Protokoll:
16184

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 184

  • date_rangeDatum: 17. Oktober 2008

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:08 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/184 (Drucksache 16/10474) . . . . . . . . . . . . . . 19683 D Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19668 B 19668 C 19669 B 19670 A 19671 B 19672 B 19674 D 19675 D 19684 A 19686 B 19687 C 19689 C 19691 B 19693 B 19695 A 19696 A 19697 C 19698 A 19699 B Deutscher B Stenografisc 184. Si Berlin, Freitag, den I n h a Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- setzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz- marktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Drucksachen 16/10600, 16/10651) . . . . . . . . Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19657 A 19657 B 19659 C 19661 A 19663 A 19666 B Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19677 B, 19680 B 19677 B, 19680 D undestag her Bericht tzung 17. Oktober 2008 l t : Tagesordnungspunkt 35: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV- OrgWG) (Drucksachen 16/9559, 16/10070, 16/10609) b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Unterrichtung des Deutschen Bundesta- ges über den beabsichtigten Erlass nach- folgender Verordnung gemäß § 241 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch: Verordnung zur Festlegung der Beitrags- sätze in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV-Beitragssatzverordnung – GKV-BSV) 19683 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19701 A 19703 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 Tagesordnungspunkt 34: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Silke Stokar von Neuforn, Jerzy Montag, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- kel 2 a, 5 a, 13 a, 19) (Drucksache 16/9607) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bundesdaten- schutzgesetzes (Drucksachen 16/10529, 16/10581) . . . . . c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Bundesdatenschutzgesetzes (Drucksache 16/31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Datenschutz stärken – Bewusstsein schaffen – Datenmissbrauch vorbeugen (Drucksache 16/10216) . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Silke Stokar von Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Informationspflicht für Unternehmen bei Datenschutzpannen einführen (Drucksachen 16/1887, 16/6764) . . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorschlag für einen Rahmen- beschluss des Rates über die Ver- wendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken – zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten (Drucksachen 16/8115, 16/8199, 16/9112) Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19701 B 19701 B 19701 B 19701 C 19701 C 19701 D 19702 A 19705 D 19709 A 19710 C Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Abgeordneten Christoph Waitz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbehörden und im Bundestag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechts stärken (Drucksache 16/9803) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Die ei- genständige Existenzsicherung von Stief- kindern sicherstellen – § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II reformieren (Drucksache 16/9490) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Josef Philip Winkler, Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine zu- kunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte Europäische Migrationspolitik (Drucksache 16/10341) . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19712 D 19714 C 19715 D 19716 C 19717 B 19718 C 19718 D 19719 D 19721 C 19722 A 19723 B 19723 C 19723 D 19724 D 19727 A 19728 C 19730 C 19731 D 19732 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 III Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisie- rungsgesetz – FMStG) (Zusatztagesordnungs- punkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz- marktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Zusatz- tagesordnungspunkt 7) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rolf Kramer, Gabriele Lösekrug-Möller und Simone Violka (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz- marktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Zusatz- tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, Alexander Bonde, Dr. Harald Terpe, Krista Sager, Ute Koczy, Anna Lührmann, Thilo Hoppe, Priska Hinz (Herborn), Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Josef Philip Winkler, Ulrike Höfken, Rainder Steenblock, Birgitt Bender und Irmingard Schewe-Gerigk (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmen- pakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Zusatztagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . 19733 A 19733 D 19734 C 19735 A 19735 B 19735 C 19735 C 19736 B 19736 D 19737 B Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisations- strukturen in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV-OrgWG) (Tagesordnungs- punkt 35 a) Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust und Dr. Rolf Koschorrek (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstruktu- ren in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) (Tagesordnungspunkt 35 a) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Arbeitsmarktinstrumente auf effi- ziente Maßnahmen konzentrieren (183. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 9) Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Wohnungslosigkeit vermeiden – Woh- nungslose unterstützen – SGB II überarbeiten (183. Sitzung, Tagesordnungspunkt 17) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Un- terstützter Beschäftigung (183. Sitzung, Ta- gesordnungspunkt 22) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA- Verfahrensgesetz) (183. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 25) Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19738 B 19738 D 19738 D 19739 B 19740 D 19741 D 19742 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Menschenrechte in der ASEAN- Staatengemeinschaft stärken (183. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bun- desministerien, Bundesbehörden und im Bun- destag enttarnen – Aufarbeitung des Stasi- Unrechts stärken (Tagesordnungspunkt 36) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . 4 koll gegebene Reden zur Beratung rags: Die eigenständige Existenz- g von Stiefkindern sicherstellen – § 9 atz 2 SGB II reformieren (Tagesord- nkt 37) iewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . ter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . pping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . urth (BÜNDNIS 90/ RÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19745 C 19746 B 19747 B 19748 A 19749 B 19749 D Anlage 1 Zu Proto des Ant sicherun Abs. 2 S nungspu Karl Sch Angelika Heinz-Pe Katja Ki Markus K DIE G Anlage 1 Amtliche 19743 A 19744 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19657 (A) (C) (B) (D) 184. Si Berlin, Freitag, den Beginn: 8
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    19732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Berichtigungen 183. Sitzung, Seite 19530 (A), letzter Absatz: Der vorletzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Außerdem wissen wir, dass die Erdverkabelung fünf- bis zehnmal so teuer und der Nutzungszeitraum halb so lang wie bei der Frei- leitung ist.“ 183. Sitzung, Seite 19623 (D), erster Absatz, erster Satz und dritter Absatz, zweiter Satz: Statt „prädikativ“ ist „prädiktiv“ zu lesen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19733 (A) (C) (B) (D) Die Maßnahmen der Bundesregierung gehen in die richtige Richtung. Ohne einen liquiden Interbankenhandel Rohde, Jörg FDP 17.10.2008 Wir sind spätestens seit der Lehman-Pleite an einem Punkt, an dem staatliche Eingriffe im Rahmen des Kri- senmanagements nicht nur sinnvoll, sondern auch unver- zichtbar sind. Multhaupt, Gesine SPD 17.10.2008 Otto (Frankfurt), Hans- Joachim FDP 17.10.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albach, Peter CDU/CSU 17.10.2008 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.10.2008 Bierwirth, Petra SPD 17.10.2008 Bodewig, Kurt SPD 17.10.2008** Brase, Willi SPD 17.10.2008 Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 17.10.2008 Deittert, Hubert CDU/CSU 17.10.2008 Friedrich (Bayreuth), Horst FDP 17.10.2008 Gunkel, Wolfgang SPD 17.10.2008 Hänsel, Heike DIE LINKE 17.10.2008 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 17.10.2008 Heller, Uda Carmen Freia CDU/CSU 17.10.2008 Hempelmann, Rolf SPD 17.10.2008 Höfer, Gerd SPD 17.10.2008* Kipping, Katja DIE LINKE 17.10.2008 Klimke, Jürgen CDU/CSU 17.10.2008 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 17.10.2008 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.10.2008 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 17.10.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz- marktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Zusatz- tagesordnungspunkt 7) Wir befinden uns in einer dramatisch einmaligen Situation. Eine derartige Krise hat der Finanzmarkt seit 80 Jahren nicht erlebt. Seit über einem Jahr versuchen die Notenbanken durch die regelmäßig wiederkehrende Bereitstellung von Kapital, diese Krise zu verhindern. Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 17.10.2008 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 17.10.2008 Dr. Scheer, Hermann SPD 17.10.2008 Schily, Otto SPD 17.10.2008 Schmidt (Nürnberg), Renate SPD 17.10.2008 Seehofer, Horst CDU/CSU 17.10.2008 Dr. Stadler, Max FDP 17.10.2008 Staffelt, Grietje BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.10.2008 Ulrich, Alexander DIE LINKE 17.10.2008 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 17.10.2008* Zeil, Martin FDP 17.10.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 19734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) ist kein funktionierender Finanzmarkt möglich. Ein Funktionieren der Finanzwirtschaft ist wiederum zentral für die Realwirtschaft. Die Realwirtschaft ist die Grund- lage für die materielle Existenz des Menschen. Daher haben die Grünen im Bundestag einer Fristverkürzung des normalen parlamentarischen Verfahrens zugestimmt. Es ist richtig, dass nun über ein Maßnahmenpaket im Eilverfahren entschieden wird. Eine Untätigkeit des Staates hätte in dieser Situation weitreichend negative Konsequenzen für jeden Einzelnen. Ich werde aus zwei Gründen dennoch gegen den Ge- setzentwurf der Bundesregierung stimmen. Erstens. Die Mitwirkungsrechte des Parlaments werden erheblich be- schnitten. Es entspricht nicht meiner Vorstellung des Mandats, dass das Parlament nur informiert wird, wenn es um Summen von 480 Milliarden Euro geht. Das Bud- get ist das Königsrecht des Parlaments. Der Bundestag muss daher auch weiterhin aktiv in zentrale Entschei- dungen und Mittelverwendungen einbezogen werden. Die Bundesregierung sollte heute keinen Blankoscheck erhalten. Zweitens. Wenn der Staat Bürgschaften an Banken vergibt oder mit Kapital einsteigt, fordern wir, dass Auf- lagen und Mitbestimmung durch den Staat nicht nur möglich, sondern verbindlich sind. Es muss obligatori- sche Regeln geben, damit die Bundesregierung sich nicht von Bank zu Bank mit immer laxeren Vorhaben durchmanövrieren kann. Diese zwingenden Regeln su- che ich im vorliegenden Gesetzentwurf vergeblich. Statt- dessen soll die Gegenleistung der Finanzinstitute ohne Parlamentsbeteiligung auf Verordnungsweg geregelt werden. Damit will die Bundesregierung einen weiteren Blankoscheck. Der Gesetzentwurf lässt viele zentrale Punkte offen. Das ist in erster Linie dem Eilverfahren geschuldet. Das Beispiel Amerika zeigt, dass dort nach der ersten Ableh- nung des Finanzmarktstabilisierungspaketes durch das Repräsentantenhaus mehr Zeit für Diskussion geschaf- fen wurde und somit viele Fehler korrigiert werden konnten. Die kurze, dadurch entstandene Verzögerung hatte keine weitreichenden negativen Konsequenzen. Das ist für mich ein weiterer Grund, warum ich den Ge- setzentwurf der Bundesregierung heute ablehne. Wir haben uns im Haushaltsausschuss und Parlament für alle diese Punkte intensiv eingesetzt. Leider sind wir in den zentralen Aspekten an der Sturheit der Großen Koalition gescheitert. Mittel- und langfristig muss sich die Bundesregierung vom reinen Krisenmanagement verabschieden. Wir ha- ben wieder gelernt, dass es auf dem Finanzmarkt zu ei- nem massiven Marktversagen kommt, wo das Zocken mit undurchsichtigen Finanzprodukten unsere gesamte Gesellschaft an den Abgrund stellen kann. Daher fordern wir Regeln und massive Verbesserungen im Zusammen- spiel von den Akteuren. Der Staat muss viel stärker als bisher umfassende Zugänge zu Informationen über das Geschehen auf den Märkten erhalten. Das derzeitige Systemversagen zeigt: Wir brauchen neue Regeln. Die Bundesregierung zeichnet sich aber auch in diesem Be- reich durch Untätigkeit aus. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maß- nahmenpakets zur Stabilisierung des Finanz- marktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Dem Finanz- marktstabilisierungsgesetz (FMStG) kann ich nur des- halb zustimmen, weil geschlossenes Handeln jetzt ein Gebot der Stunde ist, um größeren Schaden von unserem Vaterland abzuwenden. Dennoch muss ich ausdrücklich darauf verweisen, dass der zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf nur sehr nebulöse Verordnungsermächti- gungen hinsichtlich der Verantwortung bzw. der Eigen- beteiligung der verantwortlichen Akteure der Finanz- branche (Großaktionäre, Manager) enthält. Klare Verpflichtungen, gegebenenfalls auch mit der ausgewie- senen Möglichkeit zur Selbstverpflichtung, der für die Krise Verantwortlichen sind leider nicht gesetzlich fi- xiert. Hier wäre zum Beispiel daran zu denken, dass die für die Finanzmarktkrise verantwortlichen Entscheidungs- träger verpflichtet werden, ihre Kenntnisse über die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge nationaler und internationaler Finanzmarktströme in Form eines quasi „Täter-Opfer-Ausgleichs“ den Bürgerinnen und Bür- gern – den mithaftenden Steuerzahlern – zur Verfügung stellen. So könnten sie sich zumindest aktiv an der Repa- ratur des von ihnen verursachten Schadens beteiligen. Zu den notwendigen klaren Verpflichtungen der Verant- wortlichen hätten ebenso eindeutige Aussagen zur Be- grenzung der Managergehälter, Boni oder Dividenden gehört. In diesem Zusammenhang hätte ich erwartet, dass die Krisenverantwortlichen eigeninitiativ ihre um- fassende Bereitschaft zu vertrauensbildenden Maßnah- men signalisiert hätten. Mir ist klar, dass die Ermittlung der Schuldigen aus- schließlich mit den Mitteln eines freiheitlichen, demo- kratischen Rechtsstaates erfolgen darf. Dies ist juristisch kompliziert, weil bislang einzigartig, und in jeglicher Hinsicht zeitlich sehr aufwendig. Mir ist auch klar, dass die gegenüber der Gesamtbevölkerung geringe Anzahl der Krisenverantwortlichen unmöglich eine wirksame Schadenswiedergutmachung betreiben kann. Insofern wäre ein gesetzlich fixierter Eigenbetrag der Finanzbranche zwar marginal, aber dennoch ein Betrag von hohem politischem Symbolwert gewesen. Dieser Ei- genbetrag wäre eine vertrauensbildende Maßnahme ge- genüber der Gemeinschaft der Steuerzahler, durch die die Einsicht und das Bekenntnis zu zukünftig verant- wortlicherem Handeln ein Gesicht bekommen hätten. Ich bedaure ausdrücklich, dass die Finanzbranche sich diesbezüglich auffällig zurückhält. Die lässt leider Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19735 (A) (C) (B) (D) vermuten, dass wenig Einsicht besteht. Damit kann der Anschein erweckt werden, dass eine gewisse Missach- tung gegenüber den redlich arbeitenden Steuerzahlern demonstriert wird, die die immense Last der Stabilisie- rung der für eine funktionierende soziale Marktwirt- schaft notwendigen Finanzwirtschaft schultern. Michael Brand (CDU/CSU): Die Krise der Finanz- märkte ist verursacht durch verantwortungslose Speku- lanten, die viel mit Kapitalismus und nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun haben. Dass Bundes- regierung und Bundesländer in einer ungeheuren Kraft- anstrengung nun wesentliche Schritte eingeleitet haben, um diese Krise zu meistern, verdient Anerkennung und Unterstützung im Sinne der Sparer und der Wirtschaft, die dringend auf Kredite zur Finanzierung der Produk- tion und Sicherung von Beschäftigung angewiesen ist. Dass der einzelne Parlamentarier angesichts der unge- heuren Komplexität und der Auswirkungen sich auf das Wissen und die erkennbar gegebene Verantwortung von Fachleuten aus Regierung und auch seriöser Experten aus der Finanzwirtschaft verlassen muss, ist auch klar. Durch meine Zustimmung zu diesem Maßnahmenpa- ket gebe ich auch meinem Vertrauen Ausdruck, dass an- gesichts der Krise die Menschen in unserem Land auf allen Ebenen, von den kleinen Sparern bis zu den Fi- nanzministern, gemeinsam diese Krise bewältigen. Dies als nicht mit allen Fragen des Finanzmarktes vertrauter Abgeordneter offen und ehrlich zu Protokoll gegeben zu haben, ist mir wegen des Vertrauens der Bür- gerinnen und Bürger in ihre gewählten Vertreter wichtig. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ich kann dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz nicht zustimmen. Zwar sind Maßnahmen der Bundesregierung, um das Vertrauen zwischen den Banken und Finanzinstituten wieder herzustellen, überfällig. Mit den vorgelegten Re- gelungen findet aber eine weitgehende Entmachtung des Parlaments statt. Ein Regieren per Rechtsverordnung ist für mich letztlich undemokratisch. Mit dem Gesetz wer- den in der Vergangenheit erzielte Gewinne großer Aktio- näre gerettet, ohne aber die Verursacher der Finanzkrise angemessen an den Lasten zu beteiligen und zur Verant- wortung zu ziehen. Mit einer Steuerpolitik zugunsten von Finanzinvestoren, mit der Zulassung unter anderem von Hedgefonds und Kreditverbriefungen tragen die Große Koalition wie auch ihre rot-grüne Vorgänger- regierung maßgeblich Mitschuld am Entstehen der ge- genwärtigen tiefgreifenden Krise. Mit dem Maßnahmenpaket wird nicht ausreichend dafür gesorgt, die Spareinlagen und Einkommen der Bürgerinnen und Bürger zu sichern sowie die Liquidität und Auftragslage kleinerer und mittlerer Firmen zu ver- bessern. Ohne ein begleitendes Konjunkturprogramm, ohne deutliche Einkommenssteigerungen vor allem für Geringverdiener, Langzeitarbeitslose und Familien wer- den die finanzpolitischen Maßnahmen zu großen Teilen ins Leere laufen und nur einen steigenden Schuldenberg für spätere Generationen hinterlassen. Das Gesetz ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten, insbesondere mit zusätzlichen und zukünftigen Belastungen für die Haushalte des Bundes, der Länder und der Kommunen. Dem kann und will ich nicht zustimmen. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Hiermit er- kläre ich, dass ich dem Gesetzentwurf zustimme, weil ich die Auffassung teile, dass schnell vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ich lege jedoch großen Wert auf die Feststellung, dass ich bedauere, dass es nicht zu der in der Bundestagsdrucksache 16/10600 aufgezeigten Lösung mit der Operationsverantwortung durch die Deutsche Bundesbank kommt. Angesichts der weiten Verordnungsermächtigungen, die mit dem Gesetz gegeben werden, und den Erfahrungen mit der Beteili- gungshandhabung durch den Bundesfinanzminister hätte ich es für richtiger empfunden, dass einerseits die Opera- tionsverantwortung bei der Bundesbank gelegen hätte und andererseits die in den Beratungen angedachten er- höhten Kontrollrechte bei den Beteiligungen unmittelbar mit dem Gesetzentwurf gleichzeitig umgesetzt worden wären. So besteht die Gefahr, dass nach der Inkraftset- zung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes die not- wendigen Korrekturen und Kontrollen im Bereich der Beteiligungsverwaltung auf der Strecke bleiben. Es darf nicht zu einer Gewichtsverlagerung zwischen Parlament und Regierung kommen. Dies muss durch besondere Kontrollen wieder ausgeglichen werden. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die Dramatik der internationalen Finanzmarktkrise erfordert sicherlich be- sondere Maßnahmen, hinter denen andere Grundsätze zurückstehen müssen. So lag der endgültige Text des Gesetzentwurfes erst am Morgen der Beratung vor, was grundsätzlich nicht hinnehmbar ist. Auch die fast voll- ständige Delegation der Gesetzgebungsbefugnisse an den Verordnungsgeber muss im Interesse des parlamen- tarischen Systems ein Einzelfall bleiben. Schließlich stecken in der Gesetzesmaterie zahlreiche ungeklärte Fragen, wie etwa die Frage von Wettbewerbsverzerrun- gen, wenn der Bund sich an einigen Banken beteiligt und an anderen nicht; die Rolle des Bundes im operativen Geschäft der Banken, an denen er sich beteiligt hat, und die Frage, ob und wie eine eventuelle Bundesbeteiligung rückabzuwickeln ist. Nur im Lichte der außerordentli- chen, weltweiten Finanzkrise ist dieses Gesetzgebungs- verfahren hinnehmbar. Nicht hinnehmbar ist aber, dass im Gesetzestext ein zentraler rechtsethischer Grundsatz unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung völlig außer Acht gelassen wird, nämlich der Grundsatz der Eigenverantwortung. Unsere soziale Marktwirtschaft ermöglicht größtmögli- che individuelle Erfolge, verlangt umgekehrt dann aber auch das Einstehen für entstandene Verluste und Schä- den. Eine Privatisierung von Gewinnen und Sozialisie- rung von Verlusten ist damit unvereinbar und nimmt der Marktwirtschaft die innere Rechtfertigung. Das heute zur Verabschiedung anstehende Finanz- marktstabilisierungsgesetz ignoriert das Prinzip der Ei- genverantwortung vollständig und enthält in keiner ein- zigen Passage einen Eigenbeitrag der Finanzbranche insgesamt, der Aktionäre oder insbesondere des verant- 19736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) wortlichen Managements. Jedem Handwerker oder klei- nen Unternehmer drohen bei Verlusten gerade auch durch die Banken Vollstreckungsmaßnahmen oder gar die Insolvenz, hier dagegen wird eine Branche, die in den vergangenen Jahren überproportional verdient hat, vollkommen verschont. Bloße Verordnungsermächti- gungen in diese Richtung reichen nicht aus, zumal zu be- fürchten ist, dass manch markiger Rede keinerlei Taten folgen werden. Möglich gewesen wäre es auch in der Eile des Ge- setzgebungsverfahrens, festzulegen, mögliche Verluste des Finanzmarktstabilisierungsfonds aus Rettungsmaß- nahmen entweder auf die gesamte Finanzbranche oder auf die Institute zu verteilen, die Leistungen des Fonds in Anspruch genommen haben und in einigen Jahren vielleicht wieder sehr erfolgreich wirtschaften werden, so wie es der Finanzausschuss beschlossen hatte. Mög- lich gewesen wäre es auch, wie in den USA (Emergency Economic Stabilization Act of 2008, section 111) Vergü- tungsstrukturen bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung und damit die Finanzierung des Steuerzahlers auf ein der Öffentlichkeit vermittelbares Niveau zu begrenzen. Da der Gesetzestext den für die innere Rechtfertigung der sozialen Marktwirtschaft unerlässlichen Grundsatz der Eigenverantwortung der Finanzbranche oder des dortigen Managements vollkommen außer Acht lässt, kann ich ihm trotz der grundsätzlichen Notwendigkeit eines staatlichen Handelns nicht zustimmen und werde mich enthalten. Marina Schuster (FDP): Ich gebe dem von der Bun- desregierung vorgelegten Finanzmarktstabilisierungsge- setz – FMStG meine Zustimmung, sehe aber, zum Teil zusätzlich zu den im Entschließungsantrag der FDP ge- nannten Punkten, folgende Kritikpunkte: Art. 1 § 7 (neu): Es bedarf keiner Obergrenze für die Beteiligung des Fonds am Eigenkapital. Bei Bedarf muss der Fonds auch das gesamte Eigenkapital befristet übernehmen können. Die Alteigentümer können die An- teile ja zurückerwerben. Art. 1 § 6 (neu): Es wird ein „Entgelt in angemessener Höhe“ für Garantien gefordert. In der Begründung heißt es, das Entgelt solle 2 Prozent nicht unterschreiten. Hier ist zu beachten, dass das Entgelt für den Fonds wenigs- tens annähernd dem Wert der Risikoreduktion entspricht. Dieser kann erheblich über 2 Prozent liegen. Also sollte man Risikoklassen bilden und die Garantieprämien an dem Umfang der Risikoreduktion ausrichten. Macht man das nicht, besteht die Gefahr des Trittbrettfahrens. Art. 1 § 12: Die Kosten für die Verwaltung trägt der Bund. Die Kosten sollten meines Erachtens aber auch die tragen, zu deren Gunsten der Fonds errichtet wird. Das sind die Garantie- und Eigenkapitalnehmer. Das er- fordert, dass die Prämien für Kapitalhilfe entsprechend gestaltet werden. Art. 2: Die Rechtsverordnungen sind nicht präzisiert; folglich fehlen viele Details, die außerhalb der parla- mentarischen Beratung bestimmt werden. Das müsste so nicht sein. Man hätte die geplanten Grundzüge skizzie- ren können. Art. 2 § 3: Der Fonds sollte auch Mehrheitspositionen einnehmen dürfen. Er hat es dann leichter, seine Ziele durchzusetzen. Art. 2 § 5: Hier wird dem Vorstand gestattet, Vorzugs- aktien ohne Stimmrecht auszugeben. Das ist nicht sinn- voll; der Fonds sollte prinzipiell nur Positionen einneh- men, die ihn im Zweifel durchsetzungsstark machen. Es gilt das Prinzip: Wer haftet, soll auch mitreden dürfen. Art. 2 § 5 Abs. 5: Der Vorstand kann Aktien mit Ge- winn- oder Liquidationsvorzügen ausgeben. Das ist sinnvoll. Diese Vorzüge können entfallen, wenn die An- teile an Dritte weiterverkauft werden. Das schmälert ih- ren Wert; den Schaden hat der Fonds, den Vorteil haben die Alteigentümer. Für diese Vermögensverschiebung fehlt eine stichhaltige Begründung. Art. 2, § 7: Nach § 3 bedarf die Kapitalerhöhung nicht der Zustimmung der Hauptversammlung. In § 7 ist aller- dings von der Zustimmung der Hauptversammlung die Rede. Art. 5: Änderung der Insolvenzordnung. Besonders kritisch ist, dass man hier – wenn auch nur befristet – zu dem alten Überschuldungsbegriff zurückkehrt, also zum „weichen“ Begriff des BGH vor Inkrafttreten der InsO. Gerade in der jetzigen Situation bräuchte man aber klare Regelungen. Dies kann man erreichen, wenn die Bilan- zierungsvorschriften für Financial Assets mit aktuell ge- drückten Marktwerten angepasst werden. Dann nämlich dürfen auf der Aktivseite Fortführungswerte aktiviert werden. Dann also kann es bei der Interpretation von § 19 InsO bleiben. Wird dann Überschuldung erkennbar, muss Eigenkapital zugeführt werden oder der Fonds muss Garantien gegen Entgelt gewähren. Auf keinen Fall sollte man Rechtsregeln, über die man 40 Jahre dis- kutiert hat, aufweichen und bis zum Jahr 2011 außer Kraft setzen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rolf Kramer, Gabriele Lösekrug-Möller und Simone Violka (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maß- nahmenpakets zur Stabilisierung des Finanz- marktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) (Zusatztagesordnungspunkt 7) In der Diskussion um die Ausgestaltung des Gesetzes forderten die Abgeordneten der SPD und auch ich per- sönlich eine Beteiligung der Finanzbranche an den even- tuell auftretenden Defiziten. Ich halte es für gerechtfer- tigt und auch gerecht, wenn nicht nur der Steuerzahler für die zum Teil gravierenden Fehler der Kreditinstitute aufkommen muss, auch wenn das größtenteils nur über eine Bürgschaft erfolgt. Für diese Krise ist die Banken- branche verantwortlich und muss dafür auch in Haftung genommen werden. Leider verweigerte sich der Koali- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19737 (A) (C) (B) (D) tionspartner CDU/CSU dieser Forderung vehement. Die Abgeordneten der CDU/CSU waren nicht bereit, diesen Schritt mitzugehen. Sie stellen sich damit vor die Ban- ken samt ihrer hoch bezahlten Manager und riskieren lie- ber das Geld der Steuerzahler, als die Verursacher in Mithaftung und persönliche Verantwortung zu nehmen. Ich verurteile diese Haltung zutiefst, zumal viele deutsche Anleger in den letzten Wochen durch Fehlbera- tung und mangelnde Aufklärung bereits viel Geld verlo- ren haben bzw. noch nicht wissen, ob sie zum Beispiel im Falle der isländischen Kaupthing-Bank wieder zu- mindest an einen Teil ihres Geldes kommen. Ich bin al- lerdings zuversichtlich, dass auch hier zusammen mit Island eine Lösung im Sinne der deutschen Anleger ge- funden wird. Die Menschen fordern zu Recht mehr persönliche Haftung der Verantwortlichen. Eine Übernahme von eventuellen Defiziten durch die Branche wäre aus mei- ner Sicht ein erster Schritt gewesen, sich dieser Verant- wortung zu stellen. Wegen der ablehnenden Haltung der CDU/CSU in dieser Frage musste ich mich entscheiden, ob ich dem Gesetz in der jetzigen Form zustimmen kann. Diese Haf- tungsfrage ist mir nach wie vor sehr wichtig, und ich be- harre auch auf meiner Meinung und Forderung. Die Banken und ihre Manager müssen zukünftig mehr in die Pflicht genommen werden. Denn nur wer persönlich mithaftet, wird zukünftig vorsichtiger agieren. Hohe Bonizahlungen aufgrund von hohem Volumen und ho- hem Risiko verleiten zu riskanten Anlageempfehlungen. Das ist falsch. Aufgrund der Ernsthaftigkeit des Themas, des Aus- maßes der Finanzmarktkrise, der damit verbundenen Gefahr des Zusammenbruchs des Bankensystems und der nachhaltigen Schädigung der deutschen Wirtschaft stimme ich trotz meiner nicht erfüllten Forderungen dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz heute zu. Eine Ableh- nung und damit das Nichtzustandekommen des Finanz- marktstabilisierungsgesetzes würden für die Sparerinnen und Sparer, Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer, die Wirtschaft und natürlich auch die Bankenbranche selber ungeahnte negative Folgen haben. Das kann ich nicht verantworten. Auch wenn die oben genannten Punkte im vorliegen- den Gesetz keine Berücksichtigung fanden, werde ich alle meine Möglichkeiten nutzen, noch nachträglich eine entsprechende Mithaftung durchzusetzen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Alexander Bonde, Dr. Harald Terpe, Krista Sager, Ute Koczy, Anna Lührmann, Thilo Hoppe, Priska Hinz (Herborn), Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Josef Philip Winkler, Ulrike Höfken, Rainder Steenblock, Birgitt Bender und Irmingard Schewe-Gerigk (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsge- setz – FMStG) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Wir befinden uns in einer historischen Situation. Es gibt die größte Finanzmarktkrise seit 80 Jahren – und eine weltweite ökonomische Krise steht uns wahrschein- lich noch bevor. Diese außergewöhnliche Situation macht sowohl bei den Notenbanken als auch bei Parla- ment und Regierung außergewöhnliche staatliche Reak- tionen notwendig, um eine weitere Zuspitzung der Krise zu verhindern, deren Konsequenzen kaum absehbar sind. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach Art der Maßnah- men sowie in deren Dimensionen eine solche außerge- wöhnliche Reaktion, eine Notmaßnahme in schwieriger Zeit. Sie abzulehnen bedarf auch dann, wenn eine Reihe von Fragen im Beratungsprozess aufgrund der hohen zeitlichen Dringlichkeit offengeblieben sind und in vie- len Einzelfragen Bedenken bestehen, einer besonderen Rechtfertigung. Zur Verhinderung einer weiteren Verschärfung der Fi- nanzkrise sind zurzeit vor allem zwei Dinge notwendig. Erstens braucht es einen umfassenden Rettungsansatz, der eine glaubwürdige Strategie der Rettung einzelner Institute sowie eine Stabilisierung der Interbanken- märkte umfasst. Geeignet dazu sind insbesondere eine Zuführung von Kapital an Banken mit Liquiditäts- oder Solvenzschwierigkeiten in Form von Teilverstaatlichun- gen, wie sie zum Beispiel in Großbritannien vorgenom- men wurden, eine Garantie für Geldmarktkredite in Form von Bürgschaften sowie gegebenenfalls eine Über- nahme sogenannter fauler (toxic) Assets durch den Staat. Alle drei Maßnahmen sind Bestandteile des Pakets der Bundesregierung. Zweitens muss dieser Rettungsansatz, wie wir seit Monaten fordern, europäisch und internatio- nal koordiniert erfolgen. Auch dies ist mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf erfüllt, nachdem die Bundesre- gierung lange in völliger Fehleinschätzung der Situation auf einen nationalen Alleingang setzte. Das heißt, vom Grundsatz her unterstützen wir die Bundesregierung bei ihrem Vorgehen. Aus zwei Gründen stimmen wir aber gegen den Ge- setzentwurf. Erstens. Im Gesetzentwurf stimmen zwar die Überschriften. Wesentliche Punkte sind aber nicht geregelt, zum Beispiel in welcher Form und unter wel- chen Bedingungen die Rekapitalisierung stattfindet. Da- mit bleiben chaotische und ungeeignete Einzelmaßnah- men möglich, wie sie bisher das Krisenmanagement der Bundesregierung gekennzeichnet haben. Ohne die Klä- rung dieser und anderer Regeln ist die Wirkung des ge- samten Rettungspakets aber gefährdet. Das ist auch ein wesentlicher Grund, warum das 700-Milliarden-Dollar- Paket der USA bisher noch keinen sichtbaren Effekt hatte. Insbesondere wäre eine klare Festlegung erforder- lich, dass die Rekapitalisierung in erster Linie durch Teilverstaatlichung erfolgen und bei der Übernahme von Anteilen auch das Stimmrecht ausgeübt werden soll. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass eine Ret- tung langfristig erfolgreich ist und das Interesse der All- gemeinheit gewahrt wird, die nun in hohem Maße zur 19738 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) Übernahme von Risiken gezwungen ist. Im günstigsten Fall – und wenn die Regelungen entsprechend getroffen werden – ist es nämlich durchaus denkbar, dass der zu gründende Fonds am Ende nur ein geringes Defizit hat oder sogar ein Überschuss entsteht, weil die Anteile an den Banken sowie die Wertpapiere an Wert gewinnen und durch die Garantievergabe Einnahmen entstehen. Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf überträgt die Verantwortung genau denjenigen, die nicht nur im Vorfeld eine Vermeidung der Krise durch eine falsche Politik versäumt, sondern auch seit Ausbruch der Krise im Juni 2007 ein konsequentes und europaweit sowie international abgestimmtes Gegensteuern mit dem Hin- weis auf eine geringe Betroffenheit Deutschlands abge- lehnt haben. Erst jetzt, viel zu spät, erfolgt ein europäisch und international abgestimmtes Krisenmanagement. Erst jetzt, nachdem bereits eine Reihe von einzelnen Ret- tungsmaßnahmen in Deutschland umgesetzt wurde, ge- hen Bund und Länder zu einem systematischen Ret- tungsansatz über. Erst jetzt werden Änderungen in der Finanzaufsicht in Aussicht gestellt, die von uns seit Mo- naten gefordert werden. Die Klärung nahezu aller Um- setzungspunkte soll durch Verordnungen des Finanz- ministeriums und der Regierung geschehen, denen das Parlament nicht mehr zustimmen muss, sodass der Ge- setzgeber nicht die Möglichkeit hat, darauf noch ir- gendeinen Einfluss zu nehmen. Aufgrund der genannten und weiterer Fehler der Bundesregierung im Krisenma- nagement sowie einer mangelhaften und teilweise wohl falschen Information des Parlaments ist deutlich, dass die Voraussetzungen für einen derart weitreichenden Vertrauensvorschuss nicht gegeben sind. Diese Ent- machtung des Parlaments zugunsten der schon bisher nicht überzeugenden Krisenmanager ist angesichts eines Volumens von nahezu 500 Milliarden Euro nicht hin- nehmbar. Bei aller Dringlichkeit der Maßnahmen: Wenn der Bundestag heute ablehnt – das zeigt das Beispiel des US- Kongresses, der erst einer zweiten, deutlich modifizier- ten Fassung des Rettungsplans zustimmte –, bleibt Zeit, um die genannten und zahlreiche andere Fehler zu korri- gieren und dann mit einer verbesserten deutschen Um- setzung an der international koordinierten Rettungs- aktion teilzunehmen. Unsere Fraktion war dazu in den vergangenen Tagen bereit. Diese Bereitschaft endet nicht mit der heutigen Abstimmung. So problematisch eine endgültige Ablehnung wäre, die heutige Ablehnung ist es nicht. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) (Tages- ordnungspunkt 35 a) Gitta Connemann (CDU/CSU): Dem Gesetzent- wurf zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV- OrgWG) werde ich zustimmen, obwohl ich gegen die beabsichtigte Änderung des § 73 b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – hausarztzentrierte Versor- gung – erhebliche verfassungs- und europarechtliche Be- denken habe. Als Einwendungen führe ich vor allem an, dass durch diese neue gesetzliche Auslegung des § 73 b SGB V nach meiner Auffassung gegen die negative Koalitions- freiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, verstoßen wird, da Hausärzte dann aus existenziellen Gründen gezwungen sein wer- den, dem Hausärzteverband als Mitglied beizutreten – nach der vorgesehenen Regelung ist der Hausärztever- band nicht verpflichtet, Nichtmitglieder in den Vertrag einzubeziehen –; dass mit der gesetzlichen Vorgabe einer 50-Prozent-Quorumsregelung das bisherige KV-Mono- pol nur durch ein anderes ersetzt wird und somit ein neues Kollektivvertragssystem geschaffen wird – dies mit einem Schiedsamtsverfahren, mit dem eine Einigung erzwungen werden kann –; dass die angestrebte bzw. be- reits vorhandene Optimierung innerhalb der Versor- gungsstrukturen unter Berücksichtigung der jeweiligen regionalen Gegebenheiten konterkariert werden könnte und dass diese gesetzliche Vorgabe nicht ausreichend be- rücksichtigt, dass neben den Allgemeinmedizinern auch Internisten, Kinderärzte und praktische Ärzte an der hausärztlichen Versorgung beteiligt sind und nur einem einzelnen Verband ein Sonderrecht in der medizinischen Versorgung eingeräumt wird. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Trotz meiner nach wie vor vorhandenen Bedenken gegen den Gesund- heitsfonds stimme ich dem Gesetz zur Weiterentwick- lung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu, da ich der Meinung bin, dass sich damit eine deutliche Verbesserung aller am System Beteiligten ergeben wird. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust und Dr. Rolf Koschorrek (beide CDU/CSU) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) (Tages- ordnungspunkt 35 a) Dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Orga- nisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV-OrgWG) werde ich zustimmen, obwohl ich gegen die beabsichtigte Änderung des § 73 b des Fünf- ten Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – hausarztzen- trierte Versorgung – erhebliche verfassungs- und europa- rechtliche Bedenken habe. Als Einwendungen führe ich vor allem an, dass durch diese neue gesetzliche Auslegung des § 73 b SGB V nach meiner Auffassung gegen die negative Koalitions- freiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, verstoßen wird, da Hausärzte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19739 (A) (C) (B) (D) dann aus existenziellen Gründen gezwungen sein wer- den, dem Hausärzteverband als Mitglied beizutreten – nach der vorgesehenen Regelung ist der Hausärztever- band nicht verpflichtet, Nichtmitglieder in den Vertrag einzubeziehen –; dass diese Neuregelung gegen Verfas- sungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßen und im Widerspruch zu der staatlichen Ge- währleistungsverantwortung für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch Kassenärztliche Vereinigungen stehen könnte; dass mit der gesetzlichen Vorgabe einer 50-Prozent-Quorumsregelung das bishe- rige KV-Monopol nur durch ein anderes ersetzt wird und somit ein neues Kollektivvertragssystem geschaffen wird – dies mit einem Schiedsamtsverfahren, mit dem eine Einigung erzwungen werden kann –; dass die ange- strebte bzw. bereits vorhandene Optimierung innerhalb der Versorgungsstrukturen unter Berücksichtigung der jeweiligen regionalen Gegebenheiten konterkariert wer- den könnte und dass diese gesetzliche Vorgabe nicht aus- reichend berücksichtigt, dass neben den Allgemeinmedi- zinern auch Internisten, Kinderärzte und praktische Ärzte an der hausärztlichen Versorgung beteiligt sind und nur einem einzelnen Verband ein Sonderrecht in der medizinischen Versorgung eingeräumt wird. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei- sen, dass auch die Stellungnahme des Bundesministe- riums der Justiz (BMJ) vom 19. Juni 2008 meine rechtli- chen Bedenken bezüglich der Änderung des § 73 b SGB V nicht auszuräumen vermag, da auch das BMJ auf die Möglichkeit hinweist, dass die Vertragsfreiheit der anderen potenziellen Vertragspartner verletzt sein könnte. Des Weiteren werden meine verfassungsrechtli- chen Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG – Berufsausübungsfreiheit – und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG – Gleichbehandlungsgebot – durch die Stellungnahme des BMJ nicht ausgeräumt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Arbeitsmarktinstru- mente auf effiziente Maßnahmen konzentrie- ren (183. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9) Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Die Große Koalition hat in ihrer dreijährigen Amtszeit mehr Bewe- gung in den Arbeitsmarkt gebracht, als Sie, liebe Kolle- ginnen und Kollegen von der FDP, es uns jemals zugetraut hätten. Die Arbeitslosenquote ist in unserer bisherigen Amtszeit von 10,9 Prozent im November 2005 auf aktuell 7,4 Prozent gefallen. Damit ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit so groß wie seit Jahr- zehnten nicht mehr. Dazu haben wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenver- sicherung von 6,5 Prozent auf 3,0 Prozent ab Januar 2010 gesenkt und werden ihn für das Jahr 2009 sogar auf 2,8 Prozent senken. Damit sinkt der Beitragssatz auf das Niveau von 1980 und entlastet die Beitragszahler allein im kommenden Jahr um rund 4 Milliarden Euro. Wür- den wir heute noch einen Beitragssatz von 6,5 Prozent haben, hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer seit Beginn der Senkung 30 Milliarden Euro mehr ausgegeben. Das hätte alles nicht funktioniert, wenn die BA nicht streng auf die Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Arbeitsmarkt- politik achten würden, wie Sie von der FDP es jetzt for- dern. Auf einzelne Punkte Ihres Antrages will ich dennoch gerne eingehen. Sie fordern die Bundesregierung auf, alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu überprüfen. Vielleicht ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf mit diesem Inhalt kürzlich beschlossen hat. Sie fordern, dass alle arbeitsmarktpolitischen Pro- gramme öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Dazu möchte ich Sie darauf hinweisen, dass heute schon in al- ler Regel nichts mehr ohne Ausschreibung läuft. Ich halte das sogar für problematisch. Durch die Ausschrei- bungspraxis der vergangenen Jahre mussten viele lokale Bildungsträger aufgeben, weil sie dem Preiswettbewerb nicht standhalten konnten. Nicht immer ist der Billigste auch der Beste. In Ihrem Antrag heißt es: Alle arbeitsmarktpolitischen Programme sind stär- ker nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Effizienz öffentlich auszuschreiben. Projektträger müssen im Wettbewerb untereinander stehen. Durch ständige Leistungsvergleiche ist der Quali- tätswettbewerb zusätzlich zu verstärken. Was glauben Sie eigentlich, nach welchem Prinzip die BA derzeit arbeitet? Ich bringe Sie gern auf den neuesten Stand der Dinge. Seit April 2007, also seit über einem Jahr, gibt es den Prüfdienst Arbeitsmarktdienstleistun- gen bei der BA, durch den eine Überprüfung der Durchführungs- und Umsetzungsqualität von Arbeits- marktdienstleistungen, die von Trägern erbracht werden, erfolgt. Die Bundesagentur verfolgt mit dem Prüfdienst Arbeitsmarktdienstleistungen unter anderem das Ziel, neben der Verbesserung der jeweiligen Maßnahme auch die Arbeitsmarktdienstleistungen weiterzuentwickeln. Ich dachte immer, die FDP erhebt für sich den Anspruch, ihrer Zeit voraus zu sein. Mit dem heutigen Antrag sind Sie jedenfalls ein Jahr hinterher. In Ihrem Antrag fordern Sie, dass die Zielgruppen- orientierung verbessert werden muss. Das klingt zwar gut; man muss aber auch wissen, was das bedeutet. Wenn man die Instrumente auf einzelne Zielgruppen ausrichtet, dann gibt es auch automatisch mehr Produkte. Man kann das machen; dann gibt es aber auch keine deutliche Reduzierung. Gleichzeitig üben Sie aber auch Kritik an einzelnen Zielgruppenprogrammen, wie für Ju- gendliche oder Menschen mit Vermittlungshemmnissen. Das ist unglaubwürdig. Sie fordern, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ab- geschafft werden sollen. Sie haben recht. Das machen wir auch in unserem Gesetzentwurf. Die Hartz-Evalua- tion hat in der Tat ergeben, dass ABM keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sind. Im Gegenteil: Sie verzö- gern die Integration sogar. Allerdings ist das Volumen heute schon unbedeutend. Es handelt sich gerade einmal 19740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) um 4 400 Fälle im gesamten Bundesgebiet. Sie kämpfen hier auf einem Nebenkriegsschauplatz. Sie möchten öffentlich finanzierte Beschäftigung auf ein Mindestmaß beschränken. Man kann einen solchen Beschäftigungssektor ja für ordnungspolitisch falsch halten. Sozialpolitisch ist es jedenfalls richtig. Sie blei- ben nämlich die Antwort auf die Frage schuldig: Was machen wir denn mit denen, von denen wir annehmen müssen, dass sie am ersten Arbeitsmarkt niemals inte- griert werden könnten? Die BA geht davon aus, dass etwa 400 000 Menschen in Deutschland so große und verschiedene Vermittlungshemmnisse haben, dass eine Integration nie gelingen wird. Mein christlich-soziales Verständnis ist jedenfalls nicht zu sagen: Ihr kriegt die Stütze, das muss reichen. Wir haben die Verantwortung, auch diesen benachteiligten Bürgern unseres Landes eine sinnstiftende Beschäftigung zu ermöglichen. Dazu dient unter anderem der Kombilohn für Schwervermit- telbare, den wir im letzten Jahr eingeführt haben. Zu einer weiteren Forderung Ihres Antrages: Private Arbeitsvermittlung soll stärker als bisher die staatlichen Vermittlungsbemühungen ergänzen. Von einem Wettbewerb um effiziente Arbeitsver- mittlung profitieren alle Beteiligten. Mit dieser Forderung scheinen Sie auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt zu sein. Jedenfalls scheinen Sie anzuerkennen, dass es eine staatliche Arbeitsvermittlung geben soll. Bisher habe ich von Ihnen immer nur gehört, dass die Bundesagentur für Arbeit aufgelöst werden soll. Entweder haben Sie sich von dieser Forderung verab- schiedet – dann sollten Sie das auch deutlich sagen –, oder Sie haben einen alten Antrag der vergangenen Wahlperiode in den Bundestag eingebracht, den keiner mehr aktualisiert hat. Im Grundsatz gebe ich Ihnen recht: Ein Wettbewerb von staatlicher und privater Arbeitsver- mittlung kann nur gut für die Arbeitsuchenden und die Unternehmen sein. Deshalb kooperiert die BA ja auch heute schon in einigen Regionen mit privaten Arbeits- vermittlern. Es ist aber nicht so, dass in den vergangenen Jahren überhaupt nichts passiert wäre. Ich darf Sie darauf hin- weisen, dass wir das Überbrückungsgeld und die Ich-AG abgeschafft haben und in dem Gründungszuschuss zu- sammengefasst haben. Die Ausgaben für diesen Grün- dungszuschuss sind heute schon geringer als beide ande- ren zusammen. An einer Stelle möchte ich Ihnen allerdings auch recht geben. Das ist die Feststellung im ersten Absatz Ihres Antrages, dass die derzeitige Anzahl der Förderinstru- mente nicht mehr durchschaubar ist. Die Regelungs- dichte wird weder von den Mitarbeitern noch den Arbeitslosen noch den Unternehmen erfasst. Eine Neu- ordnung ist daher dringend notwendig. Unwirksame In- strumente müssen abgeschafft, erfolgreiche weiterentwi- ckelt, gleichartige zusammengefasst und neue, wenn notwendig, eingeführt werden. Insgesamt bleiben die Vereinfachungsvorschläge für die derzeit weit über 70 Arbeitsförderungsinstrumente in der Tat unzureichend. Die Bundesagentur für Arbeit hatte selbst einmal eine gründliche Reduzierung auf 5 wesentliche Instrumente vorgeschlagen, was ich durchaus sympathisch fand. Das es so radikal nicht geht, ist klar, aber mehr hätte es in dem Entwurf des Arbeits- ministeriums schon sein können. Am Ende ist aber nicht die Zahl entscheidend, sondern dass die Instrumente, die es gibt, auch funktionieren. Die Beitragszahler erwarten zu Recht, dass die Ziele der Arbeitsförderung mit geringstem Aufwand und best- möglicher Qualität und Wirkung erreicht werden. Die Finanzmittel der Beitragszahler müssen also so einge- setzt werden, dass sie den größtmöglichen Nutzen ent- falten. Dies ist nur möglich, wenn wir einen Katalog mit bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten schaffen. Ich sage aber auch ganz deutlich: Einsparungen ste- hen nicht im Vordergrund der SGB-III-Reform. Mit ei- ner Halbierung der Instrumente ist keine Halbierung der Ausgaben verbunden. Wir sind gefordert, mit den finan- ziellen Möglichkeiten, die wir heute haben, vor allem denen zu helfen, bei denen der Aufschwung am Arbeits- markt noch nicht angekommen ist. Im Vordergrund die- ser Reform stehen Transparenz, Übersichtlichkeit, Ef- fektivität und Effizienz. Entscheidend ist einzig und allein: Was hilft den Betroffenen? Die BA hat in den letzten Jahren große Anstrengun- gen unternommen, um den Einsatz arbeitsmarktpoliti- scher Instrumente unter dem Gesichtspunkt der Wirkung und Wirtschaftlichkeit zu optimieren. Auf diesem Weg werden wir sie auch weiter unterstützen. Das Gesetz zur Neuordnung der arbeitsmarkt-politischen Instrumente wird einen kleinen Teil dazu beitragen. Die Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, die BA zu einem leistungsfähigen Dienstleister am Arbeitsmarkt zu machen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Wohnungslosigkeit vermeiden – Wohnungslose unterstützen – SGB II überarbeiten (183. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 17) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): In der Musik ist der Dreiklang ein harmonisches Zusammenspiel. Hört man den Titel des Antrages „Wohnungslosigkeit vermei- den – Wohnungslose unterstützen – SGB II überarbei- ten“ könnte man beim flüchtigen Hören eine inhaltliche Harmonie vermuten. Doch der Text, den die Fraktion Die Linke zu diesem Dreiklang liefert, ist extrem disso- nant. Beträgt der Wahrheitsgehalt des ersten Satzes Ihres Antrages noch 100 Prozent, entsteht im Weiteren eher der Eindruck, dass mit dem Gespenst des drohenden Wohnungsverlustes Politik gemacht werden soll. Zurück zum ersten Satz des Antrages. Ich zitiere: „Die Zahl der Wohnungslosen ist in den letzten Jahren erfreulicher- weise zurückgegangen.“ Dies, meine Damen und Her- ren, ist zutreffend. Der Dritte Armuts- und Reichtumsbe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19741 (A) (C) (B) (D) richt präzisiert, „Die Zahl der wohnungslosen Personen lag nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe im Jahr 2006 bei 254 000 und damit bei weniger als der Hälfte gegenüber 1998 (530 000). Der aktuelle Rück- gang der Wohnungslosigkeit betrifft insbesondere Fami- lien. Gegenüber den Schätzungen von 2003 hat sich die Zahl der wohnungslosen Kinder und Jugendlichen hal- biert. So, meine werten Kolleginnen und Kollegen, hätten Sie natürlich Ihren Forderungskatalog nicht einleiten können. Deshalb schüren Sie die Angst vor Wohnungs- verlust und schlagen den Bogen von Wohnungslosen zu Arbeitssuchenden. Auf diesem Hintergrund platzieren Sie Ihre Forderun- gen, von denen meines Erachtens keine wirklich neu ist. Beginnen wir bei Erstens: Mietschulden. Sie verlangen Mietschuldenübernahme im SGB II als Regelfall. Da- rüber haben wir schon mehrfach diskutiert. Für die Si- cherung der Unterkunft ist eine Übernahme von Miet- schulden im Rahmen des Ermessens möglich, und damit kann sehr wohl Wohnungslosigkeit abgewendet werden. Weiter zu Zweitens: SGB II-Zahlung bei stationärem Aufenthalt. Sie verlangen die komplette Streichung des § 7 Abs. 4 SGB II und schießen damit weit über ein möglicherweise sinnvolles Ziel hinaus. Das Versagen von Leistungen zur Grundsicherung von Arbeitssuchen- den nach einem Aufenthalt in einer vollstationären Ein- richtung von länger als sechs Monaten ist im SGB II ge- regelt. Gesetzesbegründung und Kommentierung zeigen, dass hier beispielsweise Altenheime oder Blindenheime gemeint sind. Hier ist davon auszugehen, dass keine Er- werbsfähigkeit vorliegt. Bei Wohnungslosen in stationä- ren Einrichtungen kann durchaus Erwerbsfähigkeit ge- geben sein. Deshalb ist diese zu prüfen. Sie können davon ausgehen, dass eine entsprechende Rechtsspre- chung ganz sicher weder von Parlament noch Bundes- regierung missachtet wird. Daraus jedoch eine komplette Streichung des Abs. 4 § 7 SGB II abzuleiten, ist unange- messen. Nun zu Drittens: Übernahme KdU und Umzugskos- ten für unter 25-Jährige. Sie wollen einen Rechtsan- spruch für alle – wir haben ihn aus guten Gründen einge- schränkt. Ja, die Jugendlichen brauchen die Zustimmung des Leistungsträgers und ja, sie bekommen sie auch, wenn es erforderlich ist. Diese Einzelfallentscheidungen im Rahmen des Ermessens sind nötig und durch Sozial- gerichte überprüfbar. Das mussten wir lernen, weil die ursprüngliche Lösung massive Mitnahmeeffekte hervor- gerufen hatte. Und nun zu Viertens: Sanktionen im Rahmen der Leistungen Kosten zur Unterkunft. Dazu zitiere ich gerne Schlegel/Völszke SGB II Kommentar zu § 31 Abs. 5 SBG II Randnummer 242: 3. Wiederholter Pflichtverstoß: Bei einer wiederholten Pflichtverletzung nach Abs. 1 oder 4 entfällt der gesamte Anspruch auf ALG II … Es besteht somit bereits bei einer weite- ren Obliegenheitsverletzung die Gefahr, dass Miet- schulden auflaufen und infolge dessen Obdachlo- sigkeit eintritt. Ohne eine Behausung dürfte die Integration von jungen Hilfebedürftigen in den Ar- beitsmarkt kaum gelingen. Auch wenn durch die verschärfte Sanktionierung verhindert werden soll, dass sich junge Menschen an ein Leben ohne Arbeit gewöhnen, und deshalb eine besonders konsequente Vorgehensweise angezeigt sein soll, muss im Zwei- fel diese Zielsetzung der Vermeidung von Obdach- losigkeit mit seinen schädlichen Folgen untergeord- net werden. Die Gewöhnung an ein Leben auf der Straße dürfte um einiges schädlicher und integra- tionsfeindlicher sein, als die Gewöhnung an ein Le- ben ohne Arbeit. Deshalb ist bei drohender Obdachlosigkeit das dem Leistungsträger zustehende Ermessen für die Ge- währung von Leistungen der Unterkunft und Hei- zung bei erklärtem zukünftigem Wohlverhalten in der Regel auf 0 reduziert sein. Und nun zu Fünftens: Von Gewalt betroffene Frauen präventiv vor Wohnungsverlust schützen. Dazu fordern Sie eine flächendeckende Hilfe und Beratungsinfrastruk- tur. Ich empfehle Ihnen den Aktionsplan II der Bundes- regierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen als Lektüre. Ich bedauere sehr, dass Sie mit diesem Antrag eher Ängste schüren, als berechtigte Nachjustierungen zu for- dern. Das haben weder jene verdient, die wohnungslos sind, noch die, die unbegründet Sorge vor einem Verlust jeglicher Unterkunft haben. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Erlauben Sie mir abschließend eine Anmerkung: Ich möchte an dieser Stelle all denen danken, die ehrenamt- lich und hauptamtlich in der ganzen Bundesrepublik ihre Zeit und ihr Können, ihre Hilfe und Unterstützung denen zuteilwerden lassen, die in Deutschland wohnungslos sind. Vor ihrem Engagement habe ich großen Respekt und wir alle sind ihnen Dank und Anerkennung schuldig, das gilt bundesweit zum Beispiel für die Arbeitsgemein- schaft der Wohnungslosenhilfe e.V. oder lokal für alle, die in Hameln für das Obdachlosenfrühstück arbeiten, die Sozialberatung machen und bei der Wiedereingliede- rung helfen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Unterstützter Beschäftigung (183. Sitzung, Tagesordnungspunkt 22) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): In diesem Sommer endete für Yvonne die Schule. Sie besuchte eine Förderschule. Sie wäre gerne in eine Integrationsschule gegangen. Leider gab es keine. Nun ist sie in einem ein- jährigen Berufsvorbereitungsprogramm. Sie hat einen Wunsch: Sie möchte arbeiten gehen, selber Geld verdie- nen, so wie ihre Freundin aus der Nachbarschaft. Wir 19742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) können uns mit ihr freuen, dass sie vielleicht von einem neuen Förderinstrument profitieren wird. Gemeint ist die „Unterstützte Beschäftigung“. Diese Unterstützte Be- schäftigung ist Ausdruck moderner Behindertenpolitik. So wie Yvonne sollen Menschen mit Behinderung für sich entscheiden können, wo sie ihren Platz im Arbeits- leben und in der Gesellschaft haben möchten. Der heute eingebrachte Gesetzentwurf eröffnet Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf eine effektive Perspektive für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Ziel ist der Abschluss eines Arbeitsvertrages, die Gründung eines sozialversiche- rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Yvonne hat erweiterte Leistungsansprüche auf individuelle be- triebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Be- schäftigung. Sie bekommt Hilfe beim Platzieren, also der Suche nach einem Arbeitsplatz und sie hat Anspruch auf unterstütztes Qualifizieren am Arbeitsplatz. Jetzt gilt die neue Regel, erst Platzieren, dann Qualifizieren. Mit diesem neuen Gesetz eröffnen wir jenen Men- schen eine stärkere Teilhabe am Arbeitsleben, die zwar aufgrund ihrer Behinderung mehr Starthilfe benötigen, möglicherweise auch einer kontinuierlichen Betreuung bedürfen, aber für die der umfassende Schutz eines Werkstattarbeitsplatzes nicht erforderlich ist. Seinen Lebensunterhalt verdienen, sein Leben in die eigene Hand nehmen, das bedeutet, aus eigener Kraft Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu erreichen. Genau hier setzt Unterstützte Beschäftigung an. Es wurde Zeit für diese Initiative. Sie findet breite Unter- stützung nicht nur in der Koalition und in Fachkreisen, sondern in der ganzen Gesellschaft. Sicher wird dieser Entwurf auch dem Struckschen Gesetz unterliegen und durch die parlamentarische Bera- tung und die Anregungen der Experten im Rahmen der geplanten Anhörung an Qualität gewinnen. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist die Unterstützte Beschäftigung ein weiterer wichtiger Schritt der Ver- wirklichung des Paradigmenwechsels in der Behinder- tenpolitik. Yvonne würde sagen, „Das leuchtet doch ein, erst Platzieren, dann Qualifizieren. Im Alphabet kommt schließlich auch P vor Q.“ Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnach- weises (ELENA-Verfahrensgesetz) (183. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 25) Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. ELENA ist der Kosename für einen elektronischen Einkommensnach- weis. Er soll helfen, Bürokratie abzubauen. Vorerst, wenn es um staatliche Sozialhilfen geht. Was später kommt, gilt noch als Verschlusssache. Aber das „später“ wird kommen. Es wurde bereits angedeutet. Und was dann kommt, kann alles andere als rosig sein. Zweitens. Was ist des Pudels Kern? Die Einkommen aller Bürgerinnen und Bürger sollen elektronisch erfasst und zentral gespeichert werden. Für die meisten quasi auf Vorrat. Spätestens bei den Wörtchen Vorrat und zen- tral aber läuten alle Alarmglocken. Vorratsdatenspeiche- rung ist inzwischen ja geradezu ein Synonym für dro- hendes Unheil geworden. Drittens. Vorerst soll der elektronische Einkommens- nachweis in acht konkreten Fällen helfen, etwa beim Ar- beitslosengeld I, beim Wohngeld oder beim Erziehungs- geld. Die sogenannten Arbeitgeber brauchen keine Papierbescheinigung mehr auszufüllen. Und die Ämter erhalten über eine Zentrale einen schnelleren Zugang zu allen relevanten Lohn- und Gehaltsdaten. Viertens. Zugleich sagen Sachverständige: Diese mi- nimale Anfangsvariante lohnt kaum den Aufwand. Der rechne sich nur, wenn immer mehr, mindestens 45 An- wendungen zusammenkommen. Perspektivisch werden also immer mehr Behörden auf immer mehr Einkom- mensdaten zugreifen können. Und die Bürgerinnen und Bürger werden so immer gläserner. Fünftens. Dasselbe politische Verfahren erleben wir übrigens mit der elektronischen Gesundheitskarte. Auch hier sagen die Experten: Ohne „Mehrwert“, ohne zusätz- liche Daten und Nutzer wird sie ein Flop. Also geht es um viel mehr, als bislang offiziell zugegeben wird. Auch hier droht also die Gefahr, dass sich die schöne Helena als böser Belzebub entpuppt. Sechstens. Der Megatrend ist: Immer mehr Daten von Bürgerinnen und Bürgern werden erfasst, gespeichert, zentralisiert, vernetzt und zusammengeführt: Gesund- heitsdaten, Sozialdaten, Verkehrsdaten, Bewegungsda- ten, Kommunikationsdaten. Im günstigen Fall führt das alles zu Datenpannen. Im schlimmeren Fall endet das al- les in einer Totalüberwachung. Siebtens. Spätestens nach den aktuellen Datenskanda- len bei der Telekom und bei anderen wäre die einzig ver- nünftige Reaktion: Stopp! Moratorium! Wir verordnen uns alle eine Denkpause, und wir setzen alle Vorhaben aus, die das Zeug dazu haben, aus dem Ruder zu laufen. Aber so viel Vernunft ist derzeit weder bei der CDU/ CSU noch bei der SPD zu haben. Achtens. Weit über 50 000 Bürgerinnen und Bürger demonstrierten übrigens am 11. Oktober in Berlin genau gegen diese politische Ignoranz. Deshalb wären alle Par- teien gut beraten, wenn sie endlich zur Kenntnis näh- men: Längst gibt es eine dritte große Konfliktlinie zwi- schen der offiziellen Politik und den zunehmenden Sorgen einer engagierten Gesellschaft. Neuntens. Immer weniger Bürgerinnen und Bürger sind bereit, die zunehmenden sozialen Ungerechtigkei- ten als Zukunftsmodell zu akzeptieren. Immer weniger lassen sich die Außenpolitik der Bundesrepublik als Friedenspolitik verkaufen. Und immer weniger nehmen es hin, dass ihre Bürgerrechte für eine vermeintliche Si- cherheit getilgt werden. Zehntens. Übrigens: Fragen Sie mal Klein- und Mit- telständler, was diese von ELENA halten. Nichts. Denn sie müssen ihre minimale Bürokratieentlastung mit er- heblichen IT-Kosten erkaufen. Auch aus diesem Grund: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19743 (A) (C) (B) (D) Die Linke fordert ein Moratorium für alle datenschutz- relevanten Vorhaben, die mehr Gefahren bergen als Nut- zen. ELENA gehört dazu. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Menschenrechte in der ASEAN-Staatengemeinschaft stärken (183. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Wir bera- ten heute abschließend den Koalitionsantrag „Men- schenrechte in der ASEAN-Staatengemeinschaft stär- ken“. Vor gut einem Jahr hat die Öffentlichkeit den ASEAN-Gipfel in Singapur verfolgt. Die zehn Mitglied- staaten haben eine Charta verabschiedet, in der sie sich zur Stärkung von Demokratie, zu Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung und zur Achtung der Men- schenrechte verpflichten. Ich war sehr gespannt, welche Entwicklung die Charta nehmen würde, denn schon während des Gipfels sorgte Birma für Aufregung. Sie er- innern sich vielleicht: Der UN-Gesandte Gambari sollte über die Lage nach den Protesten berichten. Aber auf Drängen Birmas wurde er wieder ausgeladen. Bisher ha- ben sieben Staaten die Charta ratifiziert. Es fehlen noch Thailand, Indonesien und die Philippinen. Möglicher- weise werden diese Länder die Charta bis zum nächsten Gipfel in Bangkok im Dezember 2008 ratifizieren. Die Charta sieht die Einsetzung eines Menschenrechtsme- chanismus vor. Mit welchen Befugnissen die neue Kom- mission ausgestattet sein wird, ist noch immer unklar. Notwendig ist, dass sie ein hinreichendes Mandat erhält und effektiv zur Stärkung der Menschenrechte beitragen kann. Aber schon innerhalb der ASEAN-Gemeinschaft gibt es Länder, die nicht bereit sind, Menschenrechte zu thematisieren und deshalb Zurückhaltung fordern. Es ist nicht verwunderlich, dass dazu Birma, Kambodscha und Vietnam gehören. Die Bundesregierung und der Deut- sche Bundestag sind daran interessiert, bei der Ausge- staltung des Menschenrechtsmechanismus Unterstüt- zung zu leisten. Das Engagement der Bundesregierung begrüßen wir daher ausdrücklich. Dennoch sollten wir – wenn es um die Menschen- rechte geht – nicht zu optimistisch sein. Die zehn Mit- gliedstaaten der ASEAN könnten unterschiedlicher nicht sein. Es gibt Länder, in denen die Menschenrechte im Wesentlichen eingehalten werden. Und es gibt Staaten wie Birma oder Kambodscha, in denen es Menschen- rechtsverletzungen gibt. In Europa konnten sich durch die regionale Zusammenarbeit Frieden, Stabilität und Wohlstand entwickeln. Dieses europäische Modell stößt beim ASEAN-Verbund auf reges Interesse. Wir reden hier von einer Region, in der mehr als 500 Millionen Menschen leben, die von unterschiedlichsten Kulturen, Religionen, Staatsformen und Geschichten geprägt ist. Der Integrationsprozess dieser Regionalgemeinschaft ist ein gewaltiger Kraftakt, der sicher nur in einem mäßigen Tempo voranschreiten kann. Denn – der ASEAN-Staa- tenbund hat sich dem Konsensprinzip verpflichtet. Das heißt, dass alle Entscheidungen einstimmig zu treffen sind. Und es besteht nach wie vor das Prinzip der Nicht- einmischung in die inneren Angelegenheiten. Beides schränkt die Handlungsfähigkeit der ASEAN ein. Fast ohnmächtig musste die Welt zusehen, als das Regime in Birma seinem Volk nach dem Zyklon die Hilfe verwei- gerte. Öffentliche Kritik hatte Birma von seinen Nach- barn nicht zu befürchten. Letztlich ist es aber ein Erfolg der „leisen Diplomatie“ ASEANs gewesen, die humani- täre Notlage anzugehen. Die Menschenrechtslage jen- seits des Wirbelsturmes hat sich seit den Protesten im Herbst 2007 nicht verbessert. Eine Farce war das Verfas- sungsreferendum, das die Machthaber trotz der Verwüs- tung im Land durchführen ließen und anschließend einen vollen Erfolg verkündeten. Es gibt zahllose politische Gefangene. Ein Parlament und eine unabhängige Justiz sind nicht vorhanden. Aung San Suu Kyi steht noch im- mer unter Hausarrest. Ob die für 2010 angekündigten Wahlen eine Änderung bringen, bezweifle ich. Die Be- völkerung Birmas ist bitterarm. Besonders die ethni- schen Minderheiten leiden unter den gravierenden Men- schenrechtsverletzungen. In den letzten Tagen wurden brutale Übergriffe der Militärs auf Flüchtlingslager an der thailändischen Grenze gemeldet. Die Menschen ge- hören überwiegend zur Gruppe der Karen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die ASEAN-Staaten weiterhin beim Aufbau rechtsstaatlicher Systeme zu unterstützen. Nur so kann gute Regierungsführung verwirklicht wer- den. Funktionierende Gewaltenteilung ist unverzichtbar. Machtmissbrauch, Korruption und Straflosigkeit müssen beendet werden. Diese Themen gehören bei allen Ge- sprächen – bilateral und im Rahmen des EU-ASEAN- Dialoges – auf die Tagesordnung. Wir fordern die Bun- desregierung auf, sich für die Einhaltung der Presse- und Meinungsfreiheit in den ASEAN-Staaten einzusetzen. Wir wissen, wie wichtig es ist, dass die Berichterstattung der Medien und die Meinungsbildung ohne Zensur und Angst vor Verfolgung bleiben. Ohne Zivilgesellschaft ist kein Staat zu machen. Deutschland hat hier gute Erfah- rungen gemacht und wird dafür weltweit anerkannt. Deshalb braucht auch die Zivilgesellschaft in Südost- asien die Möglichkeit, um am politischen Prozess teilha- ben und Einfluss nehmen zu können. Eine weitere wichtige Forderung unseres Antrags be- zieht sich auf die grundlegenden Menschenrechtskon- ventionen und deren Umsetzung. Insbesondere die Kinderrechtskonvention und die Abkommen zu den Frauenrechten möchte ich nennen. Menschenrechte sind universell und unteilbar. Dennoch gibt es unendlich viel Gewalt und Not, von der besonders häufig Frauen und Kinder betroffen sind. Um geschlechtsspezifische Be- nachteiligung und Gewalt zu beseitigen, müssen Struk- turen geschaffen werden, die dem Schutz und der Stär- kung von Frauen und Mädchen dienen. Wirtschaftliche und politische Teilhabe sind die Voraussetzungen, um Menschenrechtsverletzungen an Kindern, Frauen und Minderheiten zu begegnen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass auch eth- nische und religiöse Minderheiten anerkannt und nicht länger diskriminiert werden. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat einen Änderungsantrag vorgelegt, der sich dem Diskriminierungsschutz von homosexuellen Menschen widmet. Als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet wurde, war Homo- sexualität ein großes Tabu und gesellschaftlich geächtet. 19744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) Die sexuelle Orientierung wurde weder in die Erklärung von 1948 noch in die späteren Menschenrechtskonventi- onen der Vereinten Nationen ausdrücklich als Schutzka- tegorie aufgenommen. Dieses Manko dient bis heute dazu, Lesben und Schwulen die vollen Menschenrechte vorzuenthalten. Die sexuelle Orientierung ist aber ein wesentlicher Aspekt der menschlichen Persönlichkeit. Das Recht, diese Identität selbst zu finden und sie offen zu leben, ist Kern des Menschenrechtsgedankens. Die Auffassung, dass eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung auch die bereits vorhandenen Konventionen verletze, setzt sich immer mehr durch. Als erstes Menschenrechtsorgan hat der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte diesem geänderten Be- wusstsein Rechnung getragen. Auch der UN-Vertrags- ausschuss für den Zivilpakt hat 1994 entschieden, dass das Wort „Geschlecht“ in Art. 2 und 26 des Paktes die „sexuelle Orientierung“ mit einschließt. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union erwähnt erstmals ausdrücklich die sexuelle Orientierung als schutzwürdi- ges Merkmal. Der Vertrag von Amsterdam ermöglicht Vorkehrungen, um Diskriminierung aufgrund der sexuel- len Orientierung zu bekämpfen. Zum Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen: ich finde den Änderungs- antrag inhaltlich richtig und unterstützenswert. Leider hat ihn die Fraktion erst zehn Monate nachdem der An- trag von CDU/CSU und SPD in den Deutschen Bundes- tag eingebracht wurde, dem federführenden Ausschuss vorgestellt. Daran entzündete sich eine Debatte um das formale Vorgehen und nicht um die Sache. Ich habe in- haltlich argumentiert und deutlich gemacht, dass die Formalien die SPD nicht hindern, dem Änderungsantrag zuzustimmen. Er entspricht dem Grundsatzprogramm der SPD, den Vereinbarungen auf europäischer Ebene und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Men- schenrechtliche Grundsätze und Gesetze, die hier in Deutschland gelten, sollten auch der Maßstab für bilate- rale und multilaterale Gespräche und Verhandlungen sein. Ich bin überzeugt, dass die Bundesregierung ent- sprechend agiert und möchte sie auffordern, sich für die Aufhebung strafrechtlicher Verbote der Homosexualität in den ASEAN-Staaten einzusetzen. Leider bin ich durch die Koalitionsvereinbarung an ein übereinstimmendes Abstimmungsverhalten gebun- den. Die Kolleginnen und Kollegen der Union konnten sich aus formalen Gründen nicht dazu entschließen, dem Antrag zuzustimmen. Ich finde das äußerst bedauerlich und eigentlich auch grundlos, denn das Ansinnen des Änderungsantrages steht in Einklang zu unserem Men- schenrechtsverständnis. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Inoffizielle Stasi- Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbe- hörden und im Bundestag enttarnen – Aufar- beitung des Stasi-Unrechts stärken (Tagesord- nungspunkt 36) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Gestatten Sie mir eine grundsätzliche Bemerkung vorweg, bevor ich zu den einzelnen Forderungen des Antrages komme. Wir teilen das Anliegen der FDP, die Aufarbeitung des Stasi- unrechts, wie es im Titel des Antrages heißt, zu stärken. Deshalb bin ich auch dankbar, dass wir Sozialdemokra- ten es gemeinsam mit FDP, Grünen und CDU/CSU geschafft haben, der Stasiunterlagenbehörde eine ver- lässliche Perspektive zu geben, wie das in der Fort- schreibung des Gedenkstättenkonzepts festgeschrieben ist. Ob der Antrag der FDP der richtige Weg ist, die Auf- arbeitung des Stasiunrechts zu stärken, darüber wird al- lerdings noch zu diskutieren sein. Bereits in der Einfüh- rung des Antrages sind mir Fehler bzw. Unkorrektheiten aufgefallen. Bei solch einem emotionalen Thema sollte präzise formuliert werden. Die FDP spricht in ihrem An- trag von 43 Bundestagsabgeordneten der 6. Legislatur- periode, die als Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicher- heitsdienstes registriert gewesen seien. Die BStU hat mehrfach klargestellt, dass die Abgeordneten lediglich auf IM-Vorgängen registriert waren. Im Erfassungssys- tem der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) wurden teilweise mehrere Personen auf einer Karte registriert. Das konnten beispielsweise Zielpersonen oder Kontakt- personen sein, die unwissentlich abgeschöpft wurden. Das erklärt, warum auch sehr prominente Abgeordnete unter den 43 sind. Wir Abgeordneten sollten tunlichst al- les vermeiden, was den Anschein erweckt, dass es sich bei den 43 um Informelle Mitarbeiter im Sinne des Stasi- Unterlagen-Gesetzes gehandelt hätte. Wir sollten nicht einen Verdacht befeuern, der auf unwahren Fakten be- ruht. Nichts schadet dem ehrlichen und kritischen Um- gang mit der Vergangenheit mehr als die Unkultur der Verdächtigung. In der Vorbemerkung des Antrages ist auch die Rede davon, dass im Jahr 1989 „wenigstens 3 000 Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes in der Bundes- republik aktiv waren“. Auch hier frage ich mich, woher Sie die Zahl nehmen. Auf der Homepage der BStU heißt es: „Schätzungen haben ergeben, dass rund 6 000 Bun- desbürger und über 20 000 DDR-Bürger tatsächlich als IM der HVA geführt wurden. Nur ein Teil davon – ca. 1 500 im Westen und 10 000 in der DDR – war 1989 noch aktiv.“ Das sind halb so viele, wie im Antrag der FDP ge- nannt. Die FDP scheint hier einem Mythos aufgesessen zu sein. Es war einmal von 20 000 bis 50 000 Stasispitzeln in der Bundesrepublik die Rede, was aber seit einiger Zeit bereits widerlegt ist. Die FDP sollte vielleicht nicht im- mer nur einen bestimmten Autor lesen, sondern auch die einschlägige Literatur zum Thema studieren. Als Auto- ren möchte ich Ihnen insbesondere Helmut Müller- Enbergs und Georg Herbstritt empfehlen. Der Mythos wurde befeuert, als die sogenannten Ro- senholz-Dateien der BStU übergeben wurden. Mit zahl- reichen Enthüllungen wurde gerechnet. Inzwischen ist Ernüchterung eingetreten, denn es handelt sich bei den Rosenholz-Dateien nur um ein Erfassungssystem; Glei- ches gilt im Übrigen für SIRA, das im FDP-Antrag er- wähnt wird. Die dazugehörigen Akten der HVA sind zu großen Teilen Anfang 1990 vernichtet worden. Glückli- cherweise konnten Akten in anderen Dienststellen ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19745 (A) (C) (B) (D) funden werden, aber insgesamt sind nur 10 Prozent der Akten der HVA vorhanden. Die Rosenholz-Dateien haben Anfang der 90er-Jahre den Ermittlungsbehörden vorgelegen. In circa 3 000 Fäl- len wurde gegen Bürger der alten Bundesrepublik wegen Spionage für das MfS ermittelt. In über 360 Fällen führ- ten die Ermittlungsverfahren zu Verurteilungen, davon 63 Haftstrafen. Deshalb schreibt die BStU zu den Rosen- holz-Dateien: „Spektakuläre Enthüllungen über Perso- nen des öffentlichen Lebens der früheren Bundesrepu- blik sind dabei nicht zu erwarten. Das Agentennetz des MfS, das Ende der achtziger Jahre im Westen existierte, wurde durch die Ermittlungsbehörden der Bundesrepu- blik schon weitgehend aufgedeckt.“ Joachim Lampe, der als Bundesanwalt bei der Bundesanwaltschaft für die Er- mittlungen der Westspionage des MfS zuständig war, sagte bereits 1999: „Die Quellenlage erlaubt die Feststel- lung, dass alle Agenten, die von den wichtigsten, in den Strukturverfahren aufgeklärten Spionageeinrichtungen des MfS geführt wurden, enttarnt sind.“ Sosehr ich das Ansinnen der FDP nachvollziehen kann, halte ich die Forderungen vor diesem Hintergrund für erstens nicht zielführend und zweitens für nicht reali- sierbar; nicht zielführend, weil ich nicht sehe, welche wirklich neuen Erkenntnisse gewonnen werden sollen, nicht realisierbar, weil mit großer Wahrscheinlichkeit der zu erwartende Erkenntnisgewinn in keinem Verhält- nis zum notwendigen Aufwand steht. Eine Studie zu den jetzigen Mitarbeitern der Bundesministerien in der von der FDP gewünschten Form ist nach dem geltenden Stasi-Unterlagen-Gesetz allein nicht möglich. Die Unter- suchung zu den IM bei der Berliner Zeitung – um ein ak- tuelles Beispiel zu nennen – ist nur möglich, weil alle Redakteure damit einverstanden waren, eine Selbstaus- kunft bei der BStU einzuholen. Wie soll das bei den vie- len Tausenden Mitarbeitern der Bundesministerien mög- lich sein? Eine durch den Arbeitgeber erzwungene Verpflichtung zur Selbstauskunft haben wir bei der letz- ten Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes verhin- dert, der im Übrigen auch die FDP zugestimmt hat. Des- halb lehnen wir auch Ihre Forderung nach einer erneuten Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ab. Ihre Forderung, die BStU durch „ausreichende Mittel und organisatorische Umstrukturierungen in die Lage zu versetzen, den Anteil der jährlich erschlossenen Akten zu erhöhen und damit die tatsächliche Aufarbeitung zu beschleunigen und qualitativ zu verbessern“, kann ich hingegen sofort unterschreiben. Deshalb haben wir in der Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts auch festgehalten, dass die Struktur der BStU „zeitnah verän- dert wird, um eine effizientere Arbeit trotz zurückgehen- den Personalbestands gewährleisten zu können“. Natürlich bedarf es der weiteren Erforschung der Westarbeit des MfS. Aber ob die Vorschläge der FDP dazu geeignet sind, die Erforschung zu verbessern, wage ich zu bezweifeln. Darüber sollten wir im Ausschuss aber weiter diskutieren. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die eigenständige Existenzsicherung von Stiefkindern sicherstel- len – § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II reformieren (Ta- gesordnungspunkt 37) Karl Schiewerling (CDU/CSU): In der heutigen De- batte geht es um die Einstandspflicht innerhalb einer Be- darfsgemeinschaft für nicht leibliche Kinder. Hierzu gab es eine Regelung vor und eine nach dem Fortentwick- lungsgesetz. Bevor das Fortentwicklungsgesetz in Kraft trat, ergab sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht eindeutig, dass Einkommen des Partners innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft auch bei nicht leiblichen Kindern zu berücksichtigen ist. Dies hatte zur Folge, dass bei unverheirateten Partnern das Einkommen des nicht leib- lichen Elternteils nicht auf den Bedarf des Stiefkindes angerechnet wurde – im Gegensatz zu verheirateten Partnern. In diesem Falle entstand nämlich zu dem nicht leiblichen Kind eine Schwägerschaft, sodass entspre- chend der Regelung des § 9 Abs. 5 SGB II vermutet wurde, dass das nicht leibliche Kind vom Stiefelternteil Leistungen erhält. Nach damaligem Rechtsstand wurden somit verheira- tete Partner gegenüber unverheirateten Partnern schlech- ter gestellt. Mit der Änderung wurde klargestellt, dass Einkommen auch auf den Bedarf nicht leiblicher Kinder anzurechnen ist. Damit wurde die Schlechterstellung von Ehen gegenüber nichtehelichen Partnerschaften auf- gelöst. Das bedeutet heute, dass das Einkommen von Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft für alle anderen Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaft mit einzusetzen ist, also auch des Partners für das Kind des anderen Part- ners. Diese Konstellation kann allerdings nur in den Fällen eintreten, in denen der leibliche Vater erstens nicht in der Bedarfsgemeinschaft lebt und zweitens nicht leistungs- fähig und damit nicht in der Lage ist, Unterhalt zu zah- len. Denn zunächst ist bei einem minderjährigen, unver- heirateten Kind das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass ein Kind, dessen Eltern getrennt leben, regelmäßig Unterhalt erhält. Wenn der Elternteil nicht greifbar, aber leistungsfähig ist, hat der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Möglichkeit, den Anspruch gemäß § 33 SGB II überzuleiten. Wenn wir eine Gleichstellung von Stiefkindern mit leiblichen Kindern haben wollen, dann nicht nur im Steuer- und Kindergeldrecht, wo es bereits der Fall ist, sondern auch im Sozialrecht. Und genau das haben wir mit dem Fortentwicklungsgesetz gemacht. Da kann das Sozialgericht Berlin viel bewerten. Eines kann es nicht: Ob die Stiefkinderregelung verfassungswidrig ist oder nicht, entscheidet letztendlich immer noch das Bundes- verfassungsgericht. Und wenn sich das Sozialgericht Berlin in seiner Sache so sicher ist, frage ich mich, wa- 19746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) rum es dann keine Vorlage beim Bundesverfassungsge- richt eingereicht hat. Ich sehe allerdings die Notwendigkeit, die Gleichstel- lung von Stiefkindern mit leiblichen Kindern auch in den anderen Bereichen der Sozialgesetzbücher sicherzustel- len, zum Beispiel im Bereich der Rehabilitation bei der Bemessung von Übergangsgeld. Statt uns hier mit wenigen Einzelfällen zu beschäfti- gen – denn in der Mehrheit der Fälle bleibt die Unter- haltspflicht für Kinder bei getrennt lebenden Partnern bestehen – sollten wir uns lieber darüber Gedanken ma- chen, wie wir Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bringen. Statt andauernd das SGB II so zu ändern, dass jedes Einzelschicksal darin aufgefangen wird, vermisse ich vielmehr Anträge von Ihnen, die aufzeigen, wie Sie Menschen in Arbeit brin- gen wollen. Das ist zumindest unser Ausgangspunkt al- ler Überlegungen. Um Langzeitarbeitslose, die oft viele Vermittlungshemmnisse aufweisen, wieder in Arbeit zu vermitteln, benötigen wir flexible Arbeitsmarktinstru- mente. Ich persönlich halte es für notwendig, die Instrumente des SGB II und des SGB III zu entkoppeln, zumindest aber vor den Instrumenten des SGB III einen Filter zu setzen, der auf SGB-II-Tauglichkeit überprüft. Men- schen, die viele Jahre nicht mehr im Arbeitsprozess stan- den und verschiedene Vermittlungshemmnisse haben, brauchen andere Hilfen als Menschen, die kurzzeitig ar- beitslos werden. Folglich können auch nicht die Hilfe- instrumente vom SGB III einfach so in den SGB-II-Be- reich übertragen werden. Hier muss das Instrumentarium entkoppelt und speziell für diese Zielgruppe entwickelt werden. Wenn einzelne Instrumente für alle Erwerbs- losen bundesweit gleich und detailliert festgelegt wer- den, werden die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen oft nicht erreicht, da ihre individuellen und sozialen Bedarfslagen, die auch regional unterschiedlich sind, nicht mehr berücksichtigt werden. Wir werden uns im Rahmen der Reform der arbeits- marktpolitischen Instrumente dafür einsetzen, dass die Vermittler vor Ort eigenverantwortlich und flexibel im Sinne der Langzeitarbeitslosen entscheiden können. Darauf müssen wir unsere Kraft konzentrieren, damit Menschen aus der Hilfebedürftigkeit herauskommen und ihren Lebensunterhalt mit ihrer eigenen Hände- und Kopfesarbeit bestreiten können. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Eines der meist debattierten und beratenen Themen in diesem Hohen Hause ist das Thema Kinder und ihre Entwicklung und Zukunft in diesem Land. Das zeigt uns, welchen heraus- ragenden Stellenwert Kinder in unserer Gesellschaft ha- ben. Wir Politiker haben eine große Verantwortung ge- genüber unseren Kindern, denn wir entscheiden über die Rahmenbedingungen für ihr Aufwachsen, ihre Entwick- lung und ihre Chancen. Das sollte jedem hier bewusst sein. Die SPD – als treibende Kraft in dieser Koalition und zu Zeiten der rot-grünen Koalition – ist dieser Ver- antwortung jederzeit gerecht geworden. Denn wir haben schon früh erkannt: Wollen wir unseren Wohlstand si- chern und unsere Demokratie stärken, brauchen wir ver- antwortungsbewusste und selbstständige junge Men- schen. Lassen sie mich in diesem Zusammenhang ein paar Worte zum Thema Kinderarmut sagen. Mir ist bewusst, dass Kinderarmut sich in der Regel in Elternarmut grün- det, hängt doch vom Geldbeutel so vieles ab. Aber es ist nicht nur ein finanzielles Problem. Es ist vor allem ein Problem fehlender Chancengerechtigkeit in der Bildung und der gesellschaftlichen Teilhabe. Allein monetäre Anreize lösen das Problem der Kinderarmut nicht. Wir müssen andere Wege beschreiten. In unserem Lande hat sich Gott sei Dank ein Umdenken in dieser Frage vollzo- gen. Wir müssen in unsere Kinder, in unsere Zukunft in- vestieren, investieren in Betreuung, Erziehung und Bil- dung – mehr als bisher. Sie alle kennen die Debatten. Mit dem Projekt der Förderung offener Ganztags- schulen hat die rot-grüne Regierung schon in der letzten Legislaturperiode einen Einstieg in ein gutes Programm gemacht. Mit dem Elterngeld haben wir zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beigetragen. Und bereits nach einem Jahr können wir sagen: Das Eltern- geld kommt gut an. Wir haben mit dem Kinderzuschlag und der Erhöhung des Wohngeldes weitere Leistungen beschlossen, die zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit und zur Existenzsicherung beitragen werden. Und nicht zuletzt haben wir mit dem Kinderförderungsgesetz un- sere Verantwortung gegenüber unseren Kindern unter- mauert. Wir haben den Durchbruch bei der frühkindli- chen Bildung und Betreuung geschafft und den Rechtsanspruch ab eins durchgesetzt. Damit erhalten El- tern in Deutschland die Garantie, tatsächlich einen Be- treuungsplatz für ihr Kind zu bekommen. Wir meinen es ernst, wenn es darum geht, unseren Kindern und Jugendlichen beste Bedingungen zum Auf- wachsen zu geben. Wir meinen es ernst, wenn es darum geht, einen ganzheitlichen Ansatz zu schaffen, der Kin- dern und Jugendlichen gleiche Chancen für Bildung und Ausbildung einräumt. Natürlich ist der Weg dorthin schwierig, aber wir haben erste wichtige Schritte getan. Doch wie sieht es mit der Verantwortung bei Ihnen aus, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion? Jede Woche bringen Sie Anträge ein, die jeglichen ganz- heitlichen Ansatz vermissen lassen. Mal soll an der Stelle etwas verändert werden, mal an einer anderen, je nachdem wie es gerade in die Stimmungslandschaft unserer Gesellschaft passt. Doch einem so wichtigen Meilenstein in der Familienpolitik wie dem Kinderförde- rungsgesetz verweigerten Sie Ihre Zustimmung. Nehmen Sie so Ihre Verantwortung wahr? Für mich ist das purer Aktionismus. Auch Ihr Antrag, den wir heute beraten, zeichnet die- ses Bild der Flickschusterei, und ihre Begründung ist zum Teil abenteuerlich. Mit der Neureglung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II ist keine – wie von Ihnen behauptet – Unterhaltspflicht gegenüber Stiefkindern geschaffen worden. Denn der Vater oder die Mutter ist unabhängig von der faktischen Einkommenssituation der Kinder weiterhin zur Unterhaltszahlung verpflichtet. Vielmehr ist klargestellt worden, dass Einkommen und Vermögen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19747 (A) (C) (B) (D) von Lebenspartnern bei der Bedarfsermittlung aller zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Kinder berücksichtigt werden müssen. Dazu zählen auch die nicht leiblichen Kinder. In seinem Zwischenbericht vom 29. Juni 2005 hatte der Ombudsrat dazu keine Bedenken geäußert. Und noch etwas wurde klargestellt: die Ungleichbe- handlung von verheirateten Partnern und nicht verheira- teten Partnern. Ein Stiefelternteil, der mit dem leiblichen Elternteil verheiratet ist, ist rechtlich gesehen mit seinem Stiefkind verschwägert. Und nach § 9 Abs. 5 SGB II be- steht die gesetzliche Vermutung, nach der Verwandte und Verschwägerte im Rahmen einer Haushaltsgemein- schaft gegenseitig Leistungen zur Bestreitung des Le- bensunterhalts erbringen. Mit anderen Worten: Die Fa- milie steht dafür ein. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein staat- liches Fürsorgesystem, bei dem der Nachranggrundsatz gilt. Das bedeutet, dass Hilfesuchende nur Leistungen erhalten, wenn sie wirklich hilfebedürftig sind. Die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen sind Grundprinzipien des Leistungsbezuges im SGB II. Ein- kommen und Vermögen sind Ausdruck der eigenen Leis- tungsfähigkeit und daher zu berücksichtigen. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wir nehmen die Existenzsicherung von Kindern ernst. Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt. Wir sollten stän- dig überprüfen, ob Maßnahmen, die wir damals be- schlossen haben, heute noch richtig und wirksam sind. Mehr Kindergeld oder ein höherer Kinderfreibetrag, eine bessere steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen, ein geringerer Arbeitslosenbeitrag und mehr Wohngeld, all das sind Maßnahmen, mit denen wir auf aktuelle Ent- wicklungen reagieren. Ich schließe Weiteres nicht aus, denn die Zeit bleibt nicht stehen: Demnächst erwarten wir den Existenzmini- mumbericht der Bundesregierung. Ich rate uns, diesen in die Entscheidungsfindung über die Absicherung von Kindern einzubeziehen. Lassen Sie uns die Ergebnisse abwarten und dann zielorientiert handeln! Das hilft unse- ren Kindern eher als purer Aktionismus. Heinz-Peter Haustein (FDP): Die Linke fordert in dem hier zur Debatte stehenden Antrag, eine mit dem SGB-II-Fortentwicklungsgesetz im Jahr 2006 von der Großen Koalition vorgenommene Gesetzesänderung zu- rückzunehmen. Die seit dem 1. August 2006 geltende Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II sieht vor, dass das Vermögen und Einkommen des nicht leiblichen Elternteiles Be- rücksichtigung finden müssen bei der Leistungsberech- nung des mit in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kindes des Partners. Bis zum SGB-II-Fortentwicklungs- gesetz waren Einkommen und Vermögen des neuen Part- ners von Kindesmutter oder -vater unerheblich für die Bedarfsberechnung des Kindes. Die Linke führt aus, es bestehe mit der Regelung aus dem Jahr 2006 eine Unterhaltspflicht, die im bürgerli- chen Recht nicht vorgesehen sei. Als problematisch wird gesehen, dass hier ein Einkommenszufluss zum Kind an- gerechnet werde, ohne dass darauf Rücksicht genommen werde, ob und inwieweit der Vermögenszufluss tatsäch- lich stattfinde. Falls dem nicht leiblichen Kind die Un- terstützung verweigert würde, habe dieses keinerlei Möglichkeit, seinen Bedarf zu decken, denn zivilrechtli- che Ansprüche bestünden nicht. Die Erweiterung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II um den Passus „und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners“ begründete die Koalition 2006 wie folgt: Der bisherige Wortlaut … macht nicht hinreichend deutlich, dass Einkommen innerhalb einer Bedarfs- gemeinschaft auch auf den Bedarf nicht leiblicher Kinder anzurechnen ist. Dies hat zur Folge, dass bei nicht miteinander verheirateten Partnern das Ein- kommen des nicht leiblichen Elternteils nicht auf den Bedarf eines nicht leiblichen Kindes angerech- net wird. Bei verheirateten Paaren entsteht dagegen zum nicht leiblichen Kind eine Schwägerschaft, so dass entsprechend der Regelung des § 9 (5) SGB II vermutet wird, dass das nicht leibliche Kind vom Stiefelternteil Leistungen erhält. Nach derzeitigem Rechtsstand werden daher verheiratete Partner ge- genüber unverheirateten Partnern schlechter ge- stellt. Mit der Änderung wird daher klargestellt, dass – auch entsprechend der ursprünglichen Ab- sicht des Gesetzgebers – Einkommen innerhalb ei- ner Bedarfsgemeinschaft in beiden Fallgestaltungen auf den Bedarf eines nicht leiblichen Kindes anzu- rechnen ist und damit die Schlechterstellung von Ehen gegenüber nichtehelichen Partnerschaften aufgelöst wird. Die mit der Neuregelung bislang befassten Sozialge- richte kommen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit, teils nach summarischer Prüfung, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Insofern teilt die FDP die Einschätzung aus der Begründung des vorliegenden Antrags, dass hier über das Sozialrecht gleichsam eine neue Unterhalts- pflicht geschaffen wird, die es zivilrechtlich nicht gibt. Die FDP hat diese Fragen schon letztes Jahr aufge- griffen. Wir haben Mitte November vergangenen Jahres diesbezüglich eine Anfrage an die Bundesregierung ge- richtet, weil wir es für notwendig hielten, uns zunächst ein präzises Bild von der Situation zu verschaffen. Wir fragten, in wie vielen Fällen die als Stiefelternregelung bezeichnete Neuregelung seit ihrer Einführung zur An- wendung gekommen ist, in welcher Höhe dadurch Aus- gaben für Leistungen nach dem SGB II gespart wurden und in wie vielen Fällen mitursächlich für die Inan- spruchnahme des Lebenspartners war, dass der getrennt lebende Elternteil seiner gesetzlichen Unterhaltsver- pflichtung nicht nachkam bzw. welcher finanzielle An- teil auf diese Fallkonstellationen entfällt. Die Antwort, die uns die Bundesregierung am 19. November aus dem BMAS zukommen ließ, lässt sich zusammenfassend auf den Satz bringen: Wir haben keine Ahnung. Die familiä- ren Verwandtschaftsbeziehungen von in Bedarfsgemein- schaften lebenden Kindern zu den Eltern bzw. Stiefeltern würden nicht erhoben, hieß es lapidar aus dem Ministe- rium. Ein Problembewusstsein der schwarz-roten Bun- desregierung oder gar die Absicht, die Lage zu hinterfra- 19748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) gen und gegebenenfalls zu Veränderungen zu kommen, ließ die Antwort nicht erkennen. Sofern aber nicht näherungsweise präzise Zahlen vor- liegen und wir uns ein Bild von der Lage machen kön- nen, ist es nicht dienlich, neue Gesetzesänderungen zu beschließen. Zur Begründung für eine gesetzliche Neu- regelung gehört zunächst eine genaue Vorstellung von dem zu korrigierenden Missstand. Nach Auffassung der FDP-Fraktion muss hier zunächst die Bundesregierung Antworten auf die offenen Fragen liefern, bevor wir in diesem Hause über Änderungen des Gesetzes beraten. Mit einem herzlichen Glückauf aus dem Erzgebirge. Katja Kipping (DIE LINKE): Durch das SGB-II- Fortentwicklungsgesetz ist § 9 Abs. 2 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in einer nicht zu akzeptieren- den Weise verändert worden. Denn seit dem 1. August 2006 ist bei Kindern nunmehr das Einkommen und Ver- mögen von Personen, die mit einem Elternteil eine Be- darfsgemeinschaft bilden, zu berücksichtigen. Durch diese Regelung ist die Existenzsicherung von Stiefkin- dern in einer verfassungswidrigen Weise gefährdet wor- den. Das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 GG wird für das Stief- kind oder die Stiefkinder gebrochen. Das sieht unter anderem auch das Sozialgericht Berlin so. Es hat in seinen Ausführungen zum Inhalt des Sozial- staatsprinzips betont (SG Berlin S 103 AS 10869/06 ER vom 8. Januar 2007), – ich zitiere –: Das Gebot dieses Sicherungsauftrags (Anmerkung: aus dem Sozialstaatsgebot) wird durch § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform um- gesetzt, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsäch- lich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Soweit tatsäch- lich die Versorgung auf dem Niveau, das dem ver- fassungsrechtlichen Existenzminimum entspricht, verweigert wird, stehen dem Kind keinerlei Mög- lichkeiten zur Verfügung, zu einer tatsächlichen Deckung seines Bedarfs zu gelangen. Durch diese Regelung überschreitet der Gesetzgeber den ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraum. Schließ- lich ist die Regelung auch nicht einer verfassungs- konformen Auslegung zugänglich. Die Antragstellerinnen verweisen zunächst zutref- fend darauf, dass dem Kind ein zivilrechtlicher Un- terhaltsanspruch gegen den neuen Partner seines El- ternteils nicht zusteht. Dem Kind steht auch kein anderer Weg offen, eine tatsächliche Bedarfsde- ckung im Falle der Weigerung der Leistung durch den Partner, wie Herr C. sie hier erklärt hat, zu er- reichen. Insoweit unterscheidet sich die Lage des Kindes von der eines Partners in der (früher so be- zeichneten) eheähnlichen Lebensgemeinschaft, weshalb die Anerkennung der Einkommensanrech- nung zwischen den Partnern selbst kein Argument für die Erstreckung auf die nicht leiblichen Kinder ist. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die dem Kind insoweit verweigerte Sicherung des Existenzminimums ist der Kammer nicht ersicht- lich. Diesem Ergebnis kann nicht entgegen gehalten werden, dass das Elternteil sich im Interesse des Kindes von dem Partner trennen kann, um so wie- der einen staatlichen Leistungsanspruch zu begrün- den. Ein solcher mittelbarer Zwang, der in seiner Intensität hinter einem unmittelbaren Eingriff nicht zurückbleibt, zur Beendigung einer Beziehung würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG des Elternteils beeinträchtigen, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Es bestehen bereits Zweifel, ob ein solcher Regelungsmechanismus geeignet wäre, die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. Ausweislich der parlamentarischen Beratungsunterlagen war die Er- zielung von Einsparungen ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers. Die Beendigung von Partnerschaften aufgrund der Einbeziehung von Kindern in die Einkommensan- rechnung in sogenannten Patchworkfamilien würde dazu führen, dass sowohl Kinder als auch einkom- menslose Elternteile Leistungsansprüche erwerben würden. Hiermit wären zwingend Mehrkosten für einen Teil der Leistungsberechtigten verbunden. Selbst wenn man insoweit dem Gesetzgeber hin- sichtlich der tatsächlichen Auswirkungen eine Ein- schätzungsprärogative zugesteht, ist die Erzielung von Einsparungen als Rechtfertigung einer Unter- schreitung des Existenzminimums eines Kindes un- geeignet. Zudem ist eine solche Unterhaltspflicht im bürgerli- chen Recht laut § 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht vorgesehen. Das Sozialrecht konstituiert also mit der Regelung de facto eine neue Unterhaltspflicht. Ich habe erhebliche Bedenken, ob die neue Fassung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II mit dem grundgesetzlichen Exis- tenzsicherungsauftrag nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbin- dung mit dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG) vereinbar ist. Die neue Regelung legt schematisch fest, dass das Einkommen und Vermögen des Stiefelternteils anzu- rechnen ist, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob und inwieweit ein Einkommenszufluss tatsächlich stattfin- det; sie konstruiert es also nur. Soweit eine Unterstüt- zung dem Stiefkind faktisch verweigert wird, stehen dem Kind keinerlei Möglichkeiten zur Verfügung, zu ei- ner tatsächlichen Deckung seines Bedarfs zu gelangen, denn zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dem Stief- elternteil bestehen nicht. Die sozialrechtlichen Ansprü- che werden aber mit Verweis auf den Stiefelternteil ver- weigert. Das Kind hat auch keine Möglichkeit, die Bedarfsgemeinschaft zu verlassen und dadurch einen ei- genständigen Sicherungsanspruch zu begründen. Damit ist der Auftrag zur Sicherstellung des Existenzmini- mums für das betroffene Stiefkind gefährdet. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19749 (A) (C) (B) (D) Aber auch für verheiratete Partner hat die Neurege- lung durch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz eine nicht akzeptable Änderung gebracht. Rechtlich gesehen geht der Stiefelternteil mit der Heirat eine Schwäger- schaft mit dem Kind des Partners oder der Partnerin ein. Der verheiratete neue Partner begründet mit dem Stief- kind eine Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II. Für eine Haushaltsgemeinschaft wird aber nun vermutet, dass eine Unterstützung des bedürftigen Mit- glieds, also in der Regel des Kindes, der Haushaltsge- meinschaft stattfindet. Mit der Neuregelung wurde die Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung abge- schafft. Auch in diesem Fall gilt die oben aufgeführte Bewertung als verfassungswidrig, weil dem Kind bei Verweigerung einer Unterstützung keine Möglichkeit of- fensteht, den eigenen Bedarf zu decken. Darüber hinaus gibt es bei einer Eingliederung in eine Bedarfsgemein- schaft – im Gegensatz zum Unterhaltsrecht – keinen Selbstbehalt beziehungsweise keinen Freibetrag für den Einkommenbeziehenden; das sind zumeist die Väter. Aus diesen Darstellungen ist unschwer zu erkennen, dass faktisch ein „Familienzerstörungsgesetz“ geschaf- fen wurde, welches zudem Betroffene auch noch in die Verschuldung treibt. Auch haben Familien berichtet, dass sich nach der Einführung des Fortentwicklungsge- setzes bei Ihnen vor Ort betroffene Familien zusammen- gefunden haben. Aktuell ist die Lage so, dass schon ein Teil dieser Familien aus Deutschland ausgewandert ist, weil sie angesichts der hiesigen Bedingungen keine Hoffnungen mehr auf eine Zukunft in Deutschland ha- ben. Das ist für uns nicht akzeptabel. Die Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II, nach der Einkommen und Ver- mögen der Stiefeltern bei der Bedarfsberechnung des Kindes zu berücksichtigen sind, muss daher so schnell wie möglich zurückgenommen werden, bevor das Bun- desverfassungsgericht sie als verfassungswidrig verwer- fen wird. Stattdessen gilt es, eine eigenständige Exis- tenzsicherung von Stiefkindern zu sichern. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die von der Großen Koalition mit dem sogenannten SGB-II- Fortentwicklungsgesetz im Jahre 2006 eingeführte Stief- kindregelung, mit der unverheiratete Partner und Stief- elternteile faktisch zur Unterhaltspflicht der Kinder ihrer Partner herangezogen werden, ist nicht zeitgemäß und stigmatisiert die betroffenen Kinder. Das Wort Stiefkind ist auch heute noch negativ besetzt. Tief im Bewusstsein verankert ist, dass Stiefkinder über Jahrhunderte ein Schattendasein in der Familie und Gesellschaft geführt haben. Dabei sollte das Schicksal eines „Aschenputtels“ in einer modernen individualisierten Gesellschaft, in der Patchworkfamilien eher die Regel als die Ausnahme sind, der Vergangenheit angehören. Mit gutem Grund sieht das Zivilrecht deshalb auch keine Unterhaltspflicht des Stiefelternteils vor, es sei denn, das Kind wird adop- tiert. Um so weniger ist auch sachlich nachzuvollziehen, dass die große Koalition diese Kinder und jungen Er- wachsenen über das Sozialrecht bis zum Alter von 25 Jahren zum Bittsteller beim Stiefelternteil oder gar beim nichtehelichen Partner macht. Diese sozialrechtli- che Sonderregelung widerspricht dem Gleichbehand- lungsgrundsatz und ist deshalb auch im höchsten Maße verfassungsrechtlich bedenklich. Wir Grüne wollen es nicht dem Bundesverfassungsge- richt überlassen, zu entscheiden, ob die Begründung ei- nes Unterhaltsanspruches des Stiefelternteiles durch die Hintertür auf sozialrechtlichem Wege zulässig ist. Wir haben diese Regelung schon zum Zeitpunkt ihrer Einfüh- rung durch die Große Koalition in unserem Antrag vom 4. April 2006 „Hartz IV weiterentwickeln – Existenzsi- chernd, individuell, passgenau“ (Drucksache 16/1124) kritisiert. Wir fordern nach wie vor, dass in eheähnlichen Gemeinschaften Lebensgefährtinnen und Lebensgefähr- ten nicht gezwungen werden dürfen, ihr Einkommen für den Bedarf der Kinder der Partnerinnen und Partner ein- zusetzen, wenn es nicht die gemeinsamen sind. Auch wenn ein Ehepartner Kinder in eine Ehe einbringt, darf dies nicht zu einem sozialrechtlichen Unterhaltsanspruch führen, der über den zivilrechtlichen Anspruch hinaus- geht. Diese Regelung stigmatisiert nicht nur die betroffenen Kinder, sie ist auch nicht wirtschaftlich. Denn sie verhin- dert, dass einkommensschwache Partner mit Kindern zu- sammenziehen, wenn Ansprüche auf Sozialleistungen bestehen, obwohl sie gemeinsam – auch für den Sozial- leistungsträger – kostengünstiger haushalten könnten. Anlage 15 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 848. Sitzung am 10. Ok- tober 2008 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zu- zustimmen: – Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Dezember 2004 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat zum Vertrag vom 23. November 1964 über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen am Hoch- rhein in das schweizerische Zollgebiet über die Erhebung und die Ausrichtung eines Anteils der von der Schweiz in ihrem Staatsgebiet und im Ge- biet der Gemeinde Büsingen am Hochrhein erho- benen leistungsabhängigen Schwerverkehrsab- gabe (LSVA-Abkommen Büsingen) Der Bundesrat hat in seiner 849. Sitzung am 17. Ok- tober 2008 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zu- zustimmen: – Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz- marktstabilisierungsgesetz – FMStG) Die Fraktion DIE LINKE hat mitgeteilt, dass sie den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Ar- beitnehmer-Entsendegesetzes auf Drucksache 16/7534 und den Antrag Liberalisierung des Briefmarktes stoppen – Sozial- und Lohndumping verhindern auf Drucksache 16/7528 zurückziehen. 19750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 (A) (C) (B) (D) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Endlager Asse sofort dem Betreiber entziehen und unter atomrechtliche Bun- desaufsicht stellen auf Drucksache 16/9809 und den Antrag Alternativen zum Heim schaffen – Ambulante Angebote für Menschen mit Behinderungen weiter- entwickeln und ausbauen auf Drucksache 16/1644 zu- rückziehen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Euro- parates vom 1. bis 5. Oktober 2007 in Straßburg und Debatte der Erweiterten Parlamentarischen Versamm- lung über die Aktivitäten der OECD am 3. Oktober 2007 – Drucksachen 16/9048, 16/9517 Nr. 1.1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaa- ten und ganz Südosteuropa (Berichtszeitraum 1. Januar 2007 bis 10. März 2008) – Drucksachen 16/9176, 16/9391 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Ver- sammlung der Westeuropäischen Union/Interparlamentari- sche Europäische Versammlung für Sicherheit und Vertei- digung (WEU V/IEVSV) Tagung der Versammlung vom 4. bis 6. Juni 2007 in Paris – Drucksachen 16/9221, 16/9837 Nr. 1 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- tel 1702 Titel 685 02 – Zuweisung an die Conterganstiftung für behinderte Menschen – – Drucksachen 16/8732, 16/10285 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushalts- und Wirtschaftsführung 2008 Einwilligung in eine überplanmäßige Verpflichtungs- ermächtigung bei Kapitel 1225 Titel 661 07 – Förderung von Maßnahmen zur energetischen Ge- bäudesanierung „CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ der KfW Förderbank – – Drucksachen 16/10163, 16/10285 Nr. 22 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsberichte 2006/2007 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen gemäß § 121 Abs. 1 des Telekommunika- tionsgesetzes und § 47 Abs. 1 des Postgesetzes und Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 121 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes und gemäß § 44 Abs. 1 des Postgesetzes i. V. m. § 81 Abs. 3 des Telekom- munikationsgesetzes a. F. – Drucksachen 16/7700, 16/8123 Nr. 1.1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsberichte 2006/2007 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen gemäß § 121 Abs. 1 des Telekommunika- tionsgesetzes und § 47 Abs. 1 des Postgesetzes und Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 121 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes und gemäß § 44 Abs. 1 des Postgesetzes i. V. m. § 81 Abs. 3 des Tele- kommunikationsgesetzes a. F. – Drucksache 16/7700 – Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksachen 16/10146, 16/10285 Nr. 21 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2005 bis 2007 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen und Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 16/9000 – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeitraum 2008 bis 2011 – Drucksachen 16/9213, 16/9691 – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand des Aus- baus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertages- betreuung für Kinder unter drei Jahren 2007 – Drucksache 16/6100 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand des Aus- baus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertages- betreuung für Kinder unter drei Jahren für das Be- richtsjahr 2007 – Drucksachen 16/9049, 16/9391 Nr. 1.2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 184. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 19751 (A) (C) (B) (D) Auswärtiger Ausschuss Drucksache 16/9693 Nr. A.1 EuB-EP 1690; P6_TA-PROV(2008)0119 Drucksache 16/9693 Nr. A.2 EuB-EP 1703; P6_TA-PROV(2008)0173 Innenausschuss Drucksache 16/7817 Nr. A.22 Ratsdokument 15802/07 Drucksache 16/7905 Nr. A.4 Ratsdokument 16239/07 Drucksache 16/8983 Nr. A.3 Ratsdokument 7350/08 Drucksache 16/10286 Nr. A.9 Ratsdokument 11017/08 Drucksache 16/10286 Nr. A.10 Ratsdokument 11022/08 Drucksache 16/10286 Nr. A.11 Ratsdokument 11494/08 Finanzausschuss Drucksache 16/9693 Nr. A.4 Ratsdokument 9113/08 Drucksache 16/9693 Nr. A.5 Ratsdokument 9192/08 Drucksache 16/9693 Nr. A.6 Ratsdokument 9384/08 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 16/8815 Nr. A.18 Ratsdokument 7296/08 Drucksache 16/9693 Nr. A.9 Ratsdokument 9632/08 Drucksache 16/9867 Nr. A.3 Ratsdokument 10108/08 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 16/8983 Nr. A.16 Ratsdokument 7529/08 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/9169 Nr. A.14 Ratsdokument 8288/08 Drucksache 16/9169 Nr. A.15 Ratsdokument 8289/08 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 16/6865 Nr. 1.17 Ratsdokument 13236/07 184. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618400000

Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung eines
Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Fi-

(Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG)

– Drucksache 16/10600 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)


– Drucksache 16/10651 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)


Hierzu sind Änderungs- und Entschließungsanträge
angekündigt.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir über den Ge-

Rede
setzentwurf später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Frak-
tionsvorsitzende Dr. Peter Struck, SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1618400100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Regierung, die Koalition, aber auch das Par-
lament haben in einem beispiellosen Kraft
zur Bewältigung der Finanzmarktkrise gelei
sagen, dass ich als leidenschaftlicher Parlam
türlich weiß, dass es eine Zumutung für das
ist, ein solches Gesetz in nur einer Woche durchzuzie-
tzung

17. Oktober 2008

.00 Uhr

hen. Aber wir hatten überhaupt keine andere Chance im
Kampf gegen die Uhr, um schneller zu sein und keine
Gefährdung heraufkommen zu lassen.

Für diesen Vertrauensvorschuss des Parlaments er-
warte ich allerdings von der Bundesregierung, von der
Exekutive, dass der Bundestag eng eingebunden wird
und dass ihm alle erdenklichen Kontrollmöglichkeiten
zugestanden werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das erwarte ich nicht nur im Interesse der Koalitions-
fraktionen, sondern auch im Interesse der Oppositions-
fraktionen. Bei allem Streit in der Sache haben sie durch
ihren Verzicht auf formale Fristeinhaltung dazu beigetra-
gen, dass die von uns für richtig gehaltene Rezeptur ihre
Wirkung möglichst bald entfalten kann. Ich halte es für
angemessen und notwendig, dass ein zusätzliches Gre-
mium die Fragen des Finanzmarktes erörtern und das
Vorgehen der Bundesregierung begleiten und kontrollie-
ren wird, so wie es in der Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses jetzt vorgesehen ist.

Ich zolle der Bundesregierung Respekt für ihr sehr
entschlossenes Handeln. Ich möchte vor allem dem Fi-

text
nanzminister danken, ein Rettungsszenario aufgezeigt zu
haben, das international eingebettet ist und dennoch den
speziellen deutschen Bedürfnissen ausdrücklich Rech-
nung trägt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es war auch richtig, dass die Bundeskanzlerin die
erste französische Initiative eines gemeinsamen europäi-
schen Rettungsschirms abgelehnt hat und gemeinsam
mit dem Finanzminister eine europäisch vernetzte, aber
dennoch den nationalen Gegebenheiten geschuldete Ini-
tiative vorgelegt hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Erfolg, dass die Bundeskanzlerin und der
r eine Einigung mit den Bundesländern
angemessen für die Haftung der Bundes-
akt das Ihre
stet. Ich will
entarier na-

ganze Haus

Es ist ein
Finanzministe
gefunden und

länder Sorge getragen haben. Auch das ist ein Erfolg.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Struck
Dies ist nicht einfach gewesen, wie ich aus den Gesprä-
chen weiß. Denn die Bewältigung dieser Krise ist eine
gesamtstaatliche Aufgabe, bei der alle Schultern mittra-
gen müssen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bundesre-
gierung mit dem vorliegenden Gesetz alles in ihrer
Macht Stehende getan hat, um der akuten Krise Herr zu
werden. Aber es gibt, so hoffen wir alle, sehr bald eine
Zeit nach der Krise. Wir müssen Vorkehrungen treffen,
dass sich Gleiches nicht wiederholen kann. Das erwarten
die Menschen von uns.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie vertrauen darauf, dass wir das System ändern. Sie er-
warten, dass wir für die Zukunft so vorsorgen, dass sich
eine Krise dieses Ausmaßes nie mehr wiederholen kann.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in dieser Woche im-
mer wieder davon gesprochen, dass wir nach der akuten
Krisenbewältigung eine neue Ordnung für die Markt-
wirtschaft brauchen. Das ist absolut richtig. Helmut
Schmidt hat gemahnt, dass es bei einem so komplizier-
ten Gebilde wie der globalisierten Finanzwirtschaft Ver-
kehrsregeln geben müsse wie in der internationalen Luft-
fahrt. Es kann eben nicht jeder von seinem nationalen
Tower funken, wie es ihm gefällt, sondern internationale
Standards müssen eingehalten werden. Das ist genauso
wichtig.

Ich denke aber, das reicht nicht. Mir hat der Münche-
ner Erzbischof Reinhard Marx aus dem Herzen gespro-
chen, als er eingeklagt hat, dass neue Regeln allein nicht
genügen. In einem Interview der Katholischen Nachrich-
ten-Agentur hat er am Dienstag gesagt: Neue Strukturen
„ersetzen nicht die moralische Erneuerung bei den Spit-
zenmanagern oder letztlich auch bei den Anlegern.“


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Denn, so der Bischof weiter, „Renditeerwartungen von
20, 25 Prozent jährlich sind unsittlich.“

Er hat recht. Das Problem ist nur, dass manche Leute
offenbar gar nicht mehr wissen, was unsittlich ist. Der
ehemalige Chef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper,
hat sich dieser Tage in einem Interview beschwert, er
könne das Wort Gier nicht mehr hören; will sagen, dass
er es als Zumutung empfindet, wenn Managern der
Bank- und Finanzwirtschaft Gier vorgeworfen wird.
Nein, es ist genau andersherum: Diese Arroganz
Koppers ist eine Zumutung für alle Sparer, die wegen
der Zockerei einiger Banker um ihre Einlagen zittern
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist eine Zumutung für alle Steuerzahler, die mit der
Bürgschaft des Staates für die Zockerei der Koppers und
Ackermanns einstehen müssen.

Dass Herr Ackermann heute mitteilen lässt, er würde
seinen Bonus seinen Mitarbeitern zur Verfügung stellen,
halte ich für den Versuch, einen Ablass für die Sünden
zu erhalten. Das ist ein peinlicher Vorgang. Er hätte lie-
ber erklären sollen, dass er das Geld dem Steuerzahler
und dem Finanzminister zurückgibt, wenn er schon eine
solche Maßnahme vorschlägt. Das ist eine reine
Showveranstaltung.

Wenn schon BDI-Präsident Thumann die Gier dieser
Kaste – ich nutze das Wort noch einmal – kritisiert, wie
fassungslos müssen dann Normalverdiener vor den Sum-
men stehen, derer sich die Finanzmanager bedient ha-
ben? Diese Herren haben getan, als spielten sie ein ge-
waltiges Monopoly, bei dem sie sich um die Verluste
nicht zu kümmern brauchen. Die Scherben, die aus ih-
rem Größenwahn erwachsen sind, haben sie uns und den
Bürgerinnen und Bürgern weltweit vor die Tür gekehrt.
Sie müssen jetzt endlich vom hohen Ross steigen und
sich konstruktiv, vor allem aber solidarisch an der Lö-
sung dieser Probleme beteiligen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Fraktion wurde mir gestern von Kolleginnen
und Kollegen aus dem Haushalts- und aus dem Finanz-
ausschuss mitgeteilt, wie manche Banker in der Sitzung
aufgetreten sind. Daher habe ich große Zweifel, dass
diese Mahnung angekommen ist. Wir werden sie deshalb
öfter wiederholen müssen. Wir lassen es uns nämlich
nicht gefallen, dass diese Herren so arrogant auftreten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bischof Marx hat recht: Wir brauchen nicht nur neue
Regeln, sondern wir brauchen eine moralische Erneue-
rung.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir brauchen neue Regeln!)


