Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz, die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur Behandlung der für den
heutigen Vormittag vorgesehenen Tagesordnungspunkte.
Dazu rufe ich zunächst unsere Tagesordnungspunkte
36 a bis 36 e auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Neuausrichtung der arbeits-
marktpolitischen Instrumente
– Drucksachen 16/10810, 16/11196 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 16/11233 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller
– Drucksache 16/11237 –
Redet
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Carsten Schneider
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Arbeitsmarktinstrumente auf
Maßnahmen konzentrieren
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dr
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Katrin Göring-
Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte von Arbeitsuchenden stärken – Kom-
petentes Fallmanagement sicherstellen
ext
– Drucksachen 16/9599, 16/11142 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Kornelia Möller
d) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Senkung des Beitragssatzes zur
Arbeitsförderung
– Drucksache 16/10806 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
ksache 16/11241 –
terstattung:
rdneter Stefan Müller
effiziente
Kornelia
eibus, wei-
– Druc
Berich
Abgeo
20978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 16/11242 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Carsten Schneider
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Kornelia Möller, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Handlungsfähigkeit der Bundesagentur für
Arbeit erhalten – Auf Senkung der Beitrags-
sätze verzichten
– Drucksachen 16/10618, 16/11241 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Sen-
kung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung liegt ein
Entschließungsantrag der FDP-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus
Brandner.
K
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Wir beschließen heute zwei wich-
tige Gesetzentwürfe: den Gesetzentwurf zur Neuausrich-
tung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und den
Gesetzentwurf zur Senkung des Beitragssatzes zur Ar-
beitsförderung. Beide Gesetzentwürfe sind gerade ange-
sichts der zu erwartenden Folgen der Finanzkrise für die
Entwicklung des Arbeitsmarktes wichtig. Sie werden da-
her genau zum richtigen Zeitpunkt beschlossen. Sie zei-
gen nachdrücklich, dass die Große Koalition handlungs-
fähig ist.
Die internationale Banken- und Finanzkrise fordert in
manchen Bereichen einen grundlegenden Paradigmen-
wechsel. Den Satz „Es wird nie wieder so sein wie vor
der Krise“ haben wir in den letzten Wochen des Öfteren
gehört. Auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir einen sol-
chen tiefgreifenden Einschnitt nicht. Durch die Refor-
men, die die vorherige Bundesregierung unter Bundes-
kanzler Gerhard Schröder in die Wege geleitet hat,
ist der Arbeitsmarkt dynamischer geworden, und die Ar-
beitsvermittlung ist besser und leistungsfähiger gewor-
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Dass wir jetzt schon zwei Monate hintereinander eine
rbeitslosenzahl von unter 3 Millionen verzeichnen konn-
n – und das, obwohl sich schon im Sommer das Klima
n der Wirtschaft merklich abgekühlt hatte –, zeigt, dass
nsere Reformen erfolgreich waren. Wir wollen, dass
ich diese Entwicklung fortsetzt. Unser Ziel bleibt: Die
rbeitsvermittlung in unserem Land muss eine der leis-
ungsfähigsten Institutionen sein und bei dem Moderni-
ierungsprozess von Institutionen an der Weltspitze ste-
en. Wir wollen das Versprechen geben und einlösen,
ass in naher Zukunft niemand mehr länger als ein Jahr
ach Arbeit suchen muss. Mit der internationalen Ban-
en- und Finanzkrise ist die Aufgabe – das wissen wir –
ewiss noch größer geworden. Statt mit Pessimismus
xistenzängste in der Bevölkerung zu verbreiten, zeigen
ir, dass wir gut aufgestellt und in der Lage sind, auf
iese Situation zu reagieren.
Genau das tun wir heute mit den beiden zu beschlie-
enden Gesetzentwürfen. Mit der Neuausrichtung der
rbeitsmarktpolitischen Instrumente verbessern wir die
eistungsfähigkeit der Arbeitsförderung angesichts der
erausforderungen einer sich hoffentlich nur vorüberge-
end abschwächenden Konjunktur. Damit mildern wir
ie Folgen für die dadurch von Arbeitslosigkeit betroffe-
en Menschen. In dieser Situation sind wir alle gefor-
ert: der Staat, die Wirtschaft und die Gewerkschaften,
um Beispiel durch Kurzarbeit, durch die Nutzung von
eschäftigungssicherungstarifverträgen, durch Qualifizie-
ungsmaßnahmen, durch Arbeitszeitkonten. Wir müssen
erantwortliches, kreatives und auch mutiges Handeln
eigen, damit die Arbeitslosigkeit in der Krisensituation
icht ansteigt. Wir alle gemeinsam müssen dafür sorgen,
ie Arbeitsplätze der Menschen zu sichern. Das muss die
otschaft des Tages sein.
Mit der Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförde-
ung setzen wir auch ein beschäftigungspolitisches Si-
nal und entlasten damit die Beitragszahler.
as trägt zur Belebung der Konjunktur bei, weil Unter-
ehmen wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr
eld zur Verfügung haben. Dennoch werden wir die
andlungsspielräume der Arbeitsmarktpolitik nicht ein-
chränken. Im Gegenteil, im kommenden Jahr werden
ür die aktive Arbeitsförderung und auch für die Einglie-
erungsleistungen in der Grundsicherung für Arbeitsu-
hende mehr Mittel zur Verfügung stehen, als wir im
aufenden Jahr voraussichtlich ausgeben werden.
Mit dem Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der ar-
eitsmarktpolitischen Instrumente führen wir die Ar-
eitsmarktreformen konsequent weiter, indem wir den
kteuren vor Ort noch mehr Verantwortung und Gestal-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20979
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Parl. Staatssekretär Klaus Brandner
tungsspielraum geben. Ich habe in letzter Zeit immer
häufiger den Vorwurf gehört, es gebe vor Ort nicht genü-
gend Freiräume für flexibles Handeln. Der Bund bevor-
munde die lokalen Akteure. Mit der Neuausrichtung
der Instrumente würden die letzten Freiräume auf regio-
naler Ebene abgeschafft.
Das ist mitnichten der Fall, um es deutlich zu sagen.
Im Gesetzgebungsverfahren ist genau an dieser Stelle
eine deutliche Justierung vorgenommen worden. Ich
glaube, auch das Einwirken der Koalitionsfraktionen in
dem gesamten Prozess hat gezeigt, dass gemeinsam an
einem guten Gesetzentwurf gearbeitet worden ist, sodass
Freiräume gegeben sind und genügend finanzielle Mittel
für die Akteure vor Ort zur Verfügung stehen.
Richtig ist: Der Einsatz der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente und die konkrete Verteilung der Mittel erfol-
gen grundsätzlich durch die Entscheidungen in den zu-
ständigen Arbeitsagenturen und bei den Trägern der
Grundsicherung vor Ort. Alle Maßnahmen, die im Rah-
men von SGB II und SGB III erfolgreich und wirksam
sind, werden auch in Zukunft eingesetzt werden können,
und das auf fester gesetzlicher Basis. Zum Teil bekom-
men bisher vielfach erfolgreich erprobte Maßnahmen
wie zum Beispiel die Unterstützung beim Nachholen ei-
nes Hauptschulabschlusses nun eine feste Rechtsgrund-
lage.
Schon mit den Arbeitsmarktreformen haben wir kon-
sequent die Verantwortung der Akteure vor Ort gestärkt.
Wir setzen gezielt auf deren Know-how und Kompetenz.
Jetzt eröffnen wir noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Wir nehmen gesetzliche Regelungen dort zurück, wo
eine passgenaue Unterstützung bei der Eingliederung er-
forderlich ist. Damit erleichtern wir wesentlich die
Handhabung der Instrumente vor Ort. Wir wissen, dass
in den Arbeitsagenturen, den Arbeitsgemeinschaften und
bei den zugelassenen kommunalen Trägern im engen
Kontakt mit den zu Fördernden am besten erkannt wer-
den kann, welche Maßnahmen und welche Abläufe im
Einzelnen zur Integration führen und bei der Integration
helfen können.
Die dafür erforderlichen gesetzlichen Regelungen
müssen so einfach und transparent wie möglich sein.
Das ist ein wichtiges Ziel dieses Gesetzentwurfs. Allein
im „Vermittlungsbudget“ und in den „Maßnahmen zur
Aktivierung und beruflichen Eingliederung“ gehen
17 bisherige Einzelinstrumente und individuelle Förder-
leistungen auf. In Zukunft steht ein Zehntel des gesam-
ten Eingliederungstitels im Bereich des SGB II für freie
und maßgeschneiderte Förderungen zur Verfügung. Wer
da noch von Gängelung spricht, meine Damen und Her-
ren, dem kann ich nun wirklich nicht mehr weiterhelfen.
Meine Damen und Herren, parallel dazu senken wir
den Beitragssatz zur Arbeitsförderung. Damit setzen
wir einen kräftigen Impuls für die Beitragszahlenden, für
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Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzentwurfes
enken wir den Beitragssatz zum 1. Januar 2009 lang-
ristig auf 3 Prozent. Gleichzeitig wird die Bundesregie-
ung den Beitragssatz durch Rechtsverordnung vom
. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010, wie Sie wissen,
usätzlich senken, und zwar auf 2,8 Prozent.
amit entlasten wir die Beitragszahler insgesamt um
und 30 Milliarden Euro.
Mit diesem Konjunkturprogramm in Höhe von
0 Milliarden Euro setzen wir ein deutliches Signal für
ehr Beschäftigung und Stabilität. Die Beschäftigten
önnen sicher sein, dass die Unternehmen, in denen sie
rbeiten, und ihre Arbeitsplätze nicht durch eine kurz-
ristige prozyklische Anhebung des Beitragssatzes ge-
ährdet werden.
arauf kommt es uns besonders an, nicht darauf, was die
essimisten von der Linken ankündigen.
Meine Damen und Herren, die Menschen in unserem
and, diejenigen, die von Arbeitslosigkeit bedroht oder
etroffen sind, aber auch diejenigen, die mit ihren Steu-
rn und Beiträgen Tag für Tag dazu beitragen, dass ar-
eitsuchende Menschen in Beschäftigung kommen, sie
lle können mit Recht von uns erwarten, dass wir gute
ahmenbedingungen für eine erfolgreiche Arbeitsmarkt-
olitik schaffen.
20980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Parl. Staatssekretär Klaus Brandner
Arbeitsmarktpolitik ist gut, wenn es gelingt, die Ar-
beitsuchenden erfolgreich und schnell zu unterstützen,
wenn es gelingt, die Menschen in den Mittelpunkt zu
stellen, und wenn es gelingt, den Menschen die Chance
zu erhalten, dass sie sich durch Arbeit beweisen können,
dass sie gebraucht werden und dass Arbeit einen Wert
hat. Deshalb sage ich zum Schluss ganz deutlich: Gute
Arbeit in Deutschland ist und bleibt unser zentrales An-
liegen. Daran arbeiten wir, und zwar in möglichst großer
Geschlossenheit.
Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Dirk
Niebel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Eloquenz des Vortrags des Staatssekretärs
zeigt ziemlich deutlich, wie begeistert man von den vor-
liegenden Gesetzentwürfen ist.
Zumindest was die Arbeitsmarktinstrumente betrifft, ist
es auch richtig,
dass der Staatssekretär mit gedämpftem Schaum gespro-
chen hat.
Was die Beitragssenkung angeht, muss ich sagen: Sie ist
nötig. Die erste Beitragssenkung dieser Bundesregierung
ist übrigens – das wollen wir nicht vergessen – durch die
Mehrwertsteuererhöhung finanziert worden. Das war die
Merkel-Steuer, Herr Staatssekretär, die Sie wahrschein-
lich gerne vergessen möchten.
Die Beitragssenkung ist deshalb notwendig und rich-
tig, weil seit Monaten immer wieder erzählt wird, die
Bundesagentur für Arbeit würde Überschüsse erwirt-
schaften. Die Bundesagentur kann alles Mögliche, aber
eines kann sie mit Sicherheit nicht: irgendetwas erwirt-
schaften. Das gesamte Geld, das sie eingesammelt hat
und das als Rücklage bezeichnet wird, ist den Arbeitneh-
mern und den Arbeitgebern vorher zu viel weggenom-
men worden.
Es muss natürlich zurückgegeben werden, und zwar ge-
rade jetzt. Aus diesem Grunde unterstützen wir die Bei-
tragssenkung ausdrücklich.
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Wir würden uns wünschen, dass Sie die Beiträge auch
n anderen Bereichen deutlich senken. Wenn jetzt so ge-
an wird, als sei das eine Entlastung der Bürgerinnen und
ürger, wird immer wieder gerne vergessen, dass die
flegeversicherungsbeiträge gestiegen sind,
ass die Krankenversicherungsbeiträge gestiegen sind
nd dass auch die Rentenversicherungsbeiträge gestie-
en sind, seit Sie die Regierungsverantwortung tragen.
Den Beitragssatz zur Rentenversicherung könnte
an um 0,3 Prozentpunkte senken, ohne die Nachhaltig-
eitsrücklage antasten zu müssen.
adurch könnte man eine echte Entlastung der Arbeit-
ehmer und der Arbeitgeber organisieren. Das wäre auch
innvoll. Denn die Wissenschaft geht davon aus, dass ein
eitragspunkt ungefähr 100 000 Arbeitsplätze bringt bzw.
ass ein Beitragspunkt zu viel 100 000 Arbeitsplätze
erhindert.
Die Bundesagentur geht davon aus, dass im nächsten
ahr aufgrund des konjunkturellen Abschwungs mit durch-
chnittlich 30 000 zusätzlichen Arbeitslosen gerechnet
erden muss. Wir brauchen eigentlich nur eine einfache
echnung nach Adam Riese aufzumachen: 0,3 Beitrags-
atzpunkte weniger in der Rentenversicherung machen
0 000 Arbeitslose weniger, und das ergibt ein durch-
chnittliches Arbeitslosenaufkommen, das ungefähr dem
etzigen entspricht, und das trotz einer Phase wirtschaft-
ichen Abschwungs. Daran trauen Sie sich überhaupt
icht.
Wir als FDP wollen ausdrücklich die Entlastung der
eitragszahlerinnen und Beitragszahler. Nun werden
ier die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ent-
astet – nur sie; demgegenüber werden bei der Erhöhung
es Beitragssatzes zur Krankenversicherung alle belas-
et –, aber dazu müssen wir deutlich sagen: So wie Sie
as hier vorsehen, können wir dem, obwohl wir die Bei-
ragssenkung wollen und sie auch richtig und notwendig
st, schlichtweg nicht zustimmen; denn Sie machen wie-
er genau das, was Sie schon die ganze Zeit machen: Sie
erlagern Belastungen, die eigentlich gesamtgesell-
chaftlich, also aus dem Bundeshaushalt, getragen wer-
en müssen, auf die Kasse der Versicherten.
Es sind Belastungen in zwei Bereichen, die Sie mal
ben so en passant mit Änderungsanträgen festschrei-
en, die Sie im Ausschuss für Arbeit und Soziales nach-
eschoben haben.
ie Beitragszahler sollen jetzt für die Versicherungs-
flichtigen bezahlen, die erziehen. Das hat bisher der
und gemacht. Das ist eine Mehrbelastung von 290 Mil-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20981
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Dirk Niebel
lionen Euro Jahr für Jahr für die Arbeitnehmer und Ar-
beitgeber. Was Sie aus der Mehrwertsteuererhöhung dem
Beitragstopf bisher monatlich zuführen – daraus wollen
Sie angeblich arbeitsmarktpolitische Leistungen finan-
zieren –, wollen Sie jetzt nur noch jährlich im Nach-
hinein zuführen, damit der Bundesfinanzminister 170 Mil-
lionen Euro an zusätzlichen Zinseinnahmen hat, die
eigentlich den Beitragszahlern gehören würden.
Das sind die Gründe dafür, dass wir uns bei diesem
Gesetz, obwohl wir für die Entlastung bei der Arbeitslo-
senversicherung sind, leider nur enthalten können. Wie-
der einmal organisieren Sie hier den Verschiebebahnhof
„Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben zulas-
ten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern“.
Was den Bereich der arbeitsmarktpolitischen In-
strumente betrifft, möchte ich noch einmal daran erin-
nern, dass Sie schon in Ihrem Koalitionsvertrag, der sin-
nigerweise am 11. 11. 2005 unterschrieben worden ist,
gesagt haben, dass spätestens bis Ende 2007 die arbeits-
marktpolitischen Instrumente neu sortiert werden sollen.
Mit dem, was Sie jetzt vorlegen, erreichen Sie nicht nur
nach unserer Meinung dieses Ziel nicht – Sie wollten
mehr Transparenz und mehr Effizienz schaffen –; auch
der Bundesrat, in dem die FDP immer noch keine Mehr-
heit hat,
sagt ausdrücklich, dass mit diesem Gesetz das Ziel, das
sich die Bundesregierung vorgenommen hat, nicht er-
reicht wird.
Wir bräuchten arbeitsmarktpolitische Instrumente, die
den Kriterien der Effizienz und der Zielgruppenorientie-
rung gerecht werden. Stattdessen schlagen Sie Maßnah-
men vor, die wieder zentralisieren und die Nürnberger
Anstalt in den Mittelpunkt stellen, statt die Möglichkei-
ten der freien Kräfte vor Ort und der flexiblen Instru-
mente vor Ort wirklich nachhaltig zu fördern. Die Ent-
scheidungskompetenz vor Ort ist genau das, was wir in
einer Situation brauchen, in der es wirtschaftlich schwie-
riger wird. Gerade vor Ort kann man entscheiden, ob
eine Maßnahme der Qualifizierung und Bildung oder
eine assistierte Vermittlung notwendig ist. Das kann in
Rostock ganz anders sein als in Passau. Deswegen brau-
chen wir diese flexiblen Instrumente mit möglichst viel
Entscheidungskompetenz für die Arbeitsvermittlerinnen
und Arbeitsvermittler.
Die Bundeskanzlerin hat einen Bildungsgipfel veran-
staltet, der über Maulwurfshügelniveau nicht hinaus-
gekommen ist. Aber in dem Bereich, der ihre bundes-
politische Kompetenz ist, nämlich in der beruflichen
Bildung und Weiterbildung, hat sie überhaupt keine Ak-
zente gesetzt. Auch in der Zusammenfassung neuer ar-
beitsmarktpolitischer Instrumente ist eine Akzentsetzung
nicht erkennbar. Der Bereich, für den Sie Kompetenzen
haben, wird kläglich vernachlässigt, und in anderen Be-
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Der Bundesarbeitsminister ist angetreten – ich
omme zum Schluss, Herr Präsident – mit dem An-
pruch, die Bundesagentur für Arbeit zur weltbesten
ermittlung zu machen. Sie sind mittlerweile nicht auf
em Weg zur weltbesten Arbeitslosenverwaltung, son-
ern auf dem Weg zur weltgrößten Arbeitslosenverwal-
ung. Wenn wir heute, bei unter 3 Millionen Arbeits-
osen, über 100 000 Beschäftigte bei der Bundesagentur
ählen, während es 2003, bei noch 5 Millionen Arbeits-
osen, 87 000 Beschäftigte waren, dann zeigt das: Sie
ind auf dem falschen Weg. Sie gehen in die falsche
ichtung. Sie verschwenden das Geld der Beitragszahle-
innen und Beitragszahler. Dafür können wir unsere
and nicht reichen.
Dr. Ralf Brauksiepe ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Kollege Niebel, Sie haben von der Eloquenz des
taatssekretärs gesprochen. Ich gebe gleich zu: Wir alle
önnen mit Ihrer Eloquenz nicht mithalten.
a sind Sie besser. Aber dafür reden wir zur Sache und
u den Menschen. Das ist der Unterschied zu dem, was
ie vorgetragen haben.
20982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Dr. Ralf Brauksiepe
Zur Sache gehört, dass die Regierung Merkel die Bei-
tragssatzsenkungsregierung ist, was die Arbeitslosenver-
sicherung angeht. Darauf hat Staatssekretär Brandner
völlig zu Recht hingewiesen. Gegenüber 2006 haben wir
den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 3,7 Prozent-
punkte gesenkt. Das entspricht einer Entlastung von
30 Milliarden Euro für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Das ist das Ergebnis unserer Arbeit in der Großen Koali-
tion. 265 Euro Entlastung für einen Arbeitnehmer bei ei-
nem Jahresbruttoeinkommen von 30 000 Euro: Das ist
die stolze Bilanz der Entlastung der Menschen, die diese
Große Koalition vorlegen kann.
Sie haben an eine Tradition angeknüpft, die Sie schon
in der ganzen Legislaturperiode in diesem Hause ver-
folgt haben. Sie haben noch keiner einzigen Beitrags-
satzsenkung in der Arbeitslosenversicherung zuge-
stimmt,
obwohl es schon drei Versuche gab. Spätestens nach
dem dritten Versuch ist man üblicherweise durchgefal-
len. Sie sind also mit Ihrer Politik der Verhinderung von
Beitragssatzsenkungen durchgefallen.
Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parla-
ments, Herr Kollege Niebel.
Wir haben in der letzten Woche einen Bundeshaushalt
beschlossen, der für die Erstattung von Beiträgen für Er-
ziehende durch den Bund an die Bundesagentur für Ar-
beit keine Mittel mehr vorsieht. Das kann man so oder so
sehen. Jeder Bundeshaushalt ist immer auch ein Kom-
promiss, den man schließen muss. Aber wenn keine Mit-
tel mehr vorgesehen sind, dann ist es auch nicht möglich,
einen entsprechenden Rechtsanspruch aufrechtzuerhal-
ten. Von daher vollziehen wir in dieser Woche rechts-
technisch das nach, was der Bundestag als Haushaltsge-
setzgeber in der letzten Woche beschlossen hat.
Das taugt ziemlich wenig, um zu begründen, dass Sie
einer Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge
nicht zustimmen wollen. Es ist eine sehr schwache Be-
gründung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
Wir haben von daher als Große Koalition auch diese
Senkung wieder alleine durchführen müssen. Wir haben
mit dieser Politik der Entlastung der Beitragszahler in
den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt. Das kön-
nen wir auch jetzt tun, weil wir nach wie vor die beste
Lage auf dem Arbeitsmarkt seit 16 Jahren haben. Allen
Unkenrufen und all denjenigen zum Trotz, die im Okto-
ber darauf hingewiesen haben, dass wir erstmals und
letztmals eine Situation mit weniger als 3 Millionen Ar-
beitslosen haben würden, kann man feststellen: Diese
positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hält auch
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Wir haben weitere Rekordzahlen auf dem Arbeits-
arkt, die uns darin bestärken, diesen Weg zu gehen.
ir haben nicht nur die niedrigste Zahl an Arbeitslosen
eit 16 Jahren, sondern wir haben auch mit 28 Millionen
ozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in die so-
ialen Sicherungssysteme einzahlen, und mit 41 Mil-
ionen Erwerbstätigen die höchsten Beschäftigtenzahlen
eit langer Zeit.
Auf diese Rekordzahlen können wir gemeinsam stolz
ein, und wir sind auch stolz darauf, dass wir die paritä-
isch finanzierten Beiträge zu den Sozialversicherungen
uf 39,25 Prozent und die Beiträge der Arbeitgeber auf
eutlich unter 20 Prozent gesenkt haben. Das war unser
iel, das auch erreicht wurde. Darauf sind wir stolz.
Wir wissen, dass die Bundesagentur für Arbeit
eine Sparkasse ist. Deswegen sind wir ganz klar der
uffassung, dass man jetzt auch eine Situation akzeptie-
en kann, in der die BA möglicherweise auf die Reser-
en zurückgreifen muss. Ich rate aber auch dabei zur
orsicht. Im letzten Jahr hatten wir eine um 11 Mil-
iarden Euro bessere Situation bei der Bundesagentur für
rbeit als erwartet. Wir werden auch in diesem Jahr bei
er Bundesagentur für Arbeit um rund 3,5 Milliarden
uro besser dastehen als geplant. Von daher kann man
eststellen, dass unsere Entlastungen, die wir den Bürge-
innen und Bürgern ermöglichen, gut durchkalkuliert
nd solide finanziert sind. Deswegen beschreiten wir
iesen Weg.
Ich will noch auf den Gesetzentwurf zur Neuausrich-
ung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente eingehen.
s war uns als CDU/CSU wichtig, dass im Koalitions-
ertrag vereinbart worden ist, zu einer deutlichen Redu-
ierung der Zahl der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
u kommen. Wir haben gesagt: Was sich als wirksam er-
iesen hat, wird fortgeführt; was nicht gebraucht wor-
en ist oder sich als unwirksam erwiesen hat, das wird
estrichen. Das ist genau der Weg, den wir gegangen
ind, wodurch wir zu einer deutlichen Reduzierung der
ahl der Instrumente gekommen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nicht ein-
ach irgendetwas weggestrichen, sondern wir haben vor
llem für mehr Flexibilität vor Ort gesorgt. Wir haben
it der Einführung des Vermittlungsbudgets dafür ge-
orgt, dass die Vermittler nicht mehr kleinkariert nach
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20983
)
)
Dr. Ralf Brauksiepe
jeder Einzelheit gucken müssen, sondern dass sie wirk-
lich Flexibilität haben, um vor Ort zu entscheiden, was
ein Arbeitsloser braucht, der erst kurze Zeit arbeitslos
ist, und vor allem, welche möglicherweise unkonventio-
nellen Wege gegangen werden müssen, um Menschen,
bei denen das normale Instrumentarium der Arbeitsför-
derung über 12 oder 18 Monate nichts genutzt hat, in Ar-
beit zu bringen. Das haben wir getan. Wir haben das
klare Signal gesetzt: Es gibt mehr Handlungsfreiheit und
mehr Flexibilität vor Ort, um mehr konkrete und passge-
naue Hilfe für die Menschen zu ermöglichen. Das ist ein
großer arbeitsmarktpolitischer Fortschritt.
Wir haben den Gesetzentwurf mit den Änderungsan-
trägen, die wir als Koalitionsfraktionen eingebracht ha-
ben, erheblich verbessert. Diese sind auf unseren Vor-
schlag hin vorgestern im Ausschuss für Arbeit und
Soziales beschlossen worden. Ich möchte mich auch bei
den Kolleginnen und Kollegen der SPD herzlich dafür
bedanken, dass wir dies mit Pragmatismus und Augen-
maß gemeinsam tun konnten.
Wir haben uns darauf verständigt, dass über die Flexi-
bilisierung hinaus, die durch das Vermittlungsbudget
entstanden ist, auch die Freie Förderung im Bereich des
Sozialgesetzbuchs III – also für diejenigen, die erst
kurze Zeit arbeitslos sind – in Höhe von 10 Prozent er-
halten bleibt. Wir haben die im Gesetzentwurf der Bun-
desregierung vorgesehenen Mittel für die Freie Förde-
rung von Langzeitarbeitslosen von 2 Prozent auf 10 Pro-
zent verfünffacht. Darüber hinaus haben wir jede Menge
zusätzliche Flexibilisierungsmöglichkeiten eingebaut.
Von daher sind jetzt ziel- und passgenaue Möglichkeiten
vorhanden, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Das ist unser Ziel gewesen.
Ich will gleichzeitig sagen, obwohl es selbstverständ-
lich ist, dass dies kein Gesetz zur Aufhebung der Gewal-
tenteilung in Deutschland ist. Das klingt selbstverständ-
licher, als es manchmal zu sein scheint, wenn man
Debatten führt. Die Kollegin Pothmer wird gleich noch
sprechen. Wir haben schon manche Runde gemeinsam
mit Landräten und Arge-Geschäftsführern gehabt, in der
ich von der Kollegin aufgefordert worden bin, dafür zu
sorgen, dass das Arbeitsministerium nicht mehr so böse
Briefe an Landräte und Arge-Geschäftsführer schreibt.
Es wird natürlich auch weiterhin so sein, dass die Abge-
ordneten ihre Briefe nicht auf Bögen des Ministeriums
schreiben. Daran wird sich nichts ändern. Die Kollegin
Pothmer weiß das auch; sie sagte nämlich dann auf den
Hinweis: Herr Brauksiepe, Sie haben ja recht. Aber ich
habe doch so viel Beifall bekommen; da musste ich das
doch einfach einmal fordern.
So machen wir nicht Politik, meine Damen und Her-
ren. Ich will nur klar sagen: Die Briefe des Ministeriums
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ber auf den Gesetzgeber kann sich niemand berufen,
er im Geiste des Misstrauens und der Nichtkooperation
gieren will. Dies ist ein Gesetzentwurf, der auf Ver-
rauen, Kooperation und gleiche Augenhöhe setzt. Das
st der klare Rahmen, den wir als Gesetzgeber heute
chaffen.
Ganz herzlichen Dank.
Werner Dreibus ist der nächste Redner für die Frak-
ion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
ir sind mitten in einer schweren Wirtschaftskrise. Je-
es vierte Unternehmen denkt über Entlassungen nach.
ie OECD befürchtet, dass es Ende nächsten Jahres be-
eits 700 000 Arbeitslose mehr sein könnten. Immer
ehr Kurzarbeit und deutlich mehr Arbeitslose werden
ag für Tag – das gilt im wörtlichen Sinne – zur bitteren
ealität. Schon allein deshalb sind die heute von der
roßen Koalition vorgelegten Gesetzentwürfe absolut
aneben.
Wenn Sie nur einen Funken Mut und Verantwortung
ätten, dann hätten Sie angesichts der aktuellen Lage mit
hrer Mehrheit beide Gesetzentwürfe von der heutigen
agesordnung abgesetzt.
Schauen wir uns die Ausgangslage am Arbeitsmarkt
och einmal genauer an! Es gibt offiziell knapp
Millionen Arbeitslose. Hinzukommen mehr als
Million Menschen, die nur deshalb nicht als arbeitslos
elten, weil sie in Maßnahmen der Arbeitsförderung
ind, sowie mindestens 600 000 Menschen in der stillen
eserve. Das sind die Zahlen am Ende des Auf-
chwungs. Ich denke, das ist genau das Gegenteil einer
rfolgreichen Arbeitsmarktpolitik.
Weiter: Zwischen 2003 und 2007 wurden fast 1 Mil-
ion Vollzeitarbeitsplätze abgebaut. Dafür boomen pre-
äre Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Mini-
nd Midijobs oder Befristungen. Die Beschäftigten sind
enau diejenigen, die nun als Allererste ihre Arbeits-
lätze verlieren. Das passiert bereits täglich. Hinzu
ommt: Millionen Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen.
elch eine katastrophale Bilanz, und das am Ende einer
ufschwungperiode, bevor die Krise auf dem Arbeits-
arkt überhaupt angekommen ist!
20984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Werner Dreibus
Was wir jetzt dringender denn je brauchen, ist mehr
und bessere Arbeitsmarktpolitik. Deshalb ist das Aller-
letzte, was man in einer solchen Situation machen kann,
eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche-
rung.
Die Bundesagentur für Arbeit muss doch in der Lage
sein, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, und
zwar angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen mehr
denn je.
Dafür braucht sie eine angemessene finanzielle Ausstat-
tung und nicht reduzierte Einnahmen.
Die Bundesagentur für Arbeit selbst rechnet bei einer
Senkung des Beitragssatzes auf 2,8 Prozent für 2009
mit einem Defizit von fast 6 Milliarden Euro, vorausge-
setzt, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt stagniert.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, hat
es im Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgerechnet:
Sollte es im nächsten Jahr durchschnittlich nur
130 000 Arbeitslose mehr geben, dann müsste die BA
allein im Jahr 2009 mit 700 Millionen Euro Mehrausga-
ben rechnen, und das bei nur 130 000 Arbeitslosen mehr,
eine Zahl, die wahrscheinlich weit untertrieben ist und
die weit weg von der zu befürchtenden Realität ist. Um
es deutlich zu sagen: Wenn Sie in der aktuellen Lage auf
Beitragssatzsenkungen bestehen – teilweise wider besse-
res Wissen, wie ich aufgrund dessen, was ich aus der
Koalition höre, vermute –, dann fahren Sie die BA und
damit auch die Wirksamkeit und die Legitimation der
Arbeitslosenversicherung insgesamt an die Wand.
Auch mit dem Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der
arbeitsmarktpolitischen Instrumente werden Sie das
Steuer in der Arbeitsmarktpolitik nicht herumreißen.
Sie setzen damit – im Grunde ist das in der Rede des
Staatssekretärs deutlich geworden – die Linie der
Agenda 2010 und der Hartz-Reformen konsequent fort,
konsequent in die falsche Richtung. Der repressive Cha-
rakter der Arbeitsmarktpolitik wird weiter verschärft.
