Protokoll:
16166

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 166

  • date_rangeDatum: 5. Juni 2008

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:20 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/166 b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutz und Förderung des Sports ernst nehmen – Sportförde- rungsgesetz des Bundes schaffen (Drucksachen 16/7744, 16/9455) . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Existenz von Kindern sichern – Fami- lien stärken (Drucksache 16/9433) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Kind zurücklassen – Programm gegen Kin- derarmut auf den Weg bringen (Drucksache 16/9028) . . . . . . . . . . . . . . . 17484 C 17484 D 17487 A 17488 C 17490 A 17506 B 17506 B Deutscher B Stenografisc 166. Si Berlin, Donnerstag I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Rolf Hempelmann und Wolfgang Nešković . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 35 a, 36 b und 37 c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 11. Sportbe- richt der Bundesregierung (Drucksachen 16/3750, 16/7584) . . . . . . . 17483 A 17483 B 17484 B 17484 C Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17492 C 17494 C undestag her Bericht tzung , den 5. Juni 2008 l t : Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 17496 A 17497 A 17497 B 17497 D 17499 A 17500 B 17501 D 17502 A 17503 B 17504 B 17505 C 17505 D c) Zweite und dritte Beratung des von de Abgeordneten Jörn Wunderlich, Klau Ernst, Dr. Martina Bunge, weiteren Abg ordneten und der Fraktion DIE LINK n s e- E II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- vorschussgesetzes (Drucksachen 16/7889, 16/9440) . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Steinecke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helga Lopez (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der 17506 C 17506 C 17508 A 17508 B 17509 B 17510 B 17511 C 17513 B 17515 A 17516 D 17517 A 17517 B 17518 A 17519 B 17519 B 17519 C 17520 A 17521 B 17522 D 17523 B 17523 C 17524 C 17525 B 17527 A 17528 B 17529 C 17530 D 17531 A 17531 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die europäische Integration der Repu- blik Moldova unterstützen (Drucksache 16/9358) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Christian Ahrendt, Carl-Ludwig Thiele, Hans- Michael Goldmann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Optimaler Darlehensnehmerschutz bei Kreditver- käufen an Finanzinvestoren (Drucksache 16/8548) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Europäisches Parlament stär- ken – Sitzfrage durch Europaparlamen- tarier entscheiden lassen (Drucksache 16/9427) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vertrag über die Beteiligung von Kapi- talanlegern an den Verkehrs-, Logistik- und zugehörigen Dienstleistungsgesell- schaften der Deutsche Bahn AG durch externen Sachverstand prüfen lassen (Drucksache 16/9474) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bevöl- kerungsstatistikgesetzes (Drucksachen 16/9040, 16/9079, 16/9319) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. November 2007 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Kö- nigreich Saudi-Arabien zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen von Luftfahrtun- ternehmen und der Steuern von den Vergütungen ihrer Arbeitnehmer (Drucksachen 16/9276, 16/9459) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bun- destages hier: Vereinbarung zwischen dem Deut- schen Bundestag und der Bundesregie- rung über die Zusammenarbeit in An- gelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 16/9400) . . . . . . . . . . . . . . . 17532 B 17532 C 17532 C 17532 C 17533 A 17533 B 17533 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 III e) – n) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 415, 416, 417, 418, 419, 420, 421, 422, 423 und 424 zu Petitionen (Drucksachen 16/9323, 16/9324, 16/9325, 16/9326, 16/9327, 16/9328, 16/9330, 16/9331, 16/9332, 16/9333) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Drit- ten Buches Sozialgesetzbuch – Verbesse- rung der Ausbildungschancen förderungs- bedürftiger junger Menschen (Drucksachen 16/8718, 16/9238, 16/9456) . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/9465) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Romer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der in- ternationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grundlage der Reso- lution 1244 (1999) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch- Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitsprä- senz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksachen 16/9287, 16/9461) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/9462) . . . . . . . . . . . . . 17533 D 17534 D 17534 D 17535 A 17536 C 17538 B 17539 B 17540 D 17542 B 17543 C 17545 B 17546 A 17547 B 17547 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu dem Antrag der Bun- desregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen vom 10. Juni 1999 und des Militä- risch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bun- desrepublik Jugoslawien (jetzt: Repu- blik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksachen 16/9287, 16/9369, 16/9463) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Konflikte zwischen Serbien und Kosovo-Albanern reduzieren – UN- Resolution 1244 uneingeschränkt um- setzen sowie faire und ergebnisoffene Verhandlungen ermöglichen (Drucksachen 16/6034, 16/7583) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unverzüglicher Rückzug der Bundes- wehr aus dem Kosovo (Drucksachen 16/8779, 16/9151) . . . . . . . Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD) . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17547 D 17547 D 17548 A 17548 B 17549 C 17550 C 17552 A 17552 B 17553 B 17554 B 17555 A 17556 A 17558 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Wolfgang Nešković, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steuerhinterziehung be- kämpfen – Steueroasen austrocknen (Drucksache 16/9168) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE: Steuermissbrauch wirksam be- kämpfen – Vorhandene Steuerquellen erschließen (Drucksache 16/9166) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Hintertür für Steuerhinterzieher (Drucksache 16/9421) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Michael Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ute Berg, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Das neue Zentrale Inno- vationsprogramm Mittelstand ZIM opti- mal ausgestalten und konsolidierungskon- form finanzieren (Drucksachen 16/8905, 16/9471) . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17556 C 17556 D 17556 D 17557 A 17560 B 17562 B 17563 B 17564 B 17565 D 17566 B 17567 A 17567 A 17568 D 17570 A 17571 D 17572 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine kohärente und konsis- tente Menschenrechtspolitik gegenüber China entwickeln (Drucksache 16/9422) . . . . . . . . . . . . . . . b) Große Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechtslage im Vor- feld der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing (Drucksachen 16/6175, 16/7273) . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgeset- zes (Drucksache 16/9415) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Abkommen zwischen der Bundes- republik Deutschland und den Vereinig- ten Staaten von Amerika über die Ver- tiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwer- wiegender Kriminalität neu verhandeln (Drucksache 16/9094) . . . . . . . . . . . . . . . 17554 A 17554 A 17554 B 17575 C 17576 A 17577 D 17579 A 17580 C 17582 A 17582 B 17584 B 17584 D 17586 A 17587 A 17588 C 17589 C 17590 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 V b) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein uferloser Datenaustausch mit den USA (Drucksache 16/9360) . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Unterrichtung durch den Bundesbeauf- tragten für den Datenschutz und die Infor- mationsfreiheit: Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informations- freiheit – 21. Tätigkeitsbericht – (Drucksache 16/4950) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch den Bundesbeauf- tragten für den Datenschutz und die Infor- mationsfreiheit: Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2006 und 2007 (Drucksache 16/8500) . . . . . . . . . . . . . . . . Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Abzug der Bundeswehr aus Südafghanistan (Drucksache 16/9418) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17590 D 17590 D 17592 B 17594 A 17594 C 17596 C 17597 C 17597 D 17598 A 17599 C 17600 D 17601 D 17602 D 17603 D 17604 A 17605 A 17606 A 17607 A 17608 A 17609 A 17609 D Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativproto- koll vom 18. Dezember 2002 zum Über- einkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder ernied- rigende Behandlung oder Strafe (Drucksachen 16/8249, 16/9468) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine effektive Umsetzung des Zusatzproto- kolls zur VN-Anti-Folter-Konvention (Drucksachen 16/8760, 16/9411) . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler, Omid Nouripour, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – im Irak, in Nachbarländern und in Deutschland (Drucksachen 16/7468, 16/9006) . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17610 D 17611 A 17611 B 17611 D 17613 A 17614 B 17615 A 17615 D 17616 C 17617 A 17618 A 17618 B 17620 A 17621 A 17622 D 17623 C 17624 D 17631 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seelots- gesetzes (Drucksachen 16/9037, 16/9390) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Burkhardt Müller- Sönksen, Harald Leibrecht, Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Präsident Medwedew beim Wort neh- men (Drucksache 16/9423) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 17: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine kon- struktive Zusammenarbeit mit Russ- land und einen kritischen Dialog (Drucksachen 16/4165, 16/7907) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Entschließungs- antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zu der Beratung der Gro- ßen Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland (Drucksachen 16/4932, 16/6241, 16/7187, 16/7873) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bre- men), Volker Beck (Köln), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Anforderungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland (Drucksachen 16/4155, 16/7906) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bre- 17625 A 17625 B 17625 B 17625 C 17625 D men), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken (Drucksachen 16/8420, 16/9464) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Dr. Sascha Raabe, Gregor Amann, Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die entwicklungspolitische Zusammen- arbeit Deutschlands im Rahmen der strategischen Partnerschaft der Euro- päischen Union mit den Staaten Latein- amerikas und der Karibik zielgerichtet stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zum EU-Latein- amerika-Gipfel in Lima – Impulse für solidarische und gleichberechtigte Be- ziehungen zwischen der EU und Latein- amerika – zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Die strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union, La- teinamerika und der Karibik durch eine intensive Umwelt- und Klima- kooperation beleben (Drucksachen 16/9073, 16/9074, 16/8907, 16/9458) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Die Beziehun- gen zu Lateinamerika und den Staaten der Karibik stärken und den EU-Lateiname- rika/Karibik-Gipfel zu einer ehrlichen Be- standsaufnahme nutzen (Drucksachen 16/9056, 16/9475) . . . . . . . . . . 17625 D 17626 C 17627 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 VII Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Ehrung für Johann Georg Elser als gesamtgesellschaftliches Anliegen begreifen (Drucksache 16/9419) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung haftungs- rechtlicher Vorschriften des Atomgeset- zes und zur Änderung sonstiger Rechts- vorschriften (Drucksachen 16/9077, 16/9472) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Pro- tokollen vom 12. Februar 2004 zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegen- über Dritten auf dem Gebiet der Kern- energie in der Fassung des Zusatzproto- kolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982 und zur Änderung des Zusatzübereinkom- mens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. No- vember 1982 (Gesetz zu den Pariser Atomhaftungs-Protokollen 2004) (Drucksachen 16/9078, 16/9473) . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Christoph Pries (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 17627 A 17628 C 17629 C 17633 D 17634 D 17636 B 17636 B 17637 A 17637 D 17638 D 17640 A 17640 C 17640 C 17641 A 17641 D 17642 D Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kein Leugnen der BSE- Gefahren – Tierfette und -mehle raus aus der Lebensmittelerzeugung – Rein in die energetische Verwertung (Drucksache 16/9098) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig Fischer (Göttingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Gregor Amann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Förde- rung von Bildung und Ausbildung – Entwicklungspolitischen Schlüsselsek- tor konsequent ausbauen (Drucksache 16/9424) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entwicklung braucht Bildung – Den deutschen Bei- trag erhöhen (Drucksache 16/8812) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verfahren vereinfachen, Bürger entlasten, Rechtssicherheit schaffen – Notwendige 17643 B 17644 A 17644 C 17644 D 17646 B 17646 D 17647 B 17648 A 17649 A 17649 A 17649 B 17651 B 17652 D 17654 B 17655 B VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Projekts „Umweltgesetzbuch“ (Drucksache 16/9113) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Ge- meindefinanzreformgesetzes (Drucksachen 16/9275, 16/9288, 16/9467) . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: V-Leute in der NPD abschalten (Drucksache 16/9007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 2005 zwischen der Re- gierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Arabi- schen Emirate über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Drucksachen 16/9039, 16/9343) . . . . . . . . . . Ralf Göbel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . 17656 B 17656 C 17657 A 17658 B 17659 A 17660 B 17661 A 17661 A 17662 B 17664 C 17665 B 17666 A 17666 D 17667 A 17667 D 17668 C 17669 B 17670 A 17661 A 17671 D 17672 A 17673 A Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Humanitäre Standards bei Rückführun- gen achten (Drucksachen 16/4851, 16/7347) . . . . . . . . . . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Weißbuch Gemeinsam für die Gesundheit: Ein strate- gischer Ansatz der EU für 2008–2013 (inkl. 14689/07 ADD 1 bis 14689/07 ADD 3) KOM (2007) 630 endg.; Ratsdok. 14689/07 (Drucksachen 16/7575 Nr. 1.5, 16/9412) . . . . Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mehr Engagement für eine nachhaltige Tourismusentwicklung – Aus- weisung der CO2-Bilanz bei Pauschalreisen (Drucksache 16/9346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhold Hemker (SPD) . . . . . . . . . . . . . 17673 B 17674 B 17674 D 17675 C 17675 D 17677 A 17677 D 17678 C 17679 B 17680 A 17680 B 17682 D 17683 C 17684 B 17685 A 17685 C 17686 A 17686 B 17687 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 IX Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Michaela Noll, Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Angelika Graf (Ro- senheim), Renate Gradistanac, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wirksame Bekämpfung der Genital- verstümmelung von Mädchen und Frauen (Drucksache 16/9420) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Hans- Christian Ströbele und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung und zu dem Antrag: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grund- lage der Resolution 1244 (1999) des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Techni- schen Abkommens zwischen der internationa- len Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungs- punkt 6 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17688 A 17688 D 17689 D 17690 B 17690 C 17691 C 17692 C 17693 A 17694 A 17694 D 17695 A 17697 A 17697 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Arnold Vaatz (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag zu der Großen Anfrage: Menschenrechtslage im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing (Tagesordnungspunkt 9 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidi Wright (SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – im Irak, in Nachbarländern und in Deutschland (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gregor Amann, Klaus Barthel, Sebastian Edathy, Elke Ferner, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese, Wolfgang Gunkel, Bettina Hagedorn, Michael Hartmann (Wackernheim), Nina Hauer, Petra Hinz (Essen), Frank Hofmann (Volkach), Christel Humme, Johannes Jung (Karlsruhe), Josip Juratovic, Ernst Kranz, Gabriele Lösekrug-Möller, Helga Lopez, Caren Marks, Detlef Müller (Chemnitz), Mechthild Rawert, Steffen Reiche (Cottbus), Christel Riemann-Hanewinckel, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael Roth (Heringen), Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Christoph Strässer, Dr. Marlies Volkmer, Lydia Westrich, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Uta Zapf und Manfred Zöllmer (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Hilfe für irakische Flücht- linge ausweiten – im Irak, in Nachbarländern und in Deutschland (Tagesordnungspunkt 15) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Unterrichtungen: – Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des Bun- desbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit – 21. Tätigkeits- bericht – – Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2006 und 2007 (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17698 B 17698 C 17698 D 17699 B X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Seelotsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 16) Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth, Parl. Staatssekretärin BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht: – zu dem Antrag: Die entwicklungspoli- tische Zusammenarbeit Deutschlands im Rahmen der strategischen Partner- schaft der Europäischen Union mit den Staaten Lateinamerikas und der Kari- bik zielgerichtet stärken 17700 C 17701 C 17702 D 17703 B 17704 A 17704 D 17705 D 17707 C 17708 A 17708 D 17709 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Präsident Medwedew beim Wort nehmen – Beschlussempfehlung und Bericht: Für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland und einen kritischen Dialog – Beschlussempfehlung und Bericht: Ak- tuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwi- schen der EU und Russland – Beschlussempfehlung und Bericht: Anfor- derungen an eine strategische Partner- schaft der EU mit Russland – Beschlussempfehlung und Bericht: Zu- sammenarbeit der EU mit Russland stär- ken (Zusatztagesordnungspunkt 3 und Tagesord- nungspunkt 17 a bis d) – zu dem Antrag: Zum EU-Latein- amerika-Gipfel in Lima – Impulse für solidarische und gleichberechtigte Be- ziehungen zwischen der EU und La- teinamerika – zu dem Antrag: Die strategische Part- nerschaft zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik durch eine intensive Umwelt- und Kli- makooperation beleben Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Die Beziehungen zu Lateiname- rika und den Staaten der Karibik stärken und den EU-Lateinamerika/Karibik-Gip- fel zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme nutzen (Tagesordnungspunkt 18 und Zusatztagesord- nungspunkt 4) Gregor Amann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17710 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17483 (A) (C) (B) (D) 166. Si Berlin, Donnerstag Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17695 (A) (C) (B) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Berichtigung 165. Sitzung, Seite 17466 (C), der 1. und 2. Absatz sind wie folgt zu lesen: „Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bewusst, dass im Rahmen der Variante C/C 2,80 täglich 814 20-Tonnen-Lkws weniger auf der Autobahn fahren würden und deren Ladung auf die Binnenwasserstraße Donau verfrachtet werden könnte und dass bei der Vari- ante A nur eine Reduzierung um 220 Lkws erfolgen würde und umgekehrt die Straßen zusätzlich belastet würden? Darüber hinaus muss ich darauf verweisen (Zuruf des Abg. Horst Meierhofer [FDP]) – ich bitte, nicht gestört zu werden; auch ich habe Sie re- den lassen –, dass die Donau bei Variante C/C 2,80 an 290 Tagen nutzbar ist, während sie bei Variante A nur an 195 Tagen nutzbar ist, und dass sich – das ist das Letzte in diesem Zusammenhang – zum Beispiel an den Ufer- streifen zwischen Aicha und Straubing überhaupt nichts, also weder durch eine Buhne noch durch sonst etwas, ändert. Das, was die Variante C/C 2,80 beinhaltet, ist also als umweltfreundlichste Lösung anzusehen“ Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17697 (A) (C) (B) (D) cherheitspräsenz im Kosovo (KFOR) lehnen wir ab. durch die Bundesregierung ist dem Einsatz zusätzlich die rechtliche Grundlage entzogen. Nitzsche, Henry fraktionslos 05.06.2008 Wir haben den Einsatz der KFOR-Truppen im Ko- sovo schon in den letzten Jahren immer kritisiert. Nach der Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 05.06.2008 Müller (Düsseldorf), Michael SPD 05.06.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 05.06.2008* Andres, Gerd SPD 05.06.2008 Brüning, Monika CDU/CSU 05.06.2008 Deittert, Hubert CDU/CSU 05.06.2008* Dörmann, Martin SPD 05.06.2008 Dzembritzki, Detlef SPD 05.06.2008* Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 05.06.2008* Faße, Annette SPD 05.06.2008 Gabriel, Sigmar SPD 05.06.2008 Gloser, Günter SPD 05.06.2008 Golze, Diana DIE LINKE 05.06.2008 Hänsel, Heike DIE LINKE 05.06.2008 Höfer, Gerd SPD 05.06.2008* Hörster, Joachim CDU/CSU 05.06.2008* Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.06.2008 Jung (Karlsruhe), Johannes SPD 05.06.2008 Kauch, Michael FDP 05.06.2008 Kipping, Katja DIE LINKE 05.06.2008 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 05.06.2008 Klose, Hans-Ulrich SPD 05.06.2008 Kramer, Rolf SPD 05.06.2008 Lintner, Eduard CDU/CSU 05.06.2008* Meckel, Markus SPD 05.06.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Hans-Christian Ströbele und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grund- lage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitsprä- senz (KFOR) und den Regierungen der Bundes- republik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Ta- gesordnungspunkt 6 a) Den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen Si- Rachel, Thomas CDU/CSU 05.06.2008 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 05.06.2008 Schily, Otto SPD 05.06.2008 Schirmbeck, Georg CDU/CSU 05.06.2008 Dr. Schmidt, Frank SPD 05.06.2008 Schmidt (Nürnberg), Renate SPD 05.06.2008 Schmitt (Berlin), Ingo CDU/CSU 05.06.2008* Seib, Marion CDU/CSU 05.06.2008 Dr. Spielmann, Margrit SPD 05.06.2008 Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 05.06.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 17698 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) Mit der Anerkennung der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit wird gegen die UN-Resolution versto- ßen, die die Grundlage für die Stationierung der NATO- Truppen im Kosovo ist. Wichtiger ist aber, dass damit auch ein wesentlicher Teil der internationalen Vereinba- rung über die Truppenstationierung gebrochen wird, der 1999 für Serbien, Russland und andere Staaten der Grund war, dass sie zugestimmt hatten. In der Vereinba- rung war festgeschrieben, dass das Kosovo ein Teil Ser- biens bleiben sollte. Um dieses Ziel, die Stabilisierung, den Wiederaufbau sowie die Herstellung einer multi- ethnischen Gesellschaft, zu erreichen, wurden die aus- ländischen Truppen ins Land gelassen und dort statio- niert. Beide Ziele wurden nicht erreicht. Nicht nur die Situation der serbischen Bevölkerung im Land, sondern auch die Vertreibung von über hunderttausend Roma und Sinti, die bis heute andauert, und das Niederbrennen ih- rer Häuser nach Ende des Krieges gegen Serbien zeigen, dass das Kosovo von einer multiethnischen Gesellschaft mindestens so weit entfernt war und ist wie vor Beginn der Kosovo-Krieges. Der endgültige Status des Kosovo hätte einvernehm- lich, jedenfalls nicht einseitig unter Förderung der Ab- spaltung durch die Natostaaten und unter dem Protekto- rat der NATO entschieden werden sollen, und zwar, wie in der UN-Resolution vorgesehen, nach Abzug der Nato. Die Nato hat von Anfang an, vor und während des Krie- ges und bis heute die UCK und deren Ziele militärisch und finanziell massiv unterstützt. Nun wurde unter dem Protektorat von UN und NATO auch noch die vollstän- dige Trennung des Kosovo von Serbien vollzogen. Da- mit leidet die Glaubwürdigkeil und Verlässlichkeit sol- cher internationaler Vereinbarungen. Auch deshalb lehnen wir den Antrag der Bundes- regierung auf Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo ab. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Arnold Vaatz (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entschließungs- antrag zu der Großen Anfrage: Menschenrechts- lage im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing (Tagesordnungspunkt 9 b) Zu dem Antrag „Menschenrechtslage im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing“ von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, erkläre ich abwei- chend zum Stimmverhalten meiner Fraktion meine Zu- stimmung. Ich halte es für eine Kernaufgabe demokrati- scher Gesellschaften und ihrer Regierungen, auf die Befreiung aller politischen Gefangenen ohne Ansehen des Staates, in dem sie gefangen gehalten werden, per- manent hinzuwirken. Ich halte die im Antrag genannte Aufforderung an die Bundesregierung nicht für eine Kri- tik an der Bundesregierung, sondern für die ausdrückli- che Unterstützung des Deutschen Bundestages, ihre bis- herige China-Politik beizubehalten. Der Antrag erhält heute im Umfeld des 19. Jahresta- ges der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Frie- dens – die zugleich auch zu den schmerzlichsten und tra- gischsten Erlebnissen in meinem politischen Leben vor der Wiedervereinigung zählen – besonderes Gewicht. Auch vor diesem Hintergrund halte ich das durch diesen Antrag beabsichtigte Signal an die chinesische Regie- rung für wünschenswert und angebracht. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidi Wright (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu dem Antrag: Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – Im Irak, in Nachbar- ländern und in Deutschland (Tagesordnungs- punkt 15) Die im Antrag vorgenommene bedrückende Situa- tionsbeschreibung ist aus unserer Sicht im Wesentlichen zutreffend. Die daraus abgeleiteten Aufforderungen an die Bundesregierung finden ebenfalls ganz überwiegend unsere Unterstützung. Insoweit bedarf es aber keiner weiteren Aufforderun- gen an die Bundesregierung. Denn insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg hat seine Entscheidungspraxis bereits danach ausgerich- tet und aktuell heute – am Tag der Abstimmung über die- sen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen – verhandelt der Bundesminister des Inneren, Dr. Wolfgang Schäuble, in Brüssel im Rat der Justiz- und Innenminister mit dem Ziel der Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Irak in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auch solcher Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Sy- rien und Jordanien geflohen sind. Wir begrüßen dies ausdrücklich im Interesse der Schutz suchenden Menschen, aber auch unter dem Ge- sichtspunkt eines vom UNHCR schon lange geforderten Resettlement-Programms auf europäischer und auf na- tionaler Ebene. Erst wenn sich herausstellen sollte, dass es trotz der Bemühungen der Bundesregierung keine Regelung auf EU-Ebene geben wird und ein solches Programm auf na- tionaler Ebene am Widerstand einzelner Bundesländer scheitert, sehen wir weiteren Handlungsbedarf seitens des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gregor Amann, Klaus Barthel, Sebastian Edathy, Elke Ferner, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese, Wolfgang Gunkel, Bettina Hagedorn, Michael Hartmann (Wa- ckernheim), Nina Hauer, Petra Hinz (Essen), Frank Hofmann (Volkach), Christel Humme, Johannes Jung (Karlsruhe), Josip Juratovic, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17699 (A) (C) (B) (D) Ernst Kranz, Gabriele Lösekrug-Möller, Helga Lopez, Caren Marks, Detlef Müller (Chemnitz), Mechthild Rawert, Steffen Reiche (Cottbus), Christel Riemann-Hanewinckel, Rene Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael Roth (He- ringen), Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall- Düren, Christoph Strässer, Dr. Marlies Volkmer, Lydia Westrich, Waltraud Wolff (Wol- mirstedt), Uta Zapf und Manfred Zöllmer (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – Im Irak, in Nachbarländern und in Deutschland (Tagesord- nungspunkt 15) Die im Antrag vorgenommene Situationsbeschrei- bung ist aus unserer Sicht im Wesentlichen zutreffend. Die daraus abgeleiteten Aufforderungen an die Bundes- regierung finden ebenfalls ganz überwiegend unsere Un- terstützung. Insoweit bedarf es aber auch keiner weiteren Auffor- derungen an die Bundesregierung. Denn insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürn- berg hat seine Entscheidungspraxis bereits danach aus- gerichtet, und aktuell heute – am Tag der Abstimmung über diesen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen – ver- handelt der Bundesminister des Inneren, Dr. Wolfgang Schäuble, in Brüssel im Rat der Justiz- und Innenminis- ter mit dem Ziel der Aufnahme schutzbedürftiger Flücht- linge aus dem Irak in die Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union, auch solcher Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syrien und Jordanien geflohen sind. Wir begrüßen dies ausdrücklich im Interesse der Schutz suchenden Menschen, aber auch unter dem Ge- sichtspunkt eines vom UNHCR schon lange geforderten Resettlement-Programms auf europäischer und auf na- tionaler Ebene. Erst wenn sich herausstellen sollte, dass es trotz der Bemühungen der Bundesregierung keine Regelung auf EU-Ebene geben wird und ein solches Programm auf na- tionaler Ebene am Widerstand einzelner Bundesländer scheitert, sehen wir weiteren Handlungsbedarf seitens des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Unterrichtungen: – Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des Bun- desbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit – 21. Tätigkeitsbe- richt – – Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2006 und 2007 (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bundesinnenminister ruft – und die Telekommunikationsunternehmen bleiben lachend zu Hause. Dieses Bild zeichnet treffend den Zustand des Datenschutzes in der großen Koalition. Nichts hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Die Berichte der vergangenen Jahre kommen immer wieder auf die glei- chen ungelösten Probleme zurück. Bleibt diese Koalition noch länger im Amt, wird der 22. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2007 und 2008 alles das wieder aufnehmen, was der jetzt vorgelegte Bericht für die Jahre 2005 und 2006 auch schon beklagt. Immer deutlicher wird, wie verantwortungslos die Po- litik der Bundesregierung ist, die das Abhören mehr und mehr Privatunternehmen überlässt, ohne sich um den Datenschutz dort zu kümmern. Der Telekom-Skandal zeigt deutlich: Die Zuverlässigkeit der privaten Tele- kommunikationsunternehmen ist ohne strikte staatliche Kontrolle nicht gewährleistet, und wer heute noch auf Selbstverpflichtungen der Wirtschaft setzt, trägt für die kommenden Datenschutzskandale in der Privatwirt- schaft die volle Mitverantwortung. Es ist insgesamt zu überdenken, unter welchen Bedin- gungen der Privatwirtschaft das Speichern von Überwa- chungsdaten im staatlichen Auftrag überhaupt übertra- gen werden darf. Wir fordern die Rücknahme des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung, weil hier deutlich geworden ist: Vorratsdatenspeicherung schafft nicht mehr Sicherheit – Vorratsdatenspeicherung öffnet das Tor für Korruption und politische Erpressung. Eine positive Auswirkung haben die täglich neuen Überwachungsskandale. Zunehmend erkennen die Bür- gerinnen und Bürger, dass es beim Thema Datenschutz nicht um den Schutz abstrakter Dateien geht; es geht ganz konkret um den Schutz der Bürgerinnen und Bür- ger. Das Thema Datenschutz steht wieder ganz oben auf der Tagesordnung der Politik, und es wird unsere Auf- gabe sein, aus diesem Hoch für den Datenschutz auch zu tatsächlichen Verbesserungen zu kommen. Nach einer Emnid-Umfrage von gestern wünschen sich 57 Prozent der Bürgerinnen und Bürger einen besse- ren Datenschutz. 83 Prozent sind davon überzeugt, dass der Telekom-Skandal kein Einzelfall ist. Wir haben es hier also mit einem großen Vertrauensverlust zu tun. Ohne wirksamen und verlässlichen Datenschutz wird das Vertrauen nicht zurückgewonnen werden können. Ohne Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wird es erhebliche Einbrüche im IT-Geschäft geben. Ich verstehe die Widerstände der Wirtschaft gegen ein Datenschutz- gütesiegel auf der Grundlage eines staatlichen Daten- schutzaudit nicht. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mit inhaltslosen Datenschutzversprechen und ungeprüf- ten Datenschutzgütesiegeln das Vertrauen zurückzuge- winnen ist. Aber auch die immer neuen Sicherheitsgesetze des Staates führen zu einem immer stärker werdenden Gefühl, in einem Überwachungsstaat zu leben. Die von Bundesinnenminister Schäuble geplante Einführung elektronischer Personalausweise ist ein gefährlicher Schritt zu immer mehr Überwachung. 62 Millionen Bür- gerinnen und Bürger sollen ihren Fingerabdruck beim 17700 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) Staat hinterlegen und darauf vertrauen, dass sie damit nicht unter einen permanenten Verdacht geraten. Es geht hier nicht um mehr Sicherheit, und es gibt keine europarechtliche Verpflichtung, den biometrischen Personalausweis einzuführen. Die Bundesregierung kann keinen einzigen Fall belegen, in dem ein gefälsch- ter Personalausweis bei einem terroristischen Anschlag irgendeine Rolle spielte. Die Technik bei der Biometrie ist nach wie vor fehler- anfällig und manipulationsgefährdet. Eine besondere Gefahr ist auch, dass die gespeicherten Daten nicht nur in einer zentralen Bundesdatei landen, sondern über in- ternationale und europäische Abkommen ohne unser Wissen über die globale Datenautobahn in den Dateien ausländischer Geheimdienste landen. Wir Grüne unterstützen schon lange die Forderung des Bundesdatenschutzbeauftragten und seiner Vorgän- ger für eine grundlegende Modernisierung und Weiter- entwicklung des Datenschutzrechts. Da aus dem BMI – ganz gleich, unter welcher Regierung – immer nur Blockade zu erwarten ist, sollten wir das Projekt „Mo- dernisierung des Bundesdatenschutzgesetzes“ in die Hände des Parlamentes nehmen und fraktionsübergrei- fend bearbeiten. Dies hat mit dem Informationsfreiheits- gesetz schon einmal ganz gut geklappt. Der Beauftragte hat hier seinen ersten Bericht zum In- formationsfreiheitsgesetz für 2006/2007 vorgelegt. Er ist eine wichtige Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Bundesbehörden. Flüchtlings- und Arbeitsloseninitiative und viele an- dere machen von dem Gesetz Gebrauch, um beispiels- weise Erlasse und Richtlinien in die Hand zu bekom- men. Wäre das Gesetz bekannter, würden noch viel mehr Menschen fragen. Leider tut die große Koalition nichts, um für das Informationsfreiheitsgesetz zu werben und die Bürokratie des Bundes zu einem bürgerfreundlichen Umgang mit dem Gesetz zu veranlassen. Die Internetsei- ten der Ministerien weisen – wenn überhaupt nur an un- sichtbaren Stellen – auf den Informationsanspruch hin. Auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung der Be- diensteten des Bundes kommt das Gesetz so gut wie gar nicht vor. Das Informationsfreiheitsgesetz leidet ersichtlich un- ter den vielen Bereichsausnahmen, die seinerzeit von der Ministerialbürokratie durchgesetzt werden konnten. Hier muss der Gesetzgeber noch einmal ran. Die bestehenden Regelungen ermutigen Bürokraten immer wieder, die alte Geheimbürokratie hochleben zu lassen. Der Stempel „VS-Vertraulich“ wird so immer wieder zum „Sesam schließe dich.“ Der Schutz angeblicher Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse wird allzu leicht als Vorwand genutzt, die He- rausgabe von Informationen an die Bürgerinnen und Bürger zu verweigern. Das muss geändert werden. Wir brauchen wie im Umweltinformationsgesetz eine Abwä- gungsklausel zwischen dem Informationsinteresse und dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis. Es zeigt sich, dass es nötig ist, den Informationsanspruch im Grundge- setz zu verankern. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Seelotsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 16) Enak Ferlemann (CDU/CSU): In den Seehäfen an den deutschen Küsten boomt es. Meine Unionskollegen und mich freut das sehr, denn diese positive Entwicklung der Umschlagszahlen bedeutet Wachstum und Beschäfti- gung. Das ist genau das, was wir alle wollen. Die Per- spektiven in der Seeschifffahrt und der maritimen Wirt- schaft sind auf viele Jahre hin ganz außerordentlich gut. Es handelt sich nicht um ein Zwischen-, sondern ein Dauerhoch. Wir haben also zu erwarten, dass noch weitaus mehr Schiffe als heute von Jahr zu Jahr auf den Weltmeeren unterwegs sind und die deutschen Seehäfen anlaufen, um die Waren umzuschlagen. So weit die gute Nach- richt. Man darf aber nicht verkennen, dass auch Probleme auftreten. Probleme, die darin bestehen, dass nicht genü- gend nautisch geschultes Personal zur Verfügung steht. Auch wenn die Seefahrtschulen versuchen, mit Unter- stützung von Politik und Wirtschaft aufzuholen und aus- zubilden, um die Nachfrage zu bedienen, so gibt es schon heute erkennbar Engpässe. Zu spüren bekommen haben diese Auswirkungen des Booms inzwischen auch die Lotsbrüderschaften. An der Küste sind wir froh, dass die in den verschiedenen Lots- brüderschaften tätigen Lotsen als erfahrene nautische Fachleute ihren Beitrag für die Gewährleistung der Si- cherheit vor unseren Küsten leisten. Denn je dichter befahren die Küstenreviere sind, umso wichtiger wird es, dass die Revierfahrten qualifi- ziert begleitet werden. Auf den meisten Schiffen tragen Kapitäne die Verantwortung, die die Reviere mit ihren speziellen Eigenheiten nicht kennen. Sie sind aus Sicher- heitsgründen darauf angewiesen, diese fehlende Revier- kenntnis zu ersetzen. Deshalb gibt es ab bestimmten Schiffsgrößen durch Revierlotsverordnungen die Pflicht, einen Lotsen an Bord zu nehmen. Ohne spezielle Revier- kenntnisse wäre die Gefahr viel zu groß, dass Schiff, Be- satzung und Fracht aus Unkenntnis der Verhältnisse des Wassers im Revier Schaden nehmen. Man muss sich vor Augen halten, Havarien in den Fahrwassern können im- mer auch den gesamten Schiffsverkehr betreffen, mit ne- gativen Auswirkungen wie zeitlichen Verzögerungen und logistischen Problemen für Dritte, wenn die Revier- fahrt nicht nach Plan läuft. Für uns an der Küste sind die Lotsen ein sehr wichti- ger Berufszweig, für den wir gute Leute finden müssen. Genügend geeignete Bewerber für den Beruf des Seelot- sen zu finden, wird aber zunehmend schwieriger. In der Vergangenheit gab es keinen Mangel an Nachwuchs. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen konnten in den Zu- lassungsverfahren aufgrund der Vielzahl der Bewerbun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17701 (A) (C) (B) (D) gen nach dem Prinzip der Bestenauslese auswählen. Das hat sich verändert. Deshalb möchte ich mich bei der Bundesregierung bedanken, dass wir heute nach inhaltlicher Abstimmung mit der Bundeslotsenkammer und dem Bundesverband der See- und Hafenlotsen die Erste Änderung des See- lotsgesetzes verabschieden können. Das Gesetz enthält Vorschriften zur Berufseignung für Seelotsen sowie zum Anforderungsprofil. Analog den Vorschriften in der Seeschifffahrt enthält es nun auch für Seelotsen eine Verbotsregelung für Alkohol und andere Rauschmittel. Herr Goldmann, das ist uns beiden ein besonderes Anliegen. Auch ist eine Ermächtigung vorgesehen, nach der zukünftig unterlassene Fortbildung sanktioniert werden kann. Auch das ist wichtig ange- sichts der Entwicklungen. In erster Linie, und darauf möchte ich eingehen, dient dieses Gesetz aber dazu, Wege zu finden, auf den Be- werbermangel im nautischen Bereich und die rückläufi- gen Bewerberzahlen bei den Seelotsanwärtern zu reagie- ren. Bisher war es so, dass nach dem Erwerb des Kapitänspatentes eine Seefahrtzeit von zwei Jahren er- forderlich war. Durch eine neue lotsenspezifische Grundausbildung wird von dieser zweijährigen Seefahrt- zeit abgesehen und Kapitäne werden gezielt und revier- bezogen auf die Anforderungen des Lotsberufes ge- schult. Dies ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe. Denn im Hinblick auf die rückläufigen Bewerberzahlen bei den Seelotsanwärtern hat sich die Arbeitsgruppe „Konzepte zur Seelotsenausbildung“ mit der Frage befasst, ob durch lotsenspezifische Lösungsansätze ein größeres Po- tenzial an nautischen Bewerbern am Markt erschlossen werden kann. Ergebnis: Als hilfreich erachtet wird ein alternativer Werdegang mit einer lotsenspezifischen Grundausbildung nach Erwerb des Patents, nach einer Bestenauslese und einem erweiterten German-Pilot-Test. Kompensiert werden soll damit die vorgeschriebene er- forderliche Seefahrtzeit nach Erwerb des Patents. Im Gesetz aufgenommen ist daher eine Verordnungs- ermächtigung für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Einführung eines alterna- tiven Einstiegs in die Seelotsenanwärterausbildung. Die neu geschaffene Grundausbildung erfolgt nur auf Antrag bei einzelnen Lotsbrüderschaften in dafür geeigneten Revieren, wie zum Beispiel am Nordostseekanal (NOK). Wenn die Bewerber ihre Grundausbildung erfolgreich absolviert und mit einer Prüfung abgeschlossen haben, beginnt dann wie gehabt die bisherige achtmonatige Ausbildung als Seelotsanwärter. Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, mich bei den Lotsbrüderschaften und den Seelotsen für ihre wichtige Arbeit zu bedanken. Ihr Beruf verlangt Vielseitigkeit. Ein Lotse muss Interesse am „Shiphandling“ haben, fle- xibel im Umgang mit multikulturellen Schiffsführungen sein und ein Feeling für die unterschiedlichen Schiffsty- pen haben. Er muss über die Fähigkeit verfügen, zielge- richtet und schnell zu handeln. Dazu braucht er eine schnelle Auffassungsgabe für die vorhandenen Ressour- cen an Bord und deren optimale Nutzung. Er muss Un- fall- und Krisenmanagement beherrschen und die unbe- dingte Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Handeln haben. Ich teile die Hoffnung der Bundesregierung, dass es mit der Überarbeitung und Ergänzung der Vorschriften über die Zulassung von Seelotsanwärtern gelingen wird, mehr Bewerber zu gewinnen. Ich bin sicher, dass die Lotsbrüderschaften, deren Re- viere dafür geeignet sind und die diesen Weg gehen wol- len, mit der Einführung dieses alternativen Einstiegs in die Seelotsanwärterausbildung eine Chance auf eine grö- ßere Anzahl an Bewerbern haben werden. Ich bitte Sie, diesem Änderungsgesetz zuzustimmen, damit für die Revierfahrten vor unseren Küsten in der Zahl ausreichend genug und durch ihre Qualifikation gut geeignete Losten zur Verfügung stehen. . Dr. Margrit Wetzel (SPD): Wir haben allen Grund zur Freude: Hamburg liegt weltweit in der Rangliste der Häfen ganz oben in der Kundenzufriedenheit. Ein we- sentlicher Grund dafür ist die ständige Verfügbarkeit der Lotsen in Deutschland. Nicht umsonst wird das Deut- sche Lotswesen mit den in Brüderschaften organisierten Freiberuflern weltweit als mustergültig angesehen. Sehen wir uns doch einmal um in großen Häfen der Welt: In den amerikanischen Westhäfen gibt es leere Piers, die Schiffe liegen draußen auf Reede und warten darauf, in den Hafen gelotst zu werden. In China machen die Häfen bei Nebel zu, die Chinesen sind offenbar sehr vorsichtig. In Rotterdam und Singapur müssen die Schiffe sich zu einem ganz exakten Zeitpunkt anmelden, der Lotse ist dann auch meistens pünktlich da. Was aber passiert, wenn die Natur der Zeitkalkulation des Kapi- täns einen Streich spielt? Was, wenn Windstärke 7 oder mehr das Schiff zu spät ankommen lässt? Dann ist der Lotse weg. Das Schiff muss neu angemeldet werden, hat einige Stunden Wartezeit, und die wird teuer. Unser Lotswesen ist also vorbildlich und trägt zum guten Ruf der Häfen ganz entscheidend bei. Dass die vorhandenen Lotsen immer weniger werden – auch aus Altersgründen die üblichen Abgänge erfolgen – hat die Handelsschifffahrt bisher kaum bemerkt. Die Lotsen ar- beiten rund um die Uhr, sind uneingeschränkt ständig verfügbar – und arbeiten, arbeiten, arbeiten. Die ständige Klage, dass es viel zu wenig nautischen Nachwuchs gibt, gilt natürlich auch für die Lotsen. Die Klage der Reeder, dass sie nicht in gewünschtem Maße zurückflaggen könnten, weil ihnen die Kapitäne fehlen, kennen wir alle. Aber auch dafür gibt es einen Grund: Wenn jahr- zehntelang viel zu wenig ausgebildet wurde, darf man sich über fehlenden Nachwuchs nicht beklagen. Man muss, und das gilt für jede Branche, mindestens bedarfs- gerecht ausbilden. Jetzt wird viel für die Ausbildung ge- tan – frei nach dem Motto, wenn der Leidensdruck groß genug ist, wenn die Not am größten ist, dann wird auch etwas getan. Der Ausbildungsmangel trifft natürlich auch das Lots- wesen, in diesem Fall ungerechtfertigt, denn die Lotsen 17702 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) durften bisher nicht (grund-)ausbilden. Bisher galt, dass ein voll ausgebildeter Kapitän, also einer, der sein Patent ausgefahren und in der Tasche hatte, noch zwei weitere Jahre Bordfahrzeit nachweisen musste, bevor er sich als Lotse bewerben durfte. Nun fehlt also überall der nauti- sche Nachwuchs, die Not ist groß, und wir wollen jetzt eine Änderung im Zugang zum Lotsenberuf erreichen. Da liegt der Verdacht doch nahe, dass wir mal eben mit einem Federstrich die Qualität absenken. Nein, weit ge- fehlt! Aus der Not geboren heißt nicht, dass etwas schlechter sein muss: Im Gegenteil, die Lotsen werben schon lange darum, dass sie selbst ausbilden dürfen. Die Fachwelt klagt schon seit Jahren über die praktisch nicht ausreichenden Regelungen des STCW 95. Die Mindest- standards reichen in der Praxis schon längst nicht mehr aus, um die immer größeren, technisch immer kompli- zierter werdenden Schiffe sicher über die Meere und in die Häfen zu bringen. Selbst Reeder müssen ihre Leute immer wieder nachschulen. Was soll jetzt geschehen? Der Kapitän, der Lotse wer- den will, kann nach wie vor den alten Zugangsweg nut- zen; nach einer zweijährigen Erfahrenszeit kann er sich als Lotse bewerben. So bleibt die Regelung auch im See- lotsgesetz bestehen. Aber daneben tritt eine Verord- nungsermächtigung, dass auf Antrag einer Lotsenbrü- derschaft die zwei Jahre Bordfahrzeit wegfallen dürfen und an diese Stelle eine sechsmonatige Grundausbildung in der entsprechenden Lotsenbrüderschaft tritt. In diesen sechs Monaten lernt der zukünftige Lotse das spezifische Shiphandling für all die verschiedenen Schiffe, die er später sicher durch das Revier bringen soll. Daran an schließt sich, wie bisher und auch wie weiterhin beim üblichen Zugang, die acht Monate dauernde Aspiranten- ausbildung, die die revierbezogenen theoretischen und praktischen Kenntnisse vermittelt, die mit einer Prüfung durch die Aufsichtsbehörde abschließt und den Lotsen bestallt, allerdings zunächst mit einer vierjährigen Erfah- renszeit im Lotsrevier mit Größenbeschränkungen: Der neue Lotse muss Erfahrung sammeln mit stets größer werdenden Schiffen, und er muss sich begleitend fortbil- den. Diese umfangreiche Ausbildung, die von den Brüder- schaften organisiert und durchgeführt wird, sichert die Zuverlässigkeit der Erreichbarkeit unserer Häfen. Die Lotsen selbst tun also am meisten für die Attraktivität ih- res Berufes. Dafür gelten ihnen unser Dank, Respekt und Anerkennung. Sie sichern den guten Ruf unserer Häfen. Und sie erhöhen die Attraktivität ihres Berufes massiv durch die ständige Fortbildung, die bei ihnen gefordert ist; denn sie sind es, die heute und zukünftig auch die Mega-Carrier sicher in unsere Häfen bringen. Das ist jetzt ein Punkt, an dem ich mich ausdrücklich an unseren Finanzminister und unsere Haushälter wende: Es leuchtet sicher ein, dass der Boom in den Hä- fen ein starker Flügel der guten Konjunktur ist. Aber: Wer große Schiffe in seine Häfen lassen möchte, muss wissen, dass die Mega-Carrier mit ihren modernen Mo- toren, mit der Auflage, schwefelarmen Diesel zu benut- zen, nicht langsamer als 12,5 Knoten fahren können. Diese Riesenteile können auch nicht mehr Lee machen. Erklärung für Landratten: „Lee machen“ heißt, das Schiff so in den Wind zu drehen, dass der Lotse auf der windabgewandten Seite möglichst sicher an Bord kommt. Nein, das geht mit den Riesenschiffen nicht mehr. Der Lotse muss bei 12,5 Knoten Fahrt überstei- gen, womöglich noch über eine im Wind schlackernde Lotsenleiter. Das ist gefährlich, und hier haben wir eine hohe Verantwortung für die Sicherheit des Lotsen, der seinerseits dafür sorgt, dass die Leichtigkeit und Sicher- heit des Verkehrs auf den Revieren garantiert ist. Das heißt also, dass wir unabdingbar ausreichend viele, mo- derne Versetzboote brauchen, mit denen der Lotse längs- seits der schnell fahrenden Schiffe gehen und trotz der hohen Geschwindigkeit einigermaßen sicher übersteigen kann. Jeden der das bezweifelt, lade ich herzlich ein, einmal einen Lotsen bei seinem Dienst zu begleiten: ständige Rufbereitschaft, mitten in der Nacht raus, bei Wind und Wetter rauf aufs Schiff, 12 bis 15 Stunden konzentrierte Fahrt, und dann gibt es vielleicht 8 Stunden Ruhe bis zum nächsten Einsatz: Es wird höchste Zeit, dass wir wieder ausreichend Lotsen bekommen, und dass heißt: Alternativen schaffen für den Zugang zum Lotsenberuf. Die anstehende Änderung erhöht die Qualifikation des jungen Lotsen und beschleunigt den Zugang zum Beruf. Abschließend bleibt mir nur, an junge Leute zu appel- lieren: Werdet Nautiker, fahrt zur See, besteht darauf, unter deutscher Flagge zu fahren oder zieht die Konse- quenzen, wenn ein Reeder euch das nicht garantiert und werdet Lotse. Das geht zukünftig sofort nach Erhalt des Kapitänspatents, und das ist gut so. Hans-Michael Goldmann (FDP): Der Personal- mangel in der Seeschifffahrt ist seit Jahren ein leidiges Thema. Darunter leidet nicht nur das Programm zu Rückflaggung deutscher Schiffe, sondern dies hat auch zu Problemen beim Nachwuchs für die Seelotsen in Deutschland geführt. Angesichts des wachsenden Schiffsverkehrs ist das Problem des Personalmangels bei den Lotsen aber im- mer dringlicher geworden. Deutschland und seine See- häfen können es sich nicht leisten, dass der Seehandel ins Stocken kommt, weil es an der notwendigen Zahl von Lotsen fehlt. Wieder einmal rächt es sich, dass wir jahrelang zu wenig Nautiker ausgebildet haben, ein Ver- säumnis, das auch den Reedern als Hauptstütze der Aus- bildung anzulasten ist. Inzwischen hat es ja zum Glück ein Umdenken gegeben, doch hilft dies derzeit noch nicht, die Personalprobleme bei den See- und Hafenlot- sen zu lösen. Die FDP begrüßt deshalb die Bereitschaft der Bun- desregierung, bei diesem Thema neue Wege zu gehen, und wir unterstützen ausdrücklich die Novelle des See- lotsgesetzes. Man muss auch unkonventionelle Mittel versuchen, um ein größeres Potenzial an Lotsen zu er- schließen. Danach soll ein alternativer Werdegang mit einer neuen lotsenspezifischen Grundausbildung nach Erwerb des Patentes eingeführt werden, womit die bislang erfor- derliche Seefahrtszeit kompensiert würde. Es bleibt ab- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17703 (A) (C) (B) (D) zuwarten, ob die geplante neue Grundausbildung als Ersatz für die erforderliche Seefahrtzeit wirklich ausrei- chend neue Bewerber in den Beruf bringen wird, doch hat dieser Vorschlag eine Chance auf Umsetzung ver- dient. Denn vielleicht löst das Pilotprojekt ja tatsächlich einen Teil dieses Problems. Wir stimmen der Bundesregierung zu, dass es durch diesen neuen Weg nicht zu einer Absenkung des Ein- gangsniveaus bei den Seelotsanwärtern kommen darf. Denn es geht ja nicht darum, jeden, der Backbord von Steuerbord unterscheiden kann, zum Lotsen zu machen, sondern oberstes Ziel muss die Verkehrssicherheit in deutschen Gewässern bleiben. Angesichts der Personalknappheit auch in anderen maritimen Bereichen, muss bei dem Pilotprojekt aber auch darauf geachtet werden, dass hier nicht ein Null- summenspiel betrieben wird. Es kann nicht allein darum gehen, mehr nautisches Personal zulasten anderer Zweige zu den Lotsen zu bringen. Unter dem Strich muss das Pilotprojekt zu einem Plus des insgesamt ver- fügbaren nautischen Personals führen. Auch wenn nichts dagegenspricht, auch im Seelotsge- setz eine Signal- und Appellfunktion zur Verhinderung des Alkoholmissbrauchs in der Seeschifffahrt aufzuneh- men, sei bei dieser Gelegenheit aber auch wieder darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung sich noch immer davor drückt, die 2001 geschaffene Gesetzeslücke bei der Bekämpfung des Missbrauchs des Alkohols bei aus- ländischen Schiffsführern zu schließen. Diese Weige- rung ist und bleibt unverständlich. Doch wahrscheinlich muss erst wieder eine alkoholbedingte Havarie passie- ren, damit die Regierung auch bei diesem Thema endlich handelt. Man fragt sich, wie viele Empfehlungen bei- spielsweise der Verkehrsgerichtstag noch geben muss, damit auch das Bundesverkehrsministerium eine Not- wendigkeit zum Handeln erkennt. