Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Vor dem Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Fol-gendes bekannt geben: Interfraktionell ist vereinbartworden, den Tagesordnungspunkt 6 – es handelt sich da-bei um den Dritten Armuts- und Reichtumsbericht derBundesregierung sowie weitere Berichte zum Thema –um die Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Programm für ein selbstbe-stimmtes Leben ohne Armut – Eine Neuformulierungdes Dritten Armuts- und Reichtumsberichtes“ aufDrucksache 16/10654 zu ergänzen. Außerdem soll derTagesordnungspunkt 9 abgesetzt und an dieser Stelle derTagesordnungspunkt 16, bei dem es um die Medienkom-petenz Älterer geht, beraten werden. Sind Sie mit diesenVereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwürfe zur Verbes-serung des Kinderschutzes und zur Änderung desBundeszentralregistergesetzes.Wegen des ressortübergreifenden Themas wird zu-gmgDoapmGwsüsdrruLbgERRedetnächst die Bundesministerin für Familie, Senioren,Frauen und Jugend, Frau Dr. Ursula von der Leyen, undanschließend die Bundesministerin der Justiz, FrauBrigitte Zypries, das Wort für einen einleitenden Berichterhalten. – Ich bitte Sie, Frau von der Leyen.Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ka-binett hat heute einen Gesetzentwurf zur Verbesserungdes Kinderschutzes beschlossen. Dieser Gesetzentwurfschließt Lücken, vor allem zum Schutz kleinerer Kinder.Wir wissen, dass ein Drittel der Kinder, die misshandeltwerden, jünger als ein Jahr sind. In zwei DFälle ist es die leibliche Mutter, die dies getaneinem Drittel der Fälle der leibliche Vater odPartner.
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Die nächste Frage stellt die Kollegin Haßelmann.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Auch ich habe eine
Frage an die Familienministerin. Frau von der Leyen,
wenn das, was Sie bislang im Kabinett diskutiert – das
ist auch öffentlich nachzulesen – und hier gerade erläu-
tert haben, vom Parlament so beschlossen werden
würde, würden die Aufgaben der Kommunen in Sachen
Kinderschutz erheblich erweitert, zumindest wenn ernst-
haft an der Umsetzung dieser zahlreichen Aufgaben ge-
arbeitet würde. Deshalb möchte ich Sie fragen, inwie-
weit geklärt ist, ob die Kommunen in die Lage versetzt
werden, diese Aufgaben durchzuführen, ob auch ihre fi-
nanzielle Ausstattung deutlich erweitert würde; denn sie
müssten ihre Leistungen im Jugendamtsbereich sowie in
anderen Bereichen intensivieren. Gibt es Vereinbarun-
gen zwischen den Ländern und Ihnen über die konkrete
Frage, wie die Kommunen in die Lage versetzt werden,
diesen erweiterten Aufgabenbereich wahrzunehmen und
ihn auch zu finanzieren?
Bitte schön.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Sie sprechen den zweiten Regelungsbereich an, näm-
lich die Klarstellung für Jugendämter, dass diese dann,
wenn ein Verdacht auf Misshandlung oder Verwahrlo-
sung vorliegt, verpflichtet sind, sich das Kind anzu-
schauen, statt nur in die Akten zu sehen oder sich auf das
Wort von Eltern oder Großeltern zu verlassen, wenn
diese sagen: Dem Kind geht es gut; es ist im Augenblick
nicht da; es schläft; wir können es Ihnen nicht zeigen.
In der überwiegenden Zahl der Jugendämter ist es
schon heute der Regelfall, dass man sich das Kind an-
sieht. Ich denke, es ist nachvollziehbar und plausibel,
dass man sich bei Verdacht auf Misshandlung eines Kin-
des zuerst das Kind anschaut. Aber es gibt und gab Fälle
– das haben wir in der Auswertung festgestellt –, in de-
nen über Wochen nur aufgrund der Aktenlage entschie-
den wurde. Man hat sich darauf verlassen, dass Dritte
gesagt haben, dem Kind gehe es gut. Auf diese Weise ist
gewissermaßen unter den Augen des Jugendamtes oder
der Behörden ein Kind verhungert. Deshalb stellen wir
die Lage klar.
Ich sehe das auch als Rückenstärkung für die Jugend-
ämter. Wie gesagt, die überwiegende Zahl der Jugend-
ämter verfährt so, dass das Kind angeschaut wird. Aber
in den Jugendämtern, in denen dies mangels Zeit oder
Personal nicht möglich ist, muss in der Tat, gemeinsam
etwa mit dem Stadtkämmerer, der Kommune oder der
Verwaltung, die Frage beantwortet werden: Warum geht
bei uns nicht das, was in anderen Kommunen selbstver-
ständlich ist? – Wir wollten gesetzlich klarstellen, dass
es selbstverständlich sein muss, dass die Kinder persön-
lich angeschaut werden.
Herr Kollege Lehrieder.
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Im Nachhinein gerne. Es gibt Daten von der Weltkon-
erenz in Rio.
Sie fragten auch danach, welche Initiativen ergriffen
orden sind. Die Änderung des Telemediengesetzes,
odurch Zugriffssperren ermöglicht werden, liegt in der
uständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums. All
as, was das Bundeskriminalamt betrifft, liegt in der Zu-
tändigkeit des Bundesinnenministeriums. Das Thema
inderschutz fällt in meine Zuständigkeit. Die betreffen-
en drei Bundesminister haben sich mit der Internetwirt-
chaft, das heißt mit sieben der größten Anbieter und den
achverbänden – 95 Prozent des Marktes sind dadurch
ertreten gewesen –, und dem BKA zusammengesetzt
nd haben darüber diskutiert, welches der beste Weg ist,
chnell zu Zugriffssperren zu kommen. Wir sind uns ei-
ig, dass solche Sperren technisch und rechtlich möglich
ind. Wir streben ein Zweistufenverfahren an. Wir wol-
en innerhalb der nächsten sechs bis acht Wochen eine
ür alle Seiten verbindliche Vereinbarung unterschrei-
en, verbindlich deshalb, weil seitens des Staates, des
KA, die entsprechenden Internetseiten identifiziert
erden müssen und weil Verlässlichkeit herrschen muss,
ass entsprechende Zugriffssperren vorgenommen wer-
en. Angestrebt ist hierbei eine Änderung des Tele-
ediengesetzes.
Herr Kollege Beck, wir sind bereits über die für dieegierungsbefragung vorgesehene Zeit. Sie schneiden
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIhren zwei Kolleginnen, die sich noch gemeldet haben,die Möglichkeit ab, Fragen zu stellen. Deswegen bitteich Sie, keine weiteren Zusatzfragen zu stellen.Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend:Darf ich kurz noch einen Abschlusssatz sagen? – HerrBeck, Sie haben nach dem internationalen Prozess ge-fragt. Wir werden hier in Kürze eine deutsche Nachfol-gekonferenz zum Weltkongress in Rio und im Sommerdieses Jahres eine internationale Nachfolgekonferenzdazu haben.
Jetzt erhält noch Frau Zypries das Wort.
Ich habe wahrscheinlich meine Stirn gerunzelt, um ir-
gendwelche Nieser zu vertreiben, keine Ahnung. – Be-
kanntlich haben wir, das Bundesjustizministerium,
nichts mit der Prävention zu tun. Das Bundesjustizminis-
terium ist für die Strafverfolgung zuständig. Dort sind
wir juristisch gut aufgestellt. Gespräche mit Providern
laufen bereits, nicht nur über die Bekämpfung der Kin-
derpornografie. Vielmehr sind wir schon seit meiner Zeit
als Staatssekretärin im Bundesinnenministerium sehr er-
folgreich bei der Bekämpfung neonazistischer Darstel-
lungen im Internet. Damals wurde beim BKA eine Ab-
teilung zum Streifegehen im Internet eingerichtet. Das
wird seither auch im Bereich der Kinderpornografie ge-
macht. Es geschieht also schon sehr viel. Von der Sache
her ist alles, was Frau von der Leyen gesagt hat, richtig.
Frau Kollegin Haßelmann, ich gebe Ihnen die Gele-
genheit zu einer kurzen Frage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Frage richtet
sich an die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Frau von der Leyen. Ich habe Ihren Ausführun-
gen auf meine Frage und auf die des Kollegen
Wunderlich entnommen, dass Sie sich im Rahmen des
Maßnahmenpaketes zum Kinderschutz mit einer ver-
stärkten Aufgabenwahrnehmung und Aufgabenerweite-
rung in der Jugendhilfe befassen und darüber mit dem
Parlament diskutieren wollen, dass Sie aber nicht beab-
sichtigen, im Gesetzgebungsverfahren eine dezidierte
Vereinbarung mit den Ländern über den kommunalen
Finanzausgleich zu treffen, sodass die Kommunen in die
Lage versetzt werden, diese Aufgaben finanziell zu
schultern. Ist es richtig, dass Sie bei der Position, wo-
nach es der jeweiligen Kommune obliegt, mit ihrem
Kämmerer eine Vereinbarung über eine Ausweitung des
Aufgabenspektrums zu treffen, bleiben werden? Ich
frage das vor dem Hintergrund, dass es eine Reihe not-
leidender Kommunen gibt, die in der Phase der Haus-
haltssicherung sind, klar festgelegte Aufgabenfelder
haben und keine Möglichkeit haben, das Aufgabenspek-
trum und die Aufgabenwahrnehmung zu erweitern. Es
kann daher der Eindruck entstehen, dass wir hier in Ber-
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Dann bedanke ich mich sehr herzlich bei den beiden
inisterinnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 16/11612, 16/11632 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
bs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
rage auf Drucksache 16/11632 auf. Diese bezieht sich
uf den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Die
rage beantwortet Herr Staatsminister Dr. Gernot Erler.
Ich rufe die dringliche Frage des Abgeordneten
ainder Steenblock auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung über die
Hintergründe der Ermordung des Menschenrechtsanwalts
Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija
Baburowa in Moskau am 19. Januar 2009 und die Bemühun-
gen der russischen Regierung und der Staatsanwaltschaft zur
Aufklärung dieser und früherer Verbrechen an Menschen-
rechtsaktivistinnen und -aktivisten?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Kollegeteenblock, meine Antwort lautet folgendermaßen: Derussische Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelownd die ihn begleitende Journalistin Anastasijaaburowa wurden am 19. Januar 2009 im Zentrum vonoskau auf offener Straße von einem unbekannten mas-ierten Täter ermordet. Wie schon der Bundesministeres Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, am0. Januar 2009 erklärte, ist die Bundesregierung überie Ermordung bestürzt und verurteilt diese feige Tat aufas Schärfste. Solche Gewalttaten gegen Anwälte undournalisten, wie auch Festnahmen und Übergriffe,
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Staatsminister Dr. h. c. Gernot Erlerschaffen ein Klima der Angst und drohen zivilgesell-schaftliches Engagement zu untergraben. Die russischenBehörden müssen diese Mordfälle rasch aufklären, dieTäter und Drahtzieher ermitteln und bestrafen.Stanislaw Markelow war ein respektierter und muti-ger Anwalt, der sich insbesondere für die Opfer vonMenschenrechtsverletzungen in Tschetschenien einge-setzt hat. Die junge Journalistin Anastasija Baburowa ar-beitete für die Zeitung Nowaja Gaseta, bei der auchAnna Politkowskaja tätig war. Der Bundesregierung lie-gen darüber hinaus keine eigenen Erkenntnisse über dieHintergründe der Mordfälle vor. Der Generalstaats-anwalt hat die Leitung der Ermittlungen übernommen.Dies legt die Vermutung nahe, dass die russische Füh-rung die Bedeutung und Tragweite der Mordfälle er-kannt hat. Die Bemühungen der russischen Behörden zurAufklärung früherer Verbrechen an prominentenVertretern der Zivilgesellschaft haben bislang nochwenig konkrete Ergebnisse gezeigt. Im Mordfall AnnaPolitkowskaja läuft derzeit ein Gerichtsverfahren.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank. – Herr Erler, wir sind uns sicherlich in
der Bewertung der aktuellen Ereignisse, die Sie gerade
vorgetragen haben, einig. Trotzdem würde mich eines
interessieren: Dieser Auftragsmord – ein solcher wird es
wahrscheinlich gewesen sein – reiht sich auf der einen
Seite in die Reihe mehrerer grober Menschenrechtsver-
letzungen, auch politischer Morde, in der Russischen Fö-
deration ein; auf der anderen Seite hat die russische Re-
gierung einen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten, nicht nur
durch den aktuellen Gasstreit, sondern auch schon früher
durch das Georgien-Engagement, um das einmal vor-
sichtig zu umschreiben, oder wegen der völlig isolierten
Anerkennung von Südossetien und Abchasien. Es gibt
also aktuell einen Glaubwürdigkeitsverlust im Hinblick
auf die Russische Föderation, den Terry Davis, der Ge-
neralsekretär des Europarates, als Zweifel an der Rechts-
staatlichkeit in der Russischen Föderation beschrieben
hat.
Wir können kein Interesse an mangelnder Rechts-
staatlichkeit haben; darin sind wir uns einig. Deshalb:
Wie bewertet die Bundesregierung das politisch, und
welche Aktion – es ist unser Interesse, dass die Russi-
sche Föderation ein stabiler, international akzeptierter
Verhandlungspartner ist – unternimmt die Bundesregie-
rung, um die Rechtsstaatlichkeit in der Russischen Föde-
ration, soweit ihr das möglich ist, zu fördern?
D
Ich glaube, zunächst einmal stimmen wir darin über-
ein, dass es außerordentlich beunruhigend ist, dass in der
russischen Öffentlichkeit immer wieder solche Mord-
fälle vorkommen, deren Aufklärung leider sehr lange
braucht oder die zum Teil gar nicht aufgeklärt werden,
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister,
ch will einen weiteren Aspekt ansprechen. Dieser Mord
st ja geschehen, kurz nachdem Budanow, der wegen
riegsverbrechen in Tschetschenien verurteilt worden
ar, vorzeitig freigelassen worden ist. Herr Markelow
at die Familie vertreten, deren Tochter von Budanow
ergewaltigt und ermordet worden ist. Er hat gesagt, er
olle jetzt auch gegen die vorzeitige Freilassung von
udanow gerichtlich vorgehen. Er ist dann kurze Zeit
ach diesen Erklärungen und Vorgängen – es war fast
ur ein Tag Abstand – ermordet worden.
Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass es im Militär der
ussischen Föderation Machtzentren gibt, die für diese
uftragsmorde entscheidende Anstöße geben? Gibt es
ach Ihren Erkenntnissen in der Russischen Föderation
nterschiedliche Entwicklungen, also einerseits eine
ntwicklung in Richtung Rechtsstaat und Demokratie
nd andererseits in Teilen der Regierung anscheinend
uch Machtzentren, die kein Interesse daran haben? Wie
erhalten Sie sich in dieser Situation?
D
Herr Kollege Steenblock, zwei Tage nach diesem Vor-all ist es in der Tat schwierig, Überlegungen über dieintergründe anzustellen. Sie haben korrekterweise denall Budanow erwähnt. Dieser Oberst hat eine 18-jäh-ige tschetschenische Frau erst vergewaltigt und dann er-ordet und hat dafür zehn Jahre Haft bekommen. Er istetzt nach achteinhalb Jahren Haft vorzeitig entlassenorden. Aber ob das der Hintergrund ist, ist nicht sicher,eil der ermordete Anwalt auch in einer Reihe von an-eren unbequemen Fällen tätig geworden ist und außer-em konkrete Drohungen gegen ihn ausgesprochen wor-
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21478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Staatsminister Dr. h. c. Gernot Erlerden sind, die nicht aus den Reihen des Militärs, sondernaus rechtsradikalen Kreisen kamen, die schon längereZeit ihre Unzufriedenheit über den Fall Budanow zumAusdruck gebracht und entsprechende Aktivitäten unter-nommen haben.Ich glaube, Sie haben Verständnis dafür, dass dieBundesregierung sich an Spekulationen darüber, wiejetzt hier aufgeklärt werden muss und wo die Spurenvielleicht hinführen, nicht im Detail beteiligen kann.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwor-
tung dieser dringlichen Frage.
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beant-
wortet worden ist, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 16/11612 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fra-
gen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär
Peter Hintze.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Hans-Josef
Fell auf:
Welche Wirkungen hätte der Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zum Energieleitungsausbaugesetz im Hinblick auf
die Zulässigkeit von Erdkabeln in der 110-kV-Ebene und die
Anerkennung von dadurch verursachten Mehrkosten als nicht
beeinflussbare, also auf die Strompreise umlegbare Kosten-
anteile?
P
Herr Kollege Fell, der Gesetzentwurf zum Energielei-
tungsausbaugesetz betrifft Höchstspannungsnetze, also
die 380-kV-Ebene, und nicht die 110-kV-Ebene. Insofern
hat er im Sinne Ihrer Frage keine Wirkungen.
Da die Bundesregierung aber nicht nur Fragen beant-
wortet, sondern auch immer darüber nachdenkt, was ge-
meint ist, will ich fortfahren. Der Entwurf zum Energie-
leitungsausbaugesetz ist Bestandteil des Entwurfs des
Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst-
spannungsnetze. In dessen Art. 2 findet sich eine Ände-
rung des § 43 Satz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes. Das
ist für Ihre Frage einschlägig. Das haben Sie wahr-
scheinlich auch gemeint.
In dieser gesetzlichen Vorschrift soll klargestellt wer-
den, dass im Falle der Verkabelung auf der 110-Kilovolt-
Ebene im 20-Kilometer-Streifen längs der Küste jede
110-Kilovolt-Leitung in diesem Gebiet als Erdkabel ver-
legt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob es
sich um eine Offshore-Anbindungsleitung oder den Aus-
bau im vermaschten herkömmlichen Wechselstromnetz
handelt.
Hinsichtlich der preislichen Wirkung ist darauf hinzu-
weisen, dass mögliche Mehrkosten solcher Erdkabel ge-
mäß § 11 Abs. 2 Nr. 7 der Anreizregulierungsverord-
nung in die Netzentgelte einfließen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
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21480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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ielmehr gibt es ein Schreiben der Ministerin an denorsitzenden der Jugend- und Familienministerkonfe-enz der Länder, Herrn Senator Zöllner. Dieses Schrei-en vom 15. Dezember 2008 ist auf irgendeine Art undeise an die Öffentlichkeit gelangt. Das ist die Basis da-ür gewesen.In diesem Schreiben steht auch nicht, dass die Minis-erin einen Entschädigungsfonds ablehnt. Vielmehr gings unter anderem darum, den Ländern deutlich zu ma-hen, was auf sie zukommt. Weil Sie sich damit beschäf-igt haben, wissen Sie selbst, dass viele Länder größteedenken haben. Als diese Problemstellungen seinerzeitufgetaucht sind, war der Bund ja gar nicht in ersterinie betroffen. Betroffen waren hauptsächlich die Wohl-ahrtsverbände und die Länder als bisherige Aufsichtsbe-örden. Seinerzeit gab es große Bedenken, dass durchiese Beschlusslage des Bundestages eine riesige finan-ielle Belastung auf die Länder zukommt.Deswegen steht in dem Schreiben, dass ein Entschä-igungsfonds nicht automatisch vorgesehen ist. Dasabe ich eben auch erwähnt. Es ist jedoch nicht ausge-chlossen, dass man hinterher zu einem solchen Ergeb-is kommt.Das Reizwort war der Begriff „Entschädigungs-onds“. Für denjenigen, der herangezogen wird, ist die-er Begriff ein Reizwort. Für denjenigen, der sich davoninanzielle Leistungen erhofft, stellt er vielleicht etwasositives dar.Ich sage ausdrücklich: Es ist nichts ausgeschlossen.Den Brief der Ministerin stelle ich Ihnen als Aus-chussmitglied gerne zur Verfügung. Man kann ihnissverstehen. Normalerweise ist aber völlig klar, wasamit gemeint ist. Das Ganze ist in der Öffentlichkeitalsch dargestellt worden, womit ein falscher Eindruckrweckt wurde; das will ich ausdrücklich sagen. Werich etwas mit der Entstehungsgeschichte beschäftigt hatnd weiß, dass die Länder es nicht als selbstverständlichmpfunden haben, dabei überhaupt mitzumachen, undass der Bund gesagt hat, das sei nicht seine vorrangigeufgabe, kann das sicherlich verstehen.Man hätte es vielleicht anders formulieren können;as mag sein. Dieser Brief war aber dazu gedacht, daserfahren zwischen den Ländern und dem Bund abzu-timmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21481
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Frau Kollegin Binder, bitte.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, dann wäre ich Ih-
nen sehr dankbar, wenn auch wir – meine Kollegin Elke
Reinke als Mitglied des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend und ich als stellvertretendes Mit-
glied des Petitionsausschusses – den Brief von Frau Mi-
nisterin von der Leyen zur Verfügung gestellt bekämen;
denn auch bei uns ist dies sehr missverständlich ange-
kommen.
Habe ich Sie in Ihren Aussagen richtig verstanden:
Der Entschädigungsfonds ist nicht erledigt, sondern ein
ergebnisoffener runder Tisch kann zu dem Ergebnis
kommen, dass ein solcher Fonds einzurichten ist?
Dann wären Sie auch bereit, sich damit zu befassen?
Dr
Der runde Tisch setzt sich ja auch aus Vertretern der
ehemaligen Träger, beispielsweise der Wohlfahrtsver-
bände und der Länder, zusammen. Wenn diese insgesamt
zu diesem Ergebnis kommen sollten, ist das ausdrück-
lich vorstellbar.
Zunächst müssen wir – das wissen Sie aus dem Peti-
tionsausschuss – allerdings überhaupt erkunden, um
welche Gruppen es sich handelt und welche Kriterien
angelegt werden könnten, weil es dort, wie Ihnen be-
kannt ist, ganz unterschiedliche Zusammensetzungen
gibt. Es muss Bilanz gezogen werden. Das Ergebnis ist
– ich sage das ganz ausdrücklich – offen. Ich habe kein
Problem damit, auch Ihnen diesen Brief zur Verfügung
zu stellen, zumal er ohnehin schon in der Öffentlichkeit
zu sein scheint.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Elke Reinke auf:
Warum plant das BMFSFJ, sich über eine Empfehlung des
Deutschen Bundestages hinwegzusetzen und mit der Organi-
sation des runden Tisches nicht mehr zwei unabhängige Dach-
organisationen der deutschen Jugendhilfe – AFET: Bundes-
verband für Erziehungshilfe e. V. und Deutsches Institut für
Jugendhilfe und Familienrecht e. V., DIJuF – zu betrauen?
Dr
Ich antworte Ihnen wie folgt: Eine umfassende Auf-
arbeitung kann nur gelingen, wenn sie von einer breiten
Basis mitgetragen wird. Hier braucht es einen Partner,
der aufgrund seiner Mitgliederstruktur breit aufgestellt
und fachlich geeignet ist und bei dem das Thema auf
große Akzeptanz stößt. Aufgrund dieser Kriterien haben
wir in Ergänzung zu den beiden anderen Trägern einen
entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Verschiedene
Überlegungen stehen jetzt im Raum; sie werden zurzeit
mit den Ländern abgestimmt. Dazu gibt es aber noch
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21482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kueskommen, in der diese Zeit im Einzelnen aufgearbeitetwird. Gleiches gilt im Prinzip für die Wohlfahrtsver-bände, die unter ähnlichen Bedingungen gearbeitet ha-ben. Das sollte man fairerweise dazusagen. Aus meinerSicht ist in der Öffentlichkeit eine Diffamierung vorge-nommen worden, für die es überhaupt keine Basis gibt.
Da Sie keine weitere Zusatzfrage haben, sind wir da-
mit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank,
Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die
Frage 8 des Kollegen Rainder Steenblock wird schrift-
lich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung. Die Fragen beant-
wortet der Parlamentarische Staatssekretär Andreas
Storm.
Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Cornelia
Hirsch auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass
das mit der Föderalismusreform I verabschiedete Koopera-
tionsverbot im Grundgesetz eine wirksame bildungspolitische
Offensive im Rahmen des Konjunkturpaketes II verhindert
hat?
Bitte schön, Herr Storm.
A
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Abgeordnete
Hirsch, gestatten Sie mir, die Fragen 9 und 10 gemein-
sam zu beantworten?
Das ist der Fall. Dann rufe ich auch noch die Frage 10
auf:
Wie verhält sich der jetzige Umfang des Konjunkturpake-
tes II im Bereich des Ausbaus der bildungspolitischen Infra-
struktur zu den Versprechen der Bundesministerin für Bildung
und Forschung, Dr. Annette Schavan, im Dezember 2008?
A
Im Rahmen des von Bund und Ländern vorgesehenen
zweiten Konjunkturprogramms ist ein Investitionspro-
gramm „Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand“
vorgesehen. Die dort vorgesehenen Finanzhilfen des Bun-
des für Investitionen der Länder und Kommunen sollen
schwerpunktmäßig den Kindergärten, der Schulinfra-
struktur, den Hochschulen und der Forschung zugute
kommen. Auf diesen Investitionsschwerpunkt sollen
65 Prozent der Finanzhilfen entfallen. Die mit der
Föderalismusreform I erzielten Ergebnisse stellen somit
die mit dem Investitionsprogramm verfolgte Zielset-
zung, die Perspektiven für die wirtschaftliche Entwick-
lung Deutschlands zu verbessern, nicht infrage. Damit
werden die Vorschläge der Bundesministerin für Bildung
und Forschung, Frau Dr. Annette Schavan, weitgehend
umgesetzt.
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Frau Kollegin Enkelmann, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, das sei alles
anz leicht. Ich habe im Spiegel dieser Woche von einer
ungen verheirateten Frau gelesen, die seit sieben Jahren
n der Bundesrepublik lebt. Sie hat ein Jurastudium ab-
olviert, und das mit hervorragenden Ergebnissen. Man
ann also davon ausgehen, dass sie sowohl unsere Ge-
ellschaft als auch unser Rechtssystem kennt. Halten Sie
s für angemessen, dass diese Frau einen Einbürgerungs-
est machen soll? Halten Sie das für einen leichten Weg,
emanden einzubürgern, der seinen Lebensmittelpunkt
ier hat?
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Frau Kollegin, wie Sie sich denken können, habe
uch ich diesen Artikel gelesen. Wir beschäftigen uns
it dem Einbürgerungstest seit einiger Zeit. Ich möchte
ie zunächst darauf hinweisen, wie die derzeitige recht-
iche Lage ist. Es ist vorgesehen, dass den Einbürge-
ungstest nicht ablegen muss, wer in Deutschland über
inen Hauptschulabschluss oder über einen vergleichba-
en Schulabschluss verfügt. Dies war bei der betreffen-
en Person nicht der Fall.
Was zu geschehen hat, wenn jemand in Deutschland
in Studium abgeschlossen hat, ist weder in den Rege-
ungen noch in den vorläufigen Verwaltungsvorschriften
bschließend geregelt. Dies wird im Augenblick mit den
undesländern – sie sind für die Durchführung
uständig – besprochen. Ich gehe davon aus, dass man
m Ende der notwendigen Prüfungen zu einer flexiblen
nd pragmatischen Lösung kommen wird, die dem Ein-
elfall gerecht wird.
Herr Kollege Wunderlich.
Herr Staatssekretär, auf die Frage meiner Kolleginağdelen zum Prüfauftrag im Hinblick auf kommunalesahlrecht haben Sie geantwortet, was im Koalitionsver-rag stehe, besprächen die Koalitionsparteien miteinan-er; der Rest des Parlaments werde zu gegebener Zeit in-ormiert. Sehe ich es richtig, wenn ich sage, dass daseißt, dass die Bundesregierung von Parteien Prüfauf-räge annimmt, am Parlament vorbei, und sich damit der
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21486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Jörn Wunderlichparlamentarischen Kontrolle solcher Prüfaufträge ent-zieht? Anders kann man das, was Sie geäußert haben,meiner Überzeugung nach nicht deuten.P
Ich möchte Sie herzlich bitten, mir nicht das Wort im
Mund herumzudrehen. Ein vergleichbarer Prüfauftrag
des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung ist
bislang nicht ergangen. Einen Prüfauftrag des Deutschen
Bundestages werden wir selbstverständlich in der kür-
zesten denkbaren Frist beantworten.
Sie haben sich auf den Koalitionsvertrag bezogen.
Die Umsetzung des Koalitionsvertrages liegt zuvörderst
in der Verantwortung der die Koalition tragenden Par-
teien und Fraktionen. Das werden Sie nicht bestreiten
wollen; es gibt ja auch Regierungen, an denen Ihre Partei
beteiligt ist. Zumindest eine solche Regierung gibt es
noch; es werden ja immer weniger. Ich habe gesagt:
Selbstverständlich werden wir im Zuge der Umsetzung
des Prüfauftrages das Parlament über die Ergebnisse un-
terrichten, wie wir das im Übrigen immer tun. Es ist weit
hergeholt, daraus in irgendeiner Form eine Missachtung
oder Geringschätzung des Parlaments herleiten zu wol-
len.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Keskin auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass eine
eigens eingerichtete Monitoringkommission die Umsetzung
der diesbezüglichen Europaratsbeschlüsse in Deutschland
überprüft?
P
Herr Kollege Keskin, ich muss Sie auf die Beantwor-
tung der Kleinen Anfrage verweisen, in der wir dazu be-
reits Stellung genommen haben. Im Übrigen ist der Bun-
desregierung nicht bekannt, dass der Europarat eigens
eine Monitoringkommission eingerichtet habe, die die
Umsetzung der Empfehlungen 1839 und 1840
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
überprüfen solle.
Die Bundesregierung nimmt die Empfehlungen der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates auch
im Hinblick auf die in Empfehlung 1840 Nr. 4
angesprochenen Monitoringmissionen zur Kenntnis. Sie
verweist insoweit auf die Einladung an die Europäische
Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ECRI, in
Nr. 4.7 der Empfehlung 1840 und auf die Ende
2008 in Deutschland durchgeführte ECRI-Monitoring-
mission. Den Dopplungen und inhaltlichen Überschnei-
dungen, welche die empfohlenen zusätzlichen Monito-
ringmissionen mit sich brächten, steht die
Bundesregierung skeptisch gegenüber. Ich kann Ihnen
aber sagen, dass die Ende 2008 in Deutschland durchge-
führte ECRI-Monitoringmission sehr erfolgreich verlau-
fen ist. Davon habe ich mich selbst überzeugen können.
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Danke, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Altmaier, neh-
men wir einmal an, dass bei der Überprüfung der Moni-
toringkommission festgestellt wird, dass es auch hier in
Deutschland in der Tat, wie ich meine und wie das durch
die Fakten auch belegt wird, Demokratiedefizite im Be-
reich der politischen Partizipation usw. gibt. Was würde
die Bundesregierung dann tun? Würde die Bundesregie-
rung diese Defizite dann tatsächlich wohlwollend über-
prüfen und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen,
um diese Defizite zu beheben?
P
Herr Kollege Keskin, Sie stimmen doch wahrschein-
lich mit mir überein, dass es sich auch aufgrund des Re-
spekts, den wir dem Europarat und seinen Monitoring-
kommissionen schulden, verbietet, den Empfehlungen
und Ergebnissen dieser Kommissionen vorzugreifen.
Deshalb schlage ich vor, dass wir getrost und ruhig ab-
warten, was die Monitoringkommissionen letzten Endes
empfehlen werden, und dass wir uns anschließend in der
gebotenen seriösen und unaufgeregten Weise mit diesen
Empfehlungen auseinandersetzen.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Inneren. Vielen Dank, Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Altmaier, für die Be-
antwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht Herr Staatssekretär Karl Diller bereit.
