind
Welthändler, und wir bleiben der Weltwirtschaft gewo-
gen, auch wenn wir jetzt schwerpunktmäßig unsere Bin-
nenwirtschaft stärken müssen.


(Beifall bei der SPD)


Die Frage ist: Geht man pessimistisch oder optimis-
tisch an die Sache heran? Ich bin dafür, dass man realis-
tisch bleibt. Obama hat den Amerikanern eine sehr nüch-
terne Bilanz präsentiert, am Ende aber Hoffnung
gemacht, dass man es miteinander schaffen kann. Ich
denke, nach einer ernüchternden Analyse und drasti-
schen Maßnahmen können wir gemeinsam den Weg zu
einer Erholung bahnen.

Wenn ich die jetzige Situation zum Beispiel mit der
Zeit der großen Depression vergleiche, ist es für mich
tröstlich, dass die Staaten heute zur Zusammenarbeit be-
reit sind. Deutschland ist nicht Objekt, sondern Subjekt
und ein wichtiger Akteur in dieser Auseinandersetzung.
Die Europäische Union ist eine starke Gemeinschaft.
Wir werden durch entschiedenes gemeinsames Handeln
und nicht durch liberales Laisser-faire aus der Krise he-
rauskommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620000500

Das Wort hat nun der Kollege Oskar Lafontaine,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620000600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich kann den Ausführungen des Kollegen Stiegler
zustimmen. Was er hier vorgetragen hat, ist im Grund-
satz richtig und wird von meiner Fraktion unterstützt.

Die erste Aussage war, dass die jetzige Krise ohne
eine Regulierung der Finanzmärkte nicht zu bewälti-
gen ist. Dieser Aussage kann man ohne Einschränkung
zustimmen. Die Frage ist nur: Was hat unsere Bundesre-
gierung bisher getan, um die Regulierung der Finanz-
märkte voranzubringen? Für meine Fraktion muss ich
feststellen, dass die Bundesregierung an dieser wichti-
gen Stelle, bei der Herausforderung, die diese wichtige
Aufgabe darstellt, völlig versagt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie hat bisher keinerlei Maßnahmen auf den Weg ge-
bracht, mit denen sie eine Regulierung der Finanzmärkte
ernsthaft angeht.

Da ein solcher Vorwurf, wenn er von Vertretern der
Oppositionsfraktionen vorgetragen wird, als Gerede ab-
getan wird, zitiere ich hier den ehemaligen Bundeskanz-
ler Helmut Schmidt, der dazu in einem bemerkenswerten
Aufsatz Stellung genommen hat. Er sagt zu den Maß-
nahmen, die bisher gehandelt werden:

Allerdings sind die meisten der prinzipiell richtigen
Punkte unscharf und deshalb sehr auslegungsfähig
formuliert.

Das trifft genau den Kern.

Vor allem aber hat sich keine der beteiligten Regie-
rungen

– also auch die deutsche Regierung nicht –

in bindender Weise festgelegt. Keines der vorhan-
denen internationalen Organe ist mit der Verwirkli-
chung der zahllosen Absichtserklärungen beauf-
tragt worden.

Damit analysiert er die Situation sehr genau. Wir ha-
ben seit Monaten Kenntnis von den verheerenden Aus-
wirkungen der Deregulierung auf den Finanzmärkten.
Warum tut diese Regierung nichts, um die Finanzmärkte
zu regulieren? Wir verstehen das einfach nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben hier immer wieder einen ganzen Katalog
mit Forderungen vorgelegt. Drei Kernforderungen
möchte ich hier in Erinnerung rufen:

Erstens. Wenn man jetzt etwas besser machen will,
muss man sicherstellen, dass große Risiken nicht in
Zweckgesellschaften versteckt oder nicht in der Bilanz
ausgewiesen werden. Das ist eine pure Selbstverständ-
lichkeit. Warum wird eine entsprechende Verordnung
oder ein entsprechendes Gesetz nicht erlassen? Das ist
doch niemandem mehr vermittelbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie den Banken weiterhin Milliarden über den so-
genannten Bankenrettungsschirm geben, aber nicht si-
cherstellen, dass diese Milliarden nicht irgendwo ver-
schwinden, dann ist das eine Veruntreuung von
Milliarden Steuergeldern, der Sie sich hier schuldig ma-
chen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage: Das tun Sie. In den letzten Monaten haben Sie
Milliarden von Steuergeldern veruntreut.

Zweitens haben wir vorgeschlagen, dass die soge-
nannten Schrottpapiere in Zukunft verboten werden. Es
kann nicht sein, dass weiterhin Verbriefungen in der bis-
herigen Form in Deutschland gehandelt werden. Es kann
auch nicht sein, dass beispielsweise Kreditversicherun-
gen in bisheriger Form in der ganzen Welt, aber auch in
Deutschland gehandelt werden.

Der dritte Vorschlag, den wir Ihnen gemacht haben
– ich greife nur drei von zehn oder zwölf unserer Vor-
schläge zur Regulierung der Finanzmärkte auf –, ist, die
Steueroasen trockenzulegen. Ohne das Trockenlegen der
Steueroasen laufen Sie Gefahr, dass die von Ihnen zur
Verfügung gestellten Milliarden in diesen Oasen landen.
Das können Sie doch nicht ernsthaft verantworten.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil Vorschläge der Opposition regelmäßig abgelehnt
werden, haben wir uns erlaubt, diese drei Punkte, die
praktisch deckungsgleich mit den Vorschlägen des ehe-
maligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt sind, die er
kürzlich in einem Aufsatz genannt hat, aufzugreifen und
Ihnen in unserem Entschließungsantrag zur Abstimmung
vorzulegen. Wir sind gespannt, wie Sie darauf reagieren.
Ich sage hier nur eines: Diese Vorschläge sind konkreter
und besser als alles, was bisher von dieser Bundesregie-
rung vorgelegt worden ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie würden sich selbst einen Gefallen tun, wenn Sie an
dieser Stelle zustimmen und dadurch den Maßnahmen,
die jetzt zu treffen sind, eine gewisse Richtung geben
würden.

Es ist wirklich ein Problem – man geht ja einfach zum
Alltag über –: Wer in der jetzigen Situation beispiels-
weise der Geschäftsbank Commerzbank oder der Dresd-
ner Bank 18 Milliarden Euro gibt – was reitet Sie eigent-
lich, die Fusion von privaten Geschäftsbanken mit
Milliarden zu finanzieren; ist das Auftrag einer Regie-
rung?, frage ich hier mal für die Fraktion Die Linke –,
noch mehr Milliarden im Risiko bei der HRE hat – ich
will das aus Zeitgründen gar nicht alles aufzählen – und
nicht sicherstellt, dass diese Milliarden nicht veruntreut
werden, handelt völlig verantwortungslos. Genau diesen
Vorwurf mache ich dieser Regierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Nächster Punkt. Herr Kollege Stiegler hat davon ge-
sprochen, dass man konjunkturell gegensteuern müsse
und insbesondere die Binnennachfrage stärken müsse.
Wer wollte dem widersprechen? Die Frage ist aber, in
welcher Form und in welchem Ausmaß man konjunktu-
rell gegensteuern muss. Man kann dankbar sein, dass
wiederum der ehemalige Bundeskanzler den Bezug her-
stellt, warum und in welcher Größenordnung man über-






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
haupt gegensteuern sollte. Er stellt nämlich einen Bezug
– dies hat bisher kein Mitglied dieser Bundesregierung
getan; wahrscheinlich kommen Sie überhaupt nicht auf
diese Idee – zwischen den Konjunkturprogrammen, die
man auflegt, auf der einen Seite und dem zu erwartenden
Einbruch auf der anderen Seite her. Auf diese Idee hätte
man nun wirklich kommen können. Denn den einfachen
Zusammenhang, dass man dann, wenn der Einbruch ge-
ring ist, keine großen Anstrengungen unternehmen muss
und dann, wenn der Einbruch größer ist, größere An-
strengungen unternehmen muss, hätte selbst eine Regie-
rung dieses Formats herstellen können. Aber bis zum
heutigen Tag ist nichts davon geschehen.

Helmut Schmidt weist in seinem Aufsatz darauf hin
– ich zitiere ihn gern, damit es nicht als Gerede der Lin-
ken abgetan wird –, dass die Vereinigten Staaten mit
6 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes konjunkturell
gegensteuern, China – das ist ein Überschussland; Herr
Kollege Stiegler, Sie haben recht mit dieser Bemerkung –
mit 20 Prozent und Japan – auch das ist ein Überschuss-
land – mit 10 Prozent, während wir – auch ein Über-
schussland – laut den Berechnungen der Commerzbank
– ich zitiere sie ausnahmsweise – weniger als 1 Prozent
pro Jahr in die Hand nehmen, um gegenzusteuern. Wel-
che Begründung gibt es für diese Größenordnung?

Wenn Sie beispielsweise den Ratschlägen von
Schmidt folgen würden, der gesagt hat, dass bei einem
Einbruch von 3 Prozent eine Gegensteuerung von min-
destens 4 bis 6 Prozent angesagt ist, dann hieße das bei
den von Ihnen genannten 2,25 Prozent – ich nehme sie
einmal zur Grundlage, obwohl ich sie nicht ernst nehme;
ich sage Ihnen das schon jetzt; ich würde solche Progno-
sen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abgeben –, dass
mindestens 3,25 bis 4,25 Prozent notwendig wären. Das
sind Größenordnungen von 100 Milliarden Euro pro
Jahr, wenn man den Ausführungen des ehemaligen Bun-
deskanzlers folgt. Dies zeigt die Dimension, mit der man
konjunkturell gegensteuern muss.

Schon vor einigen Monaten habe ich die Erklärung
des Bundesfinanzministers, man könne den Haushalt sa-
nieren, es bleibe beim Konsolidierungsfahrplan und man
habe weiter mit einer sinkenden Staatsquote in diesem
Jahr zu rechnen, als absoluten Unsinn bezeichnet; dies
sage ich hier erneut. Er hat damals gelacht. Dieses La-
chen werde ihm noch vergehen, habe ich dann gesagt.
Mittlerweile spricht er von 40 oder 60 Milliarden Euro.

Ich sage Ihnen, dass die Vorschläge, die Sie jetzt vor-
legen, völlig unzureichend sind, um den Einbruch der
Wirtschaft zu verhindern. Aufgrund Ihrer Tatenlosigkeit
sind Sie für einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosig-
keit verantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie veruntreuen nicht nur viele Milliarden Euro, sondern
sind auch für einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosig-
keit verantwortlich.

Ich komme zum letzten Punkt, den ich ansprechen
möchte – hier unterscheiden wir uns von denen, die ich
bisher zitiert habe –: zum Abbau der Ungleichge-
wichte. Es ist gut, dass Sie, Herr Kollege Stiegler, das
außenwirtschaftliche Ungleichgewicht angesprochen ha-
ben. Es machte damals durchaus Sinn, ein außenwirt-
schaftliches Gleichgewicht zu fordern. Das wurde
schließlich nicht einfach nur dahergesagt und als Forde-
rung in das Stabilitätsgesetz aufgenommen.

Allerdings haben wir uns viele Jahre lang überhaupt
nicht mehr an diese Bestimmung gehalten. Keiner der
bisher von mir Zitierten hatte den richtigen Ansatz. Es
muss zunächst einmal darum gehen, das Ungleichge-
wicht im Innern abzubauen. Denn das Ungleichgewicht
bei Vermögen und Einkommen ist die Grundlage der
Spekulation und all der verheerenden Entwicklungen auf
den Finanzmärkten.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist bedauerlich, dass selbst diejenigen, die sonst sehr
einsichtig sind, unsere Ansicht an dieser Stelle nicht tei-
len.

Jüngst wurde wieder einmal eine Statistik zur Vermö-
gensverteilung veröffentlicht. Ihr Ergebnis kann man
wie folgt zusammenfassen: Reiche werden noch reicher.
Ähnlich lautet heute eine Überschrift in der Berliner Zei-
tung. In diesem Artikel ist zu lesen, was das DIW analy-
siert hat: Die Politik trägt dazu bei, dass es auch künftig
bei einer steigenden Ungleichverteilung bleibt. Die Ab-
geltungsteuer und die Erbschaftsteuer mit den höheren
Freibeträgen konservieren die gegenwärtige Situation.

Grundlage der Finanzspekulation sind die Ungleich-
gewichte der Einkommens- und Vermögensverteilung.
Wer diese Spekulation wirklich eindämmen will, der
muss schon aus diesen technischen Gründen die Un-
gleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung
abbauen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das, was Sie mit Ihrer törichten Steuerpolitik anrich-
ten, ist allerdings nicht nur hinsichtlich der Vermögens-
verteilung verheerend. Genauso verheerend ist Ihre Steu-
erpolitik auch im Hinblick auf die Lohnentwicklung.
Herr Kollege Stiegler, an dieser Stelle muss ich eine
leichte Korrektur an dem, was Sie gesagt haben, vorneh-
men. Es ist richtig, dass die Lohnabschlüsse in den Be-
reichen, in denen es Tarifverträge gibt, im letzten Jahr
höher als üblich ausgefallen sind. Das Gesamtniveau der
Lohnentwicklung ist aber leider deutlich unterhalb der
Preissteigerungsrate geblieben. Das heißt, dass die Ar-
beitnehmer wie die Rentner und die sozial Bedürftigen
im letzten Jahr wieder einmal verloren haben. Das ist
eine verhängnisvolle Entwicklung.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das wird dieses Jahr aber anders sein!)


Solange wir diese Entwicklung nicht korrigieren, ist all
Ihr Gerede von einer Stabilisierung des Binnenmarktes
völlig daneben.


(Beifall bei der LINKEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Noch einmal: Das wird dieses Jahr anders sein!)


Vorhin wurde Herr Rürup zitiert, der festgestellt hat,
dass im Hinblick auf den Binnenmarkt schwere Ver-






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
säumnisse aufgelaufen seien. Dazu muss ich sagen: Er
und sein Sachverständigenrat sind dafür doch mitverant-
wortlich. Wer hat denn jahrelang den Quatsch von der
Lohnzurückhaltung, die uns jetzt große Probleme macht,
gepredigt?


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sagen, dass Sie sich eine andere Zusammenset-
zung des Sachverständigenrates erhoffen. An dieser
Stelle möchte ich etwas hinzufügen: Ich hoffe, dass es
auch einmal ein Mitglied des Sachverständigenrates ge-
ben wird, das der Finanzwirtschaft finanziell nicht so
stark verbunden ist, um das einmal vornehm und zurück-
haltend zu formulieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen:

Erstens. Wenn man eine adäquate Antwort auf die ge-
genwärtige ökonomische Krise geben will, dann muss
man mit der Reregulierung der Finanzmärkte beginnen.
Sie ist die Conditio sine qua non. Sonst läuft überhaupt
nichts. Leider hat die Regierung an dieser Stelle völlig
versagt.

Zweitens. Wenn man angesichts der Krise konjunktu-
rell gegensteuern will, muss man eine Messziffer zu-
grunde legen. Wir haben gesagt: Bei einem erwarteten
Rückgang um 2,25 Prozent ist ein Konjunkturprogramm,
das nach den Berechnungen von Geschäftsbanken einen
geringeren Umfang als 1 Prozent des BIP hat, völlig un-
zureichend.

Drittens. Wenn man die jahrzehntelangen Fehlent-
wicklungen ernsthaft stoppen will, dann muss man end-
lich darangehen, die Vermögens- und Einkommensver-
teilung zu verändern und in Deutschland mehr soziale
Gerechtigkeit zu verwirklichen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620000700

Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae,

Bündnis 90/Die Grünen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620000800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir befinden uns in einer historisch neuen Si-
tuation: Wir haben eine Banken- und eine Wirtschafts-
krise gleichermaßen, die sich nicht mehr nur auf Teil-
märkte, sondern auf die Weltwirtschaft beziehen. Inso-
fern ist es richtig, wenn angemerkt wird, dass wir mit
Prognosen sehr vorsichtig sein müssen. Wenn allerdings
der Bundeswirtschaftsminister bei uns im Ausschuss er-
klärt, dass auch er jetzt etwas vorsichtiger ist und lieber
von minus zweieinviertel anstatt von minus 2,25 Prozent
spricht, dann weiß ich nicht wirklich, ob er das alles ver-
standen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es geht uns nicht um einen Wettbewerb um die
schlechtesten Zahlen und um das größte Katastrophen-
szenario. Es geht uns vielmehr darum, eine realistische
Einschätzung vorzunehmen und substanzielle Vor-
schläge zu machen. Genau das verlangen wir von einem
Wirtschaftsminister: zur rechten Zeit handeln und eine
klare Perspektive aufzeigen, aber vor allem auch eine
klare Vorstellung entwickeln, wie die Wirtschaft nach
dieser Krise aufgestellt sein muss, wie die Wirtschaft
stärker und sicherer wird, um so weniger abhängig von
Schwankungen zu werden. Hierfür brauchen wir einen
Wirtschaftsminister, der eine Vision hat. Das aber ver-
misse ich außerordentlich bei Wirtschaftsminister Glos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Burgbacher, Sie haben ihn für seine realistischen
Einschätzungen gelobt.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist auch so!)


Sie waren bei der Debatte zum letzten Jahreswirtschafts-
bericht nicht dabei. Dort haben wir Folgendes gehört:
Deutschland bleibe auf Wachstumskurs. Der Aufschwung
komme bei den Menschen an. Die Reformen der Bun-
desregierung würden sich auszahlen. – Das war vor ei-
nem Jahr. Schon vor einem Jahr hat aber der Sachver-
ständigenrat erklärt, es gebe Risikoszenarien hinsichtlich
eines Minuswachstums. Vor einem Jahr jedoch hat die
Bundesregierung einen Haushalt entworfen, der auf
komplett falschen Wachstumszahlen beruhte. Ich kann
nicht sagen, dass die Bundesregierung mit den Zahlen
sinnvoll umgegangen ist. De facto hat sie schon damals
Schönfärberei betrieben und die Zeichen der Zeit nicht
erkannt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was wäre damals wichtig gewesen? Wichtig wäre es
gewesen, beherzt Strukturreformen anzugehen. Was ha-
ben Sie in der Zeit gemacht, in der Sie vom konjunktu-
rellen Aufschwung über eine lange Zeit wirklich profi-
tiert haben, in der die Reformen, die Rot-Grün gemacht
hat, gewirkt haben? In dieser Zeit haben Sie leere Ver-
sprechungen gemacht und ungedeckte Schecks ausge-
stellt. Sie haben die Rente ein bisschen erhöht und das
Arbeitslosengeld I ein wenig aufgestockt. All das sind
ungedeckte Schecks. Die Steuereinnahmen waren hoch.
Aber Sie haben nicht gespart und keine Vorsorge für
schlechtere Zeiten getroffen. Sie haben damals eine kata-
strophal schlechte Wirtschaftspolitik gemacht. Das rächt
sich leider heute.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was machen Sie jetzt? Sie legen im Dezember und im
Januar hektisch Konjunkturpakete in einer Größenord-
nung von 80 Milliarden Euro auf. Gleichzeitig erklärt
der Finanzminister, von diesen 80 Milliarden Euro er-
warte er einen Wachstumsschub von 0,5 bis 0,8 Prozent.
Bei 80 Milliarden Euro, die Sie kreditfinanziert aufneh-
men müssen, ein Wachstumsvolumen von 0,8 Prozent zu
benennen – das ist mager, das ist katastrophal. Wir
Grüne sagen: Wenn Sie schon so tief in die Tasche grei-
fen müssen, wenn Sie schon den Schuldenberg noch
weiter erhöhen müssen, wenn Sie zukünftige Generatio-
nen so stark belasten müssen, dann müssen Sie mit die-
sen Maßnahmen einen Mehrwert schaffen. Sie müssen






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
wirklich Rendite für zukünftige Generationen erreichen
und entsprechende Investitionen tätigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die zentrale Anforderung an jedes Konjunk-
turpaket. Was aber machen Sie? Sie machen Klientelpo-
litik. Man kann ganz klar erkennen, wie sich die Große
Koalition geeinigt hat: Zwei Drittel der Ausgaben gehen
drauf für ein bisschen hier und ein bisschen dort. Man
kann ziemlich genau erkennen, wer sich wo durchgesetzt
hat.

Ein Beispiel ist der Kinderbonus von 100 Euro. Wer
von uns Kinder hat, fragt sich: Was sollen diese
100 Euro pro Kind, unabhängig davon, wie hoch das
Einkommen ist? Damit verbrennen Sie nur Geld. Sie ge-
ben Geld aus, ohne eine effektive Wirkung zu erzielen.
Schließlich ist völlig unklar, wie die Menschen das Geld
ausgeben werden. Wenn jemand seinem Kind einen
Anorak oder ein Paar Schuhe kaufen will, dann wird er
das tun – 100 Euro hin oder her.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wollen den Eltern vorschreiben, was sie damit machen!)


Wenn Sie schon Geld im Zuge eines direkten Transfers
in die Hand nehmen, dann müssen Sie das den Men-
schen geben, die wenig Einkommen haben. Das würde
Sinn machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE])


Ich komme nun zu dem Unsinn im Zusammenhang
mit der Abwrackprämie. Es ist wirklich irre, wenn man
sich anschaut, was Sie sich in den letzten Monaten im
Hinblick auf den Pkw haben einfallen lassen. Im ersten
Konjunkturpaket haben Sie eine Kfz-Steuerreform vor-
gesehen, die schlicht eine Steuerbefreiung für Spritfres-
ser ist. Im zweiten Konjunkturpaket sehen Sie eine Ab-
wrackprämie vor. Die Wissenschaftler, die Medien, alle
sagen: So ein Unsinn!


(Jörg van Essen [FDP]: Weshalb machen die Grünen in Hamburg mit?)


– Ich komme gleich dazu. – Als dritte Maßnahme – so
dürfen wir heute lesen – will der Bund die Kfz-Steuer
auch für große Autos senken. Drei Maßnahmen für
Pkws, drei Maßnahmen, die in dieser Form unsinnig und
rückwärtsgewandt sind. Sie haben keinen ökologischen
Kompass; das ist massiv zu kritisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für all die, die gerade gefragt haben, warum die Grü-
nen im Bundesrat zustimmen wollen. Erstens. Die Ab-
wrackprämie wird nicht im Bundesrat, sondern im Bun-
destag behandelt. Zweitens. Da wir der Großen
Koalition nicht zutrauen, dass sie in der Lage ist, dem
Steuersenkungsirrsinn der FDP etwas entgegenzusetzen,
ist es unsere Aufgabe, diesem Steuersenkungsirrsinn
nicht Tür und Tor zu öffnen. Deswegen werden wir im
Bundesrat zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine Logik! – Jörg van Essen [FDP]: Eine dünnere Begründung konnte es gar nicht geben!)


Deutschland braucht ein grünes Investitionspro-
gramm, wir brauchen Investitionen in den Klimaschutz,
wir brauchen Investitionen in Bildung, und wir brauchen
Investitionen in soziale Gerechtigkeit. Wieso machen
solche Investitionen Sinn? Weil sie die größte Multipli-
katorwirkung haben. Wenn man sich damit auseinander-
setzt, welche Maßnahmen wie viel bringen, sieht man,
dass Steuersenkungen nicht zu dem Mehrwert, den ich
beschrieben habe, führen, Investitionen dagegen schon.
Ein kreditfinanziertes Konjunkturpaket, das nicht auf
Zukunftsinvestitionen und den Strukturwandel ausge-
richtet ist, das nicht auf die Bekämpfung der Klimakata-
strophe und eine Verbesserung der Bildungschancen aus-
gerichtet ist, taugt nichts – und es verletzt zumindest
unser Gerechtigkeitsgefühl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Die Wirklichkeit sieht anders aus! Wir machen das so! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Wieso soll das Paket nicht auf Bildung ausgerichtet sein?)


Im Wirtschaftsausschuss haben wir über den Export
und die Binnennachfrage diskutiert. Ich habe den Wirt-
schaftsminister gefragt, was aus seiner Sicht die Märkte
von morgen sind. Welches sind die ungesättigten
Märkte, die wir bedienen müssen, für die wir als Indus-
trienation uns aufstellen müssen? Der Automobilmarkt
ist gesättigt. Wir müssen uns darüber klar werden, was
wir exportieren wollen, in welchen Bereichen wir for-
schen wollen und wo wir Innovationen brauchen. Die
Märkte von morgen sind die ökologischen Märkte. Da
ist es mager, dass hier in einer Debatte von einer Stunde
in keinem Redebeitrag etwas von einer Ausrichtung auf
Ökologie zu hören ist. Wir brauchen Energieeffizienz,
wir brauchen Fortschritte bei den Energietechnologien.
Die Umweltmärkte sind die ungesättigten Märkte. Hier
liegt unsere Chance als Exportnation. Es ist bezeich-
nend, dass darüber nichts zu hören war. Stattdessen wird
rückwärtsgewandt über Steuersenkungen oder über Hil-
fen für die Automobilindustrie gesprochen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Märchenerzählerei geht weiter. Wenn Sie diese
Debatte und wenn Sie die gestrige Bundespressekonfe-
renz verfolgt haben, wissen Sie, dass Wirtschaftsminis-
ter Glos für 2009 mit einem durchschnittlichen Ölpreis
von 45 Dollar pro Barrel rechnet. Im letzten Jahr ist er
von 90 Dollar ausgegangen, und selbst da lag der tat-
sächliche Preis deutlich höher. Wer von 45 Dollar pro
Barrel ausgeht, ignoriert, dass, wenn ein Gut knapp wird
– und die Ressource Öl wird knapp; denn natürlich wird
die Nachfrage wieder steigen –, der Preis steigt. Das sind
wirtschaftspolitische Implikationen, die zu kennen ich
von einem Wirtschaftsminister erwarte. Er kann nicht
einfach nur sagen: Der durchschnittliche Ölpreis wird
bei 45 Dollar pro Barrel liegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
Was wir brauchen, sind Strukturprogramme. Wir
brauchen die Bürgerversicherung, eine Krankenversi-
cherung, in die alle einzahlen, egal wie hoch ihr Einkom-
men ist, damit es aufhört, dass Solidarität nur zwischen
denen mit kleinen und denen mit mittleren Einkommen
stattfindet. Solidarität muss alle betreffen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein Progressivmodell, bei dem die unteren
Einkommen entlastet werden. Wenn man konsumorien-
tiert konjunkturpolitisch agieren will, muss man vor
allem die Abgaben, die die Menschen mit niedrigen Ein-
kommen zu zahlen haben, senken. Die Abgaben flächen-
deckend, also für alle, zu senken, bringt nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die an
Zukunftstechnologien ausgerichtet ist. Fangen Sie ein-
mal an, eine Vision darüber zu entwickeln, wo es ökolo-
gisch hingehen soll. Wer sich heute ökologisch nicht
richtig aufstellt, hat morgen ökonomisch keine Chance
mehr. Das müssen Sie einmal begreifen; da müssen Sie
hin. Das müssen Sie umsetzen. In den Bereichen Ener-
gieeffizienz, Energietechnologie und Umwelttechnolo-
gie müssen Sie die ganzen Vorschläge, die sich in der
Diskussion befinden, einmal aufgreifen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das tun wir doch! Ich würde mir einmal die Programme durchlesen und anschauen!)


Sie müssen hier eine Vision und eine Vorstellung haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine klare Perspektive beim Bürokra-
tieabbau, und zwar nicht nur für die Unternehmen, son-
dern auch für die Bürgerinnen und Bürger. Wir alle sind
teilweise von einer bürokratischen Belastung betroffen.
Das ist ein völliger Wahnsinn. Auch hier brauchen wir
eine Vision und eine Vorstellung.

Schließlich brauchen wir eine Wettbewerbspolitik
– vor allem auf dem Energiemarkt –, die den Namen
verdient, und nicht einen Wirtschaftsminister, der als
Lobbyist für Kohle und Atomenergie auftritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Wenn Sie versuchen, diese Probleme
mit rückwärtsgewandter Politik zu lösen, dann schaffen
Sie es nicht. Sie müssen es schaffen, die Krisen dieser
Welt – Klimakrise und Wirtschaftskrise – im Zusam-
menhang zu sehen. Was nützt es denn, dass sich unsere
Kanzlerin und viele andere, die hier rechts von mir sit-
zen, vor eineinhalb Jahren Eisberge angeschaut und Eis-
bären gestreichelt haben, wenn sie heute davon nichts
mehr wissen wollen?


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Den Eisbär hat der Umweltminister gestreichelt!)


Die Klimakrise und die Wirtschaftskrise müssen im
Zusammenhang betrachtet werden. Für eine Politik, die
nach vorne gerichtet ist, brauchen wir vielleicht auch
neues Personal. Vor allem brauchen wir aber Visionen
und Vorstellungen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620000900

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Michael Meister

für CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1620001000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss

zunächst einmal zugestehen, dass ich heute Morgen bei
der Rede des Kollegen Lafontaine etwas gelernt habe.
Mir war bisher das enge und innige Verhältnis entgan-
gen, das Herr Lafontaine zum Altbundeskanzler Helmut
Schmidt hat. Ich habe das Verhältnis bisher nie so eng
und freundschaftlich gesehen. Deshalb habe ich heute
Morgen etwas dazugelernt. Ich hoffe, dass das auch von
Herrn Schmidt so gesehen wird.


(Volker Schneider LINKE)


Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620001100
Wahrheit bleibt Wahr-
heit!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundes-
wirtschaftsminister hat den Jahreswirtschaftsbericht
2009 vorgelegt. Ich glaube, durch die schnörkellose und
zuverlässige Art und Weise, in der das geschehen ist, ist
deutlich geworden, dass sich diese Bundesregierung in
schwierigen Zeiten, in Zeiten großer Herausforderungen,
als Anker der Stabilität und neuen Vertrauens erweist.
Dafür, dass das in dieser Weise geschieht, möchten wir
als Fraktion zunächst einmal Danke sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt die Vorhaltung, das alles komme zu spät und
sei zu wenig. Ich glaube, wir sollten angesichts der Pro-
bleme, vor denen wir stehen, vielleicht etwas Demut
entwickeln. Niemand auf dieser Welt kann belastbar vo-
raussagen, wie tief sich diese Krise noch ausdehnen
wird, und niemand kann voraussagen, wie lange sie an-
hält. Das ist auch ein Problem für diejenigen, die norma-
lerweise professionell Vorhersagen erstellen. Deshalb
sollten wir mit der notwendigen Demut an diese Proble-
matik herangehen.

Drei Dinge überlagern sich: Das Erste ist der normale
Weltkonjunkturzyklus,


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Fundamental!)


dem wir als Exportnation ausgeliefert sind, das Zweite
sind die Fehlentwicklungen und Krisenerscheinungen
auf den Finanzmärkten, und zum Dritten sind es die
Strukturprobleme in einigen Branchen. Ich nenne hier
den Automobilsektor, der nicht nur konjunkturell, son-
dern auch strukturell vor Veränderungen steht.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister
Eine solche weltweite Ballung von Problemen zu ei-
nem Zeitpunkt gab es in der Vergangenheit noch nie.
Deshalb stehen wir vor einer neuen und einmaligen He-
rausforderung. Das erfordert besondere Antworten und
einen besonders verantwortungsvollen Umgang mit die-
sen Antworten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Wann kommen die?)


Ich glaube, wir haben durch die Politik der Großen
Koalition die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Be-
wältigung dieser Situation in guter Kondition anzuge-
hen. In den vergangenen Jahrzehnten – Herr Lafontaine,
Sie haben eben dazwischengerufen; das war auch dann
so, als Sie mitregiert haben – haben wir vor jedem Ab-
schwung innerhalb des Konjunkturzyklus erlebt, dass
die Sockelarbeitslosigkeit höher als im vorhergehenden
Zyklus war. In jedem Abschwung hat sie sich noch et-
was aufgebaut. Das ist der erste Abschwung, in den wir
hineingeraten, vor dem die Sockelarbeitslosigkeit deut-
lich auf 3 Millionen Arbeitslose zurückgegangen ist. Wir
wissen jetzt, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich wie-
der mit einem Aufbau der Arbeitslosigkeit rechnen müs-
sen. Aber wir gehen von einem deutlich niedrigeren Ni-
veau aus. Das ist ein Erfolg der Politik, die wir in den
vergangenen Jahren hier gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werben jetzt darum, dass trotz des Abschwungs
möglichst wenige Menschen in die Arbeitslosigkeit ge-
hen müssen; zu diesem Zweck haben wir die Bezugs-
dauer des Kurzarbeitergeldes verlängert. Unser Ziel ist
es nicht, Menschen in Arbeitslosigkeit zu bringen; viel-
mehr wollen wir Menschen in Arbeit halten, weil wir
wissen, dass in relativ kurzer Zeit wieder viele Arbeits-
kräfte gebraucht werden und wir auf einen Facharbeits-
kräftemangel zugehen. Deshalb ist es richtig, Menschen
in Arbeit zu halten und freie Zeit für Qualifikation zu
nutzen. Dazu setzen wir nicht nur konjunkturell, sondern
nach meiner Einschätzung auch strukturell einen richti-
gen Anreiz.

Wir haben den Staatshaushalt im vergangenen und
im vorvergangenen Jahr ausgeglichen. Dies trifft zwar
nicht für alle Einzelhaushalte der öffentlichen Hand zu,
wohl aber für den Staatshaushalt. Auch dies ist in
Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Damit haben
wir den Spielraum geschaffen, den wir benötigen, um
konjunkturell wirksame Maßnahmen ergreifen zu kön-
nen. Ich weise darauf hin, dass wir in der Debatte über
Schulden ein bisschen zwischen strukturellen und kon-
junkturellen Dingen differenzieren sollten. Es täte uns
auch in der wirtschaftspolitischen Debatte gut, wenn wir
strukturell und konjunkturell wirksame Maßnahmen et-
was stärker auseinanderhielten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


Das muss nicht immer gegeneinander laufen. Das,
was wir im Bildungsbereich tun, Frau Schavan, hilft uns
momentan konjunkturell und für die Zukunft strukturell.
Was wir zur Verbesserung der Breitbandversorgung tun,
hilft uns strukturell, wenn wir allen Menschen im Lande
einen Zugang zu einer ordentlichen Breitbandversor-
gung schaffen, und es hilft uns konjunkturell. Es gibt
aber auch einige Maßnahmen, mit denen wir einen rein
konjunkturellen Impuls setzen, etwa das Vorziehen von
Investitionen. Deshalb müssen wir bei der Debatte über
die einzelnen Maßnahmen sehr wohl abwägen, was dau-
erhafte Strukturpolitik ist. Auf diesem Gebiet sind wir in
den vergangenen Jahren sehr weit vorangekommen.
Aber selbstverständlich gibt es nach wie vor Defizite;
ich habe eben zwei angesprochen, an deren Behebung
wir weiterarbeiten müssen. Auf der anderen Seite gibt es
Komponenten, mit denen wir lediglich versuchen, der
konjunkturellen Entwicklung entgegenzusteuern. Ich
wünsche mir, dass diese Dinge nicht einfach vermischt,
sondern gedanklich sauber auseinandergehalten werden.

Meine Damen und Herren, wir haben vorhin von
Herrn Burgbacher gehört, dass es im Wesentlichen die
Unternehmen seien, die uns die jetzigen guten Voraus-
setzungen geschaffen haben. Ja, ich sage all denjenigen
ein Dankeschön, die in den Unternehmen Verantwortung
tragen und dafür gesorgt haben, dass vernünftige Struk-
turen vorhanden sind. Dass wir die zukunftsfähigste Au-
tomobilindustrie weltweit und die besten Zulieferer, die
es weltweit gibt, haben und hier am besten aufgestellt
sind, ist ein Verdienst der Verantwortlichen in den Unter-
nehmen. Es gibt aber auch noch ein paar andere, die et-
was getan haben. Die Arbeitnehmer in diesem Land ha-
ben durch ihre Lohnzurückhaltung einen wesentlichen
Beitrag dazu geleistet, dass wir mehr Beschäftigung und
bessere strukturelle Voraussetzungen haben. Deshalb
sage ich auch an dieser Stelle ein Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe uns selbst absichtlich nicht als Erste genannt.
Aber auch wir haben einen Beitrag geleistet. Wir haben
strukturelle Verbesserungen in diesem Land herbeige-
führt, die dazu geführt haben, dass wir bessere Rahmen-
bedingungen und eine bessere Konstitution unseres Lan-
des haben.

Jetzt mögen einige sagen, das, was wir aktuell als
vierten Teil des Stabilitätsprogramms diskutieren, sei
zu spät. Aber wenn wir jetzt den vierten Teil diskutieren,
heißt dies, dass wir vorher bereits drei Teile entschieden
haben. Der erste Teil sind die Maßnahmen, die wir Ende
letzten Jahres unter anderem zur Stärkung der Familien
auf den Weg gebracht haben. Der zweite Teil, den wir im
November auf den Weg gebracht haben, hat die Stabili-
sierung der Finanzmärkte zum Gegenstand. Dann haben
wir ein erstes Stabilitätsprogramm auf den Weg ge-
bracht, das unter anderem mehr Investitionen beinhaltet.
Jetzt diskutieren wir bereits das vierte Maßnahmenpaket.
Deshalb greift der Vorwurf „zu spät“ nicht. Nach meiner
Einschätzung haben wir früher als viele andere gehan-
delt.

Wir haben aber immer darauf geachtet, dass das, was
wir tun, möglichst zielgenau ist und Wirkung erzielt. Es
geht doch nicht darum, möglichst viel Geld auszugeben,
sondern darum, dass mit jedem Euro, den der Staat in die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister
Hand nimmt, möglichst viel Wirkung bei der Bekämp-
fung der Probleme erzielt wird. Darauf müssen wir uns
konzentrieren, und deshalb war die Schrittfolge unserer
Arbeit verantwortungsvoll. Unsere Arbeit ist ein Beitrag
dazu, dass in diesem Lande neues Vertrauen erwächst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe mich ein wenig gewundert, Herr Stiegler,
dass Sie gesagt haben, die Bundesrepublik Deutschland
sei mit ihrer Wirtschaftsleistung das Derivat der Welt-
wirtschaft. Angesichts der Herausforderung, auf den
Finanzmärkten weltweit neue Rahmenbedingungen zu
setzen, und angesichts der Herausforderung, unsere
Marktwirtschaft zu internationalisieren und deren Prinzi-
pien zu exportieren, sollten wir unseren Anspruch etwas
höher setzen. Wir sollten den Anspruch erheben, als
größte Volkswirtschaft Europas dafür zu sorgen, dass
Europa handlungsfähig wird und dass wir mit einer ge-
meinsamen europäischen Stimme in der Lage sind, die
Aufgaben, die vor uns liegen, nicht nur zu bewältigen,
sondern deren Lösung bestimmend mit voranzubringen,
damit wir nicht in wenigen Jahren vor neuen Problemen
stehen, weil das, was ich angesprochen habe, unzurei-
chend erfüllt worden ist. Deshalb wünsche ich mir, die
Dinge nicht nur hinzunehmen. Vielmehr sollten wir ver-
suchen, sie über Europa gemeinschaftlich aktiv zu ge-
stalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Da haben wir keine Differenzen!)


Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen,
dass der eine oder andere Regierungschef bei dem welt-
weit bedeutenden Thema Automobilindustrie nur von
seiner nationalen Automobilindustrie redet. Das hat für
mich einen relativ starken nationalen und protektionisti-
schen Anklang. Ich möchte ausdrücklich davor warnen,
in solche Überlegungen zu verfallen. Wir brauchen
nicht, dass sich einzelne isolieren. Was wir brauchen, ist,
dass jeder zu Hause seinen Beitrag leistet. Diese Bei-
träge sollten wir nach Möglichkeit miteinander addieren,
damit sich ein noch größerer Effekt ergibt, als dies bei
den einzelnen nationalen Pakten der Fall ist. Also kein
Protektionismus, sondern international abgestimmte Zu-
sammenarbeit, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine letzte Bemerkung. Ich komme zum Schluss. In
diesem Lande gibt es viele, die sagen, die jetzige Situa-
tion würde eine Schuldenbremse im Grundgesetz ad
absurdum führen. Ich bin komplett anderer Meinung.
Wir wollen die strukturelle Verschuldung ausgleichen.
Wir wollen keine strukturelle Staatsverschuldung. Aber
wir wollen ein konjunkturelles Atmen erlauben. Wenn
wir, wie im Moment, vor einer konjunkturellen Heraus-
forderung stehen, dann muss ein solches Atmen möglich
sein. Aber nach einer gewissen Zeit muss ein Ausgleich
herbeigeführt werden.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wieso Schuldenbremse erst 2015?)

Auch das beschließen wir jetzt übrigens, indem wir ei-
nen klaren Tilgungsplan für das festlegen werden, was
wir aus konjunkturellen Gründen tun. Das ist kein Wi-
derspruch, sondern meiner Meinung nach eine sinnvolle
Ergänzung, die dazu beiträgt, dass neues Vertrauen und
mehr Stabilität in diesem Lande geschaffen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620001200

Das Wort erhält nun die Kollegin Gudrun Kopp von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1620001300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-

men! Lieber Herr Meister, was Sie vorgetragen haben,
ist sehr löblich.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ja! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Es war sogar gut!)


Wenn Sie von einer Schuldenbremse, von einer Begren-
zung der Schulden, die tatsächlich notwendig ist, spre-
chen, stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Warum Sie aber
für das Atmen bis 2015 benötigen, erschließt sich mir
nicht. Ich finde, Sie müssten schneller reagieren und dür-
fen nicht die Maßnahmen, die eigentlich schon jetzt not-
wendig wären, über Jahre verschieben.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Minister Glos, Ihr Jahreswirtschaftsbericht ent-
hält eine, wie auch ich finde, sehr realistische Einschät-
zung der Sachlage. Allerdings sind Sie mir mit Ihrem
Maßnahmenpaket zur Konjunkturbelebung, wie Sie es
nennen, viel zu schnell, zu früh


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn?)


– der Minister ist gerade unterwegs – und zu bescheiden
mit dem, was für die Bürger an Steuersenkungen tatsäch-
lich übrig bleiben soll.


(Beifall bei der FDP)


Die Bundesregierung bringt ein breites Maßnahmen-
paket ein: dieses Konjunkturpaket im Umfang von
50 Milliarden Euro mit vielen kleinen Stellschrauben, an
denen Sie viel Geld ausgeben, mit denen Sie aber aller
Voraussicht nach leider sehr wenig Wirkung erzielen
werden. Das ist unser Hauptkritikpunkt.

Jetzt, in dieser Lage, wäre es notwendig, die Ausga-
ben gezielt so zu tätigen, dass damit tatsächlich Impulse
erzielt werden, dass Innovationen befördert werden. Vor
wenigen Wochen haben Sie eine enorme Erhöhung der
Beiträge zu den Krankenkassen auf 15,5 Prozent be-
schlossen und haben die Einführung des unsäglichen Ge-
sundheitsfonds verabschiedet. Wenn Sie jetzt – nur we-
nige Wochen später – Milliarden aus Steuergeldern als






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
Konjunkturmaßnahme zuschießen, dann ist das doch
eine absurde Politik.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie müssten doch selbst darauf kommen, dass Sie struk-
turell auf dem falschen Weg waren. Das ist keine Frage.

Für die Verkehrsinfrastruktur setzen Sie 2 Mil-
liarden Euro ein. Wenn man allerdings bedenkt, dass der
Individualverkehr seit 1999 erheblich gestiegen ist – die
Belastungen in diesem Bereich sind von 37 Milliarden
auf 53 Milliarden Euro gestiegen –, dann sind die von
Ihnen vorgesehenen Mittel nur ein Tröpfchen auf den
heißen Stein.

Der Kinderbonus und viele andere Punkte sind bereits
genannt worden.

Diejenigen im Hause, die offenbar meinen, dass Steu-
ersenkungen für die Bürger mehr oder weniger heraus-
geschmissenes Geld oder als Almosen zu verstehen wä-
ren – dazu gehören auch die Grünen –, sind auf einem
völlig falschen Weg.


(Beifall bei der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die größte Einkommensteuererhöhung durchgeführt?)


– Nein, Frau Andreae. Wenn Sie Steuersenkungen in ge-
ringem Umfang für ausreichend halten und Investitionen
in die ökologische Energiepolitik fordern, dann halte ich
Ihnen Folgendes entgegen: Was wir gerade erlebt haben
– den Gasstreit und das Bewusstwerden der Abhängig-
keit von Gaslieferungen –, haben wir auch und gerade
der rot-grünen Politik zu verdanken, insbesondere den
Grünen, die den Ausstieg aus der Kohle und der Kern-
energie fordern und ausschließlich auf erneuerbare Ener-
gien und Gas setzen wollen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Um mehr Arbeitsplätze zu schaffen! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das glaubt ja noch nicht mal Joschka Fischer!)


Die Gasverstromung, die sehr kostenintensiv ist, hat
in den letzten sieben Jahren um 58 Prozent zugenom-
men. Dadurch vergrößert sich die Abhängigkeit. Das
müssen Sie beachten. Wenn Sie heute sagen, dass Sie in
ökologischer Hinsicht sehr viel mehr erreichen möchten,
dann sollten Sie sich erst einmal mit den Sünden der
Vergangenheit befassen, zu denen Sie mit Ihrer Politik
beigetragen haben.


(Beifall bei der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur Asse! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP hat von Umwelt keine Ahnung!)


Die FDP-Bundestagsfraktion bleibt bei dem, was sie
als einzig greifbare strukturelle Maßnahme tatsächlich
für sinnvoll hält, nämlich eine strukturelle Steuer-
reform, die die Bürger als solche identifizieren können:

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nach Ihrer Regierungszeit war der Eingangssteuersatz bei 25 Prozent!)


eine Reform mit einer Senkung der Steuern und Abga-
ben gerade bei den unteren und mittleren Einkommen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP hat die meisten Steuererhöhungen überhaupt gemacht!)


Durch eine Forsa-Umfrage wird belegt, dass
69 Prozent der Bürger meinen, von dem Konjunkturpa-
ket mit einem Umfang von 50 Milliarden Euro nicht
wirklich zu profitieren. Die Bürger haben ein richtiges
Empfinden. Wenn Sie schon 50 Milliarden Euro veraus-
gaben, dann frage ich Sie, warum Sie dieses Geld nicht
dafür verwenden, die Bürger zu entlasten. Das wäre ein
Schritt, der den Bürgern und der Wirtschaft ermöglichen
würde, so zu investieren, wie sie es für richtig halten,
statt die Gelder staatlich gelenkt auszugeben. Das würde
sie weiterbringen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620001400

Frau Kopp, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1620001500

Nein. – Wir als Liberale sind der Ansicht, dass eine

wirkliche Steuerreform, die uns auch strukturell voran-
bringen würde, die einzig richtige Maßnahme wäre, um
in dieser kritischen Lage mit der Finanzmarktkrise und
der konjunkturellen Krise fertig zu werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620001600

Nun erhält der Kollege Garrelt Duin für die SPD-

Fraktion das Wort.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1620001700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist meines Erachtens gut und vernünftig, wenn man in ei-
ner Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht 2009 die
Ausgangslage sehr genau betrachtet und auch das in dem
Bericht zur Kenntnis nimmt, was die Entwicklung im
letzten Jahr beschreibt.

Der Kollege Meister hat zu Recht darauf hingewie-
sen, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt insge-
samt ausgesprochen erfreulich gewesen ist. Die Sockel-
arbeitslosigkeit ist deutlich geringer als nach dem letzten
Aufschwung.

2008 ist die Zahl der Beschäftigten um rund 580 000
gestiegen. Anders als oft behauptet, fand der Aufwuchs
nicht in erster Linie bei den prekären Beschäftigungs-
verhältnissen statt. Deutlich über 90 Prozent dieser
580 000 Beschäftigungsverhältnisse sind sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Bei über
zwei Dritteln dieser neuen Arbeitsverträge handelt es
sich sogar um Vollzeitarbeitsplätze. Dadurch haben wir
Älteren, Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen
eine wesentlich bessere Perspektive gegeben. Das Ar-






(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin
mutsrisiko in diesem Bereich ist gesunken. Deswegen
sollten wir uns vor Augen führen, dass die Ausgangs-
position vor der aktuellen Krise wesentlich besser war,
als es uns von der Opposition versucht wird einzureden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben zurzeit eine Entwicklung in den Betrieben,
nicht zuletzt in den sehr großen Industriebetrieben, die
uns natürlich mit Sorge erfüllt, weil wir sehr genau wis-
sen, was mit den Beschäftigten und deren Familien pas-
siert, wenn Kurzarbeit – ob bei MAN, Volkswagen,
Wacker Chemie, Bosch, Conti, BASF oder wo auch im-
mer – angekündigt und durchgeführt wird. Mehrere
Hunderttausend sind inzwischen davon betroffen. Des-
wegen ist es richtig und gut gewesen, dass die Bundes-
regierung und insbesondere der Bundesarbeitsminister
sehr schnell die notwendigen Maßnahmen auf den Weg
gebracht haben. Die Verlängerung der Zahlungsdauer
des Kurzarbeitergeldes, die Erstattung der Sozialver-
sicherungsbeiträge und die Vereinfachung des Verfah-
rens zeigen, dass wir die Kurzarbeit als Chance begrei-
fen und mit Qualifizierung und Weiterbildung etwas für
die betroffenen Menschen tun. Wir sorgen dafür, dass sie
nicht entlassen werden, sondern dass sie sogar eine zu-
sätzliche Perspektive entwickeln können.


(Beifall bei der SPD)


Die andere Gruppe, die ich ansprechen will, sind die
Leiharbeitnehmer, insbesondere in der Industrie. Ihnen
droht, in die Arbeitslosigkeit geschickt zu werden. Das
Instrument der Leiharbeit ist – das zeigt der Blick
zurück – durchaus richtig. Es hat dazu geführt, dass wir
die Arbeitslosigkeit haben zurückführen können. Es
dient als Wiedereinstieg in Arbeit und auch dazu, be-
stimmte Spitzen in den Betrieben abzuarbeiten. So ge-
nutzt, ist das Instrument der Leih- und Zeitarbeit richtig
eingesetzt. Dort, wo es missbräuchlich genutzt wird, um
Stammbelegschaften zu reduzieren und Lohndumping
zu betreiben, stehen wir klar an der Seite derjenigen, die
sagen: Das ist mit uns nicht zu machen. – Diejenigen,
die das Instrument der Leiharbeit missbräuchlich nutzen,
treffen auf unseren entschiedenen Widerstand.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU])


Wir wollen dafür sorgen, dass auch diejenigen, die in
Leiharbeitsfirmen beschäftigt sind, vom Kurzarbeiter-
geld profitieren können und in dieser schwierigen Phase
die Chance auf Qualifizierung und Weiterbildung haben,
damit sie nicht entlassen werden.

Frau Andreae und andere haben darauf Bezug genom-
men, dass wir Dinge im Zusammenhang bedenken müs-
sen. Wenn Sie ernsthaft zur Kenntnis nehmen, was wir
im Rahmen der beiden Konjunkturprogramme machen
und worüber wir heute diskutieren, dann werden Sie
feststellen, dass genau das passiert.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kfz-Steuer!)


Wir schreiben der Automobilindustrie natürlich in das
Stammbuch, dass sie sich in ökologischer Hinsicht an-
ders orientieren muss, dass sie nicht glauben darf, dass
die Nachfrage nach verbrauchs- und schadstoffärmeren
Autos nachlässt, nur weil der Spritpreis zurzeit relativ
niedrig ist.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber im Konjunkturpaket nicht drin!)


Wir stehen dafür, endlich eine ökologische Industriepoli-
tik nach vorne zu bringen, die genau auf die Leitmärkte
setzt, die Sie eingefordert haben, ob es sich nun um die
Luftfahrt, die Medizintechnik oder um die Umwelttech-
nik handelt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht doch nicht so eine KfzSteuer und so eine Abwrackprämie!)


Hier wird gerade im Rahmen der Programme, die auf
den Weg gebracht werden, zum Beispiel im Hinblick auf
die CO2-Reduzierung genau das getan, was Sie wollen.
Das bedeutet zweierlei: Zukunftssichere Arbeitsplätze
werden geschaffen, und wir tun mehr für die Ökologie,
als das in den Jahren zuvor der Fall war.


(Beifall bei der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anscheinend wissen Sie selbst nicht, was in dem Paket steht!)


Frau Kopp und Herr Burgbacher, im Kern geht es in
dieser Debatte um etwas anderes, als Sie haben verlaut-
baren lassen. Es geht den Bürgerinnen und Bürgern in
diesem Land bei der Prognose für das Jahr 2009 um Si-
cherheit. Es geht um die Frage, wie der Arbeitnehmer
seinen Arbeitsplatz behalten kann. Es geht nicht in erster
Linie um Brutto oder Netto oder Steuerentlastungen,
sondern es geht darum, dass wir durch gezielte Investi-
tionen der Krise begegnen. Wir haben uns einen hand-
lungsfähigen Staat erhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob
wir dann, wenn Sie von der FDP in den letzten zehn Jah-
ren am Ruder gewesen wären, überhaupt noch einen der-
artig handlungsfähigen Staat hätten.


(Jörg van Essen [FDP]: Das waren die besten Jahre, als die FDP in der Regierung war!)


Der handlungsfähige Staat ist jetzt dazu in der Lage,
durch gezielte Investitionen Nachfrage zu schaffen und
so Arbeitsplätze zu sichern.


(Jörg van Essen [FDP]: Von der FDP hat Niedersachsen enorm profitiert!)


Das ist wesentlich effektiver, als mit Steuersenkungen zu
versuchen, die Leute zufriedenzustellen. Die Arbeits-
platzsicherung muss im Mittelpunkt unserer Politik ste-
hen. Das erreicht man nicht mit den Konzepten, die Sie
heute erneut vertreten haben.


(Beifall bei der SPD)


Eine Gruppe macht mir Sorgen, sehr geehrter Herr
Minister, und das sind die jungen Menschen in unserem
Land, die jetzt vielleicht noch zur Schule gehen und die
eine Perspektive brauchen. Wir haben in dem Bereich,
der die Ausbildung betrifft, durchaus Erfolge gehabt,






(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin
wie dem Jahreswirtschaftsbericht zu entnehmen ist. Im
Jahr 2008 sind 600 000 neue Ausbildungsverträge abge-
schlossen worden. Das ist ein Erfolg. Wir werden uns
noch intensiver um das Problem der Altbewerberinnen
und Altbewerber kümmern müssen, die seit Jahren einen
Ausbildungsplatz suchen. Wir müssen uns aber schon
jetzt fragen, Herr Minister, welche Auswirkungen diese
Krise auf den Ausbildungsmarkt in diesem Sommer hat.
Ich fordere Sie auf, angesichts der Bedeutung dieses
Themas schon jetzt mit den Partnerinnen und Partnern
des Ausbildungspaktes, mit der Industrie und dem Hand-
werk die Initiative zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass
die wirtschaftliche Entwicklung, die in den nächsten
Monaten auf uns zukommt, nicht dazu führt, dass wir er-
neut eine Generation von jungen Menschen ohne Per-
spektive auf eine sichere Ausbildung in unserem Land
haben.


(Beifall bei der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wirtschaftsminister hat nicht zugehört!)


Das ist vorausschauende Politik, und deswegen ist es
wichtig, dass wir damit schon jetzt anfangen.

Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir mit neuen Ant-
worten auf die jetzige Situation reagieren und dass wir
nicht das tun, was die FDP und Teile anderer Parteien
immer wieder wollen. Wir sollten nicht das infrage stel-
len, was den sozialen Zusammenhalt und damit den wirt-
schaftlichen Erfolg in unserem Land ausgemacht hat,
nämlich die Gleichberechtigung von Kapital und Ar-
beit, insbesondere durch die Mitbestimmung. Wenn Sie
jetzt wieder anfangen, die alten Rezepte aus Ihren
Schubladen zu holen, und erklären, man müsse haupt-
sächlich die Interessen des Kapitals berücksichtigen


(Gudrun Kopp [FDP]: Wer sagt denn das?)


und dafür sorgen, dass sich dieses möglichst breit und
frei entfalten kann, dann sagen wir in aller Klarheit: Ge-
rade in dieser krisenhaften Situation ist deutlich gewor-
den, dass Mitbestimmung zu den Eckpfeilern unserer
Gesellschaft gehört und dass daran nicht herumgebastelt
werden darf.


(Beifall bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Man muss keinen Popanz aufbauen!)


Ein letzter Punkt: Es geht um die Investitionen in
den Kommunen. Wir erleben zurzeit eine Diskussion in
den Kommunen darüber, was sich alles realisieren ließe.
Man hat viele Pläne in den Schubladen. Die Bundes-
regierung muss auch in den Verhandlungen mit den Län-
dern darauf achten – das ist mein dringender Appell –,
dass das Geld nicht an den klebrigen Fingern der Lan-
desregierungen hängen bleibt. Ich habe manche Erklä-
rungen der Länder gehört, in denen davon die Rede war,
dass Landesprogramme, die bisher unterfinanziert wa-
ren, mit dem Geld aufgestockt werden sollen. Das Geld,
das die Bundesregierung hier für kommunale Investitio-
nen zur Verfügung stellen will, muss – das muss durch
die Verwaltungsvereinbarung, die jetzt verhandelt wird,
sichergestellt werden – zu 100 Prozent in den Kommu-
nen ankommen. Dort sind die Investitionen notwendig.


(Beifall bei der SPD)


Sorgen Sie dafür, dass das passiert!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620001800

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Laurenz

Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1620001900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst einmal möchte ich mich für die Fraktion beim
Wirtschaftsminister bedanken,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


weil dieser Jahreswirtschaftsbericht keine Gesundbeterei
enthält, sondern weil er, auch was die Zahlen betrifft, un-
geschminkt die Lage zeigt und deutlich macht, dass wir
wirklich in einer exemplarischen Situation sind, wie wir
sie noch nie gehabt haben. Lieber Kollege Stiegler, ich
fand, dass die Rede des Kollegen Burgbacher für die
FDP dieser Situation angemessen war.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nein!)


Das war heute die einzige verantwortungsbewusste Op-
positionsrede, die hier gehalten worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP] – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Andreae, so gerne ich auch Ihnen dieses Kom-
pliment machen würde: Bei Ihnen hat man leider Gottes
bemerkt, dass Sie darunter leiden, dass die Landesregie-
rungen, an denen Sie beteiligt sind, ihre Zustimmung
zum Konjunkturpaket schon signalisiert haben. Dann
fällt Kritik am Ganzen natürlich fürchterlich schwer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Da muss man kleinkariert werden. Das wollten Sie viel-
leicht gar nicht, es ist aber der Situation geschuldet.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Es ist trotzdem gut, dass die nicht regieren!)


Wer mich heute Morgen ärgerlich gemacht hat – das
möchte ich ganz offen sagen –, ist Herr Lafontaine. Er
hat sich hier zur Regulierung und Instandsetzung der Fi-
nanzmärkte geäußert. Herr Lafontaine, da sage ich Ih-
nen: Um das hinzubekommen – das zeigt die jetzige
Bundesregierung – ist harte, kontinuierliche Arbeit nö-
tig. Da sind Leute nötig, die hart und dauerhaft arbeiten
können, und nicht Leute, die bei der ersten Schwierigkeit
wegrennen. Das ist doch der Punkt.






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Herr Lafontaine, Sie sind als Finanzminister gerade
noch so weit gekommen – das sollten Sie heute einmal
Ihren Wählern sagen –, eine Änderung bei der Unterneh-
mensteuer durchzubringen, die den Unternehmen steuer-
freie Anteilsverkäufe ermöglicht hat. Dann stellen Sie
sich heute hier hin und reden von der Ungerechtigkeit
der Welt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie haben doch keine Ahnung!)


Wer so etwas macht und dann, wenn die Arbeit einmal
ernst wird, gleich die Brocken hinschmeißt, der darf sich
anschließend nicht ärgern. Was die Arbeitsmentalität an-
geht – das muss ich hier wirklich einmal feststellen –, ist
Herr Steinbrück gegenüber Ihnen eine echte Lichtgestalt.


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie haben doch überhaupt nichts vorzuweisen! Welches Ministerium haben Sie denn geführt und wie lange?)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, heute ist viel von Multiplikatoreffekten die
Rede gewesen. Dazu hat Herr Duin gerade einen interes-
santen Aspekt angesprochen. Lieber Kollege Stiegler,
die Multiplikatoreffekte, die durch die Investitionspro-
gramme herbeigeführt werden, sind nur dann gut, wenn
das Geld zu 100 Prozent in zusätzliche Maßnahmen
fließt. Da gilt es nicht nur dafür zu sorgen, dass die Gel-
der von den Länderkassen in vollem Umfang zu den
Kommunen durchfließen, sondern auch sicherzustellen,
dass es zu zusätzlichen Investitionen in den Kommunen
kommt. Da ich lange genug Kommunalpolitik betrieben
habe, weiß ich, wie erfinderisch Kämmerer, Bürgermeis-
ter und Oberbürgermeister sind, wenn es darum geht, die
eigene Bilanz – in der Wirtschaft würde man das Passiv-
tausch nennen – auf Bundeskosten zu schonen. Man
könnte zynisch sagen: Das lindert dann die Staatsver-
schuldung, weil insgesamt nichts zusätzlich ausgegeben
wird. Das ist aber nicht Sinn der Sache. Deswegen muss
darauf geachtet werden, dass über diese Investitionspro-
gramme – Frau Andreae, sie sind zielgerichtet und, ganz
im Sinne der CDU/CSU-Fraktion, in wesentlichen Tei-
len auf Bildung ausgerichtet – wirklich zusätzliche Maß-
nahmen finanziert werden.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Das
Ganze ist ein Paket, das der verzwickten Lage angemes-
sen ist, das nämlich Rücksicht darauf nimmt, dass Teile
unserer Wirtschaft bis jetzt gar nicht betroffen sind.
Viele der Unternehmen, die ausschließlich von der In-
landsnachfrage abhängig sind, sind bisher überhaupt
nicht tangiert. Es gibt andere Unternehmen, die im Aus-
landsgeschäft insbesondere mit den Schwellenländern
tätig sind und in wesentlichem Maße tangiert sind. All
unsere Maßnahmen werden nie hundertprozentig bei de-
nen wirken, die, was die Unternehmensentwicklung und
die Arbeitsplätze angeht, am stärksten unter der Krise zu
leiden haben. Deswegen ist das Bürgschaftsprogramm
– die darüber bereitgestellten 100 Milliarden Euro – von
so entscheidender, zusätzlicher Bedeutung; darauf
möchte ich noch einmal aufmerksam machen.

Wir haben viele Unternehmen, die jetzt von zwei Sei-
ten in die Klemme geraten: Den Unternehmen bricht die
Nachfrage weg; gleichzeitig erhöhen sich die Kosten der
Unternehmensfinanzierung dadurch, dass für die Unter-
nehmen der Realzins in der Finanzierung steigt. Auch
wenn die Nominalzinsen sinken, steigen für die Unter-
nehmen die Realzinsen in der Finanzierung; sie werden
möglicherweise zusätzlich steigen. Wenn wir über das
Bürgschaftsprogramm einen Beitrag dazu leisten, an sich
gesunde Unternehmen für eine bestimmte Zeit im Be-
reich der Finanzierungskosten zu entlasten, dann tun wir
etwas Gutes für die Arbeitsplätze und für den Bestand
von Unternehmen in Deutschland. Deswegen haben wir
das nachdrücklich unterstützt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ganze Paket mit dem 100-Milliarden-Euro-Pro-
gramm, dem Kurzarbeitergeld, der Senkung von Steuern
und Abgaben und der Förderung von Investitionen trägt
dazu bei, die Risiken zu streuen. Deshalb ist es in sich
vernünftig. Es muss gestreut werden; wir können nicht
auf eine Karte setzen, wenn es darum geht, die Probleme
zu bekämpfen.

Ich sage noch einmal – das wird auch aus dem Jahres-
wirtschaftsbericht deutlich –: Wir dürfen nicht den Ein-
druck erwecken, als wenn wir die Schwierigkeiten durch
Staatsmaßnahmen unterpflügen könnten. Wir können ei-
nen Beitrag dazu leisten, dass über das Loch, das sich
spontan gebildet hat und in das eine Reihe von Unter-
nehmen in Deutschland im Moment zu fallen droht, eine
Brücke gebaut wird, damit unsere Unternehmen durch-
starten können, wenn es in der Welt wieder losgeht. Ich
bin davon überzeugt: Unsere Wirtschaft ist so gut aufge-
stellt, dass wir, wenn wir es richtig anstellen, am Ende
gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können. Dazu
müssen wir einen Beitrag leisten. Das muss das Ziel von
Politik in diesem und im kommenden Jahr sein.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich will die Gelegenheit nutzen, um auf noch
etwas aufmerksam zu machen. Es zeichnet sich schon
jetzt ab – das klang in den Reden bereits an verschiede-
nen Stellen an –, dass die Energieversorgung in
Deutschland, in Europa und in der Welt der nächste Be-
reich sein könnte, in dem wir in eine Krise laufen. Die
Erdgasversorgung in diesem Winter hat allen Bürgern in
Deutschland wirklich bedrohlich vor Augen geführt, auf
welch dünnem Eis wir uns hier insgesamt bewegen. Des-
halb plädiere ich für unsere Fraktion nachdrücklich da-
für, dass der gesamte Deutsche Bundestag Risikostreu-
ung betreibt und dass wir bei unserem Nachdenken
darüber, wie wir unsere Energieversorgung sicherstellen
wollen, nicht auf eine Karte, sondern auf mehrere Karten
setzen.






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

Die Politik, die Deutschland betrieben hat, nämlich
mit regenerativen Energien, Kohle, Kernenergie, Öl und
Gas, ist die richtige Politik gewesen. Nur mit einer sol-
chen Risikostreuung werden wir erstens den Klimapro-
blemen begegnen können, zweitens den Energieengpass
weitgehend vermeiden können und drittens – das ist mir
auch wichtig – unsere Bürger nicht überfordern, was ihr
Portemonnaie und die Kosten für eine gesicherte Ener-
gieversorgung angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe vorhin Zwischenrufe von den Grünen ge-
hört, etwa des Inhalts: Da werden Arbeitsplätze geschaf-
fen. – Natürlich, aber dafür – das vergessen Sie immer –
fallen Arbeitsplätze an anderer Stelle weg – das ist nun
einmal volkswirtschaftliches Gesetz, das ist Adam
Riese –, weil jeder Euro nur einmal ausgegeben werden
kann. Wenn der Bürger den Euro über höhere Stromkos-
ten für die Förderung von regenerativen Energien aus-
gibt, dann kann er ihn nicht gleichzeitig für Autos, Mö-
bel oder sonst was ausgeben. Das müssen auch Sie
einmal einsehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen bei diesen Fragen endlich daran denken,
dass die Menschen in Deutschland mehr Netto in ihrer
Tasche behalten müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen an die Zukunft denken!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620002000

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1620002100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht hat eigentlich
zwei zentrale Botschaften. Die eine ist sozusagen rück-
wärtsgewandt und macht deutlich: Wir gehen in eine au-
ßerordentlich schwierige wirtschaftliche Situation, aber
mit einer wesentlich robusteren Wirtschaft, als wir sie
in früheren großen Wirtschaftskrisen hatten. Dass die
Wirtschaft robuster ist, liegt an konkreten politischen
Reformen, aber auch am vernünftigen Verhalten von Ge-
werkschaften und Unternehmen in den vergangenen Jah-
ren.

Zu der Robustheit gehört, dass die Beschäftigungs-
schwelle deutlich gesunken ist. Wir brauchen wesentlich
weniger Wachstum für mehr Beschäftigung, als das in
früheren Jahrzehnten der Fall gewesen ist.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Das hängt stark mit der Zeitarbeit zusammen!)


Das ist ein ganz wichtiger Punkt und erklärt auch, dass
die Sockelarbeitslosigkeit jetzt deutlich niedriger ist, als
sie zu Beginn früherer Krisen gewesen ist.
Wir haben die Eigenkapitalbasis von Unternehmen
deutlich verbessert, nämlich durch zwei Unternehmen-
steuerreformen, auch in unserer Verantwortung, die dazu
beigetragen haben, dass das Unternehmen belohnt wird,
das Gewinne reinvestiert und nicht in erster Linie an die
Eigentümer ausschüttet. Das hat sich bezahlt gemacht.
Das macht viele Unternehmen auch unabhängiger von
Kreditinstituten und Fremdfinanzierung.

Entgegen manchen öffentlichen Äußerungen haben
wir eine deutliche Verbesserung der Forschungs- und
Innovationssituation in den Unternehmen zu verzeich-
nen – was Innovation und Forschung angeht, kann es na-
türlich nie genug sein –, auch ausweislich der Antwort
auf die Große Anfrage zum innovativen Mittelstand. Wir
stehen weltweit auf Platz zwei, was die Forschungs- und
Innovationsintensität von kleinen und mittleren Unter-
nehmen angeht. Auch das wird sich in der Zukunft und
auch in dieser Krise, denke ich, bezahlt machen.


(Beifall bei der SPD)


Ein ganz wichtiger Punkt ist: Wir gehen mit einer völ-
lig veränderten Ausgangslage hinsichtlich des Zustandes
der Staatsfinanzen in diese Krise hinein. Man stelle sich
einmal vor, wir hätten nicht in den vergangenen Jahren
mit Peer Steinbrück einen strammen Konsolidierungs-
kurs gefahren, bei dem es manchmal wirklich in den
Knochen gekracht hat, auch politisch, wir hätten den
Erblastentilgungsfonds in den letzten 14 Jahren nicht
konsequent auf null heruntergefahren und wir wären mit
einer Ausgangslage, wie sie vor fünf Jahren bestand, in
diese Krise hineingerutscht: Dann hätten wir überhaupt
nicht den Spielraum, solche Programme zu fahren, wie
wir sie jetzt fahren, weder hinsichtlich der Stabilisierung
der Finanzmärkte noch hinsichtlich der Absicherung von
Wachstum und Beschäftigung.


(Beifall bei der SPD)


Insofern zeigt sich jetzt, dass sich die Reformpolitik
der vergangenen Jahre wirklich gelohnt hat, weil sie die
Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Deutschland krisen-
sicherer gemacht hat. Wenn Politik das erreicht, dann hat
sie sehr viel erreicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, andererseits sind
wir natürlich bei der Finanzkrise, die ja die Ursache für
die Weltwirtschaftskrise ist, überhaupt noch nicht über
den Berg. Dass viele Prognosen der vergangenen Mo-
nate falsch waren, nach oben oder nach unten, liegt ein-
fach daran, dass es bislang wenig Erfahrungen sowohl
der Politik als auch der Wissenschaft gab, wie man damit
umgehen soll, wenn ein zentrales Element der Wirt-
schaft, nämlich der Finanzmarkt, als Ergebnis einer un-
verantwortlichen und völlig intransparenten Zockerei
mit dem Ziel, exorbitante Gewinne zu erzielen, die völ-
lig außerhalb der ökonomischen Realität lagen, zusam-
menbricht. Damit hatte keiner Erfahrung.

Wir müssen uns aber jetzt der Verantwortung stellen.
Deswegen haben alle recht – die Bundesregierung hat
recht und alle Kollegen, die hier dazu gesprochen ha-
ben –: Wir müssen neben dem akuten Krisenmanage-
ment alles unternehmen, damit eine solche Krise aus den
oben genannten Motiven nicht wieder entstehen kann.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Schultz (Everswinkel)

Das heißt selbstverständlich, Spielregeln für Finanz-
märkte national, europäisch, weltweit aufzustellen.

Dem Kollegen Lafontaine, der sich hier hingestellt
und gesagt hat, es sei nichts geschehen, kann ich nur ent-
gegnen: Das ist völliger Quatsch. Wir sind im Rahmen
der Möglichkeiten sehr weit gegangen. Ich will nur ein-
mal ein paar Beispiele nennen:

Herr Lafontaine hat gefordert, dass sich die Zweckge-
sellschaften künftig in den Bilanzen widerspiegeln müs-
sen. Wir erstellen gerade auf der Grundlage einer EU-
Richtlinie ein Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz. Das
befindet sich im Augenblick im parlamentarischen Ver-
fahren. Das wird zu dem Ergebnis führen, dass sich die
Zweckgesellschaften in den Bilanzen von Kapitalgesell-
schaften, auch von Banken, widerspiegeln müssen. Ich
denke, damit ist dieser Punkt der Schularbeiten gemacht.

Wir haben darüber diskutiert, dass es offensichtlich
falsche Wetterfrösche, auch Rating-Agenturen genannt,
gibt, die die Entwicklung von Unternehmen, Banken und
Finanzmarktprodukten vorhersagen sollen. In der Pipe-
line befindet sich jetzt eine europäische Richtlinie, die
Regeln für Rating-Agenturen schafft, die die absolute
Unabhängigkeit von den bewerteten Finanzmarktpro-
dukten erzwingen wird, die eine Offenlegung der Me-
thoden erzwingen wird und die sozusagen auch eine
gewisse Marktvielfalt der Anbieter von Ratings sicher-
stellen soll. Auch in diesem Bereich wird, wie ich denke,
einiges getan.

Wir haben über das Verbot gewisser Finanzmarktpro-
dukte diskutiert, die bestimmte Kriterien nicht erfüllen.
Das ist nicht ganz so einfach. Das ist vielleicht sogar die
schwierigste Aufgabe; aber auch der stellen wir uns.

Insofern glaube ich, dass neben der Bekämpfung der
akuten Krise auf dem Finanzmarkt, damit nicht alles
wegbricht, die Herstellung vernünftiger Rahmenbedin-
gungen, denen natürlich gleichzeitig auch die Aufgabe
zukommt, Zukunftsvorsorge zu treffen, wichtig ist, da-
mit sich Krisen aufgrund von Finanzmarktversagen so
schnell nicht wiederholen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620002200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/11650 und 16/10985 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Dazu stelle ich Einvernehmen fest. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke zum Jahreswirtschaftsbericht 2009
der Bundesregierung. Interfraktionell ist vereinbart, über
den Entschließungsantrag auf Wunsch der Fraktion Die
Linke abweichend von der Geschäftsordnung sofort ab-
zustimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf der Drucksache 16/11651? –


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist die Forderung von Helmut Schmidt!)


Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? –
Damit ist der Entschließungsantrag mit großer Mehrheit
abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen

– Drucksache 16/10485 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über zwingende Arbeitsbedingungen für
grenzüberschreitend entsandte und für regel-
mäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer

(Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG)


– Drucksache 16/10486 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/11669 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Werner Dreibus, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für einen sozial gerechten Mindestlohn in
Deutschland

– Drucksachen 16/1878, 16/11669 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe

Über die noch in der Tagesordnung aufgeführten Ge-
setzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
den Drucksachen 16/8757 und 16/8758 ist nicht mehr zu
befinden, da die Fraktion diese Gesetzentwürfe gestern
zurückgezogen hat.

Zu den beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung
liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen sowie je ein Entschließungsantrag der FDP-
Fraktion vor.

Ich weise darauf hin, dass zur Annahme der Gesetz-
entwürfe der Bundesregierung nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes die absolute Mehrheit, also 307 Stimmen,
erforderlich ist. Zur Feststellung der erforderlichen
Mehrheit werden wir später zwei namentliche Abstim-
mungen durchführen.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dagegen höre
ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
minister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Sozia-
les:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist ein wichtiger Tag für viele Bürgerin-
nen und Bürger unseres Landes – was man nicht immer
sagen kann, wenn hier im Bundestag über Gesetze de-
battiert wird. Das, was wir heute zu bereden haben, wird
aber dazu führen, dass mehrere Hunderttausend Men-
schen in unserem Land über bessere Löhne verfügen, als
das heute der Fall ist. Wann kann man das schon sagen?
Ich glaube, dass wir heute gute Gesetze abschließend be-
raten werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer arbeitet, der will das in der Regel gut machen. Er
gibt sein Bestes, steckt Freude hinein und will mit Stolz
auf die Ergebnisse der Arbeit blicken. Eine Gesellschaft,
die die in der Arbeit liegende Anstrengung nicht wert-
schätzt, untergräbt den Zusammenhalt und damit das
Fundament, auf dem sie gegründet ist.

Wenn wir signalisieren, dass die Fähigkeiten und das
Engagement nicht so viel wert sind, dass man ein einfa-
ches Auskommen erreichen und damit den eigenen Le-
bensunterhalt decken kann, dann dürfen wir uns nicht
wundern, dass sich Bürgerinnen und Bürger unseres
Landes gedemütigt und von unserem Gemeinwesen aus-
geschlossen fühlen. Dies zu ändern, ist die Aufgabe der
heutigen Gesetzgebung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Darum ist es unumgänglich und notwendig, dass wir
etwas tun, um dazu beizutragen, dass das persönliche
Engagement, die Aktivität und die Anstrengung von
Bürgerinnen und Bürger auch belohnt werden und sich
auszahlen. Im Zusammenhang mit der Diskussion über
Mindestlöhne geht es darum, dass Anstrengung sich
lohnt und auszahlt. Dies ist eine Grundlage unserer Wirt-
schaftsordnung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Von selbst geht das leider nicht immer. Die Vorstel-
lung, dass der Markt es schon alleine richten wird, ist in
diesen Tagen ja auf katastrophale Weise widerlegt wor-
den. Weltwirtschaftlich müssen wir ausbaden, dass es
sich eben nicht als richtig erwiesen hat, die Marktwirt-
schaft ganz ohne Regeln funktionieren zu lassen. Alle in
diesem Hause sind sich einig, dass wir Regeln für die in-
ternationalen Finanzmärkte brauchen, um eine solche
Katastrophe, wie sie jetzt auf die Weltkonjunktur zu-
kommt, für die Zukunft zu vermeiden.
Wir brauchen aber auch Regeln für die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Lande, die schwere Arbeit leisten
und heute nicht mit dem Einkommen zurechtkommen,
das sie dabei erhalten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU] und Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit der Verabschiedung der Gesetzentwürfe zum Ar-
beitnehmer-Entsendegesetz und zum Gesetz über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen leisten wir
einen wichtigen Beitrag, um Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern in Deutschland besser als bisher zu ga-
rantieren, dass ihr Lohn nicht unter ein unerträgliches
Maß gedrückt werden kann.

Außerdem schaffen wir – auch das darf nicht verges-
sen werden – einen fairen Handlungsrahmen für unter-
nehmerisches Handeln. Wenn Löhne nicht ausreichen,
um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, wird ja
nicht nur die Würde von Arbeitnehmern verletzt; es geht
auch um die Gefühle sehr engagierter, tatkräftiger
Unternehmerinnen und Unternehmer.

Ich kenne viele, die oft auch in persönlichem Kontakt
mit ihren Mitarbeitern stehen, deren Lebensverhältnisse
und Familien kennen und sich mit ihnen duzen und die
es kaum aushalten können, dass sie ihren Arbeitnehmern
wegen unerträglicher Konkurrenz- und Wirtschaftsbe-
dingungen nicht einmal Löhne zahlen können, die aus-
reichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese
Unternehmer freuen sich jetzt über die Regelungen, die
wir heute hier beraten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Unternehmer sind übrigens nicht die Einzigen,
die sich freuen. Denn es waren auch Unternehmensver-
bände, die vorgeschlagen und uns darum gebeten haben,
dass wir gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen,
um Mindestlöhne in ihren Branchen zu etablieren. Das
ist die Grundlage des Konsenses, den die Koalition er-
reicht hat. Ich glaube, auch das muss festgehalten wer-
den. Es geht hier um etwas, was für eine soziale Markt-
wirtschaft unverzichtbar ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In das Arbeitnehmer-Entsendegesetz werden heute
Branchen auf Wunsch der Arbeitgeber und der Gewerk-
schaften aufgenommen, in denen eine Tarifbindung von
mindestens 50 Prozent herrscht. Über das Mindestar-
beitsbedingungengesetz versuchen wir dort zu Verbesse-
rungen zu kommen, wo Arbeitgeberverbände und Ge-
werkschaften die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
vor schlimmer Ausbeutung nicht schützen können. Denn
auch das ist etwas, was wir lernen mussten: Nicht jeder
niedrige Lohn ist wirklich durch Konkurrenz bedingt.
Manchmal gibt es ihn einfach nur deshalb, weil man ihn
durchsetzen kann. Das müssen wir mit den Gesetzen be-
enden, die wir heute auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Olaf Scholz
Eine dritte Möglichkeit, über die sich die Bundes-
regierung und die Koalitionsfraktionen verständigt ha-
ben, ist, dass wir auch für die Zeitarbeit eine Lohnunter-
grenze festsetzen werden. Das geschieht in einem
eigenständigen Gesetzgebungsverfahren im Rahmen des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Ich glaube, auch das
ist ein guter Fortschritt. Denn dieser Bereich ist gewis-
sermaßen ein Gradmesser für das, was in unserem Lande
passiert. Die Menschen, die dort arbeiten, arbeiten in al-
len Branchen. Deswegen brauchen wir auch dort eine
Regelung. Es ist gut, dass wir uns auf einen Weg dorthin
verständigt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wären nicht da, wo wir heute stehen, wenn die
Traditionen der Sozialpartnerschaft noch so gelten
würden, wie sie in den letzten Jahrzehnten schon einmal
gegolten haben. Aber es gab in den letzten Jahren einige,
die durch Talkshows gezogen sind und immer wieder ge-
sagt haben, dass mit der Sozialpartnerschaft Schluss sein
muss. Sie hatten mehr Erfolg, als man sich gewünscht
hätte. Denn anders als in früheren Jahrzehnten gibt es in
unserer Volkswirtschaft große Sektoren, in denen Lohn-
und Arbeitsbedingungen nicht mehr durch Verständi-
gung von Arbeitgebern und Gewerkschaften bestimmt
werden. Es herrscht dort nur noch nackte Konkurrenz,
die meistens zulasten von Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber die, die die Sozialpartnerschaft so infrage ge-
stellt haben, hätten vorher wissen können: Wenn es nicht
die Tarifparteien und die Sozialpartner sind, die die Re-
gelungen treffen, dann muss der demokratische Staat an
ihre Stelle treten. Genau das machen wir mit diesen Ge-
setzen. Denjenigen, die damals die Sozialpartnerschaft
infrage gestellt haben, muss man sagen, dass es ihnen
wie dem Zauberlehrling bei Goethe geht: „Die ich rief,
die Geister, werd’ ich nun nicht los.“ Genau das muss
man heute sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die beiden Gesetze sind alte Bekannte. Das Mindest-
arbeitsbedingungengesetz stammt aus der ersten Legis-
laturperiode des Deutschen Bundestages. Im Jahre 1950
gab es einen Antrag der SPD-Fraktion, der 1951 mit den
Stimmen der Mehrheit des Hauses – also auch mit denen
der Union – beschlossen worden ist. 1952 trat das ent-
sprechende Gesetz in Kraft. Das Arbeitnehmer-Entsen-
degesetz stammt aus dem Jahr 1996, also aus der Zeit ei-
ner von CDU/CSU und FDP getragenen Regierung.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist das Blüm-Kolb’sche-Mindestlohngesetz!)


Es ist dann später mit Leben erfüllt worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Seit diesem Zeitpunkt haben wir die gesetzlichen Grund-
lagen, die dazu beigetragen haben, dass es zum Beispiel
bereits heute in der Baubranche Mindestlöhne gibt.

Wir haben uns verständigt, dass jetzt sechs weitere
Branchen hinzukommen sollen: die Pflegebranche, die
Sicherheitsdienstleistungen, die Bergbauspezialarbei-
ten, Großwäschereien, die Abfallwirtschaft sowie Aus-
und Weiterbildungsdienstleistungen im Bereich der Ar-
beitsmarktförderung. Wenn man das alles zusammen be-
trachtet, dann kann man sagen: Am Anfang dieser Legis-
laturperiode waren 700 000 Bürgerinnen und Bürger im
Baugewerbe durch Mindestlöhne geschützt. Heute sind
es 1,8 Millionen. Jetzt kommen noch einmal 1,2 Millio-
nen hinzu. Wenn es am Ende auch für die Leiharbeit eine
Lohnuntergrenze geben wird, dann werden fast 4 Millio-
nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Lohn-
untergrenzen und Mindestlöhne geschützt sein. Das ist
eine Verfünffachung in dieser Legislaturperiode und eine
gute Anknüpfung an die sozialpartnerschaftlichen Tradi-
tionen unseres Landes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man bedenkt, dass diese Regelung nicht in den
Wahlprogrammen aller Koalitionsparteien die gleiche
Prominenz gefunden hat, ist das ein bemerkenswerter
Fortschritt.

Meine Damen und Herren, man kann natürlich immer
auch über andere Regelungen diskutieren. Ich finde also,
dass es, wenn man einen großen Fluss überqueren will,
erfolgversprechender ist, sich von Insel zu Insel vorzu-
arbeiten und geduldig Brücken zu bauen, anstatt zu ver-
suchen, einfach gerade durchzuschwimmen, um dann
womöglich mitgerissen zu werden. Die Brücken, die wir
mühsam geschaffen haben, sind stabil. Sie werden – das
ist wichtig – für Jahrzehnte halten, weil sie von einem
breiten Konsens, der über die Koalitionsfraktionen hi-
nausgeht, getragen werden. Deshalb bauen wir hier et-
was Wichtiges und Stabiles für die Zukunft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An einzelnen Branchen kann man sehen, was getan
werden muss. Ich will exemplarisch auf die Pflegebran-
che zu sprechen kommen. Es handelt sich hierbei um
eine Zukunftsbranche unseres Landes. Wir alle wissen:
Dort werden immer mehr Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer beschäftigt werden und beschäftigt werden
müssen. Die Arbeit, die Pflegerinnen und Pfleger leisten,
ist von unschätzbarem Wert für das Leben vieler Bürge-
rinnen und Bürger und für die Zukunft unseres Landes.
Mit den Löhnen, die in der Pflege teilweise gezahlt wer-
den, kann man die Ansprüche, die an die Pflege gestellt
werden, aber gar nicht erfüllen. Es geht um qualifizierte,
schwere Arbeit, die dort geleistet wird. Deshalb muss sie
auch anständig bezahlt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Olaf Scholz
Man kann den Leuten nicht sagen: „Arbeitet in einem
Pflegeberuf, seid engagiert und tragt dazu bei, dass Bür-
ger dieses Landes, die ein langes Arbeitsleben hinter
sich haben, einen erfüllten Lebensabend haben“, diesen
Leuten dann aber eine Lohnabrechnung schicken, mit
der man ihnen quasi mitteilt: „Wenn ihr nicht Geld von
eurer Familie oder einer Arbeitsgemeinschaft bekommt,
dann könnt ihr euren Lebensunterhalt nicht finanzieren.“
Das passt nicht zusammen. Das muss verändert und ver-
hindert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage das auch, weil es viele gibt, die als Arbeitge-
ber auch aus sozialen und karitativen Beweggründen in
diesem Bereich tätig sind und bei denen das nicht so ist.
Sie werden aber bedroht von einer Konkurrenz, die sich
aufmacht, das, was teilweise über Jahrzehnte oder sogar
ein Jahrhundert hinweg an sozialen Strukturen gewach-
sen ist, infrage zu stellen. Das darf nicht sein. Darum bin
ich froh, dass wir für die Pflegebranche eine Regelung
gefunden haben, die den Besonderheiten und Traditio-
nen dieser Branche gerecht wird. Ich will zum Gepräge
dieser Branche ausdrücklich sagen, dass insbesondere in
kirchlichen Arbeitsstrukturen gute Arbeit zu fairen Be-
dingungen geleistet wird.

Deshalb mussten wir auf den sogenannten „Dritten
Weg“, der hier eine besondere Rolle spielt, Rücksicht
nehmen. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Ar-
beitsbedingungen in den kirchlichen und karitativen
Organisationen durch Arbeitsvertragsrichtlinien festge-
legt werden, die in paritätisch besetzten Kommissionen
bestimmt werden. Das ist ein gleichwertiger Weg zu den
Tarifverträgen außerhalb des kirchlichen Bereichs. Diese
Gleichwertigkeit musste für die Pflegebranche vom Ge-
setzgeber berücksichtigt werden, indem wir gesagt ha-
ben: Es passt nicht, dass wir das eine Ergebnis – die Ta-
rifverträge eines geschlossenen Systems – dem anderen
überstülpen. Genauso wie es umgekehrt nicht passt, weil
es geschlossene Systeme sind. Wir müssen sicherstellen,
dass die unterschiedlichen Traditionen weiterexistieren
können. Gleichzeitig müssen wir aber sicherstellen, dass
die Konkurrenz, die Pflege zu Dumpinglöhnen anbietet,
verhindert werden kann. Ich glaube, mit der Kommis-
sion, die wir etabliert haben, wird das gelingen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in diese Regelung übrigens ganz viele
Quoren hineingeschrieben, und das finde ich richtig. An-
gesichts der Bedeutung, die die beiden großen Kirchen
in unserem Land für den Bereich der karitativen Pflege
haben, will ich ausdrücklich sagen: Eine Mindestlohnre-
gelung im Bereich der Pflege wird es ohne Einverständ-
nis der Kirchen mit dieser konkreten Regelung nicht ge-
ben. Aufgrund dieser gesetzlichen Grundlage kann es
eine solche Regelung auch nicht geben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dass wir auch im Bereich der Weiterbildung eine
Lösung gefunden haben, finde ich gut. Ich will das aus-
drücklich sagen, weil der Deutsche Bundestag in diesem
Zusammenhang eine Rolle spielt. Wir sind diejenigen,
die im Deutschen Bundestag Gelder für den Bereich der
Weiterbildung, für den Bereich der Arbeitsförderung be-
reitstellen. Der Bundestag bestimmt im Zusammenhang
mit der Selbstverwaltung der Arbeitsagenturen mit über
das Ausgeben von Versichertenbeiträgen und -geldern.
Wir alle haben das Problem, dass wir wegen der von uns
zu beachtenden Vorschriften nicht wirklich verhindern
können, dass an der einen oder anderen Stelle jemand
Neues auftritt und ausgebildete Akademiker oder Hand-
werker zu Löhnen beschäftigt, die nicht in Ordnung sind,
damit sie Arbeitslosen gute Arbeit und gute Berufe bei-
bringen. Das kann nicht funktionieren. Deshalb bin ich
froh, dass wir hier einen Bereich haben, in dem wir einen
vernünftigen Wettbewerb um die besten und qualitäts-
vollsten Leistungen auf den Weg bringen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Der
Druck wird zunehmen; denn 2011 werden wir die Frei-
zügigkeit in der Europäischen Union haben.


(Dirk Niebel [FDP]: Das wird auch Zeit!)


Darauf müssen wir uns vorbereiten, indem wir sicher-
stellen, dass die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft
auch in der Zukunft eine Bedeutung haben. Die Geset-
zesvorhaben, die heute zur Debatte und zur Entschei-
dung stehen, werden die Prinzipien der sozialen Markt-
wirtschaft für die Zukunft sichern.

Schönen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1620002300

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Jetzt spricht der Vater der Gesetze!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1620002400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, gab es in
Deutschland einen Mindestlohn für knapp 700 000 Be-
schäftigte. Nach Verabschiedung der hier heute vorliegen-
den Gesetzentwürfe wird sich die Zahl der von Mindest-
löhnen betroffenen Beschäftigten nahezu verfünffachen.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage bewusst der „betroffenen Beschäftigten“; denn
ob Mindestlöhne wirklich eine positive Wirkung für die
Beschäftigten entfachen, bleibt abzuwarten. Die Befür-
worter der Mindestlöhne sehen vor allem deren Vertei-
lungswirkung. Mahnende Stimmen – die FDP-Bundes-
tagsfraktion gehört ausdrücklich dazu – betonen in
Zeiten einer schweren Rezession mehr denn je die nega-
tiven Auswirkungen für die Beschäftigten – und das mit
gutem Grund.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
Am Beispiel der Postdienstleistungen ließ sich sehr
schnell und deutlich beobachten, dass die Warnung vor
Arbeitsplatzverlusten infolge der Einführung von Min-
destlöhnen einen sehr realen Hintergrund hat. Innerhalb
weniger Wochen sind 6 000 der 11 500 Arbeitsplätze bei
der PIN AG verschwunden. Das IWH in Halle befürch-
tet, dass die Einführung eines flächendeckenden Min-
destlohns in Höhe von 7,50 Euro einen Verlust von rund
620 000 Arbeitsplätzen vor allem im Niedriglohnbereich
zur Folge hat. Das ist für uns Anlass zur Sorge.


(Beifall bei der FDP)


Offensichtlich sehen die Menschen in unserem Lande
diese Gefahr. Sie haben erkannt, dass Mindestlöhne
nichts bringen, wenn man keinen Arbeitsplatz mehr hat.
Deswegen sagen wir – nach der Vorlage des Jahreswirt-
schaftsberichtes, über den gerade diskutiert wurde, erst
recht –: Nie waren Mindestlöhne so falsch wie heute.


(Beifall bei der FDP)


Die Große Koalition beharrt mit der Trägheit eines
großen Tankers auch in Zeiten der Rezession auf dem
einmal eingeschlagenen falschen Kurs. Sehen Sie: Es
macht mir Sorgen, dass die Große Koalition nicht mehr
die Rahmenbedingungen und die Konsequenzen ihres
Handelns sieht. Es geht offensichtlich, wie der Spiegel
mit Blick auf die Politik von Bundeskanzlerin Angela
Merkel unter der bildhaften Überschrift „Königin des
Ungewollten“ schreibt, nur noch darum, dass es ein Er-
gebnis gibt, aber nicht mehr darum, welches.


(Beifall bei der FDP)


Der Union fehlt eine ordnungspolitische Leitlinie.


(Dirk Niebel [FDP]: Und ein Kompass!)


Der Damm, den die Union noch im Koalitionsvertrag
vom 11. November 2005 errichtet hatte, ist längst gebro-
chen. Damals hieß es noch, eine Ausdehnung des Ent-
sendegesetzes auf weitere Branchen werde geprüft,
wenn entsprechende soziale Verwerfungen durch
Entsendearbeitnehmer nachgewiesen werden. Herr
Brauksiepe – Sie werden ja gleich nach mir sprechen –,
können Sie mir bitte einmal erklären, wo die Entsende-
problematik bei Aus- und Weiterbildungsleistungen nach
dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch – das
ist eine der Branchen, die heute in das Entsendegesetz
aufgenommen werden sollen – nachgewiesen ist? Hier
ist der ursprüngliche Zweck des Entsendegesetzes, Ver-
werfungen entgegenzuwirken, die durch den Einsatz ent-
sandter Arbeitnehmer in Deutschland entstehen können,
vollkommen aus dem Blick geraten.


(Zuruf des Abg. Dirk Niebel [FDP])


Von einer Wiederbelebung des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, Herr
Brauksiepe, war im Koalitionsvertrag zwischen Union
und SPD gar nicht die Rede. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union – ich muss das hier so hart an
Ihre Adresse sagen –, es ist genau so gekommen, wie ich
es Ihnen im Dezember 2007 nach Ihrer Zustimmung
zum Mindestlohn bei Gebäudereinigern und Postdienst-
leistungen prophezeit habe: Sie werden von der SPD
Stück für Stück weiter über den Tisch gezogen.


(Beifall bei der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Oh! Oh!)


Was auf der Strecke bleibt, ist die Tarifautonomie.
Der Staat mischt sich mehr und mehr in die Lohnfindung
ein, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus gu-
ten Gründen und ganz bewusst ausschließen wollten. Es
gibt erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit Ih-
res Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen. Professor Thüsing von der
Universität Bonn schrieb in seinem Gutachten vom
Juli 2008: Das Mindestarbeitsbedingungengesetz will
keinen Mindestarbeitslohn im Sinne der Existenzsiche-
rung festschreiben, sondern soll Grundlage der Festle-
gung angemessener Löhne entsprechend der jeweiligen
Tätigkeit sein. Damit tritt der Gesetzgeber in direkte
Konkurrenz zu den Tarifvertragsparteien.


(Beifall bei der FDP)


Herr Brauksiepe, genauso ist es. Branchenausschüsse
sollen Mindestlöhne festlegen, die dann per Rechtsver-
ordnung auch dort ausnahmslos bindend vorgeschrieben
werden, wo Tarifverträge mit geringeren Löhnen beste-
hen. Das ist – daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln –
eine Einschränkung des Tarifvorrangs.


(Beifall bei der FDP)


Weil Sie das wissen, haben Sie unseren Antrag auf
eine erneute Anhörung gestern im Ausschuss abgelehnt.


(Dirk Niebel [FDP]: Unglaublich!)


Weil aber mindestens 18 Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion der gleichen Meinung sind wie wir,
hat es in Ihrer Fraktion am Dienstag einen Aufstand ge-
geben,


(Dirk Niebel [FDP]: Aber nur einen kleinen! Einen ganz, ganz kleinen! – Andrea Nahles [SPD]: Interessant, was Sie unter „Aufstand“ verstehen!)


der allerdings erfolglos blieb, genauso erfolglos wie zu-
vor Josef Schlarmann, der Vorsitzende Ihrer Mittel-
standsvereinigung, der von der Kanzlerin höchstpersön-
lich im Bundesvorstand der CDU zusammengefaltet
wurde,


(Dirk Niebel [FDP]: Unglaublich!)


weil er es gewagt hatte, Kritik am wirtschaftspolitischen
Kurs der Bundeskanzlerin zu äußern.


(Dirk Niebel [FDP]: Na, so etwas!)


Meine Damen und Herren, die wenigen Kolleginnen
und Kollegen der CDU, die nach wie vor der gleichen
Meinung sind wie ich – ich meine zum Beispiel Laurenz
Meyer, Michael Fuchs, Peter Rauen und nicht zuletzt
Gitta Connemann, die mit der Niederlegung der Bericht-
erstattung im Ausschuss


(Andrea Nahles [SPD]: Oh! Wie schade!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb
aus Protest gegen die Nähe der CDU zur SPD in dieser
Frage


(Andrea Nahles [SPD]: Dass ich nicht lache!)


ein deutliches Zeichen gesetzt hat, wofür ich ihr aus-
drücklich meinen Respekt ausspreche –,


(Beifall bei der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Sehr gut! Ein paar Leute mit Rückgrat gibt es in der Union also noch!)


sind die letzten Mohikaner der Ordnungspolitik in der
Union.