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Heute sprechen wir über eine Änderung des Seelotsgesetzes. Diese ist nötig, da es immer schwerer fällt, ausreichend geeigne- tes Personal für diese anspruchsvolle Tätigkeit zu fin- den. Und wenn es gefunden wird, fehlt es an anderer Stelle – als Kapitän zur See bei den Reedereien. So wichtig das Thema ist – und wir sollten uns damit sicher noch einmal ausführlicher beschäftigen –, so un- umstritten ist die geplante Gesetzesänderung. Die Lot- senbrüderschaften begrüßen es, und auch unter den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern herrscht Einig- keit, dass das neue Gesetz die richtige Richtung weist. Auch die Linke hat in der Ausschussberatung ihre Zu- stimmung gegeben und wird es auch heute tun. Es be- steht dringender Handlungsbedarf. Wir erleben einen Boom der Seehäfen. Immer mehr Schiffe, speziell Con- tainerschiffe, aus aller Welt laufen deutsche Häfen an, und alle Experten prognostizieren weiter steigende Zah- len für die kommenden Jahre. Die Einfahrten in unsere Häfen, aber auch unsere küs- tennahen Gewässer sind durch Gezeiten und geografi- sche Gegebenheiten schwer zu befahren. Ortsfremde Mannschaften sind auf die Dienste von Seelotsen ange- wiesen; aus gutem Grund besteht in vielen Bereichen Seelotsenpflicht. Daraus ergibt sich die dringende Not- wendigkeit nach einer ausreichenden Zahl von qualifi- zierten Seelotsen. Fehlende Seelotsen wären ein ernstes Problem für den reibungslosen Betrieb unserer Häfen und ihre Effizienz. Wir müssen das in unseren Möglich- keiten Stehende tun, um den Beruf attraktiver zu ma- chen, mehr auszubilden, und zwar ohne dass es zu Ab- strichen bei der Qualität von Ausbildung und Seelotsendienst kommt. Wir müssen einerseits erreichen, dass der Lotsen- schein schneller und direkter erreicht werden kann. Bis- her ist das Kapitänspatent Voraussetzung für das Lotsen- patent, gepaart mit langjähriger Erfahrung in der Hochseeschifffahrt der deutschen Handelsflotte – aus- nahmslos. Der nun vorgelegte Gesetzesentwurf sieht vor, dass von diesen zwingenden Voraussetzungen auf An- trag einer Seelotsenbrüderschaft durch eine Rechtsver- ordnung des Ministeriums für begrenzte Reviere zukünf- tig abgewichen werden kann. Dies begrüßen wir, eröffnet es doch den Weg zu einer praxisorientierten, ge- werblichen Ausbildung zum Seelotsen. Wir hoffen gemeinsam mit den anderen Fachpoliti- kern, dass sich damit zweierlei erreichen lässt: Erstens. Die Konkurrenz von Lotsenbrüderschaften und Reede- reien um qualifizierte Kapitäne wird etwas abge- schwächt. Das ist gut, denn auch den Reedereien fehlen qualifizierte deutschsprachige Seeoffiziere. Wie wichtig diese sind, muss ich hier wohl nicht extra ausführen. Zweitens. Können so junge Menschen, die die Befähi- gung für den verantwortungsvollen Lotsendienst mit- bringen, direkt in den Beruf einsteigen – mit einer quali- fizierten Ausbildung und ohne zuvor Jahre auf große Fahrt gegangen sein zu müssen, was viele abschreckt. Und die Personalprobleme bei den Lotsen können in überschaubaren Zeiträumen gelöst werden, ohne dass die Qualität der Lotsendienste leidet. Die vorliegende Änderung ist ein guter Schritt in diese Richtung. Seeschifffahrt ist ein wichtiges Glied in der weltweiten Logistikkette, auf das wir auch als Land und Parlament ein Augenmerk zu richten haben. Es gilt sowohl den Lotsenberuf als auch den Kapitänsberuf für qualifizierte junge Menschen attraktiver zu machen, denn der Bedarf steigt. Erlauben Sie mir einen kurzen Ausflug in die Bil- dungspolitik. Bildungspolitiker wissen es längst: Wir brauchen mehr Ingenieure, mehr Kapitäne, mehr Lotsen. Verkehrspolitik ist weit mehr, als Container und Men- schen von A nach B zu bringen. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil umfassender Sozialpolitik. Unser Schul- und Bildungssystem muss nachhaltig verändert werden. Es muss durchlässiger werden. Vor allem Migrantenkinder fallen zu oft durch die weiten Löcher unsere Bildungs- systems. Im dreigliedrigen Schulsystem bleiben zu viele junge Leute hängen, die eigentlich gute Ressourcen mit- bringen, würden sie genügend gefördert. Da ist der mit dem Gesetz eingeschlagene Weg rich- tig. Damit kann der Seelotsenberuf auch für junge Men- schen attraktiv werden, die solch eine Berufswahl bisher 17704 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) noch nicht auf dem „Zettel“ hatten: für junge Frauen, junge Menschen mit Migrationshintergrund oder Ju- gendliche aus dem Binnenland, alles Gruppen, die sich eher nicht vorstellen können, den Berufsweg des Kapi- täns auf großer Fahrt einzuschlagen. Dem ganzen Schifffahrtsbereich scheint bisher die ei- gentlich notwendige Aufmerksamkeit der Politik zu feh- len. Das müssen wir gemeinsam ändern. Ich war vergan- gene Woche erstaunt zu erfahren, dass beispielsweise die Berliner Landesverwaltung kein eigenes Referat für die Binnenschifffahrt hat, weder bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft noch bei der für Stadtentwicklung und Verkehr. Dabei wissen doch alle, die sich mit Verkehrs- politik befassen, dass die Containerflut inzwischen Aus- maße annimmt, die kaum noch zu bewältigen sein wird. Bei allen Bemühungen, die Container können niemals alle über die Schiene abgefahren werden. Die Hauptau- tobahnachsen stehen schon heute vor dem Kollaps. Ohne eine verstärkte Verladung auf Feeder- und Binnenschiffe werden wir die Probleme nicht bewältigen. Deshalb ist die Änderung des Seelotsenrechts notwendig. Ich hatte mir dazu eine breiter angelegte Debatte ge- wünscht, weil dieses Thema doch sehr weit greift. Wir betrachten das heute als Anfang. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich freue mich, dass sich alle Fraktionen im Deut- schen Bundestag einstimmig dafür ausgesprochen ha- ben, die Voraussetzungen für den Beruf des Seelotsen neu zu fassen und zu ergänzen sowie Alkohol und an- dere Rauschmittel bei der Ausübung der Seelotsentätig- keit zu verbieten. Wir von Bündnis 90/Die Grünen unterstützen diese Initiative der Großen Koalition zur Änderung des See- lotsgesetzes ausdrücklich. Wir wollen die Zugangsvo- raussetzungen zum Beruf des Seelotsen verbessern, und wir wollen mehr Sicherheit auf See. Mit dem veränder- ten Seelotsgesetz können wir beides erreichen. Wir Grüne haben uns während der der rot-grünen Bundesregierung mit einigen Initiativen für mehr Sicher- heit auf See starkgemacht: sei es mit unseren Anträgen zur Vermeidung von Ölkatastrophen, zur Vermeidung von Alkoholmissbrauch im Seeverkehr, zur Küstenwa- che, sei es mit unserem grünen Antrag für ein verbesser- tes Konzept für Notschlepper. Daher freue ich mich besonders, dass wir gemeinsam mit Vertretern von Nord- und Ostseeküste erreicht haben, dass das Bundesver- kehrsministerium seine jahrelange Blockadehaltung nun endlich aufgegeben und den Auftrag für die Notschlep- per für Nord- und Ostsee vergeben hat. Auch beim Küstenschutz hat sich die Bundesregie- rung nicht mit Ruhm bekleckert: Der Bundesrechnungs- hof bescheinigt ihr ein schlecht vorbereitetes und durchgeführtes Planungsverfahren für das Maritime Si- cherheitszentrum in Cuxhaven. Der Fall wird uns im Verkehrsausschuss noch beschäftigen. Wir müssen im Fall einer Havarie handlungsfähig sein. Besonders die Ostsee ist gefährdet: Das empfindli- che Ökosystem leidet unter Einleitungen aus der Land- wirtschaft, Meeresverschmutzung durch Öl und Plastik- müll und dem rasant wachsenden Schiffsverkehr. Rund 200 Schiffe fahren täglich durch die Kadetrinne; das ist die schmale Passage zwischen der Halbinsel Darß und der dänischen Insel Falster. Das Risiko einer Ölkatastro- phe ist groß; denn viele dieser Schiffe sind Öltanker, die im Fall einer Havarie nicht alle ausreichend geschützt sind. Für Öltanker gelten ab dem Jahr 2015 verschärfte Re- geln in der EU. Dann müssen Tanker mit einer doppelten Außenwand ausgestattet sein. Doch mit der Doppelhül- lenregelung ist es nicht getan. Denn die EU-Vorgaben gelten zum Beispiel nicht für Russland. Daher brauchen wir dringend internationale Regelungen für sichere Schiffe. Wenn dann ab 2015 Tanker mit nur einer Au- ßenhülle ausgemustert werden, stehen wir vor der Auf- gabe, die Schiffe zu verschrotten. Noch ist es gängige Praxis, ausgemusterte Schiffe nach Indien zu bringen, wo sie zum Teil ganz ohne Schutzmaßnahmen für Men- schen und Meeresumwelt auseinandermontiert werden. Wir fordern daher Standards für die Abwrackung von Schiffen, eine verbesserte Kontrolle der Flaggenstaaten, eine einheitliche europäische Küstenwache sowie die Lostenpflicht für die Kadetrinne. Ein weiteres Sicherheitsrisiko ist die geplante Ostsee- pipeline. Eine „ernsthafte Umweltbedrohung“ nennt der Bericht des Petitionsausschusses des Europäischen Par- laments die knapp 100 000 Tonnen Munitionsaltlasten, die nach dem Zweiten Weltkrieg und später noch in der Ostsee versenkt wurden. Auch der Europarat hat wieder- holt vor den explosiven Altlasten gewarnt. Die Bundes- regierung sollte sich von der ökologisch wie sicherheits- politisch fragwürdigen Ostseepipeline verabschieden und stattdessen die Initiative Schwedens und der balti- schen Staaten unterstützen, eine Landroute zu prüfen. Unabhängig davon muss die Bundesregierung das Problem der Munitionsaltlasten endlich anpacken. Im Nadelöhr Kadetrinne, dieser schmalen und viel befahre- nen Wasserstraße, liegt ein Kriegsschiffwrack mit min- destens drei Bomben an Bord. Die Folgen eines Tanker- unfalls können hier verheerend sein; denn bei einer Explosion können die Bomben ganze Schiffe versenken. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung noch im- mer nicht die Zuständigkeiten zwischen Bund und Län- dern klar geregelt hat. Hier gibt es noch einige Hausauf- gaben zu erledigen. Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- nister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die vorlie- gende Änderung des Seelotsgesetzes betrifft einen wich- tigen Bereich für die Sicherheit der Schifffahrt an den deutschen Küsten und den Zufahrten zu den deutschen Seehäfen. Die Seelotsen sind Bestandteil des Verkehrssi- cherungssystems Deutsche Küste zum Schutz von Mensch und Umwelt. Darüber hinaus ist die Zuverlässigkeit und rasche Verfügbarkeit des Lotsen für die Schifffahrt und die in- ternationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Seehäfen auch wirtschaftlich von großer Bedeutung. Für die see- fahrenden Kapitäne stellt der Lotsenberuf eine attraktive Möglichkeit dar, in einen schifffahrtsbezogenen Landbe- ruf zu wechseln. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17705 (A) (C) (B) (D) Allerdings hat die derzeitige Situation in der See- schifffahrt zu Problemen bei der Rekrutierung nauti- schen Nachwuchses geführt, was auch einen Rückgang der Anzahl von Bewerbern zum Seelotsenanwärter zur Folge hatte. Dem steht ein erhöhter Bedarf an neuen Lot- sen gegenüber, bedingt durch Altersabgänge und die hohen Verkehrszuwächse, insbesondere am Nordostsee- Kanal. Aus dieser Situation ergibt sich die Notwendigkeit, die Vorschriften über die Zulassung von Seelotsenan- wärtern zu aktualisieren und zu ergänzen, mit dem Ziel, den hohen Qualitätsstandard der Lotsendienste weiter zu erhalten und eine bedarfgerechte Zulassung qualifizier- ter Seelotsenanwärter zu ermöglichen. Die notwendigen Änderungen betreffen vor allem die Zulassungskriterien für Bewerber zum Seelotsenanwär- ter, die die insbesondere in den letzten Jahren immer ge- ringer werdenden Bewerberzahlen auffangen sollen. Die Anforderungen für die Zulassung als Seelotsenanwärter werden neu gefasst und inhaltlich ergänzt. Bewerber für den Beruf des Seelotsen müssen fach- lich befähigt, körperlich und geistig geeignet und zuver- lässig sein. Zum Nachweis der Befähigung ist unter anderem ein Kapitänspatent erforderlich und eine See- fahrtzeit von mindestens zwei Jahren nach Erwerb dieses Befähigungszeugnisses. Die Seefahrtzeit muss innerhalb der letzten fünf Jahre in nautisch verantwortlicher Posi- tion erbracht sein. Damit wird sichergestellt, dass die Seefahrtzeit einen möglichst aktuellen Erfahrungs- und Ausbildungsstand widerspiegelt. Diese zusätzlichen Kriterien für die Seefahrtszeit wa- ren bisher nicht formal festgeschrieben, konnten aber, solange genügend Bewerber zur Auswahl standen, im Rahmen des Auswahlverfahrens in die Entscheidung einfließen. Zur Verbesserung der Nachwuchssituation bei den Seelotsenanwärtern soll durch eine Verordnungsermäch- tigung ein alternativer Einstieg in die Seelotsenanwärter- ausbildung eröffnet werden. Es soll ein zusätzlicher Be- werberkreis für den Seelotsenberuf erschlossen werden. Eine neu zu schaffende lotsenspezifische, revierbezo- gene Grundausbildung bei den einzelnen Brüderschaften soll die bislang nach dem klassischen Werdegang erfor- derliche Seefahrtzeit von zwei Jahren kompensieren. Mit der neuen Grundausbildung, an deren Entwick- lung die Lotsen selbst maßgeblich mitgearbeitet haben, soll der Bewerber – vor der Zulassung als Anwärter – gezielt bei einer Lotsenbrüderschaft auf die Anforderun- gen des Lotsenberufes revierbezogen geschult werden. Wichtig ist zu betonen, dass auch bei diesem alterna- tiven Weg die Sicherheit der Schifffahrt und die Qualität des Lotsen oberstes Gebot bleibt. Deshalb soll der Weg nur in einzelnen Revieren nach Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde beschritten werden. Außerdem findet eine Erfolgskontrolle in Form von Leistungsnachweisen während der Grundausbildung und einer anschließenden Prüfung statt. Erst danach folgt die auch für den her- kömmlichen Weg vorgesehene achtmonatige Ausbil- dung als Seelotsenanwärter. Es wird erwartet, dass durch die Gesetzesänderung eine größere Anzahl an Bewerbern für die Ausbildung zum Seelotsen gewonnen werden kann, da ein erhebli- cher Teil der jungen Nautiker bereits nach Erwerb des Patentes den Bereich der Seefahrt verlässt und einen Landberuf anstrebt. Eine weitere Ergänzung des Seelotsgesetzes betrifft den Bereich von Alkohol und sonstigen berauschender Mitteln. In Anlehnung an die in der Seeschifffahrt für Schiffsführer geltenden Bestimmungen über das Verbot von Alkohol und sonstigen berauschenden Mitteln wird auch für Seelotsen eine entsprechende Verbotsregelung aufgenommen. Unabhängig von diesem Gesetzgebungsverfahren möchte ich zum Thema Nachwuchsgewinnung auf Maß- nahmen der Bundesregierung bei den Nautikern in den Verkehrszentralen der Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung hinweisen. Auch hier steht qualifiziertes Personal nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung. Die sogenannte Qualifikationsoffensive für Nautiker in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung beinhaltet ein Maßnahmenbündel, zu dem neben einer gezielten Fort- und Weiterbildung eigener Beschäftigter und Auszubil- dender in schifffahrtsnahen Bereichen, zum Beispiel Schiffsmechaniker, deutlich bessere Vergütungen sowie die Durchgängigkeit von Laufbahnen bei Beamten und Tarifbeschäftigten gehört. Im Rahmen einer umfassen- den Untersuchung wird zudem das durch die technische Entwicklung geänderte Anforderungsprofil an die nauti- schen Dienstposten der Verkehrszentralen ermittelt und gezielt zum Gegenstand der verwaltungseigenen Aus- und Fortbildung einschließlich der Praxiserfahrungen gemacht. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Präsident Medwedew beim Wort nehmen – Beschlussempfehlung und Bericht: Für eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russ- land und einen kritischen Dialog – Beschlussempfehlung und Bericht: Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Aus- wirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland – Beschlussempfehlung und Bericht: Anforde- rungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland – Beschlussempfehlung und Bericht: Zusam- menarbeit der EU mit Russland stärken (Zusatztagesordnungspunkt 3, Tagesordnungs- punkt 17 a bis d) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Das Verhältnis zu Russland beschäftigt Politik und Öffentlichkeit seit vielen Jahrzehnten. Die Sichtweisen sind nicht immer 17706 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) rational. Die einen plädieren für eine größtmögliche Hinwendung zu Russland, die anderen, wie auch die vor- liegenden Anträge zeigen, verfangen sich leicht in leh- rerhaften oder missionarischen Vorschlägen darüber, wie sich Russland nach unseren Wünschen verändern sollte. Eine rationale Russlandpolitik, die sich an den Fakten und gegenseitigen Interessen orientiert, kann im Blick auf die aktuellen Entwicklungen folgendes feststellen: Der Machtwechsel in Russland ist ein Präzedenzfall: Erstmals in der russischen Geschichte verlässt ein Regie- render freiwillig das Amt und ordnet sich der Verfassung unter, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, diese zu än- dern. Die Mehrheiten in der Duma und in der Bevölke- rung wären vorhanden gewesen. Damit wird deutlich: Die Machtausübung in Russland ist befristet und nicht unendlich. Die Verfassung hat eine neue Akzeptanz; Putin hat der politischen Kultur Russlands einen Dienst erwiesen und nährt dadurch die Hoffnung, dass das poli- tische System in Russland insgesamt flexibler und offe- ner wird. Der vom früheren Präsidenten Putin vorgeschlagene Nachfolger, Dmitri Medwedew, ist weder ein „Schaf im Wolfspelz“ noch ein „Lilliputin“. Dieses hat er gerade mit der Ablehnung des umstrittenen „Mediengesetzes“ bewiesen. Er hat die Verschärfung des sogenannten Me- diengesetzes mit der Begründung abgelehnt, die neuen Bestimmungen könnten „ein normales Funktionieren von Massenmedien behindern“. So zitierten Moskauer Medien aus einem Kremlgutachten. Russland wird künftig von zwei starken Polen domi- niert: Medwedew und Putin. Beide sind aufeinander an- gewiesen und damit zum Erfolg verdammt. Allerdings ist Medwedews Ausgangsposition um einiges besser als die Putins vor acht Jahren. Die politische Lage in Russ- land ist stabil, die Wirtschaft wächst, die Armut wurde unter Putins Amtszeit verringert. Putin wie Medwedew haben in den letzten Wochen in wichtigen Reden schonungslos die Situation ihres Lan- des analysiert. Stichworte dabei waren unter anderem: Die wirtschaftliche Entwicklung stützt sich zu sehr auf den Energiebereich; die übrige Wirtschaft sei ineffizient, die Arbeitsproduktivität zu niedrig; es gebe keine nach- haltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Be- völkerung; ein korruptes und überbürokratisiertes Ver- waltungssystem, das zu viel Druck auf die Wirtschaft ausübe. Beide haben weitreichende Ziele für die Moder- nisierung ihres Landes gesteckt. Dass diese Ziele auch erreicht werden, liegt in unserem Interesse. Der Freiheitsbegriff spielte bereits in der Antrittsrede Medwedews eine große Rolle; darin bezog er neben der bürgerlichen und der wirtschaftlichen Freiheit auch die Pressefreiheit ein. In Umfragen fühlen sich immerhin 53 Prozent der Befragten in Russland frei bzw. ziemlich frei und 46 Prozent blicken optimistisch in die Zukunft. Aber noch immer ziehen zwei Drittel der Russen einen starken, schützenden Staat einem liberalen Staat, der Freiheiten garantiert, vor. Für 75 Prozent der Bürger ist Ordnung wichtiger als Demokratie. Wir werden Präsident Medwedew und seine wieder- holte Betonung von Rechtsstaatlichkeit, einer starken Zi- vilgesellschaft und von unabhängigen und freien Medien beim Wort nehmen und entsprechende Taten erwarten, und wir werden weiter unsere Sorgen um die Entwick- lung von demokratischen Rechten artikulieren. Russland steht vor großen Problemen: Das flächenmäßig größte Land der Welt mit elf Zeit- zonen verzeichnet eine besorgniserregende Entwicklung in der Demografie. Die Bevölkerung schrumpft in jedem Jahr um 700 000 Personen, die durchschnittliche Le- benserwartung liegt bei Männern gerade mal bei 58,9 Jahren. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Lebenserwartung von Männern bei 76,6 Jahren. Haupt- problem in Russland ist der nahezu epidemieartige Alko- holismus. Drogensucht und HIV-Infektionen steigen an, die Überalterung der Gesellschaft nimmt zu – im Gegen- zug verringert sich das Arbeitskräftepotenzial drama- tisch. Bereits heute ist Russland das Einwanderungsland nach den USA. Die Wirtschaft entwickelt sich gut, steigende Preise für Rohstoffe und Energieträger tragen maßgeblich dazu bei. Die Auslandsinvestitionen sind im Jahr 2007 um 82,3 Milliarden gestiegen, die Währungs- und Gold- reserven belaufen sich auf 500 Milliarden Dollar. Aber die einseitige Abhängigkeit von hohen Öl- und Gasprei- sen ist eine große Schwäche der russischen Wirtschaft. Es fehlt an Diversifizierung, Entflechtung und Transpa- renz. Überbürokratisierung und Korruption sind die Fol- gen. Wir haben das Interesse an einem politisch und wirt- schaftlich modernen und starken Russland, mit dem die Beziehungen zu einer auf den universellen Werten basie- renden strategischen Partnerschaft weiterentwickelt wer- den. Der Grund für unser Interesse an einem politisch und wirtschaftlich modernen Russland ist klar: Wir leben in einem breiten Feld gegenseitiger Abhängigkeiten – im Energiebereich, in der wirtschaftlichen und technologi- schen Zusammenarbeit, bei internationalen Konflikten, bei der Bekämpfung der Proliferation, bei der Bewälti- gung der globalen Herausforderungen wie international agierender Terrorismus oder Klimawandel. All das spricht dafür, dass wir im 21. Jahrhundert noch enger als bisher aufeinander angewiesen sind. In der russischen Gesellschaft fehlt es an moralischen und geistigen Autoritätspersonen oder Institutionen, die Werte öffentlich definieren und artikulieren. Auch ein allgemeines Wertesystem existiert nicht. Ethische, religiö- se und ästhetische Maßstäbe – von einem breiten gesell- schaftlichen Konsens getragen – gibt es nicht. Das er- klärt wiederum auch, warum sich nur 16 Prozent der Russen ein demokratisches System nach westlichem Vorbild wünschen. Wenn Russland den Wandel zu einem modernen wett- bewerbsfähigen Staat vollziehen will, dann muss es das Potenzial der Fähigkeiten seiner Bürger besser und voll- ständig nutzen und ihnen dafür Freiräume schaffen. Ins- besondere braucht es die Unterstützung der liberalen Eliten und der Menschen aus der wachsenden Mittel- schicht. Ohne eine starke und unabhängige Zivilgesell- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17707 (A) (C) (B) (D) schaft, ohne eine kritische Öffentlichkeit und ohne unab- hängige Medien kann es keine Modernisierung geben. Die Beziehungen EU-Russland erhalten durch die Mandatserteilung zur Aufnahme der Verhandlungen über ein neues PKA „frischen Wind“. Die Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland beziehungsweise zwischen der EU und Russland wird umso erfolgreicher sein, je mehr Russland die EU als eine Solidargemein- schaft versteht. Ein Versuch, einzelne EU-Partner anders zu behandeln als die anderen, ist für eine engere Zusam- menarbeit zwischen unseren beiden Staaten nicht förder- lich. Bei alledem dürfen wir die russische Stimmung nicht vergessen. Viele Russen werfen dem Westen noch heute vor, die Schwächung ihres Landes nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht nur gewollt, sondern auch ausgenutzt zu haben. Die Ära Jelzin war für viele Russen besonders prägend. Aber auch die Erweiterung der NATO, das ge- plante amerikanische Raketenabwehrsystem und die zahlreichen US-Stützpunkte bewirken antiwestliche Ressentiments, zumal die NATO noch immer als poten- zielle Bedrohung angesehen wird. Und auch das alte Trauma der Isolation bzw. Einkreisung Russlands ist nach wie vor aktuell. Diese Wahrnehmung ist unrealistisch. Aber wir kom- men nicht umhin, uns damit zu befassen. Auch künftig wird es mit Russland Interessenkonflikte geben. Die Zu- sammenarbeit wird jedoch umso intensiver sein, je mehr diese im vernünftigen Dialog und im Sinne der Vertrau- ensbildung statt der Konfrontation oder gar mit Drohun- gen ausgetragen werden. Dies gilt insbesondere für die Drohkulisse, die Moskau gegenüber der Ukraine wegen der Annäherung an die NATO aufbaut. Solche imperia- len Gesten verstärken noch das Sicherheitsbedürfnis der Ukraine. Um die Vereinbarungen von Bukarest noch ein- mal deutlich zu formulieren: Über eine Annäherung der Ukraine an die NATO entscheiden die Mitglieder und die Ukraine allein. Ein Vetorecht für Russland gibt es nicht. Gleichwohl sollten wir für eine Diskussion offen sein, welche Möglichkeiten es gibt, russische Interessen im Bezug auf die Industrie und die Schwarzmeerflotte zu berücksichtigen. Jedenfalls wünschen wir uns mehr Konstruktivität auf russischer Seite bei der Lösung ge- meinsamer Probleme, zum Beispiel auf dem Balkan oder im Mittleren Osten. Ratschläge und Belehrungen von außen bewirken in Russland grundsätzlich das Gegenteil. Wir können sie nicht von außen erzwingen, sondern lediglich mit aller Kraft unterstützen. Reformen müssen in Russland selbst von innen heraus entstehen; die Transformation der rus- sischen Gesellschaft hat bereits begonnen. Wir sollten dieses Vorhaben nicht nur mit kritischer Empathie be- gleiten, sondern unterstützen, wo immer es uns möglich ist. Russland braucht inneren und äußeren Frieden. Russ- land braucht Partner in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Wir brauchen Russland und Russ- land braucht uns. Zusammenarbeit und Austausch sind der Schlüssel für eine dauerhafte, friedliche Zukunft. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Deutsche Po- litik will die Zusammenarbeit mit Russland. In diesem Punkt gibt es fraktionsübergreifende Gemeinsamkeit. Und Russland will – das ist die Botschaft Präsident Medwedews bei seinem heutigen Besuch in Berlin – weiter mit Deutschland zusammenarbeiten. Russland ist eine europäische Macht, geografisch und kulturell, aber auch, trotz aller Interessenunterschiede, politisch. Von den 140 Millionen Bürgern der russischen Föderation leben 120 Millionen diesseits des Urals. Dies ist ein maßgeblicher Faktor für die gegenseitige Bereit- schaft, die Zusammenarbeit auf allen Ebenen zu vertiefen. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben ge- zeigt: Wenn unsere Beziehungen zu Russland gut sind, dann geht es ganz Europa gut. Und umgekehrt: Span- nungen, Drohungen, gegeneinander gerichtete Rüstun- gen schaden allen. Russland zielt heute nicht mehr mit Raketen gegen europäische Staaten. Wir müssen mit un- serem eigenen Rüstungsverhalten innerhalb und außer- halb der NATO sicherstellen, dass sich diese Situation nicht ändert! Damit die positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit bewahrt und vertieft werden können, müssen wir unser eigenes Interesse hieran klar sehen und artikulieren. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit Russland für den Frieden in Europa, für gutnachbarschaftliche Beziehun- gen, für die Regelung von Krisen und Konflikten außer- halb Europas: im Nahen Osten, gegenüber dem Iran und Nordkorea. Ohne aktive Beiträge Russlands kann die Gefahr der Proliferation von Atomwaffen kaum verrin- gert werden. Russland ist ständiges Mitglied des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen. Deutschland bindet seine militärischen Auslandseinsätze an Mandate des VN-Sicherheitsrates und damit an die Zustimmung auch Russlands. Wir brauchen Russland für die Regelung der dring- lichsten globalen Fragen: vom Schutz der Umwelt, der Vermeidung der drohenden Klimakatastrophe, den spar- samen Umgang mit natürlichen Ressourcen, der Versor- gung mit Energie bis zur Umsetzung von Abrüstung und Rüstungskontrolle, der Bekämpfung des Terrorismus und des Drogenhandels. Mit der Kooperation in diesen Feldern tun wir Russ- land keinen Gefallen. Wir tun das aus eigenem Interesse, und Russland kooperiert mit uns ebenfalls aus eigenem Interesse. Wir bieten Russland Unterstützung für Um- weltschutz-Projekte, für die Steigerung der Energieeffi- zienz, für den Ausbau des Gesundheitswesens, für Woh- nungsbau, Verwaltung und für die Förderung der Rechtsstaatlichkeit an. Die Bundesregierung bezeichnet diese Art der Zusammenarbeit als Modernisierungspart- nerschaft. Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, dazu beizutragen, dass Russland ein moderner Staat wird. Wir haben heute vom russischen Präsidenten Medwedew gehört, dass er die russische Volkswirtschaft und das Staatswesen in dieser Richtung entwickeln will. Das ist zu begrüßen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die neu entstandenen Chancen mit Nachdruck zu nutzen. 17708 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) Harald Leibrecht (FDP): Wenn ich mir die letzten Debatten im Bundestag zu Russland ins Gedächtnis rufe, so freut es mich sehr zu sehen, dass der Ton inzwischen optimistischer und positiver geworden ist. Während in der Debatte im Februar 2007 noch die Kritik an der rus- sischen Führung und der problematischen Situation in Russland vorherrschte, waren die Redebeiträge im März dieses Jahres schon geprägt von einer verhaltenen Hoffnung auf Veränderungen durch die Wahl Dmitri Medwedews zum neuen Präsidenten. Diese Hoffnung scheint sich jetzt mit dem heutigen Besuch Medwedews hier in Berlin noch zu verstärken, sowohl innerhalb der Politik als auch in Wirtschaftskreisen. Die Worte, die Dmitri Medwedew noch in seinen Wahlkampfzeiten, vor allem in Krasnojarsk gebraucht hat, waren in der Tat erstaunlich, gingen sie doch in eine Richtung, die fast konträr zu den letzten Jahren der Putinschen Präsidentschaft erscheint. Und offenbar be- schränkt sich Präsident Medwedew nicht nur auf deutli- che Worte, sondern er scheint auch zu handeln. Das Kip- pen des umstrittenen Mediengesetzes, die Bildung eines Anti-Korruptions-Rates sowie die Einsetzung einer teil- weise durchaus relativ wirtschaftsliberalen Regierung sind erste Anzeichen hierfür. Ich hoffe sehr, dass wir auch in den nächsten Monaten weitere Schritte in Rich- tung Liberalisierung und Rechtsstaatlichkeit sehen wer- den. Allerdings hatte auch Premierminister Putin zu sei- nen Zeiten als Präsident ziemlich häufig und deutlich die Probleme Russlands angesprochen, jedoch nie konkrete Schritte diesbezüglich unternommen – manchmal hat er sogar genau das Gegenteil dessen gemacht. Medwedews deutliche Worte und erste Taten lösen im Westen schon Spekulationen darüber aus, ob sich der neue russische Präsident von Putin distanzieren will. Diese Spekulationen sind jedoch völlig verfrüht. Es ist davon auszugehen, dass Präsident Medwedew weder im Wahlkampf noch jetzt irgendetwas tun oder sagen würde, wenn er dabei nicht die grundsätzliche Rücken- deckung Putins hätte. Das wiederum lässt darauf schlie- ßen, dass Wladimir Putin offensichtlich erkannt hat, dass Russland die bestehenden Bremsen (wie Korruption, überbordende Bürokratie, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Inflation) dringend lösen muss, um ein nachhaltiges und umfassendes Wirtschaftswachstum zu erreichen. Um Russland wirklich bis 2020 zu einer der fünftgrößten Volkswirtschaften zu machen, bedarf die russische Wirt- schaft unbedingt einer Generalüberholung. Die hohen Staatseinnahmen und das durchaus beachtliche Wirt- schaftswachstum Russlands basieren hauptsächlich auf dem Export von Energie und den hohen Öl- und Gas- preisen. Der Rest der russischen Wirtschaft bietet dage- gen ein eher tristes Bild. Russland ist sich – ungeachtet der öffentlich zur Schau gestellten Unabhängigkeit und Selbstgewissheit – dabei durchaus bewusst, wie dringend es ausländischen Kapitals und Know-hows bedarf, um seine Wirtschaft zu modernisieren und international konkurrenzfähig zu sein. Der beste und im Grunde einzig wirkliche Partner für diese Modernisierung ist die Europäische Union, und dort insbesondere Deutschland. Dass dies auch von der russischen Führung so gesehen wird, zeigt der heutige Besuch Präsident Medwedews hier in Berlin. Bei seiner Rede vor Vertretern der Wirtschaft und der Politik hat Medwedew dafür plädiert, dass die europäische Integra- tion nicht in Osteuropa haltmachen darf – dies können wir nur begrüßen. Russland und Europa müssen sich für gegenseitige Investitionen weiter öffnen. Wir begrüßen das Bekenntnis Medwedews zum freien Markt und den Menschenrechten als Basiswerte. Die nächsten Monate werden zeigen, wie ernst es ihm damit ist. Insgesamt geben der heutige Besuch und die pro- grammatische Rede von Präsident Medwedew große Hoffnung, dass die Differenzen, die derzeit zwischen der EU und Russland bestehen, nicht unüberwindbar sind und dass Russland bereit ist, diese in einem offenen und zielführenden Dialog anzugehen und zu überwinden. Er hat mehrmals hervorgehoben, wie wichtig stabile und nachhaltige Beziehungen mit der EU bzw. Deutschland für Russland sind und dass diese nur mit einer rechtli- chen Grundlage eine echte Perspektive haben. Der zü- gige Abschluss des neuen Partnerschafts- und Koopera- tionsabkommens scheint ihm nicht nur dringend notwendig, sondern auch durchaus im Bereich des Mög- lichen. So hat er angedeutet, dass es schon bald wenigs- tens einen diesbezüglichen Rahmen geben könnte. Kurz: Medwedew hat heute Europa und Deutschland die Hände zu einer engeren politischen und wirtschaftli- chen Kooperation gereicht. Sein Werben um eine Einbe- ziehung Russlands in allen Bereichen, sei es Wirtschaft, Politik oder gesellschaftlicher Austausch, ist eine große Chance, das Verhältnis zu Russland auf eine neue Basis zu stellen und zu einer Kultur des Vertrauens und einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückzukehren. Diese Chance dürfen wir in Deutschland und Europa nicht un- genutzt lassen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Die deutsch-rus- sischen Beziehungen bzw. eine europäische Ostpolitik ist eines der zentralen Themen deutscher Außenpolitik. Ich wünschte mir, dass wir angemessener über dieses Thema diskutieren würden. Schaut man sich die Anträge dazu an – schon länger vorliegend Anträge der Grünen, heute noch ein Antrag der FDP –, fällt mir eine eigenartige Betrachtungsweise auf. Es wird vor allem darüber diskutiert, was Deutsch- land für Russland tun kann oder was Deutschland von Russland erwartet. Ich denke nicht so einseitig, sondern ich frage mich, was Deutschland durch eine Verbesse- rung der Beziehungen gewinnen kann. Die Frage nach den deutschen bzw. europäischen Interessen ist ein wich- tiger Zugang. Schaut man sich die russische Europapoli- tik an, so besteht diese in einem hohen Maße aus einer russischen Deutschlandpolitik. Europa heißt für Russ- land immer auch Deutschland – umgekehrt endet der Eu- ropabegriff bei „uns“ zu oft an den Grenzen der EU. Für die Energiesicherheit Deutschlands und weiter Teile Europas sind die russischen Lieferungen aus- schlaggebend. Der gesamte Komplex der Energiepolitik inklusive des Verlaufes der Energieleitungen bedarf langfristiger Sicherungen. Das ist ein gemeinsames Inte- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17709 (A) (C) (B) (D) resse, welches aber mit dem der USA nicht überein- stimmt. Russland ist und bleibt für Deutschland ein dominan- ter Wirtschaftsraum und umgekehrt ist Deutschland für Russland ein Tor nach „Europa“. Außenminister Steinmeier hat Russland eine „Modernisierungskampa- gne“ vorgeschlagen. Die deutsche Wirtschaft spitzt die Ohren. Modernisierung, in meinem Verständnis, ist nicht nur ein wirtschaftlicher und technischer, sondern auch ein sozialer Prozess. Zu einer Modernisierungskampagne gehört auch der Austausch über Sozialstaatlichkeit, Ge- werkschaften, Zivilgesellschaft und vieles mehr – nicht ganz einfach für eine Bundesregierung, die genau dies in den vergangenen Jahren im eigenen Land mehr und mehr zerstört hat. Sicherheit und Abrüstung in Europa sind ohne Russ- land nicht vorstellbar. Keiner der großen Weltkonflikte ist ohne Russland lösbar, weder im Nahen Osten, noch im Iran oder in Zentralasien. Sicherheit heißt, politische Entwicklungen immer auch mit den Augen des anderen zu sehen. Dann wird deutlicher: Das sogenannte Rake- tenabwehrsystem ist gegen Russland gerichtet. Das gilt auch für die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO. Eine solche Politik entspricht nicht europäischen Sicherheitsinteressen und zerstört das Vertrauen. Der KSE-Vertrag ist auch von der NATO blockiert worden. Die weitgehende Einbindung Europas – Kosovo ist nur das jüngste Beispiel –, in die Strategie der USA macht es schwer, von wirklicher Partnerschaft zu sprechen. Gleichzeitig gibt es auch in Russland Diskussionen zwi- schen „Europäern“ und „Atlantikern“. Die Politik Putins war stark, nach meinen Vorstellungen zu stark, auf die USA ausgerichtet. Die Festigung und der Ausbau von Demokratie ist ein europäisches Interesse – in Russland, in Deutschland und Europa. Das ist mehr als ein Exportangebot. Mir würden kritische Debatten mit russischen Politikern leichter fallen, wenn ich überzeugt und überzeugend sa- gen könnte, dass bei uns mit der Demokratie „alles in Ordnung“ ist. Können wir das? Wir können es nicht. Ich würde gern wissen, welche Überlegungen in Russland die CDU-Pläne für einen Nationalen Sicherheitsrat aus- gelöst haben oder wie die fortwährenden Schritte zu ei- nem Überwachungsstaat wahrgenommen werden. „Fasst euch an die eigene Nase“, habe ich mehr als einmal in Russland gehört. Ich wünsche mir also eine andere, wirklich partner- schaftliche Herangehensweise an die existenzielle Frage der deutsch-russischen Beziehungen. Von einer neuen europäischen Ostpolitik sind wir weit entfernt. Diese ist aber unverzichtbar. Europa wird immer von der Qualität deutsch-russischer Beziehungen geprägt sein. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Kanzlerin hatte bei ihrem Besuch in Moskau im März signalisiert, dass dem neuen Präsiden- ten in Deutschland „alle Türen offen stehen“. Das war ein richtiges Signal. Der Amtsantritt Medwedews ist eine Chance für ein neues Kapitel in den europäisch-rus- sischen Beziehungen, eine Chance auf Bewegung in zahlreichen Streitfragen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland ist alternativlos. Daher ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass die EU-Außenmi- nister am 27. Mai das Verhandlungsmandat für ein neues Grundlagenabkommen der EU mit Russland verabschie- det haben. Wir rechnen damit, dass die Verhandlungen beim nächsten EU-Russland Gipfel eröffnet werden. Ich möchte aber gleichzeitig vor Euphorie und über- triebenem Optimismus warnen. Medwedews Rede in Krasnojarsk hat den Westen aufhorchen lassen. Dort hat er auf den ersten Blick ein umfassendes Plädoyer für die umfassende Modernisierung seines Landes auf der Basis von Rechtsstaatlichkeit gehalten. Bei genauerer Betrach- tung dieser Rede Medwedews stellt man fest, dass er sich in erster Linie als Verfechter von rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen für Marktwirtschaft, Unternehmer- freiheit und Privateigentum darstellt. Dies sind ohne Zweifel wichtige Ziele. Ihre Verwirklichung würde be- deuten, dass eklatante Verletzungen der Rechtsstaatlich- keit, wie im Fall der Enteignung von Jukos und in den Prozessen gegen Chodorkowski und Lebedew, in Medwedews Russland nicht mehr vorkommen könnten. Allerdings sprach Medwedew in Krasnojarsk von der Bedeutung persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit und der Freiheit der Selbstfindung, nicht jedoch von politischer Freiheit. Ohne Letztere wird es aber nicht ge- lingen, Russland auf den Weg der Modernisierung zu bringen, für die Medwedew so vehement eintritt. Rechts- staatlichkeit bei ökonomischen Prozessen und die Wah- rung der Menschen- und Bürgerrechte sind zwei Seiten derselben Medaille. Medwedew hat mehrfach den „Rechtsnihilismus“ in der russischen Gesellschaft kritisiert. Solange aber die Machtelite selbst gegen Recht und Gesetz verstößt, kann sie von den russischen Bürgern keine Gesetzestreue er- warten. Beispiele für solche Verstöße gibt es viele. Man denke allein an die Durchführung der Duma- und Präsi- dentschaftswahlen. Die Umwandlung der Dumawahlen in ein Plebiszit für Putin ebenso wie die Umstände der Pseudowahl Putins zum Vorsitzenden von Einiges Russ- land waren eklatante Verstöße gegen russische Gesetze. Schon Putin sprach bei seinem Amtsantritt von der „Dik- tatur des Gesetzes“. Doch in seiner Regierungszeit wurde alle Macht in der Exekutive konzentriert. Diesen Prozess umzukehren, wird viel Anstrengung erfordern. Und es bleibt abzuwarten, ob eine solche Umkehr vom neuen Präsidenten tatsächlich gewollt wird. Bei aller Skepsis jedoch teile ich die Hoffnung auf eine Neujustierung der russischen Innen- und Außenpo- litik und plädiere auch dafür, Medwedew beim Wort zu nehmen. Ein erstes Signal, nämlich seine Ablehnung ei- ner noch unter Putin initiierten Verschärfung des Me- diengesetzes, ist positiv zu werten. Wie sich die Herab- stufung der Registrierungsbehörde auswirkt, die NGOs mit ihren bürokratischen Anforderungen erstickt, bleibt abzuwarten. Eine wirksame Verbesserung der Lage von NGOs erfordert eine Liberalisierung der restriktiven Ge- setzgebung. Die Verfolgung kritischer Journalisten muss eingestellt, politische Gefangene wie der Atomphysiker 17710 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 (A) (C) (B) (D) Igor Sutjagin müssen freigelassen werden und die demo- kratische Opposition muss ungehindert arbeiten können. In unserem Antrag, der heute debattiert wird, fordern wir eine Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland. Die Verhandlung des neuen Partner- schafts- und Kooperationsabkommens wird zum nächs- ten Prüfstein für die EU-Russland-Beziehungen. Die Tatsache, dass Medwedew als ersten EU-Mitgliedstaat Deutschland besucht, macht die Bedeutung der deutsch- russischen Beziehungen deutlich. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen, vorausgesetzt, Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten unterlaufen nicht mit ihrer Bilatera- lität die Formulierung einer gemeinsamen EU-Russland- Politik. Nur wenn die EU geschlossen auftritt, kann sie ihre Interessen gegenüber Russland vertreten. Das gilt besonders für den Energiebereich. Ausge- rechnet dort sind die Voraussetzungen für eine einheitli- che EU-Position ungünstig. Denn die 27 Energiemärkte unterscheiden sich hinsichtlich ihres Energieträger- mixes, ihres Grads an Importabhängigkeit und der Her- kunft der Rohstofflieferungen deutlich voneinander. Da- durch entstehen Widersprüche zwischen bilateralen Projekten und gemeinschaftlich beschlossenen Prioritä- ten. Voraussetzung für eine einheitliche EU-Energie- außenpolitik im Verhältnis zu Russland ist daher zu- nächst ein funktionierender Energiebinnenmarkt. Hier ist die französische Ratspräsidentschaft gefragt, Fortschritte zu erzielen. Die Liste der Herausforderungen, die sowohl Russ- land als auch die EU betreffen, ist lang. Setzen wir da- rauf, dass mit dem neuen Präsidenten in dieser schwieri- gen Beziehung ein Neuanfang gelingt. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: – Antrag: Die entwicklungspolitische Zu- sammenarbeit Deutschlands im Rahmen der strategischen Partnerschaft der Eu- ropäischen Union mit den Staaten La- teinamerikas und der Karibik zielge- richtet stärken – Antrag: Zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima – Impulse für solidarische und gleichberechtigte Beziehungen zwi- schen der EU und Lateinamerika – Antrag Die strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union, La- teinamerika und der Karibik durch ei- ne intensive Umwelt- und Klimakoope- ration beleben – Beschlussempfehlung und Bericht: Antrag: Die Beziehungen zu Lateinamerika und den Staaten der Karibik stärken und den EU-Lateinamerika/Karibik-Gipfel zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme nutzen (Tagesordnungspunkt 18, Zusatztagesordnungs- punkt 4) Gregor Amann (SPD): Lateinamerika, zumindest ein großer Teil davon, hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht in seiner wirtschaftlichen und poli- tischen Entwicklung. Wir wollen – nicht zuletzt mit dem vorliegenden Antrag – diese Entwicklung begleiten und unterstützen und die Partnerschaft zwischen unseren bei- den Kontinenten zum Nutzen beider Seiten noch vertie- fen. Dabei müssen wir aber auch zur Kenntnis nehmen, dass von der allgemeinen positiven Entwicklung in La- teinamerika leider nicht alle im selben Maß betroffen sind. Je besser es einigen Ländern dort geht, umso deut- licher wird auch, in welch verzweifelter Lage die Men- schen sind, die nicht von den wirtschaftlichen oder poli- tischen Fortschritten profitieren. Ich will mich im Folgenden auf zwei Staaten be- schränken, die, was ihre Größe und Einwohnerzahl an- geht, völlig unbedeutend sind, aber sehr deutlich symbo- lisieren, welche großen Unterschiede es bei der Entwicklung in Lateinamerika gibt und die uns daran er- innern, dass wir bei aller Freude über die positiven Ent- wicklungen auch die nicht vergessen dürfen, die nicht mithalten können oder sogar noch weiter zurückfallen. Schauen wir zunächst auf die Insel Hispaniola: Wer sie mit dem Flugzeug von Ost nach West überfliegt, staunt angesichts einer üppigen Vegetation und maleri- scher Strände. Das Urlaubsparadies vieler Deutschen ist die Dominikanische Republik. Aber im Westen der Insel ändert sich das Bild plötz- lich. Wir sehen eine karge, hügelige, graue Landschaft: Haiti. Haiti war einmal zu einem Drittel bewaldet, heute nur noch zu etwa 1 Prozent. Naturkatastrophen, Diktatur und Armut haben tiefe Narben hinterlassen. Aus purer Not wurden die Bäume abgeholzt, um Holzkohle, den einzigen preiswerten Brennstoff, zu gewinnen. Wer hier landet, befindet sich im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre. Wer hier lebt, verfügt selten über ein Einkommen von mehr als 2 US-Dollar am Tag. Eine Flugstunde südlich von Miami essen Menschen ein Gemisch aus Erde und Fett, um ihren Hunger zu stillen. Wer nach den Ursachen sucht, findet im Nordwesten Haitis ein grünes und fruchtbares Tal, in dem vor noch nicht zu langer Zeit jährlich über 100 000 Tonnen Reis geerntet wurden. Heute liegen weite Flächen brach. Sub- ventionierte Reisimporte aus den USA, zusammen mit der vom IWF erzwungenen Aufhebung der Importzölle, haben binnen kurzer Zeit den haitianischen Reis ver- drängt und haben zehntausende haitianischer Bauern ar- beitslos gemacht, denn gegen den Billigreis aus Nord- amerika hatten sie keine Chance. Als jetzt der Preis für Reis am Weltmarkt stieg, hat sich allein im April in Haiti der Preis für das Hauptnahrungsmittel verdoppelt, und Reis ist nun für viele Haitianer zu einem Luxusartikel Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 17711 (A) (C) (B) (D) geworden, der teuer importiert werden muss. Eine ähnli- che Entwicklung gab es auch durch den massiven Import von billigem Hühnerfleisch aus den USA. Wütende Proteste der Bevölkerung führten zum Sturz des Premierministers Alexis, und die Krise in Haiti zeigt deutlich: Wo Hunger und Armut die Menschen auf die Straßen treiben, entwickelt sich eine Dynamik, deren Opfer nicht selten die noch jungen demokratischen Strukturen sind. Ich begrüße die Zusage der Bundesregierung, ihre Zu- wendungen an das World Food Programme, WFP, der UNO um 20 Millionen US-Dollar zu erhöhen und dabei Haiti besonders zu berücksichtigen. Darüber hinaus unterstützt die BRD im Bereich der entwicklungsorien- tierten Nothilfe die deutsche Welthungerhilfe mit Hilfsmaßnahmen zur Sicherstellung der Trinkwasserver- sorgung im Nordwesten Haitis. Haiti braucht dringend unsere Solidarität! Weniger als 100 Kilometer von Haiti entfernt liegt eine weitere Insel, die von der positiven wirtschaftli- chen, aber vor allem auch politischen Entwicklung gro- ßer Teile Lateinamerikas längst abgehängt wurde: Kuba. Ein Land, das einst für viele, nicht nur in Lateinamerika, die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit symbolisierte, ist realisieren lässt. Während des Kalten Kriegs war dies die UdSSR, heute ist es Hugo Chavez, der mit seinen Petro- dollars Kubas Wirtschaft künstlich am Leben hält. Aber diese Abhängigkeit Kubas von den Ölquellen Venezuelas kann kein Ersatz sein für grundlegende wirtschaftliche und politische Reformen, ohne die Kuba den Anschluss an den Rest Lateinamerikas nicht finden wird. Auch wenn der jüngste „Generationenwechsel“ in der kubanischen Regierung – der 81-jährige Fidel Castro hat die Macht an seinen fünf Jahre jüngeren Bruder Raul ab- gegeben – jüngst zu kleinen Fortschritten geführt hat, die ich anerkennen möchte, so ist Kuba dennoch weit von der Entwicklung Brasiliens, Chiles oder neuerdings auch Paraguays entfernt – nämlich vom Wandel einer Diktatur hin zu einer funktionierenden Demokratie. Wer die Demokratisierung vieler Länder in Latein- amerika lobt, darf zu Kuba nicht schweigen! Dies sage ich ausdrücklich auch zu den Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die leider auch in diesem Politikbereich – wie auch in vielen anderen – immer noch in der Zeit des Kalten Kriegs leben. Kuba ist von einer demokrati- schen Entwicklung noch genauso weit entfernt wie Haiti von wirtschaftlicher Stabilität. Der vorliegende Antrag lobt die positive Entwick- heute ein Symbol für Armut und Unfreiheit. Und wer dies ausschließlich oder überwiegend auf den jahrzehn- telangen Wirtschaftsboykott durch die USA – den ich verurteile – zurückführt, ignoriert das auch hier offen- sichtliche Scheitern sozialistischer Planwirtschaft und die Sturheit der politischen Führung Kubas. Das Beispiel Kuba zeigt, dass sich Wohlstand ohne die Entwicklung demokratischer Strukturen oft nur um den Preis der Abhängigkeit von einem starken Partner lung, die in vielen Teilen Lateinamerikas stattgefunden hat und stattfindet und die wir als Freunde begleiten wol- len, aber er benennt auch Probleme und Defizite. Deutschland und die EU stehen als Freunde und Partner an der Seite Lateinamerikas. Und wir sind auch bereit, unseren Teil dafür zu leisten, dass möglichst viele Men- schen dort in den Genuss von Wohlstand, sozialer Ge- rechtigkeit, Demokratie und Freiheit gelangen, sei es in Mexiko, Brasilien, Ecuador, Argentinien, Venezuela, Haiti oder Kuba. 166. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616600000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und möchte vor Eintritt in unsere Tagesordnung
den Kollegen Rolf Hempelmann und Wolfgang
Nešković zu ihren 60. Geburtstagen gratulieren und im
Namen des Hauses noch einmal alle guten Wünsche
übermitteln.