Für einige dieser Herren kommt erst das Fressen und
dann die Moral, wie es in Brechts Dreigroschenoper
heißt. Wir brauchen aber sogenannte Eliten, bei denen
die Reihenfolge wieder umgekehrt ist: Erst die Moral
und dann das Fressen.


(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Ablenkungsmanöver!)


– Ich weiß gar nicht, wieso Sie sich darüber aufregen.


(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Weil das ein Ablenkungsmanöver ist!)


– Ihren Zwischenruf nehme ich sowieso nicht auf.

Der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman
hat gewarnt, dass eine Gesellschaft nicht funktionieren
kann – man höre –, in der der bestbezahlte Hedgefonds-
Manager der Wall Street in einem Jahr so viel verdient
wie alle Lehrer New Yorks zusammen in drei Jahren. Er
hat völlig recht. Das ist ein Zustand, den eine Gesell-
schaft nicht ertragen kann. Das dürfen wir nicht einfach
so hinnehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Struck
Diese Aufspaltung der Gesellschaft, so Krugman, habe
die weltweite Wertevernichtung vorangetrieben. Sie lässt
die Menschen daran zweifeln, dass ihnen aus eigener
Kraft durch Bildung und Gerechtigkeit der Aufstieg ge-
lingen kann. Die Menschen müssen wieder die Gewiss-
heit haben, dass sich Leistung für alle lohnt und dass Ei-
gentum verpflichtet.

Bei dieser Verpflichtung ist es für meine Fraktion – das
will ich übrigens hinzufügen – völlig selbstverständlich,
dass die Finanzbranche nicht ungeschoren davonkom-
men darf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb haben wir beschlossen, dass Defizite, die nach
Abwicklung des Fonds verbleiben sollten, nicht durch
Steuergelder, sondern mithilfe geeigneter Maßnahmen
durch die Finanzbranche selbst ausgeglichen werden
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es besteht kein Zweifel, die Krise der Finanzwirt-
schaft wird den Abwärtstrend der Wirtschaft weltweit
verstärken und natürlich auch negative Auswirkungen
auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ha-
ben. Wie intensiv sie sein werden, lässt sich im Augen-
blick seriös nicht prognostizieren. Wir sollten aber darauf
vorbereitet sein, nach den Ergebnissen der Steuerschät-
zung bei den Beratungen des Haushalts für das nächste
Jahr über weitere Maßnahmen zur Stützung der Wirt-
schaft nachzudenken. Ohnehin geplante Investitionen in
Bildung könnten vorgezogen werden, nachhaltige Inves-
titionen in die Infrastruktur ausgeweitet und Gebäude-
sanierungsprogramme intensiviert werden. Wir werden
das in den Haushaltsberatungen ausdrücklich prüfen.

Wie gehen wir jetzt mit denen um, die uns das alles
eingebrockt haben? Ich will noch einmal Bischof Marx
zitierten:

In so einer Lage erwarte ich aber auch vom Staat
ein Signal, das besagt: Wir stehen zusammen, wir
sind eine Solidargemeinschaft. Ganz gerecht ist das
natürlich nicht, denn die Verursacher können den
Schaden gar nicht wiedergutmachen, den sie ange-
richtet haben. Wir brauchen dann das Vertrauen in
ein Gemeinwesen, das solidarisch ist.

So der Bischof. – Zu dieser Solidarität müssen wir
den einen oder anderen zwingen. Wenn Steuerzahler
Bürgschaften für taumelnde Zockerbanken geben, kann
es nicht sein, dass die Gehälter der Manager auf dem
Niveau der Monopolyspiele bleiben. Die Bundeskanzle-
rin hat das in den vergangenen Tagen ähnlich gesehen,
wenn ich sie richtig verstanden habe. Mit beredten Wor-
ten haben Kollegen aus der Union das ebenfalls gefor-
dert. Ich erwarte, dass wir alle zu diesen Worten stehen,
die wir beim Blick in den Abgrund der Finanzkrise mit
moralischem Timbre verbreitet haben.

Wir alle hoffen, dass das heute zu verabschiedende
Gesetz das Schlimmste für den Finanzmarkt verhindern
kann. Wir wissen allerdings auch, dass wir damit nicht
am Ende der Krise stehen, sondern möglicherweise erst
mitten in ihr. Wenn wir die Krise überstanden haben,
sollten wir so selbstbewusst wie Luxemburgs Premier
Jean-Claude Juncker die Lösung des Problems auf die
Fahnen der Politik schreiben. Denn es waren die Politi-
ker, die Regierungen und Parlamente, und nicht die Ban-
ker, die die Krise entschärft haben. Die Arroganz der
Banker wird nach dem, was wir hier als Parlament und
als Regierung geleistet haben, ein für alle Mal zu Ende
sein müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass wir national und international wirklich
zu grundlegenden Veränderungen kommen, die dem
Tanz um das Goldene Kalb in Zukunft enge Grenzen set-
zen werden. Dafür will ich mit meiner Arbeit in meiner
Fraktion und meiner Partei sorgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618400200

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP,

Dr. Guido Westerwelle.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1618400300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir alle sind verpflichtet, Schaden vom deut-
schen Volke abzuwenden. Das gilt für die Regierung und
für das Parlament, und zwar gleichgültig, ob man in ei-
ner Regierungsfraktion oder einer Oppositionsfraktion
sitzt. Deswegen will ich hier ausdrücklich sagen: Die
Lage ist da und muss bewältigt werden. Deswegen wer-
den wir als Freie Demokraten den Gesetzentwurf der
Koalition unterstützen und ihm zustimmen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Wir hören natürlich – das wird jedem hier so ergehen –
eine Menge fachliche Betrachtungen und auch manches,
was wir anders sehen. Darauf will ich gleich noch kurz
eingehen. Aber eines will ich vorab klarmachen: Dieses
Paket schützt nicht Banken und auch nicht irgendeinen
Aktienkurs, sondern die Bürgerinnen und Bürger. Es
schützt die Rentnerinnen und Rentner. Es schützt die
Mittelständler. Es schützt die Arbeitnehmer. Es ist ein
Paket, das Deutschland dient, nicht einigen wenigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich wird es bei einem solchen Kompromiss, der
bis in den frühen Morgen hinein verhandelt wurde – ich
darf mich in diesem Zusammenhang bei dem Haushalts-
ausschuss herzlich bedanken –, immer so sein, dass viele
der darin enthaltenen Maßnahmen unterschiedlich be-
wertet werden. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn
eine Fraktion alleine dieses Paket geschnürt hätte, dann
würde es vermutlich anders aussehen. Das will ich aus-
drücklich auch für uns sagen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
Dass wir mehr und vor allen Dingen auch intensiver
über das britische Modell nachgedacht haben, will ich
hier nicht verschweigen. Ich will auch nicht verschwei-
gen, dass bis hin zum Insolvenzrecht manche Regelun-
gen getroffen worden sind, die wir ausdrücklich nicht
teilen und billigen. Deswegen betrachten Sie bitte – Sie
verstehen, dass ich das hier zu Protokoll gebe – unsere
Zustimmung zu dem Paket nicht als Freifahrtschein für
alles, was in dem Paket enthalten ist. Das ist auch nicht
anders zu erwarten.


(Beifall bei der FDP)


Natürlich teilen wir nicht jede Maßnahme dieses Pa-
kets. Aber wir müssen uns umgekehrt einmal Gedanken
darüber machen, was es für unser Land, für die Wirt-
schaft unseres Landes und die Stabilität des Geldes unse-
res Landes bedeuten würde, wenn dieses Paket heute
keine Mehrheit bekäme. Auch darüber muss man sich
einmal Gedanken machen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Ich sage das, weil auch wir um Lösungen gerungen ha-
ben, wie es sich in einem parlamentarischen Verfahren
gehört. Dass man dem Paket nicht zustimmt, weil man
die Verantwortung nicht übernehmen möchte und gleich-
zeitig sicher sein kann, dass es ohnehin eine Mehrheit er-
hält, ist nicht die richtige Art und Weise, mit der Parla-
mentarier hier herangehen sollten.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben im Laufe der Beratungen einiges verbes-
sern können. Es ist für mich keine Pflichtübung, sondern
es ist mir eine Herzensangelegenheit, mich insbesondere
bei den beiden Fraktionsvorsitzenden, Herrn Kauder und
Herrn Struck, für die Beratungen zu bedanken, die wir
insbesondere in diesen letzten beiden Tagen geführt ha-
ben. Es ist uns besonders wichtig, dass die Stellung der
Bundesbank in dem Gesetzentwurf, den wir heute be-
schließen werden, anders geregelt ist als in der Vorlage,
die eingebracht worden ist. Die Unabhängigkeit der
Bundesbank ist ein hohes Gut. Es ist richtig, dass das in
diesem Paket aufgenommen wurde und zum Ausdruck
gekommen ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist vor allen Dingen für jeden Parlamentarier von
herausragender Bedeutung, dass wir mit der Beschluss-
fassung an diesem Tag nicht unsere Parlamentsrechte ab-
geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das sagen wir nicht aus Eitelkeit, sondern das sagen wir
im Interesse unserer Verfassung und der Bürgerinnen
und Bürger, weil wir diejenigen sind, die den Bürgerin-
nen und Bürgern gegenüber für die Verwendung der
Steuergelder geradestehen müssen. Deswegen will ich
an dieser Stelle noch einmal sagen, dass der in dem Ge-
setzentwurf neu aufgenommene § 10 a ausdrücklich die
Bildung eines Ausschusses in diesem Hause vorsieht,
der die parlamentarische Kontrolle und Begleitung des-
sen zur Aufgabe hat, was jetzt die Regierung umzuset-
zen hat. Das ist ein wichtiger Beitrag für das Parlament
und für die Gewaltenteilung.

Als Verfassungspatrioten sagen wir dazu: Es ist not-
wendig, dass an dieser Stelle das Parlament in weiten
Teilen mitwirken kann. Die Kritik, die von manchen ge-
äußert wird, dass diese Mitwirkung im Geheimen pas-
siert, kann ich nicht nachvollziehen. Das Gremium wäre
völlig arbeitsunfähig, wenn es öffentlich tagen müsste.
Da werden Firmen- und Eigentumsinteressen sowie Ar-
beitnehmerinteressen behandelt. Bei einem öffentlich ta-
genden Gremium würde ein Unternehmen, das um Hilfe
bittet, in den Ruin getrieben. Die Parlamentsbeteiligung
ist ein großer Erfolg, den wir in diesen letzten beiden Ta-
gen gemeinsam durchsetzen konnten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich will noch eine Bemerkung an die Adresse der
Bundesregierung machen. Grundlage für unsere Ent-
scheidung ist, dass die Bundesregierung mit offenen
Karten spielt. Sie erwarten von uns Vertrauen. Wir müs-
sen aber auch Ihnen vertrauen können.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen sage ich mit großem Ernst und aus gegebe-
nem Anlass: Die Informationen, die Sie uns in diesem
Haus, in geheimen Unterrichtungen und in den Beratun-
gen der Ausschüsse, haben zukommen lassen, müssen
stimmen. Sie stehen dafür gerade, dass Sie keine wesent-
lichen Informationen verschwiegen haben. Geschäfts-
grundlage ist, dass die Bundesregierung mit offenen
Karten spielt.


(Beifall bei der FDP)


Ich will zwei Schlussbemerkungen machen. Ich
glaube, dass wir uns als Deutscher Bundestag mit einem
gewissen Abstand zu dieser schwierigen Woche trotz ei-
ner zweifelsohne belastenden und aufgeregten Situation
die Zeit nehmen sollten, grundsätzlicher über die Folgen
zu reden. Das ist am heutigen Tage weder leistbar noch
notwendig. Wir müssen aber einmal Bilanz ziehen, auch
was die Art und Weise angeht, wie wir als Staatsorgane
mit dieser Krise umgegangen sind.

Eines wird man, wie ich glaube, festhalten können:
Viele, die häufig negativ über Europa reden, haben in
dieser Zeit hoffentlich verstanden, was für ein Glück es
ist, dass wir in einem vereinigten Europa leben dürfen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Europa hat sich in dieser Situation bewährt. Das ist weit
mehr als eine Randbetrachtung. Das ist ein wichtiger po-
litischer Vorgang.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum
Schluss: Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat und un-
sere soziale Marktwirtschaft werden sich auch in dieser
Krise als eine überlegene Ordnung bewähren. Um das
zum Ausdruck zu bringen, stehen wir zu der Verantwor-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
tung, die wir alle gemeinsam tragen. Die FDP-Fraktion
wird das Maßnahmenpaket im Interesse unseres Landes
und der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unter-
stützen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618400400

Ich gebe das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der

CDU/CSU, Volker Kauder.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1618400500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir schnüren heute das größte Finanzmarktret-
tungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland. Diese Woche war ein Kraftakt. Begonnen
hat sie mit Diskussionen darüber, was konkret getan
werden muss, um am Markt neues Vertrauen zu schaf-
fen. Über das Wochenende wurden Verhandlungen auf
europäischer Ebene geführt, und in den Ministerien
wurde das Maßnahmenpaket vorbereitet. Dann folgten
die parlamentarischen Beratungen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich habe dies nie als eine Zumutung emp-
funden, sondern als eine Pflichtaufgabe für uns alle, für
den Deutschen Bundestag und für die Bundesregierung.
Ich bin dankbar, dass uns dies gelungen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Woche hat gezeigt, dass unsere soziale Markt-
wirtschaft, unsere Einrichtungen und unsere Organe – Re-
gierung, Bundestag und Bundesrat – auch in einer
schwierigen Situation handlungsfähig sind. Manche aus
der Wirtschaft und der Bankenbranche haben oft lä-
chelnd auf uns herabgeschaut nach dem Motto: „Wir be-
stimmen, was passiert. Wir erklären die Welt. Die Politik
hat uns nur noch zu folgen.“ Mancher Bürger hat auf die
Politik herabgeschaut nach dem Motto: „Die können es
nicht mehr.“ In dieser Woche haben wir allerdings zei-
gen können, dass dem nicht so ist. In dieser Woche kam
es auf uns an, und wir sind unserer Verantwortung ge-
recht geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das sage ich nicht aus Selbstgerechtigkeit,


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Oh nein! Sie doch nicht!)


sondern dies sage ich nur, damit klar wird: Man kann
sich auf unsere Demokratie verlassen. Auf jeden Fall
kann man festhalten: Auf unsere Demokratie und auf un-
sere Institutionen war und ist mehr Verlass als auf manch
andere, die wir jetzt erst wieder zur Verlässlichkeit brin-
gen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir sind all denjenigen dankbar, die die Last in diesen
Tagen in besonderer Weise getragen haben: Bundesre-
gierung, Ministerien, Haushaltsausschuss. Wir sollten in
diesen Stunden allerdings auch nicht diejenigen verges-
sen, denen wir dafür dankbar sein müssen, dass wir un-
sere Arbeit in geordneter Ruhe machen konnten, näm-
lich den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Wir
sollten ihnen dankbar sein, dass sie nicht in Hektik aus-
gebrochen und auch nicht in Hysterie verfallen sind. Sie
haben vielmehr darauf vertraut, dass das Richtige getan
werde. Deswegen sage ich unseren Bürgerinnen und
Bürgern einen herzlichen Dank für ihre besonnene Hal-
tung in den letzten Tagen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Ret-
tungspaket, das wir auf den Weg bringen, ist noch nicht
alles erledigt. Wir erwarten jetzt noch Rechtsverordnun-
gen, die die Umsetzung dieses Paketes in der Praxis be-
gleiten und ermöglichen. In diesem Zusammenhang er-
warten wir von der Bundesregierung natürlich, dass das,
was uns zugesagt wurde, in Gänze eingehalten wird. Der
Satz „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ muss sich in
diesen Rechtsverordnungen konkret wiederfinden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Uns als Parlamentariern – ich glaube, ich kann dies
für alle in diesem Hause sagen – sollte besonders wichtig
sein, dass klar und deutlich wird, dass diejenigen, die
Handlungsverantwortung für das tragen, was jetzt einge-
treten ist, nicht einfach so davonkommen können, als ob
nichts geschehen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss es
überall dort, wo beispielsweise Kapital zur besseren Ei-
genkapitalausstattung von Banken gegeben werden
muss, Konsequenzen für die Geschäftspolitik und das
Entlohnungssystem haben. Herr Bundesfinanzminister,
Sie haben dazu Zahlen genannt. Wir erwarten in den
Rechtsverordnungen klare Konsequenzen.

Es geht auch nicht darum, dass aus Neid oder aus ir-
gendwelchen anderen Gründen Gehälter begrenzt wer-
den sollen. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es
geht darum, mit diesen Maßnahmen, die aus den Rechts-
verordnungen resultieren und die auch in die Gehalts-
strukturen eingreifen, wieder etwas herzustellen, was
manchen in diesen Banken- und Finanzstrukturen verlo-
ren gegangen ist: Sie müssen wieder mitten in die Ge-
sellschaft zurückgeholt werden, und sie dürfen nicht au-
ßerhalb aller Regeln herumturnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mitten in die Gesellschaft zurückzukehren, heißt
auch, eine gesunde Relation zwischen dem eigenen Han-
deln und Einkommen und damit zu dem, was in unserer
Gesellschaft normalerweise verdient werden kann, her-
zustellen.

Wir erwarten, dass durch dieses Paket, das wir schnü-
ren, neues Vertrauen am Markt entsteht. Wir erwarten al-






(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
lerdings von denjenigen, die jetzt in unserem Banken-
und Finanzmarktsystem handeln müssen, dass sie die-
sem Vertrauen gerecht werden, dass sie sich an die Ar-
beit machen, Kredite vergeben und den Finanzmarkt
wieder in Bewegung bringen. Wir leisten unseren Bei-
trag jetzt, und wir erwarten im Gegenzug von Finanz-
markt und Banken, dass sie dem Vertrauen, das wir ih-
nen entgegenbringen, gerecht werden und dass sie ihren
Teil dazu beitragen, dass wir aus der Krise herauskom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Frage, was ge-
schehen muss, damit so etwas nicht noch einmal auf uns
zukommt. Wir haben natürlich erkannt, dass es auf die
Handlungsfähigkeit des Nationalstaates ankommt. Diese
Handlungsfähigkeit kann aber nur dadurch hergestellt
werden, dass wir in Europa eingebunden sind und dass
nicht jeder macht, was er gerade für richtig hält.

Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Regeln, die
sich bewährt haben – durch die weltweite Krise zeigt
sich, dass sich unsere Regeln der sozialen Marktwirt-
schaft bewährt haben und bewähren –, weltweit umge-
setzt werden. Wir müssen aber auch erkennen: Dass wir
jetzt, wie ich finde, stark handeln können, hängt auch da-
mit zusammen, dass wir uns in den letzten drei Jahren
stark gemacht haben. Wir haben es zwar schon immer
gewusst, aber jetzt, in dieser Krise, erkennen wir,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh je!)


– ja, ja, Frau Künast – dass das, was wir in den letzten
drei Jahren nach rot-grüner Bundesregierung hier in die-
ser Großen Koalition gemacht haben, nicht umsonst war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Keine Aufregung.

Dies können Sie im Herbstgutachten der führenden
Wirtschaftsinstitute nachlesen. In diesem Herbstgutach-
ten steht nämlich, dass die Bundesrepublik Deutschland
aufgrund dessen, was wir gemacht haben, in dieser Krise
stärker ist, als sie noch vor drei Jahren war. Deshalb ist
die Botschaft für uns klar: Das, was uns stark gemacht
hat, darf jetzt in der Krise nicht aufs Spiel gesetzt wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Deswegen sind Haushaltssanierung und klare Ver-
hältnisse, wie wir jetzt erkennen, kein Selbstzweck, son-
dern Voraussetzung für Handeln und Stärke auch in
schwierigen Situationen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb werden wir unser Ziel der Stabilität des Haus-
halts und der Politik auch in der Krise nicht aufgeben.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Haushalt doch gar nicht saniert!)


Was muss noch geschehen? – Ich glaube, dass wir die
klare Botschaft brauchen, dass die Bankenaufsicht kon-
zentriert werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage noch einmal, dass wir es für richtig halten, dass
die Bankenaufsicht bei der Bundesbank konzentriert
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne eine nationale Bankenaufsicht wird es nicht gehen,
aber wir brauchen auch eine europäische Komponente
der Aufsicht. Das, was wir uns für die nationale Ebene
vorstellen, stelle ich mir auch für die europäische Ebene
vor:


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Konzentration einer europäischen Bankenaufsicht bei
der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. – Das
Vorbild, das wir für uns haben, muss auch dort gelten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Eines lernen wir aus dieser Krise aber auch: Nichts ist
wichtiger als Vertrauen. Deswegen sagen wir all denjeni-
gen, die auf dem Finanzmarkt, in der Finanzwirtschaft
und im Bankenwesen tätig sind: Schaut wieder mehr auf
den Wert des Vertrauens. Vertrauen heißt für euch in
der Bankenwelt, dass ihr nicht unbedingt das Vertrauen
jedes großen Profiteurs gewinnen müsst, sondern schaut
wieder auf eure kleinen Kundinnen und Kunden und
habt mehr Respekt vor den Einlagen der kleinen Kundin-
nen und Kunden, die euer Vertrauen verdient haben und
die Stütze unserer Gesellschaft und unserer Demokratie
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich sage aber auch: Wir als Politiker sollten in dieser
Situation auch erkennen, wie wichtig für uns Vertrauen
ist und was Vertrauen heißt. Vertrauen heißt, dass Reden
und Handeln möglichst nahe beieinander liegen sollten.
Hundertprozentig wird das nie gelingen, aber das sollte
wirklich nahe beieinander liegen. So, wie ich zur Ban-
kenwelt sage, dass Profit um jeden Preis nicht sein darf,
sage ich mit Blick auf die Vertrauenserhaltung auch zur
Politik, dass Machtperspektive nicht um jeden Preis sein
darf.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass wir in diesen Wochen ein großes
Stück Vertrauen geschaffen haben. Ich erwarte, dass sich
dafür etwas am Markt bewegt. Ich weiß sehr genau, dass
wir jetzt an der Börse die sorgenvolle Beobachtung und
Vorwegnahme eines wirtschaftlichen Abschwungs erle-
ben. Wir sehen am Ölpreis und anderen Indikatoren,
dass die Lage schwieriger wird. Deshalb sollten wir den
Menschen nicht vormachen, dass diese Krise in den






(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
nächsten Wochen und Monaten einfach so an uns vorbei-
geht.

Aber wir sollten auch darauf hinweisen, dass wir stär-
ker sind, als wir es noch vor Jahren waren. Wir haben
gezeigt, dass dieser Staat und diese Demokratie hand-
lungsfähig sind und wir nicht, wie in früheren Krisen,
nur zuschauen können. Deswegen bin ich gerade nach
dieser Woche bei allem, was wir zu erwarten haben, op-
timistisch. Die Demokratie hat sich als handlungsfähig
erwiesen. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass es
in den nächsten Jahren gut weitergeht.

Ich danke allen, die an dem Erfolg in dieser Woche
mitgewirkt haben. Es bedeutet nicht, wie in manchen
Kommentaren geschrieben wird, die Rückkehr des Poli-
tischen, sondern es ist die Bestätigung, dass Politik in
diesem Land etwas erreichen kann.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618400600

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der Linken,

Dr. Gregor Gysi.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618400700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

denke, wir erleben zurzeit die tiefste Krise des Kapitalis-
mus seit 80 Jahren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Diese Krise geht aber nicht von der Dritten Welt oder
von den Schwellenländern aus, sondern ausschließlich
von den führenden kapitalistischen Staaten. Gestern
Abend wurde in den Tagesthemen über ein Thema be-
richtet, mit dem wir uns hier noch nicht beschäftigt ha-
ben und über das wir diskutieren müssen.

Derzeit sterben jährlich 9 Millionen Menschen an
Hunger. Jetzt wurde gemeldet, dass die 50 ärmsten Staa-
ten wegen der Finanzkrise keine Kredite mehr bekom-
men. Sie können dann keine Nahrungsmittel mehr kau-
fen. Es wurde geschätzt, dass zusätzlich zu den
9 Millionen Menschen noch weitere 50 Millionen Men-
schen an Hunger sterben werden. Das kann niemand in
diesem Hause wollen. Deshalb erwarte ich von Ihnen,
Frau Merkel, und auch von Frau Wieczorek-Zeul kon-
krete Vorschläge, wie wir das auf deutscher, europäi-
scher und internationaler Ebene verhindern können.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deshalb verweigern Sie die Hilfe! Das ist doch zynisch, was Sie hier vortragen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was ist Ihr Vorschlag?)


Verantwortlich für diese Krise sind nicht nur Bank-
manager – die stehen allerdings ganz oben an –, sondern
auch Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler und Journalistinnen und Journalis-
ten, die uns jahrelang gepredigt haben, dass die Freiheit
der Finanzmärkte zu einer gigantischen Wirtschaft führt.
Aber das Gegenteil ist passiert.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir haben es nicht nur mit einer Krise auf den Fi-
nanzmärkten zu tun, sondern auch in den Bereichen
Wirtschaft, Politik und Demokratie, was zum Teil
noch geleugnet wird. Oskar Lafontaine hat am Mittwoch
darauf hingewiesen, dass der von Ihnen zunächst beru-
fene und dann wieder zurückgetretene Tietmeyer erklärt
hatte, dass die Finanzmärkte die Politik beherrschen.
Heute sagen Sie, dass Sie zu diesem Gesetz gezwungen
sind. Damit räumen Sie ein, immer noch beherrscht zu
werden.

Die Kernfrage lautet deshalb, zu welchen Verände-
rungen wir kommen müssen, um so etwas zukünftig aus-
zuschließen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Der demokratische Sozialismus steht leider – ich bin
Realist – noch nicht auf der Tagesordnung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott!)


– Dass Sie nicht begreifen, was das ist, verstehe ich.
Aber zumindest vom Kapitalismus müssten Sie etwas
verstehen. Dann müsste man sich wenigstens darin einig
sein, dass man ihn verändern muss. Können wir nicht zu-
sammen darum ringen, ein Primat der Politik über Wirt-
schaft und Finanzen wiederherzustellen?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das ist auch eine Kernfrage der Demokratie;


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich glaube, das haben Sie letzte Woche nicht verstanden, Herr Kollege!)


denn wenn der Vorstand der Deutschen Bank entschei-
det, was der Bundestag und die Bundesregierung zu tun
haben, und nicht wir entscheiden, was sie zu tun haben,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hanebüchener Blödsinn!)


dann ist die Demokratie schwer verletzt. Schließlich darf
die Bevölkerung den Bundestag wählen, aber nicht den
Vorstand der Deutschen Bank.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wie es sich mit der Wirtschaft verhält, werde ich Ih-
nen sagen. Ein Konzernchef hat mir gesagt, dass früher
der zehnte Tagesordnungspunkt in der Vorstandssitzung
immer der Börsenstand war. Aber seit Jahren sei nun der
erste Tagesordnungspunkt der Börsenstand, weil dieser
alleine darüber entscheide, welche Kredite zu welchen
Bedingungen man bekomme. Das heißt, die Finanzwelt






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
beherrscht sogar die Wirtschaft. Es wäre selbst im Kapi-
talismus sehr viel sinnvoller, wenn die Wirtschaft die Fi-
nanzwelt beherrschte. Auch dort brauchen wir eine Um-
kehrung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Frage, die sich nun stellt, ist: Gab es unterschied-
liche politische Ansätze zur Vermeidung einer solchen
Krise, oder gab es sie nicht? Ich finde Besserwisserei
immer blöde.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Entschuldigen Sie, das ist Ihr Stil. Sie behaupten, seit
1949 alles richtig gemacht zu haben. Aber das ist ein
schwerer Irrtum der Union; das kann ich Ihnen versi-
chern.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


In dieser Frage hatten wir aber nun einmal recht. Wir
haben immer gesagt, dass wir eine Regulierung der in-
ternationalen Finanzmärkte brauchen, weil alles an-
dere zu einer Katastrophe führt. Aber Sie haben das im-
mer bestritten. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


– Ich werde es Ihnen gleich beweisen. – Sie verlangen
von uns immer Ehrlichkeit in der Aufarbeitung der Ge-
schichte. Haben Sie doch einmal die kleine Ehrlichkeit,
hier zu sagen: Wir haben uns zutiefst geirrt, und die Lin-
ken hatten – meinetwegen: ausnahmsweise – recht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Volker Kauder [CDU/CSU]: So war es aber nicht!)


Jetzt erklären Union und SPD sowie Grüne, dass sie
schon immer für die Regulierung der Finanzmärkte wa-
ren. Das ist eine Erfindung.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn Joschka Fischer von den Grünen hat erklärt, man
könne nicht gegen die Finanzmärkte regieren. Gerhard
Schröder ist Tony Blair gefolgt – und zwar gegen Oskar
Lafontaine – und hat gesagt: Wir müssen die Freiheit der
Finanzmärkte schaffen. Herr Steinbrück, ich darf Sie
ausnahmsweise zitieren. Sie haben am 4. Mai 2006 auf
der Euromoney Germany Conference Folgendes wört-
lich erklärt:

Obwohl wir mit unseren Reformanstrengungen
noch keineswegs am Ende sind, zeigen sie doch
erste gute Ergebnisse … Nicht zuletzt ist Deutsch-
land heute eine der am meisten liberalisierten und
deregulierten Wirtschaften in Europa.

Darauf waren Sie stolz. Das Ergebnis sehen wir jetzt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zuruf von der SPD)


– Entschuldigung, die SPD hat Hedgefonds zugelassen,
die Sie dann als Heuschrecken bezeichnet haben. Die
SPD und die Grünen haben Leerverkäufe zugelassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Darf ich den Bürgerinnen und Bürgern erklären, was
Leerverkäufe sind? – Man gibt Geld an die Börse und
wettet darauf, dass bestimmte Aktienkurse fallen. Wenn
man recht hatte, gewinnt man Geld. Wenn man unrecht
hatte, ist man sein Geld los. Sie haben mit dieser Maß-
nahme aus dem Kapitalismus einen Kasinokapitalismus
gemacht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


2008 haben Sie das endlich verboten, allerdings nur be-
fristet.

Den Gesetzentwurf lehnen wir ab. Herr Westerwelle,
Sie sagen, das könnten wir uns nur leisten, weil es auf
unsere Stimmen nicht ankomme. Ich sage Ihnen Folgen-
des: Wenn es auf unsere Stimmen ankäme, könnten wir
entsprechende Veränderungen durchsetzen; das ist der
Unterschied. Diese können wir nun aber nicht durchset-
zen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nach Ihrer Rede scheint das gut zu sein!)


Dass ein Rettungspaket erforderlich ist, ist unstrittig.
Dass das zügig geschehen musste, ist auch unstrittig. Da-
für hatten Sie unsere Zustimmung. Wir kritisieren aber
Folgendes:

Erstens. Sie sagen, dass es unterschiedliche Möglich-
keiten gibt, wenn staatliches Geld fließt. Man kann dann
Bonusscheine oder Aktien erwerben, aber ohne Mitbe-
stimmungsrechte. Man kann aber auch solche Aktien
erwerben, dass man anschließend etwas zu sagen hat.
Das alles regeln Sie in Verordnungen. Auf diese haben
wir aber keinen Einfluss, selbst wenn ein Ausschuss da-
von erfährt. Der Bundestag hat dann nichts mehr zu ent-
scheiden. Darauf können wir uns nicht einlassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir sagen: Wohin staatliches Geld fließt, muss auch
staatliches Eigentum entstehen; denn die Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler sind dann auch am Gewinn zu be-
teiligen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Genau das passiert doch!)


Zweitens. Wenn man so etwas macht und das der Re-
gierung überlässt, dann muss man – das wurde hier viel-
fach erklärt – Grundvertrauen in die Regierung haben.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Das haben wir nicht, weil sie es zerstört hat. Das möchte
ich Ihnen gerne begründen.


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das hatten Sie noch nie!)


– Das kann schon sein. Wir hatten aber auch noch nie ei-
nen Grund, so etwas zu entwickeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Herr Bundesfinanzminister, am 16. September 2008
haben Sie im Bundestag wörtlich erklärt:

Es gibt keinen Anlass – das sage ich sehr bewusst –,
an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu
zweifeln.

Oh, es hätte viele Anlässe gegeben, zu zweifeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Entweder haben Sie es nicht gewusst – dann spricht das
gegen Ihre Fähigkeiten –, oder Sie haben es gewusst;
dann haben Sie uns nicht die Wahrheit gesagt. Auch das
spricht dann gegen Sie.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Drittens. Dann begann die Krise in den USA. Frau
Bundeskanzlerin, Herr Glos, was haben Sie denn gesagt?
Sie, Herr Glos, haben gesagt, die USA sollten vor der ei-
genen Tür kehren, das Ganze gehe Deutschland nichts
an. Sie hatten gar nicht verstanden, dass wir ein interna-
tional verwobenes Finanzsystem haben, in dem uns auch
eine Bank in Island etwas angeht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Es ist doch grotesk – wir leben in einer verrückten Welt –,
dass die Linke dieser Bundesregierung sagen musste: Sie
müssen mit der US-Administration unter Bush zusam-
menarbeiten. – Aber das ist die Wahrheit. Wir haben das
gesagt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Quatschkopf!)


Dann wollte Anfang des Monats der französische Präsi-
dent Sarkozy eine europäische Lösung. Auch das haben
Sie schon vergessen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Glauben Sie selber, was Sie da sagen?)


Es war Frau Merkel, die dagegen war und immer noch
den nationalistischen Weg beschreiten wollte, der aber
falsch ist und der auch gar nicht funktioniert.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Noch mal: Quatschkopf! – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben es immer noch nicht verstanden!)

Ich weiß, dass Sie das jetzt alles begriffen haben. Jetzt
machen Sie das international, weltweit, europäisch. Das
ist auch sinnvoll, aber Sie müssen doch zugeben, dass
Sie erst einmal das Gegenteil betrieben haben. Das hat
kein Vertrauen geschaffen, ganz im Gegenteil.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: An Gysis Wesen soll die Welt genesen!)


Nehmen wir ein weiteres Beispiel, die Deutsche
Industriebank. Ich bitte Sie, Herr Steinbrück! Was ha-
ben Sie denn dort geregelt? Erstens sagt ein Mann wie
Roland Berger, die Rettung sei gar nicht erforderlich ge-
wesen, weil das Institut viel zu klein gewesen sei. Also
kann man schon über die Rettung streiten. Das Zweite,
was ich spannend finde, ist: Sie stellen 9,2 Milliarden
Euro für Schäden zur Verfügung, die eintreten können.
Das sind aber nicht Ihre Gelder, das sind Gelder der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Dann verkaufen Sie
das Institut – uns gehörten 38 Prozent der Anteile – an
eine Heuschrecke für einen Appel und ein Ei. Jetzt ge-
hört uns gar nichts mehr. Nun kommt der Höhepunkt:
Sie haben nicht geregelt, dass diese Bank dann, wenn sie
jemals wieder Gewinne macht – und wenn tatsächlich
1 Milliarde, 5 Milliarden oder 9 Milliarden Euro unseres
Geldes in Anspruch genommen wurden –, auch nur
1 Cent an uns zurückzahlt. Ich kann das überhaupt nicht
nachvollziehen, Herr Steinbrück. Für mich hat das eine
strafrechtliche Relevanz. Was soll denn sonst Untreue
sein?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich finde, das ist wirklich nicht hinnehmbar, und ich
kann das den Bürgern auch nicht erklären.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich finde es schön, dass Sie von Gewinnen reden!)


Jetzt komme ich zur Hypo Real Estate. Ich bitte Sie.
Sie haben uns immer erklärt: Die konnte nicht kontrol-
liert werden, weil die Bundesfinanzaufsicht dafür nicht
zuständig war, weil das Institut keine Bank war. Dann ist
der Schaden durch die DEPFA angerichtet worden, eine
Tochter mit Sitz in Irland. Dazu haben Sie uns erklärt:
Auch die konnte nicht kontrolliert werden, weil ihr Sitz
in Irland war. – Jetzt sagt uns doch der Chef der Bundes-
finanzaufsicht, er habe sie mit der Bundesbank kontrol-
liert. Der Bericht ist im August an das Bundesfinanz-
ministerium gegangen. Haben Sie davon nichts gewusst,
oder haben Sie uns belogen? Das möchte ich jetzt ein-
fach einmal wissen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Finanzaufsicht behauptet auch, in dem Bericht hät-
ten alle Risiken gestanden. Wie, frage ich Sie, soll denn
das Vertrauen entstanden sein, das dazu hätte führen
können, dass wir jetzt alles der Regierung überlassen?
Sie haben das Vertrauen zerstört, das man vielleicht ge-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
habt haben könnte, das wir aber – der Zwischenruf kam
zu Recht – nicht hatten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Über die Verantwortlichkeit der Manager reden wir
zwar alle, aber es passiert doch nichts. Herr Funke tritt
als Chef der HRE zurück und erhält monatlich über
40 000 Euro Pension. Davon kann man ja einigermaßen
leben. Das ist ja eine dolle Strafe, die er hinnimmt. Es ist
doch nicht mehr diskutabel, was wir hier in Deutschland
erleben.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618400800

Herr Kollege Gysi, ich möchte Sie an Ihre Zeit erin-

nern.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618400900

Frau Präsidentin, da ich Ihnen vertraue, gehe ich da-

von aus, dass die Zeit leider herum ist.


(Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das steht auf der Uhr! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Zeit ist um, Herr Gysi!)


Das ist schade. – Ich weiß, dass Sie sich freuen. Aber ich
hätte Ihnen noch einiges zur Demokratie und auch zur
sozialen Frage gesagt.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


Überlegen Sie sich das ganz genau, bevor Sie arrogant
darüber hinweggehen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ganz vorsichtig!)


Wenn Sie kein Konjunkturprogramm auflegen, –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618401000

Herr Kollege Gysi.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618401100

– wenn Sie die Sozialleistungen nicht stärken, dann

werden wir einen Wirtschaftsabschwung erleben, den
wir so teuer zu bezahlen haben werden, dass ich es Ihnen
und uns allen nicht wünsche. Machen Sie diesbezüglich
eine andere Politik!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Mit denen wollt ihr in Hessen wirklich zusammenarbeiten?)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618401200

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende von Bünd-

nis 90/Die Grünen, Renate Künast.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618401300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es pas-

siert mir in dieser Legislaturperiode ehrlich gesagt zum
ersten Mal, dass ich als Fünfte ans Redepult gehe und
vor meiner vier linke Reden gehalten wurden.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der LINKEN)


Ich muss wirklich sagen: Bei Ihnen allen stimmen Reden
und Handeln nicht überein.

Ich muss mich selbst über die Rede des geschätzten
Herrn Kollegen Westerwelle wundern, der hier sagt,
Leute würden vielleicht ablehnen, weil man „sicher sein
kann, dass es ohnehin eine Mehrheit erhält“.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!)


Herr Westerwelle, von Ihnen habe ich gar nichts anderes
erwartet, weil – das sage ich klar – Sie und Ihre FDP sich
nicht ums Land, sondern um die Banker Sorgen machen.
So war auch Ihre Rede.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist ja billig! Primitiv und billig ist das! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Billiger geht es ja nicht!)


Ich muss einen Satz zitieren:

Ferner muß der politische Einfluss im Bankensek-
tor reduziert werden. Das vergrößert die Chancen
des Bankenstandortes Deutschland.

Das stand im Bundestagswahlprogramm der FDP von
2005.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])


Sie kritisieren hier andere, weil sie nicht zustimmen
wollen. Wissen Sie, Herr Westerwelle, Sie verkaufen die
parlamentarischen Rechte und die Sorge um das Geld
der Bevölkerung in Deutschland für ein Linsengericht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! Sie haben aber ein Niveau! So ein Niveau in solch einer Debatte! Um Gottes willen! Das ist ja unglaublich!)


In dieser Woche geht es um ein Rettungspaket. Wir
haben einem Verzicht auf die Fristen zugestimmt. Wir
sagen: Ja, es muss ein schnelles Paket sein, es muss ein
großes Paket sein. Aber dieses Paket, das die Koalition
vorgelegt hat, ist definitiv das falsche, weil es seiner Ver-
antwortung vor den Steuerzahlern nicht gerecht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie werden der Verantwortung für unser Land nicht gerecht, Frau Kollegin Künast!)


– Wir stehen hier und sagen: Wir tragen Verantwortung
für unser Land; wir tragen – in dieser Gestalt funktio-
niert das – Verantwortung für den Haushalt. Wir tragen
Verantwortung, wenn wir innerhalb von fünf Tagen die
doppelte Finanzmenge eines Bundeshaushalts ausgeben.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir haben es noch nicht mal beschlossen!)


Wir tragen Verantwortung dafür, dass es einen Entschei-
dungsspielraum – –


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben es nicht einmal begriffen! – Joachim Poß [SPD]: Das ist Irreführung!)


– Herr Kampeter, Sie rufen: „Sie haben es nicht einmal
begriffen!“


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Kampeter, Sie sind hier der Rosstäuscher!


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die Tatsache, dass hier teilweise nur Garantien gegeben
werden, beweist nicht, dass diese Gelder eines Tages,
wenn es schiefgehen sollte, nicht auch fließen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Tatsache, dass wir das Geld dieses Jahr noch nicht
ausgeben, ist nicht der Beweis dafür, dass das Geld nicht
fließen könnte.

Wir können auch nicht zulassen, dass nur gesagt wird:
In Schweden ist es nachher ganz toll gelaufen. – Die
Schweden haben sich aber auch Rechte geben lassen.
Bei den Schweden ging es um relativ isolierte Probleme;
hier geht es um eine Weltkrise. Wer sagt uns denn, dass
wir kleine, stille Anteile in ein, zwei Jahren weltweit ge-
winnbringend verkaufen können, wenn alle verkaufen
wollen? Wir sind doch nicht naiv und lassen uns von Ih-
nen hinters Licht führen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir tragen auch für nachfolgende Generationen die
Verantwortung, ihnen nicht noch stärker verschuldete
Haushalte zu übergeben. Wir tragen die Verantwortung
dafür, dass es nicht zu falschen Wiederholungen kommt.
Da sage ich Ihnen: Ihre Vorlage ist an dieser Stelle nicht
in Ordnung. Deshalb muss man mit Nein stimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Merkel und Herr Steinbrück haben gesagt – der
eine oder andere hat es auch behauptet –, dieses Paket
solle nicht den Banken, sondern den Menschen dienen.
Da frage ich einmal: Warum wurde es dann unter der Fe-
derführung von Martin Blessing, Commerzbank, unter
Teilhabe von Josef Ackermann, Deutsche Bank, Klaus-
Peter Müller, Commerzbank, und Paul Achleitner,
Allianz, erarbeitet? Ich frage Sie: Wo waren denn die
Vertreter der Menschen? Wo waren denn die Verbrau-
cherschützer? Wo waren denn die Finanzwissenschaft-
ler, die nicht die Akteure dieser Krise waren? Sie haben
den Bock zum Gärtner gemacht und sich mit den Verur-
sachern zusammengesetzt, um dieses Paket zu schreiben.
Dieses Paket ist nicht in Ordnung, und deshalb muss
man mit Nein stimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Struck hat sich vorhin zu Herrn Ackermann
– das ist der, der mit dem V-Zeichen durch den Gerichts-
saal ging – geäußert. Als ich heute früh auf dem Ticker
sah: „Ackermann verzichtet“, war ich eine Sekunde lang
voller Hoffnung. Dann las ich: Er verzichtet auf seine
Boni. – Lieber Peter Struck, das ist ja noch schlimmer
als das, was du über ihn gesagt hast. Dass der Mann
überhaupt glaubt, er hätte in diesem Jahr einen Bonus
verdient – statt dass er sein ganzes Gehalt abgibt –, ist
doch eine ungeheure Chuzpe. Wofür denn eigentlich?
Für sinkende Börsenkurse?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Und von denen lässt man sich das Ganze schreiben?
Von denen – das atmet das Paket – lässt man sich eine
Milliardenhilfe aufschreiben? Dieses Paket atmet: Gib
mir Geld, aber misch dich nicht ein! In meine Bücher
darfst du nicht schauen. – Das Paket ist nicht in Ord-
nung. Deshalb stimmen wir mit Nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen: Es geht um die Bürger. – Aber am Ende
steht hier: Bürgschaften zuerst und Rekapitulation – –
Rekapitalisierung erst am Ende.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Intellektuelle Kapitulation ist Ihre Rede!)


– „Kapitulation“ ist ein guter Versprecher. Kapitulation
ist das, was Sie machen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, wir retten unser Land!)


Sie sitzen quasi mit weißen Fahnen hier im Plenum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wenn Sie rekapitalisieren, dann ganz still; bloß nicht
ins operative Geschäft rein. Wenn wir diesen Bankern
nicht trauen können, wie selbst Herr Kauder in seiner
linken Rede zum Besten gegeben hat, dann können wir
doch nicht sagen: „Wir geben euch Geld, aber wir gehen
nicht ins operative Geschäft“ und darauf hoffen, dass die
Ackermanns dieser Welt es verstanden haben. Sie haben
es nicht verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Deshalb sage ich: Dieses Paket ist nicht in Ordnung. Wir
stimmen mit Nein.

Sie haben hier wie in den letzten Tagen so getan, als
brauche man die Regeln der Marktwirtschaft nur zu be-
achten; dann sei schon alles in Ordnung. Sie haben so
getan, als seien das Fehler einiger schwarzer Schafe. Ich
sage Ihnen: Auch die soziale Marktwirtschaft in ihrer
heutigen Gestalt ist in einer Vertrauenskrise, weil sie
Raffgier und exzessive Selbstbedienung zugelassen hat.
Auch da müssen wir die Regeln aufs Schärfste ändern.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen haben das Recht, zu sehen und zu erle-
ben, dass mit ihrem Geld wirklich sorgfältig umgegan-
gen wird, eben nicht zu den alten Bedingungen. Sie re-
den über zwei Schritte: Erst geben wir das Geld
– Durchreiche von der Küche zum Esszimmer –, und
erst später, in einem zweiten Schritt, müssen wir den fäl-
ligen und nötigen Umbau des Finanzmarkts vorneh-
men. – Ich sage Ihnen heute und hier: In diesem Paket
muss der Umbau des Finanzmarkts beginnen. In diesem
Paket muss man eine aktive Teilhabe organisieren, muss
man Transparenz, parlamentarische Kontrolle und parla-
mentarische Mitentscheidung organisieren.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben es gar nicht gelesen! Sie haben keine Ahnung, was wir heute beschließen, aber Sie lehnen ab!)


Das können Sie nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
verschieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In diesem Paket steht am Ende nur, dass mehr infor-
miert wird. Sie gründen noch einen Ausschuss, aber das
reicht uns nicht. Was wir wollen, ist der größtmögliche
Einfluss des Fonds auf die Unternehmenspolitik, die
größtmögliche Kontrolle. Wir wollen die Mitentschei-
dung des Deutschen Bundestages, der 614 Leute, die da-
für gewählt worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618401400

Frau Kollegin.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618401500

Mein letzter Satz. – Ich sage Ihnen, meine Damen und

Herren: Dieses Paket ist ein 500-Milliarden-Euro-Blan-
koscheck. Dieses Paket, das Sie vorlegen, entspricht der
alten Systematik. Es ist nicht in Ordnung, und deshalb
stimmen wir mit Nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was für eine primitive Rede!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618401600

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege

Westerwelle.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1618401700

Frau Kollegin, ich will mich nicht mit Ihrer Rede ins-

gesamt auseinandersetzen, aber da Sie die FDP und das
Wahlprogramm der FDP zitiert haben, möchte ich doch
eine Bemerkung machen.

Sie haben das aus dem Zusammenhang gerissen. Das
ist in meinen Augen auch in einer aufgeregten Debatte
nicht zulässig. Wenn wir von politischem Einfluss ge-
sprochen haben, so bezog sich das ausdrücklich auf den
parteipolitischen Einfluss, und es bezog sich auf das
große Thema: Staatsbanken und IKB-Anteil.

Sie wissen, wir sagen seit vielen Jahren, es war ein
Fehler, dass die Staatsbank KfW sich mit etwa
30 Prozent bei der IKB engagiert hat. Wir haben Ihre
Entscheidung, die Sie während Ihrer Regierungszeit ge-
troffen haben, für falsch gehalten. Das ist der entschei-
dende Kritikpunkt gewesen. Wir waren der Überzeu-
gung, Staatsbanken seien dafür zuständig, bei
Existenzgründungen und Forschung sowie mittelständi-
schen Betrieben zu helfen; aber sie sind nicht dafür zu-
ständig, an der Weltbörse herumzuspekulieren. Diese
Meinung bleibt unverändert richtig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Als Zweites möchte ich einfach sagen: Sie haben eine
außerordentlich engagierte Rede gehalten. Sie haben vor
allem lauter Defizite beklagt. Ich darf Sie daran erin-
nern: In den letzten zehn Jahren haben Sie sieben Jahre
lang regiert. Jede fehlende Regel, die Sie anmahnen, hät-
ten Sie in sieben Jahren durch dieses Haus bringen kön-
nen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618401800

Frau Kollegin Künast, Sie können antworten.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618401900

Herr Westerwelle, ich weiß nicht, wozu Sie heute de-

battieren. Ich diskutiere zu dem vorliegenden Maßnah-
menpaket der Bundesregierung, dem Sie zustimmen
möchten und das wir ablehnen möchten. Ich will aber,
weil Sie mir vorgeworfen haben, zu wenig von der FDP
zu zitieren, die Gelegenheit nutzen, noch zwei Sätze zu
zitieren, die beide von Ihnen sind und die für meine Be-
griffe bezeichnend sind für das Motiv Ihrer heutigen Zu-
stimmung.

Der eine Satz von Ihnen stammt aus einer Rede aus
dem Jahre 2003:

Deutschland braucht eine grundlegende Kurskor-
rektur in Richtung weniger Steuern, weniger Staat
und Deregulierung.


(Beifall bei der FDP)


Das heißt, den Bankern, den Finanzdienstleistern, die
diesen Schaden angerichtet haben, begegnen Sie mit we-
niger Staat, weniger Steuern und weniger Regulierung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist böswillig!)


Ich kann stundenlang so weitermachen. Ein weiteres
Zitat von Ihnen:

Die FDP steht für Entstaatlichung statt Verstaatli-
chung.


(Beifall bei der FDP)


Davon grenze ich mich ab, weil ich glaube: Dass Sie
in einer solchen Situation, die gekennzeichnet ist von
Milliardenschäden weltweit, von Sorge der Menschen






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
um ihre Altersvorsorge, von Sorge der Kommunen um
ihre Absicherung, strahlend dasitzen und Juchhu rufen,
nach dem Motto: Entstaatlichung statt Verstaatlichung,
während dem Staat und dem Steuerzahler, dem kleinen
Mann, das Geld aus der Tasche gezogen wird, um für
diese Banker und ihre Abzockerei einen finanziellen
Ausgleich zu schaffen, das, finde ich, spricht für sich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Künast, das ist Unsinn, und zwar im Quadrat!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1618402000

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,

möchte ich ergänzen, dass zwischenzeitlich der Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie
je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vorliegen. Über den Änderungsantrag wie auch
über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich
abstimmen. Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt
damit zwei namentliche Abstimmungen.

Ich weise schon jetzt darauf hin, dass wir beim nächs-
ten Tagesordnungspunkt, dem Punkt 35, GKV-Beitrags-
satzverordnung, eine weitere namentliche Abstimmung
haben.

Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Carsten Schnei-
der, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1618402100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Hinter uns liegt eine ungewöhnliche Woche, ungewöhn-
lich, was die Form des Gesetzes und die Höhe der öf-
fentlichen Mittel, die hier teilweise bereitgestellt wer-
den, angeht, ungewöhnlich auch im Hinblick auf die
Maßnahmen; denn wir ermöglichen mit diesem Geset-
zespaket eine Teilverstaatlichung von Banken, und das
mit der Zustimmung der CDU/CSU und der FDP. Wer
hätte das gedacht?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es sind auch ungewöhnliche Reden gehalten worden.
Frau Künast, ich hätte mich wirklich sehr gefreut, wenn
wir die Rede von Herrn Kuhn von Mittwochmorgen hät-
ten aufgreifen können. Die Änderungen, die Sie ange-
mahnt haben, haben wir in großen Teilen eingebracht.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Künast, Ihre Rede war sehr engagiert. Aber sie
war auch bar jeder Sachkenntnis.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bedaure das sehr.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn geändert?)

Wir haben Änderungen hinsichtlich der parlamentari-
schen Kontrolle vorgenommen. Das, was Sie, Herr
Kuhn, und auch Sie, Herr Gysi, eben angemahnt haben,
steht in dem Gesetzentwurf. Es soll ein neuer Sonder-
ausschuss mit eigenen Rechten eingerichtet werden, der
umfänglich informiert wird, der sogar bei einer Rechts-
verordnung ein Vetorecht bei der Abwicklung des Fonds
hat und der alle Informationen bekommt. Was wir aller-
dings nicht wollen, ist eine exekutive Befugnis des Bun-
destages; das stimmt. Ich will keine Einzelfallentschei-
dungen treffen; das liegt nicht in unserer Verantwortung.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Die Parlamentsbeteiligung ist jetzt verankert. Ich
gebe zu, der erste Entwurf war von der Regierung; die
hat das manchmal nicht so gern. Die Parlamentsbeteili-
gung ist ein wichtiger Anker in einem Gesetz –


(Widerspruch des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


ich habe das am Mittwoch als mögliche Zeitenwende be-
zeichnet –, das zumindest in Bezug auf seine Größenord-
nung und seine Bedeutung für dieses Land mit nichts zu
vergleichen ist.

Ich denke, dass auch die Veränderung, die wir bei der
Durchführungsorganisation vorgenommen haben – die
Bundesbank stand im ersten Entwurf unter der Rechts-
und Fachaufsicht des Finanzministeriums; das ist nun
nicht mehr der Fall –, dieser wichtigen Einrichtung ent-
gegenkommt. Damit haben wir insbesondere die Unab-
hängigkeit der Bundesbank herausgestellt.

Frau Künast – zu den Linken komme ich später –, Sie
haben gesagt, die Summe von 500 Milliarden Euro ent-
spreche dem doppelten Bundeshaushalt – das stimmt –,
und das sei ganz ungewöhnlich; das stimmt nicht. Wir
haben in jedem Haushaltsgesetz, dem auch Sie früher
zugestimmt haben, Garantien von über 300 Milliarden
Euro.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In fünf Tagen doch nicht!)


Jetzt haben wir 400 Milliarden Euro, zusätzlich eine
Kreditermächtigung für 70 Milliarden Euro plus eine
mögliche Erhöhung durch den Haushaltsausschuss. Das
ist der ungewöhnliche Teil. Aber die Garantien sind
überhaupt nicht ungewöhnlich. Jetzt haben wir sogar
noch mehr Kontrolle als bei den Garantien, die wir sonst
als Bürgschaften und Ähnliches geben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Von daher kann ich Ihre Position nicht verstehen. Bei der
Bedeutung, die dieses Gesetz für den Finanzmarkt und
den Wirtschaftsstandort der Bundesrepublik Deutsch-
land hat, ist das nicht zu verantworten. Ich bedaure das.

Nun zum Verursacherprinzip. – Herr Präsident, es
wird eine Zwischenfrage gewünscht.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618402200

Ich erteile dem Kollegen Kuhn das Wort zu einer

Zwischenfrage.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618402300

Ich möchte wissen, ob wir eigentlich über das Gleiche

reden. Wir hatten hier eingefordert, dass, wenn man ein
Paket aus Rekapitalisierung und Garantien in der Höhe
von 480 Milliarden Euro schnürt, dann das Parlament
nicht eine pauschale Ermächtigung an den Bundesfi-
nanzminister geben, sondern letztlich selbst entscheiden
soll. Das hatte ich in dieser Woche begründet. Sie haben
in Ihrer Rede gesagt, dass Sie dem beitreten wollen. Jetzt
findet sich in dem Gesetz, das Sie heute Nacht endver-
handelt haben, ein neuer Unterausschuss, der unter Ge-
heimkriterien arbeiten muss und Informationsrechte er-
hält, aber bei größeren Paketen – ich rede nicht über die
Bürgschaften, sondern über die Rekapitalisierung für
den Fall, dass eine Bank gerettet werden soll – in der Sa-
che nicht entscheidet.

Meine Frage an Sie ist: Wenn es so ist, wie ich es
schildere, können Sie dann wirklich ernsthaft behaupten,
es gebe eine parlamentarische Kontrolle? Das ist doch
nicht richtig; vielmehr ist das einfach eine Information.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1618402400

Herr Kuhn, ich habe am Mittwoch zugesagt, wir wer-

den die Parlamentsrechte verbessern. Bisher bestand nur
die Möglichkeit einer Unterrichtung des Bundesfinan-
zierungsgremiums. Das haben wir deutlich verändert.
Nun gibt es einen eigenständigen Ausschuss.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, noch einen Ausschuss!)


Dieser hat das Recht, bei einer Abwicklung des Fonds
der Verordnung zuzustimmen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Abwicklung!)


Das ist entscheidend. Es ist richtig, was Sie gesagt ha-
ben: Wir entscheiden nicht über Einzelfälle. Dazu, Herr
Kuhn, fühle ich mich auch gar nicht in der Lage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Dazu habe ich auch nicht die Sachkenntnis. Das will ich
als Abgeordneter des Deutschen Bundestages nicht ent-
scheiden, sondern das machen die Bundesbank und die
Finanzmarktstabilisierungsanstalt. Wir geben die Richt-
linien vor und kontrollieren die Regierung. Das ist die
Aufgabe des Parlaments.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Wir erteilen klare Auflagen. Wer Leistung erhalten
will, wer unter den Garantieschirm will, wer Eigenkapi-
tal erhalten will und wer als letzte Möglichkeit – das ha-
ben wir im Gesetz in der Reihenfolge geändert –
wünscht, dass wir schlechte Assets, schlechte Posten aus
der Bilanz herausnehmen, der muss eine Gegenleistung
erbringen. Ich kann die Linke überhaupt nicht verstehen,
dass sie dem nicht zustimmt. Mit diesem Gesetzentwurf
haben wir endlich die Chance – und die FDP stimmt zu –,
einer Verstaatlichung von Banken zuzustimmen.


(Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])


– Herr Westerwelle, Sie sollten Ihre Zustimmung nicht
davon abhängig machen. Ich bin jedenfalls dieser Auf-
fassung.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Westerwelle zustimmt, ist es keine Verstaatlichung!)


Sie können aktiv werden, und was tun Sie, Herr Gysi?
Sie halten eine schöne, rhetorisch brillante Rede, aber im
Endeffekt ändert sich nichts.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Warum machen Sie denn nichts?)