Arbeitslose werden weiter entrechtet. Die Daumen-
schraube der Sanktionen wird noch fester angezogen.
Die Zumutbarkeitskriterien werden weiter verschlech-
tert.
Die Bundesregierung strafft und flexibilisiert den
Instrumentenkasten. Sie gehen dabei allerdings fast
ausschließlich von quantitativen Aspekten aus. „Sparen
vor Verbessern“ heißt offensichtlich Ihr Motto.
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Für die Vermittler bedeutet mehr Handlungsspielraum
unächst mehr Flexibilität. Das ist gut. Es bedeutet aber
uch mehr Verantwortung für den Vermittler,
nd es wird, Herr Brauksiepe, für den Vermittler mehr
pardruck von oben bedeuten. Das ist angesichts kom-
ender Defizite – Sie senken ja gleichzeitig die Bei-
ragssätze – doch vollkommen absehbar.
as Gesetz macht insofern das Tor für weitere Einspa-
ungen und weiteren Druck auf Arbeitslose weit auf. Die
öcher im sozialen Netz werden immer größer.
Arbeitsmarktpolitik muss eine ausreichende soziale
bsicherung bieten und die nachhaltige Integration in
ute Arbeit tatsächlich fördern, nicht nur in Sonntags-
eden, Herr Staatssekretär, sondern in der Praxis.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20985
)
)
Werner Dreibus
Verstärkt gefördert werden müssen gerade in der Krise
Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte und andere be-
sonders Benachteiligte. Wir, die Linke, fordern deshalb
ein sofortiges Umsteuern in der Arbeitsmarktpolitik.
Dazu gehören – ich will sie nur stichwortartig nennen –
mindestens die folgenden Punkte: Wir brauchen eine
Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I.
Wir brauchen eine sofortige Anhebung der Hartz-IV-Re-
gelsätze auf mindestens 435 Euro, verbunden mit der
Einführung eines bedarfsdeckenden Satzes für Kinder –
und das alles nur als ersten Schritt zur tatsächlichen
Überwindung von Hartz IV. Wir brauchen die Einfüh-
rung eines individuellen Rechtsanspruchs auf Teilhabe an
den Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung für alle
Erwerbslosen. Wir brauchen die Abschaffung der 1-Euro-
Jobs zugunsten von öffentlich geförderten Beschäfti-
gungsverhältnissen, die nach Tarif bezahlt werden. So
würden endlich wieder brachliegende Aufgaben ange-
gangen und Langzeitarbeitslosigkeit effektiv bekämpft.
Ganz wichtig ist: Arbeit und arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen müssen existenzsichernd und voll sozial-
versicherungspflichtig sein,
der individuellen Qualifikation entsprechen, sie dürfen
keine extremen Anforderungen an Flexibilität und Mobi-
lität stellen, und sie müssen die politische und religiöse
Gewissensfreiheit berücksichtigen. Das sind Mindestan-
forderungen aus der Sicht der Linken. Notwendig sind
darüber hinaus wirksame Maßnahmen gegen den wach-
senden Niedriglohnsektor und gegen die Zunahme
prekärer Beschäftigungsverhältnisse, um gute Arbeit tat-
sächlich zu stärken. Dazu gehört als wichtigste Maß-
nahme endlich die Einführung eines gesetzlichen Min-
destlohns von mindestens 8,71 Euro wie in Frankreich.
Zusammengefasst: Wer ausgerechnet in der Krise die
Beiträge kürzt und damit notwendige und sinnvolle Ar-
beitsmarktpolitik weiter demontiert, ist entweder zy-
nisch oder betätigt sich als Geisterfahrer. Jedenfalls ist er
weder christlich noch sozial.
Eine solche Politik haben die Menschen, die jetzt Angst
um ihren Arbeitsplatz haben, und die Arbeitslosen wirk-
lich nicht verdient.
Vielen Dank.
Das Wort erhält die Kollegin Brigitte Pothmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
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as ist an den Koalitionsfraktionen nicht vorbeigegan-
en – offensichtlich auch nicht an Ihnen, Herr Müller –,
nd das ist auch gut so. Ich finde es richtig, dass Sie die
Prozent, die im Gesetzentwurf für die Freie Förde-
ung vorgesehen waren, auf 10 Prozent heraufgesetzt
aben.
ut so, sage ich – aber das ist noch zu wenig –, und das
ann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir dadurch
eder quantitativ noch qualitativ das erreichen, was wir
orher mit dem Instrument der weiteren Leistungen hat-
en.
as fällt immer noch weit hinter den Status quo zurück.
Liebe Frau Nahles, das wissen Sie wirklich ganz ge-
au.
Wenn es tatsächlich nur darum gegangen wäre, auf
ie Kritik des Bundesrechnungshofes an den weiteren
eistungen einzugehen, dann hätte man einfach nur für
in Aufstockungs- und Umgehungsverbot für weitere
eistungen bei Arbeitgebern sorgen können. Dann hät-
en wir dieses Instrument beibehalten können, das im
inzelfall vor Ort so gute Wirkungen erzielt hat.
Stattdessen haben Sie die vorhandene Handlungsfrei-
eit und Flexibilität im großen Stil rasiert. Seit mittler-
eile über einem Jahr beschäftigen sich die Argen und
ie Kommunen mit den Folgen dieser Entscheidung.
as ist wirklich schlecht für die Arbeitslosen. Das ist das
20986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Brigitte Pothmer
Ergebnis Ihrer Politik. Das ist kein Zufall; das ist offen-
bar regelrecht gewollt.
– Nein, Frau Nahles. Ich mache Ihnen jetzt einmal fol-
genden Vorschlag: Lassen Sie uns das hier nicht nur
theoretisch im Streit ausfechten; wir treffen uns in einem
Jahr wieder. Dann werden wir ganz genau wissen, wo
die Probleme dieses neuen Instruments sind.
Ich will Ihnen sagen: Das Problem liegt im Wesentli-
chen darin, dass dieses Instrument erst angewendet wer-
den darf, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen
ist.
Die Arbeitslosen müssen erst zu Langzeitarbeitslosen
werden, damit die Flexibilität, die wir brauchen, tatsäch-
lich vorhanden ist.
Vorher werden Instrumente von der Stange angewendet,
die überhaupt nicht zielführend sind. Das ist das zentrale
Problem Ihrer Neuregelung.
Davon ganz besonders negativ betroffen sind die
Jugendlichen. Mittlerweile hat uns das IAB ein Gutach-
ten vorgelegt, aus dem hervorgeht – das muss man sich
einmal vorstellen –, dass nur 40 Prozent der jungen
Menschen unter 30 Jahren, die abhängig von Leistungen
aus dem Bereich Hartz IV geworden sind, einen dauer-
haften Ausstieg daraus schaffen. Das wissen Sie sehr ge-
nau; trotzdem beschränken Sie die Möglichkeit, hier
Hilfe zu leisten, mit Ihrem Instrumentenkasten noch ein-
mal ganz deutlich.
Wir brauchen Herrn Scheele mit seinem Drahtverhau von
Verordnungen überhaupt nicht. Sie haben doch schon da-
für gesorgt, dass dieses Instrument wahrlich nicht pass-
genau eingesetzt werden kann.
Herr Brauksiepe, jetzt komme ich noch zu dem von
Ihnen so hochgelobten Vermittlungsbudget. Sie sagen:
Gut, wenn da nicht kleinkariert vorgegangen werden
muss, wenn nicht jede Leistung en détail abgerechnet
werden muss, wenn das vielmehr budgetiert werden
kann. Stimmt, das sieht der Gesetzentwurf tatsächlich so
vor. Aber parallel dazu überlegt sich die BA, wie sie die-
ses Instrument in ihrem Statistikwahn zerstückeln kann.
Haben Sie sich einmal den Entwurf angeschaut, den die
BA vorgelegt hat? Darin ist Folgendes vorgesehen:
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ch kann Ihnen nur sagen: Sie pauschalisieren. In der
raxis bringt das für die einzelnen Arbeitsagenturen und
ür die Vermittler rein gar nichts. Sorgen Sie dafür, dass
as nicht Wirklichkeit wird.
Das qualitativ wirklich einzig Neue in diesem Gesetz-
ntwurf ist die Verordnungsermächtigung. Sie sagen
etzt hier: Es geht um mehr Flexibilität vor Ort und um
ehr Vertrauen in die einzelnen Jobcenter. Parallel dazu
tellen Sie in dieses Gesetz eine Verordnungsermächti-
ung ein, die es dem Ministerium jeden Tag, den Gott
erden lässt, ermöglicht, in das operative Geschäft vor
rt unmittelbar einzugreifen.
ass Sie überhaupt nicht schüchtern sind, von so etwas
ebrauch zu machen, wissen wir aus den Erfahrungen
aus schmerzhaften Erfahrungen, kann ich dazu nur sa-
en – mit den weiteren Leistungen.
Was ich als weiteren Punkt wirklich tragisch finde,
st, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf – ich möchte es
inmal so sagen – die Architektur, die Idee dieser Ge-
etze völlig verkehren. Wir sind immer davon ausgegan-
en, dass Arbeitsmarktpolitik nur dann erfolgreich sein
ann, wenn Arbeitsuchender und Fallmanager tatsäch-
ich auf Augenhöhe miteinander in Kontakt treten und
ereinbaren, was für den Arbeitsuchenden gut ist. Was
ie jetzt machen, ist, dieses Machtgefälle zwischen Fall-
anager bzw. der Institution zulasten des Arbeitsuchen-
en noch einmal zu verschärfen.
Wenn es so ist, dass eine Eingliederungsvereinba-
ung keine gemeinsame Vereinbarung ist, sondern qua
erordnung gesetzt wird, und wenn sich dann der Ar-
eitsuchende darin nicht wiederfindet und diese Verein-
arung nicht eingehalten wird, dann gibt es sofort Sank-
ionen. Ich frage Sie: Was hat denn das mit Augenhöhe
u tun? Das ist wieder Ausdruck des tiefen Misstrauens,
as Sie gegenüber den Arbeitsuchenden haben. Sie brin-
en damit die Idee dieses Gesetzes wirklich zu Fall. Das
erfe ich Ihnen vor.
Insgesamt ist dieser Gesetzentwurf nicht nur Aus-
ruck des Misstrauens gegenüber den Arbeitslosen, son-
ern nach wie vor auch gegenüber den Akteuren vor Ort,
egenüber den Vermittlern und den Maßnahmenträgern.
ie sitzen hier in Berlin und sind von der Idee verfolgt,
ass diese Menschen Sie alle übers Ohr hauen und mit
teuer- und Beitragsmitteln Schindluder treiben wollen.
ber Sie sehen nicht, dass mit dieser kleinteiligen Über-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20987
)
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Brigitte Pothmer
prüfungstechnik viel mehr Geld verschwendet wird, als
das andersherum möglicherweise der Fall sein könnte.
Ich muss leider zum Schluss kommen.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu der Frage der Ab-
senkung der Beitragssätze sagen. Herr Weiß rechnet
uns im Ausschuss jedes Mal neu vor – ich höre ihm auch
jedes Mal wieder gerne zu –, dass die Absenkung eines
Beitragssatzpunktes hunderttausend Arbeitsplätze bringt.
Aber, lieber Herr Weiß, das geht nur, wenn es tatsächlich
auch unter dem Strich 1 Prozentpunkt weniger ist.
Das geht nicht, wenn Sie auf der einen Seite wie bei der
Krankenversicherung den Beitragssatz um 1 Prozent-
punkt erhöhen und auf der anderen Seite bei der Arbeits-
losenversicherung um 1 Prozentpunkt reduzieren. So
funktioniert das in der Praxis nicht.
Das ist eine Milchjungenrechnung, Herr Weiß. Die
Beitragssatzsenkung bei der Arbeitslosenversicherung
hat mit den Bedürfnissen in diesem Bereich nichts zu tun.
Sie kompensiert Fehler, die bei der Reform der Kranken-
versicherung gemacht worden sind. Das werden bei stei-
gender Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen noch bitter be-
zahlen müssen. Schließlich brauchen wir gerade in dieser
Zeit eines: langfristige und gute Qualifizierung. Dies
wird mehr Geld kosten, als derzeit zur Verfügung steht.
Frau Kollegin, Sie müssen nun wirklich zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss. – Ich will nur noch darauf
hinweisen, dass all das noch dadurch verschärft wird,
dass es mal wieder ein Verschiebemanöver gibt.
Nein, jetzt gibt es keine neue Abteilung einer längst
überschrittenen Redezeit.
Dann lassen Sie mich sagen: Ich fürchte,
dass im nächsten Jahr die angeblichen Verbesserungen in
der Arbeitsmarktpolitik nur auf rein statistische Effekte
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Katja Mast ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
m liebsten würde ich Ihnen, Frau Pothmer, einen Bil-
ungsgutschein anbieten, damit Ihnen das vorliegende
esetz noch einmal erläutert wird. Vielleicht hören Sie
ir einfach zu. Dann verstehen Sie es besser.
Das doppelte „V“ ist aus meiner Sicht die Überschrift
ür das heute zu verabschiedende Gesetz. Das doppelte
V“ steht für Vertrauen und Verantwortung in die Kraft
er Gestaltung vor Ort. Die Neuorganisation der arbeits-
arktpolitischen Instrumente setzt Vertrauen in dezen-
rale Entscheidungsspielräume und innovative Möglich-
eiten, auch wenn es einige meiner Vorrednerinnen und
orredner nicht so sehen.
Dieses Gesetz ist ein kraftvolles Signal für Vor-Ort-
ösungen. Wir als Gesetzgeber eröffnen bewusst Hand-
ungsspielräume. Unsere Erwartung ist: Wir wollen, dass
iese Möglichkeiten verantwortlich genutzt werden. Un-
ere Hoffnung geht weit darüber hinaus. Wir setzen da-
it auch ein Signal für eine gute Lösung bei der Neu-
rganisation der Argen.
Auch wenn man sich über das eine oder andere Detail
treiten kann, ist doch die zentrale Frage: Wo finden wir
iese Handlungsspielräume im heute zu verabschieden-
en Gesetz?
Erstens. Wir haben es geschafft: Wir reduzieren die
nzahl der Einzelgesetze für Arbeitsvermittler vor Ort
nd schaffen durch Budgets Spielräume für passgenaue
ösungen, auch wenn Sie, Herr Niebel, das noch nicht
ichtig erkannt haben.
iese Budgets sind sowohl nach dem SGB III als auch
em SGB II möglich. Sie finden sich als Vermittlungs-
udget in § 45 und als Aktivierungsbudget in § 46.
20988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Katja Mast
Zweitens. Noch nie gab es eine Freie Förderung für
dezentrale Projekte im SGB II. Diese schaffen wir jetzt.
Das ist erklärter Wille sowohl der Bundesregierung als
auch des Parlaments.
Uns Volksvertretern ist es gelungen, den Ansatz der Re-
gierung von 2 Prozent auf das Fünffache – ich betone:
das Fünffache –, also auf 10 Prozent, anzuheben. Unser
sozialdemokratischer Fraktionsvorsitzender Peter Struck
hatte recht mit dem von ihm vielbeschworenen Grund-
satz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag, wie es einge-
bracht wurde. Eine Steigerung von 2 auf 10 Prozent für
die Freie Förderung ist ein Durchbruch in der bundes-
deutschen Arbeitsmarkt- und Vertrauenspolitik.
Doch damit nicht genug:
Drittens. Wir schaffen weitere Möglichkeiten für de-
zentrales Handeln. Das Aufstockungs- und Umge-
hungsverbot wird für Langzeitarbeitslose gelockert.
Das ist Ergebnis vieler Gespräche mit Experten vor Ort
und mit Fachverbänden. Das ist größtmögliches Ver-
trauen in die Akteure vor Ort. Dieses Vertrauen fordert
auch Verantwortung. Im Gesetz steht klar:
Bei Leistungen an Arbeitgeber ist darauf zu achten,
Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden.
Das meinen wir sehr ernst. Wir wollen keine vollfinan-
zierten Lohnkostenzuschüsse und keine vollfinanzierten
betrieblichen Ausbildungen – um extreme Beispiele für
solche Verfälschungen am Arbeitsmarkt zu nennen. Es
gilt natürlich geltendes Recht, zum Beispiel das europäi-
sche Beihilferecht. Unser Vertrauen steht: Die Akteure
vor Ort können mit dieser Verantwortung umgehen.
Viertens. Mit dem Recht auf die Vorbereitung eines
Hauptschulabschlusses im SGB III setzen wir auf vor-
sorgende Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen jedem eine
zweite Chance geben. Aufstieg durch Bildung ist seit
145 Jahren sozialdemokratisches Kernanliegen. Das ist
gut so.
Wir übernehmen damit Verantwortung da, wo die Bun-
desländer bei jährlich 70 000 Schulabgängern ohne
Hauptschulabschluss versagen. Denn jedem Sozialpoliti-
ker ist doch klar: Ohne Schulabschluss keine Ausbildung
und ohne beides ist die Wahrscheinlichkeit für Langzeit-
arbeitslosigkeit hoch.
Wir sind froh, dass wir mit der Union einen Partner
haben, der unseren Argumenten an dieser Stelle nicht
widerstehen konnte. Handlungsspielräume vor Ort ent-
stehen hierdurch, weil jetzt absolut klar ist: Der Haupt-
schulabschluss ist Sache des SGB III.
Ich bin froh, dass die Bundesagentur für Arbeit in un-
serer Expertenanhörung zugesagt hat, das Fachkonzept
für die berufsvorbereitenden Maßnahmen zu überarbei-
ten. Nur in der Verbindung von Begleitung durch berufs-
vorbereitende Maßnahmen und Vorbereitung auf den
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nd werden mehrere Tausend befristete Arbeitsverträge
ei der Bundesagentur für Arbeit entfristen.
So weit nun zu den abstrakten Möglichkeiten der
euen Handlungsspielräume. Aber wie geht eigentlich
ilvia Müller, Vermittlerin bei der Agentur für Arbeit in
einer Heimat Pforzheim, damit um?
or ein paar Tagen hat sie erfahren, dass ihr befristeter
rbeitsvertrag jetzt unbefristet weiterlaufen kann. Sie
at nun endlich einen dauerhaften Arbeitsvertrag. Peter
ühn, ein ehemaliger Lagerarbeiter von 45 Jahren, der
eit ein paar Wochen arbeitslos ist, sitzt heute vor ihr.
r ist zum Vorstellungsgespräch in Düsseldorf eingela-
en. Im Bewerbungskurs wurde ihm empfohlen, mit
chlips und Kragen zum Gespräch zu gehen. Sowohl
ahrtkosten als auch Schlips und Kragen kann er sich
icht leisten. Er wollte den Termin zum Vorstellungsge-
präch deshalb absagen. Frau Müller motiviert ihn, hin-
ugehen, und sagt ihm zu, die Kosten zu übernehmen.
is vor einigen Wochen hatte sie immer aus verschiede-
en Töpfen genauestens berechnen müssen, wie sie
errn Kühn helfen kann. Doch mit unserem Gesetz ist
as anders: Sie hat jetzt ein Budget, Verwaltungskosten
erden gespart – eine passgenaue Lösung also. Dieses
esetz verändert das Verhältnis zwischen Vermittler und
rbeitsuchendem. Das wollen wir so.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Gesetzent-
urf trägt eine deutliche Handschrift. Wir haben er-
eicht, dass jeder und jede künftig das Recht hat, sich auf
en Hauptschulabschluss vorzubereiten. Das ist ein gro-
er Erfolg und wieder ein Beleg dafür, dass Sozialdemo-
raten den Aufstieg durch Bildung gestalten, auch ge-
einsam mit der Union.
Frau Kollegin.
Ich bin gleich fertig. – Die Budgets werden die not-
endigen Spielräume geben, um Menschen individuell
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20989
)
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Katja Mast
und bedarfsgerecht zu fördern, und die Freie Förderung
ermöglicht passgenaue Lösungen vor Ort. Das ist Poli-
tik, die verantwortungsvoll mit den Mitteln der Beitrags-
zahler und der Steuerzahler haushaltet.
Das ist Politik mit und für die Menschen. Das ist Politik
mit doppeltem „V“: Vertrauen und Verantwortung für
maßgeschneiderte Lösungen vor Ort.
Dr. Erwin Lotter ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Herr Kollege Brauksiepe, eines haben die heutige
Debatte und die zurückliegenden Beratungen im Aus-
schuss ganz klar bewiesen: Die Regierungsfraktionen
lernen nicht aus ihren Fehlern.
– Das denken Sie!
Sie haben in drei langen Jahren der Bedenkzeit seit Un-
terzeichnung des Koalitionsvertrages nicht viel zustande
gebracht. Anders kann man Ihren Gesetzentwurf zur
Neuregelung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
nicht bewerten.
Sie haben einige wenige Instrumente gestrichen; aber
viel zu viele bleiben bestehen. Der Instrumentenkasten
der Arbeitsvermittlung ist immer noch so vollgestopft,
dass kein Jobvermittler alle Instrumente kennen, ge-
schweige denn beherrschen kann.
Manchmal ist eben weniger mehr.
Bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten gilt dies
mit Sicherheit.
Aber es kommt noch schlimmer. Ohne jeden Grund
deckeln Sie die Freie Förderung auf einem viel zu nied-
rigen Niveau.
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iele Kommunen haben großen Erfolg bei der Jobver-
ittlung, gerade weil sie sich nicht aus dem Standardin-
trumentenkasten bedienen, sondern eigene, passgenaue
nd individuelle Fördermöglichkeiten für ihre Kunden
ntwickeln. Das aber geht Ihnen von CDU/CSU und
PD gegen den Strich. Wenn es nach Ihnen geht, dann
oll sich der Jobsuchende an den Bedürfnissen der Arge
nd nicht die Jobvermittlung an der Persönlichkeit des
rbeitslosen orientieren.
ier verschenken Sie viel Potenzial, sowohl bei den Ar-
eitslosen als auch bei den Jobvermittlern. Als auch
ommunalpolitisch aktiver Bundespolitiker kann ich
icht das geringste Verständnis für Ihr Handeln aufbrin-
en. Anstatt richtigerweise kommunale Handlungsspiel-
äume auszuweiten, schränken Sie diese ein und gehen
amit genau in die falsche Richtung.
Auch in der Frage des Rechtsanspruchs auf einen
auptschulabschluss haben Sie ordnungspolitisch lei-
er völlig die Orientierung verloren.
in Schulabschluss ist für die meisten Arbeitsuchenden
weifellos wichtig. Die Frage ist jedoch, ob dies tatsäch-
ich für alle gilt. Wer nicht mehr zur jungen Generation
ehört, wird nicht wegen seines nachgeholten Haupt-
chulabschlusses eingestellt, sondern wegen seiner Le-
ens- und Arbeitserfahrung.
as Nachholen des Hauptschulabschlusses ist vielleicht
ür viele, aber eben nicht für jeden der direkteste Weg
us der Arbeitslosigkeit.
Vor allem: Ein fehlender Hauptschulabschluss resul-
iert in den allermeisten Fällen aus einem Versagen des
ildungssystems. Insofern ist dies eine gesamtgesell-
chaftliche Aufgabe, die nicht durch die Beitragszahler
u leisten ist.
enn wir Fehler in der Bildungspolitik korrigieren wol-
en, dann müssen wir Steuergelder dafür einsetzen und
ürfen nicht die Bundesagentur für Arbeit mit diesen
osten belasten.
20990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Dr. Erwin Lotter
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich habe
Ihnen jetzt nur drei von etlichen Versäumnissen in Ihrem
Gesetzentwurf vorgehalten. Allein diese reichen aber
schon aus, um Ihren viel zu kurz greifenden Gesetzent-
wurf abzulehnen.
Aus diesem Grund haben wir, die FDP, einen eigenen
Antrag und einen eigenen Entschließungsantrag vorge-
legt.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Stefan Müller für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Dr. Lotter,
vorweggeschickt: Man hat bei der FDP gelegentlich den
Eindruck, als gebe es einen zentralen Redenschreiber oder
als ob jede Rede, die Sie sich zusammenschreiben, zu-
nächst durch die Zensur von Herrn Niebel muss. – Herr
Dr. Lotter, Sie haben jedenfalls die Chance vertan, hier
ausnahmsweise einmal einen konstruktiven Beitrag der
FDP abzuliefern.
Sie werden ja noch ein paar Chancen dazu haben.
Schade eigentlich! Es wäre nicht schlecht, wenn neue
Abgeordnete auch einmal neue Reden halten würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja
wohl unstrittig, dass in den vergangenen Jahren ein be-
eindruckender Umbau in der deutschen Arbeitsmarkt-
verwaltung und Arbeitsvermittlung stattgefunden hat.
Dazu beigetragen haben die Arbeitsmarktreformen der
vergangenen Jahre, eine Geschäftspolitik, die an Effi-
zienz und Effektivität ausgerichtet war, und der Fleiß
und das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter der Bundesagentur für Arbeit, die es gemeinsam ge-
schafft haben, aus einer Behörde einen leistungsfähigen
Dienstleister am Arbeitsmarkt zu machen.
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Mit der Reform der Arbeitsmarktinstrumente werden
ir einen weiteren Schritt machen, um die Bundesagentur
ür Arbeit noch schlagkräftiger und dynamischer aufzu-
tellen und die Arbeitsvermittlung noch besser zu gestal-
en. Wir werden mit diesem Gesetzentwurf vorhandene
nstrumente, sofern sie unwirksam sind, abschaffen und
ndere, die wirksam sind, fortentwickeln und zusammen-
assen.
Es ist heute schon des Öfteren von der Zahl der
nstrumente die Rede gewesen. Es ist in der Tat nicht
inzusehen, warum die Bundesagentur einen ganzen
auchladen voller Arbeitsmarktinstrumente hat, am
nde aber nur ein Bruchteil dieser Arbeitsmarktinstru-
ente tatsächlich genutzt wird. Deswegen ist richtig,
as wir hier tun: Wir reduzieren den Arbeitsmarktinstru-
entenkasten, wir machen ihn übersichtlicher und trans-
arenter. Damit helfen wir nicht nur den Vermittlern, de-
en es leichter gemacht wird, vor Ort zu arbeiten,
ondern auch denjenigen, die Arbeit suchen.
Wichtig ist, einen Punkt noch einmal herauszuarbei-
en: Mit dem Vermittlungsbudget lassen wir mehr In-
ovation bei der Vermittlung zu. Der Kreativität sind zu-
ächst einmal keine Grenzen gesetzt. Jedenfalls ist es
rklärter Wille der Koalitionsfraktionen, aber wohl des
esetzgebers insgesamt – davon gehe ich einfach mal
us –, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um an
en Stellen, wo der Instrumentenkasten nicht eingesetzt
erden kann, im Rahmen dieses Vermittlungsbudgets
em einzelnen Arbeitsuchenden etwas anbieten zu kön-
en, was genau zu ihm passt.
Zudem wollen wir den Praktikern vor Ort damit er-
öglichen, etwas Neues auszuprobieren. Wir wollen
ber nicht, dass das, was da vor Ort ausprobiert wird, nur
ort angewendet wird. Vielmehr streben wir einen ler-
enden Prozess an, in dessen Rahmen Neues, das in ein-
elnen Regionen gut funktioniert, auf andere übertragen
ird. Ich verspreche mir durchaus, dass gerade mit dem
ermittlungsbudget und dem Experimentierkasten in der
rbeitsvermittlung neue Ideen entwickelt werden, die
ann in ganz Deutschland angewendet werden können.
Herr Staatssekretär, wir haben schon etwas Vergleich-
ares im Zusammenhang mit der Initiative „50 plus“, ei-
em Bundesprogramm, in dessen Rahmen etliche Regio-
en gefördert werden und bei dem wir genau diesen
nsatz des Experimentierens und Ausprobierens bereits
raktizieren. Die Ergebnisse dieses Bundesprogramms
eben uns recht. Diesen Weg werden wir mit dem, was
ir heute beschließen werden, weiter beschreiten.
Darüber hinaus werden wir die Entscheidungsspiel-
äume vor Ort erhöhen. Das bedeutet natürlich für den
ermittler dort zunächst einmal mehr Verantwortung;
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20991
)
)
Stefan Müller
das ist überhaupt keine Frage. Aber es ist ja richtig, dem-
jenigen, der die Stärken und Schwächen des Arbeit-
suchenden kennt, dieses Maß an Verantwortung zu ge-
ben, weil er dies am besten einschätzen kann. Im
Mittelpunkt muss stehen, dass dadurch nur noch solche
Maßnahmen finanziert werden, die dazu beitragen, eine
Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen.
Eines darf meines Erachtens jedoch nicht unerwähnt
bleiben: Erfolgreich wird jedes Bemühen des Vermittlers
vor Ort nur dann sein, wenn auch der Arbeitsuchende
selber bereit ist, eigene Anstrengungen zu unternehmen.
Das beste Instrument hilft ja nichts, wenn die eigenen
Bemühungen dem im Wege stehen. Deswegen wird För-
dern und Fordern auch in Zukunft an dieser Stelle, bei
den Arbeitsmarktinstrumenten und in der Arbeitsmarkt-
politik, ein wichtiges Prinzip bleiben müssen.
Wir werden auch langfristig eine schlagkräftige Ar-
beitsvermittlung brauchen, weil uns der demografische
Wandel vor große Herausforderungen stellen wird. Eine
Prognos-Studie sagt voraus, dass uns in rund 20 Jahren
etwa 5,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Das
heißt, die Arbeitsmarktpolitik wird eine Dauerbaustelle
bleiben, weil der Fachkräftemangel letztlich auch dazu
führt, unsere wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten
einzuschränken. Insofern brauchen wir, langfristig gese-
hen, eine funktionierende Arbeitsvermittlung. Wir benö-
tigen sie aber auch kurzfristig, um die Auswirkungen der
Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft und den Ar-
beitsmarkt abschwächen bzw. ihnen entgegenwirken zu
können.
Alles, was wir dazu hören, ist sicherlich kein Grund
zur Panikmache. Die Beschäftigungsentwicklung wird
im nächsten Jahr sicherlich weitaus weniger dynamisch
sein, vielleicht sogar ein negatives Vorzeichen aufwei-
sen; diese Prognose der Bundesagentur mussten wir im
Ausschuss vernehmen. Wir müssen also mit einem ge-
wissen Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen. Deshalb
müssen wir auch mit Mitteln der Arbeitsmarktpolitik
versuchen, hier Schlimmstes zu verhindern. Genau des-
wegen werden wir die Bezugsdauer des Kurzarbeitergel-
des verlängern; genau deswegen hat die Bundesagentur
den Ansatz für das Kurzarbeitergeld im Haushalt noch
einmal aufgestockt. Alles das wird dazu beitragen, ein
wichtiges Signal zu geben und den Abbau von Arbeits-
plätzen möglichst zu verhindern bzw. zumindest die
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu dämpfen.
Noch eine Bemerkung zur Senkung des Arbeits-
losenversicherungsbeitrages: Wir setzen mit der
Beitragssatzsenkung, die wir heute beschließen werden,
den konsequenten Kurs der Reduzierung der Sozialversi-
cherungsbeiträge, der Arbeitslosenversicherungsbeiträge
fort. Wir haben den Beitrag zur Arbeitslosenversiche-
rung gesenkt: von 6,5 Prozent auf jetzt 2,8 Prozent, aber
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Herr Kolb, selbst wenn Sie alle Erhöhungen gegen-
echnen, bleibt unterm Strich immer noch eine Entlas-
ung übrig.
Mit dieser Politik der Beitragssatzsenkung haben wir
inen wesentlichen Beitrag geleistet, um Einstellungs-
emmnisse und damit Arbeitslosigkeit in diesem Land
bzubauen und sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
ungsverhältnisse aufzubauen. Das ist nicht nur die
onjunktur, sondern das ist die Politik der Großen
oalition.
Ich halte diese Beitragssatzsenkung für verantwort-
ar. Manchmal hilft es, sich einfach die Zahlen anzu-
chauen, Herr Dreibus: Die Rücklagen der Bundesagen-
ur zum Jahresende 2008 betragen 16 Milliarden Euro.
ie BA geht davon aus, dass sie – die Senkung des Bei-
ragssatzes auf 2,8 Prozent eingerechnet – im nächsten
ahr ein operatives Defizit von 6 Milliarden Euro ma-
hen wird. Ich stelle fest: Nach Adam Riese bleiben
ann immer noch knapp 10 Milliarden Euro Rücklagen
brig.
as zeigt doch, dass das solide finanziert ist. Der Beitrag
ann stabil gehalten werden, und zwar auch dann, wenn
ie Arbeitslosigkeit ansteigt, Herr Dreibus. Ich glaube,
ie waren gestern im Ausschuss nicht dabei, als Herr
eise das vorgetragen hat. Auch die Bundesagentur geht
avon aus, dass, selbst wenn die schlimmsten Befürch-
ungen eintreten, der Beitragssatz stabil gehalten und die
ücklagen nicht komplett aufgebraucht werden. Neh-
en Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, was Exper-
en dazu sagen!