Die Frage 19 des Kollegen Ilja Seifert wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Ulrich Adam
auf:
Welche Brief- und Sondermarken der Deutschen Bundes-
post/Deutschen Post AG seit ihrem Bestehen sowie welche
DM- und Euro-Gedenkmünzen widmeten sich – bitte einzelne
Ausgaben mit dem Herausgabejahr auflisten – den Verfolgten
und Opfern der kommunistischen/stalinistischen Gewaltherr-
schaft und der SED-Diktatur?
K
Herr Kollege Adam, zunächst zu den Briefmarken:
Im Jahre 1953 gab es aus Anlass des Volksaufstandes am
17. Juni 1953 in der DDR und in Ostberlin ein Sonder-
postwertzeichen. Es gab im Jahre 1995 ein Sonderpost-
wertzeichen den Opfern von Teilung und Gewalt, für
den Zeitraum von 1945 bis 1989, gewidmet; es wurde
1995 wegen des Beginns der Teilung vor 50 Jahren he-
rausgegeben. Im Jahre 2003 gab es ein Sonderpostwert-
zeichen aus Anlass des 50. Jahrestages des Volksaufstan-
des am 17. Juni 1953.
Nun zur Herausgabe von Münzen: Ebenfalls im Jahre
2003 gab es eine 10-Euro-Silbergedenkmünze zum
50. Jahrestag des Volksaufstandes, die sich den verfolg-
ten Opfern der SED-Diktatur widmete.
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enn ich weiß, wie viele Tausende von Sozialdemokra-
en unter dieser Zwangsvereinigung und der folgenden
erfolgung zu leiden hatten. Deswegen bin ich sehr zu-
rieden, dass sich die Post AG sozusagen postwendend
azu entschlossen hat, die Auslieferung dieser Medaillen
inzustellen.
leichwohl bleibt die Verantwortung beim Vorstand.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie die Verantwortung beimorstand der Deutschen Post sehen, aber einräumen,ass die Bundesregierung – obwohl sie als Mitaktionäriteigentümer der Deutschen Post AG ist – keinen di-ekten politischen Einfluss nehmen kann, frage ich Sie:ie beurteilen Sie dann die Möglichkeiten der Öffent-ichkeit, auf solche wichtigen symbolträchtigen, dieeutsche Öffentlichkeit berührenden Entscheidungen dereutschen Post Einfluss zu nehmen?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21489
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K
Herr Kollege, ich gehe davon aus, dass der Umstand
der Herausgabe dieser total verunglückten Medaillen der
Deutschen Post AG eine Lehre ist, die sie hochgradig für
künftige Gedenkmedaillen aus historischen oder wel-
chen Anlässen auch immer sensibilisieren wird.
Frau Kollegin Bellmann, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wie viele
Exemplare dieser Gedenkmedaille bereits in Umlauf ge-
kommen sind und zu welchen Preisen diese gehandelt
wurden?
K
Dazu liegen mir im Moment keine Erkenntnisse vor.
Wir werden bei der Deutschen Post AG Rückfrage hal-
ten und Sie dann informieren.
Herr Kollege Adam, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob sich die
Deutsche Post AG bei den Opfern des Kommunismus/
Stalinismus bzw. bei deren Verbänden und Vereinigun-
gen für diese Gedenkmedaille entschuldigt hat?
K
Auch darüber liegen mir keine Erkenntnisse vor; das
muss ich gestehen. Ich weiß, dass einzelne Abgeordnete
Beschwerden an den Vorstandsvorsitzenden gerichtet
haben und der Vorstandsvorsitzende sein Bedauern in
seiner Antwort zum Ausdruck gebracht hat.
Frau Michalk, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben Ihrer Empörung über
diesen Vorgang Ausdruck verliehen. Ich frage Sie, wel-
che Empfehlung Sie dem Vorstand geben, was mit den
noch nicht in Umlauf befindlichen Münzen geschehen
soll.
K
Einschmelzen.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Wolfgang Bosbach, René Röspel, Katrin Göring-
Eckardt und weiteren Abgeordneten eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verankerung
der Patientenverfügung im Betreuungsrecht
– Drucksache 16/11360 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Zöller, Dr. Hans Georg Faust,
Dr. Herta Däubler-Gmelin und weiteren Abge-
ordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Klarstellung der Verbindlichkeit von
– Drucksache 16/11493 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
ehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können
ir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er dem Kollegen Peter Weiß das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Krankheit und Sterben sind Teil unseres menschli-hen Lebens. Zentrale Richtschnur allen Handelns, auchn Krankheit und Sterben, ist die unverfügbare Würdees betroffenen Menschen. Der Respekt vor der Einzig-rtigkeit des Lebens verbietet jede Instrumentalisierunges Schicksals eines Schwerkranken oder Sterbenden,ede Abwertung seiner Lebenslage, jede Fremdbestim-ung seines Willens. Um eine solche Fremdbestimmungu vermeiden und dem Selbstbestimmungsrecht eine
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21493
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Peter Weiß
starke Stellung zu geben, wollen wir Patientenverfügun-gen auf eine sichere rechtliche Grundlage stellen. Darumgeht es.Viele Menschen verbinden ja mit der Aussicht darauf,dass sie vielleicht eines Tages entscheidungsunfähig sindund sich nicht mehr äußern können, große Befürchtun-gen, nämlich dass Dinge geschehen könnten, die sienicht wollen, dass sie einer, wie sie sagen, kalten Appa-ratemedizin ausgeliefert sein könnten, dass Schmerz undLeid unnötig verlängert werden könnten. Deswegenwollen immer mehr Menschen Vorsorge treffen und si-cherstellen, dass ihr Wille ge- und beachtet wird. Mitdem von mehreren Abgeordneten aus mehreren Fraktio-nen heute eingebrachten Gesetzentwurf zur Verankerungder Patientenverfügung im Betreuungsrecht soll dieAchtung des Selbstbestimmungsrechtes des Einzelnengestärkt werden. Zugleich wollen wir aber auch Lebens-schutz, ärztliche Fürsorge und Patientenwohl gewahrtwissen.Sicher, der im Voraus für den Fall der Nichteinwilli-gungsfähigkeit verfügte Wille ist stets zu beachten. Al-lerdings ist es nach aller menschlichen Erfahrung eingefährlicher, ja vielleicht sogar lebensgefährlicher Fehl-schluss zu meinen, dass ein früher einmal geäußerterWille in jedem Fall dem aktuellen Willen des Betroffe-nen entspricht. Er kann diesem Willen entsprechen, aberes muss nicht zwingend so sein. Würde der Betroffenejetzt, da er schwer krank ist, genauso handeln wie da-mals, als er noch gesund war und eine Patientenver-fügung geschrieben hat? Ist angesichts des rasantenFortschritts in der modernen Medizin jede vor 10 oder20 Jahren niedergelegte Willensäußerung tatsächlichnoch aktuell? Würde der Patient genauso bestimmen wiedamals, als er noch nicht wusste, dass jetzt im Gegensatzzu früher für ihn Heilungschancen bestehen?Solche Fragen zu stellen heißt nicht, das Selbstbe-stimmungsrecht des Patienten zu relativieren, sondernzeugt davon, dass man den Patientenwillen tatsächlichernst nehmen und ihm zu jeder Zeit Geltung verschaffenwill. Um dafür einen klaren Rechtsrahmen zu schaffen,schlagen die Antragsteller ein, wie ich finde, einfachesVerfahren vor, auch wenn uns unterstellt wird, es sei sehrkompliziert. Wenn jemand möchte, dass tatsächlich das,was er niedergeschrieben hat, auch exakt so in jeder Si-tuation durchgeführt wird, dann kann er das in einernach ärztlicher Beratung ausgefüllten Patientenverfü-gung anordnen. Zugleich sieht unser Vorschlag vor, dassder Abfassung einer solchen Patientenverfügung eineausführliche ärztliche und rechtliche Aufklärung voraus-gegangen sein muss, sie von einem Notar beurkundetwerden muss und sie nicht älter als fünf Jahre sein darf,also jeder im vollen Wissen des ärztlich und rechtlichMöglichen seine Patientenverfügung erstellt.Wenn jemand das nicht machen will, kann er selbst-verständlich in jeder anderen Form schriftlich einePatientenverfügung abfassen und den Abbruch einer le-benserhaltenden Behandlung anordnen. Der Arzt oderder Betreuer müssen sich auch daran halten, wenn eineunheilbare, tödlich verlaufende Krankheit oder eine Si-tuation vorliegt, in der der Patient mit an Sicherheitgrenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung allermwtshzglcmkrsesBZs2kdemswrddPunwdpnc
Dass Menschen in Würde sterben können, das sollteiel unserer gemeinsamen politischen Bemühungenein.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits004 und 2006 haben die Liberalen Anträge für die Stär-ung von Patientenverfügungen in den Deutschen Bun-estag eingebracht. Es ist auch schon wieder mehr alsin halbes Jahr her, dass der Kollege Stünker gemeinsamit mir und 200 anderen Abgeordneten hier einen Ge-etzentwurf eingebracht hat, um Patientenverfügungenirklich zu stärken.Fünf Jahre lang warten die Menschen inzwischen da-auf, dass dieses Hohe Haus eine Entscheidung über alleiese widerstreitenden Vorschläge trifft. Jetzt ist genuger Blockade; jetzt muss entschieden werden.
Das Sterben ist Teil des Lebens. Wir reden heute überatientenverfügungen. Sie sind ein wichtiger Baustein,m Würde am Lebensende zu ermöglichen, aber ebenur ein Baustein. Genauso gehört mehr menschliche Zu-endung für Sterbende dazu. Gerade für die Menschen,ie zu Hause sterben wollen, brauchen wir endlich einerofessionelle ambulante Palliativmedizin, und zwaricht nur in den Großstädten, sondern auch in der Flä-he.
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21494 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Michael KauchAll diese Maßnahmen sind kein Widerspruch zu einerPolitik für mehr Patientenautonomie. Beides gehört zu-sammen. Fürsorge ohne Selbstbestimmung ist genausoschlimm wie Selbstbestimmung ohne Fürsorge.Die moderne Medizin hat Möglichkeiten geschaffen,von denen wir vor 50 Jahren nicht zu träumen gewagthätten. Ob man das als Geschenk oder als Qual empfin-det, kann nur jeder einzelne Mensch für sich selbst ent-scheiden.Niemand muss eine Patientenverfügung abfassen.Wer sich entscheidet, festzulegen, was ihm wichtig ist,hat aber auch den Anspruch, dass dieses Parlament sei-nen Willen achtet.
Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Wirhaben keine naive Vorstellung von Selbstbestimmung,wie Herr Weiß uns das unterstellt hat. Mit Patientenver-fügungen verfüge ich natürlich etwas für die Zukunft.Das ist immer ein schwächerer Wille als das, was ichhier und jetzt äußere. Aber was ist denn die Alternative?Die Alternative zum vorausverfügten Willen unter Unsi-cherheit ist, dass ein Dritter entscheidet. Die Alternativeist die Fremdbestimmung des Menschen.Lassen Sie mich zu den heutigen Entwürfen kommen.Der Entwurf der Kollegen Zöller und Faust ist in denentscheidenden Fragen – in den Entscheidungsregeln, inder Reichweite – auf einer Linie mit dem Entwurf vonHerrn Stünker und mir. Wir wollen gemeinsam keineBeschränkung der Reichweite. Wir wollen das Vor-mundschaftsgericht nur in Konfliktfällen einschalten.Wir wollen vor allem eine Bürokratisierung des Sterbensverhindern.Unsere Entwürfe unterscheiden sich in einigen De-tails. Aber ich bin ausgesprochen zuversichtlich, dass esuns nach einer sachlichen Anhörung gelingt, diese Ent-würfe zusammenzuführen. Es macht keinen Sinn, an deneigenen Formulierungen zu kleben und auf ihnen zu be-harren. Es geht darum, eine breite parlamentarischeMehrheit für mehr Selbstbestimmung von Patienten zuerreichen.
Lassen Sie mich hinzufügen: Weder der Entwurf vonHerrn Zöller und Herrn Faust noch der Entwurf vonHerrn Stünker und mir beinhaltet einen Automatismusfür die Patientenverfügung. Ich habe gehört, HerrBosbach habe heute einigen Journalisten gesagt: Einejunge Radfahrerin, die stürzt und aufgrund ihrer Verlet-zungen ins Koma fällt, würde nach unserem Gesetzent-wurf nicht behandelt werden, wenn sie vorher in einerPatientenverfügung festgelegt hat, dass sie in diesemFalle nicht behandelt werden möchte. – Das ist natürlichUnsinn.
–btZwfdidtdeZsdcStEnzHlbPzagWvwfdgsmsVvwhdHf
Ich möchte den Gesetzentwurf von Herrn Bosbachicht selber kommentieren, sondern die Gelegenheit nut-en, ein Zitat aus einem Kommentar anzuführen, der vonerrn Professor Borasio, Inhaber des Lehrstuhls für Pal-iativmedizin an der Universität München, stammt. Erezeichnet den Entwurf von Herrn Bosbach alsatientenverfügungsverhinderungsgesetz, das auf medi-inisch fehlerhaften Annahmen basiert, unnötige Hürdenufbaut und ein groß angelegtes Beschäftigungspro-ramm für Notare und Vormundschaftsgerichte darstellt.eiter meint er: Die letzte Lebensphase wird massiverrechtlicht und damit entmenschlicht. Dieses Gesetzürde sehr viele Menschen ihres Grundrechts auf einenriedlichen und natürlichen Tod berauben. Bevormun-ung statt Fürsorge. Der ethische Paternalismus lässtrüßen. – Das spricht für sich.Wenn ein Palliativmediziner eine solche Gesamtein-chätzung Ihres Entwurfs trifft, dann muss man sich ein-al anschauen, was Palliativmediziner zu einzelnen Be-timmungen Ihres Entwurfes sagen. Darin heißt es, dasserfügungen, die Krankheiten betreffen, die keinen irre-ersiblen, tödlichen Verlauf nehmen, nur dann gelten,enn sie notariell beurkundet werden und wenn es vor-er eine ärztliche Beratung gegeben hat. Was sind denniese irreversiblen, zum Tode führenden Erkrankungen?err Borasio schreibt, dass das medizinisch nicht klarestzulegen ist.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21495
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Herr Kollege Kauch, lassen Sie eine weitere Zwi-
schenfrage des Kollegen Bosbach zu? – Herr Bosbach,
bitte sehr.
Herr Kollege Kauch, was Sie gerade angesprochen ha-
ben, ist ein ausgesprochen wichtiges Argument. Es geht
nämlich um die Frage: Kann man dieses Tatbestands-
merkmal in der ärztlichen Praxis überhaupt feststellen?
Ich zitiere aus der entsprechenden Empfehlung der Baye-
rischen Staatsministerin für Justiz und für Verbraucher-
schutz. Sie schlägt folgende Formulierung wortwörtlich
vor:
… wenn ich mich im Endstadium einer unheilba-
ren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, selbst
wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist.
Wie erklären Sie sich die von Ihnen angeführte Stellung-
nahme von Herrn Professor Borasio angesichts der Tat-
sache, dass diese Formulierung von dem Beiratsmitglied
Professor Domenico Borasio empfohlen wird?
Herr Borasio schreibt in dem Papier, das mir vorliegt:
Da wir alle sterben werden, kann die Definition einer
tödlich verlaufenden Krankheit nur lauten, dass Patien-
ten mit dieser Krankheit eine im Vergleich zu gleichaltri-
gen Gesunden signifikant verminderte Lebenserwartung
aufweisen. Das gilt für die meisten Krebserkrankungen,
aber genauso für Demenz-, für Wachkoma-, für Herz-
insuffizienz-Patienten und für die multimorbiden, hoch-
betagten geriatrischen Patienten. Hier eine klare Grenze
zu ziehen, ist medizinisch-wissenschaftlich unmöglich.
Soll das politisch anders sein? – Ich glaube, wir werden
im Rahmen der Anhörung Gelegenheit haben, über diese
Kontroverse zu diskutieren. Diese Äußerung macht
deutlich, dass offensichtlich auch Ärzte mit Ihrem Krite-
rium ein Problem haben. Abgesehen davon müssen wir
uns die Frage stellen, was ist, wenn man Ihre Formvor-
schriften nicht einhält. Was passiert dann? Dann werden
die Menschen zwangsbehandelt,
dann wird wiederbelebt, dann wird beatmet, dann wer-
den Magensonden gelegt, wird Blut übertragen, werden
Antibiotika verabreicht, und das alles gegen den aus-
drücklichen Willen des Patienten.
Zudem ist Ihr Entwurf ein Beschäftigungsprogramm
für die Vormundschaftsgerichte. Sie sagen: In all den
Fällen, in denen es nicht um irreversibel zum Tode füh-
rende Krankheiten geht, muss das Vormundschaftsge-
richt selbst dann angerufen werden, wenn Arzt, Betreuer
und alle Angehörigen sich darüber einig sind, dass dies
der Wille des Patienten ist. Das bringt eine lange Verfah-
rensdauer mit sich, und wir wissen, was das bedeutet:
Das bedeutet, dass man vielleicht zwar recht hat, aber
doch nicht recht bekommt. In der Sterbephase geht es
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Die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich von
atientenverfügungen müssen klar geregelt werden. Wir
ollten nicht nur von Selbstbestimmung sprechen; wir
ollten die Selbstbestimmung in unseren Gesetzentwür-
en auch absichern. Ich hoffe, dass die Argumente, die
ie Experten vorbringen werden, im Rechtsausschuss,
ber auch im Plenum dieses Hauses, gut abgewogen
erden, damit wir zu einer wirklich sachgerechten Lö-
ung für die Menschen in diesem Land kommen.
Nun hat das Wort der Kollege Christoph Strässer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnennd Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst ein-al möchte ich sagen, dass es gut, richtig und wichtigst, dass wir nach einer sehr langen Debatte nunmehr ininer Phase sind, in der Entscheidungen getroffen wer-en können.Ich möchte an dieser Stelle nachdrücklich den hohenrztefunktionären widersprechen, die noch heute gesagtaben, dass es für die Regelung eines solchen Sachver-altes einer gesetzlichen Regelung nicht bedarf.
er die Debatten der letzten Wochen, Monate und Jahreerfolgt hat und Veranstaltungen zu diesem Thema be-ucht hat – nach meiner Kenntnis waren es die bestbe-uchten politischen Veranstaltungen in vielen Wahlkrei-en –, der kann sich über eine solche Einschätzung nurundern. Die Menschen in diesem Land, die davon be-roffen sind, erwarten von den Parlamentarierinnen undarlamentariern, dass sie Entscheidungen treffen. Ich binehr froh darüber, dass wir jetzt auf einem guten Wegind, auch wenn es inhaltlich unterschiedliche Positio-ierungen gibt.
Wir haben meiner Ansicht nach darüber zu reden,ass wir – jedenfalls nach dem Entwurf des Kollegentünker, den auch ich vertrete – von zwei unterschiedli-hen Lebenssachverhalten ausgehen. Der erste Lebens-achverhalt ist folgender: Ein Mensch, der sich in einerituation befindet, in der er entscheidungsfähig ist, er-lärt schriftlich, wie er in einer Situation, in der er auf-rund seines Gesundheitszustandes nicht mehr selbstntscheiden kann, also in bestimmten Krankheitssitua-onen, behandelt oder eben auch nicht behandelt werdenöchte. Ich glaube, dass es dem Selbstbestimmungsrechtnd damit einer Grundentscheidung unseres Wertesys-
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Christoph Strässertems geschuldet ist, diesem Willen eines entscheidungs-unfähig gewordenen Menschen Geltung zu verschaffen;denn dies ist nach meiner Überzeugung Kernbestandteilunserer Rechtsordnung: Der erkennbare Wille eines er-krankten Menschen am Ende seines Lebens ist nicht we-niger wert als der erklärte Wille eines Menschen, dersich selbst erklären kann.
Dabei geht es – das halte ich für besonders wichtig underwähnenswert – um den Willen des Patienten. Es gehtnicht, wie oft kolportiert wird, um den Willen eines Be-treuers, eines Bevollmächtigten oder eines behandelndenArztes. Niemand hat nach unserer Überzeugung dasRecht, seinen Willen an die Stelle des Willens eines ent-scheidungsunfähig gewordenen Patienten zu setzen.
Das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf zur Patien-tenverfügung regeln. Hierfür gilt es einen Rahmen zuschaffen.Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen – vielleichtsehen viele das ähnlich –: Wir wollen und können keinekonkreten Formulierungen vorgeben, die in den Patien-tenverfügungen stehen müssen. Wir möchten nur errei-chen, dass, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, dieden Regeln, die der Gesetzgeber nach dieser sehr inten-siven Beratung aufstellt, entspricht, dem Willen, der da-rin niedergelegt ist, gefolgt wird. Das ist die einzigeStoßrichtung unserer Arbeit an dieser Stelle.
Es geht nicht darum – das hat Kollege Kauch, wie ichfinde, völlig zu Recht gesagt –, hier einen Automatismusin Gang zu setzen. Ich verweise, weil ich diese Diskus-sion teilweise nicht verstehe, sehr deutlich auf das, wasin unserem Gesetzentwurf in § 1901 b Abs. 1 undAbs. 2, auf den ich noch zu sprechen komme, steht. Die-ser bewirkt genau das Gegenteil von Automatismus.Dort steht ganz klar, dass in jeder Situation, in der mit ei-ner schriftlichen Patientenverfügung gearbeitet werdenmuss, der Betreuer zu entscheiden hat, ob das, was darinniedergelegt ist, sowohl dem Willen des Patienten alsauch seiner konkreten Lebens- und Behandlungssitua-tion entspricht. Das ist kein Automatismus, sondern eineÜberprüfung des Willens des Patienten. Ich denke, dasist eine Form des Selbstbestimmungsrechts, die wir zuakzeptieren haben.
In § 1901 b Abs. 2 ist der Fall geregelt – ich glaube,dieser Lebenssachverhalt ist noch wichtiger –, in demkeine schriftliche Patientenverfügung vorliegt. Auch da-für haben wir klare Regelungen vorgeschlagen, die ge-nau das Gegenteil von Automatismus bewirken. IchgZBgbWnd§aftEmdKgeAwdsKgvDabdgdaIeputdPhGSs
eshalb werbe ich dafür, in den Verhandlungen, die jetztnlaufen, eine breite Mehrheit in diesem Parlament her-eizuführen.Ich möchte zum Schluss das aufgreifen, was die bei-en Vorredner schon gesagt haben: Die Patientenverfü-ung ist ein Bestandteil der Menschenwürde am Endees Lebens. Hospizarbeit und Palliativmedizin habenuch in Deutschland einen neuen Stellenwert gewonnen.ch fordere deshalb die gesetzlichen Krankenkassen auf,ndlich die Blockade der Umsetzung der ambulantenalliativmedizinischen Versorgung aufzugeben
nd es den Ärztinnen und Ärzten, die an dieser Stelle tä-ig sind, zu ermöglichen, auch materiell dafür zu sorgen,ass eine menschenwürdige Behandlung im Rahmen deralliativmedizin auch in Deutschland möglich wird.Die Palliativmedizin im Rahmen der seit 2007 beste-enden gesetzlichen Grundlagen zu verbessern und dierundlagen für eine vernünftige Patientenverfügung zurelbstbestimmung zu schaffen – dies erwarten die Men-chen in diesem Land von uns.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21497
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche.
Sehr geehrte Präsidentin! Werte Abgeordnetenkolle-
ginnen und -kollegen! Ein würdiges Leben bis zuletzt le-
ben zu können – diesen Wunsch eines jeden Menschen
abzusichern ist das, was uns hier im Parlament eint. Die-
ser Wunsch ist für viele Menschen ein Grund, eine Pa-
tientenverfügung abzufassen.
Schon durch das Grundgesetz ist es geboten, das
Selbstbestimmungsrecht als Kernbereich der Menschen-
würde zu garantieren. Im Zustand der Hilfsbedürftigkeit
und Abhängigkeit am Ende des Lebens muss sich dieses
Menschenrecht bewähren. Doch wir bewegen uns kei-
nesfalls auf patientenrechtlichem Neuland. Es gibt Ster-
bebegleitrichtlinien der Bundesärztekammer. Darin wird
den Umständen des hoch individuellen Sterbegesche-
hens Rechnung getragen. Sie beinhalten, dass ein Be-
handlungsziel geändert werden muss, wenn keine wirk-
lich relevanten Angebote mehr gemacht werden können,
sodass der natürliche Sterbeprozess seinen Lauf nehmen
kann. So haben Menschen bereits heute die Möglichkeit,
lebensverlängernde technische Maßnahmen abzuleh-
nen. Ärzte müssen den erklärten Willen der Patientinnen
und Patienten befolgen.
Es gilt aber auch, denen Sicherheit zu geben, die auf-
grund des Krankheitsverlaufes keine autonome Willens-
erklärung mehr abgeben können. Das wollen wir in un-
serem Entwurf durch folgende Regelungen sicherstellen:
Erstens. Niemand ist oder wird genötigt, eine Patien-
tenverfügung abzufassen.
Zweitens. Eine Patientenverfügung ist für die Behan-
delnden verbindlich. Sie unterliegt keiner Reichweiten-
begrenzung. Das stellt sie nämlich mit den Menschen
gleich, die willensäußerungsfähig sind. Das heißt, sie ist
unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung gültig
und damit wachen Patienten gleichgestellt.
Drittens. Es gelten klare Regeln zum Vorgehen in ei-
ner konflikthaften Situation. Bei Unklarheiten, was zu
tun ist, muss die Patientenverfügung auf den vorliegen-
den Entscheidungsfall hin bewertet werden. In Situatio-
nen, in denen Ärzte gute oder gar heilende Behandlungs-
angebote machen können, die in der Vorabverfügung
ausgeschlossen wurden, ist der vermeintliche Patienten-
wille genau zu eruieren. Die konkrete Situation ist also
maßgeblich, damit nicht gegen die Lebensinteressen der
Patienten entschieden wird. Für den ärztlichen Behand-
lungsauftrag, der hier gilt, ist Wohl und Würde der Pa-
tientinnen und Patienten ausschlaggebend.
Viertens. Das Vormundschaftsgericht ist unserer Vor-
stellung nach dann einzuschalten, wenn keine Einver-
nehmlichkeit zwischen den behandelnden Ärzten und
den Betreuungspersonen hergestellt werden kann.
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Nun hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt dasort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Dem Gesetzentwurf, für den ich spre-he, wird immer wieder vorgeworfen, er reguliere dasterben und achte nicht die Selbstbestimmung am Le-ensende. Darauf möchte ich gerne eingehen; denn ichinde, die Frage, was wir unter Selbstbestimmung verste-en, was wir damit in diesem Zusammenhang meinen
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21498 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Katrin Göring-Eckardtund wie wir ihr Geltung verschaffen, ist in der Tat ent-scheidend.Es ist eben nicht das Gleiche, ob man eine Entschei-dung bei vollem Bewusstsein, im Gespräch mit Ver-wandten, einer Krankenschwester, einem Pfleger und ei-ner Ärztin bzw. einem Arzt trifft oder ob man eineEntscheidung getroffen hat, bevor man in eine Situationkam, in der man sich nicht mehr äußern kann. Die Um-stände einer zukünftigen Situation, über die entschiedenwerden soll, kann man im Voraus weder erfühlen nochkennen. Genau darum geht es.Wir nehmen die Selbstbestimmung ernst, sehr ernst.Deswegen wollen wir das Recht auf ärztliche Beratungals Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ver-ankern. Wir wollen vor allem die Möglichkeit der ärztli-chen Beratung schaffen; darum geht es uns. ÄrztlicheBeratung ist keine Zumutung. In Deutschland existiertzum Beispiel für bestimmte Medikamente eine Ver-schreibungspflicht, weil nicht jeder Einzelne weiß, wieer mit ihnen umzugehen hat, und wir konsultieren, wennwir eine schwere Grippe haben, einen Arzt. Wasschreckt uns eigentlich, eine solche Beratung auch dannin Anspruch zu nehmen, wenn es um eine Entscheidungüber Leben und Tod geht? Die Entscheidung, die letzt-lich getroffen wird – das gilt auch für die Entscheidungdarüber, was in die Patientenverfügung geschriebenwird –, liegt beim Einzelnen, und zwar nur bei ihm. Werentscheiden will, braucht aber Informationen, muss wis-sen, wofür oder wogegen er bzw. sie verfügt. Genaudiese Informiertheit ist es, die eine Patientenverfügungerst lesbar und überhaupt umsetzbar macht. Aus der ein-fachen Aussage „Ich will nicht an Schläuchen hängen“kann niemand einen tatsächlichen Willen ableiten, der ineiner konkreten Situation gelten soll.Ärztliche Beratung ist Angebot und Unterstützung.Viele, die darüber nachdenken, eine Patientenverfügungzu verfassen, fragen sich: Wie soll ich das machen? Waskann am Lebensende passieren? Welche Möglichkeitenhabe ich, welche nicht? – Das, was heute häufig passiertund was auch in Zukunft der Fall sein wird, wenn derGesetzentwurf von Herrn Stünker und anderen beschlos-sen wird – das ist meine Sorge –, möchten wir vermei-den. Heute ist es so, dass der Notar eine fertige Patien-tenverfügung für 100 Euro oder mehr ausdruckt undsagt: Wenn du dir sicher sein willst, musst du das ent-scheiden. – Genau das möchte ich nicht. Ich möchte,dass eine ärztliche Beratung stattfindet. Außerdemmöchte ich, dass man nur für einen ganz bestimmten Falleine notarielle Beglaubigung braucht, nämlich dann,wenn jemand verfügen möchte, eine unverrückbare Ent-scheidung selbst für den Fall zu treffen, dass er schonkurze Zeit später wieder bei Bewusstsein sein könnte.Das wird allerdings nur für eine sehr kleine Gruppe vonMenschen gelten.Ich möchte im Hinblick auf die Selbstbestimmungnoch einen zweiten Punkt ansprechen. Selbstbestim-mung am Lebensende gelingt nur in Verbindung mit Für-sorge. Nicht etwas kann jemandem am Lebensende zuSelbstbestimmung verhelfen, sondern immer nurjetswmKsmakPdkkhEpiletbsfudssitidLaVsbbwddSpAt
Man sollte dem Instrument der Patientenverfügunguf keinen Fall etwas zuschreiben, was es nicht leistenann. Ein Blatt Papier kann nie so viel leisten wie eineerson. Aus genau diesem Grund wollen wir die Rolleer Vertrauensperson stärken. Solche Entscheidungenann ein Arzt, der einen Patienten vielleicht erst seit sehrurzer Zeit kennt, gar nicht treffen.Einer der Hauptbeweggründe dafür, dass jemandeutzutage eine Patientenverfügung verfasst, ist, amnde nicht unnötig lange leiden zu müssen oder thera-iert zu werden, wenn man es nicht mehr will. Man willn Würde sterben; dem Sterben soll der natürliche Ver-auf gelassen werden. Das ist richtig, und genau so solls sein. Doch dazu bedarf es weit mehr als einer Patien-enverfügung. Dazu braucht es mehr Pflege, dazuraucht es mehr Möglichkeiten der palliativmedizini-chen Versorgung.Der größte Teil der Patientenverfügungen, die ver-asst sind, zielt auf Situationen, in denen eine Krankheitnheilbar ist und zum Tode führen wird. Die bestehen-en Patientenverfügungen behalten nach unserem Ge-etzentwurf ihre Gültigkeit. Sie können ohne bürokrati-chen Aufwand erstellt werden. Eine ärztliche Beratungst keine Voraussetzung für die Gültigkeit einer Patien-enverfügung, schon gar nicht ein Gang zum Notar. Esst absurd, Herr Kauch, von Zwangsbehandlungen zu re-en. Damit hat dieser Entwurf nichts zu tun.
