Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste So-
malias auf Grundlage des Seerechtsüberein-
kommens der Vereinten Nationen von 1982
und der Resolutionen 1814 vom 15. Mai
2008, 1816 vom 2. Juni 2008, 1838
vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom
2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolu-
tionen des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen in Verbindung mit der Gemeinsamen
Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi-
schen Union vom 10. November 2008
– Drucksache 16/11337 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
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Redet
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Bundesminister Frank-Walter
Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten D
Herren! So wenig wie Sie hätte ich gedach
hier, im Deutschen Bundestag, einmal eine
Die Europäische Union, auch Deutschland, hat sich
ntschlossen zu handeln. Die Operation „Atalanta“ soll
en Transport humanitärer Hilfsleistungen nach Somalia
chützen und den zivilen Schiffsverkehr in der Region
ichern. Somalia gehört – das wissen Sie – zu den größ-
en humanitären Krisengebieten der Welt. Fast 1 Million
enschen ist innerhalb des Landes auf der Flucht. Ins-
esamt sind mehr als 3 Millionen Menschen auf Hilfe
on außen angewiesen, und das umso stärker, je weiter
ext
sich die Seeräuberei in der Region ausbreitet. Wir haben
in den letzten Monaten erfahren müssen, dass die Ver-
sorgung vor allen Dingen deshalb schwierig wird, weil
die humanitären Hilfen, die über das World Food Pro-
gramme geliefert werden, zu 90 Prozent auf dem See-
weg kommen. Gerade diese Schiffe werden angegriffen.
Reeder weigern sich mittlerweile, Schiffe an dieses
Welternährungsprogramm zu verchartern, wenn ein mili-
tärischer Schutz dieser Schiffe beim Anlaufen der Häfen
nicht gesichert ist.
Meine Damen und Herren, „Atalanta“ soll auch die
Sicherheit der zivilen Schifffahrt in der Region verbes-
ben auch wir Deutsche ein Interesse.
von Aden verläuft nämlich – Sie wissen
tstrang der Handelsströme zwischen Eu-
: 20 000 Schiffe jährlich mit dieser Des-
amen und
t, dass wir
sehr ernst-
sern. Daran ha
Durch den Golf
das – der Haup
ropa und Asien
21058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
tination. Viele davon gehören deutschen Reedereien
oder transportieren Fracht aus oder für Deutschland.
Die Mission, über die wir heute zu reden haben, ist
für die Bundeswehr kein Ausflug in warme Gefilde. Wir
schlagen deshalb aus guten Gründen ein robustes Man-
dat vor. Die Deutsche Marine und alle anderen an der
Operation beteiligten Kräfte dürfen alle Maßnahmen er-
greifen, um Piraten abzuschrecken, um Überfälle zu ver-
hindern oder zu beenden. Das schließt ausdrücklich die
Anwendung von Gewalt ein. Unsere Marine darf Piraten
oder Verdächtige aufgreifen, darf sie festhalten und darf
sie überstellen. Sie darf Schiffe und Waffen von Piraten
beschlagnahmen. All das ist im Rahmen des europäi-
schen Mandats erlaubt.
Eines will ich zur Resolution des Sicherheitsrates von
heute Nacht, mit der eine nochmalige Erweiterung des
Einsatzes stattgefunden hat, heute klar zu Protokoll ge-
ben: Das ändert am Auftrag und am Umfang der ESVP-
Operation und damit auch an dem Mandat des Deut-
schen Bundestages nichts. Ich will sagen: Die Bundes-
wehr wird über ein solides Mandat verfügen, das, wie
ich finde, ihr die notwendigen Spielräume für den Ein-
satz gegen Piraten vor Somalia ermöglicht.
Jeder weiß, dass die Ursachen von Piraterie in der Tat
nicht auf See zu bekämpfen sind. Dazu braucht man
funktionierende staatliche Strukturen an Land; gerade
die gibt es in Somalia nicht. Dort herrschen das Recht
des Stärkeren und die Sprache der Gewalt. Die Lösegel-
der aus der Seeräuberei haben die Lage sogar noch wei-
ter zugespitzt. Kriminelle Gruppen sind dort heute oft
besser ausgerüstet als die Vertreter des Staates. Der
Weltsicherheitsrat hat darum damals aufgrund der Bitte
der Regierung Somalias alle Staaten aufgefordert, die-
sem Land nicht nur bei der Pirateriebekämpfung, son-
dern auch bei der Wiederherstellung staatlicher Struktu-
ren zu helfen. Die EU-Mission leistet dazu mittelbar
einen wichtigen Beitrag. Ohne die Entführung von
Schiffen werden nämlich keine Lösegelder gezahlt, die
die kriminellen Strukturen weiter stärken und damit den
somalischen Staat noch weiter untergraben.
Deshalb müssen wir uns gleichzeitig mit der interna-
tionalen Gemeinschaft um die langfristige Stabilisierung
Somalias kümmern. Gerade und auch weil das schwierig
und gefährlich ist, werden wir weiter humanitäre Hilfe
leisten und leisten müssen. Ich darf Ihnen versichern:
Wir unterstützen jede Anstrengung, die zu einer poli-
tischen Verständigung in Somalia führt. Das muss in ers-
ter Linie von den Somalis selbst gewollt und vollbracht
werden. Aber ich sage Ihnen auch: Seit Übernahme der
Verantwortung durch den neuen Chefvermittler der Ver-
einten Nationen Ould-Abdallah bin ich etwas zuversicht-
licher und habe den Eindruck, dass die Gesprächsfäden,
die in der Vergangenheit zwischen den Stämmen und
Entitäten in Somalia nicht geknüpft werden konnten,
vielleicht in Zukunft doch eher zustande kommen.
Wir wollen das unterstützen. Wir unterstützen das in
der internationalen Kontaktgruppe zu Somalia, in der
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Ich komme zum Schluss. Aus diesen Gründen bittet
ie Bundesregierung den Bundestag, dem Einsatz der
undeswehr bei der EU-geführten Operation „Atalanta“
uzustimmen. Deutschland und die Europäische Union
etzen damit ein wichtiges Zeichen: für die Menschen in
omalia, für die Sicherheit in der Region und für eine in-
ernationale Solidarität.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen
eute zum ersten Mal über ein Mandat zur Bekämpfung
er Piraterie. Man ist versucht zu sagen: Ende gut, alles
ut. Aber wir wissen natürlich, wie unendlich lange das
edauert hat, weil sich die Bundesregierung rechtlich ei-
entümliche Argumente ausgedacht hat, um während all
ieser Zeit ja nichts tun zu müssen. Das ist ein schwieri-
er Lernprozess.
Ich weiß, dass Sie seit Sommer dieses Jahres anderer
einung als die Kollegen von der CDU/CSU waren; das
st uns allen bekannt, das ist keine Frage.
Sie haben jetzt ein Mandat vorgelegt; das ist schon
inmal ein Fortschritt. Ich beglückwünsche die Bundes-
egierung ausdrücklich dazu, dass sie diesen Lernpro-
ess vollzogen hat und jetzt das für richtig hält, was wir
eit sechs Monaten für richtig halten. Das ist schon ein-
al vorteilhaft.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21059
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)
Dr. Rainer Stinner
Die Frage ist: Ist nun am Ende wirklich alles gut? Da-
ran sind doch einige Zweifel angebracht. Sie verwenden
sehr gerne – auch der Minister hat das heute getan – die
Vokabel „robustes Mandat“. Das klingt zunächst einmal
nach Tatkraft und Durchsetzungswillen. Aber das Wort
„robust“ sagt nur, wie man etwas macht. Es sagt nicht,
was man tut. Ich sage es einmal so: Man kann auch ro-
bust Fliegen fangen.
Das heißt, es kommt darauf an: Was tun wir eigentlich
mit diesem Mandat? Daher schaue ich in den Antrag
zum Mandat, den Sie uns vorgelegt haben. In dem An-
trag stehen sehr viele richtige und wichtige Dinge. Darin
steht zunächst etwas vom Schutz der Schiffe des World
Food Programme und vom abgestuften Schutz anderer
Schiffe sowie der Bewachung des Seegebietes. Darin
steht aber auch – der Minister hat es zitiert, ich sage es
aber noch einmal ausdrücklich, weil es für uns ganz
wichtig ist – unter 3 e):
Aufgreifen, Festhalten und Überstellen von Perso-
nen, die in Verdacht stehen, seeräuberische Hand-
lungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen zu
haben, sowie Beschlagnahme der Seeräuberschiffe,
der Ausrüstung und der erbeuteten Güter.
Sehr gut, sehr wichtig, sehr richtig! Das unterstützen wir
voll.
Es ist natürlich wichtig und richtig, im Einzelfall die
Schiffe des World Food Programme zu schützen, also
zwei pro Woche. Das unterstützen wir voll. Aber das
reicht eben nicht aus.
Unser deutsches Interesse liegt nämlich nicht primär da-
rin, nur einzelne Schiffe zu schützen, wie wichtig und
richtig das auch ist. Das Interesse liegt darin, die Freiheit
der Meere und auch die Seewege zu sichern, auf die wir
so unabdingbar angewiesen sind. Das erreichen wir eben
nur mit einer aktiven Bekämpfung der Piraterie.
Wir wissen genauso wie die Bundesregierung und die
EU, wo die Mutterschiffe der Piraten jeweils liegen. Wir
glauben, dass diese Mutterschiffe aktiv außer Kraft ge-
setzt werden können.
Ich sage ausdrücklich: außer Kraft gesetzt werden kön-
nen. Schärfere Vokabeln kommen zum Teil aus Ihren
Kreisen, aber nicht aus meinem Munde. Wie sie außer
Kraft gesetzt werden können, müssen die Militärs ent-
scheiden. Das Wichtigste ist, den Piraten ihr Handwerks-
zeug zu nehmen: Ein Pirat ohne Schiff sieht dämlich aus;
so einfach ist die Geschichte. Deshalb ist es wichtiger als
alles andere, den Piraten ihre Schiffe wegzunehmen und
sie zu zerstören.
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orgelesen – das Piratenschiff in Zukunft, jedenfalls un-
er normalen Bedingungen, seine Reise nicht fortsetzen
ann, dass also das Piratenschiff außer Kraft gesetzt
ird.
Machen wir uns nichts vor. Die Piraten sind exzellent
rganisiert. Sie wissen jederzeit, wo unsere Fregatten
tehen. Der Seeraum ist unendlich groß, wie wir alle
issen. Ihn können wir gar nicht abdecken. Die Piraten
önnen also ihr räuberisches Handwerk ohne Probleme
ortsetzen. Deshalb sagen wir: Die Begleitung von
chiffen ist wichtig und richtig, aber sie ist nicht hinrei-
hend. Wenn wir uns darauf beschränken würden, die
chiffe nur zu begleiten, wären wir als Haifisch gestartet
nd als Hering gelandet.
as wollen wir als verantwortliche Abgeordnete natür-
ich nicht.
Wir bestehen darauf, dass Sie die Piraterie aktiv be-
ämpfen. Hier geht es nicht nur um das Was, sondern
uch um das Wie. Dass Sie den Ausdruck „robustes
andat“ verwenden, ist vielversprechend. Darauf will
ch jetzt aber nicht näher eingehen, sondern nur festhal-
en: Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die
ilitärischen Mittel so einsetzt, dass sie ihren Auftrag
ollumfänglich erfüllen kann, und zwar inklusive der
ufgaben, die unter den Punkten 3 d) und 3 e) ihres An-
rags genannt sind.
Meine Damen und Herren, diese europäische Mission
st mittlerweile die dritte Mission in dieser Region, in
eren Rahmen es um Piraterie geht. Die NATO-Mission
st gerade erst beendet worden, nämlich am 12. Dezem-
er. Es wird aber schon im Februar nächsten Jahres eine
eue NATO-Mission durchgeführt; das ist bereits abseh-
ar. Einige unserer Partnerländer betreiben auch unter
EF-Mandat Pirateriebekämpfung; was den Operations-
lan angeht, scheint das zumindest nicht unmöglich zu
ein. Wir tun das ausdrücklich nicht.
Unsere erste Forderung an die Bundesregierung lau-
et: Bitte sorgen Sie dafür, dass die gemeinschaftlichen
ktionen koordiniert werden. Am besten wäre es, wenn
n absehbarer Zukunft eine gemeinsame Aktion durchge-
21060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
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Dr. Rainer Stinner
führt würde. Wir müssen die Pirateriebekämpfung näm-
lich in ihrer Gesamtheit und vollumfänglich in Angriff
nehmen.
Noch eine Bemerkung zum OEF-Mandat. Unter
OEF-Mandat erlaubt die Bundesregierung die Piraterie-
bekämpfung ausdrücklich nicht. Sie hält an der realitäts-
fernen Fiktion fest, als könne man heute, im Dezember
2008, noch eindeutig zwischen Terrorbekämpfung und
Pirateriebekämpfung unterscheiden. Das ist wirklich rea-
litätsfern. Dazu ein Zitat:
Die zunehmende Verbreitung der Organisierten
Kriminalität in schwachen Staaten macht die Be-
drohung des Terrorismus noch ernster. Aus den Er-
lösen krimineller Aktivitäten, vor allem aus Dro-
genhandel, aber auch dem illegalen Handel mit
Waffen, Menschen, Geldwäsche oder Piraterie,
werden Kriegshandlungen, Extremismus und Terro-
rismus finanziert.
Das ist kein Zitat der Oppositionsfraktion FDP. Dieses
Zitat stammt aus der Sicherheitsstrategie der CDU/CSU-
Fraktion vom 6. Mai dieses Jahres.
Das ist die Politik der Union. Herr Minister, wann ma-
chen Sie diese Politik der CDU/CSU endlich zur Regie-
rungspolitik? Wir warten darauf, dass Sie diese Erkennt-
nisse in Regierungshandeln umsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Tagen
waren in den Zeitungen – deshalb kann man darauf hin-
weisen – sehr besorgniserregende Berichte zu lesen, in
denen es hieß, Geheimdienste hätten Informationen, dass
Verbindungen zwischen al-Qaida und den Piraten beste-
hen. Dabei gehe es – das ist noch schlimmer – um die
Besetzung von Kreuzfahrtschiffen. Wenn das der Fall
ist, wird das Problem noch viel größer und bedrohlicher.
Wir müssen an die Reiseveranstalter appellieren, ihrer
Verpflichtung, ihre Passagiere zu schützen, nachzukom-
men; keine Frage. Wenn aber der Fall eintritt, dass ein
Kreuzfahrtschiff von Piraten besetzt wird, dann muss da-
gegen natürlich auch etwas unternommen werden kön-
nen. Daher müssen wir uns grundsätzlich mit dem
Thema Pirateriebekämpfung beschäftigen und dürfen
uns nicht auf die Begleitung einiger Schiffe – mehr kön-
nen wir ohnehin nicht leisten – beschränken.
Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, haben wir
eine ganze Reihe von Fragen und Kritikpunkten. Den-
noch bleibt festzuhalten: Die Pirateriebekämpfung am
Horn von Afrika hat große Bedeutung und hohe Priorität.
Sie muss aktiv betrieben werden. Dieses Mandat – ich
habe daraus zitiert; ich meine speziell die Punkte 3 d)
und 3 e) – gibt der Bundesregierung Instrumente an die
Hand, um aktiv dagegen vorzugehen. Wir erwarten, dass
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Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
ung:
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber
ollege Stinner, zunächst einmal Folgendes: Sie können
avon ausgehen, dass unsere Marine, wenn der Deutsche
undestag dieses Mandat verabschiedet, ihren Auftrag
n hervorragender Art und Weise erfüllen wird.
ch kann Ihnen sagen: Es ist aus meiner Sicht dringend
otwendig und liegt auch in unserem eigenen Interesse,
er Geißel der Piraterie wirkungsvoll entgegenzutreten,
m Seesicherheit und freien Seehandel zu gewährleisten.
as ist auch aus humanitären Gründen von Bedeutung.
ch bitte den Deutschen Bundestag um Zustimmung, da-
it wir uns an diesem Mandat beteiligen können.
Es ist darauf hingewiesen worden: 248 Schiffe sind in
iesem Jahr gekapert worden. Durch Lösegeldzahlungen
aben sich hier gewisse Dinge weiter etabliert. Deshalb
st es, glaube ich, notwendig, dass wir hier ein derartiges
andat beschließen; denn es geht erstens darum, abzu-
chrecken, zweitens darum, Angriffe zu verhindern, und
rittens aber auch darum, Seeräuberei zu beendigen. Ich
laube, das ist das Ziel, das im Rahmen dieses Mandats
orrangig zu berücksichtigen ist.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass wir uns in
uropa auch auf eine Reihenfolge, wenn ich das so sa-
en darf, im Hinblick auf die Schutzinteressen der
chiffe verständigt haben. Es geht zunächst um die
chiffe innerhalb des Welternährungsprogramms, dann
m die Schiffe mit einem humanitären Auftrag, sodann
m die Schiffe aus denjenigen Ländern, die sich an die-
er Mission konkret beteiligen, und dann kommen die
onstigen Schiffe.
Bisher sieht es so aus, dass sich Belgien, Frankreich,
riechenland, die Niederlande, Schweden, Großbritan-
ien und Spanien an dieser Mission beteiligen, die in
em Seegebiet innerhalb von rund 500 Seemeilen vor
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21061
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)
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
der Küste Somalias und der Nachbarländer durchgeführt
wird. Ich bin dankbar dafür, dass es klare und konkrete
rechtliche Regeln hinsichtlich des Operationsplans und
der Einsatzregeln, also der Rules of Engagement, gibt.
Kollege Stinner, es ist ein robustes Mandat, in das
selbstverständlich die Anwendung von Gewalt mit ein-
bezogen ist. Das geht vom Schuss vor den Bug bis hin
– so ist dies im Mandat vorgesehen – zur Versenkung
von Piratenschiffen. Wir operieren aber immer nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich halte es auch für
richtig, dass die Marine in diesem Zusammenhang ihre
Aufgaben und ihren Auftrag verantwortungsvoll wahr-
nehmen kann.
Ich füge hinzu: Für diese Mission Europas sind drei
Kriegsschiffe mit Hubschraubern, ein Unterstützungs-
schiff und drei Seefernaufklärer vorgesehen, um konkret
festzustellen, wo im Operationsgebiet im Einzelnen
Handlungsfähigkeit gegeben ist und -notwendigkeiten
bestehen. Auch die Möglichkeit, Sicherungskräfte an
Bord von Handelsschiffen mitzunehmen, ist in diesem
Mandat vorgesehen.
Wir wollen uns mit der Fregatte „Karlsruhe“ an die-
sem Mandat beteiligen, das unter dem Kommando eines
europäischen Befehlshabers steht. An Bord unserer Fre-
gatte sind zwei Hubschrauber und entsprechende Mari-
neschutzkräfte. Zusätzlich ist hier vorgesehen, dass wir
Kräfte für Sicherung, Logistik und Sanität sowie Feldjä-
ger in dem Mandat bereitstellen und auch Stabs- und
Verbindungspersonal in das Hauptquartier entsenden.
Das Hauptquartier der Operation wird in Northwood
nahe London sein.
Die Mandatsobergrenze soll auf 1 400 Soldaten fest-
gelegt werden. Dies heißt nicht, dass jetzt 1 400 Solda-
ten mit in den Einsatz gehen, sondern dies heißt, dass
wir etwas Flexibilität im Hinblick auf die konkrete
Wahrnehmung des Mandats haben. Im Rahmen der Ope-
ration Enduring Freedom ist jetzt beispielsweise die Fre-
gatte „Mecklenburg-Vorpommern“ im Einsatz, und sie
darf dort Nothilfe leisten. Zur aktiven Pirateriebekämp-
fung soll es, wenn dies im Operationsgebiet erforderlich
ist, auch möglich sein, diese Fregatte in die Operation
„Atalanta“ zu überführen, um der Piraterie wirkungsvoll
entgegentreten zu können. Deshalb ist es, glaube ich,
richtig, dass wir hier eine derartige flexible Mandats-
obergrenze vorsehen.
Das Mandat soll bis zum 15. Dezember 2009 gewährt
werden. Sehr geehrter Herr Kollege Stinner, das muss
ich dann doch einmal sagen: Ich habe immer hohen Res-
pekt vor Menschen – dies gilt gerade auch für Ihre Partei –,
die insbesondere die Verfassungsfragen sehr im Vorder-
grund sehen.
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Ich will Ihnen hier klar und deutlich sagen: Wir haben
ine klare verfassungsrechtliche und völkerrechtliche
rundlage. Die völkerrechtliche Grundlage ist die
esolution 1846 der Vereinten Nationen. Die verfas-
ungsrechtliche Grundlage ist das System gegenseitiger
ollektiver Sicherheit nach Art. 24 Grundgesetz. Des-
alb ist eine derartige aktive Pirateriebekämpfung durch
ie Bundeswehr möglich, die sonst keine verfassungs-
echtliche Grundlage hätte. Deswegen konnten wir das
icht im Rahmen des OEF-Mandats regeln. Aber in dem
ystem gegenseitiger kollektiver Sicherheit mit einem
uropäischen Mandat und auf der völkerrechtlichen
rundlage der Vereinten Nationen können wir Piraterie
irkungsvoll und aktiv bekämpfen. Diesen Auftrag wer-
en wir auch wahrnehmen.
Wir haben im Übrigen Rechtsklarheit geschaffen,
enn es darum geht, Personen festzuhalten oder festzu-
etzen. Unser Ziel ist, wie gesagt, zunächst einmal Ab-
chrecken, Verhindern und Beendigen. Aber wenn es
azu kommt, dass Personen – also Piraten – konkret fest-
esetzt werden, dann wollen wir prüfen, ob es ein deut-
ches Interesse gibt. Wenn das der Fall ist, dann wollen
ir die betreffenden Piraten der deutschen Gerichtsbar-
eit zuführen. Ansonsten wollen wir sie den Nationen
uführen, die ein unmittelbares Interesse daran haben.
Wir sind bemüht, zu klären, inwiefern wir gegebenen-
alls mit Anrainerstaaten zu Übereinkommen kommen
önnen. Ich erachte es dabei für den besseren Weg, zu
iner internationalen Regelung zu kommen, um konkret
nd verantwortungsvoll handeln zu können. Deshalb ist
as Bemühen, innerhalb der Vereinten Nationen, aber
uch der Europäischen Union zu einer internationalen
egelung zu kommen, meines Erachtens ein richtiger
nd wichtiger Ansatz, den wir auch weiterhin unterstüt-
en wollen.