Herr Dreibus, ich halte es für unredlich, dass Sie sich
ier hinstellen und sagen, aufgrund dieser Beitragssatz-
enkungen würde bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik
eld gespart werden. Das ist schlichtweg falsch. Der
ittelansatz für die aktive Arbeitsmarktpolitik bleibt im
aushalt der Bundesagentur unverändert. Es wird dort
ichts eingespart.
Ich will deutlich machen, dass wir den Beitragszah-
ern nicht gnädigerweise irgendetwas zurückgeben. Wir
eben den Beitragszahlern in der Tat das Geld zurück,
as wir ihnen vorher abgenommen, aber nicht gebraucht
aben. Es scheint wichtig zu sein, darauf hinzuweisen.
Wichtig ist aber auch, dass wir auch künftig darauf
chten, dass mit den Mitteln der Beitragszahler verant-
ortungsvoll umgegangen wird. Auch dem wird Rech-
20992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Stefan Müller
nung getragen. Mit den beiden Gesetzentwürfen leisten
wir einen wesentlichen Beitrag, um Einstellungshemm-
nisse abzubauen und die BA noch besser aufzustellen.
Ich hätte jetzt gerne noch etwas Unfreundliches zu
den Oppositionsanträgen gesagt.
Herr Präsident, ich fürchte, Sie werden mir das nicht
mehr genehmigen.
Das ist eine zutreffende Vermutung.
Ich bitte deshalb abschließend um Zustimmung zu
den beiden Gesetzentwürfen.
Andrea Nahles ist die nächste Rednerin für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeits-
marktpolitischen Instrumente trägt den Stempel der Par-
lamentarierinnen und Parlamentarier in diesem Haus, die
sich dafür stark gemacht haben – das waren übrigens
auch Oppositionspolitiker –, dass wir mehr Verhand-
lungs- und Gestaltungsspielraum für die Vermittler vor
Ort organisieren. Das lösen wir mit diesem Gesetz ein.
Vergessen Sie die sonstigen weiteren Leistungen.
Das, was wir hier haben, ist viel besser.
Das werde ich Ihnen jetzt gerne beweisen. Wir haben
– das ist hier schon ausgeführt worden – die Mittel für
die Freie Förderung ausgehend vom ursprünglichen
Gesetzentwurf von 2 Prozent auf 10 Prozent angehoben.
Das war übrigens eine Forderung, die von allen Opposi-
tionsparteien in diesem Haus erhoben wurde, deren Um-
setzung heute aber mit keinem Wort lobend erwähnt
wurde.
Das halte ich hier einfach einmal so fest.
Das ist aber nicht der einzige Punkt. Wir haben zum
Zweiten dafür gesorgt, dass die Freie Förderung nicht
länger befristet ist. Es gibt kein Verfallsdatum mehr. Das
schafft mehr Planungssicherheit für die Akteure vor Ort.
Meines Erachtens ist es besonders wichtig, dass wir für
die Projekte der Freien Förderung rechtlich abgesicherte
Spielräume geschaffen haben, die es vorher nicht gab.
Das wurde zwar unter der Hand gemacht, war aber
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rotzdem sagen wir: Es kann sein, dass sich am Ende,
achdem versucht wurde, alle möglichen regulären In-
trumente anzuwenden, für einzelne Personen, die vor
inem Arbeitsvermittler sitzen, dadurch keine Lösung
rgibt. Das kann vorkommen. Genau für diesen Fall,
iebe Frau Pothmer, ist in unserem Gesetzentwurf die
öglichkeit vorgesehen, durch eine Modifikation der ar-
eitsmarktpolitischen Instrumente, so wie sie vorgege-
en sind, einen individuellen Instrumentenkatalog zu er-
tellen. Das heißt, wir haben an dieser Stelle das
mgehungs- und Aufstockungsverbot gelockert. Das ist
uch richtig so, weil hier passgenaue Lösungen nötig
ind.
Insoweit kann ich nur sagen: Die sonstigen weiteren
eistungen waren bisher in einem solchen Fächer von
öglichkeiten, die wir jetzt gesetzlich verankern, nicht
m Entferntesten vorgesehen. Ich bitte, diese Botschaft
n alle Skeptiker und Briefeschreiber weiterzugeben.
ier gibt es nämlich nur ein Problem: Diese haben noch
icht gesehen, welches Potenzial und welche Verhand-
ungs- und Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort in dem
orliegenden Gesetzentwurf stecken.
Ein weiterer Punkt ist: Wir haben die Möglichkeit des
achträglichen Erwerbs eines Schulabschlusses als
echtsanspruch verankert. Ich sage Ihnen ganz offen: Es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20993
)
)
Andrea Nahles
ist eigentlich nicht unser Job, nicht der Job der Bundes-
ebene, dies vorzusehen.
Ich bin 1998 in das Parlament gekommen. Seit dieser
Zeit haben wir immer wieder festgestellt, dass 500 000
der Langzeitarbeitslosen keinen Schulabschluss haben.
Das ist ein erhebliches Vermittlungshemmnis; da können
wir nichts schönreden, meine Damen und Herren von
der FDP. Jetzt ging es um entsprechende Appelle an die
Länder. Wir haben diese 1999, 2000, 2001, 2002, 2003,
2004, 2005, 2006 formuliert. Gerd Andres,
der damals Staatssekretär war, hat das immer besonders
laut gemacht, weil er natürlich nicht wollte, dass der
Bund am Ende diese Aufgabe übernehmen muss. Ich
frage aber an dieser Stelle: Wie lange wollen wir denn
noch warten, bis die Länder ihre Hausaufgaben machen?
Sollen die Arbeitslosen, die keine Chance auf Bildung
bekommen, weitere zehn Jahre schmoren? Das wollen
wir nicht.
Deswegen haben wir an dieser Stelle den Rechtsan-
spruch auf den Erwerb eines Schulabschlusses geschaf-
fen.
Jetzt gibt es ganz spitzfindige Kritiker, die feststellen:
Wir sehen einen solchen Rechtsanspruch nur aus Grün-
den der Berufsvorbereitung vor. Natürlich ist das so; das
ist ja unsere Aufgabe. Wir sehen diesen Rechtsanspruch
doch nicht zum Spaß vor, sondern deshalb, damit die
Leute einen Beruf bekommen. Das ist unser Ziel; das ist
der Witz der ganzen Sache. Wenn diese Vorgabe nicht
reicht, haben wir immer noch die Freie Förderung, die
auch in Zukunft die Möglichkeit eröffnet, im Einzelfall
andere Maßnahmen zu ergreifen. Das ist wirklich eine
tolle Sache.
Ich warne die Länder: Das machen wir nicht sehr
oft. – Es ist peinlich, dass sie entsprechende Volkshoch-
schulkurse, all die Angebote, die es in diesem Zusam-
menhang gegeben hat, zurückgefahren haben. Das ist
wirklich ein Armutszeugnis. Diejenigen Länder, die im-
mer laut schreien, wenn es darum geht, Bildungskompe-
tenz zu bekommen, haben ihre Leistungen an dieser
Stelle weitestgehend zurückgefahren. Das muss von uns
heute ganz scharf kritisiert werden.
Ein letzter Punkt. Wir sorgen vor, Herr Dreibus, in-
dem wir 1 000 zusätzliche Vermittler bei der Job-to-Job-
Vermittlung im Rahmen des SGB III und 1 900 Ver-
mittler im ALG-II-Bereich einstellen. Wir haben es ge-
schafft, die Befristungen zurückzuführen; sie werden bis
2011 auf 10 Prozent heruntergefahren. Das alles wirkt
neben den ganzen Instrumenten.
Lassen Sie uns ehrlich sagen: Es ist wunderbar, wenn
man ganz tolle Instrumente hat
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nd einige davon noch bessere Gestaltungsmöglichkei-
en vor Ort bieten. Aber ganz wichtig ist, dass der Ver-
ittler vor Ort Zeit hat,
ich mit den individuellen Problemen der Arbeitslosen
u beschäftigen. Dafür haben wir in diesem Jahr eine
ichtige Grundlage gelegt.
Besten Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Kern-
rage lautet: Wie schaffen wir es, dass Menschen, die er-
erbslos sind bzw. von Erwerbslosigkeit bedroht sind,
ieder in Beschäftigung kommen bzw. erst gar nicht er-
erbslos werden? Die gesamte Diskussion über den In-
trumentenkasten und über das SGB II und das SGB III
ühren wir in der Politik gelegentlich technisch und stel-
en sie oft auch technisch nach außen dar. Im Kern geht
s um die Aufgabe, Menschen zu helfen und sie wieder
n der Lage zu versetzen, mit ihrer eigenen Hände und
hres eigenen Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für
ich und ihre Familien zu verdienen.
Die Idee der arbeitsmarktpolitischen Instrumente hat
un einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Über fast vier
ahrzehnte hinweg haben sich alle Bundesregierungen
arum bemüht, Menschen vor Erwerbslosigkeit zu be-
ahren oder sie wieder in Beschäftigung zu bringen.
iese Instrumente wurden als Bundesgesetz geschaffen,
ie wurden zentral eingerichtet und sollten möglichst im
leichschritt in der gesamten Bundesrepublik über die
amaligen Arbeitsamtstrukturen umgesetzt werden.
Allerdings hat es immer wieder neue Herausforderun-
en und veränderte Problemlagen gegeben. Das große
roblem, vor dem wir stehen, ist die zunehmende Indivi-
ualisierung der Probleme der Menschen. Wir tun uns
chwer, mit bundeszentral gestalteten Instrumenten vor
rt flexibel zu reagieren; denn die Verwaltung macht es
ns oft schwer, vor Ort flexibel zu handeln.
Das sind im Kern die Auseinandersetzung und die
roblemlage, um die wir uns kümmern. Ein weiteres
roblem ist dazugekommen. Als wir, der Gesetzgeber,
ieses Parlament, in den Jahren 2004 und 2005 beschlos-
en haben, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammen-
ulegen und damit ein neues Instrument für die Men-
chen zu schaffen, die besonders lange arbeitslos sind
nd besonders viele Vermittlungshemmnisse aufweisen,
20994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Karl Schiewerling
hatte man nicht geahnt, dass gerade für diese Zielgruppe
besonders intensive und individuelle Hilfen zwingend
notwendig sind und angegangen werden müssen.
Die Probleme, die wir heute haben, hängen damit zu-
sammen, dass die Instrumentarien für die Menschen, die
in der Kurzzeitarbeitslosigkeit sind, auch bei den Men-
schen angewandt werden sollen, die in der Langzeitar-
beitslosigkeit sind. Hinter diesen Instrumentarien stehen
Finanzierungssysteme – und auch die Fragen, was bei-
tragsfinanziert und was steuerfinanziert ist. Folgerichtig
haben viele Träger vor Ort die sonstigen weiteren Leis-
tungen, die das Instrumentarium des SGB II vorsieht,
genutzt, um flexibel handeln zu können. Das war kein
böser Wille, keine Faulheit, auch keine Hinterhältigkeit;
das war schlicht eine Notwendigkeit, um Menschen fle-
xibel zu helfen.
Dass das nicht im Rahmen des Gesetzes erfolgte, wis-
sen wir. Deswegen wurde § 16 f SGB II eingeführt; da-
durch ermöglichen wir diese Flexibilisierung. Ich bin
außerordentlich dankbar, dass wir die Mittel für die Freie
Förderung nun auf 10 Prozent aufstocken konnten und
dass wir den Helfern und Fallmanagern vor Ort mit den
unterschiedlichen Instrumentarien, die vorhanden sind,
unmittelbare Hilfen an die Hand geben und sie daraus
eine passgenaue Hilfe für die Betroffenen organisieren
können.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf den neu
eingeführten § 45 SGB III kurz eingehen, auf das soge-
nannte Vermittlungsbudget. Erklärter Wille der Politik
ist, dass dieses Vermittlungsbudget ebenfalls flexibel
eingesetzt werden kann. Wir müssen sicherstellen, dass
dies durch Verwaltungshandeln nicht wieder konterka-
riert wird. Es ist erklärter Wille der Koalitionsfraktionen,
dass diese Mittel durch die Argen eingesetzt, verwaltet,
verantwortet und gestaltet werden, das heißt: sowohl
durch die BA als auch durch die Kommunen. Das ist
deswegen an dieser Stelle wichtig, weil es im Kern um
die Frage geht, wer die Verantwortung für die Integra-
tion der Langzeitarbeitslosen trägt. Die spannende
Frage, die sich in dieser Diskussion stellt, lautet: Wie
wird die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zukunft
organisiert?
Sie wissen alle, dass das Bundesverfassungsgerichts-
urteil umgesetzt werden muss. Ich sage Ihnen: Die
Frage, die beantwortet werden muss, damit wir den
Menschen helfen können, ist, wie wir die Entschei-
dungshoheit über die arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente organisieren. Das ist der Kern des SGB II. Im
Zentrum des SGB II steht dies deswegen, weil es nicht
darum geht, möglichst viele Leistungen auszuschütten,
sondern darum, Menschen effizient zu helfen, damit sie
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Die letzte kurze Bemerkung will ich an dieser Stelle
n aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. Hinter die-
em Gedanken steht, dass die Fallmanager selbst ent-
cheiden und eigenverantwortlich vor Ort ihre Verant-
ortung wahrnehmen. Das wollen wir alle. Wir wollen,
ass vor Ort Freiheit herrscht, um passgenau helfen zu
önnen. Der Freiheit steht die Verantwortung gegenüber,
ie man natürlich für die verausgabten Mittel trägt. Auf-
abe des Parlaments und der Regierung muss es aber
och sein, den Menschen in aller Deutlichkeit zu sagen:
hr dürft bei diesen Schritten, die ihr oft in einer hoch-
omplizierten Situation geht, auch einmal Fehler ma-
hen, ohne dass sich sofort die Kameras dieser Welt dar-
uf richten. Aus den Erfahrungen, die ihr dabei macht,
önnen wir lernen, wie wir die nächsten Schritte gehen. –
ie Integration von Arbeitslosen, insbesondere von
angzeitarbeitslosen, ist und bleibt ein lernendes Sys-
em. Ich freue mich sehr, dass wir mit diesem Schritt des
ernprozesses, mit dem heute vorliegenden Gesetzent-
urf ein gutes Stück weiterkommen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den
on der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
ur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instru-
ente. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt
nter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
ache 16/11233, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
ung auf den Drucksachen 16/10810 und 16/11196 in der
usschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
em Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
ollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
er enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
er Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
egen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
er stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? –
ei gleichen Mehrheitsverhältnissen ist der Gesetzent-
urf damit angenommen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20995
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses auf Drucksache 16/11233 fort.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung geht es um die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/9093 mit dem Titel „Arbeitsmarktinstrumente
auf effiziente Maßnahmen konzentrieren“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussemp-
fehlung mit breiter Mehrheit angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10511 mit dem
Titel „Arbeitslosenversicherung stärken – Ansprüche si-
chern – Öffentlich geförderte Beschäftigte einbeziehen“.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei spiegelbildli-
chen Mehrheitsverhältnissen ist auch diese Beschluss-
empfehlung angenommen.
Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/8524 mit dem Titel „Lokale
Entscheidungsspielräume und passgenaue Hilfen für
Arbeitsuchende sichern“ ebenfalls abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition ange-
nommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 36 c.
Hier geht es um die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Rechte von Arbeitsuchenden stärken – Kom-
petentes Fallmanagement sicherstellen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 16/11142, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf der Drucksache 16/9599 abzulehnen.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung, wiederum mit den Stimmen der
Koalition, angenommen.
Bei der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 36 d
geht es um den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Senkung des Beitragssatzes
zur Arbeitsförderung. Der Ausschuss für Arbeit und So-
ziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 16/11241, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/10806 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
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SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte – Grundlage für 60 Jahre Menschen-
rechtsschutz
– Drucksache 16/11215 –
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Knoche, Ulla Jelpke, Hüseyin-Kenan Aydin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte, der Zivil- und Sozialpakt – Grundla-
gen für einen unteilbaren und universellen
Menschenrechtsschutz
– Drucksache 16/11189 –
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt
Müller-Sönksen, Jens Ackermann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Ratifikation des 12. Zusatzprotokolls zur Eu-
ropäischen Menschenrechtskonvention
– Drucksachen 16/3145, 16/4647 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Christoph Strässer
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt
20996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Rechtsstaatskonforme Behandlung von Ver-
hafteten nach der Übergabe durch deutsche
Stellen im Ausland sicherstellen
– Drucksachen 16/2096, 16/5315 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker
Beck , Thilo Hoppe, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämp-
fung schließen
– Drucksachen 16/821, 16/8032 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Christoph Strässer
Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Volker Beck
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Josef Philip
Winkler, Volker Beck , weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
UN-Wanderarbeiterkonvention endlich ratifi-
zieren
– Drucksachen 16/6787, 16/10208 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Christoph Strässer
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck , Marieluise
Beck , Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Die Menschenrechte der Uiguren schützen
– Drucksachen 16/7411, 16/10283 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
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Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Ergebnisse der Menschenrechtspolitik der
Bundesregierung im Rahmen der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft
– Drucksachen 16/6370, 16/8595 –
P 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Florian Toncar,
Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Rechtsstaatlichkeit sichern – Effektiven Rechts-
schutz bei Terrorismusbekämpfung schaffen
– Drucksache 16/8903 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
P 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Toncar, Harald Leibrecht, Burkhardt Müller-
Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Das Verhalten von Birmas Junta muss Konse-
quenzen haben
– Drucksachen 16/9340, 16/10392 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Johannes Pflug
Harald Leibrecht
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller
Zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD,
er FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein
nderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
or.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
ussprache eine Stunde dauern. – Das ist offenkundig
invernehmlich und damit so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
ächst der Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 10. Dezem-
er dieses Jahres jährt sich die Annahme der Allgemeinen
rklärung der Menschenrechte durch die Generalver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20997
)
)
Erika Steinbach
sammlung der Vereinten Nationen zum sechzigsten Mal.
An diesem Tage vor 60 Jahren wurde im Pariser Palais
de Chaillot Geschichte geschrieben.
Man führe sich den historischen Kontext der Verab-
schiedung vor Augen. 1948 waren die Wunden des
Krieges noch immer nicht richtig verheilt. Der Zweite
Weltkrieg und seine Folgejahre hatten der Staatenge-
meinschaft auf drastische Weise vor Augen geführt, dass
die Menschheit zu Grausamkeiten unvorstellbaren Aus-
maßes in der Lage ist. Das Verhältnis vieler Staaten zu-
einander war zerrüttet.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war
ein Zeugnis für den Konsens, den man in der Nach-
kriegszeit suchte. Nie wieder wollten viele zulassen,
dass Diktatoren Menschen ihrer individuellen Freiheits-
rechte berauben. Der Pferdefuß, meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen, allerdings war, dass die Sowjetunion,
die anderen Ostblockstaaten, Saudi-Arabien und Süd-
afrika nicht zugestimmt haben. Wer die Gulags der So-
wjetunion, wer Stalins Handeln heute wirklich durch-
leuchtet, weiß auch genau, warum.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte be-
nennt individuelle Rechte eines jeden Bürgers gegenüber
seinem Staat. Sie benennt politisch-bürgerliche Rechte
genauso wie wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte. Viele rechtliche Fragestellungen mussten im
Vorfeld erst geklärt werden. Viele Sichtweisen mussten
miteinander versöhnt werden. Sehr viele Kompromisse
mussten gefunden werden. Die Fronten in den Debatten
verliefen entlang der Linie zwischen armen und reichen
Staaten genauso wie entlang der Linie zwischen sozialis-
tischen und marktwirtschaftlich orientierten Ländern.
Soll die Erklärung rechtlich verbindlich sein oder
nicht? Wie konkret können die einzelnen Artikel formu-
liert werden, ohne die Souveränität des einzelnen Staates
zu gefährden? Fragen wie diese bewegten die Vorbe-
reitungskommission unter dem Vorsitz von Eleanor
Roosevelt über Wochen und Monate hinweg.
Die Aufnahme von wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Rechten wurde sehr heftig debattiert.
Schließlich war auch der Anspruch der Universalität
der Rechte stark umstritten. So sah beispielsweise
Saudi-Arabien die Rechtsgleichheit von Männern und
Frauen bei der Eheschließung, so wie sie in Art. 16 vor-
gesehen ist, sowie das Recht auf Religionswechsel als
rein westliche Werte an. Leider müssen wir feststellen,
dass sich an dieser Einstellung in einigen Ländern bis
heute nicht viel geändert hat, auch nicht in Saudi-Ara-
bien; im Gegenteil. Die Universalität der Menschen-
rechte wird von vielen islamischen Staaten verstärkt in-
frage gestellt oder schlicht negiert.
So fortschrittlich die Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte war, so problematisch war von Anbeginn
der fehlende Überwachungs- und Durchsetzungsmecha-
nismus. Hier hat es erfreuliche Fortschritte gegeben. Ein
Meilenstein dabei ist, wie ich meine, der 1998 geschaf-
fene Internationale Strafgerichtshof. Damit ist endlich
deutlich gemacht: Wir wollen Menschenrechte nicht nur
postulieren, auf den Lippen tragen, auf dem Papier ge-
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Ein weiteres Thema der Schande ist der Sklavenhan-
del. Der Handel mit der Ware Mensch bringt den Betrei-
bern auf dem globalen Markt hohen Gewinn. Er ist ein
profitables Geschäft des internationalen organisierten
Verbrechens, vergleichbar nur noch mit Drogen- und
Waffenhandel. Dabei ist die Ware, von der hier die Rede
ist, immer wieder verwendbar und mit geringem Auf-
wand zu beschaffen. Dieser Gedankengang zeigt, wie
abgrundtief menschenverachtend das Geschäft mit Men-
schen weltweit betrieben wird. Ich betone: heute und
weltweit. Auch Deutschland ist ein Zielland dieses Han-
dels.
Am 2. Dezember wird alljährlich der Internationale
Tag für die Abschaffung der Sklaverei begangen. Skla-
verei bzw. der Besitz von Menschen und der Handel mit
Menschen sind auch hier wiederum keine leeren Be-
griffe der Geschichte. Sie sind Synonym einer Vielzahl
entsetzlicher Tragödien, und zwar auch wiederum heute.
Ein wesentliches Feld des Sklavenhandels betrifft
Frauen. Ihrer Würde und Selbstbestimmung beraubt
und mit falschen Versprechungen gelockt, um ihrer Ar-
mut zu entkommen, erreichen zumeist junge Frauen den
verheißungsvollen Westen. Sie sehen sich statt eines
wirtschaftlichen Aufstiegs jedoch der grauenvollen Tat-
sache von Vergewaltigung, des Zwangs zur Prostitution
oder der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft ausgesetzt.
12,3 Millionen Sklaven weltweit: Von dieser Zahl
geht Terre des Hommes heute aus. Namhafte Autoren
wie Benjamin Skinner oder Becky Cornell sprechen so-
gar von 27 Millionen versklavten Menschen. Eines ist si-
cher: Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit
gab es mehr Sklaven als heute. Jeder von ihnen ist zu-
tiefst in seinen Menschenrechten verletzt. Die meisten
können sich aus ihrer Zwangslage nicht selbst befreien.
Deshalb müssen wir nicht nur über dieses Problem re-
den, sondern versuchen, es aus der Welt zu schaffen.
Auch in Deutschland leben zahllose Zwangsprostitu-
ierte, die den Menschenhändlern hilflos ausgeliefert
sind. Wir müssen Mittel und Wege finden, um diesen
barbarischen Geschäftemachern das Handwerk zu legen.
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öglichkeiten zu schaffen und Maßnahmen zu ergrei-
en, damit das machbar ist. Wir müssen der Sklaverei ein
nde bereiten.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin gleich zu Ende; danke schön.
In diesem Jubiläumsjahr für Menschenrechte können
ir feststellen: Es ist gut, dass die Allgemeine Erklärung
er Menschenrechte vor 60 Jahren aus der Taufe geho-
en wurde, damit das Bewusstsein für Menschenrechte
eschärft wird. Wir müssen aber auch feststellen, dass
enschenrechte auf diesem Erdball immer noch nicht
elbstverständlich sind. Vor uns liegt noch ein weiter
eg. Aber wir wollen und wir müssen diesen Weg auch
ehen.
Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Burkhardt Müller-
önksen für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
ollegen! Menschenrechte, die universellen und unteil-
aren Rechte eines jeden Menschen, verbinden uns welt-
eit. Menschenrechte sind kein Luxus, nein, sie haben
öchste Priorität. Um es noch deutlicher zu sagen: Men-
chenrechte sind die Grundlage all unseres politischen,
irtschaftlichen und sozialen Handelns. Zumindest soll-
en sie das sein.
Wir sind uns sicherlich darin einig, dass die Men-
chenrechte einer der größten Erfolge sind und gleich-
eitig eine diffizile Herausforderung der Menschheit
arstellen. Insbesondere der 60. Jahrestag der Allgemei-
en Erklärung der Menschenrechte erinnert uns wieder
aran.
Nach der globalen Katastrophe des Zweiten Weltkrie-
es einigten sich die Länder in einem harten Ringen auf
ine rechtliche Wertebasis, die Allgemeine Erklärung
er Menschenrechte. Heute, 60 Jahre später, kommt mit
ieser Großen Koalition, auch nach langem und hartem
ingen, ein interfraktioneller Antrag „Die Allgemeine
rklärung der Menschenrechte – Grundlage für 60 Jahre
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 20999
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Burkhardt Müller-Sönksen
Menschenrechtsschutz“ – zustande. Es ist bedauerlich,
dass dieser so wichtige Antrag nach internen Streitereien
der Koalition fast nicht zustande gekommen wäre.
Es ist leider symptomatisch, dass mit dieser Regie-
rung nur der kleinste gemeinsame Nenner möglich ist
und die wichtige große Linie aus den Augen verloren
wird.
Die SPD vertrat die Position, dass etwaige Vorbehalte
in den Menschenrechtsverträgen national wie internatio-
nal zurückgenommen werden sollten. Unionspolitiker
haben darauf sehr aufgeregt reagiert. Schließlich könnte
die Bundesregierung auf ihr Wort festgenagelt werden
und am wunden Punkt, den Vorbehalten gegenüber der
VN-Kinderrechtskonvention, kritisiert werden. Wo
aber bleiben in diesem Gezerre der Mensch und die
Rechte eines jeden Menschen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als FDP-Bun-
destagsfraktion sind enttäuscht über die Defizite, die die
Menschenrechtspolitik dieser Großen Koalition hat.
Diese zeigen sich unter anderem im Mangel am politi-
schen Willen zur Ratifizierung des 12. Zusatzprotokolls
zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
Wie die FDP-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag bereits
vor mehr als zwei Jahren forderte, muss Deutschland das
12. Zusatzprotokoll zur EMRK auch ratifizieren. Nur als
Erstunterzeichner zu glänzen, ist Augenwischerei. Eine
Neugestaltung des Diskriminierungsverbotes, wie es
das 12. Zusatzprotokoll explizit fordert, ist die zeitge-
mäße politische Antwort – ich zitiere, Herr Kollege
Strässer, aus dem FDP-Antrag auf Drucksache 16/3145 –
„im Kampf gegen Rassismus und Intoleranz und bei der
Gleichstellung von Mann und Frau“.
Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung zeigt
zwar, dass im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft eine
beeindruckende Bandbreite von Menschenrechtsthemen
angesprochen worden ist. Aber der Bericht strotzt nur so
vor Lücken.
Ein prägnantes Beispiel ist die Zentralasienstrategie
vom 8. Januar 2007. Selbstverständlich ist der Ausbau
des politischen Dialogs mit der Region, insbesondere zu
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten,
zu begrüßen. Aber wie ist dies mit dem skandalösen po-
litischen Verhalten der Bundesregierung zur Menschen-
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in falsches Zeichen für die Menschen – denn deren Leid
leibt unerkannt und unbeachtet –, für die usbekische
egierung – denn sie ist in ihrer menschenverachtenden
olitik bestärkt worden – und weiterhin für alle, die an
enschenrechte glauben; denn die Bundesregierung und
ie EU haben sich erneut in ihrer Machtlosigkeit und
idersprüchlichkeit gegenüber dem usbekischen Re-
ime selbst entkräftet.
In schriftlichen Fragen an die Bundesregierung for-
erten wir zur Aufklärung auf, warum ein mutmaßlicher
erantwortlicher für das Massaker in Andischan von of-
izieller Seite nach Deutschland eingeladen wurde. Man-
he Quellen vermuteten sogar eine Einladung durch den
undesnachrichtendienst. Die Antwort der Bundesregie-
ung ist substanzfrei.
eitgleich wurden Regimekritiker nach Folterungen zu
ahrelangen Haftstrafen verurteilt. Wie konnte die
hance, auf das Regime in Taschkent einzuwirken, auf
iese Weise durch die Politik der Großen Koalition zu-
ichtegemacht werden?! Es ist ein – zumeist ist das so-
ar wörtlich zu nehmen – Schlag in die Gesichter der
enschenrechtsverteidiger, zum Beispiel der Menschen-
echtsverteidigerin Frau Umida Niazova. In einem per-
önlichen Gespräch berichtete mir die usbekische Jour-
alistin, wie sie und weitere Aktivistinnen unter Druck
esetzt und gefoltert wurden. Sie wollte nur wissen, wa-
um am 13. Mai 2005 in Andischan Hunderte Unschul-
ige von der Regierung ermordet wurden. Nehmen Sie
hre eigenen Versprechen in der Menschenrechtspolitik
rnst und machen Sie es uns als Opposition nicht so ein-
ach, Ihre Wortblasen wie in der Antwort auf die Große
nfrage zur Menschenrechtsbilanz zu entlarven!
Ein weiteres Thema, das uns als FDP-Bundestags-
raktion am Herzen liegt, ist die Herausforderung der
echtsstaatlichkeit in Zeiten des Terrorismus. Lassen
ie uns nicht immer auf andere Länder schauen und de-
en vorschreiben, wie sie Menschenrechte und Rechts-
taatlichkeit zu achten haben,
ondern lassen Sie uns schauen, was wir selbst tun kön-
en! Wir haben als Erste gefordert, dass bei Überstel-
ung von Verhafteten im Ausland eine rechtsstaatskon-
orme Behandlung durchgeführt werden soll. Dass dies
in wichtiges und drängendes Problem darstellt, zeigt
ie sofortige Umsetzung unserer Forderungen in einen
efehl der Bundeswehr. Leider hat dieser ein wesentli-
hes Manko: Nach der Übergabe der Gefangenen sind
eine Kontrollen über eine rechtsstaatskonforme Be-
andlung mehr vorgesehen. Wir fordern Kontrollen auch
21000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Burkhardt Müller-Sönksen
nach der Übergabe, um die rechtsstaatliche Behandlung
von Gefangenen zu gewährleisten; denn bei internationa-
len Friedenmissionen kommt es in einer Übergangsphase
auch zu Verhaftungen von Personen durch internationale
Streitkräfte. Im Rahmen der deutschen Beteiligung an
solchen Missionen wie etwa im Kosovo oder in Afgha-
nistan werden solche Verhaftungen auch von Angehöri-
gen der Bundeswehr vorgenommen. Zudem wirkt die
Bundeswehr an Verhaftungen durch Stellen anderer Na-
tionen mit. Von der Bundeswehr festgenommene Perso-
nen werden anschließend regelmäßig den zuständigen
örtlichen Behörden überstellt. An Informationen über
deren weiteren Verbleib oder deren weitere Behandlung
fehlt es bisher. Entscheidend ist, welchen Sicherungen
diejenigen Menschen unterliegen, die deutsche Stellen in
den Gewahrsam anderer Staaten überstellen bzw. an de-
ren Ingewahrsamnahme oder Inhaftierung deutsche Stel-
len maßgeblich beteiligt sind.
An dieser Stelle möchte ich auf einen anderen wichti-
gen Aspekt zu sprechen kommen: die Achtung rechts-
staatlicher Verfahren in der Terrorismusbekämpfung.