(Beifall bei der FDP – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Diese Respektsbezeugung haben die Kollegen nicht verdient!)


Einfluss haben sie aber nicht mehr. Weil das so ist, lau-
fen die Mittelständler, wie gerade erst bei der Wahl in
Hessen, der Union derzeit in Scharen davon. Eine neue
Heimat finden sie bei der FDP,


(Beifall bei der FDP)


die in diesem Haus die einzig verbliebene politische
Kraft mit klarer ordnungspolitischer Linie ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie haben ja so recht! Sehr gut formuliert!)


Wie es weitergeht, kann man bereits erahnen. Dafür
muss man sich nur vor Augen führen, was hier und heute
noch nicht beraten wird. Herr Brauksiepe, ich meine Ih-
ren Plan, Mindestlöhne durch Verordnung des Bundes-
kabinetts und ohne Mitwirkungsrecht der Tarifparteien
festzulegen.


(Dirk Niebel [FDP]: Oh! Wenn das mal gut geht!)


Dieses Vorgehen soll zunächst zwar nur für den Bereich
der Arbeitnehmerüberlassung angewendet werden.


(Dirk Niebel [FDP]: Oh! Oh!)


Aber wer mag mit Blick auf die ins Wanken geratene
Unionsfraktion noch glauben, dass es bei dieser einen
Lohnuntergrenze bleibt?


(Beifall bei der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Weitere werden folgen.

Irgendwann werden Sie sich den Flickenteppich
branchenbezogener Lohnuntergrenzen ansehen. Dann
werden Sie sagen, dass man wirklich niemandem erklä-
ren kann, warum in der einen Branche diese und in der
anderen Branche jene Lohnuntergrenze gilt und dass es
doch besser wäre, einen einheitlichen gesetzlichen Min-
destlohn einzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


So könnte es kommen, wenn der Wähler dem nicht einen
Riegel vorschiebt und die Große Koalition abwählt, wo-
von ich nach den Wahlergebnissen vom letzten Wochen-
ende allerdings verstärkt ausgehe.


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, seien Sie versichert: Die
FDP hält die Fahne der Tarifautonomie hoch.


(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]: Allerdings! Und zwar als Einzige!)


– Lachen Sie nicht! Das hat nämlich einen sehr ernsten
Hintergrund: Für uns haben Tarifverträge absoluten Vor-
rang vor staatlicher Lohnfestsetzung, für Sie nicht.


(Beifall bei der FDP)


Wir schließen Eingriffe in die Tarifautonomie, insbeson-
dere eine Verdrängung konkurrierender Tarifverträge,
aus. Wir lehnen gesetzliche Mindestlöhne und die Auf-
nahme weiterer Branchen in das Arbeitnehmer-Entsen-
degesetz ab.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ja, natürlich! Ihr seid ja auch die Lohndrücker in diesem Haus! Ihr seid eine Lohndrückerpartei!)


Wir glauben, dass Deutschland einen funktionierenden
Niedriglohnsektor braucht, gerade in Zeiten wie diesen.
Wir wollen keine Mindestlöhne. Wir wollen ein bedarfs-
deckendes Mindesteinkommen für alle Bürger. Dafür ha-
ben wir unser Konzept des liberalen Bürgergeldes vor-
gelegt.


(Beifall bei der FDP)


Weil das so ist, lehnen wir beide vorliegenden Gesetz-
entwürfe ab.


(Dirk Niebel [FDP]: Allerdings! Und zwar entschieden!)


Herr Scholz, der heutige Tag mag ein wichtiger sein. Er
ist aber wahrlich kein guter Tag für die Tarifautonomie
in Deutschland.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620002500

Das Wort hat nun Kollege Ralf Brauksiepe, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1620002600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Menschen in Deutschland erwarten in ihrer großen
Mehrheit, dass Politik Fragen nach sozialer Gerechtig-
keit beantwortet. Zu dieser Frage nach sozialer Gerech-
tigkeit gehören für die Menschen faire Löhne. Hierauf
geben wir heute eine sozial gerechte Antwort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dabei ist für uns die Linie klar: Der Staat – das haben
wir in diesen Wochen an anderer Stelle diskutiert – ist
nicht der bessere Banker. Der Staat ist nicht der bessere
Unternehmer. Der Staat ist auch nicht der bessere Tarif-
partner oder der bessere Lohnfestsetzer. Deswegen erset-
zen wir die Tarifvertragsparteien nicht durch die Rege-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ralf Brauksiepe
lungen in diesen Gesetzentwürfen, sondern stärken sie.
Das ist Ausdruck gelebter Subsidiarität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Diesen Beitrag können wir leisten. Das schließt mit
der Modernisierung des Mindestarbeitsbedingungenge-
setzes auch ein, dass wir es da, wo die Tarifvertragspar-
teien aufgrund geringer Bindungswirkung nicht alleine
zu einer Lösung kommen,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Auch unter liberaler Führung nicht!)


mithilfe von Tarifsurrogaten und Kommissionen, in de-
nen die Tarifpartner vertreten sind, ermöglichen, dass in
diesen Branchen faire Löhne gezahlt werden.

Es wird davon gesprochen, dass damit die Tarifauto-
nomie angegriffen würde. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil
ist der Fall.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jeder Tarifvertrag, der in Branchen mit geringer Tarif-
bindung bisher besteht, kann weiter fortbestehen. Das
haben wir deutlich gemacht. Es gibt für die Tarifver-
tragsparteien Luft zum Atmen. Der Folgetarifvertrag
muss nicht unmittelbar anschließen, sondern es gibt die
Möglichkeit, dass sich die Tarifvertragsparteien zusam-
mensetzen und zu einer neuen Lösung kommen. Für je-
den einzelnen bestehenden Tarifvertrag gibt es Bestands-
schutz.

Lieber Kollege Kolb, vielleicht unterscheiden wir uns
in einem Punkt. Wo kein Tarifvertrag ist, da kann auch
keiner geschützt werden. In Branchen ohne Tarifbindung
gibt es auch keine Tarifverträge zu schützen. Auch das
sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Das hat etwas
mit der Wirklichkeit zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir schützen die bestehenden Tarifverträge. Jeder
Vertrag und jeder Folgetarifvertrag genießt Bestands-
schutz. Das ist eine Stärkung der Tarifautonomie. Weder
durch das Mindestarbeitsbedingungengesetz noch durch
das Entsendegesetz wird ein einziger Tarifvertrag ver-
drängt. Das bedeutet eine Stärkung der Tarifautonomie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe darauf hingewiesen, dass das auch für das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt. Wenn die FDP sagt,
sie wolle die Tarifautonomie stärken, dann müssten Sie
uns zu jeder einzelnen Branche einen Glückwunsch aus-
sprechen, die ins Entsendegesetz aufgenommen wird;
denn wir tun all das aufgrund tarifvertraglicher Regelun-
gen. Kein einziger Lohn wird von uns festgesetzt, son-
dern die Tarifvertragsparteien haben die entsprechenden
Regelungen vereinbart.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben dafür gesorgt, dass bewährte Regelungen
in Branchen, die schon vor längerer Zeit ins Entsendege-
setz aufgenommen wurden, erhalten bleiben. Die Bau-
wirtschaft hat seit Jahren Ausschlussfristen für die Gel-
tendmachung von Lohnansprüchen vereinbart. Wir
haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung dahin ge-
hend geändert, dass die Regelungen, die die Tarifver-
tragsparteien in bewährter Weise bisher freiwillig ver-
einbart haben, auf Dauer bestehen bleiben. Wir sichern
damit den Rahmen für die Bauwirtschaft – das ist die
bisher größte Branche im Entsendegesetz –, um die Re-
gelungen, die Norbert Blüm und Heinrich Kolb 1996 in
der Regierungsverantwortung eingeführt haben, weiter
fortzuführen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist falsch!)


Ehre, wem Ehre gebührt. So werden wir es weiter ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Acht Branchen haben einen Antrag auf Aufnahme ins
Entsendegesetz gestellt. Ich sage in aller Deutlichkeit:
Es war nicht so, dass die einen alle Branchen und die an-
deren keine Branchen aufnehmen wollten und wir die
Mitte festlegen mussten. Wir haben keinen Kuhhandel
gemacht. Uns muss man auch keine Aufnahme einer
Branche ins Entsendegesetz abringen. Es ging um Sach-
fragen und darum, hier gemeinsame Lösungen zu finden.

Ich will hier auch klarmachen, was das mit einer ord-
nungspolitischen Linie zu tun hat. Wir haben klipp und
klar gesagt: Wo Tarifkonkurrenz besteht, werden wir
als Gesetzgeber nicht die Tarifkonkurrenz in der Weise
angehen, dass wir bestimmte Tarifverträge verdrängen.
Deswegen wird die Branche der Zeitarbeit nicht ins Ent-
sendegesetz aufgenommen. Aber ich habe hier auch
schon in früheren Debatten gesagt: Wer ein Interesse an
tariflichen Mindestlöhnen hat – das haben wir –, der
muss auch ein Interesse daran haben, dass sich möglichst
viele Verhandlungspartner zu einer freiwilligen Verhand-
lungslösung zusammenfinden. Das muss der Anspruch
sein.

Ich zeige nur an zwei Branchen auf, lieber Heinrich
Kolb, was da passiert ist. In der Branche der Wäsche-
reien bestand Tarifkonkurrenz: Verschiedene Arbeitge-
ber haben mit verschiedenen Gewerkschaften konkurrie-
rende Verträge abgeschlossen. Wir haben gesagt: Das
entscheiden wir als Politik nicht. Die Tarifvertragspar-
teien haben sich zusammengesetzt und, indem sie einen
gemeinsamen Tarifvertrag geschlossen haben, die Kon-
kurrenz aufgehoben. Das ist genau das, was wir wollen:
dass sich die Tarifpartner zusammensetzen und um eine
gemeinsame Lösung ringen. Wenn eine gemeinsame Lö-
sung gefunden worden ist, verhelfen wir dieser gern zum
Durchbruch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Gleiche ist in der Entsorgungswirtschaft gesche-
hen. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht, dass die öffent-
lichen Entsorger die privaten an den Rand drücken. Jetzt
gibt es einen gemeinsamen Tarifvertrag. Erst als es die-
sen gab, haben wir uns bereit erklärt, die Entsorgungs-
branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzuneh-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ralf Brauksiepe
men. Die Tarifautonomie ist dadurch gestärkt worden,
dass sich die Tarifvertragsparteien in großer Einigkeit zu
einer Lösung durchgerungen haben, die nun alle in der
Branche umfasst.

In der Weiterbildungsbranche, lieber Heinrich Kolb,
sehen wir in der Tat Verwerfungen. Ich komme gerne
einmal in deinem Wahlkreis vorbei, wie ich es in vielen
anderen Wahlkreisen getan habe, und rede mit den Wei-
terbildungsträgern. Viele Weiterbildungseinrichtungen,
beispielsweise das Kolping-Bildungswerk, sagen uns:
Bei der Ausschreibung von der BA hat uns jemand mit
Billiglöhnen unterboten. Derselbe hat anschließend bei
uns angerufen und gefragt, ob er unsere Infrastruktur,
unser Personal, unsere Sachmittel nutzen kann, weil er
den Auftrag selber gar nicht bewältigen kann, außer Bil-
liglöhnen nichts zu bieten hat. Das sind Verwerfungen,
die wir mit der Aufnahme dieser Branche in das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz bekämpfen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ein weiteres Beispiel: Für die Sicherheitsbranche
gibt es jetzt einen bundesweiten Tarifvertrag. Es ist dem
Christlichen Gewerkschaftsbund gelungen, als Lohnun-
tergrenze, auch in den neuen Ländern, einen Stunden-
lohn von 6 Euro festzusetzen. In Brandenburg hat die
Gewerkschaft Verdi bisher nur 4,87 Euro aushandeln
können. Wenn der Arbeitgeberverband, der diesen bun-
desweiten Tarifvertrag geschlossen hat, jetzt Verdi an-
bietet, die 6 Euro, die er mit dem CGB vereinbart hat, in
einem regionalen Folgetarifvertrag auch mit Verdi zu
vereinbaren, kann man nicht davon sprechen, dass ir-
gendein Tarifvertrag verdrängt werde. Wenn Arbeitgeber
und Gewerkschaft einen neuen Tarifvertrag schließen,
ist das kein Anschlag auf die Tarifautonomie – auch
wenn die FDP es lieber sähe, dass es bei 4,87 Euro
bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da ich weiß, wie unser Koalitionspartner zu den ein-
zelnen gewerkschaftlichen Organisationen steht, bin ich
froh, dass es uns gelungen ist, zu diesem Ergebnis zu
kommen. Ich möchte mich dafür bei Bundesarbeitsmi-
nister Olaf Scholz herzlich bedanken. Bedanken möchte
ich mich aber auch bei Andrea Nahles; denn ich weiß,
liebe Andrea Nahles: Auf einem Juso-Bundeskongress
hättest du einen solchen Beschluss nicht herbeiführen
können. Auch in anderen SPD-Gremien hätte es für den
Kompromiss, den wir gefunden haben, keine Mehrheit
gegeben. Ich bin dankbar dafür, dass die SPD von dem
hohen Ross, auf das sie sich gesetzt hat – keine Lösung
ohne Aufnahme der Zeitarbeit! –, gestiegen ist. Damit
kein Missverständnis aufkommt, sage ich: Jeder, der
meint, durch die Aufnahme eines Paragrafen in ir-
gendein Gesetz den Christlichen Gewerkschaftsbund in
der Zeitarbeit an den Rand drängen zu können, wird
scheitern. So etwas werden wir nicht zulassen. Wir
respektieren die Tarifautonomie, und zwar auch in der
Zeitarbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die größte Branche, die wir heute in das Arbeitneh-
mer-Entsendegesetz aufnehmen, ist die Pflegebranche.
Der größte Arbeitgeber in diesem Bereich sind die Kir-
chen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, all denen,
die, ob in kirchlichen Einrichtungen oder in anderen Ein-
richtungen, im Pflegebereich – für einen geringen Lohn
und unter großen Anstrengungen – eine segensreiche Tä-
tigkeit erbringen, von dieser Stelle aus einen herzlichen
Dank zu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In einer Sitzung mit uns als Koalition, die am
27. November 2008 stattfand, haben sich alle in der
Branche Tätigen – die tariflichen nichtkirchlichen Ein-
richtungen und die Kirchen, katholische Dienstgeber
und Dienstnehmer, evangelische Dienstgeber und
Dienstnehmer – im Grundsatz darauf verständigt, eine
Kommission einzusetzen, in der die kirchlichen Träger
und die anderen Träger auf Augenhöhe nach einer Lohn-
untergrenze suchen. Für diesen Konsens bin ich dankbar.
Es gab ja lange Auseinandersetzungen, und über die
Jahre waren die Kirchen vielen Angriffen ausgesetzt –
auch von Gewerkschaften, denen der dritte Weg, der
Weg der Kirchen, nie gepasst hat. Für uns ist immer klar
gewesen, dass dieser Weg geschützt werden muss.

Ich bedauere es, dass das Bundesarbeitsministerium
die Kirchen in den letzten Tagen an der einen oder ande-
ren Stelle nicht so frühzeitig über die letzten Details der
Verabredung informiert hat, wie ich mir das gewünscht
hätte. Das gehört zum notwendigen Respekt im Umgang
mit den Kirchen sicherlich dazu.

Ich sage aber auch: Jeder bei den Kirchen kann sich
sicher sein, dass wir mit dem, was wir formuliert haben,
exakt auf dem aufbauen, worauf wir uns im Grundsatz
schon im November verständigt haben. Der dritte Weg
der Kirchen bleibt unangetastet. Wir sagen ausdrücklich,
dass Mindestlöhne Mindestlöhne und nicht Normlöhne
sind, die Grundsatz und Maßstab für die Vereinbarung
von Pflegesätzen sein können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir stellen auch ausdrücklich klar, dass die verschie-
denen arbeitsrechtlichen Wege gleichrangig geschützt
nebeneinander bestehen. Das ist das, was die Kirchen zu
Recht von uns erwartet haben. Ich bin mir ganz sicher,
dass die Kirchen nach abschließender Prüfung auch zu
dem Ergebnis kommen werden, dass man diesen Weg
gemeinsam gehen kann.

Worum es wirklich geht, hat Bischof Huber schon
Ende 2007 in einem Interview erklärt, als er gesagt hat,
mit der Umsetzung des Post-Mindestlohns seien nicht
alle Probleme gelöst – ich zitiere Bischof Huber –,

weil es andere Bereiche gibt, die von dieser Proble-
matik mindestens genauso betroffen sind – etwa die
Pflege.

So ist es. Deswegen führen wir diese Lösung herbei.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ralf Brauksiepe
Man kann es noch sehr viel grundsätzlicher sagen.
Papst Johannes Paul II. hat schon in seiner Enzyklika
Laborem exercens deutlich gemacht:

Das Schlüsselproblem der Sozialethik ist aber die
Frage des gerechten Lohnes für die geleistete Ar-
beit.

Schon Leo XIII. hat in der Enzyklika Rerum novarum
geschrieben:

Dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vor-
zuenthalten, ist eine Sünde, die zum Himmel
schreit.

Darauf müssen wir Antworten geben – auch in dieser
Zeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb ist dieser Tag heute auch ein großer Tag für
die christlich-soziale Bewegung in Deutschland. Es geht
nicht darum, die Existenz sozialer Fragen zu bestreiten.
Vielmehr geht es darum, auf die sozialen Fragen die
richtigen Antworten zu geben. Es ist immer schon der
Anspruch der Christdemokraten gewesen – nicht eines
einzelnen Flügels einer einzelnen Partei –, das Richtige
zu tun.


(Dirk Niebel [FDP]: Warum tut ihr es dann nicht?)


Das ist immer der gemeinsame Anspruch der Christlich-
Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen
Union gewesen. Den setzen wir durch.

Wer dabei mitmachen will, aus welchen Motiven
auch immer – christlichen oder anderen –, ist herzlich
eingeladen. Ich freue mich, dass wir diese Lösung ge-
meinsam erreicht haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620002700

Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen

Heinrich Kolb das Wort.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechter Verlierer! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie das Papstwort doch einfach einmal stehen!)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1620002800

Herr Kollege Brauksiepe, Sie haben heute erneut den

Versuch unternommen, hier vorzutragen, dass das 1996
beschlossene Arbeitnehmer-Entsendegesetz etwas mit
dem zu tun hat, was Sie heute hier tun. Sie haben auch
versucht, den Eindruck zu erwecken, ich hätte 1996
maßgeblich an diesem Gesetz mitgewirkt. Dazu will ich
Folgendes feststellen:

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz von 1996 ist mit
den heutigen Regelungen absolut nicht mehr vergleich-
bar. Die Regelung von 1996 war befristet. Sie ist erst
1998 nach der Bundestagswahl durch Rot-Grün entfris-
tet worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andrea Nahles [SPD]: Jetzt entschuldigt er sich dafür, dass er einmal etwas Gutes gemacht hat! Das ist nicht zu fassen!)


Die Regelung von 1996 war konsequent auf eine Ent-
sendeproblematik zugeschnitten. Ich habe das vorhin an-
gesprochen. Es ging um die Frage, ob durch die Entsen-
dung ausländischer Arbeitnehmer nach Deutschland ein
Schaden entsteht. Das wurde für die Baubranche bejaht,
aber eben auch auf die Baubranche begrenzt.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber Sie müssen sich nicht dafür entschuldigen!)


Die Regelung von 1996 war daneben strikt von der
Zustimmung der beiden Tarifvertragsparteien abhängig.
Das ist heute eben nicht mehr der Fall. Damals war der
Tarifvorrang gewährleistet, heute ist der Tarifvorrang
nicht mehr gewährleistet.


(Andrea Nahles [SPD]: Das haben wir doch hineingeschrieben! Das ist doch nicht zu fassen!)


Ich zitiere Herrn Hundt aus einer Stellungnahme der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
zum Thema Tarifvorrang, die, so denke ich, nicht un-
maßgeblich auch von Ihrem früheren Kollegen Göhner
mit beeinflusst wurde:

In beiden Gesetzen ist das Gegenteil eines Tarifvor-
rangs geregelt. Die staatlichen Rechtsverordnungen
nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und nach
dem Mindestarbeitsbedingungengesetz haben Vor-
rang vor Tarifverträgen und verdrängen abwei-
chende Tarifverträge. Das ist Tarifnachrang.

– So weit die Stellungnahme der BDA.

Hieran gibt es nichts zu deuteln. Herr Kollege
Brauksiepe, wenn es anders wäre, dann wäre Gitta
Connemann noch in ihrer Funktion und dann hätte sie
ihr Amt nicht niedergelegt.


(Beifall bei der FDP)


Zum Schluss erkläre ich: Ich habe damals über diese
Regelungen weder verhandelt, noch habe ich ihnen zu-
gestimmt.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620002900

Kollege Brauksiepe, bitte.


Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1620003000

Herr Kollege Kolb, ich weise zunächst darauf hin,

dass, wie gestern bereits im Ausschuss besprochen, die
Koalitionsfraktionen einen Änderungsantrag eingebracht
haben und hier zur Abstimmung stellen, in dem es aus-
drücklich heißt, dass ein gemeinsamer Antrag der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ralf Brauksiepe
Parteien dieses Tarifvertrages Voraussetzung für das sei,
was wir hier machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)


Das ist in der Tat von der Regierung Schröder einmal ab-
geschafft worden. Aber wir führen es jetzt als Große
Koalition gemeinsam wieder ein. Besser können wir es
in dem Sinne, wie Sie es haben wollen, eigentlich nicht
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil absehbar war, was Sie hier vortragen, und weil
es auch im Jahr 1996 Bleistift und Papier sowie Maschi-
nen, um das zu drucken, gab, kann ich den Vizepräsiden-
ten Hans-Ulrich Klose zitieren, der die Abstimmung
über das Entsendegesetz leitete:

Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.

Es gab eine persönliche Erklärung der Kollegin Babel, in
der sie zum Ausdruck brachte, dass sie nicht zustimme.
Von irgendeiner ablehnenden Haltung Ihrerseits ist hier
nichts dokumentiert, Herr Kollege Kolb. Zumindest er-
innere ich Sie an das, worauf der Ausschussvorsitzende
Gerald Weiß zu Recht hingewiesen hat: Auch nach Ver-
abschiedung des Gesetzes sind Sie als Parlamentarischer
Staatssekretär nicht zurückgetreten. Das war auch rich-
tig; denn Sie haben letztlich ein gutes Gesetz mit auf den
Weg gebracht.

Vielen Dank.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620003100

Das Wort hat nun Kollege Gregor Gysi, Fraktion Die

Linke.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620003200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundes-

arbeitsminister Scholz ist hier sehr stolz aufgetreten, al-
lerdings, wie ich finde, ohne Grund.


(Zurufe von der SPD: Ach!)


Es gibt heute eine neue Statistik, mit der Sie sich noch
nicht beschäftigt haben. Das Deutsche Institut für Wirt-
schaftsforschung hat festgestellt, dass die Ungleichheit
in unserer Gesellschaft weiter gestiegen ist. Die rei-
cheren 10 Prozent der Bevölkerung besitzen inzwischen
über 61 Prozent des Vermögens; das reichste 1 Prozent
der Bevölkerung besitzt 23 Prozent des Vermögens in
Deutschland. Das sind 1,5 Billionen Euro oder 1 500 Mil-
liarden Euro. 27 Prozent der Bevölkerung besitzen
nichts; auch diese Zahl ist gestiegen. Das war unter
Schröder so, und das ist unter Merkel so. Es gibt keinen
Grund, auf irgendetwas stolz zu sein, wenn die Un-
gleichheit in unserer Gesellschaft permanent zunimmt.


(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zu einer anderen Frage, die auch mit den
Mindestlöhnen zusammenhängt: Die prekäre Beschäf-
tigung hat gewaltig zugenommen, gerade seit Kanzler
Schröder, aber auch unter der Kanzlerin Merkel. Wir ha-
ben 1-Euro-Jobs, 400-Euro-Jobs, Teilzeitbeschäftigung,
befristete Beschäftigung und Leiharbeit. Dies alles
macht 25 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland aus. Interessant ist auch, dass es 19 Prozent
der Beschäftigungsverhältnisse in den alten Bundeslän-
dern und 41 Prozent in den neuen Bundesländern sind.
Diese Beschäftigungsverhältnisse haben mit alledem,
worüber wir hier reden, gar nichts zu tun. Das ist eine
wirkliche Tragik, und dieser Frage müssen Sie sich end-
lich einmal stellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben auch gesagt, Herr Kolb, dass viele Mittel-
ständler jetzt FDP wählten. Ich glaube, nicht ein Min-
destlohnbezieher käme auf die Idee, die FDP zu wählen,
nachdem er Sie hier heute gehört hat; das hoffe ich zu-
mindest. Im Niedriglohnsektor, den Sie sehr gewürdigt
haben, sind 6,6 Millionen Menschen beschäftigt. Davon
erhalten 3,8 Millionen Menschen weniger als 50 Prozent
des Durchschnittslohns. Das sind Stundenlöhne unter
5 Euro, von denen man nicht in Würde leben kann.
Wenn Sie den Niedriglohnsektor predigen, dem Sie
selbst nicht beitreten wollen – besonders attraktiv ist er
ja nicht –, dann sollten Sie auch einmal an Art. 1 des
Grundgesetzes denken, der die Würde des Menschen ga-
rantiert. Also muss es Löhne geben, von denen man in
Würde leben kann. Solche Löhne werden zu einem gro-
ßen Teil in Deutschland nicht gezahlt.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen ist ein gesetzlicher flächendeckender
Mindestlohn, von dem hier keine Rede ist, weil es nur
um einzelne Branchen geht – darauf komme ich gleich
noch zu sprechen –, eine wichtige Regelung. Sie treten
für den Reichtum ein und schützen ihn: Es muss kein
einziger Reicher einen Euro mehr bezahlen; selbst dieje-
nigen, die an der Finanzkrise Milliarden verdient haben,
werden nicht mit einem einzigen Euro herangezogen.
Zahlen müssen die Rentnerinnen und Rentner, die Lohn-
abhängigen und die Empfänger von Sozialleistungen.
Das ist Ihre Logik.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Ich weiß ja, dass Sie im Zusammenhang mit dem Ka-
pitalismus auch die Gier wollen. Das ist ja alles okay.
Aber auch Großbritannien und Frankreich sind kapitalis-
tische Länder, und trotzdem gibt es dort einen gesetzli-
chen flächendeckenden Mindestlohn. Sie müssten sich
also gar nicht so sehr verbiegen, wenn Sie endlich diesen
Weg gingen.


(Beifall bei der LINKEN)


Er ist wichtig für die Europäische Union. Wir alle wollen
doch die Europäische Union.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Seit wann ihr denn?)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Wenn wir die Akzeptanz für die Europäische Union er-
höhen wollen, müssen wir den kleinen Unternehmen und
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sicherheit
geben. Niemand von uns hat etwas dagegen, dass ein ru-
mänisches Unternehmen nach Deutschland kommt.
Aber wir können uns hier keine rumänischen Löhne leis-
ten, weil wir keine rumänischen Preise haben. So einfach
ist das.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb brauchen wir zum Schutz der Leute einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der eine
bestimmte Garantiegrenze zieht. Im Übrigen zielt ein
solcher Mindestlohn auch auf Wettbewerbsgleichheit
zwischen den Unternehmen. Dafür gibt es im Bundestag
eine Mehrheit. Sie besteht aus SPD, Linken und Grünen.
Aber die Mehrheit kommt nicht zustande, aus welchen
Gründen auch immer. Das führt natürlich auch dazu,
dass Menschen von der Demokratie enttäuscht sind; sie
sagen: Wir haben den Bundestag gewählt, jetzt gibt es
eine Mehrheit von Abgeordneten, die einen flächende-
ckenden gesetzlichen Mindestlohn wollen, aber diese
Mehrheit kommt nicht zustande. – Auch darüber müssen
wir nachdenken.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Rot-Rot-Grün in Hessen ist auch nicht zustande gekommen!)


– Sie haben völlig recht, in Hessen ist die Mehrheit, als
sie noch anders aussah, nicht zustande gekommen. Da-
ran haben Sie aber auch aktiv gearbeitet.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Die überwiegende Mehrheit der Leute war dagegen! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die haben wenigstens die Studiengebühren abgeschafft!)


– Immerhin: Diese Mehrheit hat wenigstens die Studien-
gebühren abgeschafft,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


die Sie beide toll finden, die aber nichts anderes bedeu-
ten, als Menschen aus bestimmten sozialen Schichten
vom Studium auszuschließen, was wir nicht wollen, weil
wir Chancengleichheit in der Bildung fordern.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen komme ich nicht aus privilegierten Verhältnissen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620003300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wellmann von der CDU/CSU-Fraktion?


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620003400

Ja, bitte.

Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1620003500

Herr Kollege Gysi, hätten Sie die Freundlichkeit, uns

allen noch einmal zu bestätigen, dass die Landesregie-
rung in Deutschland, die Sie mitverantworten, der Berli-
ner Senat, in den vergangenen Jahren 76 Millionen
Euro für Beschäftigungsförderungsmaßnahmen gestri-
chen hat, 21,5 Millionen Euro im Bereich der Sozial-
und Gesundheitshilfe gekürzt hat, 46 Millionen Euro im
Bereich der Jugendhilfe gestrichen und der Erbschaft-
steuer zugestimmt hat, dass Sie – mit anderen Worten –
dort, wo Sie Verantwortung tragen, genau das Gegenteil
dessen tun, was Sie uns hier auftischen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620003600

Erstens hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie zu-

nächst darauf hinweisen, dass die Union Berlin in die
schwerste Krise seiner Geschichte mit dem größten Ban-
kenskandal gestürzt hat, den wir bis dahin hatten,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


und zwar mit Milliardenverlusten. Nur deshalb ist eine
rot-rote Regierung zustande gekommen, um dies wieder
auszugleichen.


(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Zweitens hätten Sie sagen müssen, dass keine der von
Ihnen genannten Maßnahmen in der jetzigen Legislatur-
periode unter Rot-Rot geschehen ist. Vielmehr gibt es
jetzt einen Ausbau der Sozialleistungen.


(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Wir haben ein gebührenfreies Kindertagesstättenjahr.
Wir haben jetzt mehr Lehrerinnen und Lehrer. Vor allem
haben wir als erste Stadt einen öffentlich geförderten Be-
schäftigungssektor mit über 4 000 Beschäftigten, die
vorher arbeitslos waren. Das ist wichtig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben noch etwas in Berlin, worauf Sie nicht hin-
weisen. Wir haben nicht nur ein Sozialticket, sondern
auch ein Kulturticket. Ich möchte es gern in ganz
Deutschland sehen, dass jedes Theater, jede Oper, jedes
Konzerthaus verpflichtet ist, eine Stunde vor Vorstel-
lungsbeginn alle noch vorhandenen Karten, die bis zu
dem Zeitpunkt noch nicht verkauft sind, für 3 Euro an
Arbeitslose und Grundsicherungsrentner etc. zu verkau-
fen. Das gibt es nur in Berlin!


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD] und Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Davon brauchen wir mehr.


(Dirk Niebel [FDP]: Das bezahlt alles BadenWürttemberg über den Finanzausgleich!)


– Das bezahlt alles die FDP. Das stellen Sie sich so vor.


(Heiterkeit bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Sie haben etwas zur Tarifautonomie gesagt. Nun geht
es hier ja um tarifvertragliche Vereinbarungen, die bestä-
tigt werden sollen. Ich finde Ihre Argumentation diesbe-
züglich wirklich billig. Was ist denn daran so schlimm,
einen gesetzlichen Mindeststandard einzuführen und zu
sagen: „Natürlich können die Tarifpartner immer etwas
Höheres vereinbaren. Das ist ihr gutes Recht. Aber wir
machen einen gesetzlichen Mindeststandard, der für
ganz Deutschland gelten soll“? Was, meine Damen und
Herren von der FDP, ist daran eine solche Katastrophe?
Ich verstehe nicht, wie Sie diesbezüglich argumentieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wenn Sie dann noch sagen, dass es Ihnen um die Ar-
beitsplätze gehe und man deshalb den Niedriglohnsektor
brauche, dann haut mich das einfach um. Was für Ar-
beitsplätze wollen Sie denn? Solche mit 1 Euro brutto
pro Stunde? Wollen Sie denn verhindern, dass die Men-
schen in Würde leben können? Beides gehört doch zu-
sammen. Wir brauchen Arbeitsplätze, aber sie müssen
auch anständig und vernünftig bezahlt werden. Das müs-
sen wir erreichen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir bieten ihnen das Gleiche an!)


– Nein, lassen Sie mich das sagen. Wir haben doch
schon über 1 Million Aufstocker.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch nichts Schlimmes!)


– Doch. Ich erkläre Ihnen gleich, warum das etwas
Schlimmes ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!)


Die Hälfte dieser über 1 Million Menschen arbeitet Voll-
zeit und verdient so wenig, dass sie auf Hartz-IV-Zu-
schläge angewiesen ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist nachweislich eine Durchgangssituation, Herr Gysi!)


Darauf sind Sie noch stolz. Frau Merkel nennt das Kom-
bilohn. Ich bitte Sie. Wenn Sie das in Deutschland ein-
führen, dann ist absehbar, wie hoch die Löhne sein wer-
den. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollen dann
das aufbringen, was am Lohn fehlt. Das ist doch absurd.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Für das Selbstverständnis eines zuvor Arbeitslosen ist es allemal besser, wenn er Arbeit hat, auch wenn er aufstocken muss!)


Wer gute Arbeit leistet, muss auch in Würde leben
können und entsprechend viel verdienen. Sie vergessen
diesbezüglich Art. 1 Grundgesetz.

Jetzt kommen wir zu den Gesetzentwürfen. Sie betrei-
ben darin eine Flickschusterei, die uns nicht weiterhilft.
Ich nenne zwei Punkte, die mich richtig ärgern. Das eine
ist der unterschiedliche Mindestlohn in allen Branchen
für Ost und West. Im Jahr 19 der deutschen Einheit bei
der gleichen Kostenstruktur in Ost und West sagen Sie
mit Ihrem Gesetzentwurf wieder: Man muss im Osten
weniger verdienen als im Westen. – Das finde ich nicht
mehr hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Wo steht das im Gesetz? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt könnten Sie einwenden – ja, ich wusste es –, dass
das doch die Tarifparteien vereinbart haben. Die kriti-
siere ich aber genauso dafür. Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften dürfen nicht länger niedrigere Löhne im
Osten vereinbaren. Sie bestätigen das mit Ihrem Gesetz-
entwurf. Das finde ich falsch.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich habe keine Hemmungen, auch die Gewerkschaften
zu kritisieren. Das macht mir nichts aus.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Von Tarifautonomie haben Sie wohl noch nie was gehört!)


Nehmen wir zum Beispiel den Wachdienst. Sie sehen
für den Wachdienst im Osten einen Mindestlohn von
6 Euro pro Stunde vor. Von 6 Euro brutto pro Stunde
kann man nicht in Würde leben. Deshalb frage ich, wa-
rum wir keinen anderen Weg gehen.


(Zuruf des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Von den Gewerkschaften beantragt. Dagegen kann der
Senat nichts machen.

Wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


– was Sie sagen, stimmt nicht, weil dann die anderen
noch weniger verdienen würden –, und zwar für ganz
Deutschland: von Mecklenburg-Vorpommern bis Bay-
ern.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Gysi ist für die Abschaffung der Gewerkschaften!)


Der zweite Punkt. Auch bei der Zeitarbeitsbranche
begehen Sie einen Sündenfall. Sie führen einen Mindest-
lohn ein, statt zu regeln, dass man Anspruch auf densel-
ben Lohn hat, den ein anderer in demselben Unterneh-
men für die gleiche Tätigkeit verdient. Sie lassen zu,
dass man an Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern – also
an der Leiharbeit – verdient und die Stammbelegschaft
unter Druck setzt, um die Löhne zu senken. Genau das
kritisieren wir. Sie schreiben das in Ihrem Gesetzentwurf
fest.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Sie haben die Pflege sehr stark betont. Es ist zwar gut,
dass es in der Pflege zu einer Regelung kommt. Aber uns
ist noch kein Betrag bekannt. Wenn ich Sie heute richtig
verstanden habe, so sollen die Kirchen darüber entschei-
den. Dann müssen wir aber mit der katholischen und der
evangelischen Kirche darüber sprechen, dass der Betrag
nicht zu niedrig werden sollte.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das fällt Ihnen schwer! – Andrea Nahles [SPD]: Die haben höhere Löhne als die Privaten! Sie haben keine Ahnung!)


Warum lassen Sie sich alles aus der Hand nehmen? Wir
sind der Gesetzgeber. Wir können den flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einführen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zuruf)


– So ein Quatsch. Nicht einmal vom Kommunismus ver-
stehen Sie etwas. Sie reden hier einen Unsinn.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Davon verstehen Sie wirklich mehr! Das stimmt! Da sind Sie der Profi!)


3 Millionen der Geringverdienerinnen und Geringver-
diener in Deutschland haben nichts von Ihren heutigen
Entscheidungen. Ich habe zum Beispiel darauf hinge-
wiesen, welche Mindestlöhne von Ihnen festgelegt wer-
den. Welche Mindestlöhne brauchen wir? Gibt es dafür
eine Orientierung? Das ist eine spannende Frage. Ist das
willkürlich zu entscheiden, oder kann man sich nach ir-
gendwelchen Kriterien richten?

Wir haben Frankreich als Beispiel genommen. In
Frankreich liegt der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde
bei 8,71 Euro. Ich weiß, dass zur Einführung eines ge-
setzlichen Mindestlohns gehört, dass man die Schwarz-
arbeit wirksam bekämpft und vieles andere mehr. Ich
weiß ferner, dass zunächst die Handwerker unterstützt
werden müssen. Das ist mir alles bekannt. Das haben wir
auch in den Antrag mit aufgenommen.

Reisen Sie nach Großbritannien und unterhalten Sie
sich mit der Kommission darüber, wie dort verfahren
wird! In Großbritannien gibt es weniger Schwarzarbeit
als in Deutschland, obwohl es dort einen flächendecken-
den gesetzlichen Mindestlohn gibt.

All das, was Sie vorbringen, stimmt also nicht. Es
bleibt die spannende Frage: Wie können wir das ma-
chen? Was ist der Maßstab? Sie haben doch mit Ihrer ei-
genen Gesetzgebung einen Maßstab geschaffen. Sie le-
gen die Grenzen fest, wann ein Einkommen
pfändungsfrei ist. Was heißt das denn, meine liebe FDP?
Das heißt, in dem Fall, in dem ein Schuldner einem
Gläubiger Geld zu zahlen hat, sagt der Gesetzgeber: Die
letzten 1 000 Euro seines Einkommens dürfen nicht he-
rangezogen werden. – Davon bekommt der Gläubiger
keinen Euro. Das legt der Gesetzgeber als Minimum
fest, das dem Schuldner bleiben muss. Wenn das der Ge-
setzgeber sagt, dann ist das der Standard für den gesetz-
lichen Mindestlohn in Deutschland. Nicht mehr fordern
wir; denn mit 8,71 Euro pro Stunde kommt man monat-
lich auf 1 455 Euro brutto. Das sind netto etwa
1 000 Euro. Genau das ist der pfändungsfreie Betrag. Ich
verstehe Sie nicht, meine Damen und Herren von der
Union. Warum regeln Sie den pfändungsfreien Betrag
und sagen nicht gleichzeitig, dass das das Minimum ist,
das man in Deutschland zu verdienen hat?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wenn Sie dem Gläubiger sagen, dass er an diese
1 000 Euro des Schuldners nicht herandarf, dann sagen Sie
doch damit, dass dies das Minimum ist, das der Schuldner
behalten darf. Warum gibt es so viele Menschen, die von
weniger als diesem Minimum leben müssen?

Lassen Sie uns endlich den Schritt gehen! 20 Länder
der Europäischen Union, die nicht dümmer sind als wir,
sind den Weg gegangen, einen gesetzlichen Mindestlohn
flächendeckend einzuführen. Genau das brauchen wir.
Deswegen können wir Ihrer Flickschusterei nicht zu-
stimmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620003700

Das Wort hat nun Kollegin Brigitte Pothmer, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620003800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offen ge-

standen kann ich die Aufregung, die es in der CDU/
CSU-Fraktion gegeben hat und die vom Wirtschaftsflü-
gel getragen wurde, überhaupt nicht verstehen. Frau
Connemann, Herr Fuchs und Herr Meyer haben offen-
sichtlich unter Protest den Saal verlassen.


(Dirk Niebel [FDP]: Frau Connemann zeigt Rückgrat! Sie sitzt da!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Den Aufstand können Sie ab-
blasen; denn auf den vorliegenden Gesetzentwürfen
steht zwar Mindestlohn drauf, aber es ist leider nur ganz
wenig Mindestlohn drin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Gesetze funktionieren nach dem Oettinger-Prinzip
„So wenig Mindestlohn wie möglich in so wenigen
Branchen wie möglich“. Das ist das Prinzip, von dem
diese Gesetzentwürfe getragen sind. Genau das ist das
Problem; Herr Gysi hat darauf hingewiesen.

Frau Nahles, Sie können die Zahlen nicht negieren.
Wie Sie wissen, arbeiten 6,6 Millionen Menschen im
Niedriglohnsektor, viele davon mit einem Einkommen
von unter 5 Euro pro Stunde, und zwar brutto. Inzwi-
schen haben wir in Deutschland einen stärkeren Anstieg
bei den Working Poor zu verzeichnen als in den USA. Es
hat einmal einen gesellschaftlichen Konsens darüber ge-
geben, dass wir amerikanische Verhältnisse auf dem
deutschen Arbeitsmarkt nicht haben wollen. Wir haben
sie jetzt aber.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Daran war RotGrün nicht ganz unwesentlich beteiligt!)







(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
Was das insbesondere für den Konsum bedeutet, kann
man in den USA sehen. Den Konsum können Sie mit
diesen Löhnen auf keinen Fall ankurbeln, wie Sie es mit
Ihren Konjunkturprogrammen vorhaben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es besteht Grund zur Hoffnung, dass Barack Obama
zukünftig die riesige Gerechtigkeitslücke in den USA
schließen wird. Aber wer wird die Gerechtigkeitslücke
in Deutschland schließen? Die Große Koalition wird es
jedenfalls nicht sein. Ihr Konjunkturpaket vergrößert so-
gar die Gerechtigkeitslücke. Sie müssen endlich aner-
kennen: Diese Entgelte sind – darüber kann man nicht
länger hinwegtäuschen – nicht nur ein Problem für dieje-
nigen, die davon betroffen sind, sondern auch ein ge-
samtgesellschaftliches Problem. Herr Kolb, die Politik
muss an dieser Stelle Verantwortung übernehmen und
kann nicht ständig mit dem Finger auf die Tarifparteien
zeigen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was haben Sie denn in Zeiten der rot-grünen Regierung getan? Sie haben doch den Niedriglohnsektor erst geschaffen!)


Lieber Herr Kolb, über 6 Millionen Menschen im Nied-
riglohnbereich sind doch der schlagende Beweis dafür,
dass die Tarifparteien das nicht mehr regeln können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen müssen wir politisch tätig werden.

Herr Kolb, wenn Sie sich jetzt als derjenige aufspie-
len, der die Tarifautonomie mit aller Kraft verteidigen
will,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Von Ihnen kann ich es leider nicht erwarten!)


dann kann ich nur sagen: Ihre Partei und insbesondere
Ihr Vorsitzender haben es in der Vergangenheit nicht als
prioritäres Ziel der FDP-Politik gesehen, die Gewerk-
schaften im Rahmen der Tarifautonomie zu stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das stimmt wohl!)


Die Frage, die heute auf dem Tisch liegt, ist doch die,
ob die vorgelegten Gesetzentwürfe die Probleme, die
hier geschildert worden sind und die außer der FDP
eigentlich niemand ernsthaft bezweifelt, wirklich grund-
legend lösen. Ich sage ganz offen: Ich habe da erhebliche
Zweifel. Wenn ich Ihnen, Herr Arbeitsminister Scholz,
zuhöre, dann habe ich nicht das Gefühl, dass Ihre Hoff-
nungen im Zusammenhang mit diesen Gesetzen in den
Himmel wachsen. Sie reden davon, dass diese Gesetze
vielleicht für ein paar Hunderttausend Menschen Lohn-
verbesserungen bringen. Das ist für die Betroffenen gut.
Das will ich hier gar nicht infrage stellen. Ich frage Sie
aber: Was ist mit den Millionen anderen? Ich frage auch
Herrn Brauksiepe: Was ist mit den Millionen anderen?
Gilt für die das Papstwort, das Sie hier vorgetragen ha-
ben, eigentlich nicht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit diesen Gesetzentwürfen ist eine große Chance ver-
passt worden, nämlich die Chance, das Arbeitnehmer-
Entsendegesetz für alle Branchen zu öffnen. Warum ge-
ben wir den anderen Branchen nicht wenigstens die
Chance, in dieses Gesetz aufgenommen zu werden?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als diese Gesetzentwürfe eingebracht wurden, wurde
noch von acht Branchen geredet, inzwischen sind es ma-
gere sechs, und die Zeitarbeit ist nicht darunter. Das
muss man an dieser Stelle deutlich sagen.


(Zuruf von der SPD: Die kommt extra!)


Auf welcher Grundlage die Neuregelung für die
700 000 Menschen, die in der Zeitarbeitsbranche ar-
beiten, kommt, wissen wir bis jetzt nicht. Bis jetzt ist das
alles ein Blind Date. Schauen wir uns einmal die Aus-
sage von Herrn Pofalla genauer an. Er hat gesagt, dass
Löhne in der Zeitarbeitsbranche, die deutlich unterhalb
der Flächentarifverträge und unterhalb der Schwelle der
Sittenwidrigkeit liegen, zukünftig untersagt werden. Das
ist das politische Ziel der CDU. Ich frage mich, ob Herr
Pofalla überhaupt weiß, wie sittenwidrige Löhne in
Deutschland definiert werden. Sittenwidrige Löhne sind
Löhne, die ein Drittel unter den Tariflöhnen liegen.
Wenn Sie, was Sie vorhaben, den Tarifvertrag der christ-
lichen Gewerkschaften in Ostdeutschland zur Grundlage
nehmen, dann müssen Sie wissen, dass der Stundenlohn
dort 6 Euro beträgt. Ein Drittel weniger sind nach Adam
Riese 4 Euro.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gut gerechnet!)


Das heißt, für Herrn Pofalla ist ein Stundenlohn von
4 Euro in Ordnung. Das ist sittenwidrig. Herr Pofalla ist
sittenwidrig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein anderer schwerer Mangel in diesem Gesetzent-
wurf ist, dass Sie regionale Tarifverträge überhaupt
nicht zulassen. Sie wissen doch so gut wie ich, dass es
nur in sehr wenigen Branchen bundesweite Tarifverträge
gibt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Zulassung
von regionalen Tarifverträgen die Voraussetzung dafür
ist, dass wir bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen
Lohndumping verhindern können. In allen Länderparla-
menten beschließen Sie Anträge mit dem Ziel, Lohn-
dumping bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu
verhindern. Hier hätten Sie die politische Möglichkeit,
die Voraussetzung dafür zu schaffen, aber Sie lassen sie
einfach vorüberziehen.

Und ich frage Sie: Was hat Ihr Gesetzentwurf für ei-
nen Vorteil für die Friseurin in Sachsen, die 3,06 Euro in
der Stunde verdient


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Tariflohn!)


– Tariflohn, richtig –, oder für die Floristin in West-
deutschland, die 5,94 Euro in der Stunde verdient,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch Tariflohn!)







(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
oder für Beschäftige im Fleischerhandwerk, die
4,50 Euro in der Stunde verdienen? – Ja, Herr Kolb, das
ist der Tariflohn, aber ich frage mich, warum wir Tarif-
löhne auf diesem Niveau schützen sollen. Warum sollen
wir die unter Artenschutz stellen? Warum wollen wir das
eigentlich?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Die Beschäftigten haben gar nichts von diesen Gesetz-
entwürfen. Wir brauchen eine gesetzliche Lohnunter-
grenze, die nicht unterschritten werden kann. Dann je-
denfalls hätten die Betroffenen etwas davon. Diese
generelle Lohnuntergrenze fehlt in diesem Gesetzent-
wurf. Wir haben Ihnen heute zwei Änderungsanträge
vorgelegt. Diese Änderungsanträge bieten Ihnen die
Chance, die großen Mängel in diesem Gesetzentwurf zu
beheben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-
Fraktion, Sie kennen diese Mängel, und Sie leiden doch
auch unter diesen Mängeln. Dann stimmen Sie unseren
Änderungsanträgen einfach zu!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Anette Kramme [SPD]: Für welche Branchen denn?)


Es ist schon erstaunlich, wie den Geringverdienern
über Jahre hinweg der staatliche Schutz verwehrt wor-
den ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch in den sieben Jahren rot-grüner Regierung!)


Innerhalb kürzester Zeit war diese Große Koalition be-
reit, für den Bereich der Banken und der Unternehmen
Unterstützung in Milliardenhöhe zu aktivieren. Es sind
genau die Propheten der Deregulierung auch in der
CDU/CSU-Fraktion, die jetzt plötzlich als entschie-
denste Befürworter der Staatsintervention daherkom-
men. Was Sie hier in Teilen vertreten, ist Stamokap-Poli-
tik.


(Lachen der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Herr Schröder hätte sich, als er noch Juso-Vorsitzender
war, darüber gefreut, wenn diese Positionen damals un-
terstützt worden wären. Ich will Ihnen jedenfalls sagen:
Wir brauchen eine Staatsintervention zugunsten der klei-
nen Leute. Tun Sie bitte nicht länger so, als wäre das der
Untergang des Abendlandes.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Tun Sie nicht so, als ob Sie nicht sieben Jahre regiert und nichts getan hätten!)


Lassen Sie mich grundsätzlich sagen: Beim Mindest-
lohn geht es natürlich darum, gesetzliche Regelungen für
Niedriglohnempfänger zu schaffen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Reden und Handeln sind immer zwei verschiedene Dinge!)


Es geht hierbei aber auch um eine wichtige symbolische
Frage: Ist die Politik bereit, wirklich als Schutzmacht der
kleinen Leute aufzutreten?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dieses Verdrängen und Vergessen ist schon pathologisch!)

Wenn man sich Ergebnisse der Umfragen dazu anschaut,
was die Menschen von der sozialen Marktwirtschaft
und der Demokratie halten, dann erkennt man: Die Zu-
stimmung nimmt ab; es findet eine Erosion statt, die be-
drohlich ist. Es ist unsere Aufgabe, den Menschen das
Gefühl zu geben, dass die Politik bereit ist, hier Verant-
wortung zu übernehmen.

Für mich ist die heutige Auseinandersetzung um den
Mindestlohn zu vergleichen mit der Auseinandersetzung
um den Achtstundentag. Der Achtstundentag war einmal
ein wichtiges Symbol der Arbeiterbewegung.


(Andrea Nahles [SPD]: Der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung!)


Seine Einführung hat zu einem Stück mehr Gerechtig-
keit geführt. Der Achtstundentag ist schwer erkämpft
worden;


(Andrea Nahles [SPD]: Von uns! – Anette Kramme [SPD]: Nicht von den Grünen!)


er musste gegen die Interessen der Konservativen durch-
gesetzt werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Haben das die Grünen durchgesetzt?)


– Wir waren damals nicht dabei.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ah!)


Heute sind wir aber dabei. Die Tatsache, dass wir heute
dabei sind, steigert die Chance, dass sich die Mindest-
lohnbewegung tatsächlich durchsetzt. Wir stehen jeden-
falls an der Seite dieser Bewegung.

Die Gesetzentwürfe, die Sie heute vorgelegt haben,
bringen wahrlich nicht den Durchbruch. Ich prognosti-
ziere Ihnen aber: Der Mindestlohn wird kommen, auch
in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Kolb, Sie stehen an dieser Stelle auf der historisch
falschen Seite.

Ich appelliere noch einmal an Sie, endlich diese
grundsätzliche Weichenstellung vorzunehmen und tat-
sächlich einen Beitrag zur Existenzsicherung von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land zu
leisten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620003900

Das Wort hat nun Kollegin Andrea Nahles für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1620004000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Frau Pothmer, der Mindestlohn ist da; er muss






(A) (C)



(B) (D)


Andrea Nahles
nicht erst kommen. Er kommt heute mit diesen beiden
Gesetzen, und das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber kein flächendeckender!)


Wir stehen oft hier und verkaufen Erfolge.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie versuchen, Dinge als Erfolge zu verkaufen, die keine sind! – Weiterer Zuruf von der FDP: Verkaufen Sie das doch bei eBay!)


Die Frage ist: Was ist wirklich ein politischer Erfolg?
Dafür gibt es meiner Meinung nach eine ganz einfache
Definition: Wenn wir etwas tun, das den Menschen hilft,
ihr Leben besser zu meistern, das gerechte Rahmen-
bedingungen sowie Anerkennung für harte Arbeit
schafft – genau das tun wir –, dann handelt es sich um ei-
nen politischen Erfolg. Deshalb ist es ein solch großer
politischer Erfolg, dass wir heute das Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz
verabschieden können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Ich bin froh – das sage ich ganz offen –, dass wir es so
weit gebracht haben. Ich weiß nämlich, dass sich dafür
ganz viele bewegen mussten. So mussten sich zum Bei-
spiel die Koalitionspartner aufeinander zubewegen; Ralf
Brauksiepe hat das eben dargestellt.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist auch ein Sozialdemokrat!)


– Das ist kein Vorwurf,

(Zuruf von der FDP: Doch!)


aber es tut ihm Unrecht. – Aber auch die Arbeitgeber ha-
ben sich bewegt. Noch während wir über dieses Gesetz
verhandelt haben, haben sich zum Beispiel die Arbeitge-
ber in der Entsorgungsbranche und bei den Wäschereien
aufeinander zubewegt. Es haben sich die Kirchen be-
wegt, und zwar auf eine Weise, dass ich das nur mit
Hochachtung vortragen kann. Sie gehen einen eigenen
Weg, den ich respektiere und den wir auch beim Umset-
zen dieses Gesetzes respektieren wollen. Sie alle haben
sich also bewegt.

Ich bin froh. Warum? Weil das, was am Ende da steht,
im Ergebnis 1,7 Millionen Menschen zusätzlichen
Schutz in Mindestlöhnen gewährt. Darum muss es uns
allen gehen. Ich bin deswegen froh und dankbar. Ich
sage: Fortschritt fällt nicht vom Himmel. Er muss erar-
beitet werden. Das haben wir gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang darf ich auch dem Arbeits-
minister danken,


(Dirk Niebel [FDP]: Wer war das noch mal?)

der diesen Prozess intelligent, klug und mit Konsequenz
gesteuert hat.


(Beifall bei der SPD)

Worum geht es eigentlich?


(Zuruf von der FDP: Das Frohsein!)


Es geht um hart arbeitende Leute in den Wäschereien,
vor allem Frauen, die bei Nässe, Dampf, in größter Hitze
schmutzige Wäsche reinigen. Es geht um die Entsorger,
die in den Sortieranlagen das, was wir nicht ordentlich
trennen, sortieren. Es geht um die, die den Transport aus
den Hinterhöfen hier in Berlin organisieren – der Toni
Schaaf war selber mal in dem Bereich tätig –, die die
schweren Mülltonnen rauskarren. Es geht um diejenigen
in der Pflege, die – das muss doch einmal gesagt werden –
nicht nur körperlich, sondern auch psychisch anstren-
gende Arbeit leisten – und das auch noch im Schicht-
dienst. Die haben anständige Löhne verdient. Dafür sor-
gen wir heute. Darauf sollten wir doch stolz sein!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich war vor wenigen Tagen bei der Prinzenproklama-
tion in Mayen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Da steht Markus I, der Prinz, neben mir. Während wir so
schunkeln, hin und her, frage ich: Hören Sie mal, Herr
Prinz, was machen Sie denn eigentlich beruflich?


(Heiterkeit – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/ CSU]: Das heißt „Seine Tollität“!)


– Ich kann halt nicht aus meiner Haut heraus. Ich muss
selbst im Karneval fragen, was die Leute schaffen. – Da
sagte er zu mir: Ich bin im Wachdienst. – Aha. – Da ist
es auf einmal ernst geworden. Er ist im Wachdienst, im
Sicherheitsdienst. Er hat eine kleine Tochter, die er nicht
sieht, weil er 220 oder 240 Stunden im Monat arbeiten
muss, um davon überhaupt existieren zu können. Auch
für Leute wie ihn haben wir Mindestlöhne durchgesetzt.
Das ist wunderbar. Das ist der beste Karneval überhaupt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht um die hart arbeitenden Menschen, ja. Es geht
aber nicht nur um die hart arbeitenden Menschen, son-
dern es geht auch um Wettbewerb. Dazu will ich einen
sehr klugen Satz aus dem Sachverständigenratsgutachten
dieses Jahres zitieren – das kann man nachlesen –: Wol-
len wir wirklich Wettbewerb? Ja, wollen wir, nämlich
Wettbewerb um Qualität, um besten Service, um Pro-
duktivität. Aber den Wettbewerb in der Fähigkeit von
Unternehmen, ihre Arbeitnehmer besonders schlecht zu
bezahlen, wollen wir tatsächlich stoppen – das geben wir
zu –, nicht den Wettbewerb insgesamt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind immer Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die
einen Antrag auf Aufnahme ins Arbeitnehmer-Entsende-
gesetz stellen müssen; auch das hat Kollege Brauksiepe
vorgetragen. Beschäftigen wir uns einmal mit den Grün-
den! Warum machen Arbeitgeber so etwas Wahnsinniges
– wenn man der FDP glaubt –, nämlich Mindestlöhne zu
beantragen? Ich nenne ein paar Gründe – das ist ganz






(A) (C)



(B) (D)


Andrea Nahles
simpel –: Es hat zum Beispiel massenhaft Verbandsaus-
tritte gegeben. Das hat dazu geführt, dass die, die ausge-
treten sind, denjenigen, die seriös sind, die anständige
Löhne bezahlen, bei den Ausschreibungen jedes Mal die
Aufträge wegschnappen. Ich sehe es nicht als unsere
Aufgabe an, denen dabei auch noch zu helfen. Das ist für
die Handwerksbetriebe in meiner Heimat in der Eifel,
Herr Rauen, nicht gut; damit das klar ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre Ausführungen zu den Wäschereibetrieben, Herr
Brauksiepe, waren sehr interessant. Wir sind auch
schuld, dass Verwerfungen in der Weiterbildungsbran-
che entstehen konnten. Wir könnten da bessere Vergabe-
richtlinien machen. Das wäre sehr hilfreich.


(Beifall der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE] – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Machen Sie doch!)


– Ich kann Ihnen nur sagen: Ich hätte das gerne gemacht.
Warum das nicht gemacht wird, danach müssten Sie ein-
mal Herrn Glos fragen. Der ist jetzt leider nicht mehr da.
Wir wollten die Vergaberichtlinien verbessern, indem
auch soziale Kriterien definiert werden.


(Beifall bei der SPD)


Das ist uns nicht gelungen. Als Minimum verlangen wir
nun zumindest die Einführung von Mindestlöhnen, um
das wieder aufzufangen.

Bei der Branche Bergbauspezialarbeiten, die wir
auch aufnehmen – das mag eine kleine exotische Gruppe
sein –, geht es um ausländische Konzerne, die mit ihren
Tochtergesellschaften, die nicht tarifgebunden sind, ein-
heimische Unternehmen kaputtmachen. Auch hier hilft
ein Mindestlohn, um einen Unterbietungswettlauf zu
verhindern. Es geht also nicht nur um Barmherzigkeit, es
geht nicht nur um Gerechtigkeit, es geht nicht nur um
Arbeitnehmerlogik, es geht auch um die Herstellung von
fairen Wettbewerbsbedingungen für anständige Unter-
nehmen. Dafür sorgen wir in diesem Land mit der Ein-
führung von Mindestlöhnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und was Wettbewerb ist, entscheiden Sie, Frau Nahles?)


Ich glaube, dass wir wirklich sagen können: Das, was
wir machen, ist ein Erfolg. Ich sage sogar: Es ist ein gro-
ßer Erfolg. Wir sind aber noch nicht ganz am Ende unse-
res Weges. Deswegen haben wir das Mindestarbeitsbe-
dingungengesetz hier vorgelegt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha! Erzählen Sie mal mehr!)


Das Mindestarbeitsbedingungengesetz verpflichtet uns,
dort einzugreifen, wo es die Tarifpartner alleine nicht
mehr schaffen, existenzsichernde Löhne zu organisieren,
und die Tarifbindung miserabel ist. Ich wäre doch froh,
wenn wir als Staat nicht gefordert wären. Ich will Ihnen
aber einmal eine Zahl nennen: Wenn die Tarifbindungs-
quote im Osten mittlerweile bei 35 Prozent und im Wes-
ten bei 61 Prozent liegt, mit von Jahr zu Jahr sinkender
Tendenz,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es muss aber doch Gründe haben, Frau Nahles, dass das so ist!)


dann müssen wir uns irgendwann dafür entscheiden, hin-
zugucken statt wegzugucken. Wir dürfen uns dann nicht
mehr auf die Tarifautonomie berufen, die Sie an anderer
Stelle, wo es nur geht, aktiv untergraben. Diese darf
dann nicht mehr unsere Richtschnur sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was sind denn die Gründe dafür? Danach muss man fragen!)


Deswegen brauchen wir das Mindestarbeitsbedingun-
gengesetz.

Es gibt gerade in diesen Tagen Meldungen darüber,
dass die Krise wieder auf dem Rücken der Ärmsten – ich
möchte fast sagen: „der ärmsten Schweine“ – ausgetra-
gen wird.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na, na, na!)


Es sind nämlich bedauerlicherweise die Zeitarbeiterin-
nen und Zeitarbeiter, die jetzt Kündigungsschreiben er-
halten. Ich sage Ihnen: Es muss in dieser Krise möglich
sein, nicht nur Banken zu retten, sondern auch denen Si-
cherheit in Form anständiger Löhne zu geben, die sich in
besonders prekären Arbeitsverhältnissen befinden, näm-
lich den Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern. Deswegen
sind wir noch nicht am Ende unseres Weges.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe auch eine Bitte an die Länder. Sie haben es
nämlich jetzt in der Hand, dass das, was wir hier heute
politisch nach langem, mühevollem Weg – alle haben
sich bewegt – vorlegen, auch zügig umgesetzt wird. Wir
erzeugen heute Hoffnung. Wir erzeugen wirklich Hoff-
nung bei den Menschen, wenn wir sagen, dass wir ihre
Branche in das Entsendegesetz aufnehmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das glaube ich nicht! Die Hoffnung hat keiner!)


– Doch, glauben Sie es mir. Sie haben einen schwachen
Glauben, Herr Kolb. Da kann ich Ihnen aber nicht hel-
fen. – Ich sage Ihnen ganz offen: Wir müssen dafür sor-
gen, dass die Hoffnung, die wir heute wecken, möglichst
bald Wirklichkeit wird. Ich bitte deshalb ganz klar an
dieser Stelle darum, dass dieses Gesetz bald den Bundes-
rat passiert.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Beim letzten Mal waren die nicht so begeistert!)


Es wäre schön, wenn ein paar mehr zugehört hätten.
Aber Phoenix überträgt ja live. Die Botschaft ist ange-
kommen. Freuen wir uns und seien wir dankbar für das,
was heute hier vorliegt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620004100

Das Wort hat nun Kollege Erwin Lotter, FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Erwin Lotter (FDP):
Rede ID: ID1620004200

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Diese Debatte
zeigt einmal mehr: Den Kolleginnen und Kollegen links
der Mitte fehlt jeglicher arbeitsmarkt- und wirtschaftspo-
litischer Weitblick.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Schlimmer noch: Je länger die Große Koalition dauert,
umso mehr verirrt sich auch die Union im Nebel sozial-
demokratischer Räucherkerzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)


Gut, Herr Kollege Stiegler, dass die Wählerinnen und
Wähler zumindest in den Landesparlamenten die FDP
der Union quasi als Lotse an die Seite stellen.


(Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Das vergeht wieder!)


– Warten Sie es ab.

In einer Zeit, in der jeder mit einem Konjunkturab-
schwung von über 2 Prozent rechnet und in der niemand
abschätzen kann, welche weiteren Belastungen die Fi-
nanzkrise noch mit sich bringt, fällt Union, SPD, Grünen
und Linken nichts Besseres ein, als Arbeit teurer zu ma-
chen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Lohndumping zu verhindern!)


Aber gerade in diesen Zeiten ist Arbeit das höchste Gut.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Wir müssen alles tun, um uns dem Abschwung am
Arbeitsmarkt mit allen Kräften entgegenzustellen. Sie
tun aber genau das Gegenteil: Sie hebeln die Tarifauto-
nomie aus. Sie vernichten Arbeitsplätze im Niedriglohn-
bereich. Sie gefährden die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Dienstleistungsgewerbes und unserer Industrien. An-
statt jetzt, in schwierigen Zeiten, die Menschen mög-
lichst in Arbeit zu halten, nehmen Sie von Union und
SPD den Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Möglich-
keit, sich selber auf wirtschaftlich machbare Löhne zu
einigen.


(Beifall bei der FDP)


Ich frage Sie: Was hat der Postbote davon, wenn er dem-
nächst zwar theoretisch einen Mindestlohn einfordern
könnte, praktisch aber sein Arbeitsplatz nicht mehr wirt-
schaftlich ist und er auf der Straße sitzt?


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Davon hat er nichts!)


Ich frage Sie: Was hat die Friseurin davon, wenn sie sich
demnächst zwar theoretisch auf einen Mindestlohn beru-
fen könnte, praktisch aber der Salon, in dem sie arbeitet,
schon längst dichtgemacht hat?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nichts! Absolut nichts!)


Ich frage Sie: Was hat der Gebäudereiniger davon, wenn
ihm sein Chef demnächst zwar theoretisch einen höheren
Lohn zahlen müsste, praktisch aber seine Arbeit längst
von einem anderen in Schwarzarbeit erledigt wird?

Meine Damen und Herren, jeder soll von seiner Ar-
beit leben können. Ich bin der Letzte, der sich das nicht
wünscht. Warum aber können viele Menschen das nicht?
Die Antwort ist: weil zu viele Menschen in Deutschland
keine gute Ausbildung haben, weil wir viel zu lange die
Vereinbarkeit von Familie mit Ausbildung und Beruf
vernachlässigt haben, weil wir arbeitslose Menschen mit
den falschen Maßnahmen und durch die falschen Institu-
tionen fördern.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Ganz genau!)


Das alles sind sozialpolitische Aufgaben. Die Politik
muss diese Aufgaben bewältigen. Sie aber schieben die
Verantwortung auf die Unternehmen: Sollen die halt se-
hen, wie sie höhere Löhne finanzieren. Das ist Ihre Ant-
wort auf die Not vieler Menschen, die im Niedriglohn-
sektor tätig sind.

Wir müssen Arbeitslosigkeit bekämpfen. Wir müssen
die Unternehmen so entlasten, dass sie Arbeitsplätze
schaffen. Wir müssen Bildung, Ausbildung und Weiter-
bildung stärken.


(Beifall bei der FDP)


Dann wird auch das Lohnniveau wieder steigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün,
Sie haben die sogenannten Hartz-Gesetze verabschie-
det.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja! Damit will die Kollegin Pothmer heute nichts mehr zu tun haben! – Gegenruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch auch nichts mehr mit Ihrer Arbeit als Staatssekretär zu tun haben!)


Ich möchte Sie heute an die Maximen dieser Arbeits-
marktgesetze erinnern: Besser arbeiten, als nicht arbei-
ten. Besser wenig verdienen, als gar nichts verdienen.
Besser am Arbeitsleben teilhaben, als draußen vor der
Tür stehen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört, hört!)


Deshalb hat Rot-Grün die Möglichkeit geschaffen,
Löhne mit Arbeitslosengeld II aufzustocken, wenn sie
zur Ernährung der Familie oder des Einzelnen nicht aus-
reichen. Das war richtig, werte Kolleginnen und Kolle-
gen von SPD und Grünen. Warum aber rücken Sie jetzt
davon ab?


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Diese Frage stellt sich in der Tat!)


Meine Damen und Herren, wir bewegen uns wirt-
schaftlich im schwersten Fahrwasser seit Jahrzehnten.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Erwin Lotter
Deutschland wird von der Finanzkrise härter getroffen
werden als viele andere Staaten in Europa und der Welt.
Das ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für sozialde-
mokratische Planwirtschaft. Kommen Sie zur Vernunft,
und stärken Sie Arbeitsplätze, anstatt diese zu vernich-
ten! Die Menschen werden es Ihnen danken.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620004300

Das Wort hat nun Kollege Max Straubinger, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1620004400

Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das für die
Lohnentwicklung einzelner Branchen in unserem Land
sehr bedeutsam ist. Es handelt sich um ein gutes Gesetz;
denn damit wird der sozialen Marktwirtschaft der Vor-
rang gegeben und zum Ausdruck gebracht, dass nicht al-
lein Marktwirtschaft die Grundlage unseres Handelns
sein kann, sondern dass eine soziale Komponente zur
Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
mit dabei sein muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies war bereits 1996 der Gedanke, als das Arbeitneh-
mer-Entsendegesetz verabschiedet worden ist, und zwar
unter Norbert Blüm und mit tatkräftiger Mithilfe des da-
maligen Staatssekretärs Dr. Kolb


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Keine falschen Behauptungen! Ich habe nicht zugestimmt!)


und der FDP in der Gesamtheit. Angesichts der neuen
Bedingungen ist es auch im Jahr 2009 zu erweitern, weil
es – dem hat sich die Koalition aufgeschlossen gezeigt –
mittlerweile Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten gab.
Bei einer hohen Arbeitslosigkeit – im Jahre 2005 gab es
über 5 Millionen Arbeitslose – ist eine Lohnfindung al-
lein auf tariflicher Ebene weit schwieriger als bei Vollbe-
schäftigung. Die Regierung und die sie tragenden Frak-
tionen haben es geschafft, zum Dezember vergangenen
Jahres die Arbeitslosigkeit auf 3,1 Millionen abzubauen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Haben Sie den Jahreswirtschaftsbericht gelesen, Herr Straubinger?)


Jetzt stehen wir allerdings vor neuen Herausforderun-
gen. Soziale Marktwirtschaft bedeutet aber auch, Plan-
ken zu setzen, damit in den unterschiedlichsten Berei-
chen gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden
können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt in der Gesellschaft einen Streit darüber, wel-
che Vereinbarungen zu treffen sind. Die einen fordern
– Herr Dr. Gysi hat dies heute für die Linke wieder vor-
getragen – einen gesetzlichen Mindestlohn; auch die
Kollegin Pothmer hat einem gesetzlichen Mindestlohn
das Wort gesprochen. Wir, die Koalitionsfraktionen, tre-
ten aber für branchenspezifische Lösungen ein, weil
ein genereller gesetzlicher Mindestlohn den Anforderun-
gen in den einzelnen Branchen nicht gerecht werden
würde.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Gewerkschaften fordern einen gesetzlichen Min-
destlohn in Höhe von 7,50 Euro. Ich verstehe das nicht,
weil sie damit ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten be-
schränken. Gesetzt den Fall, wir hätten diesen Mindest-
lohn eingeführt, dann wären die freien Vereinbarungen
im Wach- und Sicherheitsgewerbe mit Löhnen bis
8,32 Euro – die Kollegin Nahles und auch der Kollege
Brauksiepe haben dies bereits gelobt – und die Vereinba-
rungen in der Entsorgungsbranche mit Löhnen von
8,02 Euro – Herr Dr. Gysi, das gilt für ganz Deutschland,
also für Ost wie West und für Nord wie Süd, was Sie be-
stritten haben – verhindert worden und die Löhne wären
auf 7,50 Euro beschränkt worden.


(Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Dies zeigt sehr deutlich: Die branchenspezifische Lö-
sung ist die bessere Lösung und wird den einzelnen
Branchen, den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern sowie den einzelnen Regionen in Deutschland
am besten gerecht. Die Gesetzentwürfe, die wir erarbei-
tet haben, sind eine gute Grundlage dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Dr. Gysi hat nachdrücklich für einen gesetzli-
chen Mindestlohn plädiert. Ich hoffe nicht, dass er dabei
an den gesetzlichen Mindestlohn der ehemaligen DDR
gedacht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Das würde bedeuten, dass die Menschen auf dem Niveau
der ehemaligen DDR leben müssten.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Wie hoch war denn der Mindestlohn?)


– Er lag bei ungefähr 3 Ostmark. Das muss man sich ein-
mal vorstellen.

Das zeigt sehr deutlich: Gesetzliche Mindestlöhne
sind falsch. Es geht vielmehr darum, gute Rahmenbedin-
gungen zu setzen, damit die Tarifparteien branchenspe-
zifische Vereinbarungen im Sinne der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer erarbeiten können. Mit den heute
zu verabschiedenden Gesetzen kommen wir hier voran.

Uns war es wichtig, dass vor allen Dingen die Tarif-
autonomie und auch die Tarifpartnerschaft gestärkt
werden. Ich sage es ganz offen: Wir haben natürlich in
den vergangenen Jahren erleben müssen, dass die Tarif-
parteien nicht gestärkt, sondern geschwächt worden
sind. Es gab viele Austritte aus den Arbeitgeberverbän-
den. Ich bedaure genauso den Mitgliederschwund bei
den Gewerkschaften. Für alle, für die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer wie auch die Arbeitgeber, wäre es
besser, wenn es eine bessere tarifliche Struktur und eine
höhere Akzeptanz für Tarifvereinbarungen geben würde.






(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
Ich möchte dies begründen. Wenn sehr viele Men-
schen gezwungen sind, selber Lohnverhandlungen zu
führen, dann besteht die Gefahr, dass bei dem Einzelnen
das Gefühl aufkommt, er sei benachteiligt und über den
Tisch gezogen worden. Der Arbeitgeber hat letztendlich
einen unzufriedenen Arbeitnehmer. Das kann nicht in
beiderseitigem Interesse sein. Deshalb ist es gut und
richtig, dass mit den beiden Gesetzen – mit dem Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz und vor allen Dingen mit dem
Mindestarbeitsbedingungengesetz – etwas mehr Druck
ausgeübt wird, der dafür sorgt, dass Arbeitgeber und Ge-
werkschaften Tarife vereinbaren. Dabei ist es hilfreich,
wenn es auf beiden Seiten viele Mitglieder gibt. Ich
glaube, das kann erreicht werden. Das ist im Sinne unse-
rer sozialen Marktwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist durchaus mitentscheidend, dass bestehende Ta-
rifverträge weitergeführt werden können. Dies ist ein
Grundsatz des vorliegenden Mindestarbeitsbedingun-
gengesetzes. Wir haben das in den Verhandlungen er-
reicht. Damit werden wir den Ansprüchen der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch den
Ansprüchen der organisierten Arbeitgeber gerecht. Ich
glaube, dass die Tarifpartnerschaft dadurch gestärkt
wird.

Ein Weiteres ist mir wichtig: Heute wurde vielfach
der Bereich der Pflege angesprochen. Wir schaffen mit
diesem Gesetz die Grundlage dafür, dass hierfür ein
Normlohn gefunden werden kann. Das ist sehr bezeich-
nend; denn damit wird sichergestellt, dass der soge-
nannte dritte Weg der Katholischen und der Evangeli-
schen Kirche, die die großen Sozialanbieter in unserem
Land sind, nicht tangiert wird. In einer Kommission aus
acht Mitgliedern – je ein Vertreter der Arbeitgeber und
ein Vertreter der Arbeitnehmer aufseiten der Evangeli-
schen Kirche, der Katholischen Kirche, des öffentlichen
Dienstes und der privaten Leistungsanbieter – wird man
sich zusammensetzen und gemeinsam eine Lohnnorm
erarbeiten. Dadurch sorgen wir dafür, dass keine Partei
eine andere über den Tisch ziehen kann. Das ist meines
Erachtens eine Voraussetzung dafür, auch im Bereich der
Pflege eine Lohnuntergrenze einzuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir schaffen mit diesem Gesetz eine weitere gute Vo-
raussetzung für die Einführung der uneingeschränkten
Arbeitnehmerfreizügigkeit – Bundesminister Scholz
hat darauf schon hingewiesen –, die ab dem Jahr 2011
gelten wird. Um die Entsendeproblematik in den Griff
zu bekommen – insofern ist dem Antrag der Grünen zu
widersprechen –, bedarf es deutschlandweit gültiger Ta-
rifverträge. Die Grünen plädieren dafür, dass regional
gültige Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt
werden können.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Wir tragen mit diesem Gesetzentwurf den Herausforde-
rungen Rechnung, die die Entsendeproblematik auf-
grund der Neuregelung der Freizügigkeit ab 2011 mit
sich bringen kann. In diesem Sinne haben wir ein gutes
Gesetz gefertigt, nachdem wir über einen langen Zeit-
raum hinweg hervorragend diskutiert haben. Ich bitte
deshalb um die Zustimmung dieses Hauses.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir gucken uns das Abstimmungsverhalten der Union genau an!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620004500

Das Wort hat nun Kollegin Anette Kramme für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Also, Frau Kramme, wie ist es wirklich gewesen?)



Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1620004600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Was lange währt, wird gut.“ Viele von Ihnen
wissen, dass dieses geflügelte Wort aus einem Gedicht
von Hoffmann von Fallersleben stammt. Sie wissen aber
nicht, dass die Zusammenhänge zwischen diesem Ge-
dicht und der Mindestlohndebatte noch weitaus größer
sind. In diesem Gedicht geht es um die Liebe zu einer
Frau. Diese gestaltet sich kompliziert. Die Liebe ist
groß, das Geld ist knapp. Und so jammert Hoffmann von
Fallersleben in diesem Gedicht:

O weh mir armen Lieutenant,
wie lange wart’ ich schon!
Bezög ich doch nur bald, ja bald

Das Kapitänsgehalt!

Und weiter heißt es:

Heiraten möchte ich bald, ja bald,
doch hab ich kein Gehalt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mindestlohn!)


Die Frage nach menschenwürdigen Löhnen ist alt.
Wir wissen seit langem, wie sich Armut und seine so-
zialen und wirtschaftlichen Folgen darstellen. Heute
geht es sicherlich weniger darum, dass arme Menschen
seltener heiraten. Aber es geht sehr wohl darum, dass
arme Menschen sich schlechter ernähren, dass arme
Menschen häufiger krank sind, dass arme Menschen we-
niger Möglichkeiten zur Teilhabe am öffentlichen Leben
haben, seltener das Abitur machen und noch viel seltener
studieren können.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Debatte über den Armutsbericht war gestern Abend, Frau Kramme!)


Selbstverständlich können Mindestlöhne nicht die
Gesamtheit der Probleme von Armut lösen. Aber wir
können nicht hinnehmen, wenn zu all diesen handfesten
Nachteilen und Benachteiligungen das Gefühl der Er-
niedrigung kommt und wenn Menschen trotz Vollzeit-
arbeit von öffentlicher Fürsorge abhängig sind.






(A) (C)



(B) (D)


Anette Kramme

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die größte Erniedrigung ist die Langzeitarbeitslosigkeit!)


Andere Parteien tun sich da offensichtlich leichter. Vom
Anbeginn der Debatte über den Mindestlohn ging es im
Prinzip um folgende Frage: Gibt es unzumutbare Löhne?


(Andrea Nahles [SPD]: Natürlich!)


Ich sage ganz klar: Ja, die gibt es; aber es sollte sie nicht
geben. Genau hier muss die Politik handeln.

Wir haben bei den Mindestlöhnen einen großen
Durchbruch geschafft. Aber es geht nicht einfach nur da-
rum, dass abstrakt weitere Branchen in eine Liste aufge-
nommen werden, sondern es geht konkret um Menschen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?)


Es geht um Menschen, die als Lehrkräfte und Sozialpä-
dagogen in der Weiterbildungsbranche derzeit mit
1 200, 1 600 oder 1 800 Euro brutto pro Monat klar-
kommen müssen. Es geht um Menschen, die in der
Pflege tätig sind und häufig nur Bruttostundenlöhne von
4,50 Euro, 6 oder 7 Euro erhalten. Es geht um Men-
schen, die in der Abfallwirtschaft arbeiten und ganz oft
nur 5 Euro brutto pro Stunde erhalten. Vor allen Dingen
will ich, dass es in Deutschland keinen einzigen Leihar-
beitnehmer mehr gibt, der mit 3 Euro brutto pro Stunde
klarkommen muss,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wie es bei einem Leiharbeitnehmer aus Forchheim der
Fall ist.

Mit Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe
werden wir 2,2 Millionen Menschen erreichen, die dann
in den Schutzbereich des Arbeitnehmer-Entsendegeset-
zes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes fallen.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zeigt Wirkung. Wir
wissen das aus dem Bereich der Bauwirtschaft. In einer
aktuellen Studie des IAB wird festgestellt: Es gibt keine
negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Das
heißt auf gut Deutsch: Es gibt keinen Arbeitsplatzabbau.


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)


Auch die Gebäudereiniger, die immerhin seit anderthalb
Jahren von Mindestlöhnen profitieren, sagen das ganz
deutlich. So formuliert der Bundesinnungsmeister des
Gebäudereinigerhandwerkes:

Wir sind der eindeutige Beweis dafür, dass allge-
meinverbindliche Tarifverträge und Mindestlöhne
keine Arbeitsplätze vernichten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sehen die ehemaligen Beschäftigten der PIN AG vollkommen anders!)


Meine Damen und Herren von der FDP, Ihre neuen
Lobeshymnen auf die Gewerkschaften stimmen miss-
trauisch.


(Andrea Nahles [SPD]: Allerdings!)

Ich glaube, es war Ihre Partei, die noch vor einiger Zeit
davon gesprochen hat, dass es sich bei den Gewerk-
schaften um die größten Plagen dieses Landes handelt.


(Andrea Nahles [SPD]: Jawohl!)


Theorie und Empirie widerlegen Ihre Aussagen zu den
Mindestlöhnen.


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ein Quatsch!)


Für gute Arbeit der Arbeitnehmer wird es künftig gu-
tes oder zumindest besseres Geld geben als bislang. Wir
sind mit unserer Arbeit noch lange nicht fertig.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Befürchtung habe ich schon lange!)


Wir werden dafür kämpfen, dass weitere Branchen in
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Drama geht weiter, Herr Kollege Brauksiepe!)


Wir werden dafür kämpfen, dass die Arbeit am Mindest-
arbeitsbedingungengesetz anfängt und wir hierüber
Branchen absichern, für die es nur eine niedrige oder gar
keine Tarifbindung gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


An dieser Stelle lassen Sie mich abschließend Dank
an diejenigen richten, die hier sehr viel Flexibilität und
Konstruktivität gezeigt haben, insbesondere an die Kir-
chen. Wir bringen hier ein lang andauerndes Verfahren
zu Ende. Wir haben nicht irgendein Ergebnis, sondern
ein anständiges Ergebnis erzielt. Wie gesagt: Was lange
währt, wird gut.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620004700

Das Wort hat nun Kollege Gerald Weiß für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Genosse Gysi,


(Beifall des Abg. Ulrich Maurer [DIE LINKE])


Ihren Rezepten wollen wir nicht folgen. Eine ruinierte
Volkswirtschaft reicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihre Rezepte führen in die falsche Richtung. Ich sage für
die Union: Wir wollen keinen staatsverordneten einheit-
lichen Mindestlohn,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr seid aber auf dem besten Weg dorthin!)







(A) (C)



(B) (D)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

sondern einen für allgemeinverbindlich erklärten tarifli-
chen Mindestlohn, und zwar nur dort, wo wir ihn brau-
chen, um faire Bedingungen für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und die Betriebe im Wettbewerb sicherzu-
stellen. Das ist unsere Linie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Frau Kollegin Pothmer, Sie sagten, die Union bzw.
die Koalition wolle so wenige Mindestlöhne wie mög-
lich. Nein, wir wollen so viele Mindestlöhne wie nötig,
um faire Bedingungen am Markt sicherzustellen. Das ist
unsere Antwort. Damit dürfte Ihre Frage beantwortet
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In der Chemie- und Pharmabranche sowie in ver-
schiedenen anderen Bereichen, zum Beispiel im Maschi-
nenbau, funktioniert die Lohnfindung gut. Warum soll-
ten wir dort einen Mindestlohn brauchen?


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ja! So ist es!)


In diesen Branchen, in denen es starke Tarifparteien gibt
und in denen die Lohnfindung reibungslos funktioniert,
hat sich der Staat aus der Lohnfindung gefälligst heraus-
zuhalten. Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen
mit der Tarifautonomie gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Gysi, unsere Antwort lautet: Die Tarifautonomie
hat Vorrang. In den Bereichen aber, in denen die Lohn-
findung gestört ist, in denen die Balance fehlt, in denen
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus welchen
Gründen auch immer kein Machtgleichgewicht besteht,
müssen wir helfen. Wir wollen nicht, dass die kleinen
Leute und die kleinen Betriebe durch schmutzigen Wett-
bewerb und Dumpinglöhne benachteiligt werden. Wir
wollen in Deutschland faire Bedingungen für die kleinen
Leute und die kleinen Betriebe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich wiederhole: Wir wollen branchenbezogene tarifli-
che Mindestlöhne überall dort, wo wir sie brauchen. Sie
sollen allerdings die Ausnahme bleiben. Die Tarifauto-
nomie soll Vorrang haben. Die Bedingungen für die Ein-
führung eines Mindestlohns sind, dass er von den Tarif-
parteien gemeinsam zu vereinbaren ist, dass in der
jeweiligen Branche eine Tarifbindung von mindestens
50 Prozent besteht und dass seine Einführung im öffent-
lichen Interesse liegt. Damit setzen wir die Entwicklung
fort, die CDU, CSU und FDP im Jahre 1996 mit der Ein-
führung des ersten Mindestlohns im Baugewerbe einge-
leitet haben.

Herr Dr. Kolb, wenn Sie im Hinblick auf die Beschäf-
tigungswirkungen eines tariflichen Mindestlohns besorgt
sind, kann ich Ihnen nur sagen: Heinrich Kolb, fürchte
dich nicht!


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Denn mittlerweile ist belegt, wie sich der erste tarifliche
Mindestlohn, der damals von Kohl, Blüm und Kolb ein-
geführt wurde, auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das IAB – ich denke, Sie erkennen dieses Institut als se-
riöse Adresse an; Sie sind ja selbst ein seriöser Mann –


(Ludwig Stiegler [SPD]: Na ja! Manchmal ist er aber ein bisschen ängstlich!)


hat in einer Studie nachgewiesen, dass die Einführung
dieses Mindestlohns nicht nur positive Einkommens-
effekte hatte – daran war uns damals natürlich auch ge-
legen –, sondern auch positive Beschäftigungseffekte.
Ich kann Sie also beruhigen. Unser gemeinsamer gesetz-
geberischer Schritt war fruchtbringend und hat geholfen.
In genau diesem Sinne wollen wir auch heute verfahren.
Wir wollen Mindestlöhne für die Branchen, in denen sie
gebraucht werden, weil zum Beispiel das Marktgleich-
gewicht gestört ist. Diesen Weg werden wir mit den Ge-
setzen, deren Entwürfe wir heute vorgelegt haben, be-
schreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Gedanke „Gleiches Geld für gleiche Arbeit am
gleichen Ort“ ist nicht neu. Wir legen eine differenzierte
Lösung für die neu entstandenen Probleme vor. Die
Große Koalition hat bereits gehandelt und für Gebäude-
reiniger und Briefdienstleister Mindestlöhne eingeführt.
Außerdem haben wir das Tor für andere Branchen, in de-
nen es soziale Verwerfungen gibt, geöffnet. Uns liegen
acht Anträge auf Aufnahme ins Entsendegesetz vor.
Sechs Branchen werden wir jetzt aufnehmen, weil sie
Probleme im von mir beschriebenen Sinne haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, ja! Und für die siebte Branche fummelt ihr euch noch irgendwas zusammen!)


Was die Zeitarbeit angeht, Frau Pothmer, werden wir ein
gesondertes Gesetz erarbeiten. Für diesen wichtigen Be-
reich werden wir eine Lösung im Sinne einer Lohnunter-
grenze finden.

Ich sage es noch einmal: Wir wollen dort, wo es not-
wendig ist, einen branchenbezogenen tariflichen Min-
destlohn, der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ge-
meinsam befürwortet wird. Allerdings muss eine hohe
Tarifbindung sichergestellt sein.

Was geschieht aber, wenn es in einer Branche noch
keine oder keine Tarifstrukturen mehr gibt, aus denen
sich tarifliche Mindestlöhne herausbilden könnten? In
diesem Fall werden wir im Rahmen des Mindest-
arbeitsbedingungengesetzes, das wir sozusagen revita-
lisieren, geeignete Tarifstrukturen nachbilden. Wir wer-
den Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einen Tisch
bringen, um die Frage zu klären: Brauchen wir in der
Branche X einen Mindestlohn? Wenn wir einen Mindest-
lohn brauchen: Wie muss dieser Mindestlohn aussehen?
Dann muss der Staat sagen: Ja, es liegt ein öffentliches In-
teresse im Sinne der Sicherung des Wettbewerbs vor,
und deshalb müssen wir handeln. Auf der Grundlage
dieser künstlich geschaffenen Tarifstrukturen werden






(A) (C)



(B) (D)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

wir dann einen Vorschlag formulieren und ihn zum Min-
destlohn erheben, oder wir werden es lassen.

Das ist eine subsidiäre, die Vorfahrt der Tarifautono-
mie respektierende und wahrende Lösung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wird in Zukunft als Ausnahme von der Ausnahme
von wichtiger, aber begrenzter Funktion sein. Aber die-
ses Surrogat eines Mindestlohnes kann in gewissen
schwierigen Wirtschaftsbereichen Bedeutung erlangen.

Die Große Koalition geht heute also in einem großen
Konsens in der Mindestlohnfrage den Weg der Vernunft
und der Mitte weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir gehen diesen Weg zugunsten der kleinen Leute und
der kleinen Betriebe weiter, die faire Bedingungen brau-
chen. Wir wollen nicht, dass die kleinen Leute und die
kleinen Betriebe unter die Räder eines unfairen, schmut-
zigen und vernichtenden Wettbewerbs geraten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb wollen wir ihnen helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tarifautonomie bleibt gewahrt. Sie behält in der
Lohnfindung in Deutschland absolute Vorfahrt. In die-
sem Sinne bitte ich Sie, den beiden Gesetzesvorlagen zu-
zustimmen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620004800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbe-
dingungen, Drucksache 16/10485. Der Ausschuss für Ar-
beit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/11669, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über den wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/11675? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grü-
nen bei Stimmenthaltung der Linkspartei abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
von FDP und Linken bei Stimmenthaltung der Grünen
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die
absolute Mehrheit – das sind 307 Stimmen – erforder-
lich. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD verlangen
namentliche Abstimmung.

Dazu liegen vier Erklärungen zur Abstimmung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von den
Kollegen Nüßlein, Meyer (Hamm), Fuchs und
Connemann1). Ich mache nochmals darauf aufmerksam,
dass wir im Anschluss daran eine weitere namentliche
Abstimmung durchführen werden. Bei der Stimmabgabe
bitte ich, wie immer, alle Kolleginnen und Kollegen,
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie
verwenden, ihren Namen tragen.

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind überall
Schriftführer an den Urnen? – Von mir aus gesehen links
fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin. –
Jetzt können wir anfangen. Ich eröffne die Abstimmung.

Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme
abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2) Wir setzen jetzt die Abstimmungen
fort.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11677.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeit-
nehmer-Entsendegesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und
Soziales empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11669, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/11676? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grü-
nen bei Stimmenthaltung der Linken abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
von FDP und Linken bei Stimmenthaltung der Grünen
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist auch zur Annahme dieses Gesetzent-
wurfes die absolute Mehrheit, das sind 307 Stimmen, er-
forderlich. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die

1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 21608 C






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

109, Enthaltungen 30. Der Gesetzentwurf ist damit mit
der erforderlichen Mehrheit angenommen.1) Ergebnis Seite 21613 C
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon

ja: 397
nein: 109
enthalten: 50

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer

Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger

Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Schriftführerinnen und Schr
Plätze einzunehmen. Ist das
Das ist offensichtlich der Fal
stimmung.

Haben alle Kolleginnen u
abgegeben? – Das ist offensic
die Abstimmung und bitte
Schriftführer, mit der Auszäh
gebnis der Abstimmung wird
ben.1)

Wir setzen jetzt die Abstim
zur Abstimmung über den
Fraktion der FDP auf Drucks
für diesen Entschließungsan
gen? – Wer enthält sich? – D
mit den Stimmen von CDU/C
ken gegen die Stimmen der F

Liebe Kolleginnen und K
bitte wieder Platz. Dann ist d
wir die Abstimmungsergebnis

Wir setzen die Abstimm
lung des Ausschusses für Arb
sache 16/11669 fort.

Der Ausschuss empfiehl
schlussempfehlung die Ableh
tion Die Linke auf Drucksa
iftführer, die vorgesehenen
an allen Urnen erfolgt? –
l. Dann eröffne ich die Ab-

nd Kollegen ihre Stimme
htlich der Fall. Ich schließe
die Schriftführerinnen und
lung zu beginnen. Das Er-

Ihnen später bekannt gege-

mungen fort und kommen
Entschließungsantrag der
ache 16/11678. Wer stimmt
trag? – Wer stimmt dage-
er Entschließungsantrag ist
SU, SPD, Grünen und Lin-
DP abgelehnt.

ollegen, nehmen Sie doch
ie Übersicht größer, sodass
se besser feststellen können.

ung zur Beschlussempfeh-
eit und Soziales auf Druck-

t unter Nr. 3 seiner Be-
nung des Antrags der Frak-
che 16/1878 mit dem Titel
„Für einen sozial gerechten
land“. Wer stimmt für dies
Liebe Kolleginnen und Kolle
ner Abstimmung. Ich bitte d
damit ich das Ergebnis festste


(Dr. Dagmar Enkelman SPD will doch zustimm destlohn geht!)


Wer stimmt für diese Bes
stimmt dagegen? – Enthaltun
fehlung ist mit den Stimmen
FDP gegen die Stimmen der
der Grünen abgelehnt.


(Volker Beck [Köln] GRÜNEN]: Es haben si näre an der Abstimmu weniger waren!)


– Nein, nein.

Ich komme zurück zu Tag
gebe das von den Schriftführ
ermittelte Ergebnis der na
über den Gesetzentwurf der B
rung des Gesetzes über die
arbeitsbedingungen bekannt:
Mit Ja haben gestimmt 401,
Mindestlohn in Deutsch-
e Beschlussempfehlung? –
gen, wir sind gerade bei ei-
och, die Hände zu heben,
llen kann.

n [DIE LINKE]: Die
en, weil es um Min-

chlussempfehlung? – Wer
gen? – Die Beschlussemp-
von CDU/CSU, SPD und
Linken und bei Enthaltung

[BÜNDNIS 90/DIE
ch so wenige Koalitio-
ng beteiligt, dass das

esordnungspunkt 12 a und
erinnen und Schriftführern
mentlichen Abstimmung
undesregierung zur Ände-
Festsetzung von Mindest-

abgegebene Stimmen 540.
mit Nein haben gestimmt






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

Birgit Homburger Ulla Jelpke Dr. Uschi Eid

Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer

Nein

CDU/CSU

Gitta Connemann
Hubert Deittert
Marie-Luise Dött
Dr. Michael Fuchs
Jens Koeppen
Laurenz Meyer (Hamm)

Dr. h. c. Hans Michelbach
Franz Obermeier
Dr. Joachim Pfeiffer
Andrea Astrid Voßhoff

FDP

Jens Ackermann
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen


(Beifall bei Abgeordnet der S Wir setzen die Beratung Ich rufe die Tagesordnungs die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e a 31 a)

gebrachten Entwurfs e
nisierung von Verfah
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder

en der CDU/CSU und
PD)

unserer Tagesordnung fort.
punkte 31 a bis 31 f sowie
uf:

n der Bundesregierung ein-
ines Gesetzes zur Moder-
ren im anwaltlichen und
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Andreas G. Lämmel

DIE LINKE

Ulla Lötzer
Frank Spieth

notariellen Berufsrec
Schlichtungsstelle de
wie zur Änderung
ordnung, der Finanz
tenrechtlicher Vorsch
– Drucksache 16/1138
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

ht, zur Errichtung einer
r Rechtsanwaltschaft so-
der Verwaltungsgerichts-
gerichtsordnung und kos-
riften
5 –
Hedi Wegener
Dr. Werner Hoyer Dr. Lukrezia Jochimsen Hans Josef Fell
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer

Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung truppenzollrechtlicher Vorschriften und

(Truppenzollrechtsänderungsgesetz)


– Drucksache 16/11566 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 15. Oktober 2004 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Sozialis-
tischen Libysch-Arabischen Volks-Dschama-
hirija über die Förderung und den gegenseiti-
gen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 16/11567 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 13. November 2007 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Ha-
schemitischen Königreich Jordanien über die
Förderung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen

– Drucksache 16/11568 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Zugang von Polizei- und Strafverfolgungsbe-
hörden sowie Nachrichtendiensten zum Visa-

(VIS-Zugangsgesetz – VISZG)


– Drucksache 16/11569 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Schutz der Bienenvölker sicherstellen

– Drucksache 16/10322 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing,
Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf
die Istbesteuerung

– Drucksache 16/9836 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betäubungslose Kastration von Ferkeln been-
den – Alternativen fördern

– Drucksache 16/10615 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehrwegsysteme durch Lenkungsabgabe auf
Einwegverpackungen stützen

– Drucksache 16/11449 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Prävention der Glücksspielsucht stärken

– Drucksache 16/11661 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Winfried
Hermann, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung
des Personenbeförderungsgesetzes

– Drucksache 16/11635 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 e sowie
den Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 32 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung vom 23. März 2007 des Über-
einkommens vom 20. August 1971 über die In-
ternationale Fernmeldesatellitenorganisation
„ITSO“

– Drucksache 16/10932 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/11629 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/11629, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 16/10932 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist in der dritten Lesung einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 32 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nach-
haltiger Entwicklung unterstützen

– Drucksachen 16/4425, 16/5310 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck)

Brunhilde Irber
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/5310, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4425 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 32 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Fritz
Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedens-
prozesses im Nahen Osten nach der Resolution
1701 (2006) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006

– Drucksachen 16/3547, 16/6496 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Hörster
Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/6496, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3547 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und Linken gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 32 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neujustierung der Auswärtigen Kulturpolitik

– Drucksachen 16/6604, 16/7970 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler
Monika Griefahn
Harald Leibrecht
Monika Knoche
Dr. Uschi Eid

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/7970, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6604 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppo-
sitionsfraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 32 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Abgegebene Stimmen: 556;
davon

ja: 398
nein: 108
enthalten: 50

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung

Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Endgültiges Ergebnis Wolfgang Börnsen Ralf Göbel Bartholomäus Kalb
Trittin, Kerstin Müller
rer Abgeordneter un
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine umfassend
tieverträglichen un
Stabilisierung Pakist

– Drucksachen 16/875

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Sc
Uta Zapf
Harald Leibrecht
Dr. Norman Paech
Jürgen Trittin

Der Ausschuss empfiehlt
lung auf Drucksache 16/943
Bündnis 90/Die Grünen auf
lehnen. Wer stimmt für dies
Wer stimmt dagegen? – Enth
empfehlung ist mit den Stim
und FDP gegen die Stimmen
Die Grünen bei Stimmenthal
men.