Der Kostenrahmen – auch darauf will ich hinweisen –
ird auf rund 45 Millionen Euro geschätzt. Aber ich
enke, dass es in unserem Interesse liegt, unseren Auf-
rag so zu erfüllen, wie ich es gerade erläutert habe. Des-
alb bitte ich Sie um möglichst breite Unterstützung für
ieses Mandat, damit wir unseren Beitrag zur Wieder-
erstellung der Seesicherheit und zur Gewährleistung ei-
es freien Seehandels leisten können. Wir sind Export-
eltmeister. 80 Prozent unseres Handels findet über den
eeweg statt. Das Mandat liegt aber auch im humanitä-
en Interesse. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu
iesem Mandat.
Besten Dank.
21062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Dr. Rainer Stinner.
Vielen Dank. – Herr Minister, nachdem Sie mich und
meine Partei wegen der rechtlichen Rahmenbedingun-
gen so scharf kritisiert haben, möchte ich Sie – in aller
Angemessenheit auch im Ton; ich versuche, das ganz ru-
hig zu machen – an die Diskussionen erinnern, die wir in
diesem Jahr erlebt haben, und darauf hinweisen, wie Sie,
verehrter Herr Minister, und Ihre Partei, die Christlich
Demokratische Union, zusammen mit der Christlich-So-
zialen Union in diesem Hause zu Beginn der Beratungen
unbedingt auf Änderung des Art. 87 a des Grundgeset-
zes gedrängt haben.
Ich darf Sie daran erinnern, dass das monatelang ein
Thema war und dass wir auf unsere Anfragen von den
beiden betroffenen Ministerien – dem Auswärtigen Amt
und dem Verteidigungsministerium – immer wieder völ-
lig unterschiedliche oder gegensätzliche Antworten be-
kommen haben. Ich darf Sie daran erinnern, dass Ihr
Koalitionspartner, die SPD, Ihnen sehr deutlich gemacht
hat, dass der Weg, Art. 87 a Grundgesetz zu ändern,
nicht umsetzbar ist.
Jetzt haben wir eine rechtlich sichere Basis, die aber
durch Art. 25 Grundgesetz und Seerechtsübereinkom-
men nach Übereinstimmung aller wesentlichen Völker-
rechtler längst gegeben war.
Von daher darf ich Sie daran erinnern, Herr Minister,
dass wir uns sehr verantwortungsvoll verhalten haben.
Insofern ist der Vorwurf, wir würden uns nicht an rechts-
staatliche Normen halten, völlig abwegig. Ich weise ihn
in aller Entschiedenheit zurück.
Herr Minister, Sie können von Ihrem Platz aus ant-
worten. Bitte.
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:
Lieber Herr Kollege Stinner, ich versuche, es noch
einmal zu erklären. Ich weiß, dass Verfassungsrecht
nicht einfach ist. Aber Tatsache ist – unabhängig von
den Fragen in der politischen Diskussion, die Sie ange-
sprochen haben –, dass nach unserer derzeitigen Verfas-
sungslage die Pirateriebekämpfung ohne völkerrechtli-
ches Mandat zunächst Aufgabe der Polizei ist.
Sie haben auf das Seerechtsübereinkommen hinge-
wiesen. In diesem Zusammenhang weise ich Sie darauf
hin, dass nach Art. 25 Grundgesetz das Völkerrecht ein-
faches Recht brechen kann. Es kann aber nicht das
Grundgesetz brechen. Deshalb zieht diese Argumenta-
tion nicht. Es ist nur der Weg über Art. 24 möglich: ge-
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uch wir sind von der Notwendigkeit überzeugt, dass
egen die Piraterie vorgegangen werden muss.
Das Problem ist Ihnen seit vielen Jahren bekannt; Ih-
en ist auch bekannt, dass die Ursachen der Piraterie
icht auf See liegen, sondern in dem von Bürgerkrieg
nd fremden Truppen zerrissenen Somalia. Aber seit der
escheiterten UN-Mission Anfang der 90er-Jahre hat
ich kein Land um Somalia gekümmert. Erst als 2006
ie islamischen Gerichtshöfe die Macht übernahmen,
arschierten äthiopische Truppen in das Land und ver-
rieben mit Unterstützung der USA die neuen Machtha-
er. Niemand hat dies kritisiert; auch die Bundesregie-
ung hat geschwiegen. Damit beendeten die Truppen
ine sehr kurze Phase der inneren Sicherheit und des
pürbaren Rückgangs der Piraterie vor den Küsten So-
alias. Seitdem, seit 2007, hat sich der Konflikt wieder
usgeweitet, verschärft und zunehmend radikalisiert. Die
iraterie hat wieder drastisch zugenommen, und Somalia
st leider in Anarchie versunken.
Aber Sie haben nichts unternommen. Im vergangenen
ahr war die Kanzlerin noch in Somalias Nachbarland
thiopien. Aber wir haben keine Forderung von ihr ge-
ört, dass sich die Äthiopier aus Somalia zurückziehen
nd etwas gegen Piraterie und für Somalia tun sollten.
Wenn die EU und die Bundesregierung jetzt Militär
ntsenden wollen, geht es ihnen doch nur um die Siche-
ung der See- und Handelswege, was im Klartext den
usbau Ihrer militärischen Präsenz auch in diesem Teil
er Weltmeere bedeutet, wie es die USA dort bereits seit
angem unternommen haben. Mit „Atalanta“ kann die
U ihre maritimen militärischen Fähigkeiten auch dort
emonstrieren und Deutschland die Auslandseinsätze
er Bundeswehr ausweiten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21063
)
)
Dr. Norman Paech
Ein Beitrag dazu, an die Wurzeln der Piraterie zu ge-
hen – das wissen Sie ganz genau –, die Armut der soma-
lischen Bevölkerung zu lindern und die Sicherheit der
Küsten wiederherzustellen, ist dies überhaupt nicht.
Auch die von den internationalen Fangflotten leer ge-
fischten Gewässer vor Somalia – das hat den Fischern,
von denen dann viele überhaupt erst Piraten geworden
sind, ihre Existenz genommen – erholen sich durch diese
Mission nicht.
Durch die jüngste Resolution 1851 des Sicherheits-
rates haben die USA auch noch das Mandat erhalten, ih-
ren militärischen Zugriff auf das Festland zu erweitern.
Gleichzeitig wird wieder – Herr Stinner, Sie haben es ge-
sagt – al-Qaida ins Spiel gebracht, um den Antiterror-
kampf mit dem Kampf gegen die Piraten zu verbinden.
Diese Vermischung mit dem Krieg der OEF kennen wir
aus Afghanistan. Dazu sagt die Linke: ohne uns.
Jetzt komme ich zu dem eben angesprochenen Disput,
Herr Minister Jung: Sie wissen auch, dass nach inter-
nationalem und deutschem Recht Piraterie wie Raub und
Freiheitsberaubung ein Fall der gewöhnlichen Krimina-
lität ist, für deren Bekämpfung ausschließlich die Polizei
zuständig ist.
Nach deutschem Verfassungsrecht hat das Militär dort
überhaupt nichts zu suchen. Schiffe versenken, wie es
jetzt angekündigt wird, ist vom internationalen Recht
und von dem Mandat des UNO-Sicherheitsrates nicht
gedeckt. Die Trennung von Polizei und Militär – dies
wissen Sie, Herr Stinner, ebenso wie Sie, Herr Minister
Jung, ganz genau – ist eines unserer tragenden Verfas-
sungsprinzipien.
Da können Sie noch so viel mit Art. 24 oder Art. 25 des
Grundgesetzes jonglieren, der Einsatz des Militärs zu
polizeilichen Zwecken, ob im Bundesgebiet oder im
Ausland, ist untersagt.
Was ist aber nun zu tun? Die Bekämpfung der krimi-
nellen Piraterie ist Sache der Bundespolizei – das wäre
auch möglich –, und zwar am effektivsten und nachhal-
tigsten mit einer Küstenwache, um den Operationen der
Piraten einen wirklich wirksamen Riegel vorzuschieben.
Eine solche Küstenwache unter Beteiligung der Nach-
barstaaten und unter Führung der UNO und der AU wäre
ohne große Verzögerung aufzubauen. Seit einem Drei-
vierteljahr beschäftigt sich der UNO-Sicherheitsrat mit
der Piraterie vor Somalia. Wir fragen die Bundesregie-
rung: Warum haben Sie nicht auf ein Mandat für eine
derartige Küstenwache gedrungen, die auch Deutschland
mit Polizeikräften sowie mit materiellen und finanziellen
Mitteln unterstützen kann? Es gibt eine Alternative zum
militärischen Einsatz.
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emnächst werden die NATO, die EU, die USA, Russ-
and und Indien – Herr Stinner, Sie haben das bereits ge-
agt – ihre Kriegsschiffe vor den Küsten Ostafrikas kreu-
en lassen, was den Frieden in dieser Region bestimmt
icht fördern wird.
Ich komme zum Schluss. Unsere Forderung ist: Über-
assen Sie die Bekämpfung der Piraterie der Bundespoli-
ei im Rahmen einer internationalen Küstenwache unter
er Führung der UNO! Kümmern Sie sich um das Elend
er Bevölkerung Somalias! Dann werden Sie auch mit
er Piraterie fertig werden. Für die Entsendung einer
regatte werden Sie unsere Zustimmung nicht bekom-
en.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Uschi Eid von
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren!
m es gleich vorweg zu sagen: Meine Fraktion wird
ehrheitlich dem Antrag der Bundesregierung zustim-
en; denn für die meisten von uns liegt die Notwendig-
eit dieses Einsatzes klar auf der Hand.
s besteht kein Zweifel daran, dass es ein kollektives Si-
herheitsinteresse der Weltgemeinschaft an sicheren
eewegen gibt. 16 000 Schiffe passieren pro Jahr den
21064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Dr. Uschi Eid
Golf von Aden. Die Schiffe des Welternährungspro-
gramms und der humanitären Hilfe sind zu schützen. Al-
lein in diesem Jahr sind schon 50 Millionen US-Dollar
von den Seeräubern erpresst worden. Was mit diesem
Geld passiert, wissen wir eigentlich alle; darauf muss ich
gar nicht eingehen. Außerdem ist das Mandat – zuletzt
durch die UNO-Resolution 1846 vom 2. Dezember –
völkerrechtlich abgesichert.
Wir haben allerdings – Herr Minister, das wurde
schon heute Morgen im Ausschuss deutlich – noch ei-
nige Fragen und halten den Ansatz der Bundesregierung
für unzureichend. Herr Stinner hat es bereits gesagt. Wir
sehen überhaupt nicht ein, warum es parallele Missionen
gibt. Wäre es denn nicht überlegenswert, diese parallelen
Missionen alle im Rahmen von „Atalanta“ einzusetzen?
Das ist die erste Frage.
Zweitens. Es wurde heute Morgen völlig im Unklaren
gelassen, was eigentlich mit den Piraten passiert, die von
der deutschen Marine in Gewahrsam genommen wer-
den, wenn der Überfall auf Schiffe des Welternährungs-
programms stattgefunden hat; denn diese Schiffe fahren
nicht unter deutscher Flagge. Auch diese Frage, Herr
Minister, konnte heute Morgen nicht geklärt werden.
Drittens. Wir halten den Ansatz der Bundesregierung für
eine militärische Engführung. Dieser Ansatz wird zu
keiner langfristigen Lösung des Problems führen.
Natürlich sind wir uns darin einig, dass die Befrie-
dung Somalias und die Lösung des Konflikts ungeheuer
komplex sind und dass wir einen langen Atem brauchen;
aber den langen Atem haben wir jetzt schon 18 Jahre
lang;
denn 18 Jahre lang ist Somalia ohne staatliches Gewalt-
monopol, ohne Sicherheitsorgane, ohne staatliche Struk-
turen und deswegen ein sicheres Rückzugsgebiet für
Kriminelle. Wenn ein Gemeinwesen zerrüttet ist, wenn
sich Warlords bekämpfen, sich die Clans gegenseitig
misstrauen und die Macht nicht teilen wollen, wenn klar
ist, dass die Übergangsregierung zwar unter internatio-
naler Vermittlung zustande gekommen ist, mittlerweile
aber eher ein Problem als eine Lösung darstellt, dann
frage ich mich schon, was die Bundesregierung vor zwei
Jahren gemacht hat, als wir die EU-Ratspräsidentschaft
innehatten. Damals ist viel zu wenig unsere Macht – Ihr
Wort, Herr Außenminister – durchgedrungen. Ich weiß,
dass Einiges getan wird. Während wir hier debattieren,
ist jemand aus dem Auswärtigen Amt in Eritrea. Aber,
Herr Außenminister, das ist mindestens zwei Jahre zu
spät.
Also: nicht zeitgemäß, zu wenig getan.
Herr Mützenich, Sie haben heute Morgen einen sehr
netten Vorschlag gemacht. Sie wollen nämlich Ihrer
Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion vorschlagen, einen
gemeinsamen Antrag zur politischen Lösung des Soma-
lia-Konflikts vorzulegen. Ich kann bei allem Respekt nur
sagen: Guten Morgen!
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enn wir, alle Fraktionen des Deutschen Bundestages,
aben im Juni 2007 hier einstimmig einen Antrag, in
em politische Lösungsschritte und Lösungsmaßnahmen
on unserer Fraktion vorgelegt worden sind, verabschie-
et. Diese Initiative von uns hat alle Fraktionen des
eutschen Bundestages überzeugt. Es ging um die
rage, wie wir damit umgehen, dass seit 2002 der Ver-
auf der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea eine
onstante Quelle der regionalen Instabilität ist.
ir müssen dafür sorgen, dass Äthiopien die Demarka-
ion dieser Grenze endlich anerkennt. Beide Staaten,
ritrea und Äthiopien, haben ein ungeheures Potenzial.
ie sollen dieses Potenzial nicht für Kriegsvorbereitun-
en einsetzen, sondern für den Wiederaufbau und für die
efriedung der Region. Das wäre wichtig.
Wir wissen genau – das kennen wir aus Afghanistan –,
ass die Gesellschaft von Somalia Clanstrukturen hat.
eit 18 Jahren gibt es keine Regierung. Selbst wenn es
ie gäbe, so sind die lokalen Autoritäten diejenigen, die
ür Ordnung sorgen und die das Gemeinwesen wieder
rganisieren können. Was hat die Bundesregierung ge-
an, um diese Clanstrukturen zu stärken und sie zu ver-
etzen, damit sie den Männern, Frauen und Kindern ein
eben in Sicherheit in ihren Dörfern gewährleisten kön-
en?
Im Juni fand in Dschibuti eine Konferenz statt, auf
er eine ganz klare Vereinbarung getroffen wurde. Ich
raue der Übergangsregierung nicht sehr viel zu; denn
erade erst vor einigen Tagen hat der Präsident seinen
remierminister geschasst. Auf die kann man sich also
icht besonders gut verlassen. Trotzdem ist diese Regie-
ung aufgrund internationaler Vereinbarungen zustande
ekommen. Sie muss gezwungen werden, mit den mode-
aten Teilen der Union der islamischen Gerichte zu
ooperieren; denn nicht alle sind gewalttätig.
Herr Paech, ich möchte Ihnen schon sagen: So zu tun,
ls wären in Somalia keine Terroristen, keine Afghanis-
an-Veteranen ist auch ein bisschen blauäugig; was Sie
ehaupten, das stimmt nicht. In unserer gestrigen Frak-
ionssitzung hat uns eine Somalia-Expertin klar gesagt,
ass es da auch Verbindungen zu al-Qaida gibt. Trotz-
em muss man nach Möglichkeiten Ausschau halten,
it den gewaltfernen Teilen der Union der islamischen
erichte wieder ins Gespräch zu kommen. Im Juni
urde ein Waffenstillstand vereinbart. Ich frage die Bun-
esregierung: Was haben Sie getan, um diesen Dialog zu
efördern?
Stichwort „AMISOM“: Äthiopien soll sich zurückzie-
en; dafür sollten ugandische und burundische Truppen
ach Somalia. Wir haben alle gesehen: Das ist unzurei-
hend. Was haben wir getan? Wir haben den AMISOM-
rozess nicht unterstützt; zumindest hat man davon
ichts gemerkt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21065
)
)
Dr. Uschi Eid
Es ist schon richtig – das wissen wir –, dass es da
auch verarmte Fischer gibt. Ich finde es aber problema-
tisch, das als Argument anzuführen; denn es gibt auslän-
dische Firmen, die mit den illegalen Netzwerken in So-
malia Verträge abschließen, dass sie dort fischen und
Müll ablagern dürfen. Das heißt, wir, die Europäische
Union, müssen solchen Machenschaften das Handwerk
legen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Meine Frak-
tion erwartet, dass die vom Deutschen Bundestag im
Juni 2007 einstimmig beschlossenen Maßnahmen von
Ihnen, Herr Minister, beherzt durchgeführt werden, da-
mit wir in zwölf Monaten eine positive Bilanz ziehen
können.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-
schätzte Kollegin Uschi Eid, soeben hat auch die frühere
G-8-Afrika-Beauftragte des Bundeskanzlers gesprochen.
Ich habe ihr mit großer Sympathie zugehört. Allerdings
haben wir es mit der Situation eines Failing State in dem
infrage stehenden Staat Somalia seit 1994 zu tun. Parla-
mentarisch begleitend war ich zusammen mit dem un-
vergessenen Günther Nolting und Paul Breuer im Rah-
men der Operation Restore Hope in Belet Huen. Wir
haben den Zerfall erlebt. Auch wir, die rot-grüne Koali-
tion mit dem Außenminister Fischer, haben ihn nicht
aufhalten können; wir haben das, womit wir es im Mo-
ment zu tun haben, nämlich mit dem Auseinanderfallen
Somalias, geschehen lassen. Mit Gustav Heinemann bin
ich immer der Meinung: Wer mit dem Finger auf andere
zeigt, sollte bedenken, dass drei Finger auf einen selbst
zurückzeigen.
Sind wir redlich? Sind wir aktuell fähig, auch in die Zu-
kunft zu schauen?
Ich möchte deutlich machen, dass die umsichtigen
und verantwortungsbewussten Reden des Außenminis-
ters und des Verteidigungsministers die SPD-Bundes-
tagsfraktion veranlassen werden, diesem Antrag am
Freitag zuzustimmen. Ich möchte betonen: Sie trägt den
Inhalt dieses Antrags mit.
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Das primäre Ziel des „Atalanta“-Mandats ist nicht,
ie Ingewahrsamnahme piraterieverdächtiger Personen
urchzusetzen. Der Schwerpunkt liegt auf der Verhütung
eeräuberischer Handlungen. Die SPD-Bundestagsfrak-
ion unterstützt die Bundesregierung in der Ausgestal-
ung der Mission. Sie beinhaltet – ich wiederhole es –
ie Möglichkeit eines robusten Mandats nach
apitel VII der UN-Charta, was heißt, dass unsere Ma-
ine in der Lage sein muss, Piraten zu bekämpfen und
ersonen, die seeräuberischer Handlungen verdächtigt
erden, festzunehmen.
Unsere nationalen Rechtsprinzipien – ich habe es aus-
eführt – müssen gewahrt bleiben. Deswegen sind die
rei Handlungsoptionen für den Fall, den die Bundesre-
ierung vorsieht und für den sie die Zustimmung des
21066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Walter Kolbow
Parlaments erbittet, auch unter dem Gesichtspunkt des
deutschen Interesses akzeptabel, umsetzbar und auch zu-
stimmungsfähig.
Wir begrüßen sehr, Herr Außenminister, dass Sie un-
seren internationalen Partnern in der Europäischen
Union und in den Vereinten Nationen vorausschauend
und nachdrücklich gesagt haben, die Einrichtung eines
internationalen Gerichtshofs sei dringlicher denn je, weil
keiner der bereits existierenden Gerichtshöfe für Piraten
zuständig ist.
Deswegen drängt die SPD-Bundestagsfraktion, dass
hierüber baldmöglichst ein ausreichend breiter interna-
tionaler Konsens gefunden wird. Die Dimension des Pi-
raterieproblems spricht zwingend dafür, diesen Gerichts-
hof endlich einzurichten.
Die Beratung über diesen Einsatz ist nicht geeignet,
die Lufthoheit über den deutschen Stammtischen
– manchmal tragen wir in den Wahlkreisen ja auch unbe-
wusst zu einer solchen Diskussion bei – zu gewinnen. Es
gab in den vergangenen Wochen wiederholt Häme we-
gen der schwierigen rechtlichen Diskussion über den
Umgang mit in Gewahrsam genommenen Piraten. Diese
Gründlichkeit wurde von Kommentatoren belächelt und
sogar kritisiert – offenbar nach dem Motto: Die haben
nicht den Mumm, gegen die Piraten ordentlich hinzulan-
gen. – Es handelt sich aber nicht um eine zu überge-
hende Nebensächlichkeit; vielmehr berührt die Proble-
matik Kernfragen unseres demokratischen Rechtsstaats.
Ich sage überspitzt: Ich wehre mich gegen Guantánamos
auf See.
Der rechtsstaatliche Umgang mit gefangenen Piraten
ist für uns eine unmittelbare Verpflichtung. Kein noch so
schlimmes Verbrechen darf den Staat dazu verleiten,
seine selbstgesetzten Rechtsgrundsätze zu missachten
oder gar zu verletzen. Deswegen steht in der UN-Reso-
lution völlig zu Recht, dass die strafrechtliche Verfol-
gung – ich zitiere – „im Einklang mit dem anwendbaren
Völkerrecht, einschließlich der internationalen Men-
schenrechtsnormen“ stattfinden muss. Im Übrigen hat
man sich schon 1877 im Chinesischen Meer seitens der
kaiserlichen Marine so verhalten. Das ist eigentlich einer
der wenigen Gründe, die auch mal für ein Kaiserreich
sprechen können;
das Kaiserreich haben wir Gott sei Dank, auch in Bay-
ern, Herr Kollege Schockenhoff, überwunden. Aber das
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Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube,
ch spreche für uns alle, wenn ich sage: Man macht sich
ie Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bun-
eswehr nie leicht. Soldaten ins Ausland zu schicken, ist
mmer mit einer besonderen Verantwortung und einer
orgfältigen Abwägung verbunden. Das gilt, wie ich
laube, in diesen Tagen noch einmal ganz besonders:
ährend nämlich die Mehrzahl unserer Bevölkerung
it Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt ist, beraten
ir darüber, unsere deutschen Soldaten in einen gefährli-
hen Auslandseinsatz zu entsenden. So etwas tut man
icht leichten Herzens.