Der internationale Terrorismus stellt eine ernste Bedro-
hung für die Sicherheit dar, auch in Deutschland. Der
Rechtsstaat muss dem Terrorismus mit aller Konsequenz
entgegentreten. Jedoch muss sich der Rechtsstaat treu
bleiben und die eigenen rechtsstaatlichen Grundsätze be-
achten. Auf der Ebene der Vereinten Nationen wird zur
Terrorismusbekämpfung ein Listungsverfahren durch-
geführt, welches sich gegen Organisationen wie al-Qaida
oder die Taliban richtet. Die EU übernimmt die Listung
der UNO. Dabei besteht für Personen, die von diesem
Listungsverfahren erfasst werden, keinerlei Rechts-
schutz. Leider sind in der Vergangenheit aufgrund von
Namensverwechslungen auch unbescholtene Bürger auf-
gelistet worden und mussten unter den Sanktionen lei-
den. Deutschland muss daher gemeinsam mit den euro-
päischen Partnern auf UNO-Ebene darauf drängen, dass
diese Defizite im Rechtsschutz beseitigt werden. Die EU
hat daneben ein eigenes Listungsverfahren, von dem Or-
ganisationen wie die ETA oder die IRA erfasst werden.
Bei diesem europäischen Listungsverfahren existiert je-
doch ein funktionierender Rechtsschutz. Dies belegt,
dass effektive Terrorbekämpfung auch mit den Mitteln
des Rechtsstaats möglich ist.
– Ich übernehme das gerne: nur mit den Mitteln des
Rechtsstaates. – Es ist dringend erforderlich, auf UNO-
Ebene die bestehenden Mängel abzustellen. Die FDP hat
dazu einen konstruktiven Antrag vorgelegt, Herr Außen-
minister.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Bundesregierung spricht nun der Bundes-
minister des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Beck?
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
uswärtigen:
Ja.
Frau Beck.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Herr Minister, sind Sie bereit, die Verpflichtung, die
ie eben formuliert haben, ernst zu nehmen und nach al-
en Kräften in Ihrem eigenen Haus durchzusetzen, und
nerkennen Sie die Verpflichtung gerade für ein weitent-
ickeltes Land wie Deutschland? Ich möchte erklären,
eshalb ich diese Frage stelle.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21001
)
)
Marieluise Beck
Ich habe mich in den vergangenen Monaten bemüht,
drei minderjährigen Kindern, deren Eltern als nach der
Genfer Konvention anerkannte Flüchtlinge seit sieben
Jahren in meinem Wahlkreis in Bremen leben, zu helfen,
das Recht der Familienzusammenführung, das ihnen
nach der Genfer Konvention zusteht, durchzusetzen.
Diese drei Kinder sind von deutschen Konsulaten inner-
halb von vier Jahren dreimal in das Kriegsgebiet Irak zu-
rückgeschickt worden, ohne dass ihnen auf irgendeine
Weise ein Weg aufgezeigt worden wäre, wie vielleicht
zu Recht offene Fragen hätten geklärt werden können.
Ich habe mich an die Leitung Ihres Hauses gewandt. Das
hat zunächst keine Folgen gehabt. Ich bin der festen
Auffassung, dass so etwas in unserem eigenen Land
– das müsste eine Selbstverpflichtung sein – nicht pas-
sieren darf und dass der Geist des Hauses, in dieser Ab-
teilung und auf der Leitungsebene, ein anderer sein
müsste.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Frau Abgeordnete, die in dem ersten Teil Ihrer Frage
enthaltene Unterstellung, dass sich das Auswärtige Amt
oder der Minister persönlich nicht ausreichend engagiert
um Menschenrechtsfälle kümmern, weise ich mit Ent-
schiedenheit zurück, und Sie wissen das.
Wir sind über Einzelfälle oft genug im Gespräch. Sie
wissen, dass wir in vielen Fällen Lösungen gefunden ha-
ben. Den besonderen Fall in Bremen werde ich ihn mir
gern persönlich noch einmal anschauen. Aber Rechts-
auskünfte kann ich von diesem Mikrofon aus nicht ge-
ben; das wissen Sie.
Die internationalen Institutionen werden den Anfor-
derungen dieser Aufgabe – das ist meine Auffassung –
noch nicht gerecht. Das gilt insbesondere für den Men-
schenrechtsrat, über den wir in diesem Hohen Hause
schon verschiedene Male gesprochen haben. Es gibt ei-
nige hoffnungsvolle Ansätze. Immerhin hat sich am ver-
gangenen Dienstag gezeigt, dass der Menschenrechtsrat
in der Lage war, eine Resolution zur Situation im Ost-
kongo zu verabschieden. Damit hat der Menschenrechts-
rat in der vergangenen Woche gezeigt – was nicht oft ge-
nug geschieht –, dass er in der Lage ist, auch auf
tagesaktuelle Situationen wie die Menschenrechtsverlet-
zungen in Kivu schnell zu reagieren.
Wir brauchen Grundnormen, die uns für unsere Ar-
beit in der globalen Verantwortungspartnerschaft Orien-
tierung geben. Wir brauchen einen normativen Kom-
pass. Die universellen Menschenrechte sind für mich
– ich habe das an anderer Stelle gesagt – ein solcher
Kompass. Er gibt uns die Richtung an; aber er erspart
uns eben nicht die politischen Anstrengungen, dem Ziel
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a Sie Usbekistan angesprochen haben, ein Land, in
em unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten zwei-
ellos unendlich viel zu tun ist: Ich persönlich habe mich
n Usbekistan intensiv für die Abschaffung der Todes-
trafe eingesetzt. Sie wissen, dass sie seit zwei Jahren
21002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
nicht mehr vollstreckt wird und inzwischen auch recht-
lich abgeschafft ist.
Die Tatsache, dass wir gegenüber Usbekistan die
Sanktionen gelockert haben – diesen Vorwurf werden
wir sicherlich gleich von der grünen Seite hören –, hängt
schlicht und ergreifend damit zusammen, dass wir auf
Benchmarks gesetzt haben. Die Abschaffung der Todes-
strafe gehört dazu ebenso wie die Kontaktaufnahme mit
dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, um Zu-
gang zu den Gefangenen zu erreichen. Das ist in be-
grenztem Maße geschehen. Insofern verstehen Sie bitte
die europäischen Entscheidungsfindungen gegenüber
Usbekistan.
Ich komme zum Ende. Wir setzen uns nicht nur für
die rechtliche Abschaffung der Todesstrafe ein – das ist
unter Menschenrechtsgesichtspunkten wichtig –, son-
dern wir haben uns gemeinsam mit Italien und anderen
auch dafür eingesetzt, dass sich in diesem Jahr die
Vereinten Nationen zum ersten Mal für ein Hinrich-
tungsmoratorium einsetzen. Das ist der Erfolg der star-
ken gemeinsamen Stimme Europas, ohne die das nicht
gelungen wäre.
Zum allerletzten Punkt. Natürlich gilt es auch, den
politischen Druck zur Anerkennung und Durchsetzung
von Frauen- und Kinderrechten zu erhöhen; Frau
Steinbach hat darauf schon hingewiesen. Die Rück-
nahme des deutschen Vorbehalts gegen die UN-Kinder-
rechtskonvention ist aus meiner Sicht überfällig.
Deshalb appelliere ich an alle, die im Bundesrat die
Möglichkeit haben, dazu ihre Stimme zu erheben. Ich
finde, der 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte wäre ein guter Anlass, diesen Schritt
jetzt zu tun.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Wolfgang
Gehrcke das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war
wie die Gründung der Vereinten Nationen selbst eine
Antwort auf den deutschen Faschismus, auf den Völ-
kermord an den europäischen Jüdinnen und Juden, auf
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– Lassen Sie uns doch einmal sehr konkret darüber re-
den!
Wenn in unserem Land jede fünfte Frau Gewalt erleidet,
dann muss der Deutsche Bundestag feststellen, dass hier
Menschenrechte verletzt werden. Das muss Konsequen-
zen haben.
Es ist doch furchtbar, dass Vergewaltigungen heute nicht
mehr nur individuelle Verbrechen sind. Sie werden im
Krieg wie Bomben und Gewehre als Kriegsmittel einge-
setzt. Auch hier muss es einen großen Protest geben und
eine harte Haltung dagegen durchgesetzt werden.
Im Krieg verrohen Menschen. Das müssen wir begrei-
fen.
Ich denke auch, dass wir darüber reden müssen, dass
oftmals soziale und politische Menschenrechte gegen-
einander abgewogen und hierarisch gewichtet werden.
Das trifft auch auf mich zu; ich sage das sehr offen. Die
Schale Reis für den Hungernden und der Arzt, der die
Kranken behandelt, standen und stehen mir besonders
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Man kann das nicht oft genug sagen.
an kann nicht über Menschenrechte diskutieren, ohne
uf diese Wunde aufmerksam zu machen.
Ebenso müssen wir uns klar zur Todesstrafe, egal wo
n der Welt sie angewandt wird, äußern. Wir müssen
eutlich machen, dass wir sie ablehnen und verurteilen.
)
)
Wir wollen, dass die Todesstrafe nicht nur ausgesetzt,
sondern abgeschafft wird. Man kann einige Normen – –
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer
Debatte über 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte sollten wir nicht so sehr in den Vordergrund
stellen, was wir beklagen können, oder uns mit großarti-
gen Worten aufhalten, sondern wir sollten uns in erster
Linie damit befassen, was wir in der Bundesrepublik
Deutschland in den verschiedenen Politikbereichen kon-
kret tun können, um die Menschenrechte zu stärken.
Ich beginne mit der Diskussion über den Antrag. Zu-
nächst hatten wir unter den Menschenrechtspolitikern ei-
nen gemeinsamen Text. Dann kam jedoch ein Abgeord-
neter aus der Arbeitsgruppe der Innenpolitik der CDU/
CSU, Herr Grindel,
und plötzlich war der gemeinsame Text nicht mehr auf-
rechtzuerhalten. Worum ging es? Es ging allein um die
Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention. Das zeigt
deutlich, dass es an diesem Tag nicht nur um große
Worte geht, sondern auch um ganz konkrete Taten.
Bei den Vorbehalten zur UN-Kinderrechtskonvention
geht es letztendlich um die Rechte der 16- bis 18-jähri-
gen Flüchtlinge, die von uns wie Erwachsene behandelt
werden mit der Folge, dass sie in Gemeinschaftsunter-
künften untergebracht werden, dass sie in Abschiebehaft
kommen und dergleichen mehr. Das würde die Kinder-
rechtskonvention eigentlich verbieten, wenn sie bei uns
ohne Vorbehalte gelten würde. Dazu sollten wir uns
heute bekennen.
Ich finde es paradigmatisch, dass die Integrations-
und Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung an die-
ser Debatte nicht teilnimmt. Sowohl die Diskussion über
den Antrag als auch die Präsenz der Bundesregierung bei
dieser Debatte machen deutlich, was die Menschen-
rechte der Flüchtlinge manchen Leuten, die dafür zu-
ständig sind, tatsächlich wert sind.
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Ja. Aber die Flüchtlingsbeauftragte hat bei einer sol-
hen Debatte ebenfalls anwesend zu sein, weil es ganz
onkret um die Menschenrechte von Flüchtlingen in
eutschland geht.
Aber ich will an dem Antrag nicht nur mäkeln; denn
ir haben auch etwas erreicht, und das ist ein Fortschritt,
en wir gemeinsam hinbekommen haben. Erstmals be-
ennt ein Dokument der Mehrheit des Deutschen Bundes-
ges auch die Yogyakarta-Prinzipien, die die Menschen-
echte im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung
ahren. Da das keine Selbstverständlichkeit ist, will ich
as würdigen. Wie hochaktuell das ist, sieht man daran,
ass der UN-Nuntius, der Botschafter des Vatikans bei
en Vereinten Nationen, Erzbischof Celestino Migliore,
n dieser Woche die französische Regierung dafür kriti-
iert, dass sie mit Unterstützung aller Nationen, die Mit-
lied der Europäischen Union sind, einen Antrag vorbe-
eitet hat, in dem gefordert wird, dass endlich auch die
enschenrechte von Homosexuellen zu wahren sind,
ass Homosexuelle zu schützen sind vor gewalttätigen
bergriffen, vor strafrechtlicher Verfolgung und vor der
odesstrafe. Und was fällt dem Nuntius dazu ein? Er
agt, wenn das verabschiedet würde, würden neue, uner-
ittliche Diskriminierungen geschaffen. Zu Recht sind
ie Schwulen und Lesben in der Welt darüber aufge-
racht. Am Samstag wird es in Rom eine große Demon-
tration gegen den Vatikan geben. Denn es ist an der
eit, dass die Menschenrechte von Homosexuellen auch
urch den Vatikan anerkannt werden. Wer für Glaubens-
reiheit ist, muss auch die negative Glaubensfreiheit re-
pektieren; das heißt, man muss sein Leben auch anders
ühren können, als es der Vatikan für von Gott gewollt
ält. Deshalb muss man sich gegen Diskriminierung, ge-
en Gewalt und gegen strafrechtliche Verfolgung in die-
en Fällen wenden.
Einen weiteren Punkt möchte ich konkret ansprechen;
uch damit haben wir uns heute zu befassen. Der Men-
chenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat zum
hema Guantánamo – wir alle hier im Hause sind uns
arin einig, dass Guantánamo geschlossen werden
uss – gesagt: Die Schließung Guantánamos darf nicht
aran scheitern, dass niemand die Häftlinge aufnimmt.
s gibt in Guantánamo eine Reihe von Häftlingen, über
ie die US-Regierung sagt: Sie sind unschuldig; sie ha-
en nichts getan. Wir haben uns geirrt. Wir haben sie
estgenommen und die Falschen erwischt. Sie gehören
igentlich auf freien Fuß. Wir wissen aber nicht, wohin
it ihnen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21005
)
)
Volker Beck
Dazu gehört zum Beispiel die Gruppe der Uiguren
aus China, die in China verfolgt werden. Ich meine, im
Sinne der Meinung des Menschenrechtsbeauftragten der
Bundesregierung sollten wir heute beschließen, dass sich
Deutschland bereit erklärt, die uigurischen Gefangenen
aus Guantánamo aufzunehmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Steinbach?
Mit großem Vergnügen.
Herr Kollege Beck, sind Sie nicht mit mir der Auffas-
sung, dass das Land, das die Menschen unschuldig ein-
gesperrt hat, auch dafür zu sorgen hat, dass diese Men-
schen, wenn sie nicht in ihre Heimat zurückkönnen, in
den Vereinigten Staaten aufgenommen werden und nicht
in alle Welt abgeschoben werden?
Frau Kollegin Steinbach-Hermann, ich bin ausdrück-
lich nicht mit Ihnen dieser Auffassung, sondern ich bin
der Auffassung des Menschenrechtsbeauftragten der
Bundesregierung, der meines Wissens auch der CDU an-
gehört, dass Deutschland und Europa, wenn sie es ernst
damit meinen, dass Guantánamo geschlossen werden
muss, auch einen Beitrag dazu leisten müssen. Gu-
antánamo wird nicht geschlossen werden können, wenn
wir nicht bereit sind, hier gemeinsam zu handeln.
Frau Merkel, Ihre Bundeskanzlerin, hat seit Monaten
eine Liste mit diesen Gefangenen auf dem Tisch. Ich er-
warte, dass die Bundesregierung diese Prüfung voran-
treibt und gemeinsam mit anderen europäischen Natio-
nen hier einen aktiven Beitrag leistet; denn ansonsten ist
es verlogen, wenn wir nicht bereit sind, an diesem Punkt
auch zu helfen.
Frau Steinbach, was machen 10 oder 20 Gefangene
aus, die wir hier aufnehmen? Das verändert nichts, aber
wenn es hilft, Guantánamo zu schließen, dann ist das für
den Westen und seine Menschenrechtspolitik von ganz ent-
scheidender Bedeutung. Abu Ghureib und Guantánamo:
Das ist die Achillesferse des Westens in der weltweiten
Diskussion über die Menschenrechtspolitik,
weil der Eindruck erweckt wird, wir würden das, was
wir von anderen – von Russland, von China, von Usbe-
kistan – jederzeit zu Recht erwarten, selber nicht umset-
zen.
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Sehr großzügig. – Frau Steinbach.
Herr Kollege Beck, halten Sie es für richtig, dass ein
and, das Unrecht begangen und Menschen unschuldig
ingesperrt hat, am Ende davonkommt? Natürlich haben
ie recht: Es ist überhaupt kein Problem, dass wir 10
der 14 Menschen aufnehmen. Die Vereinigten Staaten
aben sie aber eingesperrt, und sie sollen sie bitte schön
uch aufnehmen. Für sie ist das auch kein Problem.
Frau Steinbach, geschätzte Frau Kollegin, ich finde,
ir sollten nicht den Fehler machen, auf dem Rücken
er Gefangenen, auf dem Rücken unschuldiger Men-
chen, die dort seit Jahren einsitzen, ihre Gefangenschaft
u verlängern, indem wir jetzt auf hartherzige Recht-
aberei setzen,
ondern wir müssen an einer Entspannung der Situation
nteressiert sein und dazu einen entsprechenden Beitrag
eisten.
Ich bin über die antiamerikanischen Töne aus dem
und einer CDU-Politikerin erstaunt.
ch nehme das mit Interesse zur Kenntnis. Die Welt be-
indet sich ja stetig im Wandel. Ich finde aber, Sie sollten
ich einmal überlegen, was Ihre Position im Ergebnis
eißt: Das bedeutet nicht, dass Amerika sie aufnimmt,
ondern dass sie weiter in Guantánamo einsitzen. – Sie
üssen auch bedenken: Wenn Sie unseren Antrag heute
blehnen und damit auch Ihren Menschenrechtsbeauf-
ragten desavouieren sollten, dann tragen Sie damit
erantwortung dafür, dass diese Leute länger in Gu-
ntánamo einsitzen. Das sind dann auch Ihre Gefan-
enen.
Nächster Punkt. Herr Steinmeier hat sich ja ge-
ünscht, dass wir auch über Usbekistan reden. Ich er-
enne an, dass Usbekistan die Todesstrafe abgeschafft
21006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Volker Beck
hat. Wir waren mit einer Delegation des Menschen-
rechtsausschusses dort und haben uns genauso wie das
Auswärtige Amt und die Bundesregierung nachhaltig
dafür eingesetzt. Aber nach den Massakern von Andi-
schan hat die internationale Staatengemeinschaft Forde-
rungen an Usbekistan gestellt. Dazu gehören, wie Sie
richtig erwähnten, der Zugang des Internationalen Roten
Kreuzes zu den Gefangenen, aber auch der Zugang von
Menschenrechtsorganisationen in das Land, und dazu
zählt insbesondere, dass in Usbekistan eine Untersu-
chung der Vorfälle von Andischan vorgenommen wird.
Diese Untersuchung hat bis heute nicht stattgefunden.
Im Zusammenhang mit der letzten Resolution vor der
endgültigen Aufhebung der Sanktionen hat die Europäi-
sche Union in Brüssel erklärt, die Wiedereröffnung des
Büros zum Beispiel von Human Rights Watch sei eine
Conditio sine qua non für die Lockerung bzw. Aufhe-
bung der Sanktionen. Nichts ist geschehen; bis heute
durfte niemand hinein. Ebenso ist bei der Aufklärung
nichts geschehen.
Wenn wir, die europäischen Staaten, uns so an der
Nase herumführen lassen, dann erlangen wir nicht die
Achtung dieser Regime und deren Respekt; vielmehr
wissen sie, dass sie uns auf der Nase herumtanzen kön-
nen. Der Hintergrund dieser Geschichte ist doch klar:
Deutschland hat Interessen in Usbekistan, energiepoliti-
sche, aber auch militärpolitische, weil wir in Termes ei-
nen Militärflughafen haben, von dem aus wir unsere
Einsätze nach Afghanistan fliegen. Dieser Preis ist aber
zu hoch, zumal die Burschen in Usbekistan – da bin ich
mir sicher – auf das Geld von unserem Militärflughafen
in solchem Maße angewiesen sind, dass sie auch eine et-
was strengere Diskussion mit uns aushalten. Die Sank-
tionen zu liften, ist eine Sache; aber dann am nächsten
Tag, nachdem die Sanktionen aufgehoben sind, einen der
mutmaßlichen Schlächter von Andischan, den usbeki-
schen Minister für Staatssicherheit, Rustam Inojatow,
seitens des Bundeskanzleramtes in die Bundesrepublik
Deutschland einzuladen, das ist noch eine zweite Sache.
Meines Erachtens sind wir in solchen Punkten inkonsis-
tent. Ebenso frage ich mich, warum unsere Kleine An-
frage zu den Hintergründen dieses Besuchs seit Anfang
November von der Bundesregierung nicht beantwortet
ist. Da scheinen wir offensichtlich ins Schwarze getrof-
fen zu haben.
Meine Damen und Herren, ich nenne noch zwei
Punkte, an denen wir in der Menschenrechtspolitik kon-
kret etwas machen können. Es geht zum einen um fol-
gende Frage: Was machen wirtschaftliche Unternehmen,
transnationale Unternehmen weltweit? Wir sollten wie
die USA, die das in ihrem Recht haben, dafür sorgen,
dass derjenige, der Menschenrechte im Ausland verletzt,
von den Geschädigten hier, vor deutschen Gerichten, für
Schadenersatz in Anspruch genommen werden kann.
– Ja, das soll auch für Deutschland gelten.
Hätten Sie sich doch in Ihrem Antrag tatsächlich mit
den aktuellen menschenrechtspolitischen Fragen be-
schäftigt! Angesichts dessen, was Sie da aufgeschrieben
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nd um Guantánamo herum.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer
ür die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ch halte es für sehr gut, dass wir hier so engagiert über
ieses Thema debattieren, denn das ist es wert. Aller-
ings gehört es auch zur Wahrheit, ein paar Dinge rich-
igzustellen, die hier gesagt worden sind.
Das Erste, lieber Kollege Gehrcke, will ich Ihnen ein-
ach nur einmal mit auf den Weg geben: Ich würde es be-
rüßen, wenn die Fraktion Die Linke ihre Mitarbeit im
usschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ieder aufnähme.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21007
)
)
Christoph Strässer
Sie weigern sich seit einiger Zeit, Sie sind nicht mehr da,
erklären aber dann dem Hohen Hause, dass Frauenrechte
Menschenrechte seien. Ich halte das für einen einigerma-
ßen zynischen Beitrag.
Nachdem wir uns mehrfach und im Dutzend mit Resolu-
tionen des Europarats und mit VN-Resolutionen zur Ge-
walt gegen Frauen befasst haben, erklären Sie hier im
Jahre 2008, dass Frauenrechte Menschenrechte sind.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Sie ist
bei uns schon sehr, sehr lange vorhanden.
Zwei Bemerkungen zum Kollegen Volker Beck: Ich
glaube, der Bundesaußenminister hat zur Kinderrechts-
konvention das politisch Nötige gesagt. Dafür herzli-
chen Dank. Das war aus unserer Sicht eine nötige politi-
sche Klarstellung.
Ich gebe ja zu, dass auch ich erst später festgestellt
habe, dass das, was Sie mit Ihrem Änderungsantrag er-
reichen wollen, genau das Gegenteil von dem ist, was
Sie hier vorgetragen haben.
– Lieber Kollege Beck, zuhören und den Antrag lesen! –
Dieser Änderungsantrag beschäftigt sich nämlich gerade
nicht mit Vorbehaltserklärungen und der Umsetzungssi-
tuation im eigenen Land. Sie fordern vielmehr die Bun-
desregierung auf, die Umsetzung von Konventionen und
Zusatzprotokollen in bilateralen und multilateralen Ge-
sprächen mit anderen Regierungen voranzutreiben. Da-
mit würden wir genau das tun, was Sie eigentlich verhin-
dern wollen. Wir würden nämlich anderen Ländern
sagen: Ihr müsst bitte schön das, was wir bei uns nicht
umsetzen, tun. Das ist das Gegenteil von glaubwürdiger
Menschenrechtspolitik. Ich lehne deshalb diesen Antrag
nicht nur aus Koalitionsdisziplin, sondern auch, weil ich
davon überzeugt bin, dass er inhaltlich falsch ist, ab. Das
werden wir gleich tun. Ich glaube, das ist richtig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Aber immer doch.
Herr Kollege Beck, bitte.
Damit wir hier bei der Textexegese wenigstens eine
gemeinsame Grundlage haben, frage ich Sie: Wären Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in dem Änderungs-
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Ein Weiteres will ich noch sagen: Lieber Kollege
eck, in der nächsten Sitzungswoche findet auf Antrag
er SPD-Fraktion eine große Anhörung zur extraterrito-
ialen Verpflichtung von Staaten in Konfliktsituationen
tatt. Wir haben gegen Ihre Stimme durchsetzen müssen,
ass in dieser Anhörung auch die Verpflichtungen von
nternehmen eine Rolle spielen. Diesen Antrag der SPD
aben Sie erst nicht unterstützt. Wir werden in dieser
nhörung genau dieses Thema, das Sie jetzt auch aufge-
riffen haben, ganz massiv betreiben und in den Vorder-
rund stellen. Da können Sie sicher sein. Es ist schön,
ass Sie sich jetzt unserem Antrag anschließen. Herzli-
hen Dank dafür. Das ist eine gute Entwicklung.
Ich habe mir eigentlich etwas ganz Anderes aufge-
chrieben. Aber so ist das nun einmal in einer Debatte.
enn eine Debatte läuft, halte ich es für richtig, die
inge offen auszusprechen. Ich möchte allerdings noch
wei Dinge ansprechen, die mir sehr wichtig sind.
21008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Christoph Strässer
Mehrfach ist angesprochen worden, dass die Umset-
zung der Menschenrechte, insbesondere in ihrer Univer-
salität, auf Probleme stößt; ich sage das einmal ganz zu-
rückhaltend. Ich will das aber auch mit einer Zahl
belegen: World Vision, eine der größeren international
arbeitenden Menschenrechtsorganisationen im Bereich
des Schutzes von Kinderrechten, hat im letzten Report
eine Zahl veröffentlicht, die erschreckt, nämlich dass
9,7 Millionen Kinder weltweit nicht älter als fünf Jahre
werden. Wenn man sich diese Dimension vor Augen
führt, dann wird aus meiner Sicht klar, und zwar auch
60 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte, was ein ganz wesentlicher Bestandteil un-
serer Forderungen sein muss: Da diese Kinder unter Ar-
mut und Krankheiten, die wir mit relativ geringen
Mitteln bekämpfen könnten, leiden, ist eine der ganz we-
sentlichen menschenrechtspolitischen Forderungen des
Deutschen Bundestages die Bekämpfung von Armut in
der Welt. Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt,
wenn man den Menschen in Afrika, in großen Teilen
Asiens und anderen Teilen der Welt ein menschenwürdi-
ges Leben unter der Herrschaft der Allgemeinen Erklä-
rung der Menschenrechte bereiten will. Das ist unsere
Kernforderung. Ich sage der Bundesregierung bzw. dem
BMZ ganz herzlichen Dank dafür, dass man diese Er-
kenntnis aufgenommen hat. Der Bundestag, dieses Hohe
Haus, sollte an dieser Stelle seine Absicht erklären, die
Bundesregierung dabei zu unterstützen und sie notfalls
auch anzutreiben, die Millennium Development Goals
auch wirklich bis 2015 umzusetzen. Das ist eine ganz
wichtige Aufgabe für uns in diesem Hause.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mir
sehr wichtig ist. Er betrifft die Umsetzung der indi-
viduellen Menschenrechte in ihrem Verhältnis zum
Völkerrecht. Die Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte war insofern ein Quantensprung, als darin nicht
nur festgestellt wurde, dass das Völkerrecht Staaten und
völkerrechtliche Subjekte bindet, sondern auch, dass die
individuellen Rechte der Menschen in den Ländern eine
Rolle spielen. Dies verändert ein Stück weit – dieser
Punkt ist in der aktuellen Debatte sehr wichtig – die Vor-
stellung von der absolut geltenden Souveränität der Staa-
ten.
Ein Punkt missfällt mir in Ihrem Antrag sehr, Herr
Gehrcke.
Ich stelle meine Ausführungen unter die Überschrift:
Responsibility to protect. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, keiner in diesem Hohen Hause ist der Auffassung,
dass man militärische Gewalt – wo auch immer – leicht-
fertig einsetzen darf. An erster Stelle müssen ohne jeden
Zweifel – das geschieht auch; ich bin der Bundesregie-
rung, dem Auswärtigen Amt und dem BMZ, auch dafür
dankbar – Pläne zur zivilen Krisenprävention und zur zi-
vilen Konfliktprävention stehen. Das alles ist auf dem
Weg; das muss noch ausgebaut werden. Aber ich glaube,
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ch sage im Gegenteil: Wer angesichts dessen, was dort
assiert, den betroffenen Menschen sagt, man habe eine
deologie und die besage, nie und nimmer Militär einzu-
etzen, instrumentalisiert diese Menschen, deren Leben,
eren Menschenwürde für eine Ideologie, die ihnen
icht weiterhilft, sondern schadet, und die sie der grund-
egenden Prinzipien der Menschenwürde beraubt, näm-
ich des Schutzes des Lebens und der persönlichen Ehre.
as kann nicht die Botschaft einer Menschenrechtsde-
atte in diesem Hohen Hause sein.
Ich werbe ganz massiv dafür, für die Durchsetzung
er Menschenrechte zu kämpfen, dafür, dass die Men-
chen ausreichend zu essen haben, dass sie Zugang zu
esundheitsleistungen haben, und dafür, dass man dafür
öglichst keine militärischen Mittel einsetzt. Ich sage es
ber noch einmal: Wenn all das versagt, vergehen wir
ns an den Menschenrechten, wenn wir diese Menschen
icht schützen – notfalls auch mit Gewalt, so bitter das
st. Diese Erkenntnis sollte sich 60 Jahre nach Verab-
chiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
echte durchgesetzt haben. Ich werbe dafür, dass wir bei
iesem Kurs bleiben – im Sinne des Schutzes der Men-
chenrechte weltweit.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte
nd die Anträge, die wir heute beraten, zeigen ganz deut-
ich, dass das Thema Menschenrechte 60 Jahre nach Ver-
bschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
echte hochaktuell ist und die Spannbreite der Themen
ewaltig ist. All dem kann man wahrscheinlich in einer
ebatte von einer Stunde nicht in vernünftiger Art und
eise Rechnung tragen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21009
)
)
Holger Haibach
Einen Fehler dürfen wir nicht machen: Wenn wir den
Begriff der Menschenrechte überdehnen, dann tun wir
unserer Sache keinen Gefallen. Deswegen, lieber Herr
Gehrcke, halte ich den Antrag, den Sie vorgelegt haben,
für ziemlich bemerkenswert. Sie fordern darin, die Ein-
führung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindes-
tens 8,71 Euro pro Stunde – warum nicht 8,72 Euro,
8,73 Euro, 9 Euro oder 10 Euro? – in Deutschland zur
Grundlage menschenrechtlicher Standards zu machen.
Damit tut man dem Anliegen der Menschenrechte kei-
nen Gefallen. Sie überdehnen den Begriff und diskredi-
tieren ihn damit.
Dabei geht es mir nicht um die Frage, ob wir einen ge-
setzlichen Mindestlohn brauchen oder nicht. Das ist eine
Frage, über die wir anderswo diskutieren können. Ich
finde es aber bemerkenswert, dass man die Fragen, um
die es hier geht, an einer Summe festmachen will.
Ich bitte Sie auch, mit der Rhetorik des Kalten Krie-
ges aufzuhören. Ich darf einmal ein bisschen aus Ihrem
Antrag zitieren:
Im System des Menschenrechtsschutzes haben sich
Schutzmechanismen im Rahmen einzelner UN-
Konventionen herausgebildet. Hierbei wendet sich
der Bundestag entschieden gegen alle Bestrebun-
gen, die Forderung nach Gültigkeit der Menschen-
rechte als Vorwand zu nutzen, um weltweit kapita-
listische Verhältnisse zu erzwingen, multinationalen
Konzernen den Zugang zu Rohstoffen und Energie-
quellen zu sichern oder völkerrechtswidrige An-
griffskriege gegen missliebige Staaten zu legitimie-
ren.
Genau darum geht es eben nicht. Menschenrechte und
internationale Schutzsysteme sind dazu da, genau das zu
verhindern.
Wenn Sie das internationale System durch diese Äuße-
rungen diskreditieren, tun Sie den Menschenrechten
wiederum keinen Gefallen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Strässer?