Mit diesem Entwurf wird versucht, Missbrauch amebensende Einhalt zu gebieten, Missbrauch insofern,ls dass jemand, der das Gefühl hat, er könnte seinenerwandten oder gar der Gesellschaft zur Last fallen,ich gedrängt fühlt, eine Patientenverfügung zu schrei-en und zu unterzeichnen, die schnell ein Ende setzt, so-ald es schwierig wird. Wir brauchen einen Gesetzent-urf, der dann und nur dann, wenn es Zweifel gibt, füras Leben entscheidet, für ein Leben in Würde auch iner Sterbephase.Allen, die sich für ein Leben in Würde auch in derterbephase einsetzen, den in Palliativstationen, in Hos-izen, in häuslicher Pflege Tätigen, gebührt Dank undnerkennung, wenn wir über ein solches Gesetz disku-ieren.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21499
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Katrin Göring-Eckardt
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Zöller.
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Viele Menschen haben Angst, am Lebensende
durch hochtechnisierte Apparatemedizin gegen ihren
Willen künstlich am Leben erhalten zu werden und nicht
in Würde sterben zu können. Deshalb haben wir einen
Gesetzentwurf zur Klarstellung der Verbindlichkeit von
Patientenverfügungen erarbeitet. Wir sind dabei von fol-
genden Leitgedanken ausgegangen:
Erstens. Wir wollen die in der Praxis bestehende
Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Verbindlichkeit
der Patientenverfügung beseitigen. Wir wollen dabei nur
das unerlässlich Notwendige regeln, nicht mehr.
Zweitens. Wir wollen, dass der Wille des Patienten re-
spektiert wird. Die Patientenverfügung soll grundsätz-
lich verbindlich sein. Sowohl der ausdrücklich erklärte
als auch der zu ermittelnde mutmaßliche Wille des Pa-
tienten sollen nach Verlust der Einwilligungsfähigkeit
fortwirken.
Drittens. Die Patientenverfügung soll in der Regel in
Schriftform erfolgen. Weil aber viele Patienten – aus un-
terschiedlichen Gründen, etwa wegen des plötzlichen
Eintritts einer Krankheit – keine schriftliche Erklärung
abgeben können, soll die Schriftform für die Wirksam-
keit einer Patientenverfügung keine zwingende Voraus-
setzung sein.
Mündlich geäußerte Erklärungen sollen weiterhin wirk-
sam sein.
Viertens. Auch bei Vorliegen einer Patientenverfü-
gung muss eine individuelle Ermittlung des Patienten-
willens in der aktuellen Situation erfolgen.
Diese Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass sich
durch den medizinischen Fortschritt neue Behandlungs-
möglichkeiten ergeben können, von denen der Patient zu
dem Zeitpunkt, als er seine Patientenverfügung verfasst
hat, noch nichts wissen konnte.
Fünftens. Kein Automatismus, sondern individuelle
Beratung und Betrachtung. Die Vielfalt der denkbaren
Situationen am Lebensende entzieht sich einer pauscha-
len Betrachtung, und es lässt sich nicht alles bis ins De-
tail regeln.
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n diesen dialogischen Prozess können bei Bedarf wei-
ere dem Patienten nahestehende Personen wie zum Bei-
piel Pflegekräfte und Mitglieder des Behandlungsteams
eratend einbezogen werden.
Siebtens. Wir wollen ein hohes Maß an Patienten-
icherheit. Durch die drei folgenden Kriterien wird ein
ohes Maß an Sicherheit für den Patienten erreicht: Ers-
ens. Ärzte und rechtliche Vertreter müssen sich mit je-
er einzelnen Patientenverfügung intensiv auseinander-
etzen. Sie haben die Pflicht, den Patientenwillen bei
inem entscheidungsunfähigen Patienten sorgfältig zu
rmitteln. Zweitens. Der Betreuer ist bei der Ausübung
einer Tätigkeit stets verpflichtet, sich bei der Erfüllung
einer Aufgaben am Wohl des Betreuten zu orientierten.
rittens. Besteht in dieser Frage Uneinigkeit zwischen
em behandelnden Arzt und dem Betreuer – und nur in
iesem Ausnahmefall, also nicht generell –, soll der
ille des Patienten durch ein Vormundschaftsgericht er-
ittelt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch diese
chutzmechanismen wird einerseits sichergestellt, dass
atientenverfügungen nicht gleichsam mechanisch nach
eren Wortlaut umgesetzt werden müssen, und anderer-
eits, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht unverhält-
ismäßig eingeschränkt wird. Wir sind der Überzeu-
ung, dass Patientensicherheit und Patientenautonomie
n unserem Entwurf gleichermaßen berücksichtigt wer-
en, indem den unterschiedlichsten Situationen am Le-
ensende ausreichend Raum gewährt wird.
Wir sehen hier einen möglichen Kompromiss zwi-
chen den Positionen, die zurzeit diskutiert werden. Wir
ehen mit diesem Vorschlag auch die Möglichkeit für die
bgeordneten, die meinen, man bräuchte keine Rege-
ung, dem beizutreten. Mehr Rechtssicherheit ist sehr
otwendig.
Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Otto Fricke das Wort.
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21500 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Der Umgang mit dem Tod ist in unserer Gesell-
schaft schwierig. Egal wann wir auf dieses Problem tref-
fen, ob beim Testament, bei der Organspende oder bei
der Patientenverfügung: Wir tun uns damit schwer.
Ich will direkt die erste Frage beantworten: Müssen
wir als Gesetzgeber die Patientenverfügung regeln, ja
oder nein? – Ich glaube, wir haben die Verpflichtung,
dies zu regeln. Es gibt dabei nicht die richtige Antwort,
aber wir müssen wenigstens eine richtige Antwort fin-
den. Sonst täten wir das, was wir als Gesetzgeber nicht
tun sollten, nämlich, es innerhalb der Gewaltenteilung
anderen zu überlassen. Das wäre ein Fehler und würde
die Bürger nur noch weiter verunsichern.
Darüber, welche Antwort wir geben wollen, gehen
unsere Meinungen auseinander. Mir geht es um die Frei-
heit des Patienten. Mir geht es gemeinsam mit dem Kol-
legen Bosbach, der Kollegin Göring-Eckardt, dem Kol-
legen Röspel und anderen um die Selbstbestimmung.
Eine freiheitliche Lösung bedeutet aber nicht, dass mög-
lichst wenige Regeln gesetzt werden und Selbstbestim-
mung ermöglicht wird, indem einfach alles laufen gelas-
sen wird. Laufen lassen ist keine Selbstbestimmung.
Freiheit bedarf der Aufklärung. Um Freiheit zu errei-
chen, muss klargemacht werden, was die Grundlage des
Handelns ist. Wer nicht weiß, was er tut, der handelt
letztlich nicht frei, sondern in Dunkelheit. Selbst handeln
ist nur dann selbst bestimmen, wenn man die Grundla-
gen seiner Entscheidung kennt. Kennt man sie nicht,
dann hat man zwar schön gehandelt, aber man war nicht
wirklich frei.
Diese Fragen sind niemals wichtiger als dann, wenn es
um Leben und Tod geht.
Freiheit bedarf aber auch der Verantwortung. Wer
Verantwortung übernommen hat – nicht nur für sich
selbst, sondern auch für andere: für Partner, für Kinder,
für seine Familie –, der verwirklicht seine Freiheit, der
prägt sie aber auch. Diese Verantwortung besteht nun
einmal, und diesen Teil der Verantwortung muss man be-
rücksichtigen. Man muss immer sehen, welche Verant-
wortung man bei aller Freiheit für andere hat und unter
welchen Bedingungen man dennoch das Recht hat, sich
die Freiheit zu nehmen und so und nicht anders zu ent-
scheiden. Hier liegt der Kern des Unterschieds – er liegt
nicht bei den Fällen eines tödlichen Verlaufs –; das will
ich gern zubilligen.
Grundentscheidung aller ethischen Entscheidungen
im Bundestag in den letzten Jahrzehnten war, dass wir in
diesen Fragen dem Einzelnen nie vorschreiben können,
was richtig und falsch, vernünftig und unvernünftig ist.
Im Gegenteil: Wir geben dem Einzelnen sogar das Recht
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Nächster Redner ist der Kollege René Röspel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Ja, Herr Kauch, wir haben jetzt fünf Jahre disku-iert. Im Jahr 2004 hat die Enquete-Kommission „Ethiknd Recht der modernen Medizin“ ihren Bericht vorge-egt und in ihm unter anderem eine Studie der Bundes-rbeitsgemeinschaft Hospiz zitiert, in der es darum ging,elche Ängste und Sorgen die Menschen umtreiben,enn sie an ihre letzte Stunde denken: Menschen wollenicht einsam und alleingelassen sterben, sie wollen kei-en schmerzhaften Tod, bis zuletzt an Apparaten hän-end. Für die meisten dieser Fälle ist die Patientenverfü-ung übrigens nicht die passende Antwort.Wir haben fünf Jahre lang diskutiert. Das war für dieesellschaft gut, weil dieses Thema breiter und intensi-er erörtert worden ist. Im Bereich der Palliativ- undospizarbeit haben wir schon einiges, wenn auch nocheinen guten Zustand erreicht. Ich bekenne, dass auchch in den letzten fünf Jahren viel dazugelernt und meineosition mehrfach verändert habe. Bis heute habe ichine Reihe von Kompromissen akzeptiert. Ich weiß nunicht, ob ich die richtige Lösung vorschlage; aber ich binir sicherer geworden.Die Zahl der Patientenverfügungen wird zunehmen,eil die Menschen hoffen, dass sie damit ihre letztetunde besser regeln können. Diese Hoffnungen solltenir nicht enttäuschen. Die Menschen haben das Recht,hre Entscheidung selbst zu treffen.
ir sollten auch dazu beitragen, dass Ärzte und Pfle-ende mehr Klarheit und Rechtssicherheit in der Frageekommen, wie sie mit den Menschen in der letztentunde ihres Lebens umgehen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21501
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René RöspelPatientenverfügungen sind Vorausverfügungen füreine Situation, in der man sich noch nicht befindet. EinGesunder oder noch nicht Erkrankter hat darin festge-legt, wie andere ihn behandeln oder was sie unterlassensollen, wenn er nicht mehr selbst entscheiden kann. Erurteilt über eine Situation, in der er sich noch nicht be-funden hat, die er noch nicht am eigenen Leibe erfahren,sondern allenfalls bei Verwandten erlebt oder durchlittenhat, oder die er vielleicht nur in seiner Phantasie durch-gespielt hat. Dass sich die Patientenverfügung auf einenVorgang in der Zukunft bezieht, ist ihre große Schwach-stelle. Es kann sein, dass der Kranke dann, wenn die Si-tuation eingetroffen sein wird, genauso entscheidenwürde, wie er es als Gesunder aufgeschrieben hat; aberes kann eben auch sein, dass er sich ganz anders ent-schiede. Es gehört zur Lebenserfahrung, dass man in Ge-sprächen oder auch im unmittelbaren Erleben mitbe-kommt, dass sich Menschen im Verlauf einer Krankheitverändern, andere Entscheidungen treffen und andereGewichtungen vornehmen oder eine andere Lebensper-spektive entwickeln.Meine Zielsetzung ist, mit dem Antrag, den wir heuteeinbringen, nach Möglichkeit sicherzustellen, dass derPatient in der Krankheitssituation so behandelt oder ebennicht behandelt wird, wie er es selbst entscheiden würde.Dafür sind aus meiner Sicht zwei Voraussetzungen erfor-derlich: Erstens muss der Patient mögliche Krankheits-verläufe und ihre Konsequenzen intensiv mit seinemArzt diskutieren und sich überlegen, welche Entschei-dung er in welchem Fall treffen würde. Die zweite Vo-raussetzung ist – das ist wichtig für die, die als Dritteentscheiden müssen –, dass eine lesbare Patientenverfü-gung bzw. eine klare Handlungsanweisung verfasst wer-den muss, die später von Dritten verstanden und befolgtwerden kann.
Nur so kann der Wille wirklich umgesetzt werden.Jetzt gehe ich einen Beispielfall durch – ich weiß,dass das zu Widerspruch führen wird –: Jemand schreibtin seiner Patientenverfügung: „Wenn ich mal dementbin, möchte ich keine medizinische Behandlung mehr.“Es gibt zwei Möglichkeiten, wie diese Patientenverfü-gung zustande gekommen ist. Die erste ist der Idealfall:Der Verfasser hat sich – möglicherweise wegen desSchicksals eines nahen Verwandten – intensiv mit der Si-tuation befasst, sich medizinisch beraten lassen und mitDemenz auseinandergesetzt und betrachtet das, was eraufgeschrieben hat, als seine Entscheidung. Er ist festentschlossen, dass sie so gelten soll, wie er es aufge-schrieben hat.Die zweite Möglichkeit ist nicht der Idealfall. DerVerfasser – man denke an Terry Schiavo – hat aufgrundeiner spontanen Begebenheit – möglicherweise durcheine Sendung im Fernsehen oder von einem Besuch imAltenheim beeindruckt – ohne Information die Entschei-dung getroffen, dass er so nicht leben möchte, und ver-fasst eine entsprechende Patientenverfügung.okdklduEwUsIKVltgEswslggdwbKmvhStdWnDuddtrlK
arin steht nämlich, dass wir an dieser Stelle – es gehtm die Auslegung, Herr Weiß; Sie wissen selbst, dassie Begründung dabei eine Rolle spielt – im Demenzfallie aktuellen, auch nonverbalen Äußerungen des Patien-en beachten müssen. Der Demenzfall ist der schwie-igste Fall, vor dem wir stehen, weil es dabei zu Persön-ichkeitsveränderungen kommt. Sind Sie bereit, zurenntnis zu nehmen, dass genau dieser Fall in unserem
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21502 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Michael KauchGesetzentwurf sehr ausführlich – möglicherweise aus-führlicher als in Ihrem Entwurf – behandelt worden ist?
Er ist nicht ausführlicher als in unserem Gesetzent-
wurf behandelt worden, jedenfalls was die Konsequen-
zen anbelangt. Ich habe das sehr wohl interessiert und
nachdenklich gelesen. Aber im Prinzip ist genau dieser
Punkt bei Ihrer Auslegung das Problem. Wie kann der
Patient, der sich sehr wohl entschieden hat – das ist der
Idealfall, den ich zuerst beschrieben habe –, dass er im
Demenzfall auf keinen Fall behandelt werden will,
sein Selbstbestimmungsrecht durchgesetzt bekommen,
wenn Sie – wie jetzt und wie es in den Diskussionen
häufiger zu hören ist – anfangen, es zu relativieren? Sie
sagen nämlich, der aktuelle Behandlungswille solle sehr
wohl eine Rolle spielen. Wie soll aber der Arzt, der den
Patienten vorher nicht gesehen hat und auch nicht die
Hintergründe kennt, die zu dessen Entscheidung geführt
haben, zwischen dem aktuellen Willen und der selbstbe-
stimmten Entscheidung abwägen, die der Patient einmal
getroffen hat und zu der er fest entschlossen ist?
Wenn Sie so argumentieren, passt das Etikett Selbst-
bestimmungsrecht und Kenntnisnahme nicht auf den Ge-
setzentwurf; denn die Erfahrung ist, dass die Menschen
sagen: Der Stünker/Kauch-Gesetzentwurf bietet uns die
Sicherheit, dass das, was ich aufgeschrieben habe, um-
gesetzt wird. – Gerade haben Sie genau das relativiert.
Deswegen ist der Gesetzentwurf, den Sie unterstützen,
nicht geeignet, das Selbstbestimmungsrecht und dessen
Umsetzung zu gewährleisten.
Wir werden in der Anhörung noch darüber diskutieren.
Aber ich bin froh über Ihre Zwischenfrage, weil sie deut-
lich macht, dass man sich Ihren Gesetzentwurf genauer
anschauen muss.
Eine bessere Lösung – auch im Sinne des Selbstbe-
stimmungsrechtes – bietet aus meiner Sicht der von den
Kollegen Bosbach, Göring-Eckardt, Fricke und mir erar-
beitete Gesetzentwurf. Wer fest entschlossen ist, unab-
hängig von Art und Stadium der Krankheit und hoffent-
lich nicht gegen alle Vernunft
– das kann ich nicht beurteilen; gegen meine Vernunft je-
denfalls –, bestimmte Handlungsanweisungen zu verfü-
gen, sich ärztlich beraten und seinen Beschluss notariell
beurkunden lässt, der bekommt eine deutlich höhere Si-
cherheit, dass seine Patientenverfügung auch umgesetzt
wird; denn der Arzt bekommt deutlich mehr Hinweise
auf die Genese der Patientenverfügung.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ilja Seifert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bineder katholisch noch eine Frau. Aber eine der vielenuschriften, die wir zum Beispiel von einer katholischenrauenorganisation bekommen haben, enthält den be-erkenswerten Satz, dass es den Damen lieber sei, wirällten keine Entscheidung als eine, die noch mehr ver-irrte. Ich spreche hier als jemand, der keinen der vor-iegenden Gesetzentwürfe unterstützt; denn ich kenneiele Menschen, die keine Patientenverfügung verfassenollen.
s wurde bereits mehrfach gesagt, dass dieses Rechtelbstverständlich weiterexistiert. Ich möchte in dieserebatte extra dafür sprechen. Ich kann mich des Ein-rucks nicht erwehren, dass jede Patientenverfügung,ie auch immer sie verfasst sein mag, eher zur Verwir-ung beiträgt, weil sie den Glauben vermittelt, man hätteicherheit – von fast allen Seiten wurde bereits gesagt,ass der Wille anderer in der Regel mehr Verwirrungtiftet als der eigene – und wäre in einer rechtlich klarenituation. Das stimmt aber in Wirklichkeit nicht.Was brauchen wir denn wirklich, wenn wir nichtehr fähig sind, unseren Willen zu bekunden, wenn esn das Sterben geht? Ich denke, das Wichtigste ist dasertrauen zu den Personen, die um uns herum sind. Des-alb plädiere ich sehr dafür, zum Beispiel eine Vorsorge-ollmacht auszustellen, also zu sagen, welche Personeines Vertrauens dann, wenn ich selber nicht mehr re-en, mich nicht mehr äußern kann, in der Lage ist, fürich zu sprechen. Mit dieser Person muss ich natürlichorher geredet haben; das ist doch klar. Das sind in deregel sehr nahe Angehörige. Das muss aber nicht sein.eine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie unseshalb nicht den Eindruck vermitteln, dass wir mit ei-er notariell beglaubigten Patientenverfügung wirklichicherheit haben, dass am Ende des Lebens unser Selbst-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21503
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Dr. Ilja Seifertbestimmungsrecht und unsere Würde so gewahrt blei-ben, wie wir es uns wünschen und erwarten dürfen.Wir müssen in unserem ganzen Leben immer auf be-stimmte Menschen vertrauen, gerade in der Situation derKrankheit. Ich muss darauf vertrauen, dass die Ärzte ihrHandwerk verstehen und mich richtig beraten, dass siemich nicht so beraten, dass sie möglichst viel verdienen,sondern so, dass es mir möglichst gut geht. Das hat et-was mit dem Vertrauen zu tun, das ich zu meinem Haus-arzt oder zu wem auch immer habe. Das Gleiche trifft injeder anderen Situation zu, erst recht in der Situation desSterbens. Deshalb: Lassen Sie uns die Palliativmedizinausbauen, lassen Sie uns die ambulanten und stationärenHospize stärken, lassen Sie uns die Pflege verbessernusw. Damit helfen wir den Menschen wirklich. Und:Lassen Sie uns das altbewährte Prinzip des Vertrauensvon Menschen, die sich lieben – vielleicht darf man soetwas in diesem Zusammenhang einmal sagen –, stär-ken. Wir sollten nicht so tun, als ob wir mit einem Ar-beitsbeschaffungsprogramm für Juristen aller Art wirk-lich etwas in der Situation, über die wir hier geradereden, erreichen würden.Noch einmal: Man muss weder katholisch noch eineFrau sein, um diesem Satz zuzustimmen. Bevor wir da-durch mehr Verwirrung schaffen, dass wir so tun, als obwir etwas getan hätten, lassen Sie uns lieber bewusst dieEntscheidung fällen, keine Patientenverfügung vorzu-schreiben.
Das wäre eine bewusste Entscheidung zur Stärkung desVertrauens untereinander. Betonen Sie bitte überall,wenn Sie draußen mit den Leuten reden, dass es keinePflicht zum Verfassen von Patientenverfügungen gibt.Wer es doch tut, nimmt sein gutes Recht wahr, aber mansollte nicht denken, es ginge nicht ohne.Herzlichen Dank.
Nun hat der Kollege Jerzy Montag das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Katrin, ich habe an dem Gesetzentwurf von Herrn
Stünker und Kollegen über viele Monate sehr intensiv
mitgearbeitet. Deswegen kann ich – damit will ich an-
fangen – es nicht stehenlassen, wenn du in der Debatte
sagst, bezüglich des Problems des angeblichen Automa-
tismus würden wir in unseren Texten etwas anderes
schreiben, als wir erzählen würden.
Ich will, um den Irrtum auch von dieser Stelle aus in al-
ler Klarheit und Ruhe auszuräumen, sagen: In unserem
Gesetzentwurf steht, dass dann – ich kürze ab –, wenn
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Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Dr. Wodarg?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie haben eben ganz deutlich ausge-
prochen, dass hier nur der Betreuer prüft.
o jedenfalls steht es in Ihrem Text. Dadurch unterschei-
en Sie sich von dem Entwurf, den Herr Zöller vorge-
tellt hat, weil hier von Anfang an ein dialogischer Pro-
ess gefordert wird. Ich halte es für wichtig, wenn wir
ns Gespräch kommen wollen, dass das als Basis aner-
annt wird und dass wir dann weiter diskutieren. Wenn
s hier allerdings nur der Betreuer ist, dann gibt es dort
inen Dissens.
Lieber Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dassie diesen Punkt aufgreifen, weil er mir Gelegenheitibt, das aufzuklären.Der Gesetzentwurf, den wir vorlegen, aber auch dienderen Gesetzentwürfe behandeln das Betreuungsrechtnd die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts. Sieagen weder negativ noch positiv ausdrücklich etwasber die Rechte und Pflichten des behandelnden Arztes.ber es ist selbstverständlich, dass der Arzt zuallererstine Diagnose zu stellen und einen Behandlungsvor-chlag zu machen hat; denn nur dann kann der Betreuerberhaupt mit seiner Prüfung beginnen.
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21504 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Jerzy MontagAußerdem steht in unserem Gesetzentwurf ausdrück-lich, dass eine Einigung zwischen Betreuer und Arzt
über die Auslegung zustande kommen muss. Nur dann,wenn eine solche Einigung zustande kommt, bedarf eskeiner vormundschaftlichen Entscheidung.
– Tut mir leid, das kann ich jetzt nicht mehr machen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Patientenverfügun-gen – das ist vielleicht auch die Antwort auf Ihre Bemer-kungen, Herr Kollege Seifert – sind nach dem geltendendeutschen Recht nicht verboten, ganz im Gegenteil. Esgibt viele Patientenverfügungen. Die Entwicklung derBevölkerung und der medizinischen Möglichkeiten wirddazu führen, dass es in Zukunft noch mehr geben wird.Die Frage, die wir beantworten müssen, ist, ob die ge-setzlichen Regelungen dieses Problem umfassend erken-nen und behandeln. Das tun sie nicht.Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidungvom 17. März 2003 gesagt: Einen Teil der Lücken imVormundschaftsrecht und im Betreuungsrecht kann manmit Rechtsfortbildung klären. Aber er hat schon imJahre 2003 dem Parlament zugerufen: Mit dieser Lü-ckenfüllung kann es nicht so weitergehen. Der Gesetzge-ber ist aufgefordert zu entscheiden.
Deswegen ist es einfach notwendig, dass wir uns end-lich auf eine Regelung dieses Komplexes einigen. Sowie ich es sehe, ist eine der entscheidenden Fragen, obwir – in welcher Form auch immer – eine Begrenzungder Geltung, also eine Reichweitenbegrenzung, einfüh-ren sollten oder nicht.
Das geltende Recht sieht eine solche Begrenzung nichtvor.Ich bin dem Kollegen Bosbach dankbar dafür, dass eraus einem bayerischen Dokument zitiert hat. Ich willmich dem gleich anschließen. Das Bayerische Staatsmi-nisterium der Justiz – es handelt sich wahrscheinlich umdie gleiche Broschüre – hat zu der Frage der Patientenver-fügung einen Text veröffentlicht – diese Passagen sindmit denen des Bundesjustizministeriums textgleich –, indem über die Patientenverfügung und ihre Geltung nachgeltendem Recht steht: Es gibt keine Reichweitenbegren-zung.Deswegen stelle ich fest: Derjenige, der jetzt eineneue gesetzliche Regelung vorschlägt, in der eine solcheBegrenzung vorgesehen ist, geht hinter das geltendeRecht zurück und verschlechtert die Situation für die Pa-tienten, für die Betreuten.EDskrdssneedhzzdlsKzohdkduslEsPgaBswgn
Deswegen muss ich, wenn wir uns intensiv mit denntwürfen auseinandersetzen, aus meiner Sicht sagen:er Entwurf Bosbach jedenfalls führte zu einer Ver-chlechterung der jetzigen Lage. Da wäre es besser, eräme nicht.
Wir werden über die weiteren Einzelheiten in den Be-atungen sprechen. Ich kann wegen der begrenzten Re-ezeit darauf nicht mehr eingehen.Ich will nur noch zu einem Punkt etwas sagen. Weragt – das klang auch an –, nur eine informierte Ent-cheidung sei eine selbstbestimmte, der begeht aus mei-er Sicht einen Fehler. Eine informierte Entscheidung istine bessere. Eine informierte Entscheidung ist eine, dieher befolgt werden kann. Eine informierte Entschei-ung ist eine, die denjenigen, die dann zu entscheidenaben, die Aufgabe erleichtert und vielleicht auch eheru einem Ergebnis führt. Aber sie ist keine Vorausset-ung für die Selbstbestimmung.Letztendlich: Lebensschutz, so heißt es, stünde gegenie Selbstbestimmung. Nein, liebe Kolleginnen und Kol-egen, Lebensschutz gibt es nur innerhalb der Selbstbe-timmung und nicht gegen die Selbstbestimmung.Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Viele Menschen, die uns bei dieser Debatteuhören, die die vorausgegangenen Debatten verfolgtder sich mit Materialien und Kommentaren beschäftigtaben, werden jetzt sicherlich nicht einfacher entschei-en können. Es wird vieles nicht klarer, sondern immeromplexer, und es geht durcheinander. Diese Rückmel-ung bekomme zumindest ich von vielen Bürgerinnennd Bürgern, die sich mit dieser Thematik ernsthaft be-chäftigen. Das hat wenig damit zu tun, dass es an Intel-igenz mangelt; Grund ist die Komplexität, aber auch diernsthaftigkeit des Themas.Wer sich mit Patientenverfügungen befasst, der be-chäftigt sich mit dem Tod. Natürlich kann man in eineratientenverfügung auch festhalten, dass alles Möglicheetan werden soll, wenn man nicht mehr ansprechbar ist;ber wir konzentrieren uns auf die Fälle, in denen es zumeispiel darum geht, frühzeitig oder früher, als es imonstigen Verlauf geschähe, Leben zu beenden bzw. das,as an Medikamenten oder an medizinischer Versor-ung zur Verfügung steht, nicht mehr in Anspruch zuehmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21505
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Julia KlöcknerWir müssen viele Menschen enttäuschen, indem wirsagen: Es wird kein einfaches Formular mit drei Punktengeben, das man unterschreiben kann. Es wird genausowenig Einheitsformulare geben, wie es Einheitsgrößenoder Einheitsautos gibt. Deshalb können wir die Men-schen nicht daraus entlassen, sich selbst damit zu be-schäftigen. Wir als Politiker können die Rahmenbedin-gungen setzen; aber wenn es darum geht, darübernachzudenken, was einem das Leben in welchen Situa-tionen wert ist und welche Sichtweisen man hat, ist wei-terhin jeder selbst gefordert.Deshalb bin ich der Meinung, dass wir ein sorgfälti-ges Vorgehen brauchen. Diese Debatte, wie wir sie auchschon in den vergangenen Jahren geführt haben, ist einsehr gutes Beispiel dafür. Sehr verehrter Herr KollegeKauch, ich teile nicht Ihre Art der Argumentation, näm-lich zu sagen: Wir haben genug diskutiert, so viele Jahreschon. Die Menschen warten bereits so lange. Wir müs-sen jetzt endlich ein Gesetz machen. – Wir beide saßenin der vergangenen Legislaturperiode zusammen in derEnquete-Kommission „Ethik und Recht der modernenMedizin“. Sie wissen, wie wir gerungen haben, wie vieleverschiedene Sichtweisen es gab, auch unter den Men-schen außerhalb des Parlaments. Nun stellen wir fest,dass just diejenigen, die uns immer aufgefordert haben,endlich ein Gesetz zu machen, jetzt zu denen gehören,die uns sagen: Eigentlich brauchen wir kein Gesetz. –Auch beim Gegenüber, bei denjenigen, für die wir dieGesetze machen, bemerkt man also einen Wandel. Hiergeht es nicht um 10 Euro Praxisgebühr, die man irgend-wann wieder revidieren könnte, wenn man eine Fehlent-scheidung getroffen hat; hier geht es um Leben und Tod,um eine Thematik von einer Tiefe und Ernsthaftigkeit,wo Sorgfalt absolut vor Schnelligkeit geht.Das zeigt sich auch bei der Debatte über das ThemaSelbstbestimmung. Alle setzen auf Selbstbestimmung.Wir alle nutzen in dieser Debatte das Wort „Selbstbe-stimmung“; ich auch. Ich bin für Selbstbestimmung.Jetzt ist natürlich die Frage: Was verstehen wir unter„Selbstbestimmung“? Selbstbestimmt ist meiner Mei-nung nach nur derjenige, der nicht von Angst bestimmtist, der nicht von Unkenntnis bestimmt ist,
sondern selbstbestimmt ist derjenige, der aufgeklärt ist,der informiert ist, der um die Konsequenzen seiner Ent-scheidung weiß. Deshalb sichert man nur dann dieSelbstbestimmung von Menschen, wenn man ernsthaft,verbindlich über das aufklärt, was jemand selbst be-stimmt und von dem er dann zu Recht verlangt, dass esGeltung hat.Ein Beispiel, auch wenn es banal ist: Wenn jemandsagt: „Ich möchte nie an Schläuchen oder an einer Gerät-schaft liegen“, weil er zum Beispiel gesehen hat, wie dieeigene Großmutter über Jahre dahinvegetiert ist, oderwenn jemand sagt: „Ich möchte niemals eine PEG-Sonde gelegt bekommen“, weil er weiß, dass man damitüber Jahre am Leben erhalten werden kann, dann kannich verstehen, was er im Sinn hat. Es gibt aber auch denFall, dass jemand nicht weiß oder nicht vor Augen hat,dchkfEsgllätFmBetdwsss–miassabmwuTkdhDhmlA
eil sie sich zum Beispiel beim Kauf einer Kaffeema-chine geirrt haben könnten, und man sie innerhalb die-er Fristen zurückgeben kann. Aber das Leben kann manich nicht zurückholen.