Viele unserer Soldaten können das Fest eben nicht im
reise ihrer Familien verbringen. Sie sind für Frieden
nd unsere Sicherheit im Einsatz. Deshalb möchte ich
uch diese Rede nutzen, noch einmal einen Dank an alle
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21067
)
)
Dorothee Bär
deutschen Soldaten, die sich weltweit in Auslandseinsät-
zen befinden, auszusprechen.
– Es ist bezeichnend, dass von der Fraktion Die Linke an
dieser Stelle keiner klatscht.
Im Rahmen von „Atalanta“ sollen unsere Soldaten
dazu beitragen, die Gewässer vor der Küste Somalias
wieder sicherer zu machen und Übergriffe von verbre-
cherischen Piraten auf Leib, Leben und Eigentum abzu-
wehren. Diese Aufgabe stellt eine große Herausforde-
rung dar. Auch wenn dieser Einsatz nicht ungefährlich
ist, bin ich von seiner Notwendigkeit überzeugt.
An dieser Stelle muss ich einen Einschub machen,
nachdem Sie es auch in Ihrer Rede angesprochen haben,
Herr Kollege von der Linken. Ich möchte hierzu aus dem
Antrag, den die Linke eingebracht hat, zitieren. Hier
steht: Atalanta treibt die Militarisierung der Seesicher-
heit voran, um – jetzt kommt es – unter dem Deckmantel
der Pirateriebekämpfung eine weitreichende militärische
Kontrolle der Seewege auszubauen.
Das ist doch wirklich abstrus. Ich würde es mir wün-
schen, dass Sie Ihren abstrusen Antrag wieder zurück-
ziehen.
Die Operation „Atalanta“ basiert auf einem Beschluss
des UN-Sicherheitsrates. Ihre Durchführung ist in die
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein-
gebettet. Bedroht ist nicht nur der Golf von Aden, be-
droht ist auch die Freiheit des Welthandels. Die wich-
tigste Handelsroute zwischen Europa, Arabischer
Halbinsel und Asien führt durch das Seegebiet vor So-
malia. Zahlreiche deutsche Exportwaren erreichen auf
den Schiffen der Reedereien ihr Ziel über die Gewässer
vor dem Horn von Afrika. Wir als Exportnation haben
ein vitales Interesse daran, Überfälle auf den zivilen
Schiffsverkehr zu verhindern oder jedenfalls einzudäm-
men. Das gilt für uns in Deutschland; das gilt aber auch
für Gesamteuropa.
Weil die Piraten vor Somalia auch eine Gefahr für
Bürgerinnen und Bürger der EU-Staaten darstellen, muss
sich Deutschland nicht nur dieser Mission stellen und sie
unterstützen, sondern sich auch aktiv an ihr beteiligen.
Zum einen wollen wir dadurch unsere eigenen Interessen
wahren; zum anderen wollen wir wichtige humanitäre
Hilfe für die Bevölkerung Somalias leisten. Denn wenn
es den Piraten vor Somalia gelingt, die Gewässer weiter-
hin zu dominieren, muss die Bevölkerung Somalias hun-
gern. Wenn die Piraten die Ankunft von Schiffen mit
Nahrungsmitteln verhindern, droht Somalia eine Hun-
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Jetzt aber muss eindeutig sein, dass „Atalanta“ sich
ur der Herausforderung der Piraterie annehmen kann.
Atalanta“ ist keine Mission, die die politische Instabi-
ität und die Kriminalität in Somalia bekämpft, und
Atalanta“ bedeutet auch keine dauerhafte Präsenz unse-
er Soldaten. Ob die Mission den gewünschten Erfolg
ringen wird, müssen wir in zwölf Monaten überprüfen.
ollten die gesteckten Ziele nicht erreicht werden, darf
Atalanta“ auch nicht nach Belieben verlängert werden.
ann müssen wir unsere Beteiligung, vor allem im
inne unserer Soldaten vor Ort, überdenken und nach
euen Lösungswegen suchen. Denn wir sind es unseren
oldaten schuldig, ihnen klare Regeln und verlässliche
erspektiven mit auf den Weg zu geben. Sie tun ihren
ienst in schwierigen Situationen und unter Einsatz von
eib und Leben. Dafür gebührt ihnen auch an dieser
telle unser aller Respekt und Dank.
Vielen Dank.
Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
olfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion.
21068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Bei Bertolt Brecht heißt es in der Ballade von den
Seeräubern:
Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwagen
Nachts torkeln trunken sie in See
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich nicht nur darüber, dass Kollegen von der
Küste anwesend sind und dass die engagierten Kollegen
der „Küstengang“ und des Küstenkreises diese Initiative
mit unterstützen, sondern auch darüber, dass vier Frak-
tionen sich einmütig für diesen Auslandseinsatz ent-
schieden haben. Das ist eine gute Grundlage für die Sol-
daten, die die Verantwortung übernehmen müssen.
Heutzutage gehen Piraten nicht mehr mit Kopftuch
und Entermesser zwischen den Zähnen auf Beutejagd.
Seeräuber von heute kommen tagsüber, blitzschnell,
kaltblütig und eröffnen sofort das Feuer. Mit Kalaschni-
kows und Panzerfäusten machen sie fast jedes Schiff und
dessen Besatzung gefügig, ganz gleich, ob Container,
Supertanker oder sogar Kreuzfahrtschiff; keine Schiffs-
klasse ist vor Piraten mehr sicher. Im Gegensatz zum
kargen Seefahrerleben früher ermöglicht das erpresste
Lösegeld heute Wohlstand, neuen Status und neue
Macht. Waren Piratenüberfälle bisher ein Problem in den
Meeren Südostasiens, sind sie jetzt in unsere Nähe ge-
rückt. Besonders vor der Küste Somalias sind sie zu ei-
ner Epidemie, nein, zu einer Pest auf dem Meer gewor-
den.
Die Lage ist dramatisch; Handeln tut not. Allein in
diesem Jahr griffen Piraten bereits über 200 Schiffe an.
Mehr als 120 wurden geentert. Vor Somalia brachten sie
in den ersten Monaten 49 in ihre Gewalt. Am heutigen
Tag, am 17. Dezember 2008, befinden sich 15 Schiffe in
der Gewalt von Piraten. 300 Seeleute sind gekidnappt
worden. Ich finde es richtig und notwendig, dass der
Bundestag sich der Themen annimmt und so zeigt, dass
er sich seiner Verantwortung und der Seriosität und
Ernsthaftigkeit der Themen bewusst ist. Es könnten auch
unsere Angehörigen sein, die davon betroffen sind. In
der vergangenen Woche gab es vier weitere Vorfälle.
Heute Nacht sind zwei Fälle von Piraterie dazugekom-
men. Die Angst der Seeleute und ihrer Angehörigen
wächst. Seeräuber halten die Seewelt in Atem. Sie ge-
fährden nicht nur die Sicherheit der internationalen See-
wege und die Sicherheit der Schiffsbesatzungen, sondern
sie entwickeln sich zu einer allgemeinen ernsthaften Ge-
fahr für den gesamten Welthandel. Auch deshalb ist
Handeln notwendig.
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Ein aktives Vorgehen ist dringend geboten. Der welt-
irtschaftliche Gesamtschaden allein für 2007 liegt in
reistelliger Millionenhöhe. Dazu kommen Kosten für
icherungsmaßnahmen, für Umgehungsrouten, für die
usstattung der Handelsschiffe mit Sicherheitstechnik
der die Einstellung bewaffneter Begleiter. Das treibt die
reise in die Höhe. Der Bürger vor Ort bezahlt den Bal-
ast der Piraterie.
Als führende Exportnation der Erde und als drittgröß-
es Schifffahrtsland der Welt haben wir Deutschen ein
erechtigtes und dringliches Interesse an der Bekämp-
ung der Piraterie. Unsere Mitwirkung kommt zwar ein
enig spät, aber sie kommt. Alle beteiligten Ministerien
das ist anzuerkennen – haben eine komplizierte Verfas-
ungslage regeln können, sodass wir zu den neun Natio-
en gehören, die sich in internationaler Solidarität an der
ktion „Atalanta“ beteiligen, um der Piraterie Herr zu
erden. Alle maritimen Staaten sollten sich beteiligen,
icht nur die neun, die sich jetzt zur Mitwirkung an der
ktion „Atalanta“ bereit erklärt haben.
Piraterie führt zu einer Destabilisierung des inter-
ationalen Handels. Doch auch Umweltkatastrophen un-
eahnten Ausmaßes können durch Piraterie ausgelöst
erden. Mit leckgeschlagenen Chemikalien- oder Öltan-
ern lassen sich ganze Meeresregionen verwüsten. Der
or Somalia gekaperte Supertanker „Sirius Star“ ist des-
alb ein scharfes Schwert in den Händen der Piraten.
er jetzt noch von kindhaften Kavaliersdelikten spricht,
issachtet den Ernst der Lage.
Zu lange wurde die Bedrohung durch die Piraterie un-
erschätzt. Bereits vor zwei Jahren haben von der Küste
ommende Abgeordnete der Union das Europäische Par-
ament und den EU-Ministerrat zum Handeln aufgefor-
ert. Erst mit der dramatischen Zunahme der Zahl der
berfälle hat man international eingegriffen. Es geht da-
um, Überfälle zu verhindern. Es geht um Abschre-
kung. Es gilt, die Sicherheit von Besatzungen und Pas-
agieren zu gewährleisten.
Es geht besonders darum, den Ursachen für die Pira-
erie nachzugehen. Wenn nach Aussage der WHO jähr-
ich gut 700 ausländische Fangflotten vor der Küste So-
alias die Fischbestände dezimieren und damit den
ischern vor Ort die Existenzgrundlage nehmen, stößt
an auf einen der Ausgangspunkte für die Piraterie.
inzu kommen die Verseuchung der dortigen Küstenge-
ässer durch verklappte Chemikalien, Armut und der
usammenbruch der Sicherheitssysteme. Hier muss in-
ernational umgehend angesetzt werden, wenn wir nicht
ollen, dass die Piraterie zu einer Dauergeißel der
chifffahrt wird.
Danke schön.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21069
)
)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11337 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: deutsche Anpassungsstra-
tegie an den Klimawandel.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-
desregierung hat sich in ihrer heutigen Kabinettssitzung
mit der Strategie zur Anpassung an den Klimawandel
befasst. Sie alle wissen, dass wir im Rahmen der Sen-
kung der Treibhausgasemissionen eine öffentliche Dis-
kussion darüber haben, wie wir den Klimawandel be-
grenzen können.
Das zweite Thema, das in diesem Zusammenhang
häufig insbesondere in unseren Breitengraden unter-
schätzt wird, ist die Anpassung an den bereits existieren-
den Klimawandel. Wir haben im Vergleich zur vorindus-
triellen Zeit eine globale Erwärmung von etwa 0,8 Grad
Celsius. Das klingt wenig; aber Sie wissen vermutlich,
dass schon geringe Temperaturschwankungen auf der
Erde außerordentlich große Wirkungen haben.
Wir werden zwar alles unternehmen, um den Anstieg
der Temperaturen global unterhalb von 2 Grad Celsius
im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten. Aller-
dings ist es so, dass auch ein Temperaturanstieg um bis
zu 2 Grad Celsius das Klima auf der Erde verändert und
in unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedliche
Folgen hat. Dramatische Folgen gibt es bereits heute in
den Ländern, die am wenigsten etwas für den Klima-
wandel können – sie sind nämlich so arm, dass sie keine
Treibhausgase über ihre Industrie oder ihre Energie-
erzeugung emittieren –, die aber, wie zum Beispiel afri-
kanische Länder, unter der Ausbreitung der Wüsten mas-
siv zu leiden haben.
Wir haben uns vorhin mit einem sicherheitspoliti-
schen Thema befasst. Es gibt bereits Kriege und Bürger-
kriege als Folge des Klimawandels. Beispielsweise ha-
ben sich im Sudan in den letzten 40 Jahren die Wüsten
um 100 Kilometer ausgebreitet. Ein Teil des dortigen
Kriegs- und Bürgerkriegsgeschehens ist ein Konflikt um
die Landmasse, auf der es noch genug Wasser gibt, um
Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.
Aber auch in unterschiedlichen Regionen unseres
Landes gibt es aufgrund dieser Temperaturänderungen
bereits veränderte Bedingungen. An der Zugspitze wird
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ichts Falsches macht und man sich b) auf die möglichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21071
)
)
Bundesminister Sigmar Gabriel
Folgen des Klimawandels einstellt. Sicherlich wird es
eher notwendig sein, mehr Deichrückverlegungen zu
machen als weniger.
Sie wissen vermutlich ebenso wie ich, dass nach dem
Elbehochwasser 2002 alle möglichen Pläne für Deich-
rückverlegungen entwickelt wurden. Ich glaube, nicht
einmal eine Handvoll der damals geplanten Maßnahmen
ist umgesetzt worden. Ich weiß, dass in Brandenburg an
der Elbe eine einzige Deichrückverlegung durchgesetzt
werden konnte. Meistens ist es eben so, dass man sich,
nachdem der Schaden eingetreten ist, einig darüber ist,
was man tun müsste. Wenn der Schaden aber vier
Wochen zurückliegt, beginnt eine andere, rückwärtsge-
richtete Debatte. Dann geht es auch um die Retentions-
bereiche und nicht mehr darum, mehr Ausbreitungsmög-
lichkeiten zu finden.
Ich glaube, im ersten Schritt geht es nicht darum, zu-
sätzliches Geld zu mobilisieren, sondern darum, Infra-
strukturmaßnahmen so auszugestalten, dass wir danach
besser mit dem Klimawandel umgehen können. Das gilt
insbesondere für die Land- und Forstwirtschaft. Das,
was dort heute investiert wird, soll in 60 oder 80 Jahren
geerntet werden. Anhand von Klimamodellen muss man
sich angesichts dessen überlegen, welche Investitionen
sinnvoll sind. Welche Investitionen sind in einem nicht-
autochthonen Wald, der gegenüber Witterungseinflüssen
anfälliger ist, sinnvoll? Wie kommen wir zu einem na-
turnahen Wald zurück? Es geht darum, nicht nur einen
Fichtenacker zu haben, wie es in der Region, aus der ich
komme, der Fall ist. Wir müssen Mischwälder aufbauen,
weil sie gegenüber mehreren Einflussfaktoren, die zu
Stress in der Natur führen können, stabiler sind.
Zur Frage nach dem internationalen Bereich. Die
Bundesrepublik Deutschland ist bislang das einzige
Land, das von den Einnahmen aus dem Emissionshandel
120 Millionen Euro – das sind etwa 25 Prozent des
Nettoerlöses – für Maßnahmen zur Anpassung an den
Klimawandel und für den Technologietransfer zur Verfü-
gung stellt. Wir stellen uns das so vor, dass die großen
Maßnahmen des Anpassungsfonds für die Schwellen-
und Entwicklungsländer insgesamt aus dem Kohlen-
stoffmarkt finanziert werden. Dazu gibt es sinnvolle Vor-
schläge der Europäischen Union. Die Staats- und Regie-
rungschefs haben auf ihrem Gipfel in der letzten Woche
eine politische Erklärung abgegeben, nach der sie sich
bereitfinden, im Rahmen internationaler Klimaschutz-
verträge auch dazu Beiträge zu leisten.
Es gibt aber auch einen, wie ich finde, hochinteres-
santen Vorschlag aus Mexiko, nach dem alle Länder der
Erde mit Ausnahme der Least Developed Countries in
den Anpassungsfonds einzahlen sollen, die Entwick-
lungsländer aber ihrem Entwicklungsstand entsprechend
Nettoempfänger sind. So soll klargemacht werden, dass
die Anpassung den Einsatz aller erfordert, auch Indien
und China mitspielen müssen. Der Nettoertrag der Ent-
wicklungsländer soll höher sein als der Betrag, den sie
eingezahlt haben. Ich finde, das ist ein interessantes Mo-
dell. Deutschland ist sehr daran interessiert, diesen mexi-
kanischen Vorschlag weiterzuentwickeln.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege
Michael Kauch.
Herr Minister, es gibt ja verschiedene Strategien der
Bundesregierung. Bei der Frage der Anpassung an den
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– Wenigstens an der Stelle. Das ist ja schon mal was. –
Ich habe nicht die Absicht, vernünftige Gesetzesvorla-
gen zu verändern.
Vielen Dank. – Kollege Fell, letzte Frage.
Herr Minister, damit keine Missinterpretation meines
Eingangssatzes vorliegt: Ich hatte Sie darauf hingewie-
sen, dass ein Klimawandel schon nicht mehr zu verhin-
dern ist. Sie hatten das vielleicht missinterpretiert und so
verstanden, dass das 2-Grad-Celsius-Ziel nicht mehr er-
reichbar ist. Ich glaube, dass wir darin übereinstimmen,
dass ein Anstieg um 2 Grad Celsius schon eine gravie-
rende Klimaveränderung ist, innerhalb derer gravierende
Folgen zu verzeichnen sein werden, wie die von mir ge-
nannten: Anstieg des Meeresspiegels und andere. Teilen
Sie diese Einschätzung?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Ja, ich teile sie ausdrücklich. Das ist dann in der Tat
ein Missverständnis gewesen. Ich hatte Ihren Ein-
gangssatz so verstanden, dass Sie davon ausgehen, dass
das 2-Grad-Celsius-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Sie
haben absolut recht.Ich glaube, ich habe in meiner Ein-
gangsbemerkung das Gleiche gesagt. Auch bereits deut-
lich unterhalb eines Anstiegs um 2 Grad Celsius gibt es
in vielen Teilen der Erde gravierende Veränderungen wie
die von Ihnen beschriebenen Probleme.
Danke.
Vielen Dank, Herr Minister. – Wir sind damit am
Ende der Regierungsbefragung.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 3:
Fragestunde
– Drucksachen 16/11350, 16/11372 –
Hier geht es zunächst um die Beantwortung der dring-
lichen Frage der Kollegin Monika Lazar:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung ange-
sichts des aktuellen, mutmaßlich neonazistisch motivierten
Angriffs auf den Passauer Polizeipräsidenten am 13. Dezem-
ber 2008 für die Bundesprogramme gegen Rechtsextremis-
mus, insbesondere hinsichtlich der finanziellen Kontinuität
der Förderung, des spezifischen Opferschutzes und der Nazi-
aussteigerangebote?
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Dr. Hermann Kues für den Ge-
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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)
Dann hat die Kollegin Ulrike Höfken eine Zusatz-
frage.
Vielen Dank. – Wir wissen mittlerweile, dass mehrere
Personen in der BGR bis hin zur Amtsleitung von der ra-
dioaktiven Kontamination gewusst haben. Wie viele
BGR-Mitarbeiter waren es eigentlich insgesamt, und
wurde jemals die bewusste Entscheidung getroffen, das
Wissen über die radioaktive Kontamination nicht extern
weiterzugeben, weil man dazu nicht explizit verpflichtet
war?
P
Frau Kollegin, obwohl das im Rahmen diverser An-
fragen der Frau Kollegin Kotting-Uhl mündlich und
schriftlich hier im Hause schon behandelt wurde, erläu-
tere ich es gerne noch einmal: Es ist zwischen dem blo-
ßen Hinweis, wie er im eben zitierten Quartalsbericht
erfasst ist, auf der einen Seite und der Bewertungskomp-
etenz, dem Gesamtüberblick und den verantwortlichen
Handlungen, die sich daran anschließen, auf der anderen
Seite zu unterscheiden. Eindeutig liegen die Bewer-
tungskompetenz und der Gesamtüberblick beim Landes-
amt für Bergbau, Energie und Geologie und die Rechts-,
Dienst- und Fachaufsicht im Blick auf atomrechtliche
und strahlenschutzrechtliche Fragen beim niedersächsi-
schen Umweltminister oder beim Bundesumweltminis-
ter. Deswegen sind die Fragen, die sich auf die Bundes-
anstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe beziehen,
an den falschen Adressaten gerichtet. Wir haben im Zu-
sammenhang mit den schriftlichen Fragen, die in den
Fragestunden behandelt wurden, immer jeweils alles
das, was dazu zu sagen ist, gesagt. Ich verweise auf das
eben von Frau Kollegin Kotting-Uhl genannte Protokoll
der Fragestunde vom 3. Dezember – das ist sehr lesens-
wert –, auf die schriftlichen Fragen der Kollegin und auf
die Antworten zu der Frage, wann wer was bekommen
hat und wie es weitergegangen ist. Das alles ist dort er-
fasst und im Plenum behandelt worden.
Die Unterstellung, die in Ihrer Frage angelegt ist, dass
sich aus dieser Information eine Handlungsnotwendig-
keit für das BGR ergeben hätte, ist deswegen falsch, weil
die Handlungsnotwendigkeit, die sich auf diesen Sach-
verhalt bezieht, eindeutig beim LBEG, beim NMU oder
beim BMU liegt, aber mit Sicherheit nicht beim BGR.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Cornelia
Behm.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich es unfassbar finde,
dass der zuständige Amtsleiter im Bundesamt für Geo-
wissenschaften und Rohstoffe, der spätestens seit dem
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
taatssekretär, meine Frage schließt wunderbar an Ihre
ntwort an. Ich möchte aber eine kurze Vorbemerkung
achen: Ich bin von Beruf Biologe, Schwerpunkt Bota-
ik. Trotzdem kann ich mit einem Begriff wie „radioak-
ive Kontamination“ etwas anfangen. Wer eine durch-
chnittliche naturwissenschaftliche Ausbildung hat – das
aben die hervorragenden Mitarbeiter dieser Bundesan-
talt; es sind überwiegend Geologen –, kann mit dem
egriff „radioaktive Kontamination“ ganz sicher etwas
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21079
)
)
Dr. Anton Hofreiter
anfangen. Sie stellen diese Naturwissenschaftler in ein
etwas seltsames Licht. Ich kann zwar verstehen, dass Sie
Ihr Ministerium verteidigen, aber nicht, wie.
Mich interessiert: Welche Mitarbeiter wussten von
der radioaktiven Kontamination? Welche berufliche
Qualifikation hatten diese Mitarbeiter? Ich wäre glück-
lich, wenn Sie uns schriftlich antworten und eine Liste
zukommen lassen könnten. Ich kann mir vorstellen, dass
Sie die Antworten nicht hundertprozentig im Kopf ha-
ben.
P
Herr Kollege, ich kann Sie in dem, was Sie zu mei-
nem Vorstellungsvermögen sagen, ausnahmsweise un-
terstützen.
