Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich zu unserer voraussichtlich letzten Plenarsitzung
vor der Weihnachtspause.
– Herr Fraktionsvorsitzender, ich bin mir der Antrags-
rechte der Fraktionen im Allgemeinen und der Minder-
heitsrechte im Besonderen auch am frühen Morgen
jederzeit bewusst und formuliere deswegen wirklich-
keitsnah, aber vorsichtig.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste So-
malias auf Grundlage des Seerechtsüberein-
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Redet
kommens der Vereinten Nationen von 1982
und der Resolutionen 1814 vom 15. Mai
2008, 1816 vom 2. Juni 2008, 1838
vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom
2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolu-
tionen des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen in Verbindung mit der Gemeinsamen
Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi-
schen Union vom 10. November 2008
– Drucksachen 16/11337, 16/11416 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller
Jedenfalls werden wir mit oder ohne das Auswärtige
mt die angekündigten namentlichen Abstimmungen
urchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –
ext
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir of-
fensichtlich so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Rolf Mützenich von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Be-
kämpfung der Piraterie eignet sich nicht für Schnell-
schüsse. In diesem wie in anderen Fällen gibt es keinen
Freibrief für voreiliges und rechtloses Handeln. Wir So-
achten und befolgen das Völkerrecht.
tz des Militärs beabsichtigt wird, müssen
ugenmaß vor Übereile gehen. Die Bun-
t deshalb zu Recht alle völker- und ver-
zialdemokraten
Wenn der Einsa
Sorgfalt und A
desregierung ha
21342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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Dr. Rolf Mützenich
fassungsrechtlichen Fragen eingehend geprüft und da-
raus angemessene Schritte abgeleitet: Die Bundeswehr
darf weder in ein militärisches Abenteuer noch in eine
rechtliche Grauzone geschickt werden.
Mittlerweile sind alle erforderlichen Voraussetzungen
erfüllt. Die Sicherheitsratsresolution 1846 der Vereinten
Nationen vom 2. Dezember 2008 erlaubt die Bekämp-
fung der Piraterie in den somalischen Küstengewässern
auch durch Regionalorganisationen. Für ein deutsches
Engagement bietet deshalb die Mission „Atalanta“ der
Europäischen Union den geeigneten Rahmen.
Die Versuche, unter dem Deckmantel der Pirateriebe-
kämpfung bewährte Regelungen unserer Verfassung aus-
zuhebeln, waren unverhältnismäßig und zeitraubend.
Nicht ohne Grund wurden der Polizei und der Bundes-
wehr eindeutige und klar getrennte Aufgaben zugewie-
sen. Daran müssen wir festhalten. Manche Bemerkungen
der letzten Wochen waren ebenso sachfremd wie irrefüh-
rend. Auf hoher See kann die Bundesmarine auch heute
schon gegen Piraterie vorgehen. Das Seerechtsüberein-
kommen und das Völkergewohnheitsrecht erlauben
derartige Reaktionen. Deshalb ist die Behauptung der
Linksfraktion, dass nur die Polizei die Gewalt auf See
bekämpfen dürfe, falsch. Hilfe in der Not, auch durch
die deutsche Marine, ist jederzeit möglich.
Allerdings hätte die Bundesmarine nicht in den soma-
lischen Küstengewässern operieren oder vorbeugend ak-
tiv werden können. Erst mit den Sicherheitsratsresolutio-
nen 1816 und 1846 sind solche Operationen möglich.
Der Umweg über das Grundgesetz war daher von An-
fang an überflüssig und bedenklich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufklärung, Schutz
und Abschreckung sind zur Bekämpfung der Piraterie
die richtigen Maßnahmen. Dass sich die Bundesmarine
dabei vor allem auf die Sicherheit der humanitären
Hilfe konzentrieren will, findet die Unterstützung der
SPD-Fraktion.
Fast alle Transporte erfolgen auf dem Seeweg, und mehr
als ein Drittel der Menschen in Somalia sind auf diese
Hilfen angewiesen. Deshalb ist es konsequent, besonders
die Schiffe mit humanitären Gütern zu schützen. Das
Überleben der Hungernden in Somalia hat absoluten
Vorrang. Die Beteiligung der deutschen Marine ist daher
zuerst und vor allem eine humanitäre Operation.
Dass auch andere Schiffe geschützt werden müssen,
steht außer Zweifel. Allerdings möchte ich auch daran
erinnern, dass die Reedereien gleichermaßen Verantwor-
tung tragen: Größere und besser ausgebildete Besatzun-
gen, bauliche und andere Maßnahmen könnten dazu bei-
tragen, die Gefahren einer Kaperung zu reduzieren. Die
Veranstalter von Kreuzfahrten und Freizeitschiffer soll-
ten sorgfältig abwägen, ob gegenwärtig Reisen auf ge-
fährdeten Wasserwegen verantwortbar sind.
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Derzeit – davor drücken Sie sich, meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen von der Linksfraktion – ist dieser Weg
aber nicht leicht begehbar. Zu tief ist die innenpolitische
Zerrüttung, und zu groß sind die Gegensätze der Nach-
barstaaten.
Die Bundesregierungen haben zusammen mit anderen
Ländern immer wieder versucht, die politischen Verhält-
nisse zugunsten von Zusammenarbeit und Ausgleich zu
beeinflussen. Leider waren die Anstrengungen aller
Bundesregierungen bisher nicht erfolgreich. Dennoch
möchte ich uns gemeinsam ermutigen und auffordern,
auch in Zukunft nichts unversucht zu lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-
rung hat einen ausgewogenen, angemessenen und gut
begründeten Antrag vorgelegt. Deutschland sollte sich
an der Mission „Atalanta“ beteiligen, weil die Verbesse-
rung der humanitären Situation in Somalia, die Siche-
rung der Seewege und der Respekt gegenüber einer An-
frage der Vereinten Nationen auch in unserem, im
deutschen Interesse sind. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in den letzten Wochen viel über das Pirateriepro-
blem am Horn von Afrika diskutiert. Ich denke, wir soll-
ten uns in der heutigen Debatte auch einmal über die
Frage unterhalten, wie dieses Problem eigentlich ent-
standen ist. Es ist entstanden, weil in Somalia seit über
15 Jahren eine staatliche Ordnung fehlt. Dieser rechtlose
Zustand wurde durch asiatische, aber auch durch europäi-
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Wir beobachten ein Phänomen: Aus einer anfänglich
ilden, unorganisierten Piraterie ist zwischenzeitlich
ine organisierte Piraterie entstanden, mit logistischen
asen an Land, mit größeren Schiffen, sogenannten
utterschiffen, als Einsatzplattform und vielen kleinen
insatzbooten, die letztlich Schiffe kapern. Ob aller-
ings die strategische Planung für Schiffskaperungen
och vor Ort oder längst in anderen Staaten stattfindet,
st unklar. Ob Piraten mit der international organisierten
riminalität oder schon mit dem internationalen Terro-
ismus, mit al-Qaida, zusammenarbeiten, ist nicht end-
ültig geklärt. Aber die Bundesregierung hat auf eine
leine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion geantwor-
et, dass das zumindest nicht auszuschließen sei. Ich füge
inzu: Es spricht manches dafür.
Fakt ist: Die Strukturen verändern sich, Herr Minister,
nd zwar rasant. Ich möchte, dass die Bundesregierung
nd die internationale Staatengemeinschaft das nicht
gnorieren, sondern es intensiv beobachten, versuchen,
ieses Phänomen wahrzunehmen, und, bevor sich der
nternationale Terrorismus dort endgültig und dauer-
aft festsetzt, gemeinsam Gegenstrategien entwickeln.
as ist die Aufgabe für die Zukunft.
Deshalb möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren
on der Bundesregierung, sagen: Wenn heute das Man-
at beschlossen wird, dem die FDP-Bundestagsfraktion
it großer Mehrheit zustimmen wird, dann sind Sie
icht am Ende,
ondern erst am Anfang des Weges zur Bekämpfung der
nternationalen Piraterie und ihrer Ursachen.
Das hat unserer Ansicht nach mehrere Konsequenzen
ür das Mandat. Herr Minister, die Bundesregierung
agt, es sei ein robustes Mandat. Wenn das so ist, dann
ollen wir, dass dieses robuste Mandat auch umgesetzt
ird.
s geht hier nicht nur darum, Schiffe zu begleiten, son-
ern auch darum, Piraterie zu bekämpfen.
21344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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Birgit Homburger
Wenn die Herren Minister Steinmeier und Jung in einem
Schreiben an die Fraktionen mitteilen, primäres Ziel sei
nicht die Festnahme piraterieverdächtiger Personen, son-
dern das Schwergewicht der Operation liege auf der Ver-
hütung seeräuberischer Handlungen, und wenn der Kol-
lege Mützenich hier ausführt, das sei vorrangig eine
humanitäre Aktion, dann möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen: Das Mandat lässt die Bekämpfung der Piraterie
zu, und wir bitten Sie, das jetzt nicht politisch einzu-
schränken.
Wir haben jetzt schon eine Situation, in der unter der
Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika Pi-
raterie bekämpft werden kann. Die deutsche Marine
durfte daran bisher nicht teilnehmen, weil Sie es nicht
zugelassen haben, meine Damen und Herren von der Re-
gierung, obwohl Deutschland das Seerechtsabkommen
längst ratifiziert hat.
Damit haben Sie den Soldatinnen und Soldaten vor Ort
das Leben schwer gemacht. Außerdem haben Sie die
deutsche Marine mit diesem Verhalten ziemlich bla-
miert.
Deshalb sagen wir Ihnen deutlich, dass die Bekämp-
fung der Piraterie für uns mindestens ein gleichrangiges
Ziel ist. Nachdem dieses Mandat beschlossen worden ist,
möchte ich nicht mehr lesen müssen, die Piraten hätten
abgedreht, seien aber nicht verfolgt worden. Es geht
nicht nur darum, Piraten zu verjagen, sondern es geht
auch darum, Piraten zu jagen, meine Damen und Herren.
Grenzüberschreitender internationaler Terrorismus ist
von Piraterie und organisierter Kriminalität oft nicht
mehr zu unterscheiden. Deshalb sagen wir Ihnen sehr
deutlich: Es kann nicht sein, dass wir auf Dauer zwei
oder drei Operationen vor Ort haben.
Nach der Operation Enduring Freedom wird nun die
Operation „Atalanta“ beschlossen. Die NATO plant, ab
Februar 2009 mit demselben Auftrag wieder vor Ort zu
sein. Das Seegebiet überschneidet sich weitgehend.
Nach Auffassung der Regierung war es bisher nicht
möglich, unter der Operation Enduring Freedom Pirate-
rie zu bekämpfen. Zukünftig soll es allerdings möglich
sein, dass die deutsche Fregatte vor Ort kurzfristig in die
Operation „Atalanta“ einbezogen wird. Das heißt, das-
selbe Schiff darf unter einem neuen Mandat genau das,
was Sie ihm bisher nicht zugestanden haben. Das ist ein
Treppenwitz der Geschichte, meine sehr verehrten Da-
men und Herren.
Ein weiterer Punkt. Es ist international darauf zu
drängen, dass unter Piraterieverdacht stehende Verhaf-
tete nicht im Rahmen des nationalen Rechts der Strafver-
folgung zugeführt werden. Sie sollten nach Auffassung
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Es ist ein neuer Zug in der Politik der FDP, dass Sie
ie Prävention gegen die Repression, dass Sie die Ver-
inderung von Straftaten gegen die Verfolgung von
traftaten ausspielen wollen,
ie es gerade die Kollegin Homburger getan hat. Sie hat
innentstellend aus dem Schreiben zitiert und dabei be-
lagt, dass angeblich der Schwerpunkt nicht ausreichend
uf die Strafverfolgung, sondern dass zu viel auf die Prä-
ention, auf die Verhinderung von Piratenangriffen ge-
egt wird. Lesen Sie die Rede der Kollegin einmal nach!
as ist doch ein deutliches Verrennen der FDP.
u beklagen, dass mit dem Mandat für den Einsatz der-
elben Fregatte eine klare und unmissverständliche
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21345
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Eckart von Klaeden
Rechtsgrundlage geschaffen wird, ist wirklich ein neuer
Zug in der Rechtsstaatspartei FDP.
– Herr Kollege Westerwelle, wenn Sie die Dinge nicht
verstanden haben, können Sie gerne eine Zwischenfrage
stellen.
Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie Aufklärungs-
bedarf haben!
Meine Damen und Herren, die Verschränkung von in-
nerer und äußerer Sicherheit ist gerade an der intensiven
Diskussion über das „Atalanta“-Mandat exemplarisch
deutlich geworden. Wir haben es bei diesen Formen der
Piraterie oder des transnationalen Terrorismus mit neuen
Gefahren und alten Gefahren in neuem Gewand zu tun.
In den Zeiten des Kalten Krieges haben wir uns darauf
beschränken können, unseren Anteil zur kollektiven Ter-
ritorialverteidigung im NATO-Bündnis zu leisten. Heute
müssen auch wir unseren angemessenen Beitrag dazu
leisten, dass NATO und ESVP ihre geografisch über Eu-
ropa hinausgehenden Aufgaben erfüllen können. Der
langwierige und schwierige Diskussionsprozess zeigt,
dass wir in Deutschland noch ein Stück weit von dieser
Normalität entfernt sind.
Dabei haben wir als weltweit größte Exportnation ein
besonderes Interesse an der Sicherung der Welthan-
delswege insbesondere auf See. Das gilt besonders für
die Route durch den Golf von Aden, die in zunehmen-
dem Maße von Piraten bedroht wird. Piraterie ist sicher-
lich kein neues Phänomen, wie wir alle wissen. Aber seit
den 90er-Jahren wird sie als eine internationale Bedro-
hung angesehen. Sie ist nicht nur auf die Seegebiete um
das Horn von Afrika beschränkt, auch wenn wir in dieser
Diskussion unseren Fokus auf diese Region richten.
Die amerikanische RAND Corporation hat festge-
stellt, dass es in den Jahren 2000 bis 2006 insgesamt
2 463 durchgeführte oder versuchte Angriffe von Piraten
auf See gegeben hat. Dies ergibt im Durchschnitt
352 Fälle pro Jahr im Vergleich zu 209 Fällen in den
Jahren 1994 bis 1999. Dies ist ein Anstieg von nahezu
75 Prozent. Zusätzlich hat das International Maritime
Bureau in Malaysia festgestellt, dass man davon ausge-
hen muss, dass die Zahl der Angriffe um 50 Prozent hö-
her liegt, weil aus verschiedenen Gründen Überfälle
nicht gemeldet werden.
Was sind die zentralen Faktoren, die zu diesem An-
stieg der Piraterie geführt haben?
Das ist erstens das massive Anwachsen des Seehan-
dels im Zuge der Globalisierung, was mit einer höheren
Zahl an Überseehäfen einhergeht.
Es ist zweitens die hohe Dichte des Schiffsverkehrs
insbesondere in schmalen Seefahrtsstraßen wie der
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avor warnen wir.
Starrköpfig sind wir auch an einer anderen Stelle: Die
urchsetzung des Völkerrechts – hier: des Seerechts-
bereinkommens – ist für uns bei den Vereinten Natio-
en, bei den Regionalorganisationen und bei den Anrai-
erstaaten angesiedelt. Davon gehen wir nicht ab.
Was schlagen wir vor?
Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu. – Erstens. Die
inke befürwortet den raschen Aufbau einer internatio-
alen Küstenwache unter Führung der UNO in enger
bstimmung mit der Afrikanischen Union. Deutschland
ollte sich mit den Mitteln der Bundespolizei beteiligen
nd finanzielle Unterstützung leisten. Der Leiter der
undespolizei See hat jüngst zu Recht erklärt, dass die
olizei zur internationalen Pirateriebekämpfung befugt
st und die Bundespolizei grundsätzlich über die für die
iratenbekämpfung erforderlichen Mittel und Fähigkei-
en verfügt. Unter bestimmten Voraussetzungen, so hat
r gesagt, gilt das auch im Falle Somalias. Wir reden hier
icht über Schlauchboote. Die Bundespolizei hat durch-
us hochseetaugliche Schiffe. Außerdem hat sie Erfah-
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Paul Schäfer
rungen mit dem Aufbau von Küstenwachen gesammelt,
zum Beispiel jüngst in Katar.
Man mag über eine solche Konzeption ja diskutieren
können, beklemmend finde ich aber, dass diese Option
gar nicht in Erwägung gezogen wird.
Es heißt wie so oft: Wir haben ein Gewaltproblem. Fre-
gatten und Korvetten: Leinen los! Das macht die Linke
nicht mit.
Der Vorschlag der Linken ist nicht so weit aus der
Welt, wie viele von Ihnen vielleicht denken. Die Verein-
ten Nationen wären in der Lage, eine solche Mission
schnell zu beschließen. Andere europäische und afrika-
nische Staaten könnten mithelfen. Ich habe mir die Zah-
len genau angesehen.
Was auch hilft, ist ein Blick auf die andere Seite
Afrikas. Man muss vom Tunnelblick auf das Militäri-
sche wegkommen. Die an den Golf von Guinea angren-
zenden Küstengebiete werden von der Piraterie ähnlich
stark heimgesucht wie Somalia. Vor mehr als einem Jahr
haben die Internationale Seeschifffahrtsorganisation und
die 24 Staaten der Seeschifffahrtsorganisation West- und
Zentralafrikas begonnen, ein umfassendes Konzept zur
Verbesserung der Seesicherheit umzusetzen, um illega-
len Fischfang, Schmuggel und Piraterie zu unterbinden.
Die UNO und auch Versicherungsunternehmen sind ein-
gebunden. Dieses Projekt scheint Erfolge zu verzeich-
nen.
– Ich weiß, dass man das nicht eins zu eins auf Somalia
übertragen kann. Deshalb sagen wir: mithilfe der Bun-
despolizei und anderer europäischer Staaten. Das muss
substituiert werden. Das Grundkonzept ist aber vernünf-
tig. Es ist vor allen Dingen deshalb vernünftig, Kollege
Mützenich, weil es auf eine regionale Konfliktlösung fo-
kussiert ist und die Überleitung zu einer somalischen Lö-
sung beinhaltet; denn ohne eine Küstenwache Somalias
wird es nicht gehen. Wie lange wollen Sie Ihre Hochsee-
flotte denn dort stationieren?
Was kann man damit erreichen? Man kann die Zu-
gänge zu wichtigen Häfen offenhalten – das ist wichtig
für die Hilfslieferungen –, man kann Aufklärung über
die Küstenstützpunkte der Piraten betreiben – der Kol-
lege von Klaeden hat darauf hingewiesen, dass vor allen
Dingen da Angriffe stattfinden –, und man kann den Pi-
raten den Rückzug verlegen, was besser ist als das Katz-
und-Maus-Spiel auf offener See. Das alles ist mit poli-
zeilichen Mitteln zu machen.
Also noch einmal: Sie sollten den Tunnelblick auf das
Militärische überwinden und nach dauerhaften Lösun-
gen suchen! Der Militäreinsatz setzt auf Abschreckung.
Das hilft bei den Personengruppen, von denen wir hier
reden, aber herzlich wenig. Einen flächendeckenden
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Unser zweiter Vorschlag ist, alle diplomatische Kraft
uf eine politische Stabilisierung Somalias zu richten.
as heißt im Kern, darauf einzuwirken, dass im Land
ine Regierung gebildet wird, die sich auf relevante
eile der Bevölkerung stützen kann und die nicht von
orruption durchsetzt ist.
Wie wichtig eine funktionierende Regierung ist, hat
ie sogenannte Union Islamischer Gerichte 2006 ge-
eigt. Das hatte nichts mit Good Governance, mit guter
egierungsführung in unserem Sinne zu tun. Es hat aber
ezeigt, dass schnelle Erfolge möglich sind, wenn man
as Problem landseitig angeht. Die Piraterie war einge-
ämmt.
as wird niemand bestreiten wollen.
Wenn Sie sagen, Somalia sei verfallen und niemand
abe etwas damit zu tun gehabt, weise ich darauf hin,
ass die Regierung durch äußere Einwirkung, durch eine
ilitärintervention gestürzt worden ist. Es gibt dort jetzt
ine Regierung, die nicht in der Lage war, Akzeptanz im
ande zu entwickeln, und in der die vernünftigen Perso-
en durch Machtbesessene blockiert werden. Dies hat
ie schlimme Folge – wir müssen über die Situation an
and reden –, dass die islamistischen al-Shabaab-Mili-
en auf dem Vormarsch sind.
Wenn jetzt, lieber Kollege Mützenich, der UNO-Si-
herheitsrat beschließt, den Weg zu militärischen Opera-
ionen an Land zu öffnen, und schon Stimmen aus den
SA laut werden, dass man auch diese Milizen bekämp-
en will, dann schließt sich der Kreis. Da kann einem
ngst und bange werden. Wer wissen will, wie das enden
ann, der möge sich noch einmal den Film Black Hawk
own anschauen.
ie Militärmission, die wir hier beschließen sollen, wird
n diesen Strudel hineingezogen werden, auch wenn Sie
eschwörend sagen: Wir haben damit nichts zu tun, wir
eschäftigen uns mit einer ganz anderen Sache.
Unser dritter Vorschlag: Unmittelbare Hilfsmaßnah-
en für die somalische Bevölkerung. Dabei geht es
21348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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Paul Schäfer
nicht nur um humanitäre Hilfe und Lebensmittellieferun-
gen, sondern darum, den Menschen an der Küste wieder
eine eigenständige Existenz zu ermöglichen. Deshalb
brauchen wir Sofortmaßnahmen gegen illegalen Fisch-
fang. Die Verklappung von Sondermüll an den Küsten
muss unverzüglich aufhören. Reintegrationsprogramme
für ehemalige Fischer müssen aufgelegt werden. Hier
geht es um Handlungen. Denn schon Bertolt Brecht
wusste: Geschwätz macht nicht satt.
„Freiheit der Meere“ ist eine schöne Losung. Aber
ohne eine gerechte Weltwirtschaftsordnung läuft das auf
den aussichtslosen Versuch hinaus, die auf der Sonnen-
seite der Globalisierung dauerhaft zu privilegieren.
– Ja, darüber reden wir jetzt hier; denken Sie es einfach
einmal durch und lesen Sie vielleicht im Weißbuch der
Bundesregierung die Stelle über die Sicherheitspolitik.
Wer meint, er könne die westlichen oder die nördli-
chen Handelsinteressen auf militärischem Weg durchset-
zen, während auf der anderen Seite die sozialen und
demokratischen Belange der Menschen in den Entwick-
lungsländern sträflich vernachlässigt werden, wird die
heutigen Gewaltkonflikte nicht loswerden, nicht am
Horn von Afrika und auch nicht anderswo. Im Gegen-
teil: Bei der Bekämpfung der Piraterie wird sich zeigen,
ob man diese Lehre beherzigt.
Vielen Dank.
Das Wort erhält der Kollege Jürgen Trittin, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde
schon, dass man aufmerksam zur Kenntnis nehmen
muss, was Herr Schäfer hier gesagt hat. Anders als bei
den Friedenseinsätzen im Sudan und anders als bei dem
Friedenseinsatz im Libanon sagt die Linkspartei: Hier ist
es notwendig, etwas zu tun. Die Linkspartei sagt auch:
Man muss dabei gegebenenfalls Gewalt anwenden. –
Das ist ein erheblicher Lernfortschritt, den Sie hier de-
monstriert haben.
Wenn Sie das aber als Ausrede nutzen wollen, jetzt
wieder Nein zu sagen, dann will ich Ihnen kurz zwei Ar-
gumente nennen.
Das Erste ist, dass jeder, der sich einmal mit dem
Thema Küstenwache beschäftigt hat, weiß, dass es
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Zweites Argument. Wenn Sie sagen, das alles solle
urch Polizei gemacht werden – Ihr Kronzeuge geht
brigens davon aus, dass die Bundespolizisten auf den
chiffen der Bundesmarine mitfahren –,
ann frage ich Sie: Wollen Sie ernsthaft eine Polizei, die
it solchen militärischen Mitteln ausgestattet ist, um in
er Lage zu sein, ein Seegebiet von 500 mal 500 Kilo-
etern zu überwachen?
edenfalls mit meinem Verständnis von Polizei ist diese
orstellung nicht zu vereinbaren.
Wir als Grüne werden diesem Mandat der Bundes-
egierung mehrheitlich zustimmen. Der Einsatz ist not-
endig. Piraten haben 14 Schiffe mit 280 Seeleuten aus
5 Nationen in ihrer Gewalt. Es geht hier um die Durch-
etzung kollektiven Rechts. Es geht auch um die
urchsetzung des Prinzips der Sicherheit der Meere, und
s geht ebenfalls darum, den Schutz der Schiffe, etwa
er des World Food Programme, sicherzustellen.
Wir alle wissen, dass es dazu nur wenige vertretbare
lternativen gibt. Wollen Sie die Sicherung der Schiff-
ahrtswege privaten Firmen wie Blackwater überlassen?
ollen Sie sie unilateralen Militäraktionen überlassen?
ein, das kann nicht sein. Deswegen sagen wir: Dieses
andat ist völkerrechtlich völlig korrekt und klar legiti-
iert. Wir halten auch die rechtlichen Voraussetzungen
ach dem Grundgesetz für erfüllt. Und: Wir stellen fest,
ass es sich um eine gemeinsame Operation der Euro-
äischen Union handelt.
Diese gemeinsame Aktion beinhaltet auch klare Re-
eln, wie vorzugehen ist. Sie bezieht sich ausdrücklich
uf die Europäische Menschenrechtskonvention. Ich
age an dieser Stelle mit allem Nachdruck: Diese ge-
einsame Aktion verbietet solche Praktiken, wie sie die
änen angewendet haben, als sie Piraten aufgegriffen
nd im Jemen am Strand ausgesetzt haben. Das ist mit
em Völkerrecht nicht vereinbar.
Meine Damen und Herren, gerade gegenüber der
undesregierung haben wir allerdings auch Kritik zu
ben und ihr Fragen zu stellen. Ich will deutlich sagen:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21349
)
)
Jürgen Trittin
Ich finde die politische Abstinenz im Hinblick auf die
Lösung des Konflikts, die Sie, Herr Bundesaußenminis-
ter, aber auch die Bundesregierung insgesamt in den
letzten Jahren demonstriert haben, vor diesem Hinter-
grund nicht akzeptabel. Auch wir wissen, dass ein ge-
scheiterter Staat wie Somalia nicht von heute auf morgen
zu einer Demokratie wird. Aber wir hätten von Ihnen,
von der Bundesregierung, zumindest erwartet, dass Sie
den Antrag, den die Fraktionen dieses Hauses gemein-
sam beschlossen haben, ernsthaft und mit Nachdruck
umsetzen.
Dieses Haus hat die Bundesregierung gemeinsam auf-
gefordert, an politischen Initiativen zur Lösung des
Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea mitzu-
wirken. Sie sind aufgefordert worden, Initiativen für ei-
nen regionalen Dialog zu ergreifen. Dieses Haus hat ge-
sagt – an diesem Punkt schließe ich mich Herrn Schäfer
an –, dass Sie mit dem politischen Islam in Somalia end-
lich differenziert umgehen müssen. Dort sind nicht alle
gleich Dschihadisten, nur weil sie sich als islamisch
Orientierte verstehen.
Ich frage Sie: Was haben Sie gemacht? Haben Sie die
Rolle, die Deutschland bei der Lösung des Grenzkon-
flikts zwischen Äthiopien und Eritrea spielen könnte,
wirklich genutzt? Nein! Haben Sie sich als deutsche
Bundesregierung dafür eingesetzt, dass nicht Schiffe aus
der EU die Fischgründe vor Somalia leerfischen und dort
in Absprache mit lokalen Warlords ihren Müll verklap-
pen? All das ist nicht passiert. Ich sage das deshalb mit
diesem Nachdruck, weil das kein Argument gegen die
„Atalanta“-Mission ist – sie ist notwendig. Die Frage, ob
diese politischen Initiativen ergriffen werden, werden für
den Erfolg von „Atalanta“ entscheidend sein. Daran
wird sich entscheiden, ob daraus eine Neverending Story
oder eine erfolgreiche Mission wird, die auch zum Ab-
schluss gebracht wird. Deswegen müssen Sie hier han-
deln.
Jetzt zu den anderen Bereichen, in denen Sie herum-
eiern. Frau Homburger hat bereits auf das Flaggenwirr-
warr hingewiesen. Mit der Bekämpfung von al-Qaida
zwischen den Seychellen und dem Horn von Afrika ist
es ja nicht sehr weit her. Deswegen haben Sie jetzt einen
Mechanismus entwickelt, der ermöglicht, dass OEF-
Einheiten fallweise auch im Rahmen von „Atalanta“
agieren können.
Ich hätte mir gewünscht, lieber Herr Bundesaußen-
minister, dass Sie hier mehr Mut bewiesen hätten.
Schauen Sie der Realität ins Auge! Sagen Sie: Der OEF-
Einsatz ist in dieser Form überflüssig. Wir brauchen
diese Fregatte aber dort, wo es notwendig ist, und zwar
zur Bekämpfung der Piraten. – Unterstellen Sie diesen
Einsatz komplett diesem Mandat der Vereinten Nationen
und der EU, und hören Sie mit Ihrem Herumeiern, was
Sie mit dem Mandat vorhaben, und mit Ihrem permanen-
ten Aus- und Einflaggen auf!
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Ich wollte sagen: die Koalition von CDU/CSU und
PD. Herr Niebel, da Sie gerade „Erst nach der Wahl!“
erufen haben: Es wird wohl nicht die Mehrheit werden.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Frage: Wie geht
an mit Gefangenen um? Nach den Beratungen in den
usschüssen ist klar, dass Personen, die festgehalten
erden, selbstverständlich nach rechtsstaatlichen und
enschenrechtlichen Grundsätzen zu behandeln sind.
uch wenn es keinen verfolgungsbereiten rechtsstaatli-
hen Drittstaat gibt, ist klar, was mit den Gefangenen zu
assieren hat: Im Zweifel müssen sie hier vor Gericht
estellt werden.
Wir haben Sie gefragt: Wie läuft denn das? Was pas-
iert denn da? – Sie haben gesagt: Eine Strafverfolgung
n Deutschland kommt nur infrage, wenn durch solche
ngriffe deutsche Interessen direkt berührt werden, wie
twa deutsche Staatsangehörige oder Schiffe. – Ich habe
azu noch eine Nachfrage: Was ist das für eine Defini-
ion des deutschen Interesses? Werden Sie einen Piraten,
er beispielsweise gegen ein Schiff des World Food Pro-
ramme vorgeht, der sich also sozusagen gegen etwas
ergeht, was die höchste Priorität bei den Gründen für
iesen Einsatz besitzt – das steht in der ersten Ziffer der
emeinsamen Aktion; das ist die erste Ziffer in Ihrem
andat –, anschließend laufen lassen, oder werden Sie
hn dorthin bringen, wo er hingehört, nämlich vor ein or-
entliches Gericht? Im Zweifelsfall heißt das: Werden
ie ihn in Hamburg vor Gericht stellen? Dieser Frage
ind Sie bis heute ausgewichen.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum: In Ihrer Koalition
laubt der Teil der CDU/CSU, dass es einen neuen Auf-
uf darstellt, hier in Deutschland Asyl zu suchen, wenn
an die Strafverfolgung rechtsstaatlich vollzieht. Sie tun
o, als würden die Somalis in Somalia jetzt auf die Boote
pringen und rufen: Hallo, ich bin ein Pirat; nehmt mich
est, damit ich nach Deutschland komme. – Absurd!
Ich finde, wer es ernst meint mit seiner Gegnerschaft
u nichtrechtsstaatlichen Verfahren und mit seiner Ab-
ehnung von Guantánamo, der muss nachdrücklich dafür
intreten, dass Menschen, die sich solch schwerer Ver-
rechen schuldig machen – wie Angriffe auf Schiffe des
orld Food Programme bzw. der Piraterie vor Somalia –,
n einem ordentlichen Verfahren vor Gericht gestellt wer-
en.
Wenn das im Zweifelsfall nur vor einem deutschen
ericht geschehen kann, dann muss das in Deutschland
uch passieren. Dazu sollten gerade Sie als CDU/CSU
21350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Jürgen Trittin
sich mit Nachdruck bekennen. Ich habe gedacht, Sie
seien die Partei der inneren Sicherheit, aber Sie scheinen
offensichtlich gewillt zu sein, Schwerverbrecher lieber
laufen zu lassen, anstatt sie einem ordentlichen Gerichts-
verfahren zuzuführen.
– Herr Kauder, ich freue mich ja, dass Sie das trifft.
Sie werben hier um die Zustimmung des Bundesta-
ges. Ich finde, Sie haben in der Begründung dieses An-
trages viel Herumgeeiere demonstriert. Ich sage Ihnen
aber auch: Meine Partei bekennt sich nachdrücklich zum
Primat der Vereinten Nationen. Wir möchten nicht, dass
Deutschland abseits steht, wenn die Vereinten Nationen
gemeinsam darangehen, ein schwerwiegendes Problem
zu lösen. Wir Grünen sind überzeugte Europäer. Wir
möchten, dass Europa in der Außenpolitik gemeinsam
handlungsfähig ist. Dazu kann Deutschland in diesem
Fall einen Beitrag leisten. Das ist für uns der überra-
gende Grund, warum wir an dieser Stelle trotz des He-
rumgeeieres der Bundesregierung zustimmen werden.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In Stuttgart läuft zurzeit eine Ausstellung über Piraterie.
Sie wird von Schülern und Schulklassen sowie von Kin-
dern überrannt, die dort ihren Geburtstag feiern. Dieses
romantisierende Bild der Seeräuber, die Ruhm erreichen
und Geld und Gold stehlen, hat sich in den Köpfen fest-
gesetzt.