Ich höre jetzt: „Doch, das kann man tun!“. Das kannan eben nicht tun, wenn man nicht mehr ansprechbarst. Das gilt doch alles für den Fall, dass man nicht mehrnsprechbar ist. In einer Situation, in der Sie ansprechbarind, brauchen Sie ja gar keine Patientenverfügung.Bei der Debatte, wie wir für mehr Verbraucherschutzorgen können, sind wir zum Beispiel bei Geldanlagenn dem Punkt, dass wir von beiden Seiten unterschrie-ene Beratungsprotokolle ausfertigen lassen wollen, da-it Fehlberatungen und Fehlentscheidungen vorgebeugtird. Wenn es um das Sterben geht, liebe Kolleginnennd Kollegen, sollten wir genauso viel Sorgfalt an denag legen.Ich danke wirklich allen, die nicht in der Öffentlich-eit stehen, aber Menschen begleiten und vielleicht iner eigenen Familie selbst schwere Schicksale zu tragenaben. Ihr Dienst leistet wie der Hospizdienst und derienst beider Kirchen in diesem Bereich sehr viel für einumanes Antlitz unserer Gesellschaft. Ich finde, dass wirit Leid so umgehen sollten, wie es die Menschen ver-angen, nämlich mit Linderung und nicht mit kompletterusschaltung und Ignorierung.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg.
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21506 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-
den hier, wie ich finde, über einen sehr traurigen Anlass.
Wir sprechen darüber, dass die Menschen Angst vor der
modernen Medizin haben. Wir sind verantwortlich für
die Ausgestaltung der medizinischen Versorgung. Was
haben wir falsch gemacht? Weshalb haben die Menschen
Angst vor der modernen Medizin? Was läuft da?
Ich war sehr beeindruckt von dem, was Herr Seifert
gesagt hat. Er hat ja hervorgehoben, dass es nur dann et-
was bringt, zum Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen,
wenn man Vertrauen hat. Die FDP fordert genau aus
dem Grunde die freie Arztwahl. Man soll sich jemanden
aussuchen können, bei dem man sich gut aufgehoben
fühlt, bei dem man keine Angst haben muss, dass er be-
handelt, um Geld zu verdienen, sondern bei dem man si-
cher sein kann, dass er alles tut, um zu helfen, um das zu
erreichen, was man selber möchte, nämlich Gesundheit.
Das scheinen wir nicht ganz hinzubekommen. Deshalb
gibt es Konflikte, und Juristen treten auf den Plan und
wollen helfen.
Ich kann hierzu eine Geschichte erzählen: Professor
Hoppe, der Präsident der Bundesärztekammer, hat im
vorigen Jahr auf einem Seminar zum Thema Patienten-
verfügung, das er für Journalisten durchgeführt hat, vol-
ler Entrüstung ein Beispiel vorgetragen. Er war wegen
einer Grundstücksangelegenheit bei einem Notar. Als
diese geregelt war, sagte der Notar: Wollen Sie, wo Sie
schon hier sind, nicht gleich auch eine Patientenverfü-
gung bei mir ausfertigen?
Das wurde ihm angeboten. Als er es mir erzählte, erwi-
derte ich ihm: Herr Professor Hoppe, Ihnen müsste das
eigentlich überhaupt nicht komisch vorkommen. Wenn
Kassenpatienten zum Arzt gehen und sich untersuchen
lassen, dann fragt der Arzt hinterher oft: Wollen wir
nicht noch eine Ultraschalluntersuchung als IGeL-Leis-
tung machen? Das zahlt zwar die Kasse nicht, aber ich
würde es Ihnen doch empfehlen. – Genau das Gleiche
passiert hier auch. In beiden Fällen soll etwas verkauft
werden. In beiden Fällen geht es nicht um das Wohl des
Patienten.
Das sind Dinge, die die Menschen misstrauisch machen.
Was wollen wir erreichen? Auf Basis der Gesetzent-
würfe, die vorliegen, werden wir in den Anhörungen und
weiteren Verhandlungen in diesem Hause zu etwas kom-
men, was wir den Menschen auch wirklich anbieten kön-
nen. Ich bin da sehr zuversichtlich und habe überhaupt
keine Angst, dass es sich nicht gelohnt hätte, darüber
fünf Jahre – vielleicht war es sogar noch etwas länger –
zu diskutieren. Uns sind die Probleme klarer geworden.
Das Bewusstsein dafür, was wirklich nötig ist, ist ge-
schärft worden. Aber da fehlt auch noch einiges. Ich
habe zu Beginn etwas von dem anzusprechen versucht,
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Georg
aust.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Arzt undntensivmediziner musste ich lernen, dass der Wille desatienten das höchste Gebot ist. Was für den wachen Pa-ienten gilt, muss auch für den hier und jetzt kommuni-ations- und entscheidungsunfähigen Patienten, den de-enten oder bewusstlosen Patienten gelten.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21507
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Dr. Hans Georg FaustWir ringen in diesem Gesetzgebungsverfahren alsoum die Antwort auf die Frage: Welche Voraussetzungenund welche Abläufe fordert der Gesetzgeber, damit derWille einer entscheidungsunfähigen Person über dasweitere medizinische Vorgehen, manchmal über Lebenund Tod, entscheidet? Es kann also nicht die Patienten-verfügung allein entscheidend sein. Vielmehr muss sie inein prozesshaftes Geschehen eingebettet sein.Eigentlich ist das alles nichts Neues. Der in einer Pa-tientenverfügung geäußerte Wille des Patienten warauch schon bisher grundsätzlich verbindlich. Ärzte dür-fen sich nicht über die Willensäußerungen hinwegsetzen.Dass das in der Vergangenheit trotzdem geschah unddass dies vielleicht auch der Anlass für die Diskussion inder Öffentlichkeit ist, zeigt, wie wichtig es ist, nochmalsdie Verbindlichkeit von Patientenverfügungen klar-zustellen und eine breite Diskussion darüber sowohl inPatienten- als auch – das sage ich sehr bewusst – in Ärz-tekreisen zu führen.Es geht also weniger um die Einführung einer Viel-zahl neuer Paragrafen, sondern um eine Veränderung inden Köpfen, –
auch in den Köpfen von Ärzten, die in einer falsch ver-standenen paternalistischen Haltung Therapien dort fort-führen, wo der kranke Mensch es nicht mehr will.Zwei der drei vorliegenden Gesetzentwürfe sind voneinem gewissen Misstrauen gegenüber Ärzten geprägt.In einem der Entwürfe wird der Patient sogar vor sichselber geschützt. Seine Entscheidung soll nur in gewis-sen Fällen gelten; für die Bescheinigung, ob dieser Falleingetreten ist, ist dann doch wiederum der Arzt zustän-dig.Meine Damen und Herren, die Ermittlung und Umset-zung des Patientenwillens ist ein Prozess – kein Suchenin verschiedenen Schubladen eines Gesetzesschrankes,in die man die Patientenverfügungen je nach Form, Aus-gestaltung oder Krankheit gelegt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Montag?
Ja, gern.
Bitte sehr.
Frau Präsidentin, herzlichen Dank, und vielen Dank,
Herr Kollege, dass Sie diese Frage zulassen. – Herr Kol-
lege, Sie haben zuletzt in Ihren letzten Ausführungen ge-
sagt, dass in zweien der drei Gesetzentwürfe ein gewis-
ses Misstrauen gegenüber Ärzten dokumentiert sei. Ein
Entwurf davon müsste dann derjenige sein, an dem ich
mitgearbeitet habe. Aber ich persönlich habe kein gene-
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Es ist also Aufgabe der den Kranken begleitenden
ersonen, der Angehörigen, des Betreuers, des Arztes
nd in Konfliktfällen auch des Vormundschaftsgerichts,
ie Patientenverfügung entsprechend ihrer Ausgestal-
ung als Grundlage zu nehmen und mit allen sonst zur
erfügung stehenden Möglichkeiten den Patientenwillen
orgfältig zu ermitteln und danach zu handeln. Je ge-
auer die Patientenverfügung die Situation beschreibt,
ür die sie gelten soll, je aktueller sie ist, je detaillierter
ie ist – womöglich ist es sehr wichtig, dass der Betref-
ende ein Beratungsgespräch geführt hat und beim Notar
ar; das konkretisiert die Patientenverfügung weiter, das
st gar keine Frage –, je mehr sie im Gleichklang mit
eiteren Erkenntnissen aus der Welt dieses bestimmten
atienten ist, desto mehr verdichtet sich in diesem Pro-
ess die Gewissheit, was zu tun ist.
Wie ich schon sagte: Dies ist eigentlich nichts Neues.
as haben wir in den Krankenhäusern schon immer ge-
acht. Mit unserem Gesetzentwurf zeichnen wir – das
st ein Signal an diejenigen, die sagen, dass es vielleicht
esser wäre, gar nichts zu tun – bestehende Abläufe
ach. Allerdings betonen wir die Konturen und stellen in
inzelnen Bereichen, wie beispielsweise bei der Frage
ach der Rolle des Vormundschaftsgerichts, Dinge klar,
ie bisher an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließen.
Klopft der Tod als später Gast an die Tür des Kran-
en, dann ist es seine Entscheidung, ob er ihn einlassen
ill oder nicht. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, per
esetz einen Riegel vorzuschieben. Entsprechend dem
illen des Patienten aber müssen wir ihm zur Seite ste-
en. Das ist keine Aufgabe für den Gesetzgeber, sondern
ine Aufgabe für Verwandte, Betreuer, Bevollmächtigte
nd auch für Ärzte.
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Stöckel.
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21508 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! MeineDamen und Herren! Ich möchte zunächst meiner FreudeAusdruck verleihen, dass wir in der ersten Sitzungs-woche des Jahres die drei vorliegenden Gesetzentwürfein erster Lesung beraten. Meine Hoffnung wächst, dasswir in dieser Wahlperiode – also noch vor der Sommer-pause oder sogar vor der Osterpause – zu einem Be-schluss kommen können. Es ist deutlich geworden, dassdiese öffentliche Debatte – ich erwähne in diesem Zu-sammenhang auch die Beratungen der Ethikkommissionund die Stellungnahmen von Fachleuten – aufgrund vonGerichtsentscheidungen und von medizinischen Ent-wicklungen, aber auch aufgrund des Drucks von Men-schen, die von uns als Gesetzgeber erwarten, dass wirhier Klarheit schaffen, in Gang gesetzt worden ist.Ich glaube, dass die Gemeinsamkeiten das Trennendeüberwiegen. Denn es hat niemand infrage gestellt, dasses zwei wesentliche verfassungsrechtliche Grundlagenfür die Behandlung eines Patienten gibt, nämlich die Zu-stimmung des Patienten und die medizinische Indika-tion. Es hat auch niemand bestritten, dass es sich umeine prozesshafte Entscheidung am Lebensende mitBlick auf Situationen handelt, für die es eine Patienten-verfügung gibt. Es handelt sich immer um eine Interpre-tation einer Patientenverfügung oder eines wie immergeäußerten Willens durch Dritte, zum Beispiel durch ei-nen Gesundheitsbevollmächtigten. Zwar hat das Letztereeinen höheren Rang, aber nicht jeder vertraut sich einerPerson an und möchte deshalb eine schriftliche Patien-tenverfügung verfassen, um sicherzugehen, dass seinWille wirksam in den Prozess Eingang findet.Wir sind uns einig, dass die Auseinandersetzung überdieses Thema vor allen Dingen dazu geführt hat, dassder Hospizarbeit, der Palliativmedizin und der Schmerz-therapie in Gesellschaft und Praxis eine größere Bedeu-tung beigemessen wird. Die Menschen denken in der Tathäufiger darüber nach, ob sie eine Patientenverfügungverfassen. Sie setzen sich mit dem Thema häufiger aus-einander.Bevor wir festschreiben, dass sich jeder beraten las-sen muss, sollten wir Folgendes bedenken: Ich würdemich von meinem Hausarzt, dem ich vertraue, bezüglichbestimmter Behandlungen am Lebensende nicht unbe-dingt beraten lassen, weil ich weiß, dass er dafür nichtausgebildet ist. Ich wäre froh, wenn die Enttabuisierungdieses Themas dazu führen würde, dass in den Familiendarüber gesprochen wird oder man sich an eine Vertrau-ensperson wendet, um mit ihr eine Vollmacht oder einePatientenverfügung zu besprechen.
Die Fachleute sagen, dass zurzeit circa 9 MillionenPatientenverfügungen existieren. Bei Verabschiedungdes Entwurfs der Gruppe Bosbach würden etliche davonihre Gültigkeit verlieren, weil sie die Voraussetzungen– ärztliche Beratung und notarielle Beurkundung – nichterfüllen. Ich möchte mich, solange meine Redezeitreicht, mit den praktischen Auswirkungen beschäftigen,die dieser Entwurf hätte – denn über den Stünker-Ent-wwwhdbvsdSZKtm–tWddngeScnnlümnsDtssdtgshvemgbnsndWÄZrtDr
Wie soll man sich das vor dem Hintergrund der Situa-ion in den Arztpraxen dieses Landes konkret vorstellen?ir haben zwar die Hoffnung, dass die „sprechende Me-izin“, also die Zuwendung von Medizinern gegenüberen Menschen, allgemein einen größeren Raum ein-immt und auch bei der Frage der Finanzierung besserewürdigt wird, aber das würde zurzeit bedeuten: Trotzines vollen Wartezimmers nimmt sich der Hausarzt einetunde Zeit, um mit seinem Patienten darüber zu spre-hen, welchen Verlauf seine Erkrankung möglicherweiseehmen könnte, obwohl er – das sagte ich schon einmal –icht unbedingt ein Spezialist für die neuesten Behand-ungsmethoden ist. Er spricht mit seinem Patienten auchber das Sterben. – Das möchte ich ohne Zeitdruck undit Personen meines Vertrauens tun, mit Personen, de-en ich das auch zutraue. Was soll nach diesem Ge-präch passieren? Wer erstellt die Patientenverfügung?er Arzt oder der Patient? Wozu braucht man einen No-ar? Nur um die Unterschrift zu bestätigen? Das allescheint mir in der Praxis nicht umsetzbar zu sein. Escheint so zu sein, dass hier eine Hürde aufgebaut wer-en soll. Ich glaube, dass die Menschen, die eine Patien-enverfügung verfassen – das kann man nicht für jedenarantieren –, sich doch intensiver mit dem Thema be-chäftigen als diejenigen, die keine Patientenverfügungaben wollen.Auch die regelmäßige Aktualisierung der Patienten-erfügung ist sinnvoll. Ich verneine auch nicht den Sinniner ärztlichen Beratung. Man sollte sich so gut infor-ieren wie möglich, um selbstbestimmte Entscheidun-en treffen zu können. Das ist ein Anspruch, den wir ha-en und auch an alle stellen sollten. Wir können ihn abericht gesetzlich verordnen oder erzwingen. Man mussich vor Augen führen, dass mit einer Aktualisierungicht nur der Entwicklung im Bereich der Medizin, son-ern auch der Veränderung meiner Vorstellung vonürde und vielleicht auch der Veränderung bei meinenngsten Ausdruck verliehen werden soll. Dafür wäre eineitraum von fünf Jahren aber zu lang. Zwei Jahre wä-en vielleicht viel besser. In der Praxis sehen viele Bera-er und Anbieter von Patientenverfügungen das vor.urch notarielle Beurkundungen und ärztliche Pflichtbe-atungen bauen Sie jedoch Kosten auf. Angesichts des-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21509
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Rolf Stöckelsen wäre eine Aktualisierung alle zwei Jahre unrealis-tisch.
– Ja.Ich muss leider zum Schluss kommen. Ich glaube,dass wir uns in der Anhörung neben all dem, was wir si-cherlich an Gemeinsamkeiten feststellen, vor allen Din-gen mit dem Zöller/Faust-Entwurf, mit den konkretenFragen der Praxis, die hier teilweise von Dr. Faust be-schrieben worden ist, und dem, was tatsächlich gesetz-lich zu regeln ist, beschäftigen werden. Vor diesem Hin-tergrund erhoffe ich mir, dass es uns gelingt, das Rechtauf ein menschenwürdiges Sterben vielleicht sogar in ei-nem gemeinsamen Antrag zu formulieren. Die Selbstbe-stimmung auch schwerkranker Menschen ist ein zu ho-hes Gut, um das Risiko einzugehen, dass letztendlich derBosbach-Entwurf die meisten Stimmen hier im Haus aufsich vereinigt oder gar kein Entwurf beschlossen wird.Danke schön.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Wolfgang Bosbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Seifert, was Sie vorhin gesagt haben, war
mir sympathisch. Ich finde es klug, dass Sie auf die Be-
deutung der Vorsorgevollmacht hingewiesen haben. Ich
selber habe auch keine Patientenverfügung. Woher soll
ich zum jetzigen Zeitpunkt wissen, was ich irgendwann
einmal in einer Krankheitssituation für mich entscheiden
möchte, die ich weder kenne noch kennen kann? Aber
das ist nicht der Problemkreis, über den wir hier streiten.
Wir müssen respektieren, dass es Millionen Mitbürge-
rinnen und Mitbürger gibt, die aus unterschiedlichen
Gründen eine Patientenverfügung verfasst haben. Denen
schulden wir Rechtssicherheit. Es kann nicht vom freien
Spiel der Kräfte an einem Krankenbett abhängen, ob ein
Patient weiterlebt oder ob lebenserhaltende Maßnahmen
beendet werden. Deswegen kann sich der Deutsche Bun-
destag vor der Entscheidung nicht drücken.
Herr Kollege Montag, Sie haben gesagt, dass der Ge-
setzentwurf, der auch von mir mitgetragen wird, hinter
die geltende Rechtslage zurückgehe, weil nach geltender
Rechtslage jedwede Patientenverfügung unabhängig
vom Inhalt verbindlich sei. Ich zitiere aus dem Standard-
werk Medizinrecht von Professor Deutsch, neueste Auf-
lage:
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Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen
ontag?
Gerne.
Herr Kollege Bosbach, nachdem Sie mich persönlichngesprochen haben: Ich bezweifle nicht, dass es überie Entscheidung des 12. Senats eine rege Diskussionit unterschiedlichsten Meinungen gegeben hat. Ichollte Sie fragen, ob Sie auch zur Hand haben – wennicht, können Sie vielleicht aus dem Kopf zitieren –, wasie Vorsitzende des 12. Senats selbst relativ autoritativber ihre Entscheidung in der FAZ gesagt hat. Sie hatusgeführt, dass sich diejenigen, die eine Reichweiten-
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Jerzy Montagbegrenzung in dieser Entscheidung erkennen wollen,täuschen, dass der 12. Senat eine solche Reichweitenbe-schränkung in dieser Entscheidung nicht zum Ausdruckbringen wollte.
Ich habe das Zitat nicht vor mir liegen, aber es liegtauf meinem Tisch. Dies ist so nicht richtig.
– Nein.Sie hat an einer anderen Stelle – ich kann jetzt nichtzum Tisch gehen; aber wenn Sie es möchten, lese ich esIhnen gleich noch vor –
gesagt: Die Differenzierung bezieht sich auf Todesnäheund irreversiblen tödlichen Verlauf. Diese Rechtspre-chung ist geändert worden. Aber es gibt keine Rechtspre-chung des Bundesgerichtshofes in Straf- und Zivilsachen,dass eine Patientenverfügung unter allen Umständen undvor allen Dingen – das sind die sieben Wörter, die unstrennen – unabhängig von Art und Stadium der Erkran-kung Verbindlichkeit hat.
Das schönste Argument für unseren Gesetzentwurfhabe ich in einem Schreiben von Professor Jäger, einemStrafrechtler, gefunden, der geschrieben hat:Es gibt Vorbehalte gegen eine strikte Bindungswir-kung von Patientenverfügungen. Fälle, mit denenich im Rahmen meiner Arbeit in der Ethikkommis-sion eines Krankenhauses konfrontiert wurde, las-sen mich vor einer absoluten Verbindlichkeit zu-rückschrecken.Das ist die Konfrontation der rechtlichen Überlegungeneines Juristen mit der Lebenswirklichkeit, und wir müs-sen uns mehr an der Lebenswirklichkeit orientieren.
Zu dieser Lebenswirklichkeit, Herr Kollege Kauch,gehört ein Argument, das Sie vorhin vorgetragen haben.Ich habe bereits erwähnt, dass ich das Argument für be-achtlich halte. Wir gehen von einem Differenzierungs-kriterium aus, von dem Sie sagen, dass es in der medizi-nischen Praxis untauglich sei. Ich darf Ihnen Folgendessagen: Wenn dieses Argument stimmt, dann müssen wir90 Prozent aller Vorschläge zu Patientenverfügungen ausdem Verkehr ziehen; denn exakt das, von dem Sie be-haupten, dass es das nicht gebe, befindet sich in fast al-len Mustertexten. Auf meinem Pult liegen fast allePatientenverfügungen, die man aus dem Netz herunterla-den kann. Alle haben das Abgrenzungskriterium, vondem Sie – unter Berufung auf Professor Borasio – be-haupten, dass es das nicht gibt.Der aussagekräftigste Vorschlag – das ist ein ganzstarkes Argument für den von uns vertretenen Entwurf –iewGcsEKnldBglgvduhVzwf–GrbunHiRisNtSsswhSI
Nun kommt ein Formulierungsvorschlag, der imahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich ist. Es wirdolgende Formulierung vorgeschlagen:Nicht nur in den oben beschriebenen Situationen, die ich gerade dargestellt habe –sondern in allen Fällen eines Kreislaufstillstandesoder Atemversagens lehne ich Wiederbelebungs-maßnahmen ab.emäß diesem Vorschlag kommt es überhaupt nicht da-auf an, ob ich unheilbar krank bin, ob ich in Todesnähein oder ob ich ein junger Mann bin, der einen Auto-nfall erleidet. Der Patient lehnt kategorisch jede Maß-ahme zur Wiederbelebung ab.Nun gibt es Fälle, in denen Kreislaufstillstand odererzversagen vorliegen und die Reanimation notwendigst. Nehmen Sie nur einmal das Beispiel Herzstillstand/eanimation. Sie fordern, dann einen Beratungsprozessn Gang zu setzen. Es gibt aber Situationen, in denen Siepontan entscheiden müssen: Reanimiere ich – Ja oderein? In einer solchen Situation nützt Ihnen kein Be-reuer und kein Vormundschaftsgericht etwas, sondernie müssen spontan handeln.Wenn Sie nun feststellen – und diese Antwort ist mirehr sympathisch –: Selbstverständlich gibt es Fallkon-tellationen, wo wiederbelebt bzw. künstlich beatmeterden muss und in denen dieser Satz keine Gültigkeitaben kann, dann differenzieren Sie doch nach Art undtadium der Erkrankung. Genau das Gegenteil steht inhrem Gesetzentwurf drin.
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Wolfgang BosbachEs ist ein rhetorischer Kniff, mit dem Sie in der Öffent-lichkeit punkten. Wenn das nicht nur in der gründlichenBegründung Ihres Gesetzentwurfs, die ich in der feinenAbwägung zwischen Lebensschutz und Selbstbestim-mungsrecht in weiten Teilen unterstreichen kann, stehenwürde, sondern auch im Gesetzestext, hätten wir nichtdie Debatten, die wir seit Jahren führen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Kollegen Dr. Wodarg.
Ja, klar.
Bitte sehr.
Herr Kollege Bosbach, ich finde, Sie haben das etwas
schief dargestellt. Als jemand, der jahrelang Notarztwa-
gen gefahren ist und auf der Intensivstation gearbeitet
hat, der also immer in der Situation war, dass er zu Not-
fällen gerufen wurde und dann handeln musste, weil jede
Sekunde kostbar war, sage ich Ihnen: Es geht nicht so
sehr um die Schwere der Erkrankung,
wie Sie es gerade dargestellt haben, sondern vielmehr
um die Zeit, die man hat, um zu überprüfen, was der
Wille des Patienten ist. Das ist etwas ganz anderes. In
dieser Situation hat man nicht die Möglichkeit, den Wil-
len des Patienten zu eruieren, sondern man muss erst
einmal handeln. Das hat mit der Schwere der Erkran-
kung nichts zu tun.
Herr Kollege Wodarg, Entschuldigung!
Ein Patient kann nur ohnmächtig sein, er kann aber
auch schon fast tot sein.
Herr Kollege Wodarg, das ist ein ganz anderer Fall.
Sie unterstellen Rettungswillen; auch das ist ein interes-
santer Fall, aber nicht der, von dem ich gesprochen habe.
Von dem Fall, über den ich berichtet habe, habe ich von
einem Arzt erfahren, der uns dringend davor warnt, die
absolute Verbindlichkeit von Patientenverfügungen zu
beschließen.
In meinem Fall geht es um eine Patientin, die 50 Jahre
alt war. Sie hatte aufgrund eines orthopädischen Pro-
blems eine Operation. Diese Operation verlief völlig
problemlos. Die Patientin ist für eine Nacht auf die In-
tensivstation gekommen. Am nächsten Morgen war sie
ansprechbar und sollte auf die Normalstation verlegt
werden. In diesem Moment erlitt sie eine Lungenembo-
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Herr Kollege Bosbach.
Ich bin sofort fertig, großes Indianerehrenwort. – Herr
odarg, wer Maßnahmen der Wiederbelebung katego-
isch ablehnt, und zwar unabhängig von Art und Sta-
ium der Erkrankung, für den sollte eine ärztliche und
ine rechtliche Beratung verbindlich sein. Denn dies ist
ie weitreichendste Erklärung, die ein Mensch in seinem
eben abgeben kann, die Entscheidung über Leben und
od.
ie sagen, das sei eine bürokratische Hürde. Mit diesem
orwurf kann ich leben. Mit dem Vorwurf, einem Gesetz
ugestimmt zu haben, durch dessen Anwendung mögli-
herweise Menschen sterben, die weder sterben müssten
och in Kenntnis der Situation sterben wollten, könnte
ch allerdings nicht leben.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-ürfe auf den Drucksachen 16/11360 und 16/11493 anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-chlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, dasst der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-en.
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21512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Vizepräsidentin Gerda HasselfeldtIch rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten SabineLeutheusser-Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks,Ernst Burgbacher, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zur Änderung der Strafprozess-ordnung
– Drucksache 16/11170 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Kultur und MedienNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höredazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah-ren.
– Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die der weite-ren Debatte nicht folgen wollen oder können, ihre Ge-spräche vor dem Plenarsaal fortzuführen. Alle anderenKolleginnen und Kollegen bitte ich, den Rednern ihreAufmerksamkeit zu schenken.Als erste Rednerin hat die Kollegin SabineLeutheusser-Schnarrenberger für die FDP-Fraktion dasWort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Vor ungefähr einem Jahr hat der Deut-sche Bundestag die Reform der Telekommunika-tionsüberwachung beschlossen. Mit dieser Reform wurdeerstmals eine allgemeine Vorschrift zum Schutz vonBerufsgeheimnisträgern vor staatlichen Überwachungs-maßnahmen in Strafverfahren geschaffen. Das war einsystematisch neuer Ansatz. Es sollte für alle Überwa-chungsmaßnahmen eine Grundlage geschaffen werden.Die Absicht, eine allgemeine Regelung zu treffen, die esin dieser Form zuvor nicht gegeben hat, ist zu Recht be-grüßt worden.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es uns umdie Ausgestaltung dieser Bestimmung. Man kann sienämlich nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktionund auch nach Auffassung vieler Teile der Gesellschaftnicht als gelungen bezeichnen. § 160 a StPO schafft ei-nen Unterschied zwischen den verschiedenen Berufsge-heimnisträgern. Wir wollen das korrigieren.Berufsgeheimnisträger genießen nach unserer Rechts-ordnung, wie man an § 53 StPO sieht, einen hohenSchutz, und das zu Recht. Das Bundesverfassungsge-richt hat in seinen Entscheidungen immer wieder den ho-hen Rang herausgestellt, den der Schutz des Vertrauenszwischen Anwalt und Mandant, zwischen Arzt und Pa-tient, zwischen Journalist und Informant, zwischenGeistlichem und demjenigen, der die Beichte ablegenmöchte – um nur einige wenige zu nennen –, hat.Man kann darüber streiten, wie weit dieser Vertrauens-schutz verfassungsrechtlich legitimiert ist. Gerade dieE2Rssbzwthtumd§tbvBSwuiawgathASftiulWSgw§vlswddKvgwdhtM
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21513
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Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder,
CDU/CSU-Fraktion.
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Hilger hat das Problem im Jahre 2003
auf Seite 482 ff. in Goltdammer’s Archiv für Strafrecht
sehr präzise umrissen: Es geht um den flankierenden
Schutz von Zeugnisverweigerungsrechten.
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, das ha-
ben wir am 9. November 2007 hier im Deutschen Bun-
destag schon ausdiskutiert.
Wir haben einen Gesetzentwurf zur Neuordnung der
Telekommunikationsüberwachung und weiterer ver-
deckter Ermittlungen beraten, und wir haben ein gutes,
differenziertes, harmonisch abgewogenes Ergebnis zu-
stande gebracht.
Es gibt seither nichts Neues, keine Gesetzeslücke, kei-
nen Korrekturbedarf.
Meine Damen und Herren, es geht in erster Linie um
die Aufklärung von Straftaten. Im Jahre 1975 hat ein
Deutscher mit sechs weiteren Tatgenossen die OPEC-
Konferenz in Wien überfallen. Drei Menschen wurden
ermordet, 70 Geiseln wurden genommen. Der Deutsche
ging flüchtig. Etwa 20 Jahre später konnte man seinen
Aufenthaltsort ermitteln, weil man Telekommunika-
tionsverbindungsdaten einer Journalistin erhoben hatte,
mit der er mehrfach telefoniert hatte.
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, damals
gab es den § 100 h der Strafprozessordnung. Es gab kei-
nerlei Differenzierungen. Bei jedem Journalisten konn-
ten die Telekommunikationsverbindungsdaten ohne Ein-
schränkung erhoben werden. Das war auch richtig so.
Man konnte den Täter festnehmen. Obwohl er die
Kronzeugenregelung in Anspruch genommen hat, be-
kam er neun Jahre Freiheitsstrafe. Das ist gesühntes Un-
recht. Folgte man Ihrem Gesetzentwurf, dann würde die-
ser Straftäter noch heute frei und ohne Sühne und Strafe
durch die Welt laufen. Das wollen wir nicht.
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Montag?
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Bitte schön.