Zusatzpunkt 3:

Beratung der Beschlu
richts des Ausschusse

(Köln), Ute Koczy, weite-

d der Fraktion BÜND-

e Strategie zur demokra-
d zivilgesellschaftlichen
ans

2, 16/9430 –

hmidbauer

in seiner Beschlussempfeh-
0, den Antrag der Fraktion
Drucksache 16/8752 abzu-
e Beschlussempfehlung? –
altungen? – Die Beschluss-
men von CDU/CSU, SPD
der Fraktion Bündnis 90/
tung der Linken angenom-

ssempfehlung und des Be-
s für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem

Irmingard Schewe-Ge
Jerzy Montag, weite
Fraktion BÜNDNIS 9

Zugang zu Rentenl
Ghetto-Insassen erle

– Drucksachen 16/643

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hein

Der Ausschuss empfiehlt
lung auf Drucksache 16/1033
Bündnis 90/Die Grünen auf
lehnen. Wer stimmt für dies
Wer stimmt dagegen? – Enth
empfehlung ist mit den Stim
und FDP gegen die Stimmen
Die Grünen und der Fraktion

Wir kommen nun zu dem
chen Abstimmung über den
regierung über zwingende
grenzüberschreitend entsandt
land beschäftigte Arbeitnehm
das sogenannte Arbeitnehme
bene Stimmen 556. Mit Ja ha
haben gestimmt 108, Enthal
wurf ist mit der erforderliche
Antrag der Abgeordneten
rigk, Volker Beck (Köln),

rer Abgeordneter und der
0/DIE GRÜNEN

eistungen für ehemalige
ichtern

7, 16/10334 –

rich L. Kolb

in seiner Beschlussempfeh-
4, den Antrag der Fraktion
Drucksache 16/6437 abzu-
e Beschlussempfehlung? –
altungen? – Die Beschluss-
men von CDU/CSU, SPD
der Fraktion Bündnis 90/

Die Linke angenommen.

Ergebnis der namentli-
Gesetzentwurf der Bundes-
Arbeitsbedingungen für
e und für regelmäßig im In-
erinnen und Arbeitnehmer,
r-Entsendegesetz: abgege-

ben gestimmt 398, mit Nein
tungen 50. Der Gesetzent-
n Mehrheit angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Joachim Stünker






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse

Andrea Wicklein Jürgen Koppelin Katrin Göring-Eckardt
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer

Nein

CDU/CSU

Gitta Connemann
Hubert Deittert
Marie-Luise Dött
Dr. Michael Fuchs
Jens Koeppen
Laurenz Meyer (Hamm)

Dr. h. c. Hans Michelbach
Franz Obermeier
Dr. Joachim Pfeiffer
Andrea Astrid Voßhoff

FDP

Jens Ackermann
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)


Liebe Kolleginnen und Ko
punkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Frak

Konsequenzen aus d
ler Wertpapiere bei d
fang von Hunderten

Ich eröffne die Aussprache
Uli Maurer für die Fraktion D


(Beifall bei de Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser Schnarrenberger Markus Löning Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm llegen, ich rufe den Zusatz tion DIE LINKE er Existenz weiterer faueutschen Banken im Um Milliarden Euro . Das Wort hat der Kollege ie Linke. r LINKEN)


(Frankfurt)

Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

fraktionslos

Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Andreas G. Lämmel

DIE LINKE

Ulla Lötzer
Frank Spieth


(DIE LINK Herr Präsident! Meine seh ren! Wir haben diese Aktue dem wir in den letzten Tage immer neue aberwitzige Zah nannten deutschen Finanzin müll nachlesen durften. (Zuruf von der CDU/C Wenn man dem Spiegel folgt Schrottpapiere, wenn man de folgt, um 600 bis 800 Millia Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler E)

r geehrten Damen und Her-
lle Stunde beantragt, nach-
n in den deutschen Medien
len über den von der soge-
dustrie aufgehäuften Gift-

SU: „Sogenannten“!)

, geht es um 300 Milliarden
n berühmten Börsenkreisen
rden Schrottpapiere, wenn
Heidemarie Wieczorek-Zeul Heinz Lanfermann
Katrin Kunert

Britta Haßelmann
Dr. Rainer Tabillion
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Maurer
man der Süddeutschen Zeitung und dem Handelsblatt
von gestern folgt, um 1000 Milliarden sogenannte
Schrottpapiere. Die Einzigen, die informiert werden,
sind offensichtlich die sogenannten informierten Kreise
des Bundesfinanzministeriums, der Finanzaufsicht und
der führungslos gewordenen Bankenrettungsanstalt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Parlament wird nicht informiert. Ehrlich gesagt
hätte ich es mir nicht träumen lassen, dass es das Schick-
sal eines deutschen Parlamentariers ist, sich bei Spiegel
Online über die Pläne der Bundesregierung informieren
zu müssen. Aber das ist der Zustand in diesem Haus.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie Ihre Krawatte vergessen?)


Sie setzen hier Ihre Strategie der letzten Monate – die
Finanzkrise dauert schon länger –, des letzten Jahres
fort: tricksen, verschweigen, schönreden, nichts be-
kanntgeben. – Meine Damen und Herren, nehmen Sie
sich ein Beispiel an dem neu gewählten amerikanischen
Präsidenten, der seinem Volk wenigstens die Wahrheit
über das sagt, was los ist, und versucht, angemessene
Antworten zu formulieren.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wo sie vorher schon dreimal das Konzept geändert haben!)


Noch mehr alarmiert sind wir wegen der Art und
Weise, in der Sie offensichtlich mit dem Problem umzu-
gehen gedenken. Das muss man einmal ins Deutsche
übersetzen. Sie befinden sich offensichtlich in heftigen
Diskussionen über die Gründung einer Bad Bank. Über-
setzt heißt das: üble Bank.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen wir mal: schlechte Bank!)


Mittlerweile haben Sie sich, wie wir den Gazetten ent-
nehmen, dazu durchgerungen, eine üble Bank light zu
gründen, eine leicht üble Bank oder eine üble Bank auf
leichte Art.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Man muss schon einmal diskutieren, was Sie da vorha-
ben. Offenkundig beabsichtigen Sie, die gesamten Spe-
kulationsverluste der deutschen Finanzindustrie den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern und dem Staatsver-
mögen überzuhelfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach dem, was ich heute im Handelsblatt lese – das
ist dann die üble Bank leicht gemacht –, haben Sie vor,
das so zu machen, dass – ich zitiere – alles übernommen
wird, bei Fälligkeit dieser Papiere der Staat für die Spe-
kulationsverluste einsteht, während Sie sich vorbehalten,
dass der Staat im Laufe von 50 Jahren einen Teil – einen
Teil! – der Gewinne dieser Banken zurückerhält.

Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass die Bürgerli-
chen die bürgerliche Moral vollständig untergraben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Aber ich teile selbstverständlich den schwäbischen
Handwerksmeistern mit, was die soziale Marktwirt-
schaft ist. Die haben das jetzt zum ersten Mal verstan-
den. Soziale Marktwirtschaft nach Ihrem Credo sieht of-
fensichtlich so aus: Wenn ein Handwerksmeister in
Konkurs geht und mit seinem Privatvermögen haften
muss, dann sagen Sie ihm „Pech gehabt!“ und wünschen
eine gute Reise.

Wenn aber ein Großspekulant in der deutschen Fi-
nanzindustrie über die Wupper geht, dann werden die
Verluste aus dem Staatsvermögen finanziert und an die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weitergegeben. Das
ist nicht nur Verschleuderung von Staatsvermögen, son-
dern es untergräbt auch die Moral, die Sie selber immer
den Menschen gepredigt haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Dem deutschen Mittelstand machen Sie nicht so ein
hochherziges Angebot.

Wozu Sie fähig sind, haben wir aus dem Beispiel der
Commerzbank gelernt. Sie haben ein Institut, das noch
ganze 3 Milliarden Euro wert ist, für sage und schreibe
18 Milliarden Euro vermutlich vorübergehend herausge-
kauft. Dabei haben Sie ganze 25 Prozent dieser 3 Mil-
liarden Euro in Aktien bekommen. Das ist ein Wahn-
sinnsunternehmen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?)


Warum haben Sie das gemacht? Die Commerzbank
beteuert Tag und Nacht, sie sei nicht insolvent gewesen.
Sie haben eine vorübergehende Stabilisierung der Kurse
der Allianz bewirkt. Dieses Unternehmen hatte wahr-
scheinlich das größte Interesse daran. 18 Milliarden
Euro für die Stabilisierung der Kurse der Allianz! Das
muss man sich einmal vorstellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieselben Leute sind knallhart, wenn es darum geht,
die Armen in Deutschland arm zu lassen. Wenn es da-
rum geht, die Besitzstände der Megareichen zu verteidi-
gen, sind Sie mindestens so knallhart wie bei der Bestra-
fung der kleinen Leute, wie es vorhin jemand so schön
gesagt hat. Es hat uns richtig gerührt, dass Sie plötzlich
die kleinen Leute entdeckt haben.

Sie schaffen ein großes makroökonomisches Pro-
blem, das sich wie folgt darstellt: Sie sind dabei, zuguns-
ten der Finanzindustrie das Staatsvermögen zu verun-
treuen – wie es Oskar Lafontaine formuliert hat –, zu
einem Zeitpunkt, zu dem es darauf ankommen wird, die
deutsche Realwirtschaft vor dem Zusammenbruch zu be-
wahren und zu retten.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620004900

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Maurer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620005000

Ich komme zum Ende. – Während der amerikanische

Präsident 825 Milliarden Dollar einsetzt, um seine Real-
wirtschaft zu retten, sind Sie stolz auf unsere
25 Milliarden Euro und verschleudern nebenbei das
Staatsvermögen an die Finanzindustrie. Das ist ein unan-
nehmbarer Kurs.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1620005100

Das Wort hat nun Kollege Leo Dautzenberg, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1620005200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Maurer, wenn
Sie in klassenkämpferischer Manier fordern,


(Lachen bei der LINKEN)


dass Maßnahmen entwickelt werden, mit denen das
Staatsvermögen geschont werden soll, dann sollten Sie
das frühere Staatsvermögen der DDR an uns zurückge-
ben, mit dem dann all das, was wir zu finanzieren haben,
ausgeglichen werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Vor allem Ulrich Maurer aus Baden-Württemberg! Das ist doch lachhaft!)


Die Thesen, die Sie vorgetragen haben, sind sehr wi-
dersprüchlich. Sie wissen offenbar genau, wie es bei-
spielsweise bei der Commerzbank gelaufen sein soll.
Exakte Informationen haben wir in unseren Gremien
noch nicht. Wir konnten uns bisher nur aus der Presse in-
formieren. Deshalb ist es erstaunlich, dass Sie genau
wissen, welche sogenannten toxischen Papiere jetzt zur
Diskussion stehen. An dieser Stelle muss erst einmal dif-
ferenziert werden, worüber wir sprechen, Kollege
Maurer.

Sie haben sich auf Forderungen von CDU-Vertretern
in der Presse bezogen. Eines ist klar: Mit uns kann es
keine Einrichtung einer sogenannten Bad Bank geben, in
die alle Risikopapiere eingebracht werden, die letzten
Endes zulasten des Bundes und damit des Steuerzahlers
beglichen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das geht mit uns nicht.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Weiß das auch Herr Oettinger?)


Insofern ist Ihren pauschalen Vorwürfen durchaus eine
differenzierte Betrachtungsweise entgegenzuhalten. Das
wird Ihnen wahrscheinlich schwerfallen, weil es nicht in
Ihre klassenkämpferischen Parolen hineinpasst, wenn
man sachgerecht und systemgerecht an das Thema he-
rangehen will.
Was die systemischen Risiken anbelangt, muss eines
klargestellt werden: Banken sind ab einer bestimmten
Größenordnung systemisch. Wenn man keinen Rettungs-
schirm aufspannt, wird das Folgen für unsere gesamte
Volkswirtschaft haben. Auch andere Bereiche können re-
levant sein. Deshalb haben wir im Rahmen der ersten
Maßnahmen ein Kredithilfepaket für den Mittelstand be-
schlossen. Danach soll die KfW gerade den Unterneh-
men, die jetzt in Schwierigkeiten geraten, mit Maßnah-
men helfen, sodass diese Unternehmen mithilfe ihrer
Hausbank zu einer vernünftigen Kreditfinanzierung
kommen. Hier werden im Grunde Risiken von der KfW
übernommen. Gerade das, was Sie kritisieren, haben wir
mit unserem ersten Maßnahmenpaket auf den Weg ge-
bracht.

Was ist nun mit dem Finanzmarktstabilisierungsge-
setz? Im Oktober letzten Jahres ist ein Maßnahmenpaket
mit den drei Schwerpunkten Garantien, Rekapitalisie-
rung und Übernahme sogenannter Risikopapiere be-
schlossen worden. Für uns ist klar, dass wir einzelnen
Forderungen aus der Kreditwirtschaft nicht nachkom-
men wollen, wenn Reparatur- bzw. Ergänzungsbedarf
besteht und wenn wir nicht bewerten können, inwieweit
die bisherigen Maßnahmen gegriffen haben. Momentan
läuft die Risikoübernahme. Das betrifft den Bereich der
Garantien. Wir haben bisher drei Platzierungen gehabt.
Darüber soll der Interbankenmarkt belebt werden. Nun
muss die weitere Entwicklung abgewartet werden. Wir
haben zudem Maßnahmen zur Rekapitalisierung ergrif-
fen. Was die Übernahme sogenannter Risikopapiere an-
belangt, war es immer politischer Wille, dass wir sehr
defensiv agieren, weil es nicht sein kann, dass das alles
nachher dem Steuerbürger aufgebürdet wird. Deshalb ist
eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig, ge-
nauso wie die Diskussion über bestimmte Maßnahmen.
Wir sind auf einem guten Weg.

Meine Damen und Herren von der Fraktion Die
Linke, wenn Sie die Arbeit in den Gremien begleiten,
dürften die gespenstischen Vorstellungen, die Sie entwi-
ckelt haben, nicht eintreten. Wir sind dabei, Vorschläge
zu unterbreiten. Es muss sich um einen Weg handeln, der
die Abwicklung der Maßnahmen, die dazu dienen, den
Bankenbereich von Risikopapieren zu befreien, um neue
Geschäfte zu ermöglichen, nahe der ursprünglichen Ver-
antwortung belässt.

Diese Aktuelle Stunde geht zumindest von der Frage-
stellung her fehl; denn Sie, meine Damen und Herren
von der Linken, könnten die Aufgaben in den entspre-
chenden Gremien wahrnehmen und erörtern.


(Zuruf von der LINKEN: Geheimhaltung!)


– Das hat mit geheim nichts zu tun. – Sie sollten hier
keine Showveranstaltung machen und keinen Populis-
mus betreiben, der darauf hinauslaufen soll, dass Sie sich
in Ihrer Auffassung des Antagonismus der Klassen be-
stätigt sehen können.

Danke sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620005300

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Florian

Toncar.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1620005400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! In der heutigen Aktuellen Stunde erleben wir die
Fortsetzung eines bislang wenig fruchtbaren Ideenfeuer-
werks zur Einleitung des Jahres der Staatswirtschaft.
Herr Maurer, ich möchte zu Ihrer Rede nur eines sagen:
Sie wettern gegen Spekulation. Sie sollten aber in den
letzten Monaten gelernt haben, dass Spekulation gerade
bei staatlichen Banken stattgefunden hat. Wenn es eine
Lehre aus der aktuellen Krise gibt, dann ist es die, dass
Verstaatlichungsfantasien im Bankenwesen offenkundig
besonders große Verluste verursachen. Sie sollten daher
von diesen Ideen Abstand nehmen.


(Beifall bei der FDP)


Schauen wir uns zunächst einmal die Verfassung des
deutschen Finanzsektors an. Der letzten Bankenstatistik
der Bundesbank zufolge ist in den vergangenen Monaten
bei Krediten an inländische Unternehmen, Privatperso-
nen und öffentliche Haushalte ein moderater Anstieg zu
verzeichnen. Vor allem Kredit- und Großbanken zeich-
nen sich durch eine aktivere Kreditvergabe aus. Die
Sparkassen verharren etwa auf dem Niveau von 2007.
Zwar haben die deutschen Banken laut Bundesbank
mittlerweile Verschärfungen bei ihren Konditionen vor-
genommen; doch diese bleiben in Deutschland insge-
samt hinter den Vorgaben des Euroraumes zurück. Die
Bundesbank schreibt wörtlich:

Eine angebotsseitige Kreditverknappung in der
Breite des Bankensystems lässt sich … für
Deutschland aber derzeit nicht ableiten.

Die Regierung hat immer wieder die Bedeutung von
Vertrauen herausgestellt. Bevor die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen mit ihrem Ideenfeuerwerk
für eine noch umfangreichere Staatswirtschaft das ver-
bliebene Vertrauensporzellan zerschlagen, sollten sie lie-
ber vor der eigenen Türe kehren. Sowohl der Umfang als
auch die Zahl der Anträge für die Förderprogramme der
staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau haben sich
in den letzten neun Monaten halbiert. Dies hat die Bun-
desregierung auf eine Anfrage der FDP einräumen müs-
sen. Offensichtlich sind es gerade die KfW-Förderpro-
gramme, die nicht attraktiv genug sind. Auch das zeigt,
dass der Staat nicht der bessere Banker ist.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte auf das eingehen, was zurzeit in der Lei-
tung des SoFFin passiert; denn wenn es so weitergeht,
gefährdet auch das das Vertrauen. Zwei von drei leiten-
den Mitarbeitern kündigen vorzeitig, es wird dort zum
Teil ohne Dienstverträge gearbeitet, und Mitarbeiter des
Leitungsausschusses liefern sich mit der Bundesregie-
rung öffentlich ausgetragene Debatten über die angeb-
lich notwendigen Korrekturen am Rettungspaket.


(Otto Fricke [FDP]: Und wo ist Steinbrück?)

Das alles ist in der Form nicht mehr hinnehmbar. Gerade
jetzt, da eine Bank nach der anderen die Zahlen für das
vierte Quartal veröffentlicht, brauchen wir dort hand-
lungsfähige Strukturen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an
dem die Mitglieder der Bundesregierung, vor allem die
Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister, in der
persönlichen Verantwortung sind, dafür zu sorgen, dass
dort die personelle Lage wieder so ist, wie wir sie uns
wünschen und vorstellen;


(Beifall bei der FDP)


denn es handelt sich nicht um administrativen Klein-
kram, den man mal eben delegieren kann, sondern es
handelt sich bei der Handlungsfähigkeit dieser Institu-
tion um eine für unsere Volkswirtschaft ganz entschei-
dende Frage, bei der Sie die Dinge derzeit treiben lassen.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, vor 80 Jahren hat der Öko-
nom Ludwig von Mises in seiner Kritik des Interventio-
nismus das sogenannte Ölflecktheorem begründet. Die-
ses besagt, dass ein staatlicher Eingriff an einer Stelle
mehr oder weniger unausweichlich weitere Folgeein-
griffe und letztlich eine Interventionsspirale nach sich
zieht.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das! Das darf nur vorübergehend sein!)


Genau in diese Richtung gehen die zum Teil wenig kon-
struktiven und zusammengewürfelten Vorschläge aus
den Reihen der Bundesregierung und auch der Koali-
tionsfraktionen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


– Auch aus Ihrer Fraktion, Herr Dautzenberg. – Insbe-
sondere was die Vorschläge zur personellen, inhaltlichen
und finanziellen Erweiterung des Fonds und dessen Ga-
rantierahmen angeht, aber auch was die zeitliche Verlän-
gerung des Gesetzes insgesamt betrifft, erodiert das
Vertrauen, das der SoFFin im Finanzsektor und bei In-
vestoren eigentlich begründen soll.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer hat das denn gefordert?)


Ich denke, etwas mehr Zurückhaltung bei solchen Vor-
schlägen würde schon vieles besser machen.


(Beifall bei der FDP)


Natürlich können wir am Rettungspaket Dinge ver-
bessern. Wenn die Bundesregierung einen Weg aufzeigt,
wie wir Bankbilanzen schneller bereinigen können, ohne
dass für den Steuerzahler neue und unzumutbare Lasten
entstehen, dann werden wir darüber reden. Aber Aktio-
nismus und wilde Spekulation schaden an dieser Stelle
nur.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Wir sollten die drastischen Zinssenkungen, die auf euro-
päischer Ebene und auch in Übersee vorgenommen wor-
den sind, wirken lassen. Die spürbare Verbilligung von
Geld, die erst in einigen Monaten voll zum Tragen kom-
men wird, wird dazu führen, dass sich Banken leichter
refinanzieren können und dass das Kreditangebot größer
wird. Dieses Vertrauen in die Wirkung der Maßnahmen
der Zentralbank sollten wir haben. Wir sollten es nicht
durch kurzfristige Vorschläge aufs Spiel setzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
gemeinsam daran arbeiten, dass bei den Bürgerinnen
und Bürgern nicht der Eindruck erweckt wird, je größer
ein Kreditinstitut ist, desto größere Anstrengungen un-
ternimmt die Politik, um für dessen Fehler einzustehen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau so ist es aber! Das ist die Realität!)


Deswegen muss eine Konsolidierung des Marktes an
dieser Stelle stattfinden.


(Beifall bei der FDP)


Bertolt Brecht schrieb einmal: Wer auf großem Fuß
lebt, dem bezahlen sie noch den größten Schuh. – Dies
ist nicht die Linie der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Lachen des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620005500

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Otto Bernhardt [CDU/CSU])



Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Rede ID: ID1620005600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz haben wir in
unser aller Interesse, im Interesse der Kreditwirtschaft
ebenso wie dem der Verbraucher, einen gigantischen
Rettungsschirm für die Banken geschaffen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: „Gigantisch“ ist das richtige Wort!)


Es wurde ein Fonds gegründet, der Garantien für die Re-
finanzierung der Finanzinstitute in einer Höhe von bis zu
400 Milliarden Euro übernimmt und zur Stärkung des
Eigenkapitals Rekapitalisierungsmaßnahmen von bis zu
80 Milliarden Euro zum Gegenstand hat. Dieser Fonds
ermöglicht auch heute schon den Ankauf risikobehafte-
ter Wertpapiere, sofern sie vor dem 13. Oktober letzten
Jahres angeschafft wurden.Wir haben damit ein grund-
sätzlich wirksames Instrumentarium geschaffen, um das
Vertrauen in die Finanzmärkte zurückzugewinnen und
den Handel zu beleben.

Die aktuellen Zahlen zeigen allen Unkenrufen zum
Trotz, dass dieser Rettungsschirm angenommen wird.
Garantien in einer Höhe von mehr als 100 Milliarden
Euro und Rekapitalisierungen in einer Höhe von knapp
20 Milliarden Euro – addiert man alles – sprechen eine
deutliche Sprache. Ich sage an dieser Stelle auch: Es
könnte noch mehr sein, wenn die Banken verantwor-
tungsbewusster ihre Chance nutzen und sich dem
SoFFin zuwenden würden.

Unabhängig von allen spekulativen in der Tages-
presse geführten Diskussionen – man kann natürlich al-
les Mögliche andenken; man kann zurück in die 90er-
Jahre nach Schweden schauen, man kann nach England
blicken


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber mit anderen Konsequenzen!)


oder dritte, vierte und fünfte Lösungen erwägen – dürfen
wir eines nicht aus den Augen verlieren – das ist auch
Sinn und Zweck der heutigen Aktuellen Stunde –: Der
Steuerzahler darf nicht der Leidtragende sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Vor diesem Hintergrund ist eines klar: Die Suppe, die
sich die Banken durch ihre verantwortungslosen Finanz-
zockereien eingebrockt haben, müssen sie selber auslöf-
feln, und zwar aktiv und intensiv. Anders gesagt: Wer
den Staat nach eigenem Versagen als Müllschlucker in
Anspruch nehmen will, darf nicht auch noch Müllgebüh-
ren verlangen; nein, er muss sie zahlen. Wie auf jeder
anständigen Müllhalde muss derjenige, der den Müll
produziert hat, ihn entsorgen, und zwar von A bis Z.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Allen Forderungen nach Gründung einer sogenannten
Bad Bank bzw. schlechten Bank, bei der die faulen Kre-
dite der Privatbanken auf Kosten der Steuerzahler abge-
laden werden können, erteilen wir eine klare und deutli-
che Absage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit uns wird es eine solche Lösung nicht geben. Egal,
welche Summe dem deutschen Steuerzahler zugemutet
werden soll, ob es, wie in der Tagespresse spekuliert
wurde, um 200 oder 300 Milliarden Euro geht, eines ist
klar: Es handelt sich um ein Fass ohne Boden, welches
niemandem zuzumuten ist. Ich empfinde es als Zumu-
tung, dem Steuerzahler nun zu sagen, er solle das Risiko
der Banken übernehmen, die sich selbst ins Aus ge-
schossen haben.

Unser Ziel ist es – dabei bleibe ich –, alle betroffenen
Institute unter den Rettungsschirm zu bekommen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das hätte man doch ins Gesetz schreiben können!)


Sie sollen die Möglichkeiten – Kollege Dautzenberg hat
es ausgeführt – der Garantie, der Rekapitalisierung und
der Risikoübernahme ausschöpfen und nicht schon im
Vorfeld, bevor sie die Reize des SoFFin entdeckt und
ausprobiert haben, nach neuen, zusätzlichen Finanzie-
rungsmethoden schreien. Der Staat muss den schlechten
Finanzjongleuren klarmachen, dass er lediglich eine un-
terstützende Funktion hat. Die Banken dürfen nicht da-
rauf hoffen, ihre nutzlosen Wertpapiere einfach so auf
die Steuerzahler und den Staat abwälzen zu können.

Im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise – ich
komme zum Titel der Aktuellen Stunde zurück – müssen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Ulrich Krüger
wir noch viele Diskussionen führen; aber eines sollte uns
klar sein: Die Banken sind nicht die Opfer der Finanz-
marktkrise, sondern auf der Mitverursacherseite zu su-
chen. Dementsprechend müssen sie zuallererst selbst
Konsequenzen ziehen und die Fehler bei sich suchen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Otto Bernhardt [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620005700

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die aktuelle Situation eignet sich nicht für
eine Diskussion darüber, ob der Staat ein guter oder ein
schlechter Banker ist, ob man jetzt das Jahr der Staats-
wirtschaft ausrufen oder von Verstaatlichung träumen
sollte. Die Frage, um die es geht, ist doch eine ganz an-
dere.


(Frank Schäffler [FDP]: Wir sollten über die Ursachen reden!)


Der Staat ist gezwungen, in der Krise die Verantwortung
zu übernehmen, weil es nicht anders geht. Jetzt müssen
wir – das ist die politische Verantwortung dieses Hauses –
dafür sorgen, dass das so geschieht, dass die Bürgerin-
nen und Bürger so wenig wie möglich belastet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!)


Herr Dautzenberg, wenn das so ist, dann sprechen die
Fakten – das muss ich leider sagen – gegen das Handeln
dieser Bundesregierung. Sie haben es zwar clever ver-
steckt: Am 23. Dezember, als alle Leute ihre Weihnachts-
einkäufe gemacht haben, sind die neuen Zahlen und In-
formationen präsentiert worden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Welche?)


Aber das Faktum, dass die Europäische Kommission bei
den Konditionen der Bundesregierung zur Rettung einer
Bank nachschrauben musste – sie hat gesagt, die Kondi-
tionen für die Banken seien zu günstig – und damit uns
Deutsche vor der Großzügigkeit der Bundesregierung
geschützt hat, muss man sich schon noch einmal genauer
anschauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das spricht eindeutig gegen das Handeln dieser Bundes-
regierung. Da helfen die schönen Sprüche von Müllge-
bühren überhaupt nicht. Sie haben hier eine schlechte
Politik der Sanierung gemacht.

Das erkennt man auch, wenn man sich die aktuellen
Zustände anschaut. Im Oktober war von einem Plan B
die Rede. Nachdem die Einzelaktionen – Hypo Real Es-
tate, IKB – nicht fruchteten, gab es den Plan B; „B“ wie
„Bankenrettung“. Inzwischen sind wir bei einem Plan C;
„C“ wie „Chaos“. Man muss sich einmal klarmachen: In
kurzer Zeit haben zwei von drei Mitgliedern des Lei-
tungsausschusses beim Finanzmarktstabilisierungsfonds
die Arbeit niedergelegt. Ein Mitglied des Leitungsaus-
schusses ist von der Bundesregierung woandershin ver-
setzt worden. Was ist das anderes als Chaos? Das Ziel,
den Interbankenmarkt zu stabilisieren, ist nach Monaten
nicht erreicht. Statt einem Eingeständnis und einer wirk-
lichen Korrektur erleben wir schleichend eine Strategie-
veränderung, was das Handeln der Bundesregierung an-
geht.

Ich möchte auch die Länderebene berücksichtigen.
Die Ministerpräsidenten, insbesondere die der Union,
meinen immer noch, man müsse jetzt kurzfristige Stand-
ortpolitik in den einzelnen Regionen machen, statt sinn-
voll an einer Bankenrettung mitzuarbeiten. Was da pas-
siert, ist wirklich unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen dreierlei:

Das Erste ist eine klare Aufklärung darüber, wie es zu
den einzelnen Problemen kommt. Ich wiederhole, was
ich schon im Mai gesagt habe: Warum kann die Schwei-
zer Bankenaufsicht bei der UBS für eine klare Aufklä-
rung sorgen, und warum rettet die Bundesregierung eine
Bank nach der anderen, ohne wirklich um Aufklärung zu
bitten und die Fakten ans Licht zu bringen? Ich finde,
das ist dringend notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt. Es braucht klare Strukturen der
Verantwortlichkeit. Es muss geklärt werden, ob die
Hauptverantwortung für die Bankenrettung im Bundes-
ministerium der Finanzen und in den einzelnen Landes-
regierungen liegt, die da reinfunken, oder ob wirklich
der Leitungsausschuss beim SoFFin mit der Rettung
nach klaren Vorgaben beauftragt ist. Das müssen Sie klä-
ren. Wir brauchen dazu eine klare und effektive parla-
mentarische Kontrolle. Bei diesem Geheimgremium ist
das leider nicht möglich. Auch da muss man dringend
noch nachsteuern. Ohne eine gute parlamentarische
Kontrolle wird es nicht gehen, wenn wir über solche
Summen reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Dritte ist eine klare Strategie. Dabei geht es um
die Frage: Wie reagiert man auf das Scheitern der bishe-
rigen Vorgehensweise? Wir können misstrauisch sein,
wenn die Einrichtung einer Bad Bank jetzt vehement be-
stritten wird. Wir haben im bisherigen Verlauf der Krise
eines gelernt: Immer dann, wenn der Bundesfinanzminis-
ter hier besonders selbstbewusst sagt, etwas werde nicht
kommen, wird es auf jeden Fall kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Er hat gesagt: Das ist ein US-amerikanisches Problem. –
Natürlich ist es auch ein deutsches Problem geworden.
Er hat gesagt: Es wird keine Rezession in diesem Aus-
maß geben. – Natürlich sind wir mitten in einer solchen
Rezession. Er hat gesagt: Es wird keine Steuersenkun-
gen geben. – Natürlich gibt es Steuersenkungen. Jetzt






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
sagt er: Es wird keine Bad Bank geben. – Das macht mir
große Sorge.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Für meine Fraktion kann ich sagen: Wir sind eindeu-
tig gegen eine zentrale Sammelstelle, in die alle Pro-
bleme gleichzeitig hineingestopft werden. Wenn man
sich die Probleme schon mit dem jetzigen Volumen an-
schaut, wird klar: Eine solche riesige Bad Bank ist sehr
gefährlich und wird administrativ und bei der Bewertung
der Wertpapiere zu großen Schwierigkeiten führen.

Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass „Bad Bank“
nicht heißen muss, dass man alles in einem Riesentopf
macht. Es gibt da sehr unterschiedliche Strukturen mit
einer Verlagerung von Verantwortlichkeiten und Verlust-
risiken. Deswegen bin ich dafür, dass wir sachlich da-
rüber diskutieren, und zwar auch in diesem Hause.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Von Verantwortlichkeiten wollten wir an sich nicht reden!)


– Doch, wir müssen auch über die Verantwortlichkeiten
reden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Über das Durchführen!)


Bei dem Chaos zwischen Bundesregierung und SoFFin
ist genau das zu klären. Ich würde mir wünschen, dass es
dazu in den nächsten Sitzungswochen konstruktive Vor-
schläge gibt. In dem Zusammenhang würde mich auch
ein Vorschlag der FDP interessieren; denn es geht nicht
an, dass man in dieser Situation nur kritisiert.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620005800

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege

Jochen-Konrad Fromme.


(Beifall des Abg. Otto Bernhardt [CDU/CSU])



Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1620005900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Finanzkrise ist ein sehr ernstes Problem, und wir
nehmen die Sorgen und Nöte der Menschen sehr ernst.
Aber die Urheber dieser Aktuellen Stunde führen offen-
sichtlich etwas ganz anderes im Schilde. Sie wollen un-
ser marktwirtschaftliches System verunglimpfen, weil
sie für eine andere Gesellschaftsordnung sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Roland Claus [DIE LINKE]: Das schafft ihr ganz alleine!)


Dazu kann ich nur sagen: Es geht nicht um ein Versa-
gen der Marktwirtschaft. Das System, das Sie so verun-
glimpfen, war immerhin so stark, dass es den Wiederauf-
bau von fünf Ländern finanzieren konnte, die Sie bzw.
Ihre Vorgänger verhunzt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der LINKEN)


Herr Kollege Maurer, Sie haben sich hier beschwert,
dass Sie nicht informiert seien. Ich rate Ihnen, sich ein-
mal mit Ihren Kollegen aus dem Haushaltsausschuss,
aus dem Finanzmarktgremium und aus dem Kreditgre-
mium zu unterhalten; denn in den entsprechenden Vorla-
gen war exakt eine Information zur Commerzbank, die
Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Doch, die hat er zur Kenntnis genommen, was er an sich nicht durfte!)


Herr Kollege Schick, Sie haben gesagt, die EU habe
unsere Konditionen nach oben korrigiert, weil wir zu
großzügig gewesen seien. Ohne Betriebsgeheimnisse zu
verraten, könnte ich sagen, dass vielleicht genau das Ge-
genteil der Fall gewesen ist. Deswegen sollten auch Sie
sich einmal richtig informieren.

Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch in
unserer Marktwirtschaft nicht alles so gelaufen, wie wir
uns das vorgestellt haben. In jedem System gibt es natür-
lich Dinge, die aus dem Ruder laufen und fehlerhaft
sind. Das war unter anderem die Ursache für die Finanz-
marktkrise. Deswegen müssen wir genau da gezielt, aber
auch systemgerecht ansetzen.


(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das wollen wir machen!)


Der Vorwurf, wir machten eine Politik der ruhigen
Hand, der manchmal erhoben wird, geht am Kern vor-
bei. Vielmehr ist jetzt eine Politik des kühlen Kopfes nö-
tig. Wir haben ein Konzept entwickelt, das aus zwei
Schritten besteht, während andere Länder


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Dauernd gewechselt haben! Bei den USA angefangen!)


in Hektik jeden Tag nachbessern oder etwas Neues ma-
chen müssen, weil sie nicht genug nachgedacht haben.
Deswegen sage ich: Die soziale Marktwirtschaft hat sich
bewährt. Natürlich haben in der Vergangenheit manche
Bürokratieabbau mit Regellosigkeit verwechselt.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir erinnern an die Leipziger Beschlüsse!)


Das ist natürlich nicht in Ordnung; denn auch eine so-
ziale Marktwirtschaft braucht Spielregeln.

Kollege Maurer, Sie sagten, wir täten nichts für die
Realwirtschaft, sondern nur etwas für die Finanzwirt-
schaft. Dazu will ich Ihnen zwei Dinge sagen: Erstens
haben Sie offensichtlich das zweite Maßnahmenpaket
nicht gelesen.


(Lachen des Abg. Ulrich Maurer [DIE LINKE] – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Noch nicht einmal das erste!)


Zweitens scheint Ihnen der Unterschied zwischen der
Funktion von Banken und Produktionsbetrieben über-
haupt nicht klar zu sein. Kapital ist wie das Öl im Ge-
triebe. Es ist nötig, damit eine Wirtschaft überhaupt erst






(A) (C)



(B) (D)


Jochen-Konrad Fromme
laufen kann. Ich will Ihnen das einmal am Beispiel eines
Dachdeckers deutlich machen.

Damit ein Dachdeckermeister den Auftrag, ein Dach
zu decken, ausführen kann, muss er Material einkaufen
und Löhne bezahlen. Wenn die Arbeit abgeschlossen ist,
schreibt er eine Rechnung und bekommt das Geld.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Im Regelfall!)


Wenn er das nötige Eigenkapital nicht hat, muss er zur
Bank gehen, um Material und Löhne vorzufinanzieren.
Das alles ist nötig, damit Arbeitsplätze überhaupt erst
entstehen können. Dem Geldwesen kommt hierbei also
eine zentrale Funktion zu. Es hat sozusagen eine vorge-
lagerte Funktion. Es gibt dabei aber eigentlich keine
deutliche Trennung.

Wir haben doch den Schutzschirm nicht gemacht, um
die Banken zu schützen,


(Roland Claus [DIE LINKE]: Sondern den Dachdecker?)


also sozusagen um das Kapital zu stützen, sondern wir
haben ihn gemacht, um die Funktionsfähigkeit des Fi-
nanzmarktes zu sichern. Damit helfen wir genau dem
Dachdecker


(Lachen bei der LINKEN)


und vor allen Dingen dem Gesellen des Dachdeckers
– nur so hat er nämlich Arbeit – und all denjenigen, die
um ihr Sparguthaben fürchten müssten, wenn das Ban-
kensystem einkrachte. Dafür haben wir das gemacht.
Genau das sind die Ziele dieses Gesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Weil Sie von der Linken es nicht begreifen wollen,
werden Sie es auch nicht begreifen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Dann erklären Sie doch einmal, wie die Allianz zur Dachdeckerfirma geworden ist! Das finde ich spannend!)


Auch Sie haben doch alles falsch gemacht.

Meine Damen und Herren, natürlich ist bei der Ver-
briefung von Forderungen das Regelsystem, das für
Banken bestand, aus dem Ruder gelaufen. Banken sind
ja theoretisch in der Lage, Geld zu schöpfen, sofern es
um Buchgeld geht. Deswegen ist hier eine Eigenkapital-
unterlegung zwingend erforderlich, damit nicht eine
25 000-Euro-GmbH Geschäfte in Milliardenhöhe ma-
chen kann. Die Gründung von Zweckgesellschaften hat
nun dazu geführt, dass genau dieses System unterlaufen
wurde.


(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das gilt doch heute noch, Herr Kollege!)


Deswegen müssen wir hier mit unseren Korrekturen an-
setzen.


(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Wann denn?)


In der Zwischenzeit müssen wir das System aber erst
einmal stabilisieren, damit es nicht einkracht und die Ar-
beitsplätze nicht verloren gehen. Genau das ist unser
Ziel. Wir wollen Arbeitsplätze schützen, und wir wollen
die Sparguthaben der Menschen schützen. Das ist uns
gelungen. Die Menschen in Deutschland sind nicht in
Panik verfallen. Die Wirtschaft funktioniert weiterhin.

Dass man alles besser und schöner machen kann, ist
gar keine Frage. Von daher sind wir natürlich lernfähig.

Man kann nicht alles vorhersehen. Deswegen werden
wir möglicherweise auch nachsteuern müssen. Warten
Sie aber bitte erst einmal ab, ob das, was wir jetzt auf
den Weg gebracht haben, auch wirklich greift und funk-
tioniert. Dann können Sie gerne mit Ihrer Kritik kom-
men und anhand der einzelnen Funktionen sagen: Dieses
oder jenes hätten wir anders gemacht; diese Alternative
wäre besser gewesen. – Sie aber meckern und verun-
glimpfen nur. Da können wir Ihnen nicht folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620006000

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620006100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Der Bankenschirm ist eine teure Fehlkonstruk-
tion. Der gestern angekündigte Rücktritt des SoFFin-
Chefs war nur ein Symptom dafür.

Während Herr Dautzenberg uns auffordert, Ruhe zu
bewahren,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe Sie gebeten, von den Fakten auszugehen, Frau Kollegin!)


lesen wir heute, dass die Bundesregierung bis Mitte Fe-
bruar 2009 einen zweiten Bankenrettungsplan vorlegen
will. Das ist blinder Aktionismus.


(Beifall bei der LINKEN)


Was passiert in der Realität? Die Bankenvorstände
tanzen der Kanzlerin und dem Finanzminister weiter auf
der Nase herum. Jeden Tag tauchen neue faule Kredite
auf. Jeden Tag werden die Steuerzahler mit neuen Hiobs-
botschaften geschockt.

Was passiert dann? Die Bürgerinnen und Bürger sol-
len ihr Geld für Ackermann & Co. auf den Tisch legen,
um den Banken aus der Patsche zu helfen. Das ist eine
unglaubliche Zumutung für alle Menschen, die ihr Geld
mit ehrlicher Arbeit verdienen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen holzschnittartig! – Ute Kumpf [SPD]: Sehr einfach! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Dagegen war Marx doch anspruchsvoll!)


Meine Damen und Herren, niemand weiß, wie viele
Zeitbomben noch in den Tresoren deutscher Banken ti-
cken. Niemand weiß, wann diese Zeitbomben in die Luft
gehen. Wir als Bundestag müssen endlich Beschlüsse






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
fassen, damit das Katz-und-Maus-Spiel der Banken-
manager beendet wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit der Kuschelpädagogik der Kanzlerin und des Fi-
nanzministers mit den Bankenvorständen muss jetzt
Schluss sein.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha!)


Das Umfrageinstitut Emnid hat im Januar dieses Jah-
res Folgendes herausgefunden: 76 Prozent der in einer
repräsentativen Umfrage Befragten sind der Auffassung,
dass Gesetze verabschiedet werden sollten, die den Ban-
ken Spekulationen wie in den letzten Jahren verbieten.

Genau diese Gesetze hat weder die SPD noch die
CDU noch die Bundesregierung bisher in den Bundestag
eingebracht. Das ist nicht hinnehmbar. So etwas ist grob
fahrlässig.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie
sprechen viel über Vertrauen. Schauen Sie sich die Um-
frageergebnisse an! 65 Prozent der Befragten sagen, die
Absicherung notleidender Banken werde dazu führen,
dass die Gewinne bei den Banken bleiben und die Steu-
erzahler die Verluste tragen müssen. So haben sie das
nämlich oft genug erfahren. In dieser Art und Weise darf
nicht weiter gehandelt werden.

Das Schlimmste ist, dass die Regierung keinen Plan
hat, wie die Steuergelder der Bürger, die jetzt den Ban-
ken zugutekommen, wieder zurückfließen sollen. Das ist
ebenfalls nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warten Sie einmal ab!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein letztes
Beispiel aus dieser Umfrage nennen. 71 Prozent der Be-
fragten fordern, dass bei staatlichen Bankenbeteiligun-
gen auch die Mitbestimmung des Staates bei wichtigen
Entscheidungen garantiert sein muss. Das ist etwas an-
deres als Staatswirtschaft – dies einmal an die Adresse
der FDP.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das verstehen die aber nicht!)


Die Regierung nimmt die Mitbestimmung aber nicht
wahr. Sie steckt Milliarden in die Commerzbank, hält
sich aber vornehm aus der Geschäftspolitik der Bank
heraus.

Diese Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass die
Regierung eben nicht die Interessen der Mehrheit der
Bürger in unserem Land vertritt, sondern immer mehr
als Lobbyistin der Banken in Erscheinung tritt. Das ist
nicht die Aufgabe einer Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Mehrheit der Menschen will endlich ein Ende
dieser Kuschelpädagogik. Sie wollen klare, strenge Re-
geln im Umgang mit den Banken. Die Banken müssen
jetzt an die Kandare genommen werden. Um überhaupt
sinnvolle Rettungspläne entwickeln zu können, deren
Haltbarkeit die eines Fruchtzwerge-Joghurts überstei-
gen, müssen wir wissen, welche faulen Kredite noch in
den Banken liegen.

Die Karten müssen endlich auf den Tisch gelegt wer-
den. Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages
und damit die deutsche Öffentlichkeit haben ein Recht,
zu erfahren, welche faulen Kredite noch in den Bank-
tresoren liegen.


(Florian Toncar [FDP]: Das weiß keiner!)


Darum fordern wir die Bundesregierung auf, den Bun-
destag endlich ausführlich über die Gesamtheit dieser
faulen Kredite zu informieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, heute Morgen hat unsere
Fraktion die Vorschläge des Altkanzlers Helmut Schmidt
zur Regulierung der Finanzmärkte in den Deutschen
Bundestag eingebracht. Fatalerweise hat auch die SPD
gegen die Vorschläge ihres eigenen Parteifreundes ge-
stimmt.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was hat er denn gesagt?)


Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen: Die Bundesregie-
rung darf nicht weiter blind den Bankenlobbyisten hin-
terhertraben. Haben Sie Mut! Greifen Sie, wenn schon
nicht unsere Vorschläge, dann die Vorschläge von
Helmut Schmidt auf! Jeder Tag, an dem Sie sich von den
Bankenvorständen weiter auf der Nase herumtanzen las-
sen, ist ein sehr teurer Tag für die Bürgerinnen und Bür-
ger.

Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Bürge-
rinnen und Bürger, die in unserem Land die Werte erar-
beiten und mit ihrer Hände Arbeit das Geld verdienen,
diese Zeche bezahlen müssen. Das muss ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620006200

Das Wort hat der Kollege Ortwin Runde für die SPD-

Fraktion.


Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1620006300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Lötzsch, Sie machen es sich ein bisschen zu leicht.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Schwäbische Hausfrau!)


Wenn man davon ausgeht, dass der Schlüssel zur Bewäl-
tigung der riesigen Krisen, vor denen wir stehen, in abseh-
barer Zukunft die Lösung der Finanzmarktkrise ist – wir
haben darüber heute Morgen im Rahmen einer anderen
Debatte gesprochen –, dann wird die Größenordnung der
Aufgabe deutlicher. Jeder, der sich ansieht, was gegen-
wärtig auf den Finanzmärkten los ist, der weiß, wie
schwierig diese Krise zu lösen sein wird. Wer sagt, es sei
eine Frage einer anderen Pädagogik gegenüber einigen
deutschen Bankern, der übersieht die Schwierigkeiten, in
denen die Banken in den Vereinigten Staaten,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie oft wurde das Konzept geändert!)







(A) (C)



(B) (D)


Ortwin Runde
die Banken in Großbritannien sowie die Schweizer Ban-
ken und Banken anderer Länder stecken. Machen all
diese Länder eine Kuschelpädagogik? Ihr Ansatz, Frau
Lötzsch, ist nicht zielführend, und Ihre Analyse ist nicht
hinreichend tiefgehend. Sie versuchen eher, ein kleines
Süppchen zu kochen.

In diesen Tagen, in denen wir all diese Negativbot-
schaften aus dem Bankenbereich und aus dem Finanz-
sektor erhalten, wird deutlich, wie wichtig es war, dass
die Kanzlerin und der Finanzminister eine Garantie-
erklärung gegenüber der Bevölkerung, was die Geldein-
lagen angeht, abgegeben haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden diese Probleme nur lösen können, wenn
die Bevölkerung unseren Maßnahmen zustimmt. Dass
ein Einsatz von 400 Milliarden Euro plus 80 Milliarden
Euro, also ein Paket von insgesamt fast 500 Milliarden
Euro, gegenüber der Bevölkerung erklärungsbedürftig
ist, ist richtig. Unsere Aufgabe sollte aber sein, dieses
Paket zu erklären. Es kommt darauf an, deutlich zu ma-
chen, wie wichtig es ist, das Finanzmarktsystem wieder
funktionsfähig zu machen. Zu überprüfen, mit welchen
Instrumenten wir dies erreichen können, ist die Aufgabe
des Parlaments und Ziel der parlamentarischen Debat-
ten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Keiner kann sagen, wie die Entwicklung in der nächs-
ten Zeit abläuft, Herr Toncar. Nach dem Bericht der Bun-
desbank funktioniert die Kreditvergabe weitgehend – bis
auf die Großkredite mit einem Volumen von über
50 Millionen Euro. Das ist der gegenwärtige Stand. Wie
sich das aber in der nächsten Zeit entwickeln wird, ist
eine ganz andere Frage.

Mich stimmt natürlich nachdenklich – ich habe da
große Bedenken –, dass die Leitzinssenkung nicht bei
den Unternehmen ankommt. Ich meine damit nicht nur
die Konditionen, sondern die Kreditvergabe überhaupt.
Es stimmt mich nachdenklich, dass unser geldpolitisches
Instrumentarium, mit einer Leitzinssenkung der Zentral-
banken Konjunkturpolitik machen zu können, droht, zer-
stört zu werden. In Amerika, wo es einen Leitzinssatz
von 0 Prozent gibt, kann die Fed die Prozesse nicht mehr
steuern. Es kommt jetzt darauf an, zu schauen, wie man
das Bankensystem wieder so funktionsfähig machen
kann, dass es Vertrauen im Interbankengeschäft gibt und
dass die Kreditgeberfunktion der Banken wieder funk-
tioniert.

Wir werden natürlich darüber diskutieren müssen, ob
das Instrumentarium, das wir entwickelt haben, flexibel
genug ist. Bisher ist es mir nicht möglich, darüber zu ur-
teilen. Es ist nicht leicht, zu bewerten, ob durch die Ver-
gabe von 18 Milliarden Euro – das Paket hat ein Volumen
von insgesamt 80 Milliarden Euro – die angestrebte Wir-
kung hinsichtlich der Rekapitalisierung und der Eigen-
kapitalverstärkung der Banken erzielt wird, ob das das
richtige Instrument ist. Das Gleiche gilt für die Garan-
tien. Hier werden 107 Milliarden Euro von insgesamt
400 Milliarden Euro, die als Garantierahmen vorgesehen
sind, aufgewendet.
Natürlich werden wir schauen, welche Erfahrungen
man in anderen Ländern mit bestimmten Instrumentarien
sammelt. Wir haben festgestellt, dass ein Ankauf von
faulen Krediten in den USA bisher nicht stattgefunden
hat, obwohl das dort ursprünglich als eine Hauptstrategie
bezeichnet wurde. Das muss einen ein Stück weit nach-
denklich stimmen, wenn es um das Stichwort „Bad
Bank“ geht. Herr Schick, natürlich haben Sie völlig
recht, wenn Sie sagen, dass es auch kleine Bad Banks
gibt, in die einzelne Unternehmen ihre faulen Kredite
auslagern, wobei sie die Verantwortung behalten.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Gegen eine große Bad Bank, die bedeuten würde, dass
der Steuerzahler alle Risiken übernimmt, sind wir auf je-
den Fall. Das wäre keine Lösung, sondern würde uns tie-
fer in die Krise hineinführen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da sind wir uns ja einig! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut beschrieben!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620006400

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Albert

Rupprecht das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1620006500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Durch die schnelle Verabschiedung des Finanzmarktsta-
bilisierungsgesetzes am 17. Oktober haben wir in der Tat
Schaden vom deutschen Volke abgewandt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Lötzsch, dazu haben alle Fraktionen, auch die
Linke, beigetragen. Durch den Bankenrettungsschirm
haben wir verhindert, dass das Zahlungswesen in sich
zusammengebrochen ist. Durch den SoFFin haben wir
seit Dezember zudem erreicht, dass systemrelevante
Banken wesentlich stabilisiert wurden.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Zum Beispiel die Hypo Real Estate!)


Natürlich sind die Dauerfragen seither: Wann haben
wir das Tal der Tränen durchschritten? Und: Reichen die
Instrumente des Rettungsschirms aus? Anlass der heuti-
gen Aktuellen Stunde sind Pressemeldungen über toxi-
sche Wertpapiere mit einem Volumen von 300 Milliar-
den Euro in den großen Banken. Diese Zahl ist drama-
tisch und zeigt, dass wir das Tal der Tränen noch nicht
durchschritten haben. Nicht wenige Fachleute erwarten,
dass es erst im zweiten Halbjahr 2009 zur Bodenbildung
kommt.

Wichtig ist dennoch, dass wir die Zahlen richtig ver-
stehen und richtig interpretieren. Die Linken zeichnen
hier ein Bild, das falsch ist. Ihr Bild ist: Zocker in Ban-
ken verheimlichen seit Monaten die Wahrheit und wol-
len den Steuerzahlern wertlose Schrottprodukte unterju-






(A) (C)



(B) (D)


Albert Rupprecht (Weiden)

beln. Dieses Bild ist falsch, und deshalb sind auch die
Schlussfolgerungen der Linken falsch. Die Wirklichkeit
sieht anders aus: Die Krise führt neuerdings auch bei
Produkten, die vor sechs Monaten noch absolut werthal-
tig waren, zu Abschreibungsbedarf. So gibt es neuer-
dings auch Wertberichtigungsbedarf bei europäischen
Staatsanleihen, obwohl dies im Kern grundsolide Pro-
dukte sind. Es ist nicht so, dass der Verlust dauerhaft
sein muss. Im Gegenteil: Man kann heute davon ausge-
hen, dass der Wert bei einem erheblichen Teil der Pro-
dukte am Ende der Laufzeit bei 100 Prozent liegen wird. –
So viel zu den aktuellen Zahlen und deren Bewertung.

Die Frage ist nun, ob der 480-Milliarden-Euro-Ret-
tungsschirm richtig aufgestellt ist, um die nächsten Mo-
nate zu meistern. Ich glaube, dass der Dreiklang aus Ga-
rantien, Kapital und Herausnehmen toxischer Produkte
sehr vernünftig und richtig ist. Die ausgereichten Garan-
tien von 107 Milliarden Euro wirken sehr stabilisierend,
und auch die Möglichkeit, Eigenkapital zur Verfügung
zu stellen, stabilisiert.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Interbankenhandel ist immer noch nicht stabil!)


Beim dritten Element werden Änderungen diskutiert.
Die Möglichkeit, toxische Produkte herauszunehmen, ist
im Gesetz angelegt, funktioniert in der Praxis bis dato
aber nicht. Die Dreijahresfrist ist zu kurz. Die Wirt-
schaftsprüfer sagen: Wegen der kurzen Zeit müssen die
Produkte in der Bilanz bleiben und belasten somit weiter
das Eigenkapital. Deswegen müssen wir das Gesetz
technisch nachbessern.


(Zuruf von der LINKEN: Raus mit der Wahrheit!)


Im Übrigen ist das nichts anderes als eine Art Bad
Bank. Wertberechtigte Produkte werden aus der Bank
herausgenommen und einer Auffanglösung zugeführt,
damit die Bank stabilisiert wird. Das haben wir als Ge-
setzgeber so vorgesehen. Eine derartige Auffangbank,
Besserungsbank oder wie auch immer Sie es nennen
wollen,


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Aha! Weg von diesem Begriff!)


gibt es bei den Landesbanken seit Monaten.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!)


Um es klarzustellen: Es wird mit uns keine Lösung ge-
ben, bei der der Schrott aus den Banken ausgelagert
wird, die Steuerzahler letztendlich die Zeche zahlen und
die Banken sich aus der Verantwortung ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ganz im Gegenteil: Bei jeder Lösung, für die wir uns
entscheiden, sollen die Alteigentümer am Ende für die
verbleibenden Defizite haften.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden in den nächsten Wochen über weitere
Punkte nachdenken, beispielsweise über die Frage: Wie
schaffen wir es, den Interbankenmarkt zu reaktivieren?
Ist dies untergesetzlich möglich? Wird sich das Problem
von alleine lösen, oder braucht es gesetzliche Maßnah-
men? Darüber werden wir diskutieren. Am heutigen Tag
ist, glaube ich, noch niemand imstande, hierzu abschlie-
ßend Position zu beziehen. Die Bundesländer drängen
auf Verbesserungen zur Stabilisierung ihrer Landesban-
ken und auf eine Behandlung, die der von Privatbanken
und anderen Instituten entspricht.

Der SoFFin war in den vergangenen Wochen ein Se-
gen für unser Land. Dennoch lernen wir täglich hinzu.
Lassen Sie mich zum Abschluss meinen höchsten Re-
spekt vor der Leistung der Akteure beim SoFFin ausdrü-
cken. In kürzester Zeit mussten neue Strukturen aufge-
baut werden. Natürlich müssen wir über mögliche
Verbesserungen bei der Organisation des SoFFin reden.
Genügend Mitarbeiter und klare Zuständigkeiten sind
zwingend, um diese Mammutaufgabe zu meistern. Ich
danke an dieser Stelle insbesondere und ausdrücklich
dem bisherigen Vorsitzenden des Leitungsausschusses,
Herrn Merl, für sein Wirken in den vergangenen Wochen
ganz herzlich.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620006600

Die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette

Kressl hat nun das Wort.

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1620006700


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Lassen Sie mich aufgrund des Verlaufs der Debatte zu-
erst eine grundsätzliche Klarstellung machen. Dieses
Parlament hat mit sehr großer Mehrheit entschieden, ein
Rettungspaket für den Finanzmarkt auf den Weg zu brin-
gen. Dies wurde nicht gemacht, um Bankvorstände oder
einzelne Manager zu retten. Das wird zum Beispiel da-
durch deutlich, dass wir entschieden haben, dass es bei
der Inanspruchnahme von Hilfen zur Stärkung der Ei-
genkapitalbasis Einschränkungen bei der Gestaltung der
Dividenden und der Vergütung der Vorstände gibt. Das
macht das eigentliche Ziel deutlich. Im Übrigen dürfen
diese Einschränkungen im Hinblick auf die Gehaltszah-
lungen und die Dividenden meiner Ansicht nach nicht
infrage gestellt werden. Ich kann die Debatten darüber
im Bankenbereich und in der Wirtschaft nicht verstehen.
Ich akzeptiere sie auch nicht.

Eines muss deutlich sein: Die Frage, ob die Versor-
gung mit Geld und mit Krediten funktioniert, trifft natür-
lich die Handwerker. Ich frage mich nach dieser Debatte
hier ernsthaft: Haben Sie eigentlich noch nicht mit
Handwerkern gesprochen? Seit Jahren erzählen sie, wie
wichtig es für sie ist, günstige Kredite zu bekommen.
Dies ist der Hintergrund dafür, dass wir gesagt haben:
Wir müssen den Finanzmarkt stabilisieren. Ich habe den
Eindruck: Wer dies anders sieht, hat noch nie mit Hand-
werkern gesprochen


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Oder will das nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
und weiß nicht, was ihnen am Herzen liegt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daraus, dass diese Verbindungen nicht erkannt werden,
kann ich nur schließen, dass hier entweder absichtlich
eine andere Zielsetzung unterstellt wird oder dass die
Zusammenhänge nicht verstanden werden. Beides ist
nicht akzeptabel, um eine sachliche Debatte zu führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Beides wäre fürchterlich! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Die Zusammenhänge bei der Commerzbank haben wir sehr gut verstanden!)


Es ist selbstverständlich, dass wir hier über die Kon-
sequenzen der Finanzmarktkrise intensiv debattieren und
dass aufgrund der sich ständig verändernden Situation
immer wieder neu darüber diskutiert werden muss. Ich
will auf das Problem, das heute Thema der Aktuellen
Stunde ist – das war es bisher eigentlich nicht; es geht
um die Frage des sich verändernden Abschreibungsbe-
darfs; Herr Rupprecht hat es beschrieben –, zu sprechen
kommen. Dies muss ein Thema bleiben. Eines ist klar:
Um eine Lösung für diese Probleme zu finden, muss mit
einer soliden Sachaufklärung begonnen werden. Solide
Sachaufklärung heißt, dass wir uns die Wertpapiersitua-
tion anschauen. Es ist richtig, dass mit steigenden Aus-
fällen vor allem bei den gewerblichen Immobilienkredi-
ten und den Firmenkundenkrediten gerechnet werden
muss.


(Zuruf des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE])


Für diese Assets in den Bankenbilanzen stehen auf
dem Markt im Moment so gut wie keine Käufer bereit.
Leistungsgestörte oder faule Kredite binden bei den
Banken aber in hohem Maße Eigenkapital. Hinzu kom-
men andere risikobehaftete Aktiva wie zum Beispiel
ABS, die die Bankenbilanzen belasten. Es liegen aller-
dings noch keine endgültigen und absolut belastbaren
Analysen des Umfangs toxischer Assets vor.

Bei einem Blick in die Tagespresse – dieser sollte die
endgültige und belastbare Analyse, von der ich gerade
sprach, nicht unbedingt ersetzen – stellt man fest: Die
Schätzungen hinsichtlich des Volumens fauler Positio-
nen reichen von einem unteren dreistelligen Milliarden-
betrag bis zu 1 Billion Euro. Die Bundesbank geht da-
von aus, dass alle Banken zusammen über strukturierte
Produkte mit einem Nominalwert von circa 281 Mil-
liarden Euro verfügen; ich glaube, das ist ein Wert, an
dem man sich durchaus orientieren kann. Die BaFin ver-
anschlagt übrigens einen Betrag von 246 Milliarden
Euro.

So belastbar bzw. so wenig belastbar diese Zahlen
auch sind – im Zweifel sind sie auch schnell veränder-
lich; darüber haben wir gerade gesprochen –: Dieses
Problem stand bereits bei den Beratungen des Finanz-
marktstabilisierungsgesetzes im Mittelpunkt. Deshalb
haben wir bereits im Rahmen dieses Gesetzes ein Instru-
ment geschaffen, das die – ich sage dies ausdrücklich –
unbefristete Übernahme solcher Risikoaktiva durch den
SoFFin ermöglicht.

Ich will das deshalb betonen, weil in den letzten Ta-
gen hin und wieder zu lesen war, dass es bei der Über-
nahme toxischer Papiere eine gesetzliche Befristung auf
36 Monate gebe. Was die Befristung angeht, so handelt
es sich um eine Befristung im Hinblick auf die Über-
nahme von Garantien. Für die Möglichkeit der Über-
nahme toxischer Papiere gibt es keine gesetzliche Befris-
tung. Herr Krüger hat die Bedingungen vorhin
beschrieben: Es gibt einen Stichtag. Es ist also von Be-
deutung, wann die entsprechenden Papiere gekauft wur-
den. Es ist aber nicht so, dass eine gesetzliche Befristung
auf 36 Monate gilt.

Selbstverständlich muss man analysieren, warum die-
ses Instrument nicht wie gewünscht in Anspruch genom-
men wird. Man muss allerdings auch deutlich machen:
Es kann nicht sein, dass dieses Instrument deshalb nicht
genutzt wird, weil dann die Bedingungen des SoFFin er-
füllt werden müssen. Das Bestreben, den Steuerzahler zu
schützen, gebietet, dafür zu sorgen, dass dieses Instru-
ment nicht deshalb nicht genutzt werden darf, weil dann
strengere Kriterien eingehalten werden müssen. Das Par-
lament muss Wert darauf legen, dass an dieser Stelle ge-
nau hingesehen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn trotz allem weitere oder erweiterte Instrumente
gefordert werden, so darf eines nicht vergessen werden –
ich habe das bereits erwähnt, möchte es aber noch ein-
mal betonten; dies gilt auch für die Diskussion über eine
große nationale Bad Bank, die wir bereits begonnen ha-
ben –: Es darf nicht sein, dass diejenigen, die verant-
wortlich waren, nicht in die Haftung einbezogen werden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!)


Dieses Parlament muss dafür sorgen, dass der Steuerzah-
ler so wenig wie möglich in Anspruch genommen wird.
Deshalb sagen wir eindeutig: Die Verursacher der Krise
werden auch weiterhin zur Verantwortung gezogen. Et-
was anderes wird die Mehrheit dieses Parlaments nicht
entscheiden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wo sind die entsprechenden Gesetzesvorschläge dazu?)


Weil heute über verschiedene Varianten spekuliert
wurde, will ich eindeutig feststellen: Ich glaube, es ist
nicht der beste Weg, in Form von Zeitungsüberschriften
fünf Varianten durchzudiskutieren und dadurch zur Ver-
unsicherung beizutragen;


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!)


denn hier geht es nicht um die Frage der Transparenz.

Wir müssen nach dem Dreiklang vorgehen, den ich
gerade beschrieben habe. Wir brauchen eine gute Ana-
lyse und eine europäische und internationale Abstim-
mung. Diese Abstimmung spielt nicht nur in dieser
Frage eine Rolle, sondern vor allem auch dann – darüber
haben wir noch nicht gesprochen –, wenn es um die Pro-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
phylaxe geht, also um die Überwachung und die Erarbei-
tung strengerer Regeln für den Finanzmarkt. Auch diese
Bedingungen gehören für uns dazu. Natürlich können
wir auch gemeinsam überlegen, ob Veränderungen oder
Erweiterungen notwendig sind. Wir sollten allerdings
den von mir beschriebenen Dreiklang beachten.


(Frank Schäffler [FDP]: Wann können wir denn mit Ihren Vorschlägen dazu rechnen?)


Wenn die Bundesregierung zu einem Ergebnis ge-
kommen ist, wird sie dem Parlament selbstverständlich
entsprechende Vorschläge vorlegen, mit dem Parlament
darüber diskutieren und, wie beim Finanzmarktstabili-
sierungsfonds, für die erforderliche Mehrheit werben.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aha! Die Bedingung lautet also: wenn die Bundesregierung zu einem Ergebnis kommt! Die Frage ist nur: Wann?)


Ich glaube, das ist ein sachgerechter Umgang mit dieser
Frage. Daran sollten wir uns alle halten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620006800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Otto

Bernhardt das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1620006900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir befinden uns mitten in einer großen interna-
tionalen Finanzkrise, die in Deutschland im Sommer
2007 sichtbar wurde. Sie wurde sichtbar, als damals
zwei Kreditinstitute in eine Schieflage gerieten: die IKB
und die Sachsen LB. Durch eine konzertierte Aktion der
Bundesregierung, der Bundesbank, der BaFin und der
Bankenverbände konnten beide Institute gerettet wer-
den.

Dann kam der 15. September 2008, jener Tag, an dem
eine der größten Banken der Welt, Lehman Brothers, in
die Insolvenz ging. Dies hat die ganze Finanzlandschaft
grundlegend verändert. Rückblickend war es ein ganz
entscheidender Fehler, diese Bank in die Insolvenz ge-
hen zu lassen. Daraufhin wurde bei uns in Deutschland
klar, dass mit Einzelaktionen – ich sage: leider – nichts
mehr zu machen ist. Deshalb hatte sich die Große Koali-
tion entschieden – auch die FDP hat mitgemacht –, einen
Bankenschirm einzusetzen.

Eines können wir heute feststellen: Das entschei-
dende Ziel war, sicherzustellen, dass keine Bank in
Deutschland in die Insolvenz geht. Dies haben wir bis
heute gewährleistet. Dies müssen wir auch in Zukunft si-
cherstellen. Damit hat der Schirm seine zentrale Auf-
gabe schon erfüllt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn ich sehe, dass inzwischen bei der SoFFin weit
über 100 Anfragen vorliegen, dass etwa 30 Prozent der
400-Milliarden-Euro-Garantien in Anspruch genommen
wurden, dass die ersten Eigenkapitalhilfen ausgezahlt
worden sind, dann kann ich nur sagen: Dafür, dass es ein
völlig neues Instrument ist, hat die SoFFin schon in den
ersten Monaten hervorragende Arbeit geleistet.

Sicher muss man jetzt die Frage stellen – diese wer-
den wir uns ständig stellen –: Was muss verändert wer-
den? Bei uns gibt es eine Diskussion darüber, aber noch
keine Entscheidung. Ich warne wie immer vor Schnell-
schüssen. Natürlich kann man über das Thema der Fris-
ten diskutieren. Andere Länder in Europa haben Fristen
von vier oder fünf Jahren vorgesehen; die EU hat dies
akzeptiert. Aber wenn wir die Fristen zu lange ausdeh-
nen, dann stellen wir eine Konkurrenz zu Pfandbriefen
und Unternehmensanleihen her


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!)


und machen diese Märkte automatisch kaputt. Wir soll-
ten auch an die Zeit nach der Krise denken. Deshalb bin
ich persönlich und ist auch meine Fraktion in dieser
Frage sehr restriktiv. Ich bin allerdings nicht mehr in der
Situation, zu erklären: Das machen wir bestimmt nicht. –
Das habe ich einige Male in der Vergangenheit gesagt
und wurde dann durch die Fakten eingeholt. Aber bis
heute sehe ich diese Notwendigkeit nicht.

Der zweite Punkt, der diskutiert wird, ist die Frage:
Reichen die 33,3 Prozent, mit denen wir uns beteiligen?
Bei der Commerzbank sind wir mit 25 Prozent plus einer
Aktie beteiligt. Ich sage: Wenn man hier einen noch hö-
heren Prozentsatz zulässt, dann sehe ich eine ganz große
Gefahr für die Aktienkultur in Deutschland. Wir sollten
davon ausgehen, dass wir auch nach der Krise eine ge-
wisse Aktienkultur benötigen. Wir dürfen diesen Markt
nicht zerstören.

Das zentrale Thema in der Diskussion ist aber der
Umgang mit schlechten Papieren. Niemand kann heute
einem Papier ansehen, ob es schlecht ist oder nicht. Wir
tun so, als ob man bei der Bank auf einen Knopf drücken
müsste, um zu wissen, wie viele schlechte Papiere man
hat.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die schlechten sind gut versteckt!)


Das kann man eben nicht. Man kann nur zwei Fragen be-
antworten: Gibt es einen Markt für ein bestimmtes Pa-
pier? Wenn es keinen Markt gibt, dann gibt es dafür
überhaupt keinen Preis. Oder: Liegt der Preis deutlich
unter dem Nennwert? Falls ja, wissen Sie, wie viel Sie
abzuschreiben haben. Sie wissen aber nicht, wie viel Sie
in drei oder vier Jahren dafür bekommen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Oder in zehn Jahren!)


Dies kann sich jeden Tag ändern. Wir sollten nicht den
Eindruck erwecken, als ob man genau feststellen kann,
was ein gutes und was ein schlechtes Papier ist und wie
schlecht ein Papier ist.






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Natürlich se-
hen wir das Problem. Wir lassen uns durch diese Hun-
derte von Milliarden Euro jedoch nicht verunsichern.
Aber eines ist sicher: Wenn sich herausstellt, dass wir
neue Instrumente für die sogenannten schlechten Papiere
brauchen, dann wird die Große Koalition wie damals
nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Bank
handeln. Die Große Koalition hat gezeigt, dass sie auf
Herausforderungen, denen man sich stellen muss, mit
dem richtigen Instrumentarium antwortet. Dies werden
wir, falls sich neue Probleme ergeben, auch in den
nächsten Monaten tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620007000

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die

SPD-Fraktion.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1620007100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn Hans Eichel
und Peer Steinbrück mit ihren Vorschlägen in den letzten
zwei bis fünf Jahren international höhere Akzeptanz ge-
funden hätten – die Welt würde anders aussehen.


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Ich erinnere daran, dass sich Peer Steinbrück dafür ein-
gesetzt hat, dass sich auch die USA an Basel II halten.
Dann wären Zweckgesellschaftskonstruktionen, mit de-
nen man, ohne entsprechende Eigenmittel zu haben,
Kredite international platziert, gar nicht möglich gewe-
sen.

Was die Aufsichtsregeln, die Eigenkapitalbewertun-
gen angeht, war unser Ziel immer, es viel näher am Han-
delsgesetzbuch zu halten, als dies international der Fall
war. Die Entwicklung hat gezeigt, dass es ein schwerer
Fehler war, davon abzuweichen. Die Transparenzrichtli-
nie, die Prospektrichtlinie – bei der es darum geht, dem
Bürger zu beschreiben, wie das Produkt, das er kauft, ge-
staltet ist –, all das haben unsere Finanzminister interna-
tional zu platzieren versucht. Erst jetzt, nachträglich, er-
fahren unsere Minister, wie recht sie hatten. Nun
erfahren sie international Akzeptanz, wird erkannt, dass
mit ihren Vorschlägen viel Schlechtes hätte verhindert
werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben eine große Krise. Aus dieser Krise folgt,
dass die Bürgerinnen und Bürger Angst haben. Ich
glaube – auch die Zwischenrufe deuten darauf hin –,
dass es ein Fehler ist, wenn die PDS/Linke mit dieser
Angst spielt. Die Sache ist nämlich zweischneidig: Auf
der einen Seite ist da die Sorge, dass wir mit den Steuer-
mitteln nicht gut umgehen. Auf der anderen Seite ist da
die Angst, was passiert, wenn die Sparguthaben gefähr-
det sind, wenn die Kreditnehmer plötzlich Probleme
bekommen. Dann gäbe es Zwangsversteigerungen en
masse, es gäbe Geschäftsaufgaben, es gäbe Versorgungs-
lücken, die Leute würden ihr Sparguthaben verlieren:
Wir hätten ein riesengroßes Problem.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Keine Panik! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Genau darum haben wir den Rettungsschirm ge-
spannt. Warum ist der Rettungsschirm so gut? Er stellt
nicht nur das Vertrauen zwischen den Banken wieder
her, sondern sorgt auch dafür, dass diejenigen, die eine
Mitschuld haben – insbesondere Vorstände, Aufsichts-
räte, aber auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften –, mit
in Haftung genommen werden. Wie funktioniert das? In
dem berühmten § 10 des Finanzmarktstabilisierungsge-
setzes geht es um die Verwendung der Mittel. Die Ge-
schäftsmodelle werden genau angeschaut, und solange
Staatsmittel eingesetzt werden, gibt es – das ist ganz
wichtig – keine Dividende. Die Eigenmittelunterlegung
wird kontrolliert. Man sieht sofort, dass es mit diesem
Gesetz, das unter parlamentarischer Kontrolle entstan-
den ist, gelungen ist, die Verantwortlichen in Haftung zu
nehmen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schön wäre es ja!)


Letztendlich bleiben Alteigentümer und Kreditnehmer für
das, was sie getan haben – einen Kredit aufzunehmen –,
verantwortlich.

Die naive Vorstellung, Spekulationen zu verbieten,
funktioniert nicht. Bei der Planung eines jeden Projektes
braucht man eine Projektion in die Zukunft. Das ist ein
mit Unsicherheiten behaftetes Geschäft. Man muss einen
Kredit aufnehmen, der hinsichtlich Kosten und Lasten
nie seriös in die Zukunft antizipiert werden kann. Des-
halb kann die naive Vorstellung eines Spekulationsver-
bots nicht funktionieren.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das ist vielleicht Ihre Vorstellung!)


Und natürlich erwartet der Sparer, der sein Geld auf die
Bank bringt, möglichst hohe Zinsen und vergleicht, wo
er welchen Zins bekommt. Die Frage ist allerdings, ob
die Produkte, die aus diesem Leihgeschäft entstehen,
transparent sind.

An diesem Punkt setzen wir an. Es geht darum, ob
man den gebündelten Verkauf von Forderungen und das
Ratingwunder, dass durch Tranchierung aus schlechten
Krediten gute Kredite gemacht werden, unterbinden
kann.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Wie lange brauchen Sie denn, bis Sie das herausbekommen?)


Ich glaube, dass man das kann. Doch seien Sie bitte
nicht so naiv, zu glauben, man könne einfach alles seriös
bewerten. Ein Beispiel: Ich kaufe eine Aktie für 10 Euro.
Einen Tag später ist diese 100 Euro wert. Damit habe ich
einen Gewinn von 90 Euro gemacht. Drei Tage später ist
die Aktie nur noch 20 Euro wert. Habe ich dann wirklich
80 Euro verloren? So leicht ist das mit der Bewertung
schon in der Realwirtschaft nicht. Im virtuellen Raum
Spekulationen zu unterbinden, ist noch komplizierter.






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Binding (Heidelberg)

Sie erkennen das schon jetzt an der Gesetzgebung in Be-
zug auf das Stabilisierungsgesetz: Wir sind mit den Ge-
setzen auf einem sehr guten Weg.

Man muss auch sagen, dass es in der internationalen
Finanzwirtschaft wesentlich darauf ankommt, dass man
die Risiken international dort belässt, wo sie jetzt sind.
Dass Peer Steinbrück es geschafft hat, dass nicht alle Ri-
siken des Interbankengeschäfts auch nach Deutschland
überschwappen, ist eine sehr große Leistung. Die Ab-
schirmung funktioniert. Jeder kümmert sich um seine
Risiken. Andernfalls würde eine gute Politik in Deutsch-
land ja damit bestraft, dass sich die international erzeug-
ten Risiken plötzlich alle in Deutschland finden. Genau
das soll nicht der Fall sein. Ich glaube, deshalb sind wir
mit dieser Abschirmung auf einem sehr guten Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620007200

Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für die

SPD-Fraktion.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1620007300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ortwin

Runde hat eben sehr deutlich gemacht, dass wir die Re-
alwirtschaft nicht wieder ans Laufen bekommen, wenn
wir die Finanzwirtschaft nicht in Ordnung bringen. Ich
glaube, das ist inzwischen in London, in Amerika und in
ganz Europa gelernt worden. Deshalb können wir uns all
unsere Wünsche für die Realwirtschaft abschminken,
wenn der Kreditfluss nicht wieder in Gang kommt und
wenn damit keine ordentliche Finanzierung gelingt.
Umso wichtiger ist es eben, dass wir alles daransetzen,
unser Bankensystem zu stabilisieren und wieder ans
Laufen zu bringen.

Nun haben einige darauf hingewiesen, dass die niedri-
gen Zinsen der Zentralbanken nicht weitergegeben wer-
den. Wie ist das denn? Die Banken geben nicht nur ihre
Kosten weiter, sondern sie bewerten auch die Risiken.
Solange im Interbankenverkehr das Risiko besteht, dass
man sein Geld, das man eine Nacht, eine Woche oder ei-
nen Monat lang ungesichert ausleiht, nicht mehr wieder-
bekommt, wird es entweder gar nichts oder nur mit ho-
hen Risikozuschlägen geben. Deshalb haben wir ein
gemeinsames Interesse daran, das Vertrauen der Banken
untereinander wieder zu stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben die entsprechenden Möglichkeiten ge-
schaffen. Die Amerikaner haben sie auch geschaffen, sie
haben sie am Anfang aber nicht angewandt. Wer aber
Ben Bernanke gehört hat, wer jetzt sieht, was die Eng-
länder machen, und wer sich angehört hat, was der
Geithner vor dem Senat erzählt hat, der weiß: Die Ame-
rikaner und die Engländer sind dabei, ihre Banken mit
frischen Windeln zu versehen, und wenn sie frisch ge-
windelt sind, dann werden unsere Banken mit duftenden
Windeln keinen großen Erfolg bei der Refinanzierung
haben.
Nun sind wir uns vollkommen darin einig, dass das
nicht zulasten der Steuerzahler gehen kann – das ist völ-
lig klar – und dass die Methoden sehr unterschiedlich
sind.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schön wäre es, wenn wir uns da einig wären!)


Die Engländer haben jetzt dieses Ring-fencing-Modell
eingeführt, sodass bei jeder einzelnen Bank die proble-
matischen Assets ermittelt werden. Das sind ja illiquide
und keine wertlosen Assets. In der Endfälligkeit können
sie wieder zu 100 Prozent erfüllt werden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Maßnahmen wurden in der Vergangenheit schon dreimal gewechselt!)


– Das ist der Vorteil der Evolution, auf die man im
Darwinjahr hinweisen kann.


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn eine bestimmte Maßnahme nicht funktioniert,
dann muss man sich vergleichbar der Evolution neue
Dinge ausdenken.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber heißt das, dass wir das auch müssen?)


– Ich werfe ihnen jedenfalls nicht vor, dass man in
schwierigen Zeiten, wie die Natur, durchaus auch mit
Trial and Error vorgeht. Für mich ist aber viel entschei-
dender, dass sich die Banken untereinander wieder ver-
trauen.

Schauen Sie: Was ist denn jetzt die Alternative? Wo
sind denn die Risiken? Schauen Sie sich doch einmal die
Bilanzen der Zentralbanken an. Der ganze Mist ist doch
zum großen Teil als Collateral in den Zentralbankbilan-
zen – sowohl der Fed als auch der Europäischen Zentral-
bank und der Bundesbank – enthalten. Es ist ja nicht so,
als ob es nicht schon heute solche Maßnahmen gäbe. Al-
lein zur Liquiditätsversorgung über Nacht werden solche
Papiere in der Europäischen Zentralbank in ganz großer
Breite als Collateral genommen. Darum müssen wir
nach Wegen suchen, wie wir es hinbekommen, dass die
Banken wieder einander vertrauen. Eine Möglichkeit be-
stünde hier in einer Clearingstelle, die als Drittpartei auf-
tritt.

Meine Damen und Herren, darüber, dass wir keine
Anerkennung finden, denke ich auch immer nach. Ei-
gentlich müsste jeder, der noch sein Gehalt überwiesen
bekommt, dem Deutschen Bundestag dankbar sein, dass
wir den Kollaps des Finanzsystems verhindert haben.
Das stand im Herbst ja auf dem Spiel. Selbst die Linke
könnte ihre Operationen nicht mehr finanzieren, wenn
wir das Bankensystem nicht gerettet hätten.


(Lachen bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Danke! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


– Ich will gar nicht von Fluchtgeld reden; so weit gehe
ich jetzt gar nicht. Das ist ja wahrscheinlich in illiquiden
Fonds angelegt.






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
Hier zeigt sich das Problem der Prävention: Wer in
Deutschland Prävention betreibt, bekommt keine Aner-
kennung. Das Geschrei ist immer erst dann groß, wenn
das Kind im Brunnen liegt, und der Retter ist allemal
besser als derjenige, der einen Sturz in den Brunnen ver-
hindert.

Die Linke beklagt sich über mangelnde Information.
Ich empfehle die Website www.dgap.de; dort finden sich
die Quartalsberichte und alles, was Sie wissen wollen.
Sie müssen sich nur die Mühe machen, es zu lesen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie ist es mit der Homepage von der SoFFin? Null Information!)


Ich habe aber das Gefühl, dass Sie den Rat befolgen, den
Henri Nannen einmal jungen Journalisten gegeben hat:
Kinder, recherchiert nicht so viel, es schreibt sich dann
so schlecht. Bei Ihnen gilt: Recherchiert nicht so viel, es
hetzt sich dann so schlecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620007400

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b so-
wie den Zusatzpunkt 5 auf:

13 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter,
Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Energiekosten sozial ausrichten – Sozialtarife
einführen, wirksame Strompreisaufsicht
schaffen, Energiesparen ermöglichen

– Drucksachen 16/10510, 16/11626 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill,
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

E.ON-Netz in die öffentliche Hand überneh-
men

– Drucksachen 16/8494, 16/11627 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Josef Fell, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Biogaseinspeisung und Wärmeeinsparung
jetzt voranbringen – Konsequenzen aus Erd-
gas-Streit und Ressourcenverknappung ziehen

– Drucksache 16/11645 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer für die Unionsfraktion.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1620007500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir debattieren jetzt unter anderem über einen
Antrag der Linken, an dem deren Politikverständnis und
-ansatz exemplarisch deutlich wird. Sie fordern nämlich
wieder einmal unreflektiert den Einsatz des Staates, und
zwar nicht bei der Verbesserung der Rahmenbedingun-
gen, sondern Sie wollen, dass der Staat als Unternehmer
auftritt, indem er beispielsweise Eigentümer der Netze
wird.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: So wie bei der Commerzbank!)


– Das ist ein Ausnahmefall. Aber bei Ihnen ist so etwas
der Regelfall. Das hat sich ja in der DDR bewährt. Sie
denken in den Kategorien der klassischen Umvertei-
lungspolitik: Auf der einen Seite lassen Sie nichts unver-
sucht, die Energiepreise möglichst hochzutreiben, indem
Sie aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen, vor
Ort den Neubau von Kraftwerken verhindern und an der
Steuerschraube drehen wollen; auch beim Emissions-
handel kann es nicht teuer genug sein. Wenn dann aber
endlich die Strompreise so hoch sind, dass sie niemand
mehr bezahlen kann, dann soll nach Ihrer Auffassung
der Staat auftreten und nach bester DDR-Mentalität eine
Umverteilung zugunsten einer bestimmten Klientel vor-
nehmen, die Sie sich dann aussuchen. Das ist Ihr Poli-
tikansatz, den wir selbstverständlich nicht teilen. Wir
denken nicht, dass die Antwort im Staat als Unternehmer
zu suchen ist, sondern wir brauchen richtige Rahmenbe-
dingungen, damit der Wettbewerb funktioniert und so
die Strom- und sonstigen Energiepreise für die Verbrau-
cher bezahlbar bleiben.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Das erklären Sie schon seit drei Jahren!)


Lassen Sie mich Ihnen darlegen, was wir getan haben.
Hier sind drei Bereiche zu sehen: erstens das Netz als na-
türliches Monopol, zweitens die Erzeugung, das Messen,
der Vertrieb – dies ist ein Wettbewerbsbereich ohne Mo-
nopole, bei dem der Wettbewerb allerdings zum Teil






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
noch nicht richtig funktioniert – und drittens staatliches
Handeln, worauf ich auch noch eingehen werde.

Was haben wir beim Netz erreicht? Wir sind 2005 in
die Regulierung eingestiegen. Von 2005 bis heute sind
die Netznutzungsentgelte kräftig gesunken, was eine
entlastende, kostendämpfende Wirkung hat. Wir haben
im Bereich der allgemeinen Tarife – das sind die Tarife,
die die Haushaltskunden zahlen – die Netznutzungsent-
gelte von 2006 auf 2007, also in der ersten Regulie-
rungsperiode, von 7,3 Cent pro Kilowattstunde auf
6,3 Cent gesenkt. In der nächsten Periode, von 2007 auf
2008, sind sie nochmals, auf 5,92 Cent pro Kilowatt-
stunde, gesenkt worden. Das heißt, der 2005 mit der Re-
gulierung eingeschlagene Weg wirkt.

Insgesamt ergibt sich von 2006 bis heute für die
Haushalte ein Entlastungsvolumen in Höhe von
1,6 Milliarden Euro, die den Haushalten letztlich mehr
zur Verfügung stehen. Im Gegenzug wurden – insbeson-
dere in der ersten Periode – auch noch kräftige Erhöhun-
gen der Netznutzungsentgelte verhindert. Im Ergebnis ist
die Entlastungswirkung sogar noch größer.

Der Anteil der Netznutzungsentgelte beim Haushalts-
strom – da fragen Sie zu Recht nach den Erfolgen unse-
rer Politik – ist von 38 Prozent im Jahre 2006 über
32 Prozent im Jahre 2007 auf 27 Prozent im Jahre 2008
gesenkt worden.

Am 1. Januar dieses Jahres haben wir die Anreizregu-
lierung zur langfristigen Kostensenkung gestartet. Das
heißt, wir haben keine kostenorientierte Regulierung
mehr, bei der die Unternehmen die Kosten aufsummie-
ren und dies im Detail nachgeprüft wird, sondern wir ha-
ben eine Anreizregulierung, die jedem Unternehmen
entlang eines Effizienzpfades, den es zu beschreiten hat,
gewisse Obergrenzen für die Erlöse vorgibt. Die Be-
triebe sind frei in ihrem unternehmerischen Handeln.
Wird die vorgegebene Erlösobergrenze unterschritten,
kann das Unternehmen den Differenzbetrag einheimsen.
Wird die Obergrenze überschritten, hat das Unterneh-
men Pech gehabt. Das ist eine differenzierte Antwort,
die langfristig wirkt, bei der aber nicht mit staatlichen
Eingriffen an dem einen oder anderen Ende herumlabo-
riert wird, womit das Ganze letztlich im besten Fall ver-
schlimmbessert wird.

Was haben wir im Wettbewerbsbereich gemacht? Zu-
nächst einmal ist die Kraftwerksanschlussverordnung zu
nennen, die den Neubau und den Anschluss neuer Kraft-
werke aller Art – dezentrale Kraftwerke, Kraftwerke auf
der Grundlage erneuerbarer Energien, aber auch konven-
tionelle Kraftwerke – von Wettbewerbern erleichtert.

Wir haben im letzten Jahr das Smart Metering einge-
führt, also die Technologie zur Liberalisierung des Zäh-
ler- und Messwesens. Das bedeutet, der Konsument be-
kommt künftig nicht mehr nur einmal im Jahr eine
Rechnung, während er sonst monatlich Abschlagszah-
lungen leistet, sondern er weiß genau, wie hoch sein
Stromverbrauch ist und wofür er den Strom verbraucht
hat, und kann entsprechend reagieren. Künftig werden
den Haushaltskunden – nicht nur Industrie und
Gewerbe – lastvariable Tarife angeboten, auf die sie ihr
Verbrauchsverhalten ausrichten können. Das heißt, der
Konsument gewinnt an Souveränität und kann selber et-
was zur Senkung seiner Energie- bzw. Stromrechnung
beitragen.

Auch der Anbieterwechsel insgesamt ist erleichtert
worden. Heute ist es möglich, den Stromanbieter ge-
nauso leicht zu wechseln wie zum Beispiel die Bank
oder andere Dinge mehr. Das ist ein formalisierter Vor-
gang, vor dem niemand Angst haben muss. Im Bereich
der Telekommunikation ist das schon seit langem gang
und gäbe. Auch hier zeigen uns die Zahlen, dass wir auf
dem richtigen Weg sind. Allein im letzten Jahr haben
doppelt so viele Menschen in Deutschland den Anbieter
gewechselt wie in den ersten fünf Jahren nach der Libe-
ralisierung 1998 insgesamt. Auch hier sind wir auf dem
richtigen Weg.

Wir haben mit dem KWK-Gesetz, das zum 1. Januar
in Kraft getreten ist, auch die dezentrale Erzeugung ge-
stärkt. Derjenige, der zukünftig in seinem Haus oder in
einem Mehrfamilienhaus dezentrale Kraft-Wärme-
Kopplungsanlagen installiert, also nicht nur Wärme,
sondern auch Strom erzeugt, hat eine Abnahmegarantie
und Planungssicherheit. Das führt dazu, dass wir dort
nicht nur die Unabhängigkeit stärken, sondern durch die
dezentrale Erzeugung auch einen Beitrag zur Netzstabi-
lität leisten können, wodurch vielleicht manche Maß-
nahme zum Infrastrukturausbau in den Netzen überflüs-
sig wird, sodass es auch hier zu einer Entlastung kommt.

Ich kann die Liste noch lange fortsetzen. Es wird
deutlich, dass es sich um einen Strauß von Maßnahmen
bzw. um einen Instrumentenmix handelt, der insgesamt
wirkt und dem Verbraucher mit einem funktionierenden
Wettbewerb zugute kommt, im Gegensatz zu dem von
Ihnen geforderten staatlichen Eingriff in Form eines So-
zialtarifs für einzelne Gruppen, für deren Entlastung
dann die anderen aufkommen müssen. Wer soll denn
sonst den Sozialtarif zahlen?


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Sie haben unseren Antrag nicht richtig gelesen! Dann wüssten Sie das!)


Ein Facharbeiter bekommt von Ihnen keinen Sozialtarif.
Er muss vielmehr den Sozialtarif der anderen mit auf-
bringen.

Last but not least komme ich mit einigen Sätzen zum
Staat, der nämlich nach wie vor den größten Anteil an
den Energiekosten trägt. Von 1998 bis 2005, als wir mit
der Großen Koalition Regierungsverantwortung über-
nommen haben, ist der Staatsanteil an den Strompreisen
– die SPD hört das vielleicht nicht so gerne; es ist aber
so – dramatisch gestiegen, und zwar von 25 Prozent auf
über 40 Prozent. Auf diesem Stand ist er bis heute ge-
blieben.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Was habt ihr mit der Mehrwertsteuer gemacht?)


Die Stromsteuer, die erneuerbaren Energien, die
Kraft-Wärme-Kopplung und vieles andere mehr sind
zum Teil zwar durchaus sinnvoll, im Ergebnis muss aber
der Stromverbraucher dafür zahlen. Insofern meinen wir,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
dass die Grenze der Belastungen erreicht ist. Mit dem
Emissionshandel haben wir jetzt Instrumente an der
Hand, um das Ziel zu erreichen, die externen Kosten zu
internalisieren, sprich: die Kosten für den Umweltschutz
auf den Strom umzulegen.

Mit dem Emissionshandel werden wir zukünftig Ein-
nahmen erzielen, die zum einen für die CO2-Reduktion
und weitere Klimaschutzmaßnahmen in ihrer ganzen
Bandbreite eingesetzt werden sollen. Dazu haben wir
uns europaweit verpflichtet. Wir wollen und werden
diese Mittel zum anderen aber auch für Senkungen in
diesem Bereich nutzen. Mit uns wird es keine weiteren
Erhöhungen der Stromsteuer oder Ähnliches geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Gegenteil: Wir wollen diese Mittel dafür einsetzen,
den Staatsanteil zu verringern und die Belastungen der
Bürger zu lindern.

Die Entlastungen kommen allen zugute. Davon haben
alle etwas, statt dass durch eine staatliche Umvertei-
lungsbürokratie nur einzelne entlastet werden. Ich
glaube, es ist der richtige Weg, die Rahmenbedingungen
durch den Staat verlässlich und sicher so zu gestalten,
dass diejenigen, die sich innerhalb dieser Rahmenbedin-
gungen bewegen, erfolgreich arbeiten und die Erfolge
des Wettbewerbs – das ist soziale Marktwirtschaft –
dann auch dem einzelnen Verbraucher zukommen lassen
können. Das ist unser Ansatz. Es geht uns nicht um den
Staat als Unternehmer durch die Verstaatlichung von
Netzen oder Sonstigem.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620007600

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin

Gudrun Kopp.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1620007700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!

Kollege Pfeiffer, Sie haben sehr viel Richtiges gesagt. Es
war vor allen Dingen insofern richtig, als es tatsächlich
notwendig ist, sich mit Steuern und Abgaben auf Energie
zurückzuhalten. Sie sollten eher gesenkt als immer wei-
ter erhöht werden.

Was Sie heute verbal vorgetragen haben, finde ich
zwar völlig in Ordnung, aber ich vermisse die Taten. Sie
sollten daran arbeiten, die Steuer- und Abgabenlast für
die Verbraucher und die Wirtschaft tatsächlich zu sen-
ken.


(Beifall bei der FDP)


Das Gleiche gilt auch für viele andere Fragen wie den
Energiemix. Wir haben im aktuellen Gasstreit – um die
Konsequenzen daraus geht es auch in einem der Anträge
der Fraktion Die Linke – auch die Frage stellen müssen,
ob wir, was den breiten Energiemix einschließlich Kern-
energie, neue Kohlekraftwerke, Gas und erneuerbare
Energien angeht, gut aufgestellt sind. Dazu ist – wie
auch heute Morgen von der Union – sehr viel Richtiges
zu hören, nämlich dass wir diesen breiten Energiemix
brauchen. Was Sie immer wieder wiederholen, ist zwar
richtig, aber das politische Handeln sieht nach wie vor
anders aus. Wir haben einen eingeschränkten Energiemix,
der uns in großem Maße von Energieimporten – insbe-
sondere von russischem Gas – abhängig macht. Das
macht uns in besonderer Weise verwundbar. Deswegen
ist eine Diversifizierung von Lieferwegen, Lieferländern
und Anlagen in besonderem Maße notwendig.

Es ist erfreulich, dass derzeit der Ölpreis weltweit im
Keller ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat im Rah-
men der Debatte über den Bundeswirtschaftsbericht
2009 ausgeführt, er gehe davon aus, dass die Verbrau-
cher in diesem Jahr aufgrund des Ölpreises auf den Welt-
märkten in einem Umfang von circa 20 Milliarden Euro
entlastet werden. Das ist schon fast ein Konjunkturpro-
gramm. Das hilft der Wirtschaft und den privaten Ver-
brauchern.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Genau! – Dr. Axel Berg [SPD]: Gehen Sie davon aus, dass der Ölpreis das ganze Jahr so bleibt?)


Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Schraube kann und
wird wahrscheinlich wieder nach oben gehen. Auf die
derzeit niedrigen Preise kann man sich leider nicht ver-
lassen.


(Beifall bei der FDP)


Es ist richtig, als Staat, als politisch Handelnde Steu-
ern und Abgaben zu senken. Daher wäre es richtig, wenn
der Staat die Einnahmen aus dem Emissionshandel und
den ersten Versteigerungen – dieses Instrument ist rich-
tig; in diesem Jahr sind es 500 Millionen Euro – den Ver-
brauchern in Form von Energiepreissenkungen zurück-
gäbe. Das wäre eine Möglichkeit, sehr konsequent zu
handeln. Aber leider sieht die Regierung das nicht vor.