Wir reden aber über etwas anderes, nämlich über or-
ganisierte Kriminalität. Die Drahtzieher sitzen in ihren
Villen in Somalia, bewegen sich in den internationalen
Hotels der Welt und steuern ihre Geldströme. Es werden
Menschen als Geiseln genommen und nicht nur Reede-
reien erpresst, sondern ganze Nationen und Länder wer-
den erpressbar.
Herr Kollege Schäfer, deshalb ist es absurd, uns zu
unterstellen, wir würden eine schnelle und einfache Ant-
wort geben, indem wir angesichts dieser wirklich ernsten
Bedrohung Militär einsetzen, und wir würden schnell Ja
zu militärischen Einsätzen sagen.
Wir überlegen uns bei jedem Einsatz von Streitkräften,
ob er unseren Interessen entspricht, ob er ethisch begrün-
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ch denke, es gibt kaum einen Einsatz, bei dem dies so
ichtbar wird wie bei diesem, über den wir heute ent-
cheiden werden.
Ich denke, die Menschen in Deutschland verstehen
ehr genau, warum es im nationalen Interesse liegt, dass
ir unseren Beitrag zusammen mit anderen Nationen
ort leisten. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass sich
as Handelsland Nummer eins darauf verlässt, dass wie-
er einmal die anderen die Kastanien aus dem Feuer ho-
en. Nein, wir leisten unseren Beitrag.
Der Einsatz ist ethisch begründet, weil es ohne Si-
herheit in diesem Seeraum nicht gelingen wird, die not-
eidenden und hungernden Menschen in Somalia über-
aupt zu versorgen. Es ist die Hauptaufgabe dieses
andats, dafür zu sorgen, dass die Schiffe mit Hilfslie-
erungen an Land kommen. Der Einsatz ist deshalb
thisch begründet, weil Menschen in Geiselhaft genom-
en werden.
Eine Debatte über die Rechtsfragen ist eigentlich un-
ötig. Dieser Auftrag ist eher doppelt mandatiert: einmal
ber die Resolution der Vereinten Nationen und Art. 24
nseres Grundgesetzes, der einen Beitrag in kollektiven
icherheitssystemen erlaubt, aber auch – in der Tat – über
ie internationale Seerechtsübereinkunft und Art. 25 un-
eres Grundgesetzes, der dies legitimiert.
Nun gab es in den letzten Tagen immer wieder die
ebatte: Kann dies so, wie die Marine vorgehen wird,
irklich wirksam sein? Ich finde es spannend, dass die
DP zusammen mit dem Bundeswehr-Verband das ei-
entlich gute Prinzip der deutschen Streitkräfte hier in-
rage stellt, das nämlich lautet – so wird es dort erst recht
ein –: Erst denken, Frau Homburger, dann schießen.
s gibt überhaupt keinen Grund, in diesem Zusammen-
ang davon abzugehen. Die Marine hat alle rechtlichen
öglichkeiten, dort tätig zu werden. Sie darf abhalten,
ie darf stören, sie darf schützen, sie darf stabilisieren.
aut diesem Mandat gilt: Wenn alle anderen Maßnah-
en nicht funktioniert haben, dann darf die Marine auch
ewalt einsetzen.
Bringen wir das einmal auf den Punkt, Frau
omburger: Wollen Sie schon militärische Gewalt einset-
en, bevor die anderen Möglichkeiten gescheitert sind?
as heißt doch am Ende, dass Sie von diesem Mandat und
em Einsatz der Marine erwarten, dass das gute Prinzip
er Verhältnismäßigkeit der Mittel aufgegeben wird. Das
st eine ziemlich absurde Debatte. Ihr Kollege Stinner hat
as Bild „vom Haifisch zum Hering“ – das führt zu schö-
en Schlagzeilen; das ist doch klar – geprägt. Nach den
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21351
)
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Rainer Arnold
Worten von Frau Homburger, Herr Kollege Stinner,
nehme ich dieses Wort gern auf.
Ich sage dann aber: vom Haifisch zum Schwertfisch.
Aber gut.
Dieses Mandat wird wirksam werden. Wir haben in
den Vereinten Nationen in den letzten Tagen darüber ei-
nen schwierigen Prozess erlebt. Ich glaube, es war gut,
dass die UNO die Staatengemeinschaft zusätzlich auf-
fordert, alle Maßnahmen, die im Seeraum ergriffen wer-
den, wie „Atalanta“, OEF und möglicherweise NATO-
Schiffe, vielleicht auch noch chinesische, russische und
indische Schiffe, besser zu koordinieren. Diese Forde-
rung ist ausdrücklich zu unterstützen.
Wir unterstützen auch den Prozess, den der Außen-
minister bei OEF längst eingeleitet hat. Herr Kollege
Trittin, es ist nicht so, dass er nichts tut. Beim neuen
OEF-Mandat gab es einen wichtigen Schritt. Wir unter-
stützen den Außenminister bei seiner Arbeit, eines Tages
so weit zu kommen, dass alle Schiffe, die in dem See-
raum unterwegs sind, unter einem Kommando fahren.
Das ist das Beste. Aber hier billige populistische Forde-
rungen zu stellen, das ist für die Opposition einfach.
Deutschland ist nicht allein auf der Welt. Meistens müs-
sen wir noch ein paar andere von unseren Plänen über-
zeugen. Das ist nicht immer so ganz einfach.
Nein, dieser Einsatz am Horn von Afrika ist aus unse-
rer Sicht ohne Alternative. Was die Linke hier tut, Herr
Kollege Schäfer, ist, Scheinalternativen aufzubauen.
Sie wissen genauso gut wie wir, dass in Somalia seit
17 Jahren Anarchie herrscht und dass Diplomatie und
militärische Interventionen immer wieder neu scheitern.
Auch der letzte Versuch dieser Art steht in diesen Tagen
wieder vor dem Scheitern. Solange es in Somalia nicht
gelingt, dass sich die Menschen, also die ethnischen
Gruppen und Interessen, auf einen wirksamen internen
und ehrlichen Versöhnungsprozess einlassen, ist alles
andere wohlfeile Rhetorik. Natürlich müssen wir dabei
helfen: diplomatisch und humanitär. Aber zu glauben,
dass man das von außen so einfach tun kann, ist nur eine
Scheinalternative.
Wir müssen Somalia helfen und auf See für Sicherheit
sorgen. Beides gehört zusammen.
Die zweite Scheinalternative, die Sie genannt haben,
bezieht sich auf die Idee der Coast Guard, des Küsten-
schutzes. Unabhängig davon, dass dies nicht schnell zu
organisieren ist, muss Folgendes beachtet werden: Kein
Land hat angesichts der terroristischen Bedrohungen an
so vielen Küsten Kapazitäten frei. Das müsste nach den
Beschlüssen neu aufgebaut werden, was ein jahrelanger
Prozess ist. Schiffe brauchen auch gut ausgebildetes Per-
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olizeiliche Fähigkeiten enden nun einmal auf hoher
ee. Das führt zu der Frage, ob Sie für die Polizei
riegsschiffe wollen. Dann ist es besser, wenn das Mili-
är diese Aufgabe gleich übernimmt, weil es dazu in der
age ist und über die notwendigen Schiffe verfügt. Wir
ürfen nicht länger zuschauen, Herr Kollege Schäfer. Es
st eine billige Ausrede, um einen Grund zu finden, zu
iesem Mandat Nein zu sagen.
Über eines sollten wir uns in diesem Hause aber einig
ein: Bei den afrikanischen Konflikten ist bei aller Kom-
lexität und bei allen Unterschieden, die es zwischen
omalia, Ruanda, Kongo und anderen gibt, eine Ge-
einsamkeit festzustellen. Wir alle wissen, dass die
frikanische Union, die zum Glück zumindest politisch
u einer einigermaßen funktionierenden Gemeinschaft
eworden ist, dringend in die Lage versetzt werden
üsste, Konflikte selbst zu bewältigen. Im Afrika-Ak-
ionsplan der G-8-Staaten wurde dies bereits im Jahr
002 formuliert.
Ich glaube, zu einer ernsthaften Debatte gehört, dass
ir alle uns mehr anstrengen müssen, um den afrikani-
chen Staaten zusätzliche Hilfestellungen in den Berei-
hen Ausbildung, Technologie, militärische Aufklärung,
ommunikationstechnik und Lufttransport zu geben.
rst dann, wenn die Afrikaner technisch und vom Ausbil-
ungsstand her selbst in der Lage sind, mit Konflikten
mzugehen, werden solche Debatten im Deutschen Bun-
estag nicht mehr notwendig sein.
Es ist schön, Herr Kollege Schäfer, wenn wir uns da-
über einig sind, dass wir dort helfen müssen.
amit erkennen wir allerdings an, dass auch die Afrika-
ische Union über militärische Mittel verfügen muss,
m mit den Konflikten in Afrika umzugehen. Ich glaube,
as muss die strategische Ausrichtung der langfristigen
uropäischen Politik sein.
21352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Rainer Arnold
Ich bin sicher, dass die Marine gut vorbereitet, gut
ausgebildet und gut ausgestattet ist, um diesen Auftrag
zu erfüllen. Ich bin sicher, dass das positive Bild, das die
Streitkräfte insgesamt für Deutschland abgeben, von der
Marine zusätzlich positiv gestaltet wird.
Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion erhält nun die Kollegin Marina
Schuster das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für die FDP-Fraktion ist klar, dass wir diesem
Mandat zustimmen werden. Denn es ist klar, dass sich
Deutschland auch aus eigenem Interesse für die Sicher-
heit der Seewege einsetzen muss und dass wir die Pirate-
rie bekämpfen müssen.
Dennoch müssen wir uns in der heutigen Debatte
auch die eigentlichen Ursachen der Piraterie vor Augen
führen. Es ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen. Denn
die Piraterie ist nur das Symptom einer fast vergessenen
politischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise.
Nach 17 Jahren Bürgerkrieg steht Somalia vor einer
ungewissen Zukunft. Fehlende staatliche Strukturen ha-
ben rechtsfreie Räume entstehen lassen, die Piraten und
Terroristen als Rückzugsorte dienen. Das ist bei weitem
nicht nur eine Gefahr für die Region.
Die Übergangsregierung hat weder die Kontrolle über
das Land, noch genießt sie Legitimität bei der Bevölke-
rung. Sie hält sich nur noch mithilfe äthiopischer Trup-
pen und durch Unterstützung von außen über Wasser.
Die äthiopischen Truppen sollen abziehen – das begrü-
ßen wir auch –, aber dann stellt sich die Frage, wer das
entstehende Sicherheitsvakuum füllen soll. AMISOM
soll das tun. Wir alle wissen aber, dass AMISOM seit
zwei Jahren nicht voll einsatzbereit ist. Nur zwei Länder
haben Truppen zugesagt. Insofern zeichnet sich eine kri-
tische Phase ab.
An dieser Stelle ist auch die Afrikanische Union ge-
fragt. Denn Fakt ist: Ohne Sicherheit an Land wird es
keine Sicherheit auf See geben. Es ist klar, dass am Horn
von Afrika keine einfachen Lösungen gefunden werden.
Das Trauma der missglückten Missionen in den 90er-
Jahren hängt vielen noch nach. Umso mehr muss sich
Deutschland politisch engagieren und gemeinsam mit
der EU Initiativen auf den Weg bringen. Was ist aus der
Somalia-Kontaktgruppe geworden, die sehr engagiert
gestartet ist? Neue Initiativen sind nicht zu erkennen.
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Das Wort erhält nun der Kollege Ruprecht Polenz,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Ich möchte gerne mit einem Zitat beginnen:
Deutschland hat aufgrund seiner immer engeren
Verflechtung in der Weltwirtschaft besonderes Inte-
resse an internationaler Stabilität und ungehinder-
tem Warenaustausch. Wie viele andere Länder ist es
in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzu-
fuhr und sicheren Transportwegen in globalem
Maßstab abhängig und auf funktionierende Infor-
mations- und Kommunikationssysteme angewie-
sen. Verwerfungen im internationalen Beziehungs-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21353
)
)
Ruprecht Polenz
gefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme,
beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und
Störungen der weltweiten Kommunikation bleiben
in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswir-
kungen auf die nationale Volkswirtschaft, Wohl-
stand und sozialen Frieden.
So weit das Zitat aus dem Weißbuch der Bundesregie-
rung. Ich habe deshalb darauf Bezug genommen, weil
der Verteidigungsminister, der damals dieses Weißbuch
vorgelegt hat, unter anderem wegen dieser Passage hef-
tig kritisiert wurde. Ich möchte hervorheben: Er hat mit
dieser Analyse richtiggelegen. Das, was wir heute mit
großer Mehrheit im Deutschen Bundestag beschließen,
ist ein Ergebnis dieser Analyse einer ganz konkreten Si-
tuation. Herr Minister Jung, ich will festhalten: Sie ha-
ben damals richtiggelegen.
Das deutsche Interesse ist in Folgendem begründet:
Wir haben weltweit die größte Containerflotte und die
drittgrößte Handelsflotte. 17 Prozent des Außenhandels-
wertes werden über Seewege erwirtschaftet. 56 Prozent
unseres Rohölbedarfs kommen über See nach Deutsch-
land. Deshalb beteiligen wir uns nun an einer europäi-
schen Anstrengung, in einem ganz bestimmten Bereich
die Seewege zu sichern.
In der Debatte, sowohl in der ersten Lesung als auch
in der heutigen abschließenden Beratung, ist viel von
dem Failed State Somalia und dem Piratenproblem die
Rede. Ich will daran erinnern – Herr Trittin hat ebenfalls
darauf Bezug genommen –, dass wir uns vor einem Jahr
im Zusammenhang mit einem mit großer Mehrheit ange-
nommenen Somaliaantrag mit dieser Frage sehr diffe-
renziert und intensiv auseinandergesetzt haben. Wenn
ich es richtig gelesen habe, ist dieser Antrag damals
übrigens gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Zu-
stimmung aller anderen Fraktionen angenommen wor-
den. Aber, Herr Trittin, ich habe den Antrag nicht so ver-
standen, als hätte der Bundestag damals die Meinung
vertreten, Deutschland könne das Problem Failed State
Somalia alleine stemmen. Wenn man den Ton Ihrer Rede
gehört hat – vielleicht nicht, wenn man nachher im Ma-
nuskript die Worte nachliest – und die Vorwürfe an den
Außenminister zur Kenntnis genommen hat, dann
konnte man schon den Eindruck bekommen, Sie mein-
ten, Deutschland könne das. – Wenn Sie mir jetzt durch
Ihr Kopfschütteln recht geben, dann sind wir wieder auf
der Basis des gemeinsamen Antrags. Wir können be-
scheidene Beiträge dazu leisten, um Somalia zu stabili-
sieren.
– Frau Künast, auch Sie reden immer sehr hochtourig
und erwecken die gleichen Eindrücke.
Daher meine ich,
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s ist ein Gebot der Fairness, gegenüber der deutschen
ffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, es liege
in großes Versäumnis der Regierung vor. Das sollte
an nicht tun, nur um die Regierung zu kritisieren, ob-
ohl wir eigentlich alle derselben Meinung sind.
Es gibt aber noch einen Ansatz neben dem Aufbau ei-
es Failed State und der aktuellen Piratenbekämpfung,
uf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, weil in
ieser Hinsicht mehr geschehen muss. Ich nenne das
tichwort organisierte Kriminalität; denn die Piraten
rauchen ein Netzwerk an Land, um erfolgreich zu sein.
ie müssen Informationen über Schiffsrouten, Schiffsla-
ungen, über Besatzungen und über die Abwehrmög-
ichkeiten, die vielleicht gegeben sind, bekommen, sie
rauchen Käufer für die gestohlenen Waren, und sie
rauchen gefälschte Dokumente. Ein Ansatz muss also
uch die Bekämpfung der internationalen Kriminalität
ein. Die Geldströme müssen unterbrochen werden. Das
st ein Aspekt, der in der internationalen Sicherheitszu-
ammenarbeit künftig eine größere Rolle spielen muss.
s geht auch darum – das ist der Frage, wie man Somalia
ieder auf die Beine helfen kann, vorgelagert –, dass
an zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der Fischer
twas gegen die Umweltverschmutzung in den Gewäs-
ern vor Somalia, gegen die Verklappung und gegen die
llegalen Fangflotten unternimmt.
„Atalanta“ soll abschrecken. Dass das erfolgreich sein
ann, haben asiatische Länder gezeigt. In der Mitte der
0er-Jahre gab es ein großes Piratenproblem in der
traße von Malakka. Dort ist es gelungen, die Zahl der
iratenüberfälle von 2003 bis 2007 um etwa zwei Drittel
u senken, weil 14 asiatische Staaten gemeinsam und gut
oordiniert gegen die Piraterie vorgegangen sind.
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der mir
n der Debatte zu kurz kam. Wir sprechen über ein See-
ebiet von 3 Millionen Quadratkilometern. Diese Fläche
st achtmal so groß wie Deutschland. Selbst wenn wir
nterstellen, dass die Schifffahrtsrouten, die man kon-
rollieren muss, nicht durch das gesamte Gebiet führen,
st der Ansatz der Abschreckung wahrscheinlich realis-
isch. Wer glaubt – das klang vorhin auch bei Herrn
chäfer ein bisschen an –, man könne jetzt jeden Piraten-
berfall von vornherein verhindern
nd wenn das nicht gelinge, sei „Atalanta“ ein Miss-
rfolg, der legt die Latte auf eine Höhe, die mit Sicher-
eit nicht übersprungen werden kann.
15 Länder beteiligen sich an „Atalanta“. Neben den
ändern aus der Europäischen Union sind das Indien,
akistan, Saudi-Arabien, die USA, China und Russland.
ch finde, ein besonders positives Signal ist, dass sich
ussland an der Pirateriebekämpfung beteiligt. Wir soll-
en das zum Anlass nehmen, in besonderer Weise mit
21354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Ruprecht Polenz
Russland Erfahrungen auszutauschen und über Koordi-
nierungsmaßnahmen bei der Pirateriebekämpfung zu
sprechen. Das ist eine Chance, Russland in ein gemein-
sames Projekt einzubeziehen. Daraus kann möglicher-
weise, was die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit
Russland angeht, mehr werden. Wir sollten die Piraterie-
bekämpfung als Chance begreifen und für Weiteres nut-
zen.
Ich habe die Länder aufgeführt, die mitmachen. Das
ist praktisch die ganze Weltgemeinschaft. Man muss hin-
zufügen: die ganze Weltgemeinschaft, minus die Frak-
tion Die Linke im Deutschen Bundestag,
und das, obwohl es um die Bekämpfung organisierter
Kriminalität geht, die die Rückgewinnung staatlicher
Strukturen erschwert, und obwohl es um den Schutz der
Ernährung der somalischen Bevölkerung geht; denn es
geht vor allen Dingen um den Schutz der Schiffe des
World Food Programme.
Ein letzter Punkt: Die Frage der Strafverfolgung hat
auch in der heutigen Debatte und in der Diskussion um
das Mandat eine große Rolle gespielt. Der Einsatz wird
zweifellos etwas länger dauern. Nachdem sich aber nun
alle fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates
an dieser Mission beteiligen, sollte es gelingen, einen in-
ternationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung der Pirate-
rie einzurichten,
und zwar einschließlich der dann erforderlichen Straf-
verfolgung. Ich hoffe, dass die Bundesregierung mit ih-
ren darauf gerichteten Anstrengungen Erfolg hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Kurt Bodewig, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
einer namentlichen Abstimmung ist es immer gut, wenn
das wichtige Thema, um das es geht, von vielen auf-
merksamen Zuhörern verfolgt wird. Hier geht es meines
Erachtens um zwei Dinge: zum einen um die maritimen
Lebensadern, etwas, was eine Exportnation wie
Deutschland direkt betrifft, und zum anderen um die in-
ternationale Humanität.
Wenn rund 3,5 Millionen Menschen in Somalia exis-
tenziell bedroht sind, Lebensmittelhilfe der Weltge-
meinschaft brauchen und diese durch Piraterie bedroht
ist, dann ist das ein Thema, das uns alle angeht. Die Tat-
sache, dass 90 Prozent dieser Hilfeleistung über die
Meereswege gehen, zeigt: Wir müssen aktiv werden.
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Tragen Sie Verantwortung! Wenn Sie Verantwortung tra-
gen wollen, sollten Sie heute zustimmen.
Ich möchte einen Dank an den Bundesverteidigungs-
minister richten. Herr Dr. Jung, sagen Sie es bitte auch
den Soldaten. Es handelt sich um eine Mission, die ver-
antwortungsvoll wahrgenommen wird. Herr Admiral
Nolting, diejenigen, die dort beteiligt sind, handeln ver-
antwortungsvoll.
Ich will einen zweiten Dank aussprechen, nämlich ei-
nen Dank an den Bundesaußenminister. Der Bundes-
außenminister hat in seiner Rede am Mittwoch klarge-
stellt: keine Ausweitung dieses Mandats durch die neue
Resolution des UN-Sicherheitsrats. – Das ist für alle, die
sich heute für diesen Einsatz aussprechen werden, eine
gute und wichtige Klarstellung.
Ich würde mich freuen, wenn der Bundesaußenminis-
ter seine internationalen Bemühungen um einen interna-
tionalen Strafgerichtshof zur Piraterie fortsetzte.
Ich weiß, dass er dazu sehr positiv eingestellt ist. Ham-
burg mit dem Internationalen Seegerichtshof wäre der
richtige Standort dafür.
Wir sollten die Internationale Transportarbeiter-Föde-
ration stützen. Wir sollten die Reeder in ihrem Bemühen
stützen, Sicherheit auf den Schiffen herzustellen. Vor al-
lem sollten wir unser internationales Mandat verantwor-
tungsvoll wahrnehmen. Es ist also eine richtige Ent-
scheidung, die wir heute treffen wollen.
Vielen Dank.
Bevor ich dem letzten Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt das Wort erteile, bitte ich die Kolleginnen
und Kollegen, die noch hinreichend vorhandenen Plätze
einzunehmen. Ich weise der Vollständigkeit halber da-
rauf hin, dass die namentliche Abstimmung erst nach
Schluss der Aussprache erfolgt.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Adam für
die CDU/CSU-Fraktion.
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ielmehr hat sie eine hervorragende Arbeit geleistet, mit
msicht gehandelt und ihre Aufgaben sehr gut erfüllt.
Man darf sich gar nicht vorstellen, was passierte,
enn sich Piraten mit der al-Qaida einlassen würden.
ie eine Seite verfügt über viel Lösegeld und die andere
eite über viele moderne Waffen und eine gute Ausbil-
ung – eine brisante Mischung, die jedem Schiffskapitän
chlaflose Nächte bereiten muss. Die Forderung unserer
eedereien nach einem Schutz der Schiffe ist daher nur
llzu verständlich.
Trotz der Finanzkrise machen die Globalisierung und
er damit einhergehende weltweite Handel das 21. Jahr-
undert ganz sicher zu einem maritimen Jahrhundert.
ie global vernetzte Wirtschaft kann nur dank eines aus-
eprägten und leistungsfähigen Seehandels funktionie-
en. Für uns, die Bundesrepublik, gilt, dass wir als
ohstoffarme Nation auf den Import der für unsere Wirt-
chaft notwendigen Ressourcen angewiesen sind.
0 Prozent des weltweiten Warenverkehrs werden über
ee abgewickelt. Ohne einen sicheren Seehandel wird
ie deutsche Wirtschaft noch mehr geschädigt, als dies
urch die schlimmsten Auswirkungen der Finanzkrise
er Fall sein kann. Deutschland ist folglich nicht nur mo-
alisch, sondern auch aufgrund seiner wirtschaftlichen
21356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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Ulrich Adam
Interessen dazu verpflichtet, den freien Seehandel zu ge-
währleisten und mit aller Entschiedenheit gegen die bru-
talen Piratenangriffe vorzugehen. Unsere Marine tut dies
in gewohnter Weise nicht allein, sondern im Rahmen ei-
nes bestehenden Bündnisses. Erstmals hat sich die Euro-
päische Union darauf geeinigt, gemeinsam entschlossen
gegen die Bedrohung durch die Piraterie vorzugehen.
Die Deutsche Marine hat in den vergangenen Jahren
immer wieder ihre hohe Flexibilität und Einsatzbereit-
schaft unter Beweis gestellt. Allerdings müssen für die
Zukunft sowohl die personelle als auch die materielle
Durchhaltefähigkeit der Marine ausgebaut werden. Be-
reits heute stößt die Deutsche Marine mit den Einsätzen
UNIFIL, der jetzt zu beschließenden Operation „Ata-
lanta“ und der derzeit laufenden OEF an die Grenzen
von Material und Personal. Wenn Deutschland im
maritimen 21. Jahrhundert seine Interessen auf See wah-
ren will, müssen wir heute an die Aufgaben der Marine
in 10 und 20 Jahren denken, das hierfür notwendige Per-
sonal ausbilden und moderne Schiffe beschaffen.
Darf ich einen Augenblick unterbrechen? – Ich darf
auch all die Kolleginnen und Kollegen, die in der Zwi-
schenzeit eingetroffen sind, bitten, Platz zu nehmen, da-
mit wir nach Schluss der Aussprache die angekündigte
namentliche Abstimmung vornehmen können.
Bitte schön, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich bin mir sicher,
dass die Marineführung der Politik die notwendigen
Schritte hierzu ausführlich darlegen wird. Es ist an uns,
diese dann rechtzeitig umzusetzen. Die bisherigen Er-
fahrungen zeigen uns, dass hierfür auch neue Denk-
ansätze gefordert sind. Der Kampf gegen Piraten kann
nur mit bordeigenen Hubschraubern und Spezialkräften
durchgeführt werden. Alles andere führt zu einem ver-
mehrten Risiko für die Sicherheit unserer Besatzung.
Daher sind auch diese Kräfte entsprechend zu schulen
und materiell auszustatten.
Der Bundesminister der Verteidigung hat mehrere
Kolleginnen und Kollegen des Verteidigungsausschusses
eingeladen, mit ihm in der kommenden Woche die Be-
satzungen unserer beiden Schiffe, der „Karlsruhe“ und
der „Mecklenburg-Vorpommern“, vor Ort zu besuchen
und uns von deren Einsatzfähigkeit und hoher Motiva-
tion zu überzeugen. Ich danke dem Minister für diese
Einladung, zeigt das doch wieder einmal, dass die Bun-
deswehr und somit die Marine eine Parlamentsarmee ist
und der enge Kontakt zum Parlament, das diesen gefahr-
vollen Einsatz beschließt, gewährleistet ist.
Die Weihnachtszeit ist nicht nur eine Zeit der Besinn-
lichkeit, sondern auch des Schenkens. Was, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen, ist aber wohl, nach meiner
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Meine Fraktion und ich stimmen dem Mandat zu,
eil wir wissen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten
iese Aufgabe erfüllen werden.
Vielen Dank.
Nun erhält noch die Kollegin Homburger für eine
nappe Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung
as Wort. Dann können wir zur Abstimmung kommen.
ch bitte einen Augenblick um Aufmerksamkeit. – Bitte,
rau Kollegin Homburger.
Herr Kollege Adam, Sie haben mich in Ihrer Rede
ben gerade direkt angesprochen und hier behauptet,
ass ich gesagt hätte, die Deutsche Marine habe sich bla-
iert. Das ist eine Unterstellung, die einzig und allein
eigt, dass Sie mir nicht zugehört haben.
Ich sage an dieser Stelle ganz ausdrücklich – das ist
mmer die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion gewe-
en, auch jetzt noch –: Die Deutsche Marine ist exzellent
usgebildet; die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
achen einen ganz hervorragenden Job. Wir haben das
mmer wieder feststellen können.
Die Tatsache allerdings, dass die Bundesregierung der
einung war, dass unter dem Mandat Operation Endu-
ing Freedom eine Pirateriebekämpfung nicht zulässig
ei, obwohl Deutschland das Seerechtsübereinkommen
atifiziert hat, hat dazu geführt, dass deutsche Soldatin-
en und Soldaten vor Ort in schwierige Situationen ge-
racht wurden. Während nämlich andere Nationen im
ahmen der Operation Enduring Freedom Piraterie be-
ämpft haben, durften unsere Soldatinnen und Soldaten
ur Nothilfe leisten. Darauf habe ich hingewiesen. Da-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21357
)
)
Birgit Homburger
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus- führer ein Zeichen geben, ob die entsprechenden Ab-
zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation „Atalanta“ zur Bekämpfung der
Piraterie vor der Küste Somalias. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/11416, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 16/11337 anzunehmen. Hierzu ist namentli-
che Abstimmung verlangt. Wir stimmen nun über diese
Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich mache schon
jetzt darauf aufmerksam, dass wir im Anschluss an diese
namentliche Abstimmung eine weitere Abstimmung na-
mentlich durchführen werden.
Zu der jetzt anstehenden Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung liegen mir Erklärungen zahlreicher
Kolleginnen und Kollegen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor.1)
Haben alle Schriftführerinnen und Schriftführer ihre
Plätze eingenommen? – Das ist offenkundig noch nicht
der Fall. Ich bitte um ein entsprechendes Signal. – Ich
eröffne die Abstimmung.
Könnte bitte einmal ein Geschäftsführer aus den Rei-
hen der Oppositionsfraktionen sicherstellen, dass die
Abstimmungsurne vor der Lobby mit einem zweiten
Schriftführer bestellt wird?
Gibt es noch einen anwesenden Kollegen, der noch
nicht Gelegenheit hatte, seine Stimmkarte abzugeben? –
Wenn der Kollege Dressel sich im Augenblick im Ple-
narsaal aufhält, möge er bitte zum Präsidium kommen.
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1) Anlagen 2 bis 6
2)
3)
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 558;
davon
ja: 491
nein: 55
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
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Bevor wir zur Abstimmung über weitere Entschlie-
ungsanträge kommen, kann ich Ihnen das Ergebnis
er ersten namentlichen Abstimmung mitteilen – mit
esonderem Dank an die wieder einmal außergewöhn-
ich schnell und präzise arbeitenden Schriftführerinnen
nd Schriftführer, die im Übrigen, wie ich finde, zum
bschluss dieses Jahres einen besonderen Applaus aller
raktionen verdient haben.
Kollege Fuchtel ist erwartungsgemäß tief beeindruckt. –
ach seiner mir gerade übergebenen Mitteilung sind
58 Stimmen abgegeben worden. Von diesen haben 491
it Ja und 55 mit Nein gestimmt bei 12 Enthaltungen.
amit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ergebnis Seite 21366 D
Anlage 7
eter Bleser
ntje Blumenthal
ochen Borchert
olfgang Börnsen
olfgang Bosbach
laus Brähmig
ichael Brand
elmut Brandt
r. Ralf Brauksiepe
eorg Brunnhuber
ajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
wärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung stimmungsurnen jeweils von Koalition und Opposition
mit hat man die Soldatinnen un
schwierige Situation gebracht
Spott anderer Nationen ausge
ganz klar: Die Bundesregieru
lungsanweisung die Deutsche
ben hohen Respekt vor den Le
und Soldaten, aber wir haben
Handeln der Bundesregierung.
mert:
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Ich habe den Eindruck, da
timmkarten abgegeben haben.
timmung und bitte die Schrif
ührer, mit der Auszählung zu be
bstimmung werden wir wie i
en.
Wir setzen die Abstimmun
ungsanträgen fort. Zunächst st
chließungsantrag der Fraktion
uf der Drucksache 16/11425
entliche Abstimmung beantra
Könnten mir bitte die Schrif
)
)
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
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Das ist aber auch gute staatlich organisierte Solidari-
ät, mit der wir Armut bekämpfen. Nur, wenn wir in
eutschland über Armut sprechen, dann sprechen wir in
er Regel nicht über Armut, wie wir sie in den Entwick-
ungsländern kennen, wo es teilweise um das physische
berleben geht, also um eine Armut, die das Leben gera-
ezu gefährdet. In Deutschland haben wir leistungsfä-
ige Systeme sozialer Sicherung, die helfen, diese Form
er Armut zu vermeiden.
Richtig ist aber, dass es bei uns in Deutschland Men-
chen gibt, die von relativer Armut betroffen sind. Das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21361
)
)
Parl. Staatssekretär Franz Thönnes
teme wie das Kindergeld oder das Wohngeld einzusetzen
haben; der Kinderzuschlag gehört dazu. Es geht aber
auch um Chancen auf Bildung. Es geht um Chancen auf
Ausbildung, um Chancen auf Arbeit. Ich sage ausdrück-
lich: Es geht um fair bezahlte Arbeit, um anständig be-
zahlte Arbeit. Und es geht um aktive Arbeitsmarktpoli-
tik, darum, Menschen, die arbeitslos sind und auf
Solidarleistungen angewiesen sind, zu befähigen, wieder
in Arbeit zu kommen und selbst für ihre Familien und
Kinder zu sorgen.
Deshalb war die Entscheidung, die getroffen worden
ist, auch richtig, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe
zu einer Fürsorgeleistung für Erwerbsfähige zusammen-
zulegen, die zurzeit keine Arbeit haben. Denn sie hat mit
dazu beigetragen, dass neue Teilhabechancen entstehen
können, dass sich neue Möglichkeiten für Arbeit entwi-
ckeln. Ich will darauf hinweisen, wir haben damit dazu
beigetragen, dass erstmals alle Menschen, die ohne
Arbeit sind, in die Vermittlung durch die Arbeitsge-
meinschaften, die Optionskommunen und auch durch
die Bundesagentur für Arbeit mit einbezogen worden
sind, das heißt intensives Fallmanagement, damit die Ar-
beitsmarktchancen für Langzeitarbeitslose deutlich ver-
bessert werden.