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Kollege Montag, ich bin mit meinen Ausführungen jaoch nicht am Ende.
s besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Aufklä-ungspflicht des Staates und dem teilweise verfassungs-echtlich geschützten Recht von Berufsgeheimnisträgernuf Wahrung des ihnen anvertrauten Geheimnisses. Nacher Verfassung steht ein Journalist einem Abgeordnetenben nicht gleich. Der Abgeordnete genießt den Schutzach Art. 47 des Grundgesetzes, der Journalist nur denach Art. 5 des Grundgesetzes, der nicht so weit reichtie Art. 47 des Grundgesetzes. Also müssen wir diesespannungsverhältnis entsprechend lösen. Das von mir er-ähnte Gesetz tut dies angemessen in einem abgestuftenystem. Dazu werde ich noch Stellung nehmen.An erster Stelle steht also die Aufklärungspflicht destaates, weswegen – dies sagt die verfassungsgerichtli-he Rechtsprechung; es ist in der Bundesverfassungsge-ichtsentscheidung im 33. Band auf Seite 367 nachzule-en – der Kreis der geschützten Berufsgeheimnisträgerng zu fassen ist. Wenn schon der Kreis der Berufsge-eimnisträger eng zu fassen ist, ist erst recht der Kreiserjenigen, die vor Ermittlungsmaßnahmen zu schützenind, eingeschränkt zu formulieren. Genau so machenir es nach dem derzeit geltenden Recht.Journalisten stehen nicht Abgeordneten gleich, Ärztetehen nicht Geistlichen gleich, und zivilrechtlich tätigenwälte stehen nicht dem Strafverteidiger gleich. Esibt privilegierte Berufsgeheimnisträger. Dazu gehörener Abgeordnete aufgrund Art. 47 des Grundgesetzes,er Strafverteidiger wegen des grundrechtlich geschütz-en Anspruchs der Menschenwürde und der Geistlicheegen Art. 4 des Grundgesetzes. Diese Ausnahmerege-ungen hatte der Gesetzgeber zu beachten. Wir kommenu dem Ergebnis, dass mehr als diese Ausnahmen nichtemacht werden sollten, weil sonst die Aufklärungs-flicht viel zu stark eingegrenzt würde.
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21514 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Siegfried Kauder
Aber, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Sie vermit-teln hier den Eindruck, als schützten wir nur das Berufs-geheimnis der privilegierten Berufsgeheimnisträger. Dasstimmt nicht. Es ist ein sehr differenziert ausgeklügeltesSystem. Schauen Sie in § 160 a Abs. 5 der Strafprozess-ordnung, dann werden Sie feststellen, dass die Lex spe-cialis trotz der Einschränkungen in den §§ 97 und 100 cder Strafprozessordnung weiterhin gilt. Deswegen– Frau Kollegin, das wissen Sie – ist auch bei einemJournalisten eine Wohnraumüberwachung nicht zuläs-sig;
dies ist grundrechtlich nicht möglich.Wir wollen nicht, dass Berufsgeheimnisträger völligden Ermittlungsmaßnahmen entzogen sind, weil auch siewie jeder Drittbetroffene dem Staat als Beweismittel beiDurchsuchungsmaßnahmen zur Verfügung stehen müs-sen; auch dies ist differenziert ausgestaltet.Wir kamen zu dem Ergebnis, dass wir es bei dennichtprivilegierten Berufsgeheimnisträgern auf eine so-genannte Abwägungslehre ankommen lassen, dass alsoim Einzelfall bei einem Journalisten zu prüfen ist, ob dasGrundrecht auf Pressefreiheit nach Art. 5 dem Anspruchauf Ermittlung einer Straftat vorgeht. Was die Telekom-munikationsüberwachung und die Verbindungsdaten an-geht, ist dies eine Verbesserung des alten Rechtszustan-des. Es gilt nicht mehr die Vorschrift des § 100 h derStrafprozessordnung, sondern die der §§ 97 Abs. 5 und160 a der Strafprozessordnung, wonach der Journalistprivilegiert ist.
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, sogardann, wenn der Journalist bei Geheimnisverrat in dieStraftat verstrickt ist, ist der Aufklärungsanspruch gegenden grundrechtlichen Schutz des Art. 5 abzugrenzen.Der Journalist, der einen Dritten anstiftet, Geheimnisver-rat zu begehen, steht nach dem neuen Recht besser da alsnach dem alten Recht. Sie sehen also, es ist sehr ausge-wogen ausgelegt.Was Sie wünschen, ist rechtlich möglich, verfas-sungsrechtlich aber nicht geboten, und es stünde in ei-nem eklatanten Widerspruch zur Aufklärungspflicht desStaates.
Wir wollen, dass möglichst viele Möglichkeiten beste-hen, um Straftaten ermitteln und Straftäter überführenund einer Strafe zuführen zu können. Der von mir ebenerwähnte Fall des Terroristen zeigt deutlich, dass diesauch geboten ist. Wer diese Aufklärung nicht möchte,könnte dem Antrag der FDP zustimmen. Wer möchte,dass der Rechtsstaat auf beiden Beinen und nicht auf tö-nernen Füßen steht, kann diesen Gesetzentwurf nur ab-lehnen. Das werden wir hiermit tun.FD–sFglmrG–hBlugGBJznsDhnelalesgdnSZusddlsvkehlr
Wolfgang Nešković ist der nächste Redner für die
raktion Die Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Meine Fraktion und ich werdendas wird Sie nicht erstaunen, Herr Kauder – dem Ge-etzentwurf der FDP zustimmen. Denn ebenso wie dieraktion der FDP sind auch wir der Auffassung, dassrundsätzlich für alle Berufsgeheimnisträger ein einheit-icher und umfassender Schutz vor strafrechtlichen Er-ittlungsmaßnahmen sichergestellt werden muss.Die Differenzierung, die das Bundesverfassungsge-icht aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten voneistlichen und Strafverteidigern vorgenommen hatSie haben das selbst angesprochen, Herr Kauder –,indert den Gesetzgeber nicht daran, auch die anderenerufsgeheimnisträger unter denselben Schutz zu stel-en. Damit würde auch und gerade die aus unserer Sichtnerträgliche Selbstprivilegierung von Abgeordnetenegenüber den Journalisten, den Vertretern der viertenewalt, beendet.Für die Abgeordneten gilt die Rechtsprechung desundesverfassungsgerichts genauso wenig wie für dieournalisten, soweit sie sich auf Art. 1 des Grundgeset-es stützt. Dennoch gibt es gute Gründe, Journalistenicht schlechter zu behandeln als uns selbst. Auch für sietreiten zumindest verfassungspolitische Überlegungen.enn es gibt einen gefährlichen Ursachenzusammen-ang zwischen einem unzureichenden Schutz von Jour-alisten vor Ausforschung, schweigenden Informanten,iner stillen Presse und einer mundtoten Demokratie.Ich will diesen Zusammenhang noch einmal darstel-en: Journalisten sind keine Hellseher. Sie schreibenuch nur selten über Vorfälle, die sie selbst und persön-ich erlebt haben. Wer nicht hellsehen kann und nicht ausigenem Erleben berichtet, ist auf Informanten angewie-en. Ein Informant, der schweigt, weil er Strafverfol-ung fürchtet, ist kein geeigneter Informant. Den Mutes Informanten befördert der Grundsatz, dass der Jour-alist für die Öffentlichkeit spricht, doch vor demtrafrichter schweigen darf. Wenn aber der Staat dieseseugnisverweigerungsrecht des Journalisten einfachmgehen kann, entmutigt das den Informanten ganz ent-cheidend.Der Staat umgeht das Zeugnisverweigerungsrecht, in-em er dem Journalisten heimlich ablauscht, worüberer nicht offen sprechen muss. Die jetzige Gesetzeslageegitimiert genau diese Umgehung im Wege einer ab-trakten Abwägung zwischen Pressefreiheit und Straf-erfolgungsinteresse. Wenn der Informant nicht wissenann, wie diese abstrakte Abwägung ausgeht, so wird ers konkret vorziehen, zu schweigen. Er wird auch des-alb schweigen, weil er die immensen technischen Mög-ichkeiten bedenkt, mit denen sich der Staat rechtlich ge-üstet hat. Kameras, Wanzen, staatliche Spähprogramme
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21515
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Wolfgang NeškoviæWolfgang Neškovićund Richtmikrofone, die selbst durch dicke Mauern je-des vertrauliche Wort erlauschen können,
werden für immer mehr schweigende Informanten sor-gen.Was die Informanten nicht erzählen wollen, kann derJournalist nicht berichten. Das erfährt dann auch die de-mokratische Öffentlichkeit nicht. Dann diskutiert sienicht; dann schweigt sie.Das Schweigen wird sogar noch stiller – auch wennsein Bruch unverzichtbar wäre –, wenn es um die Auf-klärung eines politischen oder rechtlichen Versagensstaatlicher Verantwortungsträger geht.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Kauder zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, zu diesem Punkt nicht. – Die nämlich schwei-
gen in solchen Fällen gerne mit. Es ist dieses gemein-
same Schweigen, das alle mundtot macht. Die Demokra-
tie verträgt keine Stille. Sie braucht den öffentlichen
Diskurs.
– Dazu bleibt noch genügend Zeit. Ich habe vier Minu-
ten Redezeit, wie Sie wissen. Ich bin nicht so üppig aus-
gestattet.
– Meine Herren, das habe ich doch verstanden. Aber der
Redefluss bzw. der Gedankenfluss geht verloren.
Da also die Demokratie den öffentlichen Diskurs
braucht, benötigt sie einen absoluten Überwachungs-
schutz für Journalisten.
Machen Sie sich bitte klar, dass es hier nicht um eine in-
dividuelle Wohltat für Medienvertreter geht. Vielmehr
befassen wir uns mit nichts anderem als dem öffentli-
chen Interesse, Herr Kauder. Genau das ist in meiner Ab-
wägung stärker zu berücksichtigen als das konkrete
Strafverfolgungsinteresse, weil es um wichtige Belange
der Demokratie geht. Hier geht es nämlich um eine kriti-
sche, mutige und aufklärerische Berichterstattung für
eine lebendige Demokratie und eine freie Gesellschaft.
In einem solchen Abwägungsprozess heiligt der Zweck
nicht die Mittel.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Nešković, Sie haben versucht, den Ein-
ruck zu erwecken, als ob ein Lauschangriff gegen Jour-
alisten zulässig wäre. Dies ist nicht richtig. Wie sich
us § 100 c Abs. 6 der Strafprozessordnung ergibt, ist
er Lauschangriff – weil es sich um einen sehr intensi-
en Eingriff in Persönlichkeitsrechte handelt – gegen
lle Berufsgeheimnisträger, egal ob privilegiert oder
ichtprivilegiert, nicht zulässig.
aran sehen Sie, Kollege Nešković, dass es sehr gut ist,
enn man differenzierte Systeme erst einmal durch-
euchtet, bevor man pauschal meint, Journalisten hätten
einen Schutz.
Ich habe schon erwähnt, dass die Schutzrechte der
ournalisten im Vergleich zum früheren Recht verbessert
orden sind. § 100 h der Strafprozessordnung, in dem
ine Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Pressefrei-
eit und dem Interesse an der Aufdeckung von Straftaten
icht vorgesehen war, gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt
s jetzt § 160 a Abs. 2 der Strafprozessordnung. Diese
orschrift bedingt eine Abwägung zwischen den Interes-
en des Journalisten und dem Interesse an der Aufdeckung
on Straftaten. Ich bitte außerdem, zur Kenntnis zu neh-
en, dass selbst im Verstrickungsfall, wenn also ein Jour-
alist einen Dritten anstiftet oder Beihilfe leistet, Geheim-
isverrat zu begehen, diese Abwägungslehre einschlägig
t. Damit haben wir ein differenziertes System. Ihre Aus-
ührungen werden dem nicht gerecht.
Bitte schön, zur Erwiderung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kauder, dadurch, dass ein Gesetz, das vorher
chlecht war, ein wenig besser gemacht wird, wird es
och nicht gut. Uns geht es darum, in diesem Bereich ei-
en umfassenden Schutz sicherzustellen. Wenn es so
äre, wie Sie es eben gesagt haben – wir werden in den
usschüssen Gelegenheit haben, darüber genau und dif-
erenziert zu diskutieren –, dann müssten Sie, zumindest
as die Journalisten betrifft, dem vorliegenden Gesetz-
ntwurf zustimmen. Wozu brauchen Sie denn eine Diffe-
enzierung, wenn Sie der Meinung sind, dass bereits ab-
oluter Schutz besteht?
Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Stünker fürie SPD-Fraktion.
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21516 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wir sollten die Beratungenim Ausschuss durchführen. Dort können wir die Argu-mente noch einmal austauschen. Herr Kollege Kauderhat vollkommen recht: Wir haben, was den Lausch-angriff, also den schwerwiegendsten Eingriff angeht, die1998 gefundene Regelung geändert und für den absolu-ten Schutz aller Berufsgeheimnisträger gesorgt.
Lassen Sie mich zu dem vorliegenden Gesetzentwurfkommen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, es tut mirleid, aber der Gesetzentwurf ist überflüssig. Er ist des-halb überflüssig, weil wir – darauf hat der KollegeKauder bereits hingewiesen – alle Fragen, die Sie wiederaufgeworfen haben, nach einem jahrelangen Erörte-rungsprozess im Jahr 2007 beantwortet haben undschließlich zu einem ausgewogenen System gekommensind. Daher können Sie nicht erwarten – denn neuererechtstatsächliche Erkenntnisse hat es seitdem nicht ge-geben –, dass wir Ihrem Gesetzentwurf nach den Bera-tungen zustimmen werden.Der Gesetzentwurf ist weiterhin überflüssig, weil dieGesamtregelung, die wir getroffen haben – das gilt ins-besondere im Hinblick auf § 160 a StPO –, gegenwärtigbeim Bundesverfassungsgericht beklagt wird. Das heißt,wir sind in einem schwebenden Verfahren, in dem dasBundesverfassungsgericht diese Vorschrift überprüfensoll. Genau in diesem Moment kommen Sie und sagen:Erlasst doch eben eine neue Vorschrift und macht das,was ihr damals abgelehnt habt! – Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wie Sie wissen, schätze ich Sie sehr;aber mir erschließt sich nicht ganz, warum Sie zum ge-genwärtigen Zeitpunkt einen solchen Gesetzentwurf vor-legen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in der be-antragten einstweiligen Anordnung hierzu ausdrücklichStellung genommen – daher lassen wir das so, wie es ist,und warten die Entscheidung in der Hauptsache ab –:… würde für sämtliche in § 53 StPO genanntenZeugnisverweigerungsberechtigte ein absolutes Be-weiserhebungs- und -verwertungsverbot bestehen,könnte dies dazu führen, dass zahlreiche Ermitt-lungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden dürf-ten. Dies könnte zur Folge haben, dass die Aufklä-rung gewichtiger Straftaten nicht möglich wäre,weil einzelne Ermittlungsmaßnahmen von vornhe-rein nicht ergriffen oder erlangte Erkenntnisse nichtverwertet werden dürften.Genau so ist es. Daher kann ich nur sagen: Warten wirdie Entscheidung ab, die uns das Verfassungsgericht inKarlsruhe sicherlich in diesem Jahr servieren wird.Das war die formelle Seite. Wir können Ihnen, FrauLeutheusser-Schnarrenberger, aber auch inhaltlich nichtfolgen; denn das, was Sie in den Gesetzentwurf ge-schrieben haben, ist mehr als das, was Sie hier vorgetra-gen haben. Das geht weit über das hinaus, was mit einerwirksamen Kriminalitätsbekämpfung überhaupt nochvereinbar ist; denn Sie verlangen ein absolutes Beweis-ehNiWSsrdsgkmGsi–TdgnuhnEdSkwrmsDBmaBfrtuwnsnedtagtd
Das genau ist der Punkt. Da wünsche ich Ihnen in derat viel Spaß.Worum geht es denn eigentlich? Es geht darum, dassiese Personen nicht Beschuldigte sind, sondern auf-rund einer bestimmten beruflichen Tätigkeit Erkennt-isse bekommen und diese Erkenntnisse wichtig sind,m schwerste Straftaten aufzuklären. Da haben wir – dasat auch Herr Kauder gesagt – eine Abwägung vorge-ommen und gesagt, dass nur bei erheblichen Straftatenrmittlungen vorgenommen werden dürfen. Sie wollenoch nicht im Ernst sagen, dass der Staat schwerstetraftaten dann nicht aufklären darf, wenn es sich um Er-enntnisse von Apothekern und Hebammen handelt,eil diese wegen des ausgeübten Berufes einen besonde-en Vertrauensschutz hätten. Es tut mir leid, das ist miteinem Verständnis von Rechtsstaat nicht in Überein-timmung zu bringen. Das kriege ich nicht auf die Reihe.
aher werden wir Ihnen nicht folgen können.Dann machen Sie etwas, was nicht ganz redlich ist.ei der ganzen Diskussion werden die weiteren Bestim-ungen der Strafprozessordnung – Herr Kauder hat esbstrakt-generell gemacht – gar nicht mehr genannt, zumeispiel § 97 der Strafprozessordnung, in dem ein um-assendes und umfangreiches Beschlagnahmeverbot ge-egelt ist. So dürfen genau bei diesen Berufsgeheimnis-rägern bestimmte Papiere, die das Vertrauensverhältnis,m das es hier geht, betreffen, gar nicht beschlagnahmterden. Der Staat darf also in dieses Vertrauensverhält-is gar nicht eingreifen. Wenn Sie sich nicht das Ge-amtsystem der Strafprozessordnung anschauen, sondernur eine Vorschrift herausnehmen, dann kommen Sie inine mächtige Schieflage.Ich will über Ihren Vorschlag nicht länger als notwen-ig reden. Es kommt mir so vor, als ob Sie Klientelpoli-ik betreiben würden. Es kommt mir so vor, als ob Sieuf einen Zug aufspringen wollten, wie wir es im vori-en Jahr erlebt haben. Damals gab es eine gewisse Hys-erie und die Befürchtung, wir wollten alle Menschen iniesem Land abhören und ausforschen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21517
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Joachim Stünker
In diesen Kontext passte der Entwurf gut hinein. Ichkann Ihnen nur sagen: In der Praxis und bei all denen,die in der Strafrechtspflege tätig sind – angefangen beider Polizei über die Staatsanwaltschaften bis hin zu denGerichten –, werden Sie mit diesem Vorschlag nicht re-üssieren können. Darum werden wir ihn nicht überneh-men.Schönen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eswird Sie nicht verwundern, aber ich sage es trotzdem:Wir Grüne teilen die Stoßrichtung des Gesetzentwurfsder FDP. Ich will zu der Debatte einiges sagen und michzuerst an Sie, Herr Kollege Kauder, wenden. Sie habendavon gesprochen, dass es sich der Sache nach – nachGoltdammer’s Archiv, aber auch sonst ist es richtig – umeinen flankierenden Schutz von Zeugnisverweigerungs-berechtigten handelt. Das ist richtig.Das führt mich zu einem Gedanken, der hier nochnicht angesprochen worden ist, den ich aber für einenzentralen halte. Stellen Sie sich vor, es gibt ein Verfahrengegen einen Beschuldigten, und in der Hauptverhand-lung wird von der Staatsanwaltschaft oder auch von derVerteidigung – egal – ein Zeuge in den Zeugenstand be-rufen, der zu den zeugnisverweigerungsberechtigtenPersonen gehört, und zwar ohne Unterscheidung. Dannfragt das Gericht: Was wissen Sie? – Im Rahmen desZeugnisverweigerungsrechts – die Einschränkung istwichtig; sie gilt für alle – braucht er nichts zu sagen. DieHebamme braucht nichts zu sagen und auch nicht derApotheker. Da sind der Apotheker und die Hebamme ge-nauso geschützt wie der Geistliche und der AbgeordneteKauder.
– Nicht dazwischenschreien! – Da muss also – das istdoch klar – das Strafverfolgungsinteresse des Staates zu-rückstecken. Die volle Ermittlung des Sachverhalts istnicht möglich, weil im Gesetz gesagt wird: Alle Zeug-nisverweigerungsberechtigten haben im Rahmen ihresZeugnisverweigerungsrechts ein volles Aussageverwei-gerungsrecht.Sie regeln in § 160 a StPO im Rahmen des flankieren-den Schutzes von Zeugnisverweigerungsberechtigten dieErmittlungsmaßnahmen, die gegen genau diese zeugnis-verweigerungsberechtigten Personen ergriffen werden,um Erkenntnisse zu gewinnen, die dazu führen, dass dieZeugen bei Gericht nicht mehr gebraucht werden, weildie Erkenntnisse im Ermittlungsverfahren über AbhörenuswdHBHKlAnanwsna–fs–Vbvh–dHmnwwRb
Aus diesem systematischen Grund sage ich Ihnen:eim Zeugnisverweigerungsrecht geht es – auch bei derebamme – nicht um irgendwelche Dinge, sondern imern um das Vertrauensverhältnis der Gesprächsbetei-igten, sei es ein Gespräch beim Steuerberater oder beimpotheker. Die Betreffenden sollten unserer Meinungach so weit, wie das Zeugnisverweigerungsrecht reicht,uch bei Strafverfolgungsmaßnahmen, bei denen sie jaur Betroffene und keine Beschuldigten sind, geschützterden. Aus diesen Gründen, die sehr wohl eine verfas-ungsrechtliche Grundlage haben, plädieren wir für ei-en vollen, gleichmäßigen und umfassenden Schutzuch im Rahmen des § 160 a StPO.
Herr Kollege Kauder, da meine Redezeit fast abgelau-en ist, will ich Ihre Zwischenfrage, auch wenn sie ge-tattet würde, jetzt nicht mehr zulassen.
Die verfassungsrechtliche Grundlage ist der Schutz desertrauens des Mandanten, Klienten oder Patienten inestimmten Berufen,
on denen wir im Rahmen der §§ 52 und 53 StPO gesagtaben, dass wir bereit sind – –
Hören Sie mir doch zu!Ich sage Ihnen: Der Deutsche Bundestag hat entschie-en, dass die Zeugnisverweigerungsberechtigten in derauptverhandlung keine Aussage machen müssen. Da-it wird die Strafverfolgung gestört. Das ist ein Hinder-is bei der vollen Ermittlung der Wahrheit. Das nehmenir hin, das befürworten wir sogar,
eil das materieller Rechtsstaat ist. Dieser materielleechtsstaat muss sich auch im Rahmen des § 160 a StPOewahrheiten.
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21518 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Jerzy MontagDeswegen stehen wir in der Tendenz hinter dem Ge-setzentwurf der FDP. Aber leider muss ich sagen, FrauKollegin Leutheusser-Schnarrenberger: Ich befürchte, eswird in dieser Legislaturperiode weder zu einer sachli-chen Beratung Ihres Gesetzentwurfs noch zu einer posi-tiven Entscheidung kommen. Aber vielleicht gelingt unsdas nach dem September 2009.Danke.
Die erkennbaren Interessen für ergänzende Wortmel-
dungen können unter den Beteiligten ganz offenkundig
auch während der Ausschusssitzungen ausgetauscht
werden,
sodass ich mit diesem freundlichen Einvernehmen die
Aussprache heute schließe.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/11170 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Darüber
gibt es wohl zumindest schon jetzt Einvernehmen. – Das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 5 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemm-
nisse insbesondere in der mittelständischen
– Drucksache 16/10490 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 16/11622 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Burgbacher
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 16/11623 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Lothar Mark
Ulrike Flach
Roland Claus
Alexander Bonde
Auch hierzu soll nach einer interfraktionellen Verein-
barung eine halbstündige Aussprache stattfinden. – Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
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Wir haben uns vorgenommen, dass wir bis zum Endeieser Legislaturperiode ein Volumen von 7 Milliardenuro erreichen. Das ist schon was. Aber auch das istoch nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Einigesird noch kommen.Mit dem Dritten Mittelstandsentlastungsgesetz gehenir eine Reihe von Maßnahmen an, die vor allen Dingenie kleineren Betriebe betreffen. Die Handwerkszählung
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21519
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Dr. Michael Fuchswird vereinfacht; das kann online gemacht werden.460 000 Betriebe werden entlastet. Wir erzielen Kosten-ersparnis auch im Gewerberecht. Circa 70 MillionenEuro werden eingespart. Das sind beträchtliche Sum-men, aber es könnte noch mehr sein. Mir liegt eineMenge daran, dass wir noch weiter vorankommen.Wir wissen, wie schwierig das ist. Wolfgang Clement– ich kann ihn völlig unbefangen zitieren – hat einmaldavon gesprochen, dass Bürokratieabbau so etwas Ähn-liches wie ein Häuserkampf sei, und er hat recht. Wirmerken, wie schwierig das ist. Deswegen bin ich demBundeswirtschaftsminister und besonders dem KollegenSchauerte sehr dankbar, dass sie diesen Kampf Haus fürHaus permanent auf sich nehmen und die einzelnen Res-sorts immer wieder anspornen, noch mehr tätig zu wer-den.
Wichtig ist, dass wir noch intensiver über sämtlicheStatistik- und Dokumentationspflichten nachdenken.Vieles ist heute in irgendeiner Form digital vorhanden.Ob es richtig genutzt wird, ist bis jetzt aber nicht deut-lich geworden. Gerade hier liegt eine Menge Potenzial,das wir noch überprüfen müssen. Das gilt für alle Minis-terien.Das gilt natürlich besonders für das BMF. Dort ist dieBereitschaft zum Bürokratieabbau bis jetzt nicht so tollgewesen. 60 Prozent der Weltsteuerliteratur kommt im-merhin aus Deutschland. Das ist ein Rekord, auf den wirnicht stolz sein sollten. Das müssen wir angehen. Damüssen Vereinfachungen her. Das ist machbar und leist-bar. Das werden wir in dieser Legislaturperiode viel-leicht nicht mehr schaffen, aber spätestens in der nächs-ten intensiv angehen müssen. Das führt dann auch dazu,hoffe ich, dass wir weitere technische Möglichkeitenschaffen.Wir sind ja sowieso auf dem digitalen Sektor unter-wegs. Morgen wird über „Elena“ diskutiert; das ist si-cherlich ebenso richtig wie die Gesundheitskarte. DieBundesgesundheitsministerin ist dabei, eine vernünftigeGesundheitskarte zu schaffen. Wir werden den elektroni-schen Bürgerausweis bzw. die elektronische Bürgerkarteweiterentwickeln: Es geht um die elektronische Signaturetc. Das alles sind Maßnahmen, die am Ende des Tagesviel Bürokratie auch für die Bürgerinnen und Bürger be-seitigen. Das wollen wir, und das sollten wir auch ange-hen.
Wir haben uns am Anfang dieser Legislaturperiodeein ehrgeiziges Ziel gesetzt, nämlich eine Senkung derBürokratielasten um 25 Prozent bis 2012 zu erreichen.Ich bin eigentlich ganz optimistisch, dass uns dies gelin-gen kann. Wenn wir gemeinsam – da ist jede Fraktion indiesem Deutschen Bundestag gefordert – auf diesem Ge-biet weitermachen und auch lieb gewonnene Dinge auf-geben, dann haben wir, wie ich glaube, eine guteChance, dieses Ziel zu erreichen.gdßgalggDgdmdlEmSKsdhtdswbnrdFLtslnwt–sss
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21520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Mit Ihren Mittelstandsgesetzen haben Sie zwar eini-es auf den Weg gebracht. Sie meinen, das seien großerfolge. Im Gegensatz dazu haben Sie aber Gesetze ge-chaffen, die einen viel größeren Bürokratieaufwand mitich bringen. Ich nenne zum Beispiel das Allgemeineleichbehandlungsgesetz, das zu erheblichen Mehrkos-en führt, ohne die beabsichtigten Ziele auch nur annä-ernd zu erreichen.Ich nenne den Gesundheitsfonds, der die Qualität deseutschen Gesundheitswesens erheblich schwächt,leichzeitig aber zu deutlich höheren Beiträgen führt.ass Sie diese höheren Beiträge kurz nach Inkrafttretennter Einsatz von Steuermitteln wieder reduzieren müs-en, ist ein politischer Skandal. Das werden wir immerieder anmahnen.
Ich nenne die Erbschaftsteuerreform, die viele Unter-ehmen dazu zwingt, mit erheblichen Kosten Unterneh-ensformen und Nachfolgeregelungen zu ändern, umen Bestand des Unternehmens zu gewährleisten. Dieseseld würde gerade jetzt an anderer Stelle dringend ge-raucht.Mit all diesen Gesetzen haben Sie erheblich mehr Bü-okratie eingeführt. Sie sollten endlich mutiger an dieache herangehen. Sie schaffen jetzt einige Maßnahmen.iesen werden wir zustimmen. Das ist aber keinesfallsie Zustimmung zu einem großen Kurs. Da brauchen wirtwas ganz anderes.
Reinhard Schultz ist der nächste Redner für die SPD-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Bürokratieabbau ist immer ein sperrigeshema; denn lieb gewordene Regeln werden natürlichon denjenigen, die sie erfunden haben, und vor alleningen von denjenigen, die sie verwalten, mit Zähnennd Klauen verteidigt, sodass andere sich schwertun, sieegründet abzuschaffen. Deshalb ist Bürokratieabbauuch immer ein Bohren dicker Bretter und nicht auf ei-en Schlag zu erledigen.Die Gesetzgebungsgeschichte allein dieser Wahlpe-iode zeigt – heute behandeln wir den Entwurf einesritten Mittelstandsentlastungsgesetzes –, dass man im-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21521
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Reinhard Schultz
mer wieder neue Anläufe braucht, um etwas zu errei-chen. Man kann immer nur das erledigen, worüber manim Augenblick Konsens erzielt hat. Anschließend gehtman den nächsten Schritt.Herr Burgbacher, es ist richtig, dass vom DIHK32 Maßnahmen vorgeschlagen wurden. Sie sind von derQualität her natürlich sehr unterschiedlich. Mit dem jetztzu verabschiedenden Gesetzentwurf werden wir aller-dings 65 Maßnahmen für die Wirtschaft schaffen – unddamit mehr, als der DIHK gefordert hat. Eine rein quan-titative Betrachtung zeigt also, dass wir deutlich auf derGewinnerseite sind.
Ich gebe natürlich zu, dass es weitere Möglichkeitengibt. Der Normenkontrollrat benennt in seinem Bürokra-tieabbaubericht 338 mögliche Maßnahmen, die zu einerEntlastung bei den Bürokratiekosten in Höhe von7,1 Milliarden Euro führen. Diese Koalition hat bereitsBürokratielasten in einem Umfang von 6,4 MilliardenEuro abgebaut. Das ist angesichts der relativ kurzen Zeiteine gute Ausbeute. Wir brauchen an dieser Stelle alsonicht allzu sehr bescheiden zu sein.Im Vergleich zum Ersten Mittelstandsentlastungsge-setz werden mit diesem Mittelstandsentlastungsgesetzetwas größere und sperrigere Oschis – um es einmalwestfälisch auszudrücken – gehoben. Ich nenne bei-spielsweise den Bereich der Handwerkszählung, woganz erheblich Kosten eingespart werden. Es werdenauch Belastungen, die sich im Alltag von Unternehmenergeben, abgebaut. Wir haben zahllose Verordnungen,die ausschließlich irgendwelchen Erhebungs- und An-meldungszwecken dienen, schlicht und einfach ersatzlosgestrichen. Wir haben Aufbewahrungsfristen beispiels-weise für Makler und Bauträger deutlich verkürzt. DurchAnhebung der Körperschaftsteuerfreibeträge haben wirauch im materiellen Bereich etwas für die Unternehmengetan. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch diePauschalierung der Erstattung des Mutterschaftsgeldesan die Krankenkassen. Es handelt sich um ein breitesFeld von Maßnahmen, mit denen Bürger und Wirtschaftentlastet werden. Das sollte man nicht ohne Not kleinre-den.Natürlich bleibt noch eine Menge zu tun. Laut Büro-kratieabbaubericht haben wir in Deutschland eine büro-kratische Belastung in Höhe von insgesamt 47,6 Milliar-den Euro. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Davonentfallen 22,5 Milliarden Euro auf Vorschriften, die aufnationaler Ebene vom Gesetz- oder Verordnungsgebererlassen wurden. 25,1 Milliarden Euro entfallen aufEU-Vorschriften. Auf der nationalen Ebene des Bürokra-tieabbaus haben wir erhebliche Fortschritte gemacht; ichhabe gerade darüber berichtet. Ich bin zuversichtlich,dass wir bis 2009 einen Abbau der Bürokratiebelastungin Höhe von 12,5 Prozent und bis 2011 in Höhe von25 Prozent locker erreichen.Schwierig ist der Bürokratieabbau auf europäischerEbene, sozusagen ein Fall für Stoiber. Man muss einmalschauen, wie er das Problem löst. Man kann noch nichtviel erkennen. Seitdem man dort mit dem Bürokratieab-bau angefangen hat, sind mit Blick auf Deutschland Bü-rdVhEnkBPfWmsakgdursWtidWdgRmKimWrfdmmnSFbFrwsdDbcwDewd
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21522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Die Kollegin Sabine Zimmermann hat nun das Wort
für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik steht vor
der tiefsten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte. Wir hören
täglich neue Hiobsbotschaften. Diese Wirtschaftskrise
wird Hunderttausende kleine und mittlere Unternehmen
treffen.