Frau Präsidentin, ich muss es noch einmal sagen: Die
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ist
im Rahmen der klaren Zuständigkeitsordnung für die
Behandlung dieser Fragestellung schlicht und ergreifend
zu keinem Zeitpunkt verantwortlich gewesen. Deswegen
ist die Frage, ob dort tätige Mitarbeiter, die allesamt
hoch qualifiziert sind, mit diesem Begriff aus dem Quar-
talsbericht etwas anfangen können, für die Zuweisung
der politischen Verantwortung irrelevant.
Zuständig waren eindeutig das LBEG und die auf-
sichtsführenden Behörden auf der Schiene „niedersäch-
sischer Umweltminister/Bundesumweltminister“ und
nicht die Bundesanstalt. Deswegen ist es vollständig ir-
relevant, inwieweit die dortigen Mitarbeiter befähigt wa-
ren, diesen Begriff zu verstehen. Es ging erstens um die
Frage, wie das insgesamt zu bewerten ist, und zweitens
um die Frage des Gesamtüberblicks dort. Diese Fragen
konnte man in dieser Bundesanstalt nicht beantworten.
Natürlich hatte man dort auch keine Erkenntnisse da-
rüber – woher auch? –, was die zuständigen Behörden in
diesem Bereich unternommen haben. Das war auch nicht
ihres Amtes.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich
kann es nicht ganz nachvollziehen, dass Sie sagen, die
BGR sei hier nicht zuständig; schließlich greift die Bun-
desregierung in wesentlichen Endlagerfragen immer
wieder auf die Expertise der BGR zurück. Vielleicht
kann oder will die BGR die Bedeutung von radioaktiver
Verseuchung nicht richtig einschätzen und schon aus der
moralischen Verpflichtung heraus handeln. Außerdem
hat die BGR schon vor Jahren gutachterlich Stellung
zum einsturzgefährdeten Atommülllager Morsleben be-
zogen, und zwar in einer Art und Weise, dass kritische
Atommüllexperten heute von einem Gefälligkeitsgut-
achten sprechen; ich verweise nur auf Ausgabe 43/2008
des Magazins Der Spiegel.
Ich frage Sie deshalb: Mit welchen Maßnahmen stellt
das Wirtschaftsministerium sicher, dass die BGR bei ih-
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Deswegen kommen wir nun zum Geschäftsbereich
es Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
Die Antwort wird im Stenografischen Bericht der 196. Sitzung ab-
gedruckt.
21080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
und Verbraucherschutz. Die Fragen beantwortet Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Wie und wann soll nach Meinung der Bundesregierung die
Umsetzung des Beschlusses aus dem Jahr 2007 zum Ausbau
des Standortes des Julius-Kühn-Institutes, JKI, in Kleinmach-
now – ehemals Standort Ost der Biologischen Bundesanstalt
für Land- und Forstwirtschaft, BBA – erfolgen?
Ur
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte
Kollegin Behm, mit der Zustimmung des Deutschen
Bundestages am 24. Oktober 2007 zum Konzept für eine
zukunftsfähige Ressortforschung im Bereich des Bun-
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz wurde Kleinmachnow als neuer Standort
für zwei Institute des Julius-Kühn-Institutes bestätigt. Im
Rahmen der Erarbeitung dieses Konzepts wurden alle
Standorte mit Blick auf ihre fachliche Ausrichtung sowie
die Zahl der Mitarbeiter einer intensiven Prüfung unter-
zogen. Als Ergebnis dieser Überprüfung war eine Über-
arbeitung der bisherigen Nutzerforderung zum Ausbau
des Standorts Kleinmachnow auf der Basis von
123 Planstellen erforderlich. Auf dieser Berechnungs-
grundlage ist eine für den Ausbau erforderliche Bauun-
terlage zu erstellen.
Der beabsichtigte Erwerb der Liegenschaft, an die wir
in Kleinmachnow denken, durch die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben – Sie wissen, nicht mehr die Minis-
terien erwerben direkt, sondern die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben erwirbt die Liegenschaften – kann
erst dann erfolgen, wenn die haushaltsseitige Zustim-
mung für den Liegenschaftskauf und die sich anschlie-
ßende Baumaßnahme vorliegt.
Diese haushaltsseitige Zustimmung ist jedoch erst
dann möglich, wenn bislang ungeklärte Fragen abschlie-
ßend beantwortet sind. Das betrifft in Kleinmachnow
insbesondere die Frage, ob auf dem vom Land Branden-
burg zu erwerbenden Teilstück – ein Teil soll von der
Gemeinde Kleinmachnow gekauft werden – noch Altlas-
ten vorhanden sind und wer diese gegebenenfalls zu be-
seitigen hat. Weiterhin sind noch Fragen zum Grundwas-
serstand und zur Tragfähigkeit des Bodens offen. Da die
Maßnahme nach dem sogenannten einheitlichen Liegen-
schaftsmanagement des Bundes durchzuführen ist,
wurde die BImA mit der abschließenden Klärung der of-
fenen Fragen beauftragt.
Es findet auch Ihre Zustimmung, denke ich, dass wir
das Grundstück erst dann erwerben, wenn alle offenen
Fragen geklärt sind; anderenfalls können wir dem Steuer-
zahler gegenüber nicht vertreten, ein Grundstück für
8,5 Millionen Euro zu kaufen.
Zusätzlich ist die Vorlage einer genehmigten Bau-
unterlage erforderlich. Es ist davon auszugehen, dass
diese Bauunterlage bei zügiger Planung bis Ende 2009
erstellt ist. Dann wird es eine Etatisierung des Projekts
im Haushalt 2010 geben.
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Nein, Herr Kollege Schmitt, Sie können keine weite-
ren Zusatzfragen stellen.
Okay. Aber die Antwort ging an der Frage vorbei.
Das kann gelegentlich passieren. – Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Schmidt, herzlichen Dank.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung auf.
Die Fragen 11 und 12 der Abgeordneten Priska Hinz
sowie die Fragen 13 und 14 des Kollegen Kai Gehring
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staats-
minister Günter Gloser zur Verfügung.
Die Frage 15 des Kollegen Volker Beck sowie die
Frage 16 der Kollegin Petra Pau werden schriftlich be-
antwortet.
Ich rufe die Frage 17 auf:
Gab es ab Anfang 2002 doch Hinweise oder Informatio-
nen der US-Regierung an die Bundesregierung – ebenso wie
an die spanische Regierung –, dass Lufttransporte Terroris-
musverdächtiger zum Beispiel aus Afghanistan nach
Guantánamo und in andere bekannte oder geheime Gefäng-
nisse über Europa und Deutschland stattfinden, sowie Fragen
nach Zwischenlandemöglichkeiten in Deutschland, wie im
spanischen Außenministerium notiert worden sein soll mit
rung solche Information bzw. Anfrage seitens der US-Regie-
rung erhielt, wie hat sie darauf reagiert?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
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Da diese Meldung in mehreren Zeitungen aufgetaucht
st und sich ein veritabler Untersuchungsausschuss
chon seit vielen Monaten mit der Aufklärung unter an-
erem dieser Frage beschäftigt, möchte ich fragen: Hat
ie Bundesregierung diese Zeitungsberichte einmal zum
nlass genommen, bei der spanischen Regierung nach-
ufragen, wann das gewesen ist, ob es dazu Unterlagen
ibt und wie es zu der Meldung kommen konnte, dass
icht nur die spanische Regierung, sondern auch andere
uropäische Regierungen Anfang 2002 entsprechende
nformationen erhalten haben? Ist die Bundesregierung
iesen Hinweisen nachgegangen, um den Sachverhalt
ufzuklären?
Herr Kollege Ströbele, die erste Feststellung: Die
itglieder der Bundesregierung lesen selbstverständlich
eitung. Die zweite Feststellung: Sie selbst waren daran
eteiligt, dass der Untersuchungsausschuss einen Ermitt-
ungsbeauftragten eingesetzt hat, der versucht hat, diesen
ingen nachzugehen. Er ist zu dem Ergebnis gekom-
en, dass solche Hinweise und Informationen nicht vor-
elegen haben.
Ich darf hinzufügen: Als bekannt wurde, dass die US-
egierung im Frühjahr dieses Jahres die britische Regie-
ung über entsprechende Vorgänge unterrichtet hat, hat
undesaußenminister Frank-Walter Steinmeier dies zum
nlass genommen, seine Fragen in einem Brief festzu-
alten und ihn der amerikanischen Außenministerin
ondoleezza Rice persönlich zu übergeben. Darin war
uch die Bitte enthalten, der Bundesregierung auf ent-
prechende Fragen Antworten zu geben. Trotz mehrfa-
her Nachfragen haben wir bis heute keine Antwort er-
alten.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Mit Spanien verbindet uns eine solidarische Gemein-
chaft im Rahmen der Europäischen Union. Der spani-
che Außenminister sagte selber, dass es solche Informa-
ionen gegeben hat und dass auch andere europäische
änder – so sagte er laut Zeitungsberichten – entspre-
hende Informationen bekommen haben. Wäre es da
icht sinnvoll und naheliegend gewesen, nicht nur bei
er US-Außenministerin Frau Rice, sondern auch bei
em spanischen Kollegen von Herrn Steinmeier nachzu-
21084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Hans-Christian Ströbele
fragen, ob es vielleicht schriftliche Unterlagen und nä-
here Erkenntnisse gibt? Bisher besteht der Eindruck,
dass die Bundesregierung gar nicht wissen will, dass sol-
che Informationen damals gegeben worden sind.
Herr Kollege Ströbele, ich kann in aller Öffentlichkeit
sagen: Es besteht in der Tat eine ausgezeichnete Bezie-
hung zwischen Spanien und Deutschland. Für die Frage
„Wer hat was veranlasst, und wer hat wen möglicher-
weise nicht unterrichtet?“ ist die amerikanische Regie-
rung in der Person der Außenministerin der richtige An-
sprechpartner. Es wäre gut gewesen, wenn die Anfragen,
aber auch die Erinnerungen an unsere Anfragen in den
letzten Wochen beantwortet worden wären.
Ich rufe die Frage 18 auf:
Warum will die Bundesregierung keinen Personalbeitrag
gemäß der Doss-Liste zur Aufstockung der MONUC leisten,
obwohl der UNO-Generalsekretär mangels schnell verfügba-
rer Kapazitäten die EU offiziell um Unterstützung gebeten hat
und die kongolesische Zivilbevölkerung in den Kivu-Provin-
zen weiterhin akuten Gewaltexzessen der Kriegsparteien
schutzlos ausgesetzt ist?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Ich darf folgende Antwort geben: Die Bundesregie-
rung unterstützt die Friedensmission der Vereinten
Nationen MONUC bei der Erfüllung ihrer zentralen
Rolle in der Demokratischen Republik Kongo. Wichtig
sind in erster Linie der politische Prozess und dessen
Stärkung. Die Bundesregierung unterstützt die Vermitt-
lungsbemühungen des Sondergesandten der Vereinten
Nationen Obasanjo und des Vermittlers der Afrikani-
schen Union Benjamin Mkapa politisch und auch finan-
ziell.
MONUC benötigt zur Erfüllung ihrer Aufgaben zum
Schutz von Zivilisten nicht nur militärische Unterstüt-
zung, sondern dringend auch Unterstützung im nicht-
militärischen Bereich. Das ist das Ergebnis einer Reise
des Leiters der Abteilung Vereinte Nationen und Globale
Fragen des Auswärtigen Amts, Herrn Dr. Peter Wittig,
vom 8. bis zum 12. Dezember 2008 in den Kongo.
Die Bundesregierung will die teilweise mit Lava zu-
geschüttete Landebahn des Flughafens Goma in Zusam-
menarbeit mit der Welthungerhilfe und MONUC wie-
derherstellen. Dieses Projekt kommt MONUC direkt
zugute. Weiterhin werden derzeit in Zusammenarbeit mit
MONUC Projekte entwickelt, die der kongolesischen
Polizei zugutekommen sollen, die eine Schlüsselrolle im
Stabilisierungsplan MONUCs für den Osten spielt. Der
Aufbau einer funktionierenden Polizei ist eine zentrale
Aufgabe zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicher-
heit und zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht nur in
den Kivu-Regionen, sondern auch generell in der Demo-
kratischen Republik Kongo. Schon dieses Jahr wurde in
Zusammenarbeit mit der EU-Mission EUPOL ein Pro-
jekt durchgeführt. Auch bei der EU-Mission EUSEC, die
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Vielen Dank, Herr Staatsminister, für diese Antwort,
ie der entspricht, die Sie auf meine Kleine Anfrage ge-
eben haben. Es gibt zwar die Anfrage nach Hardware
onseiten des Generalsekretärs der UNO. Die Bundes-
egierung sagt aber: Njet, wir werden uns daran nicht be-
eiligen. – Sie verhindert sogar Entsprechendes inner-
alb der EU. Ich nenne einmal, was die Doss-Liste
nthält: 2 Infanteriebataillone, 2 Kompanien Spezial-
räfte, 18 Transporthubschrauber, 2 Transportflug-
euge, 1 Pioniereinheit, 200 Militärs, 2 zusätzliche
tehende Polizeieinheiten. Das ist so von der UNO be-
chlossen worden, und der Generalsekretär hat bei der
U Entsprechendes angefragt.
Meine Frage lautet – erst die zweite Frage bezieht
ich auf den politischen Prozess –: Es ist ja nicht so, wie
ie sagen, dass die UNO politisch agieren will. Solana
at vielmehr drei Optionen entwickelt, über die er jetzt
it Ban Ki-moon spricht. Eine davon sieht den Einsatz
iner EU-Battle-Group und eine zweite die Beteiligung
n MONUC vor. Wieso sagen Sie, die Bundesregierung
nd die EU würden nur politisch etwas machen, sich
ber nicht an der Doss-Liste beteiligen, während Solana
enau dies mit Ban Ki-moon besprechen wird?
Frau Kollegin Müller, ich darf sagen: Der Sachver-
alt, wie Sie ihn jetzt vorgetragen haben, stimmt so
icht. Das Erste ist – da sind sich alle in der Europäi-
chen Union einig; es hat ja verschiedene Sitzungen des
ußenministerrates gegeben –, dass es wichtig ist, den
olitischen Prozess in Gang zu bringen bzw. zu unter-
tützen, also die Bemühungen der Vermittler, die ich
orhin genannt habe, und die Gespräche, die angekün-
igt wurden, zu unterstützen.
Der andere Punkt ist: Wie kann im Rahmen der ent-
tandenen Situation, die sich aus der tatsächlichen Stärke
on MONUC, der Notwendigkeit, MONUC zu verstär-
en, und der Tatsache ergibt, dass diese Verstärkung län-
ere Zeit in Anspruch nimmt, möglicherweise eine sol-
he Brückenmission, wie es der Generalsekretär der
ereinten Nationen genannt hat, gestartet werden? Da-
über ist in den letzten Tagen auch im Rahmen des
ußenministerrates gesprochen worden. Es ist richtig:
s gibt verschiedene Optionen. Dazu ist noch keine Ent-
cheidung getroffen worden, sodass dem Generalsekre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21085
)
)
Staatsminister Günter Gloser
tär noch keine Antwort seitens der Europäischen Union
gegeben werden kann.
Sie können noch eine Zusatzfrage stellen.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Eine Nachfrage zum politischen Prozess. Die Anfrage
der UNO betrifft ganz konkrete Hardware, mit der
MONUC in der Lage wäre, die Menschen zu schützen.
2 Millionen Menschen und massenhaft vergewaltigte
Frauen können nicht warten, bis ein mit langem Atem
anzugehender politischer Prozess begonnen hat und be-
endet ist. Also noch einmal meine Nachfrage: Wird die
Bundesregierung positiv auf diese Anfrage des General-
sekretärs antworten? Wenn Nein: Wird sie wenigstens
nicht verhindern, dass sich die Europäische Union posi-
tiv äußert und sich an dieser Aufstockung beteiligt?
Liebe Kollegin Müller, ich darf noch einmal sagen,
dass wir nicht die Einzigen sind, die an bestimmten Stu-
fen dieses Prozesses gesagt haben, welche Schritte not-
wendig sind. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland
blockiert nicht. Im Gegenteil: Die Optionen lagen auf-
grund des Schreibens auf dem Tisch der Außenminister.
Bis jetzt hat erst ein einziges Mitgliedsland, nämlich
Belgien, signalisiert, dass es militärische Unterstützung
leisten würde. Inwieweit MONUC bei der Logistik oder
in anderen Bereichen Unterstützung finden könnte, ist
noch nicht entschieden. Zu dieser Frage findet in der
Europäischen Union ein Prozess statt. Deshalb kann man
nicht davon sprechen, dass die Bundesregierung diesen
Prozess blockiert.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Kerstin Müller auf:
Aus welchem Grund unterstützt die Bundesregierung
nicht mit hochrangigen Politikern vor Ort die Vermittlungsbe-
mühungen des UNO-Sondergesandten Olusegun Obasanjo
zwischen der kongolesischen Regierung und den Nkunda-Re-
bellen, zumal die aktuellen Friedensbemühungen in Nairobi
wieder stillstehen, die Krisenbearbeitung in Kenia Anfang
2008 die Wichtigkeit einer starken, geschlossenen und koordi-
nierten internationalen Gemeinschaft verdeutlicht hat und die
Bundesregierung schließlich selbst betont, dass ein dauerhaf-
ter Frieden im Kongo einer politischen Lösung des Konflikts
bedarf?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Die Vermittlungsbemühungen des Vermittlers der
Vereinten Nationen, Olusegun Obasanjo, machen nach
den der Bundesregierung vorliegenden Informationen
trotz gelegentlicher Verzögerungen insgesamt gute Fort-
schritte. Zusammen mit ihren EU-Partnern unterstützt
die Bundesregierung diese Vermittlungsbemühungen
ebenso wie die Bemühungen des Vermittlers der Afrika-
nischen Union, Benjamin Mkapa. Der Bundesminister
des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, hat in
den vergangenen Wochen mehrfach mit dem Staatspräsi-
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Ist es nicht so, dass Deutschland fast der einzige
roße europäische Staat ist, der anders als Frankreich
nd Großbritannien Obasanjo bei der Vermittlung ohne
orbehalte unterstützen könnte? Jedenfalls ist das etwas,
as uns gegenüber immer wieder geäußert wird. Sie ha-
en von zwei Telefonaten gesprochen: mit dem Außen-
inister des Kongo und mit Herrn Kagame. Ich frage
eshalb noch einmal: Warum gibt es keine Unterstüt-
ung durch einen prominenten deutschen Vermittler, der
or Ort dazu beiträgt, dass der notwendige Druck auf
kunda und Kabila erhöht wird? 2006 gab es immerhin
ine EU-Mission. Es ist mir unverständlich, dass von un-
erer Seite nicht wirklich intensiv Druck ausgeübt wird,
m die Vermittlungsbemühungen von Obasanjo zu un-
erstützen.
Ich kann nur wiederholen, dass die Europäische
nion in dieser Angelegenheit sehr aktiv ist, die Präsi-
entschaft aktiv geworden ist – das entspricht der Rolle
iner Präsidentschaft – und andere Repräsentanten das
um Anlass genommen haben, mit der Präsidentschaft
u reisen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Ini-
iativen. Es wird versucht, durch andere Maßnahmen den
ruck zu erhöhen und die Notwendigkeit von Friedens-
esprächen herauszustellen. Das ist auch durch den Au-
enminister geschehen. Ich denke, das reicht neben den
emühungen der Vermittler, die bereits vorhanden sind,
us.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Wir haben gerade 60 Jahre Menschenrechtscharta ge-
eiert. Ich konnte der Rede des Außenministers lauschen.
r hat sich auf die beschlossene Schutzverantwortung,
esponsibility to Protect, bezogen, sogar den Kongo er-
ähnt. Ich frage Sie noch einmal: Wenn Sie dies als ver-
indliche Handlungsgrundlage der Bundesregierung an-
ehen, warum wird die Bundesregierung dann nicht
21086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Kerstin Müller
aktiver, um die Menschen dort vor massiver Gewalt zu
schützen?
Frau Müller, den Vorwurf, wir würden nicht aktiver
schützen, kann ich so nicht stehen lassen. Die Bundesre-
publik Deutschland – das wissen vielleicht nur wenige –
ist beispielsweise der drittgrößte Geber für die Mission
MONUC. Wir haben das auch hinsichtlich der humanitä-
ren Arbeiten und Hilfen deutlich gemacht. Ich habe vor-
hin das Projekt erwähnt, das Herr Außenminister
Steinmeier bei einer der letzten Ratssitzungen angekün-
digt hat, nämlich die Wiederherstellung des Flughafens.
Dies geschieht auf ausdrücklichen Wunsch verschiede-
ner NGOs, der Welthungerhilfe, aber auch der örtlichen
Autoritäten, damit den Menschen dort geholfen werden
kann. Es gibt Aktivitäten des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Man
kann also nicht sagen, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land und dass diese Bundesregierung nicht aktiv sind.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Eid.
Herr Staatsminister, Sie haben jetzt verschiedentlich
darauf hingewiesen, dass politische Lösungen notwen-
dig sind, um den Konflikt im Osten des Kongos zu lö-
sen. Stimmt die Bundesregierung mit der Auffassung
vieler afrikanischer Staats- und Regierungschefs über-
ein, dass ein Grund für die Destabilisierung im Osten des
Kongos darin besteht, dass ehemalige ruandische Völ-
kermörder im Osten des Kongos Schutz gesucht haben
und dass es, um an die Ursache des Konfliktes zu gehen,
dringend erforderlich ist, diese etwa zwischen 6 000 und
10 000 bewaffneten Milizionäre und Ex-FAR-Leute aus
der Region umzusiedeln, damit in der Region endlich
Ruhe eintritt? Was tut die Bundesregierung, um genau an
diese Ursache heranzugehen und zu helfen, das Problem
zu lösen?
Noch einmal: Dieser Aspekt, den Sie ansprechen, ist
in erster Linie eine Frage der beteiligten Akteure. Es
liegt zum Zweiten auch in der Verantwortung der Afrika-
nischen Union und der beteiligten Staaten, die sich um
die Lösung dieses Konfliktes bemühen. Es gibt in den
letzten Tagen Zeichen, dass es dort – auch wenn es uns
in keiner Weise zufriedenstellen kann – Fortschritte gibt.
Eingebettet in dieses Gesamtkonzept ist die Aufgabe der
Bundesregierung zu sehen.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Dr. Uschi Eid auf:
Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen,
um Druck auf den simbabwischen Staatspräsidenten Robert
Mugabe auszuüben, damit dieser zum Rücktritt gezwungen
wird?