Nach den ersten Berechnungen der Bundesagentur für
Arbeit lag die Zahl der Empfänger von Arbeitslosen-
geld II und von Sozialgeld im November 2008 mit
6,59 Millionen um immerhin 686 000 niedriger als vor
zwei Jahren. Das ist ein Erfolg für die Menschen, die
sich um Arbeit bemüht und engagiert haben. Das ist aber
auch ein Erfolg derjenigen, die mitgeholfen haben, das
umzusetzen, was an Arbeitsmarktreformen und aus der
Philosophie des Forderns und Förderns hier im Deut-
schen Bundestag beschlossen worden ist.
Es geht um Arbeit – vorrangig. Umso bedauerlicher
ist es, dass es in einigen Anträgen, die wir heute debat-
tieren, so scheint, als ginge es nur um Geld. Da muss
man deutlich sagen, höhere Transfers schaffen weder
größere Arbeitsmarktchancen für die erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen, noch werden damit die Bildungschan-
cen der bedürftigen Kinder verbessert.
Grundlage unserer Politik bleibt hingegen die Er-
kenntnis, dass, wo immer möglich, Arbeit und ein exis-
tenzsicherndes Familieneinkommen den Weg aus der
Hilfebedürftigkeit weisen müssen. Bei einer Familie mit
zwei erwerbsfähigen Erwachsenen sinkt das Armutsri-
siko von 48 Prozent auf unterdurchschnittlich 8 Prozent
bzw. 4 Prozent, sobald nur einer oder zwei anständig gut
bezahlte Arbeit bekommen. Deshalb werden wir die Ar-
beitsvermittlung weiter verbessern, deshalb haben wir
die Instrumente für die Arbeitsmarktpolitik verändert,
zielgerichtet gestaltet, und deswegen kämpfen wir auch
für existenzsichernde Mindestlöhne.
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Raus aus der Hilfebedürftigkeit, ein eigenes Leben
ieder selbstständig zu gestalten, darum geht es auch
ei dem, was wir zum 1. Oktober 2008 beim Kinderzu-
chlag entschieden haben; darum geht es auch, wenn wir
ber die Umsetzung des Wohngeldes jetzt zum
. Januar 2009 sprechen, und – ich will etwas hinzufü-
en, was manchmal ein bisschen untergeht – auch das
lterngeld hat dazu beigetragen, Hilfebedürftigkeit zu
ermeiden. Die Zahl der Frauen, die im Jahr nach der
eburt ihres Kindes Arbeitslosengeld II beziehen müs-
en, ist nach der Einführung des Elterngeldes signifikant
esunken. Auch das ist ein Erfolg unserer Familienpoli-
ik, die hier gemacht worden ist.
Ich will keine Zweifel aufkommen lassen: Natürlich
ird es auch darum gehen, dort, wo Armut ist, die direk-
en materiellen Leistungen einzusetzen; sie sind unver-
ichtbar. Das ist keine Frage.
Alle im Hause wissen, die Regelsätze für die Kinder
erden vom Eckregelsatz des Erwachsenen abgeleitet.
ieses Verfahren – darauf weise ich ausdrücklich hin –
st im Übrigen auch schon in der früheren Sozialhilfe an-
ewendet worden und ist nichts Neues, hat sich bewährt,
st damals im Wesentlichen auch nicht infrage gestellt
orden. Dennoch gibt es Kritik und den Einwand, dass
as geltende System den Bedarfen von Kindern nicht ge-
echt werden würde oder sie unzureichend berücksich-
ige. Das nehmen wir ernst.
Sobald die Ergebnisse der Einkommens- und Ver-
rauchsstichprobe 2008 vorliegen, werden deshalb alle
egelsätze überprüft. Das wird jedoch frühestens im
weiten Halbjahr 2010 der Fall sein.
as ist uns zu lange, und deswegen hat die Bundesregie-
ung das Statistische Bundesamt beauftragt, Kinderre-
elsätze auf der Basis der regelsatzrelevanten Güter und
ienstleistungen aus den Familieneinkommen heraus zu
erechnen. Basisdaten sind diejenigen, die aus der Ver-
rauchsstichprobe EVS 2003 zur Verfügung stehen.
Die Auswertung der Daten, die ermittelt worden sind,
indet derzeit statt. Das ist noch nicht abgeschlossen.
ber ich will ausdrücklich sagen, erste Einschätzungen
euten nicht unbedingt darauf hin, dass bei einer Neube-
essung der Kinderregelsätze stark steigende Leistun-
en zu erwarten wären.
Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen, dass es
ns wichtig ist, dass die finanzielle Unterstützung, die
ür Kinder und für Jugendliche bestimmt ist, auch direkt
ei den Kindern und bei den Jugendlichen ankommt.
ieser Wille verbirgt sich hinter dem Schulbedarfspaket.
amit tragen wir dazu bei, dass jedem Schüler und jeder
chülerin 100 Euro pro Jahr zum Schuljahresbeginn ge-
eben werden. Wenn man das auf die Regelsätze für jün-
ere Schüler bis 13 Jahre umrechnet, kommt eine Steige-
ung von knapp 4 Prozent heraus. In Verbindung mit
21362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Parl. Staatssekretär Franz Thönnes
dem für 2009 ohnehin erwarteten Anstieg der Regelsätze
um 2,75 Prozent ist das, denke ich, eine gute Entschei-
dung.
Eine generelle und massive Erhöhung der Regel-
sätze wird aber abgelehnt, weil man immer auch den
Gesamtzusammenhang berücksichtigen muss. Man
muss auch sehen, wie das von den Menschen bewertet
wird, die als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Ar-
beit über ein Einkommen verfügen, das manchmal – lei-
der – nur knapp oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze liegt.
Das gefällt uns nicht. Ich bin damit nicht zufrieden. Wir
arbeiten daran, weil das verbessert werden muss. Das
muss über Tarifvereinbarungen und Mindestlöhne ver-
bessert werden.
Diesen Zusammenhang müssen wir aber im Blick haben.
Deutlich höhere Regelsätze hätten zur Folge, dass die
Transferleistungen höher ausfallen als die Einkommen
von Erwerbstätigen ohne Transferleistungen. Deswegen
muss man mit Vorsicht vorgehen, wenn der eine oder an-
dere auf einen zukommt und fragt: Sag mal, lohnt sich
die Arbeit, die ich mache, eigentlich noch? Was bleibt
davon übrig?
Auch die Forderung, die Regelsätze anstatt mit der
Rentenentwicklung mit dem allgemeinen Preisanstieg
fortzuschreiben, ist wenig hilfreich. Richtig ist, dass die
Preise in den letzten Jahren schneller gestiegen sind als
die Regelsätze. Das ist aber nicht der Regelfall.
Herr Staatssekretär.
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Ja, Herr Präsident. – Aktuell gibt es in einigen Berei-
chen sogar die Entwicklung, dass die Preise sinken.
Hinzu kommt, dass Preissteigerungen alle in der Gesell-
schaft treffen: Rentnerinnen und Rentner genauso wie
die Arbeitnehmer. Daher kann man die Leistungen der
Sozialhilfe und der Grundsicherung nicht an der Preis-
steigerungsrate festmachen; denn auch diejenigen, die
arbeiten gehen, diejenigen, die Steuern zahlen, müssen
sehen, dass sich ihre Einkommen vor dem Hintergrund
der Möglichkeiten entwickeln.
Nach derzeitigem Stand ist davon auszugehen, dass
die Löhne in 2008 deutlich gestiegen sind. Das wird
auch den Rentnerinnen und Rentnern zugute kommen
und in der Folge denjenigen, die Grundsicherung bezie-
hen; denn die Regelsätze werden angepasst.
Uns geht es darum: Wir wollen die Menschen befähi-
gen, wieder aus eigener Kraft Einkommen durch Arbeit
zu erzielen.
Wenn man das zusammenfasst, heißt das: Erstens.
Wir überprüfen die Regelsätze. Zweitens. Die Einkom-
mens- und Verbrauchsstichprobe 2008 läuft; wir werden
im Jahr 2010 neue Entscheidungen vor diesem Hinter-
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Das Wort erhält nun der Kollege Dirk Niebel für die
DP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten
amen und Herren! Ich möchte nicht sagen, Sie sehen
ich ratlos, aber es ist selten, dass ich einer Rede des
taatssekretärs in weiten Teilen zustimmen kann.
ie vorliegenden Anträge behandeln tatsächlich nur ein
leines Segment dessen, was Politik zu regeln hat. Das
esentliche, nämlich dass die Menschen eine Teilhabe-
hance in der Gesellschaft haben, hat der Staatssekretär
öllig richtig geschildert. Es war ausdrücklich richtig,
rbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen.
icht nur weil dann die vom Staatssekretär gerade be-
chriebenen positiven Effekte der Einbeziehung von
hemaligen Sozialhilfeempfängern in die Vermittlung
ingetreten sind, sondern auch weil es die Würde der be-
roffenen Menschen ein Stück weit wiederhergestellt hat.
Das mag jetzt für Sie von der Linken komisch klin-
en, weil Sie immer sagen, das sei alles ganz furchtbar
it dem Arbeitslosengeld II, aber Sie erinnern sich viel-
eicht daran, dass es enorm viele Arbeitslosenhilfebezie-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21363
)
)
Dirk Niebel
her gegeben hat, die ergänzende Leistungen zum Le-
bensunterhalt bezogen haben und die ihre intimsten
wirtschaftlichen Daten bei zwei Behörden offenlegen
mussten, damit sie die Möglichkeit hatten, das soziokul-
turelle Existenzminimum zu erreichen. Ich glaube, das
war aus Gründen der Würde und der besseren Integra-
tionschancen für die Betroffenen der richtige Schritt, ob-
wohl diese Bundesregierung in einigen Punkten leider
schon wieder von den Reformen abgewichen ist.
Sie suggerieren mit diesen Anträgen, dass es nur um
die Ränder der Gesellschaft geht. Die Menschen in
Deutschland haben das Gefühl, die Politik beschäftige
sich nur noch mit Heuschrecken auf der einen Seite und
mit dem Prekariat auf der anderen Seite. Sie kümmere
sich überhaupt nicht mehr um diejenigen, die die soziale
Sicherung, die wir ausdrücklich wollen, finanzieren, die
den Laden am Laufen halten. Wenn wir sehen, dass laut
Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und So-
ziales eine durchschnittliche vierköpfige Arbeitslosen-
geld-II-Bezieher-Familie 1 600 Euro netto zur Verfü-
gung hat mit allen Nebenleistungen, also 19 200 Euro
netto pro Jahr, und dagegenhalten, dass tariflohnbeschäf-
tigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den unte-
ren Tariflohngruppen mit 16 000 bis 21 000 Euro Brut-
tojahreseinkommen auskommen müssen, dann darf man
berechtigterweise die Frage stellen, ob das Lohnab-
standsgebot tatsächlich so ausgestaltet ist, dass es moti-
vierend und aktivierend zu einer Erwerbstätigkeit führt,
damit die Menschen aus der Transferleistung heraus-
kommen.
– Nein, wir wollen das ausdrücklich nicht absenken, wie
manche Wissenschaftler es fordern. Wir halten die Re-
gelsätze für richtig.
Wir sind übrigens auch der Ansicht, dass man einen
eigenständigen Kinderregelsatz erheben kann; es muss
kein abgeleiteter sein. Das ist durchaus richtig und sinn-
voll. Ich erinnere daran, dass die FDP-Bundestags-
fraktion hier bei der Debatte über das Familienleistungs-
gesetz beantragt hat – das wurde leider abgelehnt –, das
Schulstarterpaket auch für Kinder von Arbeitslosen-
geld-II-Empfängern und über das 10. Schuljahr hinaus
zu gewähren,
damit auch Kinder aus bildungsfernen Familien die
Chancen zu Bildungszugang in allen Segmenten haben.
Das ist von diesem Hause leider mehrheitlich abgelehnt
worden.
Ich glaube tatsächlich, dass der Staatssekretär recht
hat, wenn er sagt, Investitionen in Betreuungseinrichtun-
gen, in Bildungschancen seien das beste Konjunkturpro-
gramm, das wir jetzt haben sollten. Gerade die vielen
Alleinerziehenden, die aufgrund fehlender Kinderbe-
treuungseinrichtungen kaum Arbeitsmarktchancen ha-
ben, wären aktivierbar und würden einen großen Beitrag
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Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich darauf hin-
eisen, dass die Bundesregierung und die sie tragenden
raktionen bei der Bekämpfung der Armut in den ver-
angenen drei Jahren große Erfolge erzielt haben. Der
bbau der Arbeitslosigkeit von 5 Millionen Arbeitslo-
21364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Max Straubinger
sen auf weniger als 3 Millionen Arbeitslose ist ein be-
redtes Beispiel dafür, dass die Menschen mehr Chancen
erhalten haben, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu
bestreiten.
Zweitens. Entscheidend ist, dass diese Erfolge auch
bei Bevölkerungsgruppen angekommen sind, die bisher
Schwierigkeiten hatten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu
fassen, insbesondere bei Empfängern von Hartz-IV-Leis-
tungen, und zwar vor allem in diesem Jahr. In den ver-
gangenen Jahren ging es zuvörderst um den Abbau der
Arbeitslosigkeit im SGB-III-Bereich. Mittlerweile konn-
ten aber auch im SGB-II-Bereich mehr als 400 000 Men-
schen, die ehemals Hartz-IV-Empfänger waren, wieder
in Arbeit und Brot gebracht werden. Damit haben sie die
Chance bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu be-
streiten. Dies ist meines Erachtens die beste Politik, die
man für die Menschen machen kann.
Es ist aber auch entscheidend, nicht immer nur über
die Höhe der Regelsätze zu diskutieren, die für die Men-
schen gelten, die sich entweder nicht selbst helfen kön-
nen oder derzeit keine Chance haben, auf dem Arbeits-
markt Fuß zu fassen. Die Höhe der Regelsätze ist auch
ins Verhältnis zu dem zu setzen, was diejenigen, die
diese sozialen Leistungen bezahlen und die entspre-
chende Unterstützung ermöglichen, verdienen. Auch
dieser Aspekt muss im Abwägungsprozess berücksich-
tigt werden. Der Kollege Niebel und der Staatssekretär
haben bereits auf das Lohnabstandsgebot hingewiesen.
Es ist ein wichtiger Baustein der Sozialpolitik.
Man kann nicht so verfahren, wie es vor allen Dingen
die Linken in diesem Hause tun. Sie fordern immer nur
ganz starr Erhöhungen der sozialen Leistungen. Damit
geben sie den Menschen letztendlich aber keinen Anreiz
mehr, überhaupt eine Arbeit aufzunehmen.
Der Kollege Gysi hat einmal formuliert, wozu das
führen würde. In der Rede, die er am 24. Januar 2008 im
Deutschen Bundestag gehalten hat, hat er dargestellt,
wie man die Sozialleistungen in unserem Land finanzie-
ren könnte. Er hat einen Zusammenhang mit der Steuer-
quote im OECD-Vergleich hergestellt und darauf
hingewiesen, dass die Steuer- und Abgabenquote in
Deutschland 35,6 Prozent beträgt, im EU-Durchschnitt
hingegen 40,8 Prozent. Würden wir sie lediglich auf den
EU-Durchschnitt anheben, würde dies bedeuten, Herr
Kollege Gysi, dass die arbeitenden Menschen in unse-
rem Land mit 120 Milliarden Euro zusätzlich belastet
würden.
Daran wird sehr deutlich, dass die Gelackmeierten letzt-
lich die Leistungsträger in unserer Gesellschaft wären.
So können wir keine sachgerechte Politik betreiben.
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40 Jugendeinrichtungen wurden geschlossen, und beim
itapersonal wurde auch gespart.
Das sind letztendlich die Auswirkungen der linken
olitik auf unser Land. Hier im Deutschen Bundestag
ordern Sie größtmögliche soziale Leistungen,
ährend Sie dort, wo Sie Verantwortung tragen, die Mit-
el für die Menschen reduzieren.
as zeigt sich sehr deutlich.
Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwi-
chenfrage der Kollegin Lötzsch?
Ja.
Bitte sehr.
Sehr geehrter Kollege Straubinger, ist Ihnen eigent-
ich das Prinzip der Trägervielfalt bekannt? Ist Ihnen be-
annt, dass die Übertragung einer Jugendeinrichtung an
inen freien Träger – vielleicht sogar an einen kirchli-
hen Träger, was Ihnen als Bayer sicher besonders am
erzen liegen würde –
twas anderes als eine Schließung ist?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21365
)
)
Frau Kollegin, die kirchlichen Träger werden Sie ga-
rantiert nicht mit Aufgaben betrauen, weil Sie ein ge-
spaltenes Verhältnis zu den Kirchen haben. Sie stehen ja
dafür, dass der Religionsunterricht in Berlin abgeschafft
wird.
– Ja, natürlich. – Sie brauchen mir hier also nicht mit den
kirchlichen Trägern zu kommen.
Darüber hinaus glaube ich wirklich, dass das nichts
damit zu tun hat, dass man die Aufgaben anderen zuge-
wiesen hat. Tatsache ist: Der Berliner Senat hat letztend-
lich die Unterstützung für sozial bedürftige Menschen
maßlos reduziert. Das ist das Ergebnis der linken Politik.
Verehrte Damen und Herren, es geht aber natürlich
auch darum, wie der Regelsatz richtig festgesetzt wird.
Die Grünen, aber auch die Linken fordern ja, dass die
Regelsätze zukünftig entsprechend den Preissteigerungs-
raten und nicht mehr nach den Rentensteigerungen, wie
das jetzt geschieht, angepasst werden. Das würde aber
bedeuten, dass die Sozialhilfeempfänger in unserem
Land schlechter gestellt werden würden, als wenn die
Anpassung nach wie vor gemäß der Rentenformel erfol-
gen würde. Wenn man die vergangenen 25 Jahre
betrachtet, dann zeigt sich sehr deutlich, dass für die So-
zialhilfeempfänger die Anpassung nach der Rentenent-
wicklung besser war, als wenn die Regelsätze an die
Preissteigerungsraten angepasst worden wären.
Vielleicht auch noch zur Erhellung ein paar Sätze
dazu, wie sich dies insgesamt entwickeln könnte. Wenn
die Preissteigerungsraten hoch sind – damit rechnen die
Linken und die Grünen ja immer –, dann müssen auch
die Regelsätze kräftig angehoben werden. Wenn die
Preissteigerungsrate sinkt: Sollen dann möglicherweise
auch die Regelsätze wieder sinken?
Nur ein Beispiel: Mittlerweile schwächt sich der
Preisauftrieb im vierten Monat hintereinander ab.
Betrug der Preisanstieg im August noch 3,1 Prozent, so
fiel er im Monat September auf 2,9 Prozent, im Oktober
auf 2,4 Prozent und im November, also aktuell, auf
1,4 Prozent – jeweils gegenüber den Preisen der Vorjah-
resmonate gerechnet. Dadurch zeigt sich sehr deutlich,
dass es kein richtiger Maßstab sein kann, die Regelsätze
anhand der Preissteigerungsraten zu verändern.
Verehrte Damen und Herren, wir haben auch gut da-
ran getan, die Einkommens- und Verbrauchsstich-
probe zur Grundlage der Regelsätze zu machen und uns
vom Warenkorbmodell zu verabschieden. Ich glaube,
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Ich glaube, dass wir eine richtige Grundlage haben,
ämlich die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, und
ass vor allen Dingen auch die Überprüfung in den Fünf-
ahreszeiträumen eine gute Grundlage darstellt. Wenn es
otwendig ist, Änderungen vorzunehmen, sind wir be-
eit, frühzeitig auf diese Änderungen einzugehen.
ies ist meines Erachtens eine sehr sachgerechte Politik.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Dr. Strengmann-Kuhn?
Ja, bitte schön.
Bitte sehr.
Herr Straubinger, ist Ihnen bekannt, dass das Landes-
ozialgericht in Darmstadt beschlossen hat, dass die Er-
ittlung der Kinderregelsätze verfassungswidrig ist, und
ass das demnächst vom Bundesverfassungsgericht be-
andelt wird? Sind Sie bereit, nicht nur unsere, sondern
uch die Argumente des Landessozialgerichts Darmstadt
ur Kenntnis zu nehmen und nicht erst darauf zu warten,
ass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung
21366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
kannt. Aber es gibt sehr viele Gerichtsurteile, die die jet- dass es nur bis zum 10. Schuljahr gilt.
erkennen. Wir können diesen juristischen Streit, der ge-
führt wird, nicht im Parlament entscheiden. Er wird dann
eben gerichtlich entschieden werden.
Herr Kollege Straubinger, mir liegt der Wunsch nach
einer Zwischenfrage des Kollegen Brauksiepe vor.
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kollege Straubinger, sind Sie bereit, den Kolle-
gen darüber aufzuklären, dass es im Jahr 2006, für das
die letzte aktuelle Statistik vorliegt, auf den verschiede-
nen Ebenen – vom Sozialgericht über das Landessozial-
gericht bis zum Bundessozialgericht – 101 329 Gerichts-
verfahren gegeben hat – diese Zahl steigt aus diversen
Gründen tendenziell eher noch – und es daher seit dem
Bestehen des SGB II rund eine halbe Million Verfahren
in diesem Bereich gab und jedes Gericht das Recht ge-
habt hätte, ein Vorlageverfahren beim Bundesverfas-
sungsgericht zu machen, wenn es Zweifel an der Verfas-
sungsmäßigkeit gehabt hätte, und dass die rund halbe
Million Prozesse, die ohne ein solches Vorlageverfahren
geendet sind, mindestens genauso zu respektieren sind
wie der eine Fall, bei dem jetzt ein Gericht ein solches
Vorlageverfahren angestrengt hat?
Ich bin gerne bereit, ihm das weiterzuleiten.
Das ist richtig.
Nein, das ist nicht falsch. Ich bin der Meinung, dass
er Bedarf an Betreuung auch für Kinder gegeben ist,
ie bereits eingeschult sind. Hier haben wir in der Koali-
ion unterschiedliche Auffassungen.
Wir sind auch dafür, dass das Schulstartergeld ausge-
eitet wird. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Steu-
rbefreiung von Arbeitgeberleistungen zur Kinderbe-
reuung auf schulpflichtige Kinder bis zum vollendeten
4. Lebensjahr ausweiten. Ich bin überzeugt, dass auch
ie Kolleginnen und Kollegen von der SPD unser Ansin-
en unterstützen werden. Dann können wir gemeinsam
ie notwendigen Ausweitungen beschließen.
Ich darf zum Schluss kommen. Ich glaube, wir haben
ine vernünftige Grundlage für die Unterstützung sozial
edürftiger Menschen. Aber es ist auch wichtig, über die
rfolgreiche Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung
u erreichen, dass möglichst viele Menschen eigenes Er-
erbseinkommen erzielen können. Das ist sicherlich
ine der wichtigsten Aufgaben für die zukünftige Arbeit
n diesem Hause.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will
ch Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
ern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
ung über den Entschließungsantrag der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11425 be-
anntgeben: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben ge-
timmt 102, mit Nein 450. Enthalten haben sich 5.
ngelika Brunkhorst
rnst Burgbacher
atrick Döring
echthild Dyckmans
örg van Essen
lrike Flach
tto Fricke
orst Friedrich
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Gerichtsurteil nicht be-
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ruf des Abg. Dr. Ralf Brau
Wir sind in unterschiedlic
ken Sie sich das! – Gege
Niebel [FDP]: Das merkt
dass das unterschiedliche P
Verehrte Damen und Herren
eute wieder das Schulstarterp
en Dingen wird hier immer wi
, es wurde natürlich auch
aket thematisiert. Vor al-
eder als Kritik angeführt,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21367
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger
Michael Link
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
Volker Beck
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
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mid Nouripour
rigitte Pothmer
laudia Roth
rista Sager
anuel Sarrazin
lisabeth Scharfenberg
hristine Scheel
mingard Schewe-Gerigk
r. Gerhard Schick
rietje Staffelt
ainder Steenblock
ilke Stokar von Neuforn
r. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
ans-Christian Ströbele
r. Harald Terpe
ürgen Trittin
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r. Wolf Bauer
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lemens Binninger
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olfgang Bosbach
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r. Ralf Brauksiepe
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r. Stephan Eisel
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ringen soll. Dagegen haben w
en Anträge dazu haben wir vor
ne ein Beispiel: In Berlin
n haben – gibt es im öf-
häftigungssektor über
ab 1 300 Euro beziehen.
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer
Volker Schneider
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
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Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Nun fahren wir fort mit der Debatte. Ich erteile als
nächstem Redner dem Kollegen Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Straubinger, ich finde, über das Thema
Berlin sollten Sie nicht so frei reden, wie Sie es tun, und
zwar aus folgendem Grunde. Es war die Union, die in
Berlin die bis dahin größte Bankenkrise in der Ge-
schichte Deutschlands verursacht hat.
SPD und Linke mussten dann versuchen, die Sache wie-
der in Ordnung zu bringen.
Im Übrigen hätten Sie auch gerne erwähnen dürfen,
dass in Berlin das letzte Jahr des Besuchs der Kinderta-
gesstätte beitragsfrei ist. Davon können die Eltern in
Bayern nur träumen. Auch das ist eine Tatsache.
– Hören Sie auf!
Sie haben von Erziehungshilfen gesprochen und wis-
sen offenbar nicht, dass es Erziehungshilfen für Kinder-
betreuungseinrichtungen gar nicht gibt. Diese Hilfen
sind immer individueller Natur. Sie quatschen also von
Sachen, von denen Sie keine Ahnung haben.
Das ist zwar Ihr gutes Recht, aber man muss das wenigs-
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Wenn es aber wie jetzt um die Wirtschaftskrise, die
icherung von Arbeitsplätzen, die Sozialleistungen und
ie Kaufkraft geht, kommt die Regierung nicht zu Potte.
ie tagt Woche für Woche, aber es kommt nichts Nen-
enswertes zustande.
Wo bleiben Ihre Schlussfolgerungen aus dieser Krise?
o bleiben Ihre Gesetzentwürfe zur Regulierung der
edgefonds oder der Zweckgesellschaften? Wo bleiben
aßnahmen gegen Schuldverbriefungen und für stabile
echselkurse? Denkbar sind auch Initiativen zur Schlie-
ung von Steueroasen. Sie unternehmen aber nichts der-
leichen. Damit steuern wir auf die nächste Krise zu.
Eine Ursache der Finanzkrise ist übrigens auch die
ngerechte Verteilung der Güter in allen führenden In-
ustriegesellschaften, also auch in Deutschland. In den
etzten Jahren – sowohl unter Kanzler Schröder als auch
nter Kanzlerin Merkel – hat in Deutschland nicht nur
ie Armut zugenommen, sondern auch der Reichtum in
en Händen weniger ist maßlos geworden. Dagegen un-
ernehmen Sie nichts.
Der Staatssekretär hat darauf hingewiesen – das be-
21370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Dr. Gregor Gysi
Alle sind vermittelt worden. Dazu sind auch Bundes-
und Landesmittel eingesetzt worden. Wer, glauben Sie,
hat wohl die größten Schwierigkeiten bei der Verwen-
dung dieser Mittel gemacht? Ihr Ministerium, Herr
Staatssekretär! Sie wollten das nicht. Sie wollten lieber
die Arbeitslosigkeit finanzieren. Das ist die Wahrheit.
Nun haben wir gesagt: Wenn wir schon Hartz-IV-
Empfängerinnen und -Empfänger haben, müssen wir et-
was dagegen tun. Ihr Lösungsansatz, Menschen in Ar-
beit zu bringen, besteht nur in 1-Euro-Jobs. Das ist das
Prekärste, was man sich vorstellen kann. Schaffen Sie ei-
nen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor! Das
hilft tatsächlich.
Abgesehen davon gibt es 7 Millionen Menschen – das ist
doch nicht nichts –, die ausschließlich oder zusätzlich
von Hartz IV leben. Wir haben 2,4 Millionen arme Kin-
der. Eine der reichsten Gesellschaften auf der Erde leis-
tet sich 2,4 Millionen arme Kinder! Das ist nicht hin-
nehmbar, und das müsste Sie genauso stören wie uns.
Dagegen müssen Sie endlich Schritte unternehmen.
Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Stöckel?
Ja.
Herr Kollege Meckelburg, ich habe zuerst die Mel-
dung von Herrn Stöckel gesehen. Anschließend frage ich
dann, ob auch Ihre Zwischenfrage zugelassen wird.
Herr Kollege Stöckel.
Herr Kollege Gysi, ich habe nur eine ganz kurze
Frage. Stimmen Sie mir zu, dass dann, wenn Ihr Antrag
angenommen würde und die Bundesregierung zusam-
men mit den Bundesländern die Regelsätze entsprechend
erhöhte, nicht nur 7 Millionen Menschen, sondern Hun-
derttausende Menschen mehr ergänzende Grundsiche-
rung bekämen und dann in Hartz IV wären, wie Sie es
nennen? Das wäre bei jeder Rechtsausweitung der Fall.
Sie würden dann im nächsten Jahr argumentieren, die
Armut sei wieder gewachsen.
Was Sie sagen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn Sie Sozialleistun-
gen verstärken und damit die Armut überwinden, kön-
nen Sie nicht sagen, dass es ein Problem ist, wenn mehr
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Herr Kollege Gysi, bevor Sie mit Ihrer Rede fortfah-
en, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es
inen weiteren Wunsch des Kollegen Meckelburg nach
iner Zwischenfrage gibt.
Ich weiß gar nicht, was heute los ist, Frau Präsidentin.
Das ist in diesem Jahr der letzte Sitzungstag.
Bitte, Herr Meckelburg.
Herr Kollege Gysi, ich wollte eigentlich dieselbe
rage wie Herr Stöckel stellen, der die Tatsachen richtig
eschrieben hat. Nehmen Sie Folgendes zur Kenntnis:
enn wir in Deutschland über Armut sprechen – das hat
er Staatssekretär eben gesagt –, dann reden wir nicht
ber Armut in Entwicklungsländern. Wir alle haben uns
arauf geeinigt, dass Armut ein relativer Begriff ist.
enn man einen bestimmten Prozentsatz des Durch-
chnittseinkommens nicht erreicht, gilt man als arm.
enn Sie die Regelsätze erhöhen, erhöhen Sie natürlich
as, was die Menschen bekommen. Damit bringen Sie
ber am Ende statistisch mehr Menschen in Armut. So
orgen Sie für eine Steigerung. Das Gegenteil dessen,
as Sie beabsichtigen, ist dann der Fall. Sie erhöhen die
rmutsquote. Ich bleibe dabei.
Darf ich Ihnen sagen, dass Sie irren?
enn es geht immer um den Durchschnitt der Lohn- und
ehaltseinkommen. Da es sich hier nicht um Lohn- und
ehaltseinkommen handelt, können Sie die Regelsätze
rhöhen, wie Sie wollen, ohne dass sich der Durchschnitt
er Löhne und Gehälter verändert. Was Sie sagen, ist
lso noch nicht einmal statistisch gesehen richtig. Ent-
cheidend ist aber, die reale Armut zu überwinden.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrem Vergleich mit
en Entwicklungsländern sagen. Herr Kollege, ich weiß,
ass die Bedingungen in Deutschland anders sind als die
n Uganda. Aber damit können Sie sich nicht ernsthaft
erausreden; denn der Maßstab für Hartz-IV-Empfänger
st Deutschland und nicht Uganda, und das auch zu
echt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21371
)
)
Dr. Gregor Gysi
Lassen Sie mich auf einen weiteren Gesichtspunkt zu
sprechen kommen: die Gleichmacherei. Eigentlich wird
immer uns Linken vorgeworfen, dass wir dazu tendieren,
Gleichmacherei zu betreiben.
Aber Sie betreiben bei Hartz IV die größte Gleichma-
cherei in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land. Das will ich Ihnen beweisen. Nehmen wir als Bei-
spiel einen Ingenieur und einen Pförtner. Beide arbeiten
30 Jahre, der eine als Pförtner, der andere als Ingenieur.
Sie werden mir recht geben, dass sich die beiden einen
unterschiedlichen Lebensstandard aufbauen, weil der
Pförtner deutlich weniger verdient als der Ingenieur.
Nach 30 Jahren werden beide arbeitslos. Dann bekom-
men beide ein Jahr lang Arbeitslosengeld I; das sind
etwa 60 Prozent dessen, was sie zuvor verdient haben.
Damit können sie so gerade ihren jeweiligen Lebens-
standard im Kern aufrechterhalten, wenn auch unter
schwierigeren Bedingungen. Sie, meine Damen und
Herren von der Großen Koalition, sagen nun: Ein Jahr
später gilt für beide absolut das Gleiche, bei der Größe
der Wohnung, beim Sparguthaben, beim Auto, generell.
Sie sagen dem Pförtner, dein Lebensstandard muss noch
ein Stück sinken, und dem Ingenieur, dein Lebensstan-
dard muss meilenweit sinken, denn wir behandeln euch
völlig gleich. Ich muss sagen: Das ist die größte Gleich-
macherei in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland, nicht von den Linken angerichtet, sondern
von Ihnen. Das muss man der Gesellschaft deutlich sa-
gen.
Jetzt kommen wir zu den Regelsätzen. Sie haben ge-
regelt, dass ab dem 1. Juli 2008 Erwachsene einen So-
ckelbetrag von 351 Euro, Kinder bis zum 13. Lebensjahr
211 Euro und Kinder vom 14. bis zum17. Lebensjahr
281 Euro bekommen. Der zweite Armuts- und Reich-
tumsbericht der Bundesregierung sagt, dass das Ar-
mutsrisiko bei 938 Euro beginnt. Ich will damit nur
deutlich machen, wie weit die Regelsätze von dieser
Feststellung der Bundesregierung entfernt sind.