Bereits im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Unter-
nehmenspleiten auf fast 30 000. In der Mehrzahl han-
delte es sich um mittelständische Unternehmen. Für die-
ses Jahr wird ein Anstieg auf 35 000 vorhergesagt.
Betroffen von den Unternehmenspleiten wäre auch eine
halbe Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
diese Zahlen sind eine Bankrotterklärung für die Wirt-
schaftspolitik dieser Bundesregierung.
Sie haben in der Vergangenheit nur auf den Export
und die Kostensenkung bei den Unternehmen gesetzt
und die Binnennachfrage sträflich vernachlässigt. Die-
sen Geist der gescheiterten Politik atmet auch dieses
Dritte Mittelstandsentlastungsgesetz. Keiner hat etwas
dagegen, wenn doppelte Meldepflichten abgeschafft
werden sollen, wie dieser Gesetzentwurf es vorsieht.
Wichtiger ist aber eine ausreichende Anzahl von Aufträ-
gen für die Unternehmen. Gerade auf diesem Gebiet hat
die Regierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht.
Was soll das Dritte Mittelstandsentlastungsgesetz be-
wirken? Um durchschnittlich 30 Euro pro Jahr soll ein
einzelnes Unternehmen in Deutschland entlastet werden.
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enn denken Sie daran: Der Mittelstand ist das Rückgrat
nserer Wirtschaft. Das sagen auch Sie immer, Herr
chultz.
In diesem Sinne: Überdenken Sie Ihre gesamte Mit-
elstandspolitik im Interesse der kleinen und kleinsten
nternehmen bei uns in Deutschland.
Danke.
Kerstin Andreae ist die letzte Rednerin, Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! In diesem Gesetzentwurf steht im Prinzip nichtsalsches.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21523
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Kerstin AndreaeWer hat etwas dagegen, wenn Sie Schausteller von derVerpflichtung, ein Umsatzsteuerheft zu führen, befreienoder die Anzeigenpflicht bei der Aufstellung von Auto-maten abgeschafft wird?
– Ja, das ist was.Wir freuen uns auch, dass Sie das machen. Aber ichsage Ihnen ganz ehrlich: Wer derartig kurz springt, be-kommt die Zustimmung der Grünen nicht. Wir enthaltenuns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf. Siespringen beim Dritten Mittelstandsentlastungsgesetz ab-solut zu kurz.
Woran krankt das Maßnahmenpaket der Bundesregie-rung insgesamt? Wir beschließen jetzt das Dritte Mittel-standsentlastungsgesetz. Immer wieder fällt das Stich-wort Normenkontrollrat, und immer wieder wird dieNotwendigkeit genannt – wir alle sehen sie mehr oderweniger deutlich –, die Bürokratiekosten abzubauen.Aber das Problem ist doch, dass Sie hinsichtlich derGrundstruktur, der Architektur des Normenkontrollratesvon Anfang an derartig vehemente Fehler im Hinblickauf Befugnisse und Zuständigkeiten, im Hinblick darauf,was der Normenkontrollrat wirklich prüft, gemacht ha-ben. Er prüft ja nicht die Gesetzentwürfe, die von denKoalitionsfraktionen kommen, sondern nur die, die vonder Regierungsbank kommen.
Er prüft keine Gesetze von vor 2007. Zu manchen Geset-zen bekommen wir gar nicht die Stellungnahme des Nor-menkontrollrates; das Stichwort Gesundheitsfonds istgefallen. Die Erbschaftsteuerreform wurde dem Nor-menkontrollrat jetzt nur vorgelegt, weil wir es im Aus-schuss beantragt und dafür Ihre Zustimmung bekommenhaben. Die Grundarchitektur des Normenkontrollratesist falsch. Das haben wir immer kritisiert; das kritisierenwir auch an dieser Stelle.
Sie sagen zu Recht, dass Bürokratieabbau ein sinnvol-les Konjunkturpaket ist. Ja, das finde ich auch. Wenn wiruns anschauen, was andere Länder durch Bürokratie-abbau für die Unternehmen tatsächlich gemacht haben,dann sieht man, dass sie deutlich mehr als wir machen.Schauen Sie sich einmal an, was die Niederlande undÖsterreich machen. Dort gibt es ganz andere Zielmarkenund ganz andere Werte, die definitiv in einer Legislatur-periode erreicht werden. Sie haben fünf statt vier Jahreangesetzt, damit man nicht mehr selber dafür zuständigist. Das macht kein anderes Land in der EU, nurDeutschland hat gesagt: Wir brauchen eine Legislaturplus ein Jahr, um den Bürokratieabbau um 25 Prozent zuerreichen. Das ist zu wenig; das ist zu kurz gesprungen.EFddBwimkMSzdgMISDskelHkFsdudghwGdsuluBAdwWtudrea
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21524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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regierungLebenslagen in Deutschland – Dritter Armuts-und Reichtumsbericht– Drucksache 16/9915 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfeb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungNationaler Strategiebericht – Sozialschutz undsoziale Eingliederung 2008 bis 2010– Drucksache 16/10138 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungc) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungNationaler Aktionsplan zur Bekämpfung vonArmut und sozialer Ausgrenzung 2003 bis 2005Implementierungsbericht 2005– Drucksache 15/5569 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Mediend) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungSozialbericht 2005– Drucksache 15/5955 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusKurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENdDAkndmlddsnidKtAgbdh1hzHSdhukJdKsudem6
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21525
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Deshalb, meine Damen und Herren, erhalten bedürftigeSchulkinder bis zum zehnten Schuljahr ab sofort jeweilszu Schuljahresbeginn 100 Euro.
– Darüber können wir noch reden.
Schließlich ist an einem Ergebnis des vorliegendenBerichts nicht vorbeizukommen: Die Chance, aus eige-ner Arbeit ein existenzsicherndes Einkommen zu erzie-len, ist und bleibt der Königsweg zur Bekämpfung vonArmut. Vor Armut schützen kann Erwerbstätigkeit abernur dann, wenn auch existenzsichernde Löhne gezahltwerden und wenn aufgrund der Erwerbsarbeit kein Be-darf mehr an zusätzlichen sozialen Leistungen entsteht.Deshalb wollen wir Mindestlöhne einführen.Die Vereinbarungen der letzten Wochen haben uns,wie ich finde, ein gutes Stück vorangebracht. Durch dieAufnahme von sechs weiteren Branchen in das Arbeit-nehmer-Entsendegesetz und dadurch, dass für Leiharbei-ter im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Lohnunter-grenze eingezogen wird, werden über 1,7 MillionenBeschäftigte mehr als bisher vor Dumpinglöhnen ge-schützt.AgulfRSRhgmldtLDSpndfDemwEf7ldZ1bE7ntii
Meine Damen und Herren, für die Bekämpfung vonrmut gilt das Gleiche wie für den Weg durch die ge-enwärtige Krise: Es bedarf einer Richtung, klarer Zielend der Mobilisierung aller Kräfte. Die Bundesregierungeistet dazu ihren Beitrag – einen guten Beitrag, wie ichinde. Davon bin ich überzeugt.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, ist der nächste
edner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herrtaatssekretär Brandner, ich finde, der Dritte Armuts- undeichtumsbericht und die im Zusammenhang damit ste-enden Aktions- und Strategieberichte werfen mehr Fra-en auf, als sie beantworten. Das Kernproblem bestehteiner Meinung nach darin, dass entscheidende Begriff-ichkeiten nicht geklärt sind. Das führt im Ergebnis dazu,ass die Armutsdebatte nicht objektiv, sondern sehr poli-isiert geführt wird. Den Betroffenen hilft das aber nicht.etztlich – das muss man ganz deutlich sagen – ist derritte Armuts- und Reichtumsbericht ein Dokument descheiterns von zehn Jahren sozialdemokratischer Sozial-olitik.
Der Reihe nach: Es ist der Bundesregierung bis heuteicht gelungen, ein stimmiges Konzept zur Definitiones Armutsbegriffes vorzulegen. Damit fehlt die Basisür eine präzise Auseinandersetzung mit diesem Thema.urch unterschiedliche Definitionen von Armut – es gibtine regelrechte Armutsskala – wird eine sachliche Ar-utsdebatte erschwert.Im Folgenden nenne ich Ihnen beispielhaft Netto-erte für eine alleinstehende Person: Das soziokulturellexistenzminimum 2008 lag bei 7 140 Euro. Der Steuer-reibetrag 2008 betrug, analog zum Existenzminimum,664 Euro. Der durchschnittliche ALG-II-Zahlbetragag bei 8 172 Euro. Die Armutsrisikogrenze betrug nachem Dritten Armutsbericht 9 372 Euro, nach demweiten Armutsbericht lag die Armutsrisikogrenze bei1 256 Euro.Daran sieht man: Die Armutsrisikoschwelle ist relativeliebig. Im Dritten Armutsbericht wurde sie für eineinzelperson bei einem Nettomonatseinkommen von81 Euro festgelegt, im Zweiten Armutsbericht bei ei-em Nettomonatseinkommen von 938 Euro. Dieser Un-erschied zwischen den Armutsrisikoschwellen beruhtm Wesentlichen darauf, dass selbstgenutztes Eigentumm Zweiten Armutsbericht noch als Einkommenskompo-
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21526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Dr. Heinrich L. Kolbn
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man hat den Eindruck,
dass es der Regierung eher darum geht, die Entwicklung,
die zwischen den Berichten stattgefunden hat, zu ver-
schleiern, als darum, sie transparent und erkennbar zu
machen.
Es darf daher nicht verwundern, dass auch die Zahl
der vom Armutsrisiko Betroffenen beliebig ermittelt
wird: Für 2005 wurde im Dritten Armutsbericht nach ei-
ner neuen Methode ermittelt, dass 13 Prozent der Bevöl-
kerung vom Armutsrisiko betroffen sind. Das DIW hin-
gegen ermittelte für 2005 nach der bisherigen Methode
ein Armutsrisiko von 18 Prozent.
Für uns ist festzuhalten: Im Dritten Armuts- und
Reichtumsbericht wird sehr deutlich, dass die Mittel-
schicht in unserem Lande der wahre Verlierer von zehn
Jahren sozialdemokratischer Sozialpolitik ist.
Die Mittelschicht schrumpft. Die von Armut neu Betrof-
fenen rekrutieren sich aus ebendieser Mittelschicht.
Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist von 1998 bis
2006 von 37,4 Prozent auf 41,7 Prozent gestiegen. Das
ist deswegen schlecht, weil Arbeitslosigkeit das größte
Armutsrisiko darstellt.
Insgesamt muss man sagen: Armut weitet sich aus, und
das, obwohl seit 1998 die gesamten staatlichen Sozial-
ausgaben von 605 Milliarden Euro auf mehr als 700 Mil-
liarden Euro jährlich gestiegen sind. Allein im Bundes-
haushalt sind die Sozialausgaben von 93 Milliarden Euro
im Jahr 1998 auf 140,8 Milliarden Euro im Jahr 2008 ge-
stiegen. Das, Herr Staatssekretär Brandner, führt zwin-
gend zu dem Schluss, dass die bisherige sozialdemokra-
tische Konzeption von Sozialpolitik nicht erfolgreich
gewesen ist.
Erwähnenswert ist, dass der Dritte Armuts- und
Reichtumsbericht Hinweise enthält, wie man sinnvolle
Sozialpolitik betreiben kann. Sie haben es ja gesagt: Der
beste Schutz vor Armut ist ein Arbeitsplatz,
am allerbesten ist natürlich eine sozialversicherungs-
pflichtige Vollzeitbeschäftigung.
Ich halte es jedoch für falsch, Herr Brandner, wenn in
diesem Zusammenhang immer wieder die Zahl der soge-
nannten Aufstocker beklagt wird, derjenigen, die trotz
Vollzeitarbeit nicht genügend verdienen, um aus dem
ALG-II-Bezug herauszukommen. Wir wissen, dass in
Vollzeit – ich betone: in Vollzeit – Beschäftigte oft nur für
einen Übergangszeitraum ergänzenden Transfer benöti-
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!enn wir heute über den von der Bundesregierung vor-elegten Bericht „Lebenslagen in Deutschland“ und überur Bekämpfung der Armut erforderliche Strategien de-attieren, dann tun wir das in einer Zeit, in der es derrohenden Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt ent-egenzuwirken gilt. Wirtschafts- und Sozialpolitik bil-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21527
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Maria Michalkden eine Einheit; deswegen ist die Anbindung unserervielfältigen Überlegungen an die vorangegangene De-batte nicht verkehrt.
Wir sind uns doch einig, dass der Erhalt und dieSchaffung von Arbeitsplätzen von fundamentaler Be-deutung dafür sind, dass die Zahl der Menschen, die zurBestreitung ihres Lebensunterhaltes auf staatliche Unter-stützung angewiesen sind, weiter sinkt. Der jeweiligeArmutsbericht ist eine der vielen Grundlagen für unserelaufenden und künftigen Entscheidungen. Der Dritte Ar-mutsbericht beruht – das möchte ich betonen – auf derDatenbasis der Jahre 2004 und 2005. Das muss man wis-sen, wenn man sich die Zahlen genau anschaut.Außerdem ist er nicht mit den zwei vorhergehendenBerichten vergleichbar, die wir kennen; denn es wurdenandere Statistiken zugrunde gelegt. Auch das gehört zumVerstehen dieses Zahlenwerkes. Die wachstumsstarkenJahre 2006 und 2007, in denen die Arbeitslosigkeit be-kanntermaßen maßgeblich gesunken ist, sind hier alsoüberhaupt nicht berücksichtigt. Die Arbeitslosigkeit istdabei in allen Regionen gesunken. Das muss man an die-ser Stelle auch noch einmal betonen.Es ist trotzdem wertvoll, diesen Bericht, die Grafikenund die Kombinationen bzw. Schlussfolgerungen, diedaraus gezogen werden, vorliegen zu haben und mit demaktuellen Stand zu vergleichen.Ausgangspunkte der nationalen Strategien für den So-zialschutz und für die soziale Eingliederung sind also derBericht, die Folgen der eingeleiteten Maßnahmen undletztlich auch der Vergleich auf europäischer Ebene. Esist mir wichtig, auch das noch einmal zu betonen. Nachden einheitlichen europäischen statistischen Vorgaben istnämlich arm – so definiert es die EU –, wer als Alleinle-bender weniger als 60 Prozent des mittleren Einkom-mens verdient. Das sind in Deutschland 781 Euro netto.Im Vergleich dazu: Reich ist in Deutschland ein Allein-lebender, der im Monat netto mehr als 3 418 Euro zurVerfügung hat. Für Familien mit und ohne Kinder giltdie adäquate Relation.Uns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist wichtig,die Menschen, die mit ihrem Arbeitslohn zwischen die-sen beiden Eckdaten liegen, die sogenannte Mittel-schicht, nicht zu vergessen. Hierin bin ich mir mit mei-nem Kollegen Herrn Kolb einig.
Vor allem sie gehören zu den Leistungsträgern, die si-cherstellen, dass unser Sozialstaat als Ganzes möglich istund funktioniert.In dem Bericht wird gesagt, dass nach dieser Defini-tion 13 Prozent der Deutschen arm sind. Weitere 13 Pro-zent bewahrt der Staat durch seine Sozialleistungen da-vor, in diese Gruppe zu fallen. Deshalb verfolgen wirzwei Strategien:Erstens. Vermeidung der Armut durch Arbeit, beson-ders durch Qualifizierung und durch gezielte Vermitt-lsindkkdudbbtddgVdmsdfddmhgEsGkgfshSWrhzDsbwJdzFsUzfLDs
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21528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Das Wort erhält die Kollegin Katja Kipping, Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit demnun vorliegenden Armutsbericht haben wir es schwarzauf weiß: Im Zeitraum von 1998 bis 2005 ist die Ar-mutsrisikoquote von 12 Prozent auf 18 Prozent gestie-gen, bei den Kindern sogar von 16 Prozent auf26 Prozent.
Im Klartext heißt dies, dass jedes vierte Kind in diesemLand vom Armutsrisiko betroffen ist.Insofern ist dieser Armutsbericht natürlich ein Ar-mutszeugnis für die rot-grüne Politik.LmSAdpebmhcTrkbSoTTFkrnliedtkülMlud–nmilstü
ber Fakt ist natürlich, dass dieser Bericht Analysen ausen Jahren zusammenfasst, in denen Ihre Regierungs-olitik zum Tragen kam.Dieser Bericht ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dasss in der Sozialpolitik nicht einfach ein „Weiter so“ ge-en darf; vielmehr braucht es einen klaren Kurswechsel.
Doch was hat das zuständige Sozialministerium ge-acht? Statt aus dem Armutsbericht Lehren zu ziehen,at das zuständige Sozialministerium bei der Veröffentli-hung vor allen Dingen eines versucht: statistischerickserei. Sie haben einfach eine andere statistische Be-echnungsmethode zugrunde gelegt, um die Armutsrisi-ozahl herunterzurechnen, nach dem Motto „Simsala-im – Die Armut verschwind!“ Kindern, die bei derchulspeisung leer ausgehen oder die sich im Schul-der Sportunterricht schämen, weil sie sich keine neuenurnschuhe leisten können, helfen Ihre statistischenricksereien aber kein bisschen weiter.
Konkret hat das Sozialministerium unter Olaf Scholzolgendes gemacht: Statt wie bisher auf die allseits aner-annte Methode des Sozio-oekonomischen Panels zu-ückzugreifen, haben Sie auf einmal die Datenerhebungach EU-SILC zugrunde gelegt. In der Fachwelt ist aberängst bekannt, dass EU-SILC nicht sehr repräsentativst. Dabei erfolgt die Datenerhebung nur auf Grundlageines schriftlichen Fragebogens, der ausschließlich ineutscher Sprache vorliegt. Es wird nur derjenige statis-isch erfasst, der sich zurückmeldet. Das Ergebnis istein Wunder. Dreimal darf geraten werden, wer sichberproportional zurückmeldet: nämlich die Besserqua-ifizierten. Menschen mit niedrigerer Qualifikation oderigrationshintergrund sind nach dieser Methode deut-ich unterrepräsentiert. Damit wird die Armut auf einenseriöse Art und Weise heruntergespielt.Herr Brandner, Sie werden jetzt sicherlich einwenden,ass die endgültige Ausgabe des Berichts beide Zahlensowohl nach EU-SILC als auch nach dem Sozio-oeko-omischen Panel – nennt. Fakt ist aber: In den Presse-aterialien und in allen Veröffentlichungen führen Siemmer nur die Armutsrisikozahl auf, die Ihnen persön-ich lieber ist. Ich finde, diese Trickserei ist nicht mehreriös. Ich würde sogar sagen: Das sind Taschenspieler-ricks, die die Tricks der Hütchenspieler bei Weitembertreffen.
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Katja KippingDer aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht zeigtnoch etwas: Armut und Reichtum sind immer zwei Sei-ten derselben Medaille. Denn in demselben Zeitraum, indem die Armut gestiegen ist, hat auch der private Reich-tum zugenommen. Auch das ist nicht vom Himmel ge-fallen, sondern Ergebnis von staatlicher Reichtums-pflege.Uns Linken wird immer schnell unterstellt, wir wür-den eine Neiddiskussion anzetteln. Wir haben kein Pro-blem damit, dass es Reichtum gibt, aber wir sehen tat-sächlich ein politisches Problem, wenn sich der extremeReichtum Weniger aus der wachsenden Armut Vielerspeist.
Wir haben auch etwas gegen eine Steuerpolitik, diedie Reichsten entlastet und dafür die Mitte zur Kasse bit-tet. Steuergeschenke an die Reichsten entziehen der öf-fentlichen Hand Geld. Dieses Geld fehlt den Rentnerin-nen und Rentnern, Erwerbslosen und Kindern. DieseForm von staatlicher Reichtumspflege ist mit der Linkennicht zu machen.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Ich bitte um eine schnelle Einigung, weil es sonst auf
Kosten der Redezeit geht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Stöckel hat vielleicht gleich noch die Gelegen-heit, etwas wettzumachen. Denn bislang waren die Bei-träge der Vertreterin und des Vertreters der Regierungs-koalition sehr kleinteilig angelegt, ohne Blick für diegroßen Trends und die generelle Entwicklung.
– Auch unter Rot-Grün. Das stelle ich gar nicht in Ab-rede.Auch Ihnen muss es doch Sorgen machen, dass es inden letzten Jahren einen Trend zur Polarisierung gege-ben hat, und zwar in Form einer Ausweitung der Zahlderjenigen, die unter der Armutsrisikoquote liegen, undder Zahl derjenigen, die zu den oberen Einkommensbe-zRsrhJfdgVltbrIkldlsoldsgMidMlWdAhhdskAgBbhhstddmd
Die von mir beschriebene gegensätzliche Entwick-ung wird noch dramatischer und deutlicher, wenn manich die Zahlen bei den Markteinkommen ansieht, alsohne Transfereinkommen, Kindergeld, Rente usw. Al-ein das oberste Zehntel derjenigen, die Einkommen aufem Markt, also Zinsen, Kapitaleinkünfte, Einkünfte auselbstständiger Tätigkeit und Einkünfte aus lohnabhän-iger Arbeit, erzielen, erzielt 40 Prozent sämtlicherarkteinkünfte. Im Kontrast dazu – mehr Zahlen willch dann nicht nennen –: Die untere Hälfte derjenigen,ie Markteinkommen erzielen, erzielt nur 3 Prozent allerarkteinkommen. Das macht eines deutlich: Ihre Theseautet, der beste Schutz vor Armut sei ein Arbeitsplatz.enn man allerdings mit dem Arbeitsplatz nichts ver-ienen kann, dann stellt er natürlich keinen Schutz vorrmut dar. Das ist das Problem, vor dem wir heute ste-en und auf das Sie keine politische Antwort gegebenaben.
Noch ein anderer Aspekt, den ich wegen der Kürzeer Zeit nur anreißen kann. Wir konzentrieren uns in die-er Debatte sehr stark auf Einkommensgrößen und Ein-ommen. Ein Vorteil des nun vorgelegten Drittenrmuts- und Reichtumsberichts, aber auch der vorange-angenen Berichte ist, dass Lebenslagen mit in denlick genommen wurden. Diese sollten wir in der De-atte berücksichtigen. Einkommensarmut, Migrations-intergrund, Kinderreichtum, Bildungsarmut, Gesund-eitsprobleme und schlechte Wohnsituation überlagernich. Wir haben es mit einem komplexen und vielschich-igen Problem zu tun, das es nicht erlaubt, sich nur aufie Einkommensgrößen zu konzentrieren. Deswegenarf die Diskussion nicht nur über Bildung gehen. Viel-ehr müssen wir uns alle Facetten, die gesamte Breiteer Lebenslagen, anschauen. Dazu habe ich von Ihnen
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21530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Markus Kurthnoch nichts gehört. Sie müssen dorthin gehen, wo eswehtut, und versuchen, alle Lebenslagen in den Blick zunehmen.Wir fordern einen Mindestlohn zur Bekämpfung derEinkommensarmut und einen Zuschuss für die Sozial-versicherungsbeiträge im unteren Einkommensbereich.Wir wollen neue, öffentlich geförderte Beschäftigungs-möglichkeiten schaffen. Wir wollen eine wirkungsvolleund keine so zahnlose Erbschaftsteuerreform, wie Sie siedurchführen. Wir wollen ein vernünftiges Programm fürMenschen mit Migrationshintergrund, um bei bestimm-ten Gruppen, die ein enormes Armutsrisiko haben, han-deln zu können. Ich sage Ihnen: Handeln Sie! Armut istteuer. Ein Land wie dieses kann sich allein schon ausökonomischen Gründen nicht so viel Armut leisten. Ar-mut ist eine Wachstumsbremse. Deswegen wäre ein Pro-gramm gegen Armut eines der wirksamsten Konjunktur-programme.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Stöckel das Wort für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! MeineDamen und Herren! Mit dem Dritten Armuts- undReichtumsbericht der Bundesregierung wird die seit demRegierungsantritt der SPD im Jahre 1998 begonnene Be-standsaufnahme der sozialen Lagen in Deutschland fort-gesetzt. Markus Kurth, es geht in der Tat um die gemein-sam beschlossenen Berichte, aber auch um diegemeinsame Politik, zumindest bis 2005. Die Berichtemachen deutlich, dass wir hinsichtlich der Armut undAusgrenzung in Deutschland mit einer umfassendenPolitik für einen aktivierenden und vorsorgendenSozialstaat – diese haben wir 1998 mit BundeskanzlerSchröder begonnen – auf einem richtigen Weg sind. Die-ser muss weitergegangen werden, bis alle Ziele erreichtsind.Wenn wir die Armut und Ausgrenzung in Deutsch-land erfolgreich bekämpfen wollen, brauchen wir dasVerantwortungsbewusstsein und das Engagement nichtnur der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft, vonden Betroffenen bis hin zu den Eliten, von den Akteurender Zivilgesellschaft, den sozialen Dienstleistern, denBildungspraktikern, den Gewerkschaften bis hin zu denChefetagen der Unternehmen. Nicht nur der Bund, derviele Lasten übernommen hat, nein, auch die Bundeslän-der müssen ihre Zuständigkeit für Kinderbetreuung,Schulen und Jugendhilfe verantwortlich wahrnehmenund vor allem dafür sorgen, dass strukturschwacheKommunen, die überdurchschnittlich mit sozialen Pro-blemen konfrontiert sind, eine ausreichende Infrastruk-tur gerade für sozial Schwächere zur Verfügung stellenkönnen.tfuuwdmbtWvwgsdnVwLBWuawmuAvsehafsnlRsbGdutepugumrdngdadb
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21531
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Sie dürfen es nicht nur versuchen, sondern Sie müs-
sen ihn tatsächlich erreichen.
In dem Bericht der Bundesregierung und dem Vortrag
von Staatssekretär Brandner ist deutlich geworden, dass
die Maßnahmen des beschlossenen Konjunkturpakets in
das Politikkonzept passen. Wir begrüßen diese Maßnah-
men. Wir haben den Anspruch, dass die Qualität der Da-
ten für die Sozialberichterstattung verbessert wird. Es
sind dazu einige Vorschläge gemacht worden. Weiterhin
wollen wir die Vergleichbarkeit der Daten verbessern.
Wir wollen vor allem, dass auf Länderebene und auf
der kommunalen Ebene – hier findet der Alltag der Men-
schen statt – nicht nur Berichte zu den sozialen Lagen
und zur Armut erstellt werden, sondern dass diese auch
mit den Bundesberichten vergleichbar werden. Wir dür-
fen auch nicht vergessen: Noch wichtiger, als eine gute
Diagnose zu haben, ist es, die richtige Therapie, das
heißt eine wirksame Politik, zu haben, um die Praxis der
Armutsbekämpfung zu verbessern.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
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Dr. Barbara Höll, Wolfgang Nešković, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rehabilitierung für die Verfolgung und Unter-
drückung einvernehmlicher gleichgeschlecht-
licher Handlungen in der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokrati-
schen Republik und Entschädigung der Verur-
teilten
– Drucksache 16/10944 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck , Kerstin Andreae, Birgitt Bender,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Rehabilitierung und Entschädigung der nach
1945 in Deutschland wegen homosexueller
Handlungen Verurteilten
– Drucksache 16/11440 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll hierzu
ine halbstündige Aussprache stattfinden, wobei die
raktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Das ist
ffenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver-
ahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
r. Höll für die Fraktion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esst höchste Zeit, dass wir uns um das Schicksal vonrauen und Männern kümmern, denen unglaublichesnrecht geschehen ist und deren Menschenwürde zu-iefst verletzt wurde.1956 wurde der Medizinstudent Hans Z. in Hamburgegen Vergehens gegen den § 175 StGB in 15 Fällen zuwei Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht betonte,ass Z. die Männer, mit denen er Sex hatte – ichitiere –, „noch tiefer in ihr Laster hineingetrieben“abe. Strafverschärfend war damals, dass Z. seine
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Dr. Barbara HöllSchuld nicht einsah. Nach 16 Monaten Haft wurde Z.auf Bewährung entlassen. Er verlor seinen Studienplatzund arbeitete fortan als Hafenarbeiter.1960 wurde er an der Hochschule für BildendeKünste angenommen. Aber 1964, kurz vor Abschlussseines Studiums, wurde er erneut nach § 175 verurteilt,diesmal zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe. SeinStipendium wurde gestrichen, und er musste wieder imHafen arbeiten.Der Versuch, als Taxifahrer sein Geld zu verdienen,scheiterte schließlich daran, dass sich das Verkehrsamtweigerte, einem zweimal wegen des § 175 Vorbestraftendie Lizenz zum Taxifahren auszustellen. Beim Verlassendes Verkehrsamtes wurde Z. von einem Lkw erfasst; erverstarb.Das geschah im Deutschland der frühen Nachkriegs-zeit. Die Liebe von Mann zu Mann wurde strafrechtlichverfolgt, und die Liebe zwischen Frauen war nicht leb-bar. Das war in beiden deutschen Staaten so. Wie muss-ten sich da wohl überlebende schwule Männer, die wäh-rend des Nationalsozialismus wegen ihrer Liebe ins KZgeworfen und mit dem Rosa Winkel stigmatisiert wur-den, fühlen?Erinnern wir uns: In beiden deutschen Staaten galtnach dem Krieg der von den Nazis verschärfte § 175 – inder Bundesrepublik bis 1969, in der DDR bis 1950. Be-strafungen waren menschenverachtende Realität: Etwa50 000 Männer wurden im Westen und etwa 3 000 imOsten Deutschlands verurteilt. Wer nach dem § 175 ver-folgt wurde, verlor oft seine berufliche und infolgedes-sen seine bürgerliche Existenz.Das christliche Familienideal im Westen hieß für dieFrau: Kinder, Küche, Kirche. Der treusorgende Ehe-mann war der Ernährer. Besonders zwischen 1955 und1965 wurden Zehntausende Männer im Westen dafür be-straft, dass sie Männer liebten. Frauen, die Frauen lieb-ten, wurden zwar nicht strafrechtlich verfolgt, aber dis-kriminiert. Auch sie hatten keinen Platz in derGesellschaft. Sie gingen zum Schein Ehen ein, maskier-ten sich.Aber: In beiden deutschen Staaten galt die Würde ho-mosexueller Männer und lesbischer Frauen bis weit indie 60er-Jahre nichts. Erst 1968 bzw. 1969 wurde der§ 175 in beiden deutschen Staaten stark liberalisiert.Zwar unterschied sich die Homosexuellenpolitik – imWesten galt das christliche Familienbild, im Osten dasstaatssozialistische Familienideal –, doch in beiden Staa-ten hatte die Liebe von Hans Z. wie auch die lesbischeLiebe keinen Raum.Es war überfällig, dass der Bundestag im Jahr 2002die im Nationalsozialismus ergangenen Urteile nach den§ § 175 und 175 a mit dem Gesetz zur Änderung des Ge-setzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechts-urteile in der Strafrechtspflege aufgehoben hat und dieVerurteilten damit rehabilitierte.Meine Fraktion, die Linke, und ich sagen: Begange-nes Unrecht wird nie ungeschehen gemacht werden kön-nen. Aber wir können und müssen uns bei den lesbi-sDdsgiSzmdSkCTGszuednGisiwKhmiwld
Ich fordere gleichermaßen, die schwulen Männer, dietrafrechtlich verurteilt wurden, zu entschädigen. Dasebietet auch unser Rechtsverständnis. Deshalb forderech Sie auf, unserem Antrag zu folgen.