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as ja auch erlaubt, die entsprechende Anzahl an Zu-
atzfragen zu stellen.
Sie haben dann vier Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Dr. Uschi Eid auf:
In welcher Form unterstützt die Bundesregierung Bemü-
hungen, damit in Simbabwe eine Übergangsregierung ohne
Robert Mugabe eingerichtet wird und der Wählerwille von
Mai 2008 respektiert wird?
Ich darf wie folgt antworten: Der simbabwische Prä-
ident, Robert Mugabe, und die Führer der beiden Oppo-
itionsparteien haben am 15. September 2008 ein
bkommen unterschrieben, nach dem sie die Regie-
ungsgewalt teilen wollen. Robert Mugabe soll danach
räsident bleiben, Morgan Tsvangirai soll Premierminis-
er mit umfangreichen Regierungskompetenzen werden.
ie Bundesregierung hat zusammen mit ihren Partnern
n der Europäischen Union stets die Umsetzung dieses
bkommens und die umgehende Bildung einer hand-
ungsfähigen Regierung gefordert. Dabei müssen Regie-
ungsverantwortung und -macht so aufgeteilt werden,
ass der in den Wahlen vom März 2008 zum Ausdruck
ekommene Wählerwille respektiert wird. Dies hat
eutschland im Rahmen der EU mehrfach gefordert.
ie Umsetzung des Abkommens stagniert allerdings seit
er Unterzeichnung im September. Mugabe hat vor al-
em in den letzten Tagen gezeigt, dass er an einer Macht-
eilung kein Interesse hat.
Ihre Zusatzfragen.
Stimmt die Bundesregierung mit mir überein, dass
ich die stille Diplomatie des ehemaligen südafrikani-
chen Staatspräsidenten Thabo Mbeki damit als erfolg-
os erwiesen hat? Ist die Bundesregierung bereit, ge-
einsam mit anderen Afrikanern, die diesen Prozess in
imbabwe stoppen wollen, Sorge dafür zu tragen, dass
ach einem anderen Vermittler gesucht wird, weil klar
eworden ist, dass die Vermittlungen des ehemaligen
üdafrikanischen Staatspräsidenten nicht zum Erfolg
ühren?
Frau Dr. Eid, es hat in der Vergangenheit viele Si-
nale hinsichtlich des Prozesses in Simbabwe gegeben.
as hat gelegentlich zu Gegenreaktionen in den dortigen
ändern insbesondere im Süden Afrikas geführt. Aber
ch glaube, dass in der Zwischenzeit auch bei den be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21087
)
)
Staatsminister Günter Gloser
nachbarten Ländern und insbesondere den SADC-Län-
dern deutlich geworden ist, dass Druck auf die Regie-
rung Mugabe auszuüben ist.
Ihre nächsten Zusatzfragen.
Ist der Bundesregierung der Vorschlag der Internatio-
nal Crisis Group bekannt, nach der ein von der AU und
der UNO gemeinsam eingesetzter Vermittler, also eine
respektierte Persönlichkeit, ernannt werden soll? Es gibt
einige Namen, zum Beispiel den des ehemaligen UNO-
Generalsekretärs Kofi Annan. Diesem Vermittler soll die
Aufgabe übertragen werden, eine Übergangsregierung,
vielleicht ohne Mugabe und ohne Tsvangirai, zu etablie-
ren, um dann neue Wahlen vorzubereiten.
Ich möchte diesem Schritt nicht vorgreifen und darauf
spekulieren in Erkenntnis dessen, dass sich die Afrikani-
sche Union in wenigen Tagen genau wegen der Entwick-
lung in Simbabwe zu einem Sondergipfel treffen wird.
Ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, dass bei den
Teilnehmern andere Einschätzungen und Bewertungen
als noch vor einigen Monaten vorhanden sind. Das Er-
gebnis dieses Gipfels sollte zunächst einmal abgewartet
werden.
Unternimmt die Bundesregierung in der institutionali-
sierten Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Union und der SADC, also der Entwicklungsgemein-
schaft des Südlichen Afrikas, sowie der AU Schritte, da-
mit in diesem Prozess dieses Thema sehr hochrangig be-
arbeitet wird und Maßnahmen ergriffen werden, um
Simbabwe in der derzeitigen Lage erst einmal zu stabili-
sieren?
Frau Dr. Eid, es ist Folgendes festzustellen: Vor eini-
ger Zeit – ich glaube, das war im November – war Herr
Tsvangirai hier in Berlin zu Besuch. Er hat noch einmal
deutlich gemacht, dass die Machtteilung, die vereinbart
worden ist, für ihn ein ganz wesentlicher Schritt zur Sta-
bilität ist. Dazu gehört natürlich auch der andere Partner.
Die Frage ist: Ist Mugabe überhaupt bereit, diese Macht-
teilung so zu vollziehen, wie man sie vereinbart hat?
Ein zweiter Punkt ist, dass es nicht nur um die Rolle
der Bundesregierung geht, sondern dass es um ein ge-
meinsames Handeln, ein synchrones Vorgehen in der Eu-
ropäischen Union geht, um gegenüber den Partnern im
Süden Afrikas deutlich zu machen, dass es in erster Li-
nie ihre Aufgabe ist, entsprechend Einfluss zu nehmen,
dass beispielsweise dieses Machtteilungsabkommen um-
gesetzt wird und es möglicherweise zu weiteren Schrit-
ten kommen kann. Aber das ist in erster Linie vor Ort zu
leisten.
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Herr Staatsminister, wir haben heute vom Außen-
inister im Ausschuss erfahren, dass der Sondergipfel,
uf den Sie sich gerade beziehen, wahrscheinlich gar
icht stattfinden wird, weil er nämlich zurzeit aktiv von
üdafrika, dem untauglichen Vermittler, hintertrieben
ird. Deshalb können Sie sich eigentlich nicht darauf
erufen, dass man die Ergebnisse abwarten sollte.
Was tun die Bundesregierung und die Europäische
nion im Rahmen eines kohärenten Vorgehens, wenn
ie Afrikaner nicht tagen oder wenn sie tagen und nicht
andeln? Ich möchte in diesem Zusammenhang noch
inmal auf die Responsibility to Protect verweisen. Da-
in heißt es: Wenn ein Staat seiner Verantwortung nicht
erecht wird, ist die gesamte internationale Gemein-
chaft in der Pflicht. Man kann es also nicht auf die AU
chieben, die vielleicht teilweise mit Mugabe unter einer
ecke steckt. Was tun Sie, wenn die Menschen massen-
eise an Cholera sterben und diese Krankheit auf die
achbarländer übergreift?
Frau Kollegin Müller, Sie wissen aus früheren Aufga-
en, dass ich keinen Grund habe, meinem Außenminis-
er zu widersprechen. Dass der Gipfel nicht stattfindet,
as mag so sein, weil es unterschiedliche Entwicklungen
21088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Staatsminister Günter Gloser
gibt. Aber beabsichtigt ist natürlich, dass dieser Gipfel
stattfindet. Es ist deutlich geworden, dass die Einschät-
zung der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft
gegenüber dem Regime Mugabe in der Vergangenheit
möglicherweise nicht richtig gewesen ist.
Ich erinnere an die ganzen Debatten im Vorfeld des
EU-Afrika-Gipfels im letzten Jahr unter portugiesischer
Präsidentschaft, bei der es um die Frage ging, ob man
Mugabe einlädt oder nicht, und bei der es zu einer Ge-
genreaktion der afrikanischen Staaten gekommen ist und
sie Mugabe unterstützt haben, weil sie es für notwendig
gehalten haben, dass er an dem Gipfel teilnimmt. Daran
sieht man aber, dass mittlerweile auch in den Ländern
des südlichen Afrikas ein Umdenken stattgefunden hat,
auch wenn es viel zu lange gedauert hat. Ich hoffe, dass
dieses Umdenken auch zu konkreten Schritten führt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. –
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums des Innern auf.
Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staats-
sekretär Peter Altmaier.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Hakki Keskin
auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von türki-
rechte Gewalt zunehmend gegen Migrantinnen und Migranten
mit türkisch-muslimischem Hintergrund richtet, vor dem Hin-
tergrund, dass im Zeitraum von Februar 2006 bis April 2008
einer Auflistung der Türkischen Gemeinde Nürnberg zufolge
94 gemeldete Angriffe gegen türkische Migrantinnen und Mi-
granten, ihr Eigentum, ihre Vereinigungen und Moscheen in
Deutschland registriert worden sind, und, wenn ja, welche
Konsequenzen zieht sie hieraus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
P
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Mit Ihrer und Herrn
Keskins Zustimmung würde ich gern die Fragen 22 und
23 im Zusammenhang beantworten. Sie können dann
entsprechend mehr Zusatzfragen stellen.
Dann rufe ich auch die Frage 23 des Kollegen
Dr. Hakki Keskin auf:
Welche notwendigen Schutzvorkehrungen sind bislang ge-
troffen worden, um türkische Migrantinnen und Migranten,
ihr Eigentum und ihre Vereinigungen und Moscheen vor der
gestiegenen rechten Gewalt zu schützen, und, sollten keine
Maßnahmen ergriffen worden sein, welche Schutz- und Prä-
ventionsmaßnahmen wird die Bundesregierung beschließen,
um Angriffe gegen türkische Migrantinnen und Migranten zu
verhindern?
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nenden Antwort auf meine entsprechende Frage in der Frage-
Auskünfte gemäß § 10 a Abs. 2 Satz 1 FMStFG keineswegs
ausschließlich dem SoFFin-Kontrollgremium des Bundesta-
ges zustehen, sondern die gesetzlichen Kontrollrechte aller
Abgeordneten und sonstigen Ausschüsse uneingeschränkt be-
stehen bleiben, zumal die Bundesregierung zu solchen Nach-
fragen Anlass gibt, etwa indem sie trotz Rüge der EU-Kom-
mission der Commerzbank zu wenig Kreditzinsen
abverlangen wollte ?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
N
Sehr geehrter Herr Kollege, bislang sind Garantien
emäß § 6 des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes
ugunsten der Hypo Real Estate Holding AG, der HSH
ordbank sowie der Bayern LB gewährt worden. Ent-
prechend sollen den Antragstellern bei Stabilisierungs-
aßnahmen in Form der Garantie Auflagen gemäß § 5
bs. 2 Nr. 1 der entsprechenden Verordnung aufgegeben
erden. Auflagen zu Vergütungshöhe, Abfindungen,
oni und anderen Vergütungsteilen von Organmitglie-
ern sind für Garantien hingegen nicht vorgesehen.
Zu den konkreten Vertragsgestaltungen der bereits ab-
eschlossenen oder künftigen Stabilisierungsmaßnah-
en darf sich die Bundesregierung – insoweit bleiben
ir bei unserer Position – nur gegenüber dem eigens da-
ür eingerichteten Gremium zum Finanzmarktstabilisie-
ungsfonds gemäß § 10 a des Gesetzes äußern. Dieses
remium ist eingerichtet worden, um die Mitglieder des
eutschen Bundestages über die konkrete Ausgestaltung
on Stabilisierungsmaßnahmen informieren zu können,
hne dabei die berechtigten Geheimhaltungsinteressen
er betroffenen Unternehmen zu verletzen. Diese Rege-
ung des § 10 a wurde nach ausführlicher Debatte des
esetzgebers, also dieses Parlaments, unter Abwägung
er widerstreitenden Interessen des Parlaments auf der
inen Seite und der Antragsteller auf der anderen Seite
etroffen. Der verfassungsgemäße parlamentarische In-
ormationsanspruch ist im Übrigen selbst durch die Ver-
assung begrenzt, in diesem Fall durch den in
rt. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährten Schutz von
etriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21091
)
)
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Kollegin, können Sie mir sagen, wie ich als Bun-
destagsabgeordneter mein Kontrollrecht gegenüber der
Bundesregierung ausüben soll, wenn ich überhaupt
keine Informationen über die Ausgestaltung der gefor-
derten Auflagen oder Ähnliches bekomme? In dem Ge-
setz steht ja nicht, dass nur dieses Gremium Informatio-
nen bekommen darf. Es heißt dort, dass dieses Gremium
Informationen bekommt und die Mitglieder dieses Gre-
miums zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet sind.
Also auch mir darf mein Kollege nicht mitteilen, was er
dort erfahren hat. Wie kann ich dann noch meiner parla-
mentarischen Pflicht – so fasse ich es jedenfalls auf – zur
Kontrolle dieser Abgabe von Garantieerklärungen in
Milliardenhöhe nachkommen?
N
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben sich wieder auf
Garantieerklärungen, also Bürgschaften, bezogen. Ich
weise noch einmal darauf hin, dass dafür diese Auflagen
nicht gelten. Dies wollte ich zunächst fachlich klarstel-
len.
Gerade Sie wissen doch, dass es auch bei anderen
Themenfeldern zur Geheimhaltung verpflichtete Gre-
mien gibt, die den Kontrollauftrag des gesamten Parla-
ments sicherstellen. Ich habe schon darauf hingewiesen,
dass es im Gesetzgebungsverfahren eine Abwägung zwi-
schen den verschiedenen Pflichten gibt. Da wir aber
grundgesetzlich auf die von mir angesprochene Wahrung
von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verpflichtet
sind, hat sich der Gesetzgeber – die Mehrheit dieses Par-
laments – nun eben dafür entschieden, Detailinformatio-
nen, also die konkreten Vertragsgestaltungen, nach de-
nen Sie gefragt haben, ausschließlich dem zur
Geheimhaltung verpflichteten Gremium zu geben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Kollegin, ich nehme einmal an, Sie stimmen mit
mir darin überein, dass das Recht zur Kontrolle des
Haushalts eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste
Recht des Parlaments gegenüber einer Regierung ist.
Wenn jetzt beschlossen worden ist, dass ein Betrag – ich
meine den Gesamtbetrag: die Garantieerklärungen und
alles andere – in mehrfacher Höhe des Bundeshaushalts
vergeben werden kann, ohne dass über 90 Prozent der
Abgeordneten wissen können, unter welchen Vorausset-
zungen Gelder vergeben werden, dann kann das Haus-
haltsrecht der Abgeordneten nicht mehr wahrgenommen
werden. Dies unterscheidet sich grundlegend von der
Kontrolle der Geheimdienste. Mir ist auch bewusst, dass
die Bestimmung, die Sie ins Gesetz aufgenommen ha-
ben, zum Teil wörtlich den Bestimmungen des Gesetzes
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antwortet wurde, dass Daten dazu dem Parlament unter Wah-
rung der entsprechenden Vorgaben der Vertraulichkeit über
den Haushaltsausschuss zugänglich seien, und wann rechnet
die Bundesregierung mit der Möglichkeit der Einsichtnahme
für Bundestagsabgeordnete in die Wirtschaftlichkeitsberech-
nungen für die Pilotprojekte der Betreibermodelle zum mehr-
streifigen Ausbau von Autobahnen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
K
Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Hofreiter, die Ant-
ort lautet wie folgt: Die Antwort auf die Kleine An-
rage besagte, dass dem Parlament im Bedarfsfall bei
ahrung der entsprechenden Vorgaben vertrauliche Do-
umente zur Verfügung gestellt werden könnten. Eine
21092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Parl. Staatssekretärin Karin Roth
im Rahmen der nunmehr konkret an den Haushaltsaus-
schuss gerichteten Anfrage erfolgte abschließende Prü-
fung hat ergeben, dass für diesen konkreten Fall die
Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages die ge-
eignete Stelle ist. Die Überleitung der gewünschten
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an die Geheimschutz-
stelle des Deutschen Bundestages ist immer an die vor-
hergehende Prüfung der Rechtslage gebunden. Dies er-
fordert einen zeitlichen Vorlauf. Wir sind bemüht, Ihnen
bis zum Ende der Woche das Ergebnis der rechtlichen
Prüfung mitzuteilen.
Ihre erste Zusatzfrage.
Sie gestehen also ein, dass die Antwort auf die Kleine
Anfrage, dass ich mir jederzeit die Wirtschaftlichkeits-
untersuchungen via Haushaltsausschuss ansehen kann,
falsch war?
K
Herr Kollege Hofreiter, wir haben aufgrund der An-
frage des Haushaltsausschusses geprüft. Wir werden nun
weiter prüfen – im Laufe dieser Woche wird Ihnen das
Ergebnis mitgeteilt –, ob die Möglichkeit besteht, Ein-
sicht zu nehmen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Das heißt, Sie leiten es nicht dem Haushaltsausschuss
zu, sondern, wenn überhaupt, der Geheimschutzstelle?
K
Ja.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Inwieweit trifft es zu, dass im Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung ein zweiter Referentenent-
wurf für ein Gesetz zur Änderung personenbeförderungs-
rechtlicher Vorschriften erarbeitet wird, und wann rechnet die
Bundesregierung mit der parlamentarischen Behandlung?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
K
Herr Dr. Hofreiter, folgende Antwort dazu: Das Bun-
desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
hat im August 2008 einen Referentenentwurf für ein
Gesetz zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher
Vorschriften vorgelegt und hierzu eine Anhörung der
Bundesländer und der Verbände durchgeführt. Der
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Frau Staatssekretärin, mir ist bekannt, dass es zwei
öllig unterschiedliche Referentenentwürfe in Ihrem
aus gibt. Meine Frage lautet: Ist auch Ihnen das be-
annt?
K
Ich gehe davon aus, dass wir einen Referentenentwurf
ur Anhörung verschickt haben, und der gilt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Meine Frage galt nicht dem verschickten Referenten-
ntwurf. Der ist inzwischen offiziell öffentlich. Meine
rage betrifft den zweiten Referentenentwurf, der dem
rsten konträr widerspricht. Ist Ihnen bekannt, dass ein
olcher vorliegt, und können Sie etwas zu dessen Inhal-
en sagen? – Sie brauchen mir nichts zu den Inhalten zu
agen; denn ich habe ihn ohnehin.
K
Herr Dr. Hofreiter, wenn Sie mehr als ich wissen,
ann tun Sie das, was Sie vorgeschlagen haben.
Die Frage 41 des Kollegen Peter Hettlich und die
rage 42 des Kollegen Dr. Ilja Seifert werden schriftlich
eantwortet.
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Veronika Bellmann
uf:
Wie ist der Sachstand des Streckenausbaus der Eisenbahn-
strecke Dresden–Berlin, und in welcher Höhe sind Mittel da-
für im Bundeshaushalt 2009 verankert bzw. vorgesehen?
K
Liebe Kollegin Bellmann, die Ausbaustrecke Ber-
in–Dresden wird in zwei Baustufen realisiert. Die erste
austufe ist der Ausbau auf 160 km/h, der teilweise re-
lisiert ist, und die zweite Ausbaustufe ist der Ausbau
uf 200 km/h. Für die Maßnahmen der ersten Baustufe,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21093
)
)
Parl. Staatssekretärin Karin Roth
erste Realisierungsstufe, ist die Inbetriebnahme erfolgt.
Es finden noch Restarbeiten statt.
Was den Streckenausbau im Rahmen von Maßnah-
men der zweiten Realisierungsstufe der ersten Baustufe
– also die geplanten Investitionen von rund 199,9 Millio-
nen Euro, davon Finanzierungsanteil des Bundes von
132 Millionen Euro und EFRE-Mittel von 57,3 Millio-
nen Euro – betrifft, ist der Baubeginn für 2009 vorgese-
hen. Die Einzelfinanzierungsvereinbarung hierfür wurde
am 11. Dezember 2008 gezeichnet.
Die Ausbaustrecke Berlin–Dresden wurde in die indi-
kative Liste der Großprojekte des EFRE-Bundespro-
gramms, operationelles Programm Verkehrsinfrastruk-
tur, für die Förderperiode 2007 bis 2013 aufgenommen.
Die Europäische Kommission hat das operationelle Pro-
gramm und die indikative Liste der Großprojekte am
7. Dezember 2007 genehmigt. Im Juli 2008 wurde die
DB Netz AG gebeten, die erforderlichen Schritte für die
Erarbeitung von zwei Großprojektanträgen zur EFRE-
Finanzierung zu unternehmen. Dem Vernehmen nach
liegen erste Antragsentwürfe zur DB-AG-internen Prü-
fung vor.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Sie sagten, dem Vernehmen nach lägen erste Ent-
würfe vor. Wie schätzen Sie denn den realisierbaren
Baubeginn ein? Der Hintergrund ist: Wir hatten jetzt den
Fahrplanwechsel und fahren von Dresden bis Berlin
18 Minuten länger. Wir liegen heute weit über der Fahr-
zeit von 1936, als man noch mit der Dampflok gefahren
ist. Ich habe diese Frage schon des Öfteren gestellt. Ich
möchte jetzt gerne wissen: Wann kann es wirklich losge-
hen?
K
Liebe Kollegin Bellmann, ich verstehe die Dringlich-
keit Ihrer Frage. Sie möchten gern, dass alles übermor-
gen erledigt ist. Ich habe aber gerade angedeutet, dass
wir die erfreuliche Nachricht haben, dass wir im
Jahr 2009 mit der Realisierungsstufe beginnen und im-
merhin 199,9 Millionen Euro für dieses Projekt zur Ver-
fügung stellen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich wiederum auf
diese Strecke. Die Strecke Berlin–Dresden ist im TEN-
Leitschema der Europäischen Union als Hochgeschwin-
digkeitsstrecke von 200 km/h festgelegt. Im Verlauf der
letzten Jahre und Monate ist man auf das Thema EFRE-
Finanzierung gekommen: 160 km/h mit der Option
200 km/h.
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as ist Ziel und Zweck dieser Veranstaltung.
Im nächsten Projekt wird die Frage der Finanzierung
nd der Realisierung behandelt. Wir haben mehrere Stu-
en, insgesamt drei, wie Sie wissen. Deshalb wird nicht
lles auf einmal geschehen, sondern nacheinander. Wir
erden uns bemühen, die Projekte im Bereich der
chiene – übrigens im Osten wie im Westen – im Rah-
en unserer Haushaltsmöglichkeiten so zu organisieren
nd zu finanzieren, dass sie möglichst bald durchgeführt
erden können. Auch Sie wissen: Wir können nicht
ämtliche Projekte im Bereich des Schienenverkehrs
leichzeitig finanzieren. Deshalb bin ich froh, dass wir
m 11. Dezember eine Vereinbarung getroffen haben.
er nächste Schritt wird folgen, und Sie bleiben am Ball.