Ja, mit großer Freunde.
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Ich wollte ja eigentlich keine Zwischenfrage stellen,
ber es bleibt nicht aus. Ich muss einmal schauen, wie
ch alles in einer Frage zusammenbinde; das wird mir
chon gelingen.
Erst einmal möchte ich Sie auf einige Artikel aus der
llgemeinen Erklärung der Menschenrechte hinweisen,
ie sich sehr detailliert mit sozialen Fragen und sozialer
erechtigkeit beschäftigen: Art. 22, 23, 24 und andere.
ir empfanden es als einen Mangel – vielleicht können
ie uns da verstehen –, dass diese in Ihrem Antrag und in
er Bundestagsdebatte keine Rolle spielen.
Können Sie auch verstehen, dass wir davon ausgehen,
ass man die Charta der Vereinten Nationen nur als Gan-
es sehen kann?
Kap. VII gehört dazu. Dann muss man sich überlegen,
b man eine Entscheidung der Vereinten Nationen nach
ap. VII politisch für richtig oder falsch hält.
enn man sie für falsch hält, muss man das auch aus-
rücken können.
as ist immer die Position der Linken gewesen, und da-
it sind wir sehr gut gefahren.
21010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Wenn ich Ihre gerade getroffene Aussage in die Frage
ummünze, ob ich die Allgemeinheit der Erklärung der
Menschenrechte in all ihren Facetten bis hin zu den so-
zialen Rechten sehe, dann kann ich die Frage eindeutig
mit Ja beantworten. Ich finde nur, dass man nicht denje-
nigen auf den Leim gehen darf, die versuchen, die Men-
schenrechte gegeneinander aufzuwiegen.
Ich finde, das geht nicht.
– Entschuldigung, vielleicht darf ich den Satz noch zu
Ende bringen, Herr Kollege Beck! Sie, lieber Herr Kol-
lege Gehrcke, dürfen nicht das Spiel von Staaten wie
zum Beispiel Kuba mitspielen, die sagen: Okay, bei uns
darf vielleicht nicht jeder alles sagen, aber dafür haben
die Menschen etwas zu essen. Das ist nicht mein Ver-
ständnis von Menschenrechten.
gesagt!)
Herr Kollege Haibach, lassen Sie noch eine weitere
Zwischenfrage des Kollegen Beck zu?
Auch das mit großer Freunde.
Bitte sehr.
Wenn Sie die erste Seite des Antrags der Linken und
insbesondere die erste Forderung betrachten, würden Sie
mir dann womöglich zustimmen, dass man die Frage
von militärischem Engagement nicht allein unter dem
Gesichtspunkt betrachten sollte, ob die PDS damit gut
fährt, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, ob die
Menschen vor Ort damit gut fahren?
Könnte man also sagen, dass jemand, der aus dem Sudan
sogar unbewaffnete Militärbeobachter abziehen will, die
einen vereinbarten Friedensvertrag überwachen, wozu
beide Seiten die UN und damit auch die deutsche Betei-
ligung eingeladen haben,
letztendlich Völkerrecht, Menschenrechte und Vereinte
Nationen im Regen stehen lässt?
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Ich würde Ihnen auf jeden Fall recht geben, wenn Sie
ir diese Frage stellen würden, Herr Kollege Beck, und
abe sie hiermit beantwortet.
Ich will aber dazu noch sagen: Ob die PDS oder die
inke – das ist ja auch bezeichnend – damit gut fährt
der nicht, ist nicht meine Frage. Gerade Entscheidun-
en über Auslandseinsätze sind Gewissensentscheidun-
en, die sich nicht an Fraktionsgrenzen festmachen las-
en, sondern diese muss jeder für sich selbst treffen.
eshalb gibt es an dieser Stelle nicht die PDS oder die
inke.
Es gibt aber eine internationale Verantwortung,
nd diese internationale Verantwortung – das hat Herr
ollege Strässer aus meiner Sicht zu Recht gesagt – be-
eutet im Notfall auch militärisches Eingreifen. Das ist
ie Ultima Ratio, aber dass das möglich ist, ist zwingend
otwendig.
s gibt eben keine Entwicklung ohne Sicherheit und
eine Sicherheit ohne Entwicklung. So einfach ist die
elt an dieser Stelle.
Ich will ein Weiteres hinzufügen, weil Herr Kollege
trässer es angesprochen hat. Es ist diese Bundesregie-
ung gewesen, die die Mittel für die zivile Krisenprä-
ention innerhalb eines Haushaltsjahres mit der Zustim-
ung des Deutschen Bundestags von 12 Millionen Euro
uf 60 Millionen Euro nach oben geschraubt hat. Wenn
ir den zur Verfügung stehenden Betrag betrachten – ich
eiß, dass hierfür weniger als für Auslandseinsätze der
undeswehr ausgegeben wird, aber der Betrag ist fünf-
al so groß wie vorher –, dann kann man tatsächlich sa-
en, dass wir unseren Worten Taten folgen lassen. Das
uss man in einer solchen Debatte auch anerkennen.
Jetzt würde ich mich gern liebevoll dem Kollegen
eck und seinen Einwendungen widmen.
Das gehört allerdings auch zu den Menschenrechten.
Noch einmal zum Thema Kinderrechtskonvention.
ie wissen ganz genau, dass die Problematik sehr viel
ehr aufseiten des Bundesrates als aufseiten des Deut-
chen Bundestages liegt. Ich glaube, darüber sind wir
ns alle einig. In der vergangenen Wahlperiode des
eutschen Bundestages gab es einen Antrag der FDP zur
urücknahme der Vorbehalte. Die FDP regiert ja auch in
em einen oder anderen Bundesland mit. Deshalb hat die
DP an dieser Stelle auch eine Aufgabe wie wir alle an-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21011
)
)
Holger Haibach
deren auch in diesem Hohen Hause. Wie auch immer. Je-
denfalls wollte die damalige Regierungskoalition aus
Gründen der Koalitionsraison – das ist ja nun einmal so
üblich; das kennen wir alle – nicht zustimmen und hat
einen eigenen Antrag zu diesem Thema eingebracht und
diesem Antrag zugestimmt. Ich kritisiere das nicht. Ich
will nur sagen, dass wir in jeder Konstellation an der ei-
nen oder anderen Stelle parlamentarischen Regeln und
auch Koalitionsgepflogenheiten unterworfen sind. Ich
finde, daraus sollte keiner dem anderen einen Strick dre-
hen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Beck?
Bitte.
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
damalige Koalition beschlossen hat, dass sie für die
Rücknahme der Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention
ist, und das es deshalb nur um unterschiedliche Antrags-
texte, aber nicht um eine Differenz in der Substanz geht,
und dass wir heute die Situation haben, dass die Auffas-
sung eines Abgeordneten der Arbeitsgruppe Innenpolitik
der CDU/CSU-Fraktion dazu führt, dass eine Einigung
unter den Menschenrechtspolitikern aufgehoben wird
und schlichtweg das Wort „Vorbehalte“ aus dem Antrags-
text herausgestrichen wird? Um mehr geht es nicht.
Ich finde, daran zeigt sich, dass etwas schiefläuft. Ich
denke, nicht die Innenpolitik sollte die Menschenrechts-
politik bestimmen, sondern die Menschenrechtspolitik
sollte die Innenpolitik und die Außenpolitik bestimmen.
Lieber Herr Kollege Beck, ich bin gern bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass Sie das damals beschlossen
haben. Ich bitte Sie, aber auch zur Kenntnis zu nehmen,
dass, wenn wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen, das
nicht heißt, dass wir nicht für die Rücknahme der Vorbe-
halte sind. Darum geht es nicht. Ich glaube, das hat Herr
Kollege Strässer vorhin relativ deutlich gesagt.
Momentan befinden wir uns aber in einer Situation, in
der wir nicht allein Herr des Verfahrens sind. Solange
wir nicht allein Herr des Verfahrens sind, muss man sich
überlegen, ob eine solche Beschlussfassung tatsächlich
sinnvoll ist.
Zur Frage der Uiguren. Ich glaube, die Aussagen der
Bundesregierung zu dieser Frage sind mehr als deutlich
gewesen.
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Wir sprachen über die Frage der Verantwortung. Es
st wichtig, dass wir als Bundesrepublik Deutschland
eispielgebend vorangehen, wie es auch in unserem ge-
einsamen Antrag heißt. Das bedeutet aber auch, dass
ir unsere Verantwortung international wahrnehmen
üssen.
Ich möchte gerne noch auf einen Punkt zu sprechen
ommen, der in der Debatte bisher keine große Rolle ge-
pielt hat. Deutschland hat – ich glaube, das hat gute
ründe – einen guten Ruf, wenn es darum geht, interna-
ional Menschenrechte zu schützen. Wir engagieren uns
n vielen Gremien. Darauf hat der Bundesaußenminister
ingewiesen.
Deutschland hat – ich finde, so viel Eigenlob darf in
ieser Debatte auch einmal sein – einen eigenständigen
ollausschuss zum Thema Menschenrechte, der über
arteigrenzen hinweg meines Erachtens gute Arbeit leis-
et und der in dieser Wahlperiode – das will ich zur Eh-
enrettung des Deutschen Bundestages sagen – viel mehr
ebattenzeit zu einer guten Tageszeit bekommen hat, als
ies früher üblich gewesen ist.
Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Auch wenn man mit dem Außenminister nicht in je-
er einzelnen Formulierung einer Meinung ist, muss
an anerkennen, dass dieser Bundesaußenminister in
er Zeit der Großen Koalition in Menschenrechtsdebat-
en zweimal das Wort ergriffen hat. Ich kann mich noch
n die letzte Legislaturperiode erinnern. Der damalige
undesaußenminister hat bei Menschenrechtsdebatten
m Allgemeinen durch Abwesenheit geglänzt.
Mir fällt sein Name bedauerlicherweise nicht mehr ein.
Da wir gerade über fehlende Namen sprechen, möchte
ch Ihnen sagen, was mir am Antrag der Linken noch auf-
efallen ist. Auch die Linken haben einen Vertreter im
enschenrechtsausschuss, den Kollegen Leutert. Viel-
eicht ist er es jetzt nicht mehr. Es gibt momentan näm-
ich ein paar Unstimmigkeiten bezüglich der Frage, ob er
itglied des Ausschusses ist oder nicht.
21012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Holger Haibach
Der Kollege Leutert jedenfalls hat den Antrag der Lin-
ken nicht unterzeichnet. Sein Name steht nicht auf dem
Rubrum dieses Antrags.
Ich finde, es ist bemerkenswert, dass Ihr Fachpolitiker
offensichtlich nicht bereit ist, Ihren Antrag mit zu unter-
zeichnen.
Das sollte Ihnen zu denken geben. Vielleicht bedeutet
das nämlich, dass Sie mit alledem, was Sie fordern, gar
nicht richtig liegen.
Ich möchte meinen Gedanken gerne zu Ende führen:
Das Wirken Deutschlands in internationalen Organi-
sationen hat für mich mehrere Komponenten.
Der erste Punkt ist, dass wir beispielgebend vorange-
hen müssen. Das bedeutet, die Menschenrechte überall,
wo es möglich ist, zu fördern. Hierzu hat Deutschland
verschiedene Möglichkeiten. Wir wirken unter anderem
aktiv in den UN-Gremien mit. Der Menschenrechtsrat
ist ein Gremium, das dringend unserer Unterstützung be-
darf. Hier gibt es nämlich viele Probleme. Der Außen-
minister hat als Beispiel die Situation im Kongo er-
wähnt. So war es ein wichtiger Fortschritt, dass der
Menschenrechtsrat eine Resolution zum Kongo verab-
schiedet hat. Man hätte sich allerdings durchaus eine
schärfere Formulierung vorstellen können; denn bei die-
sem Thema geht es um nicht mehr und nicht weniger als
darum, dass Menschen umgebracht bzw. geschlachtet
und Frauen vergewaltigt werden. Das verdient, wie ich
finde, eine scharfe Missbilligung. Wenn ein Gremium
wie der Menschenrechtsrat dazu nicht in der Lage ist,
muss uns das zu denken geben. Auch hier haben wir also
eine Aufgabe.
Der andere Punkt ist: Wir haben im Rahmen der Eu-
ropäischen Union und auch im Rahmen des Europara-
tes – viele von uns sind Mitglied der Parlamentarischen
Versammlung – viele Möglichkeiten, über die verschie-
denen Konventionen Einfluss zu nehmen. Darauf sollten
wir an dieser Stelle in aller Deutlichkeit hinweisen und
das auch tun.
Im Rahmen dieser zugegebenermaßen nicht immer
sehr pressewirksamen Arbeiten ergeben sich mehr Hand-
lungsmöglichkeiten, als wenn lediglich Schaufensteran-
träge in den Deutschen Bundestag eingebracht werden,
über die wir dann diskutieren. Denn indem wir ein Anlie-
gen in den Rang einer Konvention erheben, können wir
Allgemeingültigkeit schaffen. Das ist auf jeden Fall ein
Fortschritt.
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an kann sich aus verschiedenen philosophischen Per-
pektiven der Frage nähern: Was sind eigentlich Men-
chenrechte? Die christliche Interpretation ist die der
ottesebenbildlichkeit. Daraus erwächst eine Men-
chenwürde, die dem Menschen nicht genommen wer-
en kann. Daraus erwächst aber auch die Pflicht des
enschen, diese Würde anzunehmen. Das bedeutet,
ass der Mensch das Recht hat, sein Leben selbst in die
and zu nehmen, dass er aber auch die Pflicht hat, sein
eben selbst in die Hand zu nehmen. Wenn wir eine gute
enschenrechtspolitik machen wollen, müssen wir die
enschen überall auf der Welt in die Lage versetzen, ihr
chicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Danke sehr.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
ohannes Jung für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Lassen Sie mich zu Beginn feststellen, dass mich
er Verlauf dieser Debatte ein wenig irritiert. Wir disku-
ieren eigentlich über einen Antrag, den die Koalitions-
raktionen von CDU/CSU und SPD gemeinsam mit FDP
nd Grünen eingebracht haben. Wenn man den Verlauf
ieser Debatte verfolgt, hat man allerdings den Eindruck,
ass einige der Versuchung erlegen sind, sich gegenüber
en anderen antragstellenden Fraktionen parteipolitisch
u profilieren. Ich werde darauf gleich noch einmal zu
prechen kommen.
Wir haben hier in einigen Bereichen große Einigkeit.
as betrifft die Abschaffung der Todesstrafe, die Frau-
nrechte – beim Thema „gleicher Lohn für gleichwertige
rbeit“ sieht es schon ein bisschen anders aus; wir wer-
en uns zukünftig noch stärker einsetzen, um andere von
er Notwendigkeit zu überzeugen –, die Kinderrechte,
as Recht auf Bildung usw.
Einen Bereich will ich, wenn auch kurz, besonders
ennen, nämlich die Rechte von Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmern, und zwar im internationalen Maßstab;
enn nach wie vor ist weltweit ein klassisches Problem
ei den Menschenrechten die Verfolgung von Gewerk-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21013
)
)
Johannes Jung
schafterinnen und Gewerkschaftern. Das dürfen wir
nicht aus dem Blick verlieren, meine Damen und Herren.
Es gibt nicht nur eine Menge von Institutionen, die
sich mit Menschenrechten befassen und dazu aufgerufen
sind, Menschenrechte zu sichern und weiterzuentwi-
ckeln; es gibt hierzulande Hunderttausende von Bürge-
rinnen und Bürgern, aber auch Menschen ohne deut-
schen Pass, die sich tagtäglich insbesondere für die
Verwirklichung und die Durchsetzung von Menschen-
rechten einsetzen, individuell, persönlich und in größe-
ren Organisationen. Ihnen gebührt unser Dank. Ohne
diesen Einsatz wäre es um die Menschenrechte schlecht
bestellt.
Die Aufgaben in Europa sind schnell beschrieben.
Sie betreffen im Wesentlichen nicht die Verhältnisse in
der Bundesrepublik. Darüber diskutieren wir häufig an
anderer Stelle; ich erinnere beispielsweise an die Rechte
der Sinti und Roma hierzulande und anderer Minderhei-
ten, sexueller Minderheiten, Menschen in Deutschland
ohne deutschen Pass. Aber es gibt natürlich Staaten in
Europa, in denen die Lage wesentlich schwieriger ist.
Das sind insbesondere die Staaten, die wir als Transfor-
mationsstaaten bezeichnen. Das sind solche, die die
Herrschaft einer Partei erst seit kurzer Zeit hinter sich
haben oder eben noch nicht richtig hinter sich haben. Zu
nennen sind ein paar Spezialfälle, nämlich Staaten, die
eigentlich noch gar keine richtigen Staaten sind und de-
ren Zukunft ungewiss ist. Das gilt für Bosnien-Herzego-
wina, den Kosovo, Moldawien, Transnistrien, Ukraine,
Staaten des Kaukasus, Weißrussland. Betroffen davon ist
damit natürlich auch das große Russland. Hier haben wir
genug zu tun. Darauf müssen wir in der Menschen-
rechtspolitik des Deutschen Bundestages und der Bun-
desregierung unser Augenmerk richten.
Die Regierung des Kosovo hat gerade unter Beweis
gestellt, wie notwendig das neue Instrument von Rechts-
staatsmissionen à la EULEX ist. Wer davon noch nicht
überzeugt war, wird in diesen Tagen überzeugt worden
sein.
Hoffnung gibt uns, dass das eingetreten ist, was ich
von dieser Stelle schon prophezeit hatte, nämlich dass
nur das amerikanische Volk selbst das Problem Gu-
antánamo lösen kann: Mit einer Neuwahl, mit einer De-
facto-Abwahl der Bush-Administration ist ein Ende der
Politik der sogenannten Extraordinary Renditions mög-
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Beck?
Erst dann, wenn ich den Sachverhalt erläutert habe.
as wird etwa zehn Sekunden in Anspruch nehmen.
Frau Beck, Ihnen liegt doch auch vor, was mir vor-
iegt. Sie sind nämlich am 10. November vom Außenmi-
isterium darüber informiert worden, dass die drei frag-
ichen Visa an diesem Tag erteilt worden sind.
amit müsste doch das Thema für Sie im Grunde erle-
igt sein.
Gestatten Sie nun die Zwischenfrage?
Ja.
Ich bitte Sie, die Antwort in Ihre Schlussbemerkung
inzubeziehen. – Frau Kollegin.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Herr Kollege Jung, darf ich Ihnen den Vorgang noch
inmal kurz erklären, damit das nicht so im Raum stehen
leibt?
s kann nicht angehen, dass nur deshalb, weil ein An-
alt zufällig eine Wahlkreisabgeordnete hat, die über
onate hinweg im Austausch mit dem Auswärtigen
mt noch einmal und noch einmal nachsetzt, etwas er-
eicht wird. Nach dem vierten Anlauf können die Kinder
21014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Marieluise Beck
nun nach vier Jahren zu ihren Eltern, die in Deutschland
anerkannte Flüchtlinge sind, kommen. So darf von den
Visastellen des Auswärtigen Amtes nicht verfahren wer-
den.
Eine Parlamentarierin, die auch die Aufgabe hat, das
Handeln der Regierung zu beobachten, muss in diesem
Haus das Recht haben, solche Missstände zu thematisie-
ren. Ich habe das sehr vorsichtig getan.
Ich habe darauf Bezug genommen, dass die dreimalige
Abweisung unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten
schwerwiegend war und unendlich viel Leid erzeugt hat.
So etwas darf im Auswärtigen Amt in Deutschland nicht
passieren.
– Entschuldigung, vielleicht hätte ich den Satz hinzufü-
gen sollen, wenn Sie ihn hätten hören wollen: Letztlich
ist das Visum erteilt worden.
Ich finde es gut, dass das Visum erteilt worden ist, und
bedanke mich dafür. Es kann aber nicht sein, dass
Flüchtlinge davon abhängig sind, ob sie zufällig Abge-
ordnete im Rücken haben, die in dieser beharrlichen
Form immer wieder gegen die Türen des Auswärtigen
Amts rennen.
Frau Kollegin Beck, da mir ähnliche Vorgänge aus
meiner eigenen Arbeit sehr gut vertraut sind, kann ich
nachempfinden, dass Sie das empört. Ich hätte Sie aller-
dings auch darum gebeten, uns das gute Ende zu berich-
ten,
das nämlich deutlich macht, dass das Auswärtige Amt
gerade auch unter Leitung von Außenminister Steinmeier
solche Fälle zu einem guten Abschluss bringt.
Das gibt mir zum Ende der Debatte zu diesem Tages-
ordnungspunkt Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass es
gerade bei diesen Sachverhalten immer wieder zwischen
den kommunalen Behörden und dem Auswärtigen Amt
– sprich: zwischen Innen- und Außenpolitik – Probleme
gibt. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es hochinte-
ressant, wer in der heutigen Debatte auf der Regierungs-
bank anwesend war.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/10283, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7411 abzu-
lehnen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bean-
tragt, dass über die Ziffern I bis II Nr. 15 einerseits und
über Ziffer II Nr. 16 des Antrags andererseits getrennt
abgestimmt werden soll.
Wir stimmen daher zunächst über die Ziffern I bis II
Nr. 15 des Antrags auf Drucksache 16/7411 ab. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Ziffern I bis II Nr. 15 des Antrags sind damit abge-
lehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktionen der FDP und der Linken.
Wer stimmt für die Ziffer II Nr. 16 des Antrags auf
Drucksache 16/7411? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Ziffer II Nr. 16 des Antrags ist damit abge-
lehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der
FDP. Damit ist auch der Antrag insgesamt abgelehnt.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird
die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8903 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
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d1) Anlage 2
Binder, Ulrich Maurer, Dr. Gesine Lötzsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Verbesserung des Verbraucherschutzes beim
Erwerb von Kapitalanlagen
– Drucksache 16/11185 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten
stärken
– Drucksache 16/11205 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
P 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Christine Scheel, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Schutz der Anlegerinnen und Anleger bei Zer-
tifikaten stärken
– Drucksachen 16/5290, 16/11226, 16/11279 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Ortwin Runde
Dr. Gerhard Schick
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind
amit einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
21016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Karin Binder für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Viele Menschen in Deutsch-
land haben in der aktuellen Finanzmarktkrise ihre Er-
sparnisse bereits verloren, das Geld, das sie für Notlagen
oder für das Alter zurückgelegt hatten. Viele der Betrof-
fenen haben ihr Geld auf Empfehlung geschulter Ver-
käufer zum Beispiel der Citibank, der Dresdner Bank,
der Volksbank oder einer Sparkasse in vermeintlich si-
chere Anlagen gesteckt. Zigtausende wurden so Opfer
der Finanzmarktkrise. Allein durch Lehman-Brothers-
Zertifikate wurden vermutlich zwischen 40 000 und
80 000 Menschen in Deutschland geschädigt. Eine ge-
nauere Zahl ist bisher leider nicht bekannt. Aber offen-
sichtlich waren die Verkäufer keine qualifizierten
Finanzberater oder Finanzberaterinnen, was auch in ei-
ner Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Baden-
Württemberg vom 26. August dieses Jahres deutlich
wird. Ich zitiere:
Viel zu oft werden falsche Produkte empfohlen.
„Die Berater verkaufen nicht das, was zur Situation
des Sparers passt, sondern das, was Provision
bringt.“
Solche Erfahrungen sammeln gerade die Verbraucher-
verbände, der Anlegerschutzverein oder spezialisierte
Rechtsanwälte. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
können Berichte dazu auch auf Internetseiten nachlesen,
die inzwischen von Interessengruppen geschaltet wur-
den.
Betroffen sind vor allem viele ältere Menschen, die
keine Chance haben werden, jemals das verlorene Geld
wieder anzusparen. Ansprüche gegenüber den Finanz-
instituten geltend zu machen, ist eine teure Angelegen-
heit. Hohe Streitwerte ergeben hohe Kosten für Anwälte
und Gerichte. Das Geld dafür müssen die Betroffenen
erst einmal aufbringen, bevor nach langer Prozessdauer
vielleicht irgendwann etwas zurückfließen kann. Des-
halb haben engagierte Menschen eine öffentliche Peti-
tion zu einem Prozesskostensicherungsfonds auf den
Weg gebracht. Auf der Seite des Petitionsausschusses
des Bundestages kann man diese Petition unterstützen.
Es darf einfach nicht sein, dass Herr Minister Steinbrück
als oberster Feuerwehrmann die Sprinkleranlage in Gang
setzt und die Regierung für die Banken Rettungsschirme
aufspannt, damit die Häupter der Manager in den oberen
Etagen der Finanzinstitute nicht nass werden, während
gleichzeitig die Menschen im Keller des Hauses, in der
Hausmeisterwohnung, bereits bis zum Hals im Wasser
stehen. Hier muss dringend etwas geschehen. Deshalb
halte ich die Forderung der Petition für sehr gerechtfer-
tigt.
Ich komme nun zum vorsorgenden Brandschutz – wie
ihn Herr Steinbrück bezeichnet hat –, der dringend gebo-
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Dennoch – da sind wir uns wahrscheinlich fraktions-
übergreifend einig in diesem Haus –: Die aktuelle Finanz-
krise hat auch ganz spezifische verbraucherpolitische
Probleme offengelegt. Ein zentraler Punkt ist die teils
mangelhafte Beratung. Hierüber müssen wir diskutieren,
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Es kommt auf den Kern an, nämlich eine bessere Be-
ratung. Hier befinden wir uns mit den Verbänden in einer
konstruktiven Diskussion. Dabei wird ersichtlich, dass
viele diesen Punkt schon zu ihrem eigenen Maßstab ent-
wickelt haben. Auf der anderen Seite muss das Wissen
über Finanzmärkte und Wirtschaft über das Bildungssys-
tem besser vermittelt werden, damit sich die Beteiligten
auf Augenhöhe begegnen können.
Ich komme zu den Forderungen der Linken zur Ver-
besserung des Einlagensicherungssystems. Sie beschrei-
ben die Probleme sehr schön, aber Sie geben keine Ant-
wort darauf, was Sie sich als Lösung vorstellen. Ihr
Antrag ist eine Zustandsbeschreibung. Aber was Sie
wollen, geben Sie in keiner Weise an. Von daher müssen
wir die Grundlagen sehen, die wir jetzt haben. Auf euro-
päischer Ebene wird eine Änderung der Einlagensiche-
rungsrichtlinie in zwei Stufen vorbereitet, nach der die
Deckungssumme der gesetzlichen Einlagensicherung
demnächst auf 50 000 Euro und 2011 in der Endstufe auf
100 000 Euro festgelegt werden soll. Das ist die gesetzli-
che Einlagensicherung.
Darüber hinaus gibt es in den drei Säulen unseres
Bankensystems jeweils eigene freiwillige Sicherungs-
systeme: Die Deckungssummen bei den Privatbanken
sind an dem Anteil des haftenden Eigenkapitals ausge-
richtet und gehen so über die Summe von 100 000 Euro
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Herr Kollege, ich möchte kurz zum Thema Verbrau-
herschutz und BaFin nachfragen. Es ist heute so, dass
ie Aufgabe Verbraucherschutz von der BaFin etwa in
orm eines Verbrauchertelefons wahrgenommen wird,
ieser aber nicht Teil ihres gesetzlichen Auftrags ist. Da
ie aber sagen, dass die BaFin auch Elemente des Ver-
raucherschutzes gewährleisten soll, frage ich Sie: Sind
ie dann nicht mit mir der Auffassung, dass sie dafür
inen gesetzlichen Auftrag braucht und das nicht nur
reiwillig nebenher machen kann?
Herr Kollege Schick, das kann die BaFin schon über
hre Aufsichtskompetenz. Wenn Sie als Verbraucher be-
timmte Vorgaben haben und bei den Banken Fehlent-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21019
)
)
Leo Dautzenberg
wicklungen beobachten, dann können Sie sich schon
heute mit einer Eingabe an die BaFin wenden. Darüber
hinaus stehen auch in den jeweiligen Bankenarmen Om-
budsleute zur Verfügung, die den Interessen der Verbrau-
cher und damit der Anleger nachgehen.
In Ihrem Antrag stand ganz klar, dass Sie den Ver-
braucherschutz mit zur Hauptaufgabe der BaFin machen
wollen. Das weisen wir im Grunde zurück, weil das
nicht Hauptaufgabe der BaFin sein kann. Hauptaufgabe
der BaFin ist, die Solvenz für den Finanzmarkt zu ge-
währleisten, ergänzt durch die Bundesbank, die für Li-
quiditätskontrolle sorgen muss.
Wenn wir in einem stabilisierten Finanzmarkt für
mündige Bürger auf der einen Seite und ein differenzier-
tes Angebot auf der anderen Seite sorgen, tun wir für den
Verbraucher das Beste. Kollege Schick, das, was in Ih-
rem Antrag zu den Zertifikaten gefordert wird, ist zu-
sätzlich in die Beratungen einbezogen worden. Wir ha-
ben im Finanzausschuss sehr ausführlich darüber
beraten, dass wir mit der bestehenden Gesetzgebung aus
Wertpapierhandelsgesetz, MiFID und weiteren gesetzli-
chen Regelungen für den Finanzmarkt die Grundlage da-
für haben, auch den Bereich der Zertifikate abzudecken,
sodass wir auch da keinen zusätzlichen Handlungsbedarf
sehen.
Insofern werden wir diesen Antrag ablehnen. Darüber
hinaus werden wir aber der Überweisung der beiden an-
deren Anträge in den Finanzausschuss zur weiteren
Fachberatung zustimmen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Michael
Goldmann für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich will zunächst einmal betonen: Ich bin Mit-
glied des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Mein Vorredner ist Mitglied des
Finanzausschusses. Federführend in diesem Bereich ist
auch der Finanzausschuss.
Wir müssen einfach einmal darüber reden – damit
können wir heute beginnen –, ob die Trennung – hier die
Finanzpolitiker, da die Verbraucherschutzpolitiker – ein
kluger Weg ist. Der Kernansatz der heutigen Debatte
sollte sein, dass wir uns aufeinander zubewegen und
dass wir nicht sagen: Bei den Banken ist zwar etwas
Schlimmes passiert, aber eigentlich ist das nur ein be-
dauerlicher Zwischenfall. Wir sollten uns vielmehr die
Frage stellen: Welche Konsequenz hat dieser bedauerli-
che Zwischenfall für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher?
In diesem Zusammenhang taucht immer ein unklarer
Verbraucherbegriff auf. Verbraucher sind auch Mittel-
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ei ihnen gibt es im Moment nur ein Thema: Sie haben
ngst um ihre Alterssicherung.
Herr Dautzenberg, Sie haben in Ihrem Beitrag eine
anze Reihe von Punkten erwähnt, bei denen wir auf-
inander zugehen können. Aber ich warne davor, zu
lauben, dass das Finanzmarktstabilisierungsgesetz aus-
eicht. Wir haben eine Menge für die Banken gemacht.
ir müssen aber auch eine Menge Konkretes in den
anken für die Verbraucher machen.
Herr Dautzenberg, unterstellen Sie mir nicht auf diese
rimitive Weise, dass ich Ihnen nicht zugehört hätte!
uch Finanzpolitiker sollten es sich nicht so einfach ma-
hen. Sie können davon ausgehen, dass ich Ihnen zuge-
ört habe. Sonst würde ich nicht auf Ihren Beitrag rea-
ieren.
Es gibt da einen Versagensstrang, Herr Dautzenberg
Sie kennen ihn auch –: Das Versagen begann in Ame-
ika und wurde von den Ratingagenturen und von den
eutschen Banken mitgemacht. Ich bin Mitglied im Ver-
altungsrat einer Bank. Als ich vor kurzem einmal da-
ach gefragt habe, wie es in Niedersachsen mit der
ord/LB ausschaut, wurde mir gesagt: Alles prima! Als
ch nach dem Kreditwesen fragte, wurde mir gesagt: Al-
es prima! Gleichzeitig wurde mir aber eine Statistik vor-
elegt, aus der hervorgeht, dass ab Juni 2007 diese Pro-
lematiken eindeutig abzusehen waren. Ich habe dann
ie vier Leute im Vorstand dieser Kreissparkasse ge-
ragt: Warum haben Sie uns das eigentlich nicht gesagt?
arum haben Sie die Verbraucher auf die Problemati-
en, die darin stecken, nicht offensiv aufmerksam ge-
acht? Da ist eine Menge Vertrauen in der Beziehung
wischen der Bank und dem Kunden verloren gegangen.
s geht jetzt entscheidend darum, dass dieses Vertrauen
iederhergestellt wird. In diesem Punkt sollten wir uns
irklich einig sein.