(Beifall)


Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführ-
ten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Vereinbarte Debatte

Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Tele-
kom und Konsequenzen

(siehe 165. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu Tagesordnungspunkt 36)


a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Chris-

Rede
tian Ahrendt, Carl-Ludwig Thiele, Hans-Mi-
chael Goldmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Optimaler Darlehensnehmerschutz bei Kre-
ditverkäufen an Finanzinvestoren

– Drucksache 16/8548 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

b)Beratung des Antrags der Abgeor

(Heilbro Toncar, weiterer Abgeordneter un tion der FDP tzung , den 5. Juni 2008 .00 Uhr Europäisches Parlament stärken – Sitzfrage durch Europaparlamentarier entscheiden lassen – Drucksache 16/9427 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c)Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vertrag über die Beteiligung von Kapitalanlegern an den Verkehrs-, Logistikund zugehörigen Dienstleistungsgesellschaften der Deutsche Bahn AG durch externen Sachverstand prüfen lassen – Drucksache 16/9474 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Harald Leibrecht, Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP text Präsident Medwedew beim Wort nehmen – Drucksache 16/9423 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Beziehungen zu Lateinamerika und den
n der Karibik stärken und den EU-La-
erika/Karibik-Gipfel zu einer ehrli-
estandsaufnahme nutzen
dneten Mar-
nn), Florian
d der Frak-

Staate
teinam
chen B
– Drucksachen 16/9056, 16/9475 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Gut-
tenberg
Niels Annen
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Handeln statt Reden – Klimaschutz jetzt

– Drucksache 16/9426 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika
Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP

Perspektiven für eine sektorale Ausweitung
des Emissionshandels sowie für die Nutzung
erneuerbarer Energien im Wärmesektor

– Drucksachen 16/5610, 16/7387 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Dirk Becker
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Bärbel Höhn

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Differenzierte Mengensteuerung zur Förde-
rung erneuerbarer Energien im Stromsektor

– Drucksache 16/8408 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so-
weit erforderlich – abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 35 a, 36 b und 37 c werden
abgesetzt.

Sind Sie mit diesen Änderungsvorschlägen einver-
standen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so
beschlossen
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung

11. Sportbericht der Bundesregierung

– Drucksachen 16/3750, 16/7584 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Schutz und Förderung des Sports ernst neh-
men – Sportförderungsgesetz des Bundes
schaffen

– Drucksachen 16/7744, 16/9455 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache insgesamt eineinhalb Stunden vorgese-
hen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundessportminister Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bera-
tung des Sportberichts gibt Anlass, zunächst einmal zu
sagen, dass wir in diesem Haus ein Stück weit Gemein-
samkeit hinsichtlich der Unterstützung des Sports und
der Förderung des Leistungssports haben und dass wir
über die Legislaturperioden hinweg kontinuierlich Rah-
menbedingungen dafür schaffen, dass unsere Sportler
auch in der internationalen Spitze mithalten können.

In dem Sportbericht geht es ja im Wesentlichen um
die Sportförderung in der vergangenen Legislaturperio-
de. Wir haben die in den zurückliegenden Legislaturperio-
den auf hohem Niveau geleistete Förderung in dieser
Legislaturperiode fortgeführt. Wir haben in den Haus-
haltsberatungen durch die Bemühungen des Bundestages
deutlich erhöhte Ansätze für das Jahr 2008 erreicht. Ich
hoffe, dass wir das im Jahre 2009 fortschreiben können,
wir befinden uns ja im Augenblick in den Haushaltsbera-
tungen. Ich bedanke mich im Voraus für die Unterstüt-
zung.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Vielleicht ist es interessant, die Zahlen zu hören: In
den Jahren 2002 bis 2005 hat die Sportförderung des
Bundes insgesamt 920 Millionen Euro für den Sport zur
Verfügung gestellt, davon entfielen allein 700 Millionen
Euro auf die Förderung des Spitzensports im Haushalt
des Bundesministeriums des Innern. Wie gesagt: Wir
werden das fortsetzen.

Auch das will ich an dieser Stelle sagen: Wir haben
kontinuierlich und zunehmend auch die Förderung des
Behindertensports in die Sportförderung einbezogen.
Das ist richtig und notwendig, was man auch an dem
Stellenwert erkennt, den die Paralympischen Spiele und
auch die Weltspiele für Behinderte national und interna-
tional gewonnen haben.

Bei der Gelegenheit möchte ich auch darauf hinwei-
sen, dass sich die Bundesregierung – auch ich persönlich –
sehr dafür einsetzt, dass die Rahmenbedingungen – auch
hinsichtlich der beruflichen Möglichkeiten – für Behin-
dertensportler verbessert werden. Deswegen bemühen
wir uns, in der Bundesverwaltung, auch in den Ministe-
rien der Bundesregierung, für behinderte Sportler Be-
schäftigungs- und Ausbildungschancen zu schaffen. Auch
das ist richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass
es neben der Sportförderung generell wichtig ist, mit der
Stiftung Deutsche Sporthilfe, aber auch sonst die Bemü-
hungen um das, was man als duale Karriere bezeichnet,
fortzusetzen und zu intensivieren und für junge Men-
schen, die sich einen wesentlichen Teil ihrer Jugend- und
jüngeren Erwachsenenzeit darauf konzentrieren, Spit-
zensport zu treiben, zugleich Ausbildungs- und Beschäf-
tigungsmöglichkeiten für das Leben nach der Konzentra-
tion auf Leistungssport zu schaffen. Dies kann der Staat
allein nicht leisten. In einer freiheitlichen Gesellschaft
soll er dies auch nicht. Umso wichtiger ist es, dass wir
die Gesellschaft und die Wirtschaft immer wieder daran
erinnern. Im Übrigen bin ich ganz sicher, dass es für vie-
lerlei Arten von Tätigkeiten kaum qualifiziertere Men-
schen gibt als die Männer und Frauen, die sich Jahre ih-
res Lebens darauf konzentriert haben, neben Ausbildung
und Beruf Spitzenleistungen im Sport zustande zu brin-
gen. Dies erfordert ein Maß an Konzentrationsfähigkeit
und an Disziplin, das man in jedem Lebensbereich drin-
gend gebrauchen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


In diesem Zusammenhang: Die finanzielle Ausstat-
tung der Stiftung Deutsche Sporthilfe wird uns in den
kommenden Jahren zunehmend beschäftigen. Ich werbe
dafür, dass wir bei dem Grundgedanken bleiben, dass die
Stiftung Deutsche Sporthilfe ein Sozialwerk unserer frei-
heitlich verfassten Gesellschaft und nicht etwas ist, das
der Steuerzahler zu finanzieren hat. Aber es ist wichtig,
was die Stiftung Deutsche Sporthilfe für die soziale Ab-
sicherung und die Herstellung gleicher Wettbewerbs-
chancen von Leistungssportlern auf internationalem Ni-
veau leistet; das ist unersetzbar und muss auch unter ver-
änderten Rahmenbedingungen fortgesetzt werden. Die-
ses Thema wird uns in den kommenden Jahren
zunehmend beschäftigen.

Zu dem Großartigen unseres Sports und seiner gesell-
schaftlichen Bedeutung – das ist bereits oft gesagt wor-
den, und ich will dies nochmal unterstreichen – gehört
die Freiheit: Die Freiheit für Sportler, die Freiheit unse-
rer Sportorganisationen und das ehrenamtliche Engage-
ment sind entscheidende Rahmenbedingungen dafür,
dass unser Spitzensport mit seiner Vorbildwirkung für
den Breitensport und der Sport insgesamt in allen gesell-
schaftlichen Bereichen so Großartiges leisten können.
Deswegen müssen wir diese freiheitliche Sportorganisa-
tion auch unter dem Aspekt der Subsidiarität immer wie-
der verteidigen. Selbst wenn wir es als Politiker gut
meinen, sollten wir die vorrangige Entscheidungszustän-
digkeit des Sports und ihrer gewählten Repräsentanten
respektieren und akzeptieren. Das ist die Voraussetzung
für eine freiheitliche Sportorganisation.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies bedeutet,
dass wir uns – übrigens zunehmend auch auf europäi-
scher Ebene – darum bemühen müssen, dem freiheitli-
chen Sport in den Rahmenbedingungen den notwendigen
Freiraum zu verschaffen. Sobald der Lissabon-Vertrag in
Kraft getreten sein wird, wird der Art. 165 des EU-Ver-
trags, der die gesellschaftspolitische Bedeutung des
Sports anerkennt, auf europäischer Ebene eine Grund-
lage dafür schaffen, dass man die Autonomie und die be-
sondere gesellschaftliche Eigenart des Sports stärker be-
rücksichtigt und in Europa nicht mehr alles nur unter den
Regeln der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des Binnen-
markts betrachtet. Deswegen setze ich mich dafür ein,
dass wir das im Weißbuch der EU für den Sport auf euro-
päischer Ebene stärker berücksichtigen und dass wir bei
Fragen, die die Selbstorganisation des Sports betreffen,
uns auf europäischer Ebene einsetzen und bei allen euro-
päischen Institutionen um Verständnis werben, dass wir
das Großartige im Sport erhalten, wozu auch seine Selbst-
organisation gehört.

Ähnliches gilt im Hinblick auf das nationale und eu-
ropäische Wettbewerbsrecht für die Rahmenbedingun-
gen des professionell organisierten Sports und seiner
Vermarktung. Sie kennen die aktuelle Debatte, die nicht
einfach ist. Aber wem die Freiheit und die gesellschafts-
politische Bedeutung einer freien Sportorganisation am
Herzen liegen, der muss wissen, dass nicht alles über ei-
nen Leisten geschlagen werden darf. In diesem Falle ge-
fährdeten wir zu viel von dem Großartigen des Sports
und seiner Selbstorganisation. Deswegen nutze ich die
Gelegenheit, dafür zu werben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben im Übrigen auch in der Steuerpolitik der
Bundesregierung in dieser Legislaturperiode die Rah-
menbedingungen für ehrenamtliches Engagement im
Sport weiter verbessert. Das heißt, wir reden nicht nur
bei Sportdebatten über die Grundsätze, sondern wir han-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
deln auch in den konkreten Schritten nach diesen Prinzi-
pien. Das ist entscheidend wichtig.

Ich habe von den Rahmenbedingungen für den Leis-
tungssport auf internationaler Ebene gesprochen. In die-
sem Zusammenhang möchte ich festhalten: Wenn wir
jungen Menschen die Chance bieten, im internationalen
Wettbewerb mitzuhalten, und wenn wir uns auch für die
soziale Absicherung und für die duale Karriere einset-
zen, dann ist dies das Beste, was wir tun können, um den
Missbrauch von Doping zu bekämpfen. Denn wer gute
Trainingsbedingungen hat und über eine hinreichende
soziale, berufliche Absicherung verfügt, ist weniger an-
fällig für die Versuchung, durch den Missbrauch leis-
tungssteigernder Mittel die Fairness im Sport zu unter-
graben. Die schlimmste Gefahr für den Sport ist, dass die
Regeln nicht mehr beachtet werden. Wir müssen für Fair
Play eintreten, sonst würde der Sport das verlieren, was
ihn so großartig macht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben in diesem Bundestag das Gesetz zur Verbes-
serung der Bekämpfung des Dopings im Sport verabschie-
det. Wir haben die rechtlichen Grundlagen geschaffen. Wir
haben die finanziellen Mittel der Dopingbekämpfungs-
agentur erhöht. Auch dieser Weg muss fortgesetzt wer-
den. Aber allein mit gesetzlichen Maßnahmen und Kon-
trollen ist das nicht zu schaffen.

Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu den Olympi-
schen Spielen, die dieses Jahr in Peking stattfinden wer-
den. Wir haben in den vergangenen Wochen viele und
auch nicht gerade einfache Debatten zu diesem Thema
geführt. Ich habe bei meinem Besuch in Peking mit mei-
nem chinesischen Kollegen sehr ausführlich und intensiv
über dieses Thema gesprochen. Wir haben Vereinbarun-
gen über die Zusammenarbeit in der Sportwissenschaft
– übrigens insbesondere im Bereich der Dopingbekämp-
fung – geschlossen. China hat in den letzten Jahren in
der Dopingbekämpfung beachtliche Anstrengungen un-
ternommen. Ich glaube, wir haben nicht nur national,
sondern auch international eine Chance, im Kampf für
faire Bedingungen und für das Verbot von Doping er-
folgreicher zu sein, als wir es in den vergangenen Jahren
waren. Ich bin alles andere als naiv; es wird weiter Ver-
stöße geben. Wir müssen den Kampf gegen Doping wei-
terhin ernst nehmen, aber ich glaube, dann besteht eine
gute Chance, dass wir Spiele miterleben dürfen, bei de-
nen wir Freude an den Leistungen der Athleten haben
können.

Ich hoffe, dass die chinesische Führung besser ver-
steht, dass die Olympischen Spiele vor allem Spiele der
Freude sein sollen, ein Fest und eine Begegnung der
Völker – etwas, was China von den Olympischen Spie-
len genauso erwartet, wie wir es uns in Deutschland von
der Fußballweltmeisterschaft erwartet und auch erreicht
haben. Das gibt einem Land die Chance, sich stärker zu
öffnen. Das muss man nicht fürchten; dem muss man
sich vielmehr anvertrauen.

Die Vorbereitungen, die China getroffen hat, sind res-
pekterheischend. Dass es Probleme gibt, ist wahr. Da-
rüber haben wir bereits gesprochen. Man darf dem nicht
ausweichen. Das liegt auch im Interesse Chinas selbst.
Ich glaube, dass wir insgesamt bei allen schwierigen
Diskussionen auf einem zuversichtlich stimmenden Weg
sind.

Die Fußballeuropameisterschaft liegt unmittelbar vor
uns. Manche sind sicherlich in Gedanken schon bei dem
Spiel in Klagenfurt am Sonntagabend. Wir müssen aber
in einer Debatte über die Bedeutung des Sports immer
daran erinnern, dass wir alles tun müssen, um Gewalt im
Sport – insbesondere in Fußballstadien – mit aller Ent-
schiedenheit zu bekämpfen, um den Sport nicht den Ge-
walttätern, den Radikalen und den Krawallmachern zu
überlassen.

Ich habe großen Respekt und Dankbarkeit gegenüber
dem Engagement und der Verantwortung der zuständi-
gen Verbände, insbesondere des Deutschen Fußball-
Bundes. Die Polizeien in Bund und Ländern unterstützen
sie nach Kräften.