Bei der Stärkung des Wettbewerbs durch Regulierung
sind wir auf einem guten Weg. Ich möchte aber aus-
drücklich betonen, dass wir uns sehr viel mehr Wettbe-
werb beim Gas wünschen und beim Aufbrechen der
Strukturen noch nicht sehr viel weitergekommen sind.
Hier hat die Regierung bislang noch nicht konsequent
gehandelt.

Zum Thema Netze: Ich verweise ausdrücklich darauf,
dass es sich beim Wunsch nach Verstaatlichung der
Netze um eine ideologische Überzeugung handelt. Das
hat mit Sachverstand und sozialer Marktwirtschaft wirk-
lich nichts zu tun. Der Staat ist nicht der bessere Unter-
nehmer. Wir haben ein anderes Modell vorgeschlagen,
über das schon im Deutschen Bundestag diskutiert
wurde. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, wollen, dass
die Übertragungsnetze der vier großen Energieversorger
in Deutschland in die Hand einer nationalen Netz AG
gegeben werden und dass die Übertragungsnetzbetreiber
Anteile im Wert ihrer Netze erwerben und erhalten, dass
aber die Netzeigner über Investitionen in den dringend
notwendigen Netzausbau, insbesondere an den Grenz-
kuppelstellen, damit Wettbewerb entstehen kann, nicht
selbst entscheiden. Sie sollen von den Einnahmen und
Gewinnen profitieren, die eine solche Netz AG macht,






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
und quasi Eigner der Netze bleiben. Es handelt sich also
nicht um eine Enteignung.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Wer soll darüber entscheiden, die Heuschrecken oder wer?)


– Das macht die Netz AG, also diejenigen, die in der
Netz AG die Netze verwalten und entsprechend verwer-
ten.

Den Vorschlag, eine nationale Netz AG zu errichten,
hat die EU-Kommission begrüßt. Das wäre in der Tat der
richtige Weg, zu einer Entflechtung zu kommen, die uns
nicht in rechtliche Schwierigkeiten bringt.

Bei den Netzen ist noch Folgendes zu bedenken: Wir
haben aufgrund der Regulierung und der guten Arbeit
der Bundesnetzagentur Senkungen der Netzkosten zu-
gunsten der Verbraucher erreicht; das ist sehr positiv.
Aber ich verweise auf eine mögliche negative Entwick-
lung. Wenn es dazu kommen sollte, dass in Deutschland
zunehmend mehr Erdverkabelungen vorgenommen wer-
den, dann hieße das, dass die Netzentgelte wieder enorm
stiegen; denn je nach geologischen Gegebenheiten lie-
gen die Mehrkosten beim Zwei- bis Zehnfachen. Das ist
nicht unproblematisch, auch nicht in ökologischer Hin-
sicht. Wir müssen darauf achten, dass nicht dauernd eine
Erdverkabelung gefordert wird. Das wäre auch in techni-
scher Hinsicht nicht ohne Probleme, wie uns Fachleute
gesagt haben. Das heißt, der Netzausbau muss auch bei
den Freileitungen erfolgen.

Bei dem jetzt in der Beratung befindlichen sogenann-
ten EnLAG, dem Energieleitungsausbaugesetz, bei dem
es um Planungsvereinfachungen, Verfahrensverkürzun-
gen und damit um eine schnellere Umsetzung von Netz-
ausbauten geht, was wir sehr begrüßen und unterstützen,
müssen wir darauf achten, Kosten zu minimieren. Wei-
terhin müssen wir darauf achten, dass bestehende Lei-
tungen weiter ausgebaut werden. Die Qualität der Netze
ist ein wichtiger Punkt; denn je mehr Einspeiser wir ha-
ben, desto höher werden die Anforderungen an die Qua-
lität der Netze. Das dürfen wir nicht übersehen.


(Beifall bei der FDP)


Der Gasstreit hat gezeigt, dass es absolut notwendig
ist, Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Energiesicher-
heit ständig gleichrangig auf dem Schirm zu haben. Des-
halb ist es wichtig, einen echten Energiebinnenmarkt in-
nerhalb der EU zu schaffen. Alle 27 Mitgliedstaaten
müssen daran arbeiten, dass dieser EU-Binnenmarkt
endlich geschaffen wird und dass eine Verschmelzung
der Fernnetze erfolgt. Wir müssen bei der Gasbevorra-
tung zusammenarbeiten und den Bau bzw. den Betrieb
von Pipelines politisch begleiten und befördern. Ich
meine nicht eine staatliche, sondern eine politische Be-
gleitung. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Ost-
seepipeline für Gas


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Die machen wir alle zusammen, oder wie?)


oder die Nabucco-Pipeline. Das ist ein wichtiger Punkt.
Letzten Endes wäre es auch notwendig, die planerischen
und rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von
Flüssiggas zu schaffen, damit wir auch in dieser Hinsicht
weiterkommen und mehr Gasanbieter am deutschen und
europäischen Markt auftreten. Dadurch und durch eine
breite Diversifizierung im Kraftwerksbereich machen
wir uns unabhängiger von Lieferungen bestimmter Län-
der –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620007800

Kollegin Kopp, achten Sie bitte auf das Signal.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1620007900

– ja –, die vor allen Dingen politisch sehr instabil

sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008000

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Manfred

Zöllmer das Wort.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1620008100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – an
diesen Film fühlt man sich erinnert, wenn man diese De-
batte verfolgt und sich die Anträge ansieht. Ich meine
hier ganz besonders den Antrag zu den Sozialtarifen, den
die Fraktion Die Linke gestellt hat. Egal wie die Debatte
verläuft, egal welche Argumente vorgebracht werden,
egal wie die Rahmenbedingungen sind, die Linke wie-
derholt sich immer wieder und will nur eines: Sie will
verteilen um jeden Preis.

Vielleicht ein Hinweis: Heute Morgen kam im Fern-
sehen die Nachricht, dass zum 1. Februar 150 Gasan-
bieter ihre Preise senken wollen.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Ich bin gespannt, wie viele es sind!)


Als Sie Ihren Antrag gestellt haben – ich erinnere mich
noch sehr genau an die Debatte –, gab es in der Tat eine
Explosion der Energiepreise. Wir müssen aber seit eini-
ger Zeit einen dramatischen Rückgang dieser Preise fest-
stellen.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Dramatisch?)


– Selbstverständlich ist er dramatisch.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Dann sehen Sie sich einmal die Preise der letzten zehn Jahre an!)


Ich nenne Ihnen, Herr Hill, einfach einmal die Zahlen. –
Der Preis je Barrel Öl betrug knapp 150 Dollar, jetzt
liegt er bei ungefähr 40 Dollar je Barrel. Wenn Sie da-
mals spekuliert hätten,


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Hat er bestimmt!)


dann hätten Sie viel Geld verloren. – Das wollen Sie ver-
bieten. Daher würde das nicht passieren. – Wir haben es
also mit einem Markt zu tun, auf dem eine ganz hohe
Preisvolatilität herrscht, das heißt, der Preis steigt, und






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Zöllmer
der Preis sinkt. Auch ich selbst rechne nicht damit, dass
er so niedrig bleiben wird.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Aha!)


Er wird sich verändern, aber die Rahmenbedingungen
haben sich doch sehr stark geändert. Ihr Motto, das
Motto der Linkspartei, lautet nach wie vor: Wenn sich
die Realität verändert, dann ist das schlecht für die Re-
alität.

In Ihrem Antrag fordern Sie, dass alle Energieversor-
gungsunternehmen für Haushalte mit geringem Einkom-
men verpflichtende Sozialtarife, die mindestens 50 Pro-
zent unter dem günstigsten Tarif des Energieversor-
gungsunternehmens liegen, anbieten müssen.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Genau!)


Welche Konsequenzen hätte eine Umsetzung dieser
Forderung? Ihre Philosophie ist einfach zu erklären: Die
Förderung des Energieverbrauchs hätte Vorrang gegen-
über der Energieeinsparung.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Das ist einfach falsch! Da muss man der Logik des Antrags folgen!)


Dies ist angesichts der Klimaproblematik wirklich eine
absurde Position.

Zudem wäre eine Umsetzung Ihrer Forderung das
Ende der kleinen Energieerzeuger. Ihnen würde nämlich
ökonomisch der Garaus gemacht.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Auch falsch!)


Die örtlichen Stadtwerke in meiner Heimatstadt Wup-
pertal könnten bei solch einer Preisgestaltung nicht über-
leben. Verlierer wären diejenigen, die zum Beispiel auf
den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, der viel-
fach – so auch in Wuppertal – von den örtlichen Stadt-
werken betrieben und im Querverbund teilfinanziert
wird. Im Übrigen hat diese Koalition den steuerlichen
Querverbund bei Stadtwerken gesetzlich abgesichert;
dafür hat der Finanzminister gesorgt.

Sie hingegen wollen mit Ihrer dogmatischen Politik
die Stadtwerke regelrecht zerschlagen. Ihr Antrag ist ein
Programm zur Vernichtung der kommunalen Stadt-
werke; denn als Grundversorger haben die Stadtwerke
besonders häufig einkommensschwache Kunden zu be-
liefern. Was wäre die Konsequenz? Der Weg würde di-
rekt zu noch mehr Konzentration und zu noch mehr
Marktmacht weniger großer Energieversorgungsunter-
nehmen führen, mit dem Ergebnis weiter steigender
Preise.

All dies hatten wir schon in der Diskussion über die-
sen Antrag in erster Lesung ausgetauscht. Ich frage
mich, ob es eigentlich in Ihrer Fraktion niemanden gibt,
der Ihren Unfug überdenkt und über die Folgen der Um-
setzung dessen, was Sie vorschlagen, nachdenkt. Dies
scheint nicht der Fall zu sein. Ein Hinweis: Man muss in
der Politik grundsätzlich die Konsequenzen seiner For-
derungen bedenken. Wenn man das nicht will – ich un-
terstelle eigentlich nicht, dass man das nicht kann –,
dann blamiert man sich, wie Sie es mit diesem Antrag
tun.

Niemandem sind die Energiepreise gleichgültig. Sie
sind für viele Haushalte eine Belastung. Wir Sozialde-
mokraten haben immer deutlich gemacht: Wir wollen
eine Strategie verfolgen, mit der die einkommensschwa-
chen Haushalte und die Umwelt entlastet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Energiesparen ist der beste Weg zu niedrigeren Ausga-
ben, und zwar dauerhaft. Das wollen wir fördern.

Wie kann das, gerade bei einkommensschwachen
Haushalten, erreicht werden? Es liegen inzwischen erste
Erfahrungen aus Pilotprojekten und wissenschaftlichen
Untersuchungen vor. In Freiburg und Berlin wurde ein
Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit durchgeführt, bei
dem Energieeffizienzmaßnahmen in Hartz-IV-Haushal-
ten ergriffen wurden. Durch den Einsatz von Stromspar-
lampen, Steckerleisten und Zeitschaltuhren konnte eine
jährliche Stromeinsparung von 215 Kilowattstunden pro
Haushalt realisiert werden. Allein durch die Verhinde-
rung des Stand-by-Betriebs bei Fernsehgeräten kann
eine durchschnittliche jährliche Stromeinsparung von
38 Kilowattstunden pro Gerät erzielt werden. Ein weite-
res großes Einsparpotenzial gibt es insbesondere bei
Kühl- und Gefriergeräten.

Im Ergebnis ist deutlich geworden, dass allein mit den
angesprochenen Maßnahmen eine durchschnittliche Re-
duktion des Stromverbrauchs um 18 Prozent erzielt wer-
den kann. Dies bedeutet für diese Haushalte natürlich
eine erhebliche Einsparung. Die Caritas in Frankfurt hat
ein Projekt mit dem Ziel durchgeführt, Arbeitsmarkt-,
Sozial- und Umweltpolitik miteinander zu verbinden.
Sie hat ein freiwilliges, kostenloses Energieberatungsan-
gebot für Haushalte mit geringem Einkommen einge-
führt, bei dem Langzeitarbeitslose, Hartz-IV-Empfänger,
die Beratung übernehmen. Wir wissen, dass die betroffe-
nen Haushalte nicht leicht zu erreichen und auch nicht
leicht für Energiesparmaßnahmen zu sensibilisieren
sind.

Im Ergebnis zeigt sich, dass sich der Einsatz von
Langzeitarbeitslosen als Energiesparberater bewährt hat.
Durch eine einmalige Investition von 51 Euro konnte für
die einkommensschwachen Haushalte pro Jahr eine dau-
erhafte Ersparnis von 140 Euro bei Wasser und Strom er-
zielt werden. Das war mit den einfachsten Mitteln mög-
lich; Stichworte: Energiesparlampen, Steckdosenleisten
mit Kippschalter, Sparduschen usw.

Zusätzlich wurden die Haushalte beim Kauf energie-
effizienter Elektrogeräte, zum Beispiel Kühlschränke,
unterstützt. Ich glaube, dass ein Zuschuss zu einem be-
sonders energiesparenden Haushaltsgerät sehr viel sinn-
voller ist als das, was Sie hier vorschlagen, nämlich
einen – vermeintlich – niedrigeren Stromtarif, der kei-
nerlei Anreiz bietet, Strom einzusparen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Manfred Zöllmer
Dieses Projekt wird jetzt bundesweit betrieben. Es ist
beispielhaft dafür, Menschen sinnvoll zu beschäftigen,
ihre Ausgaben zu senken und in genauso sinnvoller
Weise dem Umwelt- und Klimaschutz zu dienen.

Ihre Forderung hört sich sehr einfach und griffig an.
Wenn man aber in die Details hineinschaut, dann erkennt
man: Das ist in dieser Form überhaupt nicht umsetzbar;
zu den Folgen habe ich eben schon etwas gesagt. Wer
bekommt wann welchen Tarif? Wollen Sie eine Kopf-
pauschale? Wollen Sie eine Haushaltspauschale? Gibt es
einen Basisverbrauch? Was geschieht, wenn man da-
rüber liegt? Was passiert, wenn jemand in einen Haus-
halt einzieht oder aus einem Haushalt auszieht? Wer
kontrolliert das? Welche Konsequenzen hat das für ein
Energieunternehmen? Unternehmen, die eine Vielzahl
solcher Kunden haben, wären sehr stark belastet; ich
habe das eben am Beispiel der Stadtwerke deutlich ge-
macht. Sollen wir dann vielleicht einen Ausgleichsfonds
einrichten,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Einen Risikostrukturausgleich machen!)


sozusagen einen Gesundheitsfonds Energie mit Risiko-
strukturausgleich? In anderen Bereichen haben wir da-
mit sehr gute Erfahrungen gemacht. – Was Sie vorschla-
gen, ist nichts anderes als eine politische Seifenblase.

Unser Ziel ist es, einkommensschwache Haushalte
von Energiekosten zu entlasten. Wir wissen, dass das jet-
zige Energiepreisniveau nicht auf Dauer so bleiben wird.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008200

Kollege Zöllmer, achten Sie bitte auf die Zeit.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1620008300

Oh ja. – Es muss uns gelingen, sozial- und umwelt-

politische Belange miteinander zu verbinden. Im Mittel-
punkt der Überlegungen muss immer der Effizienzge-
danke stehen. Beispiele dafür habe ich genannt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Franz Obermeier [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008400

Für die Fraktion die Linke spricht nun der Kollege

Hans-Kurt Hill.


(Beifall bei der LINKEN – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Der Kapitalist aus dem Saarland!)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Zöllmer, ich möchte mich für Ihren schönen Vor-
trag bedanken. Das war wirklich sehr aufschlussreich.
Wenn Sie unseren Antrag richtig lesen und auch in die
Details einsteigen, wie Sie gesagt haben, dann werden
Sie sehen, dass wir an all diese Dinge gedacht haben und
dafür auch Lösungen präsentieren.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben zur Jahreswende
ihre Stromrechnung erhalten und stellen sich natürlich
die Frage: Wo können wir noch sparen, um an die zu-
sätzlichen Euros zur Bezahlung der Stromrechnung zu
kommen? – Wir sprechen dabei nicht von einer kleinen
Gruppe, Herr Pfeiffer, sondern wir reden von insgesamt
7 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Wir reden von
800 000 Menschen oder Haushaltungen, die vor einer
Stromsperre standen oder von einer Stromsperre betrof-
fen waren.

Meine Damen und Herren von der Koalition, nutzen
Sie doch die Wirtschaftskrise, um den Zugang zu Ener-
gie sozial und umweltgerecht zu gestalten, wie Herr
Zöllmer angekündigt hat! Das muss in Zeiten sinkender
Energiepreise gelingen. Wann, wenn nicht jetzt? Oder
wollen Sie zusehen, wenn die nächste Welle der Energie-
preissteigerungen – sie wird kommen – unsere Gesell-
schaft vollends spaltet, und zwar in diejenigen, die sich
Energie noch leisten können, und diejenigen, die in
Deutschland wirklich in Energiearmut leben? Das wol-
len und können wir von den Linken nicht hinnehmen.

Die Große Koalition der kleinen Schritte hat die Ener-
giefragen allein den Energiekonzernen überlassen. Da-
mit haben Sie sträflich versagt, meine Damen und Her-
ren. Die Folgen sind marktferne Kartelle, überhöhte
Strom- und Heizkostenrechnungen sowie – das sage ich
Ihnen auch – ein Scheitern beim Klimaschutz. Wer wie
Wirtschaftsminister Glos weiter auf gigantische Kohle-
kraftwerke und gefährliche Atomkraft setzt, der will,
dass es so weitergeht wie bisher. Aber nicht mit uns,
meine Damen und Herren!

Die Linke fordert von Ihnen wirklich eine radikale
Wende in der Energiepolitik. Das Ziel ist eine nachhal-
tige, am Gemeinwohl ausgerichtete Energiewirtschaft.
Ich sage Ihnen: Die Wirtschafts- und Finanzkrise macht
ein Vorziehen der Energiewende auf jeden Fall erforder-
lich. Das bringt nämlich neue Beschäftigung, hilft, die
Wirtschaft zu stabilisieren, und führt zu einer sicheren
Energieversorgung, und zwar zu bezahlbaren Preisen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen kein Energiewirtschaftsgesetz, das die In-
teressen des Kartells der Energiekonzerne schützt. Nein,
wir brauchen ein Gesetz, das für bezahlbare Energie-
preise steht und nicht der Erzielung von Renditen in
Höhe von 25 Prozent, die für die Aktionäre der großen
Energieversorger bestimmt sind, dient. Wir brauchen ein
Gesetz, dem Klimaschutz wichtiger ist als die Marktmo-
nopole.

Wir müssen helfen – da gebe ich Ihnen, Herr Zöllmer,
vollkommen recht –, Energiesparen zu erleichtern, die
Energieeffizienz deutlich zu verbessern und den Anteil
an erneuerbaren Energien schneller zu steigern.


(Zuruf des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Dazu müssen wir Geld in die Hand nehmen, Herr
Zöllmer, verbesserte Förderanreize schaffen und gesetz-
liche Vorgaben machen, die auch greifen. Die Linke
macht hierzu sieben Vorschläge, die sofort umgesetzt
werden könnten:






(A) (C)



(B)


Hans-Kurt Hill
Erstens: eine soziale und ökologische Ausrichtung
des Energiewirtschaftsgesetzes, damit Gemeinwohl vor
Profit kommt.

Zweitens: gezielte und kostenfreie Energieberatungen
für alle Privathaushalte, um die machbaren Einspar-
potenziale auszuschöpfen.

Drittens: für Haushalte mit kleinem Geldbeutel So-
zialtarife, die deutlich unter den Normalkosten liegen.
Nur so können Menschen vor Energiearmut bewahrt
werden.

Viertens: eine kostenfreie Sockelversorgung zulasten
von Energieverschwendung. So werden Haushalte mit
geringem und mittlerem Energieverbrauch ebenfalls fi-
nanziell entlastet.

Fünftens – ich sage es immer wieder –: eine wirksame
Strompreisaufsicht, um der Preistreiberei ein Ende zu
setzen und Tarife überprüfbar zu machen.

Sechstens: die Abschöpfung der überhöhten Profite
bei den Energiekonzernen, um langfristigere Maßnah-
men für Energieeffizienz, Energieeinsparung und Zu-
schüsse für energiesparende Geräte zu finanzieren.

Siebtens: Überführung der großen Strom- und Gas-
netze in die öffentliche Hand, um eine sichere, bezahlbare
und klimafreundliche Energiewirtschaft im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher zu garantieren.

Nehmen Sie endlich das Heft in die Hand und han-
deln Sie. Das wäre wichtig für die Menschen in unserem
Land.


(Beifall bei der LINKEN)


Was hat uns der aktuelle Gasstreit zwischen Kiew und
Moskau gezeigt? Deutschland und Europa sind weitge-
hend machtlos. Warum? Weil Sie sich in eine Rolle der
Abhängigkeit begeben haben. Frau Kopp hat eben Wirt-
schaftsminister Glos zitiert; auch ich zitiere ihn gerne. Er
hat gesagt: Die Abhängigkeit in diesem Bereich muss
verringert werden. Aber statt auf die Verlängerung der
Laufzeit von Atomkraftwerken zu setzen, für die Uran
nötig ist, das auch aus dem Ausland kommt, statt auf
eine Ostseepipeline zu setzen, die uns noch abhängiger
von russischem Gas macht und nicht gemeinschaftlich
im Rahmen der Europäischen Union initiiert worden ist,
statt auf eine Nabucco-Pipeline im Süden zu setzen,


(Manfred Zöllmer [SPD]: Österreich!)


deren Gas am Ende ebenfalls von Gazprom kontrolliert
wird, sollte die Kanzlerin lieber auf die EU einwirken,
das Geld in effiziente und erneuerbare Energien zu ste-
cken, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
schneller zu verringern, und nicht als Bremsklotz fungie-
ren.

Sehen Sie doch endlich die Notwendigkeit ein, den
Anteil von Biogas im Erdgasnetz zu steigern, anstatt die
ineffiziente Verbrennung von Agrosprit in Autos zuzu-
lassen.

Es ist auch sinnvoll, das Volumen der Gasspeicher zu
verdoppeln. Gemeinsam mit anderen EU-Staaten müs-
sen wir in den Häfen Terminals zur Anlandung von Flüs-
siggas aus anderen Förderländern bauen. So können
Engpässe durch Lieferprobleme oder auch bei großer
Nachfrage ausgeschlossen werden.

Übrigens: Die Forderung nach mehr Atomenergie ist
in diesem Zusammenhang nichts als dumme Polemik
und zeugt von völliger Unkenntnis der Sachlage.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Machen Sie die Menschen doch nicht glauben, sie
brauchten zum Heizen ein Atomkraftwerk. Hören Sie
endlich auf, Energiepolitik nach Gutsherrenart zu ma-
chen. Das können wir uns überhaupt nicht leisten. Las-
sen Sie uns die Krise dafür nutzen, um in der kurzen
Atempause sinkender Energiepreise den Umbau der
Energieversorgung schneller voranzutreiben. Wir müs-
sen weg von einer fossil-atomaren und profitgetriebenen
Energiewirtschaft hin zu einer am Gemeinwohl orien-
tierten und dezentralen Energiestruktur,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Staatswirtschaft!)


und zwar basierend auf effizienten und erneuerbaren
Energien.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: VEB!)


Ich fasse zusammen: Unsere energiepolitischen Maß-
nahmen lösen hohe Investitionen in der Wirtschaft aus.
Bis 2020 entstehen so circa 300 000 neue Arbeitsplätze
im Energiebereich. Die Windkraft hat in Europa in den
vergangenen fünf Jahren 33 neue Arbeitsplätze pro Tag
geschaffen. So schaffen wir es, den Anteil erneuerbarer
Energien mindestens auf ein Drittel zu steigern.

Das stabilisiert auch die Energiepreise und entlastet
somit die Wirtschaft und die privaten Haushalte glei-
chermaßen; denn spätestens in zehn Jahren ist heimisch
erzeugte erneuerbare Energie kostengünstiger als der
krisenanfällige fossil-atomare Energiemix.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008600

Kollege Hill, achten Sie bitte auf die Zeit.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008700

Fazit: Ein kluger Umgang mit Energie sorgt gleich-

zeitig für soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz und ist
im Übrigen die beste Außenpolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620008800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Hans-Josef Fell.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620008900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die in den letzten Jahren gestiegenen Energie-
preise sind für viele Energiekunden in der Tat eine zu-
nehmende Belastung. Gerade in den Schichten mit ge-
ringen Einkommen werden die Probleme zunehmend
existenziell. Über 1 Million Menschen in Deutschland

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell
haben keinen Strom, weil sie die Stromrechnungen nicht
zahlen können. Die Große Koalition hat es bis heute
nicht geschafft, dieses Problem an der Wurzel anzupa-
cken, und lässt viele Menschen, die ohnehin schon am
Rande der Gesellschaft stehen, mit den Problemen der
steigenden Energiekosten alleine.

In den vergangenen acht Jahren sind die Strompreise
ohne Steuern und Abgaben um 51 Prozent gestiegen.
Gleichzeitig haben sich die Gewinne der vier großen
Stromkonzerne mehr als verdreifacht. Diesem Treiben
sehen Sie fast tatenlos zu, weshalb deren Gewinne 2008
erneut gestiegen sind und sie erneut die Strompreise er-
höhen.

Nun unterstützen Sie mit der Abwrackprämie auch
noch den Kauf neuer spritfressender Autos. Statt endlich
massiv auf Strategien von erdölfreien Kraftfahrzeugen
zu setzen, treiben Sie die Autofahrer in die nächste Falle
der Benzinpreissteigerungen. So lösen Sie keine Ener-
gie- und keine Wirtschaftsprobleme,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sondern weisen auch den deutschen Automobilherstel-
lern den Konkursweg von General Motors und Chrysler.

Genauso wie die Manager der Automobilkonzerne
haben Sie nichts von den ökologischen Hintergründen
der Energie- und Finanzkrise gelernt. Sie bleiben weiter
in der Denkweise der unbegrenzten Verfügbarkeit der
fossilen Rohstoffe, statt von den Realitäten der Ressour-
cenverknappung und Erderwärmung zu lernen.

Ihre Politik der Konzernunterstützung lässt sich auch
im Energiemarkt für Treibstoffe ablesen. Die einzige Al-
ternative für die Verkehrsteilnehmer, sich von der Ab-
hängigkeit der Mineralölkonzerne zu befreien, haben Sie
mit einer verfehlten Biokraftstoff-Politik brutal vernich-
tet. Biodiesel und reine Pflanzenöle, von Mittelständlern
und Landwirten produziert, haben Sie unter Vertrauens-
bruch bezüglich der getätigten Investitionen immer wei-
ter besteuert und so viele Arbeitsplätze vernichtet. Ob-
wohl Sie davon reden, die Rezession zu bekämpfen,
drehen Sie weiter an der Steuerschraube der reinen Bio-
kraftstoffe und vernichten auch noch die letzten heimi-
schen Produzenten. Die Quittung haben Sie 2008 schon
bekommen. So ist die Verwendung von Biokraftstoffen
im letzten Jahr um 22 Prozent eingebrochen.

Die Klimaschutz- und Energiepolitik der Großen Ko-
alition ist ein einziges Desaster. Sie lassen die Energie-
kunden in der Abhängigkeit der großen Energiekon-
zerne, die statt Klimaschutz und bezahlbarer
Energiepreise nur noch Gewinnmaximierung im Sinne
haben.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Jetzt mal wieder zum Thema! – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Thema verfehlt; Note 6!)


Durch den rasanten Rückgang der Erdölpreise ist
zwar etwas Entspannung in die soziale Problematik ge-
kommen. Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Das Pro-
blem wird uns erneut massiv einholen, wenn wir nicht
gegensteuern, und zwar schnell.
Weder in dem Antrag der Linken noch in den Stel-
lungnahmen und Ablehnungsgründen der Großen Koali-
tion sowie der FDP werden ernsthafte und tiefgründige
Ursachenanalysen betrieben, geschweige die entschei-
denden Lösungsansätze vorgestellt – obwohl ich zuge-
stehen will, dass sie bei den Linken teilweise auftauchen.

Mit seinem steilen Anstieg auf fast 150 Dollar pro
Barrel im letzten Sommer hat der Erdölpreis die anderen
Energiekosten mit nach oben gezogen. Wegen der rasant
gestiegenen Benzinpreise konnten viele US-Hausbesit-
zer Zins und Tilgung für ihre faulen Kredite nicht mehr
bezahlen, womit die Finanzkrise richtig Fahrt aufgenom-
men hat.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Damit hat sie aber am wenigstens zu tun! Mein lieber Mann!)


Die Missachtung ökologischer Tatbestände wie der
Endlichkeit der Ressourcen steckt als eine wichtige Ur-
sache hinter der Weltrezession, die nun die Ölpreise hat
wieder sinken lassen. Die Verknappung der konventio-
nellen Energierohstoffe wird uns in den nächsten Jahren
aber weiter begleiten und damit die konventionellen
Energiepreise wieder nach oben treiben.

Kritische Wissenschaftler haben längst nachgewiesen,
dass das globale Maximum der Erdölförderung, der so-
genannte Peak of Oil, überschritten ist und in den kom-
menden Jahren immer weniger Erdöl zur Verfügung
steht. Auch die russisch-ukrainische Erdgaskrise hat
möglicherweise ihren versteckten Hintergrund in Liefer-
schwierigkeiten von Gazprom.


(Lachen des Abg. Franz Obermeier [CDU/ CSU] – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist der einzige Grund, der nicht zutrifft!)


Dem Rückgang der Erdgasförderung aus den großen rus-
sischen Erdgasfeldern und dem fehlenden Investment für
Neuerschließungen steht ein rasant steigender russischer
und europäischer Erdgasbedarf gegenüber. Gleichzeitig
sinken die Erdgasförderungen in Deutschland, Großbri-
tannien, in den Niederlanden und anderswo immer
schneller. Das übersehen Sie trotz des von Ihnen belä-
chelten Wissens der Insider. Sie haben diese Entwick-
lung nicht vorhergesehen, und jetzt stehen Sie vor der
Erkenntnis, dass die kritischen Ressourcenforscher recht
hatten. Durch Diversifizierungen und neue Gaspipelines
lässt sich dieser Rückgang in den kommenden Jahren
nicht mehr auffangen. Übersehen wird häufig, dass eine
neue Gaspipeline keine Gasquelle ist.

Meine Damen und Herren, die entscheidenden Ant-
worten für den Verbraucher auf die sozialen und wirt-
schaftlichen Probleme der steigenden Energiepreise sind
die gleichen, die wir für den Klimaschutz benötigen. Es
sind die Umstellung auf erneuerbare Energien und die
Energieeinsparung. Herr Zöllmer, Sie haben sehr stark
die Energieeinsparung in den Mittelpunkt gerückt. Ohne
Zweifel ist das sehr wichtig, aber die Umstellung auf er-
neuerbare Energien ist genauso wichtig. Die Kilowatt-
stunden Solarstrahlung und Wind sind genauso kosten-
los wie die eingesparten Kilowattstunden. Einzig und
allein die Technikkosten schlagen zu Buche. Aber die er-






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell
neuerbare Energie selbst ist mit Ausnahme der Bioener-
gie kostenlos.

Nicht nur Klimaschutz, ungelöste Fragen der Atom-
energie und machtpolitische Hintergründe werden die
konventionellen Energien in den nächsten Jahren immer
teurer machen, sondern auch das unterschätzte Problem
der Verknappung von Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas,
Kohle und Uran.

Es ist notwendig, die Macht der Konzerne einzu-
schränken, damit überhöhte Gewinne nicht zulasten der
Energiekunden gehen. Es ist notwendig, die Tarifstruk-
turen sozial gerecht zu gestalten, zum Beispiel mit der
Abschaffung von Grundgebühren und der Bereitstellung
eines Energiegrundkontingentes mit günstigen Preisen.
Doch diese Maßnahmen reichen nicht aus. Wir müssen
die Gesellschaft aus der Abhängigkeit der fossilen und
atomaren Rohstoffe herausführen. Nur dies macht uns
unabhängiger von den Machtspielen der großen Kon-
zerne wie Gazprom.

Wir legen heute mit unserem Antrag eine Antwort auf
die Gaskrise vor. Biogaseinspeisung, Sonnenkollektoren
und Hausdämmungen sind nicht nur Klimaschutzmaß-
nahmen, sondern sie machen uns auch zunehmend unab-
hängiger von den immer teurer werdenden russischen
Gaslieferungen. Packen wir endlich eine europäische
Biogasstrategie an! Bringen wir eine solare Offensive
auf den Weg, und sorgen wir für eine vollständige Ge-
bäudesanierung in wenigen Jahrzehnten! Die Große
Koalition ist meilenweit davon entfernt, diese Maßnah-
men zu realisieren, und wird daher Hauptverursacher der
kommenden Energiepreiskrisen sein.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
mit unseren Vorschlägen können wir auch die Wirt-
schaftskrise bekämpfen, indem wir viele neue Arbeits-
plätze schaffen. Ihr Konjunkturpaket dagegen missachtet
weitgehend diese Chancen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ihr stimmt doch zu, habe ich gehört, und zwar ohne Kritik!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620009000

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Franz

Obermeier.


(Beifall bei der CDU/CSU – Holger Haibach [CDU/CSU]: Jetzt kommt endlich ein kompetenter Beitrag!)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1620009100

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die bei-

den Anträge von den Linken, über die wir heute disku-
tieren, sind zwar sehr differenziert. Aber sie sind zwei
Seiten derselben grauslichen Medaille: Staatlich festge-
legte Preise, Verstaatlichung und Planwirtschaft sind der
wesentliche Inhalt. Wie wir dazu stehen, ist dem Parla-
ment und der Öffentlichkeit weitgehend bekannt.

Was uns bis heute noch nicht so recht bekannt war,
Herr Fell, ist Ihre widersprüchliche – und desolate –
Auffassung, die Sie soeben geäußert haben. Ich möchte
die Kolleginnen und Kollegen im Parlament – besonders
Sie, Herr Fell – daran erinnern, welche fatalen Aussagen
Sie in den vergangenen Jahren in Bezug auf Gasnutzung
und Gaskraftwerke gemacht haben. Heute befinden sich
große Gaskraftwerke in Bau, teilweise sind sie schon am
Netz. Nun beschweren Sie sich darüber, dass die Preise
angezogen haben, als wüssten Sie nicht, dass Angebot
und Nachfrage den Preis diktieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Er weiß es nicht!)


Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Fell, war das
Schwächste, was Sie in der zurückliegenden Zeit in Sa-
chen Energiepolitik zum Besten gegeben haben.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben von Ressourcen nur nichts begriffen!)


Auch die Verbindung, die Sie zwischen der Kredit-
krise in den USA und den Benzinpreisen gezogen haben,
bezeichne ich als hanebüchen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Realität!)


Von den Punkten, die dazu geführt haben, dass die USA
eine Kreditmarktkrise bekommen haben, ist das der al-
lerletzte.

Dazu, dass Sie die Lieferprobleme des Unternehmens
Gazprom mit den Schwierigkeiten in der Ukraine in Ver-
bindung gesetzt haben, sage ich: Falscher geht es nicht
mehr, Herr Fell. Daran liegt es bestimmt nicht.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie!)


Die Tatsache, dass Sie der Öffentlichkeit einen solchen
Stuss erzählen, kennzeichnet das komplette Scheitern
der Energiepolitik der Grünen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gudrun Kopp [FDP])


Was Sie hier zur Schrottprämie gesagt haben, war
pure Polemik. Herr Fell, Sie müssen sich mit der Frage
auseinandersetzen, wie die produzierten Fahrzeuge, die
heute zu Hunderttausenden auf Halde stehen, an den
Markt abgegeben werden können, wie die Automobil-
hersteller zu ihrem Geld für die bereits produzierten Au-
tos kommen. Das ist die entscheidende Frage, wenn es
darum geht, wie wir das Ganze auf den richtigen Weg
bringen können.

Jetzt will ich noch einiges zu den Anträgen sagen. Die
Strompreise sollen staatlich festgesetzt werden, es soll
eine Sockelversorgung, eine Vergünstigung für Bezieher
sozialer Leistungen in Höhe von 50 Prozent, eine höhere
Besteuerungen der Energieunternehmen zur Deckung
des Freifahrtscheins für Strom, einen Energiesparfonds,
eine neue Strompreisaufsicht, einen neuen Verbraucher-
beirat, einen Klimascheck in Höhe von 250 Euro pro
Jahr, ein Verbot von Stromsperren usw. geben. Warum
wollen Sie das eigentlich nur für die Einkommensschwa-
chen haben? Trifft die Energiepreisentwicklung nicht






(A) (C)



(B) (D)


Franz Obermeier
auch die Haushalte mit mittlerem Einkommen? Warum
sagen Sie nicht, dass Sie für die etwas machen wollen?
An dieser Stelle tolerieren Sie die Doppelbelastung. Die
Haushalte mit mittlerem Einkommen zahlen nämlich die
Zeche für die sozialen Vergünstigungen. Wir halten das
grundsätzlich für


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Unsozial!)


den falschen Weg; denn das führt mit Sicherheit zu völ-
lig falschen Effekten.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Ich dachte immer, man wäre im Parlament des Lesens mächtig!)


Wir haben in der Vergangenheit schon festgestellt: Wenn
der Staat in dieser Form eingreift, führt das nicht dazu,
dass sich die Verbraucher zu einem effizienten Verhalten
im Umgang mit Strom und Energie leiten lassen.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Richtig!)


Jetzt will ich etwas über die Zielgruppe sagen. Wenn
ich das alles richtig sehe, dann haben wir bei den Ar-
beitslosengeld-II-Empfängern eine Regelung, nach der
neben den Regelsätzen, die gezahlt werden, auch die an-
gefallenen Heizkosten vergütet werden. Bei den soge-
nannten Sozialhilfeempfängern, also bei denjenigen, die
aus dem Arbeitsmarktprozess mehr oder weniger aus-
scheiden, werden neben den Mietkosten die Heizkosten
und die Stromkosten erstattet.


(Zuruf der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE])


Also reden wir hier über den Teil der Arbeitslosengeld-II-
Empfänger, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung ste-
hen. Wenn ich das Ganze richtig verstehe, dann sind die
Gesetze so angelegt, dass ein konkreter Anreiz besteht,
aus der Arbeitslosengeld-II-Regelung, aus dieser Einjah-
resregelung, so sage ich das einmal, herauszukommen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620009200

Kollege Obermeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Reinke?


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1620009300

Ja, bitte.


Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620009400

Vielen Dank für die Möglichkeit, etwas richtigzustel-

len. Frau Bundeskanzlerin Merkel hatte ebenfalls die
Idee, dass die Energiekosten zusätzlich gewährt werden.
Dem ist nicht so.


(Zurufe von der CDU/CSU: Frage stellen!)


– Ich muss keine Frage stellen. Schauen Sie einmal in
die Geschäftsordnung.


(Zurufe von der CDU/CSU: Was?)


Im Regelsatz sind monatlich 26,24 Euro dafür enthal-
ten. Ich denke, wenn man das einmal nachrechnet, sieht
man, dass das nicht einmal die Hälfte der Kosten deckt.
Das möchte ich richtigstellen; dazu muss ich keine Frage
stellen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1620009500

Die Frage hat sich mir jetzt nicht erschlossen; zumin-

dest ist sie nicht angekommen. Die Belehrung hätten Sie
sich sparen können; denn dann müssten Sie auch for-
dern, dass wir diesen Teil der Energiekosten voll erstat-
ten. Das wollen wir mit Sicherheit nicht.

Ich war bei den Ausführungen zur Zielrichtung. Diese
betrifft den Teil der nichterwerbstätigen Personen in un-
serem Land, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung ste-
hen. Die bestehenden Gesetze sind so ausgelegt, dass ein
Anreiz bestehen soll, Arbeit anzunehmen. Wir alle wis-
sen ganz genau, dass ein Teil der Bevölkerung, der sich
in dieser Situation befindet, nicht gerade stark geneigt
ist, Arbeit anzunehmen.


(Zuruf der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE])


– Ein Teil der betroffenen Bevölkerung ist nicht stark ge-
neigt; zu dieser Aussage stehe ich.

Wir wollen die Anreize, Arbeit aufzunehmen, nicht
durch die Umsetzung Ihrer Forderungen schwächen; das
wäre ein grundlegender Nachteil. Die Statistiken zeigen,
wie erfolgreich die Regelungen in der Vergangenheit
waren und wie erfolgreich wir in den Regionen unseres
Landes waren, in denen Arbeit zur Verfügung steht, die
sogenannten Langzeitarbeitslosen zu einem hohen Pro-
zentsatz wieder in Arbeit zu bringen. Das sind genau die
Effekte, auf die wir abstellen wollen und können. Der ef-
fiziente Umgang mit Energie muss bei unseren Bürgern
noch weiter ins Bewusstsein gerückt werden. Für meine
Begriffe ist das der beste Schutz.

Zur Strompreisaufsicht: Wir hatten bis vor kurzem in
allen Ländern eine Strompreisaufsicht; meistens war sie
bei den Wirtschaftsministerien angesiedelt. Diese Strom-
preisaufsicht war nicht immer ein Segen für die Ent-
wicklung der Energieverwendung und die Entwicklung
der Strompreise für die Verbraucher. Die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion wehrt sich vehement dagegen, neue
Instrumente einzuführen, die zur Folge haben, dass für
die Masse der Bevölkerung die Energiepreise weiter
steigen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Instru-
mente nutzen, um die Energie möglichst effizient einzu-
setzen, die Nachfrage zu reduzieren und die Preise auf
ein Niveau zu bringen, über das man sagen kann, dass es
für die Bevölkerung vertretbar ist.

Ich will zu den Anträgen der Nachfolgepartei der
SED noch sagen: Sie können das noch so oft beantragen
– ich glaube, dass wir hier heute zum dritten Mal darüber
reden –, Sie werden für derartig absurde Vorschläge
keine Mehrheit bekommen. Wir halten sie für einen Ver-
stoß gegen die soziale Marktwirtschaft und werden sie
deswegen ablehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620009600

Der Kollege Hans-Kurt Hill hat jetzt das Wort zu ei-

ner Kurzintervention.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620009700

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Kollege

Obermeier, vielen Dank für Ihre detaillierten Ausführun-
gen insbesondere zu den Tarifen und zu dem, was die
CDU/CSU will. Über die Nachfolgesituation der CDU/
CSU will ich mich hier mit Ihnen nicht auseinanderset-
zen.

Gehen Sie mit mir einer Meinung, dass diejenigen,
die viel Geld verdienen, statistisch gesehen mehr Strom
verbrauchen als diejenigen, die wenig Geld in der Ta-
sche haben? Das ist der erste Punkt.

Zweiter Punkt. Ich komme noch einmal auf die Aus-
führungen von Herrn Pfeiffer zurück. Demnach sollen
die Tarifstrukturen einen Anreiz bewirken, dass diejeni-
gen, die bisher viel Strom verbrauchen, weniger verbrau-
chen. Sparsames Verhalten soll über die Tarifstrukturen
entsprechend belohnt werden. Das wäre eine Möglich-
keit, die auch einen sozialen Gesichtspunkt hat. Das
heißt, dass diejenigen, die viel Strom verbrauchen, dazu
bewegt werden müssen, weniger Strom zu verbrauchen.
Dann würden wir mehr Effizienz erzielen. Das intendie-
ren wir in der Sache auch mit unserem Antrag.

Allerdings gibt es Haushalte – Sie haben sie ange-
sprochen –, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Strom-
kosten zu bezahlen, selbst dann nicht, wenn man sie re-
duziert. Angesichts dessen stelle ich die Frage: Wie
wollen Sie diesen Menschen helfen, wenn der dafür vor-
gesehene Anteil der Sozialhilfe bzw. des Arbeitslosen-
geldes oder der vorgesehene Anteil von Hartz IV nicht
mehr ausreicht, um diese Kosten zu bezahlen, sodass den
Leuten – 800 000 sind es – der Strom gesperrt wird?
Wenn man keinen Strom mehr hat, dann hat man weder
eine funktionierende Heizung noch Warmwasser. Man
hat gar nichts mehr und sitzt, außer im Sommer, nur
noch im Dunkeln.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620009800

Herr Obermeier, bitte.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1620009900

Herr Hill, das, was Sie zum Besten gegeben haben, ist

schlichtweg falsch. Wir reden gerade nämlich nicht über
die Heizkosten. Ich habe vorhin dargelegt, dass die Heiz-
kosten sowohl von Arbeitslosengeld-II-Beziehern als
auch von Empfängern der klassischen Sozialhilfe, wenn
sie sich in einem bestimmten Rahmen bewegen, ohnehin
bezahlt werden.


(Zuruf von der LINKEN: Nein! Falsch!)


– Entschuldigung! Ich war 18 Jahre lang Kommunalpo-
litiker und an führender Stelle tätig; ich weiß, wovon ich
rede.


(Zuruf von der LINKEN: Das war aber vor Hartz IV!)

– Das hat mit Hartz IV nichts zu tun, sondern mit der Ar-
beitslosengeld-II-Regelung und mit der klassischen So-
zialhilfe.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Nein! Das gibt es in dieser Form nicht mehr!)


Jetzt will ich Ihnen etwas zu den von Ihnen erwähnten
Verbrauchsmodellen sagen. Glauben Sie allen Ernstes,
dass die Haushalte, die insolvent werden, wegen der
Stromkosten insolvent werden?


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Auch!)


Herr Hill, sie werden deswegen insolvent, weil es sich
bei den Personen, über die wir gerade reden – es sind üb-
rigens nicht viele –,


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Was? Sind 800 000 Personen nicht viele?)


um Leute handelt, die mit dem Geld, das sie bekommen,
nicht so umgehen können, wie es sich gehört. Sie geben
ständig mehr Geld aus, als sie einnehmen. Auch wenn
man diesen Leuten mehr Geld gibt, werden sie insolvent
– das verspreche ich Ihnen –, weil sie dann nämlich auch
entsprechend mehr ausgeben.

Das lässt sich anhand der Statistiken, die ausweisen,
welche Haushalte insolvent werden, beweisen. Sie müs-
sen sich einmal anschauen, welche Einkommensgruppen
das betrifft. Das sind nämlich zum Großteil nicht dieje-
nigen, um die es Ihnen geht


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Ich spreche nicht von Haushalten, die insolvent werden, sondern ich spreche von Stromsperren, Herr Obermeier! Das ist ein Unterschied!)


– Sie müssen mir schon zuhören; sonst bekommen Sie
das, was ich sage, wieder nicht mit –, sondern Leute, die
weitaus mehr verdienen und mehr Geld zur Verfügung
haben, um ihren Haushalt zu führen, als die Personen,
über die wir gerade reden. Das müssen Sie verinnerli-
chen.


(Zuruf von der LINKEN: Wir haben gerade schon Ihre Antwort verinnerlicht! Das reicht uns!)


Sie retten niemanden, indem Sie den Stromkostenzu-
schuss erhöhen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620010000

Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Axel Berg

für die SPD-Fraktion.


Dr. Axel Berg (SPD):
Rede ID: ID1620010100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Damen und Herren! Sie haben es gehört:
Wir haben es heute mit einem Wiedergänger zu tun;
denn diese Anträge lagen uns bereits mehrmals vor. Sie
sind leider schon fast eine olle Kamelle. Aber wir haben
ja Zeit und können uns immer wieder mit ihnen beschäf-
tigen.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Bei den Heizkosten hat es doch auch geklappt! Zumindest Dr. Axel Berg beim Wohngeld! Zwar erst nach drei Jahren, aber immerhin!)





(A) (C)


(B) (D)


Was Ihren ersten Antrag betrifft, will ich auf die
Strom- und Gaspreisaufsicht auf Länderebene eingehen.
Die staatliche Preisaufsicht – es gab sie viele Jahrzehnte
lang – hat sich allerdings immer nur auf den Vertrieb be-
zogen.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Das kann man ja ändern!)


Ich denke, an dieser Stelle hilft uns kein Rückfall in die
Zeiten der staatlichen Preisaufsicht. Was wir brauchen,
ist Wettbewerb.


(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)


Im Stromendkundenmarkt kommt dieser Wettbewerb
ganz langsam, peu à peu, in Gang. Letztes Jahr haben
fast anderthalb Millionen Stromkunden ihren Versorger
oder zumindest den Tarif ihres bisherigen Versorgers ge-
wechselt. Eine staatliche Preisaufsicht allein würde die-
sen zart aufkeimenden Wettbewerb gleich wieder zu-
nichte machen. Dann wäre alles vergeblich gewesen.
Selbst im Gasmarkt kann man einen gewissen Wettbe-
werb um die Endkunden erkennen, wenn er auch – hier
bin ich ganz Ihrer Meinung – noch viel zu gering ausge-
prägt ist.

Mit der Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen haben wir dem Bundeskartellamt Ende
letzten Jahres im Kampf gegen missbräuchlich über-
höhte Endkundenpreise mehr Macht gegeben. Die Regu-
lierungsbehörde funktioniert. Ich denke, das ist der rich-
tige Weg. Dabei sehen wir schon die ersten Erfolge.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine staatliche Preisaufsicht auf Länderebene, Herr
Hill, konnte die Verbraucher in der Vergangenheit nie-
mals vor Preiserhöhungen schützen. Vor zehn Jahren ha-
ben wir genauso wie heute gejammert. Ich sehe keinen
Ansatz, wie die Wiedereinführung dieser Preisaufsicht
die Menschen in Zukunft vor Preiserhöhungen schützen
soll.

Richtig ist allerdings, dass die Energiekostenentwick-
lung der letzten Jahre für immer mehr Haushalte eine
immer größere Belastung darstellt. Ich möchte ausdrück-
lich Herrn Fell unterstützen, der ausgeführt hat, dass die
„subprime loan crisis“ auch mit den Energiekosten zu
tun hat.


(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Es war eben so, dass die armen Leute gerade noch in der Lage waren, ihre faulen Kredite zu bedienen. Als aber dann die Energiekosten nach oben geschossen sind, konnten sie nicht mehr beides wuppen. Dadurch ist die ganze Lawine ins Rollen gekommen. Es ist richtig, dass die Energiekostenentwicklung in den letzten Jahren eine immer größere Belastung darstellt. Wir haben etwas dagegengesetzt: Stichwort Integriertes Energieund Klimaprogramm. Wir haben die Kraft-Wärme-Kopplung gefördert. Wir haben den Einsatz erneuerbarer Energien im Stromund Wärmesektor verstärkt. Das verringert unsere Importabhängigkeit und mindert die Belastung der privaten Haushalte. Ich denke, dass unsere Politik gerade den kleinen Leuten hilft, für die sich Die Linke stark macht. Seit Jahren gibt es das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Jetzt haben wir für dieses Programm die Mittel noch erhöht, um noch mehr Anreize zur energetischen Gebäudesanierung zu setzen. Dazu findet sich leider kein Wort des Lobes im Antrag der Linken. Ein weiteres Element des IEKP ist das Gesetz zur Liberalisierung des Zählund Messwesens. Dr. Pfeiffer ging kurz darauf ein: Ab 2010 sollen intelligente Stromund Gaszähler dafür sorgen, dass die Waschmaschine dann läuft, wenn der Strom billig ist, und nicht unbedingt dann, wenn die Hausfrau die Idee hat, die Maschine anzustellen. Wir wollen mehr Transparenz schaffen und so zu einer gezielten Verbrauchssteuerung kommen. Das kann durchaus funktionieren. Deswegen haben wir die Energieversorgungsunternehmen in die Pflicht genommen, ab 2010 tageszeitund lastvariable Tarife anzubieten. Damit eröffnen sich für die Verbraucher und für die Energieversorger neue Möglichkeiten. Wir sollten der Sache eine Chance geben. Ich bedauere es außerordentlich, dass eine, wie ich denke, tolle Idee des BMU, des Umweltministeriums, verworfen wurde, nämlich die Idee zur Effizienzsteigerung. Die Stromversorger – so war die Idee vom BMU – sollten verpflichtet werden, jedes Jahr 1 Prozent weniger Strom zu verkaufen und für jede Kilowattstunde, die sie darüber hinaus verkaufen, eine Sanktion zu zahlen. Das hätte die EVU verpflichtet, ihre Kunden zum effizienten Umgang mit Energie anzuhalten, um ebendiese Sanktionen, diese Strafzahlungen zu vermeiden. Leider hat sich das Wirtschaftsministerium gegen diese Regelung gestellt. Ich denke, noch rußt es im Wirtschaftsministerium zu sehr. Dort hat sich noch nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Energieversorger – ich rede jetzt durchaus pro Energieversorger und pro große Konzerne; das ist für mich vielleicht ungewöhnlich – langfristig nur dann erfolgreich sein können, wenn sie irgendwann mehr durch Kilowatteinsparungen als durch den Verkauf vieler Kilowattstunden verdienen. Ich komme zu Ihrem zweiten Antrag, liebe Linke, in dem Sie die Einführung von Sozialtarifen verlangen. Ich persönlich warne vor dieser Idee. Staatlich verordnete Sozialtarife böten keinerlei Anreiz mehr zum sparsamen Umgang mit Energie. Wir müssten sogar befürchten, dass es Fehlanreize in Richtung Energieverschwendung geben würde. Das würde ausgerechnet die ärmeren Menschen treffen, die die höchsten laufenden Kosten haben. Ich sage es mal so: Arme Menschen wohnen in schlecht isolierten Wohnungen und legen sich abends die Heizdecke über die Knie. Sie haben auch die Stromheizung angesprochen, die beim Bauen neuer Häuser nicht mehr verwendet wird. Selbst uns von der SPD-Fraktion ist bewusst, dass insbesondere Haushalte mit niedrigen Einkommen, oft auch Bezieher von Transferleistungen, ganz besonders von steigenden Energiekosten betroffen sind, sofern ihnen Dr. Axel Berg – das müssen wir natürlich auch berücksichtigen – nicht die Mehrkosten vom Amt gezahlt werden – Stichwort Heizkostenerstattung –, was natürlich für die Betroffenen auch kein Anreiz ist, effizient mit Energie umzugehen. Wir halten es für absolut verfehlt, Sozialpolitik über Zwangstarife bei den Energieversorgern zu betreiben. Vielmehr sollten wir dann die klassische Sozialpolitik bemühen. Genau das haben wir getan. Deswegen haben wir die Novelle des Wohngeldgesetzes gemacht, wodurch die Fördersätze um rund 60 Prozent erhöht und eben auch die Heizkosten einbezogen werden. Auch wir nehmen an, dass die Nebenkosten weiter steigen werden, weil Öl und Gas teurer werden. Ich halte es für abenteuerlich, wenn im Jahreswirtschaftsbericht davon ausgegangen wird, dass Öl dieses Jahr im Durchschnitt 45 Dollar pro Barrel kosten wird. Deswegen haben wir die Wohngeldnovelle vergangenes Jahr vorgezogen. Wir haben das BAföG um 10 Prozent erhöht. Wir haben das Kindergeld um 10 Euro pro Kind und Monat erhöht. Mit dem zweiten Konjunkturprogramm gibt es noch einmal 100 Euro pro Kind, und der Eckregelsatz für die 6bis 13-Jährigen wird angehoben. Davon profitieren insbesondere Transferleistungsbezieher. All das, liebe Kollegen von der Linken, zeigt, dass wir etwas für diejenigen tun, für die auch Sie sich stark machen. Dass staatliche Vorgaben, wie Sie sie fordern, funktionieren, dafür gibt es weltweit kein Beispiel. (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Doch: Kuba!)





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Stattdessen sollten wir die Energieversorger durch Wett-
bewerb dazu bringen, attraktive Tarife anzubieten – auch
wenn wir diesen Wettbewerb zugegebenermaßen noch
nicht haben. Mehr Wettbewerb schaffen, genau darum
geht es bei der Einführung tageszeit- oder lastvariabler
Tarife.

Trotz dieser Maßnahmen – das muss uns klar sein –
kann Energie, solange sie aus fossilen Energieträgern
stammt, auf Dauer nicht billig sein. Dagegen spricht die
Endlichkeit der Rohstoffe, dagegen spricht der steigende
Energiehunger der Schwellenländer, ganz zu schweigen
von den Kosten der Anpassung an den Klimawandel, die
ja auch der Staat, der Steuerzahler tragen muss. Lassen
Sie uns bei Erzeugung und Verbrauch von Energie auf
Effizienz setzen – und natürlich auf den Ausbau der er-
neuerbaren Energien.

Zum Schluss möchte ich auf die Forderung der Lin-
ken, dass die öffentliche Hand das Netz übernehmen
soll, eingehen. Eon und Vattenfall haben bekannterma-
ßen vor, ihr Netz zu verkaufen. Um es klar zu sagen: Wir
befürworten die Gründung einer nationalen Netzgesell-
schaft. Allerdings ist uns eine privatwirtschaftliche Lö-
sung lieber als eine Verstaatlichung der Netze.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Von dem radikalen Vorschlag, dass sich der Staat die
Netze durch Vergesellschaftung einverleiben solle, halte
ich überhaupt nichts. Das wäre mit dem Grundgesetz nur
schwer vereinbar, und selbst wenn, drohten extreme
Schadensersatzzahlungen, für die auch wieder der Staat,
der Steuerzahler aufkommen müsste. Lassen Sie uns zu-
sammenarbeiten, Herr Hill!

Jahrzehntelang haben die Netzbetreiber die Strom-
kunden abgezockt. – Für so eine Aussage bekomme ich
keinen Beifall von der Union. – Jetzt, da wir ein anstän-
diges Kartellrecht haben, jetzt, da wir die Regulierungs-
behörde haben, funktioniert die Abzocke nicht mehr,
werden die Gewinne, die die Netze bringen, kleiner.
Kein Wunder, dass die Zocker ihr Interesse an den Net-
zen verlieren, verkaufen wollen, solange es noch geht,
auch vor dem Hintergrund, dass enorme Investitionen
anstehen. Ausgerechnet jetzt wollen Sie von der Linken
die Energieversorger, die Netzbetreiber aus der Verant-
wortung entlassen und die Steuerzahler den Ausbau der
Netze zahlen lassen. Das ist keine soziale Politik, auch
wenn es so ausschaut.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620010200

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Sie

sind schon über die Redezeit; deswegen lasse ich auch
nicht zu, dass der Kollege Hill eine Zwischenfrage stellt.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das ist konsequent!)



Dr. Axel Berg (SPD):
Rede ID: ID1620010300

Ein letzter Gedanke, zur Biogaseinspeisung. Vor we-

nigen Stunden haben die Grünen zu dieser Debatte einen
Antrag eingebracht. Der Gasstreit zwischen Russland
und der Ukraine zeigt uns, wie abhängig wir von Impor-
ten sind. Ein Umlagesystem für die Einspeisung von
Bioerdgas, ähnlich wie beim EEG, halte ich aber nicht
unbedingt für nötig. Mit der Gasnetzzugangsverordnung
haben wir bereits für einen diskriminierungsfreien Zu-
gang zum Gasnetz gesorgt. Lassen Sie uns die Erfahrun-
gen mit dieser Verordnung abwarten! Im Prinzip ist es
ein guter Vorschlag, eine europäische Einspeisestrategie
anzustreben. Das Nebeneinander und Gegeneinander der
Netze ist nicht gut. Doch wir sollten erst einmal sehen,
was bei dem, was wir gemacht haben, herauskommt!
Schon in einem halben Jahr werden wir klüger sein. Las-
sen Sie uns dann noch einmal über eine Gesamtstrategie
für Erdgas sprechen!


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Jetzt aber schnell zum Ende kommen!)


Mehr zu sagen, dazu reicht die Zeit nicht.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620010400

Eine Kurzintervention des Kollegen Hill.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620010500

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Ich hätte gerne eine

Zwischenfrage gestellt. Das ging nicht; jetzt müsst ihr
eine Kurzintervention aushalten.

Herr Berg, ich hätte Ihnen gern eine Frage gestellt;
Sie werden sie mir schnell beantworten. Frau Kopp hat
die Gesellschaft angesprochen, die die Netze, die jetzt
auf dem Markt angeboten werden, übernehmen soll.

Ich glaube, wenn die Netze auf dem freien Markt an-
geboten werden, dann besteht eine erhebliche Gefahr da-
rin, dass irgendwelche Banken oder Heuschrecken in
den Besitz dieser Netze kommen, diese Netze auslaugen
und die fehlenden notwendigen Investitionen nicht täti-
gen. Gibt es bei Ihnen bereits eine Vorstellung dazu?

Das Angebot zur Zusammenarbeit nehme ich natür-
lich gerne an.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620010600

Herr Berg.


Dr. Axel Berg (SPD):
Rede ID: ID1620010700

Ein konkretes Angebot kann ich Ihnen jetzt noch

nicht machen. Lassen Sie uns fröhlich darüber diskutie-
ren.

Ich habe nichts per se gegen Heuschrecken. Irgend-
jemand muss investieren. Entscheidend bei der ganzen
Sache ist, dass der Netzbetreiber selbst nichts mit den
Energieversorgern zu tun hat. Selbst als Fan der erneuer-
baren Energien möchte ich nicht, dass hier ein Unterneh-
men beteiligt ist, das mit erneuerbaren Energien wirt-
schaftet.

Ich denke immer an ein etwas simplifizierendes Bei-
spiel: Wenn das deutsche Autobahnnetz Volkswagen ge-
hören würde, dann würde Volkswagen wahrscheinlich
schon dafür sorgen, dass auf den Autobahnen mehr VWs
als andere Autos herumfahren.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])


Deswegen dürfen die Energieversorger selbst nicht da-
ran beteiligt sein.

Gegen Heuschrecken oder andere Investoren, die ein
Interesse daran haben, dass möglichst viel Strom durch
ihr Netz fließt – wenn viel Strom fließt, dann können sie
auch viel Geld damit verdienen –, habe ich keine Beden-
ken. Wir müssen doch Anreize setzen; denn sonst inves-
tiert niemand.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620010800

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Energiekosten sozial ausrichten – Sozialtarife
einführen, wirksame Strompreisaufsicht schaffen, Ener-
giesparen ermöglichen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11626, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/10510 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Eon-Netz in die
öffentliche Hand übernehmen“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11627, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/8494 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher eben-
falls angenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11645 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünscht die Federführung beim Ausschuss
für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer für
diesen Überweisungsvorschlag ist, der möge die Hand
heben. – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit
ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung durch
die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und
FDP und Ablehnung der übrigen Kolleginnen und Kolle-
gen abgelehnt.

Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – ab-
stimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Die Enthaltungen? –
Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b
auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur steuerlichen Förderung der Mitarbeiter-

(Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz)

– Drucksachen 16/10531, 16/10721 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 16/11679 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Jörg-Otto Spiller
Frank Schäffler






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/11680 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Mitarbeiterbeteiligung – Eigenverantwortli-
che Vorsorge stärken

– Drucksachen 16/9337, 16/11679 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Jörg-Otto Spiller
Frank Schäffler

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor.

Es ist beabsichtigt, hierzu Eineinviertelstunden zu de-
battieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erstes erteile ich dem
Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Klaus
Brandner das Wort.

K
Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1620010900


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den letzten Monaten hat die Finanzmarkt-
krise Europa erreicht und sich zu einer globalen Wirt-
schaftskrise verfestigt. Auch Deutschland kann sich
dieser Abwärtsentwicklung nicht entziehen. Die Unter-
nehmen zahlreicher Branchen sind bereits betroffen.
Viele Menschen sind, wie wir wissen, tief verunsichert.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen sich um
ihren Job, ihr Sparvermögen und ihre private Vorsorge.

Der Zeitpunkt für den Start eines Gesetzes zur steuer-
lichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung scheint
da alles andere als ideal zu sein. Denn welches Unter-
nehmen denkt jetzt in der Krise daran, erstmals Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich über den Ta-
riflohn hinaus zu beteiligen? Und umgekehrt, wer
möchte bei fallenden Märkten in Beteiligungen investie-
ren? Wir sollten uns aber nicht beirren lassen: Gute Poli-
tik ist Politik mit Weitblick, mit einem Blick also, der
über den Horizont dieser Krise hinausreicht. Wenn man
einen weiteren Schritt machen kann, lieber Kollege
Weiß, dann sollte man ihn auch gehen. Deshalb hat sich
die Koalition auf den Weg gemacht.
Sie alle wissen, es gibt gute Gründe, den Ausbau der
Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu stärken, um den Be-
schäftigten einen fairen Anteil am Erfolg der Unterneh-
men zu ermöglichen. Nicht von ungefähr fordern alle
Bundestagsparteien seit langem, dieses sozialpolitische
Vorhaben umzusetzen. Gerade in den letzten Wochen hat
sich gezeigt, dass kurzfristige Erfolgsmaximierung ein
Rezept ist, das auf längere Sicht nicht funktioniert. Mit-
arbeiterkapitalbeteiligung steht hingegen für Unterneh-
men, die vorausschauend denken, langfristig kalkulieren
und wissen, dass diese Beteiligung nicht nur die Finanz-
kraft, sondern auch die Innovationsfähigkeit von Unter-
nehmen stärkt.

Wissenschaftliche Studien zu diesem Thema zeigen
darüber hinaus, dass eine partnerschaftliche Unterneh-
mensführung mit einer Kapitalbeteiligung der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter Betriebe erfolgreicher und sta-
biler macht, gerade in rauen Zeiten. Diese Liste der
empirisch belegten Vorteile für Unternehmen lässt sich
leicht ergänzen. Ich denke an die Stärkung der Eigenka-
pitaldecke, an Liquiditätsvorteile oder aber an Zinser-
sparnisse, um nur noch einige weitere Punkte zu nennen,
die für ein Mitarbeiterkapitalbeteiligungsmodell spre-
chen.

Doch ich weiß, dass für Unternehmen, die bereits er-
folgreich mit Beteiligungsprogrammen gearbeitet haben,
die immateriellen Vorteile genauso wichtig sind. Gerade
angesichts der demografischen Entwicklung wird es für
die Betriebe immer wichtiger, kompetente Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter nicht nur zu finden, sondern auch zu
halten: Mitarbeiter, die sich für das Unternehmensziel
einsetzen und mit ihm identifizieren und die motiviert
zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Anders als ex-
terne Investoren stehen solche Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter auch in turbulenten Zeiten zu ihrem Unterneh-
men. Sie kennen den Wert ihrer Beteiligung; denn sie
stehen jeden Tag im Betrieb und arbeiten mit dem Anla-
gevermögen, das ihrem eingesetzten Kapital gegenüber-
steht. Gerade dieser Vorteil von Mitarbeiterkapitalbetei-
ligungen bestätigte sich übrigens aktuell in vielen
Gesprächen mit Unternehmern, die wir in diesem Zu-
sammenhang geführt haben.

Gute Gründe, einen fairen Anteil am wirtschaftlichen
Erfolg ihres Unternehmens zu erhalten, gibt es natürlich
auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
selbst. Sie haben durch ihre Leistungen, aber auch durch
die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre viel dazu beige-
tragen, dass die meisten Betriebe heute der Krise ge-
stärkt begegnen können. Deshalb wollen wir verhindern,
dass im nächsten Aufschwung die Schere zwischen
Lohn- und Gewinneinkünften weiter aufgeht. Zwischen
2003 und 2007 sind Gewinne und Kapitaleinkommen
um 37,6 Prozent gestiegen, die Arbeitseinkommen dage-
gen nur um 4,3 Prozent. Nicht zuletzt aus gesamtwirt-
schaftlichen Gründen – Stichworte sind Kaufkraft und
Binnennachfrage – müssen wir hier dringend eine
Trendumkehr erreichen.

Die Vorteile der Mitarbeiterbeteiligung liegen also auf
der Hand. Dennoch sind wir in Deutschland von einer
echten Beteiligungskultur noch weit entfernt. Lediglich






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Klaus Brandner
in 2 Prozent aller Betriebe in Deutschland sind die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter am Kapital und nur in
9 Prozent sind sie am Gewinn beteiligt. In kleineren und
mittleren Unternehmen fällt die Mitarbeiterbeteiligung
sogar noch geringer aus. Gerade für diese Betriebe – Un-
ternehmen, die in der überwiegenden Mehrzahl nicht an
der Börse gehandelt werden – sind die heutigen Mög-
lichkeiten zur Mitarbeiterbeteiligung nicht attraktiv, da
sie erstens mit hohem bürokratischen Aufwand und ho-
hen Kosten verbunden sind und zweitens für die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter weder leicht handelbar noch
insolvenzsicher sind.

Sie wissen: Nach wie vor ist der Mittelstand der Be-
schäftigungsmotor unseres Landes. In den kleineren und
mittleren Unternehmen sind rund 70 Prozent der sozial-
versicherungspflichtig Beschäftigten tätig. Gerade des-
halb müssen wir hier ansetzen, wenn wir zu einer nen-
nenswerten Ausweitung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung
kommen wollen. Und genau das ist mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf beabsichtigt.

Dazu wollen wir die steuerliche Förderung ausbauen.
Die finanzielle Förderung der Mitarbeiterbeteiligung
wird mit dem Gesetzentwurf deutlich attraktiver, indem
wir vermögenswirksame Leistungen für Anlagen in Be-
teiligungen verbessern. Hinzu kommt, dass künftig Mitar-
beiterbeteiligungen bis zu einer Höhe von 360 Euro steuer-
und abgabenfrei bleiben; bisher waren es 135 Euro. Der
Betrag wird also fast verdreifacht. Die steuerliche Förde-
rung greift aber nach wie vor nur dann, wenn sich das
Angebot zur Beteiligung an alle – ich betone: an alle –
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richtet, die ein
Jahr oder länger in dem Unternehmen beschäftigt sind.
Das ist uns wichtig, weil es Solidarität praktiziert und so
Solidarität im Unternehmen fördert.

Alle Beschäftigten, vom Pförtner bis zur Führungs-
kraft, sollen zukünftig grundsätzlich die Möglichkeit ha-
ben, sich zu beteiligen, wenn sie aufgrund ihrer Betriebs-
zugehörigkeit maßgeblich am Erfolg des Unternehmens
beteiligt waren, und sie sollen von dieser neuen gesetzli-
chen Möglichkeit profitieren.

Die vielfach geäußerte Sorge, dass die Mitarbeiterka-
pitalbeteiligung die betriebliche oder private Altersvor-
sorge unattraktiv machen könnte, ist aus meiner Sicht
unbegründet. Hier ist kein Konkurrenzverhältnis gege-
ben. Ich stelle fest: Der Gesetzentwurf baut keine neuen
Hinderungsgründe für den Aufbau einer zusätzlichen
privaten Altersvorsorge auf. Eine Mitarbeiterkapitalbe-
teiligung wird nur dann steuerlich begünstigt, wenn sie
zusätzlich, also „on top“, zum ohnehin geschuldeten Ar-
beitslohn aus freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers
gewährt und nicht auf bestehende Ansprüche angerech-
net wird.

Entgeltumwandlungen, wie wir sie bei der betriebli-
chen Altersversorgung kennen, sind bei diesem Modell
ausgeschlossen. Hinzu kommt: Die Höhe der förderfähi-
gen Mitarbeiterkapitalbeteiligung – 360 Euro jährlich –
bleibt weiterhin weit hinter den förderfähigen Beiträgen
bei der betrieblichen Altersvorsorge zurück. Es handelt
sich um eine andere Anlageform. Bei der geförderten
Altersvorsorge ist das Ziel die Alterssicherung. Das
heißt, zumindest die Rückzahlung der eingezahlten Bei-
träge ist dort garantiert. Dies ist bei der Mitarbeiterkapi-
talbeteiligung anders.

Mit der Fondslösung haben wir ein weiteres innovati-
ves Beteiligungsmodell geschaffen. Zum einen ermög-
licht der Fonds kleineren und mittleren Betrieben eine
attraktive und unbürokratische Form der Beteiligung.
Zum anderen eröffnen wir mit dem Fonds eine risiko-
arme Anlageform für Arbeitnehmer, die auch einen Ar-
beitsplatzwechsel unproblematisch übersteht.

Die Beratungen im Finanzausschuss haben dabei zu
einer noch praktikableren und attraktiveren Ausgestal-
tung des Fonds geführt. Die Mindestgrenze für die An-
lage in die teilnehmenden Unternehmen wurde auf
60 Prozent des Fondsvermögens abgesenkt. Damit be-
steht mehr Spielraum für Risiko-Rendite-Erwägungen.
Außerdem wurde der Anlegerschutz erhöht. Jetzt ist si-
chergestellt, dass nicht alle Fondsmittel in nur eines der
teilnehmenden Unternehmen investiert werden. Im Inte-
resse der Risikostreuung gilt eine Höchstgrenze von
20 Prozent pro Unternehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Ge-
setzentwurf möchten wir erreichen, dass mittelfristig
1 Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr
als bisher direkt oder indirekt an ihrem Unternehmen be-
teiligt sein werden. Davon werden Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ebenso wie die Unternehmen profitieren.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster Schritt.
Wir haben die steuerliche Förderung angehoben. Für
kleine und mittlere Betriebe ist mit dem Fonds ein taug-
liches Angebot geschaffen worden, um ihnen die Mitar-
beiterkapitalbeteiligung zu ermöglichen. In diesem Zu-
sammenhang war es auch wichtig, ein Instrument zu
schaffen, das dem Aufbau einer betrieblichen Altersvor-
sorge nicht im Wege steht.

Es kommt darauf an, dass Unternehmen zusätzlich in
die Leistungen ihrer Beschäftigten investieren. Wir
freuen uns, dass auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
dies begrüßt und sich positiv zu diesem ersten Schritt er-
klärt hat. Ich finde, es ist ein Gebot der Fairness den Ar-
beitnehmern gegenüber, sie gebührend an den Leistun-
gen zu beteiligen. Es lohnt sich für die Unternehmen,
diese Beteiligung durchzuführen.

Wir hoffen, dass wir mit dem Gesetzentwurf einen
weiteren Schritt zu einer erfolgreichen Beteiligungskul-
tur in diesem Land tun. Ich bitte Sie um Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011000

Der Kollege Frank Schäffler hat jetzt das Wort für die

FDP-Fraktion.


Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1620011100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur steuerlichen För-
derung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung hatte ursprüng-
lich einen hehren Anspruch: Beteiligung der Mitarbeiter






(A) (C)



(B) (D)


Frank Schäffler
am Erfolg, Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen
und Stärkung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen.

Jetzt muss man sich fragen, was davon übrig geblie-
ben ist. Aus unserer Sicht ist ein halbherziges, in sich
widersprüchliches und sehr kompliziertes Gesetzeswerk
übrig geblieben, das unser Steuerrecht zusätzlich ver-
kompliziert.

Der Gesetzentwurf ist ein erneuter, typischer fauler
Kompromiss dieser Großen Koalition, der über reine
Symbolpolitik nicht hinauskommt. Sie schmücken sich
mit der Erhöhung der Arbeitnehmer-Sparzulage und
steuerlichen Erleichterungen für die Überlassung von
Mitarbeiterbeteiligungen. Dabei wissen doch alle, dass
die geplanten Fördersätze und Steuerfreibeträge nicht
annähernd das ausgleichen, was diese Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen den Arbeitnehmern
durch Steuer- und Abgabenerhöhungen in dieser Legis-
laturperiode aus der Tasche gezogen haben.


(Beifall bei der FDP)


Ihre Förderbeträge sind sehr „beeindruckend“. Sie
stellen 360 Euro pro Jahr für eine direkte Kapitalbeteili-
gung steuer- und abgabenfrei. Trotz dieses geringen Be-
trages ist der von Ihnen eingeschlagene Weg falsch;
denn Sie kannibalisieren die betriebliche Altersvorsorge.

Ich komme zum nächsten Bereich. Auch die Förde-
rung der vermögenswirksamen Leistungen verliert seit
Jahren in der Praxis an Bedeutung. Hier ist es umge-
kehrt: Sie muss nämlich voll versteuert und verbeitragt
werden.

Die tarifpolitische Entwicklung in Deutschland ver-
läuft von einer Förderung der vermögenswirksamen
Leistungen hin zu einer Förderung der betrieblichen Al-
tersvorsorge. Das halte ich auch für absolut notwendig.

Ihre Vorschläge tragen daher nicht dazu bei, die Ver-
mögensbildung zu fördern. Stattdessen gefährdet der
Ausbau der Mitarbeiterkapitalbeteiligung die betriebli-
che Altersvorsorge. Ihr Gesetzentwurf ist höchstens gut
gemeint, aber nicht gut gemacht.

Die manchmal geäußerte Vorstellung, betriebliche Al-
tersvorsorge und Mitarbeiterbeteiligung müssten und
könnten völlig voneinander getrennt werden, ist absolut
unrealistisch. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können ei-
nen Euro nur einmal ausgeben. In Unternehmen, die
heute schon Aktienprogramme und parallel dazu die
Entgeltumwandlung anbieten, treten bereits jetzt sehr
starke Substitutionseffekte auf. Wenn die steuerliche
Förderung jetzt ausgebaut wird, ist ein Zurückdrängen
der betrieblichen Altersvorsorge in diesen Unternehmen
zu erwarten.


(Beifall bei der FDP)


Gerade die unteren Einkommensgruppen werden
dann keine betriebliche Altersvorsorge, sondern nur
noch kurz- und mittelfristig angelegtes Vermögen auf-
bauen. Sie erweisen damit der Vermögensbildung einen
absoluten Bärendienst.

Wir, die FDP-Fraktion, meinen: Mitarbeiterbeteili-
gung kann eine gute Sache sein. Das Vorhaben der Bun-
desregierung ist aber alles andere als ein Meilenstein. So
führt sie im Investmentgesetz eine neue Fondskategorie
ein, das sogenannte Mitarbeiterbeteiligungssonderver-
mögen. Damit soll auch kleinen und mittleren Unterneh-
men die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Mitarbeiter
am Produktivkapital zu beteiligen. Die in diesem Son-
dervermögen angesammelten Mittel sollen gleichzeitig
der Mittelstandsfinanzierung dienen und diese Unterneh-
men stärken. Jetzt frage ich Sie: Wie soll dieses Ziel mit
dem Gesetzentwurf erreicht werden? Wie soll das ge-
hen? Ein Gegengewicht zur Belegschaftsaktie wird der
Fonds nur bilden können, wenn er einerseits über die
Identifikation mit dem eigenen Unternehmen die Moti-
vation stärken kann und andererseits eine vergleichbare
Fungibilität wie die Belegschaftsaktie erreicht. Diese
Anreize werden mit dem Gesetzentwurf absolut nicht er-
reicht. Ich sehe keine gesteigerte Bindung des Mitarbei-
ters an sein Unternehmen.

Der wichtigste Punkt ist: Das Anlagerisiko in dem
konstruierten Branchenfonds ist gerade für Geringver-
diener – genau an diese richtet sich der Fonds – viel zu
hoch. Mindestens 60 Prozent des Fondsvermögens sol-
len im Zweifel nur in wenige – zum Beispiel in fünf –
beteiligte Unternehmen investiert werden können. Mit
dem Grundsatz der Risikomischung, den wir im Invest-
mentgesetz sonst immer ziemlich hochhalten, hat das
überhaupt nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Das erhöht
wesentlich die Risiken für den Kleinsparer – um nie-
mand anderen geht es hier – und setzt ihn zusätzlichen
Gefährdungen aus. Gerade die Kleinverdiener sind aber
darauf angewiesen, in besonderem Maße Altersvorsorge
und Vermögensaufbau zu betreiben,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


und das mit einer Anlage, mit der sie im Alter bzw. im
Laufe ihres Lebens rechnen können.

Jeder, der an der Börse Geld investiert, sollte die An-
lageregel beachten, das Anlagevermögen ausreichend zu
diversifizieren. Niemand sollte daher sein Geldvermö-
gen ausschließlich in eine Handvoll Unternehmen oder
in eine Branche investieren. Da sie grundlegenden Re-
geln entgegensteht, hat die Förderung der Mitarbeiterka-
pitalbeteiligung in der vorgesehenen Form ein einseiti-
ges Anlagerisiko zur Folge. Ich warne davor, den
Mitarbeiterfonds als vermeintlich sichere Anlage anzu-
preisen. Es kann nur der Aspekt der Risikodiversifizie-
rung richtig sein. Alles andere wäre aus meiner Sicht
völlig falsch. Gerade das aktuelle Marktumfeld zeigt
uns, wie schädlich eine solche Politik sein könnte. Ich
bin überzeugt, dass viele mittelständische Unternehmen
die Einrichtung dieser Fondskategorie nicht nutzen wer-
den. Der Grund ist, dass viele mittelständische Unter-
nehmen bei der Mitarbeiterbeteiligung auf die Gewinn-
beteiligung und nicht auf die Kapitalbeteiligung setzen.
Wie eine Umfrage in den Reihen der Familienunterneh-
men zeigt, steht eine Beteiligung der Mitarbeiter am Ka-
pital bei der Mehrzahl der befragten Unternehmen und
vielen Mitarbeitern nicht zur Diskussion. Vielmehr wird
von diesen Unternehmen vorgeschlagen, sich verstärkt
auf die Gewinnbeteiligung zu fokussieren, die schon






(A) (C)



(B) (D)


Frank Schäffler
aufgrund ihrer Einfachheit weit verbreitet ist und gut
umgesetzt werden kann.

Darauf zielt unser Antrag, der Ihnen heute vorliegt:
Wir wollen eine Förderung aus einem Guss. Das heißt,
es soll eine direkte Mitarbeiterkapitalbeteiligung an ei-
nem Unternehmen geben und daneben eine Vermögens-
politik auf breiter Ebene, verknüpft mit der Förderung
einer vernünftigen Altersvorsorge über die Gewinnbetei-
ligung. Die größte und aus ordnungspolitischer Sicht
sauberste Lösung, die der Gesetzgeber zur Förderung
der Vermögensbildung hat, ist die nachgelagerte Steuer-
belastung von investierten Lohnzahlungen. Wir meinen,
dass künftig für die betriebliche Altersvorsorge und die
Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivvermögen die
gleichen steuerlichen Förderungen gelten sollen.

Wir wollen den Widerspruch, der durch die unter-
schiedlichen Förderwege besteht, auflösen und das Sys-
tem verständlicher machen. Dafür schlagen wir die Ein-
führung eines Altersvorsorgekontos vor. Für die
Einzahlungen auf dieses Konto, das ein zertifizierter
Sparvertrag zwischen dem Altersvorsorgesparer und ei-
nem Produktanbieter sein soll, haben wir die Gewinnbe-
teiligung im Auge, die Sie, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU und der SPD, völlig außen vor las-
sen. Dabei ist eine echte Gewinnbeteiligung in Form von
Erfolgsprämien deutlich vielversprechender als die
Zwangsjacke, die Sie den Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern durch die ausschließliche Förderung von Kapital-
anteilen vorschreiben.


(Beifall bei der FDP)


Die Gewinne hingegen kann jeder im Rahmen des Al-
tersvorsorgekontos dort anlegen, wo er die höchste Ren-
dite oder das niedrigste Risiko für sich sieht. Über das
Altersvorsorgekonto könnten Arbeitnehmer flexibel in
Investmentfonds investieren, die gleichzeitig ihrem und
anderen Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung stel-
len könnten. Das hilft dem deutschen Mittelstand, der
dringend auf Kapital angewiesen ist.

So wünschenswert mehr Mitarbeiterbeteiligung an
Unternehmen ist, so sehr bleibt es doch fraglich, ob die
bürokratische Branchenfondslösung und höhere Freibe-
träge dieses Ziel tatsächlich erreichen können, wie Sie
das wollen. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, mit
neuen Subventionen Fehlanreize zu setzen und über die
Risiken, die diese Anlagen haben, hinwegzutäuschen.
Sie dürfen die Menschen über Risiken nicht im Unklaren
lassen. Alles in allem ist Ihr Vorhaben überflüssig. Es
gibt bessere Möglichkeiten, die Mitarbeiter am Erfolg zu
beteiligen. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ab-
lehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Eduard Oswald für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1620011300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Frank Schäffler, Ihre Einschätzung ist mir wirk-
lich zu pessimistisch. Wir alle sehen – das hat die De-
batte gezeigt –, dass es immer mehrere Wege gibt, um
zum Ziel zu kommen. Ich meine, wir sollten diesem Ge-
setzentwurf jetzt eine Chance geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen – das ist
die Meinung unserer Fraktion – einen fairen Anteil am
Erfolg der Unternehmen erhalten. Wir wollen die Sozial-
partnerschaft, eine Partnerschaft zwischen Kapital und
Arbeit, und die Partnerschaft zwischen Unternehmern
und Arbeitnehmern soll sich in der betrieblichen Wirk-
lichkeit wiederfinden und diese gestalten. Ohne Zweifel
ist Sozialpartnerschaft eines der Erfolgsgeheimnisse für
Wohlstand und sozialen Frieden in diesen Jahrzehnten.
Kollege Klaus Brandner, Sie haben eine sehr gute und
umfassende Darstellung gegeben, die in der Großen Ko-
alition insgesamt Konsens ist.

Wir wollen in Deutschland mehr Arbeitnehmerbetei-
ligung an Gewinn und Kapital. Wir haben das gesell-
schaftspolitische Ziel, dass die Arbeitnehmer ein Stück
weit mehr zu Mitunternehmern werden. Mitarbeiterkapi-
tal ist ein guter Weg zur Eigentumsbildung und führt zu
einer höheren – ich glaube, das ist notwendig – emotio-
nalen Bindung der Arbeitnehmer an ihren Betrieb. Wir
brauchen einen neuen Schwung für eine Beteiligungs-
kultur. Genau dies soll durch dieses Gesetz erreicht wer-
den. Wir hoffen sehr, dass dieses Gesetz 1 Million Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich motivieren wird,
diesen Schritt zu tun.

Wir als Union bekennen uns zum Eigentum und zum
freien, sozial verantwortlichen Unternehmertum. Für uns
ist Eigentum eine Grundlage für Einkommen und dient
der Vorsorge. Auch wenn Altersvorsorge sicher mehr als
bloßes Ansparen ist, so gilt doch zugleich, dass jede
langfristig angelegte Eigentumsbildung ein Beitrag zur
Vorsorge für die Zukunft ist. In einem Unternehmen sind
alle Beteiligten aufeinander angewiesen. Übrigens gilt
das in den Zeiten, in denen wir uns befinden, stärker
denn je.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein gutes Unternehmen setzt auf ein gemeinsames
Leitbild, auf Anerkennung und Förderung der Mitarbei-
ter, auf sozialpartnerschaftlich gelebte Verantwortung in-
nerhalb des Unternehmens. Wer sich in unserem Lande
in den Betrieben umsieht, entdeckt, dass – gottlob! – die
Mehrzahl der Unternehmer und Arbeitnehmer im Sinne
einer Partnerschaft vernünftig zusammenwirken, übri-
gens vor allem in Familienunternehmen, in Unterneh-
men also, in denen der Eigentümer oder seine Familie
selbst im Betrieb mitarbeitet und natürlich daran interes-
siert ist, dass über Generationen hinweg ein Miteinander
zwischen Eigentümerfamilie und Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern besteht.

Gewinne und Kapitaleinkommen sind in den vergan-
genen Jahren – das kann man nicht wegdiskutieren –
stärker gestiegen als Arbeitseinkommen. Dieser Trend






(A) (C)



(B) (D)


Eduard Oswald
wird sich möglicherweise im Zuge der Globalisierung
verstärken. Gerade weil die Kapitaleinkünfte deutlicher
als die Löhne steigen, setzen wir mit der Aufstockung
der Mitarbeiterbeteiligung ein klares Signal für die wirt-
schaftliche Zukunft der Arbeitnehmer. Das ist ein wich-
tiger Schritt für eine Balance der Einkommensver-
hältnisse in unserem Land. Deshalb gilt es, das
Kapitaleinkommen möglichst vielen Beschäftigten als
weitere Einkommensmöglichkeit zu eröffnen. Ich
glaube, dass der heute abschließend zu beratende Ge-
setzentwurf dazu beitragen wird.

Wir werden also die betriebliche Mitarbeiterkapital-
beteiligung durch eine Anhebung des steuer- und sozial-
versicherungsfreien Höchstbetrages für die Überlassung
einer Mitarbeiterbeteiligung an arbeitgebenden Unter-
nehmen von 135 Euro auf 360 Euro stärken. Dies ist ein
deutlicher Schritt und eine der wichtigsten Änderungen.
Ich muss jetzt nicht auf alle Details des Gesetzes einge-
hen; wir haben in allen damit befassten Ausschüssen in-
tensiv darüber beraten. Es geht nun darum, dass sich
auch die Unternehmen mit diesem Gesetz auseinander-
setzen.

Echte Sozialpartnerschaft gibt es nur auf der Basis ge-
genseitiger Freiwilligkeit. Auch wenn es Mitarbeitern
wie Unternehmen freisteht, ob und wie sie die Mitarbei-
terbeteiligung nutzen und ausgestalten, so appelliere ich
doch an die Unternehmen, sich die Chance, die dieses
Gesetz bietet, nicht entgehen zu lassen, und auch an die
Gewerkschaften, auf die Chancen dieses Gesetzes hinzu-
weisen. Einen gesetzlichen oder tariflichen Zwang wird
es nicht geben. Es besteht aber für Unternehmen die
Möglichkeit, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch
emotional an das Unternehmen zu binden. Die neuen
Chancen sollte man nutzen.

Ich darf für meine Fraktion dem Arbeits- und Sozial-
minister des Landes Nordrhein-Westfalen, unserem frü-
heren Kollegen Karl-Josef Laumann, dem früheren Vor-
sitzenden der CSU und bayerischen Finanzminister
Erwin Huber sowie Minister Scholz einen Dank über-
mitteln; denn die drei haben Mitte April vergangenen
Jahres die Ergebnisse der koalitionsinternen Arbeits-
gruppe vorgestellt.

Manchen geht nun dieser Gesetzentwurf nicht weit
genug.


(Frank Schäffler [FDP]: Richtig!)


Diesem Schritt, den wir heute gehen, müssen weitere
folgen. Jeder weiß aber, dass nur ein gewisser Finanz-
rahmen zur Verfügung stand. Ich meine, wir sollten jetzt
die Chance nutzen, für dieses Gesetz und die Möglich-
keiten, die es beinhaltet, zu werben. Dieses Gesetz bietet
die Chance, die Vision von Ludwig Erhard wieder stär-
ker in den Blick zu nehmen: Eigentum für alle. Deshalb
bitte ich um Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011400

Der Kollege Dr. Herbert Schui hat jetzt das Wort für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620011500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ent-

wurf der Regierung eines Mitarbeiterkapitalbeteili-
gungsgesetzes gibt sich brav, bieder, sozial gerecht. Im
Grunde genommen handelt es sich aber um nichts weiter
als einen ausgekochten Trick. Das Gesetz soll uns weis-
machen, dass die Regierung einige große wirtschaftliche
Gegenwartsfragen erkannt hat und lösen will. Welche
Fragen?

Erstens. Der Lohnanteil am Volkseinkommen sinkt
Jahr für Jahr. Wäre die Verteilung wie im Jahr 2000,
dann hätten die Leute, die für Lohn arbeiten, jetzt
135 Milliarden Euro mehr, die sie ausgeben könnten.
Das hätte einem Konjunkturpaket I entsprochen, ohne
dass sich der Staat hätte verschulden müssen.

Ihr Gesetz, so schreiben Sie, soll die Beschäftigten
gerecht und ausgewogen am Ertrag der Volkswirtschaft
beteiligen. Sind Sie sicher, dass die Unternehmen in
Form von Beteiligungen nun das verschenken, was sie in
den Lohnverhandlungen nicht hergeben wollten?

Zweitens. Das Vermögen ist mehr denn je ungleich
verteilt. Das DIW hat gerade neue Zahlen herausgege-
ben. Nachgewiesen wird das individuelle Nettovermö-
gen von Personen, die älter als 17 Jahre sind, also nicht
das Vermögen der Haushalte. Die am besten gestellten
10 Prozent dieser Personen hatten 2002 einen Anteil am
gesamten Nettovermögen Deutschlands in Höhe von
57,9 Prozent, 2007 sind es bereits 61,1 Prozent gewesen.

Interessant wird es, wenn man nach der beruflichen
Stellung dieser Personen fragt. Das Vermögen konzen-
triert sich auf die Selbstständigen. Am höchsten ist es bei
den Selbstständigen mit mehr als zehn Mitarbeitern.

Drittens. Nicht nur die Verteilung ist falsch. Der Fi-
nanzmarkt bestimmt zunehmend die Produktion. Nicht
zuletzt unter dem Druck von Banken und Finanz-
investoren trifft die Geschäftsführung der Unternehmen
falsche Entscheidungen. Es setzt sich das kurzfristige
Gewinninteresse der Finanzinvestoren durch; die lang-
fristige, solide Entwicklung des Unternehmens bleibt auf
der Strecke.

Viertens. Unternehmen werden verkauft, verlagert,
geschlossen; Unternehmensteile werden ausgegliedert.
Das Ausmaß der Leiharbeit nimmt zu. Die Arbeitsbedin-
gungen verschlechtern sich. All das ist zwar nicht wirt-
schaftlich im eigentlichen Sinne, aber es ist rentabel für
die Anteilseigner, für die Finanzinvestoren.

Fünftens. Die Produktplanung der Unternehmen ist
oft falsch. Bei Forschung und Entwicklung wird am ver-
kehrten Ende investiert. Die Autoindustrie ist ein Bei-
spiel. Sie hat sich zunehmend auf die Herstellung von
Autos verlegt – –


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das hat die Automobilindustrie an sich, dass sie Autos produziert!)


– Jetzt kommen wir zur Produktpalette, Herr Kollege;
denn das ist der entscheidende Punkt. Autos soll sie ja
produzieren, solange sie Autoindustrie ist.






(C)



(B) (D)


Dr. Herbert Schui

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Zurück zum Trabi, oder was?)


– Ach, nein; nun lassen Sie mich doch mit Ihrem Trabi in
Frieden! Damit habe ich nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN – Lutz Heilmann [DIE LINKE], an den Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] gewandt: Wenn Sie einen Trabi wollen, dann können Sie sich einen holen!)


Die Autoindustrie hat sich zunehmend auf die Herstel-
lung von Autos verlegt, die – das ist das Problem – von
denen gekauft werden, die in den vergangenen Jahren
immer reicher geworden sind. Das waren Autos mit ho-
hem Benzinverbrauch und vielen PS. Diese Kundschaft
zu bedienen, war wichtiger, als die Schadstoffziele zu er-
reichen, auf die sich die Autohersteller in freiwilliger
Selbstverpflichtung festgelegt haben. Das ist der ent-
scheidende Punkt, Herr Kollege.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das waren aber auch Arbeitsplätze, nicht?)


Dieses Ziel, also die Produktion schadstoffarmer Autos,
steht bei der Entwicklungstechnologie und Planung
hintan.

Diese fünf Fragen müssen nun vorrangig angegangen
werden.

Was dagegen die Regierung mit diesem Gesetz anpa-
cken will, hat die CDU klar auf den Punkt gebracht. Ein
Antrag des Bundesvorstands der CDU an den Dresdner
Parteitag von 2006 trägt die Überschrift „Soziale Kapi-
talpartnerschaft“. Herrliche Bezeichnung!


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Ja – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Selbstverständlich! – Frank Schäffler [FDP]: Auch eine Art von Sozialismus!)


– Ich lobe es ja. Seien Sie doch nicht so! – Darin heißt
es:

Gewinn- und Kapitalbeteiligung vermag einen fai-
ren Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer am wirtschaftlichen Erfolg auch dann sicherzu-
stellen, wenn sie um der Wettbewerbsfähigkeit und
der Beschäftigungssicherung willen zu Zugeständ-
nissen in der Nominallohnpolitik bereit sind.

Das soll wohl jetzt Programm werden – in Form des
Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes. Dabei handelt es
sich um Investivlohn auf freiwilliger Basis und weiter
gar nichts.

Der Lohnverzicht der vergangenen Jahre hat die Krise
nicht verhindert; mehr noch: Der Lohnverzicht hat das
Vermögen von denjenigen vergrößert, die einen Großteil
davon im großen, im freien, im liberalisierten Finanzka-
sino durchgebracht haben. Das war das Ergebnis des
Verzichts.

Nun soll erneut auf Lohn verzichtet werden – versüßt
mit der Hoffnung darauf, von den Unternehmen Beteili-
gungen geschenkt zu bekommen: bis 360 Euro im Jahr
steuer- und abgabenfrei. Wer sich krummlegt, mutig ist
und trotz sinkender Aktienkurse und drohender Bankrotte
mit seinem Gesparten Beteiligungen kauft, der bekommt
eine Arbeitnehmersparzulage. Vorgesehen sind nicht wie
bisher höchstens 72 Euro, sondern 80 Euro im Jahr, also
8 Euro mehr. Die Frage ist nun, ob das die Kursverluste
an der Börse ausgleicht. Ich zweifle sehr daran. Wer da-
gegen als Bankier Geld verplempert hat, bekommt aus
dem Finanzmarktstabilisierungsfonds mehr. Wer zahlt in
letzter Instanz diese Extrasparzulage von 8 Euro im
Jahr? 56 Prozent der Steuereinnahmen der Gebietskör-
perschaften stammen aus der Lohnsteuer und der Mehr-
wertsteuer. Rund 4 Euro von dem, was es zusätzlich an
Sparzulage gibt, zahlt der Sparer an sich selbst. So blei-
ben 4 Euro netto übrig; die kommen anderswoher.

Was ist zu tun gegen die ungleiche und zunehmend
ungleicher werdende Einkommens- und Vermögensver-
teilung? Wie kann man es schaffen, dass die Produktion
nicht vom Finanzmarkt, sondern vom langfristigen Inte-
resse der Arbeitenden und der Verbraucher bestimmt
wird? Wie kann man dafür sorgen, dass eben nicht aus-
gelagert, verkauft und geschlossen wird, dass nicht das
geschieht, was der Finanzinvestor will, weil es mehr Ge-
winn bringt? Wie lässt sich erreichen, dass die Unterneh-
men mit ihren technischen Entwicklungen den Anforde-
rungen der langen Frist folgen?