Sie beklagen die Pension von Herrn Funke von der
Hypo Real Estate. Das ärgert auch mich wahnsinnig. Der
Aufsichtsrat hat aber einen Vertrag mit dem Vorstand ge-
schlossen, und der Vertrag gilt. Sie wissen auch, dass das
gar nicht anders geht. In bestehende Verträge können Sie
nicht eingreifen.

Ich begrüße es jedoch, dass der Aufsichtsrat der Hypo
Real Estate jetzt die Konsequenzen gezogen hat und ge-
genüber Herrn Funke von der Möglichkeit Gebrauch
macht, die wir unter Rot-Grün eingeführt haben, nämlich
Vorstände von Aktiengesellschaften zu verklagen, sie
zur Rechenschaft zu ziehen und von ihnen Schadener-
satz zu fordern. Das passiert auch, und das ist zu begrü-
ßen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viele Kollegen haben die Frage der Akzeptanz von
Demokratie angesprochen. Wir sind sicherlich in einer
schwierigen Situation. Ich glaube aber – dabei stimme
ich mit Herrn Kollegen Kauder überein –, dass wir als
Bundestag, als Bundesrat und als Bundesregierung be-
wiesen haben: Unsere Institutionen funktionieren.

Ich wünsche mir, die anderen Institutionen, die Ban-
ker, die uns die Suppe eingebrockt haben, würden über-
haupt einmal an die Öffentlichkeit treten. Ich sehe kei-
nen Herrn Ackermann und keinen Herrn Blessing. Ich
schätze sie im Einzelnen, aber wo sind sie denn? Sie ha-
ben Kommunikationsstäbe, betreiben Öffentlichkeitsar-
beit, machen Kampagnen usw. Sie selbst treten aber
nicht auf und übernehmen nicht die Verantwortung. Ich
finde, das ist unsäglich.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der mei-
ner Fraktion sehr wichtig ist. Dass dieser Fonds Minus
macht, ist erstens nicht Ziel und zweitens nicht entschie-
den.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch besser so!)







(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider (Erfurt)

Ich glaube, dass dieses Paket funktioniert und dass wir
den Markt stabilisieren und die Wirtschaft am Laufen er-
halten. Damit ist das schon das beste Konjunkturpaket.
Im Übrigen sollte es möglichst nicht in Anspruch ge-
nommen werden. Wenn dies aber geschehen sollte, dann
muss sich nach meiner Auffassung und nach der Auffas-
sung meiner Fraktion der Deutsche Bundestag damit be-
schäftigen, wie eine geeignete Refinanzierung aus dem
Finanzsektor selbst heraus dargestellt werden kann. Das
ist für uns eine Bedingung. Ich bin froh, dass wir das mit
in die Beschlussempfehlung aufgenommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es kann nicht sein, dass wir als Staat die immens
wichtige Finanzwirtschaft und ihre Existenz garantieren;
denn nur noch wir sind weltweit der letzte Anker. Ir-
gendwann werden wir die Krise überwunden haben, und
das System wird wieder funktionieren. In der Krise gibt
es im Übrigen auch Banken, die Geld verdienen. Es wird
wieder eine Situation geben, in der die Unternehmen viel
Geld verdienen.

Ich finde, dann ist es durchaus selbstverständlich – wir
wollen dies politisch –, dass nicht die Kindergärtnerin,
nicht der Handwerksmeister und nicht die Kranken-
schwester, sondern insbesondere die Banken das mit ih-
ren Gewinnen finanzieren. Dann erzielen sie halt eine
Zeit lang keine Eigenkapitalrendite mehr von 25 Pro-
zent, sondern nur noch eine Eigenkapitalrendite von
15 Prozent. Das geht auch, das ist verkraftbar. Das ist
meines Erachtens ein wichtiges Signal an die Bevölke-
rung. Die SPD will, dass die Verantwortlichen zur Re-
chenschaft gezogen werden.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, bei aller
Schwierigkeit hat der Bundestag ordnungsgemäß und
sauber beraten. Wir haben diesen Gesetzentwurf bis
heute Morgen um halb drei bearbeitet. Ich glaube, das ist
im Hinblick auf die Bedeutung nicht zu vergleichen. Da-
her hoffe ich, dass zum einen die Regierung ihre Verant-
wortung wahrnimmt, die wir ihr in weitreichender Form
jetzt geben – wir werden das kontrollieren –, und dass
zum anderen dieses Paket tatsächlich wirkt und damit
letztlich das erhoffte Ziel erreicht wird, nämlich eine
Stabilisierung des Finanzmarktes unter den derzeit kriti-
schen wirtschaftlichen Bedingungen.

Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin und beim
Bundesfinanzminister für diesen Entwurf.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618402500

Nächster Redner ist Herr Kollege Otto Fricke für die

FDP-Fraktion.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1618402600

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich will als Ausschussvorsitzender versuchen, das
darzustellen, was zu nachtschlafender Zeit beschlossen
wurde.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Insbesondere der Kollegin Künast!)


Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Fraktionen
für die Arbeit im Ausschuss; denn wir haben das trotz
der Belastung und trotz der Eile nicht in einem Hick-
hack, sondern parlamentarisch gemacht. Man sollte auch
nach draußen sagen, dass wir bei allem Unterschied den
Ernst der Lage sehen, weil wir alle wollen, dass am
Montag Kredite ausgegeben werden, am Montag Geld
abgehoben werden kann und der Bürger sagen kann, die
Politik kümmere sich um seine Sorgen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Herr Minister, Sie haben es gesagt. Jetzt ist die Zeit,
um Feuer zu löschen. Danach ist sicherlich die Zeit, zu
überlegen, wie man das Feuer besser löschen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es ist
aber nicht die Zeit, nur zu sagen: Da brennt es. Es ist
Ihre Aufgabe, dabei mitzuhelfen, das Feuer zu löschen.
Sie beteiligen sich nicht daran, sondern es ist wie immer:
Wenn es ernst wird, dann sind Sie hinter den Büschen
und nicht am Brandherd. Das ist Ihr Fehler.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


In die Richtung der Grünen sage ich: Unsere Aufgabe
als Parlament endet nicht damit, dass wir den Aus-
schuss einrichten. Ich stimme dem Kollegen Schneider
völlig zu. Wir als Parlamentarier sollen nicht im Detail
sagen, wie wir das machen. Wissen Sie genau, wie Sie
mit einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit um-
gehen wollen? Wissen Sie, wie Sie mit einer Sparkasse
oder mit einer Genossenschaftsbank, mit einem Invest-
mentfonds oder mit was auch immer umgehen sollen?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Künast nicht!)


Das bedarf ganz unterschiedlicher schneller Regelungen.
Hierzu brauchen wir Fachleute, die schnell entscheiden.

Ich sage ausdrücklich für meine Fraktion: Wenn dabei
etwas schiefläuft, wenn meine Fraktion feststellt, dass
sich dabei etwas in die falsche Richtung bewegt, dann
werden wir hier Gesetzesinitiativen einbringen. Das ist
eine Aufgabe, die wir als Parlamentarier haben, nämlich
den Vorgang zu überwachen. Ich bin mir sicher, dass die
Fraktionen das tun werden und sagen: Wenn das in die
falsche Richtung geht, wenn wir als Legislative das nicht
so haben wollen, dann müssen wir agieren. Dann werden
wir das auch tun. Dann wird die FDP auch aufgrund ih-
rer Zustimmung bei den Koalitionsfraktionen einfor-
dern, dass dies passiert.


(Beifall bei der FDP)


Zu dem, was beschlossen worden ist, will ich zwei
Dinge sagen: Erstens. Die Bedenken des Bundesbank-
präsidenten sind meiner Ansicht nach ausgeräumt. Ich
sage ausdrücklich, das hat die Koalition bereits vorab






(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke
veranlasst. Das war klar, als wir in die Verhandlungen
eintraten, das will ich klarstellen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr fair!)


Zweitens. Als es um die Beteiligung des Parlaments
ging, gab es in der Koalition etwas Widerstand, das will
ich auch deutlich sagen. Deswegen ist meine Fraktion
sehr froh, dass Sie unserer Ansicht folgen konnten, einen
eigenen neuen Ausschuss einzuführen, der ähnlich wie
das Parlamentarische Kontrollgremium im Bereich
der Geheimdienste agiert. Viele haben noch nicht gese-
hen, dass wir so einen Ausschuss haben, der dem Bun-
desrat, der für sich die Zustimmung zur Exit-Strategie
haben wollte, gleichgestellt ist. Wir als Parlament müs-
sen ebenso wie der Bundesrat zustimmen, wenn es um
die Exit-Strategie geht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie toll!)


– Für Sie ist das nicht toll, ich weiß. Für Sie ist es egal,
ob sich das Parlament beteiligt oder nicht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten das Reingehen organisieren und nicht das Rausgehen!)


– Sie haben sieben Jahre lang nichts gemacht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange haben Sie denn regiert?)


Jetzt könnten Sie etwas tun, aber Sie sind nicht bereit,
das zu tun. Das ist Ihre Schwäche, die Sie gerade zu ka-
schieren versuchen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt ist keine Zeit für Euphorie. Es ist auch keine Zeit
für Selbstlob oder für Besserwisserei, Herr Gysi. Ich will
mit einem Bild enden: In dieser Zeit hat man das Gefühl,
dass unsere Marktwirtschaft aus einem Rahmen heraus-
gefallen ist, den wir als Politiker geben müssen. Es ist je-
doch nicht die Frage, was in diesem Rahmen gemalt
wird. Es geht darum, diese Marktwirtschaft mithilfe des
Staates wieder in den Rahmen zu setzen. Es geht darum,
diesen Rahmen zu stärken und dafür zu sorgen, dass die-
ser Rahmen auch in den nächsten Tagen und Jahren
trägt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618402700

Das Wort erhält nun der Bundesminister für Wirt-

schaft, Michael Glos.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine,
dass wir das Maßnahmenpaket, über das wir heute ent-
scheiden, zum richtigen Zeitpunkt geschnürt haben. Es
bewegt sich im internationalen Geleitzug. Es bewegt
sich im europäischen Gleichklang, und es erlaubt uns, et-
was für unsere eigenen Banken zu tun. Ich finde, dass
das der richtige Weg ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits be-
vor dieses Paket abschließend verabschiedet ist, hat es
auf den internationalen Märkten Wirkung gezeigt. Es hat
zur Beruhigung beigetragen. Ein Grund dafür liegt auch
darin, dass sehr frühzeitig grundsätzliche Zustimmung
von vielen Seiten des Hauses signalisiert worden ist. Da-
für bedanke ich mich ganz herzlich.

Die Menschen blicken heute wieder sehr stark auf den
Staat und seine Handlungsfähigkeit, weil man gemerkt
hat, dass andere Akteure, die so getan haben, als ob man
den Staat und staatliche Autorität nie bräuchte, versagt
haben.

Ich meine, es ist in den letzten Tagen und Wochen
viel Vertrauen verloren gegangen. Wir wissen, dass die
Krise in allererster Linie von den Vereinigten Staaten
ausgegangen ist, weil es sehr viel leichtes Geld gegeben
hat und dadurch die Maßstäbe ein Stück verrückt worden
sind. Wir wissen, Vertrauen ist sehr rasch zerstört, aber
es ist nur sehr langsam wiederzugewinnen.

Eines der Vertrauensverhältnisse überhaupt ist norma-
lerweise das Vertrauensverhältnis zwischen einem
Bankkunden und seiner Bank. Es gehört zu den Dingen,
die gepflegt wurden, die ein Stück bürgerliche Tugenden
waren, dass man gut beraten worden ist, man sich darauf
verlassen hat und sich die Bank darauf hat verlassen
können, dass der Kunde wenn immer möglich zurück-
zahlt. Da ist sehr viel kaputtgegangen. Das finde ich
ganz besonders schlimm. Wie soll denn ein Bankkunde
seiner Bank weiter trauen, wenn er weiß, die Banken
trauen sich untereinander nicht mehr und benehmen sich
untereinander wie konkurrierende sizilianische Clans?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie in der CSU!)


Deswegen müssen wir alles tun, damit auch zwischen
den Banken Vertrauen wieder möglich ist; denn die Ban-
ken müssen natürlich den Blutkreislauf der Wirtschaft
immer wieder mit Geld und Kredit versorgen und bele-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin auf der einen Seite traurig, dass es einer sol-
chen Krise bedurft hat, damit man wieder die Dinge vom
Kopf auf die Füße stellt. Auf der anderen Seite finde ich,
in einer Zeit, in der man so viel von Politikverdrossen-
heit redet, ist es großartig, dass die Menschen noch so
viel Vertrauen in die Politik und die Handlungsfähigkeit
des Staates haben.

Ich bedanke mich bei allen für die Bereitschaft, mit-
zumachen und rasch zu handeln. Ich weiß, es ist Ihnen
sehr viel zugemutet worden. Aber wir handeln nicht für
die Banken, wie viele glauben, sondern in allererster Li-
nie für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, für
die Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Das Paket ist zwar an die Finanzwirtschaft adressiert;
doch die eigentlichen Empfänger – ich sage es noch ein-
mal – sind die Menschen in unserem Land, vor allen
Dingen die kleinen und mittleren Betriebe. Die eigentli-
chen Empfänger sind die Regionen, die für die Zukunft
unserer Volkswirtschaft stehen. Der Wohlstand unseres
Landes wird in der Relation zu anderen Volkswirtschaf-
ten nur in geringem Umfang in den Bankentürmen und
den Versicherungszentralen erwirtschaftet. Renditen, die
dort aufscheinen, haben im Grund nur Bestand, wenn sie
zuvor in den Fabriken und Handwerksbetrieben, im
Handel und in den freien Berufen durch Hand- und
Kopfarbeit erarbeitet worden sind.

Einige angeblich besonders fortschrittliche Länder
– wir Deutsche sind da oft als rückschrittlich bezeichnet
worden – haben geglaubt, dass man Geld am besten mit
dem Handel mit Geld verdienen kann. Entsprechend auf-
gebläht ist dort die Finanzbranche gewesen, und entspre-
chend tief ist der Fall dieser Volkswirtschaften.

Wir in Deutschland hingegen haben immer auf einen
starken Industriesektor gesetzt. Heute ist in keinem
Land vergleichbarer Größenordnung der Anteil der Indus-
trie an der Bruttowertschöpfung so hoch wie bei uns – und
das erfreulicherweise mit steigender Tendenz.

Umso mehr gilt: Wir müssen jetzt unsere produzie-
rende Industrie stützen. Niemand kann zurzeit sagen,
welche Auswirkungen die Krise der Finanzmärkte auf
die produzierende Wirtschaft hat. Aber eines steht fest:
Wer von einer allgemeinen Krise der Volkswirtschaft re-
det, will nur Panik machen wie die linke Seite dieses
Hauses


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


und daraus politisches Kapital schlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wahr ist: Viele Branchen haben sich bisher als unge-
heuer widerstandsfähig erwiesen. Das müssen wir weiter
stützen und erhalten. Das bestätigen mir vor allen Din-
gen die Vertreter der Wirtschaft, die ich zu Gesprächen
in mein Haus eingeladen hatte. Sie betonen: Zur Panik
gibt es keinen Grund, aber wohl einen Grund zur Vor-
sicht und zur Vorsorge. Die Finanzmarktkrise wird
selbstverständlich nicht ohne Auswirkungen auf die
Konjunktur- und Wachstumsentwicklung bleiben. Schon
vor der Krise der Finanzmärkte hat sich die Lage einge-
trübt. Deshalb rechne ich für das kommende Jahr mit ei-
nem Wachstum von 0,2 Prozent. Dieser in Relation zu
den vergangenen Jahren geringe Zuwachs überdeckt die
positiven Erscheinungen in Teilbereichen. Der Ausbil-
dungs- und Arbeitsmarkt ist derzeit in einer guten Ver-
fassung. In diesen turbulenten Tagen wird ein Riesener-
folg kaum zur Kenntnis genommen, nämlich die
Tatsache, dass zum ersten Mal seit 2001 in diesem
Herbst mehr Ausbildungssuchende einen Ausbildungs-
platz finden, als die Wirtschaft anbieten kann. – Das
heißt, umgekehrt.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufwachen!)


– Ich sage es ganz klar, Herr Kuhn: Es gibt inzwischen
sehr viel mehr Ausbildungsplatzangebote als dafür ge-
eignete Bewerber. Das ist der Unterschied zu früher.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahl der Beschäftigten in unserem Land ist um
1,5 Millionen gestiegen. Das ist eine ungeheuer große
Stütze und sorgt für zusätzliches Einkommen und damit
natürlich auch für zusätzliche Einnahmen aus Steuern
und Abgaben in den öffentlichen Kassen. Der Konsum
profitiert ebenfalls davon. Deswegen steigt der Konsum
bei uns im Land trotz der Finanzmarktkrise noch an. Nur
die Nachfrage nach langlebigen Wirtschaftsgütern wie
zum Beispiel Autos leidet derzeit. Aber auch hier haben
wir die Möglichkeit, Unsicherheiten vom Markt zu neh-
men. Ein Beispiel: Wenn wir das Problem der sogenann-
ten CO2-Besteuerung möglichst rasch lösen, dann hört
auch der Attentismus auf, den es derzeit bei den Auto-
mobilkäufern gibt, weil man nicht weiß, wie das künftig
besteuert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Etwas anderes wird den Konsum ebenfalls stützen.
Die Preissteigerungsrate geht wieder zurück. Hinzu
kommt die Tatsache, dass sich der Dollar-Euro-Kurs
– wenn man so sagen will – wieder exportfreundlicher
eingependelt hat. Vor allen Dingen werden die zurückge-
henden Öl- und Energiepreise stark dazu beitragen.
Hier haben wir ja riesige Bocksprünge erlebt. Noch im
Juli hat Öl auf den Märkten mehr als doppelt so viel ge-
kostet wie heute. Ich glaube, es hat noch nie eine Zeit
gegeben, in der so viele Bocksprünge in der Weltwirt-
schaft sozusagen über uns hereingebrochen sind.


(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU] – Thomas Oppermann [SPD]: Es sind viele Böcke unterwegs!)


Ich finde, insgesamt haben wir das alles gut gemeistert.
Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund für Pessimis-
mus. Im Gegenteil: Wir können die Probleme lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Lehre ist ganz klar: Jetzt müssen die Reformen
weitergehen. Unsere Wirtschaft verträgt in dieser
schwierigen Zeit keine weiteren zusätzlichen Belastun-
gen. Sie steht ohnehin unter Stress. Unternehmen und
Bürger brauchen jetzt Rückenwind und nicht zusätzli-
chen Gegenwind. Deswegen muss man jetzt über ein Be-
lastungsmoratorium nachdenken. Konkret werde ich
darauf drängen – auch unsere Bundeskanzlerin kämpft in
Brüssel dafür –, dass unsere Automobilindustrie nicht
durch überzogene Regeln in ihrer Wettbewerbsfähigkeit
beeinträchtigt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alte Autos kauft eh keiner!)


Manches von dem, was wünschenswert ist, lässt sich
aber nicht in entsprechender Geschwindigkeit verwirkli-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
chen und umsetzen. Dafür müssen wir uns halt ein biss-
chen mehr Zeit lassen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also Tempolimit, ja?)


Die Androhung von Strafzahlungen in Milliardenhöhe,
wenn eine Technologie nicht rasch genug eingeführt
wird, halte ich in der gegenwärtigen Zeit für ein voll-
kommen falsches Signal.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo wollen Sie eigentlich die alten Autos parken, die dann keiner mehr kauft?)


Natürlich müssen wir alles in unserer Macht Stehende
tun, um die Wirtschaft weiterhin auf Touren zu halten.
Dazu gehört auch eine Rückbesinnung auf die Tugenden
der sozialen Marktwirtschaft.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Wir fordern nicht Kapitalismus. Das war nie unser Weg.
Im Gegenteil: Der Kapitalismus in seiner brutalen Form
ist gegen die Wand gelaufen, wie wir gerade auf den Fi-
nanzmärkten gesehen haben. Soziale Marktwirtschaft ist
das Gebot der Stunde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Trotzdem gibt es keinerlei Grund, auf eine Staatswirt-
schaft zu setzen. Das wäre ein Holzweg. Ein staatlich be-
herrschter Bankensektor wäre für mich ein Schreckens-
szenario.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Stattdessen ist es besser, mit Klugheit und Voraussicht
internationale Regeln zu schaffen, die diese Spekula-
tionsblasen in Zukunft nicht zulassen. Weder neunmal-
kluge Finanzmanager noch staatlich beauftragte Banker
oder Aufseher können die Probleme lösen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man braucht vielmehr ein Stück Maß und Verantwor-
tungsgefühl.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen meine ich: Jetzt, da der Brand, wie wir hof-
fen, bald ausgetreten ist


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgetreten?)


und die Löschzüge – ich bleibe in dem Bild, das Herr
Fricke vorhin gezeichnet hat – abgefahren sind, gilt es,
den Ordnungsrahmen der Finanzwirtschaft national, eu-
ropäisch und international passend zu reformieren.

Wir werden dabei aber nicht alle künftigen Probleme
und Gefahren voraussehen können. Deshalb gilt mein
erster Appell allen, die in Staat und Wirtschaft an den
Schalthebeln sitzen. Sie tragen – genauso wie wir als
Parlamentarier und Regierungsmitglieder – Verantwor-
tung für die Menschen und nicht nur Verantwortung für
das eigene Bankkonto.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen, finde ich, ist es ein erstes erfreuliches Zei-
chen, wenn sich der Vorstand einer großen Bank in
Deutschland dazu entschließt, seine ihm zustehenden
Bonizahlungen jetzt nicht in die eigene Tasche zu ste-
cken.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kriegt keinen Bonus! Wofür denn? – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Ich glaube, diesem Beispiel müssen viele andere folgen.
Wir müssen auch die Gier bekämpfen, die sich bei den
Akteuren – weniger in Deutschland, sondern anderswo –
breitgemacht hat.

Ich möchte schließen, indem ich dem Parlament und
allen, die mitgeholfen haben, dieses Rettungspaket mög-
lich zu machen, herzlich für ihre Arbeit danke. Ich be-
danke mich auch bei der FDP dafür, dass sie als Opposi-
tion zustimmt, weil sie spürt, dass wir das alles tun
müssen, um unser Land wieder in eine bessere Zukunft
führen zu können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618402800

Alexander Bonde ist der nächste Redner für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618402900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Bundesregierung erwartet heute von uns,
dass wir ihr fast 500 Milliarden Euro der Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler anvertrauen. Ich will Sie ernsthaft
fragen: Wie können Sie eigentlich von uns erwarten,
dass wir in der größten Wirtschaftskrise, die diese Repu-
blik in den letzten Jahren erlebt hat, einer Regierung ver-
trauen, die so einen Wirtschaftsminister hat?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Glos, wir haben uns ja schon gewundert, weshalb
Sie in der wirtschaftlichen Situation, die wir erleben, auf
Tauchstation gegangen sind. Nach dieser Viertelstunde
muss ich ehrlich sagen, Sie hätten besser weiter ge-
schwiegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will sagen: Wir alle gemeinsam haben keine ein-
fache Woche hinter uns.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie machen es sich aber sehr einfach!)


Wir haben uns als Fraktion sehr intensiv mit der Situa-
tion befasst. Auch wir sind der Auffassung, dass die
Krise auf den Finanzmärkten ein Rettungspaket in
Deutschland notwendig macht. Wir sind der Auffassung,
dass es ein schnelles und wirksames Paket braucht. Des-






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde
halb haben wir ja auch auf die uns zustehenden Rechte in
der Frage der Fristen und Ähnlichem verzichtet. Wir ha-
ben bis letzte Nacht um 2 Uhr mit ganz konkreten Ange-
boten an die Koalition und auch in Verhandlungen mit
der FDP deutlich gemacht, dass wir uns nicht aus der
Verantwortung stehlen, aber dass wir klare Anforderun-
gen an ein Rettungspaket haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Anforderungen lauten: Wir sind in der jetzigen
Krise, in der das Parlament erkennbar handlungsfähig
sein muss, nicht bereit, die Parlamentsrechte an die Re-
gierung blanko abzutreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Westerwelle, wir sind auch nicht bereit, es dafür zu
tun, dass man uns im Kinosaal der Bundesregierung statt
der Holzbank jetzt das Plüschsofa in der VIP-Loge gibt.
Das sind ja Ihr Ausschuss und die Konstruktion, die Sie
hier vornehmen. Entschieden wird nach wie vor von der
Regierung. Das Einzige, was passiert, ist: Es wird ein
bisschen näher an die Bühne herangerückt. Das ist nicht
die Parlamentsbeteiligung, wie wir sie uns vorstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben hier zur Parlamentsbeteiligung konkrete Vor-
schläge eingebracht, über die wir nachher namentlich
abstimmen. Dann können wir ja sehen, wie eng Sie hier
zusammenarbeiten.

Ich komme zu unserem zweiten Anspruch. Sie haben
gesagt: Leistung gibt es nur gegen Gegenleistung. – Das
ist aber in diesem Gesetzentwurf nicht geregelt. Es gibt
zwar die Möglichkeit, Leistung gegen Gegenleistung
zu erhalten. Das setzt aber voraus, dass diese Bundes-
regierung eine Verordnung beschließt, auf die wir als
Parlament keinen Einfluss haben und von der wir nicht
wissen, ob damit all das, was hier verkündet wird, tat-
sächlich umgesetzt wird.

Ich muss schon sagen: Sie muten uns viel zu. Sie ver-
langen von uns, dass wir der Regierung glauben, dass sie
die Härte, die sie hier ankündigt, tatsächlich umsetzt,
etwa in der Frage der Managerbezüge oder der Einwir-
kung auf die Geschäftspolitik. Die gleiche Regierung,
die am Dienstag Herrn Tietmeyer, den Paten des Versa-
gens auf den internationalen Finanzmärkten, zum Retter
küren wollte,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


darf hier nicht ernsthaft annehmen, dass wir ihr weiter-
hin vertrauen. Diese Regierung war sogar bereit, diese
zentralen Kontrollfragen, die Verantwortung für die Re-
gelung der Fragen von Einfluss im Dienste der Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler blanko an Herrn Tietmeyer
abzutreten, und merkt nicht einmal, dass dieser als Auf-
sichtsratsmitglied der HRE für die erste größte Belas-
tung für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mitver-
antwortlich war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618403000

Herr Kollege Bonde, bitte denken Sie an Ihre Rede-

zeit.


Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618403100

Ich will abschließend sagen: Wir haben Ihnen bis zur

Erschöpfung Angebote gemacht. Wir legen sie hier er-
neut in einem Antrag vor. Wir machen die Türe nicht zu.
Aber wir haben eine klare Verantwortung gegenüber den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die aus unserer
Sicht in Ihrem Paket nicht ausreichend geschützt sind.
Es geht um die einfachen Bürger, nicht um die Banker.
Dies spiegelt Ihr Gesetzentwurf nicht wider. Da vertrös-
ten Sie uns mit Verordnungen. Aber dafür haben Sie als
Bundesregierung zu viel Vertrauen verspielt.

Unsere Türe ist für weitere Gespräche und Verhand-
lungen offen, um die Regelungen dieses Pakets zu ver-
bessern. Aber für das, was heute zur Abstimmung steht,
können Sie uns nicht mit in die Haftung nehmen. Dieses
Paket ist mit zu heißer Nadel gestrickt und setzt erkenn-
bar zu viel Vertrauen in die Bundesregierung voraus, das
sie nach den Aktionen in den letzten Wochen von uns
nicht mehr erwarten kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618403200

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Rede ID: ID1618403300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Auslöser für unsere heutige Diskussion – das
kann nicht oft genug wiederholt werden – ist und bleibt
die amerikanische Hypothekenkrise, die die Weltfinanz-
märkte und damit auch Deutschland erschüttert hat. Es
wurden Produkte, die an allen Bilanzen und Regeln vor-
bei nicht zu durchschauen waren, allein mit dem Ziel ge-
schaffen, ungeheure Profite anzuhäufen.

Schlechte Darlehensforderungen wurden mit guten
vermengt und mit erheblichem Profit als sogenannte Pa-
kete verkauft. Durch unkalkulierbares Zocken und gro-
bes Fehlverhalten ist diese Krise entstanden, von der Un-
ternehmen, Rentnerinnen und Rentner, Handwerker,
Beamte, Verbraucherinnen und Verbraucher, von denen
der Mensch auf der Straße schlechthin betroffen ist,
wenn er auf einmal keinen Kredit zu vernünftigen Kon-
ditionen mehr bekommt.

Deshalb stehen wir heute hier und werden in einer der
gefährlichsten Finanzsituationen, die wir je hatten, Scha-
den von Deutschland abwenden. Die Große Koalition
hat robust reagiert, um die zentrale Aufgabe zu erfüllen:
die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den
Marktteilnehmern.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Ulrich Krüger
Als letzte Instanz tragen wir dazu bei, dass sich Banken
untereinander wieder trauen und ihre Aufgabe erfüllen.
Dazu dienen die schon mehrfach angesprochenen
400 Milliarden Euro an Garantien und die zusätzlichen
80 Milliarden Euro.


(Beifall bei der SPD)


Aber jenseits dieser aktuellen Diskussionen – damit
komme ich zu meinem Schwerpunkt – ist eines zu be-
achten: Es geht bei diesem Gesetz nicht – egal, wer et-
was anderes sagt – um den Schutz der Banken und Ma-
nager, sondern um den Schutz der Bürgerinnen und
Bürger. Für diese übernehmen wir mit diesem Paket
Verantwortung in diesem Lande.

Außergewöhnliche Marktbedingungen machen außer-
gewöhnliche Maßnahmen erforderlich. Aber mit dem
Gesetz, um das es heute geht – darauf lege ich ebenso
großen Wert –, enden unsere Bemühungen nicht. Nein,
sie beginnen. Jedem in diesem Hause muss bewusst sein,
dass weitere Schritte folgen müssen, wenn wir eine neue,
eine bessere Finanzarchitektur schaffen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eckpunkte dieser besseren Finanzarchitektur sind:
Die Aufsicht über die Ratingagenturen muss internatio-
nal reguliert werden. Es ist nicht einzusehen, warum wir
Europäer uns damit abfinden, dass es drei amerikanische
„weltbeherrschende“ Ratingagenturen, aber kein europäi-
sches Pendant gibt. Es müssen neue Transparenzpflich-
ten für Risiken geschaffen werden. Jeder Finanz-
marktakteur, der etwas anbietet, muss gleichzeitig eine
eigene zu dokumentierende Risikoabschätzung beifü-
gen. Kreditinstitute müssen Geld, das sie ausgeben – das
gilt für jeden Euro und jeden Cent –, mit Eigenkapital
unterlegen. Jedwedes Risiko muss innerhalb der Bilanz
und darf nicht außerhalb der Bilanz dokumentiert wer-
den.


(Beifall bei der SPD)


Es ist bereits angesprochen worden, dass die Kon-
trolle über die Finanzmärkte zu verbessern ist. Selbstver-
ständlich müssen wir auf europäischer und internationa-
ler Ebene zusätzlich zu unserer guten nationalen
Aufsicht, bestehend aus Bundesbank und BaFin, weitere
Akzente setzen.

Eines vermag ich nicht einzusehen: dass Finanz-
marktprodukte auf Dauer keiner Zulassungspflicht oder
Ähnlichem unterworfen werden. Jedes Hustenmittel, das
wir in einer Apotheke kaufen, hat umfangreiche Testrei-
hen hinter sich. Warum nicht auch ein Finanzmarktpro-
dukt, durch das ein Schaden in Milliardenhöhe angerich-
tet werden kann?


(Beifall bei der SPD)


Wieso Leerverkäufe für das ordnungsgemäße Funk-
tionieren einer Börse von Bedeutung sein sollen, ist und
bleibt mir unerfindlich. Wir müssen auch bei Leerver-
käufen ansetzen und darüber hinaus jeden Privatanleger
so schützen, dass er, wenn er sich für ein riskantes Pro-
dukt entscheidet, genau weiß, welches Risiko er eingeht.
Dieser Hinweis darf nicht mehr nur irgendwo im Klein-
gedruckten zu finden sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer Bereich, der geregelt werden muss und

der das Gerechtigkeitsempfinden aller Menschen in die-
sem Land verletzt hat und nach wie vor verletzt, ist die
Entwicklung der Managervergütungen, die in den letz-
ten Jahren stattgefunden hat. Auch hier haben falsche
Anreizsysteme dazu beigetragen, dass diese Krise so ist,
wie sie ist.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])

In diesem Zusammenhang nur an die unternehmeri-

sche Ethik oder an das gesellschaftliche Verantwortungs-
gefühl zu appellieren, ist vielleicht ein bisschen naiv.
Daher haben wir Sozialdemokraten schon vor Monaten
eine Arbeitsgruppe gebildet, die intensiv die rechtlichen
Möglichkeiten prüft, Managergehälter und Vorstandsbe-
züge zu regulieren.

An dieser Stelle möchte ich auch die persönliche Haf-
tung von Vorständen und Aufsichtsräten erwähnen.
Natürlich ist in verschiedenen Vorschriften des Aktien-
rechts eine normierte Haftung von Aufsichtsräten und
Vorständen vorgesehen. Sie führt aber ein Schatten-
dasein. Sie ist ein Mauerblümchen. Wir müssen durch
eine Aktualisierung dieser Regelungen dafür sorgen,
dass sich jeder Vorstand bewusst ist, dass er ein Risiko
eingeht, wenn er sich seinen Aktionären gegenüber nicht
verantwortlich verhält.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Einen anderen Aspekt möchte ich, obwohl er schon
angesprochen worden ist, besonders hervorheben.
Selbstverständlich erwarten wir, die Sozialdemokraten,
dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene
dafür einsetzt – hier sind die Interessen des deutschen
Steuerzahlers die gleichen wie die des irischen oder des
englischen Steuerzahlers –, dass diejenigen, die diese
Misere verursacht haben, das am Ende der Veranstaltung
möglicherweise vorhandene Defizit ausgleichen,


(Beifall bei der SPD)


seien es die betroffenen Banken, die bei der Inanspruch-
nahme einer Garantie einen Garantiezins zu entrichten
haben, sei es die Branche insgesamt. Wir müssen klipp
und klar sagen: Wir wollen, dass beim Steuerzahler die
schwarze Null verbleibt. Wenn das am Ende der Veran-
staltung nicht der Fall ist, dann muss nicht der Steuer-
zahler, sondern dann müssen die Banken bzw. die privi-
legierten Institute das entstandene Defizit ausgleichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Zusammenhang bringt es nichts, Herr Kol-
lege Gysi, mit vermeintlichen Ko-Ursachen zu operie-
ren. Ich greife Ihr Beispiel von den Hedgefonds auf. Ja,
es ist richtig: Durch das Investmentmodernisierungsge-
setz sind auch in der Bundesrepublik Deutschland – und
ich bitte, diese Nuance zu beachten – regulierte Hedge-
fonds, die der Aufsicht der BaFin unterstehen, mit be-
sonderen Regelungen des Anlegerschutzes und der Risi-
kostreuung dem Privatanleger zugänglich gemacht
worden. Warum? – Weil bis zum Jahre 2004 eine große
Flut unregulierter Finanzmarktprodukte aus Europa – wir
sind ja keine Insel – zu uns herüberschwappte. Darauf-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Ulrich Krüger

stark, und Politik übernimmt Verantwortung, und zwar ben haben? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Ich
im Interesse der Menschen in diesem Land.


(Beifall bei der SPD)


Von daher bedanke ich mich herzlichst bei all denjeni-
gen gerade im Bundesfinanzministerium, die praktisch
rund um die Uhr – man kann fast schon „schlaflos“ sa-
gen – dafür gesorgt haben, dass wir heute binnen kürzes-
ter Zeit diesen Bearbeitungsstand erreicht haben. Ich
bitte um eine möglichst breite Unterstützung in diesem
Hause für eine gute Zukunft in unserem Land.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618403400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets
zur Stabilisierung des Finanzmarktes.

Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 16/10651, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf der Drucksache 16/10600 in der Ausschussfassung
anzunehmen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon

ja: 51
nein: 499
enthalten: 24

Ja

DIE LINKE

Kersten Naumann
Volker Schneider


(Saarbrücken)

Frank Spieth

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Ich mache darauf aufmerksam, dass wir die Sitzung
bis zum Vorliegen des Ergebnisses dieser Abstimmung
über den Änderungsantrag unterbrechen müssen, weil
dies die Voraussetzung für die Schlussabstimmung über
den Gesetzentwurf ist.

Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen des
Auszählungsergebnisses.


(Unterbrechung von 9.52 bis 9.58 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618403500

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Die Geschwindigkeit bei der Auszählung entspricht
der ganz besonderen Schnelligkeit des Beratungsprozes-
ses dieser Woche, wofür ich mich bei den Stimmzähle-
rinnen und Stimmzählern auch ausdrücklich bedanken
möchte.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung bekannt. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben
gestimmt 51, mit Nein haben gestimmt 499, und enthal-
ten haben sich 24 Mitglieder des Hauses. Damit ist der
Änderungsantrag abgelehnt.

Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Anna Lührmann

Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manueal Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
nicht im Interesse der Banken und der Manager, sondern schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
hin haben wir im Interesse de
gesagt: Ja, wir bieten deutsc
diese müssen die eben von m
böden eingezogen sein. Ich m
richtig war und richtig ist.


(Beifall bei der SPD so der CDU Lassen Sie mich daher ei chen. Wir stecken in einer F Land verunsichert. Mit diesem Damen und Herren, haben wi Menschen in diesem Land da des Finanzmarktes zurückzu ren: Politik ist handlungsfä s Schutzes der Verbraucher he Hedgefonds an, aber in ir skizzierten Sicherheitseine heute noch, dass das wie bei Abgeordneten /CSU)


ne Schlussbemerkung ma-
inanzmarktkrise, die unser
Maßnahmenpaket, meine

r die Chance, zukünftig den
s Vertrauen in die Stabilität
geben und zu dokumentie-
hig, Politik ist handlungs-
Hierzu liegt ein Ände
Bündnis 90/Die Grünen auf
vor, über den wir zuerst abst
Fraktion Bündnis 90/Die Grü
sen Änderungsantrag nun nam
ßend die Abstimmung über
entwurf in der veränderten A

Ich bitte die Schriftführeri
vorgesehenen Plätze einzune
zu geben, wenn alle Abstimm
Ich sehe, das ist der Fall. Da
mung.

Darf ich fragen, ob es an
Kollegen gibt, die ihre Stim
rungsantrag der Fraktion
der Drucksache 16/10661
immen. Auf Verlangen der
nen stimmen wir über die-
entlich ab, bevor anschlie-

den eingebrachten Gesetz-
usschussfassung stattfindet.

nnen und Schriftführer, die
hmen und mir ein Zeichen

ungsurnen besetzt sind. –
nn eröffne ich die Abstim-

wesende Kolleginnen oder
mkarte noch nicht abgege-






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn

Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller (Düsseldorf)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link (Heilbronn)

Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich

fraktionsloser
Abgeordneter

Henry Nitzsche

Enthaltung

SPD

Gabriele Groneberg
Gesine Multhaupt






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in FDP auf Drucksache 16/10660. Wer stimmt für diesen
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon

ja: 476
nein: 99
enthalten: 1
Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
großer Mehrheit angenommen.

Bevor wir zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung kommen, weise ich darauf hin,
dass mir zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung zum jeweiligen Abstimmungsverhalten
zu dem Entwurf des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes
vorliegen, und zwar von Kolleginnen und Kollegen aus
allen Fraktionen des Hauses.1) Diese Erklärungen wer-
den wie üblich dem Protokoll beigefügt.

Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-
gen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD namentlich
ab. Auch hier bitte ich, mir ein Signal zu geben, ob die
Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen
Plätze wieder oder immer noch eingenommen haben. –

Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.

Gibt es anwesende Kolleginnen und Kollegen, die
ihre Stimmkarte für die Schlussabstimmung über den
Gesetzentwurf noch nicht abgegeben haben? – Das ist
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung bekannt, sobald es vorliegt.
Nach dem schönen Beispiel von eben wird das nicht
allzu lange dauern.

Wir fahren in der Zwischenzeit mit der Abstimmung
über die Entschließungsanträge fort. Wir kommen zuerst
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der

1) Anlagen 2 bis 6
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Damit ist der Entschließungs-
antrag mit großer Mehrheit im Hause abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/10652? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Entschlie-
ßungsantrag ist mit einer ähnlich großen Mehrheit abge-
lehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10662? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der übrigen Frak-
tionen bei Zustimmung der antragstellenden Fraktion ab-
gelehnt.

Ich unterbreche für einen Augenblick die Sitzung, bis
uns das Ergebnis der Auszählung vorliegt,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


weil es sicher der Bedeutung dieses Gesetzgebungsvor-
habens entspricht, das Ergebnis nicht in der laufenden
Beratung eines weiteren Tagesordnungspunktes zu Pro-
tokoll zu geben.


(Unterbrechung von 10.03 bis 10.08 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618403600

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich kann Ihnen das von den Schriftführern und
Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD zur Umsetzung eines Maß-
nahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes
mitteilen. Es handelt sich um die Drucksachen 16/10600
und 16/10651. Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben
476 gestimmt, mit Nein haben 99 gestimmt, enthalten
hat sich 1 Kollege.
DIE LINKE

Karin Binder
Eva Bulling-Schröter
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Monika Knoche
Jan Korte
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Petra Sitte
Dr. Axel Troost
Sabine Zimmermann

fraktionsloser
Abgeordneter

Gert Winkelmeier






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers (Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link (Heilbronn)

Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

fraktionsloser
Abgeordneter

Henry Nitzsche

Nein

DIE LINKE

Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert

sche Bundestag ein Gesetzgebungsverfahren abge-
schlossen, bei dem sich nicht das Maßnahmenpaket ver-

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

vorgesehenen Maßnahmen si
blieben, wie zu Beginn vor
sich das Mitwirkungsrecht de


(Dr. Werner Hoyer [F Wir haben im Verfahren d entwurfs sichergestellt, was haben, nämlich dass der Deu Zeitpunkt in der Lage bleibt und die Abwicklung der besc formationen zu erhalten und immer ihm das notwendig e Weise zu flankieren. nd am Ende im Kern so gegeschlagen. Verändert hat s Parlaments. DP]: Sehr richtig!)


er Beratung dieses Gesetz-
wir zu Beginn angekündigt
tsche Bundestag zu jedem

, über die Implementierung
hlossenen Maßnahmen In-
diese Maßnahmen, wann
rscheint, in der geeigneten
– Drucksache 16/1060

Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spa
Dr. Carola Reimann

(Münster Frank Spieth Birgitt Bender b)


Unterrichtung des
über den beabsichtig
Verordnung gemäß
Buches Sozialgesetz
9 –

hn

)

ie Bundesregierung

Deutschen Bundestages
ten Erlass nachfolgender
§ 241 Abs. 3 des Fünften
buch: Verordnung zur
ändert hat. Der Handlungsrahmen und die dazu
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn

Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer

Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich möchte zum Abschluss dieses Gesetzgebungsvor-
habens zwei Anmerkungen machen, zumal es innerhalb
und außerhalb des Hauses manche verständliche Besorg-
nis zu diesem in jeder Beziehung außergewöhnlichen
Vorhaben gegeben hat.

Erstens. Das Gesetzgebungsverfahren ist aus den
bekannten Gründen zwar eindeutig schneller und kürzer
gewesen als üblich, aber es ist keineswegs weniger
gründlich und intensiv gewesen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Ich will deswegen ausdrücklich den Hinweis der Kolle-
ginnen und Kollegen in den unmittelbar beteiligten Aus-
schüssen auch hier zu Protokoll geben, dass man sich
mit diesem Gesetzesvorhaben aus den bekannten Grün-
den besonders sorgfältig auseinandergesetzt hat – bis
weit in den frühen Morgen des heutigen Tages hinein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Danke, Herr Präsident!)


Ich will eine Bemerkung zur Sache hinzufügen, weil
sie den Bogen von der Beratung am Mittwochmorgen zu
der am Freitagmittag herstellt. Am Ende hat der Deut-
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin

Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

fraktionsloser
Abgeordneter

Gert Winkelmeier

Enthalten

CDU/CSU

Manfred Kolbe


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man auch anders sehen!)


Ich glaube, das muss festgehalten werden, um die Ernst-
haftigkeit nicht nur des Anliegens, sondern auch des
Verfahrens noch einmal ausdrücklich zu bestätigen.

Ich bedanke mich bei allen, die dieses Ergebnis mög-
lich gemacht haben und die vor allen Dingen mit einem
zum Teil bemerkenswerten, wiederum außergewöhnli-
chen persönlichen Engagement dazu beigetragen haben,
dass das tatsächlich bis heute Mittag zum Abschluss ge-
bracht werden kann, sodass nun diese vom Deutschen
Bundestag jetzt beschlossene Gesetzgebung unverzüg-
lich dem Bundesrat zugeleitet werden kann, in der Er-
wartung, dass wir heute Mittag zum Abschluss in beiden
Verfassungsorganen kommen. Herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 35 a und
35 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Weiterentwicklung der Organisations-
strukturen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung (GKV-OrgWG)


– Drucksachen 16/9559, 16/10070 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Festlegung der Beitragssätze in der gesetzli-

(GKV-Beitragssatzverordnung – GKV-BSV)


– Drucksache 16/10474 –

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, über
den wir später wiederum namentlich abstimmen werden,
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so
verfahren.

Ich eröffne die Debatte und erteile das Wort zunächst
der Bundesministerin Ulla Schmidt.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1618403700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An-

gesichts der schwierigen Debatten, die wir auch heute
Morgen geführt haben, bin ich einer Tatsache wegen
sehr froh: Wir haben in all den Jahren und bei all den Re-
formen daran festgehalten, dass die sozialen Sicherungs-
systeme nicht – obwohl uns auch viele Ökonomen genau
das raten wollten – auf Kapitaldeckung umgestellt wur-
den. Vielmehr sind wir dabei geblieben, dass Menschen
für Menschen einstehen und dass damit auch die Sicher-
heit der Finanzierung gewährleistet ist.


(Beifall bei der SPD)


Auch mit den Reformen, die im kommenden Jahr umge-
setzt werden, halten wir an diesem Grundsatz fest.

Es bleibt dabei: Ab 1. Januar 2009 wird unser Ge-
sundheitssystem ein großes Stück übersichtlicher. Mit
dem heute vorliegenden Gesetzentwurf vollziehen wir
die letzten – eher technischen – Schritte zu einer neuen
Finanzierung der Krankenkassen über den Gesundheits-
fonds. Entgegen aller immer wieder vorgetragenen Kri-
tik, die sehr offensichtlich interessengeleitet ist, bleibe
ich dabei: Der Gesundheitsfonds macht das System ein-
facher, gerechter und fairer.

Dieser Fonds bedeutet keinen Aufwand, und er ist kein
Bürokratiemonster. Das zeigt sich, wenn man ihn einmal
mit der bisherigen Situation vergleicht. Heute erheben
208 Krankenkassen 39 verschiedene paritätische Bei-
tragssätze in einer Spanne von 11,3 Prozent bis 16,5 Pro-
zent. Künftig gibt es einen einheitlichen Beitragssatz von
14,6 Prozent, der um einen Beitragssatz von 0,9 Prozent
ergänzt wird, den die Versicherten weiter allein tragen.
Wenn alle den gleichen Anspruch auf Leistungen haben,
dann ist es nur gerecht und fair, dass auch alle den glei-
chen Prozentsatz ihres Einkommens für die Finanzie-
rung dieser Leistungen aufbringen.


(Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Berechtigt müder Beifall!)


21 Frauen und Männer im Bundesversicherungsamt or-
ganisieren diesen Ausgleich.

Es wird viel darüber geredet, ob der geplante Bei-
tragssatz für 2009 ausreicht. Er beruht auf soliden Be-
rechnungen und ist so bemessen, dass er die Ausgaben,
die im kommenden Jahr erwartet werden, zu 100 Prozent
durch Einnahmen abdeckt. Entgegen falschen Behaup-
tungen, die auch gestern wieder von interessierter Seite
verbreitet wurden,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ja, ein breites Bündnis! Ein großes Bündnis!)


halte ich daran fest: Die Einnahmen für 2009 sind ein-
vernehmlich geschätzt worden – mit den Krankenkassen
und nicht gegen sie.

Die Schätzer sind auch nicht, wie behauptet wird, von
einem Wachstum von 1,2 Prozent ausgegangen, sondern
sie sind sehr vorsichtig vorgegangen und haben ihre Be-
rechnungen unter Zugrundelegung der zu erwartenden
Wirtschaftsdaten angestellt. Wir sind schon bei den Vor-
lagen für das kommende Jahr davon ausgegangen, dass
das Wachstum nahe bei null liegen wird. Auch ein leich-
ter Rückgang der Beschäftigung ist eingerechnet wor-
den.

Sollte es in der Wirtschaft zu Einbrüchen kommen, so
würde sich dies in der gesetzlichen Krankenversicherung
– dort sind ja 16,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner
versichert –, erst später zeigen. Aber selbst wenn es im
laufenden Jahr dazu käme, würden nicht die Kranken-
kassen das Risiko tragen; damit werden die Menschen ja
jetzt fälschlicherweise in Panik versetzt. Das Risiko trägt
im laufenden Jahr der Gesundheitsfonds. Es gibt keinen
Grund, anzunehmen, dass im kommenden Jahr flächen-
deckend Zusatzbeiträge fällig werden, weil die Einnah-
meseite nicht mehr stimmt. Gerade in dieser Krise gilt:
Die deutschen gesetzlichen Krankenkassen hatten noch
nie eine so stabile und eine so sichere Zusage ihrer Ein-
nahmen wie mit der Einführung des Fonds. Man müsste
den Fonds mit seinen Finanzierungsströmen geradezu
erfinden, wenn das nicht schon geschehen wäre,


(Lachen bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oh Gott!)


um das alles auf eine sichere Basis zu stellen. So sieht
das aus!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Deswegen ist die Begeisterung auch so groß!)


Pünktlich zum 15. November dieses Jahres erhält jede
einzelne Krankenkasse die auf den Cent genaue Angabe,
wie viel Geld sie im kommenden Jahr Monat für Monat
erhalten wird. Die Krankenkassen können planen,


(Detlef Parr [FDP]: Genau! Planwirtschaft!)


weil sie ihren Haushalt kennen, weil sie wissen, wie viel
Mittel ihnen zur Verfügung stehen.

Sollte es zu Einnahmeschwankungen kommen, wer-
den sie im laufenden Jahr durch den Fonds ausgeglichen.
Wir bauen eine Liquiditätsreserve auf. Der Staat steht
dafür gerade,


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Haushalt!)


wenn es unterjährig zu Einnahmeausfällen kommt und
die Liquiditätsreserve noch nicht aufgebaut ist. Wir ken-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt
nen das im Übrigen von der gesetzlichen Rentenver-
sicherung, Frau Bender. Wenn es dort unterjährige
Schwankungen gäbe, würde auch dort kurzfristig mit
Steuermitteln ausgeholfen, und im Laufe des Jahres
würde das Ganze wieder ausgeglichen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten von uns die
Grundlage dafür, dass sie mit diesem Beitragssatz eine
optimale Versorgung der Versicherten organisieren
können. Wir erwarten von ihnen, dass sie dies mit einer
hohen Qualität tun. Ich würde mir wünschen, dass das
ganze Engagement, das derzeit in Debatten darüber in-
vestiert wird, ob der Fonds kommen soll oder nicht, ei-
nem anderen Punkt gewidmet würde. Ich würde mir
wünschen, dass sich die Vertreter der gesetzlichen Kran-
kenkassen nur einen Tag, nur ein einziges Mal über die
Frage unterhalten würden: Wie können wir mit den über
10 Milliarden Euro mehr im nächsten Jahr eine optimale
Versorgung organisieren? Was können wir mit den In-
strumenten tun, die uns der Gesetzgeber an die Hand ge-
geben hat – Rabattverträge, Preisverhandlungen, beson-
dere Versorgungsverträge, Verträge zur besonderen
Qualität, bessere Versorgung der chronisch Kranken –,
um dieses Geld, wie es die Versicherten erwarten kön-
nen, so gut und effizient wie möglich einzusetzen? Dafür
werden die bezahlt und nicht dafür, den ganzen Tag nur
rumzujammern. Dafür bekommen die Vertreter der
Krankenkassen zu viel Geld.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann ja verste-
hen, dass die Krankenkassen aus ihrem Individualinte-
resse heraus möglichst viel Geld haben wollen. Aber die
Bundesregierung ist nicht für das Individualinteresse zu-
ständig. Die Bundesregierung ist dafür zuständig, dass
dem Gemeinwohlinteresse Rechnung getragen wird.
Deshalb werden wir dafür sorgen, dass das, was an not-
wendigen Ausgaben im kommenden Jahr getätigt wird,
finanziert ist. Aber wir werden auch dafür sorgen, dass
die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen, die hart ar-
beiten müssen, nicht über Gebühr belastet werden. Des-
halb werden wir die Beitragssätze auch genau kalkulie-
ren. Wir gehen nicht den Weg, dass Beitragsgelder erst
einmal auf die hohe Kante gelegt werden, damit man da-
von in späteren Jahren nehmen kann, sondern wir wol-
len, dass die Kassen mit dem, was wir ihnen geben, ver-
nünftig arbeiten, und das können sie.

Es ist richtig: Im kommenden Jahr steigen die Bei-
träge. Aber das hat nichts mit dem Fonds zu tun, wie es
immer falsch diskutiert wird. Der Fonds verursacht
keine Kosten. Wenn die Beitragssätze steigen, dann hat
das etwas damit zu tun, dass wir politisch, durch Verab-
schiedung entsprechender Gesetze, entschieden haben,
dass es eine neue Honorarordnung für die Ärztinnen und
Ärzte gibt, eine Euro-Cent-Gebührenordnung, bei der
das Risiko einer Zunahme von Erkrankungen auf die
Versicherten übergeht und nicht bei den Ärzten bleibt,
wie es derzeit der Fall ist. Es hat damit zu tun, dass die
Krankenhäuser so ausgestattet sein sollen – auch im Hin-
blick auf die Finanzierung von Pflegekräften –, dass sie
eine gute Versorgung organisieren können. Es hat damit
zu tun, dass wir diese Schritte gehen müssen, damit es
auch in Zukunft noch Frauen und Männer gibt, die den
schwierigen Beruf des Mediziners oder einen Beruf in
der Pflege oder einen anderen medizinischen Beruf er-
greifen; damit tun wir etwas für den beruflichen Nach-
wuchs.

Es hat etwas damit zu tun, dass wir die Leistungen der
solidarisch finanzierten Krankenversicherung ausgebaut
haben; denn wir halten es für richtig, Rechtsansprüche
auf Rehabilitation für ältere Menschen, egal, wie alt sie
sind, zu schaffen, die Palliativversorgung auszubauen,
die Hospizversorgung zu unterstützen sowie Impfungen,
Mutter- bzw. Vater-Kind-Kuren und vieles andere mehr
zu unterstützen.

Die Beiträge steigen auch deswegen, weil es mehr äl-
tere Menschen gibt, weil immer mehr Menschen
100 Jahre und älter werden und weil das Krankheits-
risiko im Alter natürlich größer ist als in jungen Jahren.
Wir wollen trotz dieser Herausforderungen an einem
festhalten, nämlich dass jeder in unserem Land an den
Innovationen und an den Fortschritten in der Medizin
teilhat. Wir brauchen Geld, weil wir diese Grundlage der
gesundheitlichen Versorgung für die Menschen auch in
Zukunft sicherstellen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang ist der Fonds nichts ande-
res als ein Instrument, um das Geld der Versicherten fai-
rer und gerechter als bisher zu verteilen. Wir wollen
nicht, dass Kassen nur deswegen in Schwierigkeiten ge-
raten, weil sie besonders viele ältere, besonders viele
kranke Versicherte oder Menschen mit geringem Ein-
kommen zu versorgen haben. Würden wir die Mittel im
Rahmen des Fonds nicht neu verteilen, würde die Kluft
zwischen den Beitragssätzen immer größer, und letzt-
endlich hätten diejenigen die höchsten Beitragssätze zu
zahlen, die bei einer Kasse versichert sind, in der es fast
nur Kranke, Ältere oder Versicherte mit geringem Ein-
kommen gibt. Das kann niemand wollen, der eine gute,
finanzierte Gesundheitsversorgung in diesem Land will.
Genau deswegen werden in Zukunft über die Neuorgani-
sation der Finanzströme die Krankenkassen, die viele
kranke und ältere Menschen versichern, mehr Geld er-
halten als diejenigen, bei denen junge und gesunde
Frauen und Männer versichert sind. Das ist gerecht so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Gesetzgeber hat den Kassen ein gutes Instrument
an die Hand gegeben, damit sie die Versorgung organi-
sieren können. Einige Kassen haben mitgeteilt, dass sie
mit den Mitteln auskommen werden, andere Kassen
werden sogar Prämien zurückzahlen können, und man-
che Kassen sagen, sie werden vielleicht einen Zusatzbei-
trag erheben müssen. Aber auch da haben wir die Ver-
sicherten geschützt: Eine Kasse darf nicht mehr als
1 Prozent des Bruttoeinkommens als Zusatzbeitrag erhe-
ben.

Ganz kurz noch einige Bemerkungen zu dem Gesetz
zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in
der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist dringend






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Ulla Schmidt
notwendig, dass das, was auf Bundesebene schon galt,
auch auf Länderebene und damit für alle Kassen gilt,
nämlich dass sie insolvenzfähig sind. Dann werden alle
Kassen nach einheitlichen Gesichtspunkten ihre Bücher
führen müssen. Darüber hinaus verpflichten wir die Kas-
sen, für die Versorgungszusagen ein ausreichendes De-
ckungskapital in einem Zeitraum von längstens
40 Jahren aufzubauen. Damit werden die bisher unge-
deckten Verpflichtungen transparent gemacht. Dadurch,
dass wir den Kassen Zeit einräumen, wird keine einzelne
Kasse überfordert. Das sind Investitionen in die Zukunft;
denn auch unsere Kinder und Kindeskinder sollen im
Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung versorgt
werden. Das wollen wir damit erreichen.

Für uns bleibt es dabei: Die Insolvenz einer Kasse ist
die Ultima Ratio. Wir haben viele Regelungen zur Ver-
besserung der Aufsicht und zum Vorrang von Fusionen
oder Schließungen geschaffen, um dies sicherzustellen.

Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer
Schritt hin zu mehr Transparenz, zu mehr Offenlegung.
Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Diskussionen
öfter in dem Sinne führen, was eigentlich gemeinsam zu
tun ist, um den schwierigen Herausforderungen durch
immer mehr ältere Menschen – worüber wir uns natür-
lich freuen –, aber auch durch die größeren Möglichkei-
ten aufgrund des medizinischen Fortschritts zu begegnen
und das, was für uns selbstverständlich war, so weit wie
möglich in die Zukunft zu übernehmen, damit auch un-
sere Kinder und Enkelkinder zu einem Arzt gehen kön-
nen, gepflegt werden können und eine dem medizini-
schen Fortschritt entsprechende Versorgung erhalten,
und zwar unabhängig von ihrem Geldbeutel. Unsere Re-
formen sind ein entscheidender Schritt auf diesem Weg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618403800

Das Wort erhält nun der Kollege Daniel Bahr, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1618403900

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Schmidt hat zum Ende ihrer Rede auf eines
der drängendsten Probleme im Gesundheitswesen hinge-
wiesen: die steigenden Kosten durch eine alternde Be-
völkerung. Zu Beginn Ihrer Rede, Frau Schmidt, haben
Sie aber einen Zusammenhang zwischen der Finanz-
marktkrise und der Frage, ob wir zur Finanzierung der
steigenden Kosten durch eine alternde Bevölkerung
mehr Kapitaldeckung brauchen, hergestellt. Sie haben
gesagt, durch die Finanzmarktkrise zeige sich, wie über-
legen das Umlagesystem der gesetzlichen Krankenver-
sicherung sei. Konsequenterweise müssten Sie dann
auch die Riester-Rente infrage stellen; denn auch das ist
eine kapitalgedeckte Vorsorge für steigende Kosten im
Alter.


(Beifall bei der FDP)

Das ist der Unterschied zwischen der gesetzlichen
und der privaten Krankenversicherung: In der gesetzli-
chen Krankenversicherung gibt es keine Rücklagen, bei
denen man darüber diskutieren könnte, ob die Renditen
für diese Rücklagen geringer werden. Die gesetzliche
Krankenversicherung lebt von der Hand in den Mund.
Von den laufenden Beiträgen werden die laufenden Aus-
gaben beglichen. Bei der privaten Krankenversicherung
wird das Prinzip der Eigenvorsorge gestärkt,


(Elke Ferner [SPD]: Deswegen steigen auch jedes Jahr kräftig die Beiträge!)


indem Rücklagen für die steigenden Kosten im Alter ge-
bildet werden. Sie verhalten sich wie jemand, der die
ganze Zeit über seine Verhältnisse gelebt hat und jetzt
über den lacht, der sein Geld sorgsam beiseite gelegt hat
und nun, wenn er auf dieses Geld angewiesen ist, mögli-
cherweise etwas weniger Rendite hat. Ihre Argumenta-
tion ist völlig unseriös.


(Beifall bei der FDP)


Dann sind Sie, Frau Schmidt, auf einen Brief einge-
gangen, den wir Abgeordnete des Deutschen Bundesta-
ges gestern erhalten haben. Ein breites Bündnis von
Gesundheitsökonomen, Experten aus dem Gesundheits-
wesen und ehemaligen Politikern hat uns darin aufgefor-
dert, ja geradezu an uns appelliert, den Gesundheitsfonds
zu verschieben. Sie antworten darauf mit Detailproble-
men. Meinen Sie, dass es einem Herrn Blüm, einer Frau
Süssmuth, einem Herrn Dressler oder einer Frau
Schaich-Walch, alles Persönlichkeiten, die Sozialge-
schichte geschrieben haben, die viele Entscheidungen in
der Gesundheits- und Sozialpolitik geprägt haben, da-
rum geht, ob bei der Wachstumsprognose von 1,2 oder
0,2 Prozent ausgegangen wurde? Denen geht es um die
Weichenstellung, die Sie mit dem Gesundheitsfonds vor-
nehmen, um eine grundlegende Weichenstellung in die
falsche Richtung.


(Beifall bei der FDP)


Darum geht es in dem Appell, und deshalb sollten Sie ihn
sich meiner Meinung nach zu Herzen nehmen. Wir alle
im Deutschen Bundestag hoffen in Bezug auf die
Finanzmarktkrise, über die vorhin debattiert wurde,
dass es im nächsten Jahr nicht zu einer nachhaltigen
Stagnation oder sogar zu einer Rezession kommt. Nie-
mand kann aber bestreiten, dass Gefahren für das nächste
Jahr bestehen. Angesichts dieser großen Verunsicherung
für die Bevölkerung und für die im Gesundheitswesen
Tätigen brauchen wir keine weiteren Unsicherheiten. Der
Gesundheitsfonds ist eine weitere Unsicherheit – ge-
nauso wie die gesamte Gesundheitsreform. Sie verändern
parallel die Ärztevergütung, die Krankenhausfinanzie-
rung, den Risikostrukturausgleich und das Insolvenz-
recht. Niemand in diesem Hause und niemand außerhalb
dieses Hauses kann abschätzen, wie sich das im nächsten
Jahr auf das Gesundheitswesen auswirkt.


(Beifall bei der FDP)


Frau Schmidt, deshalb dürfen wir mit dem Gesund-
heitsfonds keine weitere Verunsicherung der Bürge-
rinnen und Bürger hervorrufen. Sie haben recht, wenn






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

Sie sagen, das Einnahmerisiko liege nicht mehr bei den
Krankenkassen. Das Einnahmerisiko liegt dann aber
beim Bundeshaushalt; denn dieser muss das Defizit
ausgleichen, wenn die Einnahmen nicht so hoch ausfal-
len, wie sie geschätzt worden sind. Der Schätzerkreis hat
sich in den vergangenen Jahren – zum Beispiel in den
Jahren 2003 und 2006 – auch verschätzt. Dies war ein
Defizit von jeweils bis zu 3,5 Milliarden Euro. Dieses
Defizit wäre dann mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt
auszugleichen. Damit belasten Sie den Bundeshaushalt
in einer Zeit, in der der Bundeshaushalt schon die gan-
zen Risiken und Probleme einer Finanzmarktkrise zu
schultern hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: In der letzten Sitzung wollten Sie noch mehr Steuermittel!)


Als ob das eine Stabilität der Finanzierung des Gesund-
heitswesens bewirkt! Dann haben wir nämlich den Streit
darüber, ob vielleicht doch die Mittel für das Gesund-
heitswesen gekürzt werden sollen.

Hinzu kommt das Ausgabenrisiko, das die Kranken-
kassen zu tragen haben. Herr Kollege Lauterbach, dem
ich nicht häufig zustimme, hat vollkommen zu Recht
heute gegenüber einer Zeitung gesagt: Bei steigender
Arbeitslosigkeit ist mit steigenden Gesundheitsausga-
ben zu rechnen.

Das heißt, wenn wir in Deutschland im nächsten Jahr
eine Verunsicherung hinsichtlich der Wirtschaftslage ha-
ben, dann haben wir damit auch eine Verunsicherung be-
züglich der Gesundheitsversorgung in Deutschland und
somit eine Belastung für die Krankenkassen. Diese stei-
genden Kosten können die Krankenkassen dann nicht
mehr wie jetzt so kurzfristig durch Beitragssatzanpas-
sungen ausgleichen. Wenn man einen Zusatzbeitrag
verlangt, dauert es bis zu drei Monate, bis man das Geld
hat; denn es müssen neue Konten eingerichtet werden,
die Versicherten müssen angeschrieben und um die An-
gabe der Kontonummer gebeten werden, man braucht
eine Einzugsermächtigung, und es müssen Mahnverfah-
ren einkalkuliert werden.

Das alles bedeutet zusätzliche Bürokratie. Die Kran-
kenkassen haben uns in der Anhörung gesagt, dass bei
einem Zusatzbeitrag von 10 Euro damit zu rechnen ist,
dass 2,50 Euro für zusätzliche Bürokratie verwendet
werden.


(Zuruf von der FDP: Jeden Monat!)


– Ja, jeden Monat. Wir brauchen aber keine zusätzliche
Bürokratie, sondern wir brauchen das Geld für die Ver-
sorgung. Deshalb wäre es besser, wenn Sie auf den Ge-
sundheitsfonds verzichten würden.


(Beifall bei der FDP)


Das alles, was Sie machen, Frau Schmidt, verun-
sichert weiter das Gesundheitswesen. Die Kassen reagie-
ren bereits im Vorfeld des Gesundheitsfonds darauf und
kündigen Verträge. Es hat doch Folgen für die Versor-
gung, wenn Versorgungsverträge gekündigt werden. Das
spüren die Patienten.
Was Sie hier mit der Gesundheitsreform und mit dem
uns vorliegenden Korrekturgesetz machen, ist nichts an-
deres als ein schwarz-roter Feldversuch mit ungewissem
Ausgang. Der Gesundheitsfonds ist ein gesundheitspoli-
tisches Experiment auf dem Rücken von Versicherten
und Patienten. Es wäre das Beste, Sie verzichten einfach
auf den Gesundheitsfonds. Angesichts der wirtschaftli-
chen Unsicherheiten, denen wir im nächsten Jahr ausge-
setzt sind, wäre das eine verantwortungsvolle Politik, die
ich von einer Großen Koalition erwarten würde.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618404000

Annette Widmann-Mauz von der CDU/CSU-Fraktion

ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1618404100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag in
der Geschichte des Deutschen Bundestags und seiner
Entscheidungen. Er ist von einer Finanzkrise geprägt,
wie sie unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg noch
nicht erlebt hat.

Diese Entwicklungen auf den Finanzmärkten un-
terstreichen einmal mehr, wie groß die Bedeutung von
Transparenz, von Nachhaltigkeit, von Solidität und
Verlässlichkeit in unserem Land ist. Auch in der gesetz-
lichen Krankenversicherung ist deshalb ein klarer ord-
nungspolitischer Rahmen für die gesetzlichen Kran-
kenkassen und für solide Finanzen notwendiger denn je.

Wir debattieren heute in abschließender Beratung
über den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Or-
ganisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung. Außerdem debattieren wir über den künftigen
einheitlichen Beitragssatz, den die Bundesregierung vor-
geschlagen hat. Wir führen die Insolvenzfähigkeit von
Kassen sowie einheitliche Rechnungslegungs- und
Buchführungsregeln für alle Krankenkassen ein.

Das ist ein ganz wichtiger Beitrag für dieses System;
denn ab dem 1. Januar ist es vorbei mit dem Schulden-
machen der gesetzlichen Krankenkassen. Das ist ein
wichtiger Beitrag für die künftigen Generationen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu haben wir in diesem Gesetz die Vorstände der
Kassen genauer in den Blick genommen, denn auch sie
tragen Verantwortung, und diese gewinnt zunehmend an
Bedeutung. Das reicht bis hin zur persönlichen Haftung.
Kassenmanager werden in Zukunft beweisen müssen,
dass sie auch noch andere Fähigkeiten besitzen, als Un-
terschriften unter wenig sachverständige Papiere zu set-
zen, dass sie noch andere Fähigkeiten besitzen, als
schnelle Entscheidungen über Beitragssatzsteigerungen
im Hauruckverfahren durchzuführen. In Zukunft können
sie zeigen, wie gut sie die Versorgung von Patienten mit
qualitativ hochwertiger Medizin und Pflege und einen






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz
guten Service für ihre Versicherten und ihre Patientinnen
und Patienten organisieren können.

Es geht also nicht mehr nur darum, Beiträge zu ver-
walten, sondern es geht darum, Versorgung zu gestalten.
Darauf wird es bei den Kassen in der neuen Fondswelt
ab dem 1. Januar ankommen. Die Krankenkassen erhal-
ten aus dem neuen Fonds im Übrigen kontinuierlich und
stetig die dazu notwendigen Mittel, und zwar mehr für
Ältere und Kranke als für Junge und Gesunde. Dabei ist
es egal, ob die Krankenkassen viele Krebskranke, viele
Gutverdiener, viele Familienangehörige, viele Rentner
oder viele Arbeitslose versichern. Das sind ganz wich-
tige Elemente dieses neuen Strukturausgleichs, den der
Fonds an dieser Stelle organisiert.

Die Krankenkassen haben – bezogen auf ihre Einnah-
men – mehr Sicherheit und mehr Verlässlichkeit als
heute, denn wenn es im Laufe eines Jahres zu Schwan-
kungen bei den Beitragseinnahmen kommt – zum Bei-
spiel wenn das Weihnachtsgeld nicht so gezahlt wird,
wie man es erwartet hat, oder wenn die Arbeitslosigkeit
steigt –, dann trägt nicht mehr die Kasse dieses Risiko,
sondern der Gesundheitsfonds. In Zukunft werden unter-
jährige Einnahmeschwankungen von der Liquiditätsre-
serve im Fonds und in letzter Konsequenz, wenn diese
nicht ausreicht, über den Bundeshaushalt getragen.

Lieber Kollege Bahr, deshalb kann ich das, was Sie
heute Morgen wieder von sich gegeben haben, nur als
Verunsicherung bezeichnen. Sie verunsichern die Men-
schen. Sie sind da zwar in Gesellschaft, aber ich muss
sagen: Von Sachverständigen im Gesundheitswesen
müssen wir auch Sachverstand verlangen können. Daher
ist es manchmal besser, das Gesetz und den Gesetzestext
intensiv zu studieren, als nur die Postillen von Lobby-
gruppen zu lesen. Das macht mehr Sinn. Dann müssten
manche Briefe, manche Erklärungen und auch manche
Reden hier im Parlament nicht geschrieben oder gehal-
ten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Kleinkariert!)


Das Einnahmerisiko liegt beim Fonds, und es macht
deshalb gar keinen Sinn, eine zu optimistische Schät-
zung vorzunehmen. Sie wissen es besser. Wir haben im
Ausschuss mit dem Präsidenten des Bundesversiche-
rungsamtes darüber gesprochen, dass dies eine solide
Kalkulation ist.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Optimistische Variante!)


Niemand hat etwas davon, wenn er hier zu optimistisch
schätzt, denn am Ende ist es nicht zum Nachteil der Kas-
sen, sondern – wenn überhaupt – zum Nachteil des Deut-
schen Bundestages und der Steuerzahlerinnen und Steu-
erzahler.

Die Prognosen sind also sachgerecht vorgenommen
worden. Bei den Einnahmen bestand im Schätzerkreis
im Übrigen Einvernehmen, und zwar auch mit den Kran-
kenkassen. Wenn es Differenzen gab, dann gab es diese
eher in der Frage der Ausgabenentwicklung. Hierzu
muss ich sagen: Da wundere ich mich auch. Ich kenne
Papiere aus Krankenkassen, in denen die Ausgabenent-
wicklung geschätzt wird. Diese waren noch im August
absolut identisch mit dem, was am Ende im Schätzer-
kreis festgelegt wurde. Hier steht also der subjektive
Wille des Einzelinteresses manchmal auch stärker im
Vordergrund als das, was objektiv erforderlich ist.

Ich kann es verstehen, wenn einzelne Krankenkassen
gern etwas großzügiger kalkulieren wollen, wenn sie
noch ein Sahnehäubchen auf dem Kuchen wollen. Das
würde ihnen besser schmecken, das verstehe ich. Unter
Präventionsgesichtspunkten ist dieses Sahnehäubchen
aber kontraproduktiv, nämlich nicht gesund. Vor allen
Dingen aus der Sicht der Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahler wäre dies gerade in der jetzigen Situation un-
verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Beitragssatz muss für die gesamte gesetzliche
Krankenversicherung das abdecken, was an Leistungen
notwendig und erforderlich ist. Er muss nicht mehr und
nicht weniger tun. Das ist verantwortbar, und das hat die
Bundesregierung in ihrer Beitragssatzfestsetzung auch
getan. Im Übrigen ist der Kuchen um 11 Milliarden Euro
größer geworden.

Die Kassen behaupten in diesen Tagen, solide Kalku-
lationen seien überhaupt nicht möglich, weil ihnen die
entsprechenden Daten aus dem neuen Risikostrukturaus-
gleich nicht vorliegen würden. Ich kann nur sagen: Der
Beitragssatz ist von der Bundesregierung vorgeschlagen,
er ist bekannt. Das Klassifikationsmodell für die Berech-
nung der pauschalen Zuweisungen an die Kassen aus
dem Fonds liegt vor. Die Zuweisungsbescheide – dann
in Euro und Cent – werden zum 15. November bei jeder
einzelnen Krankenkasse vorliegen.

Ich stelle fest: Wenn es um die Berücksichtigung der
Morbidität, um die Auswirkungen der Zuweisungen auf
die Verwaltungskosten und die Wahrnehmung der Kas-
seninteressen im Einzelnen geht – insbesondere bei der
Diskussion mit den Abgeordneten –, dann ist die Pro-
gnoseschärfe der Kassen bei 100 Prozent – man könnte
fast meinen, bei 150 Prozent – angelangt. Wenn aber der
Faktor derselben Morbidität herangezogen wird, um ei-
nen Kassenhaushalt aufzustellen, dann steigt auf einmal
wieder Nebel auf, und die Kassenmanager stochern in
ihm.


(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


Das ist keine solide Praxis. Deshalb ist das, was wir vor-
geschlagen haben, richtig. Jede Kasse kann sich im Mo-
ment sehr sorgfältig darauf einstellen.

Ein Wort zur Bürokratie. Hier reden alle, als ob sie in
Schottland wären: Keiner hat das Ungeheuer von Loch
Ness je gesehen. Die Stelle, das Bundesversicherungs-
amt, die heute den RSA abwickelt, verwaltet in Zukunft
auch den Fonds. Dazu werden genau 7 Personen mehr
als heute gebraucht, insgesamt 21 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.

Denkt man aber an die 3,5 Millionen Unternehmen in
Deutschland – davon 99 Prozent kleine und mittelständi-






(A) (C)



(B) (D)


Annette Widmann-Mauz
sche Betriebe –, denkt man daran, wie mühsam in den
Personalbüros Krankenversicherungsbeiträge an bis zu
250 Kassen mit bis zu 250 unterschiedlichen Beitrags-
sätzen, also dann auch in unterschiedlichen Euro- und
Centbeträgen, abgeführt werden müssen, dann erkennt
man das Einsparpotenzial in den Unternehmen. Dies ist
ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Dies ist ein wichtiger,
hunderttausendfacher Beitrag zur Entlastung unserer
Wirtschaft.

Sie werden jetzt einwenden – Sie haben dies auch ge-
tan –, dass bei den Krankenkassen eine solche Entlas-
tung nicht entstehe und auf sie Zusatzbelastungen zukä-
men. Dort kann aber nur mehr Aufwand entstehen, wenn
überhaupt Zusatzbeiträge erforderlich sind und dafür
versichertenbezogene Konten eingerichtet werden müs-
sen. Niemand sagt im Übrigen, dass dafür monatliche
Zahlungen erforderlich sind. Ein gewisser Aufwand ist
an dieser Stelle – das sage ich ganz bewusst – gewollt;
denn dadurch entsteht bei den Kassen der heilsame
Druck, zunächst vermeidbare Kosten zu senken, zum
Beispiel in der Verwaltung der eigenen Kasse, und nach
Einsparpotenzialen und Effizienzreserven zu suchen, be-
vor wieder der leichte Weg über eine Beitragssatzerhö-
hung eingeschlagen wird.

Die Versicherten sehen und spüren es gleichermaßen.
Beim Versicherten entsteht zum ersten Mal das, was wir
Preis-Leistungs-Bewusstsein nennen; denn nur wenn ei-
nem höheren Preis ein Mehrwert bei Leistung, Qualität
und Service gegenübersteht, lässt sich auf Dauer ein Zu-
satzbeitrag beim Versicherten durchsetzen. Preisverglei-
che werden deshalb nicht nur leichter, sondern insbeson-
dere für Versicherte mit kleinen Einkommen auch
lohnender; denn sie können bei einem Kassenwechsel
künftig sehr viel mehr Geld sparen als bisher – und nicht
nur dann, wenn sie zu Kassen wechseln, die Rückzah-
lungen vornehmen.

Sie haben ja immer wieder bestritten, dass es zu
Rückzahlungen kommen kann und kommen wird. Aber
auch das ist kein theoretisches Konstrukt mehr. Vielmehr
haben einzelne Kassen wie zum Beispiel die Knapp-
schaft mitgeteilt, dass sie Rückzahlungen bzw. Aus-
schüttungen an ihre Versicherten erwägen.

Also, herzlich willkommen in der neuen Kassen-
realität! Wir haben mit dem heute vorliegenden Gesetz-
entwurf den Schlussstein zur Einführung eines neuen,
transparenten, gerechteren und nachhaltigeren Finanzie-
rungssystems in der gesetzlichen Krankenversicherung
gelegt. Wir werden es schaffen. Dieser Fonds wird zum
1. Januar in Kraft treten. Es steht ihm nichts mehr im
Wege.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618404200

Frau Kollegin!


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1618404300

Wir tun dies im Interesse der Patientinnen und Patien-

ten; denn für sie ist dieses System da.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618404400

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Spieth

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618404500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt sehr viel zum
Gesundheitsfonds und sehr wenig zu dem heute vorlie-
genden Gesetzentwurf gehört. Ich werde versuchen, auf
diesen einzugehen. Nachdem jetzt aber im Wesentlichen
zum Gesundheitsfonds gesprochen worden ist, ist es fast
unmöglich, dazu nicht auch etwas zu sagen.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das wäre auch schade gewesen!)


Deshalb möchte ich schon noch einiges geraderücken.

Der Bund garantiert mit der Rechtsverordnung, dass
die gesetzlichen Krankenkassen im nächsten Jahr aus
dem Fonds in etwa 167 Milliarden Euro erhalten. Das
garantiert der Bund. Insofern ist die Aussage derer, die
uns gestern geschrieben haben, falsch.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Endlich mal einer, der es verstanden hat!)


Sie behaupten, bei einer anderen konjunkturellen Ent-
wicklung würde dieses Defizit zulasten der Versicherten
gehen. Das stimmt nicht.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist eine Detailfrage! – Gegenruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch keine Detailfrage!)


Tatsächlich ist es so, dass der Bund, also die Steuerzah-
ler, dann die fehlenden Mittel einbringen müssen.

Ein Riesenproblem ist allerdings – dieser Vorwurf
wurde in der Anhörung am Mittwoch von der Vorsitzen-
den des Spitzenverbandes Bund und vielen anderen
Sachverständigen zum Ausdruck gebracht –, dass Ihre
Annahme, mit den rund 167 Milliarden Euro stünden
ausreichend Mittel zur Verfügung, um alle Kosten in der
gesetzlichen Krankenversicherung abzudecken, schlicht
und ergreifend falsch ist. Heute ist nämlich schon be-
kannt, dass mindestens 2,5 bis 3,5 Milliarden Euro mehr
in der gesetzlichen Krankenversicherung gebraucht wer-
den, allein aufgrund Ihrer Versprechen, die Sie in den
letzten Monaten gegenüber verschiedenen Leistungser-
bringern gemacht haben. Ich erinnere nur an die ärztli-
che Honorierung.


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Das ist doch alles drin!)


– Das ist eben nicht alles drin.


(Zuruf von der CDU/CSU: Knapp 11 Milliarden mehr!)


Das wissen Sie auch ganz genau.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Doch!)







(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
Das Problem ist: Wenn die über diese Zusagen hi-
nausgehenden Finanzbedarfe der Krankenkassen nicht
gedeckt werden können, wird das passieren, was in dem
Gesetz angelegt ist, dann werden wir alle, die wir gesetz-
lich krankenversichert sind, mit weiteren Zusatzbeiträ-
gen belastet, und zwar ohne Beteiligung des Arbeitge-
bers. Wir zahlen schon heute 65 Prozent der Ausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn man alle
Zuzahlungen und Beteiligungen hineinrechnet,


(Zuruf von der LINKEN: So ist das!)


inklusive des Sonderbeitrages in Höhe von 0,9 Prozent
für Krankengeld und die Zahnersatzversorgung. Der Zu-
satzbeitrag kommt dann noch oben drauf. Das heißt, wir
verabschieden uns mehr und mehr aus der paritätischen
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das neoliberale Modell nimmt seinen Lauf: Am Ende
werden die Kosten für die Krankenversicherung allein
den Versicherten aufgelastet. Das ist eine soziale Unge-
rechtigkeit. Das können wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Langsam wird es langweilig!)


Das wird die entscheidende Auseinandersetzung in
den kommenden Wochen und Monaten sein. Insofern
haben die, die uns gestern geschrieben haben, sehr wohl
recht, wenn sie sagen: Es ist damit zu rechnen, dass die
Mittel, die insgesamt garantiert werden, nicht ausrei-
chen, was schon im nächsten Jahr dazu führen wird, dass
viele Kassen Zusatzbeiträge von ihren Versicherten er-
heben müssen. Dieses Risiko haben Sie nicht ausge-
schlossen, sondern ausdrücklich gewollt. Das ist im Ge-
setz verankert.

Bei der Auseinandersetzung über das heute zu behan-
delnde Gesetz, das sich GKV-Organisationsweiterent-
wicklungsgesetz nennt, befinden wir uns in manchen
Punkten – so empfinde ich das jedenfalls – auf einer ge-
sundheitspolitischen Geisterfahrt. Ich will das an einem
einzigen Punkt festmachen: Wir haben einen Gesetzent-
wurf erhalten, der 47 Seiten umfasst. Darüber hinaus ha-
ben wir Änderungsanträge erhalten, die alles in allem ei-
nen dicken Stapel von 180 Seiten ausmachen. Diese
Anträge haben im Kern fast nichts mehr mit dem Gesetz-
entwurf zu tun, sondern befassen sich mit den handwerk-
lichen Fehlern im Wettbewerbsstärkungsgesetz und den
verschiedensten Maßnahmen, die jetzt neu eingeführt
werden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist ein Korrekturgesetz!)


– Genau das.

Wir haben also ein Riesenpaket zu bewältigen gehabt.
In den Ausschüssen, auch bei den Anhörungen, haben
wir uns sehr intensiv damit beschäftigt. Wenn man die
Beschlussempfehlung liest, die dem Hohen Haus heute
vorgelegt wurde, fasst man sich zum Teil an den Kopf.
Die sozialdemokratische Fraktion hat geschrieben, dass
sie aus guten Gründen gegen eine Verteilung der pau-
schalen Verwaltungskosten an die Krankenkassen im
Verhältnis 50 : 50 ist. Das steht tatsächlich in dieser Be-
schlussempfehlung. In Ihrem eigenen Gesetz machen
Sie aber genau das, obwohl Sie in der Beschlussempfeh-
lung eine Verwaltungskostenpauschale verlangen, die
den Aufwand der Krankenkassen nach Krankheit und
Mitgliederzahl im Verhältnis 70 : 30 verteilt. Sie verlan-
gen also in Ihrer Beschlussempfehlung das genaue Ge-
genteil dessen, was Sie in Ihrem Gesetz machen. Da
muss man sich doch an den Kopf packen.


(Beifall bei der LINKEN)


Merken Sie eigentlich noch, was Sie da abziehen? Sie
sind doch nicht in der Opposition. Sie sitzen in der Gro-
ßen Koalition, in dieser Regierung. Das ist eine Geister-
fahrt. Ich habe wirklich den Eindruck – ich will hier nie-
mandem zu nahe treten –, dass in diesem Paket so viele
Änderungen und so viele offenkundige Missverständ-
nisse – das ist zurückhaltend formuliert – angelegt sind,
dass ich behaupte, dass nur noch vielleicht zwei Hand-
voll Abgeordnete im Hohen Hause in der Lage sind,
komplett nachzuvollziehen, was in diesem Riesenmaß-
nahmepaket tatsächlich alles steht.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie gehören nicht dazu!)


Es enthält jetzt eine Regelung, nach der Krankenkas-
sen zukünftig in Insolvenz geschickt werden können.
Man fragt sich allen Ernstes: Warum das? Alle Fachleute
haben gesagt: Wir haben jetzt im Gesetzgebungsverfah-
ren Schließungsregelungen. Diese Schließungsregelun-
gen würden nach Auffassung aller Sachverständigen voll
und ganz ausreichen. Wenn Krankenkassen nicht trans-
parent und nicht wirtschaftlich arbeiten, gibt es eine
Möglichkeit, sie zu schließen. Wenn jetzt eine Insolvenz-
regelung eingeführt wird, fragt man sich doch: Mit wel-
chem Grundgedanken wird dies gemacht? Krankenkas-
sen werden ganz offenkundig wie private Unternehmen
am üblichen Markt betrachtet.

Krankenkassen haben keine andere Aufgabe, als die
durch das Grundgesetz garantierte gesundheitliche Ver-
sorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir, der Gesetzgeber, und in Ausführung die Bundesre-
gierung haben die Krankenkassen beauftragt, diese Auf-
gabe wahrzunehmen, Beiträge dafür einzuziehen und
Leistungen bereitzustellen. Wenn sie das nicht ordentlich
machen, müssen sie geschlossen werden. Aber sie in In-
solvenz zu treiben mit allen Risiken, die in einem sol-
chen Insolvenzverfahren stecken, ist eine Geisterfahrt.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Haben Sie das Gesetz gelesen?)


Das ist unverantwortlich. Mehr kann ich dazu eigentlich
kaum sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das haben auch viele Sachverständige gesagt.


(Elke Ferner [SPD]: Sie wissen das doch besser, Herr Spieth, als Sie es jetzt erzählen!)


Es ist eine Tatsache, dass diese Insolvenzregelung so
überflüssig wie ein Kropf ist. Das kann ich hier nur noch
einmal verstärkt einbringen.






(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth

(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Haben Sie einmal etwas von Chancengleichheit gehört?)


Bei der gesetzlichen Krankenversicherung geht es nicht
um privat handelnde Unternehmen. Deshalb brauchen
wir dort auch kein Insolvenzrecht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)


Im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens wurde
jetzt im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern noch eine
Regelung geschaffen. Den bayerischen Hausärzten
wurde versprochen, eine Sonderregelung für die zukünf-
tige Vertragsregelung des Hausärzteverbandes zu schaf-
fen. Vor der bayerischen Landtagswahl habe ich mit
Blick auf die CDU/CSU-Fraktion politisch noch ein be-
stimmtes Verständnis dafür gehabt, dass man hier eine
Lex Bayern bildete, um – so ist es dann anschließend ge-
schehen – die Zusage von der bayerischen Ärzteschaft,
jedenfalls der Hausärzteschaft, zu bekommen, die Trans-
parente und Plakate gegen die CSU-Landesregierung aus
den Praxen zu entfernen. Das haben sie auch gemacht.
Sie haben sofort nach diesem Versprechen ihre politische
Kampagne gegen die CSU beendet.


(Zuruf von der SPD: Hat aber nichts genützt!)


Aber diesen Quatsch jetzt nach der Landtagswahl, die
Sie sowieso zu Recht verloren haben,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


weiterzuführen und eine Verunsicherung ins Land, in die
gesamte Ärzteschaft, zu bringen, Risiken hinsichtlich
der Notfallversorgung der Patienten, die überhaupt nicht
mehr gewährleistet ist, und hinsichtlich des Sicherstel-
lungsauftrags der Ärzteschaft zu schaffen, ist nach mei-
ner Auffassung angesichts massenhaft unterversorgter
Regionen in Deutschland mehr als fahrlässig.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb können wir Ihr Gesetz zur Organisationswei-
terentwicklung nicht nur nicht akzeptieren, sondern wir
lehnen es aus tiefster Überzeugung ab.


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Demagoge!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1618404600

Herr Kollege Spieth, Sie werden bemerkt haben, dass

ich Ihnen jetzt die zusätzliche Redezeit gewährt habe,
die ich Ihnen gestern ärgerlicherweise vermeintlich ver-
wehrt habe.

Nun ist die nächste Rednerin die Kollegin Birgitt
Bender für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: An diesem Freitag bleibt uns nichts erspart!)



Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618404700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der

Bundesgesundheitsministerin haben wir vorhin gehört:
Mit dem Gesundheitsfonds wird alles einfacher, ge-
rechter und fairer.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)


Nun kommen Sie in die Situation, Frau Ministerin, den
Autoren und Autorinnen des offenen Briefes, der hier
schon erwähnt wurde – er stammt von Leuten aus der
Gesundheitsökonomie, den Kassen, der Ärzteschaft und
auch aus der Politik –, vorhalten zu müssen, sie hätten
nicht ganz genau verstanden, wie der Fonds funktioniert.
Woran liegt das wohl? Vielleicht nicht an der Dummheit
derer, die den Brief geschrieben haben, sondern an der
Konstruktion des Fonds, die eben nicht einfach ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das sind Sachverständige im Gesundheitswesen!)


Von fair und gerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen
aus der Koalition, kann schon deswegen nicht die Rede
sein, weil die Kassen durch den Fonds zwischen rigidem
Sparzwang auf der einen Seite und dem drohenden Zu-
satzbeitrag für ihre Versicherten auf der anderen Seite
wählen müssen. Der Fonds ist weder fair noch gerecht.
Er ist einfach eine Fehlkonstruktion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)


Die Kritiker haben oft die Begriffe „Verstaatlichung“
und „Vereinheitlichung“ eingebracht. Die Berechtigung
dieser Begriffe zeigt sich jetzt besonders an der Bei-
tragsfestsetzung.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)


Der Fonds bedeutet, dass den Kassen die Beitragsauto-
nomie genommen wird und es keine unterschiedlichen
Beitragssätze mehr gibt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat der Schätzerkreis schon immer gemacht!)


Diese Beitragsfestsetzung, Herr Kollege Zöller, ist damit
politischem Kalkül ausgeliefert. Das sieht man doch in
diesen Tagen besonders deutlich; denn die Bundesregie-
rung will den Beitragssatz eben nicht so festlegen, dass
damit die Anforderungen aus dem Gesundheitswesen
berücksichtigt werden, sondern es geht nur um Arithme-
tik.

Die politische Vorgabe heißt: Im Wahljahr darf der
Gesamtsozialversicherungsbeitrag nicht steigen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da sind wir doch alle einer Meinung!)


Denn damit würde das Reformversagen der Regierung
zu offensichtlich. Was tut man also? Der Arbeitslosen-
versicherungsbeitrag wird um einen halben Prozent-
punkt gesenkt: für ein Jahr. Daraus ergibt sich, dass der
Gesundheitsversicherungsbeitrag um einen halben Pro-
zentpunkt steigen darf; denn am Ende muss plus/minus
Null herauskommen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Eine Tasche, andere Tasche!)


Dieses Rechenexempel führt dazu, dass uns ein Kas-
senbeitrag von 15,5 Prozent präsentiert wird. Aber dass






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender
dieser Beitragssatz ausreichen wird, um die Ausgaben
der Kassen zu finanzieren, ist bei weitem nicht belegt.
Versprochen hatten Sie, dass die Zuweisungen aus dem
Gesundheitsfonds an die Kassen 2009 ausreichen wür-
den, um die Ausgaben zu decken.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sie hat auch sinkende Beiträge versprochen!)


Dieses Versprechen werden Sie brechen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das wäre nicht das erste, das gebrochen wird!)


Wir haben es in der Anhörung am Mittwoch noch einmal
deutlich gehört: Die Deckungsquote des Gesundheits-
fonds im nächsten Jahr wird nicht bei 100 Prozent, son-
dern nur bei 98,5 Prozent der Ausgaben liegen.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer weiß denn das so genau?)


Diese 1,5 Prozent haben es durchaus in sich. Es geht
nämlich um einen Fehlbetrag von 3 Milliarden Euro.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Woher kennen Sie diese Zahl?)


Dass wir inzwischen im Zuge der Finanzmarktkrise im-
mer von zwölfstelligen Beträgen reden, heißt noch lange
nicht, dass 3 Milliarden Euro im Gesundheitswesen we-
nig wären. Das ist viel Geld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viele Krankenkassen, vor allem die mit vielen Kran-
ken und deswegen hohen Ausgaben, werden im nächsten
Jahr in der Situation sein, dass sie eigentlich Zusatzbei-
träge erheben müssten. Ich sage deswegen „eigentlich“,
weil natürlich jeder Kassenvorstand weiß, was passiert,
wenn die erste Kasse einen Zusatzbeitrag verlangt. Sie
fällt dann im Kassenwettbewerb weit zurück. Weil die
Bundesregierung das weiß und daran nicht selber schuld
sein will, beschimpft sie schon einmal vorab mögliche
betroffene Kassen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Frau von der Leyen macht das!)


Die Bundesgesundheitsministerin und auch die Bundes-
familienministerin – wahrscheinlich versteht sie beson-
ders viel davon – erklären schon vorab: Zusatzbeiträge
werden nur von unwirtschaftlich arbeitenden Kassen er-
hoben.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Frau von der Leyen will ja auch Frau Schmidt ablösen!)


Aber zumindest die Gesundheitsministerin sollte es
besser wissen. Zusatzbeiträge werden je nach der Mit-
gliederstruktur einer Krankenkasse erforderlich werden.
Viele Kranke, Geringverdienende und beitragsfrei mit-
versicherte Kinder


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bekommen heute mehr Geld als früher!)


sind die Gruppen, die in Ihrer Logik eine Kasse in ihrer
Mitgliedschaft möglichst vermeiden sollte, wenn sie
ohne Zusatzbeitrag auskommen will.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist falsch, was Sie sagen!)


Im Übrigen führt, Herr Zöller, das Gerede von der
Unwirtschaftlichkeit natürlich dazu, dass viele Kassen
schon im Vorhinein schlechtgeredet werden. Jede Kasse,
die einen Zusatzbeitrag erheben wird, wird sich öffent-
lich vorhalten lassen müssen, sie verschleudere Versi-
chertengelder. Das kommt auf dem Krankenversiche-
rungsmarkt einem Todesurteil gleich. Also werden die
Kassen im nächsten Jahr einen rigiden Sparkurs fahren.
Das werden besonders die Patientinnen und Patienten zu
spüren bekommen, die eben nicht in dem neuen Finanz-
ausgleich berücksichtigt sind, denn inzwischen gibt es ja
zwei Klassen von Kranken. Eine Reihe von Selbsthilfe-
organisationen hat darauf schon aufmerksam gemacht.
Sie wissen, was auf sie zukommt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wollten Sie nicht den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich? Habe ich da etwas falsch verstanden?)


Auch für innovative Versorgungsmodelle, Frau Wid-
mann-Mauz, für die erst einmal eine Anschubfinanzie-
rung benötigt wird, bevor sie sich rechnen, werden die
Kassen kein Geld übrig haben.

Trotzdem werden die Kassen auf die Dauer nicht ver-
meiden können, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Spätes-
tens im Jahr 2010 wird alles Sparen nicht mehr helfen.
Dann werden die Kassen flächendeckend Zusatzbei-
träge verlangen. Das wissen Sie ganz genau, und das
wollen Sie auch.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sich hinzustellen und zu behaupten, dass sie, obwohl sie mehr bekommen, weniger bekommen, ist eine Logik, die ich nicht nachvollziehen kann!)


Indem die Ministerin schon jetzt ankündigt, der Bei-
tragssatz werde auch im Jahr nach der Einführung des
Gesundheitsfonds 15,5 Prozent betragen, also stabil blei-
ben,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, ja! Wer weiß? Vielleicht glauben die das sogar wirklich!)


sagt sie nichts anderes, als dass die Deckungsquote dann
nicht mehr bei nur 98,5 Prozent der Ausgaben liegen
wird, sondern noch darunter. Sie haben sogar in den Ge-
setzentwurf geschrieben, dass die Deckungsquote dann
nur noch 95 Prozent betragen soll. Insofern ist die An-
kündigung, dass der Beitragssatz stabil bleibt, in Wirk-
lichkeit kein Versprechen, sondern eine Drohung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts dieser Aussichten ist es nicht verwunder-
lich, dass die Koalition die Ausweitung des Insolvenz-
rechts auf alle Kassen auf ihre Agenda gesetzt hat.
Grundsätzlich kann man von den Kassen durchaus er-
warten, dass sie mit den Beitragseinnahmen vernünftig
umgehen. Dafür sind allerdings Anreize notwendig.
Dazu gehört auch das Risiko, ökonomisch zu scheitern,
immer vorausgesetzt, dass die Ansprüche von Versicher-






(A) (C)



(B) (D)


Birgitt Bender
ten, Beschäftigten und Leistungserbringern in ausrei-
chendem Maße gesichert sind.

Sie brauchen den heutigen Gesetzentwurf vor allem
deshalb, um ein Problem zu lösen, das Sie in dieser Di-
mension selbst schaffen. Durch die Ablösung des kas-
senindividuellen Beitragssatzes via Einheitsbeitrag, die
Senkung der Deckungsquote des Gesundheitsfonds auf
95 Prozent und einen falsch konstruierten Zusatzbeitrag
werden viele Kassen geradezu ausgehungert.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die kriegen 11 Milliarden Euro mehr! Wenn man mehr Geld kriegt, bedeutet das bei Ihnen „aushungern“? Das ist doch ein Witz!)


Die Krankenkassen, die viele Geringverdiener und viele
beitragsfrei mitversicherte Kinder unter ihren Mitglie-
dern haben, werden die ersten sein, die dann nicht mehr
mithalten können. Der heute vorliegende Gesetzentwurf
ist ein Baustein einer falschen Reformstrategie und für
uns daher nicht zustimmungsfähig.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was für eine Logik!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618404800

Die nächste Rednerin ist Dr. Carola Reimann für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1618404900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Ge-
setzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstruktu-
ren in der gesetzlichen Krankenversicherung bringen wir
weitere Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsreform
2007 auf den Weg und sorgen dafür, dass auch die nächs-
ten Stufen dieser Reform erfolgreich starten können.

Ziel des sogenannten GKV-OrgWG – ein unschöner
Name für ein wichtiges Gesetz – ist es, einen fairen
Wettbewerb zwischen den Kassen zu gewährleisten. Im
Zentrum steht dabei die Herstellung der Insolvenzfähig-
keit aller Kassen.

Lieber Kollege Spieth, Sie sind einer der Kollegen,
die diese Diskussion mitverfolgt haben und den Inhalt
des Gesetzes kennen. Die Insolvenzordnung ist nicht
neu;


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eben!)


sie wird jetzt lediglich auf alle Kassen angewendet.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie ist dennoch falsch!)


Das ist die neue Regelung dieses Gesetzes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ab dem 1. Januar 2010 findet die Insolvenzordnung auf
alle Krankenkassen, auch auf die landesunmittelbaren
Krankenkassen, Anwendung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Genau! Nicht nur auf ein paar!)


Dann werden für alle Kassen gleiche Bedingungen gel-
ten.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Was falsch ist, wird nicht richtig, wenn es alle machen müssen!)


Fairer Wettbewerb zwischen den Kassen ist eines der
Hauptziele der Gesundheitsreform und des Gesundheits-
fonds. Durch die Verbesserungen des morbiditätsorien-
tierten Risikostrukturausgleichs und den 100-prozenti-
gen Ausgleich der Einnahmen wird sich der heutige
Wettbewerbsvorteil der Krankenkassen, bei denen vor-
rangig gesunde Gutverdiener versichert sind, merklich
reduzieren. Das ist auch richtig so; denn die Kranken-
kassen sollen ihre Energie vor allem darauf verwenden,
ihren Versicherten im Krankheitsfall die bestmögliche
Versorgung und Betreuung zu bieten, nicht darauf, in ei-
nen schädlichen Wettbewerb um gesunde, gut verdie-
nende Versicherte zu investieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich
war immer ein Anliegen der SPD. Ich freue mich, dass er
zum 1. Januar 2009 Realität wird.


(Beifall bei der SPD)


Im Sinne eines fairen Kassenwettbewerbs ist auch die
jetzt im Gesetzespaket eingefügte pauschale mitglieder-
bezogene Veränderung der Zuweisungen bei Fondsun-
terdeckung. Dadurch wird klargestellt, dass Kassen mit
vielen Kranken im Falle einer Fondsausstattung unter
100 Prozent nicht höher belastet werden. Eine prozentua-
le Änderung der Zuweisungen hätte zur Folge, dass die
positiven Mechanismen des neuen Morbi-RSA konter-
kariert würden. Eine pauschale versichertenbezogene
Zuweisungsveränderung hätte vor allen Dingen negative
Auswirkungen auf Kassen mit vielen Familienmitver-
sicherten und Kindern. Das wollen wir nicht. Mit der
pauschalen mitgliederbezogenen Veränderung wird jetzt
sichergestellt, dass der Wettbewerb zwischen den Kas-
sen auch im Falle einer Fondsunterdeckung fair bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Fonds wird also für eine gerechte Verteilung der
Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sor-
gen. Doch nicht nur das – das möchte ich betonen –: Er
garantiert den gesetzlichen Krankenkassen auch kon-
stante Einnahmen.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die Sie dann aber erst 2010 nennen!)


Dies sage ich gerade vor dem Hintergrund der Briefe,
die uns erreicht haben. Mir war klar, dass für die Fonds-
gegner sozusagen als allerletzte Munition die Finanz-
marktkrise und die konjunkturelle Entwicklung herhal-
ten müssen, um auf den Fonds zu schießen. Das ist






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carola Reimann
allerdings erstens extrem verantwortungslos, weil es
Menschen in der nicht gerade einfachen Situation, in der
wir uns befinden, völlig unnötig verunsichert.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Probleme zu ignorieren, ist verantwortungslos!)


Zweitens, Herr Kollege von der Opposition, ist es auch
ein Eigentor.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Quatsch!)


Das Gegenteil ist der Fall: Der Fonds wirkt in dieser Si-
tuation als Schutz für die Kassen,


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sie haben mir nicht zugehört!)


weil die 166,8 Milliarden Euro, die im kommenden Jahr
über den Fonds verteilt werden,


(Heinz Lanfermann [FDP]: Deswegen wollen ihn auch alle haben, weil sie beschützt werden!)


staatlich garantiert sind. Die Risiken auf der Kassen-
seite waren noch nie so gering wie mit dem Fonds.

Ich muss noch eine Anmerkung zu der Aussage ma-
chen, mit der geplanten Summe könne man die Versor-
gung nicht organisieren. Es sind 166,8 Milliarden Euro.
Politisch sind für den Krankenhausbereich 3,5 Milliar-
den Euro und für die Ärzte 2,5 Milliarden Euro zugesagt
worden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das muss noch gesetzlich festgelegt werden!)


Das sind nach Adam Riese 6 Milliarden Euro. Das heißt:
Wenn es rund 10 Milliarden Euro mehr gibt als in die-
sem Jahr und wir 6 Milliarden Euro davon zugesagt ha-
ben, dann müsste eigentlich genug Luft für weitere
Preissteigerungen sein. Insofern kann ich mir nicht vor-
stellen, dass man mit fast 167 Milliarden Euro keine or-
dentliche Versorgung in diesem Land sicherstellen kann.

Die Fondsgegner, die die Finanzmarktkrise nutzen
wollen, um etwas heraufzubeschwören, was nicht da ist,
habe ich schon erwähnt. Aber eine konjunkturelle Ab-
kühlung fällt ja nicht vom Himmel; im Übrigen ist sie in
diese Beitragssatzkalkulation eingeflossen. Es wurde
nämlich unterstellt, dass die bisher immer positive Ar-
beitsmarktentwicklung im Jahre 2009 stagniert und dass
die Beschäftigung bei konstanter Arbeitslosigkeit leicht
zurückgeht.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist die optimistische Annahme gewesen!)


– Nein, das ist die Annahme, mit der kalkuliert wurde.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Konservative Annahme!)


– Nein, es war keine konservative Annahme, sondern es
ist die vorsichtigste Annahme berücksichtigt worden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: 0,2 ist die optimistischste Annahme! Minus 0,8 wäre die vorsichtigste gewesen!)

Im Übrigen bestand bei allen Kassen und Schätzern Ei-
nigkeit darüber.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem
vorliegenden GKV-OrgWG haben wir auch im Bereich
der Hilfsmittel wichtige Maßnahmen ergriffen. Zu nen-
nen sind Präqualifizierungsverfahren für die Leistungs-
erbringer, aber auch das Ausschreibungsgebot, das wir
in eine Kannvorschrift umwandeln. Darüber hinaus ha-
ben wir noch einmal präzisiert, welche Hilfsmittel für
Ausschreibungen geeignet und welche ungeeignet sind.
Bei der Erarbeitung der Empfehlungen werden in Zu-
kunft auch Patientenvertreter mitwirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dass die Kollegen der Linkspartei ausgerechnet die-
sem Änderungsantrag zur Patientenbeteiligung im Aus-
schuss nicht zugestimmt haben,


(Zuruf von der SPD: Peinlich!)


spricht Bände.

In gesundheitspolitischen Debatten wird ja gerne über
die Kosten und weniger über die Leistungsfähigkeit un-
seres Gesundheitssystems gesprochen. Deshalb möchte
ich an dieser Stelle die Leistungen hervorheben; denn sie
sind hierzulande auf qualitativ höchstem Niveau. Schon
bei der Gesundheitsreform haben wir den Leistungska-
talog erweitert. Ich nenne Rehabilitation, Mutter-Vater-
Kind-Kuren und Schutzimpfungen. Nun wird auch die
sozialmedizinische Nachsorge für schwerstkranke Kin-
der und Jugendliche zur Pflichtleistung. Das ist wichtig,
weil durch die Nachsorge Leistungen koordiniert und
stationäre Aufenthalte verkürzt werden können. Davon
profitieren gerade schwerkranke junge Patientinnen und
Patienten. Ich finde, auch darüber muss in einer gesund-
heitspolitischen Debatte gesprochen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich muss man klar sagen: Das kostet zusätzlich
Geld. Ich sage aber auch: Das muss es uns wert sein. Das
gilt auch für die noch größeren Summen, die wir für die
moderne Spitzenmedizin, für umfangreiche medizini-
sche Innovationen und für die weit über 4 Millionen Be-
schäftigten im Gesundheitssystem aufwenden. Ich finde,
das ist gut investiertes Geld. Das bleibt aber nicht ohne
Auswirkungen auf den Beitragssatz – ob mit oder ohne
Fonds.

In der derzeitigen politischen Konstellation führt des-
halb kein Weg an höheren Beitragssätzen vorbei. Für uns
Sozialdemokraten bleiben das Thema Beitragssätze und
das Problem einer gerechteren Finanzierung weiter auf
der Tagesordnung. Mit der Bürgerversicherung haben
wir ein Konzept, das entlastend auf die Beitragssätze
wirkt und die Kosten gerechter verteilt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618405000

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1618405100

Dafür werden wir uns weiter stark machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618405200

Für die FDP-Fraktion gebe ich jetzt dem Kollegen

Dr. Konrad Schily das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Konrad Schily (FDP):
Rede ID: ID1618405300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Um es mit dem Titel eines Romans von Hubert
Selby zu sagen: Wir stehen an der „letzten Ausfahrt
Brooklyn“. Heute haben wir noch einmal die Chance,
ein meines Erachtens wirklich misslungenes Gesetz zu
verhindern.

Ich gestehe ja jedem in diesem Hause zu, dass er das
Beste will. Die Grundfrage ist, ob es der richtige Weg
ist, dass die Zentralisierung und Vereinheitlichung der
gesamten Gestaltung dem Staat obliegt, während die
Verantwortung den jeweils Betroffenen vor Ort aufge-
bürdet wird. Große Einrichtungen und Organisationen
sind immer intransparenter als kleine und bewegliche,
verehrte Frau Widmann-Mauz; das haben wir vielfach
festgestellt. Auch der Fortschritt kann nur über kleine
Einrichtungen organisiert werden.

Auf die Frage, wie die bestmögliche Hilfeleistung für
die jeweils Betroffenen erreicht werden kann, gibt die
Große Koalition mit diesem Vorhaben keine gute Ant-
wort. Sie hat sich von dem Versuch einer föderalen und
regionalen Verbesserung der Versorgungs- und Finanzie-
rungsprozesse verabschiedet und stattdessen den wettbe-
werbsfeindlichen Gesundheitsfonds ins Leben gerufen.
Dieser Fonds ist eben doch ein bürokratisches Ungetüm,
der nichts besser, aber sehr vieles schlechter machen
wird.


(Beifall bei der FDP)


Offene Systeme, wie die FDP sie vorschlägt und wie sie
auch in unserem Entschließungsantrag noch einmal dar-
gestellt werden, sind für den Fortschritt offen. Für zen-
tralistische Systeme wie den Gesundheitsfonds – ebenso
für die Umsetzung des gesamten Gesetzes – sind hinge-
gen große Bürokratien nötig; sie sind nur technokratisch
zu steuern. Durch zentralistische Systeme wird dem ein-
zelnen Handelnden die Möglichkeit zur eigenen Gestal-
tung genommen. Die zunehmend zentralistische Aus-
richtung unseres Gesundheitssystems behindert die
Therapiefreiheit der Ärzte und die Reaktionsmöglichkei-
ten der Kassen vor Ort. Sie wird auch keine Hoffnung
sein für eine bessere Versorgung im ländlichen Raum.

Dabei wird die Verantwortung den jeweils Betroffe-
nen aufgebürdet, ohne ihnen das Recht auf zielorientier-
tes Handeln einzuräumen. So werden 70 Millionen Ver-
sicherte ab dem 1. Januar 2009 für ein Projekt bezahlen,
das jenseits der Regierungsbank – Herr Bahr hat darauf
aufmerksam gemacht – nun wirklich niemand will.


(Beifall bei der FDP)

Es kann ja sein, dass das Ministerium das will, aber das
allein ist nicht die Öffentlichkeit.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Individualinteresse von Frau Schmidt! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Herr Bahr, Sie brauchen mir nichts über Individualinteressen zu erzählen!)


Im Gegenteil: Die Gesundheitsreform eint in ihrer
Ablehnung ganz unterschiedliche gesellschaftliche
Gruppen. Arbeitnehmervertreter sind genauso dagegen
wie Arbeitgeberverbände, Ärzte treffen sich mit Patien-
ten und Krankenkassen zum gemeinsamen Protest.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Aus unterschiedlichen Gründen, Herr Schily!)


– Doch, so ist es.

– Man verspricht den Patienten ein Rundum-sorglos-Pa-
ket. Dieses Rundum-sorglos-Paket wird es nicht geben.
Dafür werden – das ist schon angesprochen worden – die
bereits jetzt absehbaren und die noch nicht absehbaren
wirtschaftlichen Entwicklungen sorgen. Gerade ange-
sichts der ökonomischen und konjunkturellen Unwäg-
barkeiten der Gegenwart brauchen wir systemische Ant-
worten, die ein großes Maß an Bewegungsfreiheit und
Flexibilität gewährleisten.

Die derzeit vorgesehene Regelung der vorausschauen-
den zentralen Festsetzung der Beitragshöhe beschreitet
genau den falschen Weg. Die wirtschaftliche Optimie-
rung der Krankenkassen auf die Frage zu beschränken,
ob ein Zusatzbeitrag erhoben wird oder nicht, ist viel zu
kurz gegriffen. Zudem setzen die Beitragssatzerhöhun-
gen – auch das ist schon angesprochen worden – um min-
destens 0,6 Prozentpunkte in konjunktureller Hinsicht
ein falsches Signal.

Schon jetzt ist klar, dass die Gesundheitsreform das
grundsätzliche Problem der Finanzierung nicht lösen
wird.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)


Spätestens nach der Bundestagswahl 2009 werden die
Fehler der Konstruktion in einer Notoperation ausgebü-
gelt werden müssen. Darüber hinaus muss allen Ent-
scheidungsträgern klar sein, dass die von der Großen
Koalition auf den Weg gebrachten Regelungen nur dann
Sinn machen, wenn am Ende dieses Weges die Einheits-
kasse liegt: die Bundes-AOK oder die Bundesknapp-
schaft.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: ZwangsAOK!)


Welche Konsequenzen eine solche Vereinheitlichung
hat, kann man am historischen Beispiel des DDR-Ge-
sundheitssystems besichtigen: Mangelverwaltung, Inno-
vationsstau und eine mit der Zeit abnehmende Versor-
gungsqualität.


(Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Annette WidmannMauz [CDU/CSU]: Also, Herr Schily! – Gegenruf des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE]: Jetzt müssten Sie doch klatschen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Konrad Schily
Aus diesen Überlegungen kann es nur eine Konse-
quenz geben: Wir müssen weg vom trägen und innova-
tionsfeindlichen Zentralismus zurück zu einem verbes-
serten System dezentraler Verantwortlichkeiten,


(Elke Ferner [SPD]: Dereguliert! Kapitalgedeckt!)


zur Beibehaltung der Beitragssatzautonomie und zur An-
passungsflexibilität auf der Ebene selbstverwalteter
Krankenkassen. Wir müssen hin zu mehr Wettbewerb in
einem soliden ordnungspolitischen Rahmen und zu ei-
nem verbesserten Handlungsspielraum der Ärzte, in des-
sen Zentrum der einzelne Patient mit seinen individuel-
len Bedürfnissen steht.

Wie gesagt, wir stehen an der „letzten Ausfahrt
Brooklyn“. Wir hoffen auf Ihre Einsicht.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618405400

Jetzt hat Jens Spahn das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1618405500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte eingangs auf den Gesetzentwurf, den wir
heute beraten, eingehen. Sie haben vorhin gesagt, Herr
Kollege Spieth, dass es eine begrenzte Zahl von Kolle-
gen gebe, die ihn verstehen. Als ich Ihnen anfangs zu-
hörte, dachte ich, Sie gehörten auch dazu, aber je länger
Sie gesprochen haben, desto mehr Sorgen machte ich
mir, dass das nicht der Fall ist. Ich werde noch auf die
eine oder andere Behauptung eingehen, die Sie wider
besseres Wissen aufgestellt haben.

Mit dem Gesetzentwurf wollen wir drei Ziele errei-
chen. Erstens führen wir für die gesetzlichen Kranken-
kassen – zwar nicht eins zu eins, aber mit der Wirkung
der Transparenz – die Regelungen der Insolvenzordnung
ein. Dabei gilt – das betrifft einen der Punkte, die Sie an-
gesprochen haben –: Schließung vor Insolvenz; das ist
die klare Reihenfolge. Unser Grundanliegen besteht
doch darin – bisher hatte ich den Eindruck, dass es unser
gemeinsames Anliegen ist –, dass es endlich zu Trans-
parenz über die Verbindlichkeiten und die wahren finan-
ziellen Zustände der Krankenkassen kommt. Das, was
wir in den letzten Jahren erlebt haben, dass sich im
Krankenkassensystem Milliarden Euro an Schulden und
Verbindlichkeiten aufbauen, die nicht transparent sind
und von denen keiner etwas weiß, wird mit diesem Ge-
setzentwurf abgestellt. Das ist eine gute und wichtige
Regelung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens entwickeln wir einige Regelungen für den
Fonds, der am 1. Januar 2009 in Kraft tritt, weiter. Dazu
gehören unter anderem die viel diskutierte Konvergenz-
regelung und eine Ausgabenorientierung bei der Zuwei-
sung an die Krankenkassen. Ich möchte in diesem Zu-
sammenhang auf den Brief der vermeintlich vielen
Sachverständigen im Gesundheitswesen eingehen, der
alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages erreicht
hat. Ich sage Ihnen voraus, dass mancher, der diesen
Brief unterschrieben hat, dies bereuen wird, und zwar
nicht deshalb, weil es sich um eine politische Aussage
handelt, sondern weil er sachlich falsche Angaben ent-
hält, die bei einem Blick in den Text des Gesetzentwur-
fes nicht hätten geschrieben werden dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann doch von Professoren im Sachverständigenrat
verlangen, dass sie einen Gesetzentwurf lesen, bevor sie
solche Briefe unterschreiben. Wir werden darüber si-
cherlich noch die eine oder andere Diskussion führen
müssen.