Wie Sie wissen, haben wir bei der Fußballweltmeis-
terschaft die Unterstützung von Polizisten aus allen eu-
ropäischen Ländern bekommen. Bei der Fußballeuro-
pameisterschaft in der Schweiz und in Österreich
werden insgesamt 1 700 Polizisten Deutschlands aus
Bund und Ländern im Einsatz sein. Eine vergleichbare
Größenordnung hat es zuvor nie gegeben.

Das zeigt erstens, dass wir in der internationalen poli-
zeilichen Zusammenarbeit wirklich vorankommen, und
zweitens, dass alle Länder – auch unsere Nachbarstaaten –
sehr froh sind, dass wir in Deutschland in Bund und Län-
dern eine so gute Polizei haben. Es zeigt drittens, dass
die Polizei, wie alle Sicherheitsorgane – das sage ich
auch im Hinblick auf andere Debatten, die wir diese Wo-
che geführt haben –, Freiheit und Friedlichkeit schützt
und dafür notwendig ist.

Die Anstrengungen, die wir in der Politik – Gesetzge-
ber, Parlament, Regierung und Verwaltung – unterneh-
men, ist etwas, was sich nicht nur auf die Fußballeuropa-
meisterschaft, sondern auch auf viele andere nationale
und internationale Wettbewerbe in der Vergangenheit
oder in der Zukunft wie die Hockeyweltmeisterschaft und
die Handballweltmeisterschaft in den vergangenen Jah-
ren oder die Leichtathletikweltmeisterschaft im nächsten
Jahr, auf die wir uns freuen, bezieht. Es dient dem Anse-
hen unseres Landes und der Steigerung der Lebensfreude
in unserem Land.

Sport ist etwas von dem Schönsten, was wir haben.
Die Qualität, die Leistungen und die Attraktivität der
Wettbewerbe auf höchstem internationalen Niveau moti-
vieren zugleich viele Menschen, selber Sport zu treiben
und damit ein Stück weit glücklicher zu werden und bes-
sere Chancen auf ein erfülltes Leben zu haben. Deswe-
gen bin ich sicher, dass die Bemühungen, die wir ge-
meinsam – auch in der Verantwortung für Steuergelder –
in der Sportpolitik unternehmen, mit das Beste sind, was
wir für die Nachhaltigkeit unserer freiheitlichen Ord-
nung tun können.

Herzlichen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616600100

Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1616600200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Minister, herzlichen Dank für Ihr leidenschaftliches Plä-
doyer für die Freiheit und die Schönheit des Sports. Da-
mit sprechen Sie uns Liberalen aus dem Herzen. Hier ha-
ben wir viele Gemeinsamkeiten.

Der Auslöser für die heutige Grundsatzdebatte war
allerdings ein anderer. Monatelang bestimmten Schlag-
zeilen über Medikamentenmissbrauch, Gewalt und Ras-
sismus, Betrug, Leistungsmanipulationen, Verdächtigun-
gen, Boykottdrohungen und Maulkörbe für Athleten das
öffentliche Bild des Sports, zum Teil sogar aus diesem
Hohen Hause befördert. Durch diese Dominanz der Ka-
tastrophenmeldungen entstand der Eindruck, der Sport
bewege sich am Abgrund, ein Zerrbild, das aber ein Gu-
tes hat: Wir denken über die gesellschaftliche Bedeu-
tung des Sports neu nach und stellen seine Strukturen
auf den Prüfstand. Wir erkennen, dass der Sport Teil ei-
nes gesamtgesellschaftlichen Netzes, gleichsam ein
Spiegel des Zustands unserer Gesellschaft ist.

Missstände sind vor dem Hintergrund von 27 Millio-
nen Menschen in 90 000 Vereinen plus unzähliger nicht
organisierter Sporttreibender nicht die Regel, wie man-
che Berichterstattung glauben machen will. Sie sind
vielmehr das unbeabsichtigte Ergebnis des Zusammen-
wirkens unterschiedlicher Interessen aus Leistungs-
sport, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Massenmedien
und Publikum. Daraus ergibt sich folgende, etwas plaka-
tiv dargestellte Handlungskette: Das Publikum will Re-
korde, Spannung, Unterhaltung, Brot und Spiele. Die
Medien greifen dieses Bedürfnis auf und berichten vor-
zugsweise über die Erfolgreichen. Diese wecken das In-
teresse der Wirtschaft, die über Sponsoring den Sport als
attraktives Werbemedium unterstützt. Die Wissenschaft
entwickelt – teilweise am Rande des Erlaubten – innova-
tive Methoden, um die Athleten zu Höchstleistungen zu
animieren. Die Politik subventioniert den Spitzensport
– wenn wir ehrlich sind – auch, um Begleitaufmerksam-
keit herzustellen und Profil zu gewinnen. Wir müssen
zugeben: All diese Akteure – auch wir – haben ihren An-
teil an der Entstehung der Probleme, an denen ein Teil
des Sports heute leidet. Deshalb müssen wir den Sport
neu denken, müssen wir auch Verantwortung neu und
anders einfordern und uns von den strukturellen Zwän-
gen so weit wie möglich lösen. Wir dürfen nicht bei je-
dem Kritikpunkt gleich „Skandal“ rufen. Ein bisschen
mehr Gelassenheit und Sachlichkeit tun auch dem Sport
gut.


(Beifall bei der FDP)

Willi Weyer, der unvergessene Präsident des ehemali-
gen Deutschen Sportbundes, hat vor vielen Jahren in sei-
ner burschikosen Art gesagt: „Sport ohne Leistung ist
Kappes!“ Recht hat er. Aber darf Leistung angesichts der
Entwicklung der Ergebnisse etwa in der Leichtathletik
oder beim Schwimmen immer nur absolut gesehen wer-
den, mit dem manischen Blick auf die Anzeigentafel und
der Gier nach neuen, absoluten Höchstleistungen? So
können und dürfen wir nicht länger das olympische
Motto „schneller, höher, stärker“ auslegen. Wir müs-
sen vielmehr Zuschauern, Medien, der Wirtschaft, der
Wissenschaft und auch uns selbst als verantwortlichen
Sportpolitikern klarmachen: Die wachsende Nachfrage
nach immer hochkarätigeren Leistungen hat in vielen
Disziplinen längst ihre Grenzen an den körperlichen und
psychischen Möglichkeiten des Einzelnen erreicht. Wir
alle dürfen keine Beiträge mehr leisten, die dazu führen,
dass Körper und Psyche unserer Athletinnen und Athle-
ten überfordert werden und zu hohe Erwartungen entste-
hen. Die Bedeutung des Wettkampfes muss über dem
Rekordgedanken stehen. Anreize wie Rekordprämien
oder der Einsatz von sogenannten Hasen als Tempo-
macher müssen der Vergangenheit angehören. Das gilt
auch für die Einblendungen von Rekordzeiten im Fern-
sehen oder ihrer Veröffentlichung in Programmheften.
Wir müssen einen neuen Anfang wagen. Wir müssen uns
auf Werte des Sports zurückbesinnen, die verschüttet
wurden.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist vernünftig!)


Nun zur Sportförderung. Wir als Bundestag sind der
größte Geldgeber des Spitzensports. Im engen Schulter-
schluss mit dem DOSB und den Fachverbänden werden
die Mittel leistungsorientiert eingesetzt. Bundeswehr,
Bundespolizei und Zoll geben unseren Hochleistungs-
sportlern den erforderlichen Rückhalt. Darüber dürfen
wir aber die zweite wesentliche Säule nicht vergessen,
die Herr Minister Schäuble auch angesprochen hat, näm-
lich die Sponsoren aus der Wirtschaft. Die herausra-
gende Bedeutung der Stiftung Deutsche Sporthilfe ist
uns erneut am vergangenen Wochenende bei der Verlei-
hung der Goldenen Sportpyramide vor Augen geführt
worden. Das Sponsoring muss weiter wachsen. Nicht
nur für den Spitzensport, sondern auch für die kleinen
Vereine ist in Zeiten knapper Kassen die Beteiligung der
privaten Wirtschaft unabdingbar geworden. Die FDP be-
obachtet allerdings mit Sorge, dass die Bundesregierung
mit ihrem fatalen Hang zum Aufbau einer Verbotsrepu-
blik


(Dagmar Freitag [SPD]: Ach du lieber Gott! Das hat aber lange gedauert!)


Deutschland die Rahmenbedingungen für eine gute
Sportförderung durch die Wirtschaft deutlich ver-
schlechtern will. Staatliche Überreglementierung, neue
Werbeverbote in den Medien oder im Internet, Ver-
kaufsverbote und Konsumverbote prägen die aktuelle
Situation, zum Beispiel die Diskussion über Tabak- und
Alkoholprävention oder Ernährungsfragen. Bei allem
Verständnis für einen fürsorgenden Staat: Er darf die
Menschen in ihrem privaten Bereich nicht übermäßig
bevormunden. Aufklärung und Information im Zusam-






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
menwirken mit der Industrie, auch Selbstverpflichtun-
gen im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes führen
zu besseren Ergebnissen und sichern zugleich die Mög-
lichkeiten des Sponsorings auch als soziale Leistung.
Auch darauf hat der Sportminister hingewiesen.


(Beifall bei der FDP)


An die Substanz der Sportförderung geht der neue
Glücksspielstaatsvertrag. Viele Millionen Euro aus
den Erlösen flossen bisher über die Länder in die Vereine
und Verbände. Die Antworten auf erste Anfragen meiner
Landtagskollegen nach Inkrafttreten des Vertrages sind
alarmierend. In Schleswig-Holstein gingen die Einnah-
men aus der Oddset-Sportwette in den ersten vier Mona-
ten bei der Kombiwette um 40 Prozent und bei der Top-
wette um 50 Prozent zurück, in Sachsen um 52 Prozent.
Zusammengerechnet sind das 4,5 Millionen Euro. Im
Lottobereich verzeichnen wir in beiden Ländern insge-
samt 12,5 Millionen Euro Mindereinnahmen, unter an-
derem wegen der Restriktionen für gewerbliche Spiel-
vermittler. Das geschieht in einem Glücksspielbereich,
in dem das Suchtverhalten am unproblematischsten ist,
wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung gestern
noch im Gesundheitsausschuss bestätigt hat.

Wir sind auf dem falschen Weg. Bereits im Februar
2006 hatte eine Kommission „Sportwetten der Bundes-
länder“ erstaunliche Erkenntnisse, die die FDP in zwei
Anträgen hier in das Haus eingebracht hat. Sie weist bei
einer möglichen Neuordnung des Rechts der Sportwet-
ten auf die Erschließung von bislang dem Sport nicht zu-
gänglicher Wertschöpfung hin. Sie zieht eine Konzessio-
nierung gewerblicher Anbieter in Erwägung und fordert
– ich zitiere – „bei der Zulassung gleiche Bedingungen
für alle Bewerber, auch für die bisherigen staatlichen
Sportwettanbieter, die sich gegebenenfalls zusammen-
schließen könnten, um ein konkurrenzfähiges Angebot
abgeben zu können.“ Ich fordere die Regierungen in
Bund und Ländern auf: Schluss mit dieser Vogel-Strauß-
Politik! Nehmen Sie die Realitäten wahr! Ordnen Sie
europarechtskonform die Sportwetten neu, wie es Groß-
britannien, Österreich und Spanien vorgemacht haben
und Frankreich es künftig tun wird.


(Beifall bei der FDP)


Dann könnten wir auch anderen wichtigen Bereichen des
Sports, die bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden,
wie dem Deutschen Behindertensportverband oder
Special Olympics, der Vereinigung, die für die geistig
Behinderten und ihre Sportmöglichkeiten eintritt, neue
Quellen eröffnen und für eine gesichertere Zukunft sor-
gen.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616600300

Das Wort erhält nun die Kollegin Dagmar Freitag,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1616600400

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Die heutige Debatte über den Sportbericht ist
mit einer Debatte über einen Antrag der Linksfraktion
verbunden. Frau Kollegin Kunert, zu Beginn eine posi-
tive Bemerkung hierzu: Wir freuen uns, dass Sie sich der
Forderung meiner Fraktion nach Aufnahme des Sports
ins Grundgesetz angeschlossen haben.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann haben wir eine Mehrheit!)


Damit endet aber auch bereits die Übereinstimmung.
Ihrem propagierten Anliegen, den Sport in Bund, Län-
dern und Gemeinden auf eine solidere Basis zu stellen,
erweisen Sie mit dem vorliegenden Antrag jedenfalls
keinen guten Dienst. Jeder Verfassungsrechtler hätte Ih-
nen erklären können, dass der Bund keine hinreichende
Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich Ihrer Forderun-
gen hat.

Andere Bestandteile hat die Regierungskoalition
längst abgearbeitet – ich nenne nur die Stärkung des
Ehrenamtes –, und das im Übrigen weit über den Sport
hinaus. Auch da unterscheiden wir uns von Ihnen. Sie
hätten unserem Gesetzentwurf einfach nur zustimmen
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wie auch immer, der vorliegende Antrag ist jedenfalls
nicht dazu angetan, die Sportförderung in Deutschland
zu verbessern. Die verfassungsrechtlichen Probleme tun
ein Übriges. Deshalb werden wir diesen Antrag ableh-
nen.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das überrascht uns aber sehr!)


Die rot-grüne Koalition war diejenige, die die Doping-
bekämpfung auf die Tagesordnung gehoben hat – nach
langen Jahren beschwichtigender Untätigkeit der Vor-
gängerregierung. Wir haben eine teilweise heftig ge-
führte öffentliche Debatte angestoßen. Massive Wider-
stände, insbesondere vonseiten des organisierten Sports,
haben damals verhindert, dass es schon in der rot-grünen
Zeit zu einer schärferen gesetzlichen Regelung kam. Das
hat die Große Koalition mittlerweile nachholen können.
Ich bleibe bei meiner damaligen Einschätzung: Die Ver-
weigerungshaltung war nicht zum Nutzen, sondern zum
Schaden des deutschen Sports.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD] – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das war aber Schilys Verweigerungshaltung!)


Eine konsequente Dopingbekämpfung war und bleibt
von existenzieller Bedeutung für die Zukunft des Spit-
zensports. Das haben aber noch immer nicht alle ver-
standen. So hat der Deutsche Eishockey-Bund noch im
März dieses Jahres geglaubt, man könne Dopingverge-
hen getrost abseits geltender Regularien sanktionieren.
Er hat gegen einen Dopingprobenverweigerer statt einer
obligatorischen Sperre eine Ministrafe verhängt. Das
war ein Schlag ins Gesicht der Verbände, die ihren Ath-






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Freitag
leten in vergleichbaren Fällen eine solch zweifelhafte
Unterstützung nicht gewähren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich die
konsequente Haltung von NADA und Bundesinnenminis-
terium hervorheben. Gemeinsam haben wir erreichen
können, dass der Deutsche Eishockey-Bund eingelenkt
hat und die Angelegenheit vor einem unabhängigen
Schiedsgericht nachverhandeln lässt, leider – auch das
sollte gesagt werden – erst nach langem Zögern und Tak-
tieren.

Machen wir uns nichts vor: Ohne unsere konsequente
Haltung wäre es hierzu nicht gekommen. Deshalb erneu-
ere ich an dieser Stelle die ausdrückliche Forderung
meiner Fraktion an die deutschen Spitzenverbände: Un-
terwerfen Sie sich dem nationalen unabhängigen
Schiedsgericht! Einige Verbände – allerdings viel zu we-
nige – haben das bislang getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dieses Signal sollte nun wirklich endgültig verstanden
worden sein. Für Verbände, die die Dopingbekämpfung
nicht ernst nehmen, kann es keine staatliche Förderung
geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sportpolitik ist vor allem, doch nicht nur eine Sache
des Sportministeriums. Ein Beispiel: Für meine Fraktion
hat der Sport in der auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik einen ausgesprochen hohen Stellenwert.
Allein an der Trainerschule in Mainz sind bislang rund
330 Leichtathletiktrainer aus 80 Ländern ausgebildet
worden. Eine Besonderheit dabei ist: Diese Kurse wer-
den auf Deutsch gehalten. Deutschland, unsere Men-
schen, unsere Kultur, wird den angehenden Trainern da-
durch vertraut.

Interessant ist: Viele der Absolventen sind heute in
Führungspositionen in Sport und Politik in ihren Hei-
matländern. Wann und wo auch immer man diese Men-
schen trifft: Die Zeit in Deutschland wird von ihnen als
Highlight in der persönlichen und beruflichen Entwick-
lung geschildert. Daher wird es niemanden verwundern,
dass Außenminister Steinmeier unsere ausdrückliche
Unterstützung für diese und andere Maßnahmen hat,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


seien es die Kurz- und Langzeitprojekte in Afrika oder
Maßnahmen zum Wiederaufbau der Sportstrukturen in
Afghanistan.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Auswärtige Amt leistet an dieser Stelle einen unver-
zichtbaren Beitrag zum Aufbau zivilgesellschaftlicher
Strukturen in vielen Ländern.
Sportförderung durch Bund, Länder und Kommunen
erreicht einen großen Teil der Menschen in unserem
Land. Der in den Vereinen und Verbänden organisierte
Sport und seine Mitglieder erfahren ein hohes Maß an
Förderung, auch im finanziellen Bereich. Aber wichtig
ist an dieser Stelle der Hinweis: Der Sport gibt der Ge-
sellschaft ein Vielfaches davon zurück. Das belegt im
Übrigen auch der vorliegende Bericht.

Spannende Monate liegen, sportlich gesehen, vor uns.
Fußballeuropameisterschaft und Olympische Spiele war-
ten auf ihre Sieger.

Da Rückblick und Ausblick immer zusammengehö-
ren, stellt sich natürlich auch die Frage, welchen Weg
der Sport und die Sportförderung zukünftig gehen wer-
den. Die Antwort kann nicht allein im Zählen von Me-
daillen und Meistertiteln liegen. Möglichst viele Medail-
len und saubere Sportler – diese Gleichung wird in
Zeiten des Hightechdopings nicht aufgehen können. Da-
her muss eines der wichtigsten Ziele deutscher Sportpo-
litik sein, eine strikte Anti-Doping-Politik auch auf inter-
nationaler Ebene einzufordern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere hier an das unter großem Beifall der Athle-
ten gegebene Versprechen der Bundeskanzlerin vor der
deutschen Leichtathletik-Nationalmannschaft in Osaka,
sich auf internationaler Ebene entschieden dafür einzu-
setzen.

Erwartungen auf ein realistisches Maß zurückzu-
schrauben, ist keine Abkehr vom Leistungsprinzip. Eine
Stärkung der Sportwissenschaft ist ein Baustein für eine
leistungsorientierte Sportförderung. Daher befürworten
wir ausdrücklich eine stärkere Einbeziehung der Sport-
wissenschaft, allerdings unter der selbstverständlichen
Voraussetzung ethischer Grundprinzipien.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist wichtig!)


Ich sage ganz deutlich: Freiburg darf sich nicht wieder-
holen!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Sportförderung in unserem Land ist von einer ex-
zellenten Qualität. Dennoch haben wir sie weiterzuent-
wickeln. Damit entwickeln wir auch unsere Gesellschaft
weiter. Das ist nicht voneinander zu trennen. Die SPD-
Bundestagsfraktion stand und steht an der Seite des
Sports.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616600500

Für die Fraktion Die Linke hat Katrin Kunert das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616600600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 64 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele
– später folgen noch die Paralympics – in Peking
wünscht die Linke allen Sportlerinnen und Sportlern
eine optimale Vorbereitung – verletzungsfrei –, das Er-
reichen der hochgesteckten Normen, viel Erfolg und
schöne Spiele.


(Beifall bei der LINKEN)


Fest steht: Deutschland wird mit einer starken Mann-
schaft nach Peking fahren. Die Erwartungen sind sehr
hoch. Fest steht auch, dass die weitere Förderung durch
den Bund maßgeblich vom Abschneiden der Mannschaft
abhängen wird. Aber die Förderung des Spitzensports ist
nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Me-
daille ist die Förderung des Breitensports. Von daher ist
es gut, dass wir vor Olympia den 11. Sportbericht der
Bundesregierung und den Antrag der Fraktion Die Linke
für ein Sportförderungsgesetz des Bundes beraten. Für
die Linke ist klar: Ohne eine bessere Unterstützung des
Breitensports wird der Spitzensport in Zukunft auf der
Strecke bleiben.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Daher muss die Sportförderung im weiten Sinn im
frühkindlichen Alter beginnen und bis ins hohe Alter er-
folgen. In einer modernen Gesellschaft muss der Sport
mehr sein als nur Wettlauf um höhere Leistungen. Durch
Sport werden Werte vermittelt und wird die Gesundheit
gefördert. Bei großen internationalen Wettkämpfen wie
in Peking trägt der Sport zur Völkerverständigung und
zum friedlichen Zusammenleben der verschiedensten
Nationen bei.

Aber nun zum Bericht. Darin heißt es – ich zitiere –:

Auch der Spitzensport leistet einen wichtigen Bei-
trag für die Gesellschaft insgesamt. Erfolgreiche
Sportler haben insbesondere für Kinder und Ju-
gendliche oftmals Vorbildfunktion und stehen für
Leistungswillen, Ausdauer, Fairness und Team-
geist. Die Förderung des Leistungssports ist des-
halb zugleich ein Beitrag zur gesellschaftlichen
Wertedebatte.

Dem stimmen wir zu. Nur: Über welche Werte reden
wir? Welche Werte erfahren die Menschen im Leben?

Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm
und Reich ermöglicht vielen Menschen die Teilnahme an
Sportkursen oder Veranstaltungen erst gar nicht, weil ih-
nen schlicht und einfach das Geld fehlt, und sie haben
auch andere Sorgen. Der Sport hätte das Potenzial, die
Gesellschaft zusammenzuhalten, aber das Potenzial wird
nicht ausgeschöpft.

Deshalb sagt die Linke:

Erstens. Alle Kinder und Jugendlichen sowie Erwach-
senen bis hin zu den Seniorinnen und Senioren, egal ob
mit oder ohne Behinderung, müssen freien Zugang zum
Sport haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen von
Bianca erzählen. Sie besucht seit zwei Jahren die Lan-
dessportschule in Halle. Sie ist mit Leib und Seele Bas-
ketballerin. Ihr großes Vorbild ist Dirk Nowitzki. Sie
wurde 2007 deutsche Meisterin, 2008 Landesmeisterin
in Sachsen-Anhalt, mitteldeutsche Meisterin, ostdeutsche
Meisterin, norddeutsche Meisterin, und vor zwei Wochen
wurde sie mit ihrer Mannschaft, den Halle Lions, deut-
sche Vizemeisterin. Wenn sie so weitermacht, wird sie
eines Tages in der Nationalmannschaft für Deutschland
spielen. Man könnte meinen, das sei eine steile Karriere.
Aber ihr Besuch der Sportschule konnte nur durch pri-
vate Förderer gesichert werden, da beide Elternteile
Arbeitslosengeld II beziehen.


(Detlef Parr [FDP]: Also organisiert sich die Gesellschaft doch hervorragend selbst! Ein besseres Beispiel hätten Sie gar nicht finden können! – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Was ist daran schlimm?)


In dem Regelsatz von 347 Euro sind nun einmal keine
Internatskosten enthalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich ein-
mal vor: Bürgerinnen und Bürger in diesem Land geben
ihr privates Geld, damit ein Kind eine weiterführende
Schule besuchen kann, und zum Dank streicht der Staat
der Bedarfsgemeinschaft die Leistung für das Kind. Der
Staat spart auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Das
ist ein Skandal. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass der Staat diese Schulen nicht kostenlos zur Verfü-
gung stellt, ist schon ein Armutszeugnis. Aber dass man
es den Familien auch noch schwerer macht, wenn sie
sich selbst darum kümmern, dass die Kinder solche
Schulen besuchen können, ist ein Punkt, über den Sie,
wie ich denke, nachdenken sollten. Das ist auch ein Bei-
spiel dafür, dass die Bundesgesetzgebung in die Tiefen
des Breitensportes und bis hin zur Basis wirkt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Was haben Sportschulen mit Breitensport zu tun, Frau Kollegin?)


Über diesen Punkt sollten wir wirklich reden.

An Talenten mangelt es in Deutschland nicht. Aber es
ist nur einem Teil der Kinder und Jugendlichen möglich,
sich sportlich weiterzuentwickeln. Genau wie in der
schulischen Bildung hängen die Chancen der Kinder in
erster Linie vom Geldbeutel der Eltern ab. Schon die
Mitgliedschaft in manchen Sportvereinen stellt für viele
Kinder eine finanzielle Hürde dar.

Zweitens. Im Schulsport liegt vieles im Argen, und
das seit Jahren: Sportstunden werden gestrichen; es gibt
nicht genügend Sportlehrerinnen und Sportlehrer; die
Aus- und Weiterbildung ist absolut unzureichend, und
der Schwimmunterricht wird privatisiert.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da, wo ihr mitregiert, ist es am schlimmsten!)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
Dabei ist gerade der Schulsport ein wichtiges Binde-
glied zwischen gesunder Lebensweise, Bewegung und
Lernfähigkeit. Wir können punktgenau sagen, wie hoch
die Gesundheitskosten später sein werden, weil Kinder
zu dick sind, sich falsch ernähren oder sich nicht ausrei-
chend bewegen und damit krankheitsanfälliger sind.
Eine gute Sportpolitik ersetzt jede Gesundheitsreform.


(Beifall bei der LINKEN)


In den Kindertagesstätten und Schulen müssen ge-
sunde Ernährung und Bewegung als Ganzes vermittelt
werden. Wir fordern bundeseinheitliche Qualitätsstan-
dards zur Weiterentwicklung des Schulsports. Die dritte
Sportstunde muss überall, also in jedem Bundesland und
in jeder Schule, zur Pflicht werden.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: In der Woche!)


Nur so kommen wir aus dem Dilemma der Streiterei um
die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern heraus.
Gleiche Bildungsstandards, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, tragen ja auch zur Angleichung der Lebensver-
hältnisse in Deutschland bei – ein Ziel, das wir uns ein-
mal gestellt haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Der Zustand vieler Sportstätten ist mangel-
haft. Im Sportbericht wird die stolze Zahl von
63 Millionen Euro genannt, die im Rahmen des Bundes-
programms „Goldener Plan Ost“ von 1999 bis 2005 zur
Sanierung und zum Neubau von Sportstätten ausgegeben
worden sind.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das wollen Sie doch nicht kritisieren!)


Aber im eigentlichen Berichtszeitraum, also von 2002
bis 2005, waren es nur noch 26 Millionen Euro, und im
Haushalt für 2008 stehen ganze 2 Millionen Euro. Das
bezeichne ich als einen Witz. In der letzten Debatte über
den Haushalt haben Sie unseren Antrag, diesen Betrag
wenigstens auf 10 Millionen Euro anzuheben, abgelehnt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Aus gutem Grund!)


Die Grünen haben leider sogar signalisiert, dass sie diese
Förderung am liebsten ganz abschaffen wollen. Kluge
Sportpolitik sieht aber anders aus, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Fest steht: 70 Prozent der Sportanlagen im Osten und
40 Prozent der Sportanlagen im Westen sind sanierungs-
bedürftig. Für die Sanierung werden nach Auskunft von
Fachleuten 40 Milliarden Euro benötigt, davon entfallen
20 Milliarden Euro auf die öffentlichen Träger, also in
erster Linie auf die Kommunen. Auch wenn wir heute
über Sport reden, stelle ich fest: Die Finanzausstattung
der Kommunen steht unter keinem guten Stern. Es gibt
bei den Kommunen große Unterschiede zwischen Arm
und Reich. Das sieht man auch am Zustand der Sport-
stätten.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wohl wahr!)

Die Linke fordert, auch die Sportstätten am Aufschwung
in Deutschland teilhaben zu lassen.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt im Klartext: Mindestens 20 Millionen Euro in
das Programm „Goldener Plan“ einstellen und dieses auf
die alten Bundesländer ausdehnen.

Im gleichen Kontext sage ich auch: Die Finanzaus-
stattung der Kommunen muss vom Kopf auf die Füße
gestellt werden, damit die Sportinfrastruktur auch nach-
haltig verbessert werden kann. Vielleicht, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, gelingt es Ihnen auch noch, in der
Föderalismusreform II die Entschuldung der Kommunen
unterzubringen. Das ist nämlich genauso wichtig.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja ein Wünsch-dir-wasProgramm, was Sie da vorschlagen!)


Viertens. Der Sport braucht insgesamt noch mehr An-
erkennung und Verbindlichkeit. Die Linke unterstützt
deshalb den Vorschlag des DOSB, Sport als Staatsziel in
das Grundgesetz aufzunehmen. Mit einem Sportförder-
gesetz des Bundes muss die derzeitige Förderung des
Spitzensportes mit der des Breitensportes zusammenge-
führt werden.

Sport als aktives Gesundheitsprogramm und als In-
strument zur Integration und Chancengleichheit für
Frauen und Menschen mit Behinderungen muss in einem
Sportfördergesetz festgeschrieben werden. Ihre födera-
len Hinderungsgründe und Ihr Hinweis, dafür seien wir
nicht zuständig, greifen eben nicht immer. In den Haus-
halten des Innenministeriums, des Verteidigungsministe-
riums, des Gesundheitsministeriums, des Familienminis-
teriums oder des Auswärtigen Amtes sind entsprechende
Gelder eingestellt und werden zum Teil als Bundespro-
gramme bis in die Kommunen und Einrichtungen ausge-
reicht. Ein Sportfördergesetz bietet die Chance, alle
Maßnahmen, die den Sport betreffen, zu bündeln und
aufeinander abzustimmen.

Fünftens. Das bürgerschaftliche Engagement muss
weiter gestärkt werden. Die Anhebung der Übungsleiter-
pauschale und steuerrechtliche Vergünstigungen können
nur ein erster Schritt sein. Viele Studentinnen und Stu-
denten, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose und
Menschen mit einem geringen Einkommen leisten wert-
volle ehrenamtliche Arbeit. Diese haben aber nichts von
Steuervergünstigungen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert daher nach wie vor, dass diese Ehren-
amtlichen finanzielle Anerkennung bekommen müssen.
Tatsächliche Kosten müssen erstattet werden.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Bezahltes Ehrenamt!)


In diesem Zusammenhang will ich noch auf ein Pro-
blem hinweisen. Vor kurzem ist das Einkommensteuer-
recht geändert worden. Für die Beschaffung von gering-
wertigen Wirtschaftsgütern ist die Grenze von 400 Euro






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
auf 150 Euro gesenkt worden. Das stellt sich in den
Sportvereinen jetzt als Problem dar.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Die zahlen doch keine Steuern!)


Wir sollten überlegen, ob wir hier nicht nachjustieren
sollten, damit diese Beeinträchtigung der Sportvereine
nicht fortbesteht.

Sechstens. Öffentlich geförderte Beschäftigung
bringt den Sport und den Arbeitsmarkt in Schwung. Frau
Freitag, eine öffentlich geförderte Beschäftigung lehnen
Sie mit dem Hinweis ab, es würde gegen die Autonomie
der Sportorganisationen verstoßen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Haben Sie nicht zugehört? Ich habe nichts dazu gesagt! Völliger Unsinn!)


– Gestern haben Sie zu diesem Thema gesprochen. – Ich
muss Sie fragen, ob Sie überhaupt die Realität in den
Sportvereinen kennen. Derzeit haben viele Menschen
dank ABM in Sportvereinen Arbeitsgelegenheiten. Im
Landkreis Stendal sind es allein 80 Menschen.

Wir fordern, diese Beschäftigung in versicherungs-
pflichtige Arbeitsverhältnisse mit Mindestlöhnen umzu-
wandeln. Den gemeinnützigen Sport zum öffentlich ge-
förderten Beschäftigungssektor auszubauen, ist eine
lohnenswerte und notwendige Aufgabe für den Sport
und für die Betroffenen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie heben immer darauf ab, dass es fraktionsübergrei-
fend einen großen Konsens gibt, was die Sportförderung
angeht. Das ist punktuell richtig. Wir aber sagen: Mit ei-
nem generell festgeschriebenen Sportfördergesetz kann
man viele Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten aus-
räumen. Man kann bestimmte Aktivitäten vom Bund aus
bündeln.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Eine schöne heile Welt, die Sie da aufbauen!)


Es gibt nach wie vor große Unterschiede in der Förde-
rung des Frauen- und Männersports. Ich nenne als Bei-
spiel den Fußball. Es gibt auch nach wie vor große Un-
terschiede bei der Förderung des Spitzensports von
Menschen mit und ohne Behinderung; dazwischen lie-
gen Welten. Diese Punkte müssen auf den Prüfstand und
müssen in einem Sportfördergesetz neu geregelt werden.


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das hat doch mit dem Fußball nichts zu tun!)


Ausgehend von der gestrigen Sitzung des Ausschus-
ses sage ich: Wir wollen nicht Freibier für alle.


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Das hat sich aber gerade ganz danach angehört!)


Wir wollen sehr viele Menschen in diesem Land glück-
lich machen. Das ist richtig. Aber in erster Linie wollen
wir dieses Land gerechter gestalten, und das beginnt mit
dem Sport.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616600700

Um jedem möglichen Missverständnis vorzubeugen:

„Freibier für alle“ müsste außerhalb des Plenarsaals an-
geboten werden; hier drinnen ist es sicherlich nicht zu-
lässig.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nun hat der Kollege Winfried Hermann das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616600800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sport-

ausschuss, so pflegen wir zu sagen, gibt es viele Ge-
meinsamkeiten. Die Sportpolitikerinnen und Sportpoliti-
ker haben Spaß und Freude am Sport. Deswegen gibt es
auch viele gemeinsame Vorstöße. Obwohl es viele Ge-
meinsamkeiten gibt, gibt es auch Differenzen und Unter-
schiede. Das ist auch gut so. Auch der Sport braucht eine
politische Debatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Im Sportbericht, der Anlass unserer Debatte ist, findet
man ganz am Anfang beschrieben, welche unglaublich
vielfältige Dimensionen der Sport hat. Er hat eine sozia-
le, eine integrative und eine leistungsfördernde Funk-
tion. Er spielt inzwischen auch in großen Bereichen der
Wirtschaft eine wichtige Rolle. Ich nenne beispielsweise
den Tourismus. Der gesamte Bericht spiegelt wider, wie
großartig und wie vielfältig Sport ist, wie er in dieser
Gesellschaft wahrgenommen wird und was er für sie be-
deutet. Darin sind wir uns einig.

Die Frage ist jetzt nur, ob die Politik selber diese Viel-
falt, die der Sport bietet, auch in ihren Akzenten, in dem,
was sie tut, widerspiegelt. In diesem Zusammenhang
möchte ich ein paar kritische Dinge ansprechen. Herr
Minister, Sie sagen, das Prä der Sportpolitik liege natür-
lich beim Sport. Da besteht kein Dissens. Aber wenn
man sich nur an dem orientiert, was die Sportorganisa-
tionen machen, dann läuft die Politik Gefahr, dass sie
nur darauf antwortet und keine selbstständigen Initiati-
ven in Gang setzt. Wir Grüne meinen, Sportpolitik muss
auch eigenständige Akzente setzen und dafür sorgen,
dass alles in den richtigen Bahnen läuft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Beispiel. Es muss skeptisch stimmen, wenn zum
Beispiel beim Landessporttag in Baden-Württemberg
der Tenor der Debatte ist: „Der DOSB nimmt den Brei-
tensport nicht wahr, nicht ernst“ oder wenn, wie im
Sportausschuss, die nichtolympischen Sportverbände sa-
gen: Wir bekommen kaum Fördermittel; alles konzen-
triert sich auf den olympischen Sport. – Dazu sage ich:
Hoppla, es könnte sein, dass falsche Zeichen gesetzt
werden, dass wir bei der Konzentration auf den Spitzen-
sport, dessen Bedeutung durchaus nicht bestritten wird,
vergessen, dass es auch Breitensport und Sport auf Lan-






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
desebene und in den Kommunen gibt. Auch dies müssen
wir in unsere sportpolitischen Überlegungen mit einbe-
ziehen. Unsere Forderung ist, sich mehr in diese Berei-
che hineinzudenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, meine Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, Sie haben die Mittel für den Spitzensport
zu Recht erhöht;


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


denn sie waren über Jahre gedeckelt. Aber die Mittel für
Breitensportaktivitäten, für Modelle, die dort möglich
sind, sind nicht in gleicher Weise erhöht worden.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Sie wissen, dass wir dafür nicht zuständig sind?)


Wir sagen eindeutig: Wir wollen auch in diesem Bereich
mehr tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Breitensport braucht eine Lobby – so der Lan-
dessportverband Baden-Württemberg; auch andere
könnte man zitieren. Nun sagen Sie: Da haben wir doch
keine verfassungsgemäße Zuständigkeit.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Richtig!)


Die ist in der Tat beschränkt. Aber Sie sollten in Ihrer
Argumentation konsequent sein: Die meisten von Ihnen
vertreten die Auffassung, dass Sport als Staatsziel in das
Grundgesetz aufgenommen werden soll.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Richtig!)


Warum? Weil Sie sagen: Breitensport, Gesundheitssport,
soziale Funktionen des Sports, all das ist wichtig. Wir
wollen das im Grundgesetz verankert sehen. – Wenn
man das für richtig hält, dann muss man diese breiten-
sportliche Dimension aber auch in seine politischen
Überlegungen, in seine Konzeption mit einbeziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zum Ersten.

Zum Zweiten hat der Bund natürlich in den Berei-
chen Gesundheit, Prävention und Altersvorsorge jede
Menge Kompetenzen, sodass er zumindest modellhaft
Dinge anstoßen kann, damit sich sportliche Organisatio-
nen und die Sportförderung weiterentwickeln können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
überlegen Sie sich einmal, welche Initiativen, Gedanken,
Ideen und Modelle Sie zum Bereich des Breitensports in
den letzten zwei Jahren eingebracht haben. Dazu fällt Ih-
nen nichts ein.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Was fällt Ihnen denn zu sieben Jahren Rot-Grün ein? Sagen Sie mal, was Sie in sieben Jahren Rot-Grün gemacht haben!)


Ich bin die Sache extra noch einmal durchgegangen. Es
ist nichts geschehen. Ich meine, moderne Sportpolitik
müsste da mehr zu bieten haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich war vor zwei Wochen mit einer kleinen Gruppe
des Parlamentarischen Beirats für Nachhaltige Entwick-
lung in Norwegen. Wir haben uns um Nachhaltigkeit be-
müht. Da ist mir etwas Interessantes begegnet: Bei jedem
Besuch eines Ministeriums fand man an der Eingangstür
ein Plakat vor: Benutze deine Beine zur Arbeit!


(Detlef Parr [FDP]: Der Kopf ist wichtiger!)


Durch diese Kampagne in Norwegen werden die Leute
aufgefordert, sich zu bewegen und schon morgens zur
Arbeit zu laufen oder mit dem Rad zu fahren.


(Dagmar Freitag [SPD]: Gute Idee!)


– Das ist eine gute Idee. – Aber wo ist die Initiative der
Bundesregierung, auch einmal so ein Konzept vorzule-
gen, dass die Politik, die Verwaltung vorbildlich zeigen:
„Wir wollen uns bewegen; wir fahren Fahrrad. Fahren
Sie mit!“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: Die Mitarbeiter fahren freiwillig Fahrrad! – Eberhard Gienger [CDU/ CSU]: Kollege Winfried, wir spielen jeden Dienstag Fußball! Du kannst kommen!)


– Ich merke, einige sind erregt.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist nur ein Angebot, keine Erregung!)


Kollege Gienger, der nur eine Radlrutsch hat, tut sich
schwer mit dem Radfahren; ich weiß.