Die FDP hat entsprechende Vorschläge gemacht.
azu gehört zum Beispiel ein Vorschlag zur Verbesse-
ung der Finanzaufsicht. Ich glaube, dass Sie vom Bünd-
is 90/Die Grünen da wirklich falsch liegen. Mit der Ba-
in ist das nicht zu machen; diese Aufsicht gehört in die
undesbank.
Wir schlagen eine Art Stiftung Warentest für Finanz-
rodukte vor. Wir machen auch einen emotionalen Vor-
chlag, indem wir sagen: Wir brauchen ein neues System
21020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Hans-Michael Goldmann
der Vorstandsvergütung. Ich bin davon überzeugt, dass
wir wieder zu einer Aussöhnung zwischen Anstand und
Markt kommen müssen.
In diesem Bereich ist die Vorbildfunktion der Bosse der
Banken verloren gegangen. Das müssen wir gemeinsam
zurückgewinnen. Es muss in diesem Bereich Korrektu-
ren geben. Die Branche hat jede Menge Porzellan zer-
schlagen.
Wenn die Zeitschrift Die Wirtschaftswoche schreibt,
dass in vielen Filialen deutscher Banken Zustände wie in
einer Drückerkolonne herrschen, dann ist das nicht ein-
fach dahingeplappert, sondern dann ist da etwas dran.
Wir müssen uns mit dem Wechselspiel zwischen dem
Kunden und demjenigen, der ihm etwas verkauft, be-
schäftigen.
Für mich war es früher ganz einfach. Ich bin zu mei-
ner Aschendorfer Bank gegangen; da saß mein Freund.
Den habe ich gefragt: Was mache ich mit meinem Ange-
sparten? Ich habe ihm vertraut. Aber heute ist in vielen
Bereichen dieser direkte Kommunikationsprozess auf
eine ganz andere Basis gestellt. Auch die Arbeit der
Banken ist auf eine andere Basis gestellt. Das bringt zum
Teil Veränderungen mit sich, die wir nicht einfach hin-
nehmen dürfen. Stattdessen müssen wir Verbesserungen
erkämpfen.
Ich bin ebenfalls hundertprozentig der Meinung, dass
es in erster Linie um Eigenverantwortung, um den sich
um Mündigkeit bemühenden Verbraucher gehen muss.
Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sehr
viele Verbraucher nicht in der Lage sind, bestimmte
Dinge zu durchblicken, weil sie einer anderen Tätigkeit
nachgehen und sich mit diesen Dingen nicht so intensiv
beschäftigen. Deswegen müssen wir die Verbraucherbe-
ratung substanziell verbessern. Das müssen wir deutlich
zum Ausdruck bringen.
In dieser Krisensituation sind Hunderttausende von An-
rufen bei den Banken und Verbraucherzentralen einge-
gangen. Die Verbraucherzentralen waren auf diese He-
rausforderung nicht vorbereitet. Deswegen muss man
hier sehr konkret sagen, dass Verbesserungen notwendig
sind.
Wir müssen auch darüber nachdenken, ob wir die
richtigen Gesetze machen. Das Verbraucherinforma-
tionsgesetz ist in der Form entstanden, weil es einen
Gammelfleischskandal gab. Das war eine Lappalie im
Verhältnis zu dem momentanen Finanzskandal auf dem
Markt.
– Am Gammelfleisch ist keiner – ich sage es in An-
führungsstrichen – „kaputtgegangen“. Aber an dem Ver-
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Ich möchte ein Beispiel nennen, das deutlich macht,
o es im Grunde genommen um den Kampf in der Sa-
he geht. Ich habe hier die Kopie eines ausgefüllten Be-
atungsbogens einer Bank. Auch Sie bekommen ja
chreiben von Menschen, die sich bei den Banken haben
eraten lassen. Die Banken haben von 100-prozentiger
icherheit gesprochen. In diesem Wertpapiersammelord-
er ist die Einstufung des Kunden vermerkt; Sie kennen
as sicherlich.
a steht: konservativ. Dennoch hat der Kunde am Ende
uf ausdrücklichen Wunsch ein hochriskantes Papier ge-
auft. Das hat nichts mit Eigenverantwortung zu tun.
as ist Fehlberatung.
as fällt in die Verantwortung derjenigen, die die bes-
ere Kenntnis haben. Deren Verhalten finde ich unmora-
isch. Die Banken sollten schleunigst selbst dafür sorgen,
ass sie nicht mehr solchen Vorwürfen ausgesetzt sein
üssen. Banken sind die Oberinstitutionen des Vertrau-
ns in unserer Gesellschaft. Deswegen müssen wir mit
uhe und konsequentem Durcharbeiten Lösungen ent-
ickeln.
Ich halte die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und
er Linken für nicht sehr erfolgsorientiert. Aber wir
üssen ganz generell darüber diskutieren und entschei-
en, wie wir hier zu Verbesserungen kommen, und dann
ie entsprechenden Weichen stellen. Parteipolitische
useinandersetzungen finde ich in dem Zusammenhang
berflüssig. Es geht um das Zurückgewinnen von Ver-
rauen in unser Gesamtsystem. Wir sollten die Interessen
er Verbraucher angemessen – nicht überzogen – im
uge haben. Aber wir sollten auch deutlich machen,
ass sich in diesen Bereichen etwas tun muss. Wir haben
azu Vorschläge gemacht, und wir hoffen, dass wir zu
iner gemeinsamen Lösung und guten Ergebnissen kom-
en.
Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Ortwin
unde.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21021
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Goldmann hat völlig zu Recht von Vertrauen ge-
sprochen. Das wiederherzustellen, ist im Interesse der
Verbraucher. Dass das kein einfacher Prozess ist, wissen
die Finanzer so gut wie die Verbraucherschützer. Die
Hohepriester der Finanzindustrie trauen sich gegenseitig
nicht mehr und handeln nicht mehr miteinander. Das ha-
ben wir gespürt. Der Interbankenhandel ist zusammen-
gebrochen.
Wenn es um die Herstellung von Vertrauen geht, muss
man aber auch sagen: Politik darf nicht in die Rolle ge-
drängt werden, die Verantwortung für all das zu über-
nehmen, was andere angerichtet haben.
Das halte ich für einen fundamentalen Fehler. Vielmehr
muss Politik sehen, welche Rolle sie bei der Wiederher-
stellung des Vertrauens zu spielen hat. Dabei halte ich
das, was die Kanzlerin und der Finanzminister zu einer
politischen Garantieerklärung gegenüber den Verbrau-
chern gesagt haben, für einen wichtigen Schritt.
Ich erwarte von den Banken, Sparkassen und Finanz-
instituten aber, dass sie zu den Fehlern, die sie gemacht
haben, stehen und sie korrigieren.
Ich finde es richtig mannhaft, dass Herr Seehofer die
Verantwortung von Vorgängern deutlich benannt und
sich dafür mit entschuldigt hat. Noch mannhafter finde
ich das, was Herr Faltlhauser getan hat. Er hat dort ja
selbst Verantwortung getragen.
Ich sehe es bezogen auf Beratungsfehler als notwen-
dig an, dass die Sparkassen, Banken und Finanzinstitute,
die mit ihren Kunden so umgegangen sind, an die Kun-
den herantreten und sagen: Wir prüfen, ob wir dort Bera-
tungsfehler gemacht haben. – Das halte ich für notwen-
dig und richtig.
In Härtefällen müssen sie den Kunden dann auch ent-
sprechend entgegenkommen.
Ich habe natürlich mit großem Interesse wahrgenom-
men, dass die Linke eine neue Zielgruppe hat, nämlich
die Lehman-Geschädigten. Wenn man daran denkt,
kommt man bei dem gesamten Thema auch zu einer an-
deren Verantwortung und einem anderem Aspekt:
Wir haben uns über die Renditegier der Ackermänner
und anderer beklagt.
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21022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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)
Ortwin Runde
Wenn dann argumentiert wird, das koste aber etwas,
muss ich sagen: Exakt das ist es. Wir müssen die Diffe-
renz zwischen Renditen im Bereich der Finanzwirtschaft
und den Renditen, die es ganz normal gibt, abbauen. Wir
brauchen auch wieder ein neues Verhältnis von Einkom-
men aus Arbeit zu Einnahmen aus Finanzanlagen. Das
sage ich wegen Lehman noch einmal in Richtung der
Linken. Ich halte also diese Regelung beim Einlagen-
sicherungsfonds für etwas sehr Wichtiges, weil dies die
Stabilität der Finanzmärkte erhöht.
Wir müssen jedoch auch prüfen, welche Instrumente
und Produkte geeignet sind, die Stabilität des Gesamt-
systems zu gefährden. Damit bin ich bei den Leerver-
käufen. Diese gehören für mich auf den Prüfstand, auf
europäischer Ebene diskutiert und im besten Falle verbo-
ten.
Wir können ja nicht noch eine Einlagensicherung für
Herrn Merckle wirken lassen, der mit entsprechenden
Spekulationen auf sinkende Kurse der VW-Aktie nicht
nur sein eigenes Vermögen, sondern auch seine Firmen
und somit die an ihnen hängenden Arbeitsplätze gefähr-
det. So weit kann das Ganze nicht gehen.
In diesem Punkt halte ich es für zentral, dass wir die
Aufsichtsmöglichkeiten verbessern. In dieser Krise ha-
ben wir gesehen, dass in Europa in der Aufsicht vieles
noch verbesserungsfähig und -bedürftig ist, auch im In-
teresse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Deswe-
gen spreche ich mich sehr deutlich für eine Stärkung der
Regelwerke, für eine Verstärkung der Regelbeachtung
und für eine Beobachtung durch die BaFin sowie für eu-
ropäische aufsichtsrechtliche Regelungen aus. All dies
ist dringend erforderlich.
Ich wundere mich ein bisschen über die Diskussion
über das Verhältnis zwischen BaFin und Bundesbank.
Dazu haben wir eine sehr dezidierte Auffassung. Es gab
eine Verständigung zwischen Bundesbank und BaFin.
Überall da, wo sie auftreten, erklären sie, sie kooperier-
ten hervorragend. Das sollte man dann auch nicht stören,
wobei man feststellen muss: Alle hoheitlichen Aufgaben
und hoheitliche Funktionen können nur durch die BaFin
wahrgenommen werden. Das Unabhängigkeitsmantra
der Bundesbank hat uns schon vor kurzem bei anderen
Gelegenheiten beschäftigt. Hierzu muss man feststellen:
Der Steuerzahler, der Verbraucher, hat ein Anrecht da-
rauf, dass es politisch Verantwortliche für solche auf-
sichtsrechtlichen Maßnahmen und Regulierungen gibt.
Deswegen lautet hier die deutliche Ansage: An dieser
Stelle ist die BaFin in ihrer Funktionsfähigkeit gefragt.
Darüber, ob es klug ist, der BaFin das Thema Ver-
braucherschutz als weiteren Schwerpunkt zuzuweisen,
muss man intensiv nachdenken. In diesem Zusammen-
hang sind mir Vorschläge, hier eine Art Stiftung Waren-
test zu schaffen, sehr viel näher und lieber. Ich bin der
Meinung, dass wir, bezogen auf den Verbraucherschutz
im engeren Sinne, in einer Reihe von Punkten überein-
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as halte ich für einen wichtigen Punkt, den wir hierbei
inführen müssen.
Wir haben eine Reihe von Anträgen vorliegen. In der
ächsten Zeit werden wir die europäischen Richtlinien
ur Einlagensicherung umzusetzen haben. Wir werden
ns in diesem Zusammenhang auch mit diesen Anträgen
eschäftigen. Ich glaube, wir werden eine konstruktive
iskussion führen und zu guten Ergebnissen auf diesem
eld kommen.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für
ie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Wir haben eine ganze Menge über Vertrauen als
chmierstoff auf den Finanzmärkten und als Vorausset-
ung für das Funktionieren der Finanzmärkte gehört. Ich
eile ausdrücklich die Analyse des Kollegen Goldmann,
ass dieses Vertrauen erschüttert ist. Ich teile auch Ihre
oralische Empörung. Es hätte mich aber interessiert,
elche konkreten Maßnahmen zur strukturellen Verbes-
erung des Verbraucherschutzes auf den Finanzmärkten
ich die FDP traut.
s wäre sehr interessant gewesen, das zu erfahren. Noch
nteressanter wäre es gewesen, wenn das in Antragsform
orliegen würde. Von Ihnen haben wir bisher nämlich
eine besonders aggressiven verbraucherpolitischen Vor-
chläge, die auch einmal gegen die Banken gerichtet
ind, gehört. Das hätte mich sehr interessiert.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben Ihnen Vor-
chläge vorgelegt:
Wir wollen die Rechte der Kundinnen und Kunden
urch das Instrument der Sammelklage stärken. Men-
chen, die falsch beraten wurden, die betrogen wurden,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21023
)
)
Nicole Maisch
sollen bessere Möglichkeiten zur kollektiven Rechts-
durchsetzung haben.
Wir fordern – das ist von den Vertretern der Regie-
rung dankenswerter Weise positiv bewertet worden –
eine Verlängerung der Verjährungsfrist bei Schadener-
satzansprüchen.
Die Lehman-Brothers-Geschädigten hätten von einer
solchen Regelung profitiert.
Für sie ist das jetzt zu spät. Um zukünftige Schadensfälle
vermeiden zu können, ist das aber zentral.
Wir brauchen eine starke Finanzmarktaufsicht. Die
Vorschläge der Grünen hierzu wurden hart kritisiert. Ich
möchte aber noch einmal betonen, dass es für die BaFin
gut wäre, wenn der Verbraucherschutz eine ihrer Kern-
aufgaben, natürlich nicht die alleinige Aufgabe, wäre.
Wir wollen ein sektorspezifisches Instrument einfüh-
ren. Wir nennen es „Watchdog“, die SPD nennt es
„Marktwächter“ – das ist vielleicht besser verständlich –,
damit man sektorspezifisch Verbraucherschutzarbeit auf
den Finanzmärkten in einer progressiveren Weise gestal-
ten kann und damit die BaFin als Regulierungsbehörde
einen Gegenspieler hat, der sie bei deutlichen Missstän-
den auf den Finanzmärkten anrufen und aktivieren kann.
Weiterhin wollen wir ein einheitliches Schutzniveau
für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Dazu gehö-
ren strengere Regeln für den sogenannten grauen Kapi-
talmarkt. Wir sind diesem grauen Kapitalmarkt gegen-
über nicht grundsätzlich negativ eingestellt – wir wissen,
dass zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien
viel darüber finanziert wurde –, aber es kann nicht sein,
dass das Schutzniveau auf diesem Markt so schlecht ist,
wie es im Moment ist. Wir wollen eine Vereinheitli-
chung, damit auch die Menschen, die ihr Geld auf die-
sem Markt anlegen, sich sicher sein können, dass ihr
Geld in guten Händen ist.
Wir wollen die Beratungsqualität insgesamt verbes-
sern. Eine ehrliche Beratung im Sinne der Kundinnen
und Kunden und nicht im Sinne der Provisionsmaximie-
rung ist das A und O bei Finanzgeschäften. Ich muss
doch darauf vertrauen, dass mich mein Sparkassenbera-
ter, mein Bankberater ehrlich berät und nicht so, dass er
die größtmögliche Provision kassiert. Wir Grüne fordern
in diesem Zusammenhang einen Finanzvorsorgecheck
bei einer unabhängigen Beratungsstelle. Das können
zum Beispiel die Verbraucherzentralen sein. Dazu gehört
aber auch, dass man die Finanzierung einer solchen Be-
ratung klärt und sichert. Im Zweifelsfall müssen auch die
Banken ihren Beitrag dazu leisten. Ich freue mich schon
jetzt, wenn der Kollege Goldmann an unserer Seite die-
sen Wunsch gegenüber den Banken äußern wird.
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Mein letzter Punkt ist die Hilfe für Menschen in der
ot. Auch das hat mit den Finanzmärkten zu tun. Wir
lauben, dass das längst überfällige Recht auf ein Giro-
onto für alle endlich realisiert werden muss.
ir wollen – Stichwort Privatinsolvenz – eine Kultur der
weiten Chance; denn die Menschen, die reingefallen
ind, brauchen eine zweite Chance.
Ich finde es gut, dass unsere Anträge jetzt zur Bera-
ung in die Ausschüsse überwiesen werden. Ich erwarte
om Verbraucherausschuss, dass er sich ähnlich wie die
inanzpolitiker mit diesen Themen beschäftigen wird.
ie Bundesregierung kann ich nur auffordern: Sorgen
ie für mehr Sicherheit der Anleger! Dann funktionieren
uch die Finanzmärkte wieder besser.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner für die
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Es gibt genauso wenig die Banken und die
ankberater, wie es die Verbraucherinnen und Verbrau-
her gibt. Nicht alle Bankberater haben ihre Kunden
ber den Tisch gezogen. Es war auch nicht jeder Ver-
raucher ganz frei von dem Wunsch, möglichst noch
ehr Zinsen zu bekommen. Auch beim Hinterherhe-
heln von einem Zehntel mehr Zins zu einem weiteren
ehntel mehr Zins ist sicherlich vieles auf der Strecke
eblieben.
Ich möchte mich heute denjenigen Bürgerinnen und
ürgern zuwenden – ihr Anteil beträgt etwa 80 Prozent –,
ie ihr Geld nicht angelegt haben, um zu zocken, son-
ern die ihr Geld im Rahmen der Altersvorsorge bei ei-
er sicheren Bank anlegen wollten. Ich meine diejeni-
en, denen es ähnlich erging wie zum Beispiel einem
etenten in meinem Wahlkreisbüro, der aufgrund seiner
rühverrentung seine Abfindung bis zum Eintritt in die
ente anlegen wollte und dieses Geld verloren, aber
icht verspielt hat.
Zusammen mit meinen Kollegen aus dem Finanzaus-
chuss war ich, als wir eine Expertenrunde einberufen
aben, etwas erstaunt darüber, dass viele der geladenen
erbandsvertreter unterschiedlicher Sparten uns den
indruck vermittelt haben, es sei alles ganz in Ordnung,
an müsse nur etwas mehr aufklären und dann gehe
chon alles seinen Weg. Dem ist nicht so. Deshalb danke
21024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Julia Klöckner
ich meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanz-
ausschuss sehr. Wir haben uns nämlich zusammen auf
den Weg gemacht und wollen sinnvolle Vorschläge ma-
chen. Deswegen debattieren heute sowohl die Finanz-
wie auch die Verbraucherpolitiker von der CDU/CSU-
Fraktion. Denn beides gehört zusammen: Gute Finanz-
politik ist guter Verbraucherschutz,
aber auch eine gute Wirtschaftspolitik für unseren Stand-
ort in Deutschland.
Über den Hinweis, wir sollten als Verbraucherpoliti-
ker keine Schnellschüsse machen, den ich vom Banken-
verband bekam, war ich etwas erstaunt. Es stimmt:
Schnellschüsse sind immer ein schlechter Ratgeber. Nur,
diesen Hinweis habe ich nicht gehört, als es darum ging,
innerhalb einer Woche einen Bankenrettungsschirm auf-
zuspannen. Es war relativ zackig, was wir da hinbekom-
men haben.
Es war sehr gut und auch notwendig. Dazu höre ich von
der Opposition nichts; denn wir könnten heute nicht über
mögliche Schutzfunktionen für den Verbraucher reden,
wenn wir diesen ersten Schritt nicht gemacht hätten. An-
sonsten wäre alles den Bach hinuntergegangen. Dann
hätte auch die Notwendigkeit von Beratungsprotokollen
überhaupt nicht mehr auf der Tagesordnung gestanden.
Interessant ist natürlich die Betrachtung derjenigen
Zahlen, die zum Ausdruck bringen, wie sich die Geld-
vermögensbildung der privaten Haushalte in den vergan-
genen zehn Jahren in Deutschland entwickelt hat. 1997
hatten noch etwa 41 Prozent der privaten Haushalte ihr
Geld in Geldanlagen bei der Bank. Zehn Jahre später
sind es etwa noch 35 Prozent. Etwa ein Drittel der Anla-
gen sind in Wertpapieren, in Aktien, Anleihen, Invest-
mentfonds und in anderen Beteiligungen, investiert. Das
einmal wahrzunehmen, ist ganz interessant, vor allen
Dingen vor dem Hintergrund, dass trotz dieser breiten
Streuung – es wird ja immer geraten, das Vermögen auf
mehrere Beine zu stellen – die Rendite bzw. die Kapital-
erträge mitnichten gestiegen sind. Im Gegenteil! Bei ei-
ner repräsentativen Umfrage war auffallend – da setzen
wir als Verbraucherpolitiker und Finanzpolitiker an –,
dass die Deutschen nach wie vor konservativ anlegende
Sparer sind, dass das Anlageverhalten eher risikoarm ist.
Es gibt aber einen wachsenden Anteil risikobehafteter
Anlagen und Depots von privaten Haushalten. Dieses
Chancen-Risiko-Raster ist von diesen aber mitnichten so
wahrgenommen oder verstanden worden.
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Ich komme noch einmal auf die Diskrepanz zwischen
em Wunsch nach Sicherheit hier in Deutschland bei
tto Normalverbraucher, dem Durchschnittsanleger und
ichtzocker, und der Risikosteigerung zurück. Relativ
eue Anlageformen sind zum Beispiel die Zertifikate.
ei einem Drittel aller Beratungen spielen diese Zertifi-
ate nach Angaben von Bankberatern eine entschei-
ende Rolle. Ob aber Verbraucher das mit diesen Zertifi-
aten verbundene Risiko wirklich einschätzen können,
st fraglich.
Laut einer Marktstudie des Deutschen Aktieninstitu-
es wird der Kenntnisstand der Kunden über Zertifikate
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21025
)
)
Julia Klöckner
von den Bankberatern durchweg als defizitär einge-
schätzt. 83 Prozent der Bankberater schätzen das Risiko
als sehr hoch ein, aber sie geben an, privaten Anlegern
einen Zertifikateanteil von durchschnittlich 38 Prozent
im Depot empfohlen zu haben. Da geht etwas auseinan-
der.
Das Hauptkriterium der Anlageempfehlung war zu-
dem keinesfalls die Aussicht auf hohe Wertentwicklung.
Etwa 23 Prozent der Bankberater gaben als Kriterium
für die Empfehlung von Zertifikaten eine konservative,
sichere Ausrichtung der Anlage an. 13 Prozent nannten
sogar eine absolute Absicherung gegen Risiko als Krite-
rium für die Empfehlung. Rund die Hälfte aller Bankbe-
rater meinte zudem, die Papiere hätten unter der Berück-
sichtigung des Anlageziels und der Risikostruktur zum
jeweiligen Kunden gepasst. Ich denke, das passt nicht
zusammen.
Diese Beschreibungen passen auch zu den Angaben
der Lehman-Geschädigten. Es gibt jetzt ein Urteil aus
Leipzig. Dort wurde einem Ehepaar recht gegeben, das
sein Geld für die Ausbildung der Tochter absolut sicher
anlegen wollte. Es wurden auch noch im Mai und Juni
dieses Jahres Lehman-Zertifikate angeboten, als schon
klar war oder sich zumindest abzeichnete, dass dort eine
Zahlungsunfähigkeit anstehen würde.
Was sind die Forderungen bzw. die Vorschläge der
CDU/CSU-Fraktion? Diese sind zwischen Finanzpoliti-
kern und Verbraucherschutzpolitikern abgestimmt. Denn
es bringt wenig, hier jetzt Forderungen aufzustellen, die
weder unserem Finanzmarktstandort helfen noch dem
Verbraucher nützen. Es bringt nichts, Protokolle auszu-
händigen, die nicht zu verstehen sind. Deshalb sind wir
dafür, dass Protokolle verständlich abgefasst werden, so-
dass der Verbraucher nachvollziehen kann, was er er-
wirbt, und wir sind dafür, dass innere Logiken geschaf-
fen werden.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Denn es kann nicht sein, dass ein Protokoll ausgehän-
digt wird, auf dem vorne „risikoarm“ steht, aber „risiko-
behaftet“ hinten herauskommt.
Mit den Gelddingen ist es so wie mit der Gesundheit:
Man sollte sich am Anfang beraten lassen, weil man da
noch etwas unbedarft ist. Wir wissen auch, dass Bäume
nicht in den Himmel wachsen. Das hat meine Oma im-
mer gesagt. Deshalb sollten wir Maß halten, auch bei
den Zinsen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen.
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Sie haben bei der MiFID-Umsetzung erklärt, Sie
eien bereit, sich das anzuschauen. Es gab aber keinen
inzigen Vorschlag, der darauf abzielte, diesen Markt zu
erändern. Ich finde es gut, dass wir uns heute im Ple-
um diesen Aspekt genauer anschauen; denn es gibt
wei Finanzmarktkrisen. Es gibt die große Finanzmarkt-
rise, über die in den Schlagzeilen berichtet wird, bei der
s um Milliardenabschreibungen geht, und es gibt die
äglich andauernde Finanzmarktkrise, bei der Anlegerin-
en und Anleger in Deutschland schlecht beraten und
ber den Tisch gezogen werden. Sie werden provisions-
rientiert beraten; denn der Markt setzt die falschen Ak-
ente.
Wir müssen uns in diesem Parlament mehr mit der an-
auernden kleinen Finanzmarktkrise der Anlegerinnen
nd Anleger beschäftigen. Heute ist ein Anlass dazu ge-
eben. Ich hoffe, dass es nicht nur bei Ankündigungen
nd Prüfaufträgen bleibt, sondern dass endlich etwas bei
en Beratungen herauskommt.
Wir haben im Ausschuss über die Zertifikate disku-
iert. Herr Runde pflegt eine gute antikapitalistische
rundhaltung. Er schimpft aber dann auf die Kleinkapi-
alisten. Das sind die Sparerinnen und Sparer, das sind
hre Wählerinnen und Wähler, das sind die kleinen Leute,
ie Sie meinen zu vertreten. Das von Ihnen geführte Fi-
anzministerium tut für diese Menschen im Zweifelsfall
ar nichts. Ich möchte, dass die SPD-Fraktion nicht nur
roße Ankündigungen macht, sondern wirklich etwas un-
ernimmt. Jetzt haben Sie Zeit dazu, etwas zu tun. Ich for-
ere Sie auf, konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Dazu
abe ich von Ihnen heute nicht viel gehört.
21026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Dr. Gerhard Schick
Der Zertifikatemarkt, der in den vergangenen Jahren
stark gewachsen ist, ist ein ganz besonderes Beispiel.
Daran sieht man wieder, dass es wichtig wäre, dass die
BaFin etwas unternimmt. Herr Dautzenberg, da habe ich
jetzt die Gelegenheit, auf Ihren Beitrag einzugehen. Es
wäre wichtig, die entsprechenden Grundlagen zu schaf-
fen, damit die BaFin die Prospekte auch inhaltlich prüft.
All diese Punkte sind in unserem Antrag enthalten. Ich
meine, es gibt die Spitze des Eisbergs; das sind die
Leute, die konkret durch die Pleite etwa von Lehman
Brothers geschädigt worden sind. Darüber hinaus müs-
sen wir uns aber auch mit den laufenden Verlusten der
Leute beschäftigen, die schlecht beraten worden sind
und zu denen die Zertifikate, die ihnen aufgedrückt wor-
den sind, nicht gepasst haben.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit bereits eine
halbe Minute überschritten.
Ich hoffe, dass das nächstes Mal gelingt. Sie werden
unseren Antrag heute ablehnen, aber die Verantwortung,
etwas in diesem Bereich zu unternehmen, werden Sie
nicht los.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Marianne Schieder, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Herr Dr. Schick, ich möchte zunächst
einmal feststellen, dass die Bundesregierung auf die Fi-
nanzmarktkrise nicht nur schnell und effizient reagiert
hat, sondern mit den getroffenen Maßnahmen gerade im
Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher bereits
Wesentliches auf den Weg gebracht hat.
Ich meine, dass die Garantieerklärung zugunsten der
Sparerinnen und Sparer zum richtigen Zeitpunkt abgege-
ben worden ist. Damit wurden nicht nur Panikreaktionen
verhindert, sondern damit wurde auch neues Vertrauen
aufgebaut. Nun steht für alle Inhaberinnen und Inhaber
von Spar- und Girokonten, von Sparbriefen und von Ta-
ges- und Festgeldanlagen bei Banken mit Sitz in
Deutschland fest, dass ihnen kein Euro verloren geht.
Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und die Finanz-
marktstabilisierungsfonds-Verordnung, liebe Frau Binder,
dienen eben nicht nur den Banken, sondern gerade auch
den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Sie wissen doch, dass damit im Interesse aller nicht nur
die Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes stabilisiert
wurde, sondern auch der Wirtschaftskreislauf aufrecht-
erhalten und Arbeitsplätze gesichert werden konnten.
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Intensiv geprüft wird auch, ob die Beweislast, dass
ber die Risiken einer Kapitalanlage ordentlich und rich-
ig aufgeklärt wurde, im Sinne einer Beweislastumkehr
uf den Anlageberater verlagert werden kann. Auch dies
ird seitens der SPD-Verbraucherpolitikerinnen und
Verbraucherpolitiker nachhaltig unterstützt.
Es geht uns um eine wesentliche Verbesserung der In-
ormations- und Dokumentationspflichten von Banken
nd Beratern. Diese sollen ihre Kunden deutlich darauf
inweisen müssen, wenn bestimmte Produkte nicht ih-
em Risikoprofil entsprechen. Sie sollen begründen und
okumentieren müssen, weshalb eine bestimmte Anla-
eempfehlung ausgesprochen wurde. Treffen die Kun-
en Entscheidungen entgegen dem Rat des Beraters,
uss auch darauf deutlich hingewiesen werden, zum
eispiel in Form einer gesonderten Unterschrift; es
eicht nicht aus, lediglich ein Häkchen hinter einem
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21027
)
)
Marianne Schieder
Kästchen zu machen, in dem „besonderer Kunden-
wunsch“ steht. Die Informationen müssen verständlich
und vergleichbar formuliert werden, sind vom Kunden
zu unterschreiben und müssen ihm auch ausgehändigt
werden.
Wir wollen die Regelung treffen, dass alle Finanzver-
mittler zukünftig einen Mindeststandard an Befähi-
gungsnachweisen erbringen und eine Berufshaftpflicht-
versicherung nachweisen müssen. Es wird intensiv
geprüft, wie die Verbraucherberatung und die Arbeit der
Verbraucherzentralen gestärkt werden können. Denn es
ist natürlich klar, dass gut informierte und gut beratene
Verbraucherinnen und Verbraucher sicherlich besser da-
vor geschützt sind, riskante Anlagen zu tätigen oder
überteuerte Kreditverträge zu unterschreiben, und dass
gut beratene Verbraucherinnen und Verbraucher auch
ihre Rechte besser geltend machen können.
Uns gefällt der Vorschlag der Verbraucherzentrale
Bundesverband gut, einen Finanzmarktwächter einzu-
setzen, weil mit einem solchen Instrumentarium der Fi-
nanzmarkt sicherlich gut in den Blick genommen wer-
den kann und dort auftauchende Produkte kritisch
beleuchtet werden können. So kann rechtzeitig auf pro-
blematische Entwicklungen hingewiesen werden.
Wir brauchen gerade in diesem Bereich nicht nur gute
Vorschläge, sondern auch realistische Finanzierungskon-
zepte; denn ohne zusätzliche Mittel wird die Verbrau-
cherberatung diesen zusätzlichen Aufgaben nicht ge-
recht werden können. Die Länder sind einmal mehr
gefordert, die nötigen Finanzmittel zur Verfügung zu
stellen, damit Schuldnerberatungsstellen ihre Dienste
zeitnah und flächendeckend anbieten können. Es bedarf
auch einer Stärkung der Allgemeinbildung in Sachen
Finanzen – so möchte ich es einmal zusammenfassen –,
insbesondere an den Schulen und in der Erwachsenenbil-
dung.
Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen und von der Linken: All das, was an Sinn-
vollem in Ihren Anträgen steht, ist entweder bereits auf
den Weg gebracht
oder wird intensiv geprüft, und das wissen Sie auch;
denn wir haben darüber im Verbraucherschutzausschuss
schon ausführlich diskutiert.
Wir haben dort bereits am 12. November eine Anhörung
dazu beschlossen.
Wegen der Komplexität der Materie und der nicht un-
erheblichen finanziellen Folgen, die bei den meisten
Vorschlägen zu berücksichtigen sind, gilt für uns in die-
sem Bereich der Grundsatz: Gründlichkeit vor Eile.