Der dritte Punkt betrifft die Regelungen, die nicht di-
rekt mit dem Fonds im Zusammenhang stehen. Wir he-
ben die 68er-Grenze für Vertragsärzte und Zahnärzte
auf; sie dürfen also über diese Altersgrenze hinaus tätig
sein. Wir tun auch etwas für die bessere Versorgung in
der Psychotherapie und für die Rechtssicherheit im Ver-
gaberecht. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen vonseiten
der Politik; denn nach der letzten Gesundheitsreform hat
es Probleme und rechtliche Unklarheiten gegeben, wie
bei Vergabestreitigkeiten zu verfahren ist. Wir haben aus
diesen Problemen gelernt und sorgen nun für Rechtssi-
cherheit und Klarheit in den Verfahren. An der einen
oder anderen Stelle hätte man sich sicherlich etwas ande-
res vorstellen können. Wichtig ist aber, dass es nun Klar-
heit gibt. An dieser Stelle hätte ich mir das eine oder an-
dere zustimmende und unterstützende Wort von der
Opposition gewünscht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es ist nicht unsere Aufgabe, die Regierung zu loben!)


– Herr Kollege, wenn die Regierung und die Koalition
etwas richtig machen, können Sie sie ruhig loben. Das
wäre nicht so falsch.

Noch zwei, drei Sätze zur Debatte über den Beitrags-
satz, der zum 1. Januar 2009 festgesetzt wird. Man muss
die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen. Den Kran-
kenkassen werden ab dem 1. Januar 2009 knapp 11 Mil-
liarden Euro bei einem Gesamtvolumen von 166 Mil-
liarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. Diese Gel-
der sollen vor allem in die Verbesserung der ärztlichen
ambulanten Versorgung und Vergütung fließen. Wir ha-
ben versprochen, dass die niedergelassenen Ärzte eine
sichere, planbare und bessere Vergütung gerade nach den
letzten Jahren bekommen. Ich hatte den Eindruck, es sei
ein gemeinsames Anliegen, dass die Krankenhäuser eine
bessere finanzielle Ausstattung bekommen. Darüber hi-
naus werden den Krankenkassen ab dem 1. Januar 2009
zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Ei-
nes geht jedenfalls nicht – die Opposition macht das
wahlweise mit unterschiedlichen Methoden –: Man kann
nicht auf Veranstaltungen der Ärzteschaft, der Kranken-
häuser und der Apotheker sagen, sie müssten mehr Geld
bekommen, und dann hier am Pult die Beitragssatzent-
wicklung kritisieren. Das geht nun wirklich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Jens Spahn
Auch etwas anderes geht nicht, Herr Kollege Spieth:
Man darf angesichts von 11 Milliarden Euro zusätzlich
im nächsten Jahr nicht Panikmache betreiben, wie Sie es
getan haben. Wir sollten bei allen vorhandenen politi-
schen Differenzen die Entwicklungen ehrlich benennen.
11 Milliarden Euro mehr für die Gesundheitsversorgung
in Deutschland sind alles andere als das, was Sie gerade
beschrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nach der Anhörung vom Mittwoch habe ich noch et-
was anderes langsam satt, und zwar das Verhalten der
Verantwortlichen der Krankenkassen, insbesondere der
Vorstandsvorsitzenden, die fortwährend – auch in dem
erwähnten Schreiben – über die Entwicklung jammern.
Den Krankenkassen stehen – ich sage es noch einmal –
11 Milliarden Euro mehr im nächsten Jahr zur Verfü-
gung. Anstatt zu jammern, sollten sie darüber nachden-
ken, wie sie die Instrumente, die wir ihnen an die Hand
gegeben haben, nutzen können. Ich nenne als Beispiele
nur die Rabattverträge mit der Pharmaindustrie, die Aus-
schreibungen im Hilfsmittelbereich und – das ist das Al-
lerwichtigste – Verträge für die gute Versorgung insbe-
sondere der chronisch kranken Versicherten. Dabei muss
es darum gehen, von der Betrachtungsweise wegzukom-
men, was ein Patient die Krankenkasse in einem Jahr
kostet. Man muss vielmehr sehen, dass ein gut versorgter
chronisch Kranker – Diabetes ist dafür ein klassisches
Beispiel – am Anfang vielleicht etwas mehr kosten mag,
mittel- und langfristig aber mehr Lebensqualität hat und
schließlich weniger Kosten verursacht. Das sollten die
Krankenkassen berücksichtigen, anstatt jeden Tag aufs
Neue die gleiche Leier anzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir alle müssen den Menschen ehrlich sagen, dass
das Gesundheitswesen in Deutschland, in einem Land,
in dem die Menschen weniger und älter werden, im
Zweifel nicht günstiger, sondern teurer werden wird. Je-
der, der in der politischen Diskussion suggeriert, dass die
Entwicklung in Deutschland aufgrund irgendwelcher
Reformen anders verlaufen könne, macht den Menschen
etwas vor, streut ihnen Sand in die Augen. Wir können
darüber streiten, wie man es finanziert. Aber wir sollten
den Menschen ehrlich sagen, dass es teurer wird, wenn
wir allen einen hochwertigen Zugang zum medizinisch
Notwendigen auf dem Stand der Technik ermöglichen
wollen, und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern
auch in der Fläche, auf dem Land. Das sollten Sie ehr-
lich sagen, anstatt sich an der einen oder anderen Stelle
der Demagogie hinzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist nicht sozial gerecht finanziert! Das ist das Problem!)


Solange wir das Gesundheitssystem beitragssatzab-
hängig finanzieren, befinden wir uns ständig im Spagat
zwischen der Beitragssatzentwicklung – diese wird von
allen Beteiligten ständig kritisiert – und der Forderung
nach mehr Geld und finanziellen Spielräumen für die
Versorgung der Patienten, deren Zahl angesichts der de-
mografischen Entwicklung – ich habe es bereits gesagt:
weniger und älter – steigt.

Ich finde, wir sollten den Menschen die Wahrheit
über die Ausgabenentwicklung sagen und von den Betei-
ligten einfordern, dass die Versichertengelder effizient
eingesetzt werden. Wir sollten gleichzeitig für eine ver-
nünftige Finanzierung des gesetzlichen Krankenversi-
cherungssystems in Deutschland sorgen. Wir sollten uns
dieser Aufgabe stellen und gemeinsam dafür werben.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618405600

Herr Kollege Spahn, möchten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Spieth zulassen?


Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1618405700

Da meine Redezeit gerade zu Ende ist, gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618405800

Herr Spieth.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618405900

Herr Kollege Spahn, die 167 Milliarden Euro, über

die wir reden, erfordern nach Ihrem Modell in der Tat ei-
nen Beitragssatz von 15,5 Prozent. Würden wir aber die
durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckten
versicherungsfremden Leistungen plus die abgesenkten
Beiträge für Arbeitslosengeld-I- und -II-Bezieher durch
Steuern finanzieren, könnten wir theoretisch – das hat
das Fritz-Beske-Institut gestern veröffentlicht – mit ei-
nem Beitragssatz von 11 Prozent auskommen,


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ist das Ihr Vorschlag?)


ohne Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung
vorzunehmen, und all das finanzieren, was jetzt zugesagt
worden ist. Können Sie bestätigen, dass 15,5 Prozent nur
in Ihrem System die Ultima Ratio ist und dass es mit
steuerlichen Zuschüssen wesentlich preiswerter ginge?


Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1618406000

Zuerst einmal freue ich mich, dass Sie, Herr Kollege

Spieth, unter den gegebenen Umständen den Beitrags-
satz von 15,5 Prozent als richtigen Wert anerkennen. Das
hat vorhin in der Diskussion der eine oder andere nicht
getan.

Zum Zweiten wissen Sie, dass wir bereits mit der letz-
ten Gesundheitsreform festgeschrieben haben, dass die
Steuermittel, die in das Gesundheitswesen fließen, lang-
sam steigen, gerade um versicherungsfremde Leistungen
zu finanzieren. Aber die Wahrheit ist natürlich – das sage
ich auch angesichts der Debatte, die wir heute Morgen
zur Finanzmarktsituation geführt haben –, dass das zu-
sätzliche Steuergeld, das in das Gesundheitswesen flie-
ßen soll, finanziert werden muss. Eines akzeptiere ich
nicht, nämlich dass Sie fordern, es solle mehr Steuergeld
in das Gesundheitssystem fließen, aber gleichzeitig Ihre
Fraktion im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundes-
tags für Krankenhauszuschüsse, für Zuschüsse für die
Pharmaforschung und für Präventionsmaßnahmen, die Sie
übrigens in einen Fonds packen wollen, 4 Milliarden Euro






(A) (C)



(B) (D)


Jens Spahn
zusätzlich beantragt – ich wiederhole die Zahl: 4 Milliar-
den Euro zusätzlich –, ohne zu sagen – selbst auf dreima-
liges Nachfragen von mir –, wie das finanziert werden
soll.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Steuerfinanziert!)


Das macht einmal mehr deutlich: Das ist eine haushalts-
politische Geisterfahrt, aber keine solide Finanzierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618406100

Jetzt hat der Kollege Peter Friedrich für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Peter Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1618406200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte in Erinnerung an die Debatte von heute Vor-
mittag, als wir über die Frage des Parlamentseinflusses
gestritten haben, sagen: Ich kann schon verstehen, dass
viele Personen in den Selbstverwaltungsgremien der
Kassen nicht froh darüber sind, dass sie nicht mehr sel-
ber die Beitragssätze festsetzen dürfen und ihnen dieses
Königsrecht genommen wird. Man kann nicht ernsthaft
erwarten, dass sie darüber glücklich sind. Aber wenn wir
erleben, dass es über den Beitragssatz und über die Aus-
wahl des Gesündesten zu einem Wettbewerb kommt,
dann ist es ein Akt von politischer Verantwortung, zu sa-
gen: Wir lassen diesen Wettbewerb über den günstigsten
Beitragssatz und über die gesündesten Versicherten nicht
mehr zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist eine schwere Aufgabe, die wir auf uns nehmen.
Wir würden die Debatte hier in der Form vielleicht gar
nicht führen, wenn wir nicht genau diese Verantwortung
übernehmen würden, aber dies ist notwendig, um in dem
Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung zu
einer gerechten Form des Wettbewerbs zu kommen.
Deswegen führen wir sie auch.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Über den Einheitsbeitrag!)


Mein zweiter Punkt: Frau Kollegin Widmann-Mauz,
ich habe mich sehr über das Bekenntnis der CDU/CSU
zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich
gefreut. Wir haben diesen seit langem gefordert. Ich
finde, es ist ein großer Erfolg, dass wir endlich hinbe-
kommen, dass das Geld im Gesundheitswesen tatsäch-
lich für die Behandlung von Krankheiten zur Verfügung
gestellt wird und das Geld der Krankheit folgt. Auch da
schaffen wir endlich faire Wettbewerbsbedingungen. In-
sofern freuen wir uns, dass wir das gemeinsam hinbe-
kommen haben. Wir hätten uns noch einiges mehr ge-
wünscht; das weiß man. Vielleicht erreichen wir in
Zukunft zusammen noch mehr. Es tut mir übrigens leid,
dass ich kein ähnlich feuriges Bekenntnis zum Zusatz-
beitrag ablegen kann. Ich halte das Instrument des Zu-
satzbeitrags nach wie vor für sehr schwierig.

(Beifall des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])


Wir werden sehen, wie es sich auswirkt. Gleichwohl ha-
ben wir beim morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-
gleich einen gemeinschaftlichen Erfolg erzielt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte an die Oppositionsparteien appellieren.
Wenn wir die Anhörungen und die Beratungen dieser
Woche zur Kenntnis genommen haben – wir waren ja
alle miteinander da und haben zugehört –:


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Dann müssten wir alle auf den Fonds verzichten!)


Es ist doch wirklich nicht zu glauben, dass Sprecher und
Vorstandsmitglieder der Kassen in der Öffentlichkeit
und in den Anhörungen sagen: „Wir wissen gar nichts;
wir wissen nicht, wie viel Geld wir bekommen; wir wis-
sen nicht, wie das alles funktionieren soll“, während ihre
eigenen Mitarbeiter längst mit der Software und den
ganzen Hinweisen an ihren Arbeitsplätzen sitzen und es
berechnen können.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das sind Modellannahmen! Das sind keine Berechnungen!)


Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Bahr – Sie ha-
ben doch selber danach gefragt und eine Antwort be-
kommen –: Seit dem 22. September liegt das komplette
Modell vor. Am 15. November kommen die Zuwen-
dungsbescheide. Mehr Planungssicherheit für die
Krankenkassen gab es noch nie.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sie haben es nicht verstanden, Herr Kollege!)


Stimmen Sie doch nicht in den Chor derer ein, die hier
versuchen, Verunsicherung zu schüren! Die Kassen wis-
sen ganz genau, wie viel Geld sie bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Sie wissen es rechtzeitig, und sie können damit auch pla-
nen. Was wir uns wünschen – daran müssen wir gemein-
sam arbeiten –, ist, dass die Kassen die Instrumente, die
wir ihnen gegeben haben, auch nutzen.

Herr Schily, zum Thema Wettbewerb und zur Frage
der Transparenz: Es ist doch wirklich ein starkes Stück,
dass wir hier gesetzliche Details in Angriff nehmen müs-
sen, um die Kassen dazu zu bringen, sich beim Vertrags-
wettbewerb an ordentliche Ausschreibungsverfahren, an
ordentliche Verfahren der Auftragsvergabe, der Vertrags-
ermittlung zu halten. In einigen Kassen ist zwischenzeit-
lich viel Fantasie entwickelt worden. Der Kollege Zöller
hat in der letzten Debatte zu diesem Thema einmal be-
schrieben, was alles angefordert wurde. Wir schaffen an
dieser Stelle jetzt Wettbewerbsklarheit. Wettbewerb
braucht klare Regeln. Was wir mit diesem Gesetz sicher-
stellen, ist, dass die Kassen und die Leistungserbringer
wissen, nach welchen Regeln Aufträge vergeben und
Verträge geschlossen werden, sodass in diesem Bereich
nicht mehr Wildwest herrscht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Friedrich
Das gilt übrigens – ich muss sagen: leider auch – für
die Frage des Übergangs für die Angestellten. Wir müs-
sen noch einmal gesetzlich klarstellen, dass die Kassen
verpflichtet sind, sich um ihre eigenen Mitarbeiter, die
sie aufgrund der neuen Struktur nicht mehr brauchen, zu
kümmern. Wir sollten ihnen dafür vier Jahre Zeit einräu-
men. Ehrlich gesagt, halte ich das nicht für einen Beweis
der Willigkeit der Krankenkassen, in diesem Bereich tat-
sächlich für ihre eigenen Leute zu sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Spieth, Sie haben angesprochen, dass wir uns bei
der Aufteilung der Verwaltungskosten etwas anderes
gewünscht hätten. Da haben Sie recht. Aber Sie wissen
doch genauso gut – ich bin von Ihren demokratischen
Fähigkeiten überzeugt, Herr Kollege –, dass Demokratie
kein Wunschkonzert ist. Es war für uns allemal wichti-
ger, zustande zu bringen, dass die möglicherweise ent-
stehenden Defizite nicht auf die Kinder und die Fami-
lienangehörigen abgewälzt werden und dass die Kassen
zum Schluss die Doofen sind, die die Familien und die
Kinder versorgen. Deswegen war es uns an dieser Stelle
wichtiger als an anderer Stelle, uns durchzusetzen. Wir
hätten uns auch da mehr gewünscht. Wir werden
schauen, wie es sich auswirkt. Eventuell kommen wir in
nächster Zeit tatsächlich dazu, das zu korrigieren.

Wenn ich mir aber anschaue, was die Kassen vom
Aufwuchs bei den Verwaltungskosten her für sich selber
schon veranschlagt haben, dann muss ich ganz ehrlich
sagen: Ich hoffe sehr, dass dort die Zeichen der Zeit er-
kannt sind, dass es in der Verwaltung auf Sparsamkeit
ankommt und nicht auf einen weiteren Ausbau.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Insofern sind wichtige Grundlagen geschaffen worden.
Zuletzt wurden einige Korrekturen vorgenommen, die
notwendig waren.

Wir bleiben dabei: Die Grundsatzfrage „Bürgerversi-
cherung versus Kopfpauschale“ wird weiterhin Teil des
Kampfes um politische Mehrheiten sein. Ich bin mir sehr
sicher, dass wir da die besseren Argumente haben. Wir
haben als Große Koalition an dieser Stelle Richtiges und
Gutes getan.

Danke.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618406300

Der Kollege Max Straubinger spricht jetzt für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Denken Sie daran: Wir regieren in Bayern bald zusammen!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1618406400

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind jetzt am Schluss des Gesetzgebungsverfahrens
zur Modernisierung und auch Stärkung unseres Gesund-
heitswesens. Ich glaube, dass wir mit Fug und Recht be-
haupten können: a) Wir haben die beste gesundheitliche
Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land – sie wurde hier über viele Jahre und Jahrzehnte er-
arbeitet; vor allen Dingen wird sie auch weiterhin solida-
risch finanziert –, und b) wir leisten heute mit dem Ab-
schluss dieses Gesetzgebungsverfahrens einen weiteren
Beitrag dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts der Finanzkrise ist es für die Bürgerinnen
und Bürger sehr bedeutungsvoll, dass sie sich auf ein so-
lidarisches Gesundheitssystem verlassen können, dass
dieses System modern ausgestaltet wird und vor allen
Dingen angepasst wird an neue Gegebenheiten und neue
Möglichkeiten der medizinischen Versorgung, und zwar
für alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer
Leistungsfähigkeit, unabhängig von ihren Möglichkei-
ten, einen Finanzbeitrag zu leisten, sodass alle Bürgerin-
nen und Bürger am medizinischen Fortschritt teilhaben
können. Das ist eine große Errungenschaft des sozialen
Staatswesens, das wir gebildet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch bedeutungsvoll, was mit dem ersten Ge-
setz zur Stärkung unseres Gesundheitswesens eingeleitet
worden ist und heute mit diesem Weiterentwicklungsge-
setz fortgesetzt wird. Damit ist verbunden, dass die
Schulden, die in den gesetzlichen Krankenkassen in der
Vergangenheit angehäuft worden waren, mittlerweile zu-
rückgeführt werden und am 31. Dezember dieses Jahres
abgebaut sein werden,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD])


sodass die Beitragsmittel, die bisher zur Entschuldung
eingesetzt worden sind, zukünftig wieder für die Versor-
gung der Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit waren auch mehr Leistungen verbunden. Mit
dem heute zu beschließenden Gesetz sind ebenfalls mehr
Leistungen verbunden, etwa Ausweitung der enteralen
Ernährung; darüber hinaus sollen zum Wohle der Patien-
tinnen und Patienten aber auch sozialpsychiatrische
Dienste gestärkt werden. Das sollte man nicht gering
schätzen. Das ist mit Ergebnis dessen, was wir hier heute
bewältigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute ist vielfältigst über die solidarische Finanzie-
rung gestritten worden. Vor allen Dingen wurde bemän-
gelt, dass es zukünftig einen einheitlichen Beitragssatz
geben wird. Man kann sich natürlich darüber streiten: Ist
das tatsächlich richtig und notwendig? Die Frau Bundes-
ministerin hat die bisherige Spannbreite von 11,6 Pro-
zent bis 16,5 Prozent angesprochen. Da kann man durch-
aus fragen, ob das sozial gerecht ist. Es scheint sozial
gerechter zu sein, einen einheitlichen Beitragssatz in der
gesetzlichen Krankenversicherung einzuführen.






(A) (C)



(B) (D)


Max Straubinger
Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP bemän-
geln, dass in der Finanzierung zu wenig Nachhaltigkeit
im Sinne der älteren Bürgerinnen und Bürger gegeben
sei, und verweisen auf die private Krankenversiche-
rung. Gerade wir als CSU stehen für den Erhalt der pri-
vaten Krankenversicherung, weil es wichtig ist, ein wett-
bewerbliches Modell zu haben, die gesetzliche
Krankenversicherung und die private Krankenversiche-
rung zu haben. Herr Kollege Bahr, auch eine Untermau-
erung mit Kapitaldeckung bedeutet ja nicht, dass die
Beiträge nicht steigen; im Gegenteil.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das habe ich auch nicht behauptet!)


Viele Bürgerinnen und Bürger, die in der privaten Kran-
kenversicherung sind, jammern gerade darüber, dass sie
mit weit höheren Beitragslasten konfrontiert werden,
wenn sie in ein bestimmtes Alter kommen. Das wird in
der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Beide Systeme haben eine gute Funktion für die Stär-
kung der gesundheitlichen Versorgung der Bürgerinnen
und Bürger. Ich glaube, dass man die Vor- und Nachteile
ganz offen ansprechen sollte. Eine Präferenz für das eine
oder andere System gibt es nicht.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Die Umlage schiebt die Lasten auf kommende Generationen! Das ist der Unterschied!)


Das Umlagesystem gibt die Möglichkeit, Ausgaben-
steigerungen, die von den Bürgerinnen und Bürgern ver-
langt werden – im Krankenhauswesen, bei der ärztlichen
Versorgung vor Ort; das geht mit einer entsprechenden
Honorierung einher –, auszugleichen. Ich sage ganz of-
fen: Das bedeutet dann auch Beitragssatzsteigerungen.
Wenn wir mehr für Honorare der Ärzte ausgeben, wenn
wir mehr für die Sicherung unserer Krankenhäuser tun,
vor allen Dingen im ländlichen Raum entsprechend Fi-
nanzmittel zur Verfügung stellen, wenn die Bürgerinnen
und Bürger Gott sei Dank älter werden können, aber
dazu mehr Medikamente benötigen, dann bedeutet das
Ausgabensteigerungen, und die Mittel zur Deckung die-
ser Ausgabensteigerungen müssen die Bürgerinnen und
Bürger berappen. Das ist aber gut angelegtes Geld. Die
gesundheitliche Versorgung hat nämlich den höchsten
Stellenwert für die Menschen in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD])


Heute ist vielfach über die Beitragsbelastung gespro-
chen worden, und es ist dargestellt worden, dass die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine Senkung
des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung entlastet
werden. Oft entsteht dadurch in der Öffentlichkeit der
Eindruck, dass die Rentnerinnen und Rentner zu stark
belastet sind. Daher möchte ich hier ausdrücklich fest-
stellen, dass die Belastung der Rentnerinnen und Rent-
ner in Deutschland 0,5 Euro bis 6 Euro im Monat be-
trägt. Ich glaube, das ist eine sozial verantwortliche
Beitragsgestaltung, die wir da vorgenommen haben.

Werte Damen und Herren, ich möchte noch kurz zwei
Dinge ansprechen. Wir haben dafür gesorgt – das war für
die CSU ein wichtiges Anliegen –, dass eine vernünftige
Konvergenzregel gefunden worden ist. Ich danke dem
Bundesministerium, das mit dazu beigetragen hat, diese
Lösung zu finden. Vor allem für die Länder, die befürch-
ten mussten, mit der Fondslösung viele Finanzmittel zu
verlieren, ist hiermit eine sachgerechte Lösung gefunden
worden.

Der Kollege Spieth hat in seiner Rede davon gespro-
chen, dass die Regelung zu den Hausarztverträgen zu-
künftig zu einer hausarztzentrierten Versorgung – § 73 b –
führen wird. Ich bin über diese Aussage und auch über
die Kritik verwundert. Im bayerischen Landtagswahl-
kampf hat die Linke immer das Horrorgemälde gemalt,
die ärztliche Versorgung vor Ort sei nicht mehr gesi-
chert, die Qualität werde sowieso sinken und so weiter.
Im Gegensatz zu den Linken halten wir als CSU Wort.
Wir bleiben bei dem, was vor der Wahl gesagt worden
ist; das halten wir auch nach der Wahl. Es ist im Sinne
der Bürgerinnen und Bürger, der Patientinnen und Pa-
tienten, dass wir so verfahren.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618406500

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1618406600

Wir sind keine Ypsilantis. Ich glaube, wir leisten da-

mit einen guten Beitrag für eine breite hausärztliche Ver-
sorgung der Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne
bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und der
Frau Präsidentin herzlichen Dank für die Geduld.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618406700

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur

Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Or-
ganisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung.

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/10609, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
16/9559 und 16/10070 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen.

Zu dieser Abstimmung liegen persönliche Erklärun-
gen der Kollegin Gitta Connemann sowie der Kollegen
Dr. Rolf Koschorrek und Kurt Rossmanith vor.1)

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen.


(Zahlreiche Abgeordnete begeben sich zu den Abstimmungsurnen)


– Das ist jetzt aber schwierig. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Ich gehe davon aus, dass das Abstim-
mungsverhältnis so ist, dass die Koalitionsfraktionen zu-
gestimmt und die Oppositionsfraktionen dagegen

1) Anlagen 6 und 7






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
gestimmt haben. Enthaltungen konnte ich von hier aus
nicht sehen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wir stimmen auf Verlangen der
FDP-Fraktion namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Ja. Dann ist die Abstimmung eröffnet.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das scheint mir
nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung geben wir Ihnen später bekannt.1)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/10625. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? –
Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist bei Zustimmung durch die FDP-Frak-
tion, Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und der
Linksfraktion sowie Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 35 b. Unterrichtung durch die
Bundesregierung über den beabsichtigten Erlass einer
Verordnung zur Festlegung der Beitragssätze in der ge-
setzlichen Krankenversicherung. Ich gehe davon aus,
dass Sie die Unterrichtung auf Drucksache 16/10474 zur
Kenntnis genommen haben.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 34 a bis f auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate
Künast, Silke Stokar von Neuforn, Jerzy Montag,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes (Artikel 2 a, 5 a, 13 a, 19)


– Drucksache 16/9607 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesdatenschutzgesetzes

– Drucksachen 16/10529, 16/10581 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesdatenschutzgesetzes

– Drucksache 16/31 –

1) Ergebnis Seite 19703 D
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Datenschutz stärken – Bewusstsein schaffen –
Datenmissbrauch vorbeugen

– Drucksache 16/10216 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von
Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Informationspflicht für Unternehmen bei Da-
tenschutzpannen einführen

– Drucksachen 16/1887, 16/6764 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Dr. Michael Bürsch
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burg-
bacher, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des
Rates über die Verwendung von Fluggastda-
tensätzen zu Strafverfolgungszwecken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika La-
zar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten

– Drucksachen 16/8115, 16/8199, 16/9112 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn

Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin
Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(B) (D)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundes-
innenminister Schäuble hält zurzeit eine Pressekonfe-
renz zum Thema Sport ab. Auch das ist Ausdruck dafür,
welchen Stellenwert der Datenschutz in der Bundesre-
gierung und insbesondere beim Bundesinnenminister
hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


In einem taz-Interview konnte ich nachlesen, Herr
Schäuble sei beleidigt über die am vergangenen Samstag
erfolgte Demonstration unter dem Titel „Freiheit statt
Angst“. Ich kann nur sagen: Wir haben uns gefreut, dass
die Bürgerinnen und Bürger für Freiheitsrechte und ge-
gen den Überwachungsstaat auf die Straße gegangen
sind. Es war höchste Zeit, dass die Forderungen nach
mehr Datenschutz und gegen die Vorratsdatenspeiche-
rung einmal so klar zum Ausdruck gebracht werden, wie
es dort geschehen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Große Koalition heißt eben: Schily plus Schäuble mi-
nus Bürgerrechte. Gegen die Große Koalition muss man
auf die Straße gehen. Das wissen wir noch sehr gut aus
früheren Zeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist lange her!)


Seit Monaten jagt ein Datenschutzskandal den ande-
ren. Es ist an der Zeit, dass wir hier eine grundsätzliche
Trendwende erreichen. Für uns hat Datenschutz die al-
lerhöchste Priorität. Deswegen sagen wir ganz klar: Da-
tenschutz gehört als Grundrecht in die Verfassung. Eine
Umfrage hat gezeigt, dass 87 Prozent der Bevölkerung
diese Forderung unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht uns weder um Symbolik noch um Rhetorik.
Wir möchten, dass die Bürgerinnen und Bürger durch
einen einfachen Blick in die Verfassung erkennen kön-
nen, welche Freiheitsrechte sie haben. Die Verfassung
muss verständlich sein und Auskunft darüber geben,
welche Grundrechte die Bürgerinnen und Bürger haben.
Gerichtsentscheidungen allein reichen dafür nicht aus.
Verfassungsgeber ist das Parlament, Verfassungsgeber
ist nicht das Bundesverfassungsgericht.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht!)


Ich kann an die Kolleginnen und Kollegen von der
SPD nur den Appell richten: Lösen Sie die Arbeits-
gruppe, die sich mit dem Einsatz der Bundeswehr im
Innern beschäftigt, auf! Diese Arbeitsgruppe ist über-
flüssig. Versenken Sie das Thema, und richten Sie mit
uns eine Arbeitsgruppe zum Thema „Datenschutz ins
Grundgesetz“ ein! Seit den 50er-Jahren haben Sie
55-mal dazu beigetragen, dass die Verfassung geändert
wurde. 55-mal haben Sie entschieden, Freiheitsrechte
abzubauen. Wir sind der Meinung, es ist an der Zeit, dass
wir hier eine Trendwende einleiten und wir uns für mehr
Freiheit und mehr Bürgerrechte einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])


Ich kann die Argumentation der Linksfraktion nicht
nachvollziehen. Sie sagen genau wie Bundesinnenminis-
ter Schäuble, Grundgesetzänderungen seien nur Symbo-
lik. Was haben Sie für ein Verfassungsverständnis? Wir
wissen sehr genau, dass mit einer Grundgesetzänderung
allein nicht alles erreicht ist. Deswegen haben wir heute
unseren zweiten Antrag, den Antrag „Datenschutz
stärken“, zur Debatte gestellt.

Wir wollen erreichen, dass die Vorratsdatenspeiche-
rung gestoppt wird; denn sie ist verfassungswidrig. Wir
wollen verhindern, dass sensible Daten wie Fingerabdrü-
cke, DNA-Daten, Informationen über Gewerkschafts-
mitgliedschaften oder politische Anschauungen am Par-
lament vorbei über Staatsverträge an die USA geliefert
werden. Auch das halten wir für verfassungswidrig. Wir
wollen Schäuble stoppen, wenn er eine neue Abhörein-
richtung schaffen will, die die Trennung von Polizei und
Militär sowie die Trennung von Polizei und Geheim-
diensten aufhebt. Wir wollen durch Datenschutz im
Grundgesetz klarstellen, dass die Grenzen der Verfas-
sung zu respektieren sind, vom Staat, aber genauso von
der Privatwirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bür-
ger sind es leid, aus den Medien zu erfahren, dass ihre
persönlichen Daten schon wieder massenhaft verkauft
worden sind. Persönliche Daten sind heute ganz offen-
sichtlich 1-Euro-Ware auf dem Schwarzmarkt des illega-
len Datenhandels. Es ist an der Zeit, dass wir diesem
Treiben einen Riegel vorschieben.

Meine Damen und Herren, wir wollen Informations-
pflichten bei Datenpannen einführen. Wir wollen ge-
nauso sicherstellen, dass diejenigen, die Datenmiss-
brauch, Datenklau und Datendiebstahl ermöglichen, für
die nachfolgenden Schäden haften müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kann doch nicht sein, dass wir mittlerweile eine Situa-
tion haben, in der gerade ältere Menschen damit rechnen
müssen, dass aufgrund von illegalem Adresshandel in
Kombination mit Bankdaten über Lastschriftverfahren
ihre Konten abgeräumt werden und der Staat nicht
durchgreifend handelt.

Wir würden vom Bundesinnenminister gern wissen,
seit wann ihm Informationen über den Datenklau bei der
Telekom vorlagen. Wir haben von den Datengipfeln
nichts weiter gehört als irgendeine Form der öffentlichen
Entschuldigung. Meine Damen und Herren, ich denke,
dass ein Umgang mit Datendiebstahl in dieser Form
nicht sein darf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])







(A) (C)



(B) (D)


Silke Stokar von Neuforn

einzige Stelle mehr, meine Damen und Herren.
Danke schön.
Wer Datenschutz will, der muss auch Datenaufsicht und
Datenkontrolle ermöglichen. Das richtige Signal wären
hier 50 zusätzliche Stellen für die Datenaufsicht, für die
Datenkontrolle, für die Informationsfreiheit und für den
Datenschutz. Dann würden Sie ein ehrliches Zeichen
setzen. Die Flickschusterei, die Sie hier heute anbieten,
ist uns wahrlich nicht genug.

Herr Kollege Bürsch, wir brauchen auch keine weite-
ren Expertengruppen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Experten sind wir!)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 551;
davon

ja: 385
nein: 164
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner

Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618406800

Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und

Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Weiterent-
wicklung der Organisationsstrukturen der gesetzlichen
Krankenversicherung bekannt geben. Abgegeben wur-
den 552 Stimmen. Mit Ja haben 386 Kolleginnen und
Kollegen gestimmt, mit Nein haben 164 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt. Es gab zwei Enthaltungen. Da-
mit ist der Gesetzentwurf angenommen.

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold

Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe den Eindruck, d
nicht nur ein Problem der Te
und Tricksen tun sich Bun
und René Obermann nichts.
die Täter, die die Datenschut
anstatt dafür zu sorgen, dass
tatsächlich mehr Datensicher


(Jan Korte [DIE LINKE trix Philipp [CDU/CSU in Ordnung!)


Meine Damen und Herren
handelt wird – ich verstehe I
rufe so –, dann erklären Sie m


(Jörg Tauss [SPD]: G Dr. Michael Bürsch [SP aufgeregten Zwischenru warum Sie einen Haushalt z derte von zusätzlichen Stelle technik und für Netzsicherh beim Datenschutzbeauftragte ass Täuschen und Tricksen lekom ist. Beim Täuschen desinnenminister Schäuble Dabei sind sie gemeinsam zskandale eher vertuschen, durch gesetzliches Handeln heit hergestellt wird. ]: Das stimmt! – Bea]: Das finde ich nicht , wenn Sie wollen, dass gehre aufgeregten Zwischenir doch einmal, ar nicht aufgeregt! – D]: Hier gibt es keine fe!)


ulassen, bei dem es Hun-
n für das BKA, für Abhör-
eit gibt, für die Aufsicht
n gibt es aber nicht eine
Sie können sich mit acht An
tagsfraktion zu mehr Datensc
gibt kein Thema, zu dem uns
seit Monaten – ja, seit Jahren


(Gisela Piltz [FDP]: Wi gierung Sie können hier und heute an zu Informationspflichten be Sie müssen gar nicht weiter teln. Vizepräsidentin Katrin G Frau Kollegin! Silke Stokar von Neu GRÜNEN)


Wenn Sie es ehrlich mein
keine neuen Ankündigungen
erwarte jetzt im Innenausschu
Regierungsfraktionen.
trägen der grünen Bundes-
hutz auseinandersetzen. Es
ere Vorschläge nicht schon
– auf dem Tisch lägen.

e war das zu Ihrer Re-
szeit?)

fangen und unserem Antrag
i Datenpannen zustimmen.
an eigenen Anträgen bas-

öring-Eckardt:


(BÜNDNIS 90/DIE en, dann machen Sie bitte in der Öffentlichkeit. Ich ss anständige Vorlagen der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen Schwenningen)





(A) (C)


(B) (D)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers (Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Hermann-Josef Scharf
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Gerd Höfer
Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller (Düsseldorf)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt (Aachen)

Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Andreas Steppuhn Ernst Burgbacher Dr. Dagmar Enkelmann Peter Hettlich
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

CDU/CSU

Christian Hirte
Philipp Mißfelder
Beatrix Philipp
Hans Raidel
Marco Wanderwitz
SPD
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Lothar Mark
Hilde Mattheis
Ottmar Schreiner
Jella Teuchner
Rüdiger Veit
Dr. Wolfgang Wodarg

Wir fahren in unserer D
Wort der Kollegin Beatrix P
Fraktion.


(Beifall bei de Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Michael Link Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder ebatte fort. Ich erteile das hilipp von der CDU/CSU r CDU/CSU)

Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorotheé Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert


(CDU/CS Frau Präsidentin! Meine Herren! Frau Stokar, es gab nicht angesprochen hätten. E der Bundeswehr im Inneren. Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Friedrich Merz SPD Klaus Barthel U)

sehr geehrten Damen und
kaum ein Thema, das Sie
s reichte bis zum Einsatz
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel

Patrick Döring Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke

Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus

Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das muss man doch! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor lauter Empörung kommt man nicht zum Luftholen!)


Heute stehen konkrete Anliegen an, das ist doch klar. Ein
Problemaufriss ist immer gut. Darin sagt man, was man
noch alles vor sich hat, was noch alles gelöst werden
muss. Frau Stokar, bei aller Sympathie sage ich: Das,
was Sie hier abgeliefert und in Ihrem Antrag aufge-
schrieben haben, hat bei allen, die es gelesen haben und
die etwas von der Sache verstehen, ein Déjà-vu-Erlebnis
hervorgerufen, weil es eine Zusammenfassung der Er-
gebnisse des Gipfels bei Herrn Dr. Schäuble gewesen ist.
Insofern finde ich, dass es dem Thema nicht angemessen
ist, wenn Sie den Herrn Innenminister und Herrn
Obermann beim Täuschen und Tricksen als gemeinsame
Täter bezeichnen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie auch zustimmen! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir Wochen vorher beschlossen! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Der ist doch stolz darauf!)


Das ist eigentlich unterhalb des von Ihnen geforderten
und auch praktizierten Niveaus. Ich finde das nicht in
Ordnung, und es ist dem Thema auch nicht angemessen.
Das sage ich, damit das klar ist. Das Thema ist zu ernst.
Ich meine das so, wie ich es hier sage. Das Thema ist zu
ernst, um es so zu behandeln, wie Sie es hier und in Ih-
ren Anträgen behandelt haben. Ich komme gleich noch
darauf zu sprechen.

Ich halte natürlich die Verfassung und das, was darin
steht, nicht für Symbolik. Dass Sie aber bei der Bevölke-
rung Erwartungen hervorrufen, die Sie im Zweifelsfall
nicht einhalten können, weiß inzwischen eigentlich je-
der.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Erwartungen einhalten!)


Wir sprechen heute über insgesamt acht verschiedene
Gesetzentwürfe bzw. Anträge. Das ist quasi Datenschutz
total. Im Mittelpunkt steht der Entwurf der Bundes-
regierung. Hier kommt sehr schnell die Frage auf, ob
wir damit auf die Skandale der letzten Wochen bereits
eine Antwort liefern. Das tun wir nicht; das wissen Sie
genau. Sie hätten hier sagen können, dass ein hierauf be-
zogener Gesetzentwurf, wie man so schön sagt, im
Augenblick in der Werkstatt ist. Dort wird er seriös,
nicht hektisch und ohne Aktionismus laufen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lang ist die Legislaturperiode?)


– Nein, nein, Herr Wieland, das wissen Sie ganz genau!
Ich finde es auch nicht seriös, wenn Sie nicht darauf hin-
weisen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Jahre machen wir das jetzt schon!)

Wir brauchen keine Schnellschüsse und keinen Aktio-
nismus, sondern Konsequenzen, die voraussetzen, dass
man weiß, was in den Firmen passiert ist. Sie setzen vo-
raus, dass man darüber bereits aufgeklärt ist, worin der
Skandal besteht. Erst dann kann ich Maßnahmen ergrei-
fen, und dabei sind wir.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prima!)


Es bleibt dabei, dass kriminelles Verhalten und krimi-
nelle Energie niemals ausschließlich durch gesetzgeberi-
sches Handeln verhindert werden können. Das ist in al-
len Bereichen so, natürlich auch im Datenschutzbereich.

Eine zweite Vorbemerkung. Das heißt natürlich nicht,
dass wir keinen Handlungsbedarf haben. Das ist doch
völlig unbestritten; es wird ja auch gehandelt, wie Sie
wissen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Aber es gibt eben die Notwendigkeit, sehr differenzierte
Maßnahmen zu ergreifen. Die Gründe dafür liegen auf
der Hand. Die Zahl der unmittelbar und mittelbar Betrof-
fenen ist ungeheuer groß. Es geht nicht nur um die Daten
der Bürgerinnen und Bürger, die zu schützen sind. Es
geht um Tausende von Arbeitsplätzen, es geht um ganze
Branchen, und es geht auch – das ist mir sehr wichtig –
um ein bedeutendes Stück Vertrauen, das es wiederzuge-
winnen gilt, weil es die Grundlage des Umgangs der
Menschen miteinander ist.

Von Vertrauen ist heute Morgen in ganz anderen
Dimensionen sehr ausführlich gesprochen worden. Aber
auch für den Bereich des Datenschutzes legt uns dies ein
erhebliches Verantwortungsgefühl auf die Schultern.
Dem muss man gerecht werden. Das schafft man nicht,
indem man im Hauruckverfahren irgendwelche Dinge
fordert, deren Umsetzung dann nicht die Erwartungen
der Bevölkerung erfüllt, weil diese Erwartungen von
vornherein nicht erfüllt werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Einig sind wir uns aber in der Tatsache, dass wir in allen
Bereichen mehr Transparenz brauchen, weil dies in der
Bevölkerung wieder mehr Vertrauen schaffen würde.

Alle wissen, dass die Zunahme des Unbehagens in der
Bevölkerung beseitigt werden könnte, wenn man den
Menschen den sorgfältigeren Umgang mit den eigenen
Daten ans Herz legen würde. Das wissen Sie und dieje-
nigen, die sich mit dieser Materie befassen, ganz genau.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ablenken!)


Wir befassen uns heute nur mit drei Themenberei-
chen, nämlich mit den Auskunfteien, dem Scoring und
den Auskunftsrechten. Die Weitergabe von Daten und
der Schutz des Verbrauchers werden daher heute nur in
diesem Zusammenhang und nur im Hinblick auf diese
Themen Berücksichtigung finden. Aspekte darüber hi-
naus sind heute nicht Thema dieser Debatte.

Meine Damen und Herren, wie gesagt, ich hatte ein
Déjà-vu-Erlebnis: schnell zusammengeschriebene Er-






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp
gebnisse, die wir bereits in Fachgesprächen als Kern-
punkte einer umfassenden Datenschutzreform formuliert
haben. Es gehört dazu – das weiß ich ja –, dass die Op-
position das einmal schnell aufschreibt. Aber es ist nicht
seriös. Wir werden Ihnen noch in diesem Jahr, seriös,
sauber erarbeitet und abgestimmt, einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorlegen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Beim letzten Gespräch war die CDU nicht da!)


Wir sind nicht in der Stunde null des Datenschutzes.
Da hier die Aufforderung an den Gesetzgeber formuliert
wurde, die „lange notwendige Überarbeitung ... endlich
anzugehen und ... den Schutz vor zunehmend bedroh-
lichen privaten Datensammlungen auszubauen“, muss
ich Ihnen sagen: So einfach geht es nicht.

Eine Änderung des Grundgesetzes kann, wie gesagt,
nicht der richtige Weg sein. Die modernen Bedingungen
der Datenverarbeitung müssen natürlich auch die freie
Entfaltung der Persönlichkeit berücksichtigen. Auch das
gehört zur Wahrheit. Es muss aber auch dem Einzelnen
gestattet sein, seine Daten demjenigen zur Verfügung zu
stellen, der sie für die angegebenen Zwecke verwenden
möchte. Grenzen findet das natürlich unter Sicherheits-
aspekten und unter Sicherheitsgesichtspunkten; aber da-
rüber diskutieren wir an anderer Stelle.

Zur Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger und
zur Rechtssicherheit für die Unternehmen. Was bedeutet
Transparenz in diesem Zusammenhang? Der vermehrte
Einsatz von Scoring-Verfahren in den unterschiedlichs-
ten Bereichen hat bereits vor den Debatten der letzten
Wochen über das Thema Datenschutz zu zahlreichen
Diskussionen und zur Verunsicherung in der Bevölke-
rung geführt. Manche sahen sich schon in allen mögli-
chen und unmöglichen Lebenssituationen vermessen
und bewertet – und dann meist auch noch falsch und un-
gerecht.

Dass es auch positive Facetten eines Scorings gibt,
geht dabei leider oft völlig unter. Deswegen muss man
noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass mit Scoring
in diesem Zusammenhang Kreditscoring gemeint ist, das
heißt ein mathematisch-statistisches Verfahren zur Be-
rechnung der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kredit zu-
rückgezahlt wird. Dabei wird unter „Kredit“ – damit
auch das klar ist – jedes Geschäft verstanden, bei dem
die Leistung erbracht wird, bevor die Zahlung erfolgt,
also auch beim klassischen Handyvertrag und nicht erst
bei einem Häuslebauerkredit.

Grundlagen dafür sind die Daten der zu bewertenden
Person, die entweder aufgrund laufender Vertragsbezie-
hungen bereits vorliegen oder von entsprechenden Aus-
kunfteien hinzugekauft wurden. Diese Daten sind nicht
starr, sie sind nicht konstant, sie verändern sich mit je-
dem Vertragsabschluss, mit jedem Kreditgeschäft, mit
jedem Zahlungs- oder auch Nichtzahlungsverhalten und
natürlich auch mit jedem Wohnortwechsel. Das bedeu-
tet, dass sich auch der Scorewert ändert und dass es in
den unterschiedlichen Branchen unterschiedliche Score-
werte für ein und dieselbe Person gibt.
In § 6 a des Bundesdatenschutzgesetzes haben wir
aufgenommen, dass grundsätzlich keine Entscheidung
aufgrund eines automatisierten Vorgangs, zum Beispiel
eines Scoringverfahrens, erfolgen darf. Diese Regelung
ist alt, aber sie wird präzisiert. Deswegen zitiere ich sie:

Eine ausschließlich auf eine automatisierte Verar-
beitung gestützte Entscheidung liegt insbesondere
dann vor, wenn keine inhaltliche Bewertung und
darauf gestützte Entscheidung durch eine natürliche
Person stattgefunden hat.

Es muss also ein Gespräch geführt werden, in dem dem
jeweiligen Betroffenen die Gründe erläutert werden.
Darüber hinaus gibt es eine Erweiterung der Legitimität
der automatisierten Einzelentscheidung dann, indem die
Interessen der Betroffenen gewährleistet werden, wenn
ihnen also die wesentlichen Gründe für die Entscheidung
mitgeteilt werden.

Was will der Betroffene eigentlich wissen? Ganz si-
cher will er die Möglichkeit haben, die zugrunde liegen-
den Datensätze auf ihre Richtigkeit zu überprüfen:
Stimmt die Anzahl der Kreditkarten? Stimmen die ange-
zeigten Zahlungsauffälligkeiten bzw. Nichtzahlungsver-
merke tatsächlich? Sind die gespeicherten Adressdaten
und Adresshistorien richtig? – Im Sinne des vorliegen-
den Entwurfs verstehen wir unter den „wesentlichen
Gründen“ die Übermittlung aller zugrunde liegenden
Rohdaten, das heißt aller Daten zur Person, zur An-
schrift, zur Anschriftenhistorie sowie Konto- und Bank-
karteninformationen.

Nur bei Offenlegung der vorhandenen und im Zweifel
in die Berechnung des individuellen Scores eingeflosse-
nen Daten wird es dem Betroffenen ermöglicht, einen
Überblick über die Vielzahl der Bewertungskriterien zu
erlangen. Im zweiten Schritt kann er Korrekturen vor-
nehmen, sofern er erkennt, dass sich die Rohdaten feh-
lerhaft sind oder sich verändert haben, zum Beispiel
durch einen Umzug oder weil sich der familienrechtliche
Status verändert hat. Der Betroffene hat nun also die
Chance, Unrichtigkeiten zu erkennen und zu korrigieren.

Er wird die wesentlichen Gründe wissen wollen, die
zu einer Entscheidung geführt haben und mit denen er
wirklich etwas anfangen kann. Diese Merkmale offenzu-
legen, gehört zur von allen geforderten Transparenz.
Dieser Forderung wird Rechnung getragen. Auch die
Mitteilung über die wesentlichen Gründe umfasst keine
Offenlegung der konkreten Bewertungsmaßstäbe und
der mathematischen Formeln des jeweiligen Unterneh-
mens. Der Weg dahin, das heißt, wie das eine oder an-
dere Merkmal exakt bewertet worden ist, wird den Be-
troffenen wenig interessieren und fällt unter das
Geschäftsgeheimnis. Das würde dem Betroffenen auch
wenig weiterhelfen. Versandhandel und Telekommuni-
kationsunternehmen betrachten, wie gesagt, jeweils an-
dere Faktoren als risikoträchtig. Der Verbraucher wird
sich also im Einzelfall informieren müssen.

Neu sind auch die in den § § 28 a und b des Daten-
schutzgesetzes sich mit der Datenübermittelung an Aus-
kunfteien und dem Thema Scoring befassenden Inhalte.
Die Einmeldungen von Daten an Auskunfteien, die im-






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp
mer wieder auch in diesem Haus zu großen Debatten ge-
führt haben, sind nun sorgfältig aufgelistet. Für diejeni-
gen, die sich in der Materie nicht so genau auskennen,
will ich noch einmal sagen, wann überhaupt an eine
Weitergabe der Daten gedacht wird:

Erste Voraussetzung. Der Betroffene muss die Forde-
rung ausdrücklich anerkannt haben. Zweite Vorausset-
zung. Der Betroffene muss nach Eintritt der Fälligkeit
der Forderung mindestens zweimal schriftlich gemahnt
worden sein; zwischen der ersten Mahnung und der
Übermittlung muss eine Frist von mindestens vier Wo-
chen liegen; schließlich muss die verantwortliche Stelle
rechtzeitig vor der Übermittlung der Angaben, frühes-
tens jedoch bei der ersten Mahnung, über die bevorste-
hende Übermittlung unterrichtet haben. Ich denke, dass
das erhebliche Vorläufe sind, die dem Wunsch nach
mehr Transparenz und Berücksichtigung der Interessen
der Betroffenen entsprechen und diesem Wunsch Rech-
nung tragen.

Wir müssen uns halt immer wieder bewusst machen,
dass wir uns hier über Konstellationen im rein privat-
rechtlichen Bereich Gedanken machen. Der Betroffene
muss bereits vor Abschluss des Vertrages von der Über-
mittlung seiner Daten an die Auskunfteien informiert
werden, sodass er noch vor Abschluss sagen kann: Ich
bin damit nicht einverstanden und möchte diesen Vertrag
nicht eingehen.

Auch dem in der Presse immer wieder zitierte Fall der
Verschlechterung eines Scorewertes lediglich aufgrund
einer Kreditanfrage tragen wir im neuen § 28 a des Bun-
desdatenschutzgesetzes Rechnung. Diese Fälle dürfen
künftig überhaupt nicht mehr an Auskunfteien gemeldet
werden. So werden wir dem Interesse der Vertragspart-
ner gerecht, ohne die Vertragsfreiheit zu beschränken.

Ein weiterer sehr wichtiger Paragraf ist § 28 b mit
dem Titel „Scoring“. Bisher fehlte eine Rechtsgrundlage
für die Durchführung dieses Verfahrens. Wir regeln jetzt
exakt die Bedingungen, unter denen ein Scorewert be-
rechnet werden kann. § 28 b regelt klar den Rahmen der
für die Berechnung eines Scores zulässigen Datengrund-
lage, sodass nicht nur der Verbraucher das eingeforderte
Maß an Transparenz, sondern auch die Unternehmen die
notwendige Rechtssicherheit erhalten.

Wie und ob die jeweiligen Unternehmen ihre Ge-
schäftspolitik an den sogenannten Geodaten orientieren,
indem sie zum Beispiel bestimmte Stadtteile oder Stra-
ßenzüge grundsätzlich nicht per Rechnung, sondern nur
per Nachnahme beliefern, fällt unter den Schutz der Pri-
vatautonomie, und es ist eigentlich nicht unsere Sache,
dies zu regeln. Das ist Sache der jeweiligen Unterneh-
mer. Ich betone an dieser Stelle noch einmal ausdrück-
lich, dass es keinen Anspruch auf einen Kredit, keinen
Anspruch auf bestimmte Konditionen gibt. Kurzum: Es
gibt keinen Anspruch darauf, dass irgendjemand mit mir
einen Vertrag abschließt. Das müssen wir respektieren.
Es ist unsere Pflicht, hier in diesem Hause darauf hinzu-
weisen.

Immer wenn wir über das Thema Scoring sprechen,
prägen Zweifel und Unsicherheit das Gespräch, weil das
Verfahren so komplex ist. Wir müssen uns allerdings die
Bedeutung des Verfahrens für die Wirtschaft bewusst
machen. Es schützt ja auch diejenigen, die indirekt von
den Nebenfolgen betroffen sind. Würden wir auf ein sol-
ches Instrument verzichten, wäre das schnelle Geschäft,
beispielsweise der Ratenkauf oder auch der Abschluss
eines Handyvertrages am Samstagnachmittag – dafür
werden Scorewerte abgefragt –, völlig undenkbar. Die
Risiken, die sich vorher mangels entsprechender Risiko-
analyse nicht einschätzen lassen, würden in Form von
höheren Zinsen oder von vornherein höheren Produkt-
preisen auf die anderen Vertragskunden umgelegt.
Manchmal habe ich mir in den vergangenen Tagen über-
legt, ob und inwieweit Scoring, wenn es ernst genom-
men und seriös behandelt worden wäre, manches hätte
verhindern können, zum Beispiel auch unüberschaubare
Verschuldung.

Zur geforderten Transparenz gilt auch das Folgende:
Der Betroffene soll künftig vor der Durchführung des
Scorings von der beabsichtigten Verwendung seiner An-
schrift und Daten, beispielsweise im Rahmen der allge-
meinen Geschäftsbedingungen, unterrichtet werden.
Diese Unterrichtung muss auch dokumentiert werden.
So hat jeder Betroffene das Recht, einer Nutzung seiner
Daten zu widersprechen und ein Geodatenscoring indivi-
duell auszuschließen.

Als wichtigster Baustein ist noch einmal der geän-
derte § 34 des Bundesdatenschutzgesetzes zu erwähnen,
wonach der Betroffene insbesondere im Fall eines
durchgeführten Scoringverfahrens weitergehende Aus-
kunftsrechte hat. Der Betroffene soll künftig nicht nur
darüber aufgeklärt werden, welches Scoringverfahren
mit welchem Ergebnis durchgeführt wurde, sondern
auch einen Überblick über das Zustandekommen der
Scores bekommen. Wie ich Ihnen bereits sagte, kann
dieses Auskunftsrecht nicht so weit gehen, dass die Ge-
schäftsgeheimnisse der Unternehmen, die Scorekarten
erstellen und Scoringverfahren durchführen, verletzt
werden. Der Betroffene hat aber Einblick in die für ihn
wichtigen und für die Beurteilung notwendigen Daten.

Ich komme zum Schluss. Wir erfüllen mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf die Forderung nach mehr Trans-
parenz. Wir vermeiden das große Risiko der Manipula-
tion, der wir bei einer Offenlegungspflicht der konkreten
Berechnungsmethoden – auch darüber wurde diskutiert –
Tür und Tor öffnen würden. Das ist zum Beispiel in
Amerika der Fall und führt dazu, dass die zur Verfügung
stehenden Daten von manchem Kunden, der einen Ver-
trag abschließen möchte, manipuliert werden. Das ist in
vielen Anhörungen deutlich geworden. Dass man in Zu-
kunft die Auskünfte über seine Daten einmal jährlich un-
entgeltlich einholen kann, halten wir auch für einen gu-
ten Fortschritt.

Schließlich sage ich: Dass wir in diesem Hause noch
einmal ausführlich über die Fälle von Datenmissbrauch
werden reden müssen, ist unbestritten. Sie wissen, dass
der entsprechende Gesetzentwurf kurz vor der Einbrin-
gung steht. Ich denke, dass wir ihn dann genauso diffe-
renziert beraten und behandeln können, wie wir es mit






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp
den Dingen, die jetzt in den Ausschuss kommen, tun
werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618406900

Die Kollegin Gisela Piltz spricht jetzt für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1618407000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schon erstaunlich, welche Fahrt das Thema Daten-
schutz in den letzten Wochen und Monaten aufgenom-
men hat. Traurig für dieses Hohe Haus ist aber, dass
diese Fahrt fast ausschließlich darauf zurückzuführen ist,
dass es Skandale gegeben hat: hier ein Diebstahl von
17 Millionen Daten und da von 30 Millionen Daten auf
dem Markt. Vorher, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, waren Sie davon, dass man beim
Datenschutz etwas mehr machen muss, nicht so richtig
begeistert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Philipp, ich habe sehr wohl zur Kenntnis genom-
men, dass Sie etwas verändern wollen. Das ist immerhin
ein Fortschritt. Aber ehrlich gesagt – ich habe versucht,
Ihnen aufmerksam zuzuhören –


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das machen Sie doch immer!)


habe ich nicht herausfinden können, welche Änderungen
nun vorgenommen werden sollen.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das habe ich doch gesagt!)


Insbesondere hätte mich eine Aussage zur Aufnahme des
Datenschutzes ins Grundgesetz interessiert. Auch dazu
habe ich nichts gehört.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Dann haben Sie aber nicht zugehört!)


Wir werden aber noch viel Zeit haben, uns darüber aus-
zutauschen.

Wir als FDP-Fraktion jedenfalls halten es für unab-
dingbar, dass der Datenschutz ins Grundgesetz aufge-
nommen wird. Ich persönlich finde es erstaunlich, wie
die Väter und Mütter des Grundgesetzes Formulierungen
für fast alle relevanten Bereiche gefunden haben. Das
Grundgesetz ist also auch heute noch modern.


(Ralf Göbel [CDU/CSU]: Also brauchen wir es nicht zu ändern!)


Allerdings muss man eines sagen: Sie konnten nicht wis-
sen, dass wir heute Handys in unseren Taschen tragen
und dass es Laptops gibt, in die wir sozusagen unser Ge-
dächtnis auslagern können. Auch über viele andere
Punkte konnte man noch nicht nachdenken.
Deswegen ist es aus unserer Sicht unumgänglich, die
Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die für den Da-
tenschutz wegweisend sind, im Grundgesetz Eingang
finden zu lassen. Das entspricht übrigens der konsequen-
ten und ordentlichen Umsetzung der Urteile und zeigt,
dass wir das Bundesverfassungsgericht und seine Ent-
scheidungen ernst nehmen. Das ist eine Frage des Um-
gangs und des Stils. Auch darüber sollten Sie einmal
nachdenken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Uns erwartet allerdings eine schwierige Aufgabe. Das
sieht man auch an dem Entwurf, der uns heute vorliegt.
Das rechtliche Schutzniveau, das das Bundesverfas-
sungsgericht mühsam aufgebaut hat, dürfen wir mit ei-
ner Grundgesetzänderung nicht einfach absenken. An-
sonsten würde es uns wie dem Faust ergehen, der stets
das Gute will und doch das Böse schafft.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Oh! Bildung!)


Beim vorliegenden Gesetzentwurf von Bündnis 90/
Die Grünen ist aus meiner Sicht hier und da Nachbesse-
rungsbedarf geboten. Bei allem Respekt, Frau Kollegin
Stokar, manchmal frage ich mich schon: Wo waren Sie
denn eigentlich in den sieben Jahren, in denen Rot-Grün
diese Republik regiert hat?


(Beifall bei der FDP – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das ist eine gute Frage!)