Der Bundestag hat im Jahr 2000 fast einstimmig dietrafandrohung gegen homosexuelle Bürger als „Verlet-ung der Menschenwürde“ gebrandmarkt. Es gab da-als nur vier Gegenstimmen aus der CDU/CSU. Ichenke, wir müssen heute, nach acht Jahren, den zweitenchritt wagen und diesen Worten, diesem wichtigen Be-enntnis, Taten folgen lassen.Ich bedanke mich.
Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dashema, das wir jetzt hier debattieren, ist schon x-malegenstand der Verhandlungen in diesem Hause gewe-en. Ich selber habe im Jahr 2000, im März und im De-ember, sowie im Jahr 2002 dazu geredet. Es ist rauf-nd runtersubsumiert worden. Es darf nicht der Eindruckntstehen, als würden wir uns heute auf Anträge der bei-en Oppositionsparteien hin, der Linken und der Grü-en, zum ersten Mal damit beschäftigen. Das wäre reineeschichtsklitterung.
Bevor ich auf den Inhalt dieser Anträge eingehe, willch feststellen, auch das zum x-ten Mal, dass die Homo-exuellen viele Jahre kriminalisiert, stigmatisiert und inhrer persönlichen Entfaltung aufs Gröbste behindertorden sind. Frau Höll, Sie haben eben gerade noch dieurve gekriegt, indem Sie gesagt haben, im Jahr 2000abe der Bundestag diese Verhaltensweisen fast einstim-ig bedauert. Das kann ich heute wiederholen, das kannch morgen wiederholen, das können wir noch x-maliederholen; es wird dadurch nicht besser.Jetzt komme ich zu Ihrem Antrag. Was macht eigent-ich der Deutsche Bundestag? Ich erwähne das Prinziper Gewaltenteilung. Vor wenigen Tagen war die Fest-
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Dr. Jürgen Gehbveranstaltung „100 Jahre Deutscher Richterbund“. Dasaß auch der rechtskundige Herr Montag von Ihnen – Siesind ebenfalls da, Herr Wieland –
und klatschte eifrig in die Hände, als Frau Limbach inihrer Festrede darlegte, was die Unabhängigkeit der ein-zelnen Gewalten voneinander bedeutet.Der Deutsche Bundestag hat grundsätzlich Gesetze zuverabschieden,
sie vielleicht zu verändern und auch aufzuheben. SeineAufgabe ist nicht, rechtskräftige Urteile aufzuheben.Mit Blick auf Sie, Herr Beck, tue ich jetzt einmal et-was, was ich ganz selten tue. Herr Präsident, ich bitteSie, mich von der Geschäftsordnungspflicht, in freierRede zu sprechen – das ist gängig in diesem Haus –, zuentbinden und mir zu erlauben, etwas abzulesen und zuzitieren.
Damit, dass gelegentlich auch Hilfsmittel für die ei-
gene Rede verwendet werden, sind Präsidenten immer
schon großzügig gewesen.
Sehr schön.Der Antrag, der heute vorliegt, ist übrigens in ähnli-cher Form im Jahr 2000 von der PDS – oder wie hieß siedamals? Sie wechseln ja so oft –, jedenfalls von den Lin-ken schon einmal eingebracht worden,
damals allerdings mit einem Petitum, das deutlich hinterdem jetzigen zurückbleibt. Damals wollten Sie nur ausdem Bundeszentralregister die Vorstrafen getilgt haben,aber nicht, wie jetzt, die Urteile aufgehoben haben. DieEntschädigung wollten Sie schon damals. Da hat dieBundesregierung, der die Grünen angehört haben – indem Zusammenhang habe ich auch den Namen Beck
gelesen –, Folgendes als Begründung angeführt:Allerdings würde eine Aufhebung von nachkonsti-tutionellen Urteilen nach § § 175 … gravierendenverfassungsrechtlichen Einwänden begegnen:
Aus dem in Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 GG normiertenGewaltenteilungsprinzip folgt, dass jede der dreiStaatsgewalten grundsätzlich verpflichtet ist, dievon den beiden anderen Staatsgewalten erlassenenStaatsakte anzuerkennen und als rechtsgültig zu be-handeln. … [Das Rechtsstaatsprinzip] enthält alswesentlichen Bestandteil die Gewährleistung vonHruaSWds1dghwrrhOÜgrdw1aSstwhgzUse
as hat sich eigentlich seitdem rechtstatsächlich geän-ert? Wenn Sie nun auf die Entscheidung des Europäi-chen Gerichtshofes für Menschenrechte aus dem Jahre981 rekurrieren, kann ich nur entgegnen: Der Beschlusser rot-grünen Regierung ist zu einem Zeitpunkt ergan-en, als die Entscheidung des Europäischen Gerichts-ofs schon 20 Jahre in der Welt war. Ich weiß von daher,as Sie wollen. Ihre Diskussion ist weniger dem Völker-echt geschuldet – das ist so ein bisschen Taschenspiele-ei, mehr nicht – als vielmehr natürlich dem heraufzie-enden Wahlkampf und der Konkurrenz zwischen zweippositionsparteien. Nichts anderem!
brigens müsste man dann ja nach Ihrer Auffassung fol-erichtig auch alle anderen Gerichtsurteile, die auf mate-iellem Recht beruhen, das inzwischen aufgehoben wor-en ist, aufheben können. Was für ein Tohuwabohuürde das ergeben!
Im Übrigen muss man sagen – auch wir haben das981 gesagt –: Im heutigen Lichte sieht das ganz andersus. – Aber 1957 hat das Bundesverfassungsgericht, dasie ja sonst immer so in den Himmel heben, die Verfas-ungsmäßigkeit des § 175 noch bestätigt. Das Recht un-erliegt natürlich ständigem Wandel. Deswegen habenir unser Bedauern ausgesprochen, und das ganze Hausat gesagt, wie es ist. Nur: Die Aufhebung von Urteileneht nicht.Anstatt sich also auf solchen Nebenkriegsschauplät-en zu verheddern, Herr Beck, hätten Sie viel eher dieN-Initiative unterstützen sollen, die unter der französi-chen Ratspräsidentschaft ergriffen worden ist, nämlichine weltweite Entkriminalisierung der Homosexuellen,
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oder sich um kollektive Wiedergutmachung bemühensollen. Ich nenne nur das Stichwort Magnus-Hirschfeld-Stiftung, für die ich mich ja hier eingesetzt habe. DasGanze ist an einer Person gescheitert, die ihren Platz beiden Grünen hat. Damit müssen Sie fertig werden. Daswäre ein lohnenswerter Ansatz gewesen. Den könnenwir ja vielleicht wieder aufnehmen, anstatt hier die Auf-hebung von Gerichtsurteilen durch die erste Gewalt zufordern.Meine Damen und Herren, damit soll es sein Bewen-den haben.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Jörg
van Essen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Kollege Gehb hat viele der Gedanken
angesprochen, die ich in meinem Beitrag hier auch vor-
tragen wollte.
Anfang der 90er-Jahre war ich Berichterstatter des
Deutschen Bundestages, als wir den § 175 viel zu spät
aufgehoben haben. Ich war auch Berichterstatter im
Jahre 2000, als wir uns einvernehmlich darauf geeinigt
haben, hinsichtlich des nachkonstitutionellen Rechts der
Bundesrepublik Deutschland eine andere Vorgehens-
weise als bei den Terrorurteilen des Naziregimes zu
wählen. Uns war es nämlich wichtig, beides unterschied-
lich zu behandeln. Ich lege weiterhin Wert darauf, dass
wir das auch tun.
Ein zweiter Punkt, der mir bei der Betrachtung des
Sachverhaltes ganz außerordentlich wichtig ist: In mei-
nem Beruf als Oberstaatsanwalt habe ich sehr viele Ur-
teile aus den 50er-Jahren gesehen. Ich muss gestehen,
dass mir die Haare nicht nur bei den Urteilen nach § 175
zu Berge gestanden haben, sondern ich feststellen
musste, dass auch in vielen anderen Bereichen Urteile
gefällt worden sind, für die wir uns heute ehrlich schä-
men müssen. Ich will nicht nur die homosexuellen Men-
schen ansprechen, sondern in diesem Zusammenhang
beispielsweise auch den Straftatbestand der Kuppelei.
Schaut man sich einmal an, welche Urteile in diesem
Zusammenhang ergangen sind und welche gesellschaft-
liche Ächtung aufgrund dieses Paragrafen stattgefunden
hat, kommt man nicht umhin, zu sagen: Auch dafür müs-
sen wir uns schämen.
Wer in diesem Zusammenhang eine Entscheidung
trifft, muss sich fragen lassen – gerade weil homosexu-
elle Menschen zu Recht sehr viel Wert darauf legen, dass
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Carl-
hristian Dressel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichreue mich, mich in weiten Teilen meinen geschätztenorrednern Herrn Kollegen van Essen und Herrn Kolle-en Gehb anschließen zu können.Herr Kollege Gehb hat den richtigen Schwerpunkt ge-etzt. Was wir jetzt tun können, ist, über Entschädigun-en zu reden. Ich würde mich freuen, wenn gerade Sieon den Grünen mit uns im Rechtsausschuss noch ein-al intensiver über dieses Thema sprächen.Wir wissen, dass es infolge der Verurteilungen auf-rund der Rechtssituation, wie wir sie bis 1969 in derundesrepublik Deutschland hatten, immer noch sehriele traumatisierte Menschen gibt. Diesen Menschen zu
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Dr. Carl-Christian Dresselhelfen und ihnen auch klarzumachen, dass sie unsereUnterstützung haben, muss unser gemeinsames Zielsein.Wir wissen: Niemand ist unfehlbar, auch der Rechts-staat nicht. Der Rechtsstaat maßt sich auch nicht selbst an,unfehlbar zu sein. Auch das Bundesverfassungsgericht istkein unfehlbares Verfassungsorgan, sondern ein Organ,das dem Werteverständnis der Gesellschaft ebenso unter-worfen ist wie alle anderen Verfassungsorgane. Daher istes vor 50 Jahren leider zu Entscheidungen gekommen,die in den 60er-Jahren durch gesetzgeberisches Handelnkorrigiert und in den 90er-Jahren endlich auf eine ver-nünftige Position gestellt wurden.Die Zielrichtung, die Diskriminierung homosexuellerMenschen in Deutschland zu beenden, verfolgte bereitsim Jahre 1922 der Radbruch’sche Entwurf für ein neuesStrafgesetzbuch. Dieser scheiterte an den Feinden derWeimarer Republik.1969 hatten wir endlich die Zielrichtung einer Re-form.Mit der eingetragenen Lebensgemeinschaft und demAllgemeinen Gleichbehandlungsgesetz haben wir zu gu-ter Letzt Gleichberechtigung im Partnerschaftsbereicherreicht – seit 1. Januar dieses Jahres mit der Neuerung,dass Lebenspartnerschaften genauso wie Ehen in allenLändern vor einem Standesbeamten geschlossen werdenkönnen.Ihnen von den Grünen unterstelle ich durchaus, dassSie etwas für die betroffenen Menschen tun möchten.Daher rufe ich Sie nochmals auf: Unterhalten Sie sichmit uns über das Thema Entschädigung! Allerdingsmöchte ich Ihnen gern noch einen Hinweis auf das Prin-zip der Gewaltenteilung geben. Da Sie in Ihrem Antragformulieren, dass der Deutsche Bundestag die Bundesre-gierung auffordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen unddie entsprechenden Urteile aufzuheben, muss ich Ihnensagen: Es ist weder Aufgabe des Deutschen Bundestagesnoch Aufgabe der Bundesregierung, Urteile aufzuheben.Und das ist gut so.
Wir sind keine Superrevisionsinstanz. Zum Glück habenwir unabhängige Gerichte.
Die Bundesregierung ist nicht berufen, Urteile von unab-hängigen Gerichten zu beurteilen.
– Herr Kollege, angesichts der Tatsache, dass Sie dieseForderung in Ihren Antrag hineinschreiben, muss ich sa-gen, dass Sie das, was an dieser Stelle in den Jahren2000 und 2002 wiederholt ausgeführt worden ist, nichtbegriffen haben. Als es in der laufenden Wahlperiode umdie Aufhebung von nachkonstitutionellen Urteilen ging,haben wir wiederholt hier ausgeführt, dass es der Grund-satz der Gewaltenteilung auch in der Fassung, in der ihndas Bundesverfassungsgericht formuliert, grundsätzlichverbietet, dass eine Staatsgewalt die Handlungen einerafsbrdkdRitknSdlacrudsssvSMwrnna
Meine Damen und Herren von den Grünen, diskutie-en Sie ernsthaft mit uns! Es geht uns um die Menschennd um die Sache. Ich hoffe, bei Ihnen ist es ebenso.Danke sehr.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
er Kollege Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ge-chätzter Kollege Dressel, Sie wissen: Für ernsthafte Ge-präche stehen wir, auch wenn es nur um kleine Fort-chritte in der Sache geht, immer zur Verfügung. Denon Ihnen angesprochenen Punkt Entschädigung findenie in unserem Antrag wieder. Wir fordern darin, all denenschen, die in der Bundesrepublik oder in der DDRegen ihrer Homosexualität verfolgt und auf menschen-echtswidrige Art und Weise von diesen Staaten gepei-igt wurden, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ih-en diesen Schaden mit Entschädigungszahlungenuszugleichen.
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Volker Beck
– Nein: individuelle Entschädigung! Das ist ein ganzwichtiger Punkt. Ich unterstütze Sie darin, an dieserStelle voranzukommen. Wir können sicherlich ein gutesErgebnis erreichen.
– Das ist unwahr! Und um individuelle Entschädigungging es bei dieser Stiftung damals gar nicht. Man mussdoch zuallererst den Betroffenen helfen!
– Wir unterstützen kleine Fortschritte. Deshalb bin ichdafür, dass wir weitermachen.
– Frau Präsidentin, ich glaube, ich habe überwiegend dasWort.Ich denke, dass Ihre Begründung für die Ablehnungeiner Rehabilitierung nicht greift. Es geht ja nicht darum,die Urteile mit der Begründung aufzuheben, dass die Ge-richte Fehlurteile aufgrund einer belastbaren gesetzli-chen Grundlage gefällt haben, sondern es geht darum,dass die Gerichte auf Basis eines durch den Gesetzgebergeschaffenen bzw. vom Bundestag belassenen Gesetzesgeurteilt haben, das in seiner Substanz menschenrechts-widrig war.
Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschen-rechte dreimal gesagt, und auch der UN-Menschen-rechtsausschuss in Genf hat sich im Fall Toonen gegenAustralien zum Zivilpakt entsprechend geäußert.
Deshalb sollten wir das als Bundestag auch endlich sa-gen.
Wir hatten übrigens mit den gleichen Argumenten zutun – Sie waren noch nicht dabei –, als wir die NS-Urteile nach § 175 aufgehoben haben. Damals hat unsdas Justizministerium zunächst gesagt, das gehe nicht,weil das Bundesverfassungsgericht 1957 gesagt habe,dieser Paragraf sei kein spezifisches NS-Unrecht.
Wenn man sich anschaut, was das Verfassungsgericht inseiner Begründung seinerzeit formuliert hat – das istherzallerliebst –, dann sieht man, dass das keinen Be-szIdVtelUbfAVfanzs
n dem Urteil heißt es so schön:Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsor-gane weist für den Mann auf eine mehr drängendeund fordernde, für die Frau auf eine mehr hinneh-mende und zur Hingabe bereite Funktion hin …Zieht man dazu die größere geschlechtliche Aggres-sivität des Mannes in Betracht, so macht schon dasevident, daß die Gefahr der Verbreitung der Homo-sexualität beim Manne weit größer ist als bei derFrau.Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlichschon durch ihren Körper daran erinnert, daß dasSexualleben mit Lasten verbunden ist … So gelingtder lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten se-xueller Abstinenz leichter, während der homosexu-elle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexu-albedürfnis zu verfallen.
So das Bundesverfassungsgericht. Mit dieser Begrün-ung hat man damals geurteilt. Ich bin froh, dass dieerfassungsrichter heute genauso klar wie der Bundes-ag sagen: Da hat sich dieses Organ geirrt. – Deshalb ists auch kein Affront gegen das Prinzip der Gewaltentei-ung, wenn wir sagen: Die Rechtslage von damals warnrecht. Daher können die Urteile keinen Bestand ha-en. Den Menschen muss konkret und individuell gehol-en werden.
Die Bilanz war einfach schrecklich. Ich will nur einektion nennen. In Frankfurt hat in den 50er-Jahren eineerfolgung Homosexueller stattgefunden, die man wieolgt zusammengefasst hat:Ein Neunzehnjähriger springt vom Goetheturm,nachdem er eine gerichtliche Vorladung erhaltenhat, ein anderer flieht nach Südamerika, ein weite-rer in die Schweiz, ein Zahntechniker und seinFreund vergiften sich mit Leuchtgas. Insgesamtwerden sechs Selbstmorde bekannt. Viele der Be-schuldigten verlieren ihre Stellung.Ich finde, diesen dramatischen Ausschnitt aus der Re-lität unserer frühen Republik sollten wir zum Anlassehmen, um den Betroffenen endlich Recht widerfahrenu lassen. Ich hoffe, wir kommen im Berichterstatterge-präch weiter.Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 16/10944 und 16/11440 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzeszur Änderung des Atomgesetzes– Drucksache 16/11609 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höredazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-minister Sigmar Gabriel.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ih-nen vorliegende Entwurf eines Zehnten Gesetzes zurÄnderung des Atomgesetzes hat zwei Schwerpunkte.Zum Ersten soll der Schutz kerntechnischer Anlagen undder Schutz von Transporten radioaktiver Stoffe gegenunbefugte Handlungen verstärkt werden. Zum Zweiten– das hat die Öffentlichkeit in den letzten Tagen insbeson-dere in der betroffenen Region sehr beschäftigt – soll dasBundesamt für Strahlenschutz auch per Gesetz mit derAufgabe betraut werden, die Schachtanlage Asse stillzule-gen. Deshalb liegt Ihnen der neue § 57 b des Atom-gesetzes vor, der ausdrücklich festlegt, dass für die Stillle-gung der Schachtanlage Asse – nur darum geht es in derZukunft – die atomrechtlichen Vorschriften für Anlagendes Bundes zur Endlagerung radioaktiver Abfälle anzu-wenden sind. Das heißt, dass es für den notwendigenWeiterbetrieb bis zur Stilllegung der Asse keines Planfest-stellungsverfahrens nach § 9 b des Atomgesetzes ein-schließlich der dort vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteili-gung bedarf. Weiter ist mit der Novelle klargestellt, dassdas Bundesamt für Strahlenschutz, das auch die übrigenEndlagerprojekte des Bundes betreut und über die ent-sprechende Fachkompetenz verfügt, auch für die Still-legung der Asse zuständig ist.In den letzten Tagen ist – auch durch Bemerkungenbeispielsweise der von mir ansonsten sehr geschätztenKollegin der Grünen aus dem Europäischen Parlament,FdghAzdawsszSdWbwrAkhbdflAsRmfdeIrsfwEwrsvgDthSBk
enn es uns möglich ist und wenn es langfristig dieeste Sicherheit für Mensch und Natur bedeutet, werdenir den Atommüll aus der Asse selbstverständlich he-ausholen.
ber es ist nicht fair, jetzt den Eindruck zu erwecken, alsönnte man dies bereits heute tun. Deswegen bitte icherzlich, dass wir gegenüber der Bevölkerung redlichleiben. Wir versuchen das; alle Institutionen arbeiten anieser Frage. Aber diese Frage ist schlicht und ergrei-end zum heutigen Tag nicht zu beantworten. Allerdingsege ich Wert auf die Feststellung, dass das jetzigetomgesetz für den Fall, dass es uns gelingt und es dieicherste Methode ist, selbstverständlich die vollständigeückholung des Atommülls aus der Asse möglichacht.Lassen Sie mich ganz kurz zu zwei derzeit in der Öf-entlichkeit diskutierten Kritikpunkten an der Sicherheiter Asse Stellung nehmen. Das Erste betrifft die Frageines weiteren Einsturzes in einer Einlagerungskammer.ch sage hier deutlich, dass das Bundesumweltministe-ium das Bundesamt für Strahlenschutz in seiner Auffas-ung unterstützt, dass wir nicht zu einer schnellen Ver-üllung dieser Kammer kommen sollten, sondern dassir andere Maßnahmen ergreifen müssen. Bei eineminsturz kann es passieren, dass die Druckwelle so großird, dass der bisherige Pfropfen, der verhindert, dassadioaktive Aerosole austreten, zerstört wird. Wir müs-en Maßnahmen ergreifen, um ein solches Austreten zuerhindern. Aber wir dürfen jetzt keine Maßnahmen er-reifen, die eine spätere Rückholung unmöglich machen.as ist unsere Position. Wir halten das für absolut rich-ig.
Zweitens. Dass es dort offensichtlich Einlagerungsbe-älter gibt, bei denen immer noch nicht klar ist, welchetoffe dort im Jahr 1971 eingelagert worden sind – dieehälter, die dort gefunden worden sind, enthalten Zink-ästen, andere sind bleiummantelt –, zeigt nochmals,
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Bundesminister Sigmar Gabrieldass zum damaligen Zeitpunkt relativ fahrlässig mit die-sem Thema umgegangen wurde. Mich wundert, dassdiese Behälter im Statusbericht des NiedersächsischenUmweltministeriums nicht erwähnt worden sind. Daszeigt, wie sorgfältig wir mit dem Thema umgehen müs-sen.Ich halte allerdings auch nichts davon, dass wir jetztin die Öffentlichkeit alle möglichen Spekulationen tra-gen. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist sich nicht si-cher, woher diese Stoffe kommen. Es gibt durch die Be-fragung ehemaliger Mitarbeiter Hinweise, die das klärenkönnen. Aber eine absolute Sicherheit haben wir nochnicht. Wir gehen dem weiterhin nach. Ich finde, wirmüssen beim Umgang mit der Asse ein Höchstmaß anTransparenz gewährleisten, aber auch immer klar sagen,dass wir mit Vermutungen nicht viel weiterkommen.Vielmehr brauchen wir qualifizierte Arbeit; daran, dasssie dort geleistet wird, habe ich keinen Zweifel.Von daher bitte ich herzlich darum, dass wir die No-velle zum Atomgesetz schnell beraten mögen. Wir habenuns damit keinerlei Optionen verbaut, aber wir haben ab-solute Rechtssicherheit geschaffen. Ich glaube, das ist imInteresse aller.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Kollege Horst Meierhofer für die FDP-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Wir Liberale sind davon überzeugt, dass die Sicherheitder Bevölkerung in jeglichem Zusammenhang, waskerntechnische Anlagen und deren friedliche Nutzungbetrifft, an oberster Stelle steht. Das gilt selbstverständ-lich auch für die Asse.Wir sind daher der Meinung, dass man mit dem Ge-setzentwurf etwas Vernünftiges auf den Weg bringt. Wirwerden das konstruktiv begleiten. Wir sind auch damiteinverstanden, dass sich das BfS und das Umweltminis-terium mit Ihnen an der Spitze, Herr Minister Gabriel,dafür einsetzen werden, dass die nötige Transparenz ge-schaffen wird. Das hat mich an Ihren Ausführungen ammeisten gefreut. Es ist zum einen deshalb wichtig, damitdas Vertrauen, das an der einen oder anderen Stelle ver-loren ging, wieder zurückgewonnen werden kann. Es istzum anderen wichtig, damit nicht durch irgendwelcheVermutungen und Anmerkungen von interessierten Krei-sen – Sie haben es angesprochen – Halb- oder Unwahr-heiten verbreitet werden, die etwas gefährden, was garnicht gefährdet zu werden braucht.
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Ich nenne ein paar Fragen, die wir stellen wollen bzw.tellen müssen. Wie sieht es mit der Standfestigkeit desrubengebäudes aus? Ist sie bis 2014 und darüber hi-aus gegeben, oder müssen die Einschätzungen, die manisher vorgenommen hat, aufgrund der seismischen Er-ignisse revidiert werden? Wie akut ist die Gefahr einesnstiegs der Salzlösungszuflüsse? Muss man sich über-egen, ob man noch schneller handeln sollte? Was könnteie Antwort sein? Gibt es Möglichkeiten, um die Stand-estigkeit des Grubengebäudes zu verbessern? Was prüftas Bundesumweltministerium in diesem Zusammen-ang? Auch das halte ich für entscheidend. Oder sind alliese Ereignisse aus der Vergangenheit in Anbetracht dereuen seismischen Erkenntnisse hinfällig? Es stellt sichie Frage – Sie haben es angesprochen –, wie man miten angeblich bleiummantelten Behältern – ich habe ininer anderen Pressemitteilung gelesen, dass es sich umink oder Ähnliches handelt – umgeht. All diese Frageneweisen, dass es egal ist, wer aus jetziger oder früherericht landespolitisch verantwortlich ist. Diese Fragenüssen deswegen geklärt werden, weil wir im anderenall nichts anderes als Verunsicherung und Angst in derevölkerung bewirken. Darum muss gerade die Klärungnser eigentliches Ziel sein.
Diese Fragen müssen beantwortet werden. Bisherissen wir leider relativ wenig. Ich glaube, dass wir iner Pflicht stehen, diese Maßnahmen möglichst schnellu ergreifen. Ich glaube auch, dass wir mit diesem Ge-etzentwurf einen Schritt nach vorne gehen können. Wirls FDP stehen dieser Sache grundsätzlich sehr positivegenüber.Im Übrigen stehen wir einem weiteren Aspekt positivegenüber: Es geht um den § 12 b, der vorsieht, dassersonen, die in kerntechnischen Anlagen tätig sind,berprüft werden, damit deren Zuverlässigkeit nicht an-
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Horst Meierhofergezweifelt werden kann. Denn es ist klar, dass auch indiesem Zusammenhang absolute Integrität geboten ist.Wenn uns das gelingt, sind wir auf dem richtigen Weg.Ich freue mich auf vernünftige Beratungen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Es gab heute im Umweltausschuss eine Diskussionüber die Frage, ob wir zu diesem Thema noch einmaleine Anhörung durchführen sollten.
Die Koalition hat diesen Vorschlag gemeinsam mit derFDP abgelehnt. Ich möchte coram publico begründen,warum wir das getan haben: Wir haben schon zwei An-hörungen zum Thema Asse hinter uns. Außerdem sindwir der festen Überzeugung, dass es sich hierbei nichtum eine Diskussion darüber handelt, wie wir mit denProblemen, die im Zusammenhang mit der Asse zweifel-los vorhanden sind, technisch umgehen, sondern dass essich hierbei um eine formale Gesetzesänderung handelt.Diese formale Gesetzesänderung hat zwei Zielrich-tungen. Zum einen muss der personelle Sabotageschutzgeregelt werden, also die Überprüfung von Personen, diezum Beispiel in Kernkraftwerken mit radioaktiven Stof-fen zu tun haben. Es geht um die Frage: Wie kann mandie Überprüfung dieser Personen gewährleisten? Das isteine formale Angelegenheit, die in Reaktion auf die Ter-roranschläge notwendig geworden ist.Zum anderen geht es um die Frage: Ist Bergrecht oderAtomrecht anzuwenden? Auch dies ist im Zusammen-hang mit der Asse eine formale Angelegenheit. Bisherbestand Einigkeit, dass die Asse nach Bergrecht behan-delt wird, wobei übrigens auch das Bergrecht – das fügeich vorsichtshalber hinzu – nicht frei von atomrechtli-chen Erwägungen ist. Das war auch die Einschätzungdes ehemaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin,und so ist auch er damals mit diesem Thema umgegan-gen.Wir haben dem Vorschlag, zu diesem Thema nocheine Anhörung durchzuführen, auch deshalb nicht zuge-stimmt, weil wir allenthalben erleben, dass interessierteKreise versuchen, die Diskussionen über solche Geset-zesänderungen als Kampagne gegen die Kernenergie zuinstrumentalisieren. Das ist an dieser Stelle nicht gebo-ten.
Es gibt in dieser Debatte durchaus die Chance, dasine oder andere klarzustellen. Es hat uns sehr gefreut,ass Sie, Herr Bundesumweltminister, diese Chance ge-utzt haben. An dieser Stelle nehme ich insbesondereuf den Artikel, der in der letzten Woche auf Spiegelnline erschienen ist, Bezug. Darin hieß es, die Asserohe einzustürzen und der notwendige Informations-luss finde nicht statt. Das haben Sie in diversen Presse-eldungen richtiggestellt. Auch heute haben Sie zu die-em Thema wichtige Ausführungen gemacht. Der Unionst daran gelegen, die Menschen über diese Problematiko detailliert und so offen wie möglich zu informieren,ber auch mögliche Lösungsansätze zu entwickeln.
Wie alle Kollegen, die mit diesem Thema befasstind, erhalte auch ich viele Briefe, in denen Forderungenrhoben werden, was noch in dieses Gesetz aufzuneh-en ist, weil es angeblich noch nicht berücksichtigt sei.ine dieser Forderungen lautet, die Option der Rückhol-arkeit radioaktiver Abfälle aus der Asse im Gesetzes-ext ausdrücklich zu erwähnen. Auch dazu hat der Bun-esumweltminister alles Wichtige gesagt und deutlichemacht, dass diese Option nicht ausgeschlossen ist.
Weil bei den Grünen schon wieder Unruhe aufkommt,age ich ganz deutlich: Diese Option ist politisch und ju-istisch nicht ausgeschlossen. Ob sie technisch möglichst, das kann, wie ich glaube, niemand von uns hier imaal beurteilen. Hierzu fand übrigens schon mancherchriftwechsel statt. So hat zum Beispiel Staatssekretärachnig der Kollegin Pothmer von den Grünen bereitsersichert, dass die Rückholung als Option berücksich-igt ist. An dieser Stelle erübrigen sich also Ihre Fragen.Ich denke, dass der Gesetzestext in der vorliegendenorm das auch hergibt. Man kann das, wenn man gutwil-ig ist, aus dem Gesetzestext herauslesen, und zwar kon-ret aus § 9 b Abs. 4 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 destomgesetzes. Ich wiederhole: wenn man gutwillig ist.