Schnellschüsse, Populismus und Aktionismus werden
uns da nicht weiterhelfen.
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Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Wohngeldgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/11229, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung – das sind die Drucksachen 16/10812 und
16/10999 – in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung ebenfalls mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Uschi Eid, Nicole Maisch, Rainder
Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Internationales Jahr für sanitäre Grundver-
sorgung 2008 der Vereinten Nationen – Chan-
cen und Potentiale der Sanitärversorgung
– Drucksachen 16/9387, 16/10922 –
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck , Volker
Beck , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sanitäre Grundversorgung international ver-
bessern
– Drucksache 16/11204 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/Die Grünen.
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z1) Anlage 3
Viertens. Sanitärversorgung schützt wichtige Trink-
asserressourcen. In Entwicklungsländern werden 90 Pro-
ent der Abwässer ungeklärt in den Boden, in Flüsse und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21029
)
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Dr. Uschi Eid
ins Meer geleitet. Dass dadurch Trinkwasserquellen und
das Grundwasser verschmutzt werden und die nachhal-
tige Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser gefährdet
ist, bedeutet schlichtweg den schleichenden Tod für
Menschen und Natur.
Es wird oft übersehen, dass Sanitärversorgung wirt-
schaftliche Vorteile bringt. Alle Finanzminister in den
Entwicklungsländern müssen hiervon überzeugt werden.
Denn jeder in die Wasser- und Sanitärversorgung inves-
tierte Dollar erbringt nach Angaben der Weltgesund-
heitsorganisation und von UNICEF einen im Durch-
schnitt achtfachen volkswirtschaftlichen Gewinn. Von
einer solchen Rendite können Unternehmen nur träu-
men.
Umso wichtiger ist es, das Thema international voran-
zutreiben. Deutschland fällt eine besondere Verantwor-
tung zu. Denn schließlich war die damalige rot-grüne
Bundesregierung als Gastgeber und Initiator der Interna-
tionalen Süßwasserkonferenz in Bonn 2001 eine trei-
bende Kraft dafür, dass das Millenniumsentwicklungs-
ziel zur Sanitärversorgung auf dem Weltgipfel für
Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 nach-
träglich in den Katalog der Millenniumsentwicklungs-
ziele aufgenommen wurde.
Auch die jetzige Bundesregierung hat in ihrer Ant-
wort auf die Große Anfrage meiner Fraktion die Trink-
wasser- und Sanitärversorgung als wichtigen Faktor für
die Armutsbekämpfung anerkannt und die Hauptursa-
chen für die Vernachlässigung des Sanitärbereiches rich-
tig identifiziert. Dabei ist die Tabuisierung des Themas
ein ganz wichtiger Punkt. Jedoch hat die Bundesregie-
rung selbst zu wenig getan, um diesen Ursachen zu be-
gegnen. Mit dem von uns eingebrachten Antrag fordern
wir die Bundesregierung auf, ihren Kurs zu korrigieren
und der sanitären Grundversorgung einen neuen Impuls
in ihrer internationalen Politik zu geben.
Ich gebe das Wort der Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auf Cocktailpartys redet jeder über Aids. Aber kei-
ner will etwas über Durchfallerkrankungen hören.
Dies, liebe Freunde, ist ein Zitat von John Oldfield,
Vizepräsident der US-Kampagne „water advocates“.
Worüber reden wir hier? Wir reden tatsächlich über ein
Tabuthema. Deshalb ist es wunderbar, dass wir das tun,
was, glaube ich, zwingend notwendig ist, nämlich Öf-
fentlichkeit herstellen. Uns ist es gelungen, das Thema
Aids gesellschaftsfähig zu machen, weil wir es in die Öf-
fentlichkeit gebracht haben, weil wir uns trauen, es hier
im Parlament zu diskutieren. Deshalb, glaube ich, ist es
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Nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit an
ich hat das Thema „sanitäre Grundversorgung“ nicht
nbedingt die erste Priorität. Die NGOs kümmern sich
elativ wenig darum. In Regierungsverhandlungen pas-
iert insoweit eigentlich eher nichts. Auch unsere Durch-
ührungsorganisationen sehen in der sanitären Grundver-
orgung nicht die erste Priorität.
Deshalb wiederhole ich: Was wir hier tun, ist uner-
ässlich. Wir stellen Öffentlichkeit her. Das heißt, wir
ecken auch Interesse.
Über eines, liebe Freunde, müssen wir ab und zu
achdenken. Baden, Duschen, Händewaschen, Zähne-
utzen, das ist für uns etwas völlig Normales und Selbst-
erständliches; es ist jederzeit möglich. Es ist für uns
icht nachvollziehbar, dass das nicht auf der ganzen
elt der Fall ist. Es gibt 1,1 Milliarden Menschen ohne
asserversorgung. 2,5 Milliarden Menschen sind ohne
anitäre Grundversorgung, davon sind im Übrigen min-
estens 1,5 Milliarden Kinder. Was machen diese Men-
chen? Uschi Eid hat es eben schon gesagt: offene Latri-
en, Eimer oder einfach gar nichts.
Stellen Sie sich einmal das Zusammenleben in den
lums der Megacitys ohne Wasserversorgung, ohne sa-
itäre Grundversorgung vor. Das ist eine Katastrophe für
lle Beteiligten.
Eigentlich sollten wir doch wissen, worüber wir re-
en; denn auch bei uns waren Typhus und Cholera an der
agesordnung, solange wir keine Kanalisation hatten.
ls wir geboren wurden, gab es bei uns eine Kanali-
ation. Aber das war viele Jahrhunderte lang nicht so.
yphus und Cholera waren an der Tagesordnung. Die
ebenserwartung der Menschen ist, seitdem es eine Ka-
alisation bei uns gibt, um 30 Jahre gestiegen. Davon
ehen mindestens 25 Jahre auf die vorhandene sanitäre
rundversorgung zurück.
Es geht hier um das Thema Prävention. Prävention ist
igentlich genau unser entwicklungspolitischer Ansatz:
ir müssen handeln, bevor irgendetwas passiert.
Baden, Duschen, Händewaschen und Zähneputzen zu
eder Zeit, wann immer man will – ich finde, das ist kein
uxus; vielmehr ist das die Grundvoraussetzung für ein
esundes, lebenswertes Leben.
Es geht auch um Armutsbekämpfung. Nicht umsonst
st dieses Thema, die Halbierung der Armut, auch Ge-
enstand der MDGs.
21030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
)
)
Sibylle Pfeiffer
Es geht ferner darum, die Kindersterblichkeit zu ver-
ringern, und es geht um die Müttergesundheit. Liebe
Kolleginnen, ich war im Fistola-Krankenhaus in Äthio-
pien. Glücklich sind die Frauen, die in diesem Fis-
tola-Krankenhaus behandelt und operiert werden kön-
nen. Aber wehe denen, die diese Möglichkeit nicht
haben. Welch Elend ist es für eine Frau, wenn es keine
Grundversorgung im sanitären Bereich für sie gibt. Das
ist fürchterlich für sie. Auch das, denke ich, sollte uns
daran erinnern, wie wichtig es für die Menschen ist, über
bestimmte Voraussetzungen zu verfügen, um mit ihren
Krankheiten umzugehen.
Deutschland engagiert sich. Wir haben gemeinsam
die Initiative zur Ausrufung des Jahres 2008 zum Inter-
nationalen Jahr der sanitären Grundversorgung unter-
stützt. Auch für unsere Fraktion ist das eine wichtige
Forderung. Die Bundesregierung erfüllt bereits einen
Großteil der im Antrag enthaltenen Forderungen. Circa
350 Millionen Euro werden jedes Jahr vom BMZ für
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zur Verfü-
gung gestellt. Wir müssen in Zukunft darauf achten
– vielleicht ist das eine wichtige Voraussetzung für künf-
tige Verhandlungen –, dass parallel zu Trinkwasserpro-
jekten Abwasserprojekte realisiert werden.
Genauso wie in allen anderen Bereichen der Entwick-
lungspolitik können wir das alles nicht ohne unsere Part-
ner machen. Wir reden ständig von den Prioritäten – was
hat erste, zweite und dritte Priorität? – in der Entwick-
lungspolitik. Wir selber wissen aber manchmal nicht,
was Priorität hat. Es ist auf jeden Fall unsere Aufgabe,
gemeinsam mit unseren Partnern über dieses Thema zu
diskutieren und sie darauf aufmerksam zu machen, dass
wir uns hier im Bereich der Prävention und zum Glück
nicht unbedingt im Bereich der Therapie befinden.
Ich möchte mit einem Zitat schließen: „Welcher Poli-
tiker lässt sich schon bei der Einweihung einer Latrine
von der Presse begleiten?“ Alle dürfen raten, von wem
dieses Zitat stammt. – Dieses Zitat stammt von unserer
lieben Kollegin Uschi Eid. Das gilt nicht nur für die
Politiker in den Entwicklungsländern, sondern auch
– man möge mir das verzeihen – für uns. Ich gebe zu:
Eine Schule oder ein Kindergarten für Aidswaisen ist
mir hundertmal lieber als irgendeine Latrine. Trotzdem
ist die sanitäre Grundversorgung ein wichtiges Thema.
Wir sollten uns dessen annehmen.
Ich bin mir nicht sicher, wie wir mit dem vorliegen-
den Antrag weiter verfahren sollen.
Ich bin aber durchaus bereit, in konstruktive Diskussio-
nen einzutreten, um es vorsichtig zu formulieren.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir fällt gerade ein, dass auch ich schon einmal eine
oilettenanlage in Indien eingeweiht habe, und zwar mit
resse, aber ohne praktischen Gebrauch. Ich habe ledig-
ich ein Band durchschnitten. Damals haben wir darüber
ewitzelt. In der Tat ist dieses Thema weitestgehend ta-
uisiert. Deshalb sage ich ganz offen: Wir sind den Grü-
en und insbesondere Ihnen, Frau Dr. Eid, sehr dankbar,
ass sie das Thema aufgegriffen haben.
Dieses Thema ist uns in Deutschland nicht mehr so
ehr im Bewusstsein. Ich erinnere mich an Freiburg, wo
ch studiert habe. Dort gibt es Bächle, kleine Kanäle,
urch die früher das Abwasser entsorgt wurde. Heute
ind sie eine Touristenattraktion, weil durch sie klares
asser fließt. Aber solche Bedingungen haben wir auch
ei uns teilweise erst seit wenigen Jahrzehnten. Wir ha-
en uns so sehr an eine funktionierende Sanitärversor-
ung gewöhnt, dass wir die Probleme in anderen Län-
ern aus den Augen verloren haben.
Dabei betrifft dieses Problem ein Drittel der Mensch-
eit. Laut WHO sind es nicht 2,5 Milliarden Menschen,
ie es im Antrag der Grünen steht, sondern 2,6 Milliar-
en. Natürlich kann man sagen, dass diese Zahl fast ge-
auso hoch ist. Aber das ist ein Unterschied von
00 Millionen Einzelschicksalen. Das ist die Dimension,
m die es hier geht.
Ich will die richtigen Begründungen sowohl von Frau
r. Eid als auch der Kollegin Pfeiffer nicht wiederholen.
s ist völlig klar: Wir brauchen dringend eine Aufklä-
ungskampagne, damit ein entsprechendes Bewusstsein
or Ort überhaupt erst geschaffen wird. Ein Problem in
nserer Entwicklungszusammenarbeit ist, dass wir das,
as wir vor Ort tun wollen, im Wesentlichen auf der Ba-
is von Regierungsverhandlungen sowie Forderungen
nd Vorstellungen unserer Partner entwickeln. Die Part-
er vor Ort entwickeln leider nur sehr selten eine Fanta-
ie dafür, wie die Mehrheit der Menschen in diesen Län-
ern tatsächlich lebt. Die Führungscrew in diesen
ändern ist oftmals ein bisschen abgehoben und über-
ieht die wirklichen und ernsthaften Probleme.
Dieses Thema berührt uns selbst; denn die Krankhei-
en, die in diesen Ländern immer wieder ausbrechen
das wurde eben schon gesagt –, kommen zu uns zu-
ück. Viele weltweite Seuchen, die uns unmittelbar be-
rohen – sei es im Urlaub oder sei es dadurch, dass Be-
ucher oder Touristen zu uns kommen –, haben ihre
rsachen in den genannten Problemen. Deshalb ist, wie
esagt, dort eine Aufklärungskampagne notwendig.
Aber auch wir müssen sehen, dass wir bei der Imple-
entierung unserer eigenen Entwicklungsprojekte da-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21031
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Hellmut Königshaus
rauf Rücksicht nehmen. Ich erinnere an das Projekt in
Herat, Afghanistan. Dort haben wir sehr viel für die
Wasserversorgung getan. Man hat die Brunnengalerien
aus der Stadt herausgelegt, weil das sonst in der Innen-
stadt zu ungünstigen Verhältnissen geführt hätte. Außer-
halb der Stadt sind aber jetzt Hunderttausende von
Flüchtlingen, die sich in Zelten und in Bruchbuden ohne
Sanitärversorgung über den Brunnengalerien niederge-
lassen haben. Jetzt haben wir genau das Problem, das wir
mit unserem Projekt vermeiden wollten. Die Anlagen
müssen jetzt mit hohem finanziellen Aufwand verlegt
werden. Wir müssen also auch dort Fantasie entwickeln.
Wir müssen uns eines immer wieder vor Augen führen,
wenn wir irgendwo, wie in Herat, solche Brunnen bauen:
Wir müssen den örtlich Verantwortlichen klarmachen,
dass diese Brunnen freigehalten werden müssen, weil
sonst nur die eigenen Fäkalien wieder hochgepumpt und
die Probleme produziert werden, die eigentlich vermie-
den werden sollen.
Dass Wasserversorgung auch etwas mit Hygiene zu
tun hat, ist vollkommen klar. Deshalb sind alle Akteure
gefragt. Ich sagte, dass die Probleme der Entwicklungs-
länder und der sich entwickelnden Länder aus unserem
Bewusstsein geschwunden sind. Aber auch wir in
Deutschland übersehen manchmal, was an unseren
Schulen los ist. Wer in Berlin eine Schultoilette besucht,
wird manchmal an Verhältnisse erinnert, die er an ande-
ren Orten gesehen hat, und wird kaum glauben, dass
diese Toilette hier bei uns steht.
Wir sollten das also von allen Seiten betrachten.
Ich will noch ein Beispiel herausgreifen, an dem sich
zeigt, dass wir massiv tätig werden müssen und dass
auch das BMZ, Frau Staatssekretärin, gefordert ist. Sim-
babwe hat viele Probleme; das wissen wir. Es gibt aber
ein ganz konkretes Problem: Anstatt die zur Wasserauf-
bereitung erforderlichen Chemikalien, nämlich Alumi-
niumsulfat – das hat mir der Kollege Addicks gesagt –,
zu kaufen, was Devisen erfordert, hat man die Wasser-
versorgung eingestellt. Die logische Konsequenz waren
all die Probleme, die hier geschildert worden sind. Die
simbabwische Regierung verteilt jetzt als Gabe an die
„dankbare“ Bevölkerung kostenlos Särge. So darf dieses
Problem nicht gelöst werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin
Gabriele Groneberg.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! In der Tat, Herr Königshaus, ist
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– Okay, es ist nicht prioritär.
Im Rahmen meiner Beschäftigung mit diesem Thema
habe ich mir erst einmal angeschaut, was wir in diesem
Bereich machen. Es ist natürlich eine gute Idee, eine
Verbindung zwischen Trinkwasserversorgung und sani-
tärer Ver- bzw. Entsorgung herzustellen. Ich wiederhole:
Uschi Eid gebührt Dank dafür, dass sie sich in diesem
Bereich seit Jahren massiv engagiert.
Unsere Konzepte im Bereich der sanitären Grundver-
sorgung überschneiden sich mittlerweile mit Konzepten
im Bereich der erneuerbaren Energien. Die Konzepte in
beiden Bereichen müssen nachhaltig, ressourcenscho-
nend und zielgruppenorientiert ausgerichtet sein, um ei-
nen dauerhaften Nutzen erzielen zu können. Wichtig ist
vor allen Dingen ihre dezentrale Einsetzbarkeit, die wir
hier immer wieder im Hinblick auf die ländliche Ent-
wicklung fordern.
Es gibt weitere Punkte, an denen sich diese beiden
Bereiche berühren: Man kann Fäkalien, etwa Urin, nicht
nur als Abfall, sondern auch als Biomasse zum Betrei-
ben von Biogasanlagen ansehen.
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a setzt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in
orbildlicher Art und Weise an: Wir setzen auf ökolo-
isch nachhaltige Kreislaufsysteme.
em wird auch mit dem Sektorkonzept „ecosan“ Rech-
ung getragen.
Richtig: vorbildlich, weltweit. – Das ist einfach ein
ennzeichen einer neuen Ausrichtung der sanitären
rundversorgung, die man in den Entwicklungsländern
bernehmen sollte.
Der Ansatz, den wir dort verfolgen, berücksichtigt die
okalen Gegebenheiten und trägt dazu bei, die Sanitär-
ysteme bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Der
ereich Biomasse wird einen großen Teil des künftigen
onzepts ausmachen; denn die Versorgung mit Energie
st heute wichtiger denn je. Viele Projekte sehen mittler-
eile die Nutzung von Gas aus der Klärgrube zum Hei-
en oder Kochen vor.
Wir haben gerade über Entwicklungsorganisationen
eredet. Ein gutes Beispiel ist BORDA in Bremen. Diese
rganisation leistet eine hervorragende Arbeit; ich habe
ir das bei verschiedenen Gelegenheiten anschauen
önnen. Was BORDA erreicht, sollten wir im Hinter-
opf behalten.
Ich halte fest: Kreislaufsysteme erscheinen als eine
erfekte Möglichkeit, die Lösung zweier Probleme zu
erbinden.
Wir müssen uns trotzdem kritisch fragen, ob unsere
ösungsansätze im Sanitärbereich für unsere Partner in
er Entwicklungszusammenarbeit richtig sind, ob wir die
ultur und die Eigenarten der Länder und der Bewohner
irklich ausreichend berücksichtigen. Viele Konzepte
ind in der Vergangenheit genau daran gescheitert. An-
ere Länder – andere Standards, kann ich da nur sagen.
nsere Konzepte sind offensichtlich nicht so einfach auf
ndere Länder zu übertragen. Es fehlt an Infrastruktur
nd an Wissen zum Betrieb und zur Abrechnung sowie
ieles andere.
Wenn wir leitungs- und nicht leitungsgebundene Was-
erversorgungs- und Basissanitärsysteme ausbauen und
rneuern, ist es auch wichtig, beim Aufbau von Verwal-
ungsstrukturen mitzuhelfen,
artungs- und Reparatursysteme einzuführen, die Men-
chen vor Ort einzubinden und ihnen zu sagen, warum
ir das machen und warum das wichtig ist, damit sie das
nnehmen. Was nutzt eine tolle Sanitäranlage in ir-
endeinem Slum, die von den Menschen nicht benutzt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21033
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)
Gabriele Groneberg
wird, weil sie nicht wissen, wie sie damit umzugehen ha-
ben? Darum ist die Aufklärung und die Bewusstseinsbil-
dung der Bevölkerung ein ganz wichtiger Punkt.
Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, dass Sie mir mit Ihrer Großen Anfrage an
die Bundesregierung Gelegenheit gegeben haben, aufzu-
zeigen, welchen Stellenwert mittlerweile für uns die
Trinkwasser- und Sanitärversorgung gerade im Zusam-
menhang mit der Armutsbekämpfung hat. Ich muss al-
lerdings auch sagen: Dass Sie nach Vorlage der Antwor-
ten in Ihrem Antrag schreiben, die Bundesregierung
habe zu wenige Maßnahmen zur Beseitigung der Ursa-
chen ergriffen, ist nicht wirklich überzeugend.
Wir sind dabei. Die Umsetzung – das wissen Sie sel-
ber – dauert selbst bei Vorlage eines Konzepts ein paar
Jahre, bis man die Mittel vor Ort in Projekte einbinden
kann. Wir werden natürlich die Zeit haben, uns bei der
Beratung des Antrages im Ausschuss noch darüber zu
verständigen, wie wir damit umgehen. Ich würde es
wirklich begrüßen, wenn wir hier fraktionsübergreifend
zu einer Einigung kommen könnten und wenn wir hier
öfter darüber reden könnten, gerade auch zu einer guten
Zeit wie heute Mittag. Ich glaube, unsere Bevölkerung
ist in vielen Fällen nicht unbedingt informiert, weil die
sanitäre Grundversorgung in der Tat ein Tabuthema ist.
Insofern ist es schön, dass wir darüber geredet haben,
aber wir sollten nicht nur darüber reden, sondern auch
eine Menge tun.
Insofern danke ich für Ihr Interesse.
Das Wort hat der Kollege Hüseyin Aydin, Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sim-
babwe ruft den Notstand aus, Tausende Menschen seien
bereits an Cholera gestorben, mehr als 12 000 Menschen
seien infiziert. Der Grund: kein sauberes Wasser.
Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht. Welt-
weit steht genügend Wasser zur Verfügung. Ob es jedoch
sauber und trinkbar ist und wie es verteilt wird, hat mit
dem sozialen Gefälle in der Gesellschaft zu tun, aber
auch mit dem Handeln der Regierungen. Das Recht auf
Wasser ist unteilbar mit dem Recht auf sanitäre Grund-
versorgung verbunden. Was würden wir tun, wenn wir
erst einmal eine halbe Stunde aus dem Dorf herauslaufen
müssten, um uns hinter irgendeinen Busch zu hocken?
Im subsaharischen Afrika sind es zwei von drei Men-
schen, die unter solch menschenunwürdigen Bedingun-
gen leben.
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21034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11204 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bessere Vereinbarkeit von Familie und Dienst
in der Bundeswehr
– Drucksachen 16/8241, 16/10376 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Ina Lenke, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2005 ist
das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz in
Kraft getreten mit der Forderung nach familiengerechten
Arbeitszeiten und Rahmenbedingungen und natürlich
mit dem Benachteiligungsverbot bei Teilzeitbeschäfti-
gung. Das muss seit dieser Zeit von der Bundeswehr um-
gesetzt werden.
2001 hat Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichts-
hof das Recht erstritten, die erste Soldatin der Bundes-
wehr zu sein. Schon damals hätte sich die rot-grüne Bun-
desregierung auf den Weg machen können, Soldatinnen
mit attraktiven Angeboten anzuwerben. Das war aber
von der damaligen Bundesregierung nicht gewollt. Alle
Anträge der FDP-Bundestagsfraktion auf Öffnung der
Bundeswehr für Frauen wurden abgelehnt.
Nun haben wir sie seit Jahren, die qualifizierten
Frauen in der Bundeswehr. Doch die Bundeswehr hat bis
heute nicht die notwendigen Rahmenbedingungen zur
Vereinbarkeit von Familie und Dienst umgesetzt. Das
kritisieren wir Liberale. Mit erheblicher zeitlicher Verzö-
gerung hat erst im Mai 2007 der Generalinspekteur der
Bundeswehr, Schneiderhan, eine Teilkonzeption Verein-
barkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften erlas-
sen. Um es gleich vorwegzusagen: Die Teilkonzeption
ist bis jetzt nicht in die Praxis umgesetzt worden. Kein
Wunder! Denn in ihr ist zu lesen: Es wird „angestrebt“,
„Hilfe zur Selbsthilfe“, es wird „entwickelt“, „geplant“.
Es wird also geprüft, geprüft und nochmals geprüft. So
sieht es aus. Für Pilotprojekte muss sogar das Geld aus
dem Topf für Familienmaßnahmen genommen werden.
Das heißt, bestehende Maßnahmen für Familien werden
dafür gekürzt.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Frau Lenke, Sie haben ja gerade hier so engagiert vor-
etragen. Ich darf Ihnen eine Zahl nennen: Heute sind
ereits 800 Soldaten – männliche Soldaten – in der El-
ernzeit.
as ist eine Situation, die wir uns vor einigen Jahren
aum vorstellen konnten. Dadurch zeigt sich, dass dort
angsam, aber sicher ein Bewusstseinswechsel eintritt.
ür uns im Ministerium ist es ganz wichtig, die Verein-
arkeit von Familie und Beruf herzustellen. Sie hat gera-
ezu eine strategische Bedeutung. Ich will Ihnen gerne
agen, was wir in diesem Bereich tun.
Natürlich ist es nicht immer ganz leicht, das, was zur
ereinbarkeit von Familie und Dienst beiträgt, mit den
ienstlichen Anforderungen in Übereinstimmung zu
ringen. Hier liegt auch die Schwierigkeit, auf die Sie,
laube ich, mit keinem einzigen Wort eingegangen sind.
atürlich sehen auch wir, dass wir durch den Arbeits-
arkt gezwungen werden, viel mehr als in der Vergan-
enheit zu tun, und ich hätte mir gewünscht, dass wir
rüher damit angefangen hätten; auch das ist richtig.
ber für uns gibt es keine Alternative zur Vereinbarkeit
on Familie und Dienst.
21036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
Wir müssen allerdings darauf achten – das will ich
wiederholen –, dass wir den Besonderheiten des Diens-
tes dabei Rechnung tragen. Damit Sie einige zusätzliche
Informationen bekommen, will ich Ihnen sagen, was
passiert ist.
Im Frühjahr 2007 haben wir das Konzept beschlos-
sen, durch das die Verbesserung der Vereinbarkeit von
Familie und Dienst erreicht werden soll.
Mittlerweile haben wir es Schritt für Schritt umgesetzt.
Der Wehrbeauftragte Robbe, der gestern hier gesprochen
hat, hat gesagt, das sei nur bedrucktes Papier.
Möglicherweise sollte er sich etwas intensiver in der
Truppe umtun, dann würde er einige Beispiele sehen.
– Nein, Herr Goldmann, der Kollege Robbe ist da; ma-
chen Sie sich keine Sorgen.
Ich sage Ihnen aber sehr deutlich: Langfristig wird es
hier keine wesentlichen Fortschritte geben, wenn wir
nicht zusätzliches Geld dafür in die Hand nehmen. Das
ist eine Sache, bei der auch das Parlament mitbestimmen
muss.
– Ich komme ja dazu. – Pauschale Lösungen wird es
nicht geben.
Wir sind in einigen Bereichen weiter, als Sie glauben
machen wollen.
– Ich nenne Ihnen gleich die Standorte. – Im Bereich der
Kinderbetreuung und im Bereich der Pendlerunterkünfte
haben wir einiges ins Werk gesetzt. Im Bereich der Kin-
derbetreuung haben wir Pilotstandorte ausgesucht, an de-
nen wir sehr präzise prüfen wollen, welche Bedürfnisse
vorhanden sind. Frau Lenke, es gibt Standorte – das wis-
sen wir alle –, an denen der Betreuungsbedarf durch die
kommunalen Träger gut abgedeckt ist. Es gibt aber auch
Standorte, an denen wir das nachbessern müssen. Deswe-
gen haben wir an vier großen Standorten sehr präzise Un-
tersuchungen darüber angestellt, wo und wie wir die Kin-
derbetreuung besser organisieren können. Das müssen
wir als Bundeswehr nicht alleine machen, sondern das
können wir in Kooperation mit den kommunalen und
freien Trägern tun. An den Standorten Wilhelmshaven,
Koblenz-Lahnstein, Westerstede und Seedorf haben wir
sehr konkrete Dinge ins Werk gesetzt. Sie werden das bei
Ihren Besuchen vor Ort erfahren.
Ihre Idee, das an die Familienbetreuungszentren anzu-
gliedern, mag aufs Erste verheißungsvoll erscheinen.
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er Kollege Robbe, der gestern sagte, das stehe alles nur
uf Papier, ist herzlich eingeladen, diese Standorte zu be-
uchen.
Allerdings wird es wahrscheinlich kein flächende-
kendes Netz geben; das werden wir nicht schaffen.
ber überall dort, wo wir in guter Kooperation und in
nterschiedlicher Art und Weise Lösungen schaffen,
ind wir dabei, und zwar allein schon deswegen, weil
ittlerweile 62 000 Soldatinnen und Soldaten Kinder
aben. Das ist eine Verpflichtung, durch die wir auch an-
etrieben werden, auch unter dem Gesichtspunkt, dass
ir auch bei einer etwas angespannten Situation am Ar-
eitsmarkt guten Nachwuchs wollen. Auch das ist für
ns ein Thema, das wir nicht außer Acht lassen sollten.
Wenn Sie noch ein konkretes Beispiel wissen wollen:
ch habe vor einem halben Jahr in Koblenz-Lahnstein ei-
en Kindergarten mit ins Leben gerufen, bei dem die
atholische Kirche besondere Öffnungszeiten für die
undeswehrangehörigen aus dem nahe gelegenen Bun-
eswehrkrankenhaus eingerichtet hat. Ich bin der katho-
ischen Kirche dankbar, dass sie für das erste – für dieses
Jahr die Kosten dafür übernommen hat. Wir werden im
ächsten Jahr zu prüfen haben, ob wir diese Mittel aus
em Verteidigungshaushalt ergänzen.
ch bin dafür, das zu tun. Dass entsprechender Bedarf
esteht, zeigt allein schon der Umstand, dass wir für die-
en Kindergarten für das nächste Jahr bereits eine Warte-
iste haben.
Wir sind dabei, ein Kinderbetreuungsportal einzurich-
en; das mag Ihnen nicht entgangen sein. Dieses Portal
oll insbesondere die negativen Aspekte vermeiden, die
ir häufig dadurch erleben, dass Familien, die vor einer
ersetzung im Rahmen der Bundeswehr stehen, häufig
icht genau wissen, wie die Kinderbetreuungssituation
n den Gemeinden ist, in die sie kommen. Über das Kin-
erbetreuungsportal wollen wir aufklären und es ermög-
ichen, frühzeitig entsprechende Informationen zu erhal-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21037
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Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
ten. Ebenso wollen wir eine Chat-Ecke einrichten, in der
sich Eltern aus Kreisen der Bundeswehr über die am Ort
vorhandenen Kinderbetreuungsmöglichkeiten austau-
schen können, und zwar weit vor dem tatsächlichen Um-
zug im Rahmen einer Versetzung.
Ich spreche als weiteren Punkt die Pendlerunterkünfte
an. Wir werden an verschiedenen Standorten – zunächst
insbesondere in Laupheim und Seedorf, aber auch in Au-
gustdorf, wo es schon in Gang ist – für diejenigen Solda-
tinnen und Soldaten, die nach einer Versetzung nicht an
den neuen Standort umziehen, geeignete Möglichkeiten
der Unterbringung anbieten. Das halte ich für sehr wich-
tig.
Nach wie vor werden wir prüfen, wie wir mit famili-
enbedingten Abwesenheitszeiten im Dienstbetrieb um-
gehen, zum Beispiel beim Elternurlaub.
– Wir sind doch dabei. Sonst wären nicht schon
800 Männer in Elternzeit. – Wir werden diese Abwesen-
heiten durch eine weitere Flexibilisierung des Laufbahn-
rechts auffangen.
Sie sind herzlich eingeladen, mit mir durch die Stand-
orte zu fahren, um sich das anzusehen. Auf der letzten
Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten in Mann-
heim hat der Minister durchweg von allen Damen, die
dort vertreten waren, Lob dafür bekommen, dass wir die-
ses Thema anpacken, nachdem lange Zeit nichts passiert
ist. Im Moment wird ein Handbuch zur Vereinbarkeit
von Familie und Dienst erarbeitet, damit jeder Komman-
deur vor Ort weiß, was er zu tun hat.
Allerdings wiederhole ich: Perspektivisch werden wir
nicht weiterkommen, wenn es uns nicht gelingt, dafür
Geld im Haushalt bereitzustellen.
Da sind Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen im Parla-
ment, natürlich gefordert. Ich bin sehr froh darüber, dass
der Minister entschieden hat, die Ausgaben, die mit Fa-
milie und Dienst zu tun haben, demnächst im Haushalt
gesondert auszuweisen, damit wir präzise nachprüfen
können, was uns diese Angelegenheit wert ist; denn lei-
der ist das Geld häufig das wichtigere Thema.
Lassen Sie mich noch einiges zur Frage der Gleich-
stellung sagen. Die Zahl der Soldatinnen innerhalb der
Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren verdreifacht.
Mit 15 200 Soldatinnen und einer Quote von 8,5 Prozent
liegen wir durchaus im NATO-Mittel, und wir bleiben
auch dabei, dass wir im Sanitätswesen 50 Prozent und in
den übrigen Bereichen 15 Prozent erreichen wollen. Das
ist eine wichtige strategische Aufgabe für uns.