Da muss Gegenmacht her. Deshalb fordert die Linke
in ihrer „Frankfurter Erklärung“: Die Belegschaften
müssen in den Unternehmen bei den grundlegenden Fra-
gen, so bei Entlassungen, Unternehmensverkäufen, Aus-
lagerungen und Ausgliederungen, wirklich mitentscheiden.
Gegenwärtig ist die Macht, die Entscheidungsbefugnis
falsch verteilt. Das Management braucht dringend ein
Korrektiv, wodurch Missstände beseitigt und Fehlent-
scheidungen verhindert werden. Die Lösung ist mehr
Mitbestimmung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Mitbestimmung muss also auf eine erweiterte
Grundlage gestellt werden. Deshalb fordert die Linke,
dass die Belegschaften bis zu 49 Prozent an größeren
Unternehmen beteiligt werden, und dies vor allen Din-
gen dann, wenn die Unternehmen staatliche Unterstüt-
zung erhalten. Diese Mitarbeiterbeteiligung ist keine
Verstaatlichung. Der Zweck dieser Beteiligung ist, zu
verhindern, dass diejenigen, die den Reichtum erarbei-
ten, von Jahr zu Jahr ärmer werden und gleichzeitig das
Vermögen und das leistungslose Einkommen von großen
Familiendynastien und deren Erben begründen.

All diese brennenden Gegenwartsfragen – die Ein-
kommens- und Vermögensverteilung, die Unterneh-
menspolitik – geht die Bundesregierung mit ihrem Ge-
setzentwurf nicht an. Es ist ein Talmigesetz. Eine
wirkliche Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital der
Unternehmen und damit an den Unternehmensentschei-
dungen sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Das einzig Po-
sitive, wenn überhaupt, ist die geringe Erhöhung der
Sparzulage.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


(A)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011600

Die Kollegin Dr. Thea Dückert hat jetzt das Wort für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Eingangsbemerkung: Die Rede des Staatssekretärs,
mit der er den Gesetzentwurf vorgestellt hat, war für
meine Begriffe sehr bezeichnend, aber auch entlarvend
für das, worüber wir heute hier diskutieren. Er hat sich
nämlich quasi entschuldigend dazu geäußert, dass hier in
Zeiten der Finanzkrise, in Zeiten, wo es sehr viele un-
sichere Finanzanlageprodukte gibt, eigentlich ein Fi-
nanzanlageprodukt vorgestellt wird. Herr Brandner, Sie
haben gesagt, das sei weitsichtig. Ich finde, dass Sie da-
mit gleichzeitig umschreiben, was hier gemacht wird: Es
wird nämlich nicht wirklich über Arbeitnehmerbeteili-
gung am eigenen Unternehmen geredet, und es handelt
sich auch nicht um einen Vorschlag dazu, wie wir in die-
sem Bereich weiterkommen, sondern Sie haben das
Ganze in der Tat auf die Einführung eines neuen Finanz-
anlageproduktes reduziert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist wirklich schade; denn die Idee der Mitarbei-
terbeteiligung ist unglaublich zentral und wichtig im Zu-
sammenhang mit den Überlegungen, wie man zu einer
neuen, modernen Unternehmenskultur kommen kann.

Zu dieser Unternehmenskultur gehört: Corporate Gover-
nance, familienfreundliche Unternehmen, Frauen, die in
die Vorstandsetagen aufrücken, Job Enrichment und ein
anderer Umgang mit der Lebensarbeitszeit über Lebens-
arbeitszeitkonten. Dies umschreibt die neuen Betriebe,
die nach vorne gerichtet sind. Dazu gehört auch die Mit-
bestimmung. Dazu gehören innovative, neue Formen der
Beteiligung von Arbeitnehmern an den Unternehmen.

Davon ist in Ihren Vorschlägen überhaupt nichts zu
sehen. Warum ist das so schade? Die Praxis zeigt, dass
die Mitarbeiterbeteiligung in großen wie in kleinen Un-
ternehmen, in denen es sie bereits gibt, dazu führt, dass
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich nicht nur
stärker mit den Betrieben identifizieren, sondern auch
die Chance haben, ihre innovativen Ideen einzubringen,
dass der Krankenstand geringer und die Motivation hö-
her ist. Unterm Strich – das ist statistisch nachgewie-
sen – liegt hier eine Win-win-Situation vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beide haben Vorteile, die Arbeitnehmer in Bezug auf
ihre Arbeitsplätze und die Unternehmen in Bezug auf
ihre Produktivität. Aus diesem Grund streiten wir für
eine moderne Mitarbeiterbeteiligung. Deswegen haben
wir schon lange vor der Regierung einen Antrag einge-
bracht, der sich mit den gesamten Facetten der Mitarbei-
terbeteiligung beschäftigt.

Ihr Finanzanlageprodukt ist vielleicht gut gemeint,
aber in jedem Fall schlecht gemacht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

schlecht gemacht mit Steuergeldern. Warum? Letzten
Endes locken Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
ihr Geld in Anlageformen zu investieren, die unter Ren-
ditegesichtspunkten schlechter sind als andere – das ist
in den Anhörungen bestätigt worden –, oder in die Anla-
geformen, wenn das Geld im eigenen Unternehmen und
nicht in einem Branchenfonds angelegt wird, die ein
doppeltes Risiko bergen, nämlich das Risiko, den Ar-
beitsplatz zu verlieren und gleichzeitig das Geld, das im
eigenen Betrieb angelegt ist. Sie stellen den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern keine Insolvenzsicherung
an die Seite. Das ist der Vorwurf von unserer Seite; denn
dieses doppelte Risiko ist nicht zu akzeptieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um bei der Mitarbeiterbeteiligung weiterzukommen,
schlagen Sie zwei Wege vor: eine steuerliche Begünsti-
gung und den Branchenfonds.

Das Instrument der steuerlichen Begünstigung ist
hauptsächlich an große Unternehmen gerichtet, an Akti-
engesellschaften, an Unternehmen mit mehr als 500 Ar-
beitnehmern. Dort funktioniert es; das sieht man. Diese
Unternehmen werden gestützt. Des Pudels Kern ist aller-
dings, dass in einem großen Teil dieser Aktiengesell-
schaften – Sie brauchen sich nur VW anzuschauen –
diese Mitarbeiterbeteiligung über verschiedene Options-
modelle ermöglicht wird. Das heißt, dass die hier einge-
setzten Steuergelder zu Mitnahmeeffekten führen wer-
den. – Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist: Wir können sehen, dass mit die-
sen Begünstigungen die Bezieher höherer, aber nicht die
Bezieher geringerer Einkommen mit unsicheren Arbeits-
plätzen unterstützt werden. Diese haben Sie – diese An-
merkung sei mir gestattet – in Ihren Änderungsanträgen
noch kurzfristig ausgeschlossen. Wenn Sie Vermögens-
bildung auf dieser Ebene wirklich voranbringen wollen
– das nehmen Sie ja für sich in Anspruch –, dann stellt
sich doch die Frage, warum Sie im Vorfeld den Sparer-
freibetrag halbiert haben. Er bedeutete eine Unterstüt-
zung der Bezieher von geringeren Einkommen bei der
Vermögensbildung, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schäffler [FDP])


Das zweite Element ist der Branchenfonds. Mitarbei-
terbeteiligungs-Sondervermögen heißt dieses Kind, ein
großes Wort. Dabei handelt es sich um einen großen Irr-
tum, wie man feststellt, wenn man an beide denkt, so-
wohl an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
kleinen Betrieben als auch an die Unternehmen. Warum?
Die Beteiligung an den kleinen und mittleren Unterneh-
men muss ermöglicht werden. Wir haben in unseren An-
trägen dargestellt, dass es viele Rahmenbedingungen
gibt, die man verbessern kann. Bei Ihnen ist eines klar:
Ein großer Vorteil der Mitarbeiterbeteiligung, nämlich
die Stärkung der Eigenkapitaldecke in den kleinen Un-
ternehmen, wird durch Ihre Vorschläge nicht erreicht,
sondern ausgehöhlt. Die Gutachter und die Wirtschafts-
verbände haben Sie darauf hingewiesen – das ist auch
logisch –, dass ein Unternehmen sein Eigenkapital, das






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert
es für seine Beteiligung am Branchenfonds zur Verfü-
gung stellen muss, möglicherweise gar nicht in dieser
Höhe herausbekommt. Das bedeutet unterm Strich: Die
Eigenkapitaldecke bzw. die Flexibilität, das Eigenkapital
zurückzubekommen, wird gerade für die kleinen und
mittleren Unternehmen verschlechtert. Das kann doch
nicht sein, wenn es um die Vorteile der Beteiligung von
Mitarbeitern geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderer Punkt kommt bei Ihnen gar nicht vor: Wir
haben Probleme bei der Unternehmensnachfolge, insbe-
sondere bei kleinen und mittleren Betrieben. Insofern
wäre es ein Gewinn, wenn die bereits bestehenden Ga-
rantieprogramme für Belegschaften über Bürgschafts-
banken für kleine Betriebe ausgebaut werden würden,
damit es möglich wird, dass auch Belegschaften die Be-
triebe in der Unternehmensnachfolge weiterführen. Das
gibt es schon, aber sie brauchen Unterstützung. In Ihren
Programmen gibt es dazu nichts; sie sind auf große Un-
ternehmen gerichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Sie haben in Ihren Aus-
führungen versucht, Schwachstellen zu heilen, beispiels-
weise die, dass die Rendite wegen der Bindung an die
einzelne Branche, die möglicherweise schlechte Zu-
kunftsaussichten hat, im Vergleich zu anderen Anlagen
schlechter ausfällt. Sie haben versucht, dies ein bisschen
abzufedern – das ist Ihnen auch ins Stammbuch ge-
schrieben worden –, aber Sie haben das Problem natür-
lich nicht beseitigen können, weil die Bindung an die
Branche erhalten bleibt, egal mit welchem Prozentsatz.
Bei dem Produkt, das Sie verkaufen wollen, zahlen die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Geld, bekommen
aber eine schlechte Rendite. Das kann doch nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Verrücktesten empfinde ich Folgendes: Sie
möchten gern, dass die Menschen in solche Anlagen in-
vestieren, und zwar mit Steuergeldern unterlegt. Wenn
sie aber ihr Geld dort anlegen, Pech haben und Um-
stände eintreten, unter denen sie ihr Geld aus dem Fonds
zurückbekommen wollen, dann müssen sie eventuell
aufgrund der von Ihnen vorgegebenen Fristen sieben
Jahre lang warten.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht zu fassen!)


Meine Damen und Herren, das kann doch wirklich nicht
sein. Stellen Sie sich vor, die eigene Lebenssituation ver-
ändert sich oder man erkennt, dass die Branche den Bach
runtergeht, und man will an sein Geld und kommt nicht
heran. Das ist wirklich unglaublich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011800

Frau Dückert!

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620011900

Ich muss zum Schluss kommen; ich weiß es. Ich will

nur in Richtung FDP noch einen Punkt anmerken: Man
sollte diese Form der wenig risikogestreuten Anlagen in
einer Branche nicht für die Altersvorsorge schmackhaft
machen. Das ist ein großer Fehler, den die Koalition hier
macht.


(Zuruf von der FDP: Das wollen wir gar nicht! Wir nicht!)


Es ist ein großer Fehler, weil ein Euro nur einmal ausge-
geben werden kann und nicht mit hohem Risiko angelegt
werden sollte.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das sehen wir genauso!)


Wir haben ein Altersvorsorgekonto vorgeschlagen, wel-
ches Sie abgeschrieben haben, aber eben leider nur zur
Hälfte. Gucken Sie sich das noch einmal an! Unser Al-
tersvorsorgekonto bietet wirklich eine Garantie für die
Altersvorsorge.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012000

Frau Dückert!


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012100

Das hilft den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012200

Der Kollege Jörg-Otto Spiller hat jetzt das Wort für

die Fraktion der SPD.


(Beifall bei der SPD)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1620012300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Worauf basiert Deutschlands Wirtschaftskraft?
Sie basiert auf dem Wissen, dem Können, dem Fleiß und
der Sorgfalt


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt spricht er von uns!)


von Millionen arbeitenden Menschen, auf der Weitsicht,
dem Wagemut, der Fähigkeit zur Innovation von Unter-
nehmern und Managern sowie auf der ganz überwiegend
erstklassigen technischen Ausrüstung der Unternehmen.
Alle diese Faktoren gehören zusammen. Natürlich muss
auch in Zukunft in Ausbildung, Bildung, Forschung und
Entwicklung investiert werden, und natürlich können
wir nur darauf bauen, dass es auch weiterhin dynamische
Manager, Unternehmensführungen gibt, die Zukunfts-
märkte erkennen und sich trauen, entsprechend zu inves-
tieren. Es wird aber auch weiterhin so sein, dass unsere
Wettbewerbsfähigkeit davon abhängt, dass wir eine
glänzende technische Ausstattung haben. Lohnstückkos-
ten und wettbewerbsfähige Preise hängen ganz wesent-
lich davon ab, dass man eine gute technische Produk-
tionsausstattung hat. Das ist Kapital. Kapital ist nicht






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller
bloß Geld, sondern es schlägt sich in Produktionsfähig-
keit nieder.

Wir haben hier bereits über die Tendenzen bei der
Lohnquote, der Gewinn- und der Vermögensertrags-
quote gesprochen. Meine Vermutung ist, dass der Anteil
der Vermögens- und Gewinnerträge eher steigen wird,
weil die Kapitalintensität der Produktion nicht abneh-
men, sondern steigen wird. Wenn wir wettbewerbsfähig
bleiben wollen – und das wollen wir –, wird die Kapi-
talintensität steigen müssen. Natürlich hoffen wir als
Sozialdemokraten, dass es den Gewerkschaften in den
Tarifverhandlungen immer wieder gelingen wird, anstän-
dige Löhne und Gehälter durchzusetzen. Das schon –
gleichwohl ist es hochwahrscheinlich, dass die Kapital-
intensität tendenziell steigt.

Diese funktionale Aufteilung zwischen den Erträgen
aus dem Kapital und Löhnen und Gehältern ist nicht
identisch mit einer personellen Zuordnung. Uns interes-
siert natürlich schon, wem das wachsende Produktivka-
pital gehören wird. Ich sage – ich glaube, darüber gibt es
breiten Konsens in der Großen Koalition –: Wir möch-
ten, dass das zusätzliche Kapital nicht nur bei denen lan-
det, denen schon das bisherige Kapital gehört. Wir
möchten eine breite Streuung des Eigentums, des wach-
senden Kapitals, das wir aus ökonomischen Gründen
brauchen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das ist kein neuer Gedanke. In der Geschichte der
Bundesrepublik ist schon sehr früh, nicht erst zu Zeiten
der ersten Großen Koalition, über dieses Thema beraten
worden; das reicht in die Frühzeit der Bundesrepublik
zurück. Das Ergebnis, der jetzige Zustand, ist nicht aus-
reichend. Wir haben eine unbefriedigende Verteilung
von Produktivvermögen in der deutschen Gesellschaft.


(Frank Schäffler [FDP]: Das ändern wir jetzt!)


Wir möchten, dass sich das ändert. Herr Schäffler ist da-
ran nicht interessiert.


(Frank Schäffler [FDP]: Doch!)


– Das haben Sie vorhin gesagt. Das ist ein legitimer
Standpunkt. Sie sagen, Sie interessieren sich nicht so
sehr dafür.


(Frank Schäffler [FDP]: Doch!)


Wir finden das aber wichtig und möchten Impulse ge-
ben. „Impulse“ heißt nicht, dass wir einfach Steuern ver-
teilen wollen und der Reiz eines solchen Programms in
den Zuschüssen besteht – überhaupt nicht. Das sind An-
stöße.


(Frank Schäffler [FDP]: Das stimmt! Mehr kann das auch nicht sein!)


Mehr brauchen wir auch nicht. Wenn Sie Dirigismus
wollen, wenn Sie wollen, dass sozusagen alles verordnet
wird und es nicht mehr darauf ankommt, ob eine solche
Anlage Sinn macht, dann gehen unsere Meinungen aus-
einander. Wir sind der Meinung, dass es nicht allein auf
die Förderung ankommt. Vielmehr ist die Förderung ein
Impuls, ein Anstoß.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will noch ein paar Sätze über die Kernpunkte die-
ses Entwurfs sagen.

Zunächst einmal fördern wir Beteiligungsangebote,
die sich an alle Beschäftigten des Unternehmens richten;
das hat der Kollege Brandner bereits gesagt. Es ist weit
verbreitet, dass in Unternehmen, wenn sie überhaupt
eine Beteiligung anbieten, eine Differenzierung vorge-
nommen wird insofern, als leitende oder außertarifliche
Angestellte großzügiger behandelt werden als andere
Mitarbeiter. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass alle,
die mindestens ein Jahr in dem Unternehmen beschäftigt
sind – nicht unbedingt der Werkstudent, der dort in den
Semesterferien jobbt –, in solche Angebote einbezogen
werden.

Wir sagen, dass es sich um zusätzliche Leistungen
handeln muss, die freiwillig gewährt werden, nicht um
die Umwandlung von tarifvertraglich oder arbeitsver-
traglich vereinbartem Arbeitsentgelt. Außerdem fördern
wir in gleicher Weise die direkte Beteiligung an dem Un-
ternehmen wie die indirekte Beteiligung über Fonds, de-
ren Kapitalbestände nach einer Anlaufzeit von drei Jah-
ren zu wenigstens 60 Prozent in die Unternehmen
zurückfließen sollen, die das Geld aufgebracht haben.

Ich will ganz offen sagen: Zu Beginn unserer Diskus-
sionen haben wir Sozialdemokraten gesagt, dass uns der
Fonds wichtiger ist. Die Kollegen von der Union sagten:
Wir haben nicht viel gegen den Fonds, aber wir möchten
die direkte Beteiligung besonders fördern.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sie haben recht! Das ist ein fauler Kompromiss!)


Wir haben deshalb eine gleichmäßige Förderung be-
schlossen. Dass es Unternehmen gibt, die ihren Beschäf-
tigten schon jetzt entsprechende Angebote machen, weiß
jeder; in großen Unternehmen ist das relativ leicht über
Belegschaftsaktien zu realisieren. Leider geschieht dies
in den kleineren Unternehmen recht selten. Bisher sind
nicht mehr als insgesamt rund 2 Millionen Beschäftigte
auf diese Art und Weise an ihrem Unternehmen beteiligt.

Wir haben auch über eine Insolvenzsicherung disku-
tiert; Frau Dückert hat dieses Thema angesprochen. Wie
kann man sicherstellen, dass eine solche Arbeitnehmer-
beteiligung am Unternehmen nicht zu einem „Klumpen-
risiko“ führt, also dazu, dass Arbeitsplatz und Erspar-
nisse gefährdet sind? Frau Dückert, es ist leider so: Alle
Lösungen – wir haben das genau recherchiert –, bei de-
nen mit Versicherungen gearbeitet wird, die das Risiko
halbwegs kostendeckend absichern, führen zu keiner
Rendite. Das kann man alles vergessen. Deswegen ha-
ben wir gesagt: Wer sich nicht dafür entscheiden möchte,
sich am eigenen Unternehmen zu beteiligen, soll eine
Fondslösung wählen, wobei wir uns sehr wünschen, dass
es bei solchen Lösungen ein partnerschaftliches Mit-
einander gibt. Am besten kann man so etwas in einer Be-
triebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Geschäfts-
führung aushandeln. Das halte ich für den allerbesten
Weg.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller
Frau Dr. Dückert, Sie schreiben in Ihrem Entschlie-
ßungsantrag, es komme nicht auf das reine Finanzanla-
geprodukt an.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch selber gesagt!)


Sie wollen eine partnerschaftliche Unternehmenskultur
fördern.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Aber der Blick in Ihren Entschließungsantrag lässt Zwei-
fel an Ihrer politischen Kultur aufkommen. Man wundert
sich. Sie möchten, dass der Deutsche Bundestag, nach-
dem wir dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung be-
schlossen haben, anschließend die Bundesregierung auf-
fordert,


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nicht anschließend!)


die geplanten Mitarbeiterbeteiligungs-Sondervermögen
nicht in das Investmentgesetz einzuführen. Ebenso wol-
len Sie die Förderung nicht in das Gesetz aufnehmen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Herr Spiller! Wir wollen das Gesetz nicht!)


Sie wollen, dass der Bundestag entscheidet, die Regie-
rung möge das Gesetz, das der Bundestag gerade be-
schlossen hat, wieder aufheben.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir sagen, Sie sollten es nicht beschließen! Lesen Sie doch mal richtig, Herr Spiller!)


Von der PDS sind wir das Fremdeln mit der Demokratie
gewöhnt. Dass sich jetzt auch die Grünen so verhalten,
finde ich allerdings sehr merkwürdig.

In einem Punkt haben Sie recht: Natürlich gehört eine
Unternehmenskultur dazu. Es wird auch so sein, dass
sich in diesem Bereich nur gut geführte Unternehmen
engagieren werden.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012400

Herr Kollege Spiller, möchten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Dr. Dückert zulassen?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1620012500

Ja, gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012600

Bitte schön.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012700

Herr Kollege Spiller, ich unterbreche Sie nur ungern;

aber so viel Zeit muss sein.

Ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen
könnten, dass wir die Bundesregierung in unserem Ent-
schließungsantrag nicht auffordern, erst etwas zu be-
schließen und es dann nicht in Kraft zu setzen, sondern
dass unser Antrag darauf zielt, zu verhindern, dass Sie
diese Form des Branchenfonds und des Sondervermö-
gens beschließen.

Außerdem verweisen wir auf einen Antrag, den wir
schon vor zwei Jahren eingebracht haben und in dem wir
in aller Breite auf die Punkte, die ich vorhin angespro-
chen habe, eingegangen sind. Es ging zum Beispiel da-
rum, wie wir familiengeführte Unternehmen, die einen
Nachfolger haben, unterstützen und dafür sorgen kön-
nen, dass sie zu mitarbeiterbeteiligten Unternehmen
werden. Auf diesen Punkt und viele andere Aspekte ha-
ben wir in unserem damaligen Antrag hingewiesen. Ich
frage Sie: Haben Sie vergessen, dass wir diesen sehr
breit angelegten Antrag hier im Deutschen Bundestag
schon einmal debattiert haben? Wir waren nämlich
schneller als Sie.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1620012800

Vielleicht haben Sie den Entschließungsantrag, den

Sie eingebracht haben, nicht genau genug gelesen. Daher
lese ich Ihnen einmal vor, was dort steht. Sie schreiben:

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf,

1. die geplanten Mitarbeiterbeteiligungssonderver-
mögen … nicht als neue Fondskategorie in das In-
vestmentgesetz einzuführen,

2. ebenso auf die Ausweitungen der steuerlichen
Förderung im Einkommenssteuergesetz und im
5. Vermögensbildungsgesetz zu verzichten …


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Was ist denn das für ein Parlamentsverständnis? Der
Bundestag soll die Bundesregierung auffordern, Gesetze
zu beschließen oder Gesetze nicht anzuwenden. Ir-
gendwo gibt es hier eine Lücke. Das hat nichts mit Un-
ternehmenskultur zu tun, sondern mit einem Defizit an
politischer Kultur. Dass die Grünen ein solches Defizit
haben, wundert mich allerdings ein wenig, da sie sonst
eigentlich durchaus einen Sinn für das Thema Zivilge-
sellschaft haben.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Heinz-Peter Haustein [FDP]: Uns wundert bei den Grünen schon lange nichts mehr!)


Ich gebe Ihnen den Ratschlag, mit der deutschen Spra-
che ein bisschen sorgfältiger umzugehen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie sollten mit dem Sinn von parlamentarischen Initiativen sorgfältiger umgehen!)


Das, was Sie in Ihrem Entschließungsantrag geschrieben
haben, kann man nicht unkommentiert stehen lassen.

Was Ihren damaligen Antrag angeht, muss ich leider
feststellen: Sie haben im Wesentlichen die Liste, die Ih-






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller
nen die Lobbyisten der Fondsbranche vorgelegt haben,
abgeschrieben.


(Frank Schäffler [FDP]: Einigen wir uns doch einfach darauf, dass die FDP den besten Antrag vorgelegt hat!)


Wir alle kennen diese Forderungen. Auch wir haben uns
damals mit ihnen auseinandergesetzt. Sie allerdings ha-
ben sie in Ihren Antrag aufgenommen.

Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat in ih-
rem Gesetzentwurf vorsichtig formuliert, sie erwarte,
dass sich die Zahl der Arbeitnehmer, die in irgendeiner
Weise, ob direkt oder indirekt, an ihren Betrieben betei-
ligt ist, mittelfristig, also nach zwei, drei Jahren, von
etwa 2 Millionen auf etwa 3 Millionen erhöht. Das wäre
eine stolze Steigerungsrate. Wir hoffen natürlich, dass
noch wesentlich mehr Mitarbeiter an ihren Unternehmen
beteiligt werden; denn wir bauen darauf, –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620012900

Herr Kollege!


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1620013000

– dass gut geführte Unternehmen darauf setzen, mit

ihren tüchtigen Mitarbeitern zusammenzuarbeiten und
gemeinsam wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Er-
folg zu erzielen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620013100

Für den Bundesrat hat jetzt der Minister Karl-Josef

Laumann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Jetzt erzähl uns mal, wie es wirklich ist!)



(Nordrhein-Westfalen)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es
mir sehr wichtig war, heute in dieser Debatte für die
Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu sprechen, und
zwar nicht nur, weil ich etwas mit dem Zustandekom-
men des Gesetzes zu tun habe. Mir ist es auch wichtig,
zu sagen, dass die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein ural-
tes Anliegen der christlich-sozialen Bewegung in
Deutschland ist. Das lässt sich auch an vielen Anträgen
in der Geschichte des Bundestages dokumentieren.


(Frank Schäffler [FDP]: Wie setzt sich die Landesregierung zusammen, für die du sprichst?)


In Nordrhein-Westfalen haben die Ideen im Hinblick
auf die Mitarbeiterkapitalbeteiligung immer eine große
Rolle gespielt. Schon unser erster Ministerpräsident Karl
Arnold wollte 1951, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber
je 2 Pfennig eines Stundenlohnes in die Mitarbeiterkapi-
talbeteiligung stecken.


(Frank Schäffler [FDP]: Das war damals noch was, im Gegensatz zu heute!)

Ich finde vor allen Dingen seine Begründung interes-
sant, aus der ich nun zitiere:

Der Arbeitnehmer soll nicht nur in der Gegenwart
leben, er soll als Eigentümer sich für sein Schicksal
und für die Zukunft seiner Familie verantwortlich
fühlen. Das eigene Vermögen soll seine Abhängig-
keit als Arbeitnehmer mildern, seine wirtschaftliche
Freizügigkeit verstärken und ihm auf die Dauer
eine neue Einkommensquelle sichern.

Die Begründung ist heute noch so gut, dass man keine
bessere zu diesem Thema finden könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieser Gedanke macht sehr deutlich, dass Mitarbei-
terkapitalbeteiligung mehr ist als nur Alterssicherung.
Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist auch mehr als nur Ver-
mögensbildung. Dahinter steckt eine Philosophie der so-
zialen Partnerschaft in den Unternehmen. Das Thema
Mitarbeiterkapitalbeteiligung kann nur jemand begrei-
fen, bei dem wirtschaftliche und soziale Kompetenzen
zusammenkommen. Denn ich kenne kaum ein Thema,
das diese beiden Kompetenzen so miteinander verbindet
wie die Frage der Kapitalbeteiligung.

Ich meine, dass wir in der Koalitionsarbeitsgruppe,
zusammen mit der Bundesregierung, ein gutes Konzept
auf den Weg gebracht haben. Uns war vor allen Dingen
wichtig, dass im Rahmen der Mitarbeiterkapitalbeteili-
gung bestehende Beteiligungsmodelle fortgeführt wer-
den können. Uns war auch wichtig, dass sie freiwillig
und für alle offen ist. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass
sie nicht nur für einzelne Teile der Belegschaft gelten
darf, sondern dass sie für alle offen ist.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben das in einem Änderungsantrag gerade ausgeschlossen!)


Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung darf kein Bestandteil
des Lohnes sein und nicht in Konkurrenz zur Altersver-
sorgung treten. Dafür haben wir eine ganz vernünftige
Lösung gefunden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man in der jetzigen Zeit und im Rahmen der
allgemeinen politischen Debatte über Mitarbeiterkapital-
beteiligung spricht, denkt manch einer: Na ja, passt das
jetzt in die Zeit, in der wir unsere Erfahrungen auf den
Kapitalmärkten gemacht haben?


(Frank Schäffler [FDP]: Sparen ist immer gut!)


Das kann ich schon verstehen. Ich bin mir aber ziemlich
sicher, dass langfristig wieder eine Entwicklung eintre-
ten wird, in der die Kapitaleinkünfte und die Gewinne
stärker steigen als die Löhne; das hat Herr Spiller in sei-
ner Rede sehr nachvollziehbar dargestellt. Deswegen ist
es schlau, sich diese Idee durch die aktuelle Krise nicht
kaputt machen zu lassen, sondern den Gesetzesvorschlag
zu verabschieden; er ist reif dafür.

Ich möchte einen weiteren Gedanken einbringen, der
mir in diesen Tagen oft durch den Kopf geht: Wir be-
kommen alle mit, dass die Auftragslage in vielen Unter-






(A) (C)



(B) (D)


Minister Karl-Josef Laumann (Nordrhein-Westfalen)

nehmen zurzeit nicht gut ist, dass Kurzarbeit angemeldet
wird, und zwar in sprunghaft steigenden Zahlen. Die Ar-
beitnehmer nehmen Kurzarbeit und vieles andere in
Kauf. Kurzarbeit bedeutet bekanntermaßen, dass, wer
keine Kinder hat, 40 Prozent, wer Kinder hat, 33 Prozent
seines Einkommens verliert. Das ist für einen Arbeitneh-
merhaushalt durchaus ein Thema. Da ist es nur recht und
billig, dass die Arbeitnehmer, wenn es wieder besser
wird, wenn die Krise vorbei ist, stärker an den Erfolgen
der Unternehmen beteiligt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ein weiterer Gedanke ist mir in dieser Debatte wich-
tig: Ich glaube, dass der Mitarbeiterbeteiligung ein gutes
Menschenbild zugrunde liegt, aus meiner Sicht das
christliche Menschenbild. Die Beteiligung der Arbeit-
nehmer am Eigentum der Wirtschaft hat etwas mit der
Würde von Arbeit zu tun. Die Würde von Arbeit drückt
sich natürlich auch durch die Bezahlung der Arbeit aus.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da hat er recht!)


Erwerbsarbeit, die nichts wert ist, hat meiner Meinung
nach keine Würde. Ehrenamtliche Arbeit, das sage ich
ausdrücklich, ist etwas anderes. Aber für Erwerbsarbeit
gilt das, und deswegen sind die Gesetze, die heute Mor-
gen verabschiedet worden sind, ein Schritt in die richtige
Richtung.

Eine Beteiligung der Arbeitnehmer ist jedoch etwas
anderes als nur ein Schritt in die richtige Richtung. Mit
der Systematik dieses Gesetzes schaffen wir zum ersten
Mal einen Rahmen, der der Mitarbeiterbeteiligung in
Deutschland einen richtigen Schub geben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich war lange im Bundestag. Wir haben schon damals
viel in dieser Richtung beschlossen. Aber es ging immer
mehr in Richtung Vermögensbildung. Die Mitarbeiterbe-
teiligung hat oft darunter gelitten, dass zwar alle sie gut
fanden, aber kaum einer etwas für sie getan hat. Die Ge-
werkschaften standen unter Druck, in erster Linie über
Lohnerhöhungen zu verhandeln; das wollten ihre Mit-
glieder lieber. Darüber hinaus hatte ein Teil der Gewerk-
schaften früher die Philosophie: Lasst uns die Arbeitneh-
mer lieber nicht am Eigentum der Unternehmen
beteiligen, sonst denken sie nicht mehr so, wie wir es
wollen. – Dieser Gedanke ist falsch. Denn wer Eigentum
hat, denkt meistens richtig. Das Thema Mitarbeiterbetei-
ligung ist also oft zu Tode gelobt worden.

Heute tun wir in der Systematik einen gewaltigen
Schritt, denn wir sagen ausdrücklich: Wir wollen die
Mitarbeiterbeteiligung. Man kann die Förderbeträge als
lächerlich bezeichnen.


(Frank Schäffler [FDP]: Stimmt! Das tun wir!)


Aber in der Summe belasten sie den Staat. Deswegen
muss die Mitarbeiterbeteiligung mit wenig Geld vom
Staat auskommen.

(Frank Schäffler [FDP]: Es wird nicht einmal so viel kosten; denn die Mitarbeiterbeteiligung wird nicht genutzt werden!)


Die Mitarbeiterbeteiligung soll aber auch gar keine
Staatsveranstaltung werden, sie soll eine Veranstaltung
werden, bei der der Staat einen Impuls gibt, damit die
Entwicklung in die richtige Richtung geht. Es liegt jetzt
ganz daran, wie die Sozialpartner in unserem Land die
Möglichkeit der Mitarbeiterbeteiligung aufgreifen. Ein
Unternehmer ohne soziale Kompetenz wird dieses
Thema nie aufgreifen. Auch eine Arbeitnehmervertre-
tung, die nur daran denkt, was heute im Portemonnaie
ist, wird dieses Thema nicht aufgreifen. Die Mitarbeiter-
beteiligung werden diejenigen aufgreifen, die für nach-
haltige Politik und für humane Arbeitsbedingungen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen ist heute ein guter Tag für die Arbeitnehmer
und für die Wirtschaft in Deutschland.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620013200

Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1620013300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das den
Beschäftigten von Unternehmen neue und bessere Mög-
lichkeiten bietet, sich an Unternehmen, insbesondere am
eigenen Unternehmen, zu beteiligen. Wir von der Union
bekennen uns, wie Karl-Josef Laumann gesagt hat, seit
jeher zur sozialen Kapitalpartnerschaft und zu einer brei-
ten Kultur der Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital
der Unternehmen.

Wir wollen diesen Gesetzentwurf jetzt verabschieden,
um damit auch die Akzeptanz des Themas Mitarbeiter-
beteiligung insgesamt zu erhöhen. Es geht hier aber
nicht um Gewinnbeteiligung, es geht auch nicht um die
betriebliche Altersversorgung, sondern es geht um eine
unternehmerische Beteiligung. Ich bitte Sie alle, in die-
ser Diskussion nicht alle Bereiche miteinander zu ver-
binden oder zu vermischen. Das ist unzulässig und nicht
in Ordnung.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU] – Frank Schäffler [FDP]: Das ist ja genau das Problem!)


In Deutschland sind derzeit etwa 8 Prozent der Mitar-
beiter in den verschiedenen Unternehmen – ob groß oder
klein – an diesen beteiligt. In Europa sind insgesamt
etwa 20 Prozent der Mitarbeiter an ihren Unternehmen
beteiligt. Die Erfahrungen dort haben gezeigt, dass mit
staatlicher Unterstützung und mit staatlichen Anreizen
insgesamt eine deutliche Steigerung bei der Beteiligung






(A) (C)



(B) (D)


Klaus-Peter Flosbach
der Mitarbeiter an ihren Unternehmen erreicht werden
konnte. Wir hier in Deutschland und gerade auch wir in
der Union propagieren nach wie vor das Prinzip von
Ludwig Erhard, wonach wir in diesem Land eine Gesell-
schaft von Teilhabern erreichen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Schäffler [FDP]: Es ist schon einmal gut, wenn sich die Union auf Ludwig Erhard beruft!)


Wir erleben das in vielen Betrieben: Zahlreiche Mög-
lichkeiten werden in diesem Bereich genutzt. Wir ken-
nen das aus den größeren Betrieben. Dort sind es die Be-
legschaftsaktien. In den kleinen Betrieben sind es eher
die stillen Beteiligungen. Wir kennen aber auch Genuss-
scheine und Mitarbeiterdarlehen. In der Summe ist es
nach wie vor so, dass etwa 2 Millionen Mitarbeiter an ih-
ren Unternehmen beteiligt sind.

Durch die öffentliche Diskussion in den letzten zwei
Jahren – das ist auch der Vorteil an dieser Diskussion –
ist die Sensibilität für dieses Thema insgesamt spürbar
gewachsen. Auch durch viele Äußerungen unserer Bun-
deskanzlerin und des Bundespräsidenten


(Frank Schäffler [FDP]: Wo ist sie denn heute?)


sowie durch die Aufforderung, sich diesem Thema zu
nähern, ist das Interesse spürbar gewachsen. Wir wollen
nun mit der Koalition die Möglichkeiten erweitern und
das Volumen erhöhen, um dem Ziel, eine zweite Ein-
kommensquelle für die Mitarbeiter in Unternehmen zu
schaffen, ein Stück näherzukommen.

Die Basis für diese Mitarbeiterbeteiligung liegt zu-
nächst allerdings beim Arbeitgeber; denn er muss
360 Euro als Beteiligungssumme zusätzlich und freiwil-
lig auszahlen. Wenn es freiwillig und zusätzlich ist, dann
entfallen auf diese Zahlungen keine Sozialversiche-
rungsbeiträge und keine Steuern, das heißt, diese Be-
träge können netto in die Kapitalbeteiligung fließen.
Frau Dückert, in diesen Genuss kommen allerdings nicht
nur die Besserverdienenden, sondern alle Arbeitnehmer,
sofern sie dem Unternehmen mindestens ein Jahr ange-
hören. Dies ist die Voraussetzung für die Steuerfreiheit.

Wohin fließt nun dieses Kapital? Dafür gibt es zwei
Möglichkeiten. Das Kapital kann, wie bisher, selbstver-
ständlich in das eigene Unternehmen fließen. Es gibt
aber auch eine neue Form, nämlich die Möglichkeit, dass
es in einen Investmentfonds – wir nennen sie Mitarbei-
terbeteiligungsfonds, die neu aufgelegt werden – fließen
kann. Diese Fonds unterliegen wie andere Fonds der
Aufsicht und der üblichen Kontrolle. Es ist dennoch ein
neues Feld für die Investmentgesellschaften.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht ver-
heimlichen, dass wir an dieses Thema Mitarbeiterbeteili-
gung von unterschiedlichen Seiten aus herangegangen
sind.


(Frank Schäffler [FDP]: Das stimmt!)


Auch wir haben gesagt: Lasst uns den steuerlichen Frei-
betrag auf 500 Euro erhöhen, und ermöglichen wir je-
dem einzelnen Arbeitnehmer, beispielsweise 500 Euro
durch Entgeltumwandlung für diesen Bereich aufzuwen-
den; denn für die betriebliche Altersvorsorge haben wir
ja insgesamt einen Betrag von etwa 4 500 Euro zur Ver-
fügung.

Unser Koalitionspartner ging eher von einem Deut-
schlandfonds aus, also von einer breiten Streuung im
Rahmen eines Investmentfonds. Herr Spiller, ich denke,
wir haben uns zusammengerauft und etwas Gemeinsa-
mes gefunden:


(Frank Schäffler [FDP]: Schön, wie Sie das beschreiben!)


Wir können jetzt auf beiden Wegen gehen, nämlich so-
wohl die Beteiligung am eigenen Unternehmen als auch
die Anlage im Fonds ermöglichen.

Wir haben aber auch Einschränkungen vorgenom-
men. Wenn jemand in einen Fonds investiert, dann müs-
sen zumindest 60 Prozent der eingezahlten Beträge wie-
der in die beteiligten Unternehmen zurückfließen. Auch
bei den Fonds wollen wir die Bindung zum Unterneh-
men erhalten. Es kann niemand sagen, dass es keine Bin-
dung gibt, weil es ein Fonds ist.

Wenn wir uns einmal die Geschichte der betrieblichen
Altersversorgung ansehen und dabei die Vereinbarungen
der Tarifparteien weglassen, dann sehen wir, dass die be-
triebliche Altersversorgung gerade im mittelständischen
Bereich wie hier jetzt eine einseitige Altersversorgung
war, nämlich eine Arbeitgeberleistung, um die Mitarbei-
ter an den Betrieb zu binden. Deshalb kann man nicht
davon ausgehen, dass nur deshalb, weil das Geld erst in
einen Fonds und über diesen Fonds in das Unternehmen
fließt, keine Bindung gegeben ist.

Wir haben die Anlaufphase ausdrücklich auf drei
Jahre erweitert, damit die Investmentgesellschaften
Möglichkeiten haben, sich auf diese neuen Formen ein-
zustellen. Gerade für uns Abgeordnete sollte es eine
Pflicht sein, dieses Thema in der Heimatregion zu ver-
breiten und möglichst regionale Fonds zu finden, an de-
nen sich die Mitarbeiter in der jeweiligen Region beteili-
gen können.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, natürlich
konkurriert diese Form der Anlage mit der betrieblichen
Altersvorsorge.


(Frank Schäffler [FDP]: Aha!)


Aber wir können nicht davon ausgehen, dass wir eine
unternehmerische Beteiligung genauso wie eine betrieb-
liche Altersvorsorge bewerten. Hier gibt es Garantien
und Sicherheiten, weil Renteneinkünfte gesichert sein
müssen. Weil es bei der unternehmerischen Beteiligung
auch um Rendite geht, muss man aber bereit sein, ein
höheres Risiko einzugehen. Es kann nicht sein, dass wir
von vornherein jede unternehmerische Beteiligung ge-
gen die Insolvenz absichern. Dies passte nicht zu der
Anlageform, es verkomplizierte diese Entlohnungsform,
es widerspricht dem Sinn einer Unternehmensbeteili-
gung und ist eher kontraproduktiv.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus-Peter Flosbach
Seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstüt-
zen wir diesen Gesetzentwurf und halten es auch für
richtig, dass das Fünfte Vermögensbildungsgesetz so an-
gepasst wird, dass bei Einkommen bis 20 000 Euro für
Ledige oder 40 000 Euro für Verheiratete der Fördersatz
auf 20 Prozent erhöht wird. Hier wird ein weiterer Bau-
stein gesetzt, neben dem Arbeitseinkommen ein zusätzli-
ches Einkommen zu erwirtschaften.

Wie intensiv die Mitarbeiterbeteiligung von den Un-
ternehmen angenommen wird, hängt natürlich davon ab,
wie für dieses Thema geworben wird und wie viele In-
formationen bei den Unternehmen ankommen. Ich er-
warte hier eine breit angelegte Informationskampagne
der Bundesregierung, mit der Informationsdefizite bei
den Unternehmen abgebaut werden, Vorurteilen entge-
gengetreten wird und für die gesellschaftspolitische Be-
deutung der Mitarbeiterbeteiligung geworben wird.

Die meisten Unternehmen wissen, dass es aufgrund
des internationalen Wettbewerbsdrucks und der Globali-
sierung wesentlich darauf ankommt, wie stark die Wur-
zeln der heimischen Betriebe sind. Dazu gehören heute
die Mitwirkung und die Bindung der Mitarbeiter, insbe-
sondere die Bindung der Fachkräfte. Kein Unternehmen
kann sich heute gegenüber den Mitarbeitern den Fragen
nach Transparenz sowie sozialer und ökonomischer Ver-
antwortung entziehen.

Wir betreten mit diesem Gesetz ein Stück Neuland.
Ich bin sicher, dass wir auf große Zustimmung bei Ar-
beitgebern und Arbeitnehmern stoßen und dass damit ein
neues Kapitel der Mitarbeiterbeteiligung aufgeschlagen
wird.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620013400

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteili-
gung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11679,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sachen 16/10531 und 16/10721 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von FDP und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in dritter Beratung mit demselben Stimmenver-
hältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/11681. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustim-
mung durch die einbringende Fraktion und Enthaltung
der FDP mit den Stimmen der Koalition und der Linken
abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die – Tages-
ordnungspunkt 14 b – Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Mitarbeiterbeteiligung – Eigenverantwortli-
che Vorsorge stärken“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/11679, den Antrag der FDP auf Drucksache 16/9337
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
und der Linken bei Gegenstimmen der FDP und Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf :

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu den Änderungen vom
28. April und 5. Mai 2008 des Übereinkom-
mens über den Internationalen Währungs-
fonds (IWF)


– Drucksache 16/10535 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/11664 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Ortwin Runde

Es ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattie-
ren. – Ich sehe keinen Widerspruch. Das ist so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Ortwin Runde für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ortwin Runde (SPD):
Rede ID: ID1620013500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Es gibt Beratungsgegen-
stände mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten für
das Parlament. Bei dem Entwurf eines Gesetzes zu den
Änderungen des Übereinkommens über den Internatio-
nalen Währungsfonds ist die Einflussmöglichkeit so wie
bei Staatsverträgen: Wir können den Gesetzentwurf an-
nehmen oder ablehnen. Dazwischen gibt es nichts.


(Frank Schäffler [FDP]: Trotzdem reden Sie 14 Minuten!)


Die Relevanz der Beratung ist relativ gering.


(Frank Schäffler [FDP]: Sie müssen Ihre Redezeit nicht ausschöpfen!)







(A) (C)



(B) (D)


Ortwin Runde
Was aber das Ganze spannend macht, ist der Zeit-
punkt, zu dem der Gesetzentwurf zu den Änderungen
des Übereinkommens über den Internationalen Wäh-
rungsfonds eingebracht wird. Der Vorgeschichte können
wir entnehmen, dass es etwa zwei Jahre gedauert hat,
ehe sich die Länder, die den Internationalen Währungs-
fonds konstituieren, auf leichte Veränderungen bei den
Stimmrechten und auf eine Veränderung, was das Anla-
geverhalten des Währungsfonds angeht, geeinigt haben.
Dieser Zeitraum macht deutlich, wie schwierig es ist,
dort international zu einem Konsens zu kommen. Wenn
Gläubigerländer Stimmrechte abzugeben haben, sind sie
ziemlich zähleibig. Ehe solche Veränderungen eintreten,
vergeht einige Zeit.

Man hat sich hier nach langen Beratungen darauf ge-
einigt, in einem gewissen Umfang den Veränderungen in
der Weltwirtschaft Rechnung zu tragen und dem stärke-
ren Gewicht der Schwellenländer entsprechend diese
stärker im Internationalen Währungsfonds zu beteiligen.
Man hat sich darauf verständigt, in den Entscheidungs-
gremien vor allem dem afrikanischen Kontinent andere
Mitwirkungsmöglichkeiten einzuräumen. Dies sind kleine
Reformschritte. Das Ganze macht einen ein Stück nach-
denklich, auch was die Geschwindigkeit hinsichtlich der
Reformfähigkeit solcher Institutionen angeht, und kon-
frontiert einen ein Stück mit der Realität in diesen inter-
nationalen Gremien.

Neben diesen Veränderungen, die aus meiner Sicht
von unserer Seite angenommen werden sollten – die
SPD wird die Bundesregierung hier entsprechend unter-
stützen – , gibt es aber Entwicklungen, die uns nachden-
ken lassen, wie die weitere Rolle des Internationalen
Währungsfonds sein sollte. Wir hatten heute schon eine
Diskussion, in der es darum ging, mit welcher Ge-
schwindigkeit und mit welchem Nachdruck wir das in-
ternationale Finanzsystem neu regeln müssen, mit wel-
chem Nachdruck wir eine neue Finanzarchitektur
anstreben müssen. Die Frage nach der Geschwindigkeit
sollte uns veranlassen, auch zu überlegen, welche Insti-
tutionen eine Rolle in einer künftigen Finanzarchitektur
spielen können.

Der Internationale Währungsfonds bietet sich an, weil
er eine große Kompetenz in der Einschätzung von wirt-
schaftlichen Entwicklungen hat. Er bietet sich auch des-
halb an, weil er schon heute im Bereich der Hilfen für
Staaten, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, eine
Rolle spielt und in den letzten Monaten auch zunehmend
an Bedeutung gewonnen hat, was Hilfe für Staaten wie
Island, Ungarn und andere mehr angeht.

Es stellt sich die Frage, ob der Internationale Wäh-
rungsfonds dort eine Rolle bei der Beaufsichtigung künf-
tiger wirtschaftlicher Entwicklungen, des Finanzsystems
und der Aufsichtsinstanzen in den einzelnen Nationen
übernehmen könnte. Fraglich ist auch, ob er eine Rolle
in der Frage der Regulierung spielen könnte.

Die Diskussionen, die wir geführt haben, haben deut-
lich gemacht, dass die Regulierungsaufgabe für ihn we-
niger infrage kommt.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Regulierungsaufgabe ist sinnvollerweise beim Fi-
nancial Stability Forum – eventuell in Zusammenarbeit
mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich –
anzusiedeln. Darin sind die Institutionen, die mit der
Bankaufsicht zu tun haben, und die entsprechenden
Staaten vertreten.


(Frank Schäffler [FDP]: Das sieht die Bundesregierung aber anders! – Gegenruf von der CDU/CSU: Nein!)


Deswegen ist die Ansiedlung von Regulierungsbefugnis-
sen auf dieser Ebene wohl vorzuziehen.

Die Funktionen, die demgegenüber der Internationale
Währungsfonds wahrnehmen kann, haben mehr mit Sur-
veillance bzw. der Aufsicht über das Gesamtsystem und
dessen Entwicklung zu tun. Das heißt, er könnte die in-
ternationalen Aufsichtssysteme und die nationalen Auf-
seher überwachen. Er hat die makroökonomischen Fä-
higkeiten zur Analyse, wobei man feststellen muss: Was
die Kompetenzen angeht, ist in den Anhörungsverfahren
deutlich geworden, dass die makroökonomischen Fähig-
keiten noch zu ergänzen wären, wenn der Internationale
Währungsfonds diese Aufsichtsfunktion wahrnehmen
sollte. Das wird ein entscheidender Punkt sein. Dass man
neben der makroökonomischen Qualität und Kompetenz
auch mikroökonomische Fähigkeiten zur Bewertung von
Finanzsystemen und Aufsichtssystemen im Finanzbe-
reich neu entwickeln muss, ist, glaube ich, in den Dis-
kussionen deutlich geworden.

Eine entscheidende Frage ist aber auch, ob neben der
Kompetenz auch die notwendige Akzeptanz derjenigen
vorhanden ist, für die der Internationale Währungsfonds
eine solche Aufgabe wahrnehmen könnte. Dabei ist fest-
zustellen, dass die Akzeptanz in der Vergangenheit
durch die Dominanz der Amerikaner und der europäi-
schen Länder bei Unterrepräsentanz der Schwellenlän-
der und der ärmeren Länder beeinträchtigt war.

Alle diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten als
Gläubigerländer Erfahrungen mit dem Internationalen
Währungsfonds gemacht haben, haben eher eine nega-
tive Einstellung, sodass nach der Reform, die wir heute
beschließen wollen, weitere Veränderungen notwendig
sind, um die Akzeptanz zu erhöhen. Das heißt, es müsste
eine weitere Änderung in der Richtung erfolgen, dass
der Internationale Währungsfonds die wirtschaftliche
Kraft und die wirtschaftlichen Veränderungen im Ver-
hältnis der Länder zueinander anders widerspiegelt.

Zur Frage der Akzeptanz gehört auch, dass der Inter-
nationale Währungsfonds in den letzten Jahren Teil eines
Systems war, das nicht nur zur Krise des Finanzsystems
und der Realwirtschaft geführt hat. Die gegenwärtige Si-
tuation bedeutet so etwas wie eine Bankrotterklärung des
wirtschaftspolitischen Leitbildes, das auch der Interna-
tionale Währungsfonds gehabt hat. Insofern kommt es
auch darauf an, ihn mit einem anderen wirtschaftspoliti-
schen Leitbild auszustatten. Das wird ein ganz entschei-
dender Punkt sein.

Wenn wir weitere Veränderungen durchsetzen und
umsetzen wollen, werden wir über die europäische Über-
repräsentation in den Gremien des Internationalen Wäh-






(A) (C)



(B) (D)


Ortwin Runde
rungsfonds nachdenken müssen. Wenn man bedenkt, dass
8 der 24 Mitglieder des Entscheidungsgremiums europäi-
sche Länder sind, dann wird deutlich, dass hier ein Un-
gleichgewicht herrscht. Hier wird auf die Europäer die
Aufgabe zukommen, ihre Rolle neu zu definieren. Es
wird nicht nur darum gehen, die Dominanz der Amerika-
ner, die sie aufgrund ihres Vetorechts und ihrer Einfluss-
möglichkeiten haben, zu mindern. Auch die Europäer
werden ein Stück weit zurückstecken müssen, um den
Internationalen Währungsfonds zu einer Aufnahme zu
befähigen.

Was die künftige Finanzarchitektur und die Verände-
rung des Leitbildes angeht, finde ich, dass die Vor-
schläge und Vorstellungen, die Helmut Schmidt entwi-
ckelt hat und die auch in dem enthalten sind, was die
Bundesregierung in den Verhandlungen in Washington
eingebracht hat, tragfähig sind. Das bedeutet, dass wir
von der Idee einer marktradikalen Selbstregulierung
wegkommen müssen. Für die Finanzinstitutionen müs-
sen klare Regelungen gelten. Es wird darauf ankommen,
solche klaren Regelungen schnell umzusetzen. Helmut
Schmidt hat recht, wenn er sagt: Die Regierungschefs
der G 20, also der 20 wirtschaftlich stärksten Länder,
sind am ehesten in der Lage, zu entsprechenden Über-
einkommen zu gelangen.


(Beifall bei der SPD)


Er skizziert zudem kurz, wie die Spielregeln in Zukunft
aussehen müssen. Alle privaten Finanzinstitute und alle
marktgängigen Finanzinstrumente sollen demnach der-
selben Banken- und Finanzaufsicht unterstellt werden.
Für alle sollen also geregelte Bereiche gelten. Dies ist
ein wichtiger und zentraler Punkt.

Darüber, dass eine entsprechende Eigenkapitalunter-
legung vorgesehen ist, herrscht, glaube ich, in allen un-
seren Diskussionen Einvernehmen. Darüber, dass Ge-
schäfte außerhalb der Bilanz und der Gewinn- und
Verlustrechnung verboten und unter Strafe gestellt wer-
den sollen, haben wir schon verschiedentlich diskutiert.
Laut Helmut Schmidt sollen Instrumente wie Short-Sel-
ling, also Leerverkäufe, untersagt werden – auch das
halte ich für einen wichtigen Punkt –, weil diese system-
destabilisierend wirken. Ein weiterer entscheidender
Punkt ist, dass Finanzeinlagen und Finanzkredite zu-
gunsten solcher Unternehmen und Personen verboten
werden sollen, die in Steuer- und Aufsichtsoasen recht-
lich registriert sind. Die Schließung der Steueroasen
wird ein entscheidender Punkt sein, wenn man später zu
einem klar geregelten Bereich kommen will. Wir haben
dann neben dem IWF die G-20-Länder und das Financial
Stability Forum als Institutionen einer künftigen Fi-
nanzarchitektur.

Helmut Schmidt äußerte einige Zweifel, ob mit den
Amerikanern und Engländern ein entsprechendes Regel-
werk durchgesetzt werden kann. Wenn ich mir den Be-
richt, den Paul Volcker, ein enger Berater von Barack
Obama, als ehemaliger Finanzminister für die Gruppe
der 30 vorgelegt hat, ansehe, dann bin ich etwas hoff-
nungsvoller gestimmt als noch vor kurzer Zeit, dass es
gelingen wird, gemeinsam mit den großen Ländern in-
nerhalb der G 20 zu Regeln für die Finanzmärkte und
damit zu einer Bewältigung der Krisen, vor denen wir
stehen, zu kommen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620013600

Das Wort hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig Thiele

von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1620013700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Auch ich hoffe, dass sich mit der ameri-
kanischen Präsidentschaft Verbesserungen vollziehen
und wir zu weiteren Reformen im IWF kommen. Ich
glaube, insofern können wir gemeinsam sagen, dass wir
alle Hoffnung haben, dass Amerika eine führende Rolle
spielen wird. Die ersten Zeichen der neuen amerikani-
schen Regierung sind gut, und man sollte sie an dieser
Stelle entsprechend nutzen.

Der vorliegende Gesetzentwurf zielt darauf ab, die
Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die vom Gouver-
neursrat des IWF im Frühjahr 2008 beschlossenen Än-
derungen des IWF-Übereinkommens ratifiziert werden.
Hier möchte ich gleich für die FDP erklären: Wir stim-
men diesem Gesetzentwurf zu.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die vorgesehenen Änderungen des IWF-Übereinkom-
mens bringen die langjährige Diskussion über eine Re-
form der Quoten und Stimmrechte zu einem vorläufigen
Abschluss, vorläufig deshalb, weil die Diskussion über
weitere Reformen schon läuft. Aber wer weiß, dass hier
185 Staaten beteiligt sind, und wer weiß, wie sich die
Meinungsbildung in einer Großen Koalition oder in ei-
ner Koalition überhaupt vollzieht, der muss schon da-
rüber erfreut sein, dass überhaupt Einigkeit erzielt
wurde. Ich hoffe, dass dies angesichts der Dramatik der
Finanzkrise zukünftig etwas flotter passieren wird und in
die Dinge schneller weitere Bewegung kommt.


(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Entscheidend vorangebracht wurde die Reform da-
mals auf der IWF-Sitzung in Singapur im September
2006. Mehrere Mitglieder dieses Hauses haben an den
Diskussionen teilgenommen. Dort verständigte man sich
auf eine Quotenerhöhung zugunsten der bisher stark un-
terrepräsentierten Länder China, Brasilien, Korea, Me-
xiko und Türkei, auf eine Erhöhung der Basisstimmen
eines jeden Mitgliedstaates und auf eine Anpassung und
Überprüfung der Quotenformel. Nach den jetzt zur Dis-
kussion stehenden Änderungen werden die IWF-Quoten
und damit auch die Stimmrechte deutlich zugunsten der
hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft zurzeit noch unterre-
präsentierten Länder angehoben. Profiteure der Quote-
nerhöhung sind die aufstrebenden Volkswirtschaften,
insbesondere Korea – für Korea erhöht sich die Quote
um 106 Prozent –, China – die Erhöhung beträgt 50 Pro-
zent – und Brasilien, dessen Quote sich um 40 Prozent
erhöht. Damit wird dem stark gewachsenen Gewicht der






(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
Schwellenländer in der Weltwirtschaft Rechnung getra-
gen. Die Quoten- und Stimmrechtsverteilung wird damit
gerechter. Die Akzeptanz des Fonds in den Mitgliedslän-
dern wird dadurch erhöht. Damit verbunden ist aber
auch eine erhöhte Verantwortung der nunmehr besserge-
stellten Staaten für die Stabilität der internationalen
Währungs- und Finanzsysteme. Erreicht werden konnte
die Reform der Quoten und Stimmrechte nur deshalb,
weil insbesondere Deutschland, aber auch andere Mit-
gliedsländer des IWF auf einen Teil der ihnen rechne-
risch zustehenden Quoten verzichtet haben.

Auch die vorgesehene weitere Reform der Finanzaus-
stattung des IWF verdient Unterstützung. Bisher erzielt
der IWF den größten Teil seiner Einnahmen aus der Kre-
ditvergabe. Die vor der Finanzkrise stark rückläufige
Vergabe von Krediten und die frühzeitige Rückzahlung
von Krediten früherer Krisenländer hatten erhebliche
Einnahmeeinbußen des IWF zur Folge. Dagegen ist
während der Finanzkrise in Asien Ende der 90er-Jahre
und in der gegenwärtigen Finanzmarktkrise das Kredit-
volumen mit den daraus resultierenden Einnahmen ge-
stiegen. Das ist eigentlich eine unglückliche Konstruk-
tion;


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Paradox!)


denn die primäre Aufgabe des IWF besteht gerade in der
Stärkung der Finanzstabilität, damit IWF-Kredite erst
gar nicht notwendig werden. Durchaus vorstellbare Kon-
fliktsituationen, in denen der IWF aus finanziellem Ei-
gennutzen an einer Kreditvergabe an Mitgliedstaaten in-
teressiert sein könnte, sollten aus unserer Sicht so weit
wie möglich vermieden werden.


(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


Der IWF muss seinen Auftrag auch in Nichtkrisenzeiten
mit geringer Kreditvergabe effektiv wahrnehmen kön-
nen. Die Abhängigkeit des Fonds von der Kreditvergabe
muss deshalb aus unserer Sicht verringert werden.

Künftig wird es im internationalen Finanzsystem
oder, moderner ausgedrückt, in der internationalen Fi-
nanzarchitektur zu einem Bedeutungszuwachs beim
IWF kommen, auch wenn der Fonds – wie auch die an-
deren internationalen und nationalen Einrichtungen –
nicht rechtzeitig und vor allem nicht in der gebührenden
Form auf die Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrise
aufmerksam gemacht hat. Der IWF hat zwar im Vorfeld
der Krise vor möglichen Risiken an den Finanzmärkten
gewarnt, diese Warnung jedoch zu allgemein gehalten
und somit keine nennenswerten Reaktionen ausgelöst.
Dies sollte die Rolle des IWF bei der Sicherung der Fi-
nanzmarktstabilität im Grundsatz jedoch nicht infrage
stellen. Die Krise sollte vielmehr Anlass dazu sein, die
Fähigkeiten des Fonds zur Krisenprävention zu stärken.
Aufgrund der Mitgliedschaft von weltweit 185 Staaten,
seines breiten personellen Unterbaus und seiner Erfah-
rung in makroökonomischen Analysen scheint der IWF
jedenfalls zur Sicherung der Finanzstabilität geeignet zu
sein.

Die G 20 haben den IWF bereits beauftragt, eine füh-
rende Rolle bei der Erarbeitung der Lehren aus der Krise
zu übernehmen. Dabei soll der Fonds mit anderen Institu-
tionen wie dem Forum für Finanzstabilität kooperieren.
Die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Überwachung
der Mitgliedstaaten, vor allem aber des Finanzsektors,
scheint beim IWF gleichfalls gut aufgehoben. Hier ist
die Zusage aller G-20-Staaten ermutigend, ihre Finanz-
sektoren einer Gesundheitsprüfung zu unterziehen. Dazu
gehört vor allem die Überprüfung der nationalen Auf-
sichtssysteme und -behörden, die in Deutschland bereits
2003 stattgefunden hat, aber – überraschend ist das nicht –
in den Vereinigten Staaten und China bisher noch aus-
steht.

Die von den G 20 geforderte Stärkung der Frühwarn-
kapazitäten wird eine zentrale Aufgabe des IWF und des
Forums für Finanzstabilität sein. Eine Garantie gegen
künftige Finanzkrisen können jedoch auch der Fonds
und das Forum nicht geben. Jede Krise hat ihre eigene
Ursache, und die Globalisierung macht die Finanz-
märkte immer komplexer.

Ein verbessertes Frühwarnsystem steigert jedoch die
Chancen zur Erkennung systemischer Risiken. Wenn
diese Risiken erkannt sind, ist das entschlossene Han-
deln der Verantwortlichen in den Aufsichtsbehörden,
Notenbanken und Regierungen entscheidend. Insofern
ist es gut, dass wir einheitlich dazu beitragen, die Fi-
nanzkrise zu bekämpfen, die Ursachen zu analysieren
und hier zu Einigungen zu kommen. Wichtig ist an die-
ser Stelle: Wir brauchen ein Frühwarnsystem mit klaren
Regeln und Aufsichtsbehörden, die sich nicht nur um
Details bei den Kreditinstituten kümmern, sondern den
systemischen Risiken nachgehen, damit diese frühzeitig
erkannt werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620013800

Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1620013900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege

Runde hat schon darauf hingewiesen, dass es wohl kaum
einen dramatischeren Zeitpunkt geben könnte, um über
den Internationalen Währungsfonds zu debattieren. Die
schwerste Finanzkrise seit 1929 hält die Welt in Atem.
Die Defizite im internationalen Finanzsystem liegen of-
fen zutage. Es hat sich gezeigt, wie unzureichend die Re-
gulierung und Beaufsichtigung in Teilbereichen der Fi-
nanzmärkte ist.

Krisen bieten aber immer auch Chancen. Weltweit
wird zurzeit die Frage diskutiert, wie derartige Krisen
künftig vermieden oder abgeschwächt werden können.
Allenthalben ist von einer neuen internationalen Fi-
nanzarchitektur die Rede. Im Zentrum aller Reformüber-
legungen steht dabei auch der Internationale Währungs-
fonds. Unsere Debatte darf sich deshalb nicht nur auf die
jetzt beschlossenen Reformschritte beschränken; denn es
liegt auf der Hand, dass wir damit erst am Anfang einer
weitreichenden Neubestimmung der Aufgaben und
Strukturen des IWF stehen.






(A) (C)



(B) (D)


Leo Dautzenberg
Zunächst jedoch zum vorliegenden Gesetzentwurf.
Als der Gouverneursrat des Internationalen Währungs-
fonds im letzten Jahr den Änderungen des IWF-Überein-
kommens zugestimmt hat, ging damit – wie bereits von
mehreren Rednern betont – eine zweijährige intensive
Verhandlungsrunde zu Ende. Im Ergebnis sind insbeson-
dere zwei wichtige Teilaspekte als Änderungen vorgese-
hen:

Erstens wird durch eine Quoten- und Stimmrechtsre-
form das intransparente Nebeneinander mehrerer Quo-
tenformeln durch eine einheitliche Berechnungsgrund-
lage ersetzt. Zudem wird das wirtschaftliche Gewicht
der Schwellenländer, die in den letzten Jahren dyna-
misch gewachsen sind, angemessen berücksichtigt. Im
Gegenzug hat Deutschland beispielsweise auf einen klei-
nen Teil seines Stimmrechts verzichtet. Das ist meiner
Meinung nach ein notwendiger Schritt in die richtige
Richtung.

Zweitens wird durch eine Reform des Einkommens-
systems die Finanzierung des IWF zukünftig unabhängi-
ger von seiner Kreditvergabe. Denn aufgrund der
positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwel-
lenländern ist die Kreditvergabe des Fonds in den letzten
Jahren stark zurückgegangen und hat damit die Finanzie-
rungsbasis des Fonds verschlechtert. Wir wollen nicht
hoffen, dass die Krisen wiederum so stark werden und
die Kreditvergabe auch an europäische Staaten so groß
wird, dass er darüber seine Einnahmesituation verbes-
sern kann.

Um den IWF auch zukünftig auf eine solide finan-
zielle Basis zu stellen, soll ein Teil seiner Goldreserven
verkauft und das Geld auf einem Investitionskonto ge-
winnbringend angelegt werden. Damit wird der Fonds
endlich aus der paradoxen Situation befreit, finanziell
auf Krisen angewiesen zu sein, um seiner eigentlichen
Aufgabe – Krisenprävention und -verhinderung – besser
nachkommen zu können.

Es bleibt festzuhalten: Die Neuordnung der Quoten
und Stimmrechte und das neue nachhaltige Finanzie-
rungsmodell haben die Reform des Internationalen Wäh-
rungsfonds ein gutes Stück vorangebracht.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Damit ist die Reform des IWF allerdings nicht abge-
schlossen. Während wir heute über die Umsetzung der
IWF-Reformen des vergangenen Jahres entscheiden, ist
die Diskussion über die zukünftige Rolle des IWF in ei-
ner neuen internationalen Finanzarchitektur in vollem
Gange.

In der Tat scheint das einzig Gute der Finanzkrise da-
rin zu liegen, dass in der Politik – jetzt auch in den an-
gelsächsischen Ländern – eine weit größere Akzeptanz
für regulatorische Maßnahmen zur Krisenprävention
herrscht, ein Vorhaben, das die Bundesregierung bereits
zu Zeiten des deutschen G-8-Vorsitzes auf den Weg ge-
bracht hat.

Es macht Mut, dass sich die G-20-Staaten auf dem Fi-
nanzgipfel in Washington dazu verpflichtet haben, die
Bretton-Woods-Institutionen zu reformieren. Jetzt geht
es um die Frage, wie diese Vorgabe der G 20 umgesetzt
werden kann.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Welche Aufgaben soll der Internationale Währungsfonds
in Zukunft übernehmen? Welche Strukturreformen sind
nötig, damit der IWF seine neuen Aufgaben auch effek-
tiv erfüllen kann? Auf diese Fragen muss eine schnelle
Antwort gefunden werden; denn das Zeitfenster für eine
umfassende Neuordnung der Finanzmärkte ist leider
möglicherweise nur so lange offen, wie die Krise andau-
ert. Das gilt insbesondere für den amerikanisch domi-
nierten Einfluss auf den IWF.

Meine Damen und Herren, die Kernaufgabe des Inter-
nationalen Währungsfonds besteht in der Vermeidung
von Krisen. In der Vergangenheit ist dies dem Fonds al-
lerdings regelmäßig nicht gelungen, ob in der Asien-
Krise oder im Vorfeld der heutigen Krise. Zu erwarten
ist also vor allem, dass die Krisenprävention des IWF
treffsicherer wird.

Das zentrale Instrument zur Erreichung dieses Ziels
ist – der Kollege Runde hat es schon erwähnt – die soge-
nannte Surveillance. Surveillance meint in diesem Zu-
sammenhang erstens die wirtschaftspolitische Über-
wachung der Mitgliedstaaten und zweitens die
Überwachung der nationalen Aufseher. Diese Aufgabe
übt der IWF unter anderem durch seine Finanzsektorbe-
wertungsprogramme bereits aus. Das muss weiter ausge-
baut werden. Wir begrüßen daher die Zusage aller G-20-
Länder, an diesem Programm teilzunehmen. Ehe diese
Aufgabe erfüllt werden kann, muss klar sein, dass die
Länder daran teilnehmen. Gerade die USA waren bisher
nicht bereit, diese Aufsicht, die Surveillance, mitzutra-
gen.

Weitere Verbesserungen der Surveillance, insbeson-
dere durch eine noch stärkere Ausrichtung der Analyse
auf die Wechselwirkungen zwischen Finanzsektor und
realwirtschaftlicher Entwicklung, sind jedoch weiterhin
erforderlich. Weitergehende Vorschläge, den IWF als ei-
nen globalen Finanzaufseher über weltweit operierende
Finanzinstitute auszubauen, betrachte ich durchaus noch
kritisch. Die fachlichen Kompetenzen des IWF liegen
auf der makroökonomischen Ebene. Diese sollten weiter
ausgebaut werden.

Im Allgemeinen ist die Regulierung und die Durch-
setzung von Regulierung Aufgabe des Financial Stabi-
lity Forum. Alle drei Bereiche – IWF, Finanzstabilitäts-
forum und nationale Aufsichtsbehörden – müssen zur
Bewältigung dieser Aufgabe stärker zusammenarbeiten.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns über die
jetzt vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen hinaus
weiterhin über die Bundesregierung für die Reform des
IWF im Sinne der genannten Zielsetzungen einsetzen so-
wie unsere Aufgaben im Financial Stability Forum
wahrnehmen, werden wir damit wichtige Grundlagen für
eine zukünftige internationale Finanzarchitektur legen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620014000

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Axel Troost von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620014100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

vorliegende Gesetz erweckt unter den derzeitigen Bedin-
gungen einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise
schon einen eigentümlichen Eindruck. Wie keine andere
internationale Institution steht der IWF für das neolibe-
rale Leitbild freier Kapital- und Gütermärkte.


(Beifall bei der LINKEN)


Insbesondere steht er dafür, dass eine globale Institution
von wenigen wirtschaftlich mächtigen Ländern, vor al-
lem der G-7-Gruppe, beherrscht wird. Er wurde und
wird eingesetzt, verschuldeten Entwicklungs- und
Schwellenländern von außen eine Politik aufzuzwingen,
die diesen Ländern in der Regel wenig oder nichts ge-
bracht hat, in vielen Einzelfällen sogar dramatischen
Schaden angerichtet hat.


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: So ist es!)


Als Beispiele sei hier nur auf die katastrophalen Folgen
seiner Strukturanpassungsprogramme und auf das totale
Versagen bei der Finanzkrise in Südostasien Ende der
90er-Jahre verwiesen.

Es gibt also gute Gründe dafür, dass der IWF in fast
allen Ländern des Südens das Image eines imperialen
Einpeitschers genießt.


(Beifall bei der LINKEN)


Allen voran wird er als verlängerter Arm der USA wahr-
genommen; aber auch Japan und Deutschland als die
zweit- und drittgrößten Mächte im IWF werden zu Recht
für diese Politik mit verantwortlich gemacht.

Das vorliegende Gesetz stellt vor diesem Hinter-
grund, zynisch gesagt, eine kleine Neujustierung zweier
konkurrierender Prinzipien im IWF dar, nämlich einer-
seits des Demokratieprinzips der UNO und andererseits
des Prinzips des neokolonialen Feudalismus.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Also liberal nicht!)


Ein gewisser Grundbetrag der Stimmrechte im IWF wird
nach dem Demokratieprinzip vergeben – je Land eine
Stimme –, der Rest wird nach wirtschaftlicher Macht
vergeben. Das vorliegende Gesetz erhöht nun den demo-
kratischen Grundbetrag von unerträglichen 2 Prozent auf
nicht weniger beschämende 5,5 Prozent. Anders ausge-
drückt: Im IWF soll in Zukunft 3,5 Prozent weniger Feu-
dalismus drin sein: statt früher 98 Prozent nun nur noch
gut 94 Prozent.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch ein Wort zum Rückgang der deutschen Anteile:
Hatten bislang die G-7-Länder knapp 44,6 Prozent der
Stimmanteile, werden sie künftig 44,5 Prozent der
Stimmanteile haben. Das ist sozusagen die Reform.

(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Ein Fortschritt!)


Natürlich könnte man sagen, das sei ein Schritt in die
richtige Richtung. 3 Prozent weniger Diktatur sind ein
Schritt in die richtige Richtung; aber 3 Prozent weniger
Diktatur sind trotzdem kein Grund, sich für dieses Ge-
setz starkzumachen. Nicht nur aus diesem Grund lehnen
wir das Gesetz ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein anderer Kritikpunkt betrifft den zweiten Teil des
Gesetzentwurfes. Aufgrund seines zu Recht schlechten
Rufes haben es die Entwicklungs- und Schwellenländer
mit allen Mitteln vermieden, mit dem IWF Geschäfte zu
machen. Dies trifft gerade auf die großen Schwellenlän-
der in Asien, aber auch in Lateinamerika zu. Dies hat
– das haben wir schon gehört – zu entsprechenden Einnah-
meausfällen geführt. Diese müssen nun sozusagen ausge-
glichen werden, indem zugelassen wird, dass das Vermö-
gen des IWF auch anderweitig angelegt werden kann.

Diese Bestandssicherung des IWF liegt aus unserer
Sicht aber überhaupt nicht im Interesse der Menschen
mit einem Anspruch an globale Gerechtigkeit und glo-
bale Demokratisierung. Die Linke ist keineswegs ein
Gegner multilateraler Finanzinstitutionen. Ganz im Ge-
genteil: Für die Bewältigung der aktuellen Krise wäre
uns nichts lieber als ein funktionsfähiges globales, multi-
laterales Institutionengefüge. Der IWF ist in dieser Form
aber eben keine multilaterale demokratische Finanzinsti-
tution, sondern eine Feudalinstitution.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Finanzierungsproblem des IWF hätte eine
Chance geboten, ihn hinreichend zu schwächen, um end-
lich den Weg für einen wirklichen Neuanfang zu nutzen.
Dies ist leider nicht passiert, im Gegenteil. Die nicht
ganz unschuldigen Finanzkrisenopfer Pakistan, Ungarn,
Lettland, Island und die Ukraine müssen für ihre Ret-
tungskredite hohe Zinsen zahlen. Damit gibt es jetzt wie-
der neue Finanzierungsmöglichkeiten. Das bedeutet,
dass die Reformfenster, die hier eben angedeutet worden
sind, letztlich nicht genutzt werden können.

Insofern sagt die Linke als einzige Fraktion in diesem
Parlament Nein zu diesem Gesetz. Anders ausgedrückt:
Der IWF braucht nicht 3 Prozent weniger Feudalismus,
sondern der größte Teil der Welt braucht 100 Prozent
weniger von diesem IWF.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620014200

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick

von Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-
gentlich sollte man inmitten der Finanzkrise mit etwas
mehr Verve und auch mit mehr Beteiligung dabei sein,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
wenn es um den zentralen Akteur geht, auf dem bezüg-
lich einer Neubegründung des Weltfinanzsystems viele
Hoffnungen ruhen. Meines Erachtens wäre das notwen-
dig.

Der Grund für diese fehlende Verve liegt darin – es ist
schon erwähnt worden –, dass wir jetzt einen aus der
heutigen Perspektive gesehen kleinen Baustein vor uns
liegen haben, für den man sehr lange gebraucht hat. In
Zukunft muss es genau umgekehrt funktionieren: Man
muss in einem kurzen Zeitraum etwas sehr Großes ver-
ändern. Deswegen lohnt es sich auch, stärker in diese
Richtung und weniger auf die Details der Quotenverän-
derung zu schauen, wenn wir heute miteinander über den
Internationalen Währungsfonds diskutieren.


(Beifall des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Über diese Quotenveränderung stimmen wir gleich
ab. Ich finde, dass sie in die richtige Richtung geht; denn
sie führt zu einer Stärkung der Entwicklungsländer, ge-
rade der kleinsten und ärmsten Länder. Weil wir das für
den richtigen Weg halten, werden wir zustimmen.

Zwei zentrale Probleme des Internationalen Wäh-
rungsfonds machen deutlich, dass etwas noch nicht
stimmt. Das erste Problem sind die USA, die sich dem
Kapitel Surveillance bisher verweigert haben und ihr Fi-
nanzsystem nicht in dieser Form überprüfen lassen wol-
len. Dies ist vielleicht einer der Gründe, warum wir
heute eine internationale Finanzkrise dieses Ausmaßes
haben. Der Internationale Währungsfonds oder eine an-
dere Institution wird die Aufgabe der Surveillance natür-
lich nur dann erfüllen können, wenn auch die USA bereit
sind, sich überprüfen zu lassen, anstatt eine Sonderrolle
zu spielen. Bei den internationalen Verhandlungen wird
das ein zentraler Knackpunkt sein, an dem man die neue
Administration in den USA wird messen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU])


Das zweite Problem des Internationalen Währungs-
fonds ist, dass er bei den Entwicklungs- und Schwellen-
ländern das Vertrauen völlig eingebüßt hat. Durch viele
falsche Empfehlungen – die ja nicht nur Empfehlungen
waren, sondern deren Umsetzung erzwungen wurde – ist
in großen Teilen der Welt keine Legitimation mehr vor-
handen. Daran wird auch die jetzt vorgesehene Quo-
tenänderung nichts korrigieren können.

Aber es besteht nicht nur ein Legitimationsproblem.
Darüber hinaus haben viele Staaten versucht, sich durch
sehr große Währungsreserven abzuschotten. Sie haben
das Ziel verfolgt, eine eigene Versicherung aufzubauen,
weil sie die Versicherung IWF nicht mehr für tragfähig
und plausibel gehalten haben. Auch diese internationa-
len Ungleichgewichte sind eine Basis der heutigen
Krise. Deswegen wird es darum gehen, zentrale Verän-
derungen vorzunehmen. Sie werden durchaus den Kern
des Internationalen Währungsfonds betreffen. Mehr
noch als die jetzige Stimmrechtskorrektur ist selbstver-
ständlich eine wirkliche Demokratisierung notwendig.
Einen weiteren Aspekt müssen wir ebenfalls ganz
klar sehen und der Bundesregierung noch einmal als Auf-
trag mitgeben – auch wenn wir wissen, dass darüber dis-
kutiert wird, kann man es nicht stark genug betonen –: Die
Institution selbst muss deutlich anders aufgestellt wer-
den. In der Anhörung wurde nachdrücklich herausge-
stellt, dass die makroökonomische Perspektive auf die
weltwirtschaftlichen Entwicklungen einerseits und der
mikroökonomische Blick auf den Finanzsektor anderer-
seits bislang völlig auseinanderfallen, sodass die Ursa-
chen, die zu der jetzigen Krise geführt haben, auch in der
Analyse des Internationalen Währungsfonds nicht wirk-
lich ausgemacht werden konnten. Es wird also tatsäch-
lich um die Management- und Organisationsstruktur,
aber ebenso um die ausreichenden und richtigen perso-
nellen Ressourcen gehen. Gerade angesichts der neuen
Finanzmarktentwicklungen sollten die Mittel für den
Fonds auch in dieser Hinsicht aufgestockt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Langfristig gehen unsere Überlegungen zur interna-
tionalen Finanzarchitektur allerdings über den Inter-
nationalen Währungsfonds hinaus. Sie bedarf einer
neuen Organisationsform – auch die Kanzlerin hat diesen
Gedanken aufgegriffen – im Rahmen der Vereinten Natio-
nen in Form eines Wirtschaftsrats, die demokratisch le-
gitimiert ist und die sich vor allem mit anderen Fragen,
mit ökologischen und sozialen Standards, verknüpft,
über die international diskutiert wird.

Das ist nichts, was heute auf dem Tisch liegt; aber ich
halte es für wichtig, dass wir beim Thema „internatio-
nale Finanzarchitektur“ nicht zu kurz springen und nicht
auf dem heutigen Stand der Diskussion bleiben, sondern
uns tatsächlich überlegen, wie wir zu einer Struktur
kommen, die solche Krisen, wie wir sie jetzt erleben,
weniger leicht möglich macht, und die in der Krise eine
glaubwürdige Versicherung ist, um Ländern zu helfen,
die in Probleme geraten. Wir hoffen, dass es internatio-
nal in diese Richtung weitergeht. Auch da bestehen
große Erwartungen; denn das Ziel, das beim G-20-Fi-
nanztreffen in Washington formuliert wurde, muss die
Richtschnur für das internationale Finanzsystem sein:
Kein Land, kein Institut und kein Produkt dürfen außer-
halb von Aufsicht sein. Das ist noch längst nicht erreicht,
aber dorthin muss der Weg führen, und in diese Richtung
müssen wir weiterarbeiten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620014300

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Otto Bernhardt von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1620014400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die 185 Mitgliedstaaten des Internationalen






(A) (C)



(B) (D)


Otto Bernhardt
Währungsfonds haben sich in einem zweijährigen Pro-
zess auf zwei kleine Veränderungen geeinigt.


(Heiterkeit bei der SPD)


Beide sind sinnvoll und notwendig; insofern ist dies si-
cherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ich
verhehle nicht, dass ich natürlich für diejenigen Ver-
ständnis habe, die monieren, dass in einem zweijährigen
Prozess lediglich so geringe Veränderungen erreicht
wurden. Dennoch ist klar, dass wir dem zustimmen. Der
Kollege Runde hat recht: Es ist im Grunde genommen
wie bei einem Staatsvertrag. Wir können Ja oder Nein
sagen. Der Gedanke, wir blockierten diese Schritte, wäre
selbstverständlich unverantwortlich.

Der Internationale Währungsfonds hat in der Welt ein
Imageproblem; das muss man konstatieren. Dieser
Fonds ist – ich sage es einmal vereinfacht – ein bisschen
europa- und amerikalastig, zumindest im Ansehen,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ein bisschen, nur ein bisschen!)


und die Entwicklungs- und die Schwellenländer stehen
dem Unternehmen distanziert gegenüber.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Wohl wahr!)


Natürlich wird das Ansehen des Internationalen Wäh-
rungsfonds aufgrund der Veränderungen bei den Quoten
und im Stimmrecht der Entwicklungs- und Schwellen-
länder, vorsichtig gesagt, nur geringfügig steigen.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Ich sage das deshalb mit allem Ernst, weil wir uns vor
dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise selbst-
verständlich einig sind, dass wir mehr Kompetenzen auf
internationale Behörden übertragen müssen. Wir sind
uns alle einig, dass wir mehr Transparenz und mehr Re-
glementierung brauchen und dass nationale Einrichtun-
gen nicht ausreichen.

Als wir uns im Anhörverfahren mit der Frage be-
schäftigten, ob zum Beispiel der Internationale Wäh-
rungsfonds neue Funktionen übernehmen könne – mir
persönlich geht es vor allem um eine Aufsicht für die in-
ternational tätigen Banken –, vermittelte sich mir folgen-
der Eindruck: Mit einer Institution, die zwei Jahre benö-
tigt, um diese kleinen Schritte zu unternehmen, werden
wir die erforderlichen grundlegenden Veränderungen
kaum hinbekommen. In diese Überlegungen will ich die
Weltbank nicht einbeziehen, die bestimmte Funktionen
sicherlich übernehmen könnte, andere aber nicht.

Es gäbe natürlich einen dritten Weg. Die Frage ist – ich
habe sie in der Anhörung gestellt –: Müssen wir vor dem
Hintergrund der neuen Aufgaben eine neue Institution
schaffen? Persönlich bin ich zu dem Ergebnis gekom-
men: Wir haben zurzeit leider keine Zeit, um eine neue
Institution aufzubauen. Da schließt sich der Kreis: Wir
müssen im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten
alles tun, damit der Internationale Währungsfonds und
die Weltbank gestärkt werden. Wir haben keine andere
Möglichkeit.
Die Frage, was der Internationale Währungsfonds
wirklich leisten kann, wird auch von Fachleuten sehr un-
terschiedlich beurteilt. Ich persönlich glaube, wir müs-
sen die vorhandenen Kapazitäten nutzen. Der Internatio-
nale Währungsfonds ist keine kleine Einrichtung. Diese
Einrichtung hat immerhin 2 700 Mitarbeiter. Der Ein-
fluss Deutschlands als einer von 185 Staaten – wir haben
sozusagen einen Anteil von 5 Prozent und gehören damit
schon zu den Großen – ist begrenzt. Das entscheidende
Problem aber ist, dass die USA und Europa alles blo-
ckieren können; denn um etwas durchsetzen zu können,
braucht man eine Mehrheit von 85 Prozent. Wenn ich
mich nicht verrechnet habe, können die USA auch nach
diesen kleinen Veränderungen noch immer allein alles
blockieren, und wenn sich drei europäische Länder einig
sind – Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepu-
blik Deutschland –, dann reicht auch das.

Abschließend sage ich deshalb: Wir sind froh, dass es
gelungen ist, einen kleinen Schritt in die richtige Rich-
tung zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass wir ei-
nen starken Internationalen Währungsfonds und eine
starke Weltbank benötigen. Ich verhehle nicht, dass wir
uns mehr hätten vorstellen können; aber Politik ist be-
kanntlich die Kunst des Möglichen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620014500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
den Änderungen des Übereinkommens über den Interna-
tionalen Währungsfonds. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/11664, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 16/10535 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen an-
genommen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 6 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Umsetzung der EU-Zentralasienstrategie

– Drucksachen 16/8951, 16/10712 –

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Sind Sie damit einverstanden? Gibt es Wider-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Marieluise Beck von
Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-
sere Fraktion hat diese Zentralasiendebatte auf die Ta-
gesordnung setzen lassen, weil es uns wichtig ist, diese
Region im Fokus zu behalten, auch wenn sich die Krisen
derzeit an anderen Orten abspielen und unsere Aufmerk-
samkeit ablenken.

Die Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
vor zwei Jahren haben wir begrüßt. Die EU hat ihre
Sichtbarkeit in der Region erhöht. Schwachstelle der
Zentralasienstrategie bleibt allerdings die Durchsetzung
von Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit. Ich
möchte hier durchaus konzedieren, dass wir alle wissen,
wie schwer es ist, die richtige Strategie im Umgang mit
autoritären und diktatorischen Regimes zu finden. Nicht
ohne Grund pendelt die Diplomatie zwischen „carrots
and sticks“, und es ist nicht immer ganz offensichtlich,
wo welches Instrument am effektivsten greift. In einem
allerdings bin ich mir sicher: Wer den usbekischen Ge-
heimdienstchef einlädt, der für Andischan verantwort-
lich ist, hat jeden politischen Kompass verloren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun ein paar Worte zur Energiepolitik. Leider ver-
folgt die EU bei der Energiepolitik einen überholten An-
satz, indem sie an alten Rezepten für fossile Energieträ-
ger festhält. Ihr Konzept konzentriert sich auf Gas- und
Ölpipelines. Das ist übrigens ein generelles Problem der
EU-Energieaußenpolitik. Neue Pipelines können zwar
unsere Bezugsquellen diversifizieren; es bleibt aber im-
mer eine gewisse Anfälligkeit für Konflikte bestehen.
Das haben uns im August 2008 der Georgien-Krieg und
zu Neujahr der Gasstreit eindrucksvoll vor Augen ge-
führt.

Deshalb ist es unklug, in Zentralasien zu viel auf
diese eine Karte zu setzen und andere wichtige Bereiche
zu vernachlässigen, zumal die EU bisher wenig erreicht
hat. Es gibt Zweifel, ob die Nabucco-Pipeline überhaupt
realisiert werden kann. Es gibt auch Zweifel, ob Turk-
menistan nicht bereits all seine Gasvorräte an andere
bzw. mehrmals verkauft hat.


(Zuruf von der FDP: Mehrmals! Dreifach!)


Hinzu kommt: Es ist in unserem Interesse, dass diese
Region nicht all die Fehler wiederholt, die wir als Indus-
trienationen mit der rücksichtslosen Verwendung von
Ressourcen begangen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Eine nachhaltige Energiepolitik der EU in Zentralasien
sollte daher stärker auf Energieeffizienz und erneuerbare
Energien setzen. Mit nachhaltigem Wirtschaften können
wir Zentralasien tatsächlich eine Alternative zu russi-
scher und chinesischer Energiepolitik bieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf diese Weise können wir die Staaten Zentralasiens
übrigens auch für den Kampf gegen den Klimawandel
gewinnen. Die Klimaerwärmung stellt zusammen mit
dem Kampf um das Wasser ein enormes Konfliktpoten-
zial in der Region dar. Die Klima- und die Wasserfrage
sind für die zentralasiatische Region wie siamesische
Zwillinge.

Jenseits des Dilemmas über die richtige Strategie im
Umgang mit autoritären Regimes sind wir uns in der
Analyse sicher einig: Die größten Entwicklungshemm-
nisse für die Region sind mangelnde Rechtsstaatlichkeit
und die besorgniserregende Menschenrechtslage. Ohne
Verbesserungen in diesen Bereichen wird es keine Stabi-
lität und Sicherheit in dieser Region geben. Die zentral-
asiatischen Staaten werden sich nicht entwickeln und die
Korruption nicht bekämpfen können, wenn sie nicht zu-
lassen, dass ihre Gesellschaften sich frei entfalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das ist die Botschaft, die wir zu übermitteln haben.
Für die Umsetzung einer solchen werteorientierten Poli-
tik brauchen wir als Partner dringend eine lebendige Zi-
vilgesellschaft. Deswegen muss die Zentralasienstrate-
gie die Stärkung der Bürgergesellschaft in ihrem
Programm deutlicher akzentuieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das bringt mich schließlich zu einem weiteren wichti-
gen Thema; es ist sozusagen das Dauerthema für die Au-
ßenpolitiker. Es gibt eine Hürde, auf die wir als Außen-
politiker, vor allem aber die betroffenen Menschen,
immer wieder treffen. Das ist die Visumpolitik. Alle zen-
tralasiatischen Staaten beklagen einstimmig die restrik-
tive Visumpolitik der EU. Das betrifft auch den Aus-
tausch von Wissenschaftlern und Studenten, die
Durchführung von Seminaren und Begegnungen, die es
eigentlich geben sollte. Wenn wir den gegenseitigen
Austausch und das Reisen erschweren, konterkarieren
wir unsere Bemühungen, eine Öffnung dieser Länder
herbeizuführen, und stellen unsere eigene Glaubwürdig-
keit infrage. Die aber brauchen wir dringend, wenn wir
als Vermittler von demokratischer und wirtschaftlicher
Entwicklung in dieser Region erfolgreich sein wollen.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620014600

Das Wort hat der Kollege Eduard Lintner von der

CDU/CSU-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1620014700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Frau Kollegin Beck, zunächst einmal
möchte ich der Fraktion der Grünen dafür danken, dass
sie uns mit ihrer Großen Anfrage die Möglichkeit eröff-
net, heute über dieses Thema im Plenum des Deutschen
Bundestages eine Debatte zu führen, und zwar auch des-
halb, weil ich bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen
kann, wie weitsichtig und vorsorgend die Bundesregie-
rung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
gehandelt hat, als sie am 22. Juni 2007 erstmals vom Rat
politische Leitlinien für ein wesentlich größeres Engage-
ment der EU in Zentralasien, die sogenannte EU-Zen-
tralasienstrategie, beschließen ließ.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Angesichts der schlechten Erfahrungen, die viele EU-
Mitgliedstaaten in der jüngsten Vergangenheit mit der
angeblichen Sicherheit der Versorgung vor allem mit
Gas aus Russland gemacht haben, ist es dringend not-
wendig und auch plausibel, immer wieder auf diese Leit-
linien zurückzukommen und sich dafür stark zu machen,
dass möglichst viele der dort zu findenden Vorschläge
möglichst schnell realisiert werden.

Die EU-Zentralasienstrategie beinhaltet eine Fülle
von Handlungsvorschlägen und Handlungsfeldern, von
denen viele noch nicht einmal annähernd umgesetzt wor-
den sind. Es gibt also viel zu tun. Ich kann die Bundesre-
gierung nur auffordern, weiterhin entschlossen zu han-
deln und die Dinge anzupacken.

Schon heute können wir erfreulicherweise feststellen,
dass wir Europäer und die EU als Institution in dieser
Region präsent, bekannt und ganz überwiegend auch ge-
schätzt sind. Das hilft uns natürlich bei der positiven Ge-
staltung unserer Beziehungen zu den dortigen Regierun-
gen genauso, wie es unseren Wirtschaftsvertretern Türen
für Geschäftsbeziehungen und Investitionen öffnet –
eine für die Schaffung guter, ausbaufähiger und nachhal-
tiger Beziehungen, wie ich meine, besonders geeignete
Methode.

Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine Einbahn-
straße handelt. Auch wir haben ein erhebliches Interesse
daran, die Beziehungen zu den südkaukasischen und
zentralasiatischen Ländern zügig auszubauen und inten-
siv zu nutzen. Das hängt natürlich damit zusammen –
Sie haben es angedeutet –, dass wir so die Möglichkeit
haben, unsere gefährliche Abhängigkeit von Russland,
was die Versorgung vor allem mit Gas angeht, zu redu-
zieren, und zwar mithilfe der bekannten und von Ihnen
erwähnten Nabucco-Pipeline. Auch wenn wir die Frage,
ob sie ausreichend mit Gas gefüllt werden kann, im Mo-
ment noch nicht beantworten können, steht fest: Das Gas
ist zumindest vorhanden. Es wird Aufgabe der Verhand-
lungen sein, dafür zu sorgen, dass das Gas in diese Pipe-
line gelangt.

Meine Damen und Herren, auch die Schaffung zu-
sätzlicher Verkehrsverbindungen von Europa über die
Türkei, den Südkaukasus und das Kaspische Meer nach
Zentralasien und noch weiter stellt für beide Seiten eine
überaus interessante Perspektive dar. Nicht zu vergessen
ist, dass ein wichtiger Strang zur Versorgung unserer
Bundeswehreinheiten in Afghanistan über diese Region
verläuft. Was die Bedeutung unserer Beziehungen zu
Zentralasien angeht, gibt es daher in diesem Hause – das
glaube ich feststellen zu können – kaum einen Dissens.

Auch in Ihrem Entschließungsantrag ist viel Gutes
und Richtiges zu lesen. Aber meines Erachtens sind die
Prioritäten da und dort falsch gesetzt. Deswegen kann
Ihr Antrag auch kein geeignetes Mittel sein, um die Be-
ziehungen zwischen der EU und den zentralasiatischen
Staaten auszubauen. So ist es beispielsweise sicherlich
richtig, die Förderung erneuerbarer Energien in Zentral-
asien zu fordern. Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt einen hö-
heren Stellenwert als den fossilen Energieträgern einzu-
räumen, hieße aber, den zweiten Schritt vor dem ersten
zu tun.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Frage ist, wie lange Sie noch warten wollen!)


Frau Kollegin Beck, das ändert nichts an der Erkenntnis,
dass erst durch die Verwertung der fossilen Energievor-
kommen in diesen Staaten genügend Wirtschaftskraft
und Kapital geschaffen wird, um in ausreichendem Maße
Geld in erneuerbare Energien investieren zu können. Im
Übrigen – ich hoffe, hier sind wir uns wieder einig –
könnte Europa durch den Import von relativ klima-
freundlichem Erdgas aus Zentralasien seine CO2-Bilanz
aufbessern.

Meine Damen und Herren, die energiepolitische Zu-
sammenarbeit muss in der EU-Zentralasienstrategie ei-
nen zentralen Platz einnehmen. Wichtiger und richtiger
wäre es, in einem Entschließungsantrag, wie er uns heute
vorliegt, auch die Frage der Anbindung Zentralasiens an
den europäischen Energiemarkt zu thematisieren und
sich beispielsweise für den Bau der Nabucco-Pipeline
einzusetzen, die in Ihrer Großen Anfrage noch einen
prominenten Platz eingenommen hat, in Ihren Ausfüh-
rungen aber etwas zu kurz gekommen ist und zu skep-
tisch beurteilt wurde.

Auch auf dem Gebiet der Menschenrechte stellen die
Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen
in ihrem Entschließungsantrag Forderungen auf, die auf
den ersten Blick gut und richtig erscheinen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auf den zweiten Blick auch!)


Sie übersehen aber leider all das, was bereits verwirk-
licht worden ist – und das ist einiges. Mit allen Staaten in
Zentralasien hat die EU bereits Menschenrechtsdialoge
aufgenommen; diese können natürlich nicht sofort und
durchschlagend etwas bewirken. Sie sind aber ein Zei-
chen dafür, dass wir uns nachhaltig für die Menschen-
rechte einsetzen. Wie Sie wissen, strebt ein Teil dieser
Staaten den Status des Beobachters beim Europarat an.
Das zeigt, dass sie sich mittelfristig an der Demokratie
als Staatsform orientieren wollen.

Eine Schwachstelle der EU-Zentralasienstrategie ist
zum Beispiel die Nichterwähnung der Brückenfunktion
der südkaukasischen Staaten. Diese Staaten müssen ein






(A) (C)



(B) (D)


Eduard Lintner
notwendiger Teil einer jeden Zentralasienstrategie sein.
Diese Staaten, die sich eindeutig zu Europa bekennen
und Teil unserer Werte- und Kulturgemeinschaft sind,
verfügen über althergebrachte Verbindungen in den zen-
tralasiatischen Raum. Sie sind schon aus geografischen
Gründen ein ideales Sprungbrett. Diese Regionen müs-
sen deshalb ein Teil der Strategie sein. Es wäre also sinn-
voll, unsere Zentralasienpolitik enger als bisher mit ih-
ren zu vernetzen.