Der Kollege Hofreiter würde gerne noch eine Zusatz-
rage stellen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, wir haben im Ver-
ehrsausschuss immer wieder interessante Erfahrungen
it der DB AG gemacht. Es ist tröstlich, dass eine
inanzierungsvereinbarung getroffen worden ist. Wir
issen allerdings, dass das bei der DB AG in der Regel
enig hilft. Das Treffen einer solchen Vereinbarung ist
war eine notwendige, aber keine hinreichende Voraus-
etzung dafür, dass etwas passiert.
Mich würde der Zeitplan interessieren. Meine Nach-
ragen: Wann ist Baubeginn? Wann rechnen Sie mit dem
bschluss dieser Bauarbeiten? Wann rechnen Sie damit,
ass die dritte Stufe, nämlich der Ausbau auf 160 km/h,
egonnen und abgeschlossen werden kann? Das ist das,
as die Leute interessiert. Sie wollen nicht wissen, ob
ie eine Finanzierungsvereinbarung getroffen haben,
ondern wann die Langsamfahrstellen beseitigt werden
nd wann für Beschleunigung gesorgt wird. Mich inte-
essiert der Zeitplan für Anfang und Ende der Bauarbei-
en. Was die dritte Stufe angeht: Wann sollen Anfang
nd Fertigstellung sein?
21094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
K
Herr Dr. Hofreiter, ich habe gesagt – es ist ganz klar –,
2009 ist Baubeginn. Bis 2012, also insgesamt drei Jahre,
soll die Baumaßnahme durchgeführt werden. Das haben
wir geplant. Ich verstehe, dass Sie immer wieder kriti-
sche Diskussionen über die DB AG führen möchten. An
dieser Stelle ist aber ganz klar, dass wir im Rahmen die-
ser Vereinbarung den Baubeginn für 2009 avisieren. Bis
2012 soll diese Baumaßnahme realisiert sein.
Die Frage der dritten Ausbaustufe wird in den nächs-
ten Jahren zu entscheiden sein. Wie gesagt, werden alle
Entscheidungen nacheinander getroffen.
Herr Kollege Mücke, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie werden verstehen, dass ich
der Meinung bin, dass Ihre Antworten nicht besonders
befriedigend sind. Wie Sie wissen, ist ursprünglich ge-
plant gewesen, dieses Projekt 2007 fertigzustellen, und
zwar für Tempo 200 km/h. Mittlerweile schreiben wir
das Jahr 2008, bald beginnt das Jahr 2009, und Sie ver-
trösten uns hier auf das Jahr 2013 mit einem Ausbau bis
Tempo 160 km/h bzw. mit der Beseitigung von Lang-
samfahrstellen. Das ist insgesamt ein wenig befriedigen-
der Zustand.
Ich höre, dass die Bundesregierung an einem zweiten
Konjunkturpaket bastelt. Ich gehe davon aus, dass in die-
sem Konjunkturpaket weitere, auch finanzielle Maßnah-
men zur Stärkung der Infrastruktur vorgesehen sind.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass der Ausbau der
Bahnstrecke Dresden–Berlin für das Tempo 200 km/h
durch das Konjunkturpaket II mitfinanziert werden
wird?
K
Herr Kollege Mücke, zunächst zum Zeitraum: Die
Fertigstellung soll 2012 sein.
Es gibt in verschiedenen Bereichen Schienenprojekte,
die realisiert werden, wenn es ein zweites Konjunkturpa-
ket gibt – worauf alles hindeutet. Ich will an dieser Stelle
sagen: Es geht auch um die Vorarbeiten für die dritte Re-
alisierungsstufe, die man dann einleiten muss. Auch Sie
wissen: Man kann erst dann bauen, wenn die Planung
abgeschlossen ist. Insofern verstehe ich, dass Sie alle
sehr unglücklich darüber sind, dass das länger dauert als
geplant. Das gilt aber nicht nur für dieses Schienenpro-
jekt, sondern auch für andere. Deshalb müssen wir jetzt
gemeinsam versuchen, die Schienenprojekte auf den
Weg zu bringen, die schon fertig geplant sind, und die
Planungen voranzubringen, die notwendig sind. Dafür
werden wir uns einsetzen.
Ich rufe die Frage 44 des Kollegen Lutz Heilmann
auf:
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der gesagt hat – das ist auch in einer Zeitschrift niederge-
legt; die genaue Quelle kann ich Ihnen noch nachreichen –,
dass man für 10 000 Autos noch nicht einmal eine Um-
gehungsstraße um Bad Oldesloe bauen würde. Das heißt,
dass selbst aus dem Verkehrsministerium gesagt wurde,
dass es keinen Bedarf gibt. Das ist ja ein Widerspruch zu
Ihrer Aussage. Könnten Sie mir den noch einmal erläu-
tern? Ich habe Ihnen ja jetzt eine konkrete Zahl genannt
und eine Aussage eines Staatssekretärs aus dem Bundes-
verkehrsministerium angeführt.
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Frau Präsidentin! Herr Heilmann, Sie haben ja die Feh-
marnbelt-Querung mit der Begründung des Bedarfs in-
frage gestellt. Hierzu will ich Ihnen sagen, dass die Euro-
päische Union diese Querung als förderfähiges Projekt in
das Programm der transeuropäischen Netze aufgenom-
men hat. Dafür gibt es in Europa offensichtlich gute
Gründe. Deshalb wird Europa ja auch im Rahmen der
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Der Versuch der CSU im bayerischen Wahlkampf, so
zu tun, als hätte sie mit der Sache nichts zu tun, war
dreist.
Sie haben ja sogar Unterschriften gegen Ihr eigenes Ge-
setz gesammelt.
Aber lassen Sie uns heute einmal einen Blick auf die
Haltung der Bundeskanzlerin werfen. Die Bundeskanz-
lerin hat sich die ganze Zeit beharrlich geweigert, die
Pendlerpauschale wieder voll anzuerkennen. Keinen
Millimeter hat sie sich bewegt. Die FDP hat entspre-
chende Anträge gestellt.
Die CSU hat gebettelt und gefleht. Aber die Bundes-
kanzlerin kannte zu dem Thema nur ein Wort: Nein.
Meine Damen und Herren, wir haben auch im Zusam-
menhang mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ent-
sprechende Anträge gestellt und darauf hingewiesen,
dass eine steuerliche Entlastung der Menschen in
Deutschland dringend erforderlich ist und die Pendler-
pauschale für viele unverzichtbar ist. Die Bundeskanzle-
rin aber blieb bei ihrem schlichten Nein.
Am Tag der Urteilsverkündung hat nun die gleiche
Bundeskanzlerin die richterliche Entscheidung begrüßt
und erklärt – ich zitiere –:
Ich unterstütze und halte es für absolut wichtig,
dass wir das Geld angesichts der Wirtschaftslage
jetzt den Menschen zurückgeben.
Meine Damen und Herren, eines wollen wir hier einmal
ganz deutlich festhalten: In Sachen Pendlerpauschale
und Steuerentlastung ist die Bundeskanzlerin in
Deutschland nicht das Gaspedal, sondern die Bremse.
Sie musste vom Bundesverfassungsgericht zum Jagen
getragen werden.
Man braucht als Regierung schon Sadomaso-Tenden-
zen,
wenn man sich öffentlich darüber freut, dass die eigenen
Gesetze vom Bundesverfassungsgesetz für verfassungs-
widrig erklärt werden.
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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war
bsehbar. Bereits im Gesetzgebungsverfahren haben alle
achverständigen – auch die der Großen Koalition – auf
inen eklatanten Verstoß gegen das Grundgesetz hinge-
iesen. Deshalb hat die Wiedereinführung der Pendler-
auschale nichts, aber auch gar nichts mit einem Kon-
unkturprogramm der Bundesregierung zu tun.
Es ist auch keine großzügige Geste der Bundesregie-
ung, dass sie den Menschen für die Jahre 2007 bis 2009
etzt insgesamt 7,5 Milliarden zurückgeben wird. Es ist
chlicht und einfach der Sieg der Steuerzahlerinnen und
teuerzahler über die Finanzpolitik der Großen Koali-
ion. Sie müssen zahlen, weil Sie mit Ihrer verfassungs-
idrigen Steuerpolitik vor Gericht gescheitert sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat richtig entschie-
en. Eine steuerliche Entlastung ist für die Menschen ge-
enwärtig sehr hilfreich. Die Frage ist nur, weshalb die
ichtigen Antworten auf die schwierige wirtschaftliche
ituation vom Bundesverfassungsgericht kommen und
icht von dieser Bundesregierung.
Sie sollten das zum Anlass nehmen – Sie sollten sich
etzt vom Bundesverfassungsgericht belehrt fühlen und
ollten mit Ihrer Steuer- und Finanzpolitik etwas klein-
auter werden –,
ieses Land endlich aktiv zu gestalten und die Menschen
teuerlich zu entlasten. Es ist höchste Zeit.
21098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Dr. Volker Wissing
Nach einer Infratest-Umfrage machen die bisherigen
Aussagen der Bundesregierung zur derzeitigen Rezes-
sion 53 Prozent der Deutschen Angst. Der effektivste
Schutz vor einem Abschwung ist aber das Vertrauen der
Menschen, dass wir die Krise gemeinsam bewältigen
können. Was wir in dieser Situation bräuchten, ist eine
Regierung, die den Menschen Orientierung gibt, damit
sie Zuversicht und Hoffnung schöpfen können.
Wenn man sich vor Augen führt, wie sich die Bundes-
regierung bei der Pendlerpauschale verhalten hat, wird
leider klar, dass Ihnen in der Finanzpolitik ein Stand-
punkt fehlt. Kein Wunder also, dass Sie auch keine
Orientierung haben.
Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich war am letzten Dienstag in Karlsruhe bei der
Urteilsverkündung.
Ich glaube, es gehört zur Aufrichtigkeit dazu, zuzuge-
ben, dass dieser Tag für die Große Koalition im Deut-
schen Bundestag kein guter Tag war.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nicht ein-
stimmig, aber eben doch mehrheitlich entschieden, dass
die 2006 mit den Stimmen der Großen Koalition be-
schlossene Abschaffung der Pendlerpauschale unter an-
derem nicht mit dem objektiven Nettoprinzip vereinbar
ist.
Das ist zu akzeptieren. Wir sollten auch politisch die
Größe haben, diese Niederlage vor dem Bundesverfas-
sungsgericht als solche zu bezeichnen.
Ich gehöre aber nicht zu denen, die jetzt sagen: Vielen
Dank, liebes Bundesverfassungsgericht! Danke für die-
ses zusätzliche Konjunkturprogramm!
Die Entscheidung im Jahre 2006, die Pendlerpau-
schale erst ab dem 21. Kilometer zu gewähren, haben
wir damals nicht aus Jux und Tollerei getroffen. Es gab
für uns damals zwingende haushalterische Gründe. Die
damit verbundenen Einsparungen sollten dazu beitragen,
den Bundeshaushalt, der damals ein strukturelles Defizit
von beinahe 60 Milliarden Euro aufwies, zu sanieren.
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as Bundesverfassungsgericht sagt: Die dem Steuerge-
etzgeber – also uns – zustehende Gestaltungsfreiheit
mfasst von Verfassungs wegen die Befugnis, neue Re-
eln einzuführen, ohne durch Grundsätze der Folgerich-
igkeit an frühere Grundentscheidungen gebunden zu
ein.
Dies setzt allerdings voraus, dass wirklich ein neues
egelwerk geschaffen wird.
as Bundesverfassungsgericht erklärt also das Werktor-
rinzip nicht grundsätzlich für unzulässig, sondern es
tellt fest, dass es prinzipiell im Ermessen des Gesetzge-
ers steht – aber eben nur dann, wenn hiermit auch ein
rundsätzlicher Systemwechsel erfolgt, ein System-
echsel und nicht das seit Jahrzehnten übliche Herum-
eschraube am Einkommensteuergesetz.
Ich empfinde deswegen dieses Urteil als Ruf des Bun-
esverfassungsgerichts nach dem großen Wurf bei der
inkommensteuer. Wir sollten daher diese Entscheidung
ls Anstoß betrachten, über einen wirklichen System-
echsel in der Einkommensteuer nachzudenken. Es
uss eine Einkommensteuerreform geben, die entlastet,
ie radikal vereinfacht und die schon aufgrund ihrer Ein-
achheit ein Mehr an Gerechtigkeit bedeutet.
assen Sie uns daran arbeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21099
)
)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Abschaffung der Pendlerpauschale war von Anfang
an Murks. Dies hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht
bestätigt. Das Schlimme ist allerdings, dass Sie sehenden
Auges verfassungswidrige Gesetze durch den Bundestag
durchdrücken.
Sachverständige, aber auch Oppositionspolitiker der
FDP und der Linken haben Ihnen von Beginn an gesagt,
dass es so nicht geht, dass es verfassungswidrig ist.
Der Gipfel ist allerdings, dass die Bundeskanzlerin
aus dieser Niederlage vor dem Bundesverfassungsge-
richt nun einen Teil ihres Konjunkturprogrammchens
machen möchte. Sie sagte, dass es die richtige Antwort
auf die jetzige Wirtschaftssituation ist. Da kann man nur
noch hören und staunen.
Das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar be-
stätigt, dass der Beitrag, den die staatliche Gemeinschaft
für das Funktionieren der Gesellschaft dem Einzelnen
abverlangen kann, eben nicht der Willkür von politi-
schen Mehrheiten unterliegt, sondern gewissen Grund-
sätzen zu folgen hat. Es hat klar herausgestellt, dass der
Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gilt.
Dies war umso nötiger, weil Sie von der Großen Koali-
tion zunehmend nur noch auf einer Seite entlasten, näm-
lich die Reichen und Vermögenden.
Die Erbschaftsteuer war das letzte Beispiel dafür. Diese
wissen mittlerweile gar nicht mehr, wohin mit ihrem
Geld, und zocken an den Finanzmärkten.
Auf der anderen Seite belasten Sie insbesondere Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und
Rentner.
Wenn Herr Steinbrück dann in Reaktion auf das Urteil
verkündet: „Wir werden uns das Geld nicht an anderer
Stelle zurückholen; das verträgt die derzeitige Konjunk-
turlage nicht“,
dann frage ich mich wirklich, wo ich bin. Durch dieses
Urteil wird klar: Dies ist ein Rechtsanspruch der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer und beruht nicht auf
Großzügigkeit von Herrn Steinbrück.
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enn er so formuliert, so muss man vermuten, dass er
chon im Kasten hat, wo er wieder zugreifen möchte. Ei-
entlich würde er den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmern die jetzt fällig werdenden 7,5 Milliarden Euro
m liebsten an anderer Stelle aus der Tasche ziehen. Ge-
au das sagt er indirekt durch diesen Satz.
Schauen wir einmal in die Geschichte. CDU, CSU
nd SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die
endlerpauschale gestrichen wird. Herr Steinbrück hat
as damit begründet, dass das ein verfassungsgemäßer
ubventionsabbau sei. Wir waren von Anfang an dage-
en. Im Frühjahr dieses Jahres ist die CSU aufgrund
chlechter Umfrageergebnisse in Bayern umgeschwenkt
nd hat gesagt: Das müssen wir unbedingt ändern. – Sie
un ja heute noch so, als ob sie von Anfang an mit der
ache nichts zu tun hatten und schon immer gegen die
eduzierung der Pendlerpauschale waren.
Dreimal hat Ihnen die Fraktion der Linken die Mög-
ichkeit gegeben, Ihre Meinung zu ändern.
ch verweise auf den 25. September dieses Jahres. Wir
aben die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale
ier zur Abstimmung gestellt. Die CDU/CSU hat ge-
chlossen dagegen gestimmt. Bei der SPD gab es eine
timme für die Wiedereinführung. Bei den Grünen gab
s bis auf eine Enthaltung auch nur Gegenstimmen. Nur
ie FDP und die Linken haben geschlossen dafür ge-
timmt.
ir standen von Anfang an dazu; das muss man an die-
er Stelle sagen.
Wir vertreten diese Position sowohl aus verfassungs-
echtlichen Gründen als auch aus verteilungspolitischen
ründen. Sie haben es jetzt schwarz auf weiß: Beruflich
edingte Aufwendungen sind Werbungskosten und als
olche steuerlich absetzbar. Fahrten zur Arbeit und wie-
er zurück sind keine Privatausgaben, Herr Steinbrück,
nd damit auch keine Subventionen.
Wenn wir jetzt handeln müssen, so lassen Sie uns
och zumindest diesmal vernünftig handeln und auf das
ören, was die Sachverständigen sagen. Alle Verkehrs-
ittel müssen berücksichtigt werden: sowohl das Auto
nd der öffentliche Personennahverkehr – da, wo es not-
endig ist, eventuell der Fernverkehr – als auch das
ahrrad und die Füße.
21100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Dr. Barbara Höll
Wer öffentliche Verkehrsmittel benutzt, muss die
realen Kosten absetzen dürfen. Dies gilt insbesondere
aus ökologischen Gründen und angesichts der Tatsache,
dass Herr Mehdorn gerade wieder die Bahnpreise um
durchschnittlich 3,9 Prozent erhöht hat.
Wir müssen uns natürlich auch überlegen, wie wir mit
dem Fakt umgehen, dass viele Menschen im Rahmen der
steuerlichen Absetzbarkeit nichts von der Wiedereinfüh-
rung haben, da sie zu solch geringen Löhnen arbeiten
müssen
und weit entfernt von ihrem Arbeitsplatz leben, dass sie
gar nicht in die Situation kommen, Steuern zu zahlen. In
diesem Zusammenhang muss man über eine negative
Einkommensteuer nachdenken.
Diese Dinge liegen auf dem Tisch. Wir werden dran-
bleiben, und Sie sollten sich dazu stellen, ob Sie es wirk-
lich ernst damit meinen, die Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichtes umzusetzen.
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt es
nichts zu deuteln. Der Bundesfinanzminister hat in einer
gemeinsamen Erklärung mit dem hessischen Minister-
präsidenten umgehend reagiert. Im Ergebnis wird die
alte Pendlerpauschale in Höhe von 30 Cent pro Entfer-
nungskilometer nun allen Steuerpflichtigen rückwirkend
für die Jahre 2007 und 2008 und in jedem Fall unverän-
dert auch für das kommende Jahr, für 2009, gewährt.
Angesichts der besonderen Vorgeschichte würde ich die-
ses Ergebnis im Moment nicht öffentlich als Konjunk-
turpaket anpreisen.
Gleichwohl bleibt die nüchterne Feststellung, dass die
Binnenkaufkraft in Deutschland dadurch im voraussicht-
lich schwierigen Jahr 2009 spürbar gestärkt wird, was
für sich genommen nur zu begrüßen ist. Auch das ist,
glaube ich, richtig.
Für mögliche Veränderungen der Pendlerpauschale in
späteren Jahren – Kollege Gutting hat darauf hingewie-
sen – hat das Bundesverfassungsgericht in durchaus ein-
drucksvoller Weise wichtige Wegmarken gesetzt; auch
das begrüße ich ausdrücklich. Das hat meine Fraktion
und mich in unserer Auffassung bestätigt, dass es richtig
ist, auf die Gerichtsentscheidung zu warten, bevor man
erneut eine gesetzliche Neuregelung, die von den Linken
und anderen gefordert wurde, in Angriff nimmt – das
sage ich durchaus auch in Richtung CSU. Bei dieser
Auffassung bleibe ich, auch wenn die Gerichtsentschei-
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Für mich ist diese Entscheidung des Bundesverfas-
ungsgerichts erkennbar von dem Bemühen geprägt, auf
er einen Seite den Gesetzgeber unmissverständlich in
ie Verantwortung zu nehmen, sich auf der anderen Seite
ber ebenso unmissverständlich der Einmischung in
eine Ermessensspielräume zu enthalten. Ein solches
emühen, das in der Entscheidung des Bundesverfas-
ungsgerichts erkennbar ist, konnte ich bei der vorausge-
angenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht er-
ennen. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist
iesbezüglich an mehreren Stellen eine milde Rüge der
inanzrichter zu erkennen. Anders als zuvor der Bundes-
inanzhof hat das Bundesverfassungsgericht jetzt dem
esetzgeber gezeigt, dass angesichts gewichtiger ökono-
ischer oder ökologischer Einwände im Einzelfall
urchaus eine Abkehr von systembildenden Prinzipien
es Steuerrechts möglich ist, wenngleich es an eine sol-
he Durchbrechung hohe Anforderungen stellt. Diese
erfassungsrechtlichen Anforderungen werden bei allen
ünftigen Überlegungen zu Veränderungen bei der Pend-
erpauschale sorgsam zu beachten sein.
Für uns Sozialdemokraten – das möchte ich noch ein-
al betonen – werden daneben natürlich stets auch die
ozialen Anforderungen eine zentrale Rolle spielen.
eshalb steht für uns die Wahrung der Interessen der Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch künftig bei all
iesen Überlegungen an erster Stelle, was konkret heißt,
ass Änderungen der Pendlerpauschale bei diesen, das
eißt, bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
icht zu Mehrbelastungen führen dürfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
ie Kollegin Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
est steht, dass die Bundesregierung und mit ihr der Fi-
anzminister Peer Steinbrück und mit ihm wiederum
ein Kompagnon Roland Koch aus Hessen eine ziemli-
he Klatsche bekommen haben. Nach der Anhörung war
chon klar – das haben meine Vorrednerinnen und Vor-
edner schon gesagt –, dass dieses Gesetz nicht verfas-
ungskonform ist. Das hat sich jetzt bestätigt. Das haben
ir Ihnen rechtzeitig gesagt. Sie hätten Zeit gehabt,
echtzeitig eine vernünftige Regelung vorzulegen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21101
)
)
Christine Scheel
Ich finde es völlig verrückt, dass noch kurz vor dem
Urteil vonseiten der Bundesregierung gesagt wurde, die
Regelung, die man getroffen habe, sei gerecht und recht-
lich zulässig. In verschiedenen Zeitungen wurde die Sa-
che so dargestellt, als ob man sich auf dem richtigen
Weg befinde. Wir sind froh, dass sich das Bundesverfas-
sungsgericht von der Argumentation des BMF nicht be-
eindrucken ließ.