Ergänzend sei gesagt: Wir sind dankbar, wenn der Druck
aus dem Parlament, diese Aufgabe noch intensiver anzu-
packen, nicht nachlässt; denn dabei geht es häufig um
das Bewusstsein im politischen sowie im administrati-
ven Raum. So war es in diesem Ministerium, das män-
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zwei-
ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Bildung eines Sachverständigenrates zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-
wicklung
– Drucksache 16/8980 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 16/10507 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
laus Ernst, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Wir haben im April 2008 einen Ge-
Anlage 4
21038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Klaus Ernst
setzentwurf vorgelegt, um die Neutralität des Sachver-
ständigenrates zu gewährleisten. Wir wollten und wollen
mit diesem Gesetz erreichen, dass die Mitglieder des
Sachverständigenrates ihre Einkünfte offenlegen, wenn
Interessenverbindungen, also andere Tätigkeiten, das er-
forderlich machen. Wir wollen, dass diese Einkünfte und
Tätigkeiten veröffentlicht werden, und wir wollen, dass,
wenn das nicht geschieht, eine Rückzahlung der Ent-
schädigung durch diese Sachverständige erfolgt.
Zum Zeitpunkt der Vorlage des Gesetzentwurfs im
April war uns noch nicht klar, welche Aktualität er ge-
winnen würde. Fakt ist, dass der oberste Wirtschaftsbe-
rater der Bundesrepublik, Herr Rürup, jetzt, noch wäh-
rend er als Sachverständiger im Amt ist, bekannt
gegeben hat, dass er demnächst zum Finanzberater AWD
wechseln wird. AWD ist nicht irgendein Unternehmen.
AWD macht 80 Prozent seines Umsatzes in Deutschland
mit dem Verkauf von Vorsorgeprodukten für das Alter.
Herr Rürup hat der Regierung Kürzungen bei der ge-
setzlichen Rentenversicherung vorgeschlagen. Er hat
Millionen Menschen dazu gebracht, ihr Geld in Hoff-
nung auf eine hohe Rendite auf die Finanzmärkte zu tra-
gen. Seinen Namen tragen Altersvorsorgeprodukte. Die
Aufzählung der Ämter, die er schon heute bei Finanz-
dienstleistern und Versicherungskonzernen innehat, füllt
die Rückseiten von Einladungen zu Veranstaltungen mit
ihm. Und jetzt wechselt Herr Rürup, pünktlich zu seiner
eigenen Pensionierung, zu einem der Profiteure der Ren-
tenprivatisierung. Fakt ist: Jemand, der die Bundesregie-
rung, die Öffentlichkeit und das Parlament in einer be-
stimmten Weise beraten hat, wird nun Profiteur seiner
eigenen Beratung, weil er in einem Unternehmen, das
von dieser Politik profitiert, tätig wird. Dazu könnte man
sagen: Das ist in der freien Marktwirtschaft üblich; dage-
gen kann man nichts machen – möglich.
Mit unserem Gesetzentwurf schlagen wir vor, dass
zumindest die Interessenverbindungen bei Mitgliedern
des Sachverständigenrates schon zum Zeitpunkt ihrer
Tätigkeit offengelegt werden müssen, damit wir, die
Bürger, das Parlament und auch die Regierung, wissen,
woran wir sind, wenn wir „unabhängig“ beraten werden.
Im Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates
ist die Neutralität des Sachverständigenrates festge-
schrieben. Es heißt wörtlich:
Der Sachverständigenrat ist nur an den durch dieses
Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in seiner
Tätigkeit unabhängig.
Diese Neutralität wird durch Herrn Rürup mehr als nur
infrage gestellt. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf
zur Wahrung der Neutralität beitragen. Das kostet nichts,
das ist auch nicht populistisch. Es ist schlichtweg ein
Gebot der Stunde, wenn wir auf bestimmte Vorgänge po-
litisch reagieren wollen.
Sie winken ab. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass
Gerhard Schröder als Kanzler den Weg für die Ostsee-
Pipeline geebnet hat und heute bei Gazprom im Auf-
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uch Herr Riester, der bekanntlich die Riester-Rente
ingeführt hat, verdient am meisten als Vortragsreisender
ür die Versicherungsbranche. – Wenn wir das so lassen
ollen und so dazu beitragen wollen, dass der Ruf der
olitik weiter beschädigt wird, dann können wir so wei-
ermachen.
ir können es aber auch ändern, indem wir ein Gesetz
eschließen, nach dem diese Dinge offengelegt werden
üssen. Dann würde so etwas deutlich.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken, CDU/
SU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
nd Kollegen! Herr Kollege Ernst, Sie haben wieder die
lte Platte aufgelegt: Neid, Neid, Neid!
ie appellieren an die niedrigsten Instinkte des Men-
chen. Ohne auf die Problemstellung im Besonderen ein-
ugehen, haben Sie die eine oder andere Person verun-
limpft und an den Pranger gestellt.
Lassen Sie mich aber zunächst darauf verweisen, was
as eigentliche Thema ist, nämlich über den Sachver-
tändigenrat insgesamt gesehen zu sprechen. Dieser
achverständigenrat gehört seit 1963 zum wissenschaft-
ichen Tafelsilber der sozialen Marktwirtschaft. Seine
itglieder sind die Vordenker unserer Wirtschaftspoli-
ik. Hauptaufgabe ist die jährliche Begutachtung der ge-
amtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepu-
lik Deutschland. Dabei soll untersucht werden, wie die
iele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, die Stabi-
ität des Preisniveaus, ein hoher Beschäftigungsstand
nd außenwirtschaftliches Gleichgewicht – und dies al-
es bei einem stetigen Wirtschaftswachstum –, erreicht
erden können.
Politik und Wirtschaft verdanken dem Sachverständi-
enrat seit sage und schreibe 43 Jahren wertvolle Im-
ulse. Über 49 Gutachten wurden in der Zwischenzeit
rstellt. Sondergutachten bestimmten und beflügelten
nsere Wirtschaftspolitik. Ich möchte besonders erwäh-
en und herausheben: Unvergessen und herausragend
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21039
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Ernst Hinsken
sind beispielsweise das Gutachten zur Ölkrise im Jahre
1973 und das Gutachten zu den Wirtschaftsreformen in
der ehemaligen DDR 1990.
Jetzt kommen Sie von den Linken und wollen diese
Gutachter und Gutachten madigmachen.
Gerade Sie, Herr Ernst, tun so, als wüssten Sie alles bes-
ser.
Sie argumentieren populistisch, stellen den Zusammen-
hang nicht dar und sprechen nur an, was Ihnen passt. Wir
brauchen aber harte Fakten und das Darstellen logisch
zwingender Zusammenhänge, wie sie gerade der Sach-
verständigenrat liefert.
Wir brauchen diese ganz konkreten, an der aktuellen
politischen Situation orientierten Vorschläge. Daran wol-
len gerade wir von der Unionsfraktion festhalten.
Deutschland ist ein starkes und erfolgreiches Land.
– Vielen Dank, Kollege Meyer. – Der Sachverständigen-
rat hat diese Entwicklung hervorragend wissenschaftlich
begleitet und gibt mit dem neuesten Gutachten vom
12. November 2008 mit dem Titel Die Finanzkrise meis-
tern – Wachstumskräfte stärken weitere Impulse.
Herr Kollege Hinsken, der Kollege Ernst würde gern
eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es kurz geht, bitte.
Herr Hinsken, ich habe eine sehr kurze Frage. Ich
habe mit unserem Gesetzentwurf deutlich machen wol-
len, dass wir die Qualität des Sachverständigenrats und
seine Ausführungen, die er bisher gemacht hat, nicht da-
durch entwerten wollen, dass es bei einzelnen Mitglie-
dern des Sachverständigenrats für die Öffentlichkeit
nicht zugängliche Interessenkonflikte aufgrund anderer
Tätigkeiten gibt. Könnten Sie sich vorstellen, dass es die
Bedeutung des Sachverständigenrats erhöhen würde,
wenn die Bevölkerung, das Parlament und die Regierung
jeweils wüssten, welche Gehälter das jeweilige Mitglied
des Sachverständigenrats noch bezieht? Könnten Sie
sich vorstellen, dass damit genau das, was Sie wollen,
nämlich eine höhere Akzeptanz des Sachverständigen-
rats, gefördert werden kann?
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ie Gelder, die den Sachverständigen zur Verfügung ge-
tellt werden, sind Peanuts im Vergleich zu vielen ande-
en Zuwendungen, die in der Bundesrepublik Deutsch-
and diesbezüglich gezahlt werden. – Eines möchte ich
inzufügen: Ich kann mir einen guten Sachverständigen-
at allemal vorstellen. Aber Sie würde ich für nicht befä-
igt halten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich meine, dass
ir uns den Sachverständigenrat von Ihnen, den Linken,
icht schlechtreden lassen dürfen. Gerade in der jetzigen
ituation, angesichts der internationalen Finanzkrise und
er sich eintrübenden Konjunktur, ist es unverzichtbar,
ie Ratschläge des Sachverständigenrates einzuholen
nd so weit wie möglich umzusetzen.
ir von der Union haben eine Empfehlung aufgegriffen:
ir legen eine konjunkturgerechte Wachstumspolitik
uf; Kollege Meyer hat vor wenigen Tagen hierzu eine
emerkenswerte Rede gehalten. Diese Maßnahmen ge-
en Impulse für öffentliche und private Investitionen;
ies geschieht auch durch unser gestern beschlossenes
eschäftigungssicherungsprogramm. Wir stärken den
ittelstand und das Handwerk; Bürger und Unterneh-
er werden entlastet. Der Konsum und die Binnenwirt-
chaft werden belebt. Unsere Bundeskanzlerin und unser
undeswirtschaftsminister, Michael Glos, haben auf den
at der Weisen gehört und entscheidende Weichenstel-
ungen vorgenommen. Herr Staatssekretär Schauerte,
ie sind Kronzeuge in dieser Angelegenheit.
Das sind Fakten und keine Wolkenkuckucksheime
ie bei Ihnen von den Linken.
hnen, den Neokommunisten, ist doch ins Stammbuch zu
chreiben: Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaft
ürfen nicht ignoriert werden. Statt den Sachverständi-
enrat zu kritisieren, sollten Sie sich einmal vom Sach-
erständigenrat selbst Nachhilfeunterricht geben lassen;
err Ernst, ich meine Sie. Dann würden Sie endlich auch
ie wichtigen Zusammenhänge begreifen und könnten
ier konstruktiv mitarbeiten.
21040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Ernst Hinsken
Mit Ihrem Populismus und Ihrer Umverteilungsrhetorik
kommen wir nicht weiter. Das führt nicht aus der Krise
heraus, sondern erst richtig hinein. Dieser Gesetzentwurf
von Ihnen, den Linken, beweist erneut, dass Sie niemals
an einer Regierung der Bundesrepublik Deutschland be-
teiligt sein dürfen.
Da Sie von der Linken bei den gegenwärtig zu bewäl-
tigenden Herausforderungen mit Ihrem Latein am Ende
sind,
fällt Ihnen nichts anderes ein, als den Sachverständigen-
rat, wie man so schön im Volksmund sagt, durch den
Dreck zu ziehen. Dies tun Sie wohl auch deshalb, weil
Ihnen die Empfehlungen und der wirtschaftliche Sach-
verstand, der hier gebündelt ist, ein Dorn im Auge sind.
Unabhängig ist in Ihren Augen wohl nur jemand, der Ih-
nen nach dem Mund redet und Sie nicht von Ihrer dun-
kelroten Wolke herunterholt. Weil Sie keine Argumente
haben und Ihnen jedes Verständnis für eine vernünftige
Wirtschaftspolitik abgeht, versuchen Sie es auf diese fast
hinterhältig zu nennende Weise.
Sie wollen nicht nur diese herausragenden Wissenschaft-
ler treffen, sondern durch diese Persönlichkeiten auch
unsere ganze soziale Marktwirtschaft.
Das lassen wir unter keinen Umständen zu.
Wir von der CDU/CSU werden dafür sorgen, dass die
Mitglieder des Sachverständigenrats weiter hervorra-
gende Arbeit leisten können. Ich fordere alle anderen
Fraktionen auf: Lassen Sie uns gemeinsam über Par-
teigrenzen hinweg den Sachverständigenrat stärken statt
ihn zu schwächen oder abzuschaffen!
Lassen Sie uns gemeinsam gegen die linke Neiddebatte
vorgehen! Wir dürfen nicht zulassen, dass den Menschen
etwas vorgegaukelt wird.
Im Großen und Ganzen ist es wichtig, das Folgende
festzustellen: Eine hauptberufliche Tätigkeit im Sach-
verständigenrat wurde vom Gesetzgeber nicht festgelegt.
Die Sachverständigen müssen unabhängig sein
vom Staat, von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden
und von den Gewerkschaften.
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islang waren alle Räte Hochschulprofessoren. Im
achverständigenrat sind Unabhängigkeit und wirt-
chaftlicher Sachverstand in besonderer und herausra-
ender Weise repräsentiert. Die jetzt bestehenden Rege-
ungen stellen sicher, dass dies künftig so bleibt. Sie
aben sich bewährt und wesentlich zur hervorragenden
rbeit des Sachverständigenrates beigetragen. Hier
rauchen wir von Ihnen, den Linken, keine vergifteten
erbesserungsvorschläge.
Sie lachen über sich selbst, Herr Ernst. Dafür sind Sie
a bekannt. – Ihr Gesetzentwurf ist auch deshalb entbehr-
ich, weil die besondere Sorgfalt bei der Auswahl der
itglieder des Sachverständigenrates sicherstellt, dass
ie Mitglieder dieses Gremiums nicht nur qualifizierte,
ondern auch integere Persönlichkeiten sind.
Ich meine, abschließend feststellen zu dürfen und zu
üssen: Auch in Zukunft brauchen wir in diesem Gre-
ium die besten Köpfe.
er von Ihnen, den Linken, geforderte Zwang zur Offen-
egung der Tätigkeiten und Einkünfte ist kontraproduk-
iv, da der Anreiz, nebenberuflich zeitintensiv im Sach-
erständigenrat mitzuarbeiten, ganz stark zurückgehen
ürde. Die geringen Kosten, die die Tätigkeiten der
achverständigen verursachen, kommen durch deren
atschläge vielfach wieder rein. Wir brauchen auch in
ukunft einen starken Sachverständigenrat. Deshalb
erden wir ihn weiterhin unterstützen und gegenüber Ih-
en, den Neokommunisten, auch in Schutz nehmen.
Herr Kollege!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält der Kollege Ernst Burgbacher, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ie Linke wirft ihre üblichen Nebelkerzen und versucht,
inge in die Welt zu setzen, die völlig an den Tatsachen
orbeigehen. Deshalb will ich einen Teil meiner Rede-
eit darauf verwenden, das noch einmal klarzustellen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21041
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Ernst Hinsken
Herr Ernst, Sie sprechen sich für die Offenlegung von
Interessenverbindungen aus. Das ist völlig richtig, aber
das ist längst der Fall. Dafür brauchen wir diese Debatte
nicht.
Über das Verhalten gibt es tatsächlich immer wieder Dis-
kussionen. Auch wir haben uns darüber unterhalten, ob
das Verhalten von Schröder, Müller oder Tacke in Ord-
nung war. Auch wir fragen uns manchmal, ob es in Ord-
nung ist, wenn Linke in bestimmten Gremien vertreten
sind. Uns geht es hier im Parlament aber doch um die
Voraussetzungen.
Lassen Sie sich einmal in aller Kürze sagen, dass es
bereits bestehende Regelungen zur Offenlegungspflicht
von Nebeneinkünften aller Ratsmitglieder gibt; denn alle
Ratsmitglieder sind Hochschulprofessoren. Jedes Hoch-
schulgesetz der Länder schreibt klipp und klar die Offen-
legung von Nebeneinkünften vor, aber noch viel mehr.
Alle Hochschulgesetze schreiben vor, dass Nebentätig-
keiten durch den Dienstherrn genehmigt werden müssen.
Die Landesbeamtengesetze, die Hochschulgesetze der
Länder und die Satzungen der deutschen Universitäten
sehen vor, dass Nebentätigkeiten genehmigungspflichtig
und die Einkünfte offenzulegen sind.
Herr Ernst, bevor Sie Anträge stellen und eine De-
batte vom Zaun brechen, sollten Sie vielleicht ab und zu
ins Internet gehen. Ich empfehle Ihnen die Internetseiten
der Universitäten in Würzburg, in Regensburg, in Mainz,
in Darmstadt und in Mannheim. Dort können Sie ganz
genau sehen, welche Nebentätigkeiten die Mitglieder
des Sachverständigenrates ausüben.
Das Gesetz über die Bildung eines Sachverständigen-
rates schreibt in § 1 Abs. 3 klar und unmissverständlich
vor, dass die Mitglieder des Sachverständigenrates
… weder der Regierung oder einer gesetzgebenden
Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch
dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes
oder einer sonstigen juristischen Person des öffent-
lichen Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder
als Mitarbeiter eines wirtschafts- oder sozialwissen-
schaftlichen Institutes, angehören …
dürfen. Weiter heißt es:
Sie dürfen ferner nicht Repräsentant eines Wirt-
schaftsverbandes oder einer Organisation der Ar-
beitgeber oder Arbeitnehmer sein …
Offener kann man das doch gar nicht legen. Sie sollten
davor nicht die Augen verschließen und der Öffentlich-
keit irgendetwas vorlügen, was überhaupt nicht stimmt.
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Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kolle-
en Reinhard Schultz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
s ist wirklich nicht ganz einfach, sich zum zweiten Mal
u diesem „wegweisenden“ Gesetzentwurf Gedanken zu
achen und dazu etwas Sinnvolles auszuführen. Trotz-
em will ich mich dieser Mühe unterziehen.
Ich hätte eigentlich gedacht, dass die Linken nach der
orlage des aktuellen Gutachtens ihren Gesetzentwurf
urückziehen, weil die Sachverständigen, die eigentlich
ür angebotsorientierte und staatsferne Wirtschaftsstrate-
ien bekannt sind, zur Überraschung aller dieses Mal
ichtig zugelangt und ein Keynesianisches Modell in
illiardenhöhe vorgeschlagen haben, was den Vorschlag
er Bundesregierung und der Koalition noch um Längen
etoppt hat und eigentlich zu dem passt, was man aus
em Bereich der Linkspartei an Forderungen gehört hat.
Da habe ich mir gedacht: Jetzt passt das zusammen.
etzt werden sie ihren Frieden mit dem Sachverständi-
enrat machen. – Aber nein, Ihr überschäumender Eifer
ar einfach nicht zu bremsen. Daher müssen wir uns
eute mit diesem Gesetzentwurf auseinandersetzen.
Zur Unabhängigkeit ist von Herrn Burgbacher schon
iniges Treffendes gesagt worden. Bei den Sachverstän-
igen handelt es sich in der Regel um Hochschullehrer,
eren Nebentätigkeiten genehmigungsbedürftig sind und
ie inzwischen auch an allen Hochschulen veröffentlicht
erden; dort gibt es lange Veröffentlichungsregister.
Es ist nicht so, dass zum Beispiel Bert Rürup zufällig
uf der Straße entdeckt
nd dann von der Bundesregierung aufgefordert worden
st: Mein lieber Junge, jetzt befass dich einmal in unse-
em Auftrag mit Fragen der Altersvorsorge. Vielmehr
ar es so, dass er als Sachverständiger genommen
urde, weil er von diesem Thema schon vorher Ahnung
atte und weil er schon vorher strategische Hinweise ge-
eben hat, die für die Politik so interessant waren, dass
an sagte: Lasst den mal zusammen mit anderen Vor-
chläge erarbeiten, wie die gesetzliche Rente um ein ka-
italgedecktes privates Element ergänzt werden kann. –
21042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
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Ernst Hinsken
Es war so, dass er genommen wurde, weil er sich vorher
Gedanken über dieses Thema gemacht hat. Er war doch
nicht völlig unbefleckt und ist dann von den langen Kra-
kenarmen derjenigen, die private Altersvorsorgepro-
dukte auflegen, sozusagen an Land gezogen worden.
Ich finde es anständig, was Herr Rürup tut: dass er,
weil er bei einem privaten Unternehmen eine zweite
oder sogar dritte Karriere starten will, postwendend
seine Tätigkeit im Sachverständigenrat – die ihn ja nicht
gerade ernährt – aufgegeben hat. Das finde ich in Ord-
nung. Daran könnten sich manch andere ein Beispiel
nehmen.
Gerade dieses Beispiel macht deutlich, was zu tun ist.
Man kann von Leuten, die erfolgreich gearbeitet haben
– das gilt für Sachverständige wie für Politiker –, doch
nicht verlangen, dass sie sich nach dieser Tätigkeit sofort
an Ort und Stelle öffentlich erschießen, damit sie bloß
nicht in Versuchung geraten, noch einer anderen sinnstif-
tenden Verwendung zugeführt zu werden. Das kann man
doch nicht ernsthaft verlangen. Das ist völlig blödsinnig
und fernab der Realität.
Herr Ernst, ich würde nie auf die Idee kommen, mit
Ihnen eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, ob es
eigentlich legitim ist, dass Sie einen großen Teil von Ge-
werkschaftern, insbesondere von IG-Metallern, hinter
die Fichte geführt haben, weil Sie jetzt ständig im Na-
men der Linkspartei für sie sprechen. Das dürfen Sie ma-
chen. Das ist transparent und völlig in Ordnung. Kein
Mensch wird das ernsthaft kritisieren.
Unabhängigkeit ist immer relativ. In der ersten Debatte
über dieses Thema habe ich mir eine ganz interessante
Auseinandersetzung mit dem Kollegen Schui geliefert,
der selber Wissenschaftler ist, der dem Sachverständi-
genrat sicherlich auch gerne angehören würde – dieses
Schicksal war ihm allerdings nicht beschieden –
und der sich hier über die geistige Unabhängigkeit ver-
breitet hat.
Im wissenschaftlichen Bereich, vor allen Dingen in
den Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaf-
ten, gibt es überhaupt keine komplette Unabhängigkeit.
Jeder Mensch kommt irgendwoher, und jeder hat ein be-
stimmtes Weltbild; wenn man einen Lebenslauf liest,
weiß man meistens auch ungefähr, aus welcher Richtung
jemand kommt.
Es gab in allen Zeiten Sachverständige. Mal waren sie
stärker angebotsorientiert, mal stärker nachfrageorien-
tiert. Mal lehnten die Sachverständigen den Keynesia-
nismus ab, mal befürworteten sie ihn. Dabei spielten na-
türlich auch Zeitströmungen eine Rolle. Dadurch, dass
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m Gegensatz dazu haben die früheren amerikanischen
räsidenten, zum Beispiel Reagan und Bush, Wissen-
chaftler nur beauftragt, genau das wissenschaftlich ver-
rämt zu verarbeiten bzw. zu produzieren, was ihnen
orgegeben worden ist. Das ist ein Riesenunterschied.
ch finde es gut, dass sich das jetzt ändert.
Auch andere europäischen Regierungen haben Sach-
erständigengremien. Diese Gremien sind allerdings
urch die Bank nicht so unabhängig wie der deutsche
achverständigenrat. Entweder unterstehen sie direkt
em Präsidenten – in Frankreich ist das zum Beispiel der
all – oder dem Wirtschaftsminister. Sie haben eher den
harakter eines Beirats und denken nicht unabhängig.
Was uns mit Blick auf die Sachverständigen ärgert,
t, dass sie § 2 des Sachverständigenratsgesetzes manch-
al nicht ernst nehmen. Darin heißt es, dass sie die Lage
nalysieren, aber keine Empfehlungen für wirtschafts-
nd sozialpolitische Maßnahmen abgeben sollen, weil
ie dadurch oftmals die Regierung, die Handelnden, vor-
ühren.
Wir Politiker müssen bei der politischen Entscheidungs-
indung nämlich noch andere Gesichtspunkte berücksich-
gen als nur die einer bestimmten wirtschaftswissen-
chaftlichen Schule oder die der reinen ökonomischen
ogik. Es gehört natürlich dazu, auch das Weiße im
uge des Wählers zu sehen.
Die Wirklichkeit ist vielfältiger, als es die verengte
irtschaftswissenschaftliche Sicht zulässt. Deswegen
ommen wir manchmal zu anderen Ergebnissen, um
icht zu sagen: Eigentlich sind die Kollegen, seit es den
achverständigenrat gibt, seit 1963, fast immer zu ande-
en Ergebnissen gekommen als der Sachverständigenrat,
ber wir alle haben die Analysen mit großem Interesse
nd hohem Genuss gelesen, für die eigene Erkenntnis
enutzt, aber unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen,
o wie es sich eigentlich auch gehört.
Insofern gibt es keinen Bedarf für ein solches Gesetz.
ie Transparenz ist gegeben. Es bestehen keine verknö-
herten Strukturen, weil die Besetzung des Sachverstän-
igenrats regelmäßig wechselt. Professor Rürup ist das
este Beispiel dafür, wie die Unabhängigkeit gewahrt
ird: durch ein charakterstarkes Verhalten. Nachdem er
inen anderen Job hat, scheidet er aus.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008 21043
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Ernst Hinsken
Insofern: Es besteht kein Bedarf, den Gesetzentwurf
weiterzuverfolgen. Wir lehnen ihn ab.
Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Meine Lehrveranstaltungen an der Universität Frankfurt
zu Makroökonomie und Wirtschaftspolitik habe ich häu-
fig mit einem Zitat von Terry Pratchett eingeleitet:
Wissenschaft: Eine Möglichkeit, um Dinge heraus-
zufinden und sie funktionieren zu lassen. Die Wis-
senschaft erklärt, was die ganze Zeit über um uns
herum geschieht, ebenso wie die Religion. Doch die
Wissenschaft ist besser, weil sie glaubwürdigere
Ausreden bietet, wenn etwas nicht klappt.
Damit wollte ich den Studentinnen und Studenten
deutlich machen, dass die Volkswirtschaftslehre keine
objektive Naturwissenschaft ist, sondern dass hinter den
Modellen und vertretenen Positionen immer Ideologien
stecken, die durchaus Religionen ähneln.
Nun ist es traditionell so, dass der Sachverständigen-
rat einer dieser „Religionen“ nahesteht. So vertrat er in
der Vergangenheit vor allem eine angebotsorientierte
und marktliberale Position, auch bezüglich der Reform
der sozialen Sicherungssysteme – eine Ideologie, die of-
fensichtlich nicht der der Linkspartei nahesteht, wie wir
alle wissen. Aber zu unterstellen, dass die einzelnen Mit-
glieder des Sachverständigenrats eine inhaltliche Posi-
tion deshalb vertreten, weil sie auch Gutachten für be-
stimmte Auftraggeber erstellen, halte ich für aberwitzig.
Das ist absurd. Wenn überhaupt, bekommen die Mitglie-
der des Sachverständigenrats Aufträge, weil sie eine be-
stimmte inhaltliche Positionierung haben, und nicht um-
gekehrt.
Das sieht man nicht zuletzt daran, dass der Sachver-
tändigenrat im neuesten Gutachten seine Position, zu-
indest bei konjunkturpolitischen Fragen, geändert hat;
as hat der Kollege Schultz gerade schon gesagt. Der
achverständigenrat fordert jetzt fiskalpolitische Maß-
ahmen und eine konjunkturgerechte Wachstumspolitik
urch öffentliche Investitionen in Höhe von 1 Prozent
es Bruttoinlandsprodukts, also 25 Milliarden Euro, die
umindest zum Teil durch eine höhere Neuverschuldung
inanziert werden sollen. Diese Forderungen gehen sehr
n Richtung dessen, was die Linkspartei konjunkturpoli-
isch vertritt. Okay, es geht wahrscheinlich nicht weit ge-
ug. Es ist eher die Position der Grünen, die da vertreten
ird. Aber was denken Sie, Herr Ernst: Wer hat denn
etzt den Sachverständigenrat beeinflusst? Ich kann Ih-
en sagen: die grüne Bundestagsfraktion sicherlich
icht.
Sie unterstellen aber doch, dass der Herr Rürup be-
timmte Positionen vertritt, weil er mit der Versiche-
ungswirtschaft zusammenarbeitet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schneider?
Ich habe jetzt nur noch einen Aspekt vorzutragen. Da-
ei gehe ich auch auf die Frage ein, die der Kollege ver-
utlich stellen will. Er kann dann ja noch eine Kurz-
ntervention machen.
Der Sachverständigenrat bestimmt seine Positionen
ach meiner festen Überzeugung danach, was er ökono-
isch für richtig hält, wobei ökonomische Theorien,
enntnisse, aber natürlich immer auch Ideologien – des-
en sollte man sich bewusst sein; das sage ich einmal
en Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite –
ine Rolle spielen. Dennoch bin ich der Auffassung, dass
s völlig überzogen ist, zu fordern, dass die Wirtschafts-
eisen denselben Regeln wie Abgeordnete unterworfen
erden.
Die fünf Wirtschaftsweisen sind Gott sei dank keine
irtschaftsregierung und auch keine Abgeordneten,
ondern ein Sachverständigenrat. Sie sind unabhängige
issenschaftler, die sich der Wissenschaft verpflichtet
ühlen. Sie müssen – darauf wurde schon hingewiesen –
ereits heute als Beamte gegenüber ihrem Arbeitgeber,
er Universität, ihre Nebeneinkünfte offenlegen. Sie
ind also bekannt. Insofern obliegt die Prüfung der Un-
21044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2008
(C)
)
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
abhängigkeit der Professoren der Universität. Das ist gut
so und reicht nach unserer Auffassung völlig aus.
Insofern ist der Gesetzentwurf überflüssig. Wir wer-
den dagegen stimmen.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Schneider.
Herr Kollege, ich antworte ganz kurz: Es geht nicht
um einen Heiligenschein, sondern darum, dass der
Mensch nicht in eine bestimmte Ecke gestellt werden
soll. Ich bin weiß Gott nicht immer einer Meinung mit
Bert Rürup, aber es geht darum, sich mit ihm und dem
Sachverständigenrat inhaltlich auseinanderzusetzen,
statt ihm irgendetwas zu unterstellen.
Es geht hierbei um objektive wissenschaftliche Posi-
tionen. Mit diesen kann man sich auseinandersetzen, ge-
nauso wie ich mich mit Herrn Schui auseinandersetze.
Ihm unterstelle ich auch nicht irgendetwas. Darum geht
es, nicht um einen Heiligenschein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute war mehr-
fach zu hören, wie unbedenklich all das ist, was Herr
Rürup tut, und welche Begeisterung in Bezug auf seine
Person herrscht. Er hat fast einen Heiligenschein verlie-
hen bekommen.
Ich darf aber in diesem Zusammenhang auf eines hin-
weisen, was mich als rentenpolitischen Sprecher meiner
Fraktion sehr berührt hat. Mir ist auf einmal aufgefallen,
dass Herr Rürup – es war übrigens noch nicht die Rede
davon, dass er wechselt – Riester-Produkte eines ganz
bestimmten Anbieters empfohlen hat, nämlich Swiss
Life. Ich war darüber etwas erstaunt, weil dieser Anbie-
ter weder von Finanztest noch von Öko-Test, die regel-
mäßig die Riester-Produkte testen, in irgendeiner Form
herausgehoben genannt wurde.
Als dann die Mitteilung kam, dass Herr Rürup zu
AWD wechselt, habe ich mich nicht mehr gewundert,
weil nämlich der Hauptanteilseigner von AWD Swiss
Life ist. Diese Zusammenhänge machen mich etwas
skeptisch. Insofern kann ich Ihr unendliches Vertrauen in
Herrn Rürup wahrhaftig so nicht teilen.
Auch dass er als edle Geste am 31. März ausscheidet,
weil er ab 1. April für AWD arbeitet, kann ich nicht
nachvollziehen. Eine wirklich edle Geste wäre es gewe-
sen, sofort zurückzutreten, weil er wegen seiner Tätig-
keit für AWD nicht mehr unabhängig ist.
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie können antwor-
ten.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei-
es Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Änderung des
esetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates
ur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick-
ung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
mpfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
ache 16/10507, den Gesetzentwurf der Fraktion Die
inke auf Drucksache 16/8980 abzulehnen. Ich bitte die-
enigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
as Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
en? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
ei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
eitere Beratung.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 17. Dezember 2008, 13 Uhr,
in.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
itarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Besu-
herinnen und Besuchern auf der Tribüne ein schönes
ochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.