Es gibt übrigens ein Ministerium, das so eine Kampa-
gne fördert: Das ist das Verkehrsministerium, das dafür
wirbt, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Wenn man
für Bewegung in der Gesellschaft mehr tun will, dann
müsste so eine Kampagne breiter gefasst werden, dann
müssten alle mitmachen. Dann müsste das Innenministe-
rium ganz vorne dabei sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt komme ich zum Thema „Vorbereitung auf die
Olympischen Spiele in Peking“. Wir haben darüber
schon viel gesprochen. Ich will nicht in aller Breite da-
rüber sprechen, aber auf zwei Punkte eingehen: erstens auf
die Bekämpfung von Doping und die Voraussetzungen da-
für in China. Der Herr Minister hat gestern im Aus-
schuss und auch heute gesagt, dass sich in China in letz-
ter Zeit einiges getan hat. Das will ich nicht bestreiten,
das ist wahr. Aber gemessen an der Zahl der Menschen
in China, die Leistungssport treiben, sind 8 000 Proben
pro Jahr – das sind etwa doppelt so viele wie in Deutsch-
land – eine sehr bescheidene Maßnahme und viel zu we-
nig. Wir wissen, dass es in China viele Labors und jede
Menge Eliteschulen und Fördereinrichtungen gibt, die in
dieses Kontrollsystem noch nicht eingebunden sind. Es
ist unsere Aufgabe, über die internationalen Sportorgani-
sationen darauf hinzuwirken, dass auch in China mehr
gegen Doping getan wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Rauen [CDU/CSU]: Wieder die Welt verbessern!)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
Zweitens: das Thema Menschenrechte. Herr Minis-
ter, ich habe Sie gestern bewusst gefragt: Was halten Sie
von diesem blau-grünen Bändchen mit der Aufschrift
„Sports for Human Rights“, das ich am Arm trage?


(Detlef Parr [FDP]: Pure Symbolpolitik! Damit kommen wir nicht weiter! Das dient nur der Befriedigung des eigenen Egos!)


– Der Kollege Parr nennt das Symbolpolitik. Für mich
ist die Frage, ob es möglich ist, sich bei den Olympi-
schen Spielen zu den Menschenrechten zu bekennen,
und zwar nicht propagandistisch, sondern aus persönli-
cher Überzeugung heraus.


(Detlef Parr [FDP]: Albernheit! Das ist oberflächlich! Befriedigung des eigenen Gewissens!)


Kann man so etwas tragen, um sich zu den Menschen-
rechten zu bekennen, oder ist das Propaganda, die verbo-
ten ist? Das IOC tut so, als sei so etwas verboten. Der
DOSB übernimmt diese Haltung. Der Minister erklärt,
das sei so im Sport und das müsse man so akzeptieren. –
Wir meinen, das ist inakzeptabel. Ein Bekenntnis zu
Menschenrechten muss erlaubt sein. Das ist keine Propa-
ganda, sondern eine pure Selbstverständlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


Lassen Sie mich noch etwas zur Aufarbeitung des
Dopingproblems im deutschen Sport sagen. Über die
Anti-Doping-Kommission des Ministeriums, die sich
mit der Aufarbeitung beschäftigt, über den Einsatz der
Mittel wacht und prüft, ob die Verbände die Auflagen
umsetzen, haben wir Einblick in das bekommen, was wir
in Deutschland noch tun müssen. Tatsächlich hat diese
Kommission dazu beigetragen, dass in den Verbänden
aufgeräumt wurde


(Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


und dass man sich an bestimmte Regeln hält. Das ist gut
so. Aber jetzt müssen wir dranbleiben und konsequent
sein: Dort, wo Verbände diese Auflagen verletzen, darf
es keine staatliche Förderung für den Sport geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dagmar Freitag [SPD] – Dagmar Freitag [SPD]: Das passiert ja!)


Das passiert schon beim Deutschen Eishockey-Bund;
das ist gut so. Aber jeder andere Sportverband muss wis-
sen: Diese Auflagen müssen erfüllt werden. Angesichts
der Kriterien, die deutlich machen, was alles zu machen
ist, wird klar, dass viele Verbände noch etwas tun müs-
sen. Denen muss man signalisieren: Tut es, und zwar
schnell und sorgfältig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Fall der Universität Freiburg. Inzwi-
schen arbeitet die Untersuchungskommission in Baden-
Württemberg die Verstrickungen und Finanzierungen
von Doping an der Universität in Freiburg auf. Aber
diese Aufarbeitung betrifft auch den Bund, weil auch
Bundestrainer im Einsatz waren und Bundesmittel ge-
flossen sind. Deswegen sind wir vonseiten des Bundes in
der Pflicht, nachzuschauen, was schiefgelaufen ist und
welche Konsequenz zu ziehen ist. Dabei werden wir Sie
unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Was der Sport braucht, ist
nicht nur Unterstützung durch die Politik; vielmehr
braucht er auch Anregungen und Denkanstöße. Das gilt
insbesondere dann, wenn man den Eindruck hat, dass der
Sport selbst zu sehr auf den Spitzen- und Hochleistungs-
sport konzentriert ist. Das ist die Aufgabe der Politik.
Wir stehen für eine breite Sportpolitik, nicht nur für eine
Breitensportpolitik. Wir wollen eine Politik, die Bewe-
gung und Sport in der Gesellschaft und in den Sportver-
bänden fördert: an der Spitze wie in der Breite.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616600900

Das Wort erhält nun der Kollege Eberhard Gienger,

CDU/CSU-Fraktion.


Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1616601000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte zunächst einmal auf Frau Kunert eingehen, die
ein Sportförderungsgesetz gefordert hat. Ich darf Ihnen
sagen, Frau Kunert: Das, was Sie zu Papier gebracht ha-
ben, erinnert mich sehr an den Staatssport der DDR. Ich
darf hinzufügen: Die Gerechtigkeit, die Sie gefordert ha-
ben, wurde in der DDR in ganz geringem Maße umge-
setzt.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Waren Sie überhaupt in der DDR zu der Zeit? Waren Sie überhaupt in einer Sportschule?)


Dabei ging es darum, Leistung zu erbringen, und um
nichts anderes.

Ein Wort zu dir, Wini Hermann. Der Bund unterstützt
den Sport mit relativ geringen Mitteln. Im Jahr 2003 be-
trugen die Ausgaben für den Sport 3,9 Milliarden Euro.
Davon haben die Kommunen 80 Prozent getragen, also
ungefähr 3,1 oder 3,2 Milliarden Euro, die Länder etwa
650 Millionen Euro. Der Bund hat sich mit bescheide-
nen 108 Millionen Euro beteiligt. Das war ein ganz ge-
ringer Anteil für den Spitzensport. Ich glaube, dass diese
Gewichtung richtig ist.

Sport spielt in der Bundesrepublik Deutschland eine
herausragende Rolle. Das gilt insbesondere für die Be-
reiche Gesundheit, Kinder, Integration, Umwelt und Na-
turschutz, aber auch für die Behindertenarbeit. Hochleis-
tungssport ist wichtig, weil er, wenn Sie so wollen, ein
Lehrmeister für Athletinnen und Athleten ist. Was kann
man im Spitzensport alles lernen? Man kann lernen, er-
folgreich sein zu wollen. Man lernt Disziplin und Flexi-
bilität. Man lernt, seine Leistung morgens um acht oder,
wenn es sein muss, auch einmal um Mitternacht zu er-
bringen. Man lernt, mit Sieg und Niederlage umzugehen.
Man lernt, aus Talsohlen herauszufinden und nach Sie-
gen nicht abzuheben. Man lernt, dem Trainer, dem Wei-






(A) (C)



(B) (D)


Eberhard Gienger
seren, zuzuhören und seine Vorgaben umzusetzen. Man
lernt Teamfähigkeit. All das sind Erfahrungen, die man
auf das private und berufliche Leben – das gilt zum Bei-
spiel für die Ausbildung –, aber auch auf das politische
Leben übertragen kann.

Aus diesem Grund und wegen der Repräsentations-
und Vorbildwirkung des Sports hat sich der Bund ent-
schlossen, die Sportler stärker zu unterstützen. Die in-
ternationale Konkurrenz wird immer größer. Die Bun-
desrepublik Deutschland steht in Konkurrenz zu vielen
anderen Nationen, die bei Olympischen Spielen eben-
falls erfolgreich sein wollen, die sich dafür vorbereitet
haben. In Korea, Großbritannien – die Olympischen
Spiele finden 2012 in London statt –, Frankreich, Japan
und vor allem in Australien wird erfolgreich Geld in den
Spitzensport investiert. Dieses Parlament hat im vergan-
genen Jahr dankenswerterweise die bis dahin gedeckel-
ten Beträge um immerhin etwas mehr als 17,1 Millio-
nen Euro aufgestockt, was dem Sport guttut. Seit 1992
hat sich die Anzahl der Disziplinen bei Olympischen
Spielen um 30 Prozent erhöht. Auch die Zahl der teil-
nehmenden Nationen ist angewachsen. Im kommenden
Jahr rechnet man in Athen mit 205 teilnehmenden Natio-
nen, also mit mehr Nationen, als die UN Mitglieder hat.

Es sind also gute Rahmenbedingungen geschaffen
worden. Allerdings ist auch klar, dass der Spitzensport
wegen des Dopings – dieses Thema ist schon angespro-
chen worden – in einer seiner größten, vielleicht sogar
der größten Krise überhaupt steckt. Durch Gesetzesän-
derungen ist es gelungen, Veränderungen herbeizufüh-
ren. Das Wirken der NADA – Präventions- und Aufklä-
rungsmaßnahmen sowie unangemeldete Trainings- und
Wettkampfkontrollen – hat zumindest bei den Betroffe-
nen ein gewisses Maß an Sensibilität bewirkt.

Ich möchte an dieser Stelle eines sagen: Die Athletin-
nen und Athleten müssen berücksichtigen, dass sich die
Zeiten geändert haben, dass sie in einer neuen Zeit leben.
Genauso wie sich die Flugreisenden heutzutage auf allen
Flughäfen kontrollieren lassen müssen, weil ein paar we-
nige Terroristen das Gemeinwohl bedrohen, müssen
auch die Athletinnen und Athleten davon ausgehen, dass
zu ihrem Sport – beim Training und Wettkampf – eine
Dopingkontrolle gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


Das mag zwar lästig sein, gehört in Zukunft aber zum
Training und zum Wettkampf. Frau Kollegin Freitag,
Ihre Bemühungen um eine ordentliche Gesetzgebung im
Rahmen des DIS – Deutsches Institut für Sportgerichts-
barkeit – hierzu kann ich nur begrüßen. Ich werde das
natürlich forcieren.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Sport
ins Grundgesetz. Der Deutsche Olympische Sportbund
hat im Oktober 2006 für die Aufnahme des Sports ins
Grundgesetz plädiert und ein entsprechendes Papier vor-
gelegt. Wie Sie wissen, hat sich die CDU/CSU mit die-
sem Thema beschäftigt, sich aber nicht für eine Auf-
nahme des Sports als Staatsziel ins Grundgesetz
ausgesprochen. Als ehemaliger Leistungssportler und
Mitglied des Präsidiums des Deutschen Olympischen
Sportbundes einerseits und Abgeordneter der CDU/
CSU-Fraktion andererseits schlagen zwei Herzen, ach,
in meiner Brust: Auf der einen Seite würde mit der Ver-
ankerung des Sports als Staatsziel im Grundgesetz die
besondere Bedeutung des Sports für unsere Gesellschaft
gewürdigt.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Dann mach mal was!)


Auf der anderen Seite muss man allerdings anerkennen,
dass es gute Argumente für eine andere Einstellung zu
diesem Thema gibt. Es gibt nämlich sehr wohl Interes-
senten, die auch andere Staatsziele, wie Kinderrecht
oder Nachhaltigkeit verankert wissen möchten.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Dann macht doch mal was! Setzt euch mal durch!)


Wir müssen uns die Frage stellen: Brächte das Staatsziel
Sport dem Sport das, was er sich erhofft, brächte es den
Sport weiter? Diese Frage sollte Auslöser dafür sein,
neue Gespräche darüber zu führen. Was meine Person
anbetrifft, so würde ich gerne den Sport im Grundgesetz
sehen. Ich habe aber auch Verständnis für die Argumen-
tation der anderen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Fraktionszwang?)


Ich möchte noch einige Anmerkungen zur Sinnhaftig-
keit der Fusion von Deutschem Sportbund und NOK
zum Deutschen Olympischen Sportbund machen. Ich
gebe zu, dass auch ich damals kein großer Freund der
Fusion war. Ich habe aber zugestimmt, nachdem das Ar-
gument vorgebracht wurde, dass der Sport dann mit ei-
ner Stimme sprechen könnte. Dadurch sind wir jetzt in
einer anderen Situation. 1980, als es um einen Boykott
der Olympischen Spiele in Moskau ging, hat sich der
Sport gegenseitig zerfleischt: NOK gegen DSB, dazwi-
schen die Deutsche Sporthilfe. Jetzt hat man erreicht,
dass der deutsche Sport mit einer Stimme spricht. Aus
diesem Grunde wundere ich mich, weshalb dem Deut-
schen Olympischen Sportbund so viel Kritik entgegen-
schlägt, er habe als Interessenvertreter seiner Athleten
seine Meinung, an den Olympischen Spielen in Peking
teilzunehmen, sehr früh bekannt gegeben.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Es ging um den Zeitpunkt! Tibet!)


Dies hat er in erster Linie getan, weil sich der Dalai-
Lama selbst gegen einen Boykott ausgesprochen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Winfried Hermann, vielleicht noch eines zu den
Bändchen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616601100

Das muss jetzt aber ganz knapp erfolgen.


Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1616601200

Ich komme zum Schluss, nur noch einen Satz. – Das

IOC hat in Regel 51 Abs. 3 der Olympischen Charta
ganz klar festgelegt, dass es nicht erlaubt ist, politische
oder religiöse Demonstrationen durchzuführen, dass die






(A) (C)



(B) (D)


Eberhard Gienger
Athletinnen und Athleten aber das Recht haben, sich bei
Pressekonferenzen, in öffentlichen Gesprächen und in
der Mixed Zone zu äußern. Ich denke, dies ist eine gute
Lösung. Somit können auch die Athletinnen und Athle-
ten ihr Scherflein zu den Menschenrechten in China bei-
tragen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616601300

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Günther für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1616601400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Sportbericht der Bundesregierung und Sie,
Herr Minister, haben einen Überblick über die Vielfältig-
keit dieses Bereichs in unserem Lande gegeben. Deshalb
kann jeder von uns nur ein Segment herausgreifen, zu
dem er hier seine Gedanken darstellt. Ich möchte auf die
Themen Doping und Sportstätten eingehen.

Das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des
Dopings im Sport hat einen langen Weg hinter sich.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das wissen wir!)


Frau Kollegin Freitag, ich kann mich sehr gut daran erin-
nern, dass vieles, das auch von Ihnen angekündigt
wurde, sich am Ende leider nicht im Gesetz wiederge-
funden hat.


(Detlef Parr [FDP]: So ist es! – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja interessant!)


Deshalb ist es interessant, zu sehen, wie wir mit diesem
Gesetz umgehen, vor allem, wie wir mit Personen umge-
hen, die bereit sind, über die Dopingpraxis öffentlich
auszusagen.

Der Bayerische Rundfunk hat in seiner Sendung
Report München am 2. Juni dieses Jahres Jörg Jaksche
interviewt. Ich weiß nicht, wer von Ihnen die Sendung
gesehen hat. Die Überschrift sagt eigentlich schon alles:

Alle lieben den Verrat, keiner liebt den Verräter.

Jaksche, ein Radprofi, hat reinen Tisch gemacht. Er hat
das flächendeckende Doping angesprochen und die Na-
men der Hintermänner genannt. Er hat damit einen Ta-
bubruch begangen: Er hat die Mauer des Schweigens
durchbrochen. Aber was ist jetzt? Er steht ohne Vertrag
da. Niemand will ihn in seinem Rennstall haben.

Lassen Sie mich ein Zitat von Jörg Jaksche vortragen,
das meines Erachtens alles sagt:

Es ist eine Zweitwelt, in der man lebt im Radsport,
die komplett abgeschottet ist vom normalen Leben.
Also, das heißt, man erzählt, man lügt den Journa-
listen, der Familie und so weiter eigentlich offenen
Auges ins Gesicht und sagt: „Nein, das ist alles im
Radsport nicht so.“ Natürlich ist das im Radsport
so.

Meine lieben Freunde, es ist schon bedrückend, wenn
man so etwas hört. Der Bayerische Rundfunk hatte
Rückfragen an sportliche Leiter anderer Mannschaften
gestellt. Diese hatten überhaupt kein Interesse daran, auf
dieses Thema einzugehen. Da muss man sich doch fra-
gen: Wie weit sind wir bei der Austrocknung des Do-
pingsumpfes? Wir sollten deshalb mit Blick auf die
Olympiade vorsichtig sein, wenn wir mit dem Doping-
finger auf gewisse aufsteigende Nationen – ich möchte
das einmal vorsichtig umschreiben – zeigen.

Wir alle im Haus sind uns darin einig, dass wir die in-
ternationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet deutlich
erweitern und verbessern müssen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


Herr Minister, Sie haben recht. Wir müssen die finan-
zielle Grundlage, die bei uns durch die NADA schon
verbessert wurde, aus meiner Sicht auf ganz andere Füße
stellen. Man muss den Mut haben, über neue Dinge
nachzudenken. Ich gebe nur einen Anstoß: Vielleicht
könnte man einen gewissen Teil aller Spenden und aller
Sponsorings im Sport für den Dopingbereich verwen-
den; ich denke hier an 0,3 bis 0,5 Prozent.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das hat der Kollege Danckert schon gesagt!)


Die NADA leistet gute Arbeit. Wir müssen sie so stär-
ken, dass sie auch international gut ankommt.


(Beifall bei der FDP)


Einige kurze Bemerkungen zum Thema „Sportstät-
ten in Deutschland“. Der DOSB hat vor zwei oder drei
Jahren einen Sanierungsbedarf in Höhe von rund
40 Milliarden Euro angegeben; diese Zahl wurde heute
schon genannt. Das ist eine gigantische Summe, die nie-
mand auf einmal schultern kann. Das erwartet auch nie-
mand. Wir sollten die Sanierungsfälle jedoch zum An-
lass nehmen, die Chance zu nutzen, zukunftsorientierte
Konzepte zu erarbeiten. Dabei ist die Berücksichtigung
der demografischen Entwicklung in diesem Land uner-
lässlich. In den letzten Jahren haben wir mit dem Golde-
nen Plan zusätzlich 2 Millionen Euro zur Verfügung ge-
stellt. Damit wurden vorrangig im Osten Sportstätten
gefördert. Ich glaube, es ist auch im Westen dringend
notwendig, dass auf diesem Gebiet etwas geschieht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir in
diesem Sinne einen gesamtdeutschen Plan auf den Weg
bringen. Ich glaube, wir alle aus dem Sportbereich sind
dazu bereit. Gehen wir diese Aufgabe konsequent an,
vielleicht auch über Parteischranken hinweg. Dann ha-
ben wir die Chance, dass die Sportstätten und der Sport,
das Hauptargument für eine gesunde Entwicklung in un-
serem Land, erhalten bleiben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616601500

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Volker

Beck das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616601600

Herr Kollege Gienger, dies ist eine zentrale Debatte

im Rahmen der Debatten über die in Peking stattfinden-
den Olympischen Spiele. Es geht um die Frage, was
Sportler dort tun dürfen, um deutlich zu machen, dass sie
einerseits am sportlichen Wettkampf der Olympischen
Spiele teilnehmen wollen, sich andererseits aber trotz-
dem zu den Menschenrechten bekennen und auch ein
deutliches Signal an die chinesische Regierung senden
wollen. Wir als Deutscher Bundestag sollten klarma-
chen, dass ein Bekenntnis zu den Menschenrechten kein
Widerspruch zur Olympischen Charta sein kann.


(Zuruf von der FDP: Aber das ist doch nicht der Fall!)


Wenn Sportler das Bändchen mit der Aufschrift
„Sports for Human Rights“ tragen oder wenn sie in den
Sportstätten ein T-Shirt tragen, wie ich es in der Debatte
zu Tibet gezeigt habe, auf dem „Human Rights“ auf Chi-
nesisch und auf Englisch steht, dann kann das keine Ver-
letzung der Olympischen Charta sein. Das darf keine
Verletzung der Olympischen Charta sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen die Zivilcourage der Sportlerinnen und
Sportler, der Olympioniken, unterstützen. Wir müssen
ihnen den Rücken stärken, statt zu sagen: So etwas muss
außen vor bleiben. Niemand käme auf die Idee, sich da-
ran zu stören, wenn Sportlerinnen und Sportler zu ihrer
nationalen Mannschaftstracht noch ein Kreuz am Hals
trügen. Nach der Olympischen Charta würde man ein
Bekenntnis zur eigenen Religion nicht ahnden. Genauso
wenig kann ein Bekenntnis zu den Menschenrechten ge-
ahndet werden. Das ist etwas anderes als der Ausspruch
„Freiheit für Tibet“ oder ein Bekenntnis gegen Atom-
kraft.

Die Menschenrechte und die Völkerverständigung
sind Grundlagen der olympischen Idee. Ich finde, wir als
Deutscher Bundestag sollten deutlich machen, dass wir
an der Seite derjenigen stehen, die das auch in Peking
zum Ausdruck bringen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616601700

Zur Erwiderung erhält der Kollege Gienger das Wort.


Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1616601800

Kollege Beck, die Aussagen, die Sie getroffen haben,

sind nicht neu. Es gibt im Sport Regeln. Regel 51 Abs. 3
der Olympischen Charta besagt eindeutig, dass politi-
sche


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Propaganda!)

und religiöse Demonstrationen nicht erlaubt sind. Das
bedeutet, ein solches Bändchen ist ähnlich zu werten wie
der Handschuh, den die Sprinter bei der Siegerehrung
der Olympischen Spiele im Jahre 1968 in die Höhe ge-
halten haben. Es ist so zu werten, als ob ein Teilnehmer
mit dem Foto seines Staatspräsidenten einmarschiert.

Sie haben als Beispiel das Tragen eines Kreuzes er-
wähnt. Im Fußball ist es nicht erlaubt, solche Schmuck-
stücke zu tragen. Es gibt Regeln, die in Leichtathletiksta-
dien gelten, es gibt Regeln, die in Fußballstadien gelten,
und es gibt Regeln, die im Deutschen Bundestag gelten.
Den Zuschauern und Gästen ist es beispielsweise nicht
erlaubt, auf der Tribüne zu demonstrieren. Diese Regel
ist eine sehr gute Regel.

Allerdings muss man auch die Sportler schützen, die
ihre politische Meinung nicht in Form einer Demonstra-
tion zum Ausdruck bringen wollen. Ich habe gerade ge-
sagt: Auf Pressekonferenzen, in Interviews und in Ge-
sprächen ist es erlaubt, seine persönliche Meinung zu
artikulieren. In diesem Rahmen hat jeder Sportler, jeder
Funktionär und jeder Teilnehmer einer Olympiamann-
schaft die Möglichkeit und das Recht, sich zu artikulie-
ren und seine politische Meinung kundzutun. Ob das
letztlich zu einer Veränderung der Menschenrechtslage
in China beiträgt oder nicht, sei dahingestellt; aber es
gibt diese Möglichkeit. Ich glaube, das ist eine gute Lö-
sung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Detlef Parr [FDP]: Provokationen führen immer zum genauen Gegenteil! – Gegenruf des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist jemals ein Teilnehmer disqualifiziert worden, weil er ein Kreuz getragen hat? Nie! Warum jetzt?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616601900

Das Wort erhält nun der Kollege Martin Gerster für

die SPD-Fraktion.


Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1616602000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Sehr geehrter Herr Minister Schäuble! Wenn man
die 124 Seiten des 11. Sportberichts der Bundesregie-
rung – ein gutes Pfund Papier – liest und feststellt, was
sich hinter den Ergebnissen und Tabellen, die Tag für
Tag in Sportzeitungen abgedruckt sind, verbirgt, dann
stellt man sehr schnell fest, dass der Sport wesentlich
mehr ist als körperliche Ertüchtigung. Der Sport leistet
einen Beitrag dazu, dass verschiedene Generationen zu-
sammenkommen und dass zwischen Menschen, die sich
ohne den Sport vielleicht nie kennengelernt hätten, ein
Zusammenhalt entsteht, unabhängig von ihrer Herkunft,
ihrer sozialen Zugehörigkeit und ihrer Hautfarbe. Sport
ist sozialer Kitt in unserer Gesellschaft. Ich denke, das
ist die eigentliche Botschaft, die vom Sport und auch
vom 11. Sportbericht der Bundesregierung, den wir
heute diskutieren, ausgeht.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Martin Gerster
Umso schlimmer ist es, dass einige Gruppen den
Sport missbrauchen wollen, um Gewalt zu provozieren
und Rechtsextremismus in unsere Gesellschaft zu tra-
gen. Es ist wichtig, dass von uns, der Politik, das klare
Signal ausgeht: Wir wollen nicht, dass der Sport für
Ziele, die nichts mit Sport zu tun haben, missbraucht
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Deshalb ist es notwendig, dass die Bundespolitik die
Fanprojekte im Sport, insbesondere im Fußball, unter-
stützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Ich finde es gut, dass die Bundesregierung und wir, das
Parlament, die Koordinierungsstelle für Fanprojekte in
Frankfurt mit Mitteln in Höhe von 165 000 Euro unter-
stützen. Allerdings ist dieser Betrag das untere Limit
dessen, was wir hierfür bereitstellen könnten. Eigentlich
müssten wir diese Mittel aufstocken.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Außerdem müssen wir endlich eine gemeinsame Initia-
tive auf den Weg bringen, um dafür zu sorgen, dass auch
das einzige Bundesland, das sich bisher nicht beteiligt,
nämlich Baden-Württemberg,


(Dagmar Freitag [SPD]: Aha! Das ist ja interessant!)


einen Beitrag dazu leistet, dass beim VfB Stuttgart ein
Fanprojekt zur Bekämpfung von Gewalt und Extremis-
mus im Fußball unterstützt wird.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ob eine Gesellschaft solidarisch ist oder nicht, lässt
sich daran messen, wie sie mit Menschen, die ein Handi-
cap haben, die also benachteiligt oder behindert sind,
umgeht.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)


Wir müssen deutlich machen, dass der Bund den Deut-
schen Behindertensportverband und die Teilnehmerin-
nen und Teilnehmer der Paralympics unterstützt.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)


65 Prozent der Ausgaben im Bereich des Behinderten-
sports, des Leistungssports, des Breitensports und der
Rehabilitation, werden vom Bund getragen. Wir müssen
zum Ausdruck bringen, dass wir in diesem Bereich eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfüllen, die sonst wo-
möglich niemand wahrnehmen würde. Das ist auch ein
Kennzeichen dafür, dass wir in Deutschland eine solida-
rische Gesellschaft aufgebaut haben, dass uns diese
Menschen wichtig sind. Ich glaube, die behinderten
Sportlerinnen und Sportler sind wahre Vorbilder für un-
sere Gesellschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums meinen
Dank aussprechen, die unkompliziert gehandelt haben,
als Verena Bentele, eines unserer Aushängeschilder, ei-
nen Begleitläufer suchte – sie ist von Geburt an blind –
und zu klären war, wo dieser Begleitläufer arbeiten
kann, wenn er gleichzeitig mit Verena Bentele trainieren
soll. Es ist gelungen, den Begleitläufer in einer Förder-
gruppe der Bundeswehr unterzubringen. Herzlichen
Dank noch einmal, auch im Namen von Verena Bentele,
an das Verteidigungsministerium! Dass das geklappt hat,
ist ein Zeichen dafür, dass wir den Behindertensport un-
terstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Ich war dabei, als Minister Schäuble letzte Woche im
Hilton zahlreichen Sportlerinnen und Sportlern das Sil-
berne Lorbeerblatt verliehen hat. Es wurde deutlich,
welche Vielfalt es im deutschen Sport gibt: Er besteht
nicht nur aus Fußball, Handball, Basketball, nein, 4 Mil-
lionen Menschen, organisiert in 27 Spitzenverbänden,
engagieren sich in den sogenannten nichtolympischen
Sportarten. Auch von diesen Menschen wurden letzte
Woche viele für ihre Leistung ausgezeichnet.

Wir müssen darüber nachdenken, ob es richtig ist,
dass bei Treffen des DOSB die nichtolympischen Ver-
bände – sie erhalten gerade einmal 2,5 bis 4 Prozent För-
derung – als „die Skontoverbände“ abgetan werden;
diese Förderung geht nicht zulasten der olympischen
Verbände. Wir müssen darüber diskutieren, wie eine ent-
sprechende Würdigung dieser Sportarten erfolgen kann,
auch im Hinblick darauf, dass Deutschland, Düsseldorf
2013 Gastgeber der World Games sein wird. Herr Minis-
ter Schäuble, ich hoffe, dass es in Zusammenarbeit mit
Ihrem Hause gelingt, die Finanzierungsgrundlagen hier-
für zu schaffen. Es heißt, dass die olympischen Sport-
arten vorrangig zu bedienen sind. Daran gibt es keinen
Zweifel. Das heißt aber nicht, dass die anderen nachran-
gig sind und nur noch das bekommen, was als Rest übrig
bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will den Bogen zum Ehrenamt schlagen. Es wird
ja oft kritisiert, der Spitzensport werde gefördert, der
Breitensport aber vernachlässigt. Eine Säule aller Akti-
vitäten im Sport ist das Ehrenamt. Vom Spitzensport ge-
hen hier wichtige Signale aus. In meiner Heimatstadt
Biberach fand letztes Jahr zum ersten Mal ein großes
Leichtathletikmeeting statt, und in wenigen Wochen
wird das zweite stattfinden. Der Sportkreis Biberach und
die zahlreichen Sportvereine mit ihren Ehrenamtlichen
machen jetzt einen Fackellauf durch die ganze Region,
an dem sich Tausende von Freizeitsportlern beteiligen.
Das ist das, was wir wollen: dass der Spitzensport An-
reize gibt, Motivation gibt, sich sportlich zu betätigen,
um weitere Aktivitäten und Aktionen entfalten zu kön-






(A) (C)



(B) (D)


Martin Gerster
nen. Deswegen ist es gut, dass wir auf Initiative der Bun-
desregierung das Gesetz zur weiteren Stärkung des bür-
gerschaftlichen Engagements auf den Weg gebracht
haben. Wir würdigen durch die Erhöhung des Steuerfrei-
betrags die Leistung der vielen Ehrenamtlichen und
wertschätzen die Vereine.

Lieber Detlef Parr, du hast vorhin auf die Thematik
der Sportwetten hingewiesen. Ich war am Samstag bei
einer Veranstaltung des Württembergischen Landes-
sportbundes. Auf dieser Veranstaltung hat auch FDP-
Minister Goll ausdrücklich gelobt, dass wir uns auf den
Staatsvertrag geeinigt haben.


(Detlef Parr [FDP]: Die haben noch nicht die aktuellen Zahlen auf dem Tisch!)


Bei all dem, was ich höre, kann ich nur die Frage stellen:
Warum macht die FDP in den Ländern das Gegenteil
von dem, was die FDP-Bundestagsfraktion fordert?

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616602100

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer,

CDU/CSU.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1616602200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte mich
mit einem Ereignis beschäftigen, das angesichts der
Jahreszeit und angesichts des Zeitpunktes, zu dem es
stattfinden wird, noch nicht im Fokus der öffentlichen
Wahrnehmung steht, das aber insbesondere aufgrund des
gedrängten Zeitplans voller Konzentration bedarf. Wir
haben die herausragende Chance, im Jahr 2018 erstmals
seit 1972 auf deutschem Boden wieder die Olympischen
Spiele auszurichten, und zwar in München.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Schon wieder in Bayern!)


Die Bewerbung Münchens birgt enorme Chancen in
sich. Es wäre ein Novum in der olympischen Geschichte,
wenn in einer Stadt sowohl Olympische Sommerspiele
als auch Olympische Winterspiele stattfänden. Die Be-
werbung Münchens ist aber nicht nur eine Bewerbung
Bayerns, sondern eine deutsche Bewerbung. Gerade des-
halb bin ich dem Deutschen Olympischen Sportbund
sehr dankbar dafür, dass er sich auf seiner Mitgliederver-
sammlung am 8. Dezember letzten Jahres einstimmig
– wohlgemerkt einstimmig – hinter die Bewerbung
Münchens gestellt hat. Ich weiß, es war nicht einfach.
Letztendlich aber haben sich alle bereit erklärt, die Be-
werbung zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bayern ist Wintersportland. Es hat schon vielfach ge-
zeigt, dass es ein hervorragender Austragungsort für
sportliche Großwettkämpfe ist. Letztmals war dies im
Jahr 2005 der Fall, als dort die Nordische Ski-WM in
Oberstdorf stattgefunden hat. Im Jahr 2011 wird die Al-
pine Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen stattfinden. Ich
denke, dass wir auch gut daran täten, die Bewerbungen
von Inzell für die Eisschnelllauf-WM 2011 und von
Ruhpolding für die Biathlon-WM 2012 zu unterstützen.

Die Olympiabewerbung Münchens für das Jahr
2018 birgt hervorragende Vorteile in sich. Ein ganz ent-
scheidendes Kriterium – meines Erachtens sogar das we-
sentliche Kriterium – ist: Die Bevölkerung in München
und im übrigen Bayern steht hinter dieser Bewerbung.
Über 80 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Be-
werbung Münchens für die Olympischen Winterspiele.
Über 90 Prozent der gesamten Bevölkerung Bayerns
wissen bereits von der Bewerbung Münchens.


(Ute Kumpf [SPD]: Da schau her!)


Dies ist ein enormer Vorteil. Erinnern Sie sich nur ein-
mal an die Bewerbung Salzburgs für die Winterolym-
piade 2014. Nach den Bekundungen des IOC war die
Bewerbung Salzburgs zum Scheitern verurteilt, weil die
österreichische Bevölkerung – insbesondere die Salzbur-
ger – leider Gottes nicht hinter der Bewerbung stand. Ich
glaube, ganz Deutschland wäre gut beraten, hinter der
Bewerbung Münchens bzw. Bayerns für die Winter-
olympiade 2018 zu stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiteres wesentliches positives Kriterium ist,
dass Bayern, das Alpenvorland, über professionelle und
weltweit anerkannte Wettkampfstätten verfügt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


Wir werden ein ökologisches, ein nachhaltiges Nut-
zungskonzept aufstellen. Der größtmögliche Anteil der
Wettkampfstätten wird nach den Olympischen Winter-
spielen weiter genutzt werden können. Sehr verehrter
Kollege Hermann, mit einer Austragung der Olympi-
schen Winterspiele würden wir ganz neue Maßstäbe hin-
sichtlich des Themas „Sport und Klimaschutz“ setzen.
Gerade deshalb glaube ich, dass es sehr schön wäre,
wenn die Bewerbung Münchens erfolgreich wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Parr [FDP])


Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist, dass die Bewer-
bungskosten von ungefähr 30 Millionen Euro, die zu-
nächst anfallen, größtenteils von der Privatwirtschaft ge-
tragen werden. Die öffentliche Hand – sowohl der
Freistaat Bayern als auch der Bund – wird also zunächst
nicht zur Kasse gebeten. Weiterhin verfügt das Alpenvor-
land über eine hervorragende Verkehrsinfrastruktur,
die hier und da natürlich noch ausgebaut und verbessert
werden muss. Die erforderliche Verkehrsinfrastruktur,
sowohl im Bereich Straße als auch im Bereich Schiene,
ist aber bereits vorhanden.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist der bayerische Werbeblock!)


Die Bewerbung Münchens birgt auch enorme Chan-
cen für Bayern – und natürlich auch für Deutschland –
als Tourismusland, weil die Besucherinnen und Besu-
cher, die Gäste der Olympischen Winterspiele nicht nur
in München bleiben, sich nicht nur in Bayern bewegen,






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

sondern natürlich ganz Deutschland erkunden und be-
sichtigen werden.

Die nächsten Schritte stehen an. Zunächst einmal gilt
es, dass München Candidate City wird, also in den enge-
ren Bewerberkreis kommt. Dies wird im Juli 2010 der
Fall sein. Der entscheidende Punkt ist, dann bei der Ver-
gabe im Juli 2011 zum Zuge zu kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Jahr
2006 hatten wir mit der Fußballweltmeisterschaft ein
Sommermärchen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616602300

Herr Kollege!


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1616602400

Wir haben nun die hervorragende Möglichkeit, ein

Wintermärchen im Jahr 2018 anzuschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der olympischen Hymne heißt es:


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616602500

Herr Kollege, die können Sie jetzt aber nicht mehr

komplett vortragen.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1616602600

Ebenen, Berge und Meere leuchten von dir
Wie ein weißer und purpurfarbener großartiger Tem-
pel …

Sehr geehrter Herr Präsident, Sie werden mir mit Sicher-
heit recht geben: Mit diesem Zitat kann nur Bayern ge-
meint sein. Lassen Sie uns die Bewerbung Münchens
deshalb mit viel Leidenschaft, aber auch mit viel Kraft
und Elan unterstützen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616602700

Herr Kollege Mayer, ich gebe Ihnen ausdrücklich

recht, dass sich dieses Zitat vorzüglich als Einstieg in die
Rede geeignet hätte. Aber es ist immer hochgradig ris-
kant, es für einen Zeitpunkt zurückzustellen, der schon
jenseits der gewährten Redezeit liegt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun erhält die Kollegin Petra Heß das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Petra Heß (SPD):
Rede ID: ID1616602800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Mayer, wir haben jetzt fast Glück gehabt, dass Sie die
olympische Hymne nicht noch gesungen haben.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das war wirklich Glück! Ich kann nicht singen!)


Im Übrigen ist auch Thüringen ein hervorragendes Win-
tersportland.
Deutschland ist eine sportbegeisterte Nation. Die stei-
gende Zahl der Übergewichtigen in unserem Land zeigt
aber auch, dass diese Begeisterung oftmals passiv gelebt
wird. Man schaut halt gern zu, wenn sich andere schin-
den. Dabei stellt der deutsche Schriftsteller Martin
Kessel fest:

Der Sport ist eine Tätigkeitsform des Glücks.

Ich freue mich, dass ich dem 11. Sportbericht der
Bundesregierung viel Positives entnehmen konnte, so
bei Spitzensport und Bundeswehr. Beides ist untrennbar
miteinander verbunden. Es ist mir daher ein besonders
Anliegen, auf den Bereich Sportförderung innerhalb der
Bundeswehr und der Bundespolizei einzugehen.

Der 11. Sportbericht stellt fest, dass Sport und Sport-
ausbildung einen hohen Stellenwert bei Bundeswehr
und Bundespolizei genießen. Das stimmt. Für die Ein-
satzfähigkeit der Streitkräfte und der Bundespolizei ist
die körperliche Leistungsfähigkeit der Soldaten und
Bundespolizisten unerlässlich. Eigens ausgebildete
Sportausbilder bzw. Sportleiter stehen den Soldaten und
Bundespolizisten hierbei zur Seite. Bundeswehr und
Bundespolizei verfügen über gute materielle Vorausset-
zungen, wobei ich aber an dieser Stelle nicht unerwähnt
lassen möchte, dass gerade bei der Bundeswehr in den
alten Bundesländern Nachholbedarf besteht. Im Rahmen
des Sonderprogramms „Sanierung Kasernen West“ wer-
den in den nächsten Jahren 645 Millionen Euro aufge-
wendet, die natürlich auch zu einer Verbesserung der
Sportinfrastruktur beitragen werden.

Dies allein wird aber nicht genügen und ist sicher
auch nicht der alleinige Grund dafür, dass es um die
Fitness unserer Soldaten nicht ganz so gut bestellt ist.
Ursächlich sind nach Meinung des Wehrbeauftragten zu
wenig Zeit für den Sport im Dienst sowie zu wenige
Sportlehrer und Übungsleiter. Hier muss die Bundes-
wehr als Dienstherr gegensteuern und dafür sorgen, dass
die eigens geschaffene Zentrale Dienstvorschrift „Sport
in der Bundeswehr“ an allen Standorten gelebt wird.