Ich finde es dreist, wenn jetzt gesagt wird – die Bun-
deskanzlerin führte das aus –: Die Menschen bekommen
Geld zurück, und das ist ein supertolles Konjunkturpro-
gramm. Dazu kann man nur sagen: Das ist kein Kon-
junkturprogramm; denn man weiß, dass jeder zweite
Haushalt in Deutschland aufgrund niedriger Einkommen
keine Steuern zahlt, sondern nur von der Abgabenbelas-
tung betroffen ist. Diejenigen, die keine Steuern zahlen,
können auch keine Rückzahlung der Pendlerpauschale
erwarten. Deswegen ist es sozial nicht gerecht. Deswe-
gen trifft es nicht zu, dass dies eine Unterstützung für die
Haushalte sei, die das Geld in der heutigen konjunkturell
schwierigen Zeit dringend brauchen.
Wir haben jetzt die Situation, dass vielen Bürgerinnen
und den Bürgern diese Rückzahlung zusteht, dass sie sie
hoffentlich sehr schnell erhalten und dass sich viele Bür-
gerinnen und Bürger darüber freuen. Das ist gut; denn
die Bevölkerung darf nicht unter den schlechten Geset-
zen, die die Koalition macht, leiden.
Deswegen ist es wichtig, dass das alles jetzt sehr zügig
abgewickelt wird.
Wir halten es für bemerkenswert – Kollege Gutting
hat darauf hingewiesen –, dass das Bundesverfassungs-
gericht in seinen Vorgaben durchaus Spielraum lässt.
Wir müssen für die Zukunft eine gesetzliche Regelung
finden – sie wird hoffentlich sehr schnell gefunden –, da-
mit Klarheit herrscht, was 2010 gilt. Dieser Regelung
müssen Überlegungen zugrunde liegen, was verkehrspo-
litisch, was umweltpolitisch und was unter dem Ge-
sichtspunkt einer sozialen Gerechtigkeit im Steuerabga-
bensystem Sinn hat. Hier muss man ansetzen, um eine
umweltfreundliche und soziale Lösung zu finden. Dies
könnte beispielsweise eine Mobilitätszulage sein.
Die Grünen haben bereits Vorschläge dazu gemacht.
Denn wir sehen, dass all diejenigen, die einen weiten
Weg zur Arbeit haben, weil sie in der Nähe ihres Wohn-
ortes keine Arbeit finden, auf öffentliche Verkehrsmittel
oder das Auto angewiesen sind, wenn es zu weit ist, mit
dem Fahrrad zu fahren. Diese Personen sollten unabhän-
gig vom Verkehrsmittel eine Mobilitätszulage ausgezahlt
bekommen. Das kann man zum Beispiel bei denjenigen,
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Das ist der Grundansatz. Diesen Grundansatz hatte
ie Bundesregierung aufgehoben. Den richtigen Ansatz
er rot-grünen Regierung, alle Verkehrsmittel gleich zu
ehandeln und den öffentlichen Nahverkehr besser ein-
ubeziehen, haben Sie mit Ihrem unsinnigen Gesetz
urchbrochen. Deswegen hat das Bundesverfassungsge-
icht zu Recht gesagt: Das ist falsch. Unser Auftrag, der
er Regierung, aber auch der der Opposition, ist es jetzt,
u helfen, eine vernünftige Lösung für die Zukunft zu
inden.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für
ie Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
esser spät als nie. Seit letzter Woche haben wir endlich
larheit. Die gesetzliche Regelung der Pendlerpauschale
st verfassungswidrig. Es ist gut, dass die Feststellung
es Bundesfinanzhofes zur steuerlichen Bewertung von
endlerfahrten vom Bundesverfassungsgericht bestätigt
urde.
ahrten zur Arbeit sind rein berufliche Fahrten und soll-
en deshalb steuerlich abgesetzt werden können.
In einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft ist hohe Mo-
ilität der Arbeitnehmer ein unverzichtbarer Standort-
orteil.
nsbesondere das sollten wir immer sehen. Dem muss
er Staat Rechnung tragen. Er darf sich nicht an rein fis-
alischen Erwägungen orientieren.
21102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Dr. h. c. Hans Michelbach
Für den Arbeitsmarkt gilt, dass die Pendlerkosten ge-
rade die leistungswilligen Arbeitnehmer belasten. Dabei
profitiert auch der Staat von den steigenden Ausgaben
der Pendler durch deutlich höhere Steuereinnahmen bei
den Energiesteuern und der Umsatzsteuer.
Auch darauf muss man den Blick richten.
Wir müssen dem gefräßigen Steuerstaat, der die Steu-
erzahler durch Mehrfach- und Substanzbesteuerungen
überfordert, Einhalt gebieten, wenn wir die Leistungsbe-
reitschaft und Flexibilität der Menschen sichern wollen.
– Herr Niebel, seien Sie ruhig, gerade Sie profitieren da-
von, dass die falsche Regelung beschlossen wurde.
Sonst säßen Sie nicht in der Münchener Staatsregierung.
Der Steuerstaat ist auf Glaubwürdigkeit und Akzep-
tanz angewiesen. Steuerpolitik muss gerecht sein. Des-
halb wäre es besser gewesen, wenn unsere Bedenken da-
mals Gehör gefunden, wir uns durchgesetzt bzw. früher
gehandelt hätten. Eine Korrektur durch das Bundesver-
fassungsgericht ist immer ein Offenbarungseid. Ich stelle
fest: Für die CSU war der Tag in Karlsruhe ein guter
Tag.
Wir sollten daraus lernen, dass rein fiskalische Be-
trachtungen in der Steuerpolitik nicht ausreichen. Sie rä-
chen sich geradezu. Es muss stets ein ordnungs- und
steuerrechtliches Grundprinzip gelten. Dies haben die
Richter auch schon früher angemahnt.
Ich denke zum Beispiel an die Vermögensteuer oder an
die Absetzbarkeit der Vorsorgebeiträge bei der Kranken-
versicherung.
Für einen Neuanfang brauchen wir eine große Steuer-
reform. Das ist notwendig.
Als vertrauensbildende Sofortmaßnahme und zur Kon-
junkturförderung sollte in den nächsten Wochen ein Bür-
gerentlastungsgesetz beschlossen werden, das gerade die
Absetzbarkeit von Pendlerkosten und Krankenversiche-
rungsbeiträgen, den höheren Grundfreibetrag und die
kalte Progression im Steuertarif verfassungsgerecht löst.
Dazu ist ein Bürgerentlastungsgesetz aus verschiedenen
Gründen notwendig: zum Beispiel aus Gründen des
Steuerrechts und zur Steigerung der Kaufkraft. Mehr
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Mit den Rückzahlungen muss in allen Bundesländern
och vor Weihnachten begonnen werden. Leider ist mit
en Rückzahlungen bisher nur in Bayern, Niedersachsen
nd Hamburg begonnen worden. Es sollte keine steuer-
olitischen Winkelzüge mehr geben. Wir brauchen
laubwürdigkeit und Kaufkraftstärkung in der und
urch die Steuerpolitik.
Ich darf noch einmal deutlich machen: Rein fiskali-
che Konsolidierungs- und Haushaltspolitik wird immer
ieder scheitern. Wachstums- und Beschäftigungsein-
rüche sind für die Steuereinnahmen immer kontrapro-
uktiv. Wer sich zur falschen Zeit rein fiskalisch orien-
iert, wird am Ende eine Bauchlandung machen.
eswegen müssen wir deutlich machen, dass durch
ehr Wachstum und Beschäftigung und durch Frei-
äume in der Steuerpolitik letzten Endes die Chance am
rößten ist, dass wir aus dieser Rezession möglichst
chnell herauskommen.
as muss unser gemeinsames Ziel sein, damit die Men-
chen durch die Steuerpolitik mehr Netto vom Brutto ha-
en und wieder mehr Geld ausgeben können.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann-Otto Solms
ür die FDP-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann gut verste-
en, dass der Kollege Michelbach ärgerlich ist, nachdem
as Bundesverfassungsgericht nun das zurechtgerückt
at, was die CSU, wie sie im bayerischen Landtagswahl-
ampf angekündigt hat, gerne selber durchgesetzt hätte,
as ihr von der eigenen Bundeskanzlerin aber untersagt
orden ist.
iesen Ärger kann ich wirklich nachvollziehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21103
)
)
Dr. Hermann Otto Solms
Die FDP hat von Anfang an gesagt, dass die von Ih-
nen getroffene Regelung verfassungswidrig ist. Über das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts darf sich also nie-
mand wundern. Nachdem ich mir die Reden, die Sie
heute gehalten haben, angehört habe, habe ich allerdings
den Eindruck: Keiner ist es gewesen, und das ist von
ganz alleine gekommen. Denn jetzt distanzieren sich alle
davon.
Wenn Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
durchlesen, stellen Sie fest: Das ist kein Urteil in einer
einfachen Sachfrage – es geht nicht nur um die Entfer-
nungspauschale –, sondern eine vernichtende Beurtei-
lung der Gesetzgebungspraxis der Großen Koalition,
also Ihrer Regierung.
Lassen Sie mich kurz aus der Pressemitteilung des
Gerichts zitieren:
… es geht bei der Abgrenzung der steuerlichen Be-
messungsgrundlage um die gerechte Verteilung von
Steuerlasten. Hierfür kann die staatliche Einnah-
menvermehrung jedoch kein Richtmaß bieten, denn
diesem Ziel dient jede, auch eine willkürliche
Mehrbelastung.
Das Gericht sagt also: Sie haben einfach zugegriffen, um
den Bürgern noch mehr Geld wegzunehmen, völlig ohne
Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Grundprinzi-
pien. – Das ist ein hartes Urteil.
Wenn man sich anschaut, womit sich das Bundesver-
fassungsgericht in dieser Legislaturperiode befassen
musste, stellt man fest, dass es noch nie eine Bundes-
regierung gegeben hat, die so häufig vor dem Bundes-
verfassungsgericht gescheitert ist:
im Januar 2007 mit dem Erbschaftsteuer- und Bewer-
tungsgesetz, im Dezember 2007 mit den Regelungen zu
Hartz IV, im März 2008 mit der Vorratsdatenspeiche-
rung, im Mai 2008 folgte das AWACS-Urteil, im
Juli 2008 mit dem Nichtraucherschutz und im Dezember
2008 mit der Pendlerpauschale. Ich habe den Eindruck,
je größer die Mehrheit im Bundestag, desto geringer die
Achtung vor dem Grundgesetz.
Angesichts Ihrer großen Mehrheit hat sich bei Ihnen die
Arroganz der Macht eingeschlichen.
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as können wir nicht hinnehmen.
Mit der Verabschiedung der Reform der Erbschaft-
teuer gehen Sie diesen riskanten Weg schon wieder. Die
egelung zur Erbschaftsteuer ist offenkundig verfas-
ungswidrig, und wir werden alles tun, damit das Bun-
esverfassungsgericht dies feststellt. Die Behandlung
on Geschwistern und deren Kindern wie Fremde ist
indeutig verfassungswidrig – sie verstößt gegen Art. 6
es Grundgesetzes –, und auch der Gleichheitsgrundsatz
ird verletzt.
Hinzu kommt, dass eine dazu nicht legitimierte Re-
ierung, die geschäftsführende Regierung von Herrn
och in Hessen, diesem Gesetz im Bundesrat zur Mehr-
eit verholfen hat. Ohne die Stimmen des Landes Hes-
en hätte es dafür keine Mehrheit im Bundesrat gegeben.
ie Frage, ob diese Landesregierung legitimiert war,
eine Stimme abzugeben, ist völlig offen. Der Staatsge-
ichtshof des Landes Hessen hat seinerzeit, im Jahre
984, im Hinblick auf die Regierung Börner festgestellt,
ass sie eine deutliche begrenzte Legitimation habe.
arauf haben wir Herrn Koch aufmerksam gemacht.
rotzdem hat er dem Gesetzentwurf im Bundesrat zuge-
timmt.
uch das ist ein Grund für eine verfassungsrechtliche
berprüfung, und wenn es eine Überprüfung durch den
taatsgerichtshof des Landes Hessen sein muss.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
ie sind nicht diejenigen, die den Bürgern Geld zurück-
eben. Das Bundesverfassungsgericht gibt den Men-
chen das Geld zurück, nicht Sie.
ie können doch gar nicht anders. Würden Sie anders
önnen, würden Sie den Bürgern dieses Geld niemals
urückgegeben.
etzt greifen Sie wieder tief in die Tasche. Diesmal
chmeißen Sie das Geld in Form von Konjunkturpro-
rammen aus dem Fenster. Das erste wurde schon be-
chlossen, das zweite ist angekündigt, und das dritte
ird folgen.
)
)
Das wird dazu führen, dass die Schulden steigen und der
Haushalt in völlige Unordnung gerät. Die Neuverschul-
dung wird 30, 40 oder 50 Milliarden Euro betragen; das
ist mehr als jemals zuvor. Völlig ohne Rücksicht auf
Verluste gehen Sie in den Wahlkampf. Sie verteilen nur
Geschenke, sagen den Bürgern aber nicht, dass sie all
diese Geschenke letztlich selbst bezahlen müssen.
Meine Damen und Herren, die Große Koalition ist mit
ihrem Latein am Ende. Wir hoffen, dass bald Wahlen
sind.
Danke schön.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Frechen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Natürlich haben alle Kolleginnen und Kolle-
gen recht, die bisher behauptet haben: Das Bundesver-
fassungsgericht hat die Änderung, die wir hinsichtlich
der Pendlerpauschale eingeführt haben, vorläufig ge-
kippt.
Das ist völlig richtig. Das haben wir zu akzeptieren.
Frau Dr. Höll, mit Verlaub: Sie haben Herrn
Steinbrück aber völlig falsch zitiert.
Wir akzeptieren dieses Urteil, und wir werden uns diese
7,5 Milliarden Euro, die uns das Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts kostet, nicht an anderer Stelle zurück-
holen. Das heißt aber auch, dass die Schulden des Staa-
tes steigen werden, und das bedeutet auf lange Sicht,
dass unsere Kinder und Enkelkinder auch für diese Steu-
ererstattung irgendwann werden aufkommen müssen.
Ich möchte Sie nochmals an die Zeit der Änderung er-
innern: Die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die
Eindämmung der Neuverschuldung und die Steigerung
der notwendigen Investitionen bei gleichzeitiger Konso-
lidierung des Bundeshaushalts
waren fast unlösbare Herausforderungen. Jahrzehntelang
haben wir über unsere Verhältnisse gelebt und damit
Schritt für Schritt die Handlungsfähigkeit eingebüßt.
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assen Sie mich das an dieser Stelle deutlich sagen: Zu
ieser Verschuldung bzw. Situation haben alle Parteien
eigetragen,
ie in den letzten 40 Jahren in Bund, Ländern oder Kom-
unen Verantwortung gehabt haben,
nd damit alle, von ganz rechts bis ganz links.
Wir mussten Subventionen und Ausnahmen abschaf-
en, und wir mussten uns von lieb gewonnenen Gewohn-
eiten im Steuerrecht trennen, um unseren Staat zu-
unftsfähig zu machen.
ir haben das nicht aus Spaß am Streichen getan.
Ich habe nie einen Hehl aus meiner Haltung zu der
nderung der Pendlerpauschale gemacht.
ch habe in vielen Gesprächen versucht, eine andere und
essere Lösung zu finden.
achdem keine Einigung zu finden war, habe ich aus
erantwortung für die kommenden Generationen und für
en Staatshaushalt zugestimmt. Herr Niebel, das stimmt.
amit haben Sie natürlich völlig recht.
Ich betone aber nochmals: Vier Verfassungsorgane
Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundes-
räsident – waren sich einig, dass das verfassungskon-
orm ist. Genau der Meinung war ich auch. Ich habe zu
einer Zeit bewusst einem verfassungswidrigen Gesetz
ugestimmt. Darauf lege ich ganz großen Wert.
Die Alternativlösung haben im Übrigen genau die
erhindert, die vor der darauffolgenden Landtagswahl
as Mäntelchen und den Hut von Robin Hood getragen
aben und für die Pendler übers Land gezogen sind.
ie wollten uns vergessen machen, dass sie alle hier im
eutschen Bundestag mit zugestimmt haben. Das lasse
ch Ihnen so nicht durchgehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21105
)
)
Gabriele Frechen
Die geänderten Steuerbescheide werden jetzt ver-
schickt. Mancher, der sich von diesen Kampagnen hat
instrumentalisieren lassen, wird sich verwundert die Au-
gen reiben. Es ist klar: Der Investmentbanker, der in
Frankfurt arbeitet und im Taunus wohnt, freut sich über
die 700 Euro, die er jetzt pro Jahr mehr hat und mehr
aufs Sparbuch legen kann. Ich nehme aber einmal an,
dass sich die Freude bei der alleinerziehenden Mutter,
die nichts oder vielleicht 3,50 Euro zurückbekommt,
weil der Arbeitnehmerpauschbetrag hoch genug ist und
alles abdeckt oder weil sie nur wenig oder keine Steuern
bezahlt, in arg engen Grenzen halten wird.
Von den Haushalten, die trotz Vollzeitarbeit wenig oder
gar keine Steuern bezahlen, gibt es deutlich mehr als von
denen, die von der Pendlerpauschale satt profitieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Steuerbe-
scheiden wird dann auch die Mär entzaubert, dass Steu-
ersenkungen für Menschen mit kleinen und mittleren
Einkommen die Entlastung schlechthin darstellen.
Dabei wird nämlich genau das Gleiche wie bei der Pend-
lerpauschale passieren: Die Familien mit einem hohen
Einkommen werden gut entlastet, und die Familien, die
am Ende des Geldes noch Monat übrig haben, haben kei-
nen Cent mehr in der Tasche. Das ist eine Steuersen-
kung, wie sie sich die FDP vorstellt.
Das ist mit uns natürlich überhaupt nicht zu machen.
Diesen Familien hilft nur
– warten Sie es ab; Sie sind zu gierig – die Senkung der
Lohnnebenkosten.
Alle, die es ernst damit meinen, dass Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche haben
sollen, lade ich ein: Machen Sie mit bei der Einführung
eines angemessenen Mindestlohnes. Dass Menschen von
einer Vollzeitstelle nicht leben können, hat nichts mit zu
hohen Steuern oder der Pendlerpauschale zu tun.
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Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
erald Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Beginnen wir mit der Enthüllung eines Betriebs-
eheimnisses: Auch in der CDU/CSU-Fraktion ging es
it dieser Entscheidung vielen so wie Ihnen, Frau Kolle-
in Frechen.
ür unser Votum war bestimmend, dass es in dieser au-
erordentlich schwierigen Haushaltssituation insgesamt
alt, ein Konsolidierungspaket durchzubringen.
Aber das ist jetzt müßig. Wir müssen in die Zukunft
licken. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil
uss im Hinblick auf die betroffenen Arbeitnehmerin-
en und Arbeitnehmer gelten: gute Information, wenig
ürokratie und schnelles Geld. Das fordern wir jetzt für
ie betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in.
Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung klar-
estellt hat, dass für die Jahre 2007, 2008 und 2009 die
egeln der alten Pendlerpauschale gelten.
as gibt den Steuerbürgerinnen und -bürgern und auch
er Steuerverwaltung Sicherheit. Man darf schon jetzt
en Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Steuerver-
altung danken, dass sie die Korrektur der Steuerbe-
cheide und die damit verbundenen Steuerrückzahlun-
en engagiert angehen werden.
Die schnellen Rückzahlungen sind auch konjunktur-
olitisch sinnvoll. Frau Frechen, es ist durchaus von
onjunkturpolitischem Gewicht, dass 7,5 Milliarden
uro freigesetzt werden; und dass die Belastung vor und
ie Entlastung nach dem Kippen der Regelung miteinan-
er korrespondieren, ist in systematischer Hinsicht
elbstverständlich.
21106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Gerald Weiß
Für die Betroffenen muss es also schnell Geld geben.
Aus Hessen beispielsweise ist zu hören, dass ab heute
die Steuerbescheide für das Jahr 2007 von Amts wegen
schnellstens korrigiert werden und es dann zügig zu
Auszahlungen kommt. Wir haben eine leistungsfähige
Steuerverwaltung, die gute Arbeit leisten wird.
Es wird nicht für jeden gleich schnell gehen. Es soll
zwar für alle so schnell wie möglich gehen, aber es wird
nicht für jeden gleich schnell gehen können. Wir haben
eine Gruppe von 8 Millionen Steuerbürgern, die in ihrer
Steuererklärung auch die ersten 20 Kilometer angegeben
und keinen Widerspruch gegen den Steuerbescheid ein-
gelegt haben. Diese Fälle sind im PC gespeichert. Sie
sind relativ schnell zu bearbeiten. Bei dieser Gruppe
wird es schnell gehen.
Die zweite Gruppe besteht aus 2 Millionen Steuerbür-
gern, die Einspruch eingelegt haben, der abschlägig be-
schieden wurde. Diese Fälle sind nicht mehr im PC ge-
speichert. Bei ihnen wird der Aufwand größer sein, aber
auch bei ihnen muss es so schnell wie möglich gehen.
Die dritte und schwierigste Gruppe besteht aus 6 bis
10 Millionen Steuerbürgern. Sie haben sich an die
Rechtsvorschriften gehalten: Weil ihr Weg zur Arbeit
unter 20 Kilometern liegt, haben sie in ihrer Steuererklä-
rung keine Wegekosten angegeben. Diese Steuerbürger
müssen die Angaben zu ihrer Steuererklärung für 2007
entsprechend ergänzen.
Diese Fragen sind nicht ganz einfach zu überblicken.
Deshalb ist eine effiziente Kommunikation genauso
wichtig wie die schnelle Auszahlung der Gelder. Viele
Bürger rufen jetzt bei ihren Sachbearbeitern und Sachbe-
arbeiterinnen auf den Finanzämtern an. Dadurch wird
sehr viel Zeit in Anspruch genommen, und dadurch geht
manches noch langsamer.
Ich bin deshalb dafür, dass die Steuerverwaltung Info-
telefone für die Bürgerinnen und Bürger einrichten, an
die sie sich mit ihren Fragen zur Pendlerpauschale wen-
den können.
Frau Scheel hat die Neuregelung nach 2010 angespro-
chen und auf Umwelt- und Verkehrsaspekte hingewie-
sen. Dabei ist eines notwendig – das ist nicht nur meine
Meinung, sondern auch die vieler meiner Kollegen –:
Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Wegekosten, also
von klassischen Betriebskosten des Arbeitnehmers,
muss gewährleistet und das Nettoprinzip gesichert sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
ibt nichts zu deuteln, die Art der Umsetzung der Rege-
ung zur Pendlerpauschale ist nicht verfassungsgemäß.
ber das Verfassungsgericht hat sehr deutlich gesagt:
s ist nicht unveränderbar, was im Gesetz zur Pendler-
auschale steht.