Dieser Punkt bringt mich zu einer eher allgemeinen
Kritik. Die EU hat in den letzten Jahren mit der Mittel-
meerunion, der Östlichen Partnerschaft, der Zentral-
asienstrategie und anderen Instrumenten eine Vielzahl
von Institutionen geschaffen, um die Beziehungen zu
unseren Nachbarn besser zu gestalten. All diese Initiati-
ven sind für sich genommen durchaus richtig. Sie lassen
aber das notwendige Maß an Kohäsion und Koordina-
tion vielleicht doch vermissen. Eine engere Abstimmung
der verschiedenen Instrumente wäre daher geboten.
Aber auch dieser Punkt wird – wie so viele andere – in
Ihrem Antrag leider nicht angesprochen.

Zum Schluss ein zuversichtlicher Blick: Angesichts
der Dynamik der wirtschaftlichen und politischen Ent-
wicklung in dieser asiatischen Region und im Südkauka-
sus werden wir sicher noch öfter die Gelegenheit haben,
uns in diversen Gremien und im Plenum mit dieser The-
matik zu beschäftigen. Das kommt allen zugute: den Be-
ziehungen zwischen unseren Ländern, der Politik der
Bundesregierung, weil sie sich auf diese Weise einer
breiten Zustimmung im Parlament stets sicher sein kann,
und vor allem auch den Menschen, weil sie sich durch
unser stetes Interesse und unsere Unterstützung auf ih-
rem Weg in eine moderne demokratische Ordnung be-
gleitet und unterstützt fühlen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620014800

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Link von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1620014900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zentral-

asien ist für die EU zweifellos von strategischer Bedeu-
tung. Die Bedeutung dieser Region wird für Europa auch
in Zukunft weiter wachsen. Dabei geht es ausdrücklich
nicht nur um Energiefragen, sondern gerade auch um
Menschenrechts- und Sicherheitsfragen.

Das Thema Bundeswehr ist erwähnt worden. Das An-
gebot Tadschikistans, dass die Bundeswehr auch über
Land zusätzlich zu den bisherigen Transporten, die über
Usbekistan führen, Transporte durchführen kann, liegt
aktuell auf dem Tisch. Das ist ein Punkt, der im Hinblick
auf die Bedeutung Zentralasiens ins Auge sticht. Ein
weiterer Punkt ist die Wichtigkeit Zentralasiens bei der
wirksamen Bekämpfung des Drogenhandels.

Schließlich ist hier noch – Frau Beck, ich habe mich
ein wenig gewundert, dass in Ihrem ansonsten wirklich
sehr gelungenen Entschließungsantrag dieses Thema nur
am Rande gestreift wurde – die Bedeutung Zentralasiens
bei der Bekämpfung des militanten Islamismus zu nen-
nen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein heikles Thema!)


– Es ist ein heikles Thema, aber es ist außerordentlich
wichtig. Denn wir wissen, dass Zentralasien bei der aku-
ten Bekämpfung und vor allem bei der vorbeugenden
Bekämpfung eine ganz wichtige Rolle spielen wird.
Wieso? Weil in allen 15 zentralasiatischen Staaten – ich
will es einmal vornehm formulieren – Herrscher regie-
ren, die in unterschiedlichen Abstufungen des Autorita-
rismus eine militante Reaktion der Bevölkerung gera-
dezu provozieren.

Deshalb begrüßen wir als FDP, dass sich die Bundes-
regierung mit dem Ansinnen, eine gemeinsame Zentral-
asienstrategie zu schaffen, durchgesetzt hat. Die EU
braucht aus all den erwähnten Gründen einen gemeinsa-
men Ansatz für Zentralasien.

Wir von der FDP hätten uns – aber das ist vielleicht
zu weit vorausgedacht – eine offizielle gemeinsame
Strategie gewünscht. Es wäre schön gewesen, wenn in
dem Entschließungsantrag der Grünen eine offizielle
Gemeinsame Strategie nach Art. 13 Abs. 2 EU-Vertrag
gefordert worden wäre. Es wäre gut, wenn wir zu einer
solchen gemeinsamen Strategie kämen – schon damit die
Stetigkeit gewährleistet ist. Denn im Moment hängt dies
davon ab, inwieweit die jeweilige EU-Präsidentschaft
die Zentralasienstrategie vorantreibt. Wenn wir die
GASP wollen, müssen wir sie nach dem EU-Vertrag ge-
stalten. Das ist etwas, worauf wir drängen werden.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie wichtig das ist, sieht man daran, dass Kasachstan
2010 den OSZE-Vorsitz übernimmt. Die EU hat das un-
terstützt. Deshalb kommt die Zentralasienstrategie genau
richtig. Kasachstan ist ein zentralasiatischer Staat mit
enormem Potenzial. Dieses Potenzial, auch das politi-
sche Potenzial, ist bisher allenfalls ansatzweise entwi-
ckelt worden. Was Kasachstan im Hinblick auf Energie
zu bieten hat, ist bekannt. Was seine politischen Fähig-
keiten angeht, denke ich, dass Kasachstan ein Land ist,
das uns noch positiv überraschen kann. Es würde mich
freuen, wenn Kasachstan uns positiv überraschte. In die-
ser Woche hat es uns nämlich wieder negativ überrascht:
Gestern wurde ein Prozess gegen die Oppositionsführer
eröffnet – ein eminent politischer Prozess. In dieser Wo-
che ist der Korrespondent von Radio Free Europe in
Kasachstan ermordet worden – auch nicht gerade ein
Zeichen dafür, dass sich in Kasachstan eine Zivilgesell-
schaft entwickelt.

Unsere Forderungen an die Bundesregierung sind
klipp und klar: Sie soll bei der Umsetzung der Zentral-
asienstrategie darauf achten, dass Kasachstan die Zu-
sagen einhält, die es gegeben hat, damit wir es dabei un-
terstützen, dass es 2010 den OSZE-Vorsitz übernimmt.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist kein Selbstläufer!)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Link (Heilbronn)

– Das ist in der Tat kein Selbstläufer.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir dürfen den OSZE-Vorsitz nicht zu Markte tragen.
Kasachstan muss sich jetzt bewähren; das muss es leis-
ten. Das müssen wir im Auge behalten.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Zentralasienstrategie umfasst im Wesentlichen
drei Bereiche: Energie, politischer Dialog, Menschen-
rechte. Im Energiebereich wird vielleicht am deutlichs-
ten, was angestrebt wird. Aber wie die Bäume werden
auch die Pipelines nicht in den Himmel wachsen: Selbst
wenn es zu dem Gasdeal zwischen der EU und Turk-
menistan, der jetzt angedacht ist, kommen sollte, würde
das den Gasbedarf der EU nur um 2 Prozent entlasten.
Das zeigt, dass noch viel erreicht werden muss.

Beim politischen Dialog mit Zentralasien ist vieles er-
reicht worden. Es wäre zu wünschen, dass zwischen den
Partnern stärker differenziert wird.

Usbekistan – damit bin ich beim dritten Bereich: bei
den Menschenrechten – ist der Partner, bei dem bisher
wahrscheinlich am meisten erreicht wurde. Vielleicht
kommt daher der interessante Schwenk, den Islam
Karimow, der usbekische Präsident, letzte Woche ge-
macht hat. Er ist aus der – in Klammern: von Russland
gesponserten – Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft
ausgetreten und hat sich wieder stärker der EU zuge-
wandt. Islam Karimow ist bisher für jeden Zickzackkurs
gut gewesen. Somit bleibt abzuwarten, wie sich die
Dinge entwickeln. Das sollten wir beobachten. Vor allem
sollten wir darauf achten, wie es um die Achtung der
Menschenrechte steht.

Frau Beck, Sie haben völlig recht: Die Vorfälle in An-
dischan dürfen wir nicht vergessen. Andischan ist ein
Fanal, das sich unter den gegenwärtigen Zuständen in
Usbekistan leider wiederholen könnte. Wir müssen ein
Zeichen setzen, dass das unter Menschenrechtsaspekten
nicht akzeptabel ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Die FDP un-
terstützt die Zentralasienstrategie. Die Grünen haben ei-
nen guten Entschließungsantrag eingebracht. Wir wer-
den diesem Antrag zustimmen. Wir würden uns
wünschen, dass die Zentralasienstrategie Teil der offi-
ziellen GASP der EU wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620015000

Das Wort hat jetzt die Kollegin Hedi Wegener von der

SPD-Fraktion.

Hedi Wegener (SPD):
Rede ID: ID1620015100

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Exzellenzen!

Strastwuitje! Herzlich willkommen in diesem Hohen
Hause! Es geht um Ihre Länder.

Liebe Zuschauer, wenn wir jetzt einen Test schreiben
würden, in dem gefragt würde, welche Länder eigentlich
zu Zentralasien gehören – wir reden hier ja jetzt schon
eine ganze Zeit lang darüber –: Wüssten Sie das eigent-
lich? Wüssten Sie eigentlich, über welche Länder wir
hier jetzt sprechen? Es sind Turkmenistan, Tadschikis-
tan, Usbekistan, Kirgisistan und Kasachstan.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst ich weiß das!)


Einigen wir uns einmal darauf, dass es zwei wüssten.

Durch den aktuellen Gasstreit wurde jetzt gezeigt, wie
wichtig die Diskussion über diese Länder ist und welche
Folgen der Streit auch für Europa hat. Die Zentral-
asienstrategie ist gerade zur richtigen Zeit erschienen.
Sie ist ja auch in der EU schon debattiert worden. Ein
Architekt der Zentralasienstrategie sitzt hier auf der Re-
gierungsbank. Wir haben 2007 ja schon einmal darüber
gesprochen. Sie bildet eine ausgezeichnete Grundlage
dafür, die Beziehungen zwischen Europa und Zentral-
asien kontinuierlich zu gestalten.

Die Strategie ist sozusagen eine Klammer, um aus
zahlreichen unterschiedlichen Beziehungen einzelner
europäischer Länder zu Zentralasien einen Gesamtansatz
zu bilden. Die Strategie wurde im Übrigen in enger
Kooperation mit unseren Partnern in Ihren Ländern erar-
beitet. Meine Erfahrung ist allerdings, dass noch viel
Zeit vergehen wird, bis sich Zentralasien als Region ver-
steht und vielleicht sogar den Integrationsprozess der
Europäischen Union zum Vorbild nimmt. Europa
möchte Sie auf diesem Weg begleiten.

Wir sind überzeugt, dass sich viele Probleme – Was-
ser, Umwelt, Sicherheit – nur regional lösen lassen. Wir
haben es schon gehört: Die Voraussetzungen der einzel-
nen Staaten sind natürlich sehr unterschiedlich. Gerade
deshalb beinhaltet die Strategie neben den regionalen
Aspekten auch bilaterale Ansätze. Genau diese Verbin-
dung führt zu der hohen Akzeptanz bei unseren Partnern.

Der Bundesrepublik wird hinsichtlich der Zentral-
asienstrategie immer wieder vorgeworfen, dass wir ein-
zig und allein aus wirtschaftlichen und Sicherheitsinte-
ressen kritiklos mit Präsidialherrschaften und zum Teil
auch mit Diktaturen zusammenarbeiten. Wer die Strate-
gie liest und die Antwort auf die heute behandelte Große
Anfrage kennt, der muss erkennen, dass die Unterstel-
lung nicht zutrifft. Das wissen die Antragsteller eigent-
lich; wir sind ja auch schon gemeinsam in der Region
gewesen.

Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind zen-
trale Punkte der Strategie und immer wieder eingefor-
derte Grundlagen. Insbesondere die Bundesrepublik legt
ihren Schwerpunkt auf die Kooperation und die Rechts-
staatlichkeit.

Eine immer wiederkehrende Forderung betrifft den
Boykott und den Abbruch der Beziehungen zu Usbekis-






(A) (C)



(B) (D)


Hedi Wegener
tan. Ich persönlich halte Boykott und Isolation für den
falschen Weg und finde Annäherung und Kooperation
besser. Der richtigste Weg ist eben der Dialog – aber
nicht um jeden Preis; das stimmt. Es gehört aber auch zu
einem fairen Umgang miteinander, die Bemühungen des
Gesprächspartners anzuerkennen.

Kehren wir also einmal vor unserer eigenen Haustür.
Deutschland hat sich zu Recht für die Lockerung der
Sanktionen gegen Usbekistan eingesetzt. Was erleben
wir? Schon wenige Tage später wurde einer der Haupt-
beschuldigten von Andischan offiziell nach Berlin ein-
geladen. Ich halte das für ein zweischneidiges Schwert.
War das nötig und richtig? –


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, das war falsch!)


Schweigen auf allen Seiten.


(Florian Toncar [FDP]: Nein, wir sind hier einer Meinung! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kam eine Antwort: „Nein, das war falsch!“)


Ich bin mir bewusst, dass die Lage in vielen Ländern
in puncto Menschenrechte noch immer unbefriedigend
ist. Im Oktober letzten Jahres war Frau Tojibaeva hier in
Berlin zu Gast. Sie haben sie zum Teil ja auch empfan-
gen.


(Florian Toncar [FDP]: Fragen Sie einmal den Außenminister! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wer stellt denn den Außenminister dieses Landes? Fragen Sie doch den einmal!)


– Und wer stellt den Innenminister, dem der Geheim-
dienst unterstellt ist?


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wer hat denn die Regierungsgewalt?)


Frau Tojibaeva hat mich als Menschenrechtlerin sehr be-
eindruckt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das sind die falschen Fragen beim falschen Gremium!)


Sie hat Folter und Misshandlungen über sich ergehen
lassen und ist trotz dieser Erfahrungen für einen Dialog.

Ein anderer Vorwurf, der immer wieder erhoben wird,
ist der der Doppelstandards. Es wird behauptet, wir rede-
ten mit dem einen, weil er Öl hat, während wir einen an-
deren Diktator als solchen bezeichneten und ein Ge-
spräch verweigerten. Hierin sehe ich tatsächlich eine
echte Gefahr. Für uns Abgeordnete weise ich diesen Vor-
wurf eindeutig zurück. Wir sprechen mit allen: mit den
Regierungen, den Parlamentariern, der Opposition und
Menschenrechtlern. Viele Kolleginnen und Kollegen be-
mühen sich um ein Gesamtbild. Das Entstehen eines sol-
chen Eindrucks von Doppelstandards können wir auch
durch die Einladungspolitik der Bundesregierung ver-
meiden. Wen empfängt die Regierung, und wen emp-
fängt sie nicht?


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist eine gute Frage!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden gleich
auch über den Entschließungsantrag der Grünen abstim-
men. Im Hinblick auf diesen Antrag bin ich froh, sagen
zu können, dass wir eigentlich schon eine ganze Menge
von dem, was dort beantragt wird, erledigt haben. Das
Außenministerium unter Frank-Walter Steinmeier und
besonders Staatsminister Gernot Erler sind auf diesem
Gebiet engagiert und setzen die im Antrag genannten
Punkte um. Ich stehe in regelmäßigem Kontakt mit den
Botschaftern und weiß, dass sich alle Beteiligten sehr für
die Freilassung von Gefangenen einsetzen.

Die Grünen sprechen in ihrem Entschließungsantrag
auch den Vorsitz Kasachstans in der OSZE an. Deutsch-
land hat die Bemühungen Kasachstans um den OSZE-
Vorsitz immer unterstützt. Das sind Vorschusslorbeeren.
Natürlich muss Kasachstan die Werte der OSZE nicht
nur im eigenen Land umsetzen, sondern wir erwarten
auch, dass es sich bei seinen Nachbarstaaten, die eben-
falls alle Mitglieder der OSZE sind, für diese Werte ein-
setzt. Wir erwarten ferner, dass Kasachstan Fortschritte
macht: Es muss die Zulassung von Parteien erleichtern,
und die Medien gehören nicht nur in eine Hand. Weil
Deutschland sich für Kasachstan eingesetzt hat, beglei-
ten und unterstützen wir Kasachstan auf diesem Weg,
unter anderem durch die Ausbildung von Diplomaten.

Meine Damen und Herren, Exzellenzen, was ist unser
Interesse an Zentralasien? Wir wollen eine stabile Re-
gion, in der die Menschen in Sicherheit leben, nicht zu-
letzt deshalb, weil wir wissen, dass eine Lösung der
Krise in Afghanistan ohne ein stabiles Zentralasien nicht
möglich ist, aber auch, weil wir ein Interesse an den
Energievorkommen in Zentralasien haben. Das ist keine
Schande, und das macht uns nicht zu schlechten Men-
schen, solange wir dieses Begehren mit unseren europäi-
schen Werten und Prinzipien in Einklang halten.
Deutschland wird zu Recht als ein enger Freund Zen-
tralasiens gesehen. Freundschaft bedeutet aber auch,
dass wir offen und ehrlich Dinge ansprechen, von denen
wir überzeugt sind, dass man sie ein bisschen besser ma-
chen kann.

Spasibo, recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620015200

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kol-

lege Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke das
Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620015300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

beschränke mich auf den Entschließungsantrag der Grü-
nen und gehe daher nur mittelbar auf die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage ein.






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Ulrich
Die Durchsetzung rechtsstaatlicher Standards, die
Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte und die
Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure sind Forderun-
gen, die wir teilen und unterstützen. Uns befremdet aber
der paternalistische Gestus, der sich durch den gesamten
Entschließungsantrag der Grünen zieht. Dies erinnert
stark an das Konzept der „externen Demokratieförde-
rung“, die wir etwa aus Lateinamerika kennen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja spannend!)


Hier geht es offenbar weniger darum, Länder auf ihrem
eigenen selbstbestimmten Entwicklungsweg zu unter-
stützen, als darum, die eigene Gesellschaftsordnung an-
deren aufzudrängen, als ob etwa die Menschenrechtslage
in den Mitgliedstaaten der EU – auch in Deutschland –
über jeden Zweifel erhaben wäre.

Unsere Hauptkritik bezieht sich aber auf etwas ande-
res: auf Ihre Aussagen zur Energiepolitik. Da heißt es im
vierten Spiegelstrich Ihrer Forderungen:

– eine effektive Kooperation mit den Staaten Zen-
tralasiens in den Bereichen Erneuerbare Energien,
Energieeffizienz und Energieeinsparungen aufzu-
bauen statt einer Fokussierung auf Öl und Gas.

Nun sind das ja an sich richtige Forderungen, die wir un-
terstützen. Aber wir können doch nicht die Augen vor
den Realitäten, vor dem Energiereichtum Zentralasiens
verschließen.

In der Großen Anfrage war in Frage 19 die Rede von
der Diversifizierung der Transportwege für zentralasiati-
sches Gas unter Umgehung Russlands. Die Bundesregie-
rung hat sich für eine solche ausgesprochen. Zugleich
hat sie erklärt, dass es dabei nicht um eine Umgehung
Russlands gehe. Darauf gehen Sie in Ihrem Entschlie-
ßungsantrag nicht ein. Sie stellen sich einem wichtigen
Problem in dieser Frage nicht. Ich weiß nicht, ob die
Bundesregierung erwartet, es werde ihr geglaubt, bei den
verschiedenen Pipelineprojekten – auch für Erdöl – gehe
es nicht um die Umgehung Russlands. Man braucht sich
doch nur die Streckenführungen der gebauten, der in
Bau befindlichen und geplanten Leitungen anzuschauen.
Es sticht doch geradezu ins Auge, dass politische und
geologische Schwierigkeiten in Kauf genommen wer-
den, nur um Streckenführungen zu finden, die russisches
Territorium nicht berühren. Dabei wird es für manchen
wohl noch erhebliche Überraschungen geben, etwa für
die Union, die in ihrer Mehrheit die Türkei auf keinen
Fall in die EU aufnehmen will, aber wie selbstverständ-
lich auf die Gaspipeline Nabucco setzt, die in ihrem
Kernstück über türkisches Territorium verläuft.

Ebenso wenig wie das Gasproblem bei der Betrach-
tung des Verhältnisses der EU zu Zentralasien ausge-
blendet werden kann, darf von dem Bestehen der rus-
sisch-zentralasiatischen Energiegemeinschaft abgesehen
werden. Energielieferungen aus den zentralasiatischen
Ländern sind vernünftig und dauerhaft nicht gegen Russ-
land, sondern nur in Kooperation mit Russland zu gestal-
ten und zu sichern.

Über die Frage der Energieversorgung hinaus gilt: Es
kann keine erfolgreiche EU-Zentralasienpolitik geben,
wenn die Partnerschaft EU–Russland nicht positiv wei-
terentwickelt wird.

Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gibt keinen Anstoß für eine vernünftige
Weiterentwicklung der Politik der EU und Deutschlands
im zentralasiatischen Bereich, sondern umgeht, wie
manche meiner Vorredner schon angesprochen haben,
wesentliche Fragen. Wir lehnen ihn daher ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lasst euch einmal in der Region blicken und lernt etwas darüber!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620015400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/11648. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Zustim-
mung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz-
punkt 7 auf:

17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP

Angemessene und zukunftsorientierte
Unterstützung der Contergangeschädigten
sicherstellen

– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD

Angemessene und zukunftsorientierte finan-
zielle Unterstützung der Contergangeschä-
digten sicherstellen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für einen umfassenden Ansatz beim
Umgang mit den Folgen des Contergan-
Medizinskandals

– Drucksachen 16/11223, 16/8754, 16/8748,
16/11625 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Blumenthal
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für
Conterganbetroffene

– Drucksache 16/11639 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Antje Blumenthal von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Blumenthal (CDU):
Rede ID: ID1620015500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

vergangenen Jahr haben wir für die contergangeschädig-
ten Menschen einiges vorangebracht und auch erreicht.
Auch in diesem Jahr legen wir die Hände nicht in den
Schoß. Das zeigt der hier vorliegende Antrag. Die Anhö-
rung im Mai vergangenen Jahres hat uns verdeutlicht,
dass es an verschiedenen Stellen anzusetzen galt und
auch noch gilt. Auch meine Treffen mit Betroffenen, die
Forderungen des Bundesverbandes Contergangeschädig-
ter und der Conterganstiftung haben gezeigt, mit wel-
chen Problemen die Betroffenen zu kämpfen haben.

Wir müssen leider immer noch feststellen, dass die
contergangeschädigten Menschen auf Hindernisse in den
Bereichen Gesundheit, Pflege, Assistenz und Mobilität
stoßen und ihnen der Zugang zu benötigten Hilfen im-
mer noch erschwert wird. Obwohl sich eine interministe-
rielle Arbeitsgruppe zusammengefunden hat und Ge-
spräche mit Organisationen des Gesundheitswesens
geführt wurden, haben die contergangeschädigten Men-
schen weiterhin Probleme, die benötigten und die ihnen
zustehenden Leistungen zu bekommen. Deshalb sind wir
aufgefordert, sie dabei zu unterstützen, dass sie alle Leis-
tungen erhalten, die möglich sind, und dass die Bewilli-
gung zügig und unbürokratisch abläuft. Mit einem
Rundbrief hat das Gesundheitsministerium die Spitzen-
verbände der Krankenkassen und andere zuständige In-
stitutionen aufgefordert, den Betroffenen den Zugang zu
Heil- und Hilfsmitteln zu erleichtern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


– Der Beifall ist zwar schön, aber leider lässt die Wir-
kung in einzelnen Bereichen noch auf sich warten. Ich
denke, hier müssen wir wachsam bleiben.

Ein weiterer Schritt – das freut mich persönlich be-
sonders – ist die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.
Seit 2005 hat sich meine Fraktion dafür eingesetzt, dass
Ohnarmer, von denen viele Contergangeschädigte sind,
Parkerleichterungen erhalten. Dies wurde nun endlich
umgesetzt.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Der Gesundheitszustand vieler contergangeschädigter
Menschen hat sich in den letzten Jahren deutlich ver-
schlechtert. Alterungsprozesse setzen bei ihnen früher
ein und verlaufen schwieriger, das heißt schmerzvoller.
In der Anhörung wurden uns die gesundheitlichen Pro-
bleme von den Betroffenen eindrucksvoll geschildert.
Diese gesundheitlichen Probleme führen zu erheblichen
Einschränkungen im Beruf und in der Mobilität, das
heißt in ihrem gesamten Alltag.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)


Eine umfassende gesundheitliche Versorgung ist deshalb
dringend notwendig. Sie muss auf die speziellen Bedarfe
der Betroffenen abgestimmt sein.

Wie die Anhörung aber auch gezeigt hat, gibt es kaum
Ärzte, die sich mit Conterganschädigungen umfassend
auskennen. Die meisten Geschädigten haben ihre Haus-
ärzte und Orthopäden vor Ort und werden von diesen
selbstverständlich gut betreut. Aber ein Erfahrungsaus-
tausch zwischen den Medizinern erfolgt leider bisher
nicht im notwendigen Umfang.

Wir müssen deshalb dabei helfen, dass die Betroffe-
nen mit ihren individuellen Problemen umfangreich me-
dizinisch versorgt und betreut werden. Der Erfahrungs-
austausch unter den Experten muss verstärkt werden.
Viele Betroffene wissen in vielen Fällen nicht, an wen
sie sich wenden können. Sie wissen nicht, wer sich in ih-
rem Umfeld mit ihren Schädigungen auskennt. Sie wis-
sen aber auch nicht immer, wo sie welche Leistungen be-
antragen können. Deshalb ist ein umfassendes
Beratungsangebot notwendig. Wir beraten derzeit darü-
ber, eine telefonische Beratungsstelle einzurichten. Wir
denken dabei zum Beispiel an eine Lösung wie das Alz-
heimer-Telefon, das sich hervorragend bewährt hat. Un-
ter einer bundesweit einheitlichen Telefonnummer könn-
ten sich dort Angehörige, Betroffene, aber auch Ärzte in
gesundheitlichen, sozialen oder rechtlichen Fragen bera-
ten lassen. Betroffene könnten sogar als Beratungsperso-
nen in diese Beratungsstelle einbezogen werden; denn
viele Betroffene haben aus eigener bitterer Erfahrung ge-
lernt.

In unserem Antrag fordern wir die Vergabe eines For-
schungsauftrages. Es soll dabei ermittelt werden, wie die
körperlichen Verschleißerscheinungen aussehen, wie sie
sich weiterentwickeln, welche Beeinträchtigungen auf-
grund der Folge- und Spätschäden entstehen, wie die be-
sonderen Bedarfe der Betroffenen sind und welche
Hilfsmittel benötigt werden.

Die Ergebnisse der Studie werden uns helfen, geeig-
nete Maßnahmen zu ergreifen, um die Betroffenen bes-
ser unterstützen zu können. Die Vorbereitungen zu die-
sem Forschungsprojekt sind bereits getroffen, sodass ich
sicher bin, dass der Forschungsauftrag im ersten Halb-
jahr 2009 vergeben werden kann.






(A) (C)



(B) (D)


Antje Blumenthal
Eine weitere Forderung unseres Antrages ist es, ein
Netzwerk für Dysmelie-Betroffene aufzubauen. Das sind
Menschen, die fehlgebildete Gliedmaßen haben, die je-
doch nicht von dem Wirkstoff Thalidomid verursacht
wurden. Sie haben aber mit denselben Problemen zu
kämpfen. Erkenntnisse über diese Behinderung aus dem
deutschen und europäischen Raum könnten gebündelt
und Ärzten und Betroffenen zum Beispiel in Form einer
Wissensdatenbank zur Verfügung gestellt werden.

Wir haben die Idee der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen, ein Netzwerk aufzubauen, aus deren Antrag über-
nommen, und wir haben Gespräche über einen mögli-
chen interfraktionellen Antrag geführt. Leider konnten
wir uns nicht verständigen. Deshalb freue ich mich umso
mehr, dass die Zusammenarbeit mit der FDP gelungen
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich noch einige Worte zur aktuellen
Situation sagen. Viele von uns erhalten Briefe, in denen
contergangeschädigte Menschen ihren Unmut äußern. Es
geht dabei auch immer wieder um die monatlichen Ent-
schädigungsleistungen. Ich darf deshalb noch einmal
darauf hinweisen, dass wir die Situation der contergan-
geschädigten Menschen in finanzieller Hinsicht verbes-
sert haben. Statt der ursprünglich geplanten 5-prozenti-
gen Erhöhung haben wir die Conterganrenten zum 1. Ju-
li 2008 verdoppelt, das heißt um 100 Prozent erhöht. Der
Höchstsatz ist damit von 545 auf 1 090 Euro erhöht wor-
den. Lassen Sie mich hinzufügen: Die Conterganrente ist
steuerfrei und wird nicht auf andere Sozialleistungen an-
gerechnet. Hinzu werden noch in diesem Jahr jährliche
Sonderzahlungen kommen. Die von der Firma
Grünenthal zugesagten 50 Millionen Euro und weitere
50 Millionen Euro aus dem Stiftungskapital werden bald
jährlich an die Contergangeschädigten ausgezahlt. Das
heißt, nach den bisherigen Planungen werden den Be-
troffenen jährlich ungefähr 3 000 Euro zusätzlich zur
Verfügung gestellt werden können.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Lächerlich!)


Über die Art und Weise der Auszahlung beraten wir
momentan im Zusammenhang mit unserem Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgeset-
zes. Deshalb ist der Antrag der Linken überflüssig. Sie
fordern eine sofortige Auszahlung der Grünenthal-Gel-
der. Ich weiß aber von Betroffenen, dass nicht alle eine
sofortige Ausschüttung der Sonderzahlungen wünschen,
sondern eine Auszahlung über einen bestimmten, das
heißt längeren Zeitraum bevorzugen. Hier besteht noch
Beratungsbedarf.

Uns ist bewusst, dass es noch viele Probleme zu lösen
gilt. Trotzdem können wir ein wenig stolz auf das bisher
Erreichte sein. Wie schon anfangs gesagt, legen wir die
Hände nicht in den Schoß, sondern arbeiten weiter an
Lösungen. Dazu gehört auch der Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, den wir
demnächst einbringen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620015600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1620015700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Con-

terganskandal war einer der schwersten Medizin- und
Arzneimittelskandale der Bundesrepublik. Der Lebens-
leistung der contergangeschädigten Menschen gilt mein
größter Respekt.


(Beifall im ganzen Hause)

Unsere Aufgabe hier im Parlament ist, bessere Rah-

menbedingungen zu schaffen und die vorhandenen zu
überprüfen. Die FDP will das und hat deshalb gemein-
sam mit CDU, CSU und SPD einen Antrag vorgelegt,
über den wir heute beraten und abstimmen. Die Bundes-
regierung wird darin aufgefordert, Verbesserungen in
den Bereichen Gesundheit, Pflege, Mobilität, Assistenz
und Versorgung zu erreichen; darauf hat schon Frau
Blumenthal hingewiesen. Wir finden es richtig, dass es
einen Forschungsauftrag geben wird, der im ersten Halb-
jahr 2009 vergeben wird. Herr Kurth, obwohl es nicht an
Versuchen gemangelt hat, ist es nicht zu einem gemein-
samen Antrag gekommen, den alle unterstützen; das be-
dauere ich.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Mit uns haben Sie es nicht einmal versucht!)


Wir werden sehen, welche schwerwiegenden Gründe Sie
haben, die Sie daran hindern, selbst bei einem solchen
Thema einen fraktionsübergreifenden Antrag zu unter-
stützen.

Im letzten Jahr sind die Conterganrenten durch ein-
stimmigen Beschluss verdoppelt worden. Die FDP will
schon jetzt absehbare Änderungen des Conterganstif-
tungsgesetzes unterstützen. Ein entsprechender Entwurf
wird in den nächsten Monaten vorgelegt. Die Firma
Grünenthal wird, wie wir wissen, das Stiftungskapital
durch eine freiwillige Spende um 50 Millionen Euro er-
höhen. Der Bund wird voraussichtlich diesen Betrag um
weitere 50 Millionen Euro aufstocken, die aus einer
langfristigen Kapitalisierung des Stiftungsvermögens er-
wirtschaftet werden sollen. Hieraus soll jeder An-
spruchsberechtigte eine jährliche Einmalzahlung als
Sonderleistung erhalten.

Die Forderung nach einer sofortigen Einmalauszah-
lung der 50 Millionen Euro, wie sie von einigen Betrof-
fenen und den Linken aufgestellt wird, hält die FDP für
nicht sinnvoll.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])


Damit würde jeder Betroffene einmalig 18 000 Euro er-
halten. Es ist aber leicht zu erkennen, dass die Betroffe-
nen einen wesentlich höheren finanziellen Vorteil aus ei-
ner jährlich wiederkehrenden Sonderzahlung in Höhe
von 3 000 Euro ziehen werden,


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Nur, wenn sie nicht vorher sterben!)







(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
was eine langfristige Auflösung des Stiftungsvermögens
einschließt und bedeutet, dass das Stiftungsvermögen
somit dem Personenkreis zufließt – das wollen wir –, der
einen berechtigten Anspruch darauf hat. Insgesamt kön-
nen die Conterganopfer von diesem Jahr an mit bis zu
16 000 Euro jährlich rechnen, und zwar einmal mit dem
Rentenhöchstsatz von jährlich 13 080 Euro – das sind
1 090 Euro monatlich – und zum anderen mit der jähr-
lich wiederkehrenden Einmalzahlung in Höhe von
3 000 Euro. Ich glaube, es ist ganz wichtig – wir kennen
ja die Steuerbelastung in der Bundesrepublik Deutsch-
land –, dass diese Leistungen für die Contergangeschä-
digten einkommensteuer- und anrechnungsfrei sind. Bei
all dem verständlichen Frust, den die Betroffenen über
die Politik der letzten Jahrzehnte im Bereich Contergan
hatten, bewerte ich das seit dem Ende letzten Jahres Er-
reichte als äußerst positiv.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Des Weiteren arbeitet eine interministerielle Arbeits-
gruppe an Erleichterungen für Geschädigte. Wenn es
jetzt eine Parkerlaubnis auch für Contergangeschädigte
gibt, dann wird das die Mobilität sicher sehr verbessern.
Es gibt aber noch andere Menschen mit Behinderung,
die diese Erlaubnis immer noch nicht haben. Das aber ist
ein anderes Feld.

Einige Forderungen der FDP gehen über den gemein-
samen Antrag, den wir heute verabschieden werden, hi-
naus. Wir sehen in zwei Punkten keinen Prüfbedarf. Das
betrifft einmal die Dynamisierung des Rentenanspruchs.
Die vor der Erhöhung der Conterganrenten zum 1. Juli
2008 letzte Rentenerhöhung lag vier Jahre zurück. Ob-
wohl sich die Altersrente mit der Rente für Contergange-
schädigte keinesfalls vergleichen lässt, wäre es vorstell-
bar, die jährliche prozentuale Anpassung der Altersbezüge
auf die Conterganrenten zu übertragen. Das wäre ein un-
bürokratischer Weg. Gleichzeitig – vielleicht sind wir
uns darin einig – sollte die Conterganrente in geeigneten
Zeiträumen, zum Beispiel nach fünf Jahren, grundlegend
überprüft werden, damit den Contergangeschädigten
eine aufgrund des fortschreitenden Alters notwendige
weitere Hilfe gegeben werden kann; denn der Hilfebe-
darf wird – das können wir uns vorstellen – weiter zu-
nehmen.

Zum anderen möchte ich den Fristausschluss anspre-
chen. Bis zum 31. Dezember 1983 mussten die Ansprü-
che bei der Conterganstiftung geltend gemacht werden,
um eine Zahlung zu erhalten. Es stellte sich aber heraus,
dass es Conterganschädigungen gibt, die nicht so ohne
Weiteres erkennbar sind. In der Regel handelt es sich da-
bei um die Schädigung der inneren Organe. Die Opfer-
zahl wird weltweit auf circa 100 geschätzt. Ich finde,
auch diese Opfer sollten eine Entschädigung bei uns in
Deutschland erhalten.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Die FDP-
Bundestagsfraktion wird mit den Kollegen und Kolle-
ginnen der anderen Fraktionen dieses Thema über diese
Legislaturperiode hinweg – das müssen wir uns gegen-
seitig in die Hand versprechen – begleiten, damit die
nächste Regierung in die Lage versetzt wird, den Be-
schluss von heute zeitnah umzusetzen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620015800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Rupprecht

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Blumenthal [CDU/CSU])



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1620015900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beraten heute drei Anträge. Wir haben gehört, was Inhalt
des Antrags der Koalition und der FDP ist. Ich glaube,
dass bei beiden Vorrednerinnen deutlich wurde, dass wir
dieses Thema mit großer Ernsthaftigkeit behandeln. Das
würde ich grundsätzlich auch allen anderen Fraktionen
unterstellen. Es kam zumindest in den Gesprächen, die
wir geführt haben, zum Ausdruck, dass wir wissen, dass
Menschen durch das Verhalten anderer geschädigt wur-
den und dass sie es verdienen, nicht zum Objekt partei-
politischen Gezänks zu werden.

Ich will kurz zurückblicken und schildern, wie es im
letzten Jahr begann. Wir vom Ausschuss für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend sind nur deswegen für diesen
Bereich zuständig, weil es sich damals um Kinder han-
delte, die betroffen waren. Eigentlich sind behinderte
Menschen in dem Bereich Arbeit und Sozialordnung an-
gesiedelt. Es ist für viele befremdlich, dass auf einmal
der Ausschuss für Familie für behinderte Menschen zu-
ständig ist. Es stand damals die wiederkehrende Ren-
tenanpassung bzw. Entschädigungsanpassung an. Eine
Erhöhung um 5 Prozent war angedacht. Wir haben ge-
dacht, dass es ein Erfolg sei, wenn wir etwas mehr he-
raushandeln könnten. Die Rente ist jetzt doppelt so hoch
wie vorher. Damit hat niemand gerechnet, auch nicht die
Betroffenen. Ich habe etliche E-Mails und Briefe von
Betroffenen bekommen, die froh waren, dass das Gesetz
zum 1. Juli in Kraft getreten ist und sie nun jeden Monat
höhere Renten beziehen. Das sollten wir zur Kenntnis
nehmen, bevor wir beginnen, das Erreichte zu zerpflü-
cken.

Wir haben dann gemerkt, dass die Rentenanpassung
nicht ausreicht, weil die Anliegen der Betroffenen weit
darüber hinausgehen. Daraufhin ist der erste Antrag der
Koalition entstanden. Wir wollten all die Aspekte, die
uns die contergangeschädigten Menschen vorgetragen
und schriftlich dargelegt haben, aufnehmen. Es war uns
ein wichtiges Anliegen, die Ansprüche der Contergange-
schädigten auf Leistungen nach den anderen Sozialgesetz-
büchern wie dem Sozialgesetzbuch XII – Sozialhilfe –
und dem Sozialgesetzbuch XI – Pflege – sowie im Ge-
sundheitsbereich zu wahren. In all diesen Bereichen
wurde Contergangeschädigten der Zugang zu Leistun-
gen verwehrt, obwohl sie einen Anspruch darauf gehabt
hätten.






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Nicht alle contergangeschädigten Menschen sind so
fit wie die, die wir in den Medien sehen, die gelernt ha-
ben, mit ihrer Situation so umzugehen, dass sie sich zu-
mindest wehren können. Für diejenigen, die wir nicht in
den Medien sehen, müssen wir besonders einstehen.

Wir haben deshalb gesagt: Das Ministerium muss sich
darum kümmern, dass die Sozialversicherungen ihre
Pflicht erfüllen. Wir wissen, dass die Sozialversicherun-
gen ihre Pflicht – nicht nur hier, sondern querbeet –
manchmal nur zögerlich erfüllen. Ich glaube, hier ist
sanftes Zureden nicht immer ausreichend; hier ist
manchmal der Morgenstern besser als das Florett;


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn nur so verstehen die Sozialversicherungen, worum
es geht. Ich denke, es ist ermüdend, wenn jemand lange
für seine Rechte kämpfen muss; nicht jeder hat die Kraft
dazu.

Es ist uns ein wichtiges Anliegen, für die Rechte der
Betroffenen einzustehen. Das Bundesministerium für
Verkehr hat – vielleicht, weil es vor dem Morgenstern
Angst hatte – von vornherein gesagt: Wir nehmen eine
Änderung vor; wir sind eh dabei, Änderungen vorzuneh-
men. Deswegen ist es für die Contergangeschädigten zu
Erleichterungen beim Parken gekommen.

Wir haben auch erkannt, dass wir eigentlich relativ
wenig über Behinderte im Alter wissen. Das ist ein trau-
riges Kapitel: In der NS-Zeit haben keine behinderten
Menschen überlebt, die jetzt alt wären; denn sie alle
wurden damals umgebracht. Wir brauchen dringend For-
schung für Menschen mit Behinderung, speziell für con-
tergangeschädigte Menschen, damit wir erfahren, wel-
che Anforderungen sie an ein Leben im Alter haben.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sie brauchen überhaupt nicht zu forschen! Fragt einfach die Leute selber!)


– Herr Dr. Seifert, wir reden nachher darüber. – Wir ha-
ben gesagt: Hier bedarf es der Forschung. Wir wollen
das gründlich angehen und es nicht auf die lange Bank
schieben; es soll noch in diesem Frühjahr damit begon-
nen werden.

Nachdem klar war, dass wir an dem Vertrag mit dem
Verursacher, der Firma Grünenthal, nichts mehr ändern
können – die Bundesrepublik ist in die Nachfolge getre-
ten –, hat man mit dem Unternehmen – hier danke ich be-
sonders den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU und der SPD, Frau Falk und Frau Humme –
Verhandlungen geführt. Dabei hat man die Summe aus-
gehandelt, die Grünenthal schon einmal bezahlt hat, um
zusätzliche Entschädigungen zahlen zu können.

Herr Seifert, man könnte natürlich sagen: Wir zahlen
einmal aus. – Das klingt wunderschön. Aber die Summe,
die wir jetzt auf einmal hätten zahlen können, hätte einer
jährlichen Auszahlung über sechs Jahre entsprochen.
Wir haben dagegen gesagt: Wenn die Contergangeschä-
digten aus dem Stiftungsvermögen stattdessen jährlich
3 000 Euro erhalten, dann haben sie lange etwas davon,
nämlich 35 Jahre lang. Sie müssen nicht alles auf einmal
erhalten; denn ich nehme nicht an, dass sie übermorgen
sterben. Ich nehme vielmehr an, dass sie alt werden und
auch in ein paar Jahren etwas davon haben wollen. Wir
wollen gern auch Einmalzahlungen vornehmen. Wie sie
ausgestaltet werden, werden wir sehen.

In einem dritten Schritt werden wir das Conterganstif-
tungsgesetz ändern. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, da-
rauf hinzuweisen, dass es noch offene Fragen gibt. Die
Betroffenen hatten über zehn Jahre lang Zeit, sich zu
melden. Es gab verschiedene Gründe, warum sie sich
nicht bis zum Jahr 1983 gemeldet haben. Wir prüfen der-
zeit und wägen ab, wie viele Betroffene es tatsächlich
gibt und wie man ihnen helfen kann.

Ich kann versprechen, dass wir keine Schnellschüsse
machen. Dafür ist das Thema viel zu ernst. Heute liegt
noch kein endgültiger Gesetzentwurf vor, weil wir der-
zeit dabei sind, alle Punkte, die wir für richtig und abwä-
genswert halten, zu überprüfen und rechtliche Gutachten
einzuholen. Ich glaube, dass wir mit dem Conterganstif-
tungsgesetz und der darin vorgesehenen Entschädigung
den Umgang mit behinderten Menschen ein Stück in die
richtige Richtung gerückt haben, wie heutzutage Behin-
dertenpolitik gemacht wird, nämlich dahin gehend, dass
wir eine inklusive Politik für Menschen machen, die,
egal wodurch, behindert sind und das Recht auf Teilhabe
an der Gesellschaft haben.

Wir wollen zur Sicherung dieser Teilhabe beitragen.
Ich will nicht, dass ein Parlament in vier Jahren wieder
so weitreichende und umfassende Reformen angehen
muss. Deshalb wird der Gesetzentwurf sorgfältig geprüft
und erst dann vorgelegt. Es finden auch Gespräche mit
betroffenen Menschen statt, sodass es nicht heißen wird:
Alles wird über uns, aber nicht mit uns gemacht. Viel-
mehr heißt es dann ganz im Sinne der EU-Vorgabe:
Nichts ohne uns über uns. Ich denke, dass wir diese Vor-
gabe in diesem Prozess einhalten.

Ich bitte Sie und lade Sie ein, mitzumachen – auch
Dich, lieber Markus Kurth, ich habe Dich schätzen ge-
lernt –, auch wenn Wahlen bevorstehen. Euer Antrag
enthält nichts anderes als unserer. Deshalb wäre es
schön, wenn ihr euch entschließen könntet, mitzuma-
chen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620016000

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ilja Seifert von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620016100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas

mehr als einem Jahr gab es einen Film im Fernsehen,
und seitdem reden alle wieder über die Contergange-
schädigten. Seit fast einem Jahr wird pausenlos kosten-
lose Imagewerbung für die Firma Grünenthal gemacht,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert
weil sie versprochen hat, noch einmal gnädigerweise
50 Millionen Euro zu geben. Von den Betroffenen höre
ich, dass sie von den versprochenen 50 Millionen Euro
noch keinen Cent gesehen haben.

Nun sind Sie der Meinung, dass es falsch wäre, das
Geld auf einmal auszuzahlen, weil es viel mehr wäre,
wenn man es über viele Jahre hinweg zahlt. Lassen Sie
bitte schön das Selbstbestimmungsrecht gelten, sodass
jeder selbst bestimmen kann, ob er das Geld sofort auf
die Hand oder auf 35 Jahre verteilt haben möchte.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann wollen wir doch einmal sehen, wie die betroffenen
Menschen selbst entscheiden. Wenn diese Entscheidung
gelten würde, dann wäre das Selbstbestimmung im
Sinne von „nichts über uns ohne uns“.

Aber Sie entscheiden. Wir können gerade beobachten,
wie die Finanzen funktionieren. Sie geben das Geld in
einen Fonds, und je nachdem, was die Kapitalisierung
bringt, können sie etwas auszahlen. Aber wenn die Be-
troffenen Pech haben und es wieder eine Finanzkrise
gibt, bekommen sie eben nichts. Das kann doch nicht
wirklich Ihr Ziel sein.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das stimmt nicht!)


– Aber selbstverständlich. Sie wollen das Geld kapitali-
sieren. Das steht doch in Ihrem Referentenentwurf. Sie
brauchen das bloß nachzulesen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD – Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das Grundvermögen ist immer da!)


– Jetzt habe gerade ich das Wort. Ich will es nur noch
einmal sagen.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Nur wenn Sie mich anreden, antworte ich Ihnen!)


– Das ist ja auch gut so. Zwischenrufe sind immer etwas
Positives.

Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen das be-
kommen, was sie brauchen.

Sie haben ja darauf hingewiesen – das finde ich sehr
positiv –: Die meisten der Contergangeschädigten sehen
wir alle nicht. Sie kommen kaum aus ihrem Bett und erst
recht nicht aus ihrer Wohnung heraus. Deswegen kann
ich es inzwischen auch nicht mehr hören, wenn wir hier
feierlich immer wieder bekunden, wie toll wir die Le-
bensleistung der Contergangeschädigten finden, die sich
trotz ihrer schweren Behinderung und anderer Probleme
durchgekämpft haben. Ja, natürlich ist das toll. Aber da-
bei handelt es sich nicht um die Mehrheit. Wir sollten sie
nicht bewundern, sondern sollten ihnen helfen, mit ihrer
Situation fertig zu werden.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Das tun wir ja! – Ina Lenke [FDP]: Das finde ich nicht gut, dass Sie das sagen!)

– Sie von der FDP sind doch immer diejenigen, die sa-
gen: Gebt den Leuten das Geld in die Hand, dann kön-
nen sie selber entscheiden, was für sie richtig ist. Oder
ist es nicht so? Jetzt sind Sie aber auf einmal dafür, die
Auszahlung auf 35 Jahre zu verteilen. Die Leute sind
jetzt 50 Jahre alt. In 35 Jahren würden sie – das kann ich
sogar mit meinem DDR-Abitur ausrechnen – 85 Jahre alt
sein. Sie haben ja gerade selbst gesagt, dass mit hoher
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie, weil
sie schneller altern, gar nicht so alt werden. Das ist eine
infame Herangehensweise an die Frage der Auszahlung.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Aber wenn Sie so rechnen, Herr Seifert, gehen Sie davon aus – –)


– Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas
sagen wollen, dann beantworte ich sie gerne. – Ich will
nur darauf hinweisen: Lassen Sie die Menschen selbst
entscheiden.

Der nächste Punkt. Sie loben sich immer, dass die
monatliche Nachteilsausgleichszahlung verdoppelt wor-
den ist. Aber das wurde doch auch höchste Zeit. Sie hät-
ten es niemals gemacht, wenn es den Film nicht gegeben
hätte.


(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Stimmt ja überhaupt nicht!)


– Aber ja! Sie hatten 5 Prozent vorgeschlagen. Das
wurde doch gerade noch einmal wiederholt.


(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Ich war doch dabei!)


– Ich will nur darauf hinweisen, wie es gewesen ist.

Nun zur Ausschlussfrist. Es wäre überhaupt kein Pro-
blem, die Ausschlussfrist sofort aufzuheben. Sie, Frau
Lenke, haben ja gesagt, das sei auch einer Ihrer Vor-
schläge. Sie haben sich aber nicht einmal in diesem
Punkt bei dem angeblich gemeinsamen Antrag durchge-
setzt.


(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Der ist gar nicht da drin!)


Uns wurde nicht einmal angeboten, etwas Gemeinsames
zu machen.

Ihr heute vorgelegter Antrag enthält nur Prüfaufträge.
Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Es
gibt kaum ein Gebiet auf der Welt, das so gut erforscht
ist wie die Conterganproblematik. Wir brauchen keine
weitere Forschung. Fragen Sie lieber die Leute selbst,
was sie haben wollen und was sie brauchen, und sie wer-
den es Ihnen sagen. Wir brauchen kein weiteres Geld für
Forschung auszugeben. Es darf auch nicht die Stelle da-
für aus dem Stiftungsvermögen bezahlt werden, sondern
diese müsste der Staat finanzieren.

Alles, was Sie jetzt machen wollen, geht zulasten der
Conterganbetroffenen. Machen wir das nicht!

Ich habe die Befürchtung, es ist ein neuer Film nötig,
der diesmal zeigt, wie die Menschen, die von Contergan
geschädigt wurden, jetzt leben. Vielleicht würden Sie






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert
dann eine andere Entscheidung treffen und nicht alles
auf die lange Bank schieben, wie Sie es heute tun.


(Ina Lenke [FDP]: Das tun wir ja gar nicht!)


Ich bedaure das sehr. Handeln Sie, statt Prüfaufträge in
Bereichen zu geben, wo längst alles klar ist.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620016200

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620016300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

werden fast 50 Jahre nach dem größten Medizinskandal
in Deutschland von den Folgen einer damals unzurei-
chenden Haftungs- und Entschädigungsregelung einge-
holt.

Wir, Bündnis 90/Die Grünen, begrüßen durchaus einige
Punkte, die sich während des Prozesses der Aufarbeitung
der damaligen Entschädigungsregelung ergeben haben
und die Sie in Ihren Antrag aufgenommen bzw. einge-
bracht haben, wie etwa die automatische Dynamisierung
der monatlichen Entschädigungszahlungen oder den
Vorschlag – den begrüße ich ausdrücklich –, ein europa-
weites Netzwerk für Dysmelie zur gegenseitigen Infor-
mation und Beratung einzurichten. Insofern hat die
gemeinsame Anhörung auch positive Ergebnisse für uns
alle gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Grund, aus dem wir uns bei dem Antrag der Ko-
alitionsfraktionen und der FDP aber nur enthalten kön-
nen und nicht zustimmen können, liegt darin, dass es bei
der Überprüfung der finanziellen Entschädigung keine
Bewegung gibt. Ich sage ausdrücklich: Überprüfung.
Ohne Zweifel war die Verdoppelung der Rente für Con-
terganopfer, die ja eigentlich eine Entschädigungsleis-
tung darstellt, richtig. Deswegen haben wir Grünen dem
auch zugestimmt. Angesichts der historischen Besonder-
heit muss dies jedoch überprüft und möglicherweise
auch verändert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich gab es in den 60er-Jahren des vergange-
nen Jahrhunderts kein Arzneimittelgesetz und auch nur
ein unterentwickeltes Entschädigungsrecht. Heutzutage
würden bei ähnlich gelagerten Fällen von fremdver-
schuldeter Verursachung einer Behinderung ganz andere
Summen gezahlt.

Ein Beispiel: Bei einem groben Behandlungsfehler
während eines Geburtsvorgangs im Jahr 2002 mit nach-
folgender schwerer Behinderung des Kindes sprach fünf
Jahre später, im Jahr 2007, die Zivilkammer des Landge-
richts Dortmund dem geschädigten Kind ein Schmer-
zensgeld in Höhe von 300 000 Euro sowie die Erstattung
der bis zum fünften Lebensjahr des Kindes aufgelaufe-
nen und nicht von der Krankenkasse erstatteten zusätzli-
chen Pflege- und Therapiekosten in Höhe von 66 000
Euro zu. Überdies wurden die Beklagten verpflichtet,
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu er-
setzen, die in Zukunft entstehen werden.

Natürlich kann man Lebensschicksale nicht ohne
Weiteres in Geld umrechnen oder gegeneinander auf-
rechnen. Dieses Urteil – es gibt auch andere – kann aber
als Indiz dafür dienen, dass die Entschädigung der Con-
terganopfer zumindest überprüft werden muss.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von
Union, SPD und FDP, irgendwie ahnen Sie ja, dass die
Korrektur der Entschädigungsrente die Schadensersatz-
frage nicht befriedigend löst. Sonst würden Sie nicht
eine Studie in Auftrag geben wollen, deren Ziel es ist,
die Bedarfe der Contergangeschädigten erneut zu erhe-
ben und zu erforschen.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen begrüßen ausdrück-
lich, dass eine Bestandsaufnahme durchgeführt werden
soll. Die Ergebnisse müssen aber auch Folgen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe, dass die Antragstellerinnen von Union,
SPD und FDP hier keine falschen Hoffnungen wecken
wollen. Das will auch ich ausdrücklich nicht. Man kann
aber doch nicht eine Untersuchung ankündigen und
gleichzeitig verkünden, dass es am Ende nicht mehr
Geld gibt, auch wenn die Ergebnisse dies möglicher-
weise angebracht erscheinen lassen.

Abschließend wiederhole ich gerne, was ich bereits
bei der ersten Beratung der Anträge gesagt habe. Der
Bund ist gefordert, da er mit dem Conterganstiftungsge-
setz die Gewährleistung der Haftung übernommen hat
und Haftungsnachfolger ist. Eine sachgerechte, dem mo-
dernen Entschädigungsrecht gerecht werdende individu-
elle Bestandsaufnahme ist notwendig. Nur so kann ein
Nachteilsausgleich gestaltet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Solange dieser nicht derart gestaltet ist, können wir uns
bei Ihrem Antrag nur enthalten.

Eine unvoreingenommene Überprüfung ist nicht nur
recht und billig, sondern auch Teil der historischen wie
der praktischen Verantwortung der Bundesrepublik
Deutschland. Wir als Mitglieder des höchsten Verfas-
sungsorgans des Staates sollten dieser Verantwortung
auch gerecht werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620016400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/11625.

Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Annahme des Antrags der Fraktionen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 16/11223
mit dem Titel „Angemessene und zukunftsorientierte
Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/8754 mit dem Titel
„Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Un-
terstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“ für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11625 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/8748 mit dem Titel „Für ei-
nen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen
des Contergan-Medizinskandals“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/11639 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens
Ackermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Lockerung des Verbots wieder-
holter Befristungen

– Drucksache 16/10611 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen, un-
befristete Beschäftigung stärken

– Drucksache 16/9807 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Gitta Connemann, CDU/CSU, Anette Kramme und
Josip Juratovic, SPD, Dirk Niebel, FDP, Kornelia
Möller, Die Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die
Grünen.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/10611 und 16/9807 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist es so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer

(Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Ab-

geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Annette Faße, Sören Bartol,
Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Infrastruktur und Marketing für den Wasser-
tourismus in Deutschland verbessern

– Drucksachen 16/10593, 16/11303 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt sollen die Re-
den zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich
um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Renate
Blank, CDU/CSU, Annette Faße, SPD, Patrick Döring,
FDP, Dorothée Menzner, Die Linke, Bettina Herlitzius,
Bündnis 90/Die Grünen.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11303, den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/10593 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den
Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Tarifflucht verhindern – Geltung des Günstig-
keitsprinzips bei Betriebsübergängen nach
§ 613 a BGB sicherstellen

– Drucksache 16/10828 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

1) Anlage 3
2) Anlage 4






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch die Reden
folgender Kolleginnen und Kollegen hierzu zu Proto-
koll zu nehmen: Matthäus Strebl, CDU/CSU, Andreas
Steppuhn, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Ulla Lötzer,
Die Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10828 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Anette
Hübinger, Ilse Aigner, Michael Kretschmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Gesine Multhaupt,
Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem
durch eine differenzierte Gleichstellungs-
politik vorantreiben

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Frauen auf dem Sprung in die Wissen-
schaftselite

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra

(Saarbrücken)

tion DIE LINKE

Gleichstellung in der Wissenschaft durch Mo-
dernisierung der Nachwuchsförderung und
der Beschäftigungsverhältnisse herstellen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr
Chancengerechtigkeit und Gender-Perspek-
tiven in Wissenschaft und Forschung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gleichstellung und Genderkompetenz als
Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Inno-
vation in der Wissenschaft

– Drucksachen 16/9756, 16/9604, 16/8742,
16/5898,16/8753, 16/11631 –

1) Anlage 5
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Gesine Multhaupt
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Krista Sager

Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sol-
len zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um
die Reden der Kolleginnen und Kollegen Anette
Hübinger, CDU/CSU, Gesine Multhaupt, SPD, Cornelia
Pieper, FDP, Dr. Petra Sitte, Die Linke, Krista Sager,
Bündnis 90/Die Grünen.2)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 16/11631. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 16/9756 mit dem Titel „Qualitäts-
sicherung im Wissenschaftssystem durch eine differen-
zierte Gleichstellungspolitik vorantreiben“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9604 mit
dem Titel „Frauen auf dem Sprung in die Wissenschafts-
elite“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit
den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.

Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/8742 mit dem Titel
„Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisie-
rung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungs-
verhältnisse herstellen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Frak-
tion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen
angenommen.

Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/5898 mit dem Titel „Mehr Qualität und
Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gen-
der-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke und der Fraktion der FDP
angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8753
mit dem Titel „Gleichstellung und Genderkompetenz als

2) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Innovation in der
Wissenschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einheitliches Stromnetz schaffen – Unabhän-
gige Netzgesellschaft gründen

– Drucksache 16/9798 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Auch diese Reden nehmen wir zu Protokoll. Es han-
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD,
Gudrun Kopp, FDP, Ulla Lötzer, Die Linke, Hans-Josef
Fell, Bündnis 90/Die Grünen.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9798 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Verfahren des elektronischen Ent-
geltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz)


– Drucksache 16/10492 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/11666 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Doris Barnett


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/11667 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Volker Kröning
Ulrike Flach
Roland Claus
Anna Lührmann

1) Anlage 7
Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt wer-
den zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Re-
den der Kolleginnen und Kollegen Kai Wegner, CDU/
CSU, Doris Barnett, SPD, Ulrike Flach, FDP, Petra Pau,
Die Linke, Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1620016500

Wir diskutieren heute abschließend den Gesetzentwurf

der Bundesregierung zum sogenannten ELENA-Verfah-
rensgesetz. „ELENA“ steht kurz für „Elektronischer Ent-
geltnachweis“ und ist das mit Abstand wichtigste Projekt
unserer Bundesregierung zur Verwaltungsmodernisie-
rung und Entbürokratisierung in dieser Legislatur-
periode.

Angesichts des gesellschaftlichen, technologischen
und demografischen Wandels sieht sich der Staat einer
ständig wachsenden Zahl von Aufgaben gegenüber. Um
dieser Herausforderung gerecht zu werden, ist die stetige
Modernisierung unserer Behörden praktisch zu einem
notwendigen Daueranliegen des Staates geworden. Ver-
waltungsmodernisierung ist aber nicht nur Selbstzweck;
vielmehr bin ich der Meinung, dass die Bürgerinnen und
Bürger sowie die Unternehmen in unserem Land einen
Anspruch darauf haben, dass staatliche Aufgaben in ho-
her Qualität, serviceorientiert und effizient erfüllt wer-
den. Im Sinne von mehr Lebensqualität für die Bürgerin-
nen und Bürger sowie der Wettbewerbsfähigkeit unserer
Wirtschaft ist es deshalb notwendig, dass wir sukzessive
bestehende Innovationspotenziale für eine bessere Ver-
waltung nutzen. Und genau das ist das Anliegen des
ELENA-Verfahrens. Denn das Verfahren revolutioniert
die Art und Weise, wie wir in unserem Land Verwaltung
organisieren.

Derzeit stellen die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern
Jahr für Jahr rund 60 Millionen Bescheinigungen für Be-
hörden und Gerichte aus. Diese Bescheinigungen sind
vom Arbeitgeber auszustellen und vom Arbeitnehmer im
Zusammenhang mit dem Bezug von Sozialleistungen dem
jeweiligen Amt vorzulegen. Konkret bedeutet das: Wenn
ich als Vater beispielsweise Elterngeld beziehen möchte,
benötigt das zuständige Amt zur Berechnung der Höhe
meines Anspruchs die notwendigen Informationen zu
meinem Einkommen. Obwohl die notwendigen Daten bei
meinem Arbeitgeber elektronisch vorliegen, werden sie
mir derzeit in Papierform ausgehändigt. Ich bin dann in
der Pflicht, meine Einkommensdaten der Behörde zu
überbringen, die die Daten wiederum in ihre Datenbank
eingibt, um meinen Antrag zu bearbeiten.

Dieser Medienbruch ist unnötig und bedeutet für alle
am Verfahren Beteiligten einen Arbeits- und Zeitaufwand,
der im Zeitalter der elektronischen Kommunikation und
Datenverarbeitung höchst kostspielig ist. So schätzt der
Normenkontrollrat, dass alleine durch die circa 6,5 Mil-
lionen Arbeitsbescheinigungen, die für die Beantragung
und Berechnung des Arbeitslosengeldes I erforderlich
sind, jährliche Kosten in Höhe von rund 100 Millionen
Euro entstehen.

Mithilfe des elektronischen Einkommensnachweises
kann dieser kostspielige Medienbruch überwunden wer-
den. So können die Unternehmen künftig im ELENA-Ver-


(A) (C)



(B) (D)


Kai Wegner
fahren die Einkommensdaten der Mitarbeiter monatlich
automatisiert elektronisch an eine zentrale Datenbank
melden.

Für die Übermittlung der Daten an die Zentrale Spei-
cherstelle bedarf es dabei keines neuen Verfahrens. Viel-
mehr wird das bestehende DEÜV-Verfahren genutzt, über
das schon heute Arbeitgeber die Daten ihrer Mitarbeiter
an die Sozialversicherung übermitteln. Durch die Nut-
zung dieses bereits gut funktionierenden Verfahrens ist
der mit ELENA verbundene Investitionsaufwand denkbar
gering. Der Arbeitgeber, der schon heute Daten per
DEÜV-Verfahren meldet, benötigt lediglich ein Software-
Update.

Während die Umstellungskosten des Verfahrens gering
sind, ist das Potenzial, Kosten einzusparen, gewaltig. Be-
reits für die sechs Bescheinigungsarten, die nach dem Ge-
setzentwurf in das ELENA-Verfahren einbezogen werden,
ergibt sich für die Unternehmen eine Nettoentlastung von
rund 86 Millionen Euro pro Jahr. Dabei werden insbe-
sondere kleine und mittelständische Unternehmen entlas-
tet. Denn Analysen belegen, dass gerade hier der Arbeits-
und Zeitaufwand und damit die Kosten zur Erstellung ei-
ner Bescheinigung am höchsten sind: Während bei einem
großen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern und ent-
sprechender Personalabteilung die Kosten im Schnitt bei
rund 6,18 Euro liegen, fallen die Kosten bei einem klei-
nen Unternehmen im Schnitt fast dreieinhalb Mal so hoch
aus, nämlich 21,38 Euro.

Aber auch für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet
die Einführung des ELENA-Verfahrens eine Entlastung.
Diese lässt sich zwar weniger eindrucksvoll mit Zahlen
belegen, als das bei der Wirtschaft der Fall ist, doch zeigt
sie sich den Bürgern in einer effizienteren Verwaltung.
Denn mit dem elektronischen Entgeltnachweis wird sich
die Bearbeitung von Anträgen beschleunigen und die
Zahl der Verfahrensfehler minimieren. Die Bürger sind
außerdem nicht mehr in der Pflicht, sich Bescheinigun-
gen bei ihrem Arbeitgeber oder ehemaligen Arbeitgebern
ausstellen zu lassen, sondern können direkt in der Be-
hörde die notwendigen Daten abrufen lassen.

Mir ist durchaus bewusst, dass es infolge zahlreicher
Fälle von Datenmissbrauch, die uns hinlänglich aus der
Presse bekannt sind, zu einer tiefen Verunsicherung in der
Bevölkerung in Bezug auf das Speichern von Daten ge-
kommen ist. Deshalb ist es wichtig, zu betonen, dass das
ELENA-Verfahren die höchsten Sicherheitsstandards er-
füllt. Das gilt sowohl für die Verschlüsselung der Daten
als auch die Möglichkeit des Abrufs.

Das Verfahren wurde von Anfang an gemeinsam mit
dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz ausgear-
beitet und gewährleistet die volle Kontrolle des Bürgers
über seine gespeicherten persönlichen Daten. Mittels der
Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur,
im Rechtsverkehr heute schon gleichbedeutend einer real
geleisteten Unterschrift, wird sichergestellt, dass nur mit
Einwilligung des Bürgers die notwendigen Daten aus der
Speicherstelle abgerufen werden können. Niemand kann
folglich eigenmächtig auf Daten aus der Zentralen Spei-
cherstelle zugreifen. Der Bürger muss die abrufende
Stelle immer dazu autorisieren; anders ist ein Datenabruf
nicht möglich. Darüber hinaus hat der Bürger jederzeit
Zu Protokoll
das Recht, vom Arbeitgeber gemeldete Daten einzusehen.
Auch eine Verwendung der Daten zu anderen Zwecken
ist – das ist gesetzlich geregelt – ausgeschlossen.

Gerade vor diesem datenschutzrechtlichen Hinter-
grund halte ich die im Gesetzentwurf aufgezeigte Vorge-
hensweise zum Aufbau des ELENA-Verfahrens für ge-
rechtfertigt. So werden in einem ersten Schritt die
notwendigen technischen Voraussetzungen für das Ver-
fahren gelegt, um dann in einer Einführungsphase die
Datensicherheit und Funktionsfähigkeit des bereits er-
folgreich erprobten Verfahrens zu bestätigen. Das ist
technisch notwendig und aus datenschutzrechtlicher
Sicht sinnvoll. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin ver-
nünftigerweise vor, bis zum Abschluss dieser ersten
Phase lediglich sechs Bescheinigungspflichten in das
ELENA-Verfahren einzubeziehen. Das mag einigen kurz-
fristig zu wenig sein; für mich ist allerdings in diesem Zu-
sammenhang die mittelfristige bis langfristige Perspek-
tive entscheidender.

Denn dieser Gesetzentwurf legt den Grundstein für ein
umfassendes elektronisches Verfahren, dessen Potenzial
mit der Einbeziehung von sechs Bescheinigungen mit ei-
ner Nettoentlastung von rund 86 Millionen pro Jahr bei
weitem noch nicht ausgereizt ist. Der Normenkontrollrat
schätzt, dass mit jeder Entgeltbescheinigung, die zukünf-
tig auf dem ELENA-Verfahren basierend übermittelt wird,
eine Nettoentlastung der Wirtschaft von 5 Millionen Euro
einhergeht. Ich bin der Überzeugung, dass wir es uns
schlichtweg nicht leisten können, dauerhaft auf das volle
Potenzial des ELENA-Verfahrens zu verzichten. Die Bun-
desregierung täte deshalb gut daran, nach einem erfolg-
reichen Abschluss der Einführungsphase alle Entgeltbe-
scheinigungen ohne Ausnahme in das Verfahren zu
integrieren. Das wäre ein klares Bekenntnis zu einer kon-
sequenten Verwaltungsmodernisierung und hätte im Üb-
rigen auch Signalwirkung für unsere IT-Branche.

Das ELENA-Verfahren bietet ein riesiges Potenzial,
Bürokratie in unserem Land abzubauen, und wird unsere
Verwaltung im Sinne von mehr Service und mehr Bürger-
freundlichkeit modernisieren.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1620016600

Etwas stiefmütterlich behandelt, weil von der Öffent-

lichkeit eher unbeachtet, werden wir heute ELENA verab-
schieden. Damit wird ein Meilenstein in Sachen Bürokra-
tieabbau und bessere informationelle Selbstbestimmung
gesetzt. Arbeitgeber werden mit wenigen Veränderungen
die schon bisher an die gesetzliche Krankenversicherung
und an die Rentenversicherung übermittelten Daten jetzt
auch per Knopfdruck an eine dritte Stelle, die Zentrale
Speicherstelle, ZSS, schicken. Das hört sich zwar unspek-
takulär an, hat aber für die Arbeitgeber weitreichende
Folgen. Auch wenn manch eines der Unternehmen stöhnt,
weil der abzusetzende Datensatz doch noch das eine oder
andere Datum braucht, sollten alle bedenken, was ihnen
zukünftig erspart bleibt: viel Papierkram und viel Geld,
und zwar nach heutigen Schätzungen über 80 Millionen
Euro pro anno.

Jedes Jahr werden circa 60 Millionen Entgeltbeschei-
nigungen aus den verschiedensten Gründen angefordert
und ausgestellt. Der eine braucht sie, um Leistungen der



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Doris Barnett
Arbeitslosenversicherung zu beantragen, der andere, um
einen Wohnberechtigungsschein zu beantragen, der dritte
braucht das Papier, um einen Kredit zu beantragen. Und
jedes Mal muss die Personalabteilung – oder bei Klein-
unternehmen der Steuerberater – die Lohnunterlagen he-
raussuchen, Berechnungen anstellen, Formulare ausfül-
len. Manchmal, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat,
kann das auch ein zweites und drittes Mal notwendig sein.
Das kostet auf der Arbeitgeberseite Zeit und Geld. In
Großunternehmen geht das zwar heute relativ schnell
dank gut funktionierender EDV und kostet im Durch-
schnitt 6 Euro pro Bescheinigung. In kleinen und mittle-
ren Unternehmen, die vielleicht nicht einmal eine eigene
Gehaltsabrechnung haben, kann das schnell ins Geld ge-
hen; denn bei einem Steuerberater kann ein solches Do-
kument bis zu 36 Euro kosten.

Der Arbeitnehmer, der die Bescheinigung braucht, ist
oft verzweifelt, weil das Ausstellen der Bescheinigung
nicht sofort erfolgen kann, sondern dauert, manchmal
mehrere Wochen. Zunächst müssen ja die Unterlagen he-
rausgesucht werden, und in kleinen Betrieben, die wenig
Fluktuation haben, muss man sich oft erst durch diese
Formulare durcharbeiten. Aber wir kennen auch die Be-
schwerden, wenn ein Petent arbeitslos ist, sein Arbeitslo-
sengeld aber nicht berechnet werden kann, weil der ehe-
malige Arbeitgeber die Bescheinigung einfach nicht
ausfüllt bzw. seinen ehemaligen Arbeitnehmer warten
lässt. Dieser bekommt dann zunächst kein Arbeitslosen-
geld, hat Probleme mit dem Vermieter, weil er seine Rech-
nungen nicht bezahlen kann usw. Wie gesagt, wir alle ken-
nen solche Vorkommnisse.

Mit ELENA werden diese Probleme bald der Vergan-
genheit angehören. Der Arbeitnehmer, der auf seiner
Scheckkarte oder einer eigens dafür vorgesehenen
Schlüsselkarte seinen individuellen ELENA-Schlüssel
hat, braucht keine Bittgänge mehr zu machen. Er bzw. sie
kann mit diesem Schlüssel zum Beispiel in der Arbeits-
agentur am eigens dafür aufgestellten Terminal zusam-
men mit dem dafür bestimmten und zertifizierten Mitar-
beiter der Arbeitsagentur, der wiederum über eine geson-
derte Schlüsselkarte für spezielle Abrufe verfügt, auf
seine Daten in der Zentralen Speicherstelle zugreifen.
Mithilfe dieser Daten erstellt dann das ELENA-Pro-
gramm umgehend den notwendigen Entgeltnachweis, der
als unabdingbare Grundlage für die Lohnersatzleistung
der Arbeitsagentur dient. Die Leistungsberechnung für
den Arbeitnehmer kann also umgehend erfolgen, was
eine große persönliche Erleichterung ist.

Ich habe bewusst den Vorgang ausführlich geschildert,
um zu dokumentieren, um wie viel einfacher wir das Le-
ben für die Menschen machen können; ihre informatio-
nelle Selbstbestimmung, der Datenschutz also, wird da-
rüber hinaus auch allzeit gewahrt. Sicher, das Verfahren
kostet auch Geld. Der Arbeitnehmer zahlt für seinen in-
dividuellen Schlüssel 10 Euro für drei Jahre. Benutzt er
ihn nicht, dann hat er in dieser Zeitspanne zwar diese
Ausgabe. Umgekehrt kann er aber, wenn er einen Entgelt-
nachweis einmal schnell braucht, auch ganz unkompli-
ziert an dieses wichtige Dokument kommen. Außerdem
können wir heute noch nicht wissen, wie sich in den kom-
menden Jahren und bei wachsenden Nutzungsmöglich-
keiten die Preisentwicklung für einen solchen Schlüssel
entwickelt.

Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich den Mitar-
beitern im Ministerium und in den Fraktionen danken, die
über Jahre geduldig an diesem Projekt, das wirklich weg-
weisend ist für eine moderne Verwaltung, für Bürokratie-
abbau und für informationelle Selbstbestimmung, gear-
beitet haben. Aber diese ELENA zeigt auch, was ein
Parlament zu leisten imstande ist. Denn von einer guten
Idee bis zu einem Gesetz, das breit akzeptiert wird, das
zwar zu Beginn auch etwas Aufwand verursacht, aber
später gut funktioniert und allen Beteiligten Zeit und Geld
spart, ist es ein weiter Weg. Auf diesem Weg haben wir uns
auch sachverständigen Rat geholt, unter anderem vom
Bundesdatenschutzbeauftragten. Seine Änderungs- und
Ergänzungsvorschläge haben wir ins Gesetz übernom-
men. Und ihn, als obersten Datenschützer der Republik,
werden wir auch mit der Aufbewahrung des Master-Keys
betrauen. Denn keine andere Stelle in der Republik hat
bezüglich Datensicherheit eine so hohe Reputation wie
diese Funktion und Person.

Zum Schluss möchte ich einen Blick in die Zukunft wa-
gen: Auch wenn die Länder sich dieses Mal noch nicht
entscheiden konnten, das Verfahren auch auf die Beantra-
gung von Wohngeld anzuwenden, so habe ich die Hoff-
nung, dass sich bald die Vorteile von ELENA zeigen.
Denn dann wird das notwendige Vertrauen in dieses Ver-
fahren dazu führen können, auch Nachweise für andere
Leistungen mit ELENA zu erstellen. Sicher haben viele
Bürger noch Bedenken, ob ihre Daten auch wirklich ge-
schützt sind. Wenn sie aber sehen, dass sie sich auf dieses
Verfahren verlassen können, dann steht dem lernenden
System ELENA nichts mehr im Wege, auch andere Berei-
che der öffentlichen Verwaltung und der Sozialsysteme
einzubeziehen. Profitieren werden wir alle. Deswegen
verdient die „schöne ELENA“ auch etwas mehr Anerken-
nung und Aufmerksamkeit.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1620016700

Das Beispiel der Einführung des elektronischen Ein-

kommensnachweises ist symptomatisch für die Art, wie
die Bundesregierung E-Government und E-Health be-
handelt.

Als Liberale begrüßen wir den Abbau bürokratischer
Regeln und die Nutzung moderner Technik zur Entlastung
der Wirtschaft. Die Möglichkeiten von ELENA sind viel-
fältig, sie werden aber von der Bundesregierung nicht ge-
nutzt. Nur acht von 45 Nachweisverfahren wurden ins
ELENA-Verfahren aufgenommen. Noch in letzter Minute
haben Sie durch eine Intervention des Bundesrates die
Wohnraumförderung aus dem Katalog gestrichen.

Der Umgang mit ELENA reiht sich damit ein in die un-
rühmliche Geschichte der IT-Politik der Bundesregie-
rung. Denken wir an die elektronische Gesundheitskarte,
die in deutlich abgespeckter Form, mit weniger Service-
leistungen, erheblich später und dafür teurer kommen
soll, wenn sie denn überhaupt kommt. ELENA folgt die-
sem Schema: Das System kann viel mehr, wird aber nicht
vollständig genutzt. ELENA wird deutlich teurer, sowohl
für die Wirtschaft, die Anschaffungskosten für die Lese-


(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach
geräte hat, als auch für den Arbeitnehmer, der den Da-
tenabruf zukünftig bezahlen muss. Sie verschieben das
zwar auf das Jahr 2019, damit keiner der Verantwortli-
chen mehr im Amt ist, aber Fakt ist, dass eine Leistung,
die der Arbeitnehmer bisher umsonst erhielt, nämlich die
Zusendung eines Einkommensnachweises, zukünftig be-
zahlt werden muss.

Wenn man sich über Technikskepsis der Bürger be-
klagt, dann hat das auch damit zu tun, dass neue Techno-
logien, jedenfalls wenn der Staat sie einführt, für den Bür-
ger immer zunächst das Signal höherer Kosten bedeuten.
Diese Bundesregierung ist eben nicht Vorreiter, wenn es
darum geht, IT-Verfahren nutzbringend, kostengünstig
und bürgerfreundlich einzusetzen, sondern sie beschränkt
sich auf Minimallösungen, die dann verfahrensaufwendig
und teuer sind, weil die Kosteneffekte erst bei größeren
Einheiten und umfassenden Nutzergruppen auftreten.

Auch bei ELENA wird der mögliche Nutzerkreis nicht
ausgeschöpft. ELENA wird bei der Bundesagentur für Ar-
beit eingeführt, bei Ländern und Kommunen dagegen
nicht. Es gibt also weiterhin zwei Datenübermittlungsver-
fahren parallel. Sicher werden einige Länder nachziehen.
Aber warum muss das immer Jahrzehnte dauern und zu
unterschiedlichen Softwarestandards führen? Deutsch-
land, der Flickenteppich der Anwendungssoftware!

Wir sehen die Mühsal Ihrer Politik auch bei der zähen
Einführung von IT-Verantwortlichen in den Ministerien,
beim Bundes-CIO und einer zentralen Beschaffung. Wir
als Liberale haben die Bundesregierung und die nachge-
ordneten Behörden regelmäßig aufgefordert, auf teure
Eigenbasteleien zu verzichten und sich am Markt zu
orientierten. Eigene große IT-Projekte, von Hercules bis
Quero, sind regelmäßig gescheitert oder wurden mit jah-
relangen Verzögerungen und massiven Kostensteigerun-
gen umgesetzt.

ELENA ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Auch da-
tenschutzrechtlich bleiben Fragen offen. Wir brauchen
ELENA beispielsweise, um ein Bürgergeldsystem einzu-
führen, das wir als FDP schon bald ein Jahrzehnt for-
dern. Aber brauchen wir die zentrale Sammelstelle in die-
ser massiven Form, wenn wir dem Bürgergeld noch
keinen Schritt näher kommen?

In der Abwägung der Vorteile von ELENA und der Be-
wertung der Mängel in der Umsetzung kann für meine
Fraktion keine Zustimmung herauskommen. Wir sind
zwar für ELENA, aber kritisieren die zu geringen Vor-
teile, die der Gesetzesentwurf bringt. Deshalb werden wir
uns bei der Abstimmung über den vorliegenden Entwurf
enthalten.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620016800

ELENA ist der Kosename für ein elektronisches Groß-

projekt der Bundesregierung. Ausgeschrieben heißt
ELENA „elektronischer Entgeltnachweis“. Konkret be-
deutet das: Die Löhne und Gehälter aller abhängig Be-
schäftigten sollen künftig elektronisch erfasst und zentral
gespeichert werden. Die so gebündelten Daten wiederum
können gelten als Beleg gegenüber Behörden oder Ge-
richten, sobald Bürgerinnen oder Bürger ihren Anspruch
auf staatliche Leistungen geltend machen wollen. Das
Zu Protokoll
Verfahren sei modern und spare obendrein Verwaltungs-
kosten, werben die ELENA-Befürworter.

Die Linke zählt ausdrücklich nicht zu den Befürwor-
tern. Wir werden das Gesetz ablehnen. Der erste Grund
für unser Nein ist übergreifend. 2008 war ein Jahr der
Datenpannen und Datenskandale. Sie zeigten: Daten-
schutz wird auch hierzulande immer kleiner geschrieben.
Deshalb fordert die Linke ein Moratorium für alle elek-
tronischen Großprojekte, die den Datenschutz noch wei-
ter gefährden könnten. ELENA mit sensiblen Lohndaten
gehört für uns ebenso dazu wie die elektronische Gesund-
heitskarte mit sensiblen Krankendaten. Bei ELENA han-
delt es sich übrigens um eine Vorratsdatenspeicherung.
Das heißt, die Lohn- und Gehaltsdaten von rund 30 Mil-
lionen Bürgerinnen und Bürgern werden für den Fall ge-
speichert, dass sie irgendwann einmal Anspruch auf Zu-
satzleistungen haben könnten. Dasselbe Prinzip kennen
wir von den Telekommunikationsdaten. Auch sie werden
auf Vorrat gespeichert für den Fall, dass eine Bürgerin
oder ein Bürger sich als kriminell oder als Terrorist er-
weisen könnte. Die Linke lehnt solche Vorratsdatenspei-
cherung ab, also auch ELENA.

Nun argumentieren die ELENA-Befürworter damit,
dass die elektronische Erfassung der Lohn- und Gehalts-
daten im Vergleich zum bisherigen Papierverfahren
86 Millionen Euro Bürokratiekosten pro Jahr sparen
würde. Nehmen wir einfach mal an, die Zahl stimmte.
Dann stellt sich doch die Frage, ob ein vermeintlicher
Gewinn von 86 Millionen Euro rechtfertigt, dass sensible
Daten von 30 Millionen Bürgerinnen und Bürgern von
Staats wegen auf Vorrat erfasst werden? Ich finde, nein.
Denn die Risiken sind weit höher als der Nutzen.

Aber auch der Nutzen ist höchst umstritten. Darauf
hatte übrigens auch der Bundesrat in seiner Stellung-
nahme verwiesen. Wenn überhaupt 86 Millionen Euro
positiv zu Buche schlagen, dann bestenfalls bei großen
Unternehmen. Die kleinen Betriebe indes zahlen drauf.
Auch den Kommunen entstehen durch ELENA zusätzliche
Kosten. Finanziell gewinnen dürften bestenfalls die Fir-
men, die Komponenten für das System ELENA liefern.
Das wiederum riecht nach einem Lobbygesetz. Auch des-
halb wird die Linke nicht zustimmen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620016900

Nach jahrelanger Diskussion wird nun das Gesetz zum

elektronischen Entgeltnachweis, ELENA, beschlossen.
Dank ELENA wird die Papierflut von jährlich 60 Millio-
nen Entgeltnachweisen schon bald der Vergangenheit an-
gehören. Damit werden sowohl Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer als auch Unternehmen auf sinnvolle Weise
von bürokratischem Aufwand entlastet.

Doch ELENA hat leider nicht nur schöne Seiten: Da-
mit das neue elektronische Verfahren funktioniert, müssen
massenweise Daten gesammelt und gespeichert werden,
Daten, die einkommensrelevante Informationen über 35
bis 40 Millionen abhängig Beschäftigte beinhalten. Hier
entsteht ein neues Zentralregister, in dem auf Vorrat In-
formationen gesammelt werden, die ein Großteil der po-
tenziellen Nutzer niemals abrufen wird. Dass man mit sol-
chen sensiblen Daten nicht leichtfertig umgehen darf,
müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Nicht
zuletzt die Skandale um verschwundene Kontodaten ha-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
ben uns das deutlich vor Augen geführt. Deswegen haben
wir immer wieder gefordert, dass die Speicherung sol-
cher Informationen an starke datenschutzrechtliche Re-
geln geknüpft werden muss. Das betrifft nicht nur die si-
chere technische Verschlüsselung, sondern auch den
Schutz vor Missbrauch. Denn man kann nie wissen, wel-
che Begehrlichkeiten bei einer so umfangreichen Daten-
sammlung wie ELENA irgendwann erwachsen könnten.
Die Sachverständigen im Berichterstattergespräch haben
uns in diesem Punkt bestätigt. Unsere zwei Änderungsan-
träge im Wirtschaftsausschuss zielten genau auf diese vom
Bundesdatenschutzbeauftragten benannten Schwachstel-
len des bisherigen Entwurfs: Zum einen haben wir die Lö-
schung veralteter, irrelevanter Daten gefordert und zum
Zweiten die Einrichtung einer unabhängigen Treuhän-
derstelle zur Verwaltung des Datenbankhauptschlüssels
der zentralen Speicherstelle verlangt.

Die zeitnahe Löschung der Daten ist nun in das Gesetz
aufgenommen worden, doch bei der Einrichtung der un-
abhängigen Treuhänderstelle hapert es nach wie vor.
Zwar hat nun auch die Große Koalition erkannt, dass es
eine solche Einrichtung geben muss. Doch anstatt sie bei
der Bundesnotarkammer anzusiedeln, die erwiesener-
maßen die technischen Voraussetzungen besitzt, um den
Datenbankhauptschlüssel zu verwalten, wollen sie die
Treuhänderstelle beim Bundesdatenschutzbeauftragten
unterbringen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat
sich jedoch mehrfach – im Berichterstattergespräch und
in mehreren Schreiben – entschieden dagegen ausgespro-
chen, diesen Schlüssel in seinem Hause zu verwalten. Es
ist vollkommen unverständlich, warum entgegen seinem
ausdrücklichen Wunsch solche Entscheidungen getroffen
werden. Denn es spricht einiges dagegen, dass die Ver-
waltung des Schlüssels damit an der richtigen Stelle lan-
det: Dem Haus des Bundesdatenschutzbeauftragten feh-
len bisher personelle und finanzielle Mittel dafür. Vor
allem aber stellt sich die Frage, was datenschutzrechtlich
passiert, wenn der Bundesdatenschutzbeauftragte selbst
eine operative Aufgabe wie die Verwaltung eines Daten-
bankhauptschlüssels übernimmt. Schließlich muss auch
bei dieser Tätigkeit jemand kontrollieren, ob der Daten-
schutz eingehalten wird. Und es macht offensichtlich we-
nig Sinn, dass ein Kontrolleur sich selbst kontrolliert.

ELENA bleibt eine Antwort auf dieses Problem schul-
dig. Auch deswegen wäre die Bundesnotarkammer eine
wesentlich bessere Wahl zur Einrichtung der Treuhänder-
stelle gewesen. Ihre Unabhängigkeit ist außerdem zusätz-
lich dadurch gesichert, dass sie in keiner Weise an die
Bundesregierung gebunden ist.

Neben den Details des ELENA-Verfahrensgesetzes
darf eines nicht vergessen werden: Bürokratieabbau
muss mehr beinhalten als die bloße Elektronisierung be-
stimmter Verfahren. Zum Entgeltnachweis gehören zur-
zeit 45 Informationspflichten, die man unserer Ansicht
nach relativ problemlos auf acht reduzieren könnte. Die
Bundesregierung muss endlich umfangreiche Schritte
einleiten, um überflüssige Vorschriften und Informations-
pflichten abzuschaffen.

Insgesamt ist ELENA ein Schritt in die richtige Rich-
tung, aber es gibt noch diverse andere Baustellen, auf de-
nen wir den Bürokratieabbau vorantreiben können. Dabei
spielt E-Government eine zentrale Rolle. E-Government
ist für uns eine Idee mit Zukunft; denn richtig umgesetzt,
vereinfacht es viele Verfahren und nutzt den technischen
Fortschritt zum Wohle von Bürgern, Staat und Unterneh-
men. Doch wenn dies mit der massenhaften Sammlung
und Speicherung sensibler Daten einhergeht, muss das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung unbedingt
gewahrt werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1620017000

Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/11666, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 16/10492 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der FDP-
Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring, Joachim
Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Novellierung des Personenbeförderungsge-
setzes – Wettbewerb im öffentlichen Perso-
nenfernverkehr zulassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Novellierung des Personenbeförderungsge-
setzes – Fernlinienbusverkehre ermöglichen

– Drucksachen 16/384, 16/842, 16/3905 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Sören Bartol von der SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1620017100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich merke, ein Ruck geht durch dieses Haus.


(Heiterkeit bei der SPD)


Das freut mich; denn wir beschäftigen uns jetzt mit ei-
nem nicht unwichtigen Thema.

Eines muss ich Ihnen lassen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP: Mit Ihrer Forderung nach einer
Liberalisierung des Marktes für Fernbuslinien sind Sie
ziemlich hartnäckig.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ja!)


Aber Ihre Forderung wird auch durch dauernde Wieder-
holungen fast immer gleicher Anträge nicht richtiger.
Aus meiner Sicht, die sich sicherlich mit der des Kolle-
gen Hofbauer, der gleich reden wird, decken wird, ist
und bleibt es richtig, funktionierende Bahnverbindungen
vor Konkurrenz von der Straße zu schützen. Erklärtes
Ziel der Koalition ist es, den umweltfreundlichen Ver-
kehrsträger Schiene zu stärken. Wir tun dies entspre-
chend unserem Gemeinwohlauftrag aus dem Grundge-
setz mit erheblichen Investitionsmitteln. Wir würden
uns, glaube ich, einen Bärendienst erweisen, wenn wir
zuließen, dass die Bahn auf gut funktionierenden Stre-
cken Konkurrenz durch Busse bekommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Erstens. Die von Ihnen geforderte Liberalisierung,
meine Damen und Herren von der FDP, führt zu Rosi-
nenpickerei auf den Strecken und zu Zeiten mit hohem
Fahrgastaufkommen. Sie gefährden damit die Wirt-
schaftlichkeit von Bahnverbindungen und nehmen Preis-
erhöhungen und vor allen Dingen Streckenstilllegungen
in Kauf. Letztlich geht das zulasten der Fahrgäste.

Zweitens. Vielfach werden Nahverkehrsverbindungen
durch Fernverkehrszüge abgedeckt; das wissen wir.
Wenn diese wegfallen, muss die öffentliche Hand ein-
springen und Nahverkehrsleistungen bestellen. Sie
würde damit zum Ausfallbürgen auf Strecken, die dann
nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind.

Drittens. Mit der Liberalisierung des Fernverkehrs-
marktes für Busse würden Sie uns ausländische Konkur-
renz ins Land holen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui! Das ist ganz besonders gefährlich für die SPD!)


– Das ist ganz gefährlich.

Bei den EU-Verhandlungen zum Road Package ist ab-
sehbar, dass ein Kabotageverbot noch stärker als bisher
an eine entsprechende Regelung im nationalen Recht ge-
knüpft sein wird. Verzichten wir im deutschen Recht auf
diesen Konkurrenzschutz, öffnen wir damit die Straßen
für ausländische Busunternehmer. Wir alle wissen, dass
diese oft günstigere Fahrpreise anbieten können. Diese
Billigkonkurrenz auf deutschen Straßen können auch
Sie, meine Damen und Herren von der FDP, nicht wol-
len.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich verkenne gar nicht, dass Busse etwa im Reisebus-
verkehr, zumal wenn sie voll besetzt sind, auf längeren
Strecken eine sichere und umweltfreundliche Alternative
sein können. Verschiedene Studien kommen jedoch im
Verkehrsträgervergleich zwischen Bus und Bahn je nach
Voraussetzungen zu durchaus unterschiedlichen Ergeb-
nissen, je nachdem von welcher Auslastung sie ausgehen
und inwieweit sie die Infrastrukturkosten berücksichti-
gen.

Die Idee der Grünen, die Liberalisierung des Fernbus-
verkehrs mit einer Mautpflicht zu verknüpfen, scheint
auf den ersten Blick gar nicht so uncharmant. Aber die
Probleme folgen in meinen Augen auf dem Fuße. Wie
wollen Sie eigentlich eine Abgrenzung zum Gelegen-
heitsverkehr schaffen? Gerade für den mittelständischen
Bustourismus ist es lebenswichtig, dass Busse von der
Mautpflicht ausgenommen sind. Ich glaube, das wollen
wir auf keinen Fall infrage stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass neben den Lkws auch noch Linienbusse die Auto-
bahnen verstopfen, können Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, nicht wirklich wollen. Unser
Ziel – das ist auch eigentlich Ihr Ziel – lautet doch, mehr
Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bekommen
und nicht umgekehrt.

Fernlinienbusse haben in der Regel eine große Bedeu-
tung in den Ländern, in denen das Schienennetz schlecht
ausgebaut ist, zum Beispiel in Osteuropa, oder in denen
sich aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte Bahn-
strecken einfach nicht lohnen, zum Beispiel in Skandina-
vien. Als Vorbilder für Deutschland taugen diese Länder
in meinen Augen überhaupt nicht.

Das deutsche Schienennetz ist im internationalen Ver-
gleich hervorragend. Die Studie des Instituts für Mobili-
tätsforschung zum Verkehrsinfrastruktur-Benchmarking
in Europa von 2007 bescheinigt ihm eine sehr hohe
Dichte und eine sehr hohe Transportkapazität. Auch für
die Orientierung an der Bevölkerungsverteilung, für die
Bahnhofsdichte und Erreichbarkeit gibt es im internatio-
nalen Vergleich gute Noten. Das haben wir alle hier in
diesem Haus – einige von uns erst seit kürzerer Zeit –
über viele Jahrzehnte mit staatlichen Investitionen auf-
gebaut. Ich glaube, wir werden und sollten das nicht
leichtfertig aufs Spiel setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die Bundesländer sind wiederholt zu dem Er-
gebnis gekommen, dass sie am Eisenbahnschutz des
§ 13 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes festhal-
ten wollen. Ich weiß, dass sich da einiges tut; es gibt
auch andere Entwicklungen. Trotzdem ist der Konkur-
renzschutz eine gute und sehr differenzierte Regelung:
Fernbuslinien sind dann nicht ausgeschlossen, wenn ein
Verkehr nicht ausreichend bedient wird. Überall dort, wo
sich die Bahn zurückgezogen hat, können Fernlinien-
busse eingesetzt werden. Eine generelle Öffnung des
Marktes – damit komme ich zum Schluss – kann ich






(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol
nicht gutheißen. Billigkonkurrenz kennen wir vom Flug-
verkehr. Im Landverkehr wollen wir sie jedenfalls nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620017200

Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1620017300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Fast hätten wir es geschafft, diese Debatte genau am Jah-
restag unseres Antrags, „schon“ drei Jahre nach seiner
Einbringung, im Plenum zu führen. Unser Antrag, über
den wir heute reden, ist nämlich am 18. Januar 2006 von
uns eingebracht worden.


(Sören Bartol [SPD]: Nicht zum ersten Mal!)


– In diesem Falle – Herr Kollege Bartol, Sie haben recht –
sind wir hartnäckig. Es gibt sogar noch einen zweiten
Antrag von uns – wir haben ihn am 19. September 2007
eingebracht –, den wir Ihnen ebenfalls noch in dieser Le-
gislaturperiode im Ausschuss präsentieren werden.


(Beifall bei der FDP)


Über was reden wir, liebe Kolleginnen und Kollegen?
§ 13 des Personenbeförderungsgesetzes, um den es heute
geht, ist das letzte Relikt der Schutzgesetze aus den
30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals hat man in
einer wirtschaftlichen Krise mehrere Gesetzesvorhaben
mit dem Ziel, die Bahn vor dem Verkehrsträger Straße
zu schützen, beschlossen. Diese Gesetze sind im Laufe
der Zeit von der Realität in ihr Gegenteil verkehrt wor-
den. Sie haben der Bahn geschadet und sind aufgehoben
worden, die letzten erst in den 90er-Jahren. Damals wur-
den zum Beispiel auch die vorgeschriebenen Tarife für
Straßentransporte aufgehoben. Was übrig geblieben ist,
ist dieses Relikt.

Herr Kollege Bartol, ich komme sofort auf das zu
sprechen, was Sie gesagt haben. Wenn es darum geht,
eine Fehlallokation der Mittel der öffentlichen Hand zu
vermeiden, muss man sich dem Nahverkehr zuwenden.
Dort, wo die öffentliche Hand Verkehre bestellt, ist es
Unsinn, auf der gleichen Strecke Wettbewerb zuzulas-
sen.


(Sören Bartol [SPD]: Entweder, oder!)


Der wesentliche Unterschied, Herr Kollege Bartol, ist
folgender – das haben Sie vielleicht bis jetzt noch nicht
begriffen –: Der Nahverkehr wird von der öffentlichen
Hand bestellt, der Fernverkehr wird schon jetzt von der
Bahn eigenwirtschaftlich erbracht. Bei eigenwirtschaftli-
cher Leistungserbringung macht es Sinn, Wettbewerb
zuzulassen. Durch die von Ihnen genannten Billigflieger
wurde zumindest eines erreicht: Die Preise für die Ti-
ckets sind nicht teurer, sondern billiger geworden.


(Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP])

Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie den Markt auch im
Fernverkehr öffnen, wird der Fahrgast davon profitieren,
da die Fahrpreise sinken werden. Das ist unser eigentli-
ches Ziel, und nur so funktioniert das.


(Beifall bei der FDP)


Sie hingegen wollen die Fahrpreise künstlich verteu-
ern.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Was ist los?)