Nun haben wir uns die Preissteigerungen ange-
schaut. Was ist daran eigentlich so falsch? Seit es
Hartz IV gibt, hatten wir eine Preissteigerung in Höhe
von 8 Prozent. Sämtliche Erhöhungen für Hartz-IV-
Empfänger, die in diesem Zeitraum beschlossen wurden,
liegen unter der Preissteigerung von 8 Prozent. Das
heißt, real haben Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-
Empfänger weniger, weil die Preissteigerung größer war
als die Steigerung ihrer Bezüge. Ergo muss man doch
daraus Schlussfolgerungen ziehen. Denn das reduziert
die Kaufkraft. Was Sie nicht verstehen, ist: Die Redu-
zierung der Kaufkraft trifft die Binnenwirtschaft. Das
Problem ist: Wenn Sie Herrn Ackermann wieder
100 Euro mehr geben, dann kauft er nicht für 100 Euro
mehr,
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Unsere zweite Forderung, die ich übrigens auch sehr
ichtig finde, besteht in der jährlichen Anpassung
ach der Steigerung der Lebenshaltungskosten und nicht
ach den Steigerungsraten der Renten – das ist der fal-
che Weg –, weil auch die Rentner jährlich reale Ein-
ommensverluste haben.
Jetzt haben wir Bildungsgeld gefordert. Immerhin
ind Sie darauf eingegangen. Wenn Sie den Eltern oder
en alleinerziehenden Müttern oder Vätern 100 Euro für
ildungsaufwendungen für die Kinder geben, dann müs-
en Sie von der Union mir aber erklären, warum Sie
iese Summe nur für Kinder bis zur 10. Klasse geben
ollen. Was haben Sie eigentlich dagegen, dass Kinder
on Hartz-IV-Empfängern das Abitur machen?
arum geben Sie das Geld nicht auch für Kinder, die die
1., 12. und 13. Klasse besuchen?
er Bundesrat hat das gerade abgelehnt, und dafür tra-
en Sie die Verantwortung. Erklären Sie es den Eltern!
ch kann es ihnen nicht erklären. Ich finde, das ist völlig
aneben.
Dann reiten Sie, Herr Staatssekretär, immer auf dem
ohnabstandsgebot herum. Darf ich Ihnen sagen, dass
ie Linke – eigentlich mit der SPD, aber die macht nichts
iesbezüglich hier im Bundestag – beantragt hat, einen
lächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutsch-
and einzuführen? Wenn wir den hätten, dann hätten wir
uch das Lohnabstandsgebot erfüllt.
21372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Dr. Gregor Gysi
Aber leider bewegt sich das Haus nicht. Sie von der
Union verhindern den flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn, und dann regen Sie sich darüber auf, dass
der Abstand zwischen Lohn und Sozialhilfe nicht mehr
ausreichend sei. Das ist schon grotesk.
Stimmen Sie doch einem flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn zu! Von 27 EU-Mitgliedsländern haben
20 Länder einen flächendeckenden gesetzlichen Min-
destlohn, nur Deutschland meint, es sei schlauer. Das ist
der falsche Weg.
Sie sind auf die durchschnittliche Steuerquote einge-
gangen und haben gesagt, wenn unsere Forderung erfüllt
würde, müssten das die Leute bezahlen. Wie kommen
Sie denn darauf? Es gibt sehr unterschiedliche Steuern.
Warum kennen Sie eigentlich nur die Einkommensteuer?
Wir haben uns überlegt, wie man Steuern gerecht erhö-
hen kann: zum Beispiel indem man den Spitzensteuer-
satz bei der Einkommensteuer erhöht, gleichzeitig den
Steuerbauch beseitigt, was jetzt auch die CSU will, und
am unteren Ende die Freibeträge erhöht. Das ist unser
Vorschlag.
Herr Kollege, ich muss Ihren Redefluss unterbrechen
und Sie bitten, auf die Redezeit zu achten.
Mein letzter Satz: Man kann die Vermögensteuer oder
eine Abgabe für Millionäre einführen. Man kann vieles
machen, um Steuergerechtigkeit herzustellen. Sie müss-
ten nur den Mut haben, Armut zu bekämpfen, indem Sie
Reichtum begrenzen. Aber den Mut haben Sie nicht.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Nächste Woche ist
der 24. Dezember, ein besonderes Datum.
Aber der 24. eines Monats ist generell ein besonderes
Datum; denn an diesem Tag jedes Monats geht einem
Familienhaushalt, der Arbeitslosengeld II erhält und der
sich im ernährungswissenschaftlichen Sinne richtig er-
nährt, das Geld fürs Essen aus. – Da brauchen Sie gar
nicht zu lächeln; das steht im 7. Familienbericht der
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Ich frage mich tatsächlich, da wir diese Debatte hier
icht zum ersten Mal führen und auch diese Zahlenzu-
ammenhänge nicht zum ersten Mal vorgelegt werden,
arum keine Bewegung zu verzeichnen ist und warum
ich nichts tut.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Niebel?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Kurth. – Ich vermute, dass
s vielen Kolleginnen und Kollegen hier ähnlich geht
ie mir: Ich habe den 7. Familienbericht der Bundesre-
ierung nicht so parat, dass ich beurteilen könnte, auf
elches Jahr er sich bezieht. Wenn er 2006 erschienen
st, könnte es dann sein, dass er sich auf das Jahr 2005
ezieht, als Rot-Grün regiert hat?
Es ist durchaus möglich, dass er sich auf das Jahr
005 bezieht. Das ändert doch aber – unabhängig davon,
er die politische Verantwortung hat – nichts an den
ahlen, und es ändert überhaupt nichts daran, dass offen-
ichtlich auch schon damals der Regelsatz für Kinder
nd Jugendliche nicht ausreichend war. Wenn wir als
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21373
)
)
Markus Kurth
Grüne dies jetzt im Nachhinein feststellen und Korrek-
turbedarf geltend machen, dann ist das nur folgerichtig,
und ich sehe daran, dass es bei uns einen Erkenntnisfort-
schritt gab, auf den Sie offensichtlich leider noch warten
müssen, und das, obwohl es – einen Moment noch, bitte –
in den vergangenen Jahren, also seit 2005, einen erhebli-
chen Preisanstieg gegeben hat, und zwar insbesondere
bei Lebensmitteln.
Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, war insbeson-
dere im Bereich der Nahrungsmittel ein Plus von
4,6 Prozent zu verzeichnen.
Die Dringlichkeit ist also noch größer geworden, und
ich frage mich, warum es keine Bewegung gibt.
Der Haushalt kann an dieser Stelle nicht der einzige Be-
weggrund sein; denn an anderer Stelle liegt Ihnen die
Haushaltskonsolidierung nicht so sehr am Herzen.
Ich mache Ihnen nicht einmal den Vorwurf, Sie hätten
keinen Kontakt zur Realität. Zumindest denjenigen So-
zialpolitikerinnen und Sozialpolitikern, die hier sitzen,
unterstelle ich einmal, dass sie bestimmte Einrichtungen
wie Tafeln, Jobcenter und dergleichen aufsuchen und
durchaus Kontakt zu den Personen haben,
ausgenommen vielleicht solche Zyniker wie Thilo
Sarrazin oder jener Chemnitzer Professor, der meinte,
man könnte mit noch weniger auskommen.
Nein, ich glaube, der Grund liegt darin, dass Sie die
Perspektive derjenigen, die mit diesem Geld ganz kon-
kret auskommen müssen, nicht übernehmen und das
auch nicht an sich heranlassen, dass Sie sich nicht vor-
stellen können, wie man von 40 Euro im Monat Beklei-
dung und Schuhe tatsächlich bezahlen soll. Es fehlt ein
Mindestmaß an Empathie und innerem Nachvollziehen.
Ich bekomme Briefe wie diesen hier von einer allein-
erziehenden Mutter mit vier schulpflichtigen Kindern
– ich erfinde das jetzt nicht; ich habe den Brief bekom-
men; daraus möchte ich zitieren –:
Jetzt, da die Kinder größer sind, weiß ich nicht, wie
ich noch wirtschaften soll. Meine Söhne sind zwi-
schen 12 und 20 Jahre alt. Sie müssen doch auch
mal mit den Klassenkameraden in ein Café gehen
können oder zum Fußball. Sie brauchen manche
Sachen einfach, weil alle Jugendlichen das haben.
Mein Ältester
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Ich fordere Sie auf, darüber wirklich noch einmal
achzudenken. Natürlich ist Betroffenheit allein kein gu-
er Ratgeber. Mir ist schon klar, dass man damit allein
icht Politik machen kann; das unterscheidet uns an vie-
en Stellen von den Linken.
Ich weiß, dass es mehr Personen geben wird, die Leis-
ungen nach dem SGB II beziehen, wenn die Regelsätze
rhöht werden. Herr Gysi, mit dem, was Herr
eckelburg und Herr Stöckel eingewandt haben, näm-
ich dass ein höherer Regelsatz mehr Anspruchsberech-
igte und mehr Aufstocker bedeutet, haben sie durchaus
echt. Wir haben das in Gutachten untersuchen lassen.
as heißt, wir müssen überlegen, wie man zusätzlich zur
egelsatzerhöhung vorgelagerte Systeme stärken kann,
m einen solchen Anstieg zu verhindern. Ich nenne die
ohngeldanpassung.
er Mindestlohn, der hier schon mehrfach erwähnt wor-
en ist, spielt dabei eine ganz zentrale Rolle.
Zusätzlich schlagen wir vor, bei niedrigen Einkom-
en die Sozialversicherungsbeiträge besonders zu bezu-
chussen, damit auch dort mehr Netto vom Brutto bleibt.
uf diese Art und Weise können wir den Anstieg ein-
ämmen bzw. die Zahl sogar zurückführen. Eine Regel-
atzerhöhung und eine Stärkung vorgelagerter Systeme
u verzahnen und das mit aktiver Arbeitsmarktpolitik zu
erbinden, ist ein politisches Konzept, das auch darstell-
ar ist.
Sie könnten sich die Empathie für die Betroffenen
enigstens so weit zu eigen machen, dass das als Im-
ulsgeber wirkt, in diese Richtung nachzudenken und
en Bundesländern zu folgen, auch den von Ihnen re-
ierten, die am 23. Mai eindeutig gefordert haben, zu-
indest bei den Regelleistungen für Kinder eine andere
erechnung zugrunde zu legen. Mir scheint es manch-
al so zu sein, dass die Große Koalition oder das Bun-
esministerium für Arbeit und Soziales die letzten Mohi-
aner in diesem Land sind, die die Augen vor der
ealität verschließen.
21374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Markus Kurth
Abschließend: Für den Fall, dass Sie nicht aus sozial-
politischen Erwägungen heraus handeln wollen, möchte
ich noch zwei andere Argumente in die Debatte einfüh-
ren.
Sie von der Union reden gern über Steuersenkungen.
Eine Anhebung des Regelsatzes zöge eine Erhöhung des
steuerlichen Grundfreibetrages nach sich, würde also ge-
rade die niedrigen und niedrigsten Einkommen steuer-
lich zusätzlich entlasten; Gleiches gälte für andere Ein-
kommen, weil die Progression gemildert würde. Eine
Anhebung des Regelsatzes wäre also gleichzeitig ein
Steuerentlastungsprogramm.
An die SPD gerichtet sage ich: Bevor Sie sich irgend-
welche Gedanken um merkwürdige Konsumgutscheine
machen, sollten Sie den viel näherliegenden Weg wäh-
len: Eine Anhebung des Regelsatzes wird unmittelbar
wirksam werden für die Binnennachfrage, und das ist in
der gegenwärtigen konjunkturellen Lage absolut das Ge-
bot der Stunde.
Machen Sie die Einwände, die Sie haben, also nicht
zu Vorwänden dafür, einfach überhaupt nichts zu tun,
sondern versuchen Sie einfach einmal, Lebenssituatio-
nen nachzuvollziehen und mit einer ökonomisch sinn-
vollen und sozialpolitisch dringend gebotenen Argumen-
tation zu verknüpfen! Wir als Bündnis 90/Die Grünen
versuchen das jedenfalls. Wir haben klare Konzepte
dazu vorgelegt. Ich kann Sie nur auffordern, unseren An-
trägen zu folgen, so wie das in Teilen sämtliche Bundes-
länder schon getan haben.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Hiller-
Ohm für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei Anträge liegen uns vor. Wir werden alle drei An-
träge ablehnen. Die Linksfraktion fordert eine Auf-
stockung des Eckregelsatzes für Erwachsene von derzeit
351 Euro auf 435 Euro. Die Grünen sprechen sich – sie
sind etwas bescheidener – für eine Aufstockung auf
420 Euro aus. Diese Forderungen passen gut zu Weih-
nachten, nicht jedoch in die Systematik der Einkom-
mens- und Verbrauchsstichprobe. Mit dieser Stichprobe
werden nämlich die tatsächlichen, statistisch ermittelten
Verbrauchsausgaben von Haushalten in den unteren Ein-
kommensgruppen bemessen. Diese Forderungen passen
auch nicht zu den Forderungen der Linken, Länder und
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Wir sollten genauso bei den Regelsatzbemessungen
ür Kinder verfahren. Natürlich muss sich das Ver-
rauchsverhalten nicht zwangsläufig mit den tatsächli-
hen Bedarfen decken. Doch dieses Problem trifft nicht
ur auf Eltern und Kinder im Sozialleistungsbezug zu.
m die Entwicklungschancen für alle Kinder zu verbes-
ern, müssen wir deshalb den Blick viel stärker auf den
usbau der Infrastruktur richten, also auf den Ausbau
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21375
)
)
Gabriele Hiller-Ohm
von Krippen, Kitas und Ganztagsschulen mit Verpfle-
gung und Förderangeboten. Davon finde ich in den vor-
liegenden Anträgen von den Linken und den Grünen al-
lerdings überhaupt nichts.
Wenn wir die derzeitigen Regelsätze für die Kinder
betrachten, sollten wir bedenken, dass eine stärkere Dif-
ferenzierung hinsichtlich des Alters wichtig ist.
Das derzeitige Verfahren der Regelsatzbemessung
wurde in der Anhörung am 16. Juni von fast allen Sach-
verständigen für unzureichend erklärt. Auch der Bundes-
rat hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt und
am 23. Mai einen Beschluss dazu gefasst. Die Länder
wollen eine Berücksichtigung des kinderspezifischen
Bedarfs bei der Bemessung der Regelleistungen. Sie
sprechen sich darüber hinaus dafür aus, dass die Mittags-
verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten, dass
Lernmittel sowie Bildungs- und Betreuungsangebote am
Nachmittag durch die Leistungen nach dem SGB II und
dem SGB XII abgedeckt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich über
diese Initiative sehr gefreut. Es geht um die Kinder be-
dürftiger Eltern, und endlich ziehen die Länder einmal
an einem Strang. Irritiert hat mich allerdings, warum die
Länder das, was sie für notwendig halten, nicht selbst
bereits durchführen. Bildung ist Sache der Länder. Wa-
rum gibt es nicht in sämtlichen Bundesländern flächen-
deckend Ganztagsschulen mit Mittags- und Förderange-
boten für alle Kinder? Warum haben wir in Deutschland
keine Schulen, in denen bedürftigen Schülerinnen und
Schülern die Lernmaterialien kostenlos zur Verfügung
gestellt werden?
Das, was die Länder fordern, liegt in ihrer eigenen politi-
schen Verantwortung. Sie könnten es also tun. Warum
machen sie es nicht?
Der Beschluss der Bundesländer zeigt die Defizite,
aber durchaus auch den Willen zur Veränderung. Das ist
zu begrüßen. Ich erwarte jedoch, dass sich die Initiative
der Bundesländer nicht nur in Forderungen gegenüber
dem Bund erschöpft, sondern auch die Bereitschaft bein-
haltet, die finanziellen Maßnahmen gemeinsam umzu-
setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Unterstüt-
zung bedürftiger Eltern mit schulpflichtigen Kindern
sind wir mit dem Schulbedarfspaket ein gutes Stück
vorangekommen. 100 Euro pro Schuljahr für Schulmate-
rial – das kostet den Bund rund 119 Millionen Euro. Die
Länder und Kommunen sind mit 2 Millionen Euro im
Jahr dabei. Für die betroffenen Kinder bedeutet das mehr
Bildungsgerechtigkeit. Das ist ein guter Schritt in die
richtige Richtung. Er sollte eigentlich auch die Unter-
stützung der Kolleginnen und Kollegen der Grünen und
der Linken finden.
Selbstverständlich, Herr Kurth und Herr Gysi, setzen
wir uns weiterhin mit aller Kraft dafür ein, dass das
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Natürlich muss es auch bei der Neubemessung der
inderregelsätze vorangehen. Hier ist das Bundes-
inisterium gefordert, einen Vorschlag vorzulegen. Das
st sicherlich kein leichtes Unterfangen; denn der Vor-
chlag soll ja Hand und Fuß haben, wissenschaftlich ab-
esichert und transparent sein. Ich bin sehr auf das Er-
ebnis gespannt, das hoffentlich bald vorliegt. Dieses
rgebnis böte eine solide Grundlage, um diese wichtige
ebatte fortzuführen und zügig bedürftige Kinder so zu
nterstützen, wie sie es brauchen.
ies ist mein Wunsch zum Jahresbeginn 2009.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat zunächst der
ollege Kurth.
Frau Hiller-Ohm, Sie haben gerade gefragt, warum
ir fordern, dass die Bemessung der Kinderbedarfssätze
on einer unabhängigen Kommission vorgenommen
ird, und wir nicht abwarten wollen, bis die Einkom-
ens- und Verbrauchsstichprobe vorliegt und herange-
ogen werden kann.
Es ist so – das können Sie in unserem Antrag nach-
esen –, dass wir wollen, dass eine unabhängige Kom-
ission unter anderem prüfet, wie man eine neu ein-
urichtende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe für
inder vornehmen kann.
ass wir wollen, dass eine Bedarfserhebung unmittelbar
on unabhängigen Experten durchgeführt wird, liegt
arin begründet, dass die Regierung, die die Koalitions-
raktionen tragen, den Hinweis auf die Einkommens-
nd Verbrauchsstichprobe seit Jahren nutzt, um trotz
ährlich größer werdenden Handlungsbedarfs Maßnah-
en von Jahr zu Jahr zu verschieben, und selbst nichts
ornimmt.
21376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Markus Kurth
Wir halten, wenn man so will, eine Art Soforthilfe für
dringend nötig. An dieser Stelle muss etwas passieren.
Man darf Maßnahmen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-
Tag verschieben.
Wir täten auch gut daran, aus den Erfahrungen zu ler-
nen, die wir in den Jahren 2002 bis 2005 bei der Ermitt-
lung der Regelsätze aus der Einkommens- und Ver-
brauchsstichprobe gesammelt haben. Es ist nämlich so
– das ist zumindest meine Wahrnehmung –, dass da-
durch, dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
im Ministerium auf Regelsätze heruntergerechnet wird
und entsprechende Abschläge vorgenommen werden,
das ganze Verfahren nicht in dem Maße transparent und
unabhängig ist, wie es eigentlich sein sollte und wie es
notwendig wäre, damit die ermittelten Werte gesell-
schaftlich akzeptiert werden.
Frau Kollegin Hiller-Ohm.
Herr Kollege Kurth, eine Kommission würde an die-
ser Stelle aus meiner Sicht nichts bringen. Wir würden
uns weiterhin streiten, ob es zu viel oder zu wenig ist, ob
die Abschläge vom Ministerium richtig berechnet sind
oder nicht. Wir haben uns auf die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe als Grundlage geeinigt. Sie
wird, soweit ich weiß, von niemandem angezweifelt. Sie
ist ein gutes Instrument, viel besser als der bevormun-
dende Warenkorb, den wir vorher als Grundlage hatten.
Deshalb sollten wir daran festhalten und auf dieser
Grundlage auch die Berechnung für die Kinder durch-
führen. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich, dass
wir diesen Weg gehen.
Eine Kommission würde dieses Prinzip aushebeln.
Was soll die Kommission denn machen? Sie kann doch
nicht den Verbrauch der Kinder im unteren Einkom-
mensbereich ermitteln. Dieser Verbrauch wird von den
Statistikern ermittelt, die die Einkommens- und Ver-
brauchsstatistik erstellen und auswerten. Die Kommis-
sion könnte nur festlegen, was Kinder in unserer Gesell-
schaft für ihre Entwicklung brauchen, nicht aber, was sie
verbrauchen. Da wird es immer Unterschiede geben. Ich
habe in meiner Rede darauf hingewiesen. Dass Eltern
die Bedarfe ihrer Kinder nicht immer richtig decken, ist
nicht allein ein Problem der Leistungsbezieher und -be-
zieherinnen, sondern ein gesellschaftliches Problem, das
auch bei Eltern mit hohen Einkommen auftritt. Auch
dort gibt es zum Beispiel Fehlernährung; auch dort ist
nicht immer gesundes Essen auf dem Tisch, wie wir uns
das vielleicht vorstellen. Auch dort wird Geld für Dinge
ausgegeben, die der Bildung und der Gesundheit der
Kinder nicht unbedingt förderlich sind.
Das muss man sich vor Augen halten. Deshalb halte
ich es für besser, sich, wie wir das bei den Erwachsenen
machen, auch bei den Kindern an der Einkommens- und
Verbrauchsstatistik zu orientieren, also an dem tatsächli-
chen Verbrauch der Menschen im unteren Einkommens-
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iese Übertragung ist sicherlich nicht so leicht. Aber
err Thönnes hat darauf hingewiesen, dass das jetzt im
inisterium geprüft und vorbereitet wird. Herr Kurth,
uch ich bin ungeduldig und würde mir wünschen, dass
s schneller geht. Aber Herr Thönnes hat gesagt, dass
ir bald mit einem Ergebnis rechnen können. Dann kön-
en wir uns darüber weiter heftig streiten.
Ich halte von einer Kommission also nichts. Wir müs-
en auf der politischen Ebene über die Berechnung ent-
cheiden. Wir haben uns auf die Einkommens- und
erbrauchsstichprobe festgelegt, und das ist eine gute
rundlage für die weiteren Schritte, die nötig sind, um
ehr Gerechtigkeit bei der Bemessung der Regelsätze
ür die Kinder zu erreichen.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Heinz-Peter
austein für die FDP-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
en und Herren! Weihnachten steht vor der Tür. Alle
einen, Weihnachten ist vollkommen, wenn Schnee
iegt, wenn weiße Weihnacht ist wie im Erzgebirge.
ber nichts ist vollkommen, auch das System der sozia-
en Marktwirtschaft nicht. Die soziale Marktwirtschaft
arantiert uns jedoch ein Leben in Freiheit und Würde
nd ist immer noch hundertmal besser als die Diktatur
es Proletariats, sprich: das sozialistische Wirtschafts-
ystem.
Was ist Hartz IV? Mit Hartz IV werden die Menschen
limentiert, die arbeitsfähig sind, aber keine Arbeit ha-
en. Es sind zu viele,
ber sie erhalten Sicherheit in ihrem Leben: Sie bekom-
en eine Wohnung, und die Kosten für die Heizung
erden übernommen. Auch wenn das Fenster einmal of-
en steht, die Heizkosten werden immer bezahlt.
ie bekommen den Betrag, den die Linken und auch die
rünen jetzt weiter erhöhen wollen.
In diesem Zusammenhang muss einmal beleuchtet
erden, um welche Summen es eigentlich geht. Für eine
amilie mit zwei Kindern über 15 Jahre geht es um ein
ettoeinkommen von etwa 1 600 Euro im Monat. Dabei
arf nicht vergessen werden, dass bei den ALG-II-Emp-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21377
)
)
Heinz-Peter Haustein
fängern 439 Euro an Sozialleistungen hinzukommen.
Aber 1 600 Euro muss man erst einmal verdienen.
Das ist über den Ruf nach Mindestlöhnen nicht zu errei-
chen; das greift zu kurz.
Nun gibt es verschiedene Varianten, das Ganze ge-
rechter zu gestalten. Die FDP ist der Meinung, dass eine
Erhöhung des Regelsatzes nicht das Richtige ist. Wir sa-
gen: Senkt die Lohnnebenkosten und die Steuern! Das
käme einer Regelsatzerhöhung gleich.
Diesen Weg gehen wir. Schafft endlich diesen sinnlosen,
schwachsinnigen Gesundheitsfonds ab! Senkt den Ren-
tenversicherungsbeitrag so weit wie möglich! Nutzt alle
Spielräume aus! Senkt die Mehrwertsteuer! Dann haben
auch die Hartz-IV-Empfänger mehr Geld und können die
Binnenwirtschaft ankurbeln.
Da sich die Linken immer so gönnerhaft darstellen,
möchte ich einmal etwas aus der DDR-Zeit erzählen.
Meine Mutter erhielt damals eine Rente von 320 Mark
Ost. Wie viel heute ein Rentner erhält, das wissen Sie.
Ich weiß, dass man das nicht eins zu eins vergleichen
kann. Ich weiß aber auch, dass ein Familienvater mit
zwei Kindern 600 Mark Ost verdient hat. Damit will ich
sagen, dass wir ein Niveau erreicht haben, das wesent-
lich höher ist als das, das es zu DDR-Zeiten jemals gege-
ben hat. Deshalb steht es euch nicht zu, immer nur zu
fordern.
Sie müssen auch sehen, wer dieses Geld aufbringen
muss. Das sind die vielen fleißigen Leute in unserem
Lande. Das sind auch die zu Unrecht gescholtenen Be-
amten. Das sind auch die 27 Millionen versicherungs-
pflichtig Beschäftigten, die dazu beitragen, dass das
Geld aufgebracht wird; denn es geht immerhin um
35 Milliarden Euro. Das entspricht dem Haushaltsvolu-
men Sachsens für zwei Jahre. Mit diesem Geld werden
die Leute alimentiert.
Besser wäre es, Bedingungen zu schaffen, dass die
Menschen nicht mehr von Hartz IV leben müssen.
Wir haben gesagt, wie dies möglich ist: Senken Sie die
Lohnnebenkosten und die Steuern! Das braucht unser
Land. Schaffen Sie außerdem diese sinnlose übertrie-
bene Bürokratie ab, die das Land vom kleinen Unterneh-
mer über den Handwerksmeister bis zum großen Betrieb
lähmt. Diese Bürokratie ist viel zu groß.
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arum weichen Sie immer auf die Gehalts- und Lohn-
mpfänger aus, lassen aber andere Steuern außer Be-
racht, die man erhöhen könnte? Man würde im Übrigen
nsere Gesellschaft gerechter machen, wenn man sie in
etracht ziehen würde.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu, sage Ihnen
ber, dass die FDP-Fraktion ein einfaches und gerechtes
teuersystem, das alles beleuchtet, mit niedrigen Steuern
ordert. Das ist natürlich besser. Was Sie aber fordern, ist
inseitig und haut so nicht hin.
Liebe Kollgen, ich könnte Ihnen noch sehr viel zu
artz IV erzählen. Sie kennen unsere Position: Abgaben
enken, Steuern senken und dafür sorgen, dass mehr
eute in Arbeit kommen.
Auch in diesem Jahr gibt es an Weihnachten wieder
in Geschenk von mir. Ich schenke Ihnen noch eine Mi-
ute meiner Redezeit, und das verlängert Ihr Weih-
achtsfest um eine Minute.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling
ür die CDU/CSU-Fraktion.
)
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit zwei Dingen möchte ich
gleich am Anfang aufräumen, Herr Gysi.
Erstens. Sie wissen ganz genau, dass der Finanz-
schutzschirm, der innerhalb einer Woche – ich sage, das
war eine parlamentarische Meisterleistung – gespannt
werden musste, um nicht das gesamte Finanzsystem den
Bach runtergehen zu lassen, nicht allein den Bankern,
nicht den Bankeninhabern und auch nicht den Aktionä-
ren, sondern allen unseren Bürgern genutzt hat. Es ging
darum, den Finanzkreislauf aufrechtzuerhalten. Sagen
Sie bitte nicht in aller Öffentlichkeit vor diesem Parla-
ment: Die 500 Milliarden Euro habt ihr aufgebracht und
hingelegt, und den anderen armen Schluckern gebt ihr
nichts. – Das ist eine verquere Diskussion, die Sie hier
bewusst führen.
Einen zweiten Punkt möchte ich in aller Deutlichkeit
erwähnen. Sie sprachen davon, dass es Gleichmacherei
sei, wenn Menschen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in
die Langzeitarbeitslosigkeit, also in den Bezug der
Grundsicherung nach SGB II, übergehen. So kann
man diskutieren; das ist gar keine Frage. Aber Sie müs-
sen mit dem Gedanken an das Ganze herangehen, dass
der Pförtner – um Ihr Beispiel aufzugreifen – genauso
wie der Ingenieur alle Unterstützungen bekommen
muss, um wieder in Arbeit zu kommen. Es kommt also
nicht darauf an, dass sie die gleichen Summen bekom-
men. Denn im Mittelpunkt des gesamten SGB II stehen
nicht die Leistungen, die wir dem Einzelnen gewähren.
Im Mittelpunkt steht, wie wir den Menschen helfen kön-
nen, wieder in Beschäftigung zu kommen. Unter diesen
Gesichtspunkten sind die Einzelnen in der Tat gleich und
haben das Anrecht auf die gleiche Unterstützung. Das
hat aber mit Gleichmacherei nichts zu tun.
Familien und damit Kinder, die Grundsicherung be-
ziehen, sind durchaus – das will ich überhaupt nicht be-
schönigen – in einer durch verschiedene Gesichtspunkte
geprägten schwierigen Situation. Das können finanzielle
und oft auch soziale Gesichtspunkte sein, und es ist ganz
sicher die ganze im Bildungsbereich bestehende Proble-
matik. Kinder sind nicht arm, weil sie Grundsicherung
beziehen, sondern weil die Eltern, mit denen sie in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, nicht über ein Erwerbsein-
kommen verfügen oder das Erwerbseinkommen niedri-
ger ist als das, was ihnen nach der Grundsicherung zu-
stehen würde. Die Grundsicherung macht nicht arm,
sondern bewahrt vor absoluter Armut.
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Meine Damen und Herren, ich sage es sehr deutlich:
as hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun. Das hat
twas mit unserem Menschenbild zu tun. Als unsere
inder in der Berufsausbildung ihr erstes Geld bekamen,
a waren sie stolz darauf, dass sie etwas weniger von ih-
en Eltern abhängig waren. Es hat etwas mit dem Selbst-
ertgefühl zu tun, dass ich auf das, was ich selbst ge-
chaffen und verdient habe, stolz sein kann.
ahin müssen wir die Menschen bringen; denn dies hat
utiefst etwas mit unserem Menschenbild zu tun.
Im Zentrum unserer Anstrengungen steht deswegen,
ie Menschen aus der Grundsicherung heraus und wie-
er in Beschäftigung zu bringen. Dies entspricht diesem
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21379
)
)
Karl Schiewerling
Menschenbild. Dazu gehört, dass derjenige, der einer Er-
werbsarbeit nachgeht, mehr haben muss als derjenige,
der von staatlichen Transferleistungen lebt.
Ich gestehe zu, dass es da auch Spannungslagen gibt.
Wir wissen, dass Menschen, die allein in einer Bedarfs-
gemeinschaft leben, schneller vermittelt werden – mitt-
lerweile ist das durch Beobachtungen der Bundesagentur
für Arbeit und durch andere erhärtet – als diejenigen, die
mit mehreren Personen, mit mehreren Kindern in einer
Bedarfsgemeinschaft leben. Da gibt es Zusammenhänge
zwischen den Transfereinkommen und dem am Markt
möglicherweise zu erzielenden Einkommen durch Ge-
haltsleistungen.
Ich will Ihnen das in aller Deutlichkeit an zwei Bei-
spielen zeigen. Ein Klempner- und Installateurmeister
bzw. ein Obermonteur, der nach Abschluss seiner Gesel-
lenprüfung eine achtjährige Berufserfahrung hat, be-
kommt nach dem ordentlichen Tarifvertrag in Nord-
rhein-Westfalen etwa 2 640 Euro brutto. Das macht netto
1 933 Euro. Der hat zwei Kinder und ist in der
Steuerklasse III. Seine Frau ist nicht erwerbstätig.
Ein Bezieher von Grundeinkommen, von Grundleis-
tung, der in derselben familiären Situation ist, bekommt
in demselben Bundesland in aller Regel im Durchschnitt
etwa 1 780 Euro.
Ich sage in aller Deutlichkeit – es geht um das Grund-
prinzip, Herr Kollege Kurth –, dass der, der 40 Stunden
in der Woche arbeitet, deutlich mehr haben muss als der,
der nicht der Erwerbsarbeit – aus welchen Gründen auch
immer – nachgeht. Auch das hat etwas mit klaren Struk-
turen in unserer Gesellschaft zu tun.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen und
knüpfe daran an, was Staatssekretär Thönnes vorhin in
seinem Beispiel gebracht hat. Eine Alleinerziehende, die
von Grundsicherung lebt und ein Kind hat, hat in Nord-
rhein-Westfalen nach SGB II Anspruch auf etwa
1 264 Euro.
– Das hat mit Sozialneid nichts zu tun.
Eine Floristin, die im Monat 1 592 Euro verdient, hat
1 143 Euro netto und erhält dazu noch Kindergeld. Sie
kommt auf insgesamt 1 297,16 Euro.