Irgendwann wird mich die Geschichte eines Besseren
belehren, und es wird sich zeigen, dass die Grünen gar
nicht dabei oder ein schwacher Koalitionspartner waren.
Vieles von dem, was Sie heute auf den Tisch des Hohen
Hauses legen, hätten Sie schon vorher umsetzen können.
Sie haben sich nicht durchsetzen können. Das zeigt, dass
Sie beim Datenschutz überhaupt keine Schnittmenge ge-
habt haben. Das muss man hier einfach öffentlich mal
sagen dürfen.


(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden es in Bayern besser machen können! Wir warten darauf!)


– Wir werden das besser machen. Man wird auch da-
rüber berichten; das kann ich Ihnen versichern.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir bei der Bildung schon gemerkt!)


Eine Änderung des Grundgesetzes ist aus unserer
Sicht kein Allheilmittel. Wir müssen – das ist schon an-
gesprochen worden – für eine bessere Ausstattung der
Datenschutzbehörden und auch der Staatsanwaltschaften
in diesem Bereich sorgen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Ansonsten bleibt jede Grundgesetzänderung eine Wort-
hülse. Das kann meine Fraktion nicht mittragen.

Zum Scoring haben wir heute ein eindrucksvolles Re-
ferat gehört. Ob Wahrsagerkugel oder modernes Orakel
von Delphi: Die Scoringverfahren sind in jedem Fall un-
durchsichtig. Das Anliegen mit Blick auf diese Scoring-






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
verfahren – das hat Frau Kollegin Philipp zu Recht ge-
sagt – ist nachvollziehbar, weil ein entsprechendes
Verfahren der Wirtschaft und auch den Unternehmen
und damit auch wieder den Bürgerinnen und Bürgern
hilft.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist jetzt die FDP für die Änderung des Grundgesetzes oder nicht?)


Allerdings ist es aus meiner Sicht fraglich, ob mit die-
sem Gesetz zum Scoring alles erreicht wird, was man
eigentlich möchte. Es finden sich viele unpräzise Rege-
lungen und neue Begriffe, die nicht mit Definitionen
hinterlegt sind. Das heißt, man erreicht nur Ratlosigkeit
bei den Betroffenen und Rastlosigkeit bei Anwälten, die
sich damit beschäftigen werden. Das kann aus unserer
Sicht nicht Sinn der Sache sein. Wir freuen uns darauf,
dass Sie unsere Vorschläge vielleicht doch noch berück-
sichtigen.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Sagen Sie mal ein Beispiel!)


Oberstes Ziel aus unserer Sicht muss es sein, dass die
Bürgerinnen und Bürger Herr ihrer Daten bleiben. Wir
unterstützen daher die Forderung des Bundesrates, die
Weitergabe von Daten für Werbezwecke unter Einwilli-
gungsvorbehalt zu stellen. Das ist dringend fällig. Da
werden wir einen Weg finden, der alle Interessen wahrt.


(Beifall bei der FDP)


Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das,
was die Grünen fordern, nämlich die Einführung einer
Informationspflicht für Datenschutzpannen. Das hört
sich nur im ersten Moment sehr klug an.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch klug!)


– Dass Sie daran glauben, ist mir klar.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Kalifornien funktioniert das!)


Ich sage Ihnen, warum. Nicht jeder Verstoß von Daten-
schutzvorschriften müsste aus unserer Sicht eine Infor-
mationspflicht nach sich ziehen, weil damit möglicher-
weise Sicherheitslücken offenbart werden, die dann ein
Dritter wieder ausnutzen kann. Daher sollte eine Be-
nachrichtigungspflicht aus unserer Sicht zumindest in
diesem Fall unterbleiben; denn sonst machen sie quasi
den Bock zum Gärtner. Ich denke, dass Sie darüber nicht
nachgedacht haben. Vielleicht tun Sie es auf unseren
Hinweis hin.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme zum Schluss. Wir, die FDP-Bundestags-
fraktion, kümmern uns nicht erst seit den Datenschutz-
skandalen um den Datenschutz. Das tun wir schon sehr
viel länger. Das haben wir schon zu der Zeit getan, als
Sie noch regiert haben; auch damals haben Sie unsere
Anträge übrigens immer abgelehnt.

Wir haben vor der Sommerpause einen umfangrei-
chen Antrag eingebracht. In dieser Woche haben wir ein
ausführliches Positionspapier verabschiedet. Wir freuen
uns über jeden, der beim Thema Datenschutz ernsthaft
mitarbeitet. Wir sind nämlich erst am Basislager ange-
kommen und noch lange nicht am Gipfel, wie viele an-
dere meinen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel Erfolg in Bayern! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt dafür oder dagegen, den Datenschutz im Grundgesetz zu verankern? – Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Herr Ströbele, wenn Sie mir die ganze Zeit nicht zugehört haben, ist das nicht mein Problem! Dann kann ich es auch nicht ändern!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618407100

Der Kollege Dr. Michael Bürsch hat jetzt für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1618407200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe kleine Schar der hier versammelten Daten-
schutzexpertinnen und Datenschutzexperten!


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das hören wir natürlich gern!)


Ich glaube, das Jahr 2008 markiert für den Datenschutz
einen entscheidenden Wendepunkt. Wir mögen lang und
breit beklagen, wie die Situation in den vergangenen
Jahren war – liebe Silke Stokar von Neuforn, auch wir
müssen selbstkritisch sagen, dass wir die Zeit der rot-
grünen Regierung vielleicht besser hätten nutzen kön-
nen;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An mir lag es nicht! – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Oh ja! Und zwar in jedem Bereich!)


ich könnte viele Punkte auflisten, die wir in der Vergan-
genheit hätten erledigen können, Frau Kollegin –, aber
Politik besteht auch darin, die Gunst der Stunde zu nut-
zen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Heute können wir feststellen: Der Datenschutz galt
lange Zeit, ob wir das mögen oder nicht, als Exotenfach,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Gedöns! – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Genau! Das war Gedöns!)


als Thema, mit dem sich lediglich einige Fachleute be-
schäftigen, und als etwas, das schön ist, wenn man es
hat. Einige haben sogar gesagt: Die Datenschützer sind
immer ein bisschen hysterisch. Ihrer Meinung nach lau-
ern überall Gefahren, auch dort, wo es vielleicht gar






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch
keine gibt. – Das war das Bild, das man vom Daten-
schutz hatte. Das galt auch für manche Kollegen in unse-
ren Fraktionen, die sich mit den Themen Wirtschaft oder
Inneres beschäftigten. Dass das früher so war, möchte
ich hier in aller Deutlichkeit sagen.

Dieses Bild hat sich aufgrund der Vorkommnisse im
Jahre 2008 geändert; das ist nun einmal die Wirkung von
Skandalen. Da ich ein konstruktiver Mensch bin, möchte
ich an den Anfang meiner Ausführungen nicht die Rück-
besinnung darauf, was man alles hätte machen können,
sondern die Fragen stellen: Wo stehen wir jetzt? Was
können wir von nun an, vielleicht mit einem größeren
Maß an Gemeinsamkeit, erreichen?

Hierbei dürfen Schuldzuweisungen und die Verwen-
dung des Konjunktivs – hätte, könnte, sollte – keine
Rolle spielen. Vielmehr muss es um die Frage gehen:
Was können wir von nun an leisten? Ich konstatiere mit
einiger Freude, dass der Innenminister dieser Republik
seine Einstellung zum Datenschutz geändert hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Oh! Sieh mal einer an! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er eigentlich?)


Obwohl auch in diesem Haus Fraktionen vertreten sind,
die dem Gedanken des Datenschutzes nicht so aufge-
schlossen gegenüberstanden wie andere, ist zu beobach-
ten, dass es inzwischen eine breitere Front für den Da-
tenschutz gibt.

Die Datenschutzskandale haben bewirkt, dass das
Jahr 2008 einen Wendepunkt markiert. Wir mussten er-
leben, was alles mit Daten gemacht werden kann, und
zwar in einem Umfang, den sich viele – auch manch ei-
ner, der sich schon längere Zeit mit dem Thema Daten-
schutz befasst – wohl nie im Leben hätten vorstellen
können. Wie groß das Ausmaß des Missbrauchs von Da-
ten tatsächlich ist, das lag zumindest jenseits meiner
Vorstellung. Insofern sage ich: Am heutigen Tage sollten
wir einen selbstkritischen Rückblick anstellen, aber auch
einen Ausblick auf die Chancen, die wir nutzen sollten,
wagen.

Die Ausgangslage – darüber sind wir uns, wie ich
glaube, alle einig – ist Folgende: Beim Erlass des Daten-
schutzgesetzes in den 70er-Jahren waren viele Aspekte
im Hinblick auf den Umgang mit Daten, die heute eine
Rolle spielen, überhaupt nicht vorstellbar.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Damals war nicht vorstellbar, welch große Bedeutung
das Internet und der Datenhandel einmal erlangen wer-
den. Das Datenschutzrecht bleibt nach wie vor weit hin-
ter den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten,
die es inzwischen gibt, zurück. Das ist die Ausgangs-
lage. Mein Gesamteindruck ist: Das Internet und die
technischen Möglichkeiten zum Umgang mit Daten bie-
ten sicherlich enorme Chancen. Allerdings gibt es in die-
sen Bereichen auch größere Risiken, als wir bis zum
Jahr 2008 geahnt haben. Unsere Wissenschaft und Wirt-
schaft haben sozusagen Geister gerufen, die wir jetzt
wieder in den Griff bekommen müssen. Im Grunde gibt
es an der Stelle sogar eine kleine Parallele zu dem, was
wir heute Morgen in Bezug auf die Finanzmärkte be-
schlossen haben.


(Gisela Piltz [FDP]: Genau! Deregulierung führt zu Anarchie!)


Wie sieht die Aufgabe des Gesetzgebers aus? Wie in
vielen anderen Materien – das sage ich auch an die
Adresse der Grünen – geht es nicht nur um die Wahrneh-
mung von Interessen einer Gruppe. Sicherlich steht beim
Datenschutz an oberster Stelle der Schutz der Bürgerin-
nen und Bürger. Aber es geht auch um die Interessen
beispielweise der Wirtschaft und des Staates.

Wir als Abgeordnete müssen hier die Abwägung vor-
nehmen. Wirtschaftliche Interessen – das entnehmen wir
den Briefen, die uns erreichen – spielen im gemeinnützi-
gen Sektor eine große Rolle. Der Handel mit Daten – das
wird uns doch in den Briefen der DLRG oder von anderen
gemeinnützigen Organisationen nahegebracht – spielt
für die Spenden und Spendenbereitschaft eine enorme
Rolle. Diese gemeinnützigen Organisationen befürchten
nämlich – wir müssen abwägen, inwieweit diese Be-
fürchtungen gerechtfertigt sind –, dass sie für ihre ge-
meinnützige Tätigkeit, die uns doch allen am Herzen
liegt, Millionen Euro weniger an Spenden erhalten. Die-
ser Aspekt ist eine sorgsame Abwägung wert, und diese
müssen wir dabei im Auge behalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was ist zu tun? Was ist der Ausgangspunkt dessen,
worüber wir heute reden? Ich glaube, wie häufig lohnt
sich für den Gesetzgeber ein Blick ins Gesetz. § 1 des
Bundesdatenschutzgesetzes bietet nämlich eine hervor-
ragende Grundlage, die wir uns ins Gedächtnis rufen
sollten. In § 1 Bundesdatenschutzgesetz heißt es:

Zweck dieses Gesetzes ist es, den Einzelnen davor
zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen
personenbezogenen Daten in seinem Persönlich-
keitsrecht beeinträchtigt wird.

Das ist eine wunderbare Formulierung, die im Grunde
das vorwegnimmt, was das Bundesverfassungsgericht
zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung und zu
anderen Bereichen ausgeführt hat. Dies ist eigentlich die
Richtlinie, an der wir uns orientieren können.

Ich empfehle, wir sollten stärker als bisher Daten-
schutz weder aus Sicht des Staates – der hat nämlich
lange Zeit vor allem Daten gesammelt – noch aus der
Sicht der Wirtschaft – dort wurden schließlich in jüngs-
ter Vergangenheit Missbräuche erkennbar – definieren.
Vielmehr sollten wir das Paradigma in die Richtung dre-
hen, die das Datenschutzgesetz gewollt hat. Wir sollten
also den Datenschutz im Sinne des Bürgers definieren
und uns daran orientieren.

Was heißt das konkret? Für den Umgang mit Daten,
für die Verwendung von Daten und für den Datenhandel
muss zwingend die vorherige Einwilligung des betroffe-
nen Bürgers bzw. der betroffenen Bürgerin vorliegen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das allein ist ein enormer Sprung in eine andere Welt
des Umgangs mit Daten, den wir uns nur alle wünschen
können. Das ist es, was ich auch von der Union, unserem
Koalitionspartner, vom Innenminister und von den Ver-
braucherschützern als Vorgabe gehört habe, und daran
orientiere ich mich.

Die Bürger müssen auch vor Datenhandel geschützt
werden, der an die Lieferung von bestimmten Dienstleis-
tungen gekoppelt ist. Auch bei der Prüfung der Kredit-
würdigkeit – auch dieses Thema wird heute aufgerufen –
muss der Bürger Einsicht haben können, welche Daten
im Rahmen seiner Bonitätsprüfung verwendet werden.
Das entspricht dem Grundsatz, dass wir uns an den Inte-
ressen der Bürgerinnen und Bürger orientieren.

Darüber hinaus muss Transparenz geschaffen werden,
woher die Daten, die zusammengetragen werden, kom-
men und wie mit ihnen umgegangen wird. Es muss auch
verstärkte Kontrollmöglichkeiten insbesondere für Da-
tenschützer geben, die zurzeit noch viel zu wenig Ein-
blick nehmen können. Da schließe ich mich denjenigen
an, die hier gefordert haben, dass dies eine bessere Per-
sonalausstattung erfordert. Da sind wir uns einig.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist sich da einig?)


Nur auf die Einsicht und die freiwillige Selbstver-
pflichtung zu setzen, hilft offenbar nicht. Von daher
müssen die Strafen – das ist leider die andere Seite der
Medaille – bei Verstößen gegen Datenschutzvorschriften
deutlich verschärft werden. Es ist die alte Diskussion
darüber – diese müssen wir hier auch führen, liebe Kol-
legen von den Grünen –, welche Bedeutung Regulierung
und freiwillige Selbstverpflichtung in diesem Bereich
hat.

Als Jurist sage ich: Es hat sich gezeigt, dass es Lü-
cken im Datenschutz gibt. Insofern bin ich im Prinzip für
mehr Regulierung, aber niemand soll glauben, dass al-
lein dies die Welt völlig verändert. Denn die Erfahrung
zeigt – das ist auch bei der Finanzmarktkrise der Fall
gewesen, und dies wird auch in Zukunft der Fall sein –:
Je größer das Maß an Regulierung ist, desto größer sind
auch die Fantasie und die Kreativität, sich diesen Vor-
schriften zu entziehen. Bataillone von Juristen und Bera-
tern werden beauftragt, zu prüfen, wie man solchen Re-
gulierungen entkommen kann.

Wir brauchen die Einsicht und Überzeugung der
Menschen, die mit Daten umgehen – auch in der Wirt-
schaft –, dass es bestimmte Vorgaben gibt, an die sich
alle halten müssen. Das muss irgendwo eingepflanzt
sein. Sie müssen das im Hinterkopf haben. Ein solches
Gen muss jeden umtreiben, der mit Daten umgeht. Nur
dann wird es zu einer gemeinsamen Überzeugung und
Praxis hinsichtlich der Verwendung von Daten und der
Form des Datenhandels kommen.

Es gibt auch eine interessante Überlegung seitens der
Juristen, die ich einmal mit zu bedenken gebe. Ist es tat-
sächlich noch zeitgemäß, den Umgang mit Daten und
den Handel damit, der einen enormen Umfang angenom-
men hat, im Bundesdatenschutzgesetz, also im öffentli-
chen Recht, zu regeln? Müssen wir das nicht vielleicht
im Zivilrecht regeln? Das Zivilrecht regelt solche Bezie-
hungen – auch vertragliche Beziehungen –, sodass man
sich überlegen kann – das ist übrigens eine interessante
Überlegung der Grünen –, das dort zu regeln.

Jetzt komme ich zum Grundgesetz. Ich bin der Mei-
nung – ich habe versucht, das darzustellen –, dass wir ei-
nen enormen Modernisierungsbedarf haben und dass es
viele Fragen gibt, denen wir uns stellen müssen. Dabei
geht es zum Beispiel um das Verhältnis des Internets zur
Demokratie. Wie verhält es sich mit der Partizipation?
Wie können möglichst alle an den Möglichkeiten teilha-
ben, die durch das Internet und die Datenvielfalt heute
geboten werden? Diese Fragen müssen wir beantworten.

Insofern bin ich durchaus der Meinung, dass das auch
einen Grundgesetzcharakter haben soll, aber ich bin
nicht der Meinung, dass das am Anfang stehen sollte.
Die Modernisierung umfasst mindestens fünf, sechs, sie-
ben Bausteine,


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Acht!)


an die wir uns jetzt begeben müssen. Wenn am Ende ei-
nes solchen Prozesses auch die Verankerung im Grund-
gesetz stünde, dann könnte ich mich damit befreunden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618407300

Jan Korte spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618407400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will mit dem letzten Punkt anfangen, nämlich dem
Grundgesetz, weil Silke und ich – sie hat sich nicht ge-
traut, das zu sagen – heute in der Zeitung Neues
Deutschland einen sehr guten Disput darüber geführt ha-
ben.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na! Ich habe kein Problem damit!)


Mich freut es natürlich, dass auch die Kollegin Philipp
die Zeitung Neues Deutschland liest. Das ist für den Er-
kenntnisgewinn auf jeden Fall sinnvoll. – Ich teile in der
Tat die Einschätzung des Kollegen Bürsch, dass dieser
Punkt am Ende stehen muss und dass es im Moment
wirklich bedeutend dringlichere Fragen im Bereich des
Datenschutzes zu beantworten gilt.

Zum Ersten zum Antrag der Grünen mit dem Titel
„Informationspflicht für Unternehmen bei Datenschutz-
pannen einführen“. Angesichts des Telekom-Skandals
– es sind 17 Millionen Kundendaten verschwunden – ist
er natürlich äußerst sinnvoll und dringlich. Deswegen
wird er von uns natürlich völlig unideologisch unter-






(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte
stützt; denn die Schlamperei bei der Telekom ist ja nun
wirklich nicht zu fassen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr!)


Deswegen ist dieser Antrag richtig.

Man muss sagen, dass er ja auch schon seit fast zwei
Jahren hier im Umlauf ist.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, nichts von unseren Anträgen ist neu! Seit 2006!)


Hätte man so etwas früher beschlossen, dann hätten wir
den Telekom-Skandal vielleicht vermeiden und den
Handelnden bedeutend entgegentreten können.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Bundesregierung hat einige richtige Vorschläge
gemacht, wie beispielsweise eine Ausweitung der Buß-
geldtatbestände. Auch die Auskunftsrechte wurden ein
Stück weit gestärkt. Das ist aber erst ein Achtel des We-
ges. Dort ist man dann wieder einmal stehen geblieben.

Eines geht natürlich nicht – das will ich schon deut-
lich sagen –, dass nämlich die Bundesregierung, die
Union und die SPD sagen – das ist ihre Taktik –, dass
das Problem des Datenschutzes offensichtlich nur ein
privatwirtschaftliches Problem bzw. ein Problem ist, das
jeder Bürger irgendwie für sich selber lösen kann. Das
ist nachweislich falsch; denn im Bereich des Datenschut-
zes ist bei dieser Bundesregierung der Staat das Haupt-
problem. Das muss ganz klar gesagt werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Hauptproblem ist Schäuble!)


Um das zu belegen, nenne ich nur ein paar Punkte:
Anti-Terror-Datei, eine völlig inakzeptable Ausstattung
des Bundesdatenschutzbeauftragten, mehrere Fluggast-
datenabkommen, Einführung biometrischer Merkmale
erst in Pässen, jetzt in Ausweisen, Übertragung von Ge-
heimdienstaufgaben an die Polizei usw. usf. Man
bräuchte 30 Minuten Redezeit, um das alles hier vorzu-
stellen.

Dies zeigt, dass die Taktik nicht funktioniert, das an
die Privatwirtschaft zu delegieren und gleichzeitig zu sa-
gen, dass man ein sehr guter Datenschützer ist. Hier
muss man beim Staat anfangen, den Datenschutz wieder
einzufordern.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Um konkret zu werden, sage ich, dass wir folgende
Dinge brauchen: Erstens. Wir brauchen eine massive
Aufstockung der Ressourcen des Bundesdatenschutzbe-
auftragten – das ist mehrfach richtig gesagt worden –
und übrigens auch ein Sonderprogramm – darüber müs-
sen wir in Verhandlungen mit den Ländern treten – für
die Landesdatenschutzbeauftragten. Auch das ist eine
ganz wichtige Sache.

Zweitens brauchen wir hier und heute ein sofortiges
Moratorium für alle Großprojekte, die den Datenschutz
tangieren, wie der elektronische Einkommensnachweis,
der biometrische Personalausweis und die elektronische
Gesundheitskarte. Das muss auf Eis gelegt und, was ihre
Kompatibilität mit dem Datenschutz und den Grund-
rechten angeht, von neuem diskutiert werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Drittens brauchen wir – auch das ist schon angespro-
chen worden – eine wirkliche Modernisierung des Da-
tenschutzgesetzes,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nun ist die Zeit!)


das aus Zeiten stammt, in denen man es noch in Stein ge-
meißelt hat. Das ist völlig daneben.

Ich bin seit drei Jahren Mitglied des Bundestages
– ich bin also noch ein Neuling –, und ich glaube, jedes
Jahr verabschieden wir eine gemeinsame Beschlussemp-
fehlung, an der sich sogar die Linken beteiligen dürfen,
in der wir eine Modernisierung des Datenschutzgesetzes
fordern. Was aber ist passiert? – Nichts. Das kann ich
nicht verstehen. Jetzt ist es an der Zeit – sehr richtig, lie-
ber Kollege Bürsch –, das endlich umzusetzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Viertens sind die Regelungen zum Scoring im Gesetz-
entwurf der Bundesregierung ungenügend. Notwendig
ist ein Verbot des Geo-Scorings. Denn es kann nicht
sein, dass die Kreditwürdigkeit und damit auch die Le-
bensgestaltung von der sozialen Herkunft und dem
Wohngebiet abhängig ist. Deswegen brauchen wir ein
sofortiges Verbot des Geo-Scorings. Damit würde man
im Übrigen viel für die soziale Gerechtigkeit tun.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da sind wir uns einig! Das wird so kommen!)


Fünftens. Die SPD ist gerade nach einer Schreckwo-
che engagiert dabei – das fanden auch die Linken und
ich sehr gut –, die Pläne zum Bundeswehreinsatz im In-
nern zu versenken. Das unterstützen wir.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber komplett versenken! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir haben nur einen Tag gebraucht!)


Vielleicht kann man aus dieser Schreckwoche noch da-
durch Nutzen ziehen, dass das BKA-Gesetz und die
Onlinedurchsuchungen gleich mitversenkt werden.
Denn sie bedeuten einen ganz erheblichen Eingriff in die
Grundrechte. Diese Chance könnten Sie jetzt nutzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundeswehr im Innern auch gleich!)







(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte
– Richtig. Das meinte ich ja: den Bundeswehreinsatz im
Innern sowieso.

Ich komme zu unserem sechsten konkreten Vor-
schlag, der sich auf die Vorgänge bei der Telekom und
die Beschlusslage zur Vorratsdatenspeicherung bezieht.
Angesichts dessen, was damit an zusätzlichen Daten Un-
ternehmen wie der Telekom auf Anweisung des Staates
in die Hand gegeben wird, brauchen wir eine sofortige
Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung und auch auf
europäischer Ebene komplett neue Verhandlungen. Das
Vorhaben muss umgehend gestoppt werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Siebtens. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, bei allen
weiteren Gesetzgebungsverfahren – das gilt übrigens ge-
rade für Fragen im sozialen Bereich, zum Beispiel beim
SGB II – den Datenschutz mit einzubauen. Die Frage
des Datenschutzes haben Sie im Zusammenhang mit
dem SGB II mit mehrfacher Fristverlängerung beant-
wortet. Dagegen konnten wir nicht viel sagen, weil es in
diesem Bereich kaum Datenschutz gibt. Insofern war das
eine richtige Antwort. Die Frage des Datenschutzes und
der Grundrechte muss in allen Bereichen der Politik mit-
bedacht und diskutiert werden.

Achtens und letztens wurde in den gemeinsamen Be-
schlussempfehlungen aller Fraktionen – ich bin, wie ge-
sagt, erst seit drei Jahren im Bundestag, aber das soll
auch in den letzten Legislaturperioden der Fall gewesen
sein – ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert.
Spätestens nach den Vorfällen bei Lidl, wo bis in die
Umkleiden hinein Videokameras angebracht worden wa-
ren, ist es an der Zeit, dass wir Beschäftigte vor der Aus-
spähung durch die Firmen schützen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Deswegen brauchen wir endlich einen Arbeitnehmerda-
tenschutz, wie er schon mehrfach gefordert worden ist.
Passiert ist aber nichts.

Wenn wir diese acht Punkte zusammen mit vielen an-
deren sinnvollen Vorschlägen umsetzen würden, dann
hätten wir etwas für den Datenschutz und die Grund-
rechte erreicht. Dann könnten wir so, wie wir es im
Neuen Deutschland diskutiert haben, Silke,


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf bist du stolz!)


auch hier alle zusammen diskutieren, wie wir es mit dem
Grundgesetz halten.


(Gisela Piltz [FDP]: Wir sind hier keine Werbeveranstaltung für die Zeitung!)


Ich glaube, dass die Debatte in der Tat am Ende eines
Prozesses stehen muss. Denn jetzt und heute geht es da-
rum, das bestehende Grundgesetz gegen Onlinedurchsu-
chungen, das BKA-Gesetz und den Bundeswehreinsatz
im Innern zu verteidigen. Das steht heute auf der Tages-
ordnung. Wenn wir das geschafft haben, dann können
wir auch über diesen Vorschlag diskutieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618407500

Der Kollege Jörg Tauss hat jetzt das Wort für die

SPD-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1618407600

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nenne die Zei-

tungen, die mich heute zitiert haben, nicht. Ich möchte
allerdings anmerken, dass wir beim Bundeswehreinsatz
im Innern – ich bin in der Tat ebenso wie alle anderen,
die sich kritisch äußern, der Auffassung, dass das etwas
missglückt ist – um einen Punkt nicht herumkommen:
Wenn beispielsweise Piraten ein deutsches Schiff an der
Küste Somalias entführen und eine Bundeswehrfregatte
in der Nähe liegt, die aber untätig bleiben muss, dann
müssen Sie das den Menschen erklären. Dafür brauchen
wir Problemlösungen. Ich glaube, das sollten wir an die-
ser Stelle noch einmal deutlich machen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch mit dem Innern nichts zu tun! – Jan Korte [DIE LINKE]: Jetzt schon wieder Kurswechsel, oder was?)


– Sie haben recht. Das machen wir doch alles. Sie haben
nachgelesen, was gesagt worden ist. Das ist aber heute
nicht unser Thema.

Frau Kollegin Stokar und Herr Ströbele, ich freue
mich, wenn demonstriert wird. Auch eine öffentliche
Demonstration zum Thema Datenschutz finde ich gut;
denn das zeigt, dass der Datenschutz wieder ein Thema
bei den Menschen ist. Das war jahrelang nicht der Fall.
Mich hat aber Folgendes ein bisschen verärgert – das ist
auch meine einzige Kritik an den Veranstaltern –: Ich
habe dort sehr viele DKP-Fahnen gesehen. Man kann zu
Herrn Schily und Herrn Schäuble stehen, wie man will
– ich habe mich oft genug kritisch geäußert; selbst mein
Parteifreund Schily hat mich über längere Zeiträume
nicht immer gegrüßt; an Herrn Schäuble habe ich hier
schon Kritik geübt –, aber ich halte es für bizarr, dass es
sich auf solchen Veranstaltungen vorwiegend um alte
Stalinisten handelt, die gegen staatliche Überwachung
demonstrieren, ohne dass man diese zurückweist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es täte der Glaubwürdigkeit der Szene sehr gut, wenn sie
sich davon distanzierte.

Datenschutzskandale, Datenschutzpannen und Fälle
von Datenklau wurden bereits angesprochen. Ich glaube,
dass wir im Moment eine gute politische Ausgangslage
und Chance haben, beim Datenschutz voranzukommen.
Ich sage als Bildungspolitiker: Das verhält sich wie da-
mals bei PISA. Der PISA-Schock hat uns in der Bildung
vorangebracht, hoffentlich nächste Woche auch auf dem
Bildungsgipfel. Ich hoffe sehr, dass dies auch für den






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Datenschutz gilt und dass wir hier Schritt für Schritt vor-
ankommen.

Ich will das Scoring, das heute das eigentliche Thema
ist, ansprechen. Hier gibt es in der Tat seit längerer Zeit
Handlungsbedarf. Die Wirtschaft und insbesondere der
Bankensektor haben sich lange gegen eine gesetzliche
Regelung gesperrt. Es gibt noch immer einige, die sagen,
wie schrecklich die Abschaffung des Scoring sei. Ich
kann diese trösten: Es wird auch künftig Scoring-Verfah-
ren geben; die Kollegin Philipp hat diese Verfahren be-
reits beschrieben. Anders lässt es sich in einer modernen
Wirtschaft gar nicht machen. Aber gerade an die Adresse
der Banken sage ich: Wenn sie nur annähernd die gleiche
Perfektion, wie beim Checken der Risiken einer Oma,
die ein paar Euro zur Finanzierung eines Kühlschranks
haben will, auch bei dem an den Tag gelegt hätten, was
sie sich jetzt geleistet haben, dann hätten wir über be-
stimmte Dinge weder heute noch in den vorangegange-
nen Wochen reden müssen. Man muss die Verhältnisse
wieder zurechtrücken. Das muss man den Herrschaften
immer wieder sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Geschrei, das man nun an dieser Stelle wieder hört,
ist nicht nachvollziehbar.

Kollege Zöllmer wird noch einige wichtige Punkte
zum Verbraucherschutz ansprechen. Frau Kollegin Phi-
lipp, ich verstehe Ihre große Begeisterung für den Ge-
setzentwurf. Als Parlamentarier sage ich Ihnen: Für die
SPD gilt immer das Struck’sche Gesetz, auch an dieser
Stelle. Wir halten die Vorlage des BMI in einigen Punk-
ten für einigermaßen gut, beispielsweise die Verpflich-
tung, die Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte of-
fenzulegen. Wir wollen den Betroffenen eine Liste an
die Hand geben, aus der sie ersehen können, was für sie
relevant ist, beispielsweise warum ein Kredit abgelehnt
wurde.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das kriegen sie erläutert!)


Nach meiner Meinung muss dem Betroffenen auch der
durchschnittliche Score-Wert genannt werden. Er muss
die Chance haben, mit einem Bankenberater darüber zu
reden.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das steht drin!)


Das darf nicht anonym entschieden werden. Frau Kolle-
gin Philipp, es geht nämlich nicht nur darum, beispiels-
weise den ehrlichen Verbraucher davor zu schützen, dass
andere unehrliche Verbraucher auf seine Kosten reisen.
Vielmehr darf man nicht vergessen, dass man in der
Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, einen Men-
schen durch eine Kreditentscheidung entweder aus dem
bürgerlichen Leben herausdrängen oder in ihm belassen
kann. Aus diesem Grunde muss man sich mit diesem
Thema mit großer Ernsthaftigkeit befassen. Für mich ist
vor allem der Schutz des Verbrauchers vor Großbehör-
den und Großbanken wichtig, mit denen es beispiels-
weise der Handwerker, der einen Kredit benötigt, zu tun
hat.
Die anderen Punkte zum Datenschutz wurden bereits
angesprochen. Wir werden in nächster Zeit wichtige
Schritte gehen müssen. Die Stärkung der Position des
Datenschutzbeauftragten ist prima. Ich will nur auf eines
aufmerksam machen: Egal wie viele Datenschutzbeauf-
tragte es gibt, 50 oder 124 und noch eine Teilzeitstelle,
das Grundsatzproblem, Opfer von Datenklau zu werden,
verändert sich nicht. Beispiel Telekom: Ich muss den
Konzern in Schutz nehmen. Er wurde Opfer von Daten-
klau und hat das angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat
nur gesagt: Wir machen eine kleine Hausdurchsuchung,
aber eigentlich ist nichts passiert; das interessiert uns
nicht. – Es gibt zunehmend mehr Justizfälle, in denen
Datenklau als Kavaliersdelikt betrachtet wird und die
Opfer im Stich gelassen werden. An dieser Stelle muss
etwas passieren. Wir können Strafen verschärfen, wie
wir wollen; wenn aber hinterher die Akten in den Amts-
stuben der Staatsanwaltschaft und der Richter liegen
bleiben und die Taten als Kavaliersdelikt gewertet wer-
den, dann hat das keinen Wert.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618407700

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1618407800

Was soll ich?


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618407900

Zum Ende kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1618408000

Ich soll zum Ende kommen? Ich war gerade so schön

in Fahrt. – Also, liebe Frau Präsidentin, das Daten-
schutzrecht muss einer Reform unterzogen werden. Wir
werden das in nächster Zeit tun. Jetzt kommt das
Scoring, in nächster Zeit kommen die anderen Punkte.
Frau Stokar, seien Sie einfach fröhlich und optimistisch.
Das, was wir miteinander schon aufgeschrieben haben,
wird unverändert Gültigkeit haben. Das Datenschutzgut-
achten aus 2001 liegt vor. Auch die Grünen haben da-
mals gesagt, sie hätten so viele andere Punkte am Hals.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ich will das aber jetzt nicht weiter ausführen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allein mir fehlt der Glaube!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618408100

Der Kollege Ernst Burgbacher spricht jetzt für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1618408200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mich macht eines nachdenklich: Wir gewöhnen uns mit
der Zeit an manche Dinge. Erst führen wir große Diskus-






(A) (C)



(B) (D)


Ernst Burgbacher
sionen, irgendwann wird es so gemacht, und dann redet
niemand mehr über die Sache. Denken Sie daran, welche
Diskussionen wir über die Flugpassagierdaten geführt
haben. Diese werden nach wie vor erhoben, sie werden
gespeichert und ausgewertet, aber man redet nur noch
am Rande darüber. Das ist das eigentlich Gefährliche.
Das ist übrigens das Gefährliche in vielen Bereichen des
Datenschutzes. Es taucht eine Frage auf, sie wird inten-
siv diskutiert, aber man macht in der Praxis weiter, zum
Teil ohne gesetzliche Grundlagen, und kaum einer redet
noch darüber. Deshalb haben wir unseren Antrag hier
zur Schlussabstimmung eingebracht, und deshalb will
ich darauf eingehen.

Es ist nach wie vor so, dass dann, wenn Menschen in
die USA oder über die USA hinweg fliegen – in Europa
ist es wahrscheinlich teilweise auch so –, jede Menge
Daten gesammelt werden. In 19 Datenkategorien sind es
insgesamt 35 Daten, vom Namen und Geburtsdatum
über spezielle Essens- und Sitzplatzwünsche bis hin zu
der Tatsache, dass jemand vielleicht einen Flug nicht an-
getreten hat. All diese Daten werden gesammelt, weiter-
geleitet und gespeichert, und zwar nicht nur für einige
Monate, sondern zunächst einmal für fünf Jahre und
dann noch einmal für acht Jahre, also für insgesamt
13 Jahre. Damit werden Rechte des Einzelnen bedroht.
Das darf nicht sein. Das Rahmenabkommen ist immer
noch nicht beschlossen. Das Parlament kann es nicht
hinnehmen, dass so etwas über Jahre geschieht, ohne
dass es dafür eine rechtliche Grundlage gibt.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte schon deutlich sagen, wenn hier vonseiten
der Grünen und auch der SPD mehr Datenschutz ange-
mahnt wird: Es gibt ein altes Sprichwort, das heißt:
Denk nicht daran, so tut es nicht weh! – Aber Sie sollten
sich daran erinnern. Sie haben die Regierung sieben
Jahre miteinander geführt.


(Jörg Tauss [SPD]: Komm! Die Länder, der Bundesrat!)


Unter keiner Regierung wurde der Datenschutz so ver-
schlechtert wie zu Ihrer Zeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da können Sie sich nicht hier herstellen und große Re-
den halten. Sie haben überhaupt nichts verhindert.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat es denn im Bundesrat gemacht?)


Sie waren doch die, die die Durchsetzung der Daten-
schutzrechte haben schleifen lassen. Seit Ihrer Regie-
rungszeit werden diese Daten erhoben. Sie müssen dazu
stehen. Sie können doch nicht so tun, als seien Sie nicht
dabei gewesen.


(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! – Jörg Tauss [SPD]: Bei der Blasmusik neulich waren Sie besser!)

Ich will gern noch auf einen Punkt hinweisen, der oft
vergessen wird. Es gibt einen Missbrauch dieser Daten,
über den man kaum redet: Das ist der wirtschaftliche
Missbrauch. Wir haben im Internet eine amerikanische
Firma entdeckt, die mit dem Spruch wirbt: Identifizieren
Sie Ihre Mitbewerber! – Was macht die Firma? Sie be-
reitet genau die Daten auf, die von Flugpassagieren und
beispielsweise von Exporteuren angegeben werden müs-
sen und die nach dem amerikanischen Freedom of Infor-
mation Act frei zugänglich sind. Diese werden ausge-
wertet, sie werden dann für teures Geld verkauft und
spielen im Wettbewerb natürlich eine große Rolle, in der
Regel zuungunsten deutscher Anbieter. Das ist eine Sa-
che, die unsere Persönlichkeitsrechte massiv betrifft, das
ist eine Sache, die die Grundrechte massiv betrifft, und
das ist etwas, was den wirtschaftlichen Wettbewerb be-
einflusst. Deshalb: Vorsicht! Finger weg von solchen
Daten! Gewöhnen wir uns nicht daran, sondern lassen
Sie uns endlich fordern, dass die Datenerhebung auf eine
rechtlich saubere Grundlage gestellt wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618408300

Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Winkelmeier.


Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618408400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

„Freiheit statt Angst“ lautete das Motto der Demonstra-
tion am Samstag. Rund 70 000 Menschen sind dafür auf
die Straße gegangen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: 20 000! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren 30 000!)


– 70 000 sind auf die Straße gegangen. – Die hohe Betei-
ligung lag nicht am Sonnenschein, sondern war der
Sorge um die persönlichen Daten geschuldet. Es sind so-
zusagen Unwetterwarnungen, die die unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen in Aufruhr bringen. Die massiven
Datenpannen bei der Telekom tragen nicht gerade zur
Stärkung des Vertrauens in die Datensicherheit bei.

Es gab immer wieder Bundesverfassungsgerichts-
urteile, zum Beispiel das Urteil zum Kfz-Scanning, die
dem Gesetzgeber eindeutig Grenzen beim Erfassen von
Daten aufzeigten. Zudem schließen sich inzwischen
mehr und mehr Berufsgruppen, zum Beispiel Ärzte und
Rechtsanwälte, dem Protest gegen die Datensammelwut
und den Datenmissbrauch an – und das ist auch gut so.
Dies zeigt: Die Menschen in diesem Land wollen ihre
Privatsphäre schützen und erwarten das auch von uns.

Es mag sein, dass der Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung an der einen oder anderen Stelle auch begrü-
ßenswerte Maßnahmen verankern will; aber die Bundes-
regierung ist nicht bereit, Hand anzulegen an den
Grundfesten ihrer vermeintlichen Sicherheitsstruktur.
Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz und EU-Flug-
gastdaten – um nur einiges zu nennen – konterkarieren
jegliche Bemühungen um eine Verbesserung des Daten-






(A) (C)



(B) (D)


Gert Winkelmeier
schutzes. Der Gesetzentwurf, der heute vorliegt, ist al-
lenfalls Kosmetik.

17 Millionen Telekomdatensätze waren Ende vergan-
gener Woche im WWW plötzlich jedermann und jeder
Frau zugänglich, 17 Millionen Telefonnummern ein-
schließlich Kontonummern. Die Zerknirschung bei den
Vorständen der Telekom mag zwar echt gewesen sein;
aber es ist umso erschreckender, wie der zuständige
Minister die gesamte Situation verharmlost: Er ver-
gleicht die Millionen Verbindungsdaten mit einem Tele-
fonbuch; gleichzeitig bezichtigt er die Kritiker eines zu
laschen Datenschutzes der „Maschinenstürmerei“. Das
ist schlicht eine bodenlose Frechheit.

Wir brauchen ein modernes, auf das 21. Jahrhundert
ausgerichtetes Datenschutzgesetz. Da geht der Gesetz-
entwurf der Bundesregierung längst nicht weit genug. Er
erfüllt auch ein weiteres wichtiges Kriterium noch nicht
einmal annähernd, nämlich das der Allgemeinverständ-
lichkeit. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen ein Ge-
setz, das ihre Privatsphäre schützt. Sie wollen es aber
auch lesen können, ohne einen Juristen zurate zu ziehen.
Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt zudem, wie wenig
ernst die Regierung den Datenschutz bisher genommen
hat. Selbstverständlich ist ein Gesetz noch keine Garan-
tie gegen Missbrauch von gespeicherten Daten. Was bei
der Telekom passiert ist, kann bei allen anderen Tele-
kommunikationsanbietern auch passieren.

Das sicherste Mittel gegen Datenmissbrauch ist
schlicht, sie nicht zu sammeln. Die staatliche und halb-
staatliche Datensammelwut ist in den vergangenen Jah-
ren ins schier Unermessliche gewachsen. Korrigieren
Sie diese Fehlentwicklung und stoppen Sie umgehend
die Vorratsdatenspeicherung!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618408500

Jetzt spricht der Kollege Manfred Zöllmer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1618408600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Datenschutz ist ein Bürgerrecht und damit auch
ein ganz wichtiger Teil moderner Verbraucherpolitik.
Bei vielen Geschäften des täglichen Lebens werden Da-
ten gesammelt und weitergegeben. Dies gilt besonders,
wenn man im Internet einkauft. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher müssen auf einen ordnungsgemäßen
und sorgfältigen Umgang mit den Daten in den Unter-
nehmen vertrauen können.

Die Realität zeigt aber – wir haben genügend Bei-
spiele gehört –, dass dieses Vertrauen nicht immer ge-
rechtfertigt ist. Ich will mich jetzt ganz besonders dem
Bereich der Kreditaufnahme widmen. Wenn Sie einen
Kredit aufnehmen wollen, dann erfolgt eine Prüfung
Ihrer Zahlungsfähigkeit durch ein automatisch ablaufen-
des, mathematisch-statistisches Verfahren, durch
Scoring, in dem Daten miteinander in Relation gesetzt
werden mit dem Ziel, eine Prognose über die Wahr-
scheinlichkeit der Rückzahlung dieses Kredits zu erstel-
len.

Diese Bonitätsprüfungen sind für kreditorische Ge-
schäfte oder Verträge, in denen ein Anbieter in beson-
dere Vorleistung tritt, berechtigt; denn selbstverständlich
muss es einem Anbieter erlaubt sein, das Risiko eines
Zahlungsausfalls zu minimieren. Dazu dient Scoring.
Außerdem kann es vor Überschuldung von Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern schützen.

Aber auch für diese Verfahren gilt – das ist ganz be-
sonders wichtig –: Die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher müssen wissen, wer was wann und bei welcher Ge-
legenheit über sie weiß und warum eine bestimmte
Entscheidung getroffen wird.


(Beifall bei der SPD)


Das ist auch ökonomisch wichtig, weil es bei der Kredit-
vergabe nach Basel II nicht mehr den Einheitszinssatz
für Konsumentenkredite gibt. Die Zinshöhe bei Krediten
orientiert sich an der Bonität und damit am Scorewert.
Hier geht es um viel Geld für die Verbraucherinnen und
Verbraucher. Aus diesem Grund ist Transparenz beson-
ders wichtig.

Wir müssen deshalb über einige Punkte in dem vorlie-
genden Gesetzentwurf, den wir insgesamt begrüßen,
weil er mehr Transparenz bringt, sprechen. Der Gesetz-
entwurf lässt Scoring für alle Vertragsverhältnisse zu.
Dies ist aus unserer Sicht problematisch,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


da damit diese Art der Bonitätsprüfung zu einem Stan-
dard bei Dauerschuldverhältnissen wird. Gerade in der
Wohnungswirtschaft, bei Versicherungen oder bei Ener-
gielieferungen sind negative Auswirkungen möglich,
wenn bei bestimmten Bevölkerungsgruppen die schwie-
rige soziale Situation dazu führt, dass sie immer wieder
schlechter gestellt werden als andere.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] und der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden deshalb sehr sorgfältig prüfen, für welche
Bereiche Scoring angewandt werden darf und wo es an-
dere Verfahren geben muss.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Aus den gleichen Gründen lehnen wir ab, dass Geo-
Referenzdaten verwendet werden,


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass also allein der Wohnort entscheiden soll, ob eine
Person kreditwürdig ist oder nicht. Wir wollen nicht,
dass Menschen in Sippenhaft genommen werden kön-
nen, nur weil sie zufällig in einem bestimmten Stadtteil






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Zöllmer
wohnen. Frau Kollegin Philipp, Staatssekretärin Heinen,
die Ihrer Partei angehört


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Und aus Köln ist!)


– selbstverständlich, aus Köln –,


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Nicht selbstverständlich, aber eben aus Köln!)


hat dies in dankenswerter Weise öffentlich so formuliert.
Ich hoffe, dass wir uns in den Gesprächen auf diese Posi-
tion verständigen können.

Das Wichtigste in diesem Bereich ist Transparenz.
Die Banken haben sich bisher nicht darum gekümmert.
Für die waren andere Geschäfte wichtig. Deshalb müs-
sen wir ein Verfahren dafür finden, dass für den – in An-
führungszeichen – Normalverbraucher die Entscheidun-
gen bei einer Kreditvergabe nachvollziehbar und
verständlich sind:


(Beifall bei der SPD)


Warum ist mein Kreditwunsch abgelehnt worden? Wa-
rum muss ich diesen hohen Zinssatz bezahlen? Warum
bekomme ich nicht den aus der Werbung?

Denkbar wäre zum Beispiel, eine vom Kreditsachbe-
arbeiter unabhängige Stelle beim Anbieter einzurichten,
die den Kunden auf Wunsch die Entscheidung allge-
meinverständlich erläutert und Hinweise dazu gibt, wie
ein Scorewert im konkreten Fall verbessert werden kann.
Dabei müssen alle entscheidungsrelevanten Faktoren
deutlich werden. Die Auskunft – das ist noch ein ganz
wichtiger Punkt – darf aber nicht kostenpflichtig sein.

Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Wir
werden über die erwähnten Details noch sprechen müs-
sen, und wir werden insgesamt darüber diskutieren müs-
sen, wie wir den Datenschutz in der Wirtschaft an die
Anforderungen der digitalen und globalisierten Welt an-
passen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618408700

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/9607, 16/10529, 16/10581, 16/31
und 16/10216 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Informationspflicht für Unter-
nehmen bei Datenschutzpannen einführen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6764, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1887 abzu-
lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP
gegen die Stimmen der Antragsteller und der Fraktion
Die Linke angenommen.

Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf
Drucksache 16/9112. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8115
mit dem Titel „Vorschlag für einen Rahmenbeschluss
des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen
zu Strafverfolgungszwecken“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von FDP und
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/8199 mit dem Titel „Keine Speicherung
von EU-Fluggastdaten“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei
Zustimmung durch die Koalitions- und Ablehnung durch
die Oppositionsfraktionen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Chris-
toph Waitz, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesminis-
terien, Bundesbehörden und im Bundestag
enttarnen – Aufarbeitung des Stasi-Unrechts
stärken

– Drucksache 16/9803 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dagegen sehe ich keinen Widerspruch.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin enttarnt! Ich gehe!)


Ich erteile jetzt als Erstem in der Debatte dem Kolle-
gen Christoph Waitz von der FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Christoph Waitz (FDP):
Rede ID: ID1618408800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Im nächsten Jahr jährt sich der Fall
der Mauer zum 20. Mal. Seit 19 Jahren arbeiten wir an
der Aufarbeitung von SED- und Stasi-Unrecht. Noch
immer liegt vieles im Dunkeln. Viele Akten sind noch
zerstört, und immer weniger Mitarbeiter der Birthler-Be-
hörde sind mit der tatsächlichen Erschließung der Akten
betraut.

Es gibt Stimmen, die meinen, man solle es jetzt nach
20 Jahren gut sein lassen. Die Aufarbeitung solle nicht
mehr fortgesetzt werden. Man könne jetzt Gras über die-






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Waitz
ses Kapitel deutscher Geschichte wachsen lassen, weil
es wichtigere aktuelle Fragen zu lösen gelte.

Die Stasi steht wie keine andere staatliche Einrich-
tung der ehemaligen DDR für eine menschenverach-
tende Behandlung von Bürgerinnen und Bürgern in der
DDR. Jeder, der auch nur im Ansatz anders dachte als
die Herrschenden, war verdächtig. Unerbittlich und un-
barmherzig verfolgte die Stasi als „Schwert und Schild
der Partei“ tatsächliche und vermeintliche Gegner des
Regimes. Hier kann es keinen Schlussstrich geben. Es
geht um die Aufarbeitung einer Diktatur und der Schick-
sale ihrer Opfer. Wir Liberale werden einen Schluss-
strich in dieser Sache nicht zulassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)


– Das freut mich zu hören.

Aufarbeitung bedeutet für uns Liberale aber nicht nur,
den Blick auf die Geschichte der DDR zu richten. Die
Stasi war auch im Westen aktiv. Über 3 000 inoffizielle
Mitarbeiter haben auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland und West-Berlins gewirkt. Diese IM waren
in Behörden, Ministerien und Unternehmen aktiv. Sie sa-
ßen bei ARD, ZDF und im Deutschlandfunk. Sie fehlten
auch nicht im Deutschen Bundestag.

Ich will heute die Frage nach den Stasi-Spitzeln in
den Bundesministerien und Bundesbehörden ausklam-
mern. In unserem Antrag haben wir mit IM Helene und
IM Konrad zwei von vermutlich vielen Fällen exempla-
risch benannt. Ich will heute auch nicht darüber reden,
warum sich die Bundesregierung bislang weigert, die In-
filtration in ihren eigenen Reihen durch die Stasi aufzu-
arbeiten. Zwei Anfragen zu diesem Thema hat die Bun-
desregierung mit dem Hinweis beantwortet, diese
Aufarbeitung sei praktisch nicht leistbar. Damit, meine
sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition,
können und werden wir uns nicht abfinden.


(Beifall bei der FDP)


Der Grundsatz: „Kehr auch vor deiner eigenen Tür“,
gilt auch für den Deutschen Bundestag. Es darf nicht der
Eindruck entstehen, dass der Deutsche Bundestag mit
zweierlei Maß misst, dass der Westen anderen Regeln
unterworfen ist als der Osten. Wir müssen uns als Deut-
scher Bundestag der Vergangenheit in eigener Verant-
wortung stellen. Dazu gehört, dass wir lückenlos unter-
suchen, wie die Stasi auf die Mitglieder dieses Hohen
Hauses Einfluss genommen hat und welcher Schaden
dabei entstand. Das schulden wir nicht nur uns selbst,
sondern auch den folgenden Generationen. Eine Unter-
suchung im Rahmen eines Forschungsauftrags über die
Abgeordneten aller Legislaturperioden von 1949 bis
1990 an die Birthler-Behörde könnte Schluss machen
mit mancher Vermutung und auch so mancher falschen
Verdächtigung.

Heute lässt sich mithilfe der Rosenholz-Dateien und
der SIRA-Datenbank sehr genau rekonstruieren, wer
welche Quellen mit welchem Inhalt weitergegeben hat.
Wir haben heute die Möglichkeit, sehr genau zwischen
denjenigen zu unterscheiden, die nur abgeschöpft wor-
den sind, und denjenigen, die willentlich und wissentlich
mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Wir sind heute
wesentlich weiter als noch vor zehn Jahren.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Die Untersuchung der Bundestagsabgeordneten der
6. Legislaturperiode von 1969 bis 1972 lässt erahnen,
mit welchen Dimensionen wir es zu tun haben. Über
49 Parlamentarier lagen Informationen bei der Staatssi-
cherheit vor. 43 Abgeordnete waren als inoffizielle Mit-
arbeiter registriert.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte! Fünf sind übrig geblieben von denen! Sie haben es nicht kapiert!)


– Herr Wieland, Sie kommen doch auch gleich dran. –
Selbst wenn nicht alle tatsächlich mit dem Ministerium
für Staatssicherheit zusammengearbeitet haben und
selbst wenn einige von ihnen Opfer von Abschöpfungen
waren, die Mühen der Aufklärung können nicht Grund
dafür sein, dass wir uns der Aufgabe nicht stellen.

Viele Abgeordnete des Bundestages waren an weite-
ren Recherchen der Birthler-Behörde brennend interes-
siert. Mit dem Argument der Schutzpflicht des Parla-
ments gegenüber seinen Mitgliedern wurde dieses
Vorhaben der weiteren Aufklärung vorläufig zu den Ak-
ten gelegt.

Bei allen Bedenken: Niemand im Land versteht, wa-
rum der Deutsche Bundestag nicht handelt. Schließt sich
der Deutsche Bundestag weiter von der Aufklärung sei-
ner Geschichte aus, entsteht mehr als nur ein Glaubwür-
digkeitsproblem. Wir berühren hier die Wurzeln des Ge-
rechtigkeitsgefühls unserer Bürgerinnen und Bürger.

Ich freue mich auf die Beratung unseres Antrages und
die Diskussion mit Ihnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618408900

Das Wort hat nun Kollegin Maria Michalk, CDU/

CSU-Fraktion.


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1618409000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Überschrift des Antrages der FDP,
über den wir hier diskutieren, „Aufarbeitung des Stasi-
Unrechts stärken“, kann nun wahrlich niemand für
falsch erklären. Dem stimmen wir zu. Herr Waitz, Sie
wissen, dass gerade unsere Fraktion sich all die Jahre da-
rum bemüht hat, dieses Thema im öffentlichen Bewusst-
sein zu halten und Schritt für Schritt auf diesem Weg
weiterzugehen. Ich denke, das ist im Rahmen der Bera-
tungen zur Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts
sehr deutlich geworden.

Uns ist aber besonders wichtig, die Öffentlichkeit da-
durch immer wieder anzuregen, sich mit dem Thema
auseinanderzusetzen. Dass das sinnvoll ist, haben uns






(A) (C)



(B) (D)


Maria Michalk
die jüngsten Erkenntnisse über das Wissen unserer Ju-
gend über dieses Thema vor Augen geführt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein Parlamentarier unter uns, dessen Namen ich nicht
nennen möchte, hat uns in der letzten Debatte zu diesem
Thema bestätigt, dass er seine Informationen direkt an
Mitglieder des ZK der SED weitergegeben hat. Das
macht deutlich, dass wir diese Frage im Kontext der
Aufklärung der Rolle der SED weiter aufarbeiten müs-
sen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man ihm das glaubt!)


Ich will damit darauf hinweisen, dass sich die Aufar-
beitung nicht nur auf den öffentlichen Dienst bezieht.
Auch Amts- und Mandatsträger erkämpfen sich trotz ih-
rer nachgewiesenen Stasitätigkeit immer wieder vor Ge-
richten das Recht, ihr Mandat weiter auszuüben, wie
jüngste Beispiele im Bereich der Bürgermeister gezeigt
haben. Das ist zu beklagen.

Ein Beispiel: In Bautzen haben letztes Jahr junge
Leute in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Sorbischen
Volkstheater – übrigens das einzige binationale Theater
in Deutschland – ein interessantes Stück inszeniert. Es
heißt: Die Welle.

In dem Stück stellen Schüler heute ihrer Lehrerin die
verständnislose Frage, wie sich die Menschen in Dikta-
turen haben zwängen lassen. Die Lehrerin demonstriert
ihnen in einem Projekt, wie auch sie sich ganz leicht für
solche Ideen einfangen ließen. Nur ein einziges Mäd-
chen widersprach dem Zwang der Gruppe.

Wir alle – besonders junge Leute – müssen wissen,
welche Mechanismen totalitäre Systeme benutzen, wie
man sich in den Netzen solcher Demagogen verfangen
kann, wie man sich dagegen wehrt und wie man unsere
Demokratie stärken kann und muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nur dann können wir eine Zukunft ohne Diktaturen
gestalten. Zukunft hat Herkunft. Deshalb ist die Aufar-
beitung notwendig. Herr Waitz, darin sind wir uns einig.

Gerade in diesen Tagen erinnern wir uns immer wie-
der an die Ereignisse im Herbst 1989, eine Zeit, die uns
prägte, die uns, unser Land und Europa veränderte. Mit
unwahrscheinlich viel Mut demonstrierten Menschen
mitten im System der noch vorhandenen Diktatur für
Freiheit und Demokratie. Mut ist eine Leiter, an der alle
anderen Tugenden hinaufklettern. Das kann man treff-
lich am Prozess der deutschen Einheit nachvollziehen.

Das Ausmaß der Hinterlassenschaften der ehemaligen
DDR war für uns – ich denke, auch für Sie – letztendlich
eine unbekannte Größe. Jeder kannte nur die Details aus
seinem unmittelbaren Lebensumfeld. Der Frust über die
Tatsache, dass viele um die Früchte ihrer Hände Arbeit
betrogen wurden, verschärfte den Zorn auf die SED
nachträglich.

Das Überwachungssystem war verästelt und intensiv
und nur möglich, weil sich leider viele in diesen Dienst
gestellt haben, freiwillig oder auch durch Zwang. Ver-
trauen konnte man eigentlich nur in seinen vier Wänden
haben, wie wir wissen, leider in vielen Fällen nicht ein-
mal mehr dort.

Die Systemträger, Helfer und Helfershelfer sind nach
der friedlichen Revolution nicht aus dem Land gezogen,
sondern sind Bürgerinnen und Bürger unseres vereinten
Deutschlands. Schon im Rahmen des Einigungsvertra-
ges war daher die Frage zu beantworten, was mit der
Mitarbeiterschaft der ehemaligen DDR-Staatseinrichtun-
gen geschehen soll, wenn sie vom Bund oder von den
Ländern übernommen werden. Die Arbeitsverhältnisse
existierten de facto fort.

Wir entschieden uns in der frei gewählten Volkskam-
mer nicht etwa für ein Tribunal, sondern für eine rechts-
staatliche Aufarbeitung. Das ist mühsam, wie wir jetzt
wissen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aus dem Raum Bautzen kommend, im Hinterkopf die
schrecklichen Dinge, die in dem Stasigefängnis passiert
sind, will ich bekennen, dass ich damals durchaus der
Meinung war, dass wir als Parlament das Recht haben,
die SED als kriminelle Organisation einzustufen. Dann
wäre heute manches leichter. Dafür gab es aber keine
Mehrheit. Das mussten wir akzeptieren.