Eine andere Forderung, die häufig erhoben wird, lau-et, die Annahme radioaktiver Abfälle und ihre Einlage-ung in die Schachtanlage Asse II nicht nur bis zum Er-ass des Planfeststellungsbeschlusses zur Stilllegung derchachtanlage Asse, sondern generell für unzulässig zurklären. Was soll das, wenn man den Schacht im An-chluss stilllegen will? Natürlich wird man in diesemall keine Einlagerungen vornehmen. Ich gehe davonus, dass ein entsprechendes Verbot der Landesregierungon Niedersachsen greift. Insofern glaube ich, dass manich darüber keine Sorgen machen muss.
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21540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Dr. Georg NüßleinAnders ist das, sollten einige versuchen, diesesThema dazu zu nutzen, die Diskussion über die Nutzungder Kernenergie anzufachen. Unter dem Eindruck desGasstreites bekommt das Ganze nämlich eine andereAkzentuierung. Wir marschieren momentan energiepoli-tisch in die Richtung, dass wir die Nutzung von Gas aus-bauen, zum einen wegen des Emissionshandels, zum an-deren weil wir einen Ausgleich dafür brauchen, dass derAnteil der Windenergie steigt. Wir alle sind für die För-derung der erneuerbaren Energien; aber Windenergiesteht nun einmal nicht permanent zur Verfügung. Wirwerden deshalb den Ausbau der Nutzung von Gas för-dern. Auch im Bereich KWK, den wir ebenfalls aus-bauen, wird ein großer Teil der Anlagen mit Gas betrie-ben.
Die entscheidende Frage ist, wie wir die Versorgungs-sicherheit in diesem Land gewährleisten. Diese Fragewird sich uns immer wieder stellen, wenn wir bis 2020– darauf haben wir uns im Rahmen der Novellierung desEEGs geeinigt – den Anteil der erneuerbaren Energienauf 30 Prozent ausbauen: Wie sollen wir die übrigen70 Prozent der Versorgung sicherstellen, und wie sollenwir diese Energie umweltfreundlich erzeugen?
Diese Frage kann nicht nur wirtschaftlich, sondern auchunter Klimaschutz- und Umweltgesichtspunkten derzeitnur die Union richtig beantworten. Natürlich ist das Inte-resse einiger groß, einen Aufhänger zu suchen, und sei ernoch so klein, gegen die Nutzung der Kernenergie inDeutschland zu polemisieren. Doch was bringt es, wennwir für teures Geld Gas aus Russland beziehen und dieRussen statt auf ihr Gas auf Kohlekraftwerke und Kern-kraftwerke setzen? Das ist eine Energiepolitik, die nichtnur ökonomisch keinen Sinn macht. Anstatt Angriffsflä-chen zu suchen, Frau Kotting-Uhl – wir werden es ja se-hen bei den folgenden Rednern –,
sollten wir ergebnisoffen darüber nachdenken, wie wirdieser Republik einen Dienst tun, wie wir sie sinnvollmit Energie versorgen können. Wir wollen das. Deswe-gen werden wir diese Thematik immer wieder anspre-chen.Vielen herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz
Heilmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Asse bröselt, eine Hiobsbotschaft jagt die andere.KtedhGtgnsdAngSSZgnzgwswvddldELkEmgwnRicrG
enauso ist es ein Politikum, dass sich die Große Koali-ion immer noch nicht auf ein Umweltgesetzbuch eini-en konnte. Das ist einfach ein Skandal.
Ich weiß, dass selbst Umweltverbände und die Grü-en die vorliegende Novelle zum Atomgesetz im Grund-atz begrüßen. Schließlich wird die Asse II damit unteras Dach des BfS gestellt und fällt endlich unter dastomgesetz. Doch ist das wirklich so? Schaffen Sieicht vielmehr eine Lex Asse, mit der Sie das Unheil ir-endwie verwalten wollen? Setzen Sie damit diechutzaufgabe des Atomgesetzes nicht gar außer Kraft?
chauen wir uns doch den fraglichen Paragrafen § 57 an.uerst gab es § 57 a, in dem das Morsleben-Desastereregelt wurde. Fragwürdiges DDR-Recht wurde über-ommen, um preiswert bundesdeutschen Atommüll los-uwerden. In einem § 57 b wollen Sie nun Asse II re-eln. Weil Sie nicht wissen, was aus den Abfällen wird,ie lange die Decken halten und wann die Grube abge-offen sein wird,
ollen Sie die Asse II, außer im Falle der Stilllegung,on einem Planfeststellungsverfahren, wie es nach § 9 bes Atomgesetzes erforderlich wäre, freistellen. Sie tunies nicht ohne Grund; denn ein richtiges Planfeststel-ungsverfahren würde die Asse niemals überstehen. Mitem Schrottbergwerk werden die Anforderungen an einndlager schließlich nicht im Entferntesten erfüllt. Einangzeitsicherheitsnachweis würde nie erbracht werdenönnen.
s wäre schnell klar, dass der Atommüll wieder heraususs.Vor diesem Hintergrund befürchten gerade die Bür-erinitiativen, dass Sie hier jetzt schnell Fakten schaffenollen, indem etwa die Abfälle durch eine eigentlichicht notwendige Notverfüllung de facto von einerückholbarkeit ausgeschlossen werden. Herr Minister,ch möchte Ihnen ganz einfach ausdrücklich widerspre-hen. Sie sagen, dass sich die Rückholbarkeit ergibt. Wa-um schreiben Sie das dann nicht ganz einfach in denesetzentwurf? Das wäre doch die sicherste Variante.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21541
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Lutz HeilmannInsgesamt stellen Sie mit dem Gesetzentwurf die Logikauf den Kopf. Anstatt die vorhandenen Atomanlagen da-raufhin zu prüfen, ob sie den Regeln des Atomgesetzesentsprechen, biegen Sie sich den Gesetzentwurf ganz imBerlusconi’schen Sinne so zurecht, wie Sie ihn brau-chen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-den Gesetzentwurf – damit weiche ich prinzipiell vonder Meinung des Ministers ab – wird keine Rechts-sicherheit geschaffen. Im Gegenteil: Die Bürgerinnenund Bürger werden dadurch schlechter gestellt. Schließ-lich fällt durch den Wegfall des Planfeststellungsverfah-rens auch die Pflicht der Betreiber unter den Tisch,nachweisen zu müssen, wie sicher ihr Atommülllagerletztendlich ist. Wird das Gesetz beschlossen, dann kehrtsich die Beweislast um. Dann müssen die Bürgerinnenund Bürger nachweisen, dass von der Asse eine Gefahrausgeht. Ich sage Ihnen: Diese Beweislastumkehr ist un-verantwortlich.Die Verrenkungen, die Sie mit Ihren Notstandsgeset-zen machen, haben übrigens auch ein Gutes.
Der Bevölkerung wird immer deutlicher, dass dieAtomtechnik ein Tanz auf dem Vulkan ist.
Kollege Nüßlein, wären Sie einmal nach Gorleben ge-kommen,
dann hätten Sie gesehen, wie die öffentliche Meinungist, wie die Bevölkerung darüber denkt.
Nur eines hilft, nämlich der schnellstmögliche Aus-stieg aus der Atomwirtschaft. Ich muss klipp und klar sa-gen: Der rot-grüne Atomkonsens ist keine Gewähr dafür.Er ist nicht mehr und nicht weniger als eine Bestands-garantie für die Schrottmeiler von Brunsbüttel bis Krüm-mel. Die Hinterlassenschaften vergraben und verbuddeln –das ist Ihr Motto. Das, was dabei herauskommt, erlebenwir gerade bei der Asse II.
Es ist ein Skandal, dass CDU und CSU angesichts dieserTatsache weiter für Atomkraft werben. Kollegin Dött,ich habe hier manche schöne Rede von Ihnen zumThema Nachhaltigkeit gehört. Dieser Gesetzentwurf hatdamit gar nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun.
Kollege Heilmann, achten Sie bitte auf die Zeit.
Die Mehrheit der Bevölkerung durchschaut Ihre Poli-
tik. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie damit nicht
durchkommen.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
ollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrinister! Ich werde mich in den üblichen kurzen vierinuten auf die Änderungen des Atomgesetzes be-chränken, die die Asse betreffen, und mich zur Daten-roblematik dann im Umweltausschuss äußern.Die Bundesregierung hat uns eine AtG-Novelle vor-elegt, deren Zielsetzung wir von den Grünen teilen. Wirordern seit zwei Jahren, die Asse unter das Atomrechtu stellen. Dafür ist dann auch das entsprechende Regel-erk erforderlich.Der Gesetzentwurf kommt aber, gemessen an der Bri-anz des Tatbestands, schon etwas schlampig daher. Esst doch nicht verwunderlich, Herr Minister, dass die An-ohner der Asse, die in den vergangenen Jahren so ofteschwichtigt – um nicht zu sagen: belogen – wurden,in gut begründetes Misstrauen gegenüber allen Behör-en entwickelt haben, die mit der Asse befasst sind, undich von Formulierungen wie „ist unverzüglich stillzule-en“ oder „für den Weiterbetrieb bedarf es keiner Plan-eststellung“ verunsichert fühlen.
ei normalen Verhältnissen wäre eine solche Formulie-ung kein Problem; deswegen unterstelle ich auch nichts.n der Asse ist aber nun einmal nichts mehr normal. Dasst doch ein Skandal; das wissen wir alle. Dieser Skandaletzt sich aus Unbedarftheit, Verantwortungslosigkeit,icht- und Desinformation, Vertuschung und Verleug-ung, eventuell bis hin zu krimineller Energie zusam-en. Für seine Behandlung ist nur noch Dreierlei zuläs-ig: absolute Korrektheit, Transparenz und Vermeidungeglicher Zweideutigkeit.
Sie wussten genauso wie ich und viele andere, dassie Abwicklung der Asse kein Spaßjob wird, weswegenich auch niemand darum gerissen hat. Der Job ist jetztn den richtigen Händen; aber er muss jetzt auch so erle-igt werden, dass die Betroffenen vor Ort endlich wiederertrauen fassen können.
eshalb müssen missverständliche Formulierungen be-einigt werden. Es muss klargemacht werden, dassStilllegung“ den Optionenvergleich umfasst. Es reichticht, Herr Nüßlein, dass man mit gutem Willen heraus-esen könne, dass es so gemeint sei; es ist nicht Aufgabeines Gesetzes, Gutwilligkeit vorauszusetzen. Es muss
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21542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Sylvia Kotting-Uhlklar sein, dass die Akzeptanz oder das Eingeständnis,dass wir es hier mit einem Endlager ohne durchgeführtesPlanfeststellungsverfahren zu tun haben, keinen Präze-denzfall schafft. Schließlich müssen die Berichtspflichtgegenüber dem Parlament, die Finanzierung und die Zu-sammensetzung der Arbeitsgruppe „Optionenvergleich“festgeschrieben werden.Die Hiobsbotschaften aus der Asse reißen nicht ab:im Sommer letzten Jahres die kontaminierten Laugen,vor wenigen Tagen die einsturzgefährdete Kammer 4und die Nässe bei Kammer 9 und gestern die Nachrichtvon zehn bleiummantelten Fässern in Kammer 4, wasdurchaus zu Sorge hinsichtlich des Inhalts dieser Fässerveranlassen kann. Der heutige Versuch einer Entwar-nung durch das Niedersächsische Umweltministeriumkann da nicht wirklich beruhigen, da sie auf Angabender damaligen Absender basiert, die nie kontrolliert wur-den.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie ein-dringlich, unseren Antrag auf Einsetzung eines Untersu-chungsausschusses zu unterschreiben.
Wollen wir weiterhin monatlich oder wöchentlich überdie Presse erfahren, was gerade wieder mehr oder weni-ger zufällig an weiterer Brisanz in der Asse entdecktwird, oder wollen wir das Heft des Handelns endlichselbst in die Hand nehmen und entscheiden, dass wir al-les wissen wollen: warum was wann getan oder unterlas-sen wurde und was tatsächlich in die Asse eingelagertwurde?Befürchtungen, dass bei einem Untersuchungsaus-schuss Funktionsträgerinnen und Funktionsträger dereigenen Partei in den Fokus geraten, sollten wir alle hint-anstellen. Ich sage Ihnen: Ja, auch der Bundesumwelt-minister von 1998 bis 2005, der ein Grüner war, wirdscharf angeschaut werden. So what! Geht es uns umSchutzzäune für unsere Parteimitglieder oder darum, ei-nen Umgang mit der Asse zu entwickeln, der die Men-schen vor Ort endlich wieder Vertrauen in die damit be-fassten Institutionen fassen lässt?Herr Nüßlein, wir haben im Umweltausschuss keineAnhörung zur Asse durchgeführt, sondern wir habeneine gemeinsame Sitzung mit dem Forschungsausschussgehabt, in der Vertreter der Helmholtz-Gemeinschaftkein Rederecht gehabt haben.
Das hat mit einer Anhörung nichts zu tun gehabt. Des-wegen war unsere Forderung völlig richtig.Lassen Sie uns jetzt Klarheit und Eindeutigkeit in dieLex Asse des Atomgesetzes bringen, und fordern Sie mituns gemeinsam den Untersuchungsausschuss! Die Men-schen vor Ort werden es Ihnen danken.
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Mit der vorliegenden Novelle zum Atomgesetz ziehtie Bundesregierung einen Schlussstrich unter eine0 Jahre währende Hängepartie. Am 31. Dezember 1978ndete die Einlagerung von radioaktiven Abfällen in dasogenannte Versuchsendlager Asse II. Insgesamt wurden6 930 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Ab-all im ehemaligen Salzbergwerk bei Remlingen eingela-ert. Damals verkündeten alle Experten, das Grubenge-äude sei trocken und standsicher. Die Schachtanlageurde sogar als Pilotprojekt für Gorleben gehandelt.
30 Jahre später haben sich alle wissenschaftlichen Vo-aussagen als falsch erwiesen.
eit 1988 fließen täglich 12 000 Liter Salzlauge in diechachtanlage. Die Standsicherheit des Grubengebäudesst gefährdet. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat erstm letzten Freitag beantragt, den Verschluss einer Einla-erungskammer wegen Einsturzgefahr zu verstärken.eit 2005 existiert ein radioaktiv kontaminierter Laugen-umpf vor Einlagerungskammer 12.Die Schachtanlage Asse ist ein Menetekel für die Un-icherheiten und Gefahren, die mit der Endlagerung ra-ioaktiver Abfälle verbunden sind.
ie SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, dassundesumweltminister Sigmar Gabriel im vorliegendenesetzentwurf für die Asse klare Verhältnisse schafft:Erstens. Seit 1. Januar 2009 ist das Bundesamt fürtrahlenschutz Betreiberin der Schachtanlage Asse. Dieerantwortung in der Bundesregierung wechselt vomorschungs- auf das Umweltministerium. Damit wirdie politische Verantwortung dorthin übertragen, wo sichuch die fachliche Kompetenz befindet.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21543
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Christoph PriesZweitens. Die Schachtanlage Asse wird in Zukunftwie ein Endlager behandelt.Drittens. Für die Stilllegung wird ein Planfeststel-lungsverfahren nach Atomrecht durchgeführt.Um Gefahren für Menschen und Umwelt abzuweh-ren, wollen wir die Schachtanlage Asse II schnellstmög-lich stilllegen. Bei der Schachtanlage Asse II gilt für dieSPD-Bundestagsfraktion derselbe Grundsatz, den wir inder Endlagerfrage insgesamt vertreten: Sorgfalt undLangzeitsicherheit gehen vor Schnelligkeit.
Das bedeutet: Im Rahmen des atomrechtlichen Plan-feststellungsverfahrens wird der geplante ergebnisoffeneOptionenvergleich durchgeführt. Dieser umfasst auchdie Möglichkeit einer teilweisen oder vollständigenRückholung der eingelagerten Abfälle. – Es trifft nichtzu, dass im Gesetzentwurf etwas Gegenteiliges festge-schrieben wird, wie Sie glauben machen wollten, HerrHeilmann. – Es sind alle notwendigen Sicherungs- undStabilisierungsmaßnahmen zu ergreifen, um die Durch-führung eines ordnungsgemäßen atomrechtlichen Plan-feststellungsverfahrens zu gewährleisten. Die umfas-sende Beteiligung der Öffentlichkeit wird zu jedemZeitpunkt der Entwicklung und Realisierung des Still-legungskonzeptes gewährleistet. – Diese Ziele werdenmit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht.Panikmache, wie sie derzeit vom NiedersächsischenUmweltministerium betrieben wird,
hilft in dieser Situation überhaupt nicht. Sie vermittelteher den Eindruck einer politischen Retourkutsche, dievon eigenem Versagen ablenken soll.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtigerSchritt in die richtige Richtung. Lassen Sie uns gemein-sam daran arbeiten, das Problem Asse II im Interessevon uns allen zu lösen!Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/11609 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Grietje Staffelt, Ekin Deligöz, weite-
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/11365 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften der
– Drucksachen 16/11613, 16/11640 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
eden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
eden folgender Kolleginnen und Kollegen: Albert
upprecht für die Unionsfraktion, Martin Gerster für die
PD-Fraktion, Frank Schäffler für die FDP-Fraktion,
r. Axel Troost für die Fraktion Die Linke und
r. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die
rünen.
Anlass für das Zahlungsdiensteumsetzungsgesetz istie Umsetzung der europäischen Zahlungsdiensterichtli-ie in nationales Recht. Die Union begrüßt die grundsätz-iche Idee hinter der Richtlinie und dem Gesetz: diechaffung eines modernen, einheitlichen Zahlungsver-ehrsraums für unbare Zahlungen im europäischeninnenmarkt. Das ist die konsequente Ausweitung derettbewerbsidee des Binnenmarktes auf den Zahlungs-erkehr.Anlage 23
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Wir sind zuversichtlich, dass sich daraus positive Fol-gen für Verbraucher und Wirtschaft ergeben. Das Ziel ist,dass die Nutzung von Zahlungsdiensten einfacher, siche-rer und billiger wird. In welchem Umfang, wird sich inder Praxis zeigen.Den Binnenmarkt ausweiten und daraus Nutzen ziehenist die Grundidee des Vorhabens. Wir müssen Wert darauflegen, dass dies auch erreicht wird. Das gilt für die Zah-lungsdiensterichtlinie und für den Entwurf des Zahlungs-diensteumsetzungsgesetzes . Wir als deutscher Ge-setzgeber müssen insbesondere den Gesetzentwurf daraufprüfen: Was ist gut umgesetzt? Und was muss noch weiterbesprochen werden?Wichtig ist: Das ZAG setzt nur einen Teil der Richtliniein deutsches Recht um. Es geht dabei um den aufsichts-rechtlichen Teil der Zahlungsdiensterichtlinie. Diese re-gelt das Verhältnis zwischen Zahlungsdienstleistern undStaat. Deshalb soll hier Hauptaugenmerk auf diesen Teilgerichtet werden. Der zivilrechtliche Teil der EU-Richtli-nie wird gesondert in einem anderen Gesetzgebungsver-fahren umgesetzt. Dort wird es um das Verhältnis zwi-schen Zahlungsdienstleistern und Kunden gehen.Wie bringt uns die Zahlungsdiensterichtlinie dem Ziel– mehr Wettbewerb – näher? Derzeit gibt es verschie-denste Dienstleister, die den Zahlungsverkehr in der EUabwickeln. Wenn diese aber national fragmentiert agie-ren, herrscht wenig Wettbewerb. Deshalb ist es sinnvoll,dass wir den Zahlungverkehrsraum einheitlich machen.Die Richtlinie beinhaltet daher einige wesentlichen Ele-mente, um dies zu erreichen:So gilt die Richtlinie für alle unbaren Zahlungsdienst-leistungen innerhalb der EU. Erfasst werden Kreditinsti-tute und Postscheckämter, im Internet soge-nannte E-Geld-Institute, die Staaten selber und ihreZentralbanken. Für alle anderen, beispielsweise Kredit-kartenunternehmen, wird die neue Kategorie des Zah-lungsinstituts geschaffen. Die Richtlinie ermöglicht dengleichen Marktzugang für alle zugelassenen Zahlungs-dienstleister überall in der EU. Es gelten künftig klareund gleiche Regeln für die Zulassung der Unternehmen inder EU. Darüber hinaus werden eindeutige Zuständigkei-ten und klare Kompetenzen für die mit der Aufsicht be-trauten Behörden festgelegt. Und schlussendlich enthältdie Richtlinie weitgehende Regelungen zum Schutz derKunden und ihrer Gelder. Grundsätzlich sind diese Ele-mente der RL geeignet, den Zahlungsverkehrsraum zuvereinheitlichen und Wettbewerb zu schaffenZentrale Elemente des deutschen ZAG sind entspre-chend die Einführung der neuen Kategorie Zahlungs-institute in Deutschland, die Einführung von Regeln fürdie Aufsicht über diese Institute und die Einführung vonRegeln zum Schutz der Kundengelder.Welche Punkte des Vorhabens sind besonders hervor-zuheben? Zum einen werden nun alle Anbieter von Zah-lungsdienstleistungen erfasst. Das ermöglicht gleichenMarktzugang für alle, verstärkt den Wettbewerb und er-höht die Auswahl für die Verbraucher. Außerdem ermög-licht das einen hohen Verbraucherschutz bei allen Insti-tuten gleichermaßen. Dazu gehört insbesondere dieiDBGhWgsstgfFnRAFtsindgWldtIvZVwdhusFLTrdUddkSiETvDDkSZu Protokoll ge
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21544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
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Dieses Projekt ist politisch gewollt und bürdet der Kre-itwirtschaft enorme Kosten und Umstellungsaufwanduf. Die öffentliche Hand zeigt sich bisher zögerlich bei
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009 21545
gebene Reden
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der Nutzung der SEPA-Produkte. Die Bundesregierunghat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion ausgeführt, es sei nun im Rahmen eines markt-getriebenen Prozesses Aufgabe der Kreditwirtschaft, dieEndnutzer von den Vorteilen von SEPA zu überzeugen.Die öffentliche Verwaltung sei nicht anders als andereEndnutzer einzustufen. Bezüglich der Nutzung durch dieöffentliche Hand ist jedoch festzuhalten, dass sie mit über50 Prozent des Zahlungsverkehrs maßgeblich verant-wortlich für einen Erfolg des Projekts Einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum ist. Sie ist kein gewöhnlicher Nut-zer, sondern muss bei der Umstellung auf SEPA vorange-hen. Dann hätten die Banken auch Nutzer, auf die sieverweisen könnten, wenn sie andere Kunden von den Vor-teilen von SEPA überzeugen wollen. Dass die Bundes-regierung es mit SEPA wirklich ernst meint, kann sie nurzeigen, wenn sie ihre eigene Blockadehaltung überdenkt.Bei der Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingun-gen muss das Grundprinzip sein, SEPA möglichst unbü-rokratisch einzuführen. Der vorliegende Gesetzentwurfwird diesem Anspruch noch nicht gerecht. Er verursachtBürokratiekosten für die Wirtschaft in Höhe von 1,5 Mil-lionen Euro durch insgesamt 34 neue Informationspflich-ten. So sollen Nichteinlagenkreditinstitute, die Zahlungs-dienste erbringen, nun doppelt beaufsichtigt werden.Ihnen drohen damit doppelte Eigenmittelberechnungenund doppelte Kosten für die Beaufsichtigung durch dieBundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.Wir müssen im Laufe der Gesetzesberatungen insge-samt prüfen, wo der Anwendungsbereich des ZAGkonkretisiert werden muss. Darüber hinaus haben dieSachverständigen bereits auf einige Detailfragen hinge-wiesen, die noch nicht gelöst sind.
Bisher gilt in Deutschland und den meisten euro-
päischen Ländern: Der Zahlungsverkehr ist ein Bank-
geschäft. Nun will die Bundesregierung auch Institute
ohne Bankerlaubnis zum Zahlungs- und Kreditgeschäft
zulassen. Kreditkartenunternehmen, Mobilfunkbetreiber
und Einzelhandelsunternehmen sollen in den Zahlungs-
verkehr einsteigen dürfen, ohne mit einer Bank zusam-
menzuarbeiten. Ob Geld überweisen, Kredite vergeben
oder Kreditkarten verkaufen: Alles soll möglich sein ohne
Bankerlaubnis, ohne Bankkonto, ohne Bankaufsicht.
Was heißt das für Verbraucherinnen und Verbraucher?
Um diese Frage zu beantworten, greife ich drei zentrale
Probleme auf: die Kosten, die „Finanzaufsicht light“ und
die Haftung.
Zu den Kosten: Verbraucherschutzorganisationen kri-
tisieren zu Recht die überhöhten Gebühren, die Kredit-
kartenunternehmen von Not leidenden Kundinnen und
Kunden erheben. Statt Armen und Migrantinnen und Mi-
granten ein Bankkonto zu garantieren, will die Bundes-
regierung sie in die Schattenwirtschaft abschieben. In
manchen Stadtvierteln Englands sind bereits 30 Prozent
der Bevölkerung mangels Bankkonto auf überteuerte
Finanzshops angewiesen.
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Zu Protokoll ge
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Geißel der Überschuldung sind dabei Kreditkarten.
0 Prozent der Überschuldung in den USA gehen allein
arauf zurück. Davon unberührt öffnet das vorliegende
esetz Tor und Pforte für Wucherzinsen und Umschul-
ungskarussells in Deutschland und Europa. Einer ver-
ntwortlichen Kreditvergabe spricht die Regierung
ohn, obwohl gerade das eine Lehre aus der Finanzkrise
ein sollte.
Damit bin ich beim Problem der „Finanzaufsicht
ight“. Das Gesetz sieht für Finanzshops deutlich niedri-
ere Standards vor als für zugelassene Banken. Zum Bei-
piel müssen Finanzshops viel geringere Eigenmittel vor-
alten. Und obwohl sie Geldbeträge annehmen, um
berweisungen auszuführen – bei Kreditkarten kann das
ehrere Wochen dauern –, fallen sie nicht einmal in die
inlagensicherung. Zwar dürfen Mobilfunkbetreiber und
inzelhandelsunternehmen nur als Nebentätigkeit Kre-
ite vergeben, doch die Auflage bleibt eine unbestimmte
rauzone. Statt Finanzshops eine Kreditvergabe mit
wölfmonatiger Laufzeit einzuräumen, fordern Verbrau-
herschützer eine Höchstgrenze von vier Monaten. Denn
ur eine wirklich kurze Frist kann den möglichen Einstieg
n die Verschuldungsspirale abwenden. Für Verbrauche-
innen und Verbraucher, die auf Finanzshops angewiesen
ind, bedeutet das Gesetz höhere Kosten und höhere Risi-
en.
Umso frappierender ist – ich komme zur Haftung –,
erbraucherinnen und Verbrauchern die Beweislast auf-
ubürden. Wer seine Karte nicht genutzt oder keinen Auf-
rag gegeben hat, steht bei Instituten ohne Bankerlaubnis
elbst in der Beweispflicht. Festlegen soll das ein weiteres
esetz. Das Stornierungsrecht – bei Banken derzeit bis
echs Wochen nach Buchung garantiert – soll bei den
inanzshops komplett entfallen.
Wohin man auch schaut: Das vorliegende Gesetz dient
icht den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Es dient
enen, die ohne Bankerlaubnis auf Kundenfang gehen.
Die Regierung will die Schattenwirtschaft hoffähig
achen – und das auf Kosten der Allgemeinheit. Das
esetz ist rückwärtsgewandt, weil es wider besseres
issen dereguliert statt reguliert. Besonders dreist da-
ei: Die Bundesregierung preist es als modern an. Doch
assen wir uns nicht für dumm verkaufen! Für meine
raktion kann ich in aller Klarheit sagen: Dieses Gesetz
ehnen wir ab. Es gehört auf den Müllhaufen der Ge-
chichte.
Nun haben wir die Richtlinie über Zahlungsdienste iminnenmarkt
ach langem Vorlauf in der parlamentarischen Beratung.ie soll als Teil der Lissabonstrategie dazu beitragen,uropa zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zuachen. Die Richtlinie ist auch Teil der Bestrebungen derU-Kommission – im Auftrag der EU-Mitgliedstaaten –,en einheitlichen Binnenmarkt im Bereich der Finanz-ienstleistungen weiter zu vervollständigen. Diesem Zieltimmen wir grundsätzlich zu, auch wenn wir Ungleich-ewichte sehen. Diese beziehen sich auf die unterschied-iche Berücksichtigung der Interessen der Finanzwirt-
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21546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. Januar 2009
Frank Schäfflergebene Reden
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Dr. Gerhard Schickschaft und der Verbraucherinnen und Verbraucher.Bezeichnend ist, dass bei der Erstellung des Entwurfs derRichtlinie Verbraucherschutzverbände nicht involviertwaren. Das zeigt einmal mehr, dass Verbraucherschutzauf EU-Ebene immer noch nur eine untergeordnete Rollespielt.Der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr ist tra-gende Säule des Binnenmarktes; wichtig ist er auch in dertäglichen Realität vieler Menschen, die grenzüberschrei-tend reisen oder zeitweise in einem anderen EU-Land le-ben. Für sie ist beispielsweise die Möglichkeit einergrenzüberschreitenden Lastschrift ein echter Fortschritt.Auch deshalb befürworten wir grundsätzlich eine Har-monisierung im Zahlungsverkehr.Die Richtlinie wurde auch deshalb in Angriff genom-men, um schlummernde Effizienzgewinne im Banken-sektor zu realisieren. Sie werden von der EU-Kommissionauf rund 10 Milliarden Euro geschätzt. Uns ist wichtig,dass diese Effizienzgewinne auch den Verbraucherinnenund Verbrauchern zugutekommen. Wir werden im parla-mentarischen Verfahren besonderen Wert darauf legen,dass die Bürgerinnen und Bürger einen fairen Anteil andiesen Gewinnen erhalten.An einer besonders heiklen Stelle ist erkennbar, dassdie Bundesregierung bei ihrem nun vorliegenden Umset-zungsvorschlag den Spielraum der Richtlinie nicht zu-Lage war, die Zahlungskarte sperren zu lassen. Das istunter Umständen nur schwer zu leisten, umständlich undoffenbart wenig Zutrauen in die Redlichkeit der Kundin-nen und Kunden. Wir werden im weiteren parlamentari-schen Verfahren darauf drängen, diese und andereVorschriften zugunsten der Verbraucherinnen und Ver-braucher zu ändern.Zu diskutieren wird auch sein, wie die Umstellung aufSEPA erfolgt. Erfolgt das rein marktgetrieben? Odersieht man das als rein politisches Projekt, wo die Politikdie Verantwortung hat, den Systemwechsel durch ihre ei-genen Möglichkeiten aktiv voranzutreiben? Fest steht je-denfalls, dass man sich nicht nur mit der Ausgestaltungdes neuen Zustands des Zahlungsverkehrs und der Auf-sicht beschäftigen kann, sondern in unseren Beratungenauch die Umstellungsfrage und faktische Hindernisse beider Umstellung berücksichtigt werden müssen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 16/11613 und 16/11640 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
gunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher genutzt
hat. Es geht um die Haftungsfragen bei EC- oder Kredit-
karten. Bisher war der Selbstbehalt auf 150 Euro unbese-
hen weiterer Umstände beschränkt. Wenn also jemand
nach dem Diebstahl seiner Zahlungskarte nicht in der
Lage war, diese sofort sperren zu lassen, war der Selbst-
behalt auf 150 Euro gedeckelt. Das ist nun aufgehoben.
Der Verbraucher muss nachweisen, dass er nicht in der
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chluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 22. Januar 2009,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.