Ich will in dieser Deutlichkeit sagen – nicht, um So-
zialneid zu schüren, sondern um ein Verständnis dafür
hinzukriegen –, dass wir die Waage ins Gleichgewicht
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Die Koppelung der Grundsicherung an die Höhe
er Rentenanpassung hat einen tiefen Sinn, und dieser
iefe Sinn hängt einfach damit zusammen, dass die Rente
icht höher sein kann als das Erwerbseinkommen vor-
er, dass die Rente von der nächsten Generation erwirt-
chaftet wird und dass vom Steuerzahler nicht unerhebli-
he Beiträge für die sogenannten versicherungsfremden
eistungen erbracht werden. Auch die Grundsicherung
uss von den Steuerzahlern erwirtschaftet werden. Des-
egen ist die Grundsicherung an die Rentenbeiträge ge-
oppelt, weil niemand, der Geld verdient, automatisch
inen Inflationsausgleich bekommt. Deswegen müssen
iese Dinge in dieser Form auch zusammen gesehen
erden.
Damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden
erde: Wir müssen alles unternehmen, um Kinder zu
ördern, die in Haushalten leben, die von der Grund-
icherung leben oder gar ausschließlich darauf angewie-
en sind.
Wir haben solche Schritte unternommen, wir haben
en Kinderzuschlag eingeführt, und wir sind dabei, das
chulstarterpaket zu schnüren. Ich glaube auch, dass es
n dieser Frage notwendig ist – wir haben es öfter er-
ähnt –, dass wir die Bemessungsgrenze oder die Er-
ittlung der Regelleistungen für Kinder noch einmal ei-
enständig überprüfen müssen.
Nach meiner festen Überzeugung darf der Staat den
ltern die Verantwortung für die Kinder nicht neh-
en. Die Eltern tragen Verantwortung für die Erziehung
er Kinder.
Wir wissen aber, dass es Eltern gibt, die damit über-
ordert sind. Circa 2,5 Millionen Menschen leben in der
weiten oder dritten Generation von Sozialhilfe.
iele Fachleute raten uns dringend, hier in allererster Li-
ie strukturelle Hilfen anzubieten und auf keinen Fall
en Eltern höhere staatliche Leistungen zu zahlen. Das
agen uns Leute, die in entsprechenden sozialen Brenn-
unkten in den Großstädten arbeiten und mit denen wir
ereits Anfang des Jahres zusammengesessen haben, als
ir uns als CDU-Fraktion mit diesem Thema intensiver
eschäftigt haben.
Was diese Menschen brauchen und was diese Kinder
rauchen, weil wir kein Kind verloren gehen lassen dür-
en, weil jedes Kind eine Chance auf eine gute Entwick-
21380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Karl Schiewerling
lung haben muss, sind verlässliche, planbare, langfristig
angelegte Hilfen. Das ist so wie bei Menschen, die sich
in einer sehr schwierigen Situation befinden, die – ich
bringe dieses Beispiel einmal – in einer großen Kuhle le-
ben, aus der sie nicht mehr herauskommen. Denen stellt
man Leitern hinein, die man nicht nach Bedarf wieder
herausholt, sondern darin stehen lässt, und den Men-
schen, die unten am Fuße der Leiter stehen, hilft man,
den Fuß auf die erste Leiterstufe zu setzen. Sie brauchen
verlässliche Unterstützung, damit sie wieder in das Le-
ben zurückkehren, indem sie mit ihrer eigenen Hände
Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können.
Diese Kinder brauchen alles an Unterstützung, was
notwendig ist, damit sie nicht dieselbe Entwicklung wie
ihre Großeltern, ein Teil ihrer Großeltern oder ihre El-
tern nehmen. Das ist eine der großen Herausforderun-
gen, vor denen wir stehen. Eine Förderung und Unter-
stützung dieser Kinder in ganz zentralen Bereichen ist
notwendig, um ihnen eine Perspektive bieten zu können.
Ich mache mir Sorgen um diese Kinder, weil es nicht nur
um deren Zukunft geht, sondern auch um unsere.
Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Rolf
Stöckel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Diese Debatte drängt einem das Bild auf, dass im
Parlament auf der einen Seite die Menschenfreunde sit-
zen, die eine Erhöhung der Regelsätze beantragen, und
auf der anderen Seite die Hartherzigen sitzen, die sich
dem verweigern.
Ich glaube, dass das Thema „Armut und Armutsbe-
kämpfung“ wichtig ist. Ich glaube aber auch, dass es in
vielerlei Hinsicht skandalträchtig ist – darauf werde ich
noch zurückkommen –, was zur Folge hat, dass wir wie
in einem Auktionshaus in einen Wettbewerb eintreten:
Wer bietet die höchsten Regelsätze? Ich bin der Mei-
nung, dass das der wichtigste Grund ist, warum die Re-
gelsätze per Rechtsverordnung von Bundesregierung
und Ministerpräsidenten und nicht vom Deutschen Bun-
destag beschlossen werden, was einer Forderung ent-
spricht, die von unabhängigen Kommissionen unter Be-
teiligung sozial erfahrener Experten und Wissenschaftler
erhoben worden ist.
Selbstverständlich müssen die Sätze der Grundsiche-
rung regelmäßig überprüft und angepasst werden. Genau
das ist in den letzten Jahren geschehen. Sie tun so, als sei
das nicht passiert. Nur weil der Antrag schon so alt ist
und dementsprechend die Regelsätze von 2007 enthält,
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– Ja, im zweiten Antrag der Grünen steht vieles, was ich
unbedingt unterschreiben würde.
Dazu müssen wir besonders die Kommunen, in de-
nen es sehr viele Langzeitarbeitslose gibt, befähigen. Sie
haben die meisten Lasten zu tragen und können die we-
nigsten Angebote machen.
Wenn wir das in einem Investitionsprogramm Anfang
des neuen Jahres miteinander verbinden können, ist es
umso besser.
Wir dürfen bei allen Prüfaufträgen nicht vergessen, in
welcher Relation das Existenzminimum für Kinder in
Arbeitnehmerfamilien zu den Bedarfssätzen steht, näm-
lich knapp darüber. Deshalb war es richtig, das Kinder-
geld zu erhöhen, den Kinderzuschlag zu verbessern, das
BAföG und das Wohngeld zu erhöhen, damit weniger
Familien von der Grundsicherung abhängig sind. Wir
wollen dafür sorgen, dass sie da rauskommen. Unser
Ziel sind nicht höchste Grundsicherungssätze, die alles
staatliche Handeln, ziviles Engagement und Eigenver-
antwortung ersetzen, sondern unser Ziel ist, dass die be-
troffenen Familien möglichst schnell und nachhaltig aus
der Hilfesituation herausfinden und von der Hilfe unab-
hängig werden.
Die Anreize für erwerbsfähige Hilfeberechtigte, er-
werbstätig zu werden, dürfen nicht erstickt werden. Dies
ist eine richtige Diskussion und muss keine Sozialneid-
oder Spalterdiskussion sein. Wir stehen deshalb für Inte-
gration und Teilhabe und nicht für bezahlte Ausgren-
zung. Es ist grober Unfug, wenn zum Beispiel mit Bun-
desmitteln alles in Geldleistungen umgewandelt wird
– auch das steht in Teilen Ihrer Anträge –, wozu Länder
oder Kommunen trotz Zuständigkeit nicht mehr bereit
oder in der Lage sind; dies betrifft insbesondere öffentli-
che Angebote oder Infrastruktur.
Ich spreche zum Beispiel die Lernmittelfreiheit der
Länder an. Sie haben bei der Föderalismusreform darauf
bestanden, dass sie allein die Zuständigkeiten dafür ha-
ben. Zum Beispiel die Regierung Rüttgers in NRW hat
mit dem KiBiz-Gesetz, wenn wir heute die Einrichtun-
gen und Kommunen hören, die Zugänge gerade für die
Schwächsten eher erschwert als erleichtert und die Qua-
lität damit nicht verbessert.
Man wehrt sich aus rein ideologischen Gründen gegen
bessere Bildungschancen und verteidigt das gescheiterte
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Ich könnte ja Ihre Ministerin Sommer zitieren; aber
as mache ich jetzt nicht, weil ich Redezeit an den
taatssekretär abgeben musste.
Und weil die Redezeit schon abgelaufen ist.
Ja, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Es ist doch ab-
urd und ein Armutszeugnis für uns alle – ich verstehe
en DPWV da gut –, wenn die Kosten für private Nach-
ilfe, die aufgrund der Defizite im öffentlichen Schul-
ystem explodieren, jetzt über die Regelsätze finanziert
erden sollen. Warum finanzieren wir nicht Maßnah-
en zur Verbesserung der Bildungs- und Entwick-
ungschancen von Anfang an? Es gibt noch viele Bei-
piele. Schauen Sie einmal auf die Internetseite der Stadt
ormagen. Dort können Sie lesen, wie Heinz Hilgers,
er Bürgermeister und Präsident des Kinderschutzbun-
es, nicht mit mehr Geld, sondern einfach nur mit einer
nderen Mentalität und Engagement etwas für schwache
amilien und deren Kinder tut.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ja. – Wir müssen in der Tat darüber nachdenken, wie
ir die öffentliche Infrastruktur, die vor allen Dingen
uch den ausgegrenzten und sozial schwächeren Fami-
ien in unserem Land helfen kann, effektiver gestalten
önnen. So einfach wie mit diesen Anträgen kommen
ie bei uns und hoffentlich auch in der Öffentlichkeit
icht durch. Deswegen lehnen wir sie ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ih-
en allen eine erholsame, besinnliche und für die An-
ragsteller auch nachdenkliche Weihnachtspause.
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir in die Weihnachtspause eintreten, haben
ir erstens noch einige Abstimmungen zu erledigen und
weitens Debatten zu anderen Punkten zu führen.
Zunächst kommen wir zur Abstimmung über die Be-
chlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozia-
s auf Drucksache 16/10336. Der Ausschuss empfiehlt un-
r Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
ntrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7040
21382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
mit dem Titel „Regelsätze erhöhen – Dynamisierung an-
passen – Kosten für Schulbedarfe abdecken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist da-
mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7113 mit
dem Titel „Regelsätze bedarfsgerecht anpassen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist da-
mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8761
mit dem Titel „Existenzsicherung und Teilhabechancen
für Kinder und Jugendliche durch bedarfsgerechte Kin-
derregelsätze gewährleisten“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Damit kommen wir zu den Zusatzpunkten 8 a und
8 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung des Vergaberechts
– Drucksache 16/10117 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 16/11428 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie
– zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Novellierung des Vergaberechts für Büro-
kratieabbau nutzen – Bundesweit einheitli-
ches Präqualifizierungssystem für Leistun-
gen einführen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologi-
sche Anliegen und Tariftreue durchsetzen
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, weiterer Abgeordneter und der
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Hauptaufgabe des Gesetzentwurfes der Koalition ist,
klarere Regeln zu schaffen und bei allen Beteiligten für
mehr Verständlichkeit zu sorgen. Unser wichtigstes Ziel
war – so haben wir es in der Großen Koalition vereinbart –,
das Vergaberecht mittelstandsfreundlich zu gestalten,
mittelstandsfreundlicher als bisher.
Weitere Festlegungen, die wir getroffen haben, sind,
dass es innerhalb des bestehenden Systems reformiert
werden soll – es soll also nichts gänzlich Neues erfunden
werden – und dass es unbürokratischer werden soll. Das
waren die drei vereinbarten Ziele, die wir mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf auch erreichen.
Verständlichkeit ist für die Unternehmen erforderlich,
die sich mit Angeboten an Vorhaben der öffentlichen
Hand beteiligen sollen. Verständnis und Akzeptanz der
Vergaberegeln sind auch für alle öffentlichen Stellen er-
forderlich, die als Auftraggeber auftreten und einkaufen
müssen; dadurch wird auch die Vergabe von Aufträgen
für die öffentliche Hand erleichtert. Das ist ein schwieri-
ges Thema; denn natürlich will man immer den Verdacht
der Korruption vermeiden. Auch deswegen brauchen wir
klare Regeln. An keiner anderen Stelle gerät man näm-
lich so schnell in den Verdacht der Korruption wie beim
Übergang zwischen öffentlicher Wirtschaft und privater
Wirtschaft;
das ist nun einmal so. Auch deswegen brauchen wir ein
verlässliches Vergaberecht.
Vielfach ist es bis heute so, dass im Vordergrund des
Interesses der Anwender nicht das richtige Verständnis
der Regeln steht, sondern der Wunsch, einen Weg zu fin-
den, um die Pflicht zur Anwendung zu umgehen. Wir
wollen sie allerdings beibehalten. Dabei geht es in der
Tat um einen recht großen Komplex. Jedes Jahr werden
nach diesen Regeln Aufträge mit einem Gesamtvolumen
von mehr als 250 Milliarden Euro vergeben. Das ent-
spricht 10 Prozent des Bruttosozialproduktes der Bun-
desrepublik Deutschland, ist also keine Petitesse.
Ganz sicher wird durch das Vergaberechtsmodernisie-
rungsgesetz nicht jede Erwartung erfüllt. Es ist natürlich
ein Kompromiss, mit dem aber sowohl Länder und
Kommunen als auch die Wirtschaft leben können. Aus
meiner Sicht sind gerade vor dem Hintergrund der Not-
wendigkeit, dass jetzt rasch öffentliche Investitionen ge-
tätigt werden, zwei Regelungskomplexe besonders
wichtig:
Erstens meine ich die Klarstellung zum Begriff des
öffentlichen Bauauftrags. Damit wird gesagt: Das Verga-
berecht gilt nur für Beschaffungsvorgänge und nicht für
jede vertragliche Beziehung von öffentlichen Auftragge-
bern mit Dritten – und zum Beispiel auch nicht für
Grundstücksverkäufe.
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Mit der Eingrenzung des „öffentlichen Bauauftrags“
uf den Auftrag für einen öffentlichen Bau bestätigt der
eutsche Gesetzgeber – hier gibt es einen Unterschied zu
em, was Europa vielleicht gerne hätte –, dass er die
uropäischen Richtlinien so versteht, wie sie in Brüssel
erhandelt und abgeschlossen wurden. Er setzt ein klares
eichen gegen eine schleichende Ausdehnung der euro-
äischen Regeln auf Sachverhalte, auf die sie der eine
der andere gerne anwenden würde, die in Wahrheit aber
icht betroffen sind. Es ist zu hoffen, dass dieses Zei-
hen auch von deutschen Gerichten richtig verstanden
ird. Es gibt mehrere brandaktuelle Vorgänge dieser
rt. Deswegen ist hier auch Klarheit notwendig.
Der zweite Aspekt ist die Mittelstandsfreundlichkeit.
r ist mir als Mittelstandsbeauftragtem natürlich beson-
ers wichtig. Zu diesem Zweck haben wir den seit lan-
em in § 97 Abs. 3 GWB „schlummernden“ Programm-
atz über die Pflicht zur Losvergabe zu einer Regel mit
ähnen gemacht: In Zukunft ist ein Projekt in mittel-
tandsverträgliche Fach- und Teillose aufzuteilen.
Das ist mutig. Wir müssen zusehen, dass wir die Wirt-
chaftlichkeit am Ende natürlich nicht gefährden; das ist
uch klar. Wir wollen es jetzt aber einmal mit dieser
trenge versuchen, und wir werden unsere Erfahrungen
ammeln. Ich gehe davon aus, dass das klappt.
Die Gesamtvergabe bleibt natürlich möglich – aber
ur als Ausnahmefall. Sie muss wirtschaftlich und tech-
isch begründet werden. Wenn eine Aufteilung kauf-
ännisch unsinnig oder technisch unmöglich ist, dann
uss natürlich auch die Gesamtvergabe möglich sein.
An dieser Stelle haben wir bei PPP-Projekten ein of-
enes Problem mit der großen Bauindustrie. Wir wissen,
ass es hier eine objektive Schwierigkeit gibt. Wir mei-
en allerdings auch, dass PPP-Projekte nicht dafür ge-
utzt werden sollten, die Anwendung des Vergaberechts
u vermeiden. Deswegen wollen wir die Vergabe von
PP-Projekten denselben Regeln unterwerfen, nämlich
em Vergaberecht: keine Verschlimmerung, aber auch
eine Erleichterung. Möglicherweise wird es darüber im
ermittlungsverfahren oder beim Bundesrat noch Dis-
ussionen geben.
Außerdem soll die gerade auf kleine und mittelständi-
che Unternehmen immer wieder abschreckend wir-
ende Flut von Nachweisanforderungen eingedämmt
erden. In dem Gesetzentwurf sind jetzt ausdrücklich
räqualifikationsmöglichkeiten vorgesehen, sodass die
nternehmen Nachweise über ihre Leistungsfähigkeit
nd Zuverlässigkeit nicht bei jedem Auftrag wieder neu
21384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte
abgeben müssen, sondern ein Nachweis muss jetzt ein-
fach einmal für einen bestimmten Zeitraum reichen. Das
ist auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau.
Zum Schluss gestatten Sie mir noch einen Appell an
den Bundesrat. Mir ist bewusst, dass der Bundesrat eine
ganze Reihe von technischen Vorschlägen gemacht hat,
denen wir nicht gefolgt sind. Sie beziehen sich zum
größten Teil auf Regeln zum Rechtsschutz. Auch hier ist
ein maßvoller Umgang das Gebot der Stunde. Wenn wir
das Vergaberecht funktionsfähig erhalten sollen, dann
müssen wir bei aller Notwendigkeit von Transparenz
und Nachprüfbarkeit darauf achten, dass es handhabbar
bleibt. Die rechtliche Auseinandersetzung muss die ab-
solute Ausnahme bleiben.
Es muss einen Rechtsweg geben – das ist allgemein
so geregelt; mittlerweile auch weltweit –, aber er sollte
die Ausnahme bleiben. Deswegen sind wir bei allen Zu-
spitzungen, zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu
eröffnen, sehr vorsichtig. Die Länder müssen viele Auf-
träge vergeben, und die Gemeinden vergeben den größ-
ten Teil der Aufträge. Deshalb bitte ich den Bundesrat
auch in seinem eigenen Interesse, schnell Klarheit für
Vergaben zu schaffen. Das ist das Gebot der Vernunft.
Wir haben auch keine Regel aufgenommen – das ist
noch einmal wichtig –, durch die die Kooperation von
Kommunen und kommunalen Unternehmen untereinan-
der von der Einhaltung vergaberechtlicher Regelungen
ausdrücklich freigestellt wird.
Wir wollten möglichst das Prinzip beibehalten, dass
die Ausschreibung ein sinnvolles Moment ist, um eine
preiswürdige Auftragsvergabe zu sichern. Auch Kom-
munen können sich mit ihren Wirtschaftsbetrieben an
Ausschreibungen beteiligen. Wer hindert sie denn daran?
Sie können dann die Ausschreibung gewinnen. Aber
grundsätzlich zu sagen, wenn Kommunen untereinander
daran teilnehmen, muss es keine Ausschreibung geben,
heißt, auf ein wichtiges Element von vernünftiger Preis-
findung zu verzichten, und zwar zulasten des Bürgers,
der das schließlich am Ende bezahlen muss.
Da wir in der Koalitionsvereinbarung festgehalten
haben, den Mittelstand zu fördern – wir haben nicht die
Ausweitung der Erleichterungen, zum Beispiel für Kom-
munen festgehalten –, haben wir uns dann in der
Schlussrunde geeinigt, den alten Kurs beizubehalten,
also keine Verschiebung zugunsten der kommunalen
Seite und keine Verschiebung zugunsten der Privatisie-
rungsseite, um diesen Begriff hier einmal einzuführen,
vorzunehmen. Wir wollen den neutralen Weg, den wir in
der Vergangenheit miteinander gegangen sind, beibehal-
ten. Ich denke, das ist eine deutliche Verbesserung.
Schwierig ist auch etwas anderes gewesen: Es hat
viele Streitpunkte in der Frage der sogenannten vergabe-
fremden Kriterien gegeben. Das Ergebnis ist ein klassi-
scher Kompromiss, wie er eben in einer Großen Koali-
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ieser Status quo ist aber schon schwierig genug. Dort
u anderen Lösungen zu kommen, ist ganz offenbar
icht gelungen.
ir freuen uns, dass in dem Gesetzentwurf das Präquali-
izierungsverfahren aufgenommen wurde, auch wenn
ir selber gerne noch weitergehen würden. Wir haben
azu einen Antrag vorliegen, für den wir um Zustim-
ung bitten.
Ich komme zum Thema Mittelstandsfreundlichkeit.
s ist absolut richtig, dass Sie das aufgegriffen haben.
as ist dringend notwendig. Wir sehen aber schon die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21385
)
)
Ernst Burgbacher
Probleme in diesem Bereich, besonders bei der Bürokra-
tie. Ich werde gleich darauf zurückkommen.
Es gibt aber für uns einige ganz wesentliche Kritik-
punkte, die uns dazu veranlassen, diesen Gesetzentwurf
zur Vergaberechtsmodernisierung abzulehnen. Der erste
Kritikpunkt – das ist ein ganz besonderer – sind die ver-
gabefremden Aspekte. Sie haben diese nun nach langer
Diskussion in den Text aufgenommen. Ich bitte Sie, sich
einfach einmal vorzustellen, was das in der Praxis hei-
ßen wird. Ich war lange genug Kommunalpolitiker, um
das beurteilen zu können. Jetzt geht es schon bei der
Ausschreibung mit dem Streit in den kommunalen Parla-
menten darüber los, welche Kriterien aufgenommen
werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Gesetz-
geber. Wir haben die Möglichkeit, Gesetze zu den we-
sentlichen Fragen zu machen, die uns bewegen. Wir soll-
ten uns aber hüten, gewisse Punkte über die Hintertür in
das Vergaberecht hineinzubringen. Ich denke dabei an
den Mindestlohn, aber auch an Umweltaspekte. Wir soll-
ten in diesem Hohen Hause Gesetze machen, die die
Vergabe regeln, statt dies mit allen damit verbundenen
Problemen auf andere abzuschieben. Deshalb lehnen wir
diesen Punkt ab.
Wir halten die Regelungen zu den Sektorenauftrag-
gebern für verfehlt. Das öffnet Türen, wovor wir nur
warnen können. Ich will das nicht im Detail ausmalen,
aber ich denke zum Beispiel daran, was im Zusammen-
hang mit der Deutschen Bahn alles möglich sein wird.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass mit dieser
Novellierung kein Bürokratieabbau erfolgt.
Das geben Sie in der Einleitung zum Gesetzentwurf
selbst zu. Ich zitiere:
Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine
Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucher-
preisniveau, sind nicht zu erwarten.
Wir hätten erwartet, dass die Novellierung zu Preis-
senkungen führt. Das muss doch der Sinn der Sache sein.
Ich zitiere weiter aus der Einleitung:
In dem vorliegenden Gesetzentwurf werden keine
Informationspflichten eingeführt, modifiziert oder
abgeschafft.
Was die Bürokratie angeht, ändert sich also nichts. Das
wäre aber ein wesentlicher Punkt gewesen.
Damit komme ich zu einer allgemeinen Bewertung.
Wir haben am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss eine
Anhörung durchgeführt. Einige Experten haben sehr
deutlich darauf hingewiesen, dass die Novellierung des
Vergaberechts eine Chance wäre, gerade jetzt in der be-
ginnenden Rezession gegenzusteuern, dass diese Chance
aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf völlig unge-
nutzt bleibt.
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nd dass das nicht nur dem Baubeigeordneten überlassen
ird, der rucki, zucki seine Bauprojekte durchziehen
ill. Wir haben eine gesellschaftspolitische Verantwor-
ung, gerade dann, wenn wir Aufträge nach außen verge-
en. Diese Verantwortung geben wir jetzt ausdrücklich
en kommunalen Vergabestellen, aber auch denen der
änder und des Bundes.
Wir haben uns große Mühe gegeben, einmal zu
urchleuchten, was das denn eigentlich praktisch heißt,
um Beispiel vor dem Hintergrund des Rüffert-Urteils,
as uns alle – zumindest uns Sozialdemokraten – sehr
eunruhigt hat. Es ging darum, dass der EuGH eine Bau-
uftragsvergabe untersagt hat, weil die Tariftreue zur
uflage gemacht wurde, es aber im Baubereich keinen
llgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt und Teiltarif-
erträge nicht gelten. Wir haben gemeinsam mit der
undesregierung festgestellt, dass es diesen offenen
onflikt zwischen dem Entsenderecht und dem Vergabe-
echt gibt, der sich im Zuge der weiteren Rechtspre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21387
)
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Reinhard Schultz
chung in die eine oder andere Richtung entwickeln wird.
Ich glaube nicht, dass die EU auf der einen Seite ein of-
fenes Vergaberecht machen kann, bei dem soziale Krite-
rien eine Rolle spielen, und auf der anderen Seite ein
Entsenderecht aufrechterhalten kann, bei dem diese Kri-
terien keine Rolle spielen dürfen. Aber der Grundsatz
„Entsenderecht schlägt Vergaberecht“ gilt nur für die
Branchen, die dem Entsenderecht unterliegen. Das sind
weiß Gott nicht alle. Es handelt sich um drei wesentliche
Branchen, die Baubranche – natürlich eine ganz wich-
tige –, die Briefzustellung und die Gebäudereinigung.
Ansonsten gilt das nicht. Da können auch Teiltarifver-
träge und andere Vorgaben gelten.
Wir haben herausgefunden, dass eine Vergabestelle
durchaus sachlich begründete Vorgaben machen kann,
wie die Aufträge abzuwickeln sind. So kann geregelt
werden, dass das eingesetzte Personal eine angemessene
Bezahlung erhält. Es kann auch eine Summe, zum Bei-
spiel eine Untergrenze, für diesen Auftrag festgelegt
werden. Weiterhin kann eine Mindestqualifikation oder
eine Mindeststammbelegschaft, mit der der Auftrag aus-
zuführen ist, gefordert werden. Natürlich gelten diese
Auflagen nur für den speziellen Auftrag. Ich möchte
aber die Unternehmen, die sich regelmäßig um öffentli-
che Aufträge in ihren Kommunen bewerben, sehen, die
auftragsbezogen unterschiedliche Löhne zahlen. Da wird
sich ein Spannungsverhältnis ergeben, das dazu führen
wird, dass am Ende selbstverständlich alle angemessen
bezahlt werden. Dieser Druck besteht, und wenn die
nachfragende Seite, die öffentliche Hand, das will, dann
wird sich das gut entwickeln. Ich finde, es haben sich
sehr gute Möglichkeiten ergeben.
Eine gute Lösung haben wir gemeinsam hinsichtlich
der Absicherung von städtebaulichen Verträgen, Grund-
stücksgeschäften und der Umsetzung von Entwicklungs-
zielen der Gemeinde über Grundstücksgeschäfte erzielt.
Das darf nicht dem Wettbewerb ausgesetzt werden. Das
ist vielmehr Kommunalrecht in Reinkultur. Eine
Schwachstelle, die nicht zu unterschätzen ist, gibt es al-
lerdings: Das ist die interkommunale Zusammenarbeit.
Hierüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Im Er-
gebnis hat sich, wie Herr Burgbacher richtig dargestellt
hat, nichts geändert. Das ist oft so. Es gab Personen, die
die Tür zugunsten von Privatisierungen selbst bis tief in
den Bereich der Daseinsvorsorge hinein öffnen wollten.
Wir wollten die interkommunale Zusammenarbeit recht-
lich absichern. Wir haben jetzt eine Situation, die sehr
streitanfällig ist und mit der sich die Gerichte befassen.
Das neueste EuGH-Urteil hinsichtlich der Absicherung
von Zweckverbandslösungen gibt uns aber Hoffnung,
dass die künftigen Urteile besser ausfallen werden. Es
besteht die Chance, dass sich auch hier, falls der Bundes-
rat den Vermittlungsausschuss anrufen sollte, etwas
verbessert, weil der Bundesrat selbst ein eindeutiges Pe-
titum abgegeben hatte, die interkommunale Zusammen-
arbeit im Vergaberecht besser abzusichern. Wir müssen
sehen, was im Februar geschieht.
Unter dem Strich gesehen, so glaube ich, haben wir
gute Arbeit geleistet. Wir haben den an sich schon guten
Gesetzentwurf der Bundesregierung durch gemeinsame
Anstrengungen der Koalition, der Berichterstatter und
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Stattdessen ziehen Sie sich jetzt auf das Verbot der
inderarbeit – darin gebe ich Ihnen recht – und auf die
llgemeinverbindlichen Tarifverträge zurück, mit denen
in Tarifvertrag für alle Beschäftigten der Branche Gül-
igkeit bekommt. Sie sagen aber nichts dazu, dass ein all-
emeinverbindlicher Tarifvertrag in Deutschland die
usnahme und nicht die Regel ist. In Deutschland sind
ur 1,5 Prozent aller Tarifverträge allgemeinverbindlich,
21388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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Ulla Lötzer
in Frankreich sind es 90 Prozent und in den Niederlan-
den 70 Prozent.
Die Forderungen aber, als Ausweg aus diesem Di-
lemma zumindest die Allgemeinverbindlichkeit auf
Bundesebene zu erleichtern und mit einem allgemein-
verbindlichen gesetzlichen Mindestlohn wenigstens eine
gesetzliche Untergrenze für alle zu schaffen, ignorieren
Sie völlig. Auf diesem Ohr sind Sie nach wie vor taub,
Herr Schauerte. Stattdessen haben Sie jetzt eine Rege-
lung ins Gesetz eingefügt, öffentliche Aufträge an geset-
zestreue Betriebe und Unternehmen zu vergeben. Ange-
sichts dessen frage ich Sie: Muss man in einem Gesetz
festschreiben, dass Gesetze auch für Unternehmen gel-
ten? Soll das vielleicht der soziale Fortschritt in diesem
Gesetzentwurf sein?
Darüber hinaus finden sich darin nur unverbindliche
Kannregelungen für zusätzliche auftragsbezogene so-
ziale oder ökologische Bedingungen. Ich sehe das anders
als Sie, Kollege Schultz. Die finanzstarke Kommune A
wird vielleicht, wenn sie gerade von vernünftigen Leu-
ten regiert wird oder solche im Stadtrat sind oder der
Druck von Gewerkschaften oder Umweltverbänden groß
ist, ihre Aufträge an Umwelt- und Sozialauflagen kop-
peln, beispielsweise, dass das Unternehmen einen Min-
destlohn zahlt. Die klamme Nachbarkommune verzich-
tet darauf. Sie nimmt den billigsten Anbieter und lässt
weiter „Geiz ist geil“ regieren. Wer dort arbeitet, hat
eben Pech gehabt und muss zusätzlich Hartz IV beantra-
gen. Das ist nicht sozial ausgewogen, das bedeutet keine
Rechtssicherheit, sondern das Gegenteil davon, also Un-
gleichheit vor dem Gesetz. Das ist Rechtsunsicherheit,
Kollege Schultz.
Sie hätten die Chance gehabt, etwas gegen die im
europäischen Vergleich beschämende Reallohnentwick-
lung in der Bundesrepublik zu unternehmen. Sie hätten
die Chance gehabt, 30 000 Vergabestellen klare und ein-
heitliche Regeln für den Umgang mit den Steuergeldern
an die Hand zu geben.
CDU und FDP – wir haben es gerade wieder gehört –
nennen das vergabefremd. Wir bezeichnen dies als das
Setzen sozialer und ökologischer Normen und Standards
für die Unternehmen im Markt.
Das ist unserer Auffassung nach Aufgabe der Wirt-
schaftspolitik und nicht vergabefremd.
Stattdessen haben Sie noch die letzte fortschrittliche
Regelung zur interkommunalen Zusammenarbeit aus
dem Gesetz gestrichen.
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ch stelle hier heraus: Die Entscheidungsfreiheit einer
ommune, den Winterdienst zusammen mit der Nach-
argemeinde zu erledigen oder ihn auszuschreiben, ist
hr demokratisches Grundrecht und nicht durch eine Vor-
chrift im Vergabegesetz zu unterlaufen.
Von daher sagen wir: Nutzen Sie die letzte Chance
eute! Legen Sie Ihren Entwurf an die Seite! Stimmen
ie unserem Antrag zu!
anach sind soziale und ökologische Kriterien zu veran-
ern. Das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk für
lle.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae
ür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
rau Lötzer, man kann sich zu Weihnachten viel wün-
chen. Mein kleiner Sohn macht das zum Beispiel. Er
ekommt auch nicht alles.
on daher glaube ich: Es wird bei dem Wunsch bleiben.
Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Ge-
etzentwurf enthalten – das gleich vorweg –, da wir es
irklich richtig und sinnvoll finden, dass wir in
eutschland jetzt der EU-Ebene folgen, die Richtlinie
msetzen und sozial-ökologische Kriterien bei der Ver-
abe berücksichtigen. Das ist uns so wichtig, dass wir
em Gesetz nicht im Weg stehen wollen. Eine Zustim-
ung bekommen Sie von uns allerdings nicht – das
erde ich auch noch erklären –; wir werden uns, wie ge-
agt, enthalten.
In dem Gesetzentwurf gibt es einzelne Punkte, die wir
ür richtig halten. Die Aufteilung in Fach- und Teillose
Sie haben es angesprochen – ist sinnvoll. Dass die Prä-
ualifizierung enthalten ist, ist sinnvoll. Es war übrigens
icht nur die FDP, die das beantragt hat, sondern auch
ir. Zu nennen ist ferner der wettbewerbliche Dialog.
ie haben also doch ein paar Punkte aufgenommen, die
irklich richtig und sinnvoll sind.
Sie haben einiges nicht aufgenommen; darauf möchte
ch jetzt eingehen. Wir haben einen Antrag vorgelegt,
ach dem versucht werden soll, Angebotsdumping zu
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21389
)
)
Kerstin Andreae
verhindern. Darin sind wir in der Anhörung bestätigt
worden. Das Problem ist nämlich, dass immer noch die
Vorstellung besteht: Hauptsache, das billigste Angebot. –
Angebotsdumping hätten wir verhindern können, wenn
wir geregelt hätten, sinngemäß: Die vergebende Stelle
muss die Möglichkeit haben, zu beschließen, dass das
billigste Angebot rausfliegt.