Überraschenderweise werden mittlerweile überwiegend
Linien befahren, die zufälligerweise der Deutschen Bahn
gehören. Deswegen regt man sich darüber auch nicht
auf.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aha! Sie wollen also gar keinen Fernbuslinienverkehr, sondern Sie wollen, dass die Preise sinken! Darum geht es Ihnen also!)


Das war schon in der Vergangenheit der Fall, zum Bei-
spiel auf den Strecken München–Berlin und Ham-
burg–Berlin. Das ist Fernverkehr. Genau das wollen wir
generell erlauben. Es ist nämlich so, dass das, was Sie
wollen, im Einzelfall dadurch verhindert wird, dass die
Bahn dann immer sagt: Da bedienen wir schon.

Auch wenn das in der Realität richtig wäre, muss ich
sagen: Ich komme aus einer Region, in der der Fernver-
kehr der Deutschen Bahn sehr übersichtlich ist. Es gibt
aber durchaus Leute, die gerne einmal von Bayreuth
oder Nürnberg nach Dresden fahren würden. Für diese
Strecken gibt es aber kein Fernverkehrsangebot, sondern
bestenfalls einen Nahverkehrszug. Diese Personen
zwingt man gewissermaßen, auf den Pkw auszuweichen.
Das ist noch unsinniger. Wenn man schon ausweichen
muss, dann bitte sinnvollerweise auf den Bus.

Herr Kollege Bartol, wir wollen, dass der Gesetzge-
ber vorausschauend agiert und nicht abwartet, bis etwas
per Gesetz zu regeln ist. Das ist aufgrund eines Urteils
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes gerade erst
wieder der Fall. Es hat sich nämlich endlich ein Privater
getraut, eine Fernverkehrslinie zu beantragen. Und siehe
da: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat
sich „erdreistet“, in zweiter Instanz zu entscheiden, dass
das zuzulassen ist. Außerdem hat er keine Revision zu-
gelassen. Donnerwetter! Jetzt überlegt die Deutsche
Bahn, ob sie gegen die Nichtzulassung der Revision
klagt. Wenn sie das nicht tut, wird es in Deutschland tat-
sächlich einen singulären Fernbuslinienverkehr geben,
und zwar von Frankfurt nach Hamburg, und das nur,
weil die Deutsche Bahn endlich einmal vor Gericht ver-
loren hat.

Ich sage Ihnen: Das würde die Schleusen öffnen, aber
nicht, weil es der Gesetzgeber so möchte, sondern, weil
ein Gericht dies erzwungen hat. Das ist allerdings immer
nur die zweitbeste Lösung, da man als Gesetzgeber auch
die Möglichkeit hat, dies auf andere Art und Weise zu
regeln. Genau das wäre der richtige Weg.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen sage ich Ihnen voraus: Sie können die An-
träge der Opposition – der Antrag der Kollegen von den






(A) (C)



(B) (D)


Horst Friedrich (Bayreuth)

Grünen ist dem unseren sehr ähnlich – natürlich mit Ih-
rer Mehrheit ablehnen. Sie können aber wahrscheinlich
nicht verhindern, dass Busunternehmer sich trauen, vor
Gericht zu gehen und sich gegen die Bahn in Linienkon-
zessionen einklagen.

Deswegen halten wir es für sinnvoller, den Antrag
jetzt anzunehmen und mittels moderner Gesetzgebung
endlich die Historie aus den Jahren 1930 bis 1932 für die
Jahre 2009 ff. zu beenden. Nehmen Sie unseren Antrag
daher endlich an! Dann sparen Sie sich viel Ärger vor
Gericht.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620017400

Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun der Kollege

Klaus Hofbauer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1620017500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Erneut behandeln wir heute den Antrag
der FDP. Die Kollegen der Grünen haben sich unterdes-
sen dem Ansinnen angeschlossen, § 13 Abs. 2 Personen-
beförderungsgesetz dahin gehend zu ändern, dass die
Möglichkeit von Parallelverkehren zugelassen wird.

Herr Kollege Friedrich, ich glaube, dass sich die
Situation nicht grundlegend geändert hat. Wir haben hier
bei uns in Deutschland – das darf ich in diesem Zusam-
menhang erwähnen – einen öffentlichen Nahverkehr, der
beispielgebend ist.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Darum geht es doch gar nicht! Begreif es doch endlich! – Gegenruf des Abg. Christian Carstensen [SPD]: Lass ihn doch ausreden!)


Man kann eines sagen: Weil die politischen Rahmenbe-
dingungen stimmen und weil die richtigen Weichen ge-
stellt worden sind, haben wir in Deutschland einen guten
öffentlichen Nahverkehr. Das sollten wir einmal ganz
klar und deutlich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Darum geht es aber nicht!)


Ich befürchte eines, Herr Kollege Friedrich: Wenn Ihr
Antrag durchgeht und Ihre Forderung umgesetzt wird,
werden wir ein großes Problem bekommen. Denn diese
Entscheidungen sind mit Sicherheit mittelstandsfeind-
lich.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso das?)


Es werden Konzerne, insbesondere ausländische Kon-
zerne, auf den deutschen Markt kommen und unserer
Schiene Konkurrenz machen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wer ist denn der größte Busunternehmer Deutschlands? Die Deutsche Bahn! Ich breche zusammen bei einer solchen Argumentation!)

Durch die Bahn und die privaten Omnibusunternehmen
haben wir in Deutschland einen großen Vorteil, und zwar
ein hervorragendes öffentliches Nahverkehrsnetz. Das
sollten wir sehen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir reden hier von Fernverkehr! Er redet von Nahverkehr! Er will es nicht begreifen!)


Folgendes ist uns bekannt und wurde bereits vom
Kollegen Bartol angedeutet: Wir führen in den Ländern
eine Diskussion, die zurzeit sehr unterschiedlich abläuft.
Eine Kommission hat beschlossen, dass dieses Thema
im Frühjahr noch einmal auf Länderebene diskutiert
wird.


(Christian Carstensen [SPD]: Bestimmt auch wegen der FDP!)


Wir sollten diese Diskussion auf jeden Fall abwarten.
Wir von der CDU/CSU sind – das gilt auch für die Ko-
alition insgesamt – ganz klar der Meinung, dass wir ganz
gewaltig darauf zu achten haben, den Fernverkehr auf
der Schiene zu stärken.

Wir wissen – auch im Hinblick auf die Teilprivatisie-
rung der Bahn –, dass wir noch einige Diskussionen da-
rüber führen werden, wie es in Deutschland im Fernver-
kehr insgesamt weitergehen wird. Diese Diskussionen
müssen wir abwarten. Wir bedauern es ganz gewaltig,
dass die Teilprivatisierung bisher nicht umgesetzt wer-
den konnte. Wir werden noch eine große Diskussion
zum Thema Fernverkehr erleben.

Im Hinblick auf die Leistungs- und Finanzierungsver-
einbarung ist der Fernverkehr von ganz entscheidender
Bedeutung. Darüber haben wir diskutiert, und dazu gibt
es unterschiedliche Meinungen. Deswegen wäre es in
der jetzigen Phase unverantwortlich, den Fernverkehr,
insbesondere auf der Schiene, durch solche Entscheidun-
gen zu schwächen und in die falsche Richtung zu lenken.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Mit dieser Argumentation müsste man auch Inlandsflüge verbieten! Diese Diskussion überfordert mich intellektuell, das gebe ich zu!)


Wir treffen hier eine politische Entscheidung. Herr Kol-
lege Friedrich, der Fernverkehr war bei der Diskussion
über die Teilprivatisierung der Bahn ein Thema.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht der Luftverkehr!)


– Das ist im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung
diskutiert worden.

Wir haben uns bemüht, verschiedene Punkte aufzu-
nehmen. Auch deswegen sind wir von der CDU/CSU-
Fraktion der Auffassung, dass wir die Bahn in der jetzi-
gen Phase durch eine solche Entscheidung nicht schwä-
chen dürfen. Wir sollten vielmehr Akzente setzen, um
sie zu stärken.

Ich bitte auch, zu sehen, dass die Grünen die Maut-
pflicht für Omnibusse wieder einführen wollen. Damit
wird das System gewaltig verteuert. Ich verstehe nicht,
warum die Grünen die Straße auf diese Art und Weise






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Hofbauer
noch mehr belasten wollen. Es gehört doch angeblich zu
ihren Zielen, die Schiene zu stärken.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Busse, die noch gar nicht fahren, Herr Hofbauer!)


In diesem Zusammenhang werden wir die zukünftige
Diskussion abwarten müssen. In der jetzigen Phase hal-
ten wir Anträge der FDP und der Grünen nicht für rich-
tig. Wir werden sie deshalb ablehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620017600

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die

Kollegin Dorothée Menzner.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620017700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die aktuelle Fassung des Personenbeförderungsge-
setzes schließt Wettbewerb im Personenfernverkehr aus.
Wo Schienenverbindungen existieren, wird ein paralleler
Busverkehr nicht genehmigt.

Das will die FDP mit ihrem Antrag ändern. Sie folgert
aus dem jetzigen Zustand, die Bürger würden bevormun-
det, weil die Wahl einer Alternative verhindert würde.
Auch Sie von der FDP haben sich mit allen Fraktionen
dieses Hauses 1993 für mehr Verkehr auf der Schiene
eingesetzt.


(Zuruf von der FDP: Ja!)


Haben Sie diesen Konsens verlassen?


(Patrick Döring [FDP]: Ganz bestimmt nicht!)


Wie Sie wissen, gibt es seit Jahren eine Sonderrege-
lung für Buslinienverkehr von und nach Berlin. Viele
deutsche und europäische Städte sind mit Berlin durch
Buslinienfernverkehr verbunden. Die Firma BEX bietet
zum Beispiel Berlin–München und zurück regulär für
88 Euro an.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wem gehört die Firma BEX?)


Wenn man keine Bahncard besitzt, kostet diese Reise mit
der Bahn, zweite Klasse, gut 200 Euro. Das mag auf den
ersten Blick für die Initiative der FDP sprechen.

Wenn man aber berücksichtigt, dass BEX eine 100-pro-
zentige Tochter der DB AG ist,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Na also!)


muss man sich fragen, was für eine Politik das öffentli-
che Unternehmen DB AG betreibt. Ganz offensichtlich
eine, die mit dem fraktionsübergreifenden Konsens
„Mehr Verkehr auf die Schiene“ nichts zu tun hat. Da
gilt es anzusetzen, statt Türen für die Herren vom Pots-
damer Platz zu öffnen. Der Bundestag hat die DB AG
zum globalen Logistiker werden lassen. Rendite und
Marktanteil sind wichtiger als erschwingliche und um-
weltfreundliche Mobilität. Hier müssen wir ansetzen.
Wir, der Gesetzgeber, sind der Eigentümer. Als solcher
müssen wir unser Augenmerk darauf richten, dass die
Prioritäten richtig gesetzt sind. Wir dürfen real existie-
renden Problemen der Bahn wie zu hohe Preise,
schlechte Verbindungen und mangelnder Service nicht
mit einer Vermeidungsstrategie, nämlich indem wir
Fernverkehrsbusse zulassen, begegnen.

Ich möchte zu bedenken geben, dass eine privatisierte
Bahn noch weniger unserer Kontrolle unterliegt. Das ist
einer der Gründe, warum die Linke die Kapitalprivatisie-
rung ablehnt.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass dieses Haus und dass das Verkehrsministerium
die Einflussmöglichkeiten, die sie haben, nicht aus-
schöpfen, darf man allerdings nicht dem DB-Vorstand
vorwerfen.

Die Linke will, dass der Bahnverkehr öffentlichem
Einfluss unterliegt. Wir stehen einem Fernverkehrsge-
setz zur Gewährleistung von Fernverkehrszügen positiv
gegenüber. Wir verschließen uns auch nicht, wenn es da-
rum geht, dort, wo es keine Schienenverbindungen gibt,
Busunternehmen die Lücke füllen zu lassen. Aber das
muss man im Einzelfall prüfen. Das ist in dem FDP-An-
trag so nicht vorgesehen. Nach Ihrem Antrag sollen of-
fenbar Dämme geöffnet werden, um das gesamte Ver-
kehrswesen dem Markt zu unterstellen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dämme kann man nicht öffnen, höchstens Schleusen!)


Private Unternehmen picken die Rosinen, und die Allge-
meinheit trägt die Kosten des Restes. Durch alle Bei-
spiele wird uns gelehrt: Der freie Wettbewerb im Perso-
nenverkehr funktioniert so nicht.


(Patrick Döring [FDP]: Welchen Wettbewerb haben wir denn im Nahverkehr?)


Leider entspricht auch der Antrag der Bündnisgrünen
nicht den Notwendigkeiten einer nachhaltigen Verkehrs-
politik. Die Krux des Fernverkehrs liegt nicht in fehlen-
der Konkurrenz, sondern darin, dass wir mehr Verkehrs-
anteile von Bus und Bahn generieren müssen, und in der
Frage, wie wir das können.


(Patrick Döring [FDP]: Sie wollen zurück zur Staatsbahn!)


Die Konkurrenz ist der private Pkw. Davon lese ich in
keinem dieser Anträge etwas. Ich lese nichts davon, wie
Sie die Menschen davon überzeugen wollen, dass sie
vom Pkw auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Noch
mehr Konkurrenz und noch mehr Verkehr – jetzt wollen
Sie mit Bussen auf die Autobahnen – ist keine Lösung.
Deswegen lehnen wir als Fraktion Die Linke beide An-
träge ab.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620017800

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620017900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die letzte knappe halbe Stunde war ja durch-
aus amüsant, wenn man sich näher mit der Verkehrspoli-
tik beschäftigt. Die Vertreter der Großen Koalition
schwingen sich zu den Verteidigern des Systems Schiene
auf.

Wir haben in den letzten drei Jahren im Verkehrsaus-
schuss eigentlich fast nichts anderes als den Versuch des
Verkehrsministeriums erlebt, das System Schiene durch
eine vollkommen unsinnige Teilprivatisierung der
DB AG mehr oder weniger stark zu zerstören bzw. zu
zertrümmern.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


Das ist von Teilen der Opposition abgewendet worden. –
Seien wir großzügig: Eigentlich haben alle Fraktionen
der Opposition dagegen gekämpft. Es gab auch aufge-
klärte Journalisten und eine geschickte Lobbyarbeit.
Schließlich wurde uns auch noch – es gibt ja keinen
Schaden ohne Nutzen – durch die Finanzkrise geholfen,
sodass wir die Bahn retten konnten. Das hätte der Bahn
wirklich einen schweren Schaden zugefügt. Das ist ab-
gewendet worden. Ich finde Ihre Reden deswegen etwas
pharisäerhaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zum Fernlinienbusverkehr. Es ist sozusagen wirklich
ganz schräg, dass die Bahn in dem einen Fall so extrem
verteidigt wird. Was ist denn der Hauptkonkurrent des
Fernlinienbusverkehrs? – Das ist der Pkw-Verkehr. Wer
würde denn in einem Fernlinienbus fahren? – Das wären
Leute, die dadurch die Möglichkeit hätten, direkt von
Stadt zu Stadt zu reisen. Wie groß ist denn das Fern-
liniennetz der DB AG noch? – Das Bahnnetz hat nur
noch 34 000 Streckenkilometer.


(Zuruf von der SPD: Immerhin 34 000!)


Demgegenüber gibt es über 300 000 Streckenkilometer
im Bereich der Bundesfernstraßen.

Das ist doch ein völlig anderes Verhältnis. Es gibt Un-
mengen an Verbindungen, die die Bahn gar nicht anbie-
ten kann, weil die Schienen entweder noch nie lagen
oder aufgrund des Versagens des Verkehrsministeriums
inzwischen herausgerissen worden sind. Dafür soll der
Fernlinienbusverkehr zugelassen werden.

Wie schaut es denn ganz plastisch aus, wenn ein Pri-
vater das anbietet? Im Gegensatz zu Ihnen, die vor aus-
ländischen Konzernen warnen, kennen wir die Unter-
nehmer, die dort gerne fahren würden. Das sind
Mittelständler. Wie schaut es denn aus? Sie würden die-
sen Verkehr gerne anbieten. In der Regel gäbe es über-
haupt keinen Parallelverkehr. Sie würden neue Angebote
machen. Und wer beschwert sich? – Die DB AG sagt,
dass das nicht geht. Sie ist mehr oder weniger Nutznie-
ßer und halb Genehmigungsbehörde. Das ist grundsätz-
lich zu ändern. Dann hätten die Leute nämlich ein neues
Angebot. Das ist das Ziel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt zwei mehr oder weniger umweltfreundliche
Mobilitätsangebote: den Fernlinienbusverkehr und den
Verkehr auf der Schiene. Was ist jetzt zugelassen? – Jetzt
gibt es den Pkw-Verkehr,


(Zuruf von der SPD: Den wollt ihr ja wohl nicht verbieten!)


jetzt gibt es völlig problemlos den innerdeutschen Luft-
verkehr – noch dazu von der Kerosinsteuer befreit –, und
jetzt gibt es den Fernverkehr auf der Schiene. Das sind
also zwei sehr problematische und ein einigermaßen
ökologischer Verkehrsträger. Der andere umweltfreund-
liche Verkehrsträger ist fast komplett verboten. Ist das
sinnvoll? – Nein, das ist nicht sinnvoll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Es kommt noch etwas hinzu, das Grüne und FDP
nach allem, was man sehen kann – das sage ich einmal
ganz entspannt –, von den anderen drei Fraktionen
scheinbar unterscheidet: Wir haben eine etwas andere
Vorstellung von Freiheit. Wir machen die Gesetze nicht
in erster Linie für Konzerne, sondern für Menschen. In
diesem Fall sind die Menschen Fahrgäste.


(Lachen bei der SPD – Christian Carstensen [SPD]: Gut, dass die Debatte gleich vorbei ist!)


Die Fahrgäste müssen nicht unbedingt von uns bevor-
mundet werden. Man muss den Fahrgästen nicht sagen,
sie sollten dies oder jenes tun. Man kann den Menschen
doch eine Auswahl lassen und einen Wettbewerb um
Qualität anbieten. Wir wollen keinen Wettbewerb um die
billigsten Löhne und schlechtesten Standards, sondern
Wettbewerb um Qualität. Dann sollten wir den Fahrgast
entscheiden lassen und schauen, was herauskommt. Ich
kenne viele Länder, in denen der Fernlinienbusverkehr
eine ganz hervorragende Alternative ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Diese Alternative wollen wir den Menschen auch in
Deutschland zur Verfügung stellen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Patrick Döring [FDP])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620018000

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/3905. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/384
mit dem Titel „Novellierung des Personenbeförderungs-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
gesetzes – Wettbewerb im öffentlichen Personenfernver-
kehr zulassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstim-
men der Fraktion der FDP und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/842 mit dem Titel „Novellierung des
Personenbeförderungsgesetzes – Fernlinienbusverkehre
ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Ent-
haltung der FDP-Fraktion angenommen.


(Christian Carstensen [SPD]: Wann stimmt ihr denn mal zusammen? Ich denke, ihr seid euch so einig! – Gegenruf des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wenn wir eine Mehrheit haben, stimmen wir zusammen! Dann habt ihr sowieso das Nachsehen!)


Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2009

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2009)


– Drucksache 16/10663 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/11628 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Herbert Schui

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kollegen Hans Michelbach, Garrelt Duin,
Ernst Burgbacher, Dr. Herbert Schui und Hans-Josef
Fell.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1620018100

In der Krise geht es ganz wesentlich darum, die Sub-

stanz der deutschen Volkswirtschaft zu schützen. Die Be-
triebe und ihre Arbeitnehmer, insbesondere im Mittel-
stand, sind der Schlüssel für Wohlstand und Wachstum in
Deutschland. In Bereichen wie Energie und Umwelt-
schutz, Medizintechnik, Verkehrstechnik, Maschinenbau
und moderne Werkstoffe entstehen die Arbeitsplätze der
Zukunft. Damit diese Chancen erhalten bleiben, ist vor
allem eine sichere Kreditversorgung für die Unternehmen
notwendig.

Unser Ziel, die Finanzierungsbedingungen für den
Mittelstand konkret und gerade jetzt zu verbessern, hat
oberste Priorität. Denn nach wie vor haben vor allem
kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Un-
ternehmerpersönlichkeiten, die den Schritt in die Selbst-
ständigkeit wagen, ein zu geringes Eigenkapitalpolster
oder Probleme bei der Fremdfinanzierung. Dies ver-
schärft sich natürlich in Zeiten der Finanzkrise noch.
Wenn ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern ge-
rade auch über Gründungen von Unternehmen spreche,
dann sagen sie mir: Das zentrale Problem ist die Finan-
zierung.

Die KfW hat einige nicht akzeptable Managerfehler zu
verkraften und es ist ein starker Gewinneinbruch zu er-
warten. Dies darf aber nicht zulasten der Mittelstandsför-
derung gehen. Mein Ziel als Vorsitzender des Unteraus-
schusses „ERP-Wirtschaftspläne“ ist es, die Substanz
und Förderkraft des ERP-Sondervermögens in voller
Höhe zu erhalten. Deshalb hat der Unterausschuss
„ERP-Wirtschaftspläne“ auch darauf gedrungen, dass
zwischen dem BMF und dem BMWi eine Vereinbarung
zum dauerhaften Ausgleich der Verluste bei der KfW ge-
schlossen wird. Unter Begleitung des Bundesrechnungs-
hofes wurde im Dezember vergangenen Jahres kurzfristig
eine Vereinbarung erarbeitet, die den dauerhaften Erhalt
der Substanz des ERP-Sondervermögens gewährleistet.
Die Vereinbarung gewährleistet den Erhalt des fortge-
schriebenen Gegenwertaufkommens des ERP-Sonderver-
mögens nicht nur im Hinblick auf die Ausfälle infolge der
IKB-Belastungen, sondern auch bei sonstigen Belastun-
gen aus dem Ergebnis der KfW. Trotz der Finanzkrise und
„geschwächter“ KfW wird also die ERP-Wirtschaftsför-
derung im bisherigen Umfang und bisheriger Qualität
fortgeführt. Das ist die gute Nachricht.

Mit dem ERP-Wirtschaftsplan 2009 kann ein Volumen
von rund 4,8 Milliarden Euro für neue Zusagen in 2009
für die einzelnen Förderschwerpunkte bereitgestellt wer-
den. Diese Steigerung im Vergleich zum 4-Milliarden-
Euro-Planvolumen des Jahres 2008 ergibt sich aus den
Maßnahmen der Bundesregierung zum Wachstumspaket.
Mit Bundesmitteln wird der ERP-Startfonds um
200 Millionen Euro, das ERP-Innovationsprogramm um
300 Millionen Euro sowie das Energieeffizienzprogramm
und 300 Millionen Euro aufgestockt.

Die Schwerpunkte der ERP-Finanzierungshilfen in
2009 sind: die Förderung von Existenzgründungen und
Wachstumsfinanzierungen, der Aufbau und die Moderni-
sierung bestehender Unternehmen im Osten und in re-
gionalen Fördergebieten im Westen, die Innovationsför-
derung, die Förderung von Umweltschutzinvestitionen,
die Förderung von Beteiligungskapital. Rund 1,7 Milliar-
den Euro Fördervolumen stehen für Maßnahmen in den
neuen Bundesländern zur Verfügung. Mit diesen Ansätzen
kann der zu erwartenden Nachfrage nach ERP-Darle-
hensmitteln in 2009 entsprochen werden.

In den rund 4,8 Milliarden Euro sind rund 1,6 Milliar-
den Euro für Mezzanin-Produkte der Programme „ERP-
Kapital für Gründung“ und „ERP-Innovationspro-
gramm“ vorgesehen. Mit der verstärkten Gewährung von
eigenkapitalähnlichen Nachrangdarlehen wird der häu-
fig gegebenen Eigenkapitalschwäche bei Gründern und
kleinen und mittleren Unternehmen und den höheren Ri-
siken von innovativen Vorhaben Rechnung getragen.


(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Hans Michelbach
Betrieblicher Umweltschutz kann im ERP-Umwelt-
und Energiesparprogramm gefördert werden. Der Plan-
ansatz von jetzt 2,2 Milliarden Euro beinhaltet auch den
seit dem 1. Januar 2008 gestarteten „Energie-Effizienz-
fonds für kleine und mittlere Unternehmen“. Der ERP-
Wirtschaftsplan 2009 leistet mit diesen Förderansätzen
einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfä-
higkeit der kleinen und mittleren Unternehmen und der
Freien Berufe und trägt zur Schaffung neuer und zur Si-
cherung bestehender Arbeitsplätze bei.

Das von der Bundesregierung beschlossene Maßnah-
menpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstums-
stärkung“ schlägt sich auch im ERP-Wirtschaftsplange-
setz 2009 nieder. Um auch in schwierigen Zeiten
Innovationen und Energieeffizienz zu fördern, werden die
Mittel der KfW im Bereich der Innovationsförderung und
-umsetzung deutlich verstärkt. Gleichzeitig soll die KfW
ihr Angebot an Beteiligungskapital aufstocken, damit in-
novative Unternehmen einfacher zu einer Anschlussfi-
nanzierung finden. Aus diesem Grund werden der ERP-
Startfonds um 200 Millionen Euro sowie das ERP-Inno-
vationsprogramm und das ERP-Energieeffizienzpro-
gramm um jeweils 300 Millionen Euro aufgestockt.
Damit erhöht sich das Zusagevolumen des ERP-Wirt-
schaftsplans für 2009 von ursprünglich 4 Milliarden
Euro auf nunmehr 4,8 Milliarden Euro.

Die Mittel für die Aufstockung der drei ERP-Pro-
gramme werden aus dem Einzelplan 09 des Bundeshaus-
halts zur Verfügung gestellt. Dafür sind in 2009 insgesamt
19 Millionen Euro vorgesehen sowie weitere 161 Millio-
nen Euro Verpflichtungsermächtigungen bis 2019. Die
Zinszuschüsse aus dem Bundeshaushalt zur Leistungs-
steigerung mittelständischer privater Unternehmen der
gewerblichen Wirtschaft erhöhen sich von ursprünglich
21,68 Millionen Euro auf 40,68 Millionen Euro.

Ich kann Ihnen heute versichern, dass ich mich auch in
Zukunft dafür einsetzen werde, dass dem Mittelstand wei-
terhin so viel Förderung wie möglich zugutekommt. Denn
eins weiß ich als Unternehmer nur zu gut: Die Gründung
und der Erhalt eines Unternehmens und damit die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen stehen und fallen mit der Finan-
zierung.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1620018200

Wenn man sich die Geschichte der ERP-Förderung

anschaut, liest sie sich wie die Erfolgsgeschichte des
Wirtschaftsstandortes Deutschland: angefangen vom ru-
dimentären Wiederaufbau über die Unterstützung export-
intensiver Industrien und Investitionen sowie den Um-
weltschutz bis hin zu Beteiligungskapital für technische
Innovationen. Anhand dieser Entwicklung wird ganz klar,
welche Bedeutung das ERP für zahlreiche Wirtschaftsun-
ternehmen, aber auch für die wirtschaftliche Position
Deutschlands weltweit hat.

Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son-
dervermögens für das Jahr 2009. Insgesamt sieht der Ge-
setzentwurf zur Förderung der deutschen Wirtschaft die
Bereitstellung von 462 Millionen Euro vor. Das Zusage-
volumen des ERP-Wirtschaftsplans 2009 für Unterneh-
Zu Protokoll
men der gewerblichen Wirtschaft – insbesondere des
Mittelstandes – und Angehörige freier Berufe hat ur-
sprünglich 4 Milliarden Euro betragen. Durch das von
uns beschlossene Maßnahmenpaket „Beschäftigungs-
sicherung durch Wachstumsstärkung“ wurde eine Aufsto-
ckung der Innovationsförderung sowie der Maßnahmen
zur Umwelt- und Energieeinsparung um insgesamt
800 Millionen Euro erforderlich.

Diese Zahlen bestätigen, dass die ERP-Förderung für
den Standort Deutschland von herausragender Bedeu-
tung und eine wichtige Basis ist. Vorrangiges Ziel ist und
bleibt es, die Investitionsfähigkeit mittelständischer Un-
ternehmen langfristig zu sichern und die Gründung neuer
Unternehmen zu unterstützen. Das Fördervolumen und
die Förderintensität des ERP bleiben dabei bestehen. Das
in der KfW angelegte Sondervermögen bleibt ausdrück-
lich weiterhin der Wirtschaftsförderung erhalten. Wir
wollen mit der Umsetzung des Wirtschaftsplans 2009 wei-
terhin zukunftsorientierte Akzente setzen. Unsere Politik
setzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Belebung und
Stützung der wirtschaftlichen Dynamik im Mittelstand.

Die ERP-Förderung von Existenzgründern sowie klei-
nen und mittleren Unternehmen stärkt den Standort
Deutschland und damit die Position im Rahmen des
europäischen und des globalen Standortwettbewerbs.
Daher ist das ERP gerade in strukturschwachen Regio-
nen ein wichtiges Fördermittel. Mit dieser bedarfsorien-
tierten Förderung haben wir genau ins Schwarze getrof-
fen.

Nicht zuletzt stellt die ERP-Förderung einen wichtigen
Beitrag zur Lösung der Beschäftigungsprobleme dar.
Denn neue Betriebe und die Ausweitung mittelständi-
scher Unternehmen wirken sich positiv und nachhaltig
auf den Arbeitsmarkt aus.

Die Finanzierung betrieblicher Umweltprojekte und
neuer Energiequellen leistet einen wichtigen Beitrag für
unsere ökologischen Zielsetzungen.

Gerade in diesen unsicheren Zeiten, in denen sich die
weltweite Wirtschaft befindet, ist es wichtig, den Unter-
nehmen den Rücken zu stärken und ihnen nachhaltige
Strukturen zu bieten. Wir dürfen nicht zulassen, dass die
Krise die Schließung zahlreicher wettbewerbsfähiger Un-
ternehmen zur Folge hat und Tausende von Arbeitsplät-
zen in Gefahr sind. Die ERP-Förderung ist an dieser
Stelle ein Standbein einer nachhaltigen Mittelstandspoli-
tik. Und das ist doch genau das, was wir mit unserer
Politik erreichen wollen: Wir wollen den Mittelstand in
Deutschland auch in Krisenzeiten stärken.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1620018300

Mittlerweile werden seit mehr als einem halben Jahr-

hundert kleine und mittlere Unternehmen über das Son-
dervermögen des European Recovery Program gefördert.
Bereits 1949 kam es zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den USA zu einem Abkommen über
wirtschaftliche Zusammenarbeit, das am 1. Februar
1950 in Kraft trat. Das Abkommen bestimmte die Verwal-
tung einer Summe von damals 6 Milliarden DM als soge-
nanntes Sondervermögen. Dieses sollten Unternehmen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ernst Burgbacher
zum Aufbau der durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten
deutschen Wirtschaft erhalten. Im Laufe der Jahre wuchs
das ERP-Sondervermögen auf einen Bestand Ende 2007
von mehr als 13 Milliarden Euro. Diese erheblichen fi-
nanziellen Mittel kamen und kommen der mittelständi-
schen Wirtschaft in Form von vergünstigten Krediten und
sonstigen Förderleistungen zugute. Das Instrument der
Mittelstandsförderung über ERP-Mittel ist gerade in der
jetzigen Situation des wirtschaftlichen Abschwungs be-
sonders bedeutsam.

Für das laufende Jahr beträgt das Fördervolumen
368 Millionen Euro. Insbesondere der Mittelstand und
die freien Berufe erhalten im Rahmen der veranschlagten
Mittel zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital.
Damit leistet das ERP-Sondervermögen einen erhebli-
chen Beitrag zur Wirtschaftsförderung.

Der Mittelstand ist auf diese Fördermittel angewiesen.
Deshalb ist es für die FDP auch bedauerlich, dass das
Bundesfinanzministerium eine frühzeitige Verabschie-
dung des Wirtschaftsplanes vereitelt hat. Dass dieser
Wirtschaftsplan erst im Jahr 2009 und nicht bereits am
Ende des vergangenen Jahres verabschiedet werden
konnte, liegt an den schwierigen Verhandlungen, die mit
dem Bundesfinanzministerium über den Substanzerhalt
des ERP-Sondervermögens geführt werden mussten. Wir
haben im ERP-Unterausschuss dafür gestritten, dass der
Substanzerhalt des ERP-Vermögens, das heißt die ge-
samte Fördersumme von 13 Milliarden Euro, auch in Zu-
kunft für die Mittelstandsförderung zur Verfügung steht.
Wir haben dafür gestritten, dass das Finanzministerium
den gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen
nachkommt und letztlich zumindest für das Wirtschafts-
jahr 2009 eine vertragliche Vereinbarung erreicht.

Dennoch muss auch hier in aller Offenheit gesagt wer-
den, dass wir uns vor allem eine Vereinbarung gewünscht
hätten, die die gesetzlichen Verpflichtungen des Finanz-
ministeriums enthalten hätte, vor allem also einen umfas-
senden und dauerhaften Substanzerhalt, einen Erhalt der
Fördermasse des ERP-Vermögens für den deutschen Mit-
telstand. Der beste Substanzerhalt wäre es jedoch gewe-
sen, wenn die unsägliche Übertragung des ERP-Sonder-
vermögens auf die KfW rückgängig gemacht worden
wäre. Dies haben wir wiederholt gefordert, und dies wäre
der beste Weg zu einem gesicherten Substanzerhalt.

Aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs an den Un-
terausschuss für die ERP-Wirtschaftspläne vom 12. Juni
2008 zur Umsetzung der Neuordnung des ERP-Sonder-
vermögens wird ersichtlich, dass die Neuordnung des
Sondervermögens zu einer Hebung von stillen Reserven
und deren Transfer zum Bundesministerium der Finanzen
geführt hat. Das BMF erlangte hierdurch einen finanziel-
len Vorteil von rund 373 Millionen Euro auf Kosten des
ERP-Sondervermögens. Diese Summen hätten ebenfalls
in den Wirtschaftsplan eingestellt werden müssen und
dem Fördervolumen hinzugerechnet werden sollen. Im
Interesse des deutschen Mittelstands und zur Stimulie-
rung des Investitionsverhaltens von kleinen und mittleren
Unternehmen bedarf es kurzfristig geeigneter Maßnah-
men zum langfristigen Erhalt von Substanz und Förder-
volumen des ERP-SV im vereinbarten Rahmen. Ohne der-
Zu Protokoll
artige Regelungen weist der Wirtschaftsplan in wichtigen
Bereichen Fehler auf, die eine Ablehnung rechtfertigen.
Die mittelständische Wirtschaft hätte es verdient, mit al-
len erdenklichen finanziellen Mitteln gefördert zu werden.
Diesem Anspruch wird der vorgelegte Wirtschaftsplan
leider nicht gerecht.


Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620018400

Die Finanzkrise zeigt: Die Neuordnung des ERP-Son-

dervermögens war eine völlig verfehlte Entscheidung.
Die Übertragung des ERP-Sondervermögens an die KfW
bzw. zum Teil in den Bundeshaushalt schafft eine Lage, in
der zunehmend ungewiss ist, ob das Sondervermögen sei-
nen Aufgaben bei der Mittelstandsförderung geordnet
nachkommen kann. Der Grund hierfür ist vor allem, dass
die KfW im Rahmen der Finanzkrise vermehrt von ande-
ren Aufgaben in Anspruch genommen wird.

Leistungsfähiger ist das Sondervermögen durch die
Eingliederung nicht geworden. Dies war schon zum Zeit-
punkt seiner Neuordnung abzusehen. Alle Kritiker der
Opposition, die zu diesem Zeitpunkt Zweifel hatten am
Substanzerhalt des Vermögens, müssen sich bestätigt se-
hen. Die Regierungsfraktionen sind zu immer komplizier-
teren Sicherungsaktionen gezwungen.

Wie in den mündlichen und schriftlichen Verlautbarun-
gen deutlich zu spüren ist, wissen selbst die Spitzen der
beiden beteiligten Ministerien nicht, welche Sicherungen
des Sondervermögens auf welche Weise funktionieren
sollen. Der Substanzerhalt ist offenbar nicht gewährleis-
tet. Mit Krediten von der KfW an das ERP-Sondervermö-
gen wird versucht, das zu verschleiern. Solche Winkel-
buchungen können zwar die Liquidität sicherstellen,
nicht aber die Substanz.

Die Koalitionsfraktionen sollten daher den Mut auf-
bringen, die am 26. Juni 2007 in Kraft getretene Neuord-
nung des ERP-Sondervermögens wieder rückgängig zu
machen. Eine noch bessere Lösung wäre, das Sonderver-
mögen zu einem Fonds auszubauen, der industriepoli-
tisch handlungsfähig ist. In der gegenwärtigen Krise ist
hier vor allem an die Zulieferindustrie der Autobranche
zu denken oder an Unternehmen des Maschinenbaus,
denen die sinkenden Exporte sehr zu schaffen machen.
Allgemein führt an einer Umstellung auf wertschöpfungs-
intensive Qualitätsprodukte sowie energie- und rohstoff-
effiziente Produkte und Produktionsweisen kein Weg
vorbei. Dies ist vorzuziehen einem Anpassungsmechanis-
mus, den der Markt erzwingt: Schließung von Werken,
Streichung von Arbeitsplätzen, steigende Unternehmens-
konzentration, Personalkosteneinsparungen oder Strei-
chung von Umweltauflagen.

Um das zu vermeiden, ist Industriepolitik notwendiger
denn je. Kredite oder Subventionen des ERP-Sonderver-
mögens in einem industriepolitischen Fonds müssten an
Bedingungen geknüpft werden, die solch einen Umbau
ermöglichen. Der Fonds selbst unterliegt dabei wieder
der Kontrolle des Parlamentes, wie es vor Neuregelung
des ERP-Sondervermögens bereits der Fall war. So könn-
ten sinnvolle Innovationen durch das ERP-Sondervermö-
gen angestoßen werden. In einem zweiten Schritt könnten
die Konzerne mit ihren Gewinnen an den Kosten des
Fonds beteiligt werden, um ihn weiter auszubauen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herbert Schui
Der hier zur Abstimmung stehende ERP-Wirtschafts-
plan enthält natürlich keinerlei Ansatz zu einem indus-
triepolitisch handlungsfähigen Fonds. Dennoch wäre es
falsch, den Wirtschaftsplan abzulehnen. In einer Situa-
tion, in der die Kreditbeschaffung für viele KMU schwie-
riger wird, trifft eine Ablehnung vor allem die Unterneh-
men und nicht die Regierung. Davon hätte niemand was.
Die Finanzierungen aus dem ERP-Sondervermögen wer-
den im Moment besonders benötigt. Daher stimmen wir
diesem Gesetz zu.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620018500

Wenn es darum geht, Geld zu verbrennen, hat die Bun-

desregierung wahre Meisterschaft entwickelt. Nur we-
nige Wochen nachdem der Bundestag von der Bundes-
regierung dazu gedrängt wurde, einen Großteil der ERP-
Mittel an die KfW zu geben, wurde die KfW vom Bundes-
finanzminister dazu bemüßigt, einen relevanten Teil ihres
Eigenkapitals bei der IKB zu verbrennen. Das ERP-Son-
dervermögen hatte das Pech, dass es mittlerweile den
größten Teil seines Vermögens in die KfW investiert hatte.
Folglich muss es auch einen großen Teil der Verluste tra-
gen. Der Schaden für das ERP-Sondervermögen dürfte
zwischen 4 und 4,5 Milliarden Euro betragen. Die Bun-
desregierung und die KfW taten alles, um diesen Sub-
stanzverlust zu übertünchen. Allerdings ließ sich das ge-
schrumpfte Vermögen in der Finanzplanung nicht mehr
verheimlichen. Insbesondere die Berichte des Bundes-
rechnungshofes zeigten auf, dass die Substanz des ERP-
Sondervermögens reduziert ist und dass in den nächsten
Jahren ein Rückgang der Förderung zu befürchten ist.

Die Tragik für den Mittelstand liegt darin, dass genau
dann, wenn die KfW und das ERP-Sondervermögen be-
sonders gebraucht werden, diese staatlichen Geldgeber
ausgedörrt sind. Jetzt zu Beginn der Wirtschaftskrise sind
die wichtigsten Finanzierungsinstrumente weitgehend
lahmgelegt.

Das BMF hatte im Februar 2008 zugesagt, dass die
Schäden, die das ERP-Sondervermögen aus den IKB-Ver-
lusten erleidet, ausgeglichen werden sollen. Im BMF
hatte man aber keine Sekunde daran gedacht, dieses Ver-
sprechen zu halten. Es bedurfte monatelangen partei-
übergreifenden Drucks des ERP-Unterausschusses, bis
sich das BMF dazu durchringen konnte, seine Zusage vor
Jahresende 2008 auch einzuhalten. Mittlerweile liegt
eine Teillösung des Problems vor. Die Förderfähigkeit
des ERP-Sondervermögens ist auf absehbare Zeit sicher-
gestellt. Das Gleiche lässt sich für die Substanz des ERP-
Sondervermögens leider nicht behaupten. Diese ist auf-
grund des Zusammenschrumpfens der stillen Rücklagen
in der gebeutelten KfW deutlich geschrumpft. Immerhin
konnte man sich in Abstimmung mit dem Bundesrech-
nungshof aber auf einen Substanzbegriff einigen, der eine
Bodenlinie gezogen hat, auf deren Basis man jetzt weiter-
arbeiten kann.

Angesichts der heutigen Wirtschaftslage sollte es aber
nicht mehr darum gehen, das Schlimmste bei dem wich-
tigsten Förderinstrument des Mittelstandes zu verhin-
dern. Vielmehr müsste das ERP-Sondervermögen gerade
jetzt gestärkt werden, damit es in der Kreditklemme den
mittelständischen Unternehmen aushelfen kann. Doch
weder im ersten noch im zweiten Konjunkturpaket hat die
Bundesregierung diesbezüglich Maßnahmen ergriffen.
Dies sollte korrigiert werden. Die Bundesregierung will
Hunderte Milliarden für die Finanzmärkte zur Verfügung
stellen. Die Stärkung des ERP-Sondervermögens und der
KfW hat sie in all der Eile übersehen. Dies muss jetzt kor-
rigiert werden.

Wir können dem vorliegenden Wirtschaftsplan nicht
zustimmen, weil der faktische Substanzverlust der stillen
Rücklagen mit dem Wirtschaftsplan abgesegnet wird. Zu-
dem sind Substanzerhalt und Förderkraft nicht langfristig
garantiert. Das Bundesfinanzministerium hatte sich da-
gegen gesträubt, eine entsprechende Garantieerklärung
abzugeben. Damit bleibt die Sorge berechtigt, dass das
Bundesfinanzministerium auch in Zukunft versucht sein
könnte, sein Wort zu brechen. Die Details des Wirtschafts-
plans zeigen erneut grundsätzlich die große Bedeutung
des ERP-Sondervermögens auf – auch und gerade in Kri-
senzeiten. Die Regierungspolitik der letzten Jahre zeigt
leider auf, dass die Bundesregierung hier großen Scha-
den angerichtet wird, der auch mit den jüngsten Be-
schlüssen nicht gänzlich behoben wird.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620018600

Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/11628, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/10663 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge-
setzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Dr. Norman Paech, Hüseyin-Kenan Aydin, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge
aus Afghanistan

– Drucksachen 16/5141, 16/6778 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Auch hier werden, wie in der Tagesordnung ausge-
wiesen, die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt
sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Helmut Brandt, Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff, Sevim
Dağdelen und Josef Philip Winkler.


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1620018700

Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der Frak-

tion Die Linke vom 25. April 2007. In ihrem Antrag for-
dert die Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, sich
aufgrund humanitärer Aspekte für eine Aussetzung der
Abschiebungen von Flüchtlingen aus Afghanistan einzu-
setzen.

Der Antrag der Fraktion Die Linke ist aus mehreren
Gründen abzulehnen. Zum einen verkennt der Antrag die
Rechtspraxis sowie die Zuständigkeiten in unserem föde-
ralen System. Der zweite wesentliche Grund für die Ab-
lehnung ist der, dass der Antrag der Fraktion Die Linke
durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom
24. Juni 2005 überholt ist.

Die von der Innenministerkonferenz beschlossenen
Grundsätze zur Behandlung afghanischer Staatsangehö-
riger, die nicht über einen legalen Aufenthaltstitel verfü-
gen, sehen konkret Folgendes vor: Abgeschoben werden
nur Straftäter und sonstige Personen, die die innere Si-
cherheit in Deutschland gefährden. Darüber hinaus wer-
den alleinstehende Männer, die sich zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung der Innenministerkonferenz am 24. Ju-
ni 2005 noch nicht länger als sechs Jahre in Deutschland
aufgehalten haben, zurückgeführt. Besondere Bleibe-
rechtskriterien wurden für Familien mit minderjährigen
Kindern entwickelt.

Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass Flüchtlinge
aus Afghanistan mit großer Sensibilität zu behandeln sind
und vor einer Abschiebung in jedem einzelnen Fall sorg-
fältig geprüft werden muss, ob diese insbesondere vor
dem Hintergrund humanitärer Erwägungen vertretbar ist
oder nicht.

Afghanistan befindet sich nach einem 23 Jahre dau-
ernden Bürgerkrieg und kriegerischen Auseinanderset-
zungen nach wie vor in einem schwierigen und langwie-
rigen Wiederaufbauprozess. Es werden auch in Zukunft
noch viele Anstrengungen nötig sein, um die bereits er-
zielten Stabilisierungserfolge zu sichern und die Zu-
kunftsperspektiven für die afghanische Bevölkerung zu
verbessern. Auch die in vielen Regionen nach wie vor
sehr schwierige Sicherheitslage in Afghanistan kann und
soll nicht in Abrede gestellt werden. All dies wurde durch
die Innenministerkonferenz hinreichend gewürdigt und
bei ihrem Beschluss auch berücksichtigt. Dementspre-
chend eng wurden die Kriterien und der Personenkreis
für eine mögliche Rückführung gefasst.

Aufgrund dieser sehr restriktiven Grundsätze erfolgen
derzeit auch nur wenige zwangsweise Rückführungen;
dies auch, da der Vorrang gilt, dass freiwillige Rückkeh-
rungen unterstützt werden sollen.

So wurden im Jahr 2007 95 Personen aus Deutsch-
land nach Afghanistan abgeschoben. Im Jahr 2008, und
zwar in der Zeit von Januar bis November 2008, waren es
83 Afghanen, die abgeschoben wurden, also kein signifi-
kanter Anstieg der Zahl der Betroffenen.

An dieser Stelle ist übrigens ein Vergleich mit unseren
Nachbarstaaten interessant. Eine Betrachtung der Rück-
führungszahlen unserer europäischen Nachbarländer,
beispielsweise aus Großbritannien oder aus Frankreich,
offenbart nämlich, dass deutlich weniger Afghanen aus
Deutschland in ihr Heimatland zurückgeführt werden als
aus unseren Nachbarländern. Großbritannien hat mit der
afghanischen Regierung ein Abkommen geschlossen, das
die Rückführung von bis zu 80 Personen pro Monat er-
laubt. Tatsächlich werden von dort derzeit circa 50 Per-
sonen pro Monat zurückgeführt.

Die deutschen Zahlen und der europäische Vergleich
zeigen, dass die zuständigen Behörden der Bundesländer
in dieser Problematik mit dem nötigen Augenmaß verfah-
ren. Damit ist der mit diesem Antrag verbundene Versuch,
das rechtsstaatliche Handeln insbesondere des Bundes-
amtes für Migration und Flüchtlinge infrage zu stellen,
gescheitert.

Beachtlich sind auch andere Zahlen, die in diesem Zu-
sammenhang einmal genannt werden sollen. So sind seit
der Entmachtung des Taliban-Regimes allein 4,5 Millio-
nen Afghanen aus den unmittelbaren Nachbarländern
Pakistan und Iran zurückgekehrt. Diese Zahl unter-
streicht, dass grundsätzlich die Menschen auch bestrebt
sind, wieder in ihr Heimatland zurückzukehren und am
Wiederaufbauprozess teilzuhaben. Dieser stellt für Af-
ghanistan eine ganz besonders große Herausforderung
dar.

Unser Land trägt in erheblichem Maße dazu bei, dass
der Wiederaufbau in Afghanistan voranschreitet. Dabei
ist auch nicht zu verkennen, dass sich die Menschen-
rechtssituation in Afghanistan sukzessive verbessert.
Traurig ist allerdings in diesem Zusammenhang auch,
dass sich die Linke gerade bei notwendigen Beschlüssen
zur Sicherung und Wiederherstellung eines stabilen Frie-
densprozesses in Afghanistan immer wieder verweigert.

Ich bin der Ansicht, dass der Beschluss der Innenmi-
nisterkonferenz alle wesentlichen Gesichtspunkte berück-
sichtigt hat. Dazu gehört selbstverständlich auch unser
Interesse daran, keine Afghanen, die sich in Deutschland
strafbar gemacht haben und die ein Sicherheitsrisiko für
uns darstellen, hierzubehalten. Vielmehr unterstützen wir
hier eindeutig die von der Innenministerkonferenz im
Jahr 2005 bereits gefassten Beschlüsse.

Dazu gehört ebenso die nach wie vor prekäre Sicher-
heitslage in Afghanistan. An dieser Stelle möchte ich noch
einmal betonen, dass die Bundesländer und auch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in jedem Ein-
zelfall sorgfältig prüfen, ob eine Abschiebung erfolgen
kann oder nicht, und dabei insbesondere auch humani-
täre Gesichtspunkte angemessen berücksichtigen und
prüfen.

Dazu gehört aber auch nicht zuletzt die Erwägung,
dass Afghanistan darauf angewiesen ist, dass die Afgha-
nen in ihr Heimatland zurückkehren, die aufgrund ihrer
Leistungsfähigkeit und ihrer Erfahrungen im Ausland in
der Lage sind, sich am Wiederaufbau Afghanistans aktiv


(A) (C)



(B) (D)


Helmut Brandt
zu beteiligen. Für den gesamten Wiederaufbauprozess
sind sie ein unverzichtbarer Teil.

Abschließend möchte ich noch auf eine Entscheidung
des Verwaltungsgerichtshofes in Kassel aus dem vergan-
genen Jahr verweisen. Nach dem Beschluss des Verwal-
tungsgerichtshofes besteht gerade kein genereller Ab-
schiebeschutz für Flüchtlinge aus Afghanistan. Vielmehr
können nach dieser Entscheidung in einem entsprechen-
den Musterprozess junge, arbeitsfähige Männer ohne
familiäre Bindungen in ihr Heimatland abgeschoben
werden. Das Gericht hat dabei hervorgehoben, dass Aus-
nahmen nur dann gelten, wenn besondere individuelle
und existenzielle Risiken bestehen. Genau dies sind die
Kriterien, die von den Innenministern der Länder und
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewen-
det werden.

Wir alle, auch Sie von der Fraktion Die Linke sollten
aktiv daran mitwirken, dass der Wiederaufbauprozess in
Afghanistan erfolgreich abgeschlossen werden kann, so-
dass die Afghanen, die im Ausland Zuflucht gesucht ha-
ben, in ihr Heimatland zurückkehren können.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1620018800

Zweifelsohne ist die Sicherheitslage in Afghanistan al-

les andere als zufriedenstellend. Zwar seien Fortschritte
im Norden und Westen des Landes klar erkennbar, so der
Außenminister nach einem Besuch im Juli 2008 in Afgha-
nistan, allerdings könne nicht verschwiegen werden, dass
sich die Sicherheitslage sogar verschlechtert habe.

Dem muss Rechnung getragen werden. Allerdings
kann zum Beispiel subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG immer nur nach einer Einzelfallprüfung
erteilt werden und nicht generell. Dabei ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine
Aussetzung der Abschiebung einer Bevölkerungsgruppe
nur dann möglich, wenn man die Bevölkerungsgruppe
generell sehenden Auges in den Tod treiben würde. Davon
gehen die Gerichte bezüglich Afghanistans jedoch zurzeit
nicht aus. Bei der Einzelfallprüfung muss stets eine ex-
treme Gefahr vorliegen. In Anbetracht der derzeitigen
Lage in Afghanistan bejaht das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) eine solche extreme Gefahr in
der Regel für besonders gefährdete Personengruppen wie
alleinstehende Frauen mit kleinen Kindern, kranke und
alte Menschen. Insofern ist das, was der vorliegende An-
trag fordert, bereits herrschende Entscheidungspraxis
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

Auch die geltende Beschlusslage der Innenminister-
konferenz zu Rückführungen nach Afghanistan sieht eine
differenzierte Vorgehungsweise vor, wobei Straftäter und
alleinstehende junge Männer, die sich noch nicht länger
als sechs Jahre in Deutschland aufhalten, vorrangig ab-
geschoben werden sollen. Im Jahr 2008 hat das BAMF
insgesamt 3 765 Widerrufsprüfungsverfahren bei Afgha-
nistanflüchtlingen eingeleitet. Diese relativ hohe Zahl er-
klärt sich aus der Verpflichtung des Amtes, gemäß § 73
Abs. 2 a AsylVfG nach drei Jahren bei einer positiven
Entscheidung das weitere Vorliegen der schutzbegrün-
denden Voraussetzungen zu überprüfen und daraufhin
eine Mitteilung an die Ausländerbehörde zu machen, und
Zu Protokoll
nicht etwa daraus, dass das BAMF der Meinung war, be-
züglich Afghanistan habe sich die Situation entschärft.
Das Gegenteil ist der Fall, wie man am Ausgang der
Überprüfungsverfahren erkennen kann: In lediglich
204 Fällen erfolgte ein Widerruf. In der ganz überwie-
genden Zahl der Fälle, nämlich bei 3 561 Personen – das
sind etwa 95 Prozent – war dies nicht der Fall.

Es ist mithin nicht zu erkennen, dass das BAMF hier ei-
ner Ermahnung und des Hinweises auf die prekäre Lage
in Afghanistan bedarf. Im Regelfall werden zudem die
Personen, bei denen nach Überprüfung der Flüchtlings-
eigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes kein Widerruf
erfolgt ist, nun eine Niederlassungserlaubnis erhalten
können.

Von den 560 im vergangenen Jahr in der Zeit von Ja-
nuar bis November 2008 gestellten Erstanträgen von
Flüchtlingen aus Afghanistan wurden bis jetzt
5 Personen als Asylberechtigte anerkannt, 70 Personen
erhielten den Flüchtlingsstatus nach der GFK gemäß
§ 60 Abs. 1 AufenthG, und 86 Personen erhielten Ab-
schiebeschutz. In 135 Fällen kam es zu einer sonstigen
Erledigung des Verfahrens; in lediglich 56 Fällen kam es
zu einer Ablehnung. Auch diese Zahlen belegen, dass das
BAMF mit Flüchtlingen aus Afghanistan durchaus ver-
antwortungsbewusst und mit Augenmaß vorgeht. Soweit
also die Arbeit des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge in dem Antrag angesprochen ist – und damit
die unmittelbare Zuständigkeit des Bundesministers des
Inneren –, wird dem Anliegen der Antragsteller weitest-
gehend entsprochen.

Im Übrigen muss ich leider empfehlen, den Antrag ab-
zulehnen, denn mehr als die oben dargestellte differen-
zierte Behandlung durch die Länderinnenminister
– vergleiche auch ihre Beschlusslage auf den Innenminis-
terkonferenzen – ist von dort nicht erreichbar.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Menschenrechtsgruppen warnen schon seit langem

vor einer Abschiebung von Flüchtlingen in das vom Krieg
zerstörte Land. Es gebe für sie keine ausreichende Sicher-
heit und Versorgung. Grundsätzlich ist allerdings zu
sagen: Ein genereller Abschiebestopp, wie ihn die Links-

(wie auch für zahlreiche andere Länder)

Krisenentwicklungen. Afghanistan ist aber fraglos eine
Dauerkrise.

Gerade vor dem Hintergrund der Verantwortung für
andere Fälle muss die Notwendigkeit eines Abschiebe-
stopps immer genau geprüft werden. Der generelle Ab-
schiebestopp ist ein Instrument, das nicht inflationär
verwendet werden darf. Die Linke spricht sich gegen das
Engagement der Bundeswehr in Afghanistan aus, durch
das die Situation der Menschen dort bereits wesentlich
verbessert wurde. Die Einbringung dieses Antrages wirkt
auch vor diesem Hintergrund widersprüchlich. Die Linke
hält die Zivilbevölkerung sogar gerade durch die internatio-
nalen Truppen – das heißt: auch durch die Bundeswehr –
für bedroht. Solche populistischen Schuldzuweisungen
kann die FDP nicht mittragen.

Die Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richt-
linien der Europäischen Union durch die Bundesregierung



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

und der Kompromiss der Innenministerkonferenz zum
Bleiberecht sind in mancherlei Hinsicht problematisch.
Die Zuwanderung insgesamt bedarf der Erörterung. Ein
umfassendes Konzept zur Zuwanderungssteuerung fehlt
nach wie vor. Der Antrag der Linkspartei ist in seiner
Analyse der politischen und menschenrechtlichen Situa-
tion in Afghanistan zudem nicht mehr auf dem aktuellen
Stand.

Vor diesem Hintergrund bezweifelt die FDP, dass ein
genereller Abschiebestopp, wie ihn die Linkspartei for-
dert, die richtige Antwort ist. Wir sind allerdings der Auf-
fassung, dass die Menschenrechtslage in Afghanistan
weiterhin der kritischen Aufmerksamkeit bedarf. Natür-
lich müssen wir leider davon ausgehen, dass es politische
Verfolgung in Afghanistan auch heute noch gibt. Aber da-
für besteht nach wie vor das Recht für politisch Verfolgte,
in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.

Eine individuelle Prüfung ist immer möglich, auch
jetzt schon. Dauerhafte Probleme mit der Menschen-
rechtslage in einem bestimmten Land können mit einem
generellen Abschiebestopp als politischem Instrument
nicht gelöst werden. Dazu ist das Asylrecht das richtige
Instrument. Die FDP lehnt daher den Antrag der Links-
partei ab.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620018900

Seit 2001 bombt die USA mit ihren NATO-Verbünde-

ten, Deutschland inbegriffen, in Afghanistan. Nachdem
die NATO-Mitgliedstaaten Art. 5 des Bündnisvertrags
aktiviert hatten und die Anschläge auf das World Trade
Center und das Pentagon als einen bewaffneten Angriff
auf das Bündnisgebiet erklärten, befinden sich Deutsch-
land und die übrigen NATO-Staaten bis heute im Krieg.
Inzwischen sind über 55 000 ISAF-Soldaten am Hindu-
kusch. Deutschland ist mit 3 400 stationierten Soldaten
der drittgrößte Truppensteller nach den USA und Groß-
britannien.

Die proklamierten Ziele der Militäreinsätze sind Ter-
rorismusbekämpfung sowie Demokratisierung und Wie-
deraufbau. Sogar die Wahrung der Menschenrechte, ins-
besondere der Frauenrechte, sollen der Legitimation für
diesen Krieg dienen. Diese Ziele sind nicht erreicht – wie
auch, waren sie doch nur ein Vorwand. Vielmehr ist das
Gegenteil eingetreten: Bislang hat die Bundesregierung
mehr als 3 Milliarden Euro im Rahmen von ISAF und
etwa 1 Milliarde Euro im Rahmen von OEF ausgegeben.
Demgegenüber wurden nur 1,2 Milliarden Euro für den
zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Da den Bauern keine
vernünftige Alternative zum Mohnanbau geboten wurde,
nimmt die Opiumproduktion ständig zu. Warlords und die
Taliban finanzieren dadurch die Waffen für ihren Krieg,
und ein Großteil des Landes wird inzwischen von den Ta-
liban kontrolliert.

Systematische Akte der Einschüchterung, einschließ-
lich willkürlicher Tötungen, Entführungen und anderer
Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit und der Freiheit
durch regierungsfeindliche Elemente und lokale War-
lords, durch militärische Kommandeure und kriminelle
Gruppen sind genauso an der Tagesordnung wie Selbst-
mordattentate und Anschläge. Laut einem im September
Zu Protokoll
2008 veröffentlichten Bericht des Human Rights Teams
waren zwischen Januar und August 2007 1 040 Zivilisten
Opfer bewaffneter Konflikte. Im selben Zeitraum des Jah-
res 2008 stieg die Zahl der Todesopfer auf 1 445.

Die Versorgung der Menschen ist in vielen Zonen Af-
ghanistans wegen der Auseinandersetzungen kaum mög-
lich. Die zunehmende Unsicherheit für humanitäre Helfe-
rinnen und Helfer erschwert diese zusätzlich. So erhöht
die unsichere Nahrungsmittelversorgung noch die Zahl
der Binnenvertriebenen.

Das Land ist Warlords und Drogenbaronen in die
Hände gespielt worden, die bis auf die Knochen frauen-
feindlich sind. „Die Frauen leiden mehr denn je. Die
Selbstmordrate unter Frauen war noch nie so hoch.“ Das
berichtete die afghanische Frauenrechtlerin Malalai
Joya Ende 2007 in einem Interview. Selbst die Bundesre-
gierung kommt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage
der Grünen – Drucksache 16/10804 – nicht umhin, zuge-
ben zu müssen, dass Frauen zu den besonders gefährde-
ten Einzelpersonen und Gruppen gehören. Hervorgeho-
ben werden aber auch rückkehrende Flüchtlinge. Dort
leben sie in der Gefahr, zwangsrekrutiert, ermordet oder
entführt zu werden, oder aber der Armut zu verfallen. We-
der die afghanische Regierung noch internationale
Hilfsorganisationen können abgeschobene Flüchtlinge
vor konkreten Gefahren für Leib und Leben wirksam
schützen. Sie sind erneut zur Flucht gezwungen.

Zudem verschärfen sie die vor Ort bestehende unhalt-
bare humanitäre Situation. Das Nachbarland Iran hat
seit April 2007 mit der zwangsweisen Abschiebung von
afghanischen Flüchtlingen begonnen. Von April bis Juni
2007 sollen fast 100 000 unregistrierte und registrierte
Flüchtlinge ausgewiesen worden sein. Viele von ihnen le-
ben in Afghanistan in der Wüste mit völlig unzureichen-
dem Zugang zu Wasser, Grundnahrungsmitteln und
Wohnraum. Von der Ausweisung aus dem Iran sind insge-
samt rund 920 000 Menschen bedroht. Nach Angaben des
Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen

(UNHCR) löste die zwangsweise Rückkehr der Flücht-

linge aus dem Iran in Afghanistan erhebliche Spannun-
gen aus. Diese Erkenntnis über die katastrophale Situa-
tion in Afghanistan führt aber nicht etwa dazu,
afghanische Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz vor
der Gewalt suchen oder sogar hier aufgewachsen sind,
nicht abzuschieben. Bereits im Juni 2005 hatten die In-
nenminister der Länder grundsätzlich die „Rückfüh-
rung“ aller afghanischen Flüchtlinge beschlossen. Zu-
nächst wurden Straftäter und alleinstehende Männer
abgeschoben. Später dann auch afghanische Familien
mit Kindern.

2007 musste dann Hamburgs Innensenator auf öffent-
lichen Druck hin auf die geplante und bereits eingeleitete
Abschiebung von Familien mit Kindern verzichten – we-
niger ein Akt der Humanität als ein Eingeständnis des
Versagens der Kriegsstrategie in Afghanistan. Denn dies
unterstreicht, dass eine angeblich stabile Sicherheitslage
zur Begründung von Abschiebungen nicht mehr herange-
zogen werden konnte.

Mit dem Einzug der Linksfraktion in den Deutschen
Bundestag vertrat meine Fraktion die Auffassung, dass



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sevim Daðdelen
Abschiebungen nach Afghanistan vor dem Hintergrund
der Sicherheitslage und des Massenelendes von Hun-
derttausenden unverantwortlich sind, und legte einen
entsprechenden Antrag vor. Darin forderten wir einen
umgehenden Abschiebestopp für alle afghanischen
Staatsangehörigen. Ich appelliere in dieser Frage ins-
besondere an die SPD in der Hoffnung, dass sie sich wie
im Hessischen Landtag im April des letzten Jahres unse-
rer Initiative für einen Abschiebestopp von afghanischen
Flüchtlingen anschließt. Dort haben sich SPD und Grüne
in dieser Frage auf die Seite unserer Fraktion gestellt und
dem Antrag so zu einer Mehrheit verholfen.

Angesichts der geschilderten konkreten Gefahren für
Leib und Leben der Flüchtlinge aus Afghanistan, der sie
bei einer Abschiebung ausgeliefert wären, lässt sich ak-
tuell weniger denn je die Forderung nach einem humani-
tär begründeten Abschiebestopp auf einzelne Gruppen
beschränken. Eine Beschränkung des humanitären
Schutzes auf Familien mit Kindern ist angesichts der
durch willkürliche Gewalt und extreme Not geprägten
Lage, die alleinstehende Männer und kinderlose Ehe-
paare ebenfalls trifft, nicht zu begründen.

Doch unser Antrag ging darüber hinaus und hat auch
in einem weiteren Punkt eher an Bedeutung gewonnen:
den afghanischen Flüchtlingen, die sich nun schon seit
Jahren hier aufhalten, endlich Aufenthaltserlaubnisse zu
erteilen. Es ist nämlich völlig ungewiss, ob und wann sie
nach Afghanistan zurückkehren können. Das Aufenthalts-
gesetz selbst sieht vor, dass ein Abschiebungsstopp ge-
mäß § 60 a Abs. 1 AufenthG längstens für Zeiträume von
bis zu sechs Monaten erlassen werden darf. Für darüber
hinausgehende Zeiträume sollen Aufenthaltserlaubnisse
gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt werden. Darüber
hinaus müssen die Mitgliedstaaten der EU nach der so-
genannten Qualifikationsrichtlinie eine Aufenthalts-
erlaubnis gewähren, wenn „eine ernsthafte individuelle
Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zi-
vilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines
internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konf-
likts“ vorliegt.

Zumindest die rechtlichen Verpflichtungen gegenüber
den afghanischen Flüchtlingen gilt es endlich uneinge-
schränkt umzusetzen, statt immer weiter die Truppen in
Afghanistan aufzustocken und den Menschen in Afgha-
nistan das Leben zur Hölle zu machen.


Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620019000

Der vorliegende Antrag umfasst vier Forderungen:

Erstens. Die Bundesregierung soll sich gegenüber den
Bundesländern für eine Aussetzung von Abschiebungen
nach Afghanistan – gemäß § 60 a Abs. 1 Aufenthaltsge-
setz – einsetzen.

Zweitens. Der Bundesinnenminister soll gegenüber
den Bundesländern sein Einverständnis zu einer Aufent-
haltsgewährung aus humanitären Grünen erklären, des-
sen es nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz zur Wahrung
der Bundeseinheitlichkeit bedarf.

Drittens. Der Bundesinnenminister soll dafür sorgen,
dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
Zu Protokoll
BAMF, keine Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen von
Personen aus Afghanistan widerruft.

Viertens. Der Bundesinnenminister soll dafür sorgen,
dass Flüchtlinge aus Afghanistan zumindest einen subsi-
diären Schutz gemäß der EU-Qualifikationsrichtlinie er-
halten.

Das Hauptanliegen des Antrages – nämlich die Forde-
rung nach einem Abschiebungsstopp – war zur Einbrin-
gung des Antrags richtig und ist es leider immer noch.
Das gilt auch dann, wenn wir hinsichtlich der Frage, in-
wiefern auch militärisches Engagement in Afghanistan
zur Verbesserung der Situation notwendig ist, andere Ein-
schätzungen haben als die Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion. In einer Zeit, in der uns täglich Meldungen
über die sich verschärfende Sicherheitslage in Afghanis-
tan erreichen, kann es nicht angehen, gleichzeitig Flücht-
linge dorthin abzuschieben. Ich zitiere aus der Reisewar-
nung des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2009:

Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt.

Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch
terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte
bewusst sein.

Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe
ISAF kann es landesweit zu Attentaten kommen.
Die Sicherheitskräfte der Regierung sind nicht in
der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.

In ganz Afghanistan besteht das Risiko, Opfer einer
Entführung zu werden. Auch in der Hauptstadt Kabul
können Überfälle und Entführungen nicht ausge-
schlossen werden. Im übrigen Land bestehen teil-
weise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken.

Eine Unterscheidung zwischen deutschen Reisenden
und afghanischen Flüchtlingen bezüglich der vom Auswär-
tigen Amt geschilderten Sicherheitslage in Afghanistan
halte ich für makaber.

Umso unverständlicher und verantwortungsloser
finde ich hier die ablehnende Haltung der Abgeordneten
der Großen Koalition zu dem vorliegenden Antrag. Der
geforderte Abschiebestopp ist richtig. Hamburg hatte be-
reits im vergangenen Jahr den ersten Schritt gemacht und
zumindest für Familien mit Kindern einen Abschiebe-
stopp für mindestens ein Jahr erlassen. Das ist vor allem
deswegen wichtig, weil nach der im Jahr 2005 von der
Innenministerkonferenz beschlossenen gestaffelten Rück-
führung nach Afghanistan inzwischen auch Familien mit
Kindern an der Reihe sind.

Inzwischen hat der Hamburger Innensenator Christoph
Ahlhaus am 15. Dezember 2008 sogar mitgeteilt, dass af-
ghanischen Staatsangehörigen, die sich seit mehr als
18 Monaten im geduldeten Aufenthalt befinden, Aufent-
haltserlaubnisse erteilt werden. Grundlage für diese Blei-
berechtsentscheidung ist die Tatsache, dass eine Ausreise
nach Afghanistan gegenwärtig nicht zumutbar möglich
ist und auch in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird.

Sie sehen also, dass eine humanitäre Lösung für af-
ghanische Flüchtlinge möglich ist, wenn der politische
Wille da ist.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620019100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/6778, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/5141 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke sowie Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verein-
fachung und Modernisierung des Patentrechts

– Drucksache 16/11339 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Auch hier wurden die Reden zu Protokoll gegeben,
und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen:
Dr. Günter Krings, Dirk Manzewski, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Roland Claus, Jerzy Montag und vom
Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1620019200

Deutschland ist das Land der Patente. Bei den Anmel-

dezahlen von europäischen Patenten liegen wir mit etwa
24 000 einsam an der Spitze. Die danach folgenden Fran-
zosen kommen gerade einmal auf ein Drittel der Anmel-
dungen.

Auch im internationalen Vergleich können sich die
deutschen Patentanmeldungen sehen lassen. Bei der
Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf gingen
2006 fast 17 000 Patentgesuche aus der Bundesrepublik
ein. Nur die USA und Japan können höhere Zugangszah-
len ausweisen.

Nichtigkeitsverfahren effektiver ausgestalten: Sosehr
wir uns über diese Zahlen freuen können, bleibt es unsere
Aufgabe als Politiker, ein ebenso erfolgreiches Patentge-
richtsverfahren auszugestalten, was der Vorrangstellung
Deutschlands bei den Patentverfahren gerecht wird. Da-
bei gibt es keine Zweifel über die Qualität der Patent-
rechtsprechung in Deutschland. Allerdings bekommen
wir es mit einem immer länger dauernden Patentgerichts-
verfahren zu tun. Der Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung bietet hier gute und richtige Ansatzpunkte für eine
Straffung des prozessualen Verfahrens, ohne dabei zu ei-
ner Verschlechterung der Rechtsprechung zu gelangen.
Das Nichtigkeitsverfahren, um dessen Neuordnung es in
diesem Gesetzentwurf geht, wird nämlich heutzutage oft-
mals aus prozesstaktischen Gründen missbraucht.

Verletzungsverfahren zieht sich in die Länge: Die Be-
liebtheit der deutschen Patentgerichtsbarkeit auch im
Ausland zeichnet sich insbesondere durch die Schnellig-
keit des Patentverletzungsverfahrens aus. In letzter Zeit
vermehren sich allerdings die Anzeichen, dass Verlet-
zungsverfahren bewusst in die Länge gezogen werden.
Das geschieht nicht durch das Verletzungsverfahren
selbst, sondern hängt mit dem Nichtigkeitsverfahren zu-
sammen. Laufen nämlich Verletzungs- und Nichtigkeits-
verfahren nebeneinander, kommt es in der Regel zur Aus-
setzung des Verletzungsverfahrens. Der Patentverletzer
kann diese Situation ausnutzen, um möglichst lange von
seiner Pseudo-Erfindung zu profitieren, zum Schaden für
den Patentinhaber und Erfinder.

Qualifizierter Hinweis: Es ist daher mehr als vernünf-
tig, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Dies erledigt die
Einführung des qualifizierten Hinweises für die Prozess-
parteien durch das Bundespatentgericht in das Patentge-
setz. Die Richter werden damit angehalten, ihre vorläu-
fige Einschätzung der Sach- und Rechtslage im Verfahren
zu widerlegen. Die Prozessparteien können sich so besser
auf die entscheidungsrelevanten Aspekte des Gerichts
einstellen. Mit dem Hinweis verbunden wird eine Frist-
setzung, in der die Beteiligten die Gelegenheit haben, ih-
ren Vortrag anhand der gerichtlichen Anmerkungen
nachzubessern.

Schutz vor überraschendem Vortrag: Damit wird vor
allen Dingen ein Missstand behoben, der bis heute zu den
größten Ärgernissen der Patentverfahren zählt und zur
Verfahrensverlängerung maßgeblich beiträgt. Kurz vor
oder sogar erst in der mündlichen Verhandlung wartet
eine Partei oftmals mit einem neuen Vortrag auf. Die geg-
nerische Seite hat dann keine Gelegenheit mehr, diesen
Vortrag zu parieren. Dem Gericht bleibt somit nichts an-
deres übrig, als der Gegenseite eine entsprechende Frist
einzuräumen. Gerade diese Verzögerungstaktik wird mit
dem neu einzuführenden qualifizierten Hinweis beendet.

Orientierung an ZPO: Es ist aber kein Sonderrecht,
das hier geschaffen wird, sondern wir passen die Regeln
des Nichtigkeitsverfahrens an die Grundsätze der Zivil-
prozessordnung an. Seit 2002 sind die entsprechenden
Änderungen der ZPO in Kraft. Sie haben sich bewährt,
sodass ich sicher bin, dass sie sich auch im Nichtigkeits-
verfahren bewähren werden. Wir leisten mit der Anpas-
sung im Patentverfahrensrecht lediglich einen Beitrag
zur Einheit der Prozessrechtsordnung.

Berufung im Nichtigkeitsverfahren: Die Orientierung
an den ZPO-Vorschriften bliebe allerdings unvollständig,
wenn sie sich nicht auch auf das Berufungsverfahren er-
strecken würden.

Volle Tatsacheninstanz: Zurzeit ist die Berufung gegen
das Urteil einer Nichtigkeitsklage der ersten Instanz noch
als volle Tatsacheninstanz ausgestaltet. Dies wirkt umso
schwerer, da das Berufungsgericht aufgrund der patent-
spezifischen Offizialmaxime den Sachverhalt seinerseits
vollständig zu ermitteln hat. Verfahren ziehen sich somit
zwangsläufig in die Länge, obwohl dies nicht sein müsste,
da beim Bundespatentgericht bereits in besonderer Weise
qualifizierte Richter die Tatsachen ermittelt haben.

Unterschied zum Zivilprozess: Allerdings verkenne ich
den Unterschied zu einem normalen zivilprozessrechtli-
chen Verfahren nicht. Es ist sicherlich nicht leicht, wenn
in der Klagebegründung auf den Stand der Technik abge-
stellt wird, diesen umfassend zu ermitteln. Diese Beson-
derheit sollte nicht kleingeredet werden. Gleichwohl


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günther Krings
erreichen wir durch die bessere Strukturierung der Tat-
sachenfeststellung in der ersten Instanz eine erhöhte
Transparenz, die im Ergebnis dazu führt, dass das Beru-
fungsgericht künftig lediglich in Ausnahmefällen eine
Sachverhaltsermittlung durchführen muss.

Nur noch Rechtsmittelinstanz: Es ist daher nur konse-
quent, die Berufung im Grundsatz als reine Rechtsmittel-
instanz auszugestalten. Das erspart den Berufungsrich-
tern am Bundesgerichtshof im Regelfall die Bestellung
eines Sachverständigen, durch die sich der Prozess
zwangsläufig in die Länge zieht. Die Verfahren können
nun deutlich schneller zum Abschluss gebracht werden.

Halbierung der Verfahrensdauer: Das von der Bun-
desregierung angestrebte Ziel, eine Halbierung der zur-
zeit etwa vier Jahre dauernden Berufung am Bundesge-
richtshof, halte ich für erstrebenswert und auch durchaus
für realistisch. Und angesichts der konkreten Novellie-
rungsvorschläge wird sich dies auf die Qualität der Ent-
scheidungen auch nicht negativ auswirken. Wir schieben
lediglich dem Missbrauch durch künstlich in die Länge
gezogene Verfahren einen Riegel vor und sorgen so für
eine schnellere Entscheidung der Gerichte bei gleichblei-
bender Qualität.

Arbeitnehmererfindung: Neben den angestrebten pa-
tentprozessualen Änderungen sind die Änderungen zum
Arbeitnehmererfindungsgesetz ein zentraler Bestandteil
dieser Gesetzesnovelle. Die Vorschriften zur Arbeitneh-
mererfindung bestehen seit mehr als 50 Jahren im Kern
unverändert fort. Der größte Teil der Patentanmeldungen
in Deutschland geht auf das Arbeitnehmererfindungsge-
setz zurück. Diese Erfolgsgeschichte hat jedoch einige
Schönheitsfehler.

Vorschriften zu kompliziert: In der Praxis wird bemän-
gelt, dass einzelne Regelungen zu kompliziert sind und
damit auch sehr fehleranfällig. Die BGH-Entscheidung
aus dem Jahr 2006 zu der Frage, wann ein Patent, in die-
sem Fall waren es Haftetiketten, an den Arbeitnehmer zu-
rückfällt, hat den Reformbedarf offengelegt. Da der
Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber keine förmliche Erfin-
dungsanmeldung im Sinne des § 5 Arbeitnehmererfin-
dungsgesetz hatte zukommen lassen, verlor der Arbeitge-
ber das Recht an dem Patent wieder, weil er nicht
innerhalb von vier Monaten seine Inanspruchnahme-
erklärung abgab, obwohl ihm die einzelnen Umstände
der Patentanmeldung bekannt waren.

Inanspruchnahmefiktion: Die von der Bundesregie-
rung geplante Änderung der Inanspruchnahmeerklärung
in § 6 Arbeitnehmererfindungsgesetz unterstützen wir da-
her ausdrücklich. Zukünftig soll das vom Arbeitnehmer
eingereichte Patent nach vier Monaten automatisch dem
Arbeitgeber zufallen.

Zweifel des Bundesrats: Der Bundesrat hat hierzu ein-
gewandt, dass der Zeitraum von vier Monaten bei be-
stimmten Patenten zu kurz sein kann. Aber der Einwand
der Bundesregierung hierzu erscheint letztlich überzeu-
gend. Da die Vorschrift über die Länge der Frist zur In-
anspruchnahme dispositives Recht ist, können die Ver-
tragsparteien die Frist jederzeit ändern, was an sich auch
im gegenseitigen Interesse ist. Ob hier allerdings wirklich
Zu Protokoll
eine gesetzliche Regelung notwendig ist, wird noch ein-
mal eingehender im Gesetzgebungsverfahren zu hinter-
fragen sein.

Zum Schluss bleibt festzuhalten: Deutschland ist nicht
nur das Land der vielen Patente, sondern Deutschland ist
auch das Land der guten Patentgerichtsbarkeit. Jedoch
kann man sich auf den einmal erworbenen Lorbeeren
nicht ausruhen, sondern muss sich immer wieder im eu-
ropäischen und auch internationalen Wettbewerb bewei-
sen. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir heute eine
wichtige Wegmarke in diese Richtung setzen. Die Verkür-
zung der Verfahrensdauer beim Bundespatentgericht und
beim Bundesgerichtshof sichern im Ergebnis die Qualität
der Rechtsprechung. Ein absichtliches Hinauszögern
durch Verfahrenstricks wird in Zukunft nicht mehr so ein-
fach möglich sein.

Wir tragen mit der Novellierung der alten juristischen
Erkenntnis Rechnung, dass Gerechtigkeit verweigert
wird, wenn Urteile verzögert werden.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1620019300

Wir debattieren hier heute über den Gesetzesentwurf

der Bundesregierung zur Vereinfachung und Modernisie-
rung des Patentrechts. Durch diesen Gesetzesentwurf sol-
len vor allem Verfahrensabläufe vereinfacht und über-
flüssige oder überholte Regelungen gestrichen werden.
Das klingt erst einmal gut. Verfahrensabläufe zu verein-
fachen und überflüssige Regelungen zu streichen, findet
immer meine Zustimmung. Vorausgesetzt natürlich, sie
machen Sinn. Die Intention dieses Gesetzesentwurfs wird
deshalb von mir auch ausdrücklich begrüßt.

Ich freue mich auch darüber, dass wir hier heute
Abend Gelegenheit haben, den Gesetzesentwurf ausführ-
lich anzudebattieren, denn bei all dem Lob möchte ich Sie
gerne auf drei Punkte des Gesetzesentwurfs aufmerksam
machen, über deren Sinn ich gerne mit Ihnen in den an-
stehenden Beratungen diskutieren würde.

Das betrifft zum einen die Neuregelung bei den soge-
nannten Arbeitnehmererfindungen. Anders als bislang,
muss der Arbeitgeber danach nicht mehr ausdrücklich
erklären, dass er die Erfindung seines Arbeitnehmers in
Anspruch nehmen will. Dem Arbeitgeber soll vielmehr
nunmehr das Recht zur Inanspruchnahme der Arbeitneh-
mererfindung schon dann zustehen, wenn er binnen einer
Frist von vier Monaten nicht ausdrücklich die Nichtan-
nahme einer ihm gemeldeten Erfindung erklärt. Begrün-
det wird der Vorschlag damit, dass in der Vergangenheit
häufig Frist- oder Formfehler dazu geführt hätten, dass
der Anspruch des Arbeitgebers leer lief und die Erfindung
des Arbeitnehmers für diesen zwar frei, aufgrund seiner
finanziellen Situation aber nicht zu realisieren sei.

Richtig ist, dass die angedachte Neuregelung diese
Probleme beseitigen würde. Ich stelle mir jedoch die
Frage, ob wir hierdurch nicht ein Problem durch das an-
dere ersetzen würden. Denn abgesehen davon, dass ein
Arbeitnehmer, wenn er dann die Rechte hätte, seine Er-
findung seinem Arbeitgeber ja noch einmal anbieten
könnte, besteht natürlich ebenso die Gefahr, dass Arbeit-
geber aufgrund der automatischen Fiktion zwar die



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
Rechte an der Erfindung erhalten, aber gar kein großes
Interesse an deren Verwertung haben und diese dann ei-
nerseits nicht nutzen, andererseits hierdurch aber auch
eine Verwertung durch den Arbeitnehmer verhindern. In-
sofern möchte ich schon die Frage aufwerfen, ob es nicht
doch sinnvoller ist, den Arbeitgeber entscheiden zu las-
sen, ob die Nutzung einer Erfindung für ihn und seinen
Betrieb sinnvoll ist oder nicht.

Probleme habe ich auch mit der angedachten Abschaf-
fung des § 145 PatG. Nach dieser Vorschrift ist der Inha-
ber mehrerer Patente verpflichtet, die Verletzung all der-
jenigen Patente möglichst gleich gemeinsam geltend zu
machen, die durch dieselbe Handlung eines Dritten be-
troffen sind. Mit dieser Vorschrift soll dem Missbrauch
von wirtschaftlicher Übermacht bei Patentrechtsstrei-
tigkeiten vorgebeugt werden. Hintergrund hierfür ist die
Befürchtung, dass finanzstarke Rechteinhaber, also ins-
besondere Konzerne, ansonsten trotz derselben Rechts-
verletzung und mitunter sogar in Kenntnis, dass gar keine
Verletzung vorliegt, zunächst das eine und dann die ande-
ren eigenen Patente als verletzt geltend machen, um den
kleinen Konkurrenten in der Ausübung seines Patents zu
hindern bzw. dessen Kostenbelastung so in die Höhe zu
treiben, dass dieser aufgibt oder unvernünftige Verglei-
che eingeht.

Natürlich geht § 145 über die sonstigen entsprechen-
den Regeln des Zivilprozesses hinaus, und gutwillige Pa-
tentrechtsinhaber würden gezwungen werden, den Pro-
zessstoff gegebenenfalls unnötig zu erweitern. Insoweit
hat die Bundesregierung unbestritten recht. Wenn aber
zudem darauf hingewiesen wird, dass sich praktisch diese
Missbrauchsgefahr kaum realisiert habe, dann spricht
dies für mich zunächst erst einmal dafür, dass sich die
Vorschrift offenbar bewährt und vor diesem Missbrauch
geschützt hat. Und an bewährte Vorschriften sollte man
nur ganz vorsichtig herangehen. Denn dass die Befürch-
tungen des damaligen Gesetzgebers nicht so ganz aus der
Luft gegriffen sind, wird man wohl zugestehen müssen,
und hieran hat sich meiner Auffassung nach auch nichts,
aber auch gar nichts geändert. Ich meine, wir sollten
hierüber jedenfalls ausführlich diskutieren.

Zuletzt habe ich noch ein Problem mit den beabsich-
tigten Änderungen des Patentnichtigkeitsverfahrens.
Derzeit ist die Rechtslage so, dass mit den Bestandsfra-
gen des Patents in erster Gerichtsinstanz das Bundes-
patentgericht befasst ist. Das macht Sinn, weil dieses
auch über sogenannte technische Richter verfügt. Gegen
Entscheidungen dieses Gerichts ist die Berufung zum
BGH gegeben, der, anders als sonst, in diesen Verfahren
eine zweite Tatsacheninstanz eröffnet. Die Bundesregie-
rung möchte nun auch in diesen Verfahren die Sachauf-
klärung alleine der ersten Instanz auferlegen und die Ar-
beit des BGH auf die Rechtskontrolle beschränken.

Natürlich hat die Bundesregierung recht, wenn sie
darlegt, dass die Berufungsverfahren vor dem BGH im-
mer mehr zunehmen und die Verfahrensdauern dem-
entsprechend immer länger werden. Zuzugestehen ist
auch, dass lange Nichtigkeitsverfahren schlecht für die
Nutzung des geistigen Eigentums und damit für die Wirt-
schaft sind. Nur das Patentnichtigkeitsverfahren kann
Zu Protokoll
man nicht einfach mit anderen Zivilverfahren gleichset-
zen. Es ist mit ganz anderen Schwierigkeiten verbunden,
zumal man, wenn man sich zum Beispiel auf den Stand der
Technik beruft, auf das gesamte bisher bekannte Fach-
wissen zurückgreifen muss. Die Bundesregierung gesteht
deshalb auch selbst ein, dass dieses praktisch nie lücken-
los überschaubar und abschließend recherchierbar sei,
zumal es oft auch auf die Bewertung einzelner Elemente
der erfindungsgemäßen Lehre durch das Gericht an-
komme, inwieweit weitere tatsächliche Umstände oder
weiterer druckschriftlicher Stand der Technik für das Ver-
fahren von Bedeutung sind, auf die sich der Kläger in der
ersten Instanz nicht bezogen hat.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wenn es denn
der Sache dient, sollten wir den entsprechenden Vor-
schlag der Bundesregierung so umsetzen. Ich meine je-
doch, dass dies hier nicht ganz unproblematisch ist und
zumindest eine Diskussion hier im Bundestag erforder-
lich macht.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1620019400

Innovationen und Erfindungen sind für die volkswirt-

schaftliche Entwicklung unseres an Rohstoffen armen
Landes und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands von zentraler Bedeutung. Der rechtliche
Rahmen für einen ausreichenden und effektiven Schutz
von Erfindungen spielt deshalb eine zentrale Rolle, und
die FDP unterstützt jede Maßnahme, die zu einer Verbes-
serung dieser Rahmenbedingungen beiträgt.

Die FDP spricht sich seit Jahren in allen Politikfel-
dern für einfache und schlanke Regelungen aus. Die Ver-
einfachung und Beschleunigung der gerichtlichen Ver-
fahren im Zusammenhang mit dem Patentrecht sowie die
Modernisierung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes
weisen daher in die richtige Richtung. Das Arbeitneh-
mererfindungsgesetz ist von besonderer Bedeutung, denn
der überwiegende Teil der in Deutschland angemeldeten
und erteilten Patente geht auf sogenannte Diensterfin-
dungen zurück. Das Arbeitnehmererfindungsgesetz hat
sich dabei als Instrument zum Ausgleich der Interessen
von erfinderisch tätigen Arbeitnehmern und ihren Arbeit-
gebern im Grundsatz bewährt. Seit seinem Inkrafttreten
im Jahr 1957 ist es jedoch unverändert, und seit Jahren
ist immer wieder Kritik an den zum Teil komplizierten Re-
gelungen und den langwierigen Verfahren des Arbeitneh-
mererfinderrechts geübt worden.

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die ein
aufwendiges System zur Prüfung und Betreuung von
Diensterfindungen in der Regel nicht unterhalten können,
werden hier oftmals vor erhebliche Probleme gestellt.
Wenn das Arbeitnehmererfindungsgesetz nun vereinfacht
werden soll, dann ist das zu begrüßen. Richtig erscheint
dabei, bei dieser Gelegenheit die umstrittene „Hafteti-
kett-Entscheidung“ des Bundesgerichtshofs zu korrigie-
ren und die Inanspruchnahme von Diensterfindungen
durch eine gesetzliche Fiktion erheblich zu erleichtern.
Die Ersetzung der Schriftform durch die Textform im Ar-
beitnehmererfindungsgesetz kann in der Praxis unmittel-
bare Erleichterungen sowohl für den Arbeitgeber als auch
für den Arbeitnehmer bedeuten, weil dadurch die heute



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
üblichen modernen Kommunikationsmittel (Fax, E-Mail)

nutzbar werden.

Der Regierungsentwurf sieht dagegen keinerlei Ände-
rungen bei den Bestimmungen über die Vergütung der Ar-
beitnehmererfindungen vor. Das ist fragwürdig. Ob nicht
auch bei diesem komplizierten und mit erheblichem Ver-
waltungsaufwand verbundenen Regelsystem Vereinfa-
chungen möglich sind, muss im weiteren parlamentari-
schen Verfahren deshalb noch einmal sorgfältig geprüft
werden. Das gilt vor allem für die sehr aufwendigen Be-
rechnungsanforderungen, die möglicherweise durch ein
System gestaffelter Pauschalzahlungen ersetzt werden
können. Der Bürokratieaufwand bei der Anwendung des
Arbeitnehmererfindungsgesetzes muss in allen Bereichen
so weit wie möglich reduziert werden. Wenn wir dieses
Ziel umfassend erreichen, dient dies nicht nur den Unter-
nehmen, sondern zugleich auch den Arbeitnehmern, die
von einem nachvollziehbaren und kostengünstigen Ver-
fahren ebenfalls profitieren.

Schließlich müssen wir prüfen, ob die Mehrbelastung
des Bundespatentgerichts, die durch die geplanten Neu-
regelungen im Patentrecht möglicherweise entsteht, ohne
eine Verlängerung der Verfahrensdauer bewältigt werden
kann. Falls dies nicht der Fall ist, muss dieses Gesetz
flankierend von einer angemessenen Personalausstat-
tung des Bundespatentgerichts begleitet werden.

Auch wenn das Gesetz im Prinzip in die richtige Rich-
tung geht, sind doch noch viele wichtige Fragen offen.
Der Teufel steckt bei einem solchen Gesetz, das vor allem
verfahrensrechtliche Fragen regelt, immer im Detail. Ob
die Vorschläge der Bundesregierung in jeder Hinsicht
den Bedürfnissen der Praxis gerecht werden, müssen wir
in den kommenden Beratungen deshalb diskutieren.
Meine Fraktion wird sich konstruktiv daran beteiligen,
damit das Patentrecht noch in dieser Legislaturperiode
tatsächlich modernisiert werden kann.

Diese Debatte darf allerdings nicht den Blick darauf
verstellen, dass im Patentrecht vor allem auf europäi-
scher Ebene wichtige Aufgaben nach wie vor nicht gelöst
sind. Das gilt insbesondere für die Schaffung sachgerech-
ter Rahmenbedingungen für ein Gemeinschaftspatent.
Die FDP erwartet, dass die Bundesregierung sich in den
verbleibenden Monaten dieser Legislaturperiode auch in
Europa engagiert.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620019500

Mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung

und Modernisierung des Patentrechts erledigt die Bundes-
regierung wichtige Hausaufgaben, und sie hat dafür un-
sere Zustimmung. Die Neufassung der Vorschriften über
das Nichtigkeitsberufungsverfahren kann in der Tat hel-
fen, den mittlerweile ins Beängstigende angewachsenen
Berg an unerledigten Verfahren abzuschmelzen. Von den
Vereinfachungen auf dem Gebiet der Arbeitnehmererfin-
dungen können in der Tat wichtige Impulse für die Bereit-
schaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausge-
hen, sich ideenreich und erfinderisch an der Entwicklung
neuer Produkte und der Modernisierung von Produktions-
verfahren zu beteiligen. Und es ist gut, dass weitere
Schritte zur Harmonisierung von nationalem und Gemein-
Zu Protokoll
schaftsrecht gegangen worden sind. So kann der Bundes-
tag mit diesem Gesetz das Seinige tun, um der neuen Prä-
sidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes, Frau
Cornelia Rudloff-Schäffer, der ich namens meiner Frak-
tion Die Linke herzlich zur Amtseinführung gratuliere,
den Amtsantritt zu erleichtern.

Noch viel mehr aber wäre getan, wenn diesem Verein-
fachungs- und Modernisierungsgesetz nun noch eines zur
entschiedenen Stärkung der personellen und materiellen
Ausstattung des Patent- und Markenamtes folgte. Die Bun-
desregierung kann an der Tatsache, dass im Amt insgesamt
um die 230 Stellen fehlen, nicht länger vorbeigehen. Die im
parlamentarischen Verfahren 2008 zusätzlich gewährten
Stellen, die insbesondere auf die Initiativen der Bericht-
erstatter für den Einzelplan 07 zurückgehen, haben die
Stellensituation nur sehr, sehr bescheiden verbessert: Die
Zahl der Dauerstellen ist um ganze 0,9 Prozent ange-
wachsen. Das reicht natürlich nicht aus.

Um es in aller Klarheit zu sagen: Ein zu gering ausge-
stattetes Patentamt ist kein Problem der Verwaltung, es
ist ein Problem der wissenschaftlichen, technologischen
und wirtschaftlichen Entwicklung. Und zwar vor allem
eines der Entwicklung der kleinen und mittleren Unter-
nehmen. So oft auch immer von der Regierung das
Versprechen abgegeben wird, man wolle sich vor allem
um diese Unternehmen kümmern: Es nützt dieses Ver-
sprechen wenig, wenn es nicht mit der Bereitschaft zur
raschesten Bearbeitung von Patentanmeldungen verbun-
den ist. Wo die Bearbeitungszeit für ein angemeldetes Pa-
tent einige Jahre beträgt, hat ein kleines Unternehmen
keine Chance. Es will vom Erfindergeist seiner hoch spe-
zialisierten kleinen Belegschaft leben, baut ganz darauf,
seine Innovationen schnell und gewinnträchtig zu ver-
markten – und kann es nicht, weil es so lange auf die
Patenterteilung warten muss, dass in der Zwischenzeit
anderswo schon ganz andere Lösungen geboren worden
sind. Auf diese Weise werden gerade jene Ansätze, die tat-
sächlich ins wissenschaftlich-technische Neuland führen
und damit wirklich Zukunft verheißen, frühzeitig zunichte
gemacht.

Wir diskutieren das Gesetz zur Vereinfachung und
Modernisierung des Patentrechts in einer Zeit, die sich
immer eindringlicher als Krisenzeit erweist. Da muss
auch der Ruf nach einem Umsteuern immer lauter
werden. Die Finanzmittel, die nötig wären, um die Ge-
schwindigkeit der Patenterteilung der Geschwindigkeit
der wissenschaftlich-technischen Neuerungen anzupas-
sen, sind sehr, sehr viel geringer als die, die gegenwärtig
zur Rettung der Banken ausgegeben werden. Im Gegen-
satz zum Bankenrettungsgeld aber verspricht Geld, das in
die Beschleunigung der Patenterteilung gesteckt wird,
nachhaltig positive Resultate. Für eine bessere Finanz-
ausstattung wäre im Grunde keine gesetzliche Änderung
notwendig. Sie könnte im Rahmen der jährlichen Haus-
haltsberatungen realisiert werden. Da der Etat des Jus-
tizministeriums für eine erhebliche Aufstockung aber
nicht die erforderlichen Spielräume enthält, schlägt
meine Fraktion regelmäßig vor, die nötigen Mittel aus
dem Wirtschaftsministerium bereitzustellen. Aus Ressort-
egoismus wird dies dann ebenso regelmäßig abgelehnt.
Deshalb wäre dann doch eine gesetzliche Klarstellung



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Roland Claus
geboten, wonach die finanzielle Unterstützung des Patent-
und Markenamtes in München und Jena durch das Bun-
deswirtschaftsministerium erfolgen kann, die Zuordnung
des Amtes zum Justizressort jedoch nicht infrage gestellt
wird. Die Fraktion Die Linke wird daher das Thema der
besseren Finanz- und Personalausstattung des Patent-
und Markenamtes auch künftig nicht aus den Augen ver-
lieren.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1620019600

Eine Vereinfachung und Modernisierung des Patent-

rechts kann niemand schlecht finden. Aber es ist schon
notwendig, genau zu prüfen, was sich hinter den Vor-
schlägen der Bundesregierung verbirgt. Um es vorweg zu
sagen: nach unserer Auffassung viel Gutes. Es gibt im ge-
richtlichen Verfahren der Patenterteilung einen Bedarf
an Entbürokratisierung und Vereinfachung. Gerichtliche
Verfahren mit bis zu vier Jahren Dauer sind eindeutig zu
lang. Zu komplizierte Vorschriften hemmen die Anmel-
dung und Durchsetzung von Patenten und führen zu un-
nötigem Aufwand. Deshalb begrüßen wir Grünen den
vorgelegten Gesetzentwurf, der in vielen Punkten eine
Vereinfachung und Modernisierung der geltenden Vor-
schriften zum Ziel hat.