(Beifall bei der SPD und der FDP)


Hier sind insbesondere die Vorgesetzten gefordert.

So getrübt das Bild bei der allgemeinen Fitness unse-
rer Soldaten ist, umso besser stellt sich die Bundeswehr
bei der Spitzensportförderung dar. Als Partner des
Deutschen Olympischen Sportbundes nimmt die Bundes-
wehr eine herausragende Stellung ein. Über 700 Sportsol-
daten leisten in derzeit 18 Sportfördergruppen ihren
Dienst, die grundsätzlich in der Nähe von Olympiastütz-
punkten bzw. deren Außenstellen und Bundesleistungs-
zentren eingerichtet sind. Durch diese räumliche Nähe
findet ein ständiger Austausch zwischen den verschiede-
nen Leistungsträgern statt.

Die Sportsoldaten tragen mit beachtlichen Ergebnis-
sen bei Olympischen Spielen sowie Welt- und Europa-
meisterschaften zu einem hohen Ansehen Deutschlands
bei. Bei der Winterolympiade 2006 in Turin stellte die
Bundeswehr 45 Prozent der Sportler, die wiederum
66 Prozent der Medaillen erkämpften. Ein ähnlich gutes
Bild gab es bei der Sommerolympiade 2004 in Athen. In






(A) (C)



(B) (D)


Petra Heß
wenigen Wochen werden in Peking die Olympischen
Sommerspiele 2008 beginnen. Die Bundeswehr wird
auch diesmal wieder stark vertreten sein und circa ein
Drittel der Athleten stellen.

Doch zurück zum aktuellen Sportbericht: Hier wird
noch von einer Reduzierung der Plätze für Spitzensport-
ler bei der Bundeswehr von 744 im Jahr 2006 auf 664 im
Jahr 2010 ausgegangen. Diese Absenkung der Stellen
wird nicht erfolgen, und das ist gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im Gegenteil: Die Plätze für Spitzensportler werden auf
784 angehoben. Hierfür gebührt dem Verteidigungsminis-
ter mein ausdrücklicher Dank. Lieber Kollege Kossendey,
geben Sie es bitte weiter.

Durch die Förderung von Spitzensportlern der Bun-
deswehr ist es auch möglich, mit leistungsstarken Mann-
schaften an Sportwettkämpfen mit Streitkräften anderer
Nationen teilzunehmen. Auch hier werden beachtliche
Erfolge erzielt.

Aber nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die
Bundespolizei betreibt eine erfolgreiche Spitzensportför-
derung. So werden bei der Bundespolizeisportschule in
Bad Endorf 81 Beamtinnen und Beamte in elf olympi-
schen Wintersportarten und im Bundespolizeileistungs-
sportprojekt Cottbus beim Olympiastützpunkt Cottbus/
Frankfurt an der Oder 53 Beamtinnen und Beamte in
drei Sommersportarten trainiert.

Auch diese Ergebnisse können sich sehen lassen. Es
konnten zum Beispiel im Zeitraum 2002 bis 2005 bei
Olympischen Spielen 17 und bei Weltmeisterschaften 41
Medaillen erkämpft werden. Da ist ebenfalls eine ein-
drucksvolle Bilanz.


(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Relativ!)


Gestatten Sie mir noch einige Worte zur beruflichen
Ausbildung unserer Sportlerinnen und Sportler. Hier
gibt es derzeit noch sehr unterschiedliche Modelle. Wäh-
rend die Polizei im Regelfall auf Wunsch nach dem akti-
ven sportlichen Dienst die Übernahme in den Polizei-
dienst anbietet und parallel zur sportlichen auch die
bundespolizeiliche Ausbildung gewährleistet, findet dies
in dieser Form in der Bundeswehr nicht statt. Nun hinkt
zwar der Vergleich, Herr Minister Schäuble, da bei der
Bundeswehr der Anteil der Sportler ungleich höher ist;


(Zuruf von der FDP: Richtig!)


trotzdem muss die Bundeswehr nach praktikableren oder
flexibleren Verfahrensweisen suchen, die einen besseren,
einen gleitenderen Einstieg in das künftige Berufsleben
möglich machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Freitag [SPD]: Und auch ein Studium ermöglichen! – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Der Verteidigungsminister hat es zugesagt!)

Hierbei sollten die verschiedenen staatlichen Institutio-
nen ähnliche Verfahrensweisen anbieten. Dazu wird es
noch Gespräche geben müssen. Auch die Dienstzeitver-
längerung für die Sportsoldaten der Bundeswehr um je-
weils immer nur ein Jahr sollte noch einmal auf den
Prüfstand.

Gestatten Sie mir, dass ich zum Abschluss noch eine
Forderung an die Verbände loswerde. Sie wissen, die
Bundesrepublik ist der größte Sponsor des Spitzen-
sports. Allein die Bundeswehr gibt Jahr für Jahr circa
25 Millionen Euro für den Spitzensport aus.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Mehr!)


Was die Verhandlungen zwischen Verbänden und Spon-
soren angeht, bitte ich Sie, geeignete Möglichkeiten zu
finden, um die Sportlerinnen und Sportler in die Lage zu
versetzen, zum Ausdruck zu bringen, wer ihr Dienstherr
ist, der ihnen diese sportlichen Voraussetzungen erst er-
möglicht. Die geförderten Sportler sind nun einmal un-
sere Multiplikatoren, die Sympathieträger der Polizei,
des Zolls und der Bundeswehr. So sollte es auch möglich
sein, dass sie das mit einem gewissen Stolz in die Welt
tragen.


(Beifall bei der SPD)


Ein kleines Logo bei Wettkämpfen – Herr Kollege Gien-
ger, das könnten Sie auch an den DOSB weiterleiten –
tut nicht weh. Diese Leistungssportler demonstrieren
nämlich, wie schön Sport und vor allen Dingen sauberer
Sport sein kann.

Ich wünsche unseren Teilnehmern bei den Olympi-
schen Spielen in Peking faire Wettkämpfe und vor allen
Dingen tolle Ergebnisse für unser schönes Land.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616602900

Klaus Riegert ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1616603000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer

außerordentlichen Hauptversammlung im Jahre 1912
wurde im Protokoll verzeichnet: Georg Rau verkündet
Freibier für alle. – Warum, weiß ich nicht, aber es wurde
einstimmig beschlossen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Danckert [SPD]: Was heißt das jetzt?)


Auf den Antrag der Linken möchte ich nicht näher
eingehen, sondern nur feststellen: Eine Verstaatlichung
des Sports ist mit uns nicht zu machen. Die in Ihrem An-
trag erhobenen Forderungen nach „Schaffung von öf-
fentlich finanzierter Beschäftigung im Bereich des ge-
meinnützigen Sports“ und einer „Einführung einer
zweckgebundenen Abgabe auf Umsätze aus Sportwer-
bung für die Sportförderung“ sowie die übrigen zehn
Punkte lesen sich wie ein Verstaatlichungsprogramm für






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert
Sport. Das ist mit unserem Gesellschaftsverständnis und
der Autonomie des Sports unvereinbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann haben Sie ihn nicht richtig gelesen oder nicht verstanden! – Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sehr vernünftig!)


Lassen Sie mich einige Sätze zum Sportbericht sagen.
Wir haben gemeinsam beschlossen, dass der nächste Be-
richt auch einen Ausblick auf die zukünftige Sportpolitik
gewähren soll. Der Kollege Mayer hat uns den weitesten
Ausblick bereits gegeben. Auch Stuttgart und Baden-
Württemberg freuen sich auf München 2018.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das musste ja gesagt werden!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616603100

Herr Kollege Riegert, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Bunge?


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1616603200

Gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616603300

Bitte schön.


Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616603400

Kollege Riegert, Sie setzen das Sportfördergesetz

mit der Verstaatlichung des Sportes gleich. Ist Ihnen be-
kannt, dass es in Mecklenburg-Vorpommern – also auf
Landesebene – seit acht Jahren ein Sportfördergesetz
gibt, das viele Regelungen enthält, die zur Verstetigung
des Sports beitragen? Meinen Sie, dass dort jetzt der
Kommunismus ausgebrochen ist?


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1616603500

Liebe Frau Kollegin, mir ist sehr wohl bekannt, dass

es in einigen Bundesländern – nicht nur in den neuen,
sondern auch in den alten – Sportfördergesetze gibt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aha!)


Aber Sie sollten die zwölf Punkte in Ihrem Antrag genau
lesen. Ihr Antrag trieft regelrecht vor Verstaatlichung des
Sports. Es geht nicht um Autonomie und Selbstbestim-
mung. Sie wollen offensichtlich starken staatlichen Ein-
fluss haben. Das lehnen wir deutlich ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Sehr billig!)


Herr Kollege Hermann, ich komme nun auf Sie zu
sprechen. Wenn ich Reden und Taten vergleiche, stelle
ich fest: Viele schöne Reden wurden gehalten. Aber es
gibt offensichtlich nur wenig zu kritisieren. Ich erinnere
Sie aber daran, dass Sie in sieben Jahren Regierungszeit
nicht einen Gesetzentwurf in diesem Bereich vorgelegt
haben. Sie haben zwar sieben Jahre ein Antidopingge-
setz gefordert, aber nicht eine Zeile zu Papier gebracht.
Da war völlige Fehlanzeige!

(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)


Ähnlich sieht es in der auswärtigen Kulturpolitik aus. Ihr
Außenminister Joschka Fischer hat Jahr für Jahr die An-
sätze nach unten gefahren. Wir haben das jetzt korrigiert
und sie erhöht. Sie sollten Reden und Taten stärker ver-
gleichen. Wir, Bund und Länder gemeinsam, haben im-
merhin 490 Millionen Euro in die Hand genommen. Ich
nenne als Stichworte nur „Hilfen für Helfer“, das Ge-
meinnützigkeitsrecht und das Stiftungsrecht. Wir haben
sehr viel für den Breitensport getan.

Sport eint, im Gegensatz zur Sportpolitik. Sport inte-
griert. Sport hält gesund. Sport bildet. Sport aktiviert.
Menschen, die Sport treiben, tun das oft in Vereinen. So
unterstützt der Sport etwas, was für unsere Gesellschaft
in den vor uns liegenden Jahrzehnten von grundlegender,
entscheidender Bedeutung sein wird: den Zusammen-
schluss und das Zusammenwirken von Menschen. Die
Gesellschaft muss noch stärker als bisher auf den Indivi-
duen, den Bürgern, und den von ihnen gebildeten Verei-
nigungen, Verbänden und Stiftungen ruhen. Die Autono-
mie des Sports darf nicht angetastet werden.


(Beifall des Abg. Eberhard Gienger [CDU/ CSU])


– Danke schön, Herr Gienger.

Breitensport und Spitzensport sind kein Gegensatz,
keine Konkurrenz. Sie stehen in einem komplementären
Verhältnis zueinander. Beide brauchen einander. Ich
nenne fünf Punkte, die zeigen, dass wir auch in Berlin
Politik für den Breitensport machen.

Erster Bereich: Vereine und Ehrenamt. Der deut-
sche Sport mit seinen über 87 000 Vereinen und den sie
tragenden Organisationen ist Spiegelbild unserer Gesell-
schaft. Die über 2,5 Millionen ehrenamtlich Tätigen
übernehmen gesellschaftliche Aufgaben, die der Staat in
dieser Komplexität und Qualität nicht leisten könnte und
nach unserem Verständnis auch nicht leisten sollte. Eh-
renamtliche Tätigkeit ist Teil des Lebens, gibt Lebens-
sinn und steigert die Lebensqualität. Der Sport und seine
Vereine sind gesellschaftliche Selbstorganisationen, in
denen sich bürgerschaftliches Engagement als Teil einer
freiheitlich-demokratischen Gesellschaft entwickelt. Mit
diesen gewachsenen Strukturen leisten Sportvereine ei-
nen bedeutenden Beitrag auf dem Weg in eine Bürgerge-
sellschaft. Für dieses Engagement gebührt den ehren-
amtlich Tätigen besonderer Dank, Anerkennung und
Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Zweiter Bereich: Bewegungserziehung und Schul-
sport. Der vorschulischen Bewegungserziehung und dem
Schulsport kommen eine hohe Bedeutung zu. Wir sagen
Ja zu täglichen Bewegungszeiten in der vorschulischen
Erziehung und in der Grundschule. Wir wollen Qualität
und ein Mindestmaß an Bewegung. Lieber Detlef Parr,
der Sportausschuss wird auch in Zukunft – obwohl er
hierfür nicht zuständig ist – immer wieder den Finger in
die Wunde legen.






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Dritter Bereich: Gesundheit und Prävention. Ich be-
grüße das Engagement des Sports, seiner Organisationen
und Vereine bei Gesundheitserziehung, Gesunderhaltung
und Prävention. Sie leisten damit einen wichtigen Bei-
trag zur Erhaltung der Gesundheit.

Vierter Bereich: Senioren. Die steigende Zahl älterer
Menschen in Sportvereinen ist erfreulich. Immer mehr
älter werdende Menschen beugen Alterungsprozessen,
chronischen Erkrankungen und Behinderungen durch
Sport und Bewegung vor. Vereine, Verbände und Ein-
richtungen der Seniorenarbeit und Altenpflege sind auf-
gefordert, entsprechende Angebote zu entwickeln.

Fünfter Bereich: Sportstättenbau/Sportinfrastruk-
tur. Es bleibt eine vorrangige Aufgabe der Länder und
Kommunen, den Sportstättenbau und die Sportinfra-
struktur zu verbessern und in ganz Deutschland den Sa-
nierungsstau abzubauen, aber bitte mit eigenem Geld,
das wir durch eine gute Haushalts- und Finanzpolitik
und durch die Schaffung guter Rahmenbedingungen den
Ländern und Kommunen zur Verfügung stellen.

Meine Damen und Herren, es ist schon mehrfach an-
gesprochen worden: Es steht uns ein großer Sportsom-
mer bevor: die Fußballeuropameisterschaft in Österreich
und der Schweiz und die Olympischen Spiele in Peking.
Wir wünschen allen Teams und allen Athletinnen und
Athleten viel Erfolg!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616603600

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Peter Danckert, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1616603700

Vielen Dank, Herr Präsident! Ich versuche, nach § 33

Satz 1 der Geschäftsordnung zu verfahren.

Wir diskutieren heute den 11. Sportbericht und einen
Antrag der Fraktion Die Linke. Zunächst zu dem Antrag
und der Sprecherin der Linken, Katrin Kunert. Gegen
den Feststellungsteil im Antrag ist wenig zu sagen. Da-
rüber findet sich hier sicherlich breiter Konsens. Was die
Forderungen an die Bundesregierung angeht, so fehlt es
schlicht an der verfassungsrechtlichen Grundlage. Man
kann vieles fordern, aber solange wir die nicht haben,
geht der Antrag leider ins Leere. Deshalb müssen wir ihn
ablehnen.

Jetzt zu dem Sportbericht, der eigentlich im Zentrum
steht. Ich möchte zunächst einmal den Geschäftsführern
unserer Fraktionen danken, dass sie uns in der Kernzeit
die Gelegenheit geben, das Thema Sport breit zu disku-
tieren, und das ist gelungen; sonst sind wir immer erst
am späten Nachmittag an der Reihe.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Der zweite Dank gilt dem Sportminister und seinem
Hause. Das will ich ausdrücklich sagen; denn Sie, Herr
Minister, haben mit dem Sportbericht die Grundlage für
unsere Diskussion heute gelegt, obwohl – ich komme
darauf noch zurück – davon wenig Gebrauch gemacht
worden ist. Nur vereinzelt ist er angesprochen worden,
obwohl er eigentlich heute im Zentrum stehen sollte. Die
Mitarbeiter Ihres Hauses haben wirklich sehr viel Interes-
santes und Lesenswertes zusammengetragen. Ich möchte
diese Gelegenheit nutzen, mich bei einem Mann zu be-
danken, der über viele Jahre für den Sport in Ihrem
Hause zuständig war: Klaus Pöhle.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Klaus Pöhle hat sich um den Sport verdient gemacht und
uns die Zusammenarbeit erleichtert. Er ist jetzt nach vie-
len Jahren, die er in diesem Amt war, ausgeschieden.
Richten Sie ihm den Gruß bitte noch aus.


(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Werde ich!)


Es ist wirklich sehr erfreulich, wenn man auf der Ar-
beitsebene – da sind häufig die Ansprechpartner – mit
Menschen zu tun hat, bei denen man spürt, dass sie nicht
nur eine Funktion wahrnehmen, sondern dass es ihnen
wichtig ist, etwas für den Sport zu tun. Soweit der Dank
an die Berichtsverfasser.

Ich glaube, wir haben heute hin und wieder etwas zu
diesem Thema gehört. Ich finde es interessant, wie man
den 11. Sportbericht diskutieren kann. Am besten hat
mir die Rede von Stephan Mayer zur Bewerbung
Münchens 2018 gefallen.


(Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das freut mich!)


Es war wirklich genial, wie du die Kurve gekriegt hast.
In Bayern werden sie dich ewig dafür loben, dass du eine
solche Parlamentsdebatte nur dafür genutzt hast, dich für
die Bewerbung einzusetzen.


(Beifall des Abg. Klaus Riegert [CDU/CSU])


Ich empfehle, dass dieser Beitrag an alle IOC-Mitglieder
versandt wird. Das wird sich sicherlich lohnen. Wir ha-
ben hier nicht zu entscheiden, aber wir unterstützen die
Bewerbung. Die IOC-Mitglieder sind die eigentlichen
Personen, die das wissen müssen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Die Stimmung ist wichtig!)


– Ja, die Stimmung in Bayern ist so, dass 90 Prozent
– du hast es uns gesagt – dafür sind. Ich bin davon über-
zeugt, nach der Rede sind es 99 Prozent. Das wird sich
vermutlich auch auf das Ergebnis deiner Partei bei den
Landtagswahlen positiv auswirken. Da bin ich ganz si-
cher.


(Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Dagmar Freitag [SPD]: Jetzt wollen wir nicht übertreiben!)


Ich muss allerdings ein kritisches Wort zu dem sagen,
was mein Freund Eberhard Gienger gesagt hat. Das kann






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
ich mir nicht ersparen. Ich meine das Thema Menschen-
rechte. Ich hatte gehofft, dass wir es heute nicht berüh-
ren müssen. Das Thema Menschenrechte steht über al-
lem, was wir tun – hier im Parlament, im Land und in
der Welt. Ich finde es sehr merkwürdig, dass das IOC
und einzelne Repräsentanten des IOC versuchen, dieses
Thema so tief wie möglich zu hängen. Wir können doch
nicht übersehen, was in Tibet geschehen ist. Wenn die
Weltgemeinschaft davor die Augen verschließt, dann hat
sie ihre Aufgabe nicht erfüllt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eberhard Gienger [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht der Fall!)


Um es klar zu sagen: Ich erwarte vom Sport nicht, dass
durch ihn diejenigen Probleme gelöst werden, die die
Politik und die Wirtschaft nicht lösen können. An dieser
Stelle zu schweigen, ist aber völlig verkehrt.


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Das ist doch nicht der Fall! – Detlef Parr [FDP]: Das ist doch absurd! Das hat doch keiner hier gesagt!)


Nun komme ich zu etwas ganz besonders Kritischem.
Der Fraktionskollege Winfried Hermann von den Grü-
nen hat ein bestimmtes Band um den Arm. Um die Auf-
schrift darauf lesen zu können, muss man dicht herange-
hen, oder man kennt sie. Liebe Freunde, dieses Band ist
keine Demonstration politischer Art, sondern ein Be-
kenntnis zu Menschenrechten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn der DOSB oder das IOC das Tragen eines solchen
Bandes mit Sanktionen versehen sollte, dann sitzen wir
an dieser Stelle nicht mehr in einem Boot. Dafür habe
ich überhaupt kein Verständnis.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616603800

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Riegert beantworten?


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1616603900

Sehr gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616604000

Bitte sehr.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1616604100

Herr Kollege Danckert, stimmen Sie mir zu, dass für

die IOC-Regeln das IOC und nicht der Deutsche Bun-
destag zuständig ist?

Stimmen Sie mir zum Zweiten zu, dass es schwierig
ist, Regeln moralisch auszulegen? Denn man ist sehr
schnell in dieser Gefahr, wenn man zu dieser Regel und
dem Bändchen sagt: „Da steht etwas völlig Harmloses
drauf; das ist doch gut; das ist moralisch okay“, damit
aber die Regeln aushöhlt, weil ein anderer auf seinem
Bändchen draufstehen haben könnte: „Ich liebe Jesus“
oder „Ich liebe meinen Präsidenten Soundso“ – –

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616604200

Die Anregung ist angekommen. Ich bedanke mich.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]: Ich lasse mir nicht die Pointen nehmen!)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1616604300

Die Kernfrage: Glauben Sie als Jurist nicht auch, dass

es sehr schwierig ist, Regeln moralisch auszulegen?


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1616604400

Zu dem ersten Teil dieser interessanten Zwischen-

frage sage ich: Natürlich sind wir als Deutscher Bundes-
tag und damit als Gesetzgeber nicht für die Regeln des
IOC zuständig. Das ist doch gar keine Frage; das hat
auch niemand behauptet.

Ich lasse mir an dieser Stelle als Parlamentarier aller-
dings nicht das Recht nehmen, mich dazu zu äußern,
welche Bedeutung die Menschenrechte haben und auch
für das IOC haben müssten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: Das hat doch gar keiner getan! Sie sollen die Frage beantworten!)


Ich verstehe das an dieser Stelle nicht. Es geht doch gar
nicht um die Frage einer moralischen Interpretation.


(Detlef Parr [FDP]: Natürlich! Obermoralist!)


Das ist überhaupt nicht das Thema. Das hat mit juristi-
schen Spitzfindigkeiten überhaupt nichts zu tun.


(Detlef Parr [FDP]: Symbolpolitik!)


Von dem IOC gibt es ein Bekenntnis zu den Men-
schenrechten; das ist eigentlich lobenswert. Ich will,
dass das an jeder Stelle deutlich wird. Jemand, der ein
solches Bändchen um den Arm trägt und sich damit zu
Menschenrechten bekennt,


(Detlef Parr [FDP]: Beruhigt sein eigenes Gewissen!)


macht etwas ganz Selbstverständliches, was eigentlich
über allem schwebt. Wenn das kritisiert wird und wenn
das zu Sanktionen wie Ausschlüssen führen würde, dann
hätte ich dafür überhaupt kein Verständnis. Das IOC
würde sich damit diskreditieren und seinen Anspruch,
etwas Gutes zu tun, verwirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle kann es also eigentlich gar keine Mei-
nungsverschiedenheiten geben.


(Detlef Parr [FDP]: Doch!)


Ich verstehe nicht, dass das sowohl der Freund Detlef
Parr als auch der Freund Eberhard Gienger als auch viele
andere infrage stellen.


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Das ist doch nicht infrage gestellt! Es gibt Regeln!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
Die Diskussion darüber ist sehr interessant. Es muss
deutlich sein, dass das Bekenntnis – nicht die Demons-
tration – zu Menschenrechten jederzeit und jedem er-
laubt sein muss, auch den Sportlern.

Ich erwarte von keinem Sportler, dass er sich aus-
drücklich dazu bekennt. Diejenigen, die es nicht tun wol-
len, sind mir genauso lieb. Ich stelle mich nur vor dieje-
nigen, die bereit sind, ihre Meinung an dieser Stelle zu
äußern. Das muss erlaubt sein. Das darf nicht verboten
sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eberhard Gienger [CDU/ CSU]: Die Meinung äußern dürfen sie doch auch!)


Jetzt noch zu der Frage, ob der Sport als Staatsziel
ins Grundgesetz aufgenommen werden soll. Das ist
schon mehrfach angesprochen worden, und das hängt
auch ein bisschen mit dem Sportförderungsgesetz zu-
sammen. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Aufgabe.
Wir alle anerkennen die große Bedeutung des Sports in
unserer Gesellschaft im Hinblick auf Gesundheit, Inte-
gration und Ernährung; niemand zieht diese Funktion
des Sports in Zweifel. Dann aber wird gesagt: Den Sport
als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, das stimmt
mit unserer prinzipiellen Auffassung zur Reinheit des
Grundgesetzes nicht überein. Was sollen wir denn noch
alles ins Grundgesetz aufnehmen? – Diese Worte kenne
ich.

Wir haben uns für den Tierschutz ausgesprochen;


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist auch gut so!)


daran habe ich sogar mitgewirkt. Wenn man das im Ver-
hältnis zur Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft
sieht, dann ist es überfällig, dieser Forderung nachzu-
kommen; dann muss das geschehen. Ich bitte Sie, liebe
Freunde von der Union – sonst besteht ja ein parteiüber-
greifender Konsens –: Bedenken Sie doch noch einmal,
ob das nicht doch notwendig, machbar und überfällig ist!

Die Väter unseres Grundgesetzes hatten 1948/49 ganz
andere Probleme, und deshalb haben sie nicht daran ge-
dacht. Wenn sie damals geahnt oder gewusst hätten, wel-
che Bedeutung dem Sport in unserer Gesellschaft eines
Tages zukommen würde, dann hätten sie ihn mit Sicher-
heit als Grundrecht oder als Staatsziel in die Verfassung
aufgenommen.

Wenn man sich das genau ansieht, dann stellt man
fest: Die Verfassung gibt nur über den Art. 2 und mögli-
cherweise über den Art. 9 des Grundgesetzes eine
Grundlage für die Sportförderung – darin besteht ein Teil
unserer Probleme –; die gesamtstaatliche Bedeutung des
Sports rechtfertigt unsere Sportförderung. Ich finde, das
ist keine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage.
Wir sollten uns dazu durchringen, dieses Generalthema,
das heute das Haus beschäftigt hat, mit weitgehender Ei-
nigkeit über die Parteigrenzen hinweg, aufzunehmen
und das Ganze auf eine neue verfassungsrechtliche
Grundlage zu stellen, um so dem Sport insgesamt Hilfe
zu geben.
Es ist unverkennbar, dass wegen der unterschiedli-
chen Zuständigkeiten der Kommunen, der Länder und
des Bundes ein ziemliches Durcheinander besteht. Das
sollten wir ordnen. Ich wünsche mir, dass es eines Tages
nicht nur einen Innenminister gibt, der für den Sport zu-
ständig ist, sondern einen Sportminister. Damit würde
endgültig deutlich, welche Bedeutung der Sport in unse-
rer Gesellschaft hat.

Vielen Dank Ihnen, Herr Schäuble, und Ihnen, meine
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616604500

Nun hat die Kollegin Kunert um das Wort zu einer

Kurzintervention gebeten. Bitte schön.


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616604600

Ich denke, Sie sollten es sich trotzdem anhören, Herr

Kollege.
Herr Kollege Danckert, Sie haben gesagt, aufgrund

der föderalen Strukturen in der Bundesrepublik sei es gar
nicht möglich, dem Antrag der Linken zuzustimmen und
ein Sportförderungsgesetz zu verabschieden. Dazu
muss ich festhalten: Der Bund hat in der Vergangenheit
immer mehr Kompetenzen an die Länder abgegeben.
Deshalb darf er sich heute nicht darüber beschweren,
dass wir über Themen wie den Schulsport zwar debattie-
ren, aber nicht mehr entscheiden können.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will ein paar Beispiele dafür nennen, dass man
trotz der föderalen Strukturen bestimmte Regelungen be-
schlossen und dann auch einfach praktiziert hat. Ich
denke an das Programm zum Ausbau der Kindertages-
stätten gerade im Westen, um einen Versorgungsstand zu
schaffen, wie wir ihn im Osten seit Jahren haben. Man
hat festgestellt, dass die Arbeitsstrukturen im Bereich
SGB II/SGB XII, die der Bundestag beschlossen hat, ei-
gentlich gegen das Grundgesetz verstoßen.

Vonseiten der SPD wurde gegen unseren Antrag vor-
gebracht, die öffentlich geförderte Beschäftigung gebe
es bereits, nämlich die 1-Euro-Jobs und die ABM. Wir
sagen aber: Es soll eine öffentlich geförderte Beschäfti-
gung sein, bei der Mindestlöhne gezahlt werden, sodass
die Menschen von dieser Arbeit leben können.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann habe ich noch eine Bitte, lieber Kollege Dan-
ckert: Wenn Sie mit unseren Ansätzen ein inhaltliches
Problem haben, dann sagen Sie es, aber verstecken Sie
sich nicht hinter den föderalen Strukturen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1616604700

Ich habe ja in der Rede deutlich gemacht, dass aus

meiner persönlichen Sicht der Feststellungsteil in Ihrem
Antrag weitgehend okay ist. Ich habe allerdings auch
deutlich gemacht, dass man, bevor man ein Sportförde-
rungsgesetz wie Sie in Ihrem Antrag fordern kann, zu-
nächst einmal die verfassungsrechtlichen Grundlagen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
schaffen muss. All das, was Sie fordern, ist in einem
Sportförderungsgesetz nicht unterzubringen. Dafür ha-
ben wir leider keine verfassungsrechtliche Kompetenz.
Das ergibt sich aus Art. 30 unseres Grundgesetzes.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir sind doch der Gesetzgeber!)


Insofern müssen wir erst dafür sorgen – für diesen
Schritt setze ich mich ja gemeinsam mit vielen anderen
ein –, dass Sport als Staatsziel ins Grundgesetz aufge-
nommen wird. Dann müssen wir die Kompetenz des
Bundes für bestimmte Sportmaßnahmen festschreiben.
Dann ist auch ein Sportförderungsgesetz möglich. Das
ist die richtige Reihenfolge.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1616604800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses zur Unterrichtung durch die Bundesregierung
über ihren 11. Sportbericht. Es handelt sich um die
Drucksachen 16/3750 und 16/7584. Der Ausschuss emp-
fiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der
Stimme enthalten? – Dann ist, einem möglichen gegen-
teiligen Eindruck der Debatte zum Trotz, diese Be-
schlussempfehlung vom Deutschen Bundestag einstim-
mig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b: Hier geht
es um die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel:
„Schutz und Förderung des Sports ernst nehmen – Sport-
förderungsgesetz des Bundes schaffen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/9455, diesen Antrag der Fraktion Die Linke ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Miriam
Gruß, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Existenz von Kindern sichern – Familien stär-
ken

– Drucksache 16/9433 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin De-
ligöz, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kein Kind zurücklassen – Programm gegen
Kinderarmut auf den Weg bringen

– Drucksache 16/9028 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Jörn Wunderlich, Klaus Ernst, Dr. Martina
Bunge, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zwei-
ten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvor-
schussgesetzes

– Drucksache 16/7889 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 16/9440 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Helga Lopez
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Ekin Deligöz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Miriam Gruß für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1616604900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es gibt eine gute Nachricht und eine
schlechte Nachricht. Die gute Nachricht vorneweg: Wir
unterhalten uns heute, an diesem Donnerstag, hier im
Deutschen Bundestag zur Kernzeit über das Thema Kin-
derarmut. Das ist die gute Nachricht. Es gibt aber auch
eine schlechte Nachricht: Die Tatsache, dass wir uns in
Deutschland überhaupt über das Thema Kinderarmut un-
terhalten müssen, ist die schlechte Nachricht. Reiches
Deutschland – arme Kinder!


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Kommen wir zu den Fakten. Der Kinderschutzbund
hat uns die Zahlen genannt: 2,4 Millionen Kinder in
Deutschland leben in Armut. Danach lebt inzwischen je-
des sechste Kind in Deutschland in Armut. Es gibt aber
auch noch andere Zahlen. Damit komme ich zum ersten
wunderlichen Aspekt dieser Debatte. Es gibt nämlich an-
derslautende Zahlen des Bundesarbeitsministers Scholz,
und es gibt anderslautende Zahlen der Bundesfamilien-
ministerin von der Leyen. Wer weiß schon, welche Zah-
len die richtigen sind? Die Frage ist auch, ob mit den
Aussagen gewisser Studien nicht politische Schlussfol-
gerungen herbeigerufen werden sollen. Wie auch immer,
in diese Debatte will ich jetzt nicht einsteigen. Ich ge-
höre zur Opposition und kann die Zahlen nicht nachprü-
fen. Ich weiß allerdings: Jedes arme Kind in Deutsch-
land ist ein Kind zu viel.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Neben der materiellen Armut gehen mit Armut näm-
lich auch schlechtere Gesundheit, größerer emotionaler






(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß
Stress, der sich sogar auf die Bildungschancen von Kin-
dern auswirkt, und schlechtere Teilhabechancen von
Kindern in Deutschland einher. Schauen wir uns die
Antworten der Bundesregierung an. Damit kommen wir,
meine Damen und Herren, zu einem zweiten wunderli-
chen Aspekt: Meines Erachtens findet hier nämlich ein
ganz wunderliches „Rechte Tasche, linke Tasche“-Spiel
statt. Auf der einen Seite wird uns im Ausschuss gesagt,
der Kinderzuschlag wurde erhöht. Das hat man aber
nicht gescheit gemacht; denn ansonsten wäre auch der
bürokratische Aufwand vermindert worden. Nun profi-
tieren die, die tatsächlich den Kinderzuschlag erhalten,
nur so marginal und minimal, dass es der Rede gar nicht
wert ist.


(Beifall bei der FDP)


Außerdem wird auf die uns vorgelegten Konzepte zur
Vereinbarkeit von Beruf und Familie verwiesen. Wir
wissen allerdings heute noch nicht, ob nicht durch Ein-
führung des Betreuungsgeldes all die guten Dinge, die
hierdurch auf den Weg gebracht werden, entsprechend
konterkariert werden. Damit würde den Kindern wie-
derum die Möglichkeit geraubt, von Anfang an Bil-
dungschancen wahrzunehmen.

Auf der anderen Seite – das zu „Rechte Tasche, linke
Tasche“ – zieht die Bundesregierung den Eltern durch
die größte Steuererhöhung der Bundesrepublik Deutsch-
land das Geld aus der Tasche.


(Beifall bei der FDP)


Von den 19 Steuererhöhungen sind vor allem die Eltern
betroffen, die das Geld am dringendsten brauchen. Fami-
lien sind diejenigen, die am schnellsten in die Bedürftig-
keit abrutschen. Die Antwort der Bundesregierung sind
immer weitere Steuererhöhungen, von denen die Fami-
lien am meisten betroffen sind. Ich nenne beispielsweise
die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Reduzierung bei
der Pendlerpauschale und Abschaffung der Eigenheim-
zulage.


(Beifall bei der FDP)


Unsere Antworten sehen anders aus. Wir wollen
keine Verteilungspolitik, sondern Hilfe für die wirklich
Bedürftigen, die zielgenau und bedarfsgerecht sein
muss. Wir schauen nicht nur auf die Erwachsenen, son-
dern auch auf die Kinder. Wir müssen nämlich beide
Gruppen im Blick haben.

Was tun wir für die Kinder? Wenn wir im Bundestag
über Kinder reden, dann müssen wir beachten, dass na-
türlich auch die Länder beteiligt sind. An dieser Stelle
würde ich mich freuen, wenn die Länder sich mehr an
den Investitionen in die frühkindliche Bildung beteili-
gen würden.


(Beifall bei der FDP)


Chance auf Teilhabe heißt Chancengleichheit von Be-
ginn an. Es ist ein Faktum, welches nicht wegzureden
ist, dass das am Besten über die frühkindliche Bildung
geht.
Wir kümmern uns um die Teilhabe, um die Beteili-
gung von Kindern in Deutschland. An dieser Stelle
möchte ich den Jugendverbänden ein großes Lob und
Dankeschön aussprechen, die tagtäglich viel ehrenamtli-
che Arbeit leisten und sich dafür einsetzen, dass alle
Kinder in Deutschland Beteiligung erfahren dürfen.


(Beifall bei der FDP)


Mit Blick auf die Erwachsenen sind meines Erachtens
drei Dinge ganz wichtig. Der wichtigste Punkt ist ein
Arbeitsplatz. Denn ein Arbeitsplatz schützt vor Armut.
Deswegen müssen wir alle Anstrengungen unternehmen,
die Arbeitslosigkeit weiter zu reduzieren.


(Caren Marks [SPD]: Da haben wir schon was vorzuweisen!)


Des Weiteren ist es wichtig, die Aufnahme einer Ar-
beit durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und
Familie überhaupt zu ermöglichen.


(Caren Marks [SPD]: Da haben wir mehr gemacht als die FDP!)


Es ist zwar richtig, in Richtung des Ausbaus der Betreu-
ungsplätze für unter Dreijährige zu gehen, aber die An-
strengungen dürfen an dieser Stelle nicht aufhören. Auch
hier müssen die Länder mit ins Boot geholt werden.
Kinderbetreuung wird nicht überflüssig, wenn die
Kinder älter als drei Jahre sind. Wir müssen für alle Al-
tersgruppen Betreuung gewährleisten, und zwar eine
qualitativ hochwertige Betreuung. Bis jetzt habe ich in
diesem Hause viel über den quantitativen Ausbau ge-
hört, aber leider noch viel zu wenig über den qualitativen
Ausbau der Betreuung von Kindern aller Altersstufen.


(Beifall bei der FDP)


Natürlich müssen wir – das ist der dritte Punkt – die
Steuern und Abgaben für die Familien senken. Die
FDP-Bundestagsfraktion hat das familienfreundlichste
Steuerkonzept von allen Fraktionen im Deutschen Bun-
destag:


(Beifall bei der FDP)


Steuersätze von 10, 25 und 35 Prozent, ein höheres Kin-
dergeld von 200 Euro, eine verbesserte steuerliche Ab-
setzbarkeit von Kinderbetreuungskosten in Höhe von
12 000 Euro und ein Bürgergeld, das den wirklich Be-
dürftigen zugute kommt. Wir haben die Antworten auf
die Kinderarmut in Deutschland.


(Beifall bei der FDP)


Fakt ist: Der Nutzen von Kindern wird in Deutsch-
land gerne generalisiert; die Kosten werden nach wie vor
individualisiert. Das darf nicht sein. Ich bin gespannt auf
Ihre Antworten.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616605000

Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616605100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Frau Kollegin Gruß, es gibt eine gute Nachricht:
1 600 000 neue Arbeitsplätze für Mütter und Väter seit
2005 sind effektiver für die Bekämpfung der Kinder-
armut als jeder Antrag, egal ob er einen Umfang von
12, 13 oder 16 Seiten hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist richtig: Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss
den Eltern mehr Netto in die Hand geben. Wer die Exis-
tenz von Kindern nachhaltig sichern will, muss die El-
tern stark machen. Kinder wollen und brauchen liebe-
volle und starke Eltern. Eltern sind vor allem dann stark,
wenn die ökonomische Existenz ihrer Familie gesichert
ist.


(Ute Kumpf [SPD]: Wenn beide arbeiten und sich auch der Papa um die Kinder kümmert!)


Wir haben in der Großen Koalition das Elterngeld aus
der Taufe gehoben, damit junge Eltern nach der Geburt
eines Kindes nicht deutlich ärmer sind als vor der Ge-
burt. Wir haben die Verdreifachung der Kindertagesbe-
treuung angepackt; denn viele Familien können nur als
Doppelverdiener überleben.


(Ute Kumpf [SPD]: Was spricht gegen das Recht, erwerbstätig zu sein? – Zuruf der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb werden wir den Kinderzuschlag zum 1. Oktober
dieses Jahres erhöhen, um weitere 150 000 Kinder aus
dem statistischen Armutsbereich zu befreien.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb haben wir den Rechtsanspruch auf eine Kinder-
tagesbetreuung und das Betreuungsgeld beschlossen.