Das ist eine Regelung, die in der Schweiz existiert, sogar
als Vorgabe von oben. Nach unserem Vorschlag sollte es
nur heißen, dass die vergebende Stelle die Möglichkeit
haben soll. Das wäre durchaus eine Chance gewesen, um
Angebotsdumping zu verhindern.
Beim Thema Korruptionsregister beschränken Sie
sich darauf, uns in einer Protokollerklärung oder Notiz
der Berichterstatter zuzugestehen, dass man sich diesem
Thema noch einmal nähern will. Ich finde das sehr
schade. Wir sind beim Thema „Korruption“ und „Kor-
ruptionsregister“ schon viel weiter. Nach dem, was
Transparency International über Deutschland schreibt,
besteht ein unheimlich großer Handlungsbedarf. Ent-
sprechende Registerregelungen der Länder gelten. Der
Bund hätte durchaus folgen können. Hierzu haben wir
einen Entschließungsantrag vorgelegt.
Zu den Stichworten „Entsenderichtlinie“, „Mindest-
löhne“ bzw. „Rüffert-Urteil“ ist schon einiges gesagt
worden. Herr Schultz, Sie können es natürlich erklären
und erklären. Sie haben wahrscheinlich sogar recht da-
mit, dass Sie im Rahmen des Vergaberechts so weit ge-
gangen sind, wie Sie gehen konnten. Das gilt aber eben
nur in diesem Rahmen. Wenn es nicht bei Krokodilsträ-
nen bleiben soll, die Sie in den Augen haben, wenn Sie
zum Fahrer in den Wagen steigen, müssen Sie auf natio-
naler Ebene Gesetze ändern. Sie müssen sich beim
Thema Mindestlohn bewegen. Sie müssen sich beim
Thema Allgemeinverbindliche Tarifverträge bewegen.
Letzter Punkt: interkommunale Vergabe. Das ist tra-
gisch.
Es gab einen Gesetzentwurf, in dem das enthalten war.
Das war keine Erfindung von uns. Es stand in Ihrem Ge-
setzentwurf, einem Gesetzentwurf, den der Wirtschafts-
minister Glos im Kabinett mit verabschiedet hat.
Dann kommen die Wirtschaftsverbände, machen richtig
Druck und sagen: Das muss raus.
Was macht die Union? Sie gibt an dieser Stelle nach.
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Vor ein paar Wochen haben wir hier über die Finanz-
nd Wirtschaftskrise diskutiert. Es kamen mildeste mo-
alische Töne im Sinne von: Man kann nicht alles priva-
isieren. Man muss sich die Frage stellen, was die Auf-
abe des Staates ist. – Aber hier schaffen Sie für die
ommunen keine Rechtssicherheit auf der lokalen
bene!
as ist bitter. Wir haben auch in diesem Fall einen Ent-
chließungsantrag vorgelegt, weil die Angelegenheit uns
irklich wichtig ist. Manche werden echte Probleme ha-
en müssen, gegen diesen Entschließungsantrag zu stim-
en. Wie ich weiß, gibt es zumindest in den Reihen der
PD einige, die hinter unserem Entschließungsantrag
tehen.
Es handelt sich um einen Kompromiss. Jetzt kündigen
ie an, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird.
eine Damen und Herren von der Union, ich möchte
ie wirklich bitten, an dieser Stelle noch einmal genau
u prüfen, ob Sie den richtigen Weg eingeschlagen ha-
en. Angesichts der Worte, die hier teilweise gefallen
ind, müssen Sie schon Konsequenzen ziehen und Taten
olgen lassen. Das betrifft die Frage „Sicherung der öf-
entlichen Daseinsvorsorge – Handlungsfähigkeit der
ommunen“. Nicht alles unter Renditeorientierung zu
ehen, das wäre eigentlich der richtige Weg. Insofern
erden wir uns heute enthalten.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zu-
ächst zu den Linken: Es ist ein historischer Tatbestand,
ass an Weihnachten einmal kurzfristig eine Front auf-
ehoben wurde. Sie brauchen aber nicht die Hoffnung zu
egen, dass wir das gegenüber den Linken tun. Ich
laube, das ist Ihnen klar.
Außerdem sage ich ganz offen: Dieses Gesetz war
ine schwere Geburt mit vielen Geburtswehen. Das lag
21390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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)
Dr. Georg Nüßlein
nicht daran, dass sich die Koalitionspartner nicht hätten
verständigen können; vielmehr gab es quer durch unsere
Reihen einfach unterschiedliche Interessen. Es ist darum
gegangen, die Interessen der Auftraggeberseite und die
der Auftragnehmerseite sinnvoll zu vereinen. Im Rah-
men des Möglichen ist uns das gelungen.
Nachdem hier insbesondere zum Bürokratieabbau ei-
niges gesagt wurde, sage ich ganz offen: Dieses Gesetz
ist nicht geeignet, Bürokratie abzubauen. Stattdessen
sollen durch Bürokratie bestimmte Dinge geregelt wer-
den, nämlich die Vergabe. Wer in diesem Zusammen-
hang Bürokratieabbau fordert, sollte dafür eintreten, das
Thema Vergabe von der Tagesordnung zu streichen und
eine freihändige Vergabe zu erlauben. Nur: Das ist et-
was, was wir alle miteinander nicht wollen.
Kollegin Andreae, was die interkommunale Vergabe
angeht: Ich meine, dass mit dem, was wir am Schluss ge-
regelt haben, Zweckverbandslösungen möglich sind.
Was die Vertragsgegenstände – ich denke insbesondere
an das Thema Baukonzessionen – angeht, ist das, was
wir erarbeitet haben, sogar präziser als das, was bis jetzt
im Gesetz steht. Wir sollten uns jetzt nicht dem Vorwurf
aussetzen, wir hätten einer Liberalisierung zu sehr Rech-
nung getragen oder wir hätten der Rekommunalisierung
zu sehr Vorschub geleistet. Genau darum ist es uns an
dieser Stelle gegangen: etwas zu machen, was deutlich
zeigt, dass das Vergaberecht nicht dazu geeignet ist, in
dieser Art und Weise in die Wirtschaft einzugreifen.
Die Kommunen haben insbesondere Wert darauf ge-
legt, dass das Ahlhorn-Urteil gesetzgeberisch korrigiert
wird. Beide Berichterstatter haben dafür Sorge getragen,
dass dieser Aspekt schon im Referentenentwurf berück-
sichtigt wird. Insofern haben die Kommunen an dieser
Stelle überhaupt keinen Grund, uns etwas vorzuwerfen.
Im Gegenteil: Durch unser Gesetz werden die Möglich-
keiten der städtebaulichen Gestaltung verbessert.
Herr Burgbacher, die FDP hat gesagt, man müsse da-
für sorgen, dass derjenige, dessen Angebot am günstigs-
ten ist, den Zuschlag erhält.
Ich sehe das grundlegend anders. Frau Andreae, den
Mut, nicht den billigsten Anbieter zu nehmen, den die
Vergebenden haben müssen, können wir aber nicht ins
Gesetz schreiben.
Man hat die Spielräume. Man hatte sie im Übrigen schon
vorher, und man wird in Zukunft noch sehr viel mehr
Spielräume haben. In Zukunft besteht die Möglichkeit
– sie wurde, auch in unseren Reihen, heftig als „vergabe-
rechtsfremd“ kritisiert –, zusätzliche Qualitätsanforde-
rungen zu stellen, die bei der Auswahl der Bieter eben-
falls eine Rolle spielen. Auch das muss man einmal
sehen. Insofern appelliere ich an die Kolleginnen und
Kollegen, insbesondere in den Kommunalparlamenten,
die Spielräume im Rahmen des Zulässigen zu nutzen.
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an hätte das also nicht unbedingt machen müssen, weil
lle Vernünftigen auch so verstanden hätten, was ge-
eint war, aber eben nur alle Vernünftigen, liebe Frau
ollegin. Ernsthaft ist hier noch anzumerken, dass es
ichtig war, den Katalog an Kriterien so allgemein zu
assen, wie er nun im Gesetz steht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21391
)
)
Dr. Georg Nüßlein
Das Register, in dem schwere Verfehlungen erfasst
werden, ist ein Thema, über das man noch einmal reden
kann, aber – das sage ich ganz offen – nicht unter der
Maßgabe des Vorschlags der Grünen, dass schon der
Verdacht ausreiche,
sondern nur unter der Maßgabe, dass es sich um
schwerste Verfehlungen handeln muss, die in einem
Strafprozess strafrechtlich bewehrt wurden. Für mich ist
also ganz wichtig, dass die Aufnahme eines Unterneh-
mens in solch ein Register nicht der Willkür oder der In-
teressenverfolgung einer Behörde obliegt. Hierbei geht
es nämlich um Rechtssicherheit. Wenn wir das nicht in
dieser Weise regeln können, dann sollten wir dieses Vor-
haben aus meiner Sicht sein lassen.
Das ist das, was ich Ihnen in aller Kürze zu diesem
Gesetz sagen wollte. Auch ich bedanke mich natürlich
bei meinem Mitberichterstatter. Die Gespräche waren
über weite Strecken ausgesprochen konstruktiv. Wir
beide haben uns bemüht, alle Interessen zu berücksichti-
gen. Ich denke, dass das Ganze noch schneller und präzi-
ser gewesen wäre, wenn nur wir beide uns darum ge-
kümmert hätten. Aber so geht es in der Demokratie Gott
sei Dank nicht; es muss auch ab und zu etwas anderes
herauskommen können.
In diesem Sinne: Vielen Dank und frohe Weihnach-
ten!
Walter Riester hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mehrere Redner haben schon darauf hingewiesen: Dem
Gesetz kommt in der Tat eine ganz erhebliche Bedeu-
tung zu. Vergabeleistungen in Höhe von rund
260 Milliarden Euro bekommen hiermit einen Rege-
lungsrahmen, und zwar in zwei Richtungen. Ich möchte
das nicht nur auf diejenigen, die Aufträge vergeben, und
diejenigen, die eine Leistung erbringen, also die Unter-
nehmer, begrenzen. Denn es geht angesichts von Millio-
nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Ar-
beit leisten, auch um die Frage, unter welchen
Bedingungen die Leistung erbracht wird. Das ist ein
ganz wichtiger, ein entscheidender Punkt.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass es beim Ge-
setzgebungsverfahren mehrere Zielsetzungen gab: mehr
Rechtssicherheit, mehr Klarheit, mehr Vereinfachung,
mehr Mittelstandsfreundlichkeit. Ich bin der Auffassung,
dass es gelungen ist, diese Ziele zu erreichen. Herr
Burgbacher, wenn Sie kritisieren, dass im Gesetzentwurf
bürokratische Elemente enthalten seien, die nicht mittel-
standsfreundlich seien, dann mögen Sie sich damit abso-
lut legitim auf eine Position der FDP beziehen. Das ist
auch Ihre Aufgabe.
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benso mögen Sie sich auf die Aussage eines Wissen-
chaftlers, den Sie hier anführen, beziehen.
ber Sie können sich nicht auf den Mittelstand bezie-
en. Ich zitiere aus einem Schreiben, das wir alle erhal-
en haben, vom Zentralverband des Deutschen Hand-
erks, der immerhin 750 000 Betriebe mit 4,5 Millionen
eschäftigten vertritt:
Wir bitten Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Da der vorgelegte Gesetzentwurf zu einer Vereinfa-
chung des Vergaberechts, zu mehr Rechtssicherheit
sowie insbesondere zu einer Stärkung des Mittel-
standes führen wird, begrüßen wir diesen Gesetz-
entwurf ausdrücklich …
ier spricht ein Verband legitim für den Mittelstand.
hre Position ist unbestritten eine Position der FDP.
Kollegin Andreae, ich stimme Ihnen in vielen Punk-
en zu.
rotzdem komme ich im Ergebnis zu einer anderen Ent-
cheidung, und zwar nicht deswegen – das sage ich Ih-
en ganz offen –, weil ich der Koalition angehöre, son-
ern weil ich überzeugt bin, dass wir hier einen sehr
uten Gesetzentwurf vorliegen haben, von dem ich
offe, dass er wirken wird.
Sie sagen beispielsweise völlig zu Recht, dass der Ge-
etzgeber in der Frage der Tarifgestaltung, wie sie in den
esetzentwurf aufgenommen worden ist, an der Grenze
einer Möglichkeiten ist. Davon verstehe ich etwas, und
iese Meinung teile ich völlig. Fragen wie Allgemein-
erbindlichkeit und Mindestlohn müssten im Tarifver-
ragsgesetz anders geregelt werden. Auch diese Auffas-
ung teile ich. Aber das ist nichts, was ich an diesem
ntwurf kritisiere. Der Gesetzentwurf geht in dieser
rage so weit, wie es auf der Grundlage des gegenwärti-
en Rechts und der gegenwärtigen Rechtsprechung
öglich ist.
In der breiten Diskussion, die wir geführt haben – ich
inde, das war notwendig und wichtig, auch über den
angen Zeitraum –, ging es auch um die Frage, welche
riterien im Zusammenhang mit der Vergabe einzube-
iehen sind. Für mich war sehr interessant, dass die
rage der Gesetzestreue in dem Ausschuss, in dem ich
ertreten bin, eine kurze Intervention eines Juristen der
nion ausgelöst hat, der sagte: Hier geht es nicht um Ge-
etzestreue, das ist doch absolut selbstverständlich; hier
eht es um Tariftreue. – Nein, es geht um Gesetzestreue.
err Nüßlein, so selbstverständlich, wie Sie es darstel-
en, ist es leider – ich bedaure das – nicht. Der BDI kriti-
iert in seinem Schreiben – für mich sehr überraschend –
en Begriff Gesetzestreue und schreibt: „Die Einführung
ieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist überflüssiger
21392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Walter Riester
Bürokratismus.“ Was ist das für ein Verständnis von Ge-
setzestreue, wenn man diesen Begriff als unbestimmten
Rechtsbegriff bezeichnet, der überflüssigen Bürokratis-
mus bringe?
Deswegen ist es wichtig, aufzuzeigen, dass durch die
deutschen Gesetze, durch die von Deutschland getroffe-
nen internationalen Vereinbarungen und durch die gel-
tenden Tarifverträge ein Rechtsrahmen besteht, der für
jeden Anbietenden verpflichtend ist. Ich betone: ver-
pflichtend. Bei Zwangsarbeit oder Kinderarbeit geht es
nicht um eine Ermessensfrage. In das Ermessen der
Kommunen fällt, weitergehende, mit dem Auftrag zu-
sammenhängende soziale Kriterien einzuführen, was
mehrere Kommunen auch schon gemacht haben, was
aber bisher nicht rechtlich abgesichert war. Das heißt,
die Kommunen haben jetzt wesentlich mehr Rechtssi-
cherheit.
Insofern finde ich, dass der Gesetzentwurf so, wie er
jetzt vorliegt, die gesetzten Ziele erreicht hat. Er schafft
Klarheit nicht nur hinsichtlich der Frage der Kosten,
sondern auch in Bezug auf die erbrachten Leistungen
und die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, und
macht damit deutlich, dass es richtig ist, die
260 Milliarden Euro einzusetzen. Deswegen werde ich
diesem Gesetzentwurf von ganzem Herzen zustimmen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Moderni-
sierung des Vergaberechts. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/11428, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10117 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei
Zustimmung durch die Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Bera-
tung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 16/11437? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zu-
stimmung durch die einbringende Fraktion und die Frak-
tion Die Linke gegen die Stimmen des übrigen Hauses.
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Ich freue mich sehr, dass ich als erster Redner und si-
cherlich im Namen aller den Botschafter Südkoreas mit
einer Delegation hier begrüßen darf.
Ich finde es sehr schön, dass Sie diese Debatte zum An-
lass genommen haben, hierherzukommen. Ich sehe auch
einen Mitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung. Herzlich
willkommen! Sie haben für uns in Südkorea ein wirklich
gutes Programm organisiert. Ich darf auch Sie aus-
nahmsweise begrüßen. Herzlichen Dank, dass Sie da
sind!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausgangspunkt die-
ser bilateralen Beziehungen war die Unterzeichnung des
deutsch-koreanischen Handels-, Schifffahrts- und Freund-
schaftsvertrages am 26. November 1883, übrigens ein
Jahr bevor mit dem Bau dieses Gebäudes hier begonnen
wurde. Es ist also wirklich ein langer Zeitraum.
Diese Kontakte haben sich dann insbesondere nach
dem Koreakrieg hervorragend weiterentwickelt. Dies si-
gnalisiert, dass unsere beiden Länder in der Geschichte
viele Gemeinsamkeiten hatten: die Teilung unserer Län-
der und die Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges und des
Koreakrieges. Die Teilung Koreas als ein Opferland ist
noch schwerer nachzuvollziehen gewesen. Sie ist sicher-
lich auch noch heute schwer nachvollziehbar, wenn man
die dortige Situation mit der in Deutschland vergleicht,
die sich mit der Wiedervereinigung unseres Landes er-
heblich verändert hat.
Die diplomatischen Beziehungen zum anderen Teil
Koreas, zur Demokratischen Volksrepublik, wurden im
Jahre 2001 aufgenommen, übrigens mit deutlicher Un-
terstützung und mit viel politischer Sympathie Südko-
reas.
Da ich mich sehr stark mit Entwicklungspolitik aus-
einandergesetzt habe, stelle ich gerne einen Vergleich
zwischen Ghana und Südkorea her. Vor 35 bis 40 Jahren
waren beide Länder auf dem gleichen Niveau in Bezug
auf das Bruttosozialprodukt. Wenn man sich anschaut,
wie sich unser Partnerland Südkorea, das ungünstigere
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Es wäre sehr schön, wenn die grundlegenden ILO-Kon-
ventionen in Südkorea akzeptiert werden würden.
Interessant ist aber – das ist dann schon wieder ein
gutes Beispiel für uns –, dass dieses Land für Forschung
und Entwicklung über 3 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes ausgibt. Hier sieht man also auch den Anspruch,
sich weiterzuentwickeln.
Wo sind die gemeinsamen Ziele und Herausforderun-
gen für Deutschland und Korea? Ich glaube, dass die
Eckpunkte koreanischer Außenpolitik durchaus auch un-
sere Interessen mit betreffen, wenn das Land die Schar-
nierfunktion zwischen China, Japan und den USA wahr-
nehmen möchte, wenn der wichtigste Handelspartner
China in diese Politik einbezogen wird und hier eine
Partnerschaft und keine Gegnerschaft entwickelt wird.
Es ist völlig akzeptabel und dem Anspruch des Landes
angemessen, wenn Südkorea mehr Verantworung in den
Weltwirtschaftsinstitutionen wahrnehmen möchte. Wir
sollten dies von deutscher Seite aus auch partnerschaft-
lich unterstützen.
Ich finde es gut, dass sich Südkorea – das ist auch in
unserem Interesse – einem effektiven Multilateralismus
öffnet und seine Politik darauf ausrichtet, in dieser Welt-
gemeinschaft mitzumachen und nicht als isolierte Kraft
wirken zu wollen. Deswegen ist es wirklich interessant
und anerkennenswert, dass Südkorea zum Beispiel bei
der Unterstützung der UN-Einsätze an zehnter Stelle
steht. Das ist ein Zeichen dafür, dass hier nicht nur Lip-
penbekenntnisse abgegeben werden, sondern dass hier
konkrete Politik umgesetzt wird.
Beim Klimawandel ist die verstärkte Zusammenarbeit
angekündigt worden. Auch besteht eine breite Überein-
stimmung.
Die Fortentwicklung der Sechs-Parteien-Gespräche
zu einem nordasiatischen Friedens- und Sicherheitsme-
chanismus findet unsere Zustimmung und unsere Unter-
stützung. Für diese Region kann es nichts Besseres ge-
ben als eine Verständigungspolitik in diesem Bereich.
Es gibt schwierige Themen wie beispielsweise die
Todesstrafe. Da wird man sicherlich weiter diskutieren
müssen, dass man Positionen wie die unserigen über-
nimmt. Aber ich glaube, diese Themen müssen wir im
Augenblick nicht so betonen, weil das auch innere Pro-
zesse sind, die in Zukunft noch in Südkorea laufen wer-
den.
Vielleicht noch einmal ein Blick auf die Wiederverei-
nigung, auf die Politik zwischen Südkorea und Nordko-
rea. Denn an einem solchen Tag kann man Nordkorea
nicht ausblenden, obwohl das, was ich zu den Kontakten
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Ich möchte noch einen kurzen Blick auf die kulturel-
en Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Korea
erfen. Ich möchte die letzten beiden Minuten meiner
edezeit den Menschen widmen, die zu uns gekommen
ind. In unserem Land leben über 30 000 Koreanerinnen
nd Koreaner. Ich habe das große Glück, eine koreani-
che Schwägerin zu haben. In meiner Nachbarschaft le-
en Koreaner, die hervorragend integriert sind. Ich will
ier noch einmal ganz deutlich unterstreichen: Diese
enschen, zum Beispiel Krankenschwestern und Berg-
eute, sind auf unsere Bitte vor 30 bis 35 Jahren hierher-
ekommen. Sie haben sich wertvoll eingebracht. Wer
iese Menschen erlebt, die viel Fleiß aufbringen, die die
ähigkeit besitzen, sich hier zu behaupten, die die Fähig-
eit haben, aus ihrer Lebenssituation etwas Optimales zu
achen und sich zu integrieren, ohne dabei ihre Wur-
eln, Korea, zu vergessen, der kann eigentlich nur sagen:
la bonne heure!
ch bin immer wieder begeistert und freue mich über
eine Schwägerin, die kulturell sehr aktiv ist. Sie kann
ie deutsche, die europäische und die koreanische Kultur
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21395
)
)
Detlef Dzembritzki
unwahrscheinlich gut vernetzen. Das ist ein Geschenk
für uns.
Ein weiteres Geschenk – Weihnachten steht vor der
Tür – ist die Deutsch-Koreanische Parlamentarier-
gruppe. Lieber Herr Koschyk, lieber Herr Parr, lieber
Herr Hettlich, ich möchte mich ganz herzlich für das
parteiübergreifende Engagement bedanken. In großer
Kollegialität arbeiten wir untereinander, aber auch mit
unseren süd- und nordkoreanischen Partnern zusammen.
Das bringt Profit für alle. Das ist ein Geben und Neh-
men. Ich denke, das ist ein Beispiel für internationale
Politik, für Kollegialität nicht nur über die Parteigren-
zen, sondern generell über Grenzen hinweg. Dafür ein
herzliches Dankeschön.
Deswegen kann ich euch allen fröhliche Weihnachten
wünschen.
Jetzt spricht der Kollege Detlef Parr für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist in der Tat ein Geschenk, dass wir heute hier debat-
tieren dürfen. Ich freue mich besonders darüber, weil ich
in diesem Jahr Gelegenheit hatte, sowohl Südkorea als
auch Nordkorea einen Besuch abzustatten.
So unterschiedlich die politischen und wirtschaftli-
chen Rahmenbedingungen in beiden Teilen Koreas sind,
eines ist bemerkenswert: das Deutschland entgegenge-
brachte Vertrauen und die gegenseitige Wertschätzung.
In der Tat können wir mittlerweile auf eine 125-jährige
Zusammenarbeit zurückblicken. Das ist der Anlass für
die heutige Aussprache. Es geht hier aber nicht darum,
einen formalen Akt zu würdigen, sondern um die Frage,
was sich im Laufe der Jahre, vor allem seit den Zeiten
der Demokratisierung des Südens und der weitgehenden
Isolation des Nordens, verändert hat. Der Handelsvertrag
wurde Schritt für Schritt mit Leben erfüllt. Südkorea hat
sich durch eine bewundernswerte Kraftanstrengung zu
einer führenden Wirtschaftsmacht in der Welt entwi-
ckelt.
Vor wenigen Tagen haben wir in einem Festakt in der
PG die stetig gewachsenen guten Beziehungen gewür-
digt. Längst hat sich aus der sachlichen Diplomatie
manch persönliche Freundschaft entwickelt.
Unsere Beziehungen leben dank der unermüdlichen
Unterstützung unserer Botschaften. Ich freue mich sehr,
dass Sie, Herr Botschafter Exzellenz Choi und Ihre Be-
gleitung, uns heute die Ehre erweisen, der Debatte hier
persönlich zu folgen.
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ber auch auf die sehr gute Zusammenarbeit aller Stif-
ungen in Seoul und Pjöngjang. Herzlichen Dank, Herr
eliger.
Unsere beiden Länder verbindet das Schicksal jahr-
ehntelanger Teilung. Die Menschen in unserem Land
aben sie überwunden. Der Weg war lang. Korea befin-
et sich noch auf diesem Weg. Wir wollen mit unseren
rfahrungen Wegbegleiter sein. Wir erinnern uns an den
alten Krieg in Europa, an den langen Atem der Ent-
pannungspolitik, wesentlich getragen von unseren libe-
alen Außenministern Walter Scheel, Hans-Dietrich
enscher und Klaus Kinkel. Wir erinnern uns an die Pa-
allele der Sonnenscheinpolitik des Präsidenten Kim
ae-jung, der dafür den Friedensnobelpreis erhielt.
Wir blicken heute mit Sorge auf die koreanische
albinsel und wünschen uns Ergebnisse bei Verhandlun-
en, die dem Spuk der Atomwaffen endlich ein Ende
achen.
er – wie wir Mitglieder der Deutsch-Koreanischen
arlamentariergruppe – häufig die Menschen in Süd-
nd Nordkorea trifft, weiß: Sie haben diesen Frieden
ängst verdient.
ie haben den Ausbau und die Weiterentwicklung von
onderwirtschaftszonen wie Kaesong verdient, in denen
ich die Leistungsfähigkeit südkoreanischer, aber auch
eutscher Wirtschaftsunternehmen mit den Potenzialen
ordkoreanischer Arbeitnehmer vereint. Sie haben eine
ürdigung des kulturellen Erbes verdient. Eine Restau-
ierung der bemerkenswert vollständig erhaltenen Alt-
tadt im grenznahen Kaesong könnte touristisch starke
nziehungskraft ausüben. Sie haben auch die Fortent-
icklung der Möglichkeiten zwischenmenschlicher Be-
egnungen verdient. Wir erinnern uns an die Treffen
angjährig voneinander getrennter Familien; erschüt-
ernde Bilder davon gingen damals um die Welt. Diese
ilder dürfen keine Ausnahmen bleiben, sie müssen zur
ormalität werden.
21396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Detlef Parr
Wir wollen einen Beitrag zur Überwindung der
Sprachlosigkeit zwischen Nord- und Südkorea leisten.
Bei unseren Begegnungen konnte ich feststellen, dass
der Friedensprozess in Europa auf beiden Seiten der un-
natürlichen Grenze des Landes genauestens studiert
wurde. Er spielt sowohl in der akademischen als auch in
der politischen Diskussion eine große Rolle. Wir in
Deutschland wissen, dass die deutsche Teilung nur durch
einen ständigen Dialog überwunden werden konnte.
Beide Seiten Koreas müssen möglichst bald zum Ver-
handlungstisch zurückkehren,
und sie müssen versuchen, Lösungen zu entwickeln, die
der Vertrauensbildung dienen.
Das Angebot des südkoreanischen Präsidenten, Lee
Myung-bak, mit Nordkorea über die Implementierung
aller bisherigen gemeinsamen Erklärungen, vor allem
der Erklärungen der beiden Gipfeltreffen vom Juni 2000
und Oktober 2007, zu verhandeln, bietet die Gelegenheit
zur konstruktiven Zusammenarbeit. Ich bin der festen
Überzeugung, dass sich mit der Lösung der Nuklear-
frage Vertrauen und Kooperation schnell wieder einfin-
den werden. So weit die große Politik.
Im Kleinen: Wollen wir unsere Beziehungen und un-
ser wechselseitiges Verständnis vorantreiben, müssen
wir unsere Jugend durch verstärkten Schüler-, Jugend-
und Studierendenaustausch erreichen. Die PISA-Studie
spricht eine deutliche Sprache: Dynamic Korea liegt
vorne. Es ist in vielem ein Vorbild. Wir werden uns ge-
meinsam Gedanken auch darüber machen müssen, auf
welchen Wegen und zu welchem Preis wir unsere Kin-
der, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Höchst-
leistung bringen wollen, wie wir sie in eine Gesellschaft
führen wollen, die lebens- und liebenswert und zugleich
leistungsfähig ist.
Ich komme zum Schluss. Wir stehen vor vielen ge-
meinsamen Herausforderungen. Aktuell trifft die Finanz-
und Wirtschaftskrise Korea und Deutschland als export-
abhängige Volkswirtschaften im gleichen Maße. Umso
wichtiger ist es, dass die Verhandlungen über ein Frei-
handelsabkommen zwischen der Republik Korea und
Europa zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wer-
den. Wir freuen uns darüber, dass Korea zu einem unver-
zichtbaren Partner in der internationalen Staatengemein-
schaft geworden ist und als zwölftgrößte Industrienation
eine zunehmend stärkere Rolle in der internationalen
entwicklungs- und sicherheitspolitischen Zusammenar-
beit spielt.
In Erinnerung an die Bergarbeiter – Detlef, du hast sie
erwähnt – möchte ich mit einem herzlichen „Glückauf!“
für unsere gemeinsame Zukunft schließen.
Ich danke Ihnen.
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Der Kollege Hartmut Koschyk hat jetzt für die CDU/
SU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Staatsminister im Auswärtigen Amt, es ist schön,
ass unser Hohes Haus in dieser Debatte am Ende des
itzungsjahres diesen Bereich der deutschen Außenpoli-
ik und unserer bilateralen Beziehungen in den Mittel-
unkt rückt.
Viele in Deutschland, die sich mit diesem Thema nä-
er beschäftigen, wissen, wie wichtig die Beziehungen
wischen Deutschland und Korea sind. Dabei geht es
icht nur um die Beziehungen Deutschlands zum demo-
ratischen Südkorea. Es ist daran erinnert worden, dass
ir seit dem Jahr 2001 auf Wunsch des damaligen süd-
oreanischen Präsidenten Kim Dae-jung auch Beziehun-
en zu Nordkorea haben.
Es ist auch schön, dass wir das 125-jährige Jubiläum
es deutsch-koreanischen Freundschafts-, Handels- und
chifffahrtsvertrages – auch daran ist schon erinnert
orden – gemeinsam mit unserem Bundestagspräsiden-
en, dem südkoreanischen Botschafter und Abgeordne-
en der südkoreanischen Nationalversammlung hier in
erlin feiern konnten. Wir wollen uns aber auch der Ge-
enwart und der Zukunft unserer Beziehungen zuwen-
en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war immer
echselseitiges Interesse, wechselseitige Neugier und
egenseitige Bereicherung, die unsere Beziehungen aus-
emacht haben. Als sich Korea öffnete, waren es deut-
che Kaufleute, deutsche Diplomaten, der Benediktiner-
rden und Kulturschaffende, die dieses Land bereist und
ereichert haben. Aber auch wir in Deutschland verdan-
en Koreanern große Bereicherung. An die Rolle der
rankenschwestern und Bergarbeiter, die in Deutsch-
and übrigens teilweise einen fantastischen Bildungsauf-
tieg geschafft haben, ist bereits erinnert worden.
Ich habe einmal einen ehemaligen südkoreanischen
ildungs- und Erziehungsminister kennengelernt. Er
ar in Deutschland Bergarbeiter, hat hier Erziehungs-
issenschaften studiert, ist dann als Erziehungswissen-
chaftler nach Korea zurückgekehrt und ist Bildungs-
nd Erziehungsminister seines Landes geworden; er hat
brigens eine schöne Biografie mit dem Titel Vom Berg-
rbeiter zum Erziehungsminister geschrieben. Auch der
ildungsaufstieg durch gelungene Integration der Bür-
er mit Migrationshintergrund gehört zu unseren Bezie-
ungen.
Ich glaube, es ist wichtig, deutlich zu machen, dass
ieses Interesse Deutschlands an Korea auch die Phase
er Teilung überdauert hat. Wie sich Südkorea sehr stark
n der damaligen Bundesrepublik orientiert hat, so hat es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21397
)
)
Hartmut Koschyk
auch eine starke Hinwendung Nordkoreas zur DDR ge-
geben. Es ist für uns, die wir als Mitglieder der Parla-
mentariergruppe auch den Norden Koreas bereisen, im-
mer wieder sehr beeindruckend, dass wir dort viele
Persönlichkeiten treffen, die aufgrund einer Aus- oder
Fortbildung in der DDR hervorragend Deutsch sprechen,
vom Parlamentspräsidenten bis hin zu Persönlichkeiten,
die in Staatsunternehmen oder in der Staatsverwaltung
tätig sind. Auch das ist ein Erbe unserer Beziehungen,
das wir für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung nut-
zen sollten.
Ich will ganz deutlich sagen: Nicht nur im Süden,
sondern auch im Norden Koreas sind die Erwartungen
groß, dass Deutschland und die Europäische Union den
Prozess der Annährung auf der koreanischen Halbinsel,
eingeleitet vor allem durch China und die Sechs-Par-
teien-Gespräche, aktiv begleiten. Ich glaube, es ist rich-
tig und im deutschen Interesse, dass wir unsere Bereit-
schaft bekunden, uns zu engagieren, dass wir aber auch
deutlich machen, dass Deutschland keine Vermittler-
rolle,
wohl aber die Rolle eines ehrlichen Ratgebers spielen
kann.