Nun zu den Punkten, die noch einer vertieften Über-
prüfung bedürfen. Das Bundespatentgericht soll die ein-
zige Tatsacheninstanz werden; das verwirrenderweise
„Berufung“ genannte Rechtsmittel zum Bundesgerichts-
hof wird auf die Verletzung von Bundesrecht beschränkt
und somit zu einer Revision. Das Verfahren folgt den Re-
formen im Zivilprozessrecht, deren Auswirkungen immer
noch strittig diskutiert und nicht ausreichend evaluiert
sind. Wir werden zu beraten haben, ob wir mit einer Be-
schneidung der Rechtsmittel wirklich richtig liegen. Wir
sind uns doch einig, dass grundsätzlich die Verkürzung
von gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten problema-
tisch ist.

Dafür sollen dem Bundespatentgericht erweiterte Hin-
weispflichten auferlegt werden, verbunden mit einer
möglichen Fristsetzung zur Stellungnahme an die Par-
teien. Deren Einführung soll einer besseren und straffe-
ren Prozessführung dienen. So weit, so gut. Aber was be-
deutet dies für die konkrete Arbeit der Richterinnen und
Richter am Bundespatentgericht? Wie viel Mehraufwand
ist damit tatsächlich verbunden? Können die Richterin-
nen und Richter diesen Mehraufwand ohne neue Stellen
bewältigen, oder wird dies wieder zu längeren Verfah-
rensdauern führen? Wir hätten dann mit Zitronen gehan-
delt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

§ 83 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs erscheint uns bis jetzt
verunglückt und unnötig. Wenn weder nach Auffassung
des Gerichts noch nach dem Vorbringen der Parteien ein
bestimmter Umstand für die Entscheidung bedeutungslos
und auch zur Konzentration der Verhandlung nicht von-
nöten ist, dann wird das Gericht darauf – selbstverständ-
lich – nicht hinweisen. Dafür bedarf es keiner gesetzli-
chen Regelung. So aber können sich an der Frage der
geforderten Offensichtlichkeit neue Unsicherheiten und
Auseinandersetzungen entzünden. Wir meinen, dass § 83
Abs. 1 Satz 2 wieder gestrichen werden sollte.
Zu Protokoll
Ein weiteres Problem ist die vorgesehene Präklusion.
Die Verfahrensökonomie spricht dafür, das Grundrecht
des rechtlichen Gehörs dagegen. Eine Zurückweisung
der durch die Prozessparteien vorgebrachten Argumente
darf nur sehr restriktiv und im verfassungsrechtlichen
Rahmen der Art. 3 und 103 GG erfolgen. Wir müssen si-
cherstellen, dass die Hinweise an die Parteien nicht mit
zu kurzen Fristen verbunden und nur unter strikter Be-
achtung der Auswirkungen einer Präklusion für die Par-
teien erfolgen dürfen.

Die Bestrebungen, mit dem Gesetzentwurf das Arbeit-
nehmererfinderrecht zu vereinfachen und den Verwal-
tungsaufwand dabei zu verringern, begrüßen wir nach-
drücklich. Die derzeitige Rechtslage, nach der bei der
Meldung einer Arbeitnehmererfindung an den Arbeitge-
ber das Schriftformerfordernis besteht, ist praxisuntaug-
lich. Zwar ist eine schriftlich niedergelegte Fixierung der
Anmeldung für die Rechtssicherheit zweifelsohne erfor-
derlich. Dabei ist jedoch die Textform völlig ausreichend
und bietet bei einer großen administrativen Erleichterung
den notwendigen Schutz. Reagiert der Arbeitgeber vier
Monate auf die ihm eingereichte Erfindung nicht, wird
jetzt zugunsten des Arbeitnehmers von einer Inanspruch-
nahme der Arbeitnehmererfindung durch den Arbeitge-
ber ausgegangen. Das ist eine sehr vernünftige und von
uns begrüßte Neuerung.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1620019700

Erfindungen sind das Lebenselixier dynamischer Wis-

sensgesellschaften. Ein Industrieland, das – wie Deutsch-
land – nur über wenig materielle Rohstoffe verfügt,
braucht zur Sicherung seines Wohlstands viele und ori-
ginelle technische Ideen, die zügig in marktfähige Pro-
dukte umgesetzt werden. Doch das reicht nicht aus: Da-
mit dieser in deutschen Büros und Laboren erarbeitete
Wissensvorsprung auch tatsächlich der deutschen Wirt-
schaft zugutekommt, damit technische Erfindungen vor
Nachahmung und Fälschung geschützt werden, bedarf es
eines funktionierenden Patentsystems. Dazu gehört aber
ein Gerichtswesen, das Patentinhabern und ihren Wettbe-
werbern zügig, kostengünstig und mit hoher Qualität zu
ihrem Recht verhilft. Die deutsche Patentjustiz ist in Eu-
ropa führend; mehr als die Hälfte aller Patentprozesse
mit grenzüberschreitendem Bezug werden vor den deut-
schen Gerichten abgewickelt.

Die Bundesregierung lässt sich durch diese Erfolgsbi-
lanz jedoch nicht dazu verleiten, sich auf erworbenen
Lorbeeren auszuruhen. Vielmehr gilt: Treten Fehlent-
wicklungen im Patentsystem auf, müssen sie abgestellt
werden. Erweisen sich Regelungen in der Patentpraxis
als ineffektiv, müssen sie verbessert werden. Dauern Ver-
fahren zu lange, müssen sie gestrafft werden. Diesen Zie-
len dient der Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Mo-
dernisierung des Patentrechts, der Ihnen heute zur ersten
Lesung vorliegt. Ich greife nur zwei Kernelemente he-
raus:

Erstens die Verkürzung der Patentprozesse. Die soge-
nannten Nichtigkeitsverfahren sollen gestrafft werden. In
diesen Verfahren überprüfen die Gerichte, ob ein Patent
zu Recht erteilt wurde oder für nichtig erklärt werden
muss. Zu diesem Zweck haben wir mit dem Bundespatent-
gericht ein hoch spezialisiertes Bundesgericht, das diese



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Alfred Hartenbach
Fragen unter Beteiligung technischer Richter in der ers-
ten Instanz entscheidet. Hier wollen wir die Streitent-
scheidung möglichst konzentrieren und insgesamt be-
schleunigen. Die Senate sollen die Parteien frühzeitig
und mit Fristsetzung auf entscheidungserhebliche Fragen
aufmerksam machen.

In der zweiten Instanz in Nichtigkeitssachen muss in
Zukunft nicht mehr der gesamte Streitstoff erneut verhan-
delt werden. Der Bundesgerichtshof wird sich im Beru-
fungsverfahren vielmehr darauf konzentrieren können,
die Entscheidungen des Bundespatentgerichts auf Fehler
zu überprüfen. Damit streben wir an, die Verfahrensdauer
von teilweise über vier Jahren zu halbieren.

Zweitens. Wir vereinfachen die Verwertung von soge-
nannten Arbeitnehmererfindungen, also von Erfindun-
gen, die von Beschäftigten im Rahmen ihrer Arbeitsver-
hältnisse gemacht werden. Arbeitnehmererfindungen
stellen den Großteil, schätzungsweise bis zu 80 Prozent,
aller Erfindungen dar. Wir wollen das bewährte System
des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmererfinders
nicht antasten, aber im Interesse aller Beteiligten das
Verfahren vereinfachen. Dazu soll es künftig eine Inan-
spruchnahmefiktion geben: Arbeitnehmererfindungen
gelten nach vier Monaten als vom Arbeitgeber in An-
spruch genommen, wenn er sie nicht vorher freigibt. Das
dient beiden Seiten, da das Unternehmen in der Regel
bessere Möglichkeiten hat, die Erfindung zu verwerten.
Die komplizierten Formalien des Arbeitnehmererfin-
dungsgesetzes haben in der Praxis immer wieder zu Pro-
blemen bei der Zuordnung und Nutzung des Patents zu
Arbeitgeber und Angestellten geführt, insbesondere
dann, wenn der Beschäftigte aus dem Unternehmen aus-
geschieden war.

Ein wirksamer Rechtsschutz für technische Erfindun-
gen ist Grundlage dafür, das Innovationspotenzial unse-
rer Wirtschaft voll auszuschöpfen. Mit der Ihnen vorlie-
genden Novelle wollen wir nur einige wenige, dafür aber
wichtige Stellschrauben des deutschen Patentsystems den
Bedürfnissen der Praxis anpassen. Der Patent- und Pa-
tentgerichtsstandort Deutschland wird damit weiter ge-
stärkt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620019800

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 16/11339 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Rainder Steenblock,
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stärkung des Hohen Repräsentanten der EU
in Bosnien-Herzegowina

– Drucksache 16/11074 –
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben: Dorothee Bär, Detlef Dzembritzki,
Dr. Rainer Stinner, Monika Knoche und Marieluise Beck.


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1620019900

Nach langer Zeit des Leidens hat das ehemalige

Jugoslawien endlich wieder eine Perspektive. Erst vor
wenigen Wochen konnte ich mir bei meiner Reise in das
Kosovo selbst einen Eindruck von der gegenwärtigen
Situation machen. Wir alle wünschen uns, dass die Nach-
folgestaaten Jugoslawiens langfristig stabil werden.

Die Präsenz des Hohen Repräsentanten in Bosnien und
Herzegowina war ursprünglich dafür vorgesehen, diesen
Prozess positiv zu beeinflussen und zu beschleunigen.
Sehen wir uns jedoch den Fortschrittsbericht der Euro-
päischen Kommission vom November letzten Jahres an,
lassen die Erfolge des Hohen Repräsentanten zu wün-
schen übrig. Bei der Verfassungsreform sind keine Fort-
schritte zu sehen. Die geschaffenen Institutionen arbeiten
langsam und nicht effektiv, die Arbeitslosigkeit ist immer
noch sehr hoch. Auch die organisierte Kriminalität ist
weiterhin besorgniserregend. Im Kampf gegen Korrup-
tion, Drogenhandel und Geldwäsche konnten 2008 keine
nennenswerten Ergebnisse vorgewiesen werden. So kann
es nicht weitergehen.

Frau Künast, Sie schaden Bosnien und Herzegowina
mit Ihrem Antrag mehr, als dass Sie helfen. Eine kleine
Anmerkung zu Ihrem Antrag: Der Titel Ihres Antrags ist
falsch. Es gibt keinen „Hohen Repräsentanten der EU“ in
Bosnien und Herzegowina. Der Hohe Repräsentant und
der EU-Sonderbeauftragte sind derzeit vereint in einer
Person. Ein „Hoher Repräsentant der EU“ existiert in
Bosnien und Herzegowina allerdings nicht. Wir müssen
nicht die Position des Hohen Repräsentanten stärken,
sondern die der Strukturen Bosniens und Herzegowinas.

Die Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft
vor Ort und die umfassenden Bonner Befugnisse haben
den landeseigenen Politikern die Luft abgeschnürt. Der
Hohe Repräsentant kann nicht nur demokratisch gewählte
Minister, Richter und Bürgermeister entlassen, sondern
auch neue Behörden schaffen und Gesetze erlassen. Das
Resultat: Diese Vollmachten des Hohen Repräsentanten
werden von den Politikern Bosniens und Herzegowinas
als Grund für die eigene Untätigkeit vorgeschoben. Die so-
genannten „Bonn Powers“ sind keine beschleunigende
Kraft im Stabilisierungsprozess Bosniens und Herzegowi-
nas sondern eine politische Bremse. Demokratie per De-
kret kann und darf nicht funktionieren. Wir müssen daher
Bosniens und Herzegowinas Eigenverantwortlichkeit un-
terstützen und die Reformbereitschaft der landeseigenen
Politiker verstärkt fördern.

Der Gebrauch der Bonner Befugnisse hat in der Ver-
gangenheit viel zur Stabilisierung Bosniens und Herzego-
winas beigetragen; das steht außer Frage. Die ursprüng-
liche Hauptaufgabe des Hohen Repräsentanten war,
erneute Kampfhandlungen zu verhindern. Dies ist ihm
mithilfe der internationalen Präsenz vor Ort im vollen
Umfang gelungen. Heute haben die „Bonn Powers“ aber
angesichts des wachsenden Selbstbewusstseins der
Akteure Bosniens und Herzegowinas und der geänderten


(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Bär
außenpolitischen Rahmenbedingungen immer weniger
Bedeutung. Sobald die Internationale Gemeinschaft
keine Einigkeit zeigt – und dies ist, wie wir alle wissen,
leider sehr oft der Fall – sind die Bonner Befugnisse
wirkungslos. Präzedenzfälle zeigen, dass die Bonner Be-
fugnisse nur dann Wirkung haben, wenn der Friedensim-
plementierungsrat über ihre Anwendung einig ist. Im
Oktober 2007 musste Miroslav Lacjcak bereits angekün-
digte Eingriffe auf Grundlage der Bonner Befugnisse
abmildern, da sich die bosnischen Serben der russischen
Unterstützung im Friedensimplementierungsrat sicher
sein konnten und die internationale Gemeinschaft zu
Sanktionen nicht bereit war. Auch das Debakel um die
Polizeireform ist uns allen noch in guter Erinnerung.

Wir fordern deshalb, dass das Büro des Hohen Reprä-
sentanten geschlossen wird und der Hohe Repräsentant
durch einen neuen EU-Sonderbeauftragten ersetzt wird.
Wir fordern darüber hinaus, dass die Bonner Befugnisse
abgeschafft werden. Nur so können wir die Effizienz der
internationalen Präsenz in Bosnien und Herzegowina
fördern. Die Abschaffung der Bonner Befugnisse soll
aber nicht heißen, dass der neue EU-Sonderbeauftragte
keinerlei Kompetenzen vor Ort hat. Er muss in der Lage
sein, auf krisenhafte Entwicklungen reagieren zu können,
zur Not auch mit belastenden Maßnahmen, wie zum Bei-
spiel Sanktionen. Denn eines ist klar: Internationale
Unterstützung ist für Bosnien und Herzegowina weiterhin
von großer Bedeutung. Der Frieden dort ist noch nicht
vollständig selbsttragend.

Vor allem aber ist es wichtig, dass der neue EU-Son-
derbeauftragte die Eigenständigkeit Bosniens und Herze-
gowinas respektiert und unterstützt. 80 Prozent der
Bevölkerung sprechen sich für einen Beitritt Bosniens
und Herzegowinas in die EU aus: Das Land will Teil der
Europäischen Gemeinschaft sein. Diese Motivation dür-
fen wir nicht ungenutzt im Sande verlaufen lassen.

Die Institution des Hohen Repräsentanten und der
Bonner Befugnisse haben nicht zum gewünschten Erfolg
geführt. Ich appelliere daher an Sie: Wir dürfen nicht
weiter zusehen, wie Bosnien und Herzegowina unter der
Hand des Hohen Repräsentanten entgleitet. Wir müssen
jetzt handeln für ein Bosnien und Herzegowina mit Per-
spektive, für ein Europa mit Zukunft.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1620020000

Die von der EU-Kommission Ende vergangenen Jah-

res vorgelegten Fortschrittsberichte für die Beitrittskan-
didaten zeigen, dass es für die Nachfolgestaaten Jugosla-
wiens noch viel zu tun gibt auf dem Weg in die
Europäische Union. Obwohl sowohl die einzelnen Staa-
ten als auch die verschiedenen Handlungsfelder differen-
ziert betrachtet werden müssen, ist doch festzustellen,
dass das Reformtempo in der Region insgesamt leider
deutlich hinter den Anforderungen hinterherhinkt. Dies
betrifft insbesondere auch Bosnien-Herzegowina, für das
nur begrenzte Fortschritte in Bezug auf die politischen
Kriterien der Europäischen Partnerschaft festzustellen
sind.

Natürlich muss man auch hier einen differenzierten
Blick auf die Entwicklungen werfen. Es wäre falsch, wenn
Zu Protokoll
man in diesem Zusammenhang nicht auch die positiven
Entwicklungen erwähnt, die das Land in einigen Berei-
chen ja auch gemacht hat. So entsprach die Durchfüh-
rung der Kommunalwahlen im Oktober 2008 internatio-
nalen Standards, und bei der Reform der öffentlichen
Verwaltung und des Justizsektors hat es deutliche Fort-
schritte gegeben. Die Unterzeichnung des Stabilisie-
rungs- und Assoziierungsabkommens, SAA, im Juni 2008
ist ja auch die Folge der guten Ergebnisse in den von der
EU festgelegten Schlüsselbereichen – zum Beispiel der
Polizeireform und der Zusammenarbeit mit dem Interna-
tionalen Strafgerichtshof – gewesen.

Doch trotz der genannten Fortschritte gibt es gerade
in Bosnien-Herzegowina Entwicklungen, die Anlass zu
der Sorge geben, dass das Ziel der vollständigen euro-
päischen Eingliederung nicht so schnell erreicht werden
kann, wie es wünschenswert ist. Kern des Problems ist
– und das benennt auch der Fortschrittsbericht sehr deut-
lich – der fehlende Konsens bei entscheidenden Punkten
des Staatsaufbaus. Die nationalistischen Kräfte der Enti-
täten, die sich in gegenseitigem Misstrauen und mit teil-
weise hetzerischer Sprache gegenüberstehen, das Ver-
harren in immer wiederkehrenden, rückwärtsgewandten
Streitigkeiten über das Dayton-Abkommen – das alles
sind Dinge, die in Bosnien-Herzegowina dazu führen,
dass der Fortschrittsbericht eine Verlangsamung der Re-
formen feststellt, ja dass man sogar fürchten muss, dass
bisherige Fortschritte gefährdet sind.

Solange sich muslimische, kroatische und serbische
Politiker weiter unversöhnlich gegenüberstehen, solange
die partikularen Interessen der ethnischen Gruppen und
Parteien im Vordergrund stehen und zum Beispiel die ent-
scheidende Frage bei der Besetzung von Posten nicht die
fachliche Kompetenz, sondern die ethnische Zugehörig-
keit ist, so lange werden die Fortschritte des Landes ge-
ring bleiben und sich nur auf einzelne Bereiche beschrän-
ken. Bei allem wirklich guten Willen und allem Einsatz,
den die europäischen Staaten und die internationale Ge-
meinschaft einbringen, um Bosnien-Herzegowina bei sei-
ner Entwicklung zu helfen und das Land auf dem Weg in
die Europäische Union zu unterstützen: Hier stoßen wir
an die Grenzen dessen, was von außerhalb geleistet wer-
den kann.

Echte Fortschritte – eine wirkliche Entwicklung zum
Beispiel beim Funktionieren der demokratischen Institu-
tionen – wird es nur geben, wenn die handelnden bosni-
sch-herzegowinischen Politiker endlich bereit sind,
mehr Eigenverantwortung für ihr gesamtes Land zu
übernehmen. Dazu gehört vor allem die Verfassungsre-
form als Basis für eine weitere positive Entwicklung.
Wenn wir – und das sollten wir tun – mehr eigenverant-
wortliches Handeln von den Politikern in Bosnien-Herze-
gowina einfordern, dann müssen wir uns auch fragen, wie
wir diese Eigenständigkeit begünstigen und fördern wol-
len und an welchen Stellen die bisherigen Instrumente
möglicherweise angepasst werden müssen. Die Vergan-
genheit hat gezeigt, dass sich die bosnisch-herzegowini-
sche Politik allzu oft hinter der internationalen Präsenz
versteckt hat. Der Hohe Repräsentant und die Bonner Be-
fugnisse haben dann als Feigenblatt für die eigene Untä-
tigkeit gedient. Es ist in unserem Interesse, dass ein sol-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki
ches Wegducken vor der Verantwortung in Zukunft nicht
mehr möglich ist.

In der Vergangenheit waren der Hohe Repräsentant
und die Bonner Befugnisse sicherlich notwendige Instru-
mente, die ja auch zur Stabilisierung Bosnien-Herzego-
winas beigetragen haben. Doch es ist zweifelhaft, ob die
Mittel in der aktuellen Konstellation, in der nun mehr Ei-
genverantwortung und auch mehr Engagement für den
Weg des Landes in die Europäische Union gefordert sind,
noch das richtige Signal an die bosnisch-herzegowini-
sche Politik sind. Hinzu kommt, dass die exekutiven Son-
derbefugnisse des Hohen Repräsentanten durch geän-
derte außenpolitische Rahmenbedingung bereits an
Bedeutung verloren haben. Die „Bonn Powers“ – das hat
sich gezeigt – können nur dann ihre Wirkung entfalten,
wenn die Mitglieder im Friedensimplementierungsrat in
der Frage ihrer Anwendung einig sind. Dies ist – das hat
die jüngere Vergangenheit gezeigt – in vielen Fragen, ge-
rade was die Rolle Russlands betrifft, nicht mehr Fall.
Der politische Wert der Bonner Befugnisse ist deshalb
deutlich schwächer geworden, und es besteht die Gefahr,
dass sie durch andere außenpolitische Faktoren ihre
Wirksamkeit ganz verlieren.

Der institutionelle Ausdruck der besonderen Unter-
stützung, die Bosnien-Herzegowina bei seiner Entwick-
lung durch die Europäische Union erhält, sollte daher der
EU-Sondergesandte sein. Er kann das Signal in Richtung
eines stärkeren Engagements und einer verantwortungs-
volleren Wahrnehmung der bosnisch-herzegowinischen
Eigenverantwortung sein. Daher sollte der EU-Sonderge-
sandte, ausgestattet mit besonderen Kompetenzen – die es
ihm ermöglichen, notfalls auch mit belastenden Maßnah-
men auf eine Verschlechterung der Situation in Bosnien-
Herzegowina zu reagieren –, den Hohen Repräsentanten
ersetzen. Im Rahmen der politischen Möglichkeiten der
EU kann der Sondergesandte so die Effizienz der interna-
tionalen Präsenz fördern und gleichzeitig den Schwer-
punkt auf den Reformweg in Richtung der europäischen
Eingliederung setzen.

80 Prozent der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina,
so zeigen es uns die Umfragen, unterstützen die EU-Per-
spektive ihres Landes. Dies ist eine Gemeinsamkeit, die
als Grundlage für die Entwicklung eines gesamtstaatli-
chen Selbstbewusstseins aller Bürger Bosnien-Herzego-
winas genutzt werden kann. Sie kann aber auch der Hebel
sein, um bei den politischen Kräften in Bosnien-Herzego-
wina die Reformbereitschaft und einen verantwortungs-
volleren Politikstil zu fördern.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1620020100

Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag der

Grünen ab. Er beschreibt zwar sehr richtig die Probleme
des Landes, fehlendes gesamtstaatliches Bewusstsein,
fehlende Verfassungsreform, mangelnde Eigenverant-
wortung und weiterhin Festhalten am ethnischen Den-
ken; das ist ja alles richtig. Die Verfassung muss geändert
werden. Sie genügt weder den Kriterien effizienter Staats-
führung noch den Anforderungen für eine weitere Annä-
herung an die Europäische Union. Weite Kreise in Bos-
nien-Herzegowina sind entweder nicht willens oder nicht
Zu Protokoll
in der Lage, aus ihrem ethnisch geprägten Dunstkreis hi-
nauszutreten und gesamtstaatlich zu denken und zu han-
deln. Aber die Frage ist doch: Wie kann man das ändern?

Die Grünen und – wie ich ja leider weiß – auch die Ko-
alitionsfraktionen hängen immer noch der Illusion an,
man könne diese Probleme von außen lösen, man könne
sie lösen durch eine stärkere Rolle des Hohen Repräsen-
tanten und durch die Anwendung der Bonn Powers, der
quasidiktatorischen Vollmachten. Diese Ansicht halte
ich, halten wir Liberale für komplett falsch. Ich schätze
die Initiatorin des Antrags, die Kollegin Beck, sehr; wir
arbeiten in der Parlamentariergruppe Bosnien-Herzego-
wina ja auch hervorragend zusammen. Aber hier muss
ich Ihnen vorwerfen: Sie verharren in falschem Angstden-
ken. Sie tun genau das, was Sie bosnisch-herzegowini-
schen Vertretern vorwerfen, und zwar völlig zu Recht. Die
Lösung der Probleme Bosnien-Herzegowinas lässt sich
nicht bei der internationalen Gemeinschaft suchen. Mehr
als zehn Jahre nach dem Krieg, nach Dayton, muss die
Gesellschaft die Kraft finden, eigene konstruktive Schritte
zu gehen. Die internationale Gemeinschaft kann helfen,
aber sie kann nicht mehr bestimmen.

Seien wir doch realistisch: Die Gefahr eines heißen
Krieges in Bosnien-Herzegowina besteht nicht. Dazu feh-
len alle Voraussetzungen, innen- wie außenpolitisch. Eine
solche Kriegsgefahr wäre aber das einzige, was die Bei-
behaltung der Bonn Powers inhaltlich noch rechtfertigen
könnte. Ich sehe im Übrigen auch die Abspaltungsretho-
rik des Ministerpräsidenten der Republika Srpska, Dodik,
nicht als grundsätzliche Gefahr für die Einheit Bosnien-
Herzegowinas. Faktisch kann Dodik kein Interesse an ei-
ner echten Spaltung des Landes haben. Er lebt doch da-
von, dass er sich gegenüber den anderen Parteien als Ret-
ter und Verteidiger der Republika Srpska gerieren kann.

Der Hohe Repräsentant hat in Bosnien-Herzegowina
faktisch jedes Ansehen verloren. Ich will das gar nicht der
Person des Amtsinhabers vorwerfen; nach mehr als ei-
nem Jahrzehnt ist eine solche Entwicklung unausweich-
lich. Ein solches Amt nutzt sich zwangsläufig ab. Gerade
das Herumgeeiere der EU in der Frage der Polizeireform
hat diese Entwicklung noch beschleunigt. In früheren
Jahren war das Amt notwendig, da waren auch die Bonn
Powers notwendig. Heute ist die Ausübung der Vollmach-
ten völlig undenkbar. Was würde denn passieren, wenn
etwa der Hohe Repräsentant Dodik absetzen würde, ei-
nen mit großer Mehrheit demokratisch gewählten Politi-
ker? Es ist undenkbar. Es geht einfach nicht mehr. Es fehlt
jegliche moralische Autorität der internationalen Ge-
meinschaft für einen solchen Schritt. Er würde von der
Bevölkerung in keiner Weise mehr akzeptiert werden.
Wenn man das weiß, dann sollte man nicht an der Fiktion
solcher Kompetenzen festhalten. Das schadet nur der ei-
genen Glaubwürdigkeit.

Die Zeit der Bonn Powers ist allerspätestens mit dem
Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-
mens der EU mit Bosnien-Herzegowina zu Ende gegan-
gen. Dieses Ende ist nicht zu bedauern, im Gegenteil. Es
bietet die Chance, den Politikern des Landes nun ernst-
haft die Eigenverantwortung nicht nur zuzutrauen, son-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Stinner
dern auch zuzumuten – ohne Ausreden, ohne Rückversi-
cherung. Anders ist Demokratie nicht zu schaffen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620020200

Vor einigen Tagen sah ich einen Fernsehbericht über

Sarajevo, den Ort, der einmal wegen der Ausrichtung der
Winterolympiade weltweit bekannt wurde. Heute schnei-
det ein Teil die „serbischen“ von den „muslimischen“
Skihängen ab. So tief ist die ethnische Trennung 14 Jahre
nach Dayton noch präsent in einem Protektoratsstaat der
EU, der doch eigentlich ein Paradeexemplar für die ge-
lungene europäische Idee der Multiethnizität sein sollte.

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien wurde mit tatkräfti-
ger Unterstützung Deutschlands entlang ethnischen Li-
nien aufgeteilt. Es entstanden unbedeutende Kleinstaa-
ten, die allesamt in großer Abhängigkeit zur EU stehen.
Was als Selbstbestimmungsrecht von nationalistisch-se-
zessionistischen Kräften im ehemaligen Jugoslawien ein-
gefordert wurde, ist in der Praxis des 21. Jahrhunderts zu
einem ausgrenzenden Nationalismus geraten.

Nur in Bosnien-Herzegowina wird nachhaltig an ei-
nem Staatsgebilde festgehalten, das als Idee in Kosovo
selbst unter Bruch des Völkerrechts durch Separation in
allerjüngster Zeit nicht mehr aufrechterhalten wurde, ob-
gleich Serbien die territoriale Integrität des Kosovo zu
Recht als Bestandteil ihrer Staatlichkeit betont. Doppelte
Standards also sind hier zu konstatieren. Die bosnischen
Serben sollte nicht zu Serbien und die bosnischen Kroa-
ten nicht zu Kroatien, weil die EU einerseits ein maximal
schwaches Serbien wollte, andererseits keinen „muslimi-
schen“ Staat mitten in Europa dulden wollte. Grüne und
SPD haben dieses Zwangsgebilde dann als angeblich er-
strebenswerte Multiethnizität verkauft.

Die Forderung der Grünen-Fraktion heute im Bundes-
tag nach Stärkung des Hohen Kommissars in Bosnien-
Herzegowina nun ist schwerlich als konform mit dem
Dayton-Abkommen zu bezeichnen. Denn der Staat Bos-
nien, der durch das Kriegergebnis stark föderalisiert
wurde, soll, wenn ich die Intention ihres Antrages richtig
verstehe, reunitarisiert werden. Das alles, um eine EU-
Beitrittsreife zu erlangen. Mit der Stärkung des Hohen
Repräsentanten würden aber die den Serben eingeräum-
ten Autonomierechte – siehe Dayton-Abkommen – nach-
träglich rückgängig gemacht werden. Es ist fraglich, ob
sich mit derartigen Politikvorschlägen die ursächlichen
Fragen des nicht gelungenen Staatsgebildes lösen lassen.

Weiter ist zu bedenken, dass Bosnien nicht wegen
Dayton dysfunktional ist, sondern wohl eher, weil sowohl
kroatische als auch serbische Kräfte kein wirkliches Inte-
resse daran haben, in einem gemeinsamen Staat mit Bos-
niaken zu leben. Der westliche Umgang mit dem jugosla-
wischen Gesamtstaat und mit Serbien gibt den bosni-
schen Serben und Kroaten auch hinreichend Grund für
eine solche Argumentation und Haltung, beachtet man
die jüngste Abtrennung des Kosovo aus Serbien.

Hilfreicher ist es da, an einem regionalen Integrations-
konzept zu arbeiten, das auf die „harten“ Grenzen ver-
zichtet, denn man sollte beachten, dass die Grenzen
zwischen Bosnien und Kroatien bzw. Serbien auf ökono-
Zu Protokoll
mischem, kulturellem und familiärem Gebiet kaum vor-
handen sind. Sicherheitsgarantien seitens der Regional-
mächte Kroatien und Serbien für den Bestand eines
„Rumpfstaates“ Bosnien wären ein notwendiges Element
im Rahmen eines regionalen Integrationskonzeptes. Ein
regionales Integrationskonzept mit „weichen“ Grenzen
widerspricht nicht einer EU-Integration.

Diskutieren wir auf der Grundlage des Völkerrechts,
ob das Selbstbestimmungsrecht für bosnische Kroaten
und Serben so weit reicht, dass sie über einen Verbleib im
Staat Bosnien entscheiden können. Wichtig wäre in jedem
Fall, bezüglich all seiner Ausformungen, die der zerfal-
lene Staat Jugoslawien nach sich gezogen hat, einheitli-
che Standards und Maßstäbe anzuwenden. Das tun die
Grünen in diesem Antrag nicht. Wir lehnen ihn ab.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Dreizehn Jahre nach Abschluss des Vertrags von
Dayton hat sich zweierlei erwiesen: Der Krieg zwischen
Serben, Kroaten und Bosniern konnte zum Ersten mit
dauerhaftem Erfolg beendet werden. Das ist nicht wenig,
denkt man an die Hunderttausende Opfer und fürchter-
lichen Verbrechen, die der nationalistische Wahnsinn
zwischen 1992 und 1995 bewirkt und verursacht hat.
Doch die Abwesenheit von Krieg und Gewalt kann nicht
einziges Ziel verantwortlichen Handelns sein – weder der
politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina selbst noch in
der internationalen Gemeinschaft, die in Dayton die Ver-
antwortung für das Land übernommen hat. Das Ziel war
nicht weniger als die Heranführung an die Europäische
Union und zugleich das Angebot an die Verantwortlichen
in den vereinbarten sogenannten „Entitäten“.

Zum Zweiten siecht der in Dayton als Zugeständnis an
die Nationalisten vereinbarte staatliche Kompromiss auf
halbem Weg zur staatlichen Souveränität dahin. Von
gesamtstaatlicher Verantwortung ist in Bosnien-Herze-
gowina nach wie vor nicht viel zu sehen, nicht zu reden
von Reformen, die einen Beitritt zur Europäischen Union
ermöglichen würden. Dafür sehe ich drei Gründe:

Das ist einmal die Problematik der Konstruktion von
Dayton, die nationalistische Interessen zulasten eines
multiethnischen Zusammenlebens bediente und bis heute
bedient, dazu noch ohne Berücksichtigung der unter-
schiedlichen Rollen als Aggressor oder Opfer. Das
Dilemma besteht darin, dass jeweils eine Seite per Veto
Entwicklungen verhindern kann, die der anderen Seite
zugutekommen. Dies gilt insbesondere für Entscheidun-
gen der Republika Srpska zulasten der bosnisch-kroati-
schen Entität.

Dann die Folgen dieser Weichenstellung, nämlich die
bis heute vorherrschende oder zumindest als Bremse wir-
kende Rolle nationalistischer Parteien, die eifersüchtig
über ihren Einfluss wachen. Schließlich das offenbar trotz
aller anderslautenden Beteuerungen erlahmte Interesse
der internationalen Gemeinschaft, namentlich der Euro-
päischen Union, an der Entwicklung in Bosnien-Herze-
gowina.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Marieluise Beck (Bremen)

Natürlich ist es frustrierend, mit anzusehen, wie jeder
Versuch gesamtstaatlicher Zuständigkeit, jedes Bemühen
um eine Verschlankung der Bürokratie und Verwaltung,
jeder Schritt hin zu einem Bewusstsein für den Gesamt-
staat ungeachtet der jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit
von den Politikern der Regierungsparteien torpediert
wird. Und natürlich ist es richtig, die Übernahme von
Eigenverantwortung durch die Handelnden im Land
selbst zu fordern.

Die ständig wiederkehrende Debatte über eine Auflö-
sung des OHR und damit die Aufhebung der Bonn Powers
und insgesamt der Verantwortung der UN für das
Dilemma in Bosnien-Herzegowina sind kontraproduktiv
für die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina. Nicht nur
werden die Mitarbeiter des OHR und dieser selbst demo-
tiviert, sondern auch die nationalistischen Politiker im
Land reiben sich die Hände, wird ihnen doch freies Feld
angeboten. Seit Jahren werden die durchaus vorhandenen
kommunalen Initiativen für eine Politik jenseits ethni-
scher Privilegien durch die Ebenen der Entitäten und des
handlungsunfähigen Gesamtstaats behindert. Diese gilt es
zu stärken, und auch dazu ist die Institution des OHR da.

Um es klar zu sagen: Die UN, der Sicherheitsrat, in
dem nicht zuletzt zwei EU-Mitgliedstaaten mit Vetorecht
sitzen, sind verantwortlich für die Umsetzung ihrer
Beschlüsse und Bedingungen. Das bedeutet: Bevor die
Bedingungen von Dayton nicht erfüllt sind, geschweige
denn ihre Notwendigkeit überwunden ist, müssen die UN
diese Verantwortung auch wahrnehmen.

Zu den Hintergründen der stagnierenden Entwicklung
in Bosnien-Herzegowina gehört – wie auch in anderen
Staaten des westlichen Balkans – die andauernde Behin-
derung der praktizierten Reisefreiheit. Wer nicht erlebt
hat, was es bedeutet, aus welchen Gründen auch immer
sein kleines Heimatland nicht verlassen zu können, wird
es schwer haben, zu ermessen, welche Tragweite die
Beschränkung auf die Situation in diesen Ländern hat.
Sogar wir erleben doch, wie sich hiesige Debatten immer
wieder um sich selbst drehen, wie begrenzt der tägliche
Horizont ist. So ist es natürlich auch in Bosnien-Herze-
gowina. Die Menschen wollen, sie müssen diesen Hori-
zont erweitern, besonders junge Menschen.

Zwar sind die Visagebühren immerhin auf 35 Euro ge-
senkt worden, auch gibt es ganze Gruppen von Menschen,
die von Gebühren ganz befreit sind. Doch auch 35 Euro
sind in Bosnien-Herzegowina eine Menge Geld, beson-
ders für junge Leute. Und jenseits dessen gibt es weitere
Behinderungen: Die notwendigen Antragsgespräche zum
Beispiel werden häufig von externen Vermittlern über-
nommen. Die Realität hat daraus einen profitablen
Zwischenhandel mit der begehrten Ware der Befürwor-
tung gemacht. Auch die Bearbeitungsdauer ist oft länger
als vorgesehen, was zu verpassten Reisen führt. Alles in
allem ist die Situation unbefriedigend, frustrierend,
demütigend.

Zu befürchten ist zu alledem, dass Bosnien-Herzego-
wina auf dem Weg in Richtung EU den Anschluss an seine
Nachbarn verliert. Kroatien ist schon kurz vor dem Beitritt,
die neue serbische Regierung wird immer wieder hofiert,
um sie ihren Gegnern gegenüber zu stärken. Es droht
schließlich die perverse Situation, dass die Opfer von
Srebrenica ein zweites Mal bestraft werden. Das zu
verhindern, muss unser Anliegen sein. Deshalb ist es
notwendig, jede Möglichkeit zu suchen, die Gesellschaft
Bosnien-Herzegowinas endlich zu einer modernen, welt-
offenen, multikulturellen Gesellschaft zu machen – etwas,
was in Sarajewo bis 1992 schon zu besichtigen war.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620020300

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11074. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist damit gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen
aller übrigen Fraktionen abgelehnt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Michael Leutert, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Sri
Lanka

– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Volker Beck (Köln), Undine Kurth

(Quedlinburg), Monika Lazar und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Asylsuchende aus Sri Lanka besser schützen

– Drucksachen 16/4203, 16/4427, 16/9111 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Kammer
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Hans-Werner Kammer,
Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und Josef
Philip Winkler.


Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1620020400

Diese Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der

Linken sind im Innenausschuss so etwas wie eine unend-
liche Geschichte geworden. Immer wieder wurde der
Punkt vertagt, obwohl aus meiner Sicht schon viel eher
über die Anträge hätte entschieden werden können. Dies
sage ich auch an die Adresse unseres Koalitionspartners.
Denn: Über einen Abschiebestopp entscheiden die Län-
der und nicht der Bund im Alleingang. Die Bundesregie-
rung hat sich auf der Innenministerkonferenz vergeblich
für eine differenzierte Lösung, nämlichen einen partiellen
Abschiebestopp für Tamilen aus dem Norden und dem Os-
ten eingesetzt. Es ist uns jedoch gelungen, eine Einstel-
lung der rund 250 Widerrufsverfahren zu erreichen. Ge-
gen einen Abschiebestopp spricht außerdem, dass
europaweit und auch aus Indien Tamilen nach Sri Lanka
zurückkehren. Darüber hinaus wäre ein genereller Ab-


(A) (C)



(B) (D)


Hans-Werner Kammer
schiebestopp aus meiner Sicht auch kontraproduktiv und
löst die Probleme nicht. Dies habe ich ja bereits in diesem
Hohen Hause ausgeführt.

Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der LTTE
und der Regierung wurde am 2. Januar 2008 von der Re-
gierung aufgekündigt; seitdem konnten fast alle von der
LTTE kontrollierten Gebiete durch Regierungstruppen
wieder zurückerobert werden. Damit hat sich die Lage
militärisch sehr zugunsten der Regierung geändert. Mit
einer Einnahme der letzten von den Rebellen gehaltenen
Orte ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Es ist noch
völlig offen, ob es der Regierung gelingt, die Lage zu sta-
bilisieren.

Wir können aber davon ausgehen, dass die LTTE aus
dem Untergrund heraus einen Guerillakrieg führen wird.
Damit wird die LTTE noch gefährlicher. Sie ist bereits ein
trauriger Rekordhalter des Todes: Die LTTE führt mit
rund 250 ihr zugeschriebenen Anschlägen die Statistik
der weltweit verübten Selbstmordattentate an. Bis zu
40 Prozent aller Selbstmordattentäter sind übrigens
Frauen, ein weiterer trauriger Rekord. Zahlreiche un-
schuldige Zivilisten sind bei den feigen Anschlägen zu
Tode gekommen. Nach Aussagen der LTTE wollen sie mit
den Anschlägen Großoffensiven der Regierungstruppen
abwehren. Somit ist sie schon auf dem Weg in den Unter-
grund.

Ferner hat die LTTE in den letzten Jahren vor soge-
nannten ethnischen Säuberungen in den von ihr kontrol-
lierten Gebieten nicht haltgemacht. Auch tamilische Mit-
bürger, die die LTTE nicht unterstützen, werden immer
wieder Opfer von Repressalien seitens der separatisti-
schen Rebellen.

Außerdem geht die LTTE weiterhin ihren kriminellen
Tätigkeiten im Ausland nach, indem sie von Landsleuten
unter anderem hier in Deutschland Gelder erpresst, um
damit ihre Anschläge in Sri Lanka zu finanzieren. Der
Mittelbedarf dürfte sich auf dem Weg zur Guerillatruppe
noch weiter verstärken. Wir laufen bei Verzicht auf die
Einzelfallprüfung Gefahr, dass die LTTE auch in
Deutschland weiterhin ihren kriminellen Machenschaf-
ten nachgeht. Wer von den tamilischen Landsleuten in
Deutschland nicht zahlt, der muss damit rechnen, dass
die selbsternannte Befreiungsarmee LTTE bei seinen An-
gehörigen in Sri Lanka Gewalt anwendet. Dies ist auch
im Verfassungsschutzbericht nachzulesen. Deshalb ist für
mich der Wunsch nach einem totalen Abschiebestopp
nicht nachvollziehbar. Ich wünschte, die Kolleginnen und
Kollegen der Linken hätten nicht nur das Kapitel über die
eigene Partei im Verfassungsschutzbericht gelesen; dann
wäre ihnen dies vielleicht auch klar geworden.

Die LTTE ist keine Organisation, die sich lediglich für
die Rechte der tamilischen Bevölkerung einsetzt. Nein, sie
ist eine separatistische Terrororganisation, die von der
EU auch als solche gestuft wurde. Als solche wird sie
auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Terror, Mord,
Erpressung, Fälschung, Geldwäsche gehören ebenso zum
Repertoire wie die erwähnte Erpressung von Schutzgel-
dern.
Zu Protokoll
Ebenfalls traurig ist die Gewaltbilanz der Regierung.
Auf die singhalesisch geführte Regierung muss inter-
nationaler Druck ausgeübt werden, dass diese in den er-
oberten Gebieten die Wahrung der Menschenrechte si-
cherstellt. Dazu gehört ein Ende der Vertreibungen in den
besetzten Gebieten ebenso wie ein Ende der Repressalien
gegen regierungskritische Stimmen. Ich unterstütze die
Forderung des Kollegen Klimke, der unlängst die Regie-
rung aufgefordert hat, wieder den Verhandlungsweg zu
beschreiten. Es muss stärkeren internationalen Druck auf
die Konfliktparteien in Sri Lanka geben, ihre Auseinan-
dersetzungen auf dem Verhandlungswege zu lösen. Die
LTTE hat ja bereits vor einigen Tagen eine erste Bereit-
schaft zu Friedensgesprächen erkennen lassen.

Ferner sehe ich auch uns in der Pflicht, stärker die
Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. So führt
das niederländische Hilfswerk Open Doors Sri Lanka auf
Rang 30 seines Index, der die Verfolgung der Christen
nachzeichnet. Es steht hinter Nationen wie China –
Rang 12 –, Kuba – 24 – oder Libyen – 26 –, aber noch vor
Ländern wie Algerien – 31 –, der Türkei – 35 – oder
Syrien – 45. Auch damit muss Schluss sein. Beide Kon-
fliktparteien müssen erkennen, dass sie mit Gewalt die
humanitäre Unterstützung der internationalen Organisa-
tionen und der Staatengemeinschaft erschweren und so-
mit ihrer eigenen Bevölkerung sowohl auf singhalesi-
scher Seite als auch auf tamilischer Seite schaden.
Gerade nach der Tsunami-Katastrophe halte ich dies für
einen wichtigen Aspekt.

Unter dem Bürgerkrieg leidet natürlich auch das
Image Sri Lankas als Urlaubsland. Dieser Aspekt sollte
der Regierung nochmals deutlich gemacht werden. Eine
Änderung unserer bisherigen Flüchtlingspolitik löst die
Probleme nicht, sondern wir laufen Gefahr, gewissen
Kräften, die weiter an der Spirale der Gewalt drehen, hier
einen Entfaltungsraum zu bieten. Wir sollten vielmehr auf
internationalen Druck setzen.

Darüber hinaus wird besonders gefährdeten Personen
durchaus subsidiärer Schutz gewährt. Im vergangenen
Jahr hat sich die Zahl der Asylanträge sri-lankischer
Staatsangehöriger lediglich auf durchschnittlich sieben
pro Monat erhöht. Damit liegt die Zahl der Anträge noch
relativ niedrig und erlaubt auch weiterhin eine Einzelfall-
prüfung.

Differenziert zu betrachtende Probleme erfordern dif-
ferenzierte Lösungen. Deshalb folgen wir als CDU/CSU-
Fraktion der Beschlussempfehlung des Ausschusses und
lehnen die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken ab.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1620020500

Wir alle wissen, die Lage in Sri Lanka ist besorgniser-

regend. Im Januar 2008 hat die Regierung das Waffen-
stillstandsabkommen mit der LTTE, das seit 2002 bestan-
den hatte, aufgekündigt. Seitdem hat sich der Bürgerkrieg
in seiner Intensität verstärkt und auch solche Teile des
Landes erfasst, die bislang nicht erfasst waren. Die Men-
schen sind verstärkt von terroristischen Anschlägen be-
droht, auch in Landesteilen, die bislang als unproblema-
tisch galten. Vor diesem Hintergrund teile ich einige



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit
Anliegen, die in den heute diskutierten Anträgen vorge-
bracht werden. Gleichwohl sehe ich keine Notwendigkeit,
sie, wie in den Anträgen formuliert, an die Bundesregie-
rung heranzutragen.

In der Sache berechtigt, doch überholt ist das Anliegen
der Fraktion Die Linke, wonach der Bundesminister des
Innern aufgefordert werden soll, dafür zu sorgen, dass
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF,
keine Widerrufe von Asyl- und Flüchtlingsanerkennun-
gen gegenüber Personen aus Sri Lanka ausspricht. Eine
Einstellung der Widerrufspraxis war dringend geboten.
Deshalb hat sich auch die SPD-Bundestagsfraktion hier-
für eingesetzt. Mit Erfolg: Das BAMF führt aktuell keine
Widerrufsverfahren mehr gegenüber Flüchtlingen und
Asylberechtigten aus Sri Lanka durch. Ich bedanke mich
ausdrücklich insbesondere bei Staatssekretär Peter
Altmaier dafür, dass er in dieser Weise tätig geworden ist.

In der Sache ebenso berechtigt, doch gleichfalls über-
holt ist ein weiteres Anliegen, das sich in beiden Anträgen
findet. Die Bundesregierung solle sich gegenüber den
Bundesländern für einen sofortigen Abschiebungstopp
für Asylsuchende aus Sri Lanka einsetzen. Das aber hat
die SPD-Bundestagsfraktion gegenüber dem Bundesmi-
nister des Innern bereits angeregt. Dieser hat sich seiner-
seits gegenüber den Ländern zumindest für einen teilwei-
sen Abschiebestopp eingesetzt. Er sollte für Tamilen aus
dem Norden und Osten der Insel gelten. Die IMK hat sich
gegen einen Abschiebestopp ausgesprochen. So bedauer-
lich das ist, müssen wir es doch hinnehmen.

Sie sehen, die Bundesregierung hat alles in ihrer
Macht Stehende getan, um den Anträgen in ihren wesent-
lichen Punkten zu entsprechen. Der in den Anträgen ent-
haltenen Aufforderung bedarf es daher nicht.

Lassen Sie mich abschließend auf das Anliegen der
Fraktion Die Linke eingehen, wonach der Bundesminis-
ter des Innern aufgefordert werden soll, sein Einverständ-
nis gegenüber den Bundesländern zu erklären, Flücht-
linge aus Sri Lanka nach § 23 Abs. 1 AufenthG
aufzunehmen. Das heißt, es sollen Flüchtlinge aus dem
Ausland aufgenommen werden. Der Bundesminister des
Innern hat im vergangenen Jahr erhebliche Anstrengun-
gen unternommen, dem § 23 Abs. 1 AufenthG zu prakti-
scher Bedeutung zu verhelfen. Sie verdienen unseren Re-
spekt. Sie wurden aber nicht im Zusammenhang mit Sri
Lanka, sondern mit irakischen Flüchtlingen unternom-
men. Diese Initiative hat die SPD-Fraktion von Beginn an
unterstützt. Doch haben wir uns stets dafür eingesetzt,
§ 23 AufenthG im Sinne des vom Flüchtlingshilfswerk der
Vereinten Nationen, UNHCR, vertretenen Resettlement-
Konzeptes anzuwenden. Es wendet sich an Flüchtlinge,
die bereits in einem Erstaufnahmestaat sind, dort aber
langfristig keine Perspektive haben und deshalb in einem
aufnahmebereiten Drittstaat aufgenommen werden.

Deshalb habe ich Bedenken, das, was wir in Bezug auf
irakische Flüchtlinge gefordert haben, unbesehen auf die
Lage in Sri Lanka zu übertragen. Durch den Krieg im Irak
sind fast 2 Millionen Menschen in die umliegenden Staa-
ten Syrien, Jordanien und den Libanon geflohen, wo sie
chancen- und perspektivlos gestrandet sind. Die Pro-
bleme in Sri Lanka liegen jedoch eher im Bereich der Bin-
Zu Protokoll
nenflüchtlinge. Nach Angaben von Amnesty International
gibt es allein in der Region Wanni derzeit etwa 300 000
Binnenflüchtlinge. Sie haben nicht nur ihre Heimat verlo-
ren, sondern leiden auch Not durch mangelndes Trink-
wasser, mangelnde Ernährung und mangelnde Gesund-
heitsversorgung. Ihre Versorgungslage wird noch
dadurch verschlechtert, dass die Regierung den Zugang
für internationale Hilfsorganisationen massiv erschwert.
Hier scheinen mir entwicklungs- und außenpolitische Ini-
tiativen mit Blick auf die Binnenflüchtlinge geeigneter.

Ich schlage daher vor, die Anträge abzulehnen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Ein genereller Abschiebestopp, wie ihn Grüne und

Linkspartei fordern, birgt grundsätzlich immer auch Risi-
ken. Vor allem kann eine so totale Unterschutzstellung von
Menschen aus Sri Lanka dazu führen, dass terroristische
Aktivitäten dann aus Deutschland unterstützt werden
könnten. Insofern ist immer auch Vorsicht geboten, und
dieser Aspekt ist auch nicht zu vernachlässigen. Gerade
vor dem Hintergrund der Verantwortung für andere Fälle
muss die Notwendigkeit eines Abschiebestopps genau
geprüft werden. Der generelle Abschiebestopp ist ein po-
litisches Instrument im Falle einer akuten Entwicklung,
die rasches Handeln erfordert. Dieses Instrument darf
nicht inflationär verwendet werden.

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist unzweifelhaft eine lang-
fristige Entwicklung. Allerdings hat sich zuletzt akut dort
die Lage so verschärft, dass die zuständigen deutschen Stel-
len ihren Umgang mit der Situation überdenken müssen.
Die Menschenrechtslage in Sri Lanka hat sich verschlech-
tert. 1983 entbrannte ein Bürgerkrieg im Inselstaat Sri
Lanka. Die demokratisch gewählte Regierung stand in
einem bewaffneten Kampf gegen die tamilische Separatis-
tenorganisation „Befreiungstiger von Tamil Eelam“, LTTE,
die im Norden und Osten des Landes einen unabhängigen
Staat der Tamilen anstrebte. Im Februar 2002 wurde ein
Waffenstillstandsabkommen zwischen Regierung und LTTE
unterzeichnet. Die Friedensverhandlungen, von Norwegen
vermittelt, sind allerdings seit 2003 wieder ausgesetzt.

Nach der Wahl von Präsident Rajapakse im November
2005 kam es erstmalig im Februar 2006 wieder zu direk-
ten Gesprächen zwischen der Regierung und der LTTE.
Danach kam es zu zunehmenden Verletzungen des
Waffenstillstands mit wochenlangen Kämpfen an ver-
schiedenen Orten im Osten und Norden des Landes, die
nach Regierungsangaben mehr als 3 000 Tote gefordert
haben. Die Regierung und die wichtigste Oppositions-
partei „Vereinigte Nationalpartei“, UNP, haben im
Oktober 2006 eine Zusammenarbeit vereinbart, vor
allem auch, um eine Lösung des jahrzehntelangen eth-
nischen Konflikts zu erreichen. Da die LTTE als terroris-
tische Organisation auch außerhalb des Tamilengebietes
gegen ihre Gegner vorgeht, ist die Menschenrechtslage in
Sri Lanka schwierig. Auch seitens der Regierung von Sri
Lanka ist wohl angesichts der Bürgerkriegssituation
nicht zu erwarten, dass die Menschenrechtslage kurzfris-
tig gebessert werden kann, wenn kein Waffenstillstand
erreicht wird.

Der UNHCR hat seine Stellungnahme überarbeitet und
ist nunmehr auf der Grundlage langwieriger Recherchen



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Sicherheits-
lage in Sri Lanka verschlechtert hat. Auch Pro Asyl teilt
diese Bewertung. Es ist deshalb unterstützenswert, auf
das Bundesamt für Migration einzuwirken, Widerrufe von
Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen auszusetzen, es sei
denn, dass die Betreffenden von hier aus Unterstützungs-
maßnahmen für terroristische Ziele organisieren. Es ist
darüber hinaus notwendig, Flüchtlinge aus Sri Lanka
nicht im Flughafenverfahren abzuweisen und ihre Asyl-
antragsstellung nicht als „offensichtlich unbegründet“
abzuweisen.

Wir sind der Auffassung, dass die Menschenrechtslage
in Sri Lanka weiterhin der kritischen Aufmerksamkeit be-
darf. Deshalb unterstützen wir das Anliegen der Links-
partei, dass sich die Menschenrechtslage in Sri Lanka in
den Lageberichten des Auswärtigen Amtes unverstellt
widerspiegeln muss. Daraus müssen sich entsprechende
Konsequenzen bei der Anerkennungspolitik der zuständi-
gen Stellen ergeben. Die FDP stellt sich deshalb trotz
mancher kritischer Erwägungen auf die Seite von Grünen
und Linkspartei für eine humanitär orientierte Hilfe für
die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sri Lanka.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620020600

Wir beraten heute abschließend über einen Abschie-

bestopp für Flüchtlinge aus Sri Lanka und unsere Forde-
rung, Asylsuchende aus Sri Lanka einreisen zu lassen und
nicht im Flughafentransit festzuhalten.

Wie Sie alle wissen, hat sich die Situation in dem Insel-
staat in den letzten Jahren kaum verbessert. Im Gegenteil
müssen wir mit einer weiteren Verschlechterung rechnen;
denn der Generalstab der Armee Sri Lankas hat erklärt,
er kontrolliere nun wieder weitgehend den Norden der In-
sel. Die Infrastruktur der Tamil Tigers ist schwer beschä-
digt, ihr Hauptquartier wahrscheinlich zerstört. Doch
damit sind die Tamil Tigers keineswegs geschlagen; viel-
mehr ist nun ein unberechenbarer Kampf aus dem Unter-
grund zu befürchten, der ebenso unberechenbare Vergel-
tungsaktionen des Militärs nach sich ziehen wird. Bereits
jetzt sind staatlich gedungene Killerbanden unterwegs,
die nicht nur Mitglieder der Tamil Tigers ermorden, son-
dern alle Vertreter der tamilischen Interessen. Erst ges-
tern gab es mehrere Tote durch Bombenangriffe der Ar-
mee und durch ein Attentat der Tamil Tigers.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe weist in einem Be-
richt von Ende 2008 auf das Schicksal der Binnenflücht-
linge und -vertriebenen hin. Seit der erneuten Zuspitzung
des Konflikts nach 2002 sind viele Menschen gleich
mehrfach geflohen, zunächst aus dem Osten in den Nor-
den, dann wieder zurück. Insgesamt sind eine halbe Mil-
lion Menschen vertrieben worden, einige gleich mehrfach:
Der Tsunami an Weihnachten 2004 hat zu einer massenhaf-
ten Flucht geführt, die Fortführung der Kriegshandlungen
Anfang 2007 genauso, der Zyklon Nisha und das Hoch-
wasser Ende 2008 lösten weitere Fluchtbewegungen aus.

Das Hochwasser vor wenigen Wochen hat 370 000
Menschen zur Flucht gezwungen. Die Regierung in Co-
lombo behindert die humanitäre Hilfe: Hilfsorganisatio-
nen haben keinen Zugang, lediglich Nahrungsmittelliefe-
rungen sind zugelassen worden. Inzwischen haben sich
Zu Protokoll
auch die Hilfswerke der UN zurückgezogen, um ihre Mit-
arbeiter zu schützen. Die Kenntnisse über die Situation
vor Ort werden immer lückenhafter, weil von außen nie-
mand mehr in die am meisten betroffenen Gebiete kommt,
Journalisten und Mitglieder von Hilfsorganisationen
müssen mit gezielten Mordanschlägen rechnen.

Die Flüchtlinge aus Sri Lanka werden also in ein Land
abgeschoben, in dem sie nicht nur Angst vor dem Terror
der Tamil Tigers, der Staatsgewalt und verschiedener von
ihr geduldeter paramilitärischer Gruppen haben müssen.
Sie werden in ein politisch, wirtschaftlich und sozial zer-
rüttetes Land geschickt, in dem ohne entsprechende Be-
ziehungen ein wirtschaftliches Überleben kaum möglich
ist, in dem es keine angemessene medizinische Versor-
gung für Traumatisierte gibt, in dem in vielen Regionen
das Recht des Stärkeren herrscht. Dies gilt insbesondere
im Osten Sri Lankas, wo neben Singhalesen und Tamilen
die Muslime eine weitere große Bevölkerungsgruppe stel-
len. Die häufig auftretenden Konflikte um Landbesitz sind
stark ethnisiert, Muslime werden aus der Verwaltung und
den politischen Prozessen komplett ausgegrenzt.

Menschenrechtsgruppen haben damit zu rechnen, Re-
pressionen bis hin zu Mordanschlägen ausgesetzt zu sein.
Besonders schlimm sind die Zwangsrekrutierungen auch
von Kindern und Jugendlichen durch die Tamil Tigers
und andere paramilitärische Gruppen. Diese drohen
selbstverständlich auch jenen Kindern und Jugendlichen,
die aus Deutschland nach Sri Lanka abgeschoben wer-
den.

Auch wenn die Regierung und die Koalition versu-
chen, ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen:
Die Situation in Sri Lanka ist und bleibt aus humanitärer
Sicht untragbar. Ich appelliere daher an Sie alle: Stimmen
Sie unserem Antrag zu und stellen Sie so sicher, dass die
Bundesrepublik ihren humanitären Verpflichtungen
nachkommt!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die bisherigen Beratungen – vor allem im Innenaus-
schuss – über das Anliegen der vorliegenden Anträge
sind ein menschenrechtliches Armutszeugnis.

Worum geht es? Wir fordern in unserem Antrag einen
Abschiebungsstopp insbesondere für Tamilen nach Sri
Lanka. Hintergrund ist die dramatische Sicherheits- und
Menschenrechtslage dort. Außenminister Steinmeier hat
sich erst gestern noch besorgt über die humanitäre Lage
im Nordosten Sri Lankas geäußert. Wegen der anhalten-
den Kämpfe zwischen der Armee und den tamilischen Re-
bellen seien mehr als 300 000 Menschen von jeder inter-
nationalen Hilfe abgeschnitten. Frank-Walter Steinmeier
rief die Konfliktparteien zu einer politischen Lösung und
zu einer Waffenruhe auf. Die Armee hatte in den vergan-
genen Wochen weite Teile der bislang von Rebellen ge-
haltenen Gebiete eingenommen. Internationale Hilfs-
organisationen wurden angewiesen, die Kampfzone zu
verlassen.

Das bundesdeutsche Aufenthaltsgesetz sieht für Situa-
tionen dieser Art die Möglichkeit der Aussetzung der Ab-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Josef Philip Winkler
schiebung vor. Davon hatten auch einige Bundesländer
für sechs Monate Gebrauch gemacht. Nun benötigte man
für eine Verlängerung die Zustimmung des Bundesinnen-
ministeriums. Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom Februar 2008 kommt zu den Ergebnissen,
dass Tamilen im Generalverdacht stehen, die LTTE zu un-
terstützen und mit staatlichen Repressionen rechnen müs-
sen und dass es innerhalb Sri Lankas keine Gebiete mehr
gibt, in denen die beschriebenen Verfolgungshandlungen
nicht ausgeübt werden, auch wenn die Intensität der Be-
drohung sich in den einzelnen Landesteilen unterschei-
det. Die nach dem Waffenstillstand 2002 bestehende
Möglichkeit, sich im ganzen Land ohne große Einschrän-
kungen zu bewegen und niederzulassen, existiert nicht
mehr. Aufgrund der Sicherheits- und Menschenrechtslage
haben die Schweiz und die Niederlande Abschiebungen
nach Sri Lanka ausgesetzt.

Trotz dieser klaren Lageeinschätzung des Auswärtigen
Amtes, das durch die Angestellten der deutschen Bot-
schaft in Colombo in der Lage ist, sich einen umfassenden
Eindruck von der Situation in Sri Lanka zu machen,
wollte das Bundesinnenministerium dieser eindeutigen
Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht vertrauen.
Denn dies hätte zum Erlass eines generellen Abschie-
bungsstopps für Tamilen führen müssen. Wenn ein Gene-
ralverdacht gegenüber Tamilen attestiert wird und keine
sogenannte inländische Fluchtalternative in Sri Lanka
existiert, dann heißt dies in der Konsequenz, dass ein Ab-
schiebungsstopp erlassen werden muss.

Da ein Abschiebungsstopp aber politisch – auch wenn
es sich nur um wenige Flüchtlinge aus Sri Lanka handelt,
die sich hier in Deutschland befinden – um jeden Preis
vermieden werden soll, war sich das Bundesinnenminis-
terium nicht zu schade, eigene Mitarbeiter nach Colombo
zu einer „Fact-finding-Mission“ zu entsenden. Das Er-
gebnis war beeindruckend: Wir konnten uns im Innenaus-
schuss lange Ausführungen über Straßensperren und Au-
tofahrten rund um Colombo anhören. Schlussendlich
wurde die Sicherheitslage aber von den Mitarbeitern des
Bundesinnenministeriums ebenfalls als dramatisch ein-
geschätzt. Trotzdem wollte sich das BMI nicht für den Er-
lass eines generellen Abschiebungsstopps für Tamilen ge-
genüber den Bundesländern aussprechen. Grund: Man
befürchtet einen Anstieg von Asylanträgen tamilischer
Asylbewerber in Deutschland. Alle Hinweise darauf, dass
es sowieso nur sehr wenige Menschen aus Sri Lanka
schaffen, Europa bzw. Deutschland zu erreichen, verhall-
ten. Die Abgeordneten der Großen Koalition stimmten
dem dann aus Überzeugung, teils aus Koalitionsräson zu,
und dies bei einer menschenrechtlichen Frage, bei der es
doch eigentlich fraktionsübergreifend Konsens geben
müsste, dass man alles unternehmen muss, um Menschen
nicht durch die Abschiebung nach Colombo Gefahren für
Leib und Leben auszusetzen.

Zwar hat das Bundesinnenministerium den Ländern
mitgeteilt, dass aufgrund der Verschlechterung der Si-
cherheitslage von einer Rückführung von Tamilen, die
aus dem Norden und Osten Sri Lankas stammen, abgese-
hen werden soll. Bereits eingeleitete Asylwiderrufsver-
fahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
gegenüber Tamilen sollen eingestellt werden; generell
sollen aufgrund der Unabsehbarkeit der Entwicklung in
Sri Lanka auch keine Widerrufsverfahren bei Tamilen neu
eingeleitet werden. Ich bleibe aber auch nach diesen Zu-
geständnissen des Bundesinnenministeriums der Mei-
nung, dass angesichts der weiterhin dramatischen Lage
der Menschen in Sri Lanka – insbesondere der Tamilen –
Abschiebungen von Tamilen generell weiterhin unverant-
wortlich sind. Die vorgeschlagene Einschränkung auf Ta-
milen, die aus dem Norden oder Osten Sri Lankas stam-
men, reicht bei dem Rückführungsverbot nicht aus. Wenn
ein Generalverdacht gegenüber allen Tamilen attestiert
wird – siehe Lagebericht des Auswärtigen Amtes –, dann
muss die logische Konsequenz doch die Aussetzung der
Abschiebung aller Tamilen sein.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620020700

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-

fehlung des Innenausschusses auf Drucksacke 16/9111.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/4203 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke sowie bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4427
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositions-
fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine NATO-Erweiterung – Sicherheit und
Stabilität mit und nicht gegen Russland

– Drucksache 16/11247 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben: Bernd Siebert, Markus Meckel,
Dr. Rainer Stinner, Paul Schäfer, Kerstin Müller.


Bernd Siebert (CDU):
Rede ID: ID1620020800

Der Antrag der Linken zeichnet ein Bild von der Sicher-

heitslage in Europa, mit dem eine mögliche Erweiterung
der NATO in einen negativen Bezug zu den Sicherheits-
interessen Russlands gesetzt wird. Diesem Sicherheitsver-
ständnis der Linken muss ich entschieden widersprechen.


(A) (C)



(B) (D)


Bernd Siebert
Die NATO ist niemandes Feind und bedroht niemanden.
Die NATO ist ein reines Verteidigungsbündnis, dessen
fundamentaler Zweck es ist, den Frieden im euro-atlanti-
schen Raum zu bewahren und für die Sicherheit seiner
Mitglieder zu sorgen. Die seit 1990/91 durchgeführte
Aufnahme von neuen Mitgliedern – allesamt ehemalige
Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts oder wie im Fall
der baltischen Staaten ehemalige Sowjetrepubliken – hat
dem übergreifenden Ziel der NATO gedient, den Frieden
in Europa zu stärken, die Sicherheit der NATO insgesamt
zu festigen und den Stabilitätsraum der NATO auf die
neuen Mitglieder auszudehnen. Die Attraktivität des Bünd-
nisses ist ungebrochen. Die bisherigen Erweiterungen sind
daher als historischer Erfolg in Bezug auf die Erhöhung
der Stabilität in Europa, auf die Friedensbewahrung und
Kooperation mit ehemaligen gegnerischen Staaten zu
werten.

Die Vision eines geeinten Europa in Freiheit und Frie-
den – dies ist die Vision der NATO und dies ist die Trieb-
kraft für die Erweiterungsrunden der Vergangenheit und
auch der Zukunft. Wir stehen jetzt vor der Aufnahme Kro-
atiens, Albaniens und – wenn der griechische Einspruch
wegen des Staatsnamens ausgeräumt ist – Mazedoniens.
Braucht es noch mehr Beweise? Die Tür bleibt offen. Das
ist das erklärte Ziel des nordatlantischen Bündnisses, und
dies ist auch unsere Überzeugung. Wir müssen andererseits
allerdings auch darauf bestehen, dass der Aufnahmepro-
zess nach den Regeln, die sich das Bündnis gegeben hat,
abläuft und allein die Gesamtheit der NATO-Mitglieder
darüber entscheidet, wer in das Bündnis aufgenommen
wird und wer nicht.

Wenn ich hier auf den Antrag der Linken verweisen
darf, in dem der Satz steht, dass Russland nicht das
„Recht“ eingeräumt worden sei, Mitglied des Bündnisses
zu werden, dann ist dazu festzustellen: Ja, so ist es gerade
nicht, dass jemand einen Aufnahmeantrag stellt, der gar
nicht eingeladen wurde, Mitglied des Bündnisses zu
werden, und dessen Antrag dann nicht abgelehnt werden
kann. Das würde ja die Prinzipien und Werte des Bünd-
nisses auf den Kopf stellen.

Jedes NATO-Gipfeltreffen hat bisher erklärt, dass die
Tür offen steht, dass jedoch Neuaufnahmen nur in Über-
einstimmung mit Art. 10 des NATO-Vertrags möglich
sind, wenn darüber hinaus weitere Bedingungen erfüllt
und Leistungen erbracht worden sind.

In Art. 10 des NATO-Vertrags ist seit 1949 festgeschrie-
ben: „The Parties may, by unanimous agreement, invite
any other European State in a position to further the prin-
ciples of this Treaty and to contribute to the security of the
North Atlantic area to accede to this Treaty.“

Zusätzlich konkretisierte die NATO ihre Erwartungen
an neue Mitglieder in der „Study on NATO Enlargement“
von 1995. Notwendig ist die Erfüllung politischer, ökono-
mischer und militärischer Ziele, bevor eine Aufnahme
stattfinden kann. Der sich bewerbende Staat muss nach-
weisen, dass er eine funktionierende Demokratie ist, die
auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basiert, dass die
Minderheitenrechte in seinem Land in Übereinstimmung
mit den Leitlinien der OSZE garantiert sind, dass offene
Streitigkeiten bzw. Konflikte mit Nachbarn beigelegt und
Zu Protokoll
eine Rahmenvereinbarung mit diesen Nachbarn für eine
friedliche Lösung dieser Streitigkeiten geschlossen wurde
– niemand darf seine historischen Lasten und Probleme
in das Bündnis hineintragen –, dass er die Fähigkeit und
den Willen besitzt, militärische Beiträge für die Allianz zu
leisten und die Interoperabilität seiner Streitkräfte mit
den Kontingenten des Bündnisses gewährleistet ist, dass
er bereit ist, Formen der zivil-militärischen Zusammen-
arbeit innerhalb der verfassungsmäßigen Strukturen eines
Landes zu gestalten.

Das Ziel des nordatlantischen Bündnisses ist somit
klar: Mehr Sicherheit und Stabilität in Europa, mehr
Demokratie, mehr Menschenrechte, mehr Rechtsstaat-
lichkeit und weniger Bedrohung, weniger Nationalismus
und kein Rückfall in nationale Militärstrukturen. Die
NATO garantiert insgesamt die Sicherheit ihrer Mitglie-
der; sie verhindert damit die Re-Nationalisierung der
Verteidigungspolitiken ihrer Mitgliedstaaten.

Die Linke sorgt sich in ihrem Antrag um die Sicher-
heitsinteressen Russlands und befürchtet von einer – ich
zitiere – „zweiten Erweiterungsrunde der NATO in den
postsowjetischen Raum und somit abermals direkt an die
Grenzen der Russischen Förderation“ nicht kooperative,
sondern „konfrontative Sicherheit gegen Russland“.

Es ist eine makabere Sichtweise oder mindestens ein
sehr unglücklicher Ausdruck, dass souveräne Staaten wie
die Ukraine oder Georgien, die eine langfristige Beitritts-
perspektive für die NATO haben, für die Linke lediglich ei-
nen „postkommunistischen Raum“ darstellen. Eine solche
Sichtweise ist oder wäre aus unserer Sicht verhängnisvoll
und nicht akzeptabel, wird dadurch doch der Gedanke
transportiert, diese Staaten könnten womöglich keine oder
nur eingeschränkte Souveränität beanspruchen und müss-
ten ihre Sicherheitsinteressen mit dem großen Nachbarn
Russland abstimmen.

Nach unserer Überzeugung, die in der gesamten NATO
geteilt wird, sind die Ukraine und Georgien souveräne
Staaten und können über die Realisierung ihrer Sicherheit
selbst entscheiden. Russland hat seinerseits das Recht auf
eigene Sicherheit, die jedoch nicht auf Kosten von Nachbar-
staaten realisiert werden darf. Wenn die NATO also – wie
schon im Fall der baltischen Staaten – mit der Aufnahme
der Ukraine und Georgiens eines Tages eine weitere
gemeinsame Grenze mit Russland erhalten wird, führt das
nicht – wie von der Linken befürchtet – zur Konfrontation,
sondern zu mehr Sicherheit für alle. Wir erinnern uns,
dass im Vorfeld der Aufnahme der baltischen Staaten in
die NATO ebenfalls von interessierter Seite eine angebli-
che Kriegsgefahr festgestellt oder vorhergesehen wurde.
Nichts davon ist geschehen. Heute redet niemand – auch
die damaligen Kritiker und „Propheten“ nicht – mehr da-
von, dass im Baltikum womöglich neue Konflikte mit
Russland entstehen könnten.

Ich stelle fest: Die NATO bedroht niemanden, auch
Russland nicht – selbst dann nicht, wenn die Ukraine
oder Georgien eines Tages in die NATO aufgenommen
werden. Im Gegenteil: Russland kann sicher sein, dass
vom Vertragsgebiet der NATO keine Bedrohung für seine
Souveränität ausgehen wird. Der Stabilitätsgewinn liegt
also nicht nur bei den beiden Staaten Ukraine und Geor-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Bernd Siebert
gien, die eine Aufnahmeperspektive von der NATO erhal-
ten haben, sondern auch bei Russland selbst.

Die NATO hat auf dem Gipfeltreffen in Bukarest am
3. April 2008 das Bestreben der Ukraine und Georgiens,
in die NATO aufgenommen zu werden, begrüßt. Beide
Länder haben schon einen Teil der Vorgaben, die das
Bündnis von neuen Mitgliedern erwartet, erfüllt oder sind
weiter dabei, diese zu realisieren. Beide Länder sind auf
dem Wege der Reformen hin zu mehr Demokratie und
werden dann, wenn das Bündnis die erreichten Ergeb-
nisse für ausreichend bewertet, in den „Membership
Action Plan“ der NATO aufgenommen.

Hier kommt auch Russland wieder ins Spiel: Für die
abtrünnigen Gebiete Georgiens, die mithilfe Russlands in
die Sezession gegangen sind, und für die Krim, deren
Zugehörigkeit zur Ukraine in Russland nicht so richtig
akzeptiert wird, muss es eine Lösung geben, die dem
Völkerrecht genügt. Nicht imperiales Machtstreben, son-
dern Herrschaft des Rechts und unbedingte Achtung des
Völkerrechts sind Erfordernisse der Zukunft – für Geor-
gien und für Russland.

Da wir von der friedensstiftenden und friedenserhalten-
den Rolle der NATO überzeugt sind, kann es für uns kein
Abweichen von einer als richtig erkannten Politik geben.
Russland ist für die Zukunft ein sehr wichtiger Koopera-
tionspartner, das ist uns allen klar. Die NATO hat auch stets
betont, wie wichtig Russland für sie als Kooperationspart-
ner ist und welch großes Interesse die nordatlantische
Allianz an einer echten und effizienten Kooperation mit
diesem Land hat.

Aber auf der anderen Seite sind da auch irritierende
Zeichen: Das Zudrehen des Sperrhahns der Erdgasleitun-
gen Richtung Westen hat einige betroffene europäische
Länder gerade in diesen Tagen und Wochen die Macht
Russlands spüren lassen. Umso mehr müssen wir daran
arbeiten, Russland zu einem verlässlichen Sicherheits-
partner für uns alle zu machen, freilich ohne Abstriche an
derjenigen Errungenschaft, die uns über mehr als fünf
Jahrzehnte Freiheit in Frieden und Wohlstand garantiert
und gesichert hat: an unserer nordatlantischen Allianz
und Wertegemeinschaft.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1620020900

Die NATO darf in diesem Jahr das sechzigjährige Ju-

biläum ihres Bestehens feiern. Dabei kann sie auf eine Er-
folgsgeschichte zurückblicken: Aus dem einstmals zur
kollektiven Verteidigung geschlossenen Bündnis hat sich
eine Organisation entwickelt, die längst nicht nur auf dem
Gebiet der eigenen Mitgliedstaaten – und somit insbeson-
dere in Europa – zum Garant für Stabilität und Sicherheit
geworden ist. Vielmehr hat die NATO nach dem Ende der
Ost-West-Konfrontation eine große Integrationsleistung
vollbracht und sich erfolgreich neuen Aufgaben zuge-
wandt. Dabei waren es vor allem die jungen Demokratien
Mittel- und Osteuropas, die ihre Sicherheit nicht mehr na-
tional organisieren wollten und daher über die Partner-
schaft für den Frieden hinaus die Bedingungen für eine
Aufnahme in die NATO schufen. Deutschland hat diesen
Prozess damals unterstützt.
Zu Protokoll
Mit der Zustimmung zur deutschen Einheit gestand die
Sowjetunion 1990 dem wiedervereinigten und außenpoli-
tisch souveränen Deutschland zu, weiter der NATO anzu-
gehören. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat schließ-
lich Russland 1991 auch die Souveränität seiner vormals
sowjetischen neuen Nachbarstaaten unmissverständlich
anerkannt. Zweifellos gehört zur Souveränität eines Lan-
des auch die Freiheit der Bündniswahl. Lassen Sie mich
eines klar und deutlich sagen: Russland hat nicht das
Recht, ein Veto gegen einen Beitritt seiner Nachbarn zur
NATO einzulegen. Die Bemühungen der NATO um eine
Integration Georgiens und der Ukraine sind nicht gegen
Russland gerichtet. Wir und unsere NATO-Partner haben
auch kein Interesse an einem Konflikt mit Russland. Da-
her müssen wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel
und Formate nutzen, um Meinungsverschiedenheiten aus
dem Weg zu räumen. Der NATO-Russland-Rat darf eben
genau dann nicht abgesagt werden, wenn er zur Wieder-
herstellung eines vertrauensvollen Verhältnisses ge-
braucht wird – wie im Falle des russisch-georgischen
Konfliktes. Dennoch arbeitet die NATO bereits auf vielen
Feldern sehr erfolgreich mit Russland zusammen. Wir
müssen uns nur darauf besinnen und gemeinsam den si-
cherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart
entgegentreten.

Gerade in dieser Gegenwart hilft es nicht weiter, wenn
in Russland gezielt mit antiwestlicher Stimmungsmache
gegen die NATO und ihre vormals sowjetischen Partner-
länder versucht wird, den Patriotismus weiter zu stärken.
Derartige Demonstrationen der Stärke tragen nur zur
Selbstüberschätzung der eigenen Rolle in der Welt bei
und zielen letztlich wohl eher darauf ab, die Bevölkerung
von alltäglichen sozialen Problemen abzulenken. Der la-
tente Schmerz über den Verlust der Datschen an der
georgischen Schwarzmeerküste sowie der Ukraine als
Wiege der Kiewer Rus wird von Teilen der russischen
Elite dazu instrumentalisiert, den Nachbarn im „nahen
Ausland“ die Achtung ihrer Souveränität zu versagen.
Dies ist zutiefst anachronistisch und für uns völlig inak-
zeptabel. Vielmehr müsste Russland ein vitales Interesse
daran haben, von stabilen und sicheren Partnern umge-
ben zu sein und sich im Rahmen der Zusammenarbeit mit
der NATO gemeinsam den eigentlichen sicherheitspoliti-
schen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zuzu-
wenden.

In ihrem Antrag haben die Kolleginnen und Kollegen
der Fraktion Die Linke die Rolle der Aktionspläne zur
NATO-Mitgliedschaft grundsätzlich missverstanden: Die
Heranführung an NATO-Standards bezieht sich auf dieje-
nigen Aspekte, welche für eine effektive und erfolgreiche
Zusammenarbeit im Rahmen der Bündnisaktivitäten not-
wendig sind. Dazu zählen vor allem Maßnahmen und
Fortschrittsberichte zur Reform der Streitkräfteorganisa-
tion und der Kommandostrukturen, zur Steigerung der In-
teroperabilität der Streitkräfte sowie zur Vorbereitung al-
ler beteiligten Stellen auf die Zusammenarbeit mit den
NATO-Strukturen.

Es ist und bleibt indes eine unbedingte Voraussetzung
für die Erteilung von Aktionsplänen zur NATO-Mitglied-
schaft, dass die betreffenden Partnerländer die politi-
schen Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllen. Diese



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Markus Meckel
erst zu schaffen, kann auch nicht Aufgabe dieses Instru-
ments sein. Ohnehin bieten wir im Rahmen der europäi-
schen Nachbarschaftspolitik, der Schwarzmeersynergie
sowie künftig der Östlichen Partnerschaft unseren Nach-
barn Rat und Unterstützung an.

Deutschland hat sich daher beim NATO-Gipfel in Bu-
karest mit Recht dafür eingesetzt, dass Georgien und die
Ukraine zwar die grundsätzliche Zusage erhielten, je-
doch noch nicht den gewünschten Aktionsplan. Beide
Länder waren weder damals noch heute innenpolitisch
reif dafür. Nach dem russisch-georgischen Konflikt vom
August 2008 und der Gaskrise der letzten Wochen hat das
Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer georgischen und
ukrainischen Partner einen zusätzlichen Dämpfer erhal-
ten. Es liegt nun an den Regierungen, den demokrati-
schen Wandel in ihren jeweiligen Ländern voranzubrin-
gen. Wirkliche Reformen und tatsächlicher Fortschritt
hin zu innenpolitischer Stabilität und außenpolitischer
Verlässlichkeit sind die besten Argumente, um die NATO-
Mitglieder zum nächsten Schritt zu überzeugen.

Es ist deshalb richtig und wichtig, die Perspektive ei-
nes NATO-Beitritts für Georgien und die Ukraine auch
weiterhin aufrechtzuerhalten. Zugleich sind wir uns des
guten Rechts und sogar der Verpflichtung gewiss, den
Zeitpunkt für die Erteilung von Aktionsplänen entspre-
chend den Bedingungen in beiden Ländern sowie mit
Blick auf die Integrationskapazität der Bündnisstrukturen
selbst zu bestimmen. Seien Sie versichert, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, dass wir uns bei dieser Entscheidung
weder drängen noch beeinflussen lassen.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1620021000

Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag der

Linksfraktion ab, weil mit ihm ein richtiges Ziel mit un-
vollständigen und falschen Mitteln erreicht werden soll.
Sicherheit und Stabilität mit und nicht gegen Russland –
ein schönes, wichtiges und richtiges Ziel. Wer könnte et-
was dagegen haben? Die Linksfraktion will dieses Ziel je-
doch dadurch erreichen, dass sie dem vergangenheits-
orientierten russischen Denken in Einflusszonen nachgibt,
anstatt zu versuchen, es zu ändern. Es ist ja schon er-
staunlich, wie schnell und geradezu leichtfertig eine
Fraktion, die sonst immer das Völkerrecht für sich in An-
spruch nimmt, über das unbestreitbare Recht souveräner
Staaten hinweggeht, ihre Bündnisse frei zu wählen. Für
uns Liberale ist dieses Recht grundsätzlich unverhandel-
bar.

Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob Georgien und
Ukraine derzeit selber in der Verfassung sind, als Mitglie-
der der NATO infrage zu kommen. Wir Liberale sehen die
NATO als Wertegemeinschaft. Wer Mitglied der NATO
werden will, muss sich an den Kriterien Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Willen zur friedlichen Nachbar-
schaft messen lassen. Bei Georgien sind da erhebliche
Zweifel angebracht. Auch die innenpolitische Situation in
der Ukraine spricht derzeit nicht für einen Beitritt. Es ist
fraglich, ob es überhaupt eine Mehrheit in der dortigen
Bevölkerung für einen Beitritt gibt. Deshalb war die Ent-
scheidung der Bundeskanzlerin, in Bukarest eine Auf-
nahme beider Länder in das MAP abzulehnen, richtig. An
den Gründen hat sich bis heute nichts geändert.
Zu Protokoll
Grundsätzlich aber hält die FDP an der Politik der of-
fenen Tür der NATO fest. Wann konkret ein Beitritt sinn-
voll ist, muss dann jeweils unter Berücksichtigung unse-
rer Interessen und natürlich auch der regionalpolitischen
Auswirkungen beurteilt werden. Wir lassen aber nicht zu,
dass irgendein drittes Land ein Vetorecht bekommt.

Es liegt in unserem ureigensten Interesse, ein gedeih-
liches Verhältnis zu Russland zu haben. Deutschland, die
Europäische Union und die NATO insgesamt haben mit
Russland eine ganze Reihe von gemeinsamen Interessen.
Die großen Probleme der Weltpolitik, von Klimawandel
über Energiesicherheit bis zur Verbreitung von Massen-
vernichtungswaffen und internationalem Terrorismus,
lassen sich mit Russland besser lösen als ohne Russland.
Es muss aber auch klar sein, dass von einer Wertegemein-
schaft mit Russland derzeit leider nicht die Rede sein
kann. Deshalb können wir heute mit Russland auch keine
strategische Partnerschaft haben. Wir können und sollten
auf eine solche Partnerschaft hinarbeiten, aber als Zu-
standsbeschreibung ist der Begriff falsch.

Trotzdem gibt es, wie gesagt, Interessenüberschnei-
dungen. Darüber müssen wir mit Russland reden. Des-
halb haben wir es für einen großen Fehler gehalten, dass
die NATO den NATO-Russland-Rat ausgesetzt hat. Ge-
rade wenn man unterschiedliche Ansichten hat, muss
man miteinander reden, ruhig und unaufgeregt, aber klar
und deutlich. Deshalb begrüßt die FDP auch, dass die EU
nun Gespräche über ein neues Partnerschafts- und Ko-
operationsabkommen mit Russland wieder aufgenommen
hat.

Russland ist kein einfacher, aber ein notwendiger Ge-
sprächspartner. Wir wollen in den Feldern, wo uns ge-
meinsame Interessen verbinden, Fortschritte erreichen.
Wir sind der Überzeugung, dass es zwischen Russland
und der NATO keinen grundsätzlichen Interessengegen-
satz gibt, der eine Konfrontation von Einflusszonen un-
vermeidlich macht. Davon wollen wir die russische Füh-
rung überzeugen.

Der Antrag der Linksfraktion ist dafür kontraproduk-
tiv, und deshalb lehnen wir ihn ab.


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1620021100

Fast 20 Jahre sind seit der Auflösung des Warschauer

Pakts vergangen. Mit der Pariser Charta 1990 eröffnete
sich die große Chance auf ein vereinigtes, friedliches
Europa. Die Weichen schienen auf Dialog, Annäherung
und Abbau der Rüstungspotenziale gestellt; die KSZE
erschien als geeigneter sicherheitspolitischer Rahmen,
um diesen Prozess zu gestalten. Diese historische Chance
ist vertan worden.

Die NATO, der der Gegner abhanden gekommen war,
war sehr schnell bemüht, sich neue Aufgaben, nun im
Weltmaßstab, zuzuweisen, und begann damit, die eigenen
Streitkräfte gemäß des neuen Auftrags der internationa-
len Krisenreaktion umzubauen und umzurüsten.

Was mit Maßnahmen der Vertrauensbildung zwischen
den vormaligen Kontrahenten – „Partnership for Peace“ –
begann, wurde in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zu
einem Expansionsprojekt der Allianz umorientiert. Die



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (Köln)

NATO wurde, nicht zuletzt unter dem Vorzeichen US-
amerikanischer Interessenpolitik, darauf ausgerichtet, den
eigenen Einflussbereich weit nach Osten auszudehnen.
Damit sollte zugleich das entscheidend geschwächte
Russland dauerhaft niedergehalten werden. Dieser aus-
greifende hegemoniale Anspruch hatte weitreichende
negative Folgen für den euro-asiatischen Raum: Die
OSZE wurde mehr und mehr marginalisiert und vor allem
damit betraut, den Nachlass des sowjetischen Imperiums
in Osteuropa und Zentralasien zu verwalten.

Wohin dieser Kurs geführt hat, kann man heute in Ost-
europa, Südosteuropa und dem Kaukasus besichtigen.
Die Staaten der Region – vor allem um das Schwarze
Meer herum – sind nach wie vor weit entfernt davon, die
regionalen Konflikte eigenständig und friedlich beizule-
gen. Das Beispiel Zypern belegt auf das Eindrücklichste,
wie wenig die NATO dafür geeignet ist, Konflikte zwi-
schen Mitgliedstaaten friedlich, konstruktiv und erfolg-
reich bearbeiten zu können. Vielmehr scheint es umge-
kehrt, dass die Mitgliedschaft in der NATO die Suche nach
tragfähigen regionalen Lösungen eher erschwert als er-
leichtert.

Trotzdem hält die NATO an diesem Weg fest. Mit Ge-
orgien und der Ukraine sollen bald die nächsten Staaten
in das Militärbündnis integriert werden. Zwar konnten
sich die USA auf dem letzten NATO-Gipfel in Bukarest im
April 2008 nicht mit ihrem Wunsch durchsetzen, sowohl
Georgien als auch die Ukraine in den Membership Action
Plan der NATO aufzunehmen. Insbesondere die Bundes-
regierung hat sich diese Entscheidung des NATO-Rats als
Erfolg auf ihre Fahne geschrieben – und damit die
Öffentlichkeit doch sehr hinters Licht geführt. Denn
gleichzeitig wurde ausdrücklich in der Abschlusserklärung
festgehalten, dass ein solcher Aktionsplan der nächste
Schritt der Ukraine und Georgiens auf ihrem „direkten
Weg“ in die NATO ist. Ende Dezember haben sich die
NATO-Staaten deswegen erneut getroffen. Es ist abzusehen,
dass auf dem Jubiläumsgipfel der NATO im Frühjahr neben
der Entscheidung über die Erarbeitung eines neuen strate-
gischen Konzepts auch grundsätzlich über die weitere
territoriale Expansion des Militärbündnisses entschieden
wird.

Die Linke fordert die Bundesregierung auf: Nehmen
Sie endlich eine klare und unzweideutige Position im
NATO-Rat ein! Verweigern Sie definitiv die Zustimmung
zu weiteren Erweiterungsrunden! Eine Aufnahme Geor-
giens und der Ukraine bedeutet keinen Sicherheits- und
Stabilitätszugewinn für Europa. Mit der Aufnahme in die
NATO würde die Vision eines friedlichen Europas auf
absehbare Zeit eine Utopie bleiben.

Der georgisch-russische Krieg muss doch auch den
größten Realpolitikern deutlich vor Augen geführt haben,
welche Unwägbarkeiten mit einer georgischen NATO-
Mitgliedschaft verbunden sind. Wäre Georgien zu diesem
Zeitpunkt NATO-Mitglied gewesen, hätte der regionale
Krieg eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik
entfalten können. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine
würde die permanente innenpolitische Krise noch weiter
verschärfen und das innere Gefüge des Staates erschüt-
tern, da die jeweiligen Lager sich ziemlich exakt entlang
Zu Protokoll
der Trennlinie zwischen der pro-westlichen West- und der
pro-russischen Ostukraine verteilen. Sind die anderen
europäischen Staaten hierauf vorbereitet, sind wir auf die
Konsequenzen für die Energiepolitik vis-à-vis Russland
bzw. auf das ukrainische Verhalten gegenüber Russland
vorbereitet?

Das Festhalten an der Osterweiterung der NATO ist
und bleibt eine falsche Strategie. Es lässt zudem eindeu-
tige Rückschlüsse auf den wahren Charakter der NATO
zu: Bei der Erweiterungspolitik ging es zu keinem Zeit-
punkt um die Sicherheitsinteressen der Aufnahmestaaten,
sondern um eine Ausgrenzung Russlands, um die Einord-
nung der neuen Staaten in den eigenen Machtbereich und
um den Umbau zu einer weltweit agierenden Interventions-
macht. Für die Neumitglieder bedeutete dies vor allem
eine umfassende und kostspielige Modernisierung ihrer
Streitkräfte nach westlichen Standards und mit westlichen
Rüstungsgütern. Verlangt und gefördert wurde die Auf-
stellung kleinerer spezialisierter Einheiten, die dann bei
US- oder NATO-Interventionen die Kontingente der gro-
ßen Truppensteller ergänzen sollten. Verlangt wurde die
Öffnung des eigenen Territoriums für die temporäre Sta-
tionierung von US-Streitkräften zur Vorbereitung militä-
rischer Interventionen – siehe Bulgarien und Rumänien.

Zusammen mit den Plänen für die Stationierung des
US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien und
den einseitig von der NATO aufgestellten Zusatzbedin-
gungen für den KSE-Vertrag steht die Osterweiterung vor
allem für den Versuch, die europäische Zukunft ohne
Russland gestalten zu wollen. Dass dies zum Scheitern
verurteilt ist, zeigt der Blick in die Geschichtsbücher.
Dass dies der falsche Weg zum europäischen Frieden ist,
sagt der normale Menschenverstand. Europa braucht
keine neue Konfrontationspolitik. Europa braucht eine
Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Zusammen-
arbeit in der OSZE oder anderen Institutionen, um die
legitimen Sicherheitsbedürfnisse der europäischen Staa-
ten einvernehmlich und kooperativ zu gewährleisten. Die
kategorische Absage an jegliche künftige Ausdehnung
der NATO ist dabei ein erster Schritt.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Die Wahl von Barack Obama und seine beeindru-
ckende Vereidigung vor drei Tagen haben weltweit große
Hoffnungen geweckt. Veränderungen auf nahezu allen
Politikfeldern sind nach der Ära Bush dringend nötig:
Rückkehr zur Einhaltung der Menschenrechte auch im
Kampf gegen den Terrorismus, Rückkehr zu einer starken
transatlantischen Partnerschaft und mehr Bereitschaft zu
multilateralem Handeln, eine Abkehr von einseitigen mi-
litärischen Alleingängen sind Erwartungen, die Barack
Obama schon im Wahlkampf geweckt hat. Transatlan-
tische Partnerschaft ist weitaus mehr als die NATO, den-
noch ist sie ein wichtiger Bestandteil. Ihre ungebrochene
Attraktivität auch jenseits der traditionellen Mitglied-
staaten Westeuropas hat sich in den beiden Erweiterungs-
runden seit 1994 gezeigt.

Die bisherigen Erweiterungen der NATO waren nicht
zuletzt Folge des Bedürfnisses der neuen, mittel- und ost-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Müller (Köln)


europäischen Mitglieder nach verläßlichem Schutz vor
Bedrohung. Das Interesse der USA an diesen Erweiterun-
gen und die gleichzeitige massive Kritik aus Russland
spiegeln das Denken des Kalten Krieges wieder. Es unter-
stellt die wechselseitige Bedrohung der beiden Blöcke
und das Denken in Einflusszonen. Zu welcher Seite ein
Staat gehört, heißt dann, dass er nicht zur anderen Seite
gehört.

Dieses Blockadedenken hat sich aber überlebt. Die
Sowjetunion, der die NATO einst versprach, sich nicht in
ihre Einflusszone einzumischen, existiert nicht mehr. Die
NATO selbst versteht das Russland von heute nicht als ih-
ren militärischen Gegner. Der Prozess der Überwindung
des Blockdenkens gerade auf sicherheitspolitischem und
militärischem Gebiet ist für beide Seiten schwierig und
von starken Phantomschmerzen begleitet. Und er zeigt,
dass wir umdenken müssen. Das gilt für jede US-Regie-
rung, für jede russische Regierung, für die Politik in je-
dem Mitgliedstaat der NATO.

sen Kriterien und sind daher schon deshalb bis auf Wei-
teres nicht fähig, Mitglieder der NATO zu werden.

Es sprechen aber noch weitere politische Gründe ge-
gen einen NATO-Beitritt auf absehbare Zeit. Er sollte
auch nicht konfrontativ gegen Russland vollzogen wer-
den. Die alte Bush-Administration hat leider diesen Ein-
druck erweckt. Denn das bringt – das hat der Georgien-
Krieg gezeigt, aber auch der Konflikt um die Raketenab-
wehr in Polen und Tschechien – nicht mehr, sondern we-
niger Sicherheit für die Region und letztlich auch für Ge-
samteuropa.

Insofern, meine Damen und Herren von der Linken,
teile ich durchaus die Grundbotschaft Ihres Antrages,
aber große Teile Ihrer Argumente überhaupt nicht. Wie
die NATO sich insgesamt weiterentwickeln wird, ist heute
noch nicht absehbar. In jedem Fall muss eine Partner-
schaft auch mit Nichtmitgliedern der NATO wie Russland
entwickelt werden, die auf Dialog und Kooperation be-
ruht. Partnerschaft innerhalb der NATO und gegenüber
Nichtmitgliedern sowie der Aufbau von Vertrauen statt
Dabei ist auch vor Einseitigkeiten und Vereinfachun-

gen zu warnen. Nehmen wir das Beispiel Georgien und
Ukraine: Das massive Interesse der Regierung Bush an
einem NATO-Beitritt beider Länder zur Erweiterung der
Einflusszone der USA nach Osten verdeckt den ausdrück-
lichen eigenen Wunsch Georgiens nach Beitritt. Das war
schon lange vor dem Krieg mit Russland im August 2008
so. Aus dem gleichen Grund erzeugte dieses Interesse die
klare russische Ablehnung. Die alten Denkmuster bedie-
nen sich also gegenseitig. Die NATO als Verteidigungs-
bündnis gegenüber dem Ostblock hat ausgedient. Be-
dingung der Mitgliedschaft ist heute die Erfüllung
demokratischer, rechtsstaatlicher und sicherheitspoli-
tischer Standards, die sowohl Stabilität nach innen wie
Sicherheitsgewinn für alle ermöglichen.

Von einem Beitrittsautomatismus kann also keine Rede
sein. Aber von einem solchen Sicherheitssystem kann kein
Staat ausgeschlossen werden, schon gar nicht durch die
Ablehnung durch Dritte. Dennoch ist klar: Instabile Staa-
ten wie Georgien und die Ukraine scheitern schon an die-
Konfrontation sind Voraussetzungen für eine neue Rolle
der NATO. Jetzt ist die Chance da, die Fehler der Bush-
Regierung zu überwinden.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1620021200

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/11247 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Mitarbeit und
berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages
auf Mittwoch, den 28. Januar 2009, 13 Uhr, ein.

Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen einen
schönen Abend.