Wir haben in der Familienförderung einen Turbo an-
geworfen. Wir wissen genau: Ein täglicher finanzieller
Kleinkrieg in den Familien ist mit das Schlimmste und
Belastendste, was Familien treffen kann. Deshalb warne
ich vor jedem Stillstand – mit uns wird es den auch nicht
geben – in der Familienförderung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616605200

Herr Kollege Singhammer, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Deligöz?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616605300

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616605400

Bitte schön.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616605500

Herr Singhammer, eigentlich hatte ich einen Zuruf

gemacht; aber der war wahrscheinlich zu leise. Deshalb
stelle ich jetzt eine Zwischenfrage. Ich bin schon etwas
überrascht darüber, dass ausgerechnet Sie von Doppel-
verdienern reden. Denn soweit ich weiß, ist das Betreu-
ungsgeld aus Ihrer Feder, weil Sie nicht wollen, dass
Mütter und Väter gleichzeitig arbeiten. Ihr präferiertes
Modell ist doch, dass Mütter zu Hause bleiben.


(Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616605600

Liebe Frau Kollegin Deligöz, Ihre Frage zeigt, dass

Sie sich im Irrtum über das befinden, was wir wollen
und welche Pläne wir haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran liegt das wohl?)


Ich darf es Ihnen nochmals erklären:


(Ute Kumpf [SPD]: Jetzt bin ich gespannt!)


Wir sind für Wahlfreiheit. Wahlfreiheit bedeutet, dass
diejenigen Eltern, diejenigen Mütter und Väter, die
verdienen müssen, die arbeiten und entsprechend ihrer
Ausbildung tätig sein wollen, dies können und dass die-
jenigen Eltern, die sich anders entscheiden, weil ein El-
ternteil für eine bestimmte Zeit oder dauerhaft zu Hause
bleiben will, im Rahmen des Betreuungsgeldes genauso
eine Förderung erhalten. Das ist Wahlfreiheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: „Dauerhaft zu Hause bleiben“?)


In den nächsten Wochen wird der Existenzminimums-
bericht des Bundesfinanzministers erscheinen. Weil in
den vergangenen sieben Jahren eine Vielzahl von Din-
gen – von den Lebensmitteln bis hin zur Energie – teurer
geworden ist, würde es jeden wundern, wenn dabei keine
Steigerung herauskäme. Eine Erhöhung des Existenz-
minimums bedingt aber – das stelle ich hier fest – eine
Erhöhung des Kindergelds. Alles andere wäre höchst un-
gerecht. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Wir wollen
eine Erhöhung des Kindergelds im kommenden Jahr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Caren Marks [SPD]: Alle Kinder sind gleich viel wert!)


Das ist auch eine Förderung der Mittelschicht, derjeni-
gen, die arbeiten, die etwas leisten und für die es immer
enger wird.

Es wäre ungerecht, es nicht zu tun. Warum? Weil die-
jenigen, die über das Existenzminimum eine Steuerrück-
zahlung bekommen, im Regelfall einen Gegenwert von
203 Euro im Monat erhalten. Diejenigen, die Hartz IV
erhalten, bekommen über das Sozialgeld im Regelfall ei-
nen Gegenwert, der ebenfalls über 200 Euro liegt. Dieje-
nigen, die Kindergeld bekommen, erhalten bis zum drit-
ten Kind jetzt 154 Euro und ab dem vierten 179 Euro.
Um hier Symmetrie zu schaffen, ist eine Kindergeld-
erhöhung notwendig.

Welche Familien brauchen besonders nötig eine sol-
che Kindergelderhöhung? Es sind die Alleinerziehenden,
und es sind die Familien mit mehr Kindern. Es gibt näm-
lich noch Mehrkinderfamilien.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt!)


Angesichts der Diskussion über Energiepreis- und Sprit-
preiserhöhungen erinnere ich mich an ein Gespräch, das






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer
ich vor kurzem mit einer Mutter geführt habe, die neun
Kinder hat.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mit dem Vater auch geredet?)


– Auch mit dem Vater, Frau Künast, keine Angst. – Als
die Frage aufkam: „Können Sie denn die Spritpreise
noch zahlen?“, hat die Mutter – in diesem Fall nicht der
Vater, sondern die Mutter, Frau Künast – geantwortet:
Für uns sind weniger die Spritpreise von Bedeutung
– wir haben gar kein Auto –, aber umso mehr die Milch-
preise. Denn ich brauche nicht 95 Liter Sprit im Monat,
sondern 95 Liter Milch für die Großfamilie. – Deshalb
beschweren mich, so hat sie erklärt, besonders die
Milchpreise.


(Caren Marks [SPD]: Alleinerziehende haben so gut wie nie eine Großfamilie!)


In der Familienpolitik brauchen wir nicht nur einen
finanziellen Ausgleich, sondern auch die Anerkennung
einer solchen Leistung. Deshalb – das sage ich auch an
dieser Stelle – habe ich kein Verständnis dafür, wenn Fa-
milien mit Misstrauen begegnet wird, so als seien sie
nicht in der Lage, eine Transferleistung des Staates rich-
tig und dem Wohl ihrer Kinder entsprechend einzuset-
zen. Nein, die Familien wissen am besten, was ihre Kin-
der brauchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Abg. Miriam Gruß [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Die meisten Mütter und Väter legen sich krumm, um et-
was für ihre Kinder zu tun. Diese Familien wollen wir
unterstützen.

Natürlich wollen wir auch – das ist ganz wichtig –,
dass Misshandlung und Verwahrlosung von Kindern mit
allen Möglichkeiten nicht nur geahndet, sondern vor al-
lem von vornherein vermieden werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616605700

Herr Kollege Singhammer, erlauben Sie auch eine

Zwischenfrage der Kollegin Gruß?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616605800

Ja, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616605900

Bitte schön, Frau Gruß.


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1616606000

Es tut mir leid, dass ich Sie an dieser Stelle der Rede

unterbrechen muss, ich hatte mich schon vorher gemel-
det. Ich möchte Sie etwas fragen. Gerade haben Sie da-
von gesprochen, wie wichtig es Ihnen ist, dass Familien-
arbeit anerkannt wird. Glauben Sie ernsthaft, Herr
Singhammer, dass Sie mit 150 Euro Betreuungsgeld im
Monat die Familienarbeit anerkennen, also den Job einer
Mutter oder eines Vaters, die oder der sieben Tage die
Woche arbeitet und für die Kinder 365 Tage im Jahr da
ist? Noch einmal: Glauben Sie, dass Sie mit 150 Euro im
Monat diese Familienarbeit anerkennen?


(Ute Kumpf [SPD]: Die Frauen, die berufstätig sind, leisten auch Familienarbeit!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616606100

Frau Kollegin Gruß, zunächst sage ich ganz klar: Sie

haben recht. Die Leistung, die Mütter und Väter für ihre
Kinder erbringen, kann gar nicht genug anerkannt wer-
den. Sie liegt außerhalb einer ökonomisch bewertbaren
Anerkennung. Aber die allermeisten Eltern empfinden
es sehr wohl als ein Zeichen der Anerkennung und des
Respekts ihrer Leistung, wenn sie zumindest 150 Euro
Betreuungsgeld im Monat bekommen;


(Caren Marks [SPD]: Das ist lachhaft!)


denn sie brauchen dieses Geld. Deshalb sind wir parallel
zum Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung klipp
und klar für die Einführung eines Betreuungsgelds. Ich
weiß aus vielen Gesprächen, dass die allermeisten Fami-
lien darauf warten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Dann muss diese Anerkennung auch für die berufstätigen Mütter sein! – Caren Marks [SPD]: Berufstätige Eltern leisten auch Familienarbeit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616606200

Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Kolle-

gin Gruß?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616606300

Ich möchte jetzt gern den Gedanken, den ich begon-

nen habe, fortführen, Frau Kollegin Gruß. – Weil wir
dem Bereich Elternbildung neben allen finanziellen
und ökonomischen Absicherungen der Familien einen so
hohen Stellenwert zumessen, ist es wichtig, dass wir uns
um die wenigen Familien kümmern, die offensichtlich
selber nicht mehr in der Lage sind, Werte und Bildung
weiterzugeben,


(Ina Lenke [FDP]: Aha!)


weil sie ihnen vielleicht von ihren Eltern nicht mehr in
ausreichendem Umfang vermittelt wurden. Deshalb wird
es unser Hauptanliegen sein, diesen Teufelskreis bei den
wenigen Eltern ohne Orientierung – ich warne davor, das
Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf zu stellen – zu
durchbrechen.

Lassen Sie mich zu einer Fraktion hier im Deutschen
Bundestag kommen, die in Bezug auf Versprechungen
nicht zu überbieten ist, die so genannte Linkspartei. Das
Kindergeld soll auf einen Schlag um die Gesamtsumme
von 19 Milliarden Euro im Jahr erhöht werden. Der von
der Linkspartei geforderte Zuschuss für die Förderung
von Studenten würde 17 Milliarden Euro im Jahr kosten.
Die familienpolitische Sprecherin der Linken, mit der Sie
sich offensichtlich nicht ganz einig sind, Christa Müller,
fordert ein Betreuungsgeld von immerhin 116 Milliarden
Euro im Jahr. Man gönnt sich ja sonst nichts.






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer
Wenn ich allein diese drei Leistungen zusammen-
zähle, komme ich auf 152 Milliarden Euro im Jahr. Über
die Finanzierung schweigt man sich aus. Selbstverständ-
lich sollen die Reichen diese Summe aufbringen. Ich
sage Ihnen, was bei Ihren utopischen Forderungen her-
auskommen wird: Die Reichen, die in Monaco ihren
Steuersitz haben, werden Sie nicht erwischen. Aber einer
derjenigen, der unter der dann entstehenden Steuererhö-
hungsorgie leiden wird, wird der Facharbeiter mit zwei
Kindern sein, der sich ein kleines Häuschen geleistet hat.
Ihm werden Sie das Geld aus der Tasche ziehen müssen,
sonst werden Sie diese Riesensumme nicht hereinbe-
kommen. Damit wird aber nicht die Kinderarmut be-
kämpft; vielmehr wird die Kinderarmut bei diesen Fami-
lien noch größer.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar für eine Antwort auf die
folgende Frage: Was ist der Grund dafür, dass die Kin-
derarmut in der Stadt, in der Sie mitregieren, wo sicher-
lich schwierige Verhältnisse herrschen, in Berlin, in den
letzten Jahren um 32 Prozent gestiegen ist?


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Und Kitas geschlossen werden!)


Wie hängt das zusammen? Was ist der Grund dafür? Sie
sind in Berlin an der Regierung beteiligt. Sagen Sie doch
einmal etwas dazu.

Ich sage an dieser Stelle: Wir brauchen keine Fami-
lienpolitik der ungedeckten Schecks, sondern


(Ina Lenke [FDP]: Steuererhöhungen!)


eine Familienpolitik des klaren Kurses.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie doch einmal an!)


Wir müssen die Politik, die unsere Familienministerin,
Frau von der Leyen, begonnen hat, fortsetzen. Wir wer-
den sie unterstützen, damit sie weitere Schritte unterneh-
men kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616606400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Reinke von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616606500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! Immer mehr Kinder haben immer weniger.
Mit der Agenda 2010 und Hartz IV wurden Armut und
Ausgrenzung per Gesetz beschlossen. Die Zahl der ar-
men Kinder hat sich seit Einführung von Hartz IV auf
über 2,5 Millionen verdoppelt. Dass die Kinderarmut in
den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist, belegen
zahlreiche Studien und Berichte: der Kinderreport 2007,
der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung,
der UNICEF-Bericht „Lage von Kindern in Deutsch-
land“, die Prognos-Studie „Armutsrisiken von Kindern
und Jugendlichen in Deutschland“ und viele weitere wis-
senschaftliche Erhebungen. Besonders stark von Armut
betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden, Kinder in
Hartz-IV-Familien und Kinder mit Migrationshinter-
grund.

Trotz der vorliegenden, alarmierenden Zahlen dreht
die Bundesregierung Däumchen und wartet auf den
nächsten Bericht. Der Existenzminimumbericht soll im
Herbst 2008 erscheinen. Erst danach soll darüber beraten
werden, ob die Kinderregelsätze erhöht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Betroffenheit,
die viele von Ihnen hier an den Tag legen, die ich den
meisten sogar abnehme, reicht nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ebenso wenig hilfreich sind Ihre in Hochglanzbroschü-
ren bejubelten Maßnahmen. Das Warten muss endlich
aufhören. Es müssen sofort Taten folgen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sorgen Sie dafür, dass der Kinderzuschlag mehr Be-
troffenen hilft. Erhöhen Sie ihn für unter 14-Jährige auf
200 Euro und für über 14-Jährige auf 270 Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Höhe des Kinderzuschlags muss vom Alter der Kin-
der abhängen. Über 14-Jährige dürfen nicht in Armut
rutschen, nur weil sie eigene, altersbedingte Bedarfe ha-
ben.

In der Anhörung zum Kinderzuschlag am vergange-
nen Montag waren sich fast alle Expertinnen und Exper-
ten einig: Kinder von Alleinerziehenden werden weiter-
hin deutlich benachteiligt und ausgegrenzt. Nehmen Sie
die Meinungen der Expertinnen und Experten bitte end-
lich ernst.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen einen eigenständigen Kinderregelsatz,
der die Bedarfe realitätsnah abbildet. Deshalb fordert
meine Fraktion eine Anhebung des Kinderregelsatzes im
ersten Schritt auf mindestens 300 Euro. Ebenso notwen-
dig ist es, das Kindergeld auf mindestens 200 Euro zu er-
höhen. Zur Erinnerung: Das Kindergeld wurde das letzte
Mal 2002 erhöht.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist schon eine Weile her!)


Besser wäre natürlich gleich eine bedarfsgerechte, ei-
genständige Kindergrundsicherung; auch das kam in
der Anhörung zur Sprache. Unsere Vorstellung kennen
Sie: 420 Euro für jedes Kind.

Eines sollte klar sein: Um Kinderarmut ernsthaft be-
kämpfen zu können, muss man zusätzliches Geld ausge-
ben. Das Geld ist da; das sage ich Ihnen nicht zum ersten
Mal. Mit einem gerechten Steuer- und Sozialsystem
kann all dies finanziert werden. Diese Meinung vertreten
auch viele Sozialverbände und Gewerkschaften.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in
Ihrem Antrag findet man erfreulicherweise viele unserer
Forderungen.






(A) (C)



(B) (D)


Elke Reinke

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umgedreht! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwerer Fehler!)


Man sieht: Die Linke wirkt auch hier. Auf den neun Sei-
ten des Feststellungsteils ist aber leider nicht zu lesen,
dass auch während der sieben Jahre grüner Regierungs-
verantwortung die Kinderarmut enorm angestiegen ist.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas über Berlin! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das in Berlin, Frau Kollegin?)


Vieles, was Sie kritisieren – niedriger Kinderregelsatz,
fehlende Schulbedarfe oder spezielle Bedarfe für Ju-
gendliche –, haben Sie selbst mitbeschlossen. Sie sind
sehr vergesslich, wie ich feststellen muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Auf den Antrag der FDP möchte ich gar nicht näher
eingehen.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Nur so viel: Neben vielen anderen Bereichen wollen Sie
auch die Kinderbetreuung stärker privatisieren. In das
gleiche Horn bläst die Bundesregierung mit ihrem Kin-
derförderungsgesetz. Das ist mit der Linken nicht zu ma-
chen.


(Beifall bei der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Wie soll das denn anders gehen? – Sibylle Laurischk [FDP]: Ihre Staatsgläubigkeit ist unerträglich!)


Meine Damen und Herren der Koalition, Sie stehen
sich immer mehr selbst im Weg. Die SPD fordert einen
Mindestlohn, will aber keine Erhöhung des Hartz-IV-
Satzes für Kinder und kein höheres Kindergeld. Die
Union ruft nach mehr Kindergeld, will aber keinen ge-
setzlichen Mindestlohn. Doch gerade das zusammen
brauchen wir.


(Beifall bei der LINKEN)


Das geht übrigens auch ganz deutlich aus dem aktuellen
Positionspapier des DGB hervor. Das kann man nachle-
sen. Es ist ebenfalls notwendig, die Einkommensarmut
der Eltern zu bekämpfen. Ein flächendeckender gesetzli-
cher Mindestlohn darf nicht nur gefordert, sondern
muss auch beschlossen und umgehend eingeführt wer-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch einmal in Richtung Regierungsbank. Sie
schmücken sich mit Armutsberichten, ohne zu bemer-
ken, dass genau diese Studien Ihnen ein Armutszeugnis
ausstellen. Da alle Medien brav mitspielen, sagt keiner,
dass der Kaiser bzw. in diesem Fall die Kaiserin eigent-
lich nackt ist.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616606600

Frau Kollegin Reinke, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Fischbach?

Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616606700

Ich bin bei meinem letzten Satz. Ich würde gern in

meiner Rede fortfahren.

Auf den Punkt gebracht heißt das: Unsere Kinder ha-
ben das Recht – dafür muss ein Sozialstaat sorgen –, ge-
sund aufzuwachsen, freien Zugang zu guter Bildung zu
haben und gleichberechtigt am täglichen Leben teilzuha-
ben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616606800

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Spanier von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1616606900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine erste Rede als Bundestagsabgeordneter vor etwa
13 Jahren war zum Thema Armut. Damals hat die SPD-
Bundestagsfraktion in der Opposition einen Armuts- und
Reichtumsbericht gefordert. Das wurde von der damali-
gen Koalitionsmehrheit im Deutschen Bundestag mit
folgender Begründung abgelehnt: Wir haben die Sozial-
hilfe, das sei bekämpfte Armut. Darüber hinaus gebe es
keine Armut. Also sei so ein Bericht überflüssig.

Ich kann erfreut feststellen, dass sich – auch in den
Köpfen – vieles geändert hat. Wir in diesem Haus sind
uns mittlerweile einig, dass es Armut gibt. Wir nehmen
die Wirklichkeit wahr; wir sind angekommen. Wir neh-
men ebenfalls wahr, dass es nicht nur um materielle Ar-
mut geht, sondern auch um Ausgrenzung, um Lebensla-
gen, Gesundheit, Wohnen und Bildung. Auch da sind
wir uns einig. Wir sind uns ebenso einig, dass Kinderar-
mut im Grunde genommen Elternarmut ist. Das hört
sich banal an, ist aber, wenn man die Konsequenzen be-
trachtet, durchaus wichtig festzuhalten.

Es ist, glaube ich, richtig, dass wir uns hier nicht in
Debatten über Zahlen und Statistiken verlieren; da gebe
ich Frau Gruß recht. Manchmal sollte man auf die eine
oder andere Pressekonferenz verzichten, um nicht – viel-
leicht ungewollt – zusätzliche Verwirrung zu stiften.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind uns auch einig – vielleicht sollte ich vorsich-
tig sagen: weitgehend einig – hinsichtlich der Ursachen
von Armut und speziell Kinderarmut. Diese sind nun
einmal die Arbeitslosigkeit, die besondere Situation der
Alleinerziehenden sowie die besondere Situation der Mi-
grantinnen und Migranten. Ursache ist auch – da sind
wir uns vor allen Dingen bezüglich der Konsequenzen
noch nicht einig – der stetig und immer schneller wach-
sende Niedriglohnsektor. Das müssen wir zur Kenntnis
nehmen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja! Aber nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch dagegen etwas tun!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier
Es hat ein bisschen lange bedauert, bis die eine oder an-
dere Fraktion in diesem Hause erkannt hat, dass wir ein
Zuwanderungsland sind und dass die Integration eine der
großen gesellschaftlichen Aufgaben in Deutschland ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In beiden vorliegenden Anträgen – es gibt entspre-
chende Programme und Entwürfe aller Fraktionen in
diesem Haus – geht es um ein Gesamtkonzept. Sie wis-
sen, dass ich da immer ein bisschen misstrauisch bin.
Aber in diesem Fall ist es in der Tat richtig, dass wir
nicht nur versuchen, mit punktuellen Maßnahmen gegen
Kinderarmut vorzugehen, sondern dass wir dies auch in
einen größeren Zusammenhang stellen.

Es geht um die Bekämpfung materieller Armut und
vor allen Dingen um die Teilhabe an Bildung. Dies ist
nicht nur Aufgabe des Staates. Staat und Gesellschaft
müssen sich dieser zentralen gesellschaftspolitischen
Aufgabe widmen. Diese Aufgabe muss auf allen staatli-
chen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – ange-
packt werden. Das macht die Sache nicht einfacher. Hier
geht es nicht darum, sich Zuständigkeiten zuzuschieben,
sondern darum, dass man abgestimmt mit einem ge-
meinsamen Maßnahmenpaket vorgeht.

Es gibt Beispiele. Ich greife einmal das Land Schles-
wig-Holstein heraus. Dort hat man gerade ein Hand-
lungskonzept zur Bekämpfung der Kinderarmut vorge-
legt. Ein erster konkreter Schritt ist die Aktion „Kein
Kind ohne Mahlzeit“.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guten Morgen!)


Ich denke, das ist ein richtiger Ansatz. Entscheidend ist
aber das Zusammenwirken aller staatlichen Ebenen.

Ein weiterer Punkt: Das ist eine Querschnittsauf-
gabe. Das ist nicht die Aufgabe eines Ressorts; das ist
nicht nur eine familienpolitische Aufgabe. Hier muss
vielmehr vieles zusammenkommen. Frau Ministerin, wir
müssen zum Beispiel aufpassen, dass wir das Thema des
Niedriglohnsektors und der Mindestlöhne nicht aus-
klammern. Dieses Thema hat mindestens den gleichen
Stellenwert wie familienpolitische Aufgaben. Da gebe
ich dem DGB mit seiner Kritik durchaus recht.


(Beifall bei der SPD)


Im Antrag der Grünen heißt es, wir hätten untätig zu-
geschaut. Nein, das ist nicht richtig. Wir sind vorange-
kommen. Ob ich das als Turbo bezeichnen würde, weiß
ich nicht. Bei einem Turbo gibt es auch immer ein Tur-
boloch. Das ist aber nicht so wichtig. Wir sind entschei-
dend vorangekommen, zumindest ein großes Stück. Die
Arbeitsmarktpolitik wurde genannt. Gleiches gilt für die
Förderung von sozial Benachteiligten.

Gleich, im Anschluss an diese Debatte, werden wir in
diesem Haus ein solches Förderprogramm beschließen.
Dabei geht es um die Ausbildung der jungen Leute, die
sich schon seit zwei, drei Jahren in Warteschleifen befin-
den, die keinen Hauptschulabschluss haben usw. Das ist
vernünftig.

(Elke Reinke [DIE LINKE]: Die sind auch nicht vom Himmel gefallen!)


– Frau Reinke, das ist nun einmal so.

Wir diskutieren heftig über die Einführung der Min-
destlöhne. Ich hoffe und erwarte, dass wir das, was wir
vereinbart haben, auch möglichst bald umsetzen. Wir
wissen, dass der Schlüssel zur Prävention von Armut in
erster Linie Bildung ist. Ich glaube, wir sind uns einig,
dass wir mit dem Rechtsanspruch auf die Betreuung der
unter Dreijährigen ein ehrgeiziges Programm beschlos-
sen haben. Es ist in der Tat wichtig, dass wir das auch
umsetzen. Entscheidend ist: Wir als Sozialdemokraten
bekennen uns zur öffentlichen Verantwortung für Bil-
dung und frühkindliche Förderung.


(Beifall bei der SPD)


Hier gibt es immer noch konservative Positionen – ich
drücke mich vorsichtig aus –, die das ein Stück weit an-
ders sehen.

Im Herbst dieses Jahres werden wir den Existenzmi-
nimumbericht erhalten. Für die materiellen Leistungen
ist in erster Linie der Bund zuständig. Ich räume gern
ein, dass wir den Mix aus Steuerfreibeträgen, Elterngeld
und Leistungen nach SGB II noch einmal im Zusam-
menhang betrachten müssen. Es ist richtig: Hier gibt es
Verwerfungen. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir
uns noch einmal mit den Regelsätzen auseinandersetzen
müssen. Das Ganze ist so, wie es jetzt ist, nicht befriedi-
gend; das räume ich hier gern ein. Wir haben aber auch
Verwerfungen bei der Vielzahl der familienpolitischen
Leistungen. Frau Ministerin, bei aller Anerkennung der
guten Zusammenarbeit und dem, was wir gemeinsam in
dieser Großen Koalition geleistet haben, möchte ich
doch anmerken, dass wir darüber enttäuscht sind, dass
das, was Sie angekündigt haben, nämlich eine Bestands-
aufnahme aller familienpolitischen Leistungen sowie
eine Bewertung und Gewichtung, bisher nicht vorliegt.
Das brauchen wir dringend.


(Beifall bei der SPD – Elke Reinke [DIE LINKE]: Sie ist eine Ankündigungsministerin!)


Wir brauchen dies dringend, wenn wir zielgerichtet
an die materiellen und finanziellen Leistungen herange-
hen wollen. Hier muss ich der FDP schlicht und einfach
zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, beide Anträge – sowohl
der von den Grünen als auch der von der FDP – bringen
sicherlich eine ganze Menge an Anregungen für die
wichtige Diskussion im Herbst; ich habe heute meinen
versöhnlichen Tag.

Eine kritische Anmerkung muss ich aber in die Rich-
tung der Fraktion Die Linke machen: Das ist ein Mix aus
Betroffenheitsrhetorik, moralisierenden Anklagen und
völlig nebulösen und fantastischen finanziellen Verspre-
chungen, der langsam die Grenze des für mich persön-
lich Erträglichen überschreitet.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier

(Caren Marks [SPD]: Die haben noch nicht einmal ein Programm! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo sind denn Ihre Vorschläge!)


Ich unterstelle Ihnen nicht, keine ehrenwerten Absichten
zu haben; das sage ich ausdrücklich. So aber, wie Sie die
Themen angehen, ist das, glaube ich, verantwortungslos.


(Beifall bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Seriös ist etwas anderes!)


Wenn Sie in der Verantwortung wären, dann würden
Sie so etwas nicht zu Papier bringen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das muss ich Ihnen sagen, obwohl ich wiederhole, dass
ich das Anliegen, das Sie vertreten, durchaus ernst
nehme und im Grundsatz in dieser Frage mit Ihnen über-
einstimme. So geht es nicht.

Wir Sozialdemokraten werden dieses Problem ganz
nüchtern lösen. Wir werden in den nächsten Wochen ei-
nen Kindergipfel starten, um deutlich zu machen, dass
die sozialdemokratisch regierten Bundesländer und
Kommunen –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616607000

Herr Kollege.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1616607100

– und die SPD-Bundestagsfraktion an einem Strang

ziehen.

Herzlichen Dank und Entschuldigung für die Über-
ziehung der Redezeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616607200

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Ursula von

der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese De-
batte zeigt zunächst einmal: Kinderarmut treibt uns um.
Diese Debatte zeigt – Herr Spanier, Sie haben das gerade
sehr schön dargelegt –: Kinderarmut hat sehr viele Ge-
sichter. Diese Debatte zeigt natürlich auch, dass die Kin-
derarmut nicht in einer einzigen Statistik zu erfassen ist.
Dennoch müssen wir uns mit Statistiken beschäftigen.


(Caren Marks [SPD]: Wir dürfen sie aber nicht verzerren!)


Ich möchte meinen Blick zunächst einmal auf den
internationalen Vergleich richten. Denn es ist wichtig,
immer auch zu überprüfen, wo wir im Vergleich zu an-
deren Ländern, insbesondere im Vergleich zu anderen
europäischen Ländern stehen. Im internationalen Ver-
gleich zeigt sich, dass es Deutschland ganz gut gelingt,
die Kinderarmut zu bekämpfen. Wir liegen im oberen
Drittel. Bedürftige Kinder werden in Deutschland finan-
ziell besonders stark gefördert. Sie erhalten um ein Drit-
tel höhere Leistungen als Kinder, die oberhalb der Ar-
mutsgrenze aufwachsen. Damit verfügt Deutschland von
allen Mitgliedsländern der EU-15, also der alten Mit-
gliedstaaten, über die am stärksten an armen Kindern
ausgerichteten Förderungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dennoch gibt es in Schweden, Dänemark und Finnland
deutlich weniger Kinderarmut als in Deutschland. Unser
Ziel ist, die Kinderarmut nachhaltig zu senken.

Warum sind andere Länder noch erfolgreicher als
wir?


(Caren Marks [SPD]: Zum Beispiel, weil sie Mindestlöhne haben! Zum Beispiel, weil die Frauen dort erwerbstätig sind!)


Es gibt nicht nur ein einziges Erfolgsrezept, sondern es
kommt auf einen klugen Mix von Maßnahmen an. Zu-
sätzlich zur notwendigen finanziellen Unterstützung, die
absolut unbestritten ist, investieren die erfolgreicheren
Länder auch in Maßnahmen, die dazu beitragen, dass
beide Elternteile erwerbstätig sein können. Wir dürfen
beim Kampf gegen Kinderarmut also nicht nur die Kin-
der im Blick haben – das wurde in der heutigen Debatte
sehr deutlich –, sondern wir müssen auch die Situation
der Eltern berücksichtigen.

Aus diesem Grunde möchte ich meinen Blick jetzt
nach innen, auf die Situation in unserem Land, richten.
Wenn wir die Frage stellen, wie sich Kinderarmut zu-
sammensetzt und welche Grundmuster sie hat, stellen
wir fest, dass alle statistischen Erhebungen dieselben
Grundmuster aufweisen. Erstens leben Kinder dann in
Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Es ist also
nicht etwa so, dass Kinder arm machen. Vielmehr leben
Kinder dann in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Helga Lopez [SPD])


Zweitens – das ist ein sehr wichtiger und meiner Mei-
nung nach besonders bedrückender Punkt – leben Kinder
dann in Armut, wenn sie in kinderreichen Familien auf-
wachsen, in denen die Eltern Mühe haben, für die vielen
Köpfe genug Einkommen zu verdienen; in diesen Fällen
sind staatliche Leistungen von existenzieller Bedeutung.

Hinzu kommt: Kinder bleiben in Armut, nämlich in
Teilhabearmut, wenn sie keine Chance auf Bildung und
Entfaltung ihrer eigenen Fähigkeiten bekommen.

Das wird auch an den vorliegenden Zahlen deutlich.
Es gibt drei Hauptgruppen, die wir im Hinblick auf Kin-
derarmut zu berücksichtigen haben: erstens die Kinder
von Alleinerziehenden, 800 000 Kinder, zweitens die
Kinder aus kinderreichen Familien, 400 000 Kinder, und
drittens die Kinder mit Migrationshintergrund, rund
520 000 Kinder. Auf diese drei Gruppen müssen wir un-
seren Fokus vor allen Dingen richten. Hier setzt das
Konzept der Bundesregierung an.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
Eltern brauchen Arbeit. Das heißt, sie brauchen Ar-
beitsplätze. Eine gute Konjunktur schafft Arbeitsplätze.
Wie wir sehen, ist die Zahl der unter 15-jährigen Kinder
in den Bedarfsgemeinschaften der Grundsicherung für
Arbeitsuchende seit Anfang 2007 rückläufig. Das ist
zwar nur ein erster Teilerfolg, aber ein wichtiger Erfolg.
Inzwischen sind 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze ge-
schaffen worden. Das wirkt sich unmittelbar auf die Si-
tuation in den Familien aus.

Wir dürfen uns aber nicht nur auf die Konjunktur
verlassen, sondern wir brauchen auch eine gezielte Fa-
milienpolitik. Wie Sie wissen, haben wir gemeinsam ein
stimmiges Grundkonzept entwickelt. Dazu gehört ers-
tens das Elterngeld. Es ist vor allem für Alleinerzie-
hende ein wichtiger Baustein, der sicherstellt, dass sie
mit der Geburt eines Kindes nicht in die Armut rutschen.
Der zweite wichtige Aspekt ist der verbesserte Kinder-
zuschlag. Wir haben an der kritischen Grenze zur Ar-
mut, an der Empfänger von Transferleistungen leben,
angesetzt. Diese staatliche Leistung, der Kinderzu-
schlag, ist genau das richtige Instrument, um Familien,
in denen die Eltern ihr eigenes Einkommen verdienen, in
denen das Geld aber nicht für alle Kinder ausreicht, zu
unterstützen. Wegen der Kinder sollen diese Familien
nicht in Hartz IV sein. Durch den Kinderzuschlag sollen
sie in die Lage versetzt werden, auf eigenen Beinen zu
stehen. Mit dem neuen Kinderzuschlag, den wir entwi-
ckelt haben, erreichen wir im Zusammenspiel mit der
Wohngeldreform 250 000 Kinder; vorher waren es nur
100 000 Kinder. Insofern sind wir auch hier einen Schritt
vorangekommen.

Berechtigterweise wird immer wieder eine Wirkungs-
analyse gefordert. Wir sind mitten dabei, die Wirkung
der verschiedenen Leistungen zu analysieren. Das geht
aber nicht über Nacht. Wenn die Wirkungsanalysen vor-
liegen, werden wir – davon müssen wir ausgehen – neue
Erkenntnisse haben.

Die entscheidende Frage ist: Wie gehen wir um mit
Familien, die in der Mitte der Gesellschaft sind, die
kleine Einkommen haben, die keine Steuern zahlen und
damit von einer Erhöhung der Freibeträge nicht profitie-
ren, die keine staatlichen Transferleistungen beziehen?
Wie helfen wir diesen Familien, wenn ein weiteres Kind
geboren wird? Für diese Familien ist das Kindergeld
entscheidend.

Wir haben das Kindergeld lange vernachlässigt,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig! – Caren Marks [SPD]: Vor allem Herr Kohl!)


wir haben die Bedeutung dieser Leistung unterschätzt.
Das Kindergeld hat – das zeigt sich insbesondere im in-
ternationalen Vergleich – einen hohen armutspräventi-
ven Charakter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Ich darf daran erinnern, dass das Kindergeld zuletzt wir erhöht haben!)


Wir dürfen das Kindergeld nicht kleinreden.

Wenn es im Herbst zu einem höheren Existenzmini-
mum für Kinder kommt und die Freibeträge erhöht wer-
den, werden wir auch über eine Erhöhung des Kinder-
geldes sprechen müssen. Ich werbe dafür, den Blick
dann darauf zu richten, wer diese Erhöhung vor allem
braucht.


(Caren Marks [SPD]: Die Alleinerziehenden!)


Das sind die kinderreichen Familien, und das sind die
Alleinerziehenden mit mehreren Kindern, insbesondere
wenn das dritte Kind kommt. Seit 1995 ist das Kinder-
geld für das dritte Kind nicht mehr erhöht worden. Wir
haben das dritte Kind in der öffentlichen Debatte fast
vergessen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb werbe ich nachdrücklich dafür, das Kindergeld
zu staffeln, auch im Lichte der Erkenntnisse der Wissen-
schaftler, die uns gesagt haben, dass wir hier nicht lo-
ckerlassen dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen mit der Kaskade Elterngeld, Kinderzu-
schlag, Kindergeld die Familien in der Mitte der Gesell-
schaft halten, wollen verhindern, dass Familien in Armut
abrutschen. Natürlich sind auch Bildung und Förderung
entscheidende Bausteine.

Den vierten Baustein haben wir letzte Woche mit dem
Kinderfördergesetz beraten. Ich bin stolz darauf und
danke von Herzen, dass es gelungen ist, in außerge-
wöhnlich kurzer Zeit – Februar 2007 Beginn der Diskus-
sion über den Ausbau der Betreuung von unter Dreijähri-
gen, April 2008 Gesetzentwurf im Kabinett, Mai 2008
Gesetzentwurf im Parlament – einen Konsens von Bund,
Ländern, Kommunen und Parteien herzustellen. Wir dis-
kutieren jetzt nicht mehr darüber, ob wir einen Ausbau
der Betreuung brauchen, wir diskutieren nur noch da-
rüber, wie wir es am besten machen. Es ist Konsens,
konsequent nachzuholen, besser zu werden, die Infra-
struktur auszubauen.

Entscheidend ist für Eltern, dass sie arbeiten können,
dass sie ein Einkommen haben. Für Kinder, gerade für
Kinder aus benachteiligten Familien, ist der Zugang zu
Förderung, zu Bildung von Anfang an die beste Präven-
tion gegen Armut. Danke an das Parlament, danke an
alle, die daran mitgearbeitet haben!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kinderarmut hat viele Gesichter. Es gibt nicht das Re-
zept, die Leistung, um Kinderarmut zu bekämpfen. Noch
einmal: Wir sind im internationalen Vergleich nicht
schlecht; uns darf aber nicht ruhen lassen, dass wir in-
nerhalb des Landes im Vergleich dazu, wie wir anderen
Gruppen helfen, bei der Bekämpfung der Kinderarmut
besser werden können. In den letzten 30, 40 Jahren ist
viel versäumt worden; die Kinderarmut ist schließlich
nicht über Nacht entstanden. Ich nenne als Stichworte
nur die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie
und das Vergessen der kinderreichen Familie, also des
dritten Kindes. Lange wurde nicht wahrgenommen, dass
frühe Bildung für Kinder mit Migrationshintergrund, für
Kinder aus Familien, in denen Bildung wenig zählt, die
Chance ist, aus der Armut herauszukommen. Wir haben
Jahre gebraucht, um hier auf den internationalen Stan-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
dard zu kommen. Jetzt haben wir gemeinsam die
Chance, zu handeln. Die Fakten in den Berichten rütteln
uns wach; in den Berichten werden uns aber auch Mög-
lichkeiten aufgezeigt, zu handeln.

Deshalb noch einmal meine Bitte: Bleiben wir bei
diesem Thema bei der guten Tradition, die sich in unse-
rem Ausschuss, aber auch hier im Parlament entwickelt
hat, nämlich gemeinsam konsequent für dieses Thema
zu streiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616607300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Künast von

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616607400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Mi-

nisterin, Sie mögen sich einiges zugutehalten – ich will
das der Fairness halber ja gar nicht ganz abstreiten –,


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sehr großzügig!)


aber zu sagen, dass Kinder- und Bildungspolitik und der
Kampf gegen die Kinderarmut vorher vernachlässigt und
unter Ihrer Ägide quasi zu einer Lichtgestalt wurden,
muss ich nun wirklich zurückweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ist aber nun einmal so!)


Wir haben kein Kurzzeitgedächtnis, sondern wissen,
dass das Kindergeld vor Ihrer Regierungszeit durch eine
rot-grüne Koalition und gegen den Widerstand der CDU/
CSU zweimal um insgesamt 37 Prozent erhöht wurde.
Das ist die Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wissen auch, dass wir uns viel Mühe gegeben ha-
ben – gegen den erbitterten Widerstand zumindest der
CDU/CSU-Ministerpräsidenten –, als es darum ging,
den Ländern Geld für den Ausbau der Tagesbetreuung
und von Ganztagsschulen zu geben. Auch dadurch wird
Armut bekämpft. Die nächtlichen Auftritte von Herrn
Koch vergesse ich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie leben in der Vergangenheit!)


Die Frage ist doch, wonach wir unser Handeln aus-
richten. Auf dieser Basis will ich einmal Ihren Redebei-
trag und Ihre Politik betrachten. Wir sagen: Jedes Kind
– ich könnte jetzt einfach ein Ausrufezeichen machen
und damit aufhören – in diesem Land hat unabhängig
von irgendwelchen internationalen Vergleichen, die
mich in dieser Sache gar nicht interessieren, das Recht
auf Entwicklung, die Entfaltung seiner Persönlichkeit,
kindgerechte Lebensbedingungen, Schutz und die Sorge
der Gemeinschaft, also des ganzen Bundestages und al-
ler Mitglieder dieser Gesellschaft, ob sie Kinder haben
oder nicht. Das muss der Faden unserer Politik für Kin-
der sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Marks [SPD])


Wir wissen: Die armen Kinder befinden sich in einer
Verstrickung von materieller Armut, kultureller Armut
und sozialer Armut, aus der sie nicht herauskommen.
Wir haben ein Betreuungs- und Bildungssystem, bei dem
es den Mittelschichtlern und den reicheren Eltern immer
noch möglich ist, Defizite auszugleichen. Andere kön-
nen das aber nicht.