Was heißt „ehrlicher Ratgeber“? Wir haben Erfahrun-
gen, wie man den Ost-West-Gegensatz, die Konfronta-
tion, durch vertrauensbildende Maßnahmen, wie den
KSZE-Prozess, überwinden konnte. Ich finde es sehr in-
teressant, dass es heute bei allen Verantwortlichen der
Sechs-Parteien-Gespräche, bei den Chinesen, bei den Ja-
panern, bei den Russen, bei beiden koreanischen Staaten
und – darüber freuen wir uns besonders – auch auf der
amerikanischen Seite, neben dem in erster Linie vorhan-
denen Interesse, durch die Sechs-Parteien-Gespräche das
Nuklearproblem zu lösen, auch ein großes Interesse da-
ran gibt, diese Gespräche in einen multilateralen Dialog-
prozess über Sicherheit, Zusammenarbeit und Wohl-
standsentwicklung in Nordostasien zu überführen. Man
beschäftigt sich in den Sechs-Parteien-Gesprächen be-
reits auch mit den Erfahrungen im Rahmen des KSZE-
Prozesses in Europa.
Das bedeutet für Deutschland und Europa natürlich
die Verantwortung, diesen Prozess zu begleiten; denn es
war ja kein Zufall, dass Kim Dae-jung seine Rede an der
Freien Universität in Berlin gehalten hat, eine Rede,
durch die der Prozess der Annäherung gegenüber dem
Norden und des historischen Gipfels von Pjöngjang ein-
geleitet wurde. Auch zur teilweisen Beendigung der Eis-
zeit und Gesprächslosigkeit zwischen den USA und
Nordkorea kam es in Berlin, und zwar im Januar 2007.
Es waren die Nordkoreaner, die den Amerikanern gesagt
haben, dass sie diese Gespräche in Berlin führen wollen.
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n der Endphase der Bush-Administration gibt es jetzt
ine gewisse Annäherung und eine Entspannung zwi-
chen den USA und der nordkoreanischen Seite.
Wir alle hoffen und wünschen, dass der künftige ame-
ikanische Präsident Barack Obama eine konstruktive
nd aktive Politik in Nordostasien betreibt. Es geht uns
ichts an, wen die Amerikaner mit dieser Mission be-
rauen, aber ich will schon sagen: Die Politik und die Di-
lomatie, die Christopher Hill in dieser Frage betrieben
at, sind anerkennenswert, bemerkenswert und haben zu
en Erfolgen bei der amerikanisch-nordkoreanischen
nnäherung in der Schlussphase der Bush-Administra-
ion geführt.
Wir wünschen, dass dieser Prozess weitergeht.
eutschland und die Europäische Union begleiten ihn
ktiv als ehrliche Ratgeber und Impulsgeber. Wir wollen
nsere Erfahrungen vermitteln.
Liebe Freunde, ich sage das sehr deutlich, gerade
uch in einer Phase, in der uns die Menschen schon auch
ach dem Nutzen der Außenpolitik und Diplomatie für
ie Arbeitsplätze und die Wirtschaftsentwicklung in
eutschland fragen: Wir als Bundesrepublik Deutsch-
and haben gemeinsam mit der Europäischen Union auch
ußenwirtschaftsinteressen in Nordostasien.
eshalb ist es klug und richtig, dass die Europäische
nion mit Südkorea über ein Freihandelsabkommen ver-
andelt.
Das sind schwierige Fragen, die durch die Wirkungen
er Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft nicht einfa-
her geworden sind. Es muss aber unser Appell heute
ein – das steht auch in unserem Antrag –, in diesen Be-
ühungen um ein Freihandelsabkommen zwischen der
uropäischen Union und Südkorea nicht nachzulassen.
Dabei wird es eine spannende Frage sein, wie man
öglicherweise das Industriegebiet Kaesong mit einbe-
iehen kann; denn das ist schon ein interessantes Projekt;
err Kollege Dzembritzki hat es angesprochen. Auch
ollege Parr hat davon gesprochen, dass auf nordkorea-
ischem Boden ein nach modernsten Maßstäben organi-
iertes Industriegebiet gebaut worden ist, in dem jetzt
uch ein deutsches Unternehmen tätig ist. Dass von die-
em Kaesong-Projekt und weiteren Projekten auch kul-
urelle Wirkungen und Begegnungen durch Tourismus
nd Annährung ausgehen, ist vorgezeichnet.
Wir können nur hoffen und wünschen, dass auch die
nnerkoreanische Annäherung weitergeht. Vielleicht
ann auch durch eine diplomatische Offensive des neuen
merikanischen Präsidenten wieder ein Stück Bewegung
n den innerkoreanischen Dialog gebracht werden. Wir
ls Deutsche und Europäer sollten dies aktiv begleiten.
ir haben dort Außenwirtschaftsinteressen, aber wir be-
21398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Hartmut Koschyk
merken auch ein großes Interesse am Ausbau unserer
kulturellen Beziehungen.
Wenn man sich die deutsch-koreanischen Beziehun-
gen im 125. Jahr ihres offiziellen Bestehens ansieht,
dann sieht man, dass alle Säulen der deutschen Außen-
politik dort hervorragend funktionieren. Wir haben rege
diplomatisch-politische Kontakte. Die wechselseitigen
Wirtschaftsbeziehungen funktionieren gut. Es war auch
wichtig, dass in diesem Jahr eine Delegation des Ost-
asiatischen Vereins der deutschen Wirtschaft Nordkorea
besucht hat, um Möglichkeiten wirtschaftlicher Koope-
ration mit Nordkorea auszuloten. Das, was das Goethe-
Institut, die politischen Stiftungen und auch andere Mitt-
ler in der auswärtigen Kulturpolitik in Süd- wie in Nord-
korea leisten, ist bemerkenswert.
Wir können stolz darauf sein, dass deutsche Kultur-
politik, politische Stiftungen aus Deutschland, die Kir-
chen aus Deutschland viel zum Demokratisierungspro-
zess in Südkorea beigetragen haben.
Wir können stolz darauf sein, wie heute politische Stif-
tungen, das Goethe-Institut, die Kirchen, aber auch hu-
manitäre Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe
und das Deutsche Rote Kreuz helfen, die schwierige Le-
benssituation der Menschen in Nordkorea zu lindern.
Dies alles gilt es jetzt mit Impulsen zu versehen. Wir
haben den Festakt am 4. Dezember, lieber Kollege Parr,
lieber Kollege Hettlich, lieber Kollege Dzembritzki, als
Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe mit unserem
Parlamentspräsidenten, der in diesem Jahr Südkorea be-
sucht hat, gefeiert. Schon der Besuch unseres Bundes-
tagspräsidenten in Korea hat ein ganz interessantes Folge-
projekt nach sich gezogen. Der gegenwärtige südkorea-
nische Parlamentspräsident hat eine Diskussion über
eine Weiterentwicklung der koreanischen Verfassung an-
gestoßen.
Es war schon eine Delegation einer vom südkoreani-
schen Parlamentspräsidenten eingesetzten Kommission
unter unserem früheren koreanischen Kollegen Kim
Chong-in, der lange Vorsitzender der Parlamentarier-
gruppe war und jetzt diese Kommission im Auftrag des
südkoreanischen Parlamentspräsidenten leitet, zu Be-
such. Dort ist man sehr an den Ergebnissen unserer
Föderalismusreform I interessiert, an allem, was wir an
Verfassungsinnovationsprozessen nach und im Zuge der
deutschen Wiedervereinigung gestaltet haben. Der Kol-
lege im südkoreanischen Parlament, der dort jetzt die
Parlamentariergruppe leitet, war nach der deutschen
Wiedervereinigung als damaliger Staatsanwalt über ein
Jahr im Bundesjustizministerium, um den Rechtsset-
zungsprozess im wiedervereinigten Deutschland zu stu-
dieren.
Auch Symbolik ist wichtig. Was mir an dem Festakt,
den wir in der Deutschen Parlamentarischen Gesell-
schaft vor kurzem feiern konnten, besonders gefallen
hat: Junge koreanische Künstlerinnen, junge deutsche
Künstler, ein junger amerikanischer Komponist, der in
Peking lebt, in China arbeitet, haben dort nicht nur tradi-
tionelle deutsche bzw. traditionelle koreanische Kunst,
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Der Kollege Wolfgang Gehrcke hat jetzt für die Frak-
ion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ch hätte fast gesagt: Wir sind jetzt unter uns und reden
ffen über die Dinge. – Kollege Koschyk, Ihre Bitte an
ie Fraktionen des Hauses nehme ich sofort auf: Die
inke wird diesem Antrag zustimmen. Der Antrag ist
auber. Er ist in der Sprache vernünftig und maßvoll. Er
st vernünftig in der Politik.
Eine Frage bleibt aber für mich offen – nehmen Sie
ir einen gewissen Groll nicht übel –: Warum schaffen
ir es nicht, im Vorfeld über so etwas miteinander zu re-
en?
ind unsere ideologischen Differenzen so groß, dass wir
olche Fragen, in denen wir uns im Wesentlichen einig
ind, nicht zusammen angehen können?
Sie wollten Signale in Richtung beider Koreas setzen.
äre es nicht ein überzeugenderes Signal gewesen,
enn wir diesen Antrag gemeinsam erarbeitet hätten?
as alles hat mich aber in meiner Entscheidung nicht
eiter verunsichert. Der Antrag ist gut. Deswegen wer-
en wir ihm zustimmen. Über Einzelheiten hätte man re-
en können.
Ich fand Ihre Rede im gleichen Geist ebenfalls sehr
ernünftig und maßvoll.
ch hoffe, das schadet Ihnen nicht. Ich müsste mich
chon sehr anstrengen, um etwas zu finden, das ich kriti-
ieren könnte.
Ich möchte auf die Beschreibung von Ihnen eingehen,
ie die deutsche Rolle aussehen kann. Wir sind keine
ermittler, aber wir sind in der Lage, Rat zu geben und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21399
)
)
Wolfgang Gehrcke
Erfahrungen darzustellen, wenn es erwünscht ist. Ich
finde, das ist eine richtige Beschreibung.
Ich möchte einige Punkte aus dem Antrag etwas ver-
tiefen. Ich finde es wichtig, dass Sie in Ihrem Antrag zu
bedenken geben, dass die Erfahrungen, die wir in Europa
mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
gesammelt haben, möglicherweise auch mit Blick auf
die koreanische Halbinsel sinnvoll sind. Ich jedenfalls
denke, dass sie sinnvoll sind.
Wenn wir uns die Grundlagen dieser Konferenz in Er-
innerung rufen, kommen wir schnell zu den Themen
„Wandel durch Annäherung“ und „vertrauensbildende
Maßnahmen“. In diesem Zusammenhang könnte man
die Erfahrung einbringen, dass vertrauensbildende Maß-
nahmen schon im Alltag anfangen sollten.
Sie sprechen in Ihrem Antrag die Nuklearkrise mit
der Vorstellung einer demilitarisierten Halbinsel an, die
sicherlich auf die Zukunft gerichtet ist, und fordern, dass
das Atomprogramm in Nordkorea beendet werden soll,
wie es in den Sechs-Parteien-Gesprächen anvisiert wird.
Sie müssten auch die Frage aufwerfen, ob weiterhin
amerikanische Truppen in Südkorea stationiert bleiben
sollen, die auch über Massenvernichtungsmittel verfü-
gen.
Das alles ist Teil dieses Prozesses. Die Vorstellung,
dass es in einem Brennpunkt, in dem es einen heißen
Krieg gegeben hat, zu einer Demilitarisierung kommen
könnte, finde ich höchst attraktiv. Sie müssen aber be-
rücksichtigen, dass wir diesen Gedanken auch in ande-
ren Regionen der Welt weiterverfolgen und vertiefen
müssen. Das entspricht unserer Politik.
Ich habe ähnlich wie Sie die Erfahrung gemacht, dass
sich der Gedanke der Wiedervereinigung in beiden
koreanischen Staaten – das ist ein schwieriges Thema –
von dem in Deutschland unterscheidet: Er ist sehr viel
tiefer, lebendiger und geschichtlich gesicherter, obwohl
dieses Land Schauplatz eines heißen Krieges war.
Wenn man die Geschichte des Koreakriegs aufmerk-
sam studiert, dann wird man leider feststellen, dass da-
mals die Gefahr eines atomaren Krieges bestand. Auch
das muss uns als Mahnung aus der Geschichte sehr prä-
sent sein.
Zum Schluss will ich noch einen Punkt ansprechen.
Viele Kollegen, gerade Außenpolitiker, kommen immer
wieder auf ihre Sorge zu sprechen, dass Nordkorea
Waffentechnik und Rüstungstechnik exportiert, was in
anderen Teilen der Welt zu Problemen führen kann. Ich
kann das im Einzelnen nicht beurteilen. Aber ich finde
es klüger, Rüstungsexporte nicht zu finanzieren. Ich
würde lieber dafür bezahlen, dass keine Rüstung expor-
tiert wird. Das ist besser, als wenn wir selber im Rüs-
tungsgeschäft mitmischen.
Wenn wir mit Nordkorea weiterkommen wollen, dann
sollten wir in der Politik verstärkt auf Entwicklungszu-
sammenarbeit und Kooperation setzen, damit dieses
Land nicht gezwungen wird, seine Rüstung in andere
Teile der Welt zu exportieren. Auch das könnte eine
Überlegung sein. In diesem Punkt sehe ich eine Diffe-
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Peter Hettlich hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
ie Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Exzel-
enz, Herr Botschafter Choi Jung-Il! Liebe Kolleginnen
nd Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist
mmer schwer, als Letzter zu sprechen, da man vieles
us seinem Manuskript streichen kann, weil Detlef
zembritzki und der Kollege Koschyk bereits darauf
ingewiesen haben. Ich versuche, in den fünf Minuten,
ie mir zur Verfügung stehen, ein paar neue Punkte in
ie Debatte einzubringen.
Ich nehme meine Rede zum Anlass, den Kolleginnen
nd Kollegen aus der Parlamentariergruppe Deutsch-
and-Korea, insbesondere den älteren Kollegen Hartmut
oschyk, Detlef Parr und Johannes Pflug – dieser ist
eute nicht da –, für eine spannende und sehr lehrreiche
usammenarbeit in den vergangenen sechs Jahren zu
anken. Gerade als junger Abgeordneter habe ich von
hnen viel nicht nur über Korea, sondern auch über die
ohe Kunst der Diplomatie lernen können. Die beiden
roßen Koreareisen und die anderen Erlebnisse sind Er-
ahrungen, die ich so schnell nicht vergessen werde, ver-
utlich nie. Dafür mein ganz persönlicher Dank an die
olleginnen und Kollegen!
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich die wichtige
olle der vielen anderen Parlamentariergruppen des
eutschen Bundestages würdigen. Ihre Arbeit blüht lei-
er meistens im Verborgenen. Sie ist aber unverzichtbar
nd wichtig – neben den offiziellen außenpolitischen
ontakten der Bundesregierung und der Parlamente –
ür die Völkerfreundschaft, da sie vielfältige Möglich-
eiten im Kontakt zwischen den jeweiligen Parlamenten
21400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Peter Hettlich
und Parlamentariern bietet. Ihre Bedeutung und Wichtig-
keit wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ein
Gespräch mit den jeweiligen Parlamentariergruppen bei
hochrangigen Staatsbesuchen einen hohen Stellenwert in
den offiziellen Besuchsprogrammen hat. Den Menschen,
die nicht tagtäglich mit dem Deutschen Bundestag zu tun
haben, also die Besucher auf der Zuschauertribüne und
die Zuschauer vor den Fernsehern, will ich deutlich ma-
chen: Hier haben wir eine Perle des Parlamentes. Ich
wünsche mir, dass wir häufiger über solche Themen dis-
kutieren.
Als ich 2002 gefragt wurde, für welche Parlamen-
tariergruppe ich mich entscheide, habe ich mich unter
anderem für die Parlamentariergruppe Deutschland-
Korea entschieden, weil es mich interessierte, wie die Si-
tuation in einem Land ist, das noch geteilt ist. Ich bin
1990 von Köln nach Sachsen gezogen und habe vom ers-
ten Tag an den deutschen Transformationsprozess haut-
nah miterlebt. In der Tat hat mich bei meinen Besuchen
in Korea positiv überrascht, dass eine Wiedervereini-
gung kein Tabuthema ist, weder im Norden noch im Sü-
den. Es wurde immer wieder offensiv angesprochen. Wir
wurden ständig gefragt: Wie habt ihr euren Prozess der
Wiedervereinigung begleitet und erlebt? – Das ist in der
jüngeren deutschen Geschichte ganz anders gewesen. In
der DDR war die Wiedervereinigung ein Tabuthema, das
bei offiziellen Kontakten nicht angesprochen wurde.
Daher waren die Erlebnisse in Korea für mich eine ganz
neue, spannende Erfahrung. Wir wurden auch immer ge-
fragt, ob wir uns eine Wiedervereinigung auf der korea-
nischen Halbinsel vorstellen könnten. Uns verbindet also
vieles, viel mehr als nur der 125. Jahrestag der Auf-
nahme offizieller Beziehungen zwischen Deutschland
und Korea.
Ich warne davor, unsere Erfahrungen mit dem deut-
schen Transformationsprozess zwischen Ost und West
zu verallgemeinern. Wir sollten uns auch davor hüten,
kluge Ratschläge zu geben. Hartmut Koschyk hat recht:
Wir sollten ein ehrlicher Ansprechpartner für Nord- und
Südkorea sein, wenn es darum geht, den Wiedervereini-
gungsprozess zu begleiten und vielleicht konstruktiv zu
unterstützen. Die Koreaner werden vermutlich ab und zu
unseren Rat benötigen. Aber ich rate den Koreanern:
Vertrauen Sie auf Ihre eigenen Stärken! Sie werden in
dem Transformationsprozess, vor dem Sie stehen, Ihre
eigenen Erfahrungen sammeln und Ihre eigenen Fehler
machen müssen. Das werden wir Ihnen nicht ersparen
können.
Für mich ist eine weitere Erfahrung aus der jüngeren
deutschen Geschichte wichtig, die ich gern weitergeben
möchte: Wandel durch Annäherung. Ich kann mich noch
sehr gut daran erinnern, dass das damals, als ich noch
Schüler war, politisch sehr umstritten war. Aber der
KSZE-Prozess und die Entwicklungen, die in den 70er-
Jahren angestoßen worden sind – Hartmut Koschyk hat
darauf hingewiesen –, haben dazu geführt, dass es zu ei-
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Wenn man sich die Große Anfrage und die Antwort
der Bundesregierung darauf anschaut, dann sieht man,
dass wir 2001 einen großen Schritt gemacht haben.
Überall dort, wo seit 2001 rot-grüne Landesregierungen
regiert haben, wurde die Gleichstellung der Lebenspart-
nerschaften auch im Landesrecht vorangebracht. Durch
die Föderalismusreform können mittlerweile auch die
Länder das Beamtenrecht regeln. Das rot-grüne Bremen
war das erste Land, das die Gleichstellung der Lebens-
partnerschaft geregelt hat. Hamburg hat es in den Koali-
tionsvertrag geschrieben. Viele Bundesländer haben
– unabhängig von der politischen Farbe, in der sie regiert
werden – zumindest Schritte in Richtung Gleichstellung
gemacht. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass im
Bund beim Thema Dienstrechtsneuordnungsgesetz, bei
der Neukodifizierung des Beamtenrechts nach der Föde-
ralismusreform, nichts, aber auch gar nichts geschehen
ist, weder beim Familienzuschlag noch bei der Beihilfe
oder der Hinterbliebenenversorgung.
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Mittlerweile laufen wir nicht nur darauf zu, dass die
undesrepublik Deutschland an diesem Punkt nicht vo-
ankommt und sich zum Schlusslicht in Westeuropa ent-
ickelt. Wir sind vielmehr bereits einmal vom Europäi-
chen Gerichtshof verurteilt worden, weil wir in diesem
ereich diskriminierten. Wir haben mit dem Lebenspart-
erschaftsgesetz – das haben wir uns damals unter Rot-
rün auch so gedacht – die gleichen Pflichten wie in der
he geschaffen, die gleichen Trennungsregelungen, das
leiche Unterhaltsrecht, die gleiche Übernahme von so-
ialrechtlicher Verantwortung mit der Auswirkung, dass
an erst dann Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II be-
ommt, wenn der Partner einen nicht unterhalten kann.
etzt muss die Gleichstellung im Einkommensteuerrecht,
ei der Erbschaftsteuer oder im Beamtenrecht folgen.
er Europäische Gerichtshof hat im Fall Maruko gesagt,
eutschland diskriminiere homosexuelle Paare.
Wir müssen uns das einmal vor Augen führen: Das
undesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung
um Lebenspartnerschaftsgesetz gesagt, Art. 6 Grundge-
etz stehe einer Gleichstellung von Lebenspartnerschaf-
en mit der Ehe nicht im Wege, weil diejenigen, die in
iner Lebenspartnerschaft leben, nicht wahlweise an-
onsten in eine Ehe gingen und deshalb der Schutz der
he durch die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften
n keiner Weise tangiert werde.
Das Europarecht besagt: Eine Differenzierung ist nur
ann keine verbotene Diskriminierung, wenn sie zur Er-
eichung eines legitimen Ziels – das wäre der Schutz von
he und Familie durchaus – notwendig, effizient und
erhältnismäßig ist. Aber das Bundesverfassungsgericht
at bereits festgestellt, dass dies nicht notwendig ist. Da-
it ist die Differenzierung beim Steuerrecht und beim
eamtenrecht in europarechtlicher Hinsicht nicht mehr
ulässig, und zwar weder nach den Europäischen Verträ-
en, soweit der Kompetenzbereich berührt ist, noch nach
er Europäischen Menschenrechtskonvention in allen
brigen Fragen.
Warten Sie nicht ab, bis wir hier in Deutschland ein
rteil nach dem anderen kassieren, sondern stellen Sie
ie Lebenspartnerschaften gleich! Es ist jetzt Weihnach-
en, das Fest der Familie. Auch wir Homosexuellen sind
amilie.
21402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Volker Beck
Daniela Raab hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Herr Kollege Beck, Sie haben sehr staatstragend
begonnen und uns fehlenden Respekt vor den homo-
sexuellen Lebenspartnerschaften bzw. vor den Men-
schen vorgeworfen, die homosexuell orientiert sind, und
damit gleich noch fehlendes Demokratieverständnis ver-
binden wollen. Ich bitte Sie, vielleicht nicht ganz so
hoch zu greifen. Das wird dem Thema auch nicht ge-
recht.
Ich bin absolut nicht auf Krawall gebürstet, sondern
weihnachtlich friedlich; ich möchte auch heim zu meiner
Familie, so wie Sie auch. Nichtsdestotrotz müssen wir
uns heute wieder einmal – zum ich weiß nicht wievielten
Male – mit diesem Thema auseinandersetzen.
– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich immer gleich so
aufregen. Bleiben Sie doch einfach einmal ruhig!
Ich glaube, es gibt gar nicht so viel Grund zur Aufre-
gung. Wenn man die 50 Fragen der Großen Anfrage und
die 50 beeindruckenden Antworten gelesen hat, kann
man durchaus feststellen, dass sich einiges bewegt hat,
Herr Beck. Das hätten Sie neben den gewaltigen Zitaten
aus irgendwelchen Urteilen erwähnen dürfen. Es hat sich
natürlich auch in dieser Legislaturperiode, unter dieser
Regierung einiges bewegt.
Ich möchte nur ganz kurz ein paar Beispiele aufzäh-
len; denn jeder kann nachlesen, was ihn interessiert.
Beim Unterhaltsrecht, beim Personenstandsreformge-
setz, bei den Witwenrenten, überall da hat sich einiges
bewegt.
Ich könnte noch vieles mehr nennen. Ich steige jetzt aber
nicht in die Tiefen des Bestattungswesens der einzelnen
Bundesländer ein, wozu Sie einige tiefgehende Fragen
gestellt haben.
– Da gebe ich Ihnen sofort recht. Das waren natürlich
nicht unsere Initiativen; dazu komme ich jetzt.
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Keine Zwischenfragen! Ich will auch heim zu meiner
amilie, Herr Beck. Sie hatten fünf Minuten Zeit, Ihre
einung darzustellen. Üben Sie sich jetzt vor Weihnach-
en in engelsgleicher Geduld und hören Sie mir zu! Vie-
en Dank.
Lieber Herr Kollege Beck,
etzt bleiben Sie einfach ruhig! Es ist ja unerträglich.
Wir sind nach wie vor nicht der Meinung, dass es zu
iner vollständigen Gleichstellung von Ehe und eingetra-
ener Lebenspartnerschaft kommen soll und muss. Das
st die Meinung der Union. Ich weiß, dass wir mit dieser
einung hier nicht mehrheitsfähig sind. Ich nehme mir
rotzdem heraus und nehme mir trotzdem die Freiheit,
iese Meinung weiterhin zu vertreten.
afür lasse ich mich von Ihnen auch nicht an den Pran-
er stellen. Wenn Sie mich dafür beschimpfen, nehme
ch es gern als Kompliment.
ie Leute, die mich zu Hause diesbezüglich unterstüt-
en, werden das auch so sehen.
Sie haben natürlich wieder mal Karlsruhe zitiert, das
rteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz. Natürlich steht
arin: Der Gesetzgeber ist durch Art. 6 nicht gehindert,
leichzustellen. – Er muss aber nicht gleichstellen.
ch gehöre nach wie vor zu der nicht unbedeutenden
raktion derer, die der Meinung sind, dass es ein Ab-
tandsgebot zwischen der Ehe und allen anderen Partner-
chaften, die in diesem Lande gelebt werden, geben
uss. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun.
Nein, das ist keine Diskriminierung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21403
)
)
Daniela Raab
– wie ich vorhin schon gesagt habe: keine Zwischenfra-
gen! –, sondern schlicht und ergreifend eine Andersbe-
handlung von Dingen, die anders sind.
Auch das steht in der Verfassung: Gleiches gleich und
Ungleiches ungleich behandeln.
Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Der Gesetzgeber hat
bewusst die Entscheidung getroffen, in einigen Punkten
gleichzustellen und in einigen Punkten nicht gleichzu-
stellen. Solange die Union an der Regierung beteiligt ist,
wird es eine vollständige Gleichstellung nicht geben.
Was Sie zu irgendwelchen anderen Zeitpunkten machen,
kann ich heute nicht beeinflussen.
Zur Erbschaftsteuer; Sie haben es angesprochen. Hier
sind wir einen Schritt gegangen, den ich persönlich nicht
für möglich gehalten hätte und den ich auch nicht gut
finde. Wir stellen nichteheliche Lebenspartner zum Teil
besser als Geschwister, Nichten und Neffen. Das war für
mich ein ganz starker Grund dafür, herbe Kritik an der
Erbschaftsteuerreform zu üben. Aber so ist es nun ein-
mal: Wir haben uns an dieser Stelle bewegt, bewegen
müssen; das gebe ich zu. Wir haben uns zum Beispiel
jetzt auch in Bayern bewegt. Bisher hat man in Bayern
die eingetragenen Lebenspartnerschaften beim Notar ge-
schlossen. Wir haben uns von der FDP überzeugen las-
sen, dass das in Zukunft beim Standesamt geschehen
soll.
– Herr Kollege, weder bin ich hier überzeugungsfähig,
noch will ich Sie von meiner Meinung überzeugen.
– Natürlich tue ich das. Das ist jetzt der Demokratie-
ansatz: Wenn man anderer Meinung ist, soll man es nicht
sagen dürfen. – Das finde ich sehr interessant, will ich an
dieser Stelle aber nicht weiter vertiefen.
Ich sage Ihnen einfach nur noch einmal: Die Große
Anfrage hat sicherlich aufgedeckt, wo es Differenzen
gibt – man kann sich darüber unterhalten, ob man sie an
der einen oder anderen Stelle überwinden will oder
nicht –, aber sie hat genauso aufgedeckt, dass es an vie-
len Stellen Gleichstellung gegeben hat, unter dieser Ko-
alition und natürlich auch schon davor. Zu allem anderen
können wir gern weiter diskutieren. Ich lasse mich aber
nicht von meiner Grundsatzüberzeugung abbringen, dass
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ir haben das Thema hier vielleicht schon 15-mal de-
attiert. Immer wir beide durften die Fackeln für unsere
raktionen tragen. Ich weiß, dass ich hier keine unbe-
ingt gute Position einnehme. Ich stehe trotzdem zu mei-
er Meinung und bin auch verpflichtet, die Meinung
einer Fraktion in dieser Form wiederzugeben. Wir sind
n einigen Stellen verhandlungsbereit, aber nicht an al-
en von Ihnen gewünschten.
Vielen Dank.
Der Kollege Michael Kauch spricht jetzt für die Frak-
ion der FDP.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ein-
urf des Kollegen enthält einen richtigen Hinweis
Frau Raab, Sie haben es selber angesprochen –: Die
SU/FDP-geführte Bayerische Staatsregierung hat auf
ruck der FDP beschlossen, die Standesämter für das
chließen gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften
u öffnen. Frau Raab, es hat doch gar nicht wehgetan!
ie werden sehen, dass die gesellschaftliche Realität in
ayern weiter ist als das, was die CSU vertritt, und dass
s irgendwann auch in ihrem Interesse sein wird, dass
ir hier zu einer Modernisierung des Rechts kommen.
Wir sollten uns einmal anschauen, wie es in der Welt
ussieht: In Belgien, in Kanada, in Spanien, in Süd-
frika, in Schweden, in Finnland, in Norwegen, in Is-
and, in Dänemark, in Irland, in den Niederlanden, in
roßbritannien und in Neuseeland,
berall dort und in einigen Bundesstaaten der USA gibt
s inzwischen eine vollständige Gleichstellung gleichge-
chlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Die
DU/CSU möchte doch sonst immer, dass Deutschland
n der Weltspitze steht. Daher sollten Sie hier ein Einse-
en haben. Diejenigen Regionen, die tolerant gegenüber
hren Minderheiten sind, sind diejenigen, die in der Welt
rfolgreich sind – auch in der Wirtschaft.
21404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Michael Kauch
Wenn man sich anschaut, wie es mit den Bürgerrech-
ten aussieht, dann erkennt man, dass es natürlich etwas
schwach ist, zu sagen: Mit uns wird es das nicht geben,
weil das halt anders sein muss. Auch was die Union an-
geht, habe ich selten eine so schwache Argumentation
gehört. Ich hätte mich gefreut, wenn hier wenigstens die
Gründe vorgetragen worden wären, weshalb diese
Rechtsinstitute anders behandelt werden müssen; aber da
war völlige Fehlanzeige.
Wenn Sie diese Gründe nämlich benennen würden, dann
würde Ihnen das in der Öffentlichkeit wahrscheinlich
nicht zum Wohle gereichen.
Nehmen Sie sich doch einmal die Länder zum Vor-
bild: Unabhängig von der politischen Couleur haben
mehrere Länder in ihrem Landesrecht eine völlige
Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspart-
nerschaft mit der Ehe entweder schon vollzogen, oder
sie stehen kurz davor. Dazu gehören nicht nur Länder, an
deren Landesregierungen Grüne und FDP beteiligt sind,
sondern auch solche, in denen die CDU regiert: Nieder-
sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Nord-
rhein-Westfalen, Saarland. Überall dort haben wir Fort-
schritte erreichen können. Es wäre an der Zeit, dass die
Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Lockerungsübun-
gen, die in den Ländern bereits durchgeführt werden,
nachvollzieht.
Es geht hier schlichtweg um die Frage, ob Menschen,
die gleiche Pflichten füreinander übernommen haben
– letztendlich zur Entlastung der staatlichen Gemein-
schaft –, die gleichen Rechte bekommen. Wir sagen
ganz klar: Wer gleiche Pflichten hat, der muss auch glei-
che Rechte bekommen.
Das betrifft zum Beispiel das Beamtenrecht. Warum
behandeln wir eigentlich die Mitarbeiter unseres Staates
schlechter als die Mitarbeiter von privaten Unterneh-
men, beispielsweise wenn es um die Hinterbliebenenver-
sorgung geht? In der gesetzlichen Rentenversicherung
gibt es für den hinterbliebenen Lebenspartner einen An-
spruch auf eine Hinterbliebenenversorgung; im Beam-
tenrecht gibt es ihn nicht. Wir haben eine besondere Für-
sorgepflicht gegenüber unseren Beamten; das ist doch
einer der Grundsätze des auch von Ihnen hochgehaltenen
Berufsbeamtentums. Ich möchte Sie auffordern: Sehen
Sie die Menschen, die dahinterstehen! Sehen Sie nicht
nur irgendwelche rechtlichen Konstruktionen!
Was die Adoption angeht, muss man einfach feststel-
len: Es gibt inzwischen viele Kinder, die in gleichge-
schlechtlichen, gerade in lesbischen Lebenspartnerschaf-
ten, aufwachsen. Keine sozialwissenschaftliche Studie,
keine pädagogische Studie gibt Hinweise darauf, dass
diese Kinder schlechter aufwachsen als solche, die in
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Die Bundesministerin Brigitte Zypries hat jetzt das
ort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
en! Zunächst einmal ist es, wie ich denke, verdienst-
oll, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diese An-
rage gestellt hat. Damit wurde uns Gelegenheit
egeben, Bilanz zu ziehen. Das ist ja immer wichtig in
inem Rechtsgebiet, in dem man, wie wir wissen, noch
iniges bewegen muss, weil man nicht alles erreicht hat.
Es ist natürlich wie immer eine Frage des Blickwin-
els. Man kann sagen: Das Glas ist halb voll. Man kann
uch sagen: Das Glas ist halb leer. Ich glaube, ehrlich ge-
agt, dass das Glas hinsichtlich der Gleichstellung ho-
osexueller Lebenspartnerschaften in Deutschland auf
lle Fälle dreiviertel voll ist. Das sollte man ruhig einmal
ürdigen. Richtig ist natürlich auch: Wir haben keines-
egs alles erreicht. Deshalb müssen wir weiter an der
echtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaf-
en arbeiten.