Die Übernahme zum Beispiel von Angehörigen des
Personalschutzes oder des Ministeriums des Inneren war
sehr wohl mit einem Bewerbungsverfahren verbunden,
und die Übernahme erfolgte stets nach „fachlicher Eig-
nung“. Ob das im Einzelfall immer dem Geist unserer
öffentlichen Dienste entsprach, wie wir ihn in einer frei-
heitlichen Gesellschaftsordnung verstehen, das wird
juristisch und wissenschaftlich permanent und sukzessiv
immer wieder aufgearbeitet. Dieser Prozess ist noch
nicht zu Ende.

Die generelle Bewertung ist dahin gehend vorzuneh-
men, ob der oder die Betreffende am „realsozialistischen
Repressionssystem“ beteiligt war.

Es hat sich durchaus herausgestellt, dass zum Beispiel
ein im Betrieb beschäftigter IM vielleicht eher nur
„harmlose“ Informationen an das MfS übergab und sich
damit wichtig vorkam, während der Personalchef – man
nannte ihn damals Kaderleiter – als Nicht-IM Berichte
mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen lie-
ferte.

Deshalb blieb in der Phase 1990 nur der Weg der Ein-
zelfallprüfung und Einzelfallbewertung unter Ausnut-
zung des ordentlichen und außerordentlichen Kündi-
gungsrechts.

Ich erinnere daran, dass im Einigungsvertrag ganz
konkrete Regelungen getroffen wurden, und zwar in
Anl. I Kap. XIX. Das möchte ich einmal kurz erläutern.

Grundsätzlich bestanden gemäß Abs. 1 die Arbeits-
verhältnisse der in den öffentlichen Verwaltungen der
DDR beschäftigten Personen fort. Dieser Grundsatz wurde
jedoch durch die Sonderregelungen der Abs. 2 bis 7 in der
Norm eingeschränkt. Die Arbeitsverhältnisse der Be-






(A) (C)



(B) (D)


Maria Michalk
schäftigten der Einrichtungen, die nicht auf den Bund
überführt wurden, ruhten vom Tag des Beitritts an gegen
die Zahlung eines Wartegeldes und endeten nach neun
Monaten, wenn die Betreffenden bis dahin nichts ande-
res gefunden haben.

Wissen Sie eigentlich noch, was damals die Bürger-
schaft sagte? Sie sagte: Jetzt bekommen die auch noch
Geld, ohne etwas zu tun.

Abs. 4 ermöglichte eine ordentliche Kündigung, wenn
der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifi-
kation oder persönlicher Eignung den Anforderungen
nicht entsprach. Das wissen wir.

Bei der Beurteilung dieser Kriterien war also nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die
Betroffenen haben von Anfang an unsere Gerichte be-
müht und angerufen – die Persönlichkeit des Arbeitneh-
mers auf der Grundlage seines gesamten Verhaltens vor
und nach dem Beitritt zu beachten. Allein das ist für
Hunderte von Beschäftigten eine gewaltige Aufgabe.
Das ist auch gemacht worden. Ob das alles sinnvoll ge-
wesen ist, darüber kann man parlamentarisch sehr wohl
streiten.

Darüber hinaus war eine Kündigung möglich, wenn
der Arbeitnehmer wegen eines fehlenden Bedarfs nicht
mehr verwendbar war oder wenn die bisherige Beschäf-
tigungsstelle ersatzlos aufgelöst wurde. Sie wissen, die-
ses Kündigungsrecht sollte eigentlich nur zwei Jahre
lang gelten. Weil die Überprüfung viel länger gedauert
hat, haben wir das Kündigungsrecht um ein Jahr verlän-
gert. Seit 1993 gilt es aber nicht mehr.

Nun zu den aktuellen Möglichkeiten. In Abs. 5 wurde
bestimmt, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose
Kündigung vorliegt, wenn der Arbeitnehmer gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlich-
keit verstoßen hat. Ob das unzumutbar schien, bestimmt
sich nach dem individuellen Maß der Verstrickung. Bei
hauptamtlichen Mitarbeitern sind nach höchstrichterli-
cher Rechtsprechung deren Stellung und die Dauer der
Beschäftigung beim MfS ausschlaggebend. All das sind
Rahmenbedingungen, die gerichtlich vorgegeben sind.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Wir sind keine Oberrichter. Wir müssen uns an unsere
rechtsstaatlichen Kriterien halten, weil wir – wie gesagt –
kein Tribunal möchten, sondern die rechtsstaatliche Auf-
arbeitung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie ist nicht zu Ende, sie findet weiter statt. Insofern ist
der Antrag eine gute Gelegenheit, sich weiter mit dem
Thema zu beschäftigen. Bei diesem schlechten Herbst-
wetter empfehle ich die Lektüre der publizierten Be-
richte aus den beiden Enquetekommissionen. Dort ist
der Geist der Aufarbeitung sehr genau festgehalten. Ich
empfehle uns, das noch einmal zu verinnerlichen und auf
diesem Weg weiterzumachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Mücke [FDP]: Stimmen Sie zu oder nicht?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618409100

Das Wort hat nun Kollegin Lukrezia Jochimsen, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618409200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

beginne diese Rede mit einem persönlichen Credo, dem
Credo meiner Fraktion und meiner Partei: Selbstver-
ständlich sind wir für die weitere Aufarbeitung des – wie
es im Antrag heißt – Stasiunrechts. Deshalb unterstützen
wir auch seinen Punkt 6, nämlich die Forderung an die
Bundesregierung, „die Bundesbeauftragten für die Un-
terlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR in Bund und Ländern durch ausreichende Mittel
und organisatorische Umstrukturierung in die Lage zu
versetzen, den Anteil der jährlich erschlossenen Akten
zu erhöhen und damit die tatsächliche Aufarbeitung zu
beschleunigen und qualitativ zu verbessern.“ Diese For-
derung unterstützen wir ausdrücklich.

Nun aber eine Frage: Wurde nicht vor zwei Jahren
von der überwältigenden Mehrheit des Bundestages – in-
klusive der Stimmen der FDP – ein Stasi-Unterlagen-
Änderungsgesetz geschaffen, welches die Überprüfungs-
möglichkeiten gerade auch für den öffentlichen Dienst
bis 2011 umfassend und umfangreich bis auf die untere
kommunale Ebene einschließlich ehrenamtlicher Richter
festgeschrieben hat? Damals hieß es: 3 Millionen An-
träge auf Einsichtnahme in die Stasiakten seien, bezogen
auf den öffentlichen Dienst, gestellt. Etwa 1,7 Millionen
Personen aus dem öffentlichen Dienst seien überprüft
worden, einige auch mehrfach.

Nun, zwei Jahre später, wird von der FDP vorgeschla-
gen, diese vorhandenen Überprüfungsmöglichkeiten im
Sinne einer Verdachtsüberprüfung auszuweiten. Nach
20 Jahren deutscher Einheit soll es also zurück zu Ver-
dachtsüberprüfungen gehen.

Liebe Kollegen von der FDP, diese Sprache finde ich
erschreckend und im Übrigen wenig geeignet, die kom-
plizierten Auswirkungen des jahrzehntelangen Kalten
Krieges auf die Beziehungen zwischen den Deutschen
zu erfassen. Der Antrag tut so, als ob jetzt und in Zu-
kunft Abertausende Beamte und Angestellte in Ministe-
rien und Behörden endlich enttarnt werden müssten, da-
mit durch deren Entfernung aus dem Dienstverhältnis
oder durch Versetzung dafür gesorgt werden könne, dass
in unserem Land endlich Sicherheit und Ordnung herge-
stellt werden. Welch eine Vorstellung von einer seit
20 Jahren vereinten Gesellschaft herrscht da eigentlich
vor?

Verdachtsüberprüfungen grenzen schnell an Denun-
ziation, an Gerüchte, an Nachreden und an Hysterie. Aus
meiner Sicht schaffen Sie ein gesellschaftliches Klima
– lieber Herr Waitz, Sie könnten durchaus einmal zuhö-
ren –, das insgesamt eher einem Spitzelstaat entspricht
als unserer freiheitlichen Demokratie. Wollen Sie, wol-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
len wir diesen Weg tatsächlich 2008 und folgende ge-
hen?


(Jan Mücke [FDP]: Sie sollten da ein bisschen vorsichtig sein! Den Vorwurf „Spitzelstaat“ sollten Sie nicht erheben!)


Ich bin sehr gespannt, wie viel Fürsprache dieser Vor-
schlag nach all der intensiven Vorarbeit zum Änderungs-
gesetz des Jahres 2006 aus den anderen Fraktionen er-
halten wird. Meine Fraktion wird einer entsprechenden
Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, wie hier
gefordert, keinesfalls zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das haben wir auch nicht anders erwartet!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618409300

Der nächste Redner, nämlich Wolfgang Thierse, muss

seine ohne Zweifel bedeutsamen Ausführungen zu Pro-
tokoll geben, aus erkennbarem Grund: Er kann nicht
zugleich hier oben sitzen und unten eine Rede halten.1)

Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618409400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prä-

sident, ich bedauere es außerordentlich, Ihre Rede nicht
zu hören


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Wir auch! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir lesen sie nach!)


– wir lesen sie nach –, auch deswegen, weil dann sozusa-
gen ein kleiner Puffer zwischen dem, was Frau Jochim-
sen gesagt hat, und meiner Rede gewesen wäre.

Frau Jochimsen, Sie können es doch nicht ernst mei-
nen, wenn Sie sagen: Die Linie meiner Partei ist, für
rückhaltlose Aufklärung in Sachen Stasi zu sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Nun hören Sie mal! Die Alttschekisten werden immer
unverschämter, treten in Bataillonsstärke in Hohen-
schönhausen und an anderen Orten auf,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


mit Wolfgang Schwanitz an der Spitze. Ihre Partei bietet
ihnen Foren, führt Diskussionsveranstaltungen mit ihnen
durch, und Ihre Fraktionskolleginnen Frau Lötzsch und
Frau Jelpke gehen als Heilige Johanna der Alttschekisten
in diese Solidaritätsvereinigung und sprechen dort Gruß-
adressen aus.


(Christoph Waitz [FDP]: Hört! Hört!)


Das ist die Realität des Umgangs der Linkspartei mit der
Stasi und ihren Nachfolgern.

1) Anlage 13

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])


– Das bestreitet niemand, und das ist auch nicht zu be-
streiten, weil dies ein täglicher Skandal in dieser Stadt
ist. Aber wenn dies so ist, dann können Sie doch nicht so
tun, als wären Sie eine an Aufklärung interessierte Frak-
tion. Von Ihnen, insbesondere von Ihrem Fraktionsvor-
sitzenden, ist in dieser Frage leider immer nur Nebel ge-
kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Den Kern des Anliegens der FDP unterstützen wir.
Der Antrag soll ja ein Auftrag an die Birthler-Behörde
sein, die Dinge wissenschaftlich aufzuarbeiten. Hätten
Sie es mal dabei belassen, werte Freundinnen und
Freunde von der Rechtsstaatspartei FDP! Sie schreiben
ansonsten, dass alle Mitarbeiter überprüft werden sollen.
Denn wie soll man sonst herausfinden, wer IM war? Sie
meinen die Mitarbeiter aller Bundesbehörden und nach-
geordneten Behörden, auch die, die noch nie überprüft
wurden, weil sie immer in den alten Bundesländern wa-
ren und dort gearbeitet haben. Die Ziffern 1 und 3 Ihres
Antrages sind doch gar nicht anders zu erfüllen, als dass
ich mir diese Mitarbeiter in toto ansehe. Das würde tat-
sächlich dazu führen, dass es eine erneute Massenüber-
prüfung, eine erneute Regelanfrage gäbe und wir gegen
unser eigenes Gesetz verstießen,


(Christoph Waitz [FDP]: Dann müssen Sie die Novelle aber noch einmal lesen!)


in dem aus guten Gründen gesagt wurde: Damit muss
nach 15 Jahren Schluss sein. Denn man hat zu Recht an
die integrative Wirkung des Rechtsstaates geglaubt und
gesagt: Nach dieser Zeit muss man akzeptieren, dass
Sonderregelungen, die direkt nach der Wende notwendig
waren, auslaufen. – Von daher kann das, was Sie hier er-
reichen wollen, so nicht geschehen. Das hätten Sie ei-
gentlich sehen müssen bei den vielen Juristen, die Ihren
Antrag unterschrieben haben.

Sie fordern die Verdachtsüberprüfung. Da muss ich
Frau Jochimsen leider recht geben. Wir Abgeordnete
kennen sie. Warum kennen wir sie? Weil wir selber diese
Überprüfungen vornehmen und weil sie keine direkten
Rechtsfolgen haben. Wenn Sie jetzt sagen: „Die sollen
bei allen Beamten und sonstigen Beschäftigten ange-
wandt werden“, dann steht das natürlich quer zu jeder
Rechtsprechung, die besagt: Es kann nicht auf Verdacht
hin entlassen werden; es kann nicht auf Verdacht hin
eine dienstrechtliche Konsequenz gezogen werden. Da
muss die Überführung kommen. Das muss sicher sein.
Eine gesicherte Kenntnis muss vorhanden sein. Nur
dann können Konsequenzen gezogen werden – und auch
nicht bei allen, sondern nur noch auf der Leitungsebene.
Auch das haben wir aus gutem Grund gesetzlich so fest-
gelegt. Das heißt, Sie schießen völlig über das hinaus,
was heute rechtsstaatlich möglich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Waitz [FDP]: Das interpretieren Sie in den Antrag hinein!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
– Nein, ich lese den Antrag so, wie man ihn lesen muss.
Sie hätten Ihren Justiziar heranziehen oder einmal mit
Herrn van Essen darüber reden sollen, der den Antrag
unterschrieben hat; dann wäre das nicht geschehen.

Als Letztes möchte ich sagen: Sie haben mit Ihrer
Rede Erwartungen geweckt, die nicht erfüllbar sind. Sie
erwähnten die berühmte Stasifraktion in der
6. Legislaturperiode und nannten die Zahl 43. Im Aus-
schuss haben wir das Thema erörtert. Frau Birthler hat
Ihnen das vorgerechnet. Die Zahl 43 ist auf 5 ge-
schrumpft, weil die meisten als IM mit Akte geführt
wurden, das heißt, Personen waren, die abgeschöpft
worden sind. Das kann man doch nicht verrühren und
die Erwartung wecken, dass bei einer solchen Untersu-
chung herauskommt, dass der halbe Bundestag von der
Stasi gesteuert wurde. Fünf Personen sind übrig geblie-
ben: von William Borm, FDP, bis Karl Wienand, SPD.
Im Übrigen waren sie alle schon namentlich bekannt.

Deswegen sage ich: Das ist ein gutes Anliegen in ei-
ner ganz schlechten Verpackung. Dieser Antrag schießt
über das Ziel hinaus. Wir müssen sehen, ob wir in der
Lage sind, das in der Ausschussberatung auf den sinn-
vollen Kern zurückzuführen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618409500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9803 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 37:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Die eigenständige Existenzsicherung von Stief-
kindern sicherstellen – § 9 Abs. 2 Satz 2
SGB II reformieren

– Drucksache 16/9490 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um folgende Kolleginnen und Kollegen: Karl Schiewer-
ling, Angelika Krüger-Leißner, Heinz-Peter Haustein,
Katja Kipping und Markus Kurth.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9490 an die in der Tagesordnung aufge-

1) Anlage 14
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 38 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Josef Philip Winkler, Rainder Steenblock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine zukunftstaugliche und menschen-
rechtlich fundierte Europäische Migrationspo-
litik

– Drucksache 16/10341 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1618409600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist

meine erste Rede in diesem Haus. Das heißt aber nicht,
dass ich mich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt
habe.

Am Mittwoch hat der Europäische Rat den Europäi-
schen Pakt zu Einwanderung und Asyl beschlossen. Eine
Maßgabe, die man heranziehen kann, um zu schauen,
wie gut dieser Pakt ist, findet sich in einer Kommissions-
mitteilung aus dem Jahr 2005 zu vorrangigen Maßnah-
men zur Lösung von Migrationsproblemen. Dort steht:
„Der Europäische Rat stimmt darin überein, dass kurz-
fristig dringend weit reichende konkrete Maßnahmen ge-
troffen werden müssen“, um unter anderem „die Zahl
der Todesfälle zu verringern, die sichere Rückkehr irre-
gulärer Einwanderer zu gewährleisten, bessere dauer-
hafte Lösungen für Flüchtlinge zu finden“ und „auch
durch Maximierung der Vorteile der legalen Migration
für alle Partner ... Menschenrechte und das individuelle
Recht auf Asyl ... zu wahren“.

Wenn wir diesen Maßstab auf das anwenden, was
Herr Sarkozy und Herr Schäuble im Europäischen Rat
ausgearbeitet haben, müssen wir sagen: Leider ist die
Messlatte für sie zu hoch gewesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Pakt finden sich wunderbare repressive Punkte
wie die Aussicht, dass Menschen in Zukunft nur noch
bei klarer Aussicht auf dauerhaften Verbleib in den Ge-
nuss von Integrationsmaßnahmen kommen sollen, und
die Beschränkung, dass nur noch einzelfallabhängige






(A) (C)



(B) (D)


Manuel Sarrazin
Legalisierungen vorgenommen werden sollen. Der ge-
samte Pakt atmet eine Sprache und eine Idee, nach der
jedem Einwanderer, jedem Flüchtling unterstellt wird,
dass er ein illegaler Einwanderer ist – zu finden in
Punkt II c des Paktes. Die Agentur FRONTEX soll mit
allen Mitteln ausgestattet werden, um mehr arbeiten zu
können, ohne dabei die politische Kontrolle und das
Mandat zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit Dritt-
statten im Bereich „Justiz und Inneres“ wird ausgebaut,
ohne dabei auf Menschenrechte zu achten.

Wir brauchen hingegen eine – das ist in unserem An-
trag wunderbar formuliert – menschenrechtlich fundierte
humanitäre EU-Migrationspolitik, die auf humane Stan-
dards setzt, die Menschenrechte auch an den europäi-
schen Außengrenzen, ob auf See oder an Land, wahrt,
die Möglichkeiten der legalen Migration besser und neu
eröffnet und die Möglichkeiten für Integration hier im
Land stärkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Uhr am Rednerpult ist gnadenlos. Ich kann Ihnen
nicht alles, was wir auf diesen wunderbaren sieben Sei-
ten unseres Antrages zusammengetragen haben, vorstel-
len. Aber nehmen wir einmal ein Beispiel. Wir hatten
vor gar nicht so langer Zeit eine Debatte im JI-Rat, im
Rat der Justiz- und Innenminister, über die europäische
Bluecard. Am Tag vorher war der Innenminister bei uns
im Ausschuss. Man muss zu dieser Bluecard sagen, dass
der Kommissionspräsident – der konservative Portugiese
Herr Barroso; er möchte gern wieder Kommissionspräsi-
dent werden – groß angekündigt hat: Die Bluecard heißt,
Europa wird attraktiver für Zuwanderer. Was sagt Ihr In-
nenminister im Ausschuss? Es gab da einige strittige
Punkte: Wie viel Geld wird verdient? Wie lange ist man
schon hier? Wie lange soll man bleiben? Im Grunde ge-
nommen seien diese Fragen durch die Regelung, dass
die Bluecard nur noch für ein Mitgliedsland gilt, gar
nicht mehr so wichtig, und die Bluecard werde eine Art
neues Touristenvisum, damit jemand, der eine Bluecard
in Frankreich bekommt, sich auch Neuschwanstein anse-
hen kann.

Da fragt man sich: Wie kommt es eigentlich, dass
eine Partei, die hier im Bundestag in der Großen Koali-
tion angeblich durchsetzen will, einen Kommissar nach
Brüssel in die nächste Kommission zu entsenden, gege-
benenfalls – zumindest Spekulationen zufolge – Herrn
Schäuble benennen möchte?


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie kommt es, dass diese Partei mit genau dieser Person
die Kommission neu besetzen will?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte auch Vorteile!)


Ich glaube, Herr Schäuble muss noch lernen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er muss noch viel lernen!)

dass seine sonntagspolitischen Europareden, die ich ihm
ja moralisch abnehme, wertlos sind, weil die Kommis-
sion mittwochs tagt.

Es gibt noch einen Punkt, den ich inhaltlich wichtig
finde und hier noch erwähnen möchte. Wir alle in die-
sem Hause wissen durch integrationspolitische Debat-
ten, wie wichtig es ist, dass sich um eine vernünftige
Integration gekümmert wird. Wenn Sie nun sagen, dass
Sie Integrationsmaßnahmen von der klaren Aussicht auf
dauerhaften Verbleib abhängig machen wollen, dann
verfallen Sie in die Logik, dass all diejenigen, bei denen
es eine gewisse Zeit braucht, bis ihr Anspruch geprüft
wird, die vielleicht während dieser Zeit Kinder bekom-
men, und auch andere, die nur für eine bestimmte Zeit
hier sind und sich nicht in die Gesellschaft integrieren
und sich hier nicht bewähren können, um zu unserer Ge-
sellschaft beizutragen, keine Integrationsmaßnahmen
bekommen sollten. Das ist eine Gastarbeiterlogik, die
ich bei Ihnen überwunden glaubte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fazit: Herr Sarkozy hat vor einiger Zeit, vor seiner
Wahl zum Präsidenten, gesagt, Jugendliche mit Migra-
tionshintergrund in den Banlieues – Herr Nouripour,
Herr Winkler, diese sind ein bisschen jünger und haben
noch mehr Elan – solle man „wegkärchern“.


(Zuruf von der SPD: Was?)


– Wegkärchern! Das ist ein Zitat von Herrn Sarkozy.

Ich glaube, man kann eines sagen: Im Europäischen
Rat heißt der Kärcher-Hochdruckreiniger von Herrn
Sarkozy Wolfgang Schäuble. Das können Sie durch un-
seren Antrag ändern.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Also, so etwas!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618409700

Kollege Sarrazin hat es selber gesagt: Dies war seine

erste Rede. Er ist seit Mai dieses Jahres Mitglied des
Bundestages. Herzliche Gratulation zu Ihrer ersten Rede
und alles Gute für die weitere Arbeit.


(Beifall)


Das Wort hat nun Kollege Reinhard Grindel, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1618409800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Sarrazin, ich habe selber in Brüssel gearbeitet,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Gastarbeiter?)


und ich kenne Wolfgang Schäuble aus vieler und unter-
schiedlicher Zusammenarbeit. Ich sage Ihnen nur eines:
Der Lebensleistung von Wolfgang Schäuble – nicht nur
für die deutsche Einigung, sondern auch den europäi-
schen Vereinigungsprozess – sind Sie sowohl bei der






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
Wortwahl als auch bei dem, was Sie inhaltlich gesagt ha-
ben, nicht gerecht geworden. Ich finde es nicht in Ord-
nung, was Sie hier über Wolfgang Schäuble gesagt ha-
ben. Das möchte ich ganz klar sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn es übrigens um Fähigkeiten in der Kommission
geht – so viel Ausgewogenheit muss sein –, dann hat
auch ein Staatssekretär Peter Altmaier viel zu bieten.
Wir haben also eine ganze Schar von Kollegen, die wir
gern für solche Funktionen vorschlagen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können gern darüber diskutieren!)


Ich will zunächst betonen, dass die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion die Verabschiedung des Europäischen
Pakts zu Einwanderung und Asyl begrüßt. Mit diesem
Pakt wird ausdrücklich ein Ende der ungesteuerten Zu-
wanderung nach Europa eingeleitet. Gleichzeitig – das
ist für uns wichtig – wird festgestellt, dass eben die Fest-
legung der Bedingungen für Asyl und Zuwanderung in
allererster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist. Das ist
schon wegen der unterschiedlichen Lage auf den Ar-
beitsmärkten geboten.

Liebe Kollegen von den Grünen, wenn Sie gerade in
Zeiten der Finanzmarktkrise und einer möglicherweise
aufziehenden schwierigen wirtschaftlichen Lage eine
ungesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt organi-
sieren wollen – das ist der Hintergrund Ihres Antrages;
Herr Ströbele sagte schon, dass Sie dies wollen –, dann
sage ich Ihnen ganz deutlich: Angesichts der Sorgen, die
viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem
Land haben, und zwar deutsche und ausländische, ist das
eine nicht ganz verantwortliche Arbeitsmarktpolitik. Das
muss ich Ihnen schon sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will ausdrücklich unterstreichen, woran Außen-
minister Steinmeier gestern in Brüssel in seiner Presse-
konferenz zu Recht kritisch erinnert hat: Es geht um das
Legalisierungsprogramm in Spanien, von dem sich die
spanische Regierung heute distanziert und das sie für ei-
nen Fehler hält. Viele Hunderttausend Menschen werden
jetzt nach Mittel- und Südamerika zurückgeführt. – Wir
dagegen wollen eine klare Steuerung der Zuwanderung,
bei der es dabei bleibt, dass Arbeitslose in Deutschland,
deutsche und ausländische, grundsätzlich Vorrang vor
Arbeitskräften aus dem Ausland haben, wenn es um die
Besetzung offener Stellen geht. Das ist verantwortliche
Arbeitsmarktpolitik. Dafür werden wir uns in Europa
einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es kommt darauf an – Ideologen sind Menschen, die
sich auch von Tatsachen nicht beirren lassen; trotzdem
versuche ich, diese Tatsachen hier anzubringen –,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musst du ja wissen!)


auf die Instrumente hinzuweisen, mit deren Hilfe Unter-
nehmen in Deutschland ihren Bedarf an Arbeitskräften
unter Zuhilfenahme von Beschäftigten aus dem Ausland
decken können. Das Einzige, was wir wollen, ist, dass es
bei der Vorrangprüfung bleibt.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist jetzt der Ideologe?)


Wir sagen: Wenn dieser Fachkräftebedarf auch mit den-
jenigen gedeckt werden kann, die hier arbeitslos sind,
dann kann es nicht angehen – auch das ist ein Stück
Wahrheit –, dass wir den Unternehmen die Chance eröff-
nen, willige und billige Arbeitskräfte nach Deutschland
zu holen. Dann sollen sie lieber hier ausbilden, älteren
Arbeitnehmern eine Chance geben und sie auf dem hei-
mischen Arbeitsmarkt rekrutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann haben Sie etwas zur zirkulären Migration ge-
sagt. Da sind Sie nicht ganz ehrlich gewesen. In Ihrem
Antrag wird deutlich, dass Sie die zirkuläre Migration
gar nicht wollen. Vielmehr schaffen Sie alle möglichen
Tatbestände, damit die Migranten am Ende doch auf
Dauer in unserem Land bleiben können. Wir verfolgen
mit dem Instrument der zirkulären Migration einen in
der Tat eher entwicklungshilfepolitischen Ansatz, näm-
lich dass diejenigen, die für eine Zeit zu uns kommen,
dann ihr Know-how und auch ihre Finanzen in ihrem
Heimatland einsetzen, um dort eine bessere Perspektive
zu haben und das umzusetzen, was sie hier in unserem
Land gelernt haben. Dadurch versuchen wir da, wo zir-
kuliert wird, den Druck zur illegalen Zuwanderung zu
nehmen.

Das ist ein richtiges Konzept. Aber das, was Sie hier
vorschlagen, nämlich eine ungesteuerte Zuwanderung,
ist die Ausländerpolitik der 70er-Jahre. Das ist multi-
kulti. Das Scheitern kann man unweit des Reichstages
täglich begucken.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Das wollen wir nicht. Wir setzen auf konsequente Inte-
gration und auf den Versuch, illegale Zuwanderung da-
durch zu bekämpfen, dass wir die Gründe und die Ursa-
chen für die Migration im Heimatland angehen. Dieses
geschlossene Konzept bieten wir auf europäischer Ebene
an.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es besteht deswegen, wie Sie es in Ihrem Antrag for-
dern, kein Bedarf für Integrationskonzepte auf europäi-
scher Ebene. Integration ist wirklich Sache der Mitglied-
staaten. Ich kann nur sagen, dass wir hier mit dem
Nationalen Integrationsplan und unserer Staatsministerin
für Integration europaweit mittlerweile eine Vorbild-
funktion haben. Wir haben deutlich gemacht, dass an-
ders als für viele in der EU Integration für uns eine
Querschnittsaufgabe ist und sie nicht in irgendeinem
Fachministerium abgehandelt wird, wie das noch unter
Rot-Grün mit der Integrationsbeauftragten der Fall war.
Unsere Integrationsministerin ist bei der Regierungsche-
fin angesiedelt. Wir verzahnen die Arbeit im Integra-
tionsplan von Bund, Ländern und Kommunen. Das ist
genau der richtige Weg. Darauf können wir stolz sein.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
Ein solches geschlossenes Konzept wie den Nationalen
Integrationsplan haben die Grünen in ihrer Regierungs-
zeit nie hinbekommen, lieber Herr Kollege Sarrazin.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nicht geplant! Wir haben etwas getan!)


Sie fordern eine Liberalisierung des Staatsangehörig-
keitsrechts und wollen, dass die Zahl der Einbürgerun-
gen steigt. Die Einbürgerung ist für uns der Schluss-
punkt eines erfolgreichen Integrationsprozesses und
keine Eintrittskarte dafür. Ich weiß nicht, was genau Sie
in diesem Zusammenhang unter „Liberalisierung“ ver-
stehen.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz einfach: Wir wollen mehr Deutsche!)


Für uns, die Union, soll es dabei bleiben: Wer die deut-
sche Staatsbürgerschaft will, der muss die deutsche
Sprache sprechen, der muss unsere Gesetze und unsere
Werteordnung achten


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht neu! Das steht schon im Grundgesetz!)


und der muss wirtschaftlich und sozial integriert sein.
Daran wollen wir nicht rütteln.


(Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht!)


Außerdem wollen wir die illegale Zuwanderung be-
kämpfen. Dafür brauchen wir in der Tat eine effektive
Grenzkontrolle und eine konsequente Rückführung von
Illegalen. Im Europäischen Pakt zu Einwanderung und
Asyl werden eine engere Zusammenarbeit der EU-Staa-
ten mit den Herkunftsländern, Rückführungsabkommen
und so etwas wie Sammelflüge der EU erwähnt.

Ich bitte Sie, dabei eines zu bedenken: Wer sich der
Rückführungspolitik widersetzt, Herr Sarrazin, der spielt
in Wahrheit den Schleppern und Schleusern, die die
Menschen auf dem Mittelmeer und vor den Kanaren in
Lebensgefahr bringen, in die Hände.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? So ein Quatsch!)


Die Schlepper dürfen doch nicht vor Ort sagen können:
Seht her, wir haben es geschafft. Wir haben diese Men-
schen, obwohl sie Illegale sind, nach Europa gebracht,
und sie dürfen auf Dauer bleiben.

Wir werden diesen Verbrechern nur dann das Hand-
werk legen können, wenn sich in den Heimatländern der
Flüchtlinge herumspricht, dass es keinen Sinn macht,
das gesamte Geld einer Familie oder eines Dorfes
Schleppern zu überlassen. Wir müssen deutlich machen,
dass man nur auf dem Weg einer gesteuerten und legalen
Zuwanderung nach Europa kommen kann, nicht aber auf
diesem Weg, den viele Menschen leider mit viel Geld
oder sogar mit ihrem Leben bezahlen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Argumentation ist niveaulos!)


Die Grünen machen in ihrem Antrag eine Reihe von
Vorschlägen,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gut sind!)


wie Illegale auf Dauer ein Aufenthaltsrecht bekommen
können. Das ist vielleicht gut gemeint, aber nicht gut ge-
macht. Das ist ein Anreiz zum Missbrauch von Flücht-
lingsrechten. Damit machen Sie sich im Grunde genom-
men zu Helfershelfern der Schlepper.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Frechheit! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie denn da? Und ich bin Ihrer Meinung nach gemein zu Herrn Schäuble? Sehr interessant!)


Wir müssen den Schleusern und Schleppern ihre Ge-
schäftsgrundlage entziehen. Wir dürfen nicht zulassen,
dass sie den Leuten vor Ort den Eindruck vermitteln, sie
müssten lediglich bezahlen, und dann könnten sie nach
Europa kommen.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diesen Eindruck vermittle ich mit Sicherheit nicht!)


Nein, sie müssen auf legalem Wege nach Europa kom-
men, nicht mithilfe von Schleppern und Schleusern, um
das ganz deutlich zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich brauchen wir auch mehr und vor allem zu-
verlässigere Rückübernahmeabkommen. Sie fordern in
Ihrem Antrag, solche Abkommen nicht zur Vorausset-
zung für die Leistung von Entwicklungshilfe zu machen.
Ich denke, dafür werden die Bürger in unserem Land
kein Verständnis haben. Natürlich brauchen wir eine
enge Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Selbst-
verständlich heißt das auch, dass wir unsere Entwick-
lungshilfeleistungen damit verknüpfen müssen. Klar ist
aber: Wir müssen auch Druck auf die Heimatländer der
Geduldeten machen können, um dafür zu sorgen, dass
sie ihren völkerrechtlichen Pflichten bei der Rückfüh-
rung ihrer Staatsangehörigen nachkommen.

Insgesamt – das ist mein Schlussgedanke, Herr Präsi-
dent – haben wir mit unserem Beitrag im Rahmen des
Europäischen Pakts zu Migration und Asyl, mit unserem
Nationalen Integrationsplan und mit der Arbeit unseres
Bundesinnenministers und unserer Staatsministerin für
Integration wichtige Beiträge geleistet, damit wir in Sa-
chen Eingliederung von Ausländern, Integration und Be-
kämpfung von Fluchtursachen sowohl in Deutschland
als auch in Europa ein gutes Stück vorankommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618409900

Nächster Redner ist Kollege Hartfrid Wolff, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewerk-

schaften und Arbeitgeberverbände sind sich einig, dass
der stärkere Zuzug von Fachkräften nach Deutschland
ein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hierzu-
lande ist; denn der Einsatz jeder Fachkraft zieht weitere
Arbeitsplätze nach sich. Die FDP fordert deshalb ein
Punktesystem, das die Zuwanderung nach klaren Krite-
rien steuert und auch unsere Interessen und Erwartungen
an die Zuwanderer eindeutig definiert. Lieber Herr Kol-
lege Grindel, ein Punktesystem ist High-level-Steue-
rung. Das, was Sie ausgeführt haben, ist Low-level; es
tut mir leid.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei ihm sowieso! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kommt vor allem auf die professionelle Qualifikation
und auf die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit der
Migranten an. Herr Grindel, Sie müssen definieren, was
Sie wollen, und dürfen nicht einfach durch die Gegend
ballern.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir Liberale freuen uns natürlich, wenn die Grünen
ähnliche Forderungen erheben.


(Beifall des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir halten auch eine EU-weite Diskussion über die Zu-
wanderung von Hochqualifizierten und Fachkräften für
begrüßenswert. Die konkreten Maßnahmen dafür müs-
sen allerdings in den Mitgliedstaaten und nicht in Brüs-
sel erarbeitet werden, da die spezifischen Bedingungen
der Arbeitsmärkte und vor allem auch die sozialen Si-
cherungssysteme zu stark divergieren. Hier ist die Bun-
desregierung für die Steuerung des Zuzugs nach
Deutschland dringend gefordert. Sie hat bisher versäumt,
ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen. Wir sind auf
die gesteuerte Zuwanderung von Hochqualifizierten und
Fachkräften angewiesen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Kein Widerspruch!)


Deutschland droht den Wettbewerb um die klügsten
Köpfe zu verlieren, und es wird Zeit, endlich alten ideo-
logischen Ballast über Bord zu werfen und sich moder-
nen Konzepten zuzuwenden.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP kann und will die Bundesregierung auch an
dieser Stelle nicht aus der Verantwortung entlassen.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir würden sie gerne entlassen!)

Es ist natürlich nicht falsch, EU-weit bestimmte As-
pekte der Einwanderungspolitik abzustimmen, lieber
Herr Nouripour. So war die Verabschiedung der Rück-
führungsrichtlinie eine Vorgabe, die in die richtige Rich-
tung ging. Denn sie hat Mindeststandards in der EU ein-
geführt. So ist die Dauer der Abschiebehaft europaweit
endlich in allen Staaten begrenzt.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: 18 Monate!)


Dies ist eindeutig zu begrüßen, und es hat mich schon
gewundert, dass sich die Grünen im Europaparlament
hier verweigerten.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wussten Sie aber, glaube ich, schon!)


Dass dieses der Antrag nicht thematisiert, wundert mich
allerdings nicht.

Stattdessen redet er einer signifikanten Liberalisie-
rung der Aufenthaltsregeln das Wort und fordert EU-
Mittel zur Eingliederung von Migrantinnen und Migran-
ten. Integration kann aber nicht von Brüssel aus gesteu-
ert werden, sondern erfolgt individuell vor Ort, lieber
Kollege Sarrazin.

Deutschland ist Nettozahler in der EU. Die Grünen
verlangen mit ihrer Forderung im Ergebnis, dass der
deutsche Steuerzahler nicht nur für die Integrationskos-
ten in Deutschland, sondern auch für die in anderen EU-
Staaten aufkommt.

Die Grünen fordern in ihrem Antrag auch den Ausbau
der europäischen Antidiskriminierungsregeln. Schon die
existierenden sind eine unsägliche Gängelung der Bür-
gerinnen und Bürger.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat die CDU beschlossen!)


Sie versprechen Gleichberechtigung, die rechtlich be-
reits besteht, und schaffen Bürokratie und Bevormun-
dung.


(Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat die Regierung beschlossen!)


Wer den Ruf Europas als bürokratisches Monster bei
den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes weiter rui-
nieren will,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der schickt Herrn Stoiber nach Brüssel!)


soll nur munter weiter solche Forderungen stellen.

Der positive Duktus im Grünen-Antrag zur zirkulären
Migration hat mich allerdings überrascht und wider-
spricht ein bisschen dem, was der Kollege Winkler im-
mer erzählt.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie genau lesen!)


Zirkuläre Migration, wie sie von Innenminister Schäuble
propagiert wird – und sie wird bei Ihnen positiv er-






(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

wähnt –, ist eine Fortsetzung der Gastarbeiterpolitik, die
Integration verhindert hat.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Falsch!)


Es kommen Menschen – keine Handelsobjekte, die ein-
fach umgetauscht werden können.


(Rüdiger Veit [SPD]: Richtig!)


Meine Damen und Herren, in manchen Punkten ha-
ben die Grünen recht: Wir brauchen ein europäisch ab-
gestimmtes Flüchtlings- und Asylkonzept. Wir brauchen
eine europäische Lastenteilung im Bereich der Flücht-
lingsströme. Wir können Malta oder die Kanaren nicht
mit Tausenden von Migranten alleine lassen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Sehr wahr!)


Es darf aber auch keine Anreizsysteme geben, die eine
weitere unkontrollierte Zuwanderung ermöglichen.

Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass kriminelle
Schleuser mit falschen Versprechungen und aus Geldgier
mit Menschen handeln und diese nach Europa locken
und billigend sogar den Tod der Verschleppten auf See in
Kauf nehmen. Wir müssen die Ursachen dieser Flücht-
lingsströme wirksam bekämpfen.


(Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns einig!)


Meine Damen und Herren, der Antrag erweckt auch
den Eindruck, dass bei bestimmten Vertretern der Grü-
nen nach wie vor eine naive Freude an unkontrollierter
und ungesteuerter Zuwanderung besteht.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir brauchen eine Steuerung der Zuwanderung – keine
Ausweitung der Anreize und Vereinfachungen der Mög-
lichkeiten der unkontrollierten Zuwanderung. Nur so
können wir diffuse Ängste bei den Bürgern unseres Lan-
des abbauen.

Steuern heißt, Zuwanderung gegebenenfalls auch zu
beschränken, wenn unsere Interessenlage das gebietet.
Unsere Interessen aber zu bestimmen, das nimmt uns
niemand ab – auch Europa nicht.

Umgekehrt bedeutet Zuwanderung zu steuern aber
eben auch, Zuwanderung zuzulassen. Mit klaren Krite-
rien können wir die Willkommenskultur schaffen, die
wir brauchen, um Hochqualifizierte und Fachkräfte aus
dem Ausland nach Deutschland zu holen.

Eine moderne Zuwanderungssteuerung braucht kei-
nen europäischen Wasserkopf, sondern eine klare Ent-
scheidung der deutschen Regierung. Diese Entscheidung
ist überfällig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618410000

Ich erteile Kollegen Rüdiger Veit, SPD-Fraktion, das

Wort.

Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1618410100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Der Antrag, den wir heute beraten, ist
aus der Sicht der SPD-Fraktion ganz überwiegend richti-
gen Inhaltes.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hören wir gerne!)


Dass wir ihm trotzdem nicht beipflichten werden,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt am Koalitionsvertrag!)


hat im Wesentlichen drei Gründe. Die erste Kategorie
der Gründe ist, dass die Forderungen von Ihnen in vie-
lerlei Hinsicht Selbstverständliches beinhalten. Die
zweite Kategorie ist, dass wir als Große Koalition, was
nicht immer selbstverständlich ist, an dem einen oder an-
deren Punkt vielleicht sogar bereits auf einem guten Weg
sind. Die dritte Kategorie, warum wir als Sozialdemo-
kraten dem leider nicht beipflichten können – das ist der
eigentliche Grund –, ist, dass unser derzeitige Koali-
tionspartner in den Fragen, die Sie zum Teil richtiger-
weise auch ansprechen, nicht in Übereinstimmung mit
unseren Überzeugungen zu bringen ist.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke für die Ehrlichkeit!)


Ich will eine koalitionsfreundliche Bemerkung an den
Anfang stellen, was aber keineswegs der Duktus meiner
gesamten Ausführungen sein wird.


(Zuruf von der FDP: Hört! Hört!)


Der Herr Kollege Grindel hat am Anfang gesagt, dass
wir die Lebensleistung und auch die jetzige Arbeitsleis-
tung von Herrn Bundesminister Schäuble nicht abschät-
zig bewerten sollten. In dem Zusammenhang hat es mir
nicht gefallen, dass Sie, Herr Sarrazin, von „weg-
kärchern“ gesprochen haben.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von der Lebensleistung war auch keine Rede!)


Das findet nicht meine Billigung. Im Gegenteil: Ich
finde, dass der Kollege Grindel hier richtigerweise die
Verdienste genauso wie im Übrigen auch die potenzielle
Eignung anderer Mitglieder der Bundesregierung für
herausgehobene Funktionen nicht nur in diesem Haus
hervorgehoben hat.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD-
Fraktion hat eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe eingesetzt, in
der sie sich sehr ernsthaft und übrigens auch sehr lange
mit Fragen der Arbeitsmigration in Europa befasst hat.
Dabei spielte – das will ich schon jetzt einmal sagen, be-
vor der schriftliche Bericht vorliegt – unter anderem
auch die Bluecard eine Rolle.

Nun wissen wir alle aber, dass allein aufgrund der
Menge nicht alle Probleme der Arbeitsmigration in der
Europäischen Union durch diese Bluecard-Regelung ge-
löst werden. Ich darf an das erinnern, was heute über-






(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit
haupt noch nicht in Rede stand und was auch nicht in Ih-
rem Antrag steht, dass die Große Koalition mit einem
Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz, das wir in der letz-
ten Sitzungswoche hier in erster Lesung beraten haben,
dort nämlich schon einen deutlichen Schritt weitergeht.

Richtig bleibt, dass auch wir als Sozialdemokraten sa-
gen, dass wir eine Zurückführung der Vorrangprüfung
auf den Arbeitsmärkten und – damit treffen wir uns ein
Stück weit auch mit den Kollegen der FDP – ein Punkte-
system für eine Arbeitsmigration nach Deutschland
brauchen, mit der eben nicht nur die Hoch- und Höchst-
qualifizierten umfasst werden.

Ich darf daran erinnern, dass die rot-grüne Bundes-
regierung und die sie tragenden Fraktionen das bereits
zum Gegenstand ihres Zuwanderungsrechts gemacht ha-
ben. Wir konnten dies aber leider nicht ins Gesetzblatt
schreiben, weil uns die Kolleginnen und Kollegen der
CDU und der CSU im Bundesrat einen Strich durch die
Rechnung gemacht haben.

Das Staatsbürgerschaftsrecht ist auch angesprochen
worden. Auch wir als Sozialdemokraten vertreten die
Auffassung, dass die generelle Hinnahme doppelter
Staatsbürgerschaften unserer Gesellschaft guttun würde
und dass dadurch auch ein Beitrag zur Integration der-
jenigen geleistet würde, die sonst sinnvollerweise eben
auch deutsche Staatsbürger sein sollten.

Ich will mich hier jetzt nicht in Einzelheiten des Tests
verlieren, der auch kritisch beleuchtet worden ist. Ich
will nur sagen: Wenn wir das kontrovers diskutieren,
dann sollten wir nicht außer Acht lassen, dass trotz der
heutigen Verwaltungspraxis, nach der die doppelte
Staatsbürgerschaft in der Regel eben nicht hingenom-
men wird, rund die Hälfte aller Einbürgerungen unter
ausdrücklicher Hinnahme doppelter Staatsbürgerschaf-
ten rechtskonform erfolgt. Ich habe auch noch nicht ver-
nommen, dass das irgendwo von großen Problemen be-
gleitet worden ist.

Nächstes Stichwort ist das Kommunalwahlrecht. Wir
haben eine Anhörung dazu durchgeführt. Wenn ich das
richtig sehe, dann sind die Positionen danach leider un-
verändert geblieben.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das sehen Sie richtig!)


Die Union hat sich durch die von ihr geladenen Sachver-
ständigen bestätigt gefühlt. Alle anderen Sachverständi-
gen – fünf an der Zahl – waren übereinstimmend mit uns
der Auffassung, dass das Kommunalwahlrecht für aus-
ländische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Nicht-EU-
Staaten sehr wohl auch infrage kommen könnte.

Nächster Punkt: Bootsflüchtlinge. Bei einer Delega-
tionsreise des Innenausschusses – unter anderem nach
Lampedusa – haben wir als Delegationsteilnehmer den
Eindruck gewonnen, dass zumindest die italienischen
Behörden, die dort auf dem Mittelmeer und, wie uns ge-
sagt wurde, bis weit unterhalb der libyschen Küste tätig
sind, in der Tat streng nach Gesetz, Recht und auch Völ-
kerrecht verfahren und in erster Linie Menschen aus
Seenot retten, die dann in der Lage sind, gegebenenfalls
ihr Flüchtlingsschicksal auf dem Gebiet der EU geltend
zu machen und damit in ein ordnungsgemäßes Verfahren
einzumünden. Wir wissen aber von der Delegationsreise
an die westafrikanische Küste, dass das dort keineswegs
eine gängige Praxis – etwa von FRONTEX – ist; vielmehr
soll dort eingerissen sein – um es einmal so auszudrü-
cken –, dass in Amts- und Rechtshilfe der westafrikani-
schen Staaten FRONTEX-Einheiten – also vorzugsweise
Boote – Flüchtlinge statt auf die Kanarischen Inseln un-
mittelbar nach Westafrika zurückbringen, wo sie nicht in
der Lage sind, ihr Flüchtlingsschicksal nach Menschen-
rechtsstandards, die wir für richtig erachten, geltend zu
machen. Das muss von uns kritisch beobachtet und nach
meinem Dafürhalten auch abgestellt werden.

Auch der nächste Punkt Dublin II wurde bereits ange-
sprochen. Wir wissen – dabei sind wir auf gutem Weg
bzw. mit der Bundesregierung im Gespräch –, dass es
eine Reihe von europäischen Staaten gibt, die bedauerli-
cherweise sowohl die Verfahren auf Zuerkennung von
Asyl- oder Flüchtlingseigenschaft als auch die Unter-
bringung der Asylbewerber und Flüchtlinge leider Got-
tes unter Umständen durchführen, die nicht unseren
Standards entsprechen und nicht unsere Billigung fin-
den. Dazu gehört, wie wir wissen, leider auch Griechen-
land. Deswegen sind wir froh darüber, dass sich die Bun-
desregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass
auch Griechenland an seine Verpflichtungen aufgrund
der Menschenrechte und der Flüchtlingskonvention erin-
nert wird und diese Zustände abgestellt werden.

Bis dahin muss die Bundesrepublik in der Tat auch
und gerade bei Kindern und Jugendlichen prüfen, inwie-
weit sie durch ihr sogenanntes Selbsteintrittsrecht dafür
sorgt, dass die Betreffenden hier ihren Antrag stellen
können und dass hier über die Anerkennung entschieden
werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum nächsten Punkt, der in Ihrem Antrag
angesprochen worden ist. Auch wir Sozialdemokraten
treten dafür ein, nach Maßgaben in Zusammenarbeit mit
dem UNHCR auch in der Bundesrepublik zu einem Re-
settlement-Programm zu kommen. Wir erachten im Ein-
vernehmen mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der
CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich die Bemühungen des
Bundesinnenministers, besonders schutzwürdige Flücht-
linge, die beispielsweise aus dem Irak geflohen sind,
nach Deutschland oder Europa zu bringen, für richtig
und gut und unterstützen sie. Wir meinen aber, dass es
nicht nur darum geht, den Irak von Christen zu entvöl-
kern. Wir müssen uns vorzugsweise um die Flüchtlinge
kümmern, die jetzt in Jordanien und Syrien eine vorläu-
fige Zuflucht gefunden haben und in besonderer Weise
schutzbedürftig sind. Das sind vielleicht auch Angehö-
rige anderer religiöser Minderheiten oder auch Kinder,
Kranke und alte Menschen, die niemals in den Irak zu-
rückkehren können. Schätzungen des UNHCR zufolge
geht es um 60 000 Menschen weltweit, die aus diesen
beiden besonders belasteten Nachbarländern aufzuneh-
men sind.






(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit
Berlin hat eine Initiative ergriffen und angeboten,
300 Personen von dort aufzunehmen. Wir unterstützen
das und hoffen, dass Bundesinnenminister Schäuble auf
europäischer Ebene damit erfolgreich ist, die Aufnahme
von Flüchtlingen im europäischen Kontext zu veranlas-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie der verhandelt, halte ich das für unwahrscheinlich!)


Sie wenden sich in Ihrem Antrag sehr kritisch gegen
die Rückführungsrichtlinie. Ich teile einen Großteil der
Kritik. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage,
dass es auch innerhalb der SPD-Fraktion in Berlin, aber
auch in der Fraktion der Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten in Brüssel ein sehr schwieriger Abwä-
gungsprozess war, ob man dieser Rückführungsrichtlinie
zustimmen sollte. Denn sie führt verglichen mit den
Standards, die wir kennen, eher zu einer Bewegung am
untersten Rand. Sie bringt jedenfalls nicht deutlich mehr.

Aber wenn wir in Berlin wie auch die Kollegen in
Brüssel nach einer sehr grenzwertigen Überlegung zu
der Überzeugung kommen, dass eine Rückführungs-
richtlinie mit problematischen Standards immer noch
besser ist als keine Richtlinie, dann ist das im Ergebnis
richtig. Denn wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es
in der EU beispielsweise auch Staaten gibt, in denen es
keine Beschränkung der Dauer der Abschiebehaft gibt.
Andere Staaten kennen das Institut praktisch nicht oder
sehen eine Abschiebehaftdauer von maximal zwei Mo-
naten vor wie Italien. Gleichwohl ist es nach unserer
Überzeugung eine Verbesserung, zu Mindeststandards in
der gesamten EU zu kommen, was uns aber nicht daran
hindern sollte, auf nationaler Ebene bessere Maßnahmen
durchzusetzen.

Ich möchte zwei weitere Stichworte ansprechen. Da-
mit komme ich zum Schluss. In der Frage der Übermitt-
lungspflichten an Ausländerbehörden bezüglich des ille-
galen Aufenthaltes sind wir uns, glaube ich, einig. Wir
haben uns jedenfalls im Berichterstattergespräch ver-
pflichtet, jeweils mögliche politische Partner auf der
Länderebene anzusprechen und auf eine Reform der
Übermittlungspflichten hinzuarbeiten. Der Prozess ist
noch im Gang.

Zum Schluss. Was den Spracherwerb derjenigen im
Herkunftsland angeht, die ihre ausländischen Ehepartner
nach Deutschland holen wollen, gibt es einen Dissens
mit der Union. Diesen können wir nicht überbrücken.
Während wir sagen, dass es angesichts der Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Metock und
andere nicht zu einer Inländerdiskriminierung kommen
darf – ich kann das aus Zeitgründen nicht weiter ausfüh-
ren –, sagt die Union: Wir sind eher bereit, die Richtlinie
zur Familienzusammenführung auf europäischer Ebene
zu ändern, damit diese Rechtsprechung des EuGH kei-
nen Bestand hat. Das ist ein Problem. Darin unterschei-
den wir uns. Das legen wir offen.
Weil wir in einigen von mir genannten Punkten mit
dem jetzigen Koalitionspartner nicht übereinstimmen,
können wir dem – ich wiederhole mich gerne – überwie-
gend richtigen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht
zustimmen.

Danke sehr.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618410200

Als letzter Rednerin in dieser Debatte gebe ich der

Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1618410300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Antrag der Grünen trägt den Titel „Für eine
zukunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte Eu-
ropäische Migrationspolitik“. Heribert Prantl hat in der
Süddeutschen Zeitung vom 2. Oktober 2007 die „Heu-
chelei der europäischen Flüchtlingspolitik“ entlarvt, als
er Folgendes schrieb:

Erst macht der Westen die Wirtschaft der Entwick-
lungsländer kaputt, und wenn die Menschen dann,
weil sie nicht verrecken wollen, aus ihrer trostlosen
Heimat fliehen und sich an die Küsten Europas
durchschlagen, verhöhnt man sie dort als Wirt-
schaftsflüchtlinge und behandelt sie wie Verbre-
cher. Verantwortung wird von der EU-Politik an
den Außengrenzen Europas abenteuerlich falsch
übersetzt – in mehr Patrouillenboote, in mehr
Grenzschutztechnik. Das ist sündhafte und gemein-
gefährliche Politik.

Ich finde, Heribert Prantl hat recht: Die europäische
Migrationspolitik ist geprägt von menschenrechtswidri-
ger Gewalt, selektiver Durchlässigkeit und militärischer
Abschottung. Der gestern auf dem EU-Gipfel beschlos-
sene Europäische Pakt zu Einwanderung und Asyl ist da
keine Ausnahme. Mit ihm wird der Spielraum für Migra-
tionskontrolle, Abschottung und Abschiebung maßgeb-
lich erweitert. Er bietet im konkreten Fall mehr Raum
für Willkür. Zentrales Element ist die EU-Grenzschutz-
agentur FRONTEX; darauf hat mein Kollege Sarrazin
bereits hingewiesen. Menschen werden auf hoher See
aufgespürt und nach Afrika zurückverbracht, bevor sie
europäischen Boden überhaupt erreichen können. Das
heißt, Menschen wird ihr Recht verwehrt, in Europa ei-
nen Antrag auf Asyl zu stellen. Etwa 6 000 Menschen
starben allein auf dem Weg von Westafrika zu den Kana-
rischen Inseln.

In dem Wissen, dass Migration auch durch immer hö-
here Zäune nicht zu stoppen sein wird, wird die Strategie
dieser europäischen Migrationspolitik, die sehr stark von
Deutschland dominiert wird, zunehmend erweitert. Nur
wer als Land bei Abschiebungen oder der Verhinderung
der Flucht in die EU kooperiert, darf im Gegenzug viel-
leicht ein paar wenige Staatsangehörige temporär oder
zirkulär schicken. Die Perfidität dieser Politik versteckt
sich auch hinter dem Schäuble/Sarkozy-Papier zur zirku-
lären Migration. Herr Grindel, Sie haben gesagt, dass






(A) (C)



(B) (D)


Sevim Daðdelen

mit der zirkulären Migration die Ursachen für Migration
in den Heimatländern bekämpft werden sollen und dass
die Menschen wieder zurückgeschickt werden sollen,
damit sie ihren Heimatländern helfen. Das ist kompletter
Unfug. So soll es darum gehen – ich zitiere –, „eine Poli-
tik der Arbeitsmigration, die allen Arbeitsmarkterforder-
nissen der Mitgliedstaaten Rechnung trägt“, zu verwirk-
lichen. Die EU will „die Attraktivität der Europäischen
Union für hochqualifizierte Arbeitnehmer“ erhöhen.

In puncto Integrationspolitik setzt man zwar auf För-
derung. Aber die Pflichten der Migranten stehen noch

minister Steinmeier in Brüssel, finde ich geradezu
zynisch.

In dem Antrag der Grünen befinden sich vor dem
Hintergrund der europäischen Migrationspolitik, die ich
ganz kurz aus unserer Sicht zu beschreiben versucht
habe, viele Punkte, die wir teilen; andere wiederum tei-
len wir nicht. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir
eine interessante Diskussion in den Ausschüssen haben
werden.

Vielen Dank.

Sevim Dağdelen
immer im Vordergrund. Sie, Herr Grindel, beklagen
zwar, dass die Wirtschaft Fachkräfte will, aber keine
ausbildet. Aber eines wird überhaupt nicht erwähnt:

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in
Nürnberg hat deutlich gemacht, wie miserabel die Situa-
tion der Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeits-
markt – auch in Deutschland – ist. Sie werden trotz guter
Bildungsabschlüsse benachteiligt. Anstatt hier davon zu
schwätzen, dass die Menschen in einer schlechten Lage
sind, sollten Sie sich dafür einsetzen, dass diesem Miss-
stand endlich abgeholfen wird.

Die Linke jedenfalls lehnt diese neue Gastarbeiterpo-
litik, die jetzt unter deutsch-europäischer Flagge europa-
weit etabliert wird, ab; denn in 20 Jahren wird man sich
wieder hier treffen und Krokodilstränen darüber vergie-
ßen, dass man Arbeitskräfte rief, aber Menschen gekom-
men sind. Wir setzen auf den Schutz von Menschen in
Not und auf die Etablierung einer sozialen Integrations-
politik sowohl in den Mitgliedstaaten als auch auf der
europäischen Ebene.

Wie verkommen diese Art der EU-Politik ist, erkennt
man ebenfalls daran, dass der Pakt auch geopolitisch in
die Offensive geht. Mit den Erprobungen von Partner-
schaften für eine temporäre Migration mit Kap Verde,
Moldawien und bald auch mit Senegal und Georgien soll
der Einfluss der Europäischen Union in diesen Gebieten
massiv ausgedehnt werden. Zudem geht es auch um eine
weitere Verlagerung der Abwehr von Migranten und
Flüchtlingen in deren Herkunftsländer. Dafür sollen Mi-
grations- und Entwicklungspolitik besser integriert wer-
den, sprich: Über den Hebel der Entwicklungspolitik
sollen Staaten außerhalb der EU für diese Abschottungs-
und Auslesepolitik der EU dienstbar gemacht werden.
Ich finde, das ist nichts anderes als Neokolonialismus.
Dass diese Maßnahmen manchmal von Sozialdemokra-
ten unter dem Zeichen der Menschenfreundlichkeit be-
fürwortet werden, wie zum Beispiel gestern von Außen-

(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1618410400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10341 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – der Europaausschuss
soll federführend sein – abstimmen. Wer stimmt für die-
sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – der Innenaus-
schuss soll federführend sein – abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist
mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor an-
genommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Dienstag, den 4. November 2008, 14.30 Uhr,
ein.

Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.