Frau Ministerin, Sie haben Zahlen vorgelegt. Ich pro-
phezeie Ihnen, dass die Lage noch schlimmer und
schwieriger wird. In Berlin haben 50 Prozent der Null-
bis Zweijährigen einen Migrationshintergrund. Dabei
sind die Kinder aus den bildungsfernen Schichten noch
nicht mitgerechnet. Hinsichtlich der Zukunft des Landes
und der Kinder wird die Luft in jeder Hinsicht brennen,
wenn wir nicht jedem Kind eine Chance geben. Darum
muss es gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Darum ist das Betreuungsgeld auch falsch!)


Deshalb reicht es einfach nicht, nur hier und da ein
bisschen zu reagieren. Frau von der Leyen, Sie sagten,
Sie wollten die familienpolitischen Leistungen ein Jahr
lang von einer Kommission überprüfen lassen. Auch das
reicht nicht. Jetzt ist Mut gefragt, das irgendwann auch
einmal auf den Tisch zu legen und zu sagen: Wir stellen
fest, dass sich das, was hier passiert, zwar familienpoli-
tisch nennt, aber bei der Erziehung von Kindern und zur
Verbesserung der Erziehungssituation in Wahrheit nicht
weiterhilft.


(Caren Marks [SPD]: Das hätten wir uns auch gewünscht!)


Wir sagen ganz klar: Das gestaffelte Kindergeld ist
keine vernünftige Antwort. Frau von der Leyen, Ihre ei-
genen Zahlen – sie stammen aus Ihrem Hause – besagen
ja, dass die ärmsten Familien die Ein-Kind-Familien von
Alleinerziehenden sind. Wenn Sie ein gestaffeltes Kin-
dergeld einführen, dann bedeutet das, dass ungefähr
94 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden null Euro
davon haben.


(Caren Marks [SPD]: Sehr wahr!)


Das sind nach Ihrer eigenen Darstellung aber die ärms-
ten Kinder.


(Caren Marks [SPD]: Das ist Dialektik!)


Warum wollen Sie ein gestaffeltes Kindergeld einfüh-
ren? Wollen Sie einer Ideologie folgen – insbesondere
der der CSU – oder wollen Sie wirklich Armut bekämp-
fen? Dann müssten Sie eine andere Entscheidung tref-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Mehrkinderfamilien sind arm!)







(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
– Wenn wir systematisch vorgehen wollen, dann sollten
wir doch da anfangen, wo die meisten Probleme beste-
hen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die bestehen bei den Mehrkinderfamilien!)


Wir als Grüne wollen Kinderregelsätze für die armen
Kinder und mehr als das gesetzlich zwingend Notwen-
dige tun. Wir wollen, dass Kinder Geld haben, um ein
Leben in Würde zu führen. Das schließt das Mittagessen,
die Mitgliedschaft im Sportverein, um kulturell im Dorf
bzw. in der Stadt verankert zu sein, und den Unterricht
an der Musikschule ein. Dafür brauchen wir etwas; da
reichen 60 Prozent vom Regelsatz nicht. Wir bräuchten
also eher eine Kommission, die das soziokulturelle Exis-
tenzminimum von Kindern berechnet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)


– Diese FDP-Zurufe liebe ich. Sie waren auch einmal in
der Regierung. Ich weiß nicht, welchem Mutterbild Sie
damals gefrönt haben.

Wir wollen endlich die Sachleistung. Herr Müntefe-
ring von der SPD hat im November 2007 gesagt, es solle
schnell darüber entschieden werden. Ich hatte eigentlich
gehofft, er habe gemeint, es werde im November 2007
schnell entschieden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616607500

Frau Kollegin Künast, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Thiele?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616607600

Nein, danke.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


– Ich möchte jetzt die letzte Minute dazu nutzen, meine
Rede zum Abschluss zu bringen.

Meine Damen und Herren, wir wollen einen Betreu-
ungsausbau und eine frühkindliche Bildung. Sollte
dies erst 2013 kommen, wären viele derjenigen, die
heute klein sind, wieder einmal mit Defiziten in die
Schule gekommen. An dieser Stelle folgen wir Ihnen,
Frau von der Leyen, bei dem Satz, das Betreuungsgeld
sei eine bildungspolitische Katastrophe. Damit haben
Sie mir aus dem Herzen gesprochen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht! Schwachsinn!)


Wir sehen nicht nur, dass 150 Euro zu wenig sind. In
Thüringen erleben wir, dass die falschen Eltern sagen,
sie bekämen Betreuungsgeld und sparten die Kitagebüh-
ren und hätten dadurch 200 Euro mehr. Wir sind aber
darauf angewiesen, dass die Kinder nicht auf das falsche
Gleis kommen, sondern sozialisiert werden.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Wir brauchen endlich ein Qualitätssiegel für die Kin-
derbetreuung. Heute gibt es noch Kindergartengruppen
mit 25 Kindern und einer Erzieherin und einer Hilfs-
kraft. Das sind die Kinderverwahranstalten, vor denen
Sie uns mit Ihrem alten Familienbild immer warnen
wollten. Wir brauchen den guten und gesunden Kinder-
garten, und dazu brauchen wir ein Qualitätssiegel.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616607700

Frau Kollegin Künast, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Fischbach?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616607800

Jetzt habe ich zu Herrn Thiele Nein gesagt.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Feige!)


– Nein, das hat nichts mit Feigheit zu tun. Ich möchte
versuchen, meine Rede jetzt geschlossen zu Ende zu
bringen. Ansonsten lasse ich gern Zwischenfragen zu.

Meine Damen und Herren, als letzten Gedanken
bringe ich noch Folgendes in diese Debatte ein: So, wie
wir den Aufbau Ost gemeinsam finanziert und umgesetzt
haben, müssen wir jetzt das Thema Bildung als gesamt-
staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe begrei-
fen. Wir brauchen Geld für Kreativität, Personalausstat-
tung und eine gute Personaleingruppierung. Ab 2010
werden die Zahlungen aus dem Solidaritätszuschlag an
die neuen Länder abgeschmolzen. Jetzt sollten wir die
Entscheidung treffen, das, was wir beim Aufbau Ost
konnten, für Kinder zu tun. Dieses Land muss den Soli-
zuschlag nehmen und aus ihm für jedes Kind in diesem
Land einen Bildungssoli machen. Das wäre sinnvoll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616607900

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Carl-Ludwig Thiele das Wort.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1616608000

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Künast, Sie haben

die Frage in den Raum gestellt, was denn seinerzeit von
der FDP gekommen sei. Ich weise darauf hin, dass auf
Initiative der FDP im Jahr 1996 Kindergeld als negative
Einkommensteuer eingeführt wurde.


(Widerspruch bei der SPD)


Wir hatten bis dahin für das erste Kind ein Kindergeld
von 70 DM, danach ein Kindergeld von 200 DM. So
stellen wir uns das Bürgergeld auch vor. Das Kindergeld
ist keine Gnadenleistung des Staates an die Bürger, son-
dern die Bürger haben das Recht darauf, den Lebens-
unterhalt ihrer Kinder aus unversteuertem Einkommen
bestreiten zu können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Systemwechsel war nicht einfach zu erreichen.
Ich bin der SPD, die damals in der Opposition war, nach
wie vor dankbar, dass sie diesem Systemwechsel im
Deutschen Bundestag zustimmte; denn dieser System-
wechsel war die Voraussetzung dafür, dass das Kinder-






(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
geld auf 220, 250 und 300 DM weiterentwickelt und
dann auch in dieser Höhe in Euro umgerechnet werden
konnte. Die zentrale Frage ist hier: Gibt der Staat eine
Gnadenleistung an die Familien, oder haben die Fami-
lien nicht ein Recht darauf, den Unterhalt ihrer eigenen
Kinder aus unversteuertem Einkommen zu bestreiten?
Sofern das Kindergeld darüber hinausgeht – so haben
wir es gesetzlich festgelegt; so ist es im Einkommensteu-
ergesetz geregelt –, dient es der zusätzlichen Förderung
der Familie. Wir stehen zu diesem Weg und wollen ihn
weiter ausbauen. Ich glaube, dies war die Schnittstelle
dafür, dass für die Familien in unserem Lande viel mehr
geschehen ist, als es vorher der Fall war.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616608100

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich der

Kollegin Fischbach das Wort. Frau Künast, Sie können
dann bitte auf beide Kurzinterventionen zusammen ein-
gehen.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1616608200

Frau Künast, ich habe eine kurze Zwischenfrage, die

Sie schnell beantworten können. Da Sie mir während Ih-
rer Rede nicht die Möglichkeit gegeben haben, diese
Frage zu stellen, mache ich es auf diesem Weg.

Ihre Feststellung, dass die falschen Eltern das Betreu-
ungsgeld – zu dem man stehen kann, wie man will – be-
kommen, war sehr interessant. Das drückt indirekt aus,
dass die richtigen Eltern es durchaus bekommen sollten.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Fraktion und auch die Eltern vor den Fernseh-
geräten haben ein Anrecht darauf, von Ihnen zu erfahren,
wen Sie für die falschen Eltern halten. Dann wüssten wir
auch, wer die richtigen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616608300

Frau Künast zur Erwiderung.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616608400

Ich fange mit der zweiten Frage an. Es gibt in diesem

Zusammenhang keine falschen oder richtigen Eltern;


(Zurufe von der CDU/CSU: Ah!)


vielmehr sind es die Falschen, die das Betreuungsgeld
nutzen. Wie ist das zu begründen? Wir gehen davon aus,
dass durch Bildung die Armut bekämpft werden kann
und dass Bildung jedem Kind Chancen bietet, sich in
seinem Leben weiterzuentwickeln und seine Potenziale
zu entfalten.

Ich bin davon überzeugt, dass die Falschen das Be-
treuungsgeld nutzen – das zeigt auch das Beispiel Thü-
ringen –, weil gerade Eltern aus bildungsfernen und
finanziell schwachen Schichten ihr Kind nicht im ersten,
zweiten oder dritten Lebensjahr in den Kindergarten
bringen, sondern das Betreuungsgeld lieber sparen wol-
len.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Glauben Sie das wirklich?)


– Das glaube ich nicht nur, sondern das belegen auch die
Zahlen aus Thüringen. Ich kann sie Ihnen gerne heraus-
suchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht mir beim Betreuungsgeld nicht um die Frage,
was wir den Eltern zukommen lassen. Für mich geht es
vielmehr darum, dass die Kinder in diesem Land einen
Anspruch haben, sich entwickeln zu können. Diese Ent-
wicklung soll nicht daran scheitern, dass die Eltern an
der Stelle Geld sparen wollen. Jedes Kind soll sich ent-
wickeln können.

Die Hälfte der Kinder kommen aus Migrantenfami-
lien; in manchen Stadtteilen Berlins zum Beispiel ist der
Anteil noch höher. Viele von ihnen können zum Zeit-
punkt ihrer Einschulung weder richtig Türkisch noch
Deutsch. Es wäre eine bildungspolitische Katastrophe,
wenn wir gerade diesen Eltern Geld dafür geben, dass
sie ihren Kindern faktisch keine Chance bieten. Dafür
sollten keine Steuergelder eingesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt komme ich zu Ihrer Kurzintervention, Herr
Thiele. Ihre Variante der negativen Einkommensteuer
würde nur Eltern betreffen, die auch Steuerzahler sind.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das stimmt nicht! Das dient der Förderung der Familie! Das habe ich zitiert! Das haben Sie nicht verstanden!)


Den ärmeren Eltern würden Sie damit keine Hilfestel-
lung geben. Ich muss leider auch daran erinnern, dass die
FDP in der Vergangenheit die Erhöhung des Kindergel-
des und der Regelsätze für die ärmsten Kinder abgelehnt
hat.

In Ihrem Redebeitrag gab es durchaus gute Ansätze.
Es gibt auch hier und da Gemeinsamkeiten. Ich
wünschte mir aber, dass Sie auch den Mut haben, festzu-
stellen, dass das Ehegattensplitting abgeschmolzen wer-
den muss. Denn es ist falsch, zum Beispiel die kinder-
lose Ehe weiter steuerlich zu privilegieren, statt das Geld
gezielt zugunsten jedes einzelnen Kindes einzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Diese alte Kamelle! Das hat doch mit der Kinderförderung nichts zu tun! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ein bisschen mehr Sachverstand wäre von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen zu erwarten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616608500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sybille Laurischk von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1616608600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist be-

merkenswert, dass die Bundesfamilienministerin in einer
solchen Debatte bereits den Saal verlassen hat, gerade
weil sie offensichtlich sehr kontrovers verläuft.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Damit komme ich zu Ihnen, Frau Künast. Wenn Sie
meinen, dass Migrantenkinder zu geringe Bildungschan-
cen haben, dann frage ich mich, welche Maßnahmen
während der rot-grünen Regierungszeit wirkungsvoll
waren.


(Ute Kumpf [SPD]: Was haben Sie denn in der Zeit gemacht?)


Ich glaube, dass die Defizite auch in dieser Zeit zu fin-
den sind. Zum Beispiel sind auch der Spracherwerb und
die Kenntnis der deutschen Sprache nicht ausreichend
behandelt worden. Wir haben dieses Thema auf die
Agenda gesetzt


(Ute Kumpf [SPD]: Was passiert denn in Baden-Württemberg unter Ihrer Regierungsverantwortung?)


und verlangen von Ihnen entsprechende Anstrengungen
im Rahmen des Integrationsprozesses.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616608700

Frau Kollegin Laurischk, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Singhammer?


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1616608800

Ich möchte in meiner Rede fortfahren. Herr Singham-

mer hatte schon Gelegenheit, seine Vorstellungen darzu-
legen.

Die FDP hat auf ihrem Bundesparteitag am vergangenen
Wochenende klare familienpolitische Beschlüsse getroffen.
Wir wollen einen Freibetrag in Höhe von 8 000 Euro für je-
des Familienmitglied und ein Kindergeld in Höhe von
200 Euro für jedes Kind.


(Beifall bei der FDP)


Wir haben uns darüber hinaus mit familienpolitischen
Fragen befasst, über die in der Bundesregierung noch
immer kontrovers diskutiert wird. Die FDP lehnt ein Be-
treuungsgeld ab.

Wenn man sich die Überschriften der Anträge an-
schaut, dann stellt man fest, dass es noch um einen ande-
ren Aspekt des Familienrechts und der Familienpolitik
geht, nämlich um den Unterhaltsvorschuss. Wir schrei-
ben das Jahr eins nach der Unterhaltsrechtsreform. Diese
Reform hat die FDP gefordert, um Kindern den Vorrang
bei der Unterhaltsberechtigung zu geben, und zwar vor
dem Unterhalt des betreuenden Elternteils, meistens der
Mütter. Damit haben wir alle im Deutschen Bundestag
ein sehr klares Signal gesetzt, dass Kinder in der Für-
sorge ihrer Eltern – auch in der finanziellen – unbeding-
ten Vorrang haben.
Wer im Familienrecht tätig ist, weiß, dass die unsägli-
che Berechnung sogenannter Mangelfälle damit endlich
ein Ende haben soll; denn sie dokumentieren nur, was
den Kindern letztlich nichts nutzt, nämlich die Vertei-
lung des Mangels. Immer dort, wo die Einkommens-
situation der Eltern nicht ausreicht, soll zumindest die
Sicherung der Existenz der Kinder Vorrang haben. Wir
haben uns zudem dafür ausgesprochen, dass die Unter-
haltsberechtigung der Erwachsenen, also der Eltern, hier
zurückstehen muss. Damit wollen wir die Bereitschaft
der Unterhaltsverpflichteten, meistens der Väter, för-
dern, den Kindesunterhalt tatsächlich zu zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Dies ist nach wie vor ein großes Problem. In vielen Fäl-
len ist der Unterhalt zwar durch ein Urteil festgestellt,
wird aber nicht gezahlt.

Neben der Zwangsvollstreckung gibt es verschiedene
Lösungsmöglichkeiten. Eine ist der breiten Öffentlichkeit
so gut wie nicht bekannt, obwohl sie recht gravierend ist.
Das Nichtzahlen des Kindesunterhalts und das Belassen
der Kinder in Armut durch die Eltern sind ein Straftat-
bestand nach § 170 StGB. Im Rahmen einer Kleinen An-
frage hat sich die FDP-Bundestagsfraktion mit der Auswir-
kung dieser Vorschrift auseinandergesetzt. Wir mussten
feststellen, dass im Jahr circa 20 000 Fälle angezeigt und
ermittelt werden, dass allerdings nur in 5 000 Fällen ein
Urteil ergeht. Meistens wird dann gezahlt. Die Straf-
anzeige kann also ein wirkungsvolles Instrument sein.

Das ist aber familienpolitisch sicherlich unbefriedi-
gend. Deswegen gibt es noch eine andere Problemlö-
sungsmöglichkeit, nämlich das Unterhaltsvorschuss-
recht. Jährlich haben rund 500 000 Kinder in der ganzen
Bundesrepublik Anspruch auf Unterhaltsvorschussleis-
tungen. Diese Möglichkeit der staatlichen Hilfe im Fall
des Nichtzahlens des Kindesunterhalts wird also breit in
Anspruch genommen. Es handelt sich um eine Überbrü-
ckung, um gerade bei durch Trennung der Eltern eintre-
tender Unterhaltsbedürftigkeit einen Puffer zu haben. So
war das Gesetz mit einer Anspruchsberechtigung von
maximal 36 Monaten ursprünglich konzipiert. Mittler-
weile ist die Anspruchsdauer auf 72 Monate angehoben
worden.

Völlig unverständlich ist aber die Tatsache, dass die-
ser Anspruch nur für Kinder bis zwölf Jahren und nicht
bis zum 18. Lebensjahr gilt. Das Familienkompetenz-
zentrum attestiert – wir sind auf die Lösungen gespannt –
älteren Kindern und Jugendlichen alleinerziehender El-
tern ein höheres Armutsrisiko als jüngeren Kindern. Kin-
der und Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren
stellen fast 30 Prozent der von Armut betroffenen Kin-
der. Das Familienkompetenzzentrum liefert die Begrün-
dung gleich mit: Es liege unter anderem daran, dass der
Unterhaltsvorschuss nur bis zur Vollendung des zwölften
Lebensjahrs geleistet wird, ohne dass im Anschluss eine
vergleichbare Leistung verfügbar sei. Hier ist dringend
Abhilfe zu schaffen.


(Beifall bei der FDP)


Wir verlangen, dass die Leistungsberechtigung auch
auf Kinder bis zum 18. Lebensjahr ausgedehnt wird. Wer






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
Bedenken wegen der Finanzierung hat, kann unseren
Vorschlag aufgreifen, die ursprüngliche Berechtigungs-
dauer von 36 Monaten wieder einzuführen, sodass ein
haushaltstechnisches Problem gelöst wäre. Die Hilfestel-
lung würde dann alle unterhaltsbedürftigen Kinder errei-
chen, zumindest für die Übergangszeit, also bis ihr Un-
terhaltsanspruch geklärt ist.

Insgesamt brauchen wir ein Umdenken in dieser Ge-
sellschaft dahin gehend, dass das Leisten von Kindesun-
terhalt so selbstverständlich ist wie das Versorgen von
Kindern.


(Beifall bei der FDP)

Es geht nicht an, dass es von Fall zu Fall geradezu mit ei-
nem Achselzucken kommentiert wird, wenn Väter – diese
sind es in der Mehrzahl der Fälle – ihr Nichtzahlen von
Unterhalt damit kommentieren, dass die Mutter gar kei-
nen Pfennig mehr bekommen soll. Es geht uns um die
Kinder. Erst wenn wir dies in den anstehenden Reformen
umsetzen, können wir eine Stimmung in Deutschland
wecken, die es möglich macht, Kinder als den eigentli-
chen Reichtum unserer Gesellschaft zu begreifen, die
vor Armut geschützt werden müssen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616608900

Zu einer Kurzintervention erteile ich zunächst dem

Kollegen Johannes Singhammer und anschließend dem
Kollegen Beck das Wort.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1616609000

Frau Kollegin Laurischk, Sie haben den Eindruck zu

erwecken versucht, als sei die Ministerin aus Interesselo-
sigkeit nicht mehr hier im Plenum des Deutschen Bun-
destags anwesend. Ich möchte diese völlig falsche Un-
terstellung zurückweisen. Die Ministerin ist derzeit bei
der Festveranstaltung „Generationsübergreifende Frei-
willigendienste“. Das war bekannt, und das wussten alle
anderen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein, das war nicht bekannt! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Falsche Prioritäten!)


Deshalb empfinde ich es nicht nur als unsachlich, son-
dern auch als falsch, wenn Sie mit dieser Art von Unter-
stellung arbeiten. Im Übrigen ist die Bundesregierung
durch den Staatssekretär bestens vertreten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616609100

Jetzt hat zu einer Kurzintervention der Kollege Volker

Beck das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616609200

Sie wussten nicht, was wir unter Rot-Grün für Mi-

grantenkinder gemacht haben. Dazu kann ich Ihnen sa-
gen: Wir haben im Zuwanderungsgesetz unter Rot-Grün
erstmals die Integration überhaupt bundesrechtlich gere-
gelt. Hätten Sie das in den 16 Jahren vorher während der
Kohl/Genscher-Ära gemacht, hätten wir viele Probleme
heute nicht zu lösen, die wir dadurch, dass die Integra-
tionspolitik während Ihrer Regierungsära verschlafen
wurde, auf dem Tisch haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber das war nicht das Einzige, was wir gemacht ha-
ben: Wir haben das Ganztagsschulprogramm aufgelegt.
Das hilft gerade Kindern aus Migrantenfamilien, um so-
ziale Benachteiligungen auszugleichen. Wir haben das
U-3-Programm gemacht, und wir haben ein Programm
– das kennen Sie vielleicht nicht, weil Sie damals im
Rechtsausschuss gewesen sind – „Entwicklung und
Chancen“ aufgelegt, das besonders Jugendhilfeprojekte
für Migranten fördert. Das zeigt, dass wir eine ganze
Menge gemacht haben. Das alles reicht nicht aus, und
darauf kann man sich nicht ausruhen, aber dass Sie die-
sen ganzen Politikbereich offensichtlich vier Jahre im
Parlament verschlafen haben, zeigt, wie wichtig Ihnen
die Integrationspolitik für Migrantenkinder ist. Das sieht
man Ihren steuerpolitischen Vorschlägen ja auch an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616609300

Zur Erwiderung Frau Laurischk.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1616609400

Herr Beck, für mich war im Zuge der integrationspo-

litischen Debatte besonders eindrucksvoll, dass ich zu
dem Thema „Deutsch auf den Schulhöfen Berlins“ von
grünen Abgeordneten die Mitteilung bekam, das sei eine
Zumutung. Mittlerweile hat sich glücklicherweise die
Einsicht breit gemacht, dass Deutsch als Verständi-
gungsmöglichkeit in Schulen selbstverständlich ist.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worüber reden Sie? – Ute Kumpf [SPD]: Falsches Thema! Wir sind im Deutschen Bundestag!)


Ich glaube, dass die Grünen damals zu Beginn dieser
Debatte noch gar nicht begriffen haben, welche bil-
dungspolitische Bedeutung der Erwerb der deutschen
Sprache hat.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie gehen auf kein Argument ein!)


Im Übrigen möchte ich Herrn Singhammer antwor-
ten: Ich habe die Mitteilung bekommen, dass sich die
Ministerin nicht die ganze Debatte hier aufhalten wird,
aber noch zu Beginn meiner Rede da sein wird. Sie war
es nicht. Ich stelle fest, dass jetzt auch schon Frau Kün-
ast gegangen ist. So viel zur Aufmerksamkeit hinsicht-
lich der Debatte zur Familienpolitik, die wir angeregt ha-
ben.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616609500

Das Wort hat der Kollege Dieter Steinecke von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dieter Steinecke (SPD):
Rede ID: ID1616609600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Gäste! Kinder sollen mutig, neugierig und
fröhlich ins Leben gehen. Arme Kinder können das
nicht. Kinderarmut bedeutet gesellschaftliche Ausgren-
zung. Es ist eine Grundaufgabe der Gesellschaft, allen
unseren Kindern ein anständiges Leben zu ermöglichen
und ihnen Perspektiven für ihre Zukunft zu eröffnen.
Wir Politiker müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbe-
dingungen stimmen. Wir Sozialdemokraten sind über-
zeugt, dass dies in einer insgesamt wohlhabenden Ge-
sellschaft weiß Gott nicht zu viel verlangt ist.


(Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Dann tun Sie doch mal was!)


Eines muss uns allen klar sein: Wer glaubt, dass sich
Armut von Kindern allein durch direkte Transferleistun-
gen wirksam bekämpfen lässt, der springt zu kurz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sicherlich muss den Kindern und Jugendlichen, die von
Armut jetzt unmittelbar betroffen sind, geholfen werden
– das ist überhaupt keine Frage –;


(Zuruf von der LINKEN: Wann denn?)


doch struktureller Armut kann man nur mit strukturel-
len Maßnahmen begegnen.

Es ist schon vielfach gesagt worden: Es gibt verschie-
dene Gründe für Armut und Ausgrenzung. Deshalb muss
an verschiedenen Stellen angesetzt werden, um die Ursa-
chen zu bekämpfen. Drei dieser Stellen ragen heraus – in
dieser Reihenfolge –: Erstens: Bildung. Zweitens: Aus-
bildung. Drittens: Sozialtransfers.

Arbeit zu haben, ist – das klingt banal – die beste
Hilfe zur Selbsthilfe. Darum geht es im Wesentlichen
bei der Bekämpfung der Armut. Am Arbeitsmarkt geht
es momentan bergauf. Es gilt eben, diese Erfolge zu ver-
stetigen und strukturell zu sichern.

Doch Arbeit schützt nicht immer vor Armut. In unse-
rem Land gibt es etliche Menschen, die arbeiten gehen,
und zwar Vollzeit, und davon doch nicht anständig leben
können. Das wird von manchen Parteien sehenden Au-
ges hingenommen. Umso energischer müssen wir unsere
Forderung vertreten: gutes Geld für gute Arbeit; gesetz-
licher Mindestlohn in allen Branchen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch auf einem sich bessernden Arbeitsmarkt haben
nur Menschen Chancen, die über eine anständige Bil-
dung und Ausbildung verfügen. Durch einen ungerech-
ten Zugang zur Bildung verfestigt sich Armut, und das
darf nicht sein.

Was die Bildung anbelangt, stehen vor allem auch die
Länder in der Pflicht. Man mag es begrüßen oder auch
bedauern: Bildung ist Ländersache. Doch obwohl wir es
nicht müssten, eigentlich nicht einmal dürften, haben wir
beträchtliche Bundesmittel in die Hand genommen, um
Bildung und Ausbildung in diesem Land auszubauen.
Weil Bildung nicht erst am Tag der Einschulung be-
ginnt, haben wir eine Offensive für frühkindliche Be-
treuungs- und Lernangebote gestartet. Erst vor kurzem
wurde ein umfangreiches Sondervermögen zum Ausbau
der Tagesbetreuung für unter Dreijährige errichtet. Ohne
dies wären die Bundesländer sicherlich nicht in dem
Maße tätig geworden, ohne dies blieben die Ausbauziele
vielfach reine Utopie.

Dem essenziell wichtigen Bereich der frühkindlichen
Bildung droht meiner Meinung nach übrigens eine Kata-
strophe: Einige Landesregierungen und einige Köpfe in
diesem Hause plädieren für ein sogenanntes Betreuungs-
geld; darüber ist schon vielfach gesprochen worden.
Dies hätte eine verheerende Konsequenz. Gerade jene
Kinder, die wir erreichen wollen und müssen, würden
aus einer entscheidenden Entwicklungs- und Lernerfah-
rung gewissermaßen herausgekauft.


(Beifall bei der SPD)


Ein Blick nach Thüringen sollte reichen, um solche
Pläne schnell und nachhaltig zu verwerfen.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Auch das schulische Angebot kann verbessert wer-
den. Wie Frau Ministerin von der Leyen bin ich ein gro-
ßer Anhänger der echten Ganztagsschule, flächende-
ckend, sofort. Ich bin froh, dass ich die Ministerin an
meiner Seite habe. Auch hier hat der Bund den Ländern
mit einem milliardenschweren Programm auf die
Sprünge geholfen – oder dies zumindest versucht.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Darüber können wir nachher gern diskutieren. Ich will
keine Ganztagsschule light, sondern eine echte, Herr
Goldmann.


(Zuruf von der SPD: Ganztagsschule light haben wir in Niedersachsen!)


Von einem pädagogisch sinnvollen Ganztagsschul-
konzept sind die meisten Länder weit entfernt. Das ist
schade für unsere Kinder, weil in den Ländern vielfach
nur in Beton investiert worden ist und nicht in eine ver-
nünftige Ausstattung, beispielsweise mit Lehrerstunden.
Auch sonst ist die autonome Bildungspolitik der Länder
oft alles andere als glanzvoll. Die Bandbreite der weite-
ren Sünden reicht von Abschaffung der Lernmittelfrei-
heit bis hin zur Einführung von Studiengebühren für das
Erststudium. Auch dies sind Maßnahmen, die gerade
diejenigen treffen, über deren Belange wir heute spre-
chen. Es sind Maßnahmen, die die Bildungsschere wei-
ter und weiter öffnen und strukturelle Armut verfestigen.

Auch wer sich um die berechtigten Anliegen und
Bedürfnisse Benachteiligter einen Dreck schert – ent-
schuldigen Sie diesen harten Ausdruck –, kann diese
Entwicklung nicht wollen: Unzureichende Bildung und
Ausbildung bedeuten nicht nur Chancenungerechtigkeit;
sie sind auch volkswirtschaftlicher Wahnsinn. Zum ei-
nen können wir es uns als Wissensgesellschaft nicht leis-
ten, Potenziale brachliegen zu lassen, und zum anderen
kosten uns Transferleistungen und Flickschusterei an






(A) (C)



(B) (D)


Dieter Steinecke
Folgeschäden ein Vielfaches von dem, was wir investie-
ren müssten, um ein leistungsfähiges und gerechtes Bil-
dungssystem für alle Kinder und Jugendlichen in unse-
rem Land zu schaffen.

Zur Leistungsfähigkeit Folgendes: Die wirklich aller-
geringste Anforderung an Schule muss sein: Wer in die
Schule geht, kann Deutsch; wer rauskommt, hat einen
Abschluss.


(Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Und wer nicht geht?)


Das ist die Minimalanforderung. Wenn wir das erreichen
würden, hätten wir schon eine ganze Menge geschafft.

Wie dem auch sei: Alle Anstrengungen zum Ausbau
und zur Verbesserung von Betreuung, Bildung und Aus-
bildung, wie gut sie auch sein mögen, tragen erst in fer-
ner Zukunft Früchte. Die Erfolge unseres bisherigen Re-
gierungshandelns, von denen ich überzeugt bin, werden
erst in Jahren zu sehen sein. Bis dahin – ich sagte dies –
müssen wir mit Sozialtransfers, über deren Form und
Höhe man sicherlich diskutieren muss, die Not lindern
und den betroffenen Menschen jetzt helfen. Und es ist ja
beileibe nicht so, dass wir in dieser Hinsicht bislang un-
tätig waren. Meine Vorredner haben dies ja allzu deut-
lich gemacht: Unser Sozialstaat trägt wesentlich dazu
bei, dass Armut vermindert wird.

Wir Sozialdemokraten werden unseren Weg weiter
beschreiten – unseren Weg zu mehr Beschäftigung, zu
fairen Bildungschancen und zu sozialem Ausgleich.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616609700

Das Wort hat jetzt der Kollege Jörn Wunderlich von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616609800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich finde das toll: Alle reden von Kinderarmut
und darüber, wie sie bekämpft werden kann/sollte/
müsste und was man früher alles gemacht hat; aber wenn
es um etwas Konkretes geht, dann kneifen alle. Anders
kann ich mir nicht erklären, dass über den Gesetzentwurf
der Linken, der auch auf der Tagesordnung steht, näm-
lich zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes, bis-
lang so gut wie kein Wort verloren worden ist; bei der
FDP war das nur ansatzweise der Fall.


(Widerspruch bei der FDP – Sibylle Laurischk [FDP]: Das war schon ziemlich zentral, Herr Wunderlich!)


Unterhaltsvorschuss bekommt ein Kind, wenn es bei
einem Elternteil lebt und der andere Elternteil keinen
Unterhalt zahlt. Ich will Ihnen einmal einen Fall aus dem
Leben schildern, der die Linke zur Vorlage dieses Ge-
setzentwurfs bewegt hat:
Ein Kind lebt bei seiner Mutter; der Vater zahlt keinen
Unterhalt; das Jugendamt leistet Unterhaltsvorschuss.
Die Mutter hat einen Verkehrsunfall und stirbt; denkbar
wäre auch: Sie wird psychisch krank, hat eine Depres-
sion und wird in eine Einrichtung eingewiesen. Zum Va-
ter kann das Kind nicht. Das Kind soll ins Heim kom-
men, wird aber von der Großmutter aufgenommen: Es
ist ja schließlich ihr Enkelkind. Und wozu ist Familie
da? – Was macht das Jugendamt daraufhin? Es stellt die
Zahlung des Unterhaltsvorschusses ein.

Ich weiß – wir haben es im Ausschuss erörtert –, so
ein Fall ist für die CDU nicht vorstellbar.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist alles vorstellbar!)


Frau Möllring kennt aus Ihrer Erfahrung nicht einmal ei-
nen Fall, bei dem ein Kind nicht bei einem Elternteil
lebt.

Dieses Kind lebt nicht mehr bei einem Elternteil, son-
dern bei einem Großelternteil. Deshalb gibt es per Ge-
setz, so wie es gegenwärtig ist, kein Geld mehr. Gerade
das soll mit unserem Gesetzentwurf geändert werden.


(Beifall bei der LINKEN – Abg. Helga Lopez [SPD] und Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD] melden sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, Marlene, heute nicht.

Was kann die Großmutter sonst machen? Für die
Doppelbelastung anderer Personen als des Elternteils
stehen die allgemeinen Jugendhilfeleistungen zur Verfü-
gung. Diese Argumentation – das ist auch die Argumen-
tation des Ministeriums – trägt aber nur teilweise.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616609900

Herr Kollege Wunderlich, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Rupprecht?


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616610000

Das besprechen wir im Ausschuss.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616610100

Wollen Sie die Zwischenfrage jetzt zulassen oder

nicht?


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616610200

Nein. – Pflegeltern beispielsweise erhalten nach § 39

SGB VIII sogenanntes Pflegegeld, sodass kein Bedarf
hinsichtlich eines Unterhaltsvorschusses entstehen kann.


(Zuruf des Abg. Johannes Singhammer [CDU/ CSU])


– Zu Ihnen, Herr Singhammer, komme ich noch. – Zu
diesem Personenkreis gehört die Großmutter aber in aller
Regel nicht, weil sie ihr Enkelkind aus innerfamiliärer
Hilfsbereitschaft – es ist ja schließlich ihr Enkelkind –
aufnimmt.


(Zurufe von der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
Ich weiß, solche innerfamiliäre Hilfsbereitschaft geht
der SPD ab. Sie ist der Meinung, § 39 SGB VIII greife
immer. Aber selbst wenn dieser Paragraf greift, kann das
Pflegegeld aufgrund bestehender Unterhaltsverpflich-
tungen seitens der Großmutter nach § 1601 BGB – da
steht: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet,
einander Unterhalt zu gewähren“ – angemessen gekürzt
werden. In jedem Fall bleibt die Tatsache, dass das Kind
seinen Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvor-
schuss verliert, wenn ein Großelternteil an die Stelle der
Mutter tritt. Insoweit stellt sich schon die Frage, ob die
alleinstehende Großmutter der belastenden Situation
ausgesetzt werden soll, die das Unterhaltsvorschussge-
setz eben vermeiden will.


(Rolf Stöckel [SPD]: Das passiert doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])


Nun kann bei Bedürftigkeit Sozialhilfe in Anspruch
genommen werden. Anspruchsinhaber auf den Unter-
haltsvorschuss ist aber das Kind. Insoweit ist eine Be-
dürftigkeit der Großmutter nicht von Bedeutung.


(Zuruf von der SPD: Ist doch Blödsinn, was der erzählt! – Gegenruf von der LINKEN: Hört doch mal zu!)


Da sich weder der juristischen Literatur noch der Recht-
sprechung Argumente entnehmen lassen, die einer Aus-
weitung des Berechtigtenkreises des § 1 Abs. 1 Unter-
haltsvorschussgesetz entgegenstehen, sollte die Koalition
ihre Meinung zu den Voraussetzungen, um zum Berech-
tigtenkreis nach § 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschussgesetz zu
gehören, in diesem begrenzten Sinne, wie es der Gesetz-
entwurf, vorsieht, einmal überdenken.


(Zuruf von der SPD: Das haben wir Ihnen im Ausschuss schon erklärt!)


Die Linke will den in solchen Fällen betroffenen Kin-
dern helfen. Helfen Sie mit! Da spreche ich jetzt insbe-
sondere die SPD an.


(Beifall bei der LINKEN – Caren Marks [SPD]: Sie sollten aufhören, den Leuten mit falschen Tatsachen Sand in die Augen zu streuen!)


Stimmen Sie dem Gesetz zu und lassen Sie diese Hilfe
nicht wieder an der Kinderfeindlichkeit der Großen
Koalition und Ihrer Hörigkeit in dieser Koalition schei-
tern! Hören Sie doch endlich einmal auf, der CDU/CSU
immer hinterherzuhecheln!


(Caren Marks [SPD]: Hören Sie auf, Dinge zu erzählen, die unwahr sind! Unglaublich!)


Nun noch ganz kurz zum Antrag der FDP, die Alters-
grenzen anzuheben. Das wird ja von der Linken schon
seit eh und je gefordert. Insoweit ist das gut.


(Zurufe von der FDP)


– Tun Sie nicht so erstaunt. Wir haben das schon oft im
Ausschuss gefordert. Es gab dazu sogar einen Antrag
von uns, der abgelehnt worden ist. Frau Laurischk, wo
waren Sie bei diesen Ausschusssitzungen?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Immer da! – Weitere Zurufe von der FDP)


Die entsprechenden Anträge sind also bisher immer
abgelehnt worden. Die FDP versucht jetzt das Gleiche
noch einmal, aber gleichzeitig unter Kürzung der
Bezugsdauer. Dazu kann ich nur sagen: Nicht mit uns!


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP)


Wenn bei Ihnen schon im Feststellungsteil der Kinderzu-
schlag erwähnt und bemängelt wird, frage ich mich, wa-
rum im Forderungskatalog keine entsprechenden Forde-
rungen auftauchen. Ich kann dazu nur wieder feststellen:
Auch hier hat die FDP wieder einmal kein eigenes Kon-
zept. Eigentlich schade; denn es geht ja um die Kinder.

Nun zu Ihren Ausführungen, Herr Singhammer, zum
Erziehungsgehalt: Kommen Sie einmal in der Realität
an!


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nicht Erziehungsgehalt! Betreuungsgeld meinen Sie!)


Es gibt einen Bundesparteitagsbeschluss der Linken vom
25. Mai, der ein solches Erziehungsgehalt eindeutig ab-
lehnt,


(Beifall bei der LINKEN)


auch wenn das Ihren Wünschen und Vorstellungen – es
ist ja eine alte Zielvorstellung der CSU: Frauen an den
Herd und sie dafür ordentlich bezahlen – nicht ent-
spricht.


(Caren Marks [SPD]: Das ist das Konzept Ihrer Christa Müller!)


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616610300

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der

Kollegin Marlene Rupprecht.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1616610400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

hätte dieses Problem eigentlich gerne durch eine Zwi-
schenfrage gelöst. Herr Kollege Wunderlich, wir arbei-