Mit der Antwort auf diese Große Anfrage liegt Ihnen
etzt umfängliches Material vor. Wir haben uns vonsei-
en der Bundesregierung wirklich Mühe gegeben. Das
un wir zwar immer, aber in diesem Falle ist auch auf-
rund der Tatsache, dass die Anfrage so umfänglich war,
ehr viel zusammengetragen worden. Wir haben alle
essorts daran beteiligt. Die Bundesländer haben Er-
enntnisse zugeliefert, und das Auswärtige Amt hat die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21405
)
)
Bundesministerin Brigitte Zypries
Rechtslage in anderen Staaten recherchiert. Das wurde
eben schon freundlicherweise von Herrn Kauch vorge-
tragen.
Wir können, wie ich glaube, insgesamt sagen, dass
wir in 80 bis 90 Prozent der Rechtsgebiete heute die
Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften er-
reicht haben. Das ist die Folge des Lebenspartnerschafts-
gesetzes und des Lebenspartnerschaftsergänzungsgeset-
zes. Ich denke auch, das ist ein bleibendes Verdienst von
Rot-Grün.
Wir haben in der jetzigen Koalition immer darauf ge-
drängt, weiter an diesem Strang zu ziehen und an diesen
Fragen weiterzuarbeiten. Frau Raab hat eben dankens-
werterweise gesagt, dass sie, auch wenn ihr das nicht
leicht gefallen ist, doch einige Sachen mitgemacht hat.
Deswegen wäre es auch falsch, zu sagen, dass man in
dieser Legislaturperiode in diesem Rechtsgebiet nichts
erreicht habe. Ein Bereich ist das Erbschaftsteuerrecht
– das ist eben schon gesagt worden –, daneben gibt es
aber auch das Personenstandsrecht. Wir haben durchge-
setzt, dass die Zuständigkeit des Standesamtes für alle in
ganz Deutschland gilt. Der Deutsche Bundestag hat da-
mit ganz klar deutlich gemacht: Jede Beziehung verdient
die gleiche Anerkennung und den gleichen Respekt, und
deshalb soll auch jede Beziehung vor einem Standesbe-
amten im Rathaus geschlossen werden können.
Es gibt aber natürlich in einigen Bereichen wie dem
Beamtenrecht noch Defizite. Ich möchte gerne noch ein-
mal darauf eingehen – dieses Thema treibt mich um; wir
haben es auch innerhalb des Kabinetts schon einmal the-
matisiert –, dass es juristisch nicht nur um Art. 6 des
Grundgesetzes und um die Gleichstellung von ehelichen
und nichtehelichen Partnerschaften geht, sondern dass es
ja irgendwann auch Probleme in Zusammenhang mit
Art. 3 geben könnte. Die Juristen hier im Hause, insbe-
sondere auf der rechten Seite der Koalitionsfraktionen,
werden mir sicherlich schnell zustimmen können, dass
sich, wenn wir anerkennen, dass es die gesetzliche Wit-
wenrente gibt, schon die Frage stellt, wie lange wir es
insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 3 noch
werden rechtfertigen können, dass verwitwete Lebens-
partner von Beamten keine Pensionsansprüche haben. Es
muss ja die Frage gestattet sein, ob der Lebenssachver-
halt so unterschiedlich ist, dass es eine Legitimation da-
für gibt, bei gesetzlich Versicherten andere Regelungen
vorzusehen als bei Beamtinnen und Beamten. Ich habe
da meine Zweifel. Wie gesagt, das haben wir auch schon
innerhalb des Kabinetts diskutiert.
Herr Beck, das Auswärtige Amt bildet eine Aus-
nahme hinsichtlich der homosexuellen Lebenspartner-
schaften; denn dort gibt es Zulagen.
– Das weiß ich jetzt nicht.
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ber da gibt es auf alle Fälle Sonderregelungen für ho-
osexuelle Partnerschaften. Das müsste man noch ein-
al in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen, in
er das sicherlich steht.
Sie dürfen gerne fragen; aber ich weiß möglicherweise
ie Antwort selber nicht.
Sie können das auch untereinander regeln. Wahr-
cheinlich wird Herr Beck jetzt sagen: „Stimmen Sie mir
u, dass in der Antwort auf die Anfrage Folgendes …“
Stimmen Sie mir zu,
ass das Anliegen der Arbeitsgruppe der homosexuellen
iplomaten im Auswärtigen Amt berechtigt ist, die eine
nverzügliche Gleichstellung fordert? Denn wenn der
artner oder die Partnerin eines homosexuellen Diplo-
aten bei einem auswärtigen Einsatz mitkommt, ist die
ebenssituation von den gleichen finanziellen Probleme
eprägt wie bei den heterosexuellen Paaren, nämlich
icht mehr beschäftigt zu sein, aus dem System hier he-
auszufallen und eine private Auslandskrankenversiche-
ung abschließen zu müssen, was den Diplomaten als
usätzliche finanzielle Last selbstverständlich nicht zu-
umuten ist, und meinen Sie nicht auch, dass die Tatsa-
he, dass wir im Fall des Todes eines entsandten Solda-
en bei Ehepaaren helfen und bei Lebenspartnern so tun,
ls hätten sie nichts miteinander zu tun, ein untragbarer
ustand ist?
Herr Beck, es wäre mir leichter gefallen, Ihnen zuzu-
timmen, wenn Sie sich auf die reinen Fakten beschränkt
ätten. Aber da Sie den Schlenker gemacht haben, dass
s sich um eine finanziell unzumutbare Situation han-
ele, muss ich jetzt etwas zögern, weil ich, ebenso wie
ie, weiß, dass sämtliche Beschäftigten des Auswärtigen
mts, die ins Ausland gehen, eine Auslandszulage be-
ommen und deshalb so schlecht nicht dastehen. Objek-
iv ist es aber natürlich richtig, dass es sich um eine Un-
leichbehandlung handelt. Da stimme ich Ihnen zu; das
ehe auch ich so. Dennoch weise ich darauf hin, dass es
m Auswärtigen Dienst nicht ganz so schlimm ist, wie
ie sagen.
Meine Damen und Herren, Fazit ist – wenigstens in-
oweit kann ich mich einem Teil meiner Vorredner an-
chließen –: Wenn wir sagen, dass Ehepaare und Lebens-
artnerschaften dieselben Verpflichtungen haben, dass
enschen, die zusammenleben, füreinander einstehen,
orgen und Verantwortung übernehmen müssen, dass
uch eine volle Verpflichtung bestehen soll, wenn ein
artner arbeitslos geworden ist oder sonstige Behinde-
21406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
)
)
Bundesministerin Brigitte Zypries
rungen eingetreten sind, dann, finde ich, muss der Staat
auch dieselben Rechte gewähren. Das größte Ärgernis
ist für mich nach wie vor die Frage der steuerlichen
Gleichbehandlung im Hinblick auf die Steuerklassifizie-
rung. Es ist ja heute tatsächlich so, dass homosexuelle
Paare mit einem Kind, die sich verpartnern, steuerlich
schlechter stehen, als wenn sie nicht verpartnert sind.
Diese Situation darf nicht sein. Von daher sehe auch ich
es so, dass wir an diesem Thema weiter arbeiten müssen.
– Danke.
Nach dem verzögerten Applaus hat jetzt die Kollegin
Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die Linke.
Frau Ministerin, das Ende war vielleicht etwas zu ab-
rupt. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsiden-
tin! Frau Raab, zu Ihrer Rede nur so viel: Sie sind direkt
gewählt, und ich frage mich, mit welchem Anspruch Sie
Politik machen.
Unter „demokratisch“ verstehe ich, dass man miteinan-
der in einen Dialog tritt. Aber Sie haben hier gesagt, Sie
wollten sich nicht überzeugen lassen und Sie wollten
auch nicht überzeugen. Sie wollen keinen Dialog. Das
finde ich sehr undemokratisch.
– Hören Sie einmal kurz zu!
Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft als
rechtliches Institut ist mittlerweile nicht nur recht-
lich, sondern auch gesellschaftlich in diesem Land
weitestgehend anerkannt.
So wurde es in einem Vortrag auf der Klausurtagung
Ihrer AG Recht am 25./26. Mai dieses Jahres ausgeführt.
Haben Sie den Vortrag in der Luft zerrupft? Dieses
Thema wird also selbst in Ihrer Fraktion so diskutiert.
Frau Zypries hat in einer Pressemitteilung gesagt:
Eine Gleichbehandlung von homosexuellen und he-
terosexuellen Paaren ist in unserer momentanen
Gesellschaft ein Gebot der Toleranz, der gegenseiti-
gen Achtung und Anerkennung.
So kam es auch heute wieder zum Ausdruck.
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Sicher ist schon viel erreicht worden, aber ein biss-
hen Gleichheit, Halbgleichheit oder Dreiviertelgleich-
eit gibt es nicht. Genauso wenig gibt es nur ein biss-
hen schwanger. Entweder wir haben die Gleichheit,
der wir haben sie nicht. Bis wir sie erreicht haben, wer-
en wir im Bundestag immer wieder darüber sprechen.
em können Sie sich noch x-Mal stellen, bis Sie es leid
ind und die rechtliche Gleichstellung der eingetragenen
ebenspartnerschaft mit der Ehe vollziehen.
Dies betrifft verschiedene Bereiche. Im Steuerrecht,
m Dienstrecht, im Adoptionsrecht, im Ausbildungs-
echt, im Sozialrecht und im Asylrecht bestehen Un-
leichheiten. Das geht aus der Beantwortung der Großen
nfrage eindeutig hervor. Eine Reihe von Dingen muss
m Zuständigkeitsbereich der Länder geklärt werden. Es
st traurig, dass man jahrelang darum kämpfen musste,
ass alle das Recht haben, ihre Lebenspartnerschaft tat-
ächlich beim Standesamt eintragen zu lassen.
Dass es anders geht, hat die rot-rote Regierung in Ber-
in bewiesen. Dort wurde das Beamtenversorgungs- und
besoldungsrecht materiell angepasst, sogar rückwir-
end. Dies gebietet die Richtlinie 2000/78/EG des Euro-
äischen Rates mit der Umsetzungsfrist 27. November
008. Das entspricht einer Politik im Interesse der Men-
chen. Dem müssen wir uns stellen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Abweisen
er Klage gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft
indeutig die Richtung vorgegeben, in die wir gehen sol-
en. Außerdem fällte der Europäische Gerichtshof ein
ichtungsweisendes Urteil in der Sache Maruko gegen
ie Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen. Der
uGH stellte fest, dass dies eine verbotene Diskriminie-
ung sei.
Es ist traurig, dass wir erst dann Änderungen vorneh-
en, wenn uns das europäische Recht dazu verpflichtet.
ir sind doch der Gesetzgeber. Lassen Sie uns offensiv
ein und die Dinge verwirklichen.
Gleiche Pflichten müssen gleiche Rechte nach sich
iehen. Etwas anderes geht nicht und ist im Übrigen un-
emokratisch. Deshalb kämpft eine nicht unerhebliche
nzahl von Abgeordneten dafür. Wir hoffen, dass wir
ie restlichen davon überzeugen können.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21407
)
)
Dr. Barbara Höll
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/11408. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch
die einbringende Fraktion und der Fraktion der FDP bei
Ablehnung durch die Koalition abgelehnt.
Nachtragen muss ich noch, dass Frau Kollegin
Lambrecht ihre Rede zu Protokoll gegeben hat.1)
Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Energieeinspa-
rungsgesetzes
– Drucksachen 16/10290, 16/10331 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 16/11417 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.
Es ist verabredet worden, eine halbe Stunde lang zu
debattieren. – Dagegen erhebt sich offensichtlich kein
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Man ist sich nicht ganz sicher, ob das allgemeine Ge-
brumme in einem gemeinsamen Singen endet, aber ich
würde gern die nächste Debatte eröffnen und der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Karin Roth das Wort ertei-
len.
K
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Heute soll der Deutsche Bundestag mit
der Novellierung des Energieeinsparungsgesetzes einen
wichtigen Tagesordnungspunkt beschließen. Das Ener-
gieeinsparungsgesetz ist ein Eckpfeiler unserer Energie-
einsparpolitik im Gebäudebereich. Auf der Grundlage
dieses Gesetzes werden seit mehr als 30 Jahren die ener-
getischen Anforderungen an die Wärmedämmung und
an die haustechnischen Anlagen für Heizung und Warm-
wasser, für Belüftung und Klimatisierung der Gebäude
festgelegt. Wenn das Gesetz schon drei Jahre nach der
letzten Novellierung wieder geändert werden muss, so
ist dies erforderlich, weil wir auf den Klimawandel und
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–1) Anlage 8
)
)
Nicht nur hier, sondern auch darüber hinaus sollten die
Länder ihre Hausaufgaben machen.
Der federführende Bundestagsausschuss hat zu dem
Regierungsentwurf eine Expertenanhörung durchge-
führt. Ich habe aufgrund der damaligen Diskussion den
Eindruck, dass der Gesetzentwurf, den wir heute bera-
ten, in die richtige Richtung geht.
Die Verabschiedung des Änderungsgesetzes eröffnet
dem Bundesrat nunmehr die Möglichkeit, sich abschlie-
ßend auch mit der Novellierung der Energieeinsparver-
ordnung zu befassen. Ich bitte deshalb um eine breite
Zustimmung dieses Hauses zu dem vorliegenden Ge-
setzentwurf.
Die energetische Sanierung von Bauten ist nicht nur
für den Klimaschutz, sondern auch für die Wirtschaft
und insbesondere für das Handwerk gut. Wir wissen,
dass wir durch unsere energetischen Maßnahmen schon
sehr viel erreicht haben. Aber gerade dadurch, dass wir
jetzt aufgrund der aktuellen Finanzkrise unser Gebäude-
sanierungsprogramm noch einmal aufgestockt haben,
rechnen wir damit, dass auch noch mehr Gebäudesanie-
rungen regional und vor Ort geschehen werden.
Es geht also nicht nur um Ordnungsrecht, es geht vor
allen Dingen um das Thema Anreize, um die Möglich-
keit, Anreize zu geben. Die Bundesregierung hat das ge-
tan, denn das Gebäudesanierungsprogramm und der In-
vestitionspakt von Bund, Ländern und Kommunen bieten
jetzt die Möglichkeit, sich im neuen Jahr noch stärker in
diesem Bereich zu engagieren.
Frau Staatssekretärin, achten Sie bitte auf das Signal.
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Ja. – Wir haben jetzt auch aufgrund des beschlosse-
nen Haushalts die Möglichkeit, den Bereich der Gebäu-
desanierung mit 1,5 Milliarden Euro noch stärker zu un-
terstützen. Im Rahmen des Investitionspaktes haben wir
300 Millionen Euro, und wir haben weitere 150 Millio-
nen Euro für den Bereich der finanzschwachen Gemein-
den.
Von daher ist jetzt insgesamt, denke ich, die Möglich-
keit gegeben, auch im nächsten Jahr zu investieren,
Arbeitsplätze zu sichern und vor allen Dingen den Kli-
maschutz voranzubringen. Deshalb bitte ich um Zustim-
mung zu diesem Gesetz.
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Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass
ie ordnungsrechtlichen Regelungen im Wohngebäude-
ereich sinnvoll sind, solange wir keine Einbeziehung
es Wärme- und Gebäudesektors in den Emissionshan-
el haben. Deshalb müssen wir hier auch mit ordnungs-
echtlichen Vorgaben arbeiten.
Allerdings sind wir der Auffassung, dass die ord-
ungsrechtlichen Vorgaben hier weit über das notwen-
ige Maß hinausschießen und insbesondere bei den
achtspeicherheizungen – das hat die Anhörung sehr
eutlich gezeigt – das Gegenteil von dem bewirken, was
an eigentlich bewirken will.
s mag richtig sein, dass die Nachtspeicherheizungen in
er Ausnutzung der Energie für die Wärmegewinnung
icht effizient sind. Nur, man muss sich die Frage stel-
en: Was passiert denn nun? Wir haben, wenn die Nacht-
peicherheizungen außer Betrieb genommen werden,
ine Vorgabe für Neubauten, 15 Prozent erneuerbare
ärme einzusetzen. Das heißt, man kann davon ausge-
en, dass der größte Teil der Heizungen durch Gashei-
ungen ersetzt wird. Der Brennstoff Gas unterliegt aber
icht dem Emissionshandel, während der Strom, den wir
omentan in den Nachtspeicherheizungen verbrauchen,
ehr wohl dem Emissionshandel und damit der CO2-
bergrenze unterliegt.
Die Anhörung hat sehr deutlich gezeigt – die Bundes-
egierung hat dem nicht widersprochen –, wenn wir die
achtspeicherheizungen außer Betrieb setzen und sie
urch Gasheizungen ersetzen, sinken die CO2-Emissio-
en nicht, sondern sie steigen. Das heißt, die Bundesre-
ierung hat hier etwas gut gemeint, aber das Gegenteil
on dem erreicht, was sie erreichen sollte. Hier wird ein
ür den Klimaschutz negativer Beschluss gefasst.
Im Übrigen, meine Damen und Herren, muss man
ich auch etwas mehr Gedanken darüber machen, wie
ir denn mit intelligenten Netzen die Kraftwerke, die
ir haben, besser ausnutzen können. Zu intelligenten
etzen gehören auch sinnvolle Speichermöglichkeiten.
ir sprechen momentan darüber, dass wir den Wind-
trom in Autos speichern wollen, in Elektroautos. Das ist
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21409
)
)
Michael Kauch
in der Tat eine technologische Option. Wir müssen aber
sehen, wie hier die Batterietechnik hinsichtlich ihrer Ef-
fizienz letztlich aussehen wird. Aber auch Nachtspei-
cherheizungen sind ein Energiespeicher für elektrische
Energie. Deshalb ist es auch unter diesem Gesichtspunkt
der wirtschaftlichen Ausnutzung des Netzes nicht sinn-
voll, hier staatlich vorzuschreiben, dass man sie außer
Betrieb setzt.
Letztendlich wäre es klug, wenn man es den Bürgerin-
nen und Bürgern und den Unternehmen überlassen
würde, ob die technischen Optionen, die wir haben, sinn-
voll und effektiv genutzt werden, und zwar sowohl in
ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu einer Änderung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes sagen, die an den Ge-
setzentwurf angehängt worden ist; auch deshalb finde
ich es bemerkenswert, dass das zuständige Umweltmi-
nisterium nicht vertreten ist.
Wir wollen – darüber ist sich dieses Haus einig –, dass
Biomasse nachhaltig produziert wird, zumindest die Bio-
masse, die wir mit staatlicher Förderung energetisch nut-
zen. Darin sind wir uns einig. Die Frage ist: Wie können
wir das schaffen? In der europäischen Richtlinie für er-
neuerbare Energien und im Erneuerbare-Energien-Ge-
setz sind Nachhaltigkeitskriterien enthalten. Das Pro-
blem ist, dass wir zwar auf dem Papier Kriterien haben,
aber keine Durchführungswege existieren. Es gibt keine
Verordnung dazu, wie ein Produzent nachweisen kann,
dass das Palmöl und das Sojaöl, das er in seinem Block-
heizkraftwerk einsetzt, nachhaltig produziert wurden. Es
ist zwar gut, dass es hierüber einen Streit zwischen der
Bundesregierung und der EU-Kommission gab, diesen
Streit kann man aber nicht auf dem Rücken der Unter-
nehmen austragen, die langfristig investiert haben, um
erneuerbare Energien in den Markt zu bringen.
Deshalb ist es wichtig und notwendig, dass die Über-
gangsregelung, die heute beschlossen werden soll, auch
tatsächlich in Kraft tritt. Ich hätte mir ein vorausschau-
enderes Arbeiten der Bundesregierung gewünscht. Die-
ses Problem ist schließlich nicht erst seit letzter Woche
bekannt, sondern schon seit mehreren Monaten. Die
CDU/CSU – das möchte ich an dieser Stelle lobend er-
wähnen – hat im Bundestag bereits darauf hingewiesen.
Die Bundesregierung hat nicht reagiert. Ich muss aber
auch sagen: Die Grünen hätten dazu beitragen können,
dass dieses Gesetz pünktlich vor Weihnachten noch
durch den Bundesrat hätte kommen können. Sie hätten
nur auf die Fristeinrede verzichten müssen. Das ist leider
nicht geschehen. Wir können davon ausgehen, dass der
Bundesrat der Änderung zustimmt, leider nur rückwir-
kend. Es wäre im Interesse der Unternehmen gewesen,
wenn wir dieser Stelle noch vor Weihnachten Klarheit
gehabt hätten. Aber besser spät als nie. Wir sollten die
Unternehmen nicht in die Insolvenz treiben, indem wir
als Staat in der Vergangenheit schlecht gearbeitet haben.
Vielen Dank.
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öchte ich abschließend sagen: Meiner Fraktion kommt
s darauf an, dass wir die Energieeffizienz weiterhin in
en Mittelpunkt rücken und überall dort, wo es richtig
nd wirtschaftlich vertretbar ist, auf den Einsatz erneuer-
arer Energien statt, wie bisher, auf den Einsatz fossiler
nergien zurückgreifen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill für die Frak-
ion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ie Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erleben
um wiederholten Male einen Heizkostenschock. „Heiz-
osten 30 % rauf!“ lesen wir heute in der Onlineausgabe
er Bild-Zeitung. Die Preissteigerungen der letzten Jahre
aben bereits den Gegenwert von zwei Monatsmieten.
Jetzt kommen die schlechten Nachrichten: Ihr Ener-
ieeinsparungsgesetz, meine Damen und Herren von der
oalition, wird daran kaum etwas ändern. Warum haben
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008 21411
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Hans-Kurt Hill
Sie den Mieterinnen und Mietern für den Fall, dass not-
wendige Energiesanierungsmaßnahmen unterlassen oder
mangelhaft ausgeführt werden, nicht das Recht einge-
räumt, die Miete zu kürzen? Warum haben Sie das nicht
getan? Das fehlt in Ihrem Gesetzentwurf ganz und gar.
Aber wen wundert es? Wer wie die Union von der Immo-
bilienwirtschaft Zuwendungen in Höhe von 430 000 Euro
erhält, wird sich wohl kaum hinter die Mieterinnen und
Mieter stellen.
Wie viel Energie ein Haus wirklich braucht, bleibt
auch weiterhin im Dunkeln. Warum verlangen Sie nicht
endlich für alle Gebäude einen echten Energiepass, der
belegt, wie hoch der Heiz- und Stromkostenbedarf wirk-
lich ist? Damit würde für alle offenkundig, welche Maß-
nahmen zu treffen sind. Damit würden Sie weitere Bau-
und Investitionsmaßnahmen anschieben. Dies würde das
Handwerk stützen und den Geldbeutel schonen und wäre
gut für das Klima. Wir, die Linke, fordern Sie auf, diese
eklatanten Defizite zu beseitigen.
Schaffen Sie endlich faire Bedingungen für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher!
In Ihrem Gesetzentwurf machen Sie zwar gute Vor-
schläge für mehr Wärmeschutz und effizientere Anla-
gentechnik. Aber auch auf diesem Gebiet macht sich in
diesem Entwurf der Einfluss der Immobilienwirtschaft
bemerkbar. So ist zum Beispiel, damit sich die Immobi-
lienwirtschaft keine Sorge über ihre Rendite machen
muss, von Wirtschaftlichkeitsanforderungen die Rede.
Anstatt eine Überprüfung der durchgeführten Effizienz-
maßnahmen durch Fachleute vornehmen zu lassen,
reicht es jetzt aus, eine Erklärung des Eigentümers oder
der Eigentümerin beizubringen, um die Qualität einer
Maßnahme zu belegen. Ich sage Ihnen: Dadurch wird
der Mogelei Tür und Tor geöffnet.
Schon jetzt – wir haben es eben gehört – werden die
Anforderungen teils deutlich unterschritten. Wir sagen:
Behördliche Stichproben und Kontrollen durch Fach-
leute sind auch künftig unerlässlich.
Erwartungsgemäß steht die Unionsfraktion wieder
einmal mit beiden Füßen auf der Bremse, wenn es um
Klimaschutz und bezahlbare Energie geht.
Ich wiederhole es noch einmal: Die Immobilienwirt-
schaft dankt es Ihnen. Ich sage nur: Frohe Weihnachten.
Was auch niemand mitbekommen sollte: Mit dem
Energieeinsparungsgesetz wird nebenbei die Nutzung
von Palmöl in Anlagen zur Verstromung von Biomasse
neu geregelt. Wir wollen nicht, dass mithilfe des erfolg-
reichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit dem Geld
der Bürgerinnen und Bürger die Zerstörung von Urwald
und die Vertreibung von Kleinbauern bezahlt werden.
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Tatsache ist: Erstens. Ein umwelt- und sozialverträgli-
her Anbau von Palmölpflanzen ist nicht machbar.
weitens. Auch durch eine internationale Zertifizierung
ann nicht verhindert werden, dass durch indirekte Ver-
rängung Tropenwälder zerstört werden und sich die so-
ialen Bedingungen für die Kleinbauern vor Ort ver-
chlechtern.
Wir schlagen einen anderen Weg vor: Helfen Sie den
n Schwierigkeiten geratenen Anlagenbetreibern durch
ine technische und finanzielle Hilfe. Damit können sie
hre Anlagen auf die Verbrennung von heimischen
grarölen umstellen. Dadurch würde zusätzlich den
benfalls in Schwierigkeiten geratenen Ölmühlen in
eutschland geholfen werden.
Fazit: Die Regelung der Bundesregierung nützt im
inblick auf den Klimaschutz kaum. Dadurch wird we-
er den einheimischen Energielandwirten noch den Mie-
erinnen und Mietern geholfen. Den Gesetzentwurf müs-
en wir daher als unwirksam ablehnen.
Wie schön war es, als man den Eindruck hatte, sich
uf die Klimakanzlerin verlassen zu können. Ich kann
ber nur noch sagen: Frohe Weihnachten.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
er Kollege Peter Hettlich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Lieber Kollege Kauch, man könnte diese De-
atte über das EnEG überschreiben mit: immer wieder
ristverzicht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft wir
inen Fristverzicht erklärt und gesagt haben: in Gottes
amen, wenn es der Sache dient.
Zu diesem Gesetzentwurf kann ich nur fragen: Wer
at denn die Debatte über das EnEG vor 14 Tagen von
er Tagesordnung gesetzt? – Das war doch die Große
oalition. Warum haben Sie sie von der Tagesordnung
esetzt? – Das haben Sie getan, weil Sie diesen Art. 5 in
en Gesetzentwurf „hineinschleusen“ mussten. Sie haben
s nicht einmal in 14 Tagen geschafft, uns einen ver-
ünftigen Artikel vorzulegen. Das haben Sie Dienstag-
acht getan, sodass wir am Mittwochmorgen im Aus-
chuss kurzfristig entscheiden mussten, was wir damit
achen. Das passt ja auch inhaltlich gar nicht dort hin-
in.
Insofern sage ich Ihnen ganz ehrlich: Heute war die
etzte Gelegenheit, die Debatte über dieses Thema Ener-
ieeinsparungsgesetz zumindest einmal bei Tageslicht
u führen.
21412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
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Peter Hettlich
Ansonsten hätten wir die Reden gestern Abend um
22 Uhr wieder einmal unter Ausschluss der Öffentlich-
keit zu Protokoll gegeben. Mir reicht es mittlerweile mit
dieser Großen Koalition, die vor lauter Kraft eigentlich
nicht gehen können dürfte. Es ärgert mich wirklich, dass
sie nicht einmal in der Lage ist, die elementarsten
Grundsätze in Bezug auf vernünftige Gesetzentwürfe zu
beachten. An dieser Stelle sage ich: Den Schuh ziehe ich
mir nicht an. Es war von Ihnen aber vielleicht auch gar
nicht gewollt, dass ich das tue.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energieeinspa-
rung im Gebäudesektor ist eine der großen zentralen He-
rausforderungen. Die Kollegin Roth hat das eben ja auch
gesagt. Es geht hier um einen erheblichen Bereich im
Wärmesektor, in dem wir noch eine ganze Menge tun
müssen. Ich sage Ihnen aber auch ganz ehrlich: Wir ha-
ben kein Problem an der Spitze. Dort sind wir Welt-
klasse: Plusenergiehaus, Nullenergiehaus. Das alles be-
kommen wir richtig auf die Reihe.
Wir haben ein Problem in der Breite. Schauen Sie
sich einmal die Zahlen an. Hier kommen wir trotz all der
Programme und all unserer ordnungsrechtlichen Maß-
nahmen nicht vom Fleck. Man muss sich einfach nur
einmal die Zahlen des Statistischen Bundesamtes an-
schauen. Sie sehen dann, dass es sogar eine leichte Stei-
gerung beim Energieverbrauch im Bereich der Häuser
gibt. Nur bezogen auf die Quadratmeter gibt es eine Sen-
kung des spezifischen Energieverbrauchs.
Also müssen wir das doch einmal angehen und den Ver-
brauch insgesamt senken. Das ist im Prinzip das, was wir
fordern – sowohl im Ordnungsrecht als auch bei den
Fördermaßnahmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich na-
türlich fragen, warum die Anforderungen in der Energie-
einsparverordnung 2009 gegenüber denen in der Energie-
einsparverordnung 2002 um 30 Prozent verschärft wer-
den und im Jahre 2012 nochmals um 30 Prozent steigen,
obwohl wir doch heute schon wissen, dass es erhebliche
Vollzugsdefizite hinsichtlich der bestehenden Energie-
einsparverordnung gibt.
Der Verband Privater Bauherren – ich zitiere das im-
mer sehr gerne – hat auf einer sehr großen statistischen
Basis festgestellt, dass die Werte auf 50 Prozent der
Energieausweise, die für die Gebäude erstellt wurden,
nicht der Realität entsprechen. 50 Prozent der Gebäude,
die gebaut wurden und Teil dieser statistischen Basis wa-
ren, entsprachen nicht den Regelungen der Energieein-
sparverordnung, und 50 Prozent der Gebäude, die von
uns sogar gefördert werden, entsprechen nicht den För-
derbestimmungen der KfW.
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Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer
Fornahl.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
heute fast das allerletzte Wort, wenn uns nicht die Präsi-
dentin am Ende noch ein frohes Weihnachtsfest wünscht,
wovon ich fest ausgehe.
Lieber Peter Hettlich, wir haben bis 2005 gemeinsam
das eine oder andere Mal noch bis fünf vor zwölf um
Formulierungen gerungen, Gesetzentwürfe und Ände-
rungsanträge eingebracht. Das ist leider in dem Betrieb,
in dem Koalitionen arbeiten müssen, manchmal nicht zu
ändern. Auch hier war das der Fall. Hier gilt: herunter-
kommen, Dampf ablassen, vernünftig miteinander reden
und Lösungen da, wo sie vertretbar sind, gemeinsam be-
schließen.
Ich will zum Energieeinsparungsgesetz einige wenige
Anmerkungen machen. Zu den Voraussetzungen für die
Energieeinsparverordnung, die im Gesetzentwurf stehen,
hat die Frau Staatssekretärin schon gesprochen. Auch
mein Kollege Vogel hat sich dazu ausführlich geäußert.
Darauf kann ich also verzichten. Ich will aber auf das
hinweisen, was die Energieeinsparverordnung, für die
wir jetzt den gesetzlichen Rahmen schaffen, enthält,
nämlich eine Verschärfung der Anforderungen an den
Jahresprimärenergiebedarf für einen Neubau um 30 Pro-
zent und eine Verschärfung der Anforderungen bei der
Modernisierung von Altbauten um ebenfalls 30 Prozent.
Das gilt sowohl für Bauteile als auch für die Gesamteffi-
zienz.
Ich denke, das ist eine deutliche Aufforderung an alle,
sich an diese Regeln zu halten. In diesem Fall können
wir das Einsparpotenzial von circa 40 Prozent im Ge-
bäudebereich erreichen.
Die Anhörung, über die wir in dieser Runde schon dis-
kutiert haben, hat durchaus ergeben, dass das, was wir
hier vorgegeben haben, grundsätzlich vernünftig ist. Ich
weise darauf hin, dass alle Fachleute die Einsparpoten-
ziale hervorgehoben haben.
Das Thema Nachtspeicheröfen ist ausreichend behan-
delt worden. Ich glaube, mit dem Verweis darauf, dass
bis 2020 eine Übergangsregelung gilt und wir danach si-
cherlich völlig andere und effizientere Möglichkeiten
zur Erzeugung von Strom oder auch von Wärme haben
werden, die wir dann im Gebäudebereich nutzen, sind
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Wir müssen den schwarzen Schafen unbedingt auf die
inger klopfen. Denn es geht nicht nur um das Klima,
ondern auch um die vielen Fördermittel, die wir jedes
ahr ausgeben. Das muss verantwortungsvoll geschehen;
enn wir haben nichts zu verschenken.
Der Bundesaußenminister, unser Vizekanzler, hat ges-
ern gesagt: Kluge Gesetze reichen nicht aus. Ein gutes
ewissen macht noch kein gutes Klima. Damit hat er
echt. Ich denke, mit diesem Schlusssatz kann ich das
hema beenden. Wir können hoffen, dass die EnEV bald
ns Gesetzblatt kommt und zur Umsetzung freigegeben
ird.
Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
in angenehmes Weihnachtsfest und ein gutes, interes-
antes und spannendes neues Jahr.
Vielen Dank.
21414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 197. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2008
(C)
(D)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Energieeinsparungsgesetzes. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11417,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 16/10290 und 16/10331 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/11417 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Uni-
onsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/11438. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –
Das ist nicht der Fall. Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der antragstellenden
FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
aber natürlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern des Hauses sowie den Bürgerinnen und Bürgern, die
unserer Debatte beigewohnt haben, frohe Weihnachten,
und kommen Sie gut in das Jahr 2009.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 21. Januar 2009, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.