Ich empfehle ausdrücklich – besonders ausdrücklich
er Frau Höll –, die Entscheidung des Verfassungsge-
ichts einmal etwas genauer anzusehen. Es ist nämlich
ein Rechtsanspruch auf die alte Regelung festgestellt
orden. Es war eine politische Entscheidung, dass für
ie Jahre 2007, 2008 und 2009 die alte Regelung wieder
ilt. Ich stehe dazu; aber mir ist es schon wichtig, zu sa-
en: Es war eine politische Entscheidung und nicht nur
ine Entscheidung, die dazu zwingt, zur alten Regelung
urückzukommen.
Da ich von rechts die FDP höre, sage ich Ihnen: An
hrer Stelle wäre ich etwas vorsichtig.
ch war gerade frisch im Bundestag, als unsere Regie-
ungskoalition eine Verfassungsgerichtsentscheidung zur
amilienbesteuerung in Milliardenhöhe umsetzen musste,
n der bestätigt worden ist, dass die alte Koalition, in der
uch die FDP in der Regierung war, Familien über Jahre
erfassungswidrig besteuert hat. Ich wäre etwas vorsich-
iger!
Wenn ich gesagt habe, dass wir nun eine politische
ntscheidung umsetzen, zur alten Regelung zurückzu-
ommen, dann bedeutet dies auch – das halte ich für
ichtig –, dass das Verfassungsgericht zentralen Argu-
enten des Bundesfinanzhofs nicht gefolgt ist.
uch dazu empfehle ich ausdrücklich die Lektüre der Ent-
cheidung. Das Verfassungsgericht hat, Herr Gutting, auch
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21107
)
)
Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
die Frage des Verfassungsrangs des objektiven Nettoprin-
zips ausdrücklich offengelassen. Es hat hier ausdrücklich
keinen Verfassungsrang bestätigt und es bewusst dem po-
litischen Gestaltungsspielraum anheimgestellt. Auch da
bitte ich, mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts
fachlich und sachlich in aller Ruhe umzugehen.
Als Bundesregierung haben wir uns – darauf ist schon
hingewiesen worden – sehr schnell politisch festgelegt,
weil wir es für falsch gehalten hätten, mit der Entschei-
dung zu warten, nachdem das Verfassungsgericht die
Möglichkeit gegeben hat, Änderungen herbeizuführen.
Die Entscheidung musste so fallen, dass die Bürgerinnen
und Bürger sehr schnell Sicherheit darüber haben, was
für die Jahre 2007, 2008 und 2009 gilt, zumal es in der
derzeitigen Debatten- und Konjunkturlage keinen Sinn
gemacht hätte, die Menschen noch zusätzlich zu verunsi-
chern.
– Herr Niebel, ich hatte schon bei Ihren vielen Zwi-
schenrufen die ganze Zeit über den Eindruck, dass Sie
sich der Mühe bisher entzogen haben, einmal in das Ver-
fassungsgerichtsurteil hineinzuschauen. Machen Sie sich
einmal fachkundig, und dann dürfen Sie weitere Zwi-
schenrufe machen!
– Ja, das stimmt. Aber „Generalist“ bedeutet nicht, dass
man fachlich richtig liegt. Herr Michelbach, in diesem
Fall sind wir uns sehr einig.
Nun gebe ich erneut einen Hinweis darauf, wie wir in
der Umsetzung vorgehen: Erstens. Für Wege zwischen
Wohnung und Arbeits- oder Betriebsstätte ist die Entfer-
nungspauschale bis zu einer verfassungskonformen Re-
gelung im Wege einer vorläufigen Steuerfestsetzung
wieder ab dem ersten Entfernungskilometer in der alten
Höhe von 30 Cent je Entfernungskilometer zu gewähren.
Sie kann auch rückwirkend geltend gemacht werden.
Sämtliche Einkommensteuerfestsetzungen für Veranla-
gungszeiträume ab 2007 wurden hinsichtlich der Anwen-
dung der Neuregelung zur Entfernungspauschale von Amts
wegen – ganz wichtig! – vorläufig durchgeführt, unab-
hängig davon, ob die Steuerpflichtigen Aufwendungen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Be-
triebsstätte geltend gemacht haben. Die Bundesländer
werden die Steuerfestsetzungen nun schnellstmöglich zu-
gunsten der Pendler ändern und die entsprechenden Er-
stattungen veranlassen. Ich weise darauf hin, dass die
Pendler gegebenenfalls nachschauen sollten, ob sie ihre
Strecke zum Arbeitsplatz vollständig angegeben haben;
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ir rechnen für alle staatlichen Ebenen im nächsten Jahr
it Mindereinnahmen in Höhe von 5 Milliarden bis
Milliarden Euro.
Zusammengefasst: Wir halten es für richtig, schnell
larheit zu schaffen, für 2009 bei der alten Regelung zu
leiben und dem zukünftigen Gesetzgeber die Möglich-
eit zu geben, 2010 oder später über die uns vorgeschrie-
ene Neuregelung in Ruhe zu entscheiden. Ich glaube,
ir haben den richtigen Weg eingeschlagen.
Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Otto
ernhardt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Natürlich ist das Urteil des Bundesverfassungs-
erichts eine Ohrfeige für die Große Koalition.
ch stimme der Kollegin Frechen zu: Ich habe nie be-
usst einem verfassungswidrigen Gesetz zugestimmt.
lle Mitglieder des Finanzausschusses wissen, dass ge-
ade wir im Finanzausschuss immer wieder die Frage an
ie Regierung gestellt haben: Sind diese Bestimmungen
erfassungsdicht? Jedes Mal hat man uns gesagt, ja, man
abe das auch mit dem Justizministerium und dem In-
enministerium abgestimmt.
ch sage das mit aller Deutlichkeit, weil die Debatte
eigt, dass einige glauben, wir hätten bewusst ein verfas-
ungswidriges Gesetz verabschiedet.
21108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Otto Bernhardt
Ich habe die Begründung des Gerichts gelesen, und sie
ist keine tolle Erklärung zugunsten der Solidität unserer
Arbeit. Es steht mir zwar nicht zu, das Ministerium in
dieser Frage zu kritisieren. Aber mit den Mitarbeitern,
die uns immer wieder gesagt haben, das sei verfassungs-
rechtlich in Ordnung, müsste man sich ein bisschen ver-
tiefend unterhalten.
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil wird zum Teil
falsch interpretiert, zum Beispiel von der Kollegin
Dr. Höll. Wahrscheinlich hat sie es nicht gelesen. Das
Bundesverfassungsgerichtsurteil besteht im Wesentli-
chen aus drei Punkten: Der erste Punkt ist, dass das gel-
tende Gesetz verfassungswidrig ist. Der zweite Punkt ist
eine Aufforderung an den Gesetzgeber, ein verfassungs-
rechtlich einwandfreies Gesetz zu machen. Das könnte
dann sogar rückwirkend gelten. Wir sind hier frei. Man
setzt uns nicht unter Zeitdruck. Die Frage, wann wir das
regeln, ist völlig offen gelassen. Rein theoretisch könn-
ten wir das erst in zehn Jahren regeln.
Der dritte Punkt ist der Hinweis, dass, solange wir
nichts regeln, die alte Rechtslage gilt. Das heißt: 30 Cent
pro Kilometer, wobei man natürlich wissen muss, dass
die ersten 14 Kilometer normalerweise durch den Ar-
beitnehmerfreibetrag erfasst werden. Letztlich bedeutet
das, dass in Zukunft vom 15. Kilometer an gezahlt wird
und nicht, wie nach der Neuregelung vorgesehen, vom
20. Kilometer an.
Ich selber gehe davon aus, dass es letztlich nicht nur
um 7,5 Milliarden Euro geht, die wir dem Bürger – ich
gebe zu: gezwungenermaßen – sozusagen zurückgeben,
sondern es werden vermutlich 10 Milliarden Euro sein;
denn niemand von uns hat die Absicht, eine rückwir-
kende Regelung für das Jahr 2007 zu treffen. Für das
Jahr 2008 könnten wir das tun, aber wir tun es nicht.
Wenn wir eine Regelung für das Jahr 2009 treffen woll-
ten, dann müssten wir sehr schnell an die Sache herange-
hen. Auch das will keiner. Wenn wir uns einmal die Zeit-
pläne anschauen, dann sehen wir, dass wir auch für das
Jahr 2010 keine neue Regelung treffen können. Insofern
haben wir eine Regelung, die für die nächsten vier Jahre
gilt. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir das recht-
lich handhaben. Dazu haben wir im Januar oder Februar
Zeit. Natürlich ist dies ungewollt konjunkturpolitisch
vernünftig, um das klar zu sagen; denn jetzt gehen
5 Milliarden Euro an die Bürger. Es gibt 15 Millionen
Pendler, und jeder von ihnen erhält jetzt durchschnittlich
300 Euro. Das ist konjunkturpolitisch sicher in Ordnung.
Ich stimme Ihnen von der FDP zu, dass wir uns über eine
generelle Steuerreform Gedanken machen müssen. Auch
in diesem Punkt ist die CSU, ähnlich wie bei der Pend-
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ie Große Koalition hat hier einen Fehler gemacht. Die
onsequenzen sind konjunkturpolitisch in Ordnung. Wir
erden kurzfristig sicher nicht zu einer Veränderung
ommen, aber wir behalten uns natürlich vor, eine große
inkommensteuerreform, die wir wollen, auf den Weg
u bringen. Sie mit den Sozialdemokraten in der Großen
oalition durchzusetzen, wird schwierig sein. Es wäre
icher leichter, sie in einer Koalition mit den Freien De-
okraten zu erreichen.
arüber muss dann der Wähler entscheiden.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Reinhard Schultz hat jetzt für die SPD-
raktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ie Debatte ist teilweise schon ein wenig merkwürdig.
an ist in Versuchung, wenn man sich so ein grundsätz-
iches Urteil eingefangen hat, sich in die Büsche zu
chlagen und zu sagen, man habe damit nichts zu tun ge-
abt. Wir sind nicht davon ausgegangen – das hat Otto
ernhardt sehr deutlich gemacht –, dass die Neurege-
ung verfassungswidrig ist.
s gab Zweifel, und deswegen haben wir gefragt. Es la-
en gutachterliche Aussagen vor, dass sie nicht verfas-
ungswidrig ist. Wir haben die Regelung trotz der politi-
chen Risiken, die damit verbunden waren und die wir
uch gesehen haben, gemacht, weil wir zum damaligen
eitpunkt davon ausgegangen sind, dass uns sonst der
undeshaushalt schlicht und einfach auf den Kopf fällt.
as war die Situation. Es hatte keinen Zweck, dass jeder
ach seiner persönlichen steuerpolitischen Leidenschaft
rgendetwas aus dem Gesamtkonzept herausbricht, weil
onst das Gesamtkonzept nicht mehr möglich gewesen
äre. Das ist das Motiv, weswegen viele das trotz
auchschmerzen mitgetragen haben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21109
)
)
Reinhard Schultz
Das war natürlich eine Belastung für die Pendler und
kam erst recht gerade bei sozialdemokratischen Wählern
nicht besonders gut an. Das kann man wohl ganz deut-
lich sagen. Wir haben das aber zum damaligen Zeitpunkt
wegen der Verantwortung für höhere Ziele in Kauf ge-
nommen.
Als dann die ersten Urteile der Finanzgerichte kamen,
wurde die Diskussion ein bisschen lebhafter. Hier wurde
das Finanzministerium angegriffen. Dazu will ich sagen:
Die Entscheidung fiel auf der Leitungsebene der Großen
Koalition. Die Ausgestaltung der Entscheidung wurde
sehr stark durch die Ministerpräsidenten von Flächenlän-
dern geprägt, insbesondere durch den damaligen Finanz-
minister Huber, der sich hinterher – vor der Landtags-
wahl – in die Büsche geschlagen hat, was man auch
einmal erwähnen muss. Das hat ihm persönlich nicht
viel genützt, aber er war einer der Verursacher der Rege-
lung, dass die Pendlerpauschale erst ab dem 21. Kilo-
meter gezahlt wird. Das muss man hier deutlich feststel-
len.
Daran kommt man nicht vorbei.
Sowohl die Bundestagsfraktion der Union als auch
die der SPD haben andere Modelle – zum Beispiel sol-
che, die den Weg zur Arbeit ab dem ersten Kilometer be-
rücksichtigen – diskutiert. Das Aufkommen zur Finan-
zierung dieser Modelle – etwa Berücksichtigung des
Weges zur Arbeit erst ab dem 25. Kilometer und die
komplette Aufrechnung gegen den Arbeitnehmerpausch-
betrag – wäre genauso hoch gewesen. Ausgerechnet auf-
grund des Widerstandes der Flächenländer war es aber
nicht möglich, diese Konzepte durchzusetzen. Darauf
weise ich jetzt einmal hin, auch wenn es nicht so wichtig
ist.
Ich wundere mich allerdings über das Wahnsinns-
engagement der FDP, mit der einige in der Union dem-
nächst ein neues Steuergesetz verabschieden wollen, an
dieser Stelle. Die FDP hat dankenswerterweise am
14. Januar 2004 – ich erinnere mich daran, als wäre es
heute – den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer
neuen Einkommensteuer vorgelegt.
– Ja, selbstverständlich. – In § 10 dieses Gesetzentwurfs
wird aufgelistet, welche Aufwendungen nicht mehr ab-
zugsfähig sind. In § 10 Abs. 4 ist die Rede von Aufwen-
dungen für den Unterhalt und die Lebensführung – das
halte ich für selbstverständlich – und von Aufwendun-
gen für Arbeitsräume in der eigenen Wohnung. In § 10
Abs. 4 werden dann unter Punkt c) die Aufwendungen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ge-
nannt. Damit haben Sie Wahlkampf gemacht, und jetzt
tun Sie so, als hätten Sie mit Ihrer damaligen Auffassung
nichts mehr zu tun.
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as war Teil Ihres Wahlprogramms. Wir haben aus der
ot heraus etwas gemacht, was uns selbst politisch weh-
etan hat. Es waren Ihre politischen Leitsätze, die ver-
irklicht worden sind. Sie haben – zumindest im Geiste –
ieselbe Klatsche wie wir als Koalition abbekommen.
Regen Sie sich nicht auf! Es ist geradezu lächerlich,
as Sie hier bei dieser Frage veranstalten.
Natürlich ist das Ganze ein Lehrstück dafür, wie sorg-
ältig man künftig mit der Steuergesetzgebung umgehen
uss. Selbst die großen Vereinfacher, die ganz niedrige
arife und wenige Ausnahmetatbestände fordern, müs-
en sich nach diesem Urteil damit auseinandersetzen,
ass grundsätzlich das Nettobesteuerungsprinzip nach
eistungsfähigkeit zu gelten hat und dass jemand, der ei-
en hohen Aufwand für die Berufsausübung hat, zum
eispiel wegen des Pendelns zwischen Wohn- und Ar-
eitsort, ein geringeres verfügbares Einkommen hat als
emand, der genauso leistungsfähig ist, aber nicht zu
endeln braucht.
Außerdem besagt das Urteil zur Pendlerpauschale:
ahrten zur Arbeit sind eindeutig nicht privat, sondern
eruflich veranlasst. Diese Leitsätze muss man sich auch
ür die Zukunft hinter die Ohren schreiben.
Darüber hinaus besagt dieses Urteil: Man kann Len-
ungswirkungen erzielen, wenn man dies vernünftig be-
ründet. Man kann zum Beispiel versuchen, das unnö-
ige Pendeln zu vermeiden. Allerdings wird auch das in
onflikt mit der rauen Wirklichkeit geraten. Vielerorts
ind Arbeit, zum Beispiel Industriearbeit, und Wohnen
urch die Bauleitplanung bewusst getrennt worden; auch
arauf wird in dem Urteil des Verfassungsgerichts hinge-
iesen. Selbst in städtischen Verflechtungsräumen wie
erlin oder Hamburg kann man – ohne dass man sich
nstrengen muss – problemlos 20, 30 oder sogar
0 Kilometer zur Arbeit fahren müssen.
Man muss sich darauf verständigen, dass die Mobili-
ätskosten, die Arbeitnehmer haben, künftig immer in ir-
endeiner Form berücksichtigt werden müssen. Das
ollte die Botschaft sein. Man sollte nicht sagen: Es ist
in Gnadenakt, das Urteil des Verfassungsgerichts um-
usetzen. Wir tun das in aller Demut.
ir sollten daraus lernen, dass es nötig ist, in der Zu-
unft etwas sorgfältiger vorzugehen und das Nettobe-
teuerungsprinzip ernst zu nehmen.
Vielen Dank.
21110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008
)
)
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat nun
der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Schöner, als Reinhard Schultz eben die
Scheinheiligkeit der FDP entlarvt hat, kann man fast
nicht aufzeigen, was hier passiert. Wie Sie Politik nach
außen tragen, ist etwas völlig anderes als die Diktion in
Ihren Programmen.
Viele von uns – Mitglieder verschiedener Fraktionen –
könnten heute eigentlich ganz froh sein: Sie hatten bei
der Schlussabstimmung Erklärungen nach § 31 der Ge-
schäftsordnung abgegeben.
– Es entspricht dem Charakter von § 31; man begründet
in der Erklärung zur Abstimmung, warum man für ein
großes Gesetz stimmt, obwohl man gegen einen einzel-
nen Punkt dieses Gesetzes ist. Das ist ein parlamentari-
sches Verfahren genau wie der Zwischenruf, der nur da-
rauf ausgerichtet ist, zu stören, und nicht darauf,
aufzuklären.
Wir könnten uns ja freuen, weil die von uns damals
vermutete Verfassungswidrigkeit nun festgestellt wurde.
Die Verfassungswidrigkeit stellt üblicherweise nicht das
Parlament fest, auch nicht der Bundespräsident, sondern
das Verfassungsgericht. Insofern haben wir jetzt eine
sehr gute Basis.
Wir haben damals die Verfassungswidrigkeit vermu-
tet. Wir haben nämlich gesagt: Die Fahrtkosten gehören
zu den klassischen Werbungskosten. – Dann ist etwas
passiert, was mich sehr traurig gemacht und auch geär-
gert hat: Das Werkstorprinzip ist eingeführt worden. –
Das war für mich der eigentliche Kulturbruch, wenn
man so will. In den USA wohnt man an der Arbeit und
fährt nach Hause, um seine Arbeitskraft zu regenerieren.
Deshalb ist der Weg nach Hause und zurück zur Arbeit
privat veranlasst. In unserer Kultur ist es aber anders.
Wir wohnen zu Hause.
Wir fahren zum Zweck der Erzielung von Einkommen
zur Arbeit und dann wieder zurück. Insofern ist der Weg
beruflich veranlasst, und deshalb sind die Kosten auch
Werbungskosten.
Jetzt komme ich zu der traurigen Komponente in dem
Urteil. Das Werkstorprinzip an sich wurde vom Gericht
leider gar nicht beanstandet. Das ist, finde ich, ein gro-
ßes Problem.
Mich erschreckt ein wenig, wie leicht viele hier mit
dem Begriff Pendlerpauschale umgehen. Es ist objektiv
ein sehr komplizierter Begriff. Wenn ich auf dem Lande
wohne, habe ich im Regelfall eine sehr billige Wohnung,
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st es eigentlich gerecht, ihm diese steuerliche Möglich-
eit nicht zu geben? Das ist eine sehr komplizierte
rage.
Man könnte es auch aggressiver formulieren: Sozial
st die Pendlerpauschale wichtig. Aus ökologischen
ründen müssten die Grünen eigentlich fordern, sie ab-
uschaffen, um nämlich der Zersiedelung der Landschaft
ntgegenzuwirken. Insofern ist die Frage der Pendler-
auschale sehr viel komplizierter, als viele denken.
Volker Wissing hat vorhin die Liste von Koch und
teinbrück angesprochen. Koch und Steinbrück hatten
ine extrem komplizierte Aufgabe, nämlich ein Konsoli-
ierungsprogramm zu erarbeiten, und sie haben das,
inde ich, gar nicht schlecht gemacht. Sie haben 50 Vor-
chläge – ich glaube, es waren sogar noch ein paar mehr –
nterbreitet. Genau einer dieser Vorschläge hat sich als
icht tragfähig erwiesen. Alle anderen Vorschläge zum
ubventionsabbau haben ihr Ziel erreicht. Wenn nur ein
orschlag von 50 bis 70 Vorschlägen nicht so gut funk-
ioniert, ist das, denke ich, ein relativ gutes Ergebnis; das
üssen wir feststellen, wenn wir auf den Konsolidie-
ungsweg der letzten Jahre zurückblicken.
Ein bisschen irritiert bin ich von der CSU.
Hans, du weißt, dass ich da irritiert bin. Ihr habt dem
oalitionsvertrag zugestimmt. Ihr habt im Bundestag
ugestimmt. Ihr habt im Bundesrat zugestimmt. Im
ahlkampf habt ihr das dann als Thema entdeckt. Das
umme für euch: Das haben die Wähler gemerkt.
s war klar, dass das ein Widerspruch ist, den man nur
ehr schlecht auflösen kann.
Der Kollege Olav Gutting hat heute eine interessante
chleife vollzogen, wie wir das mitunter gerne machen.
r fing mit der Pendlerpauschale an, um dann zu sagen:
ir brauchen eine große Einkommensteuerreform.
er unmittelbare Zusammenhang ist nicht ganz leicht
erzustellen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2008 21111
(C)
(D)
Lothar Binding
Ich muss dazu sagen, dass ich extrem gespannt bin.
Ich kenne die Reform von Merz, die Reform von Kirch-
hof, die Reform von Lang, die Reform der FDP, die Re-
form von Uldall. Alle wollten es einfach und gerecht
machen. Ich frage mich, warum wir seit 50 Jahren an ei-
ner einfachen und gerechten Einkommensteuerreform
arbeiten, aber noch keiner eine solche Reform vorgelegt
hat. Ich freue mich auf eure Vorlage im Januar.
Zu Herrn Solms nur so viel – das lässt sich kompakt
zusammenfassen –: Er hat hessischen Wahlkampf ge-
macht. Hoffentlich haben auch die Hessen das gemerkt.
Ich glaube nämlich nicht, dass es zukunftsfähig ist, so et-
was hier im Parlament zu machen.
Ich hoffe, dass als Ergebnis dieses Urteils die Binnen-
nachfrage ein bisschen gestärkt wird. Da haben wir auf
der Zeitachse einfach Glück gehabt. Über ein bisschen
Glück vor Weihnachten können wir uns doch freuen.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 18. Dezem-
ber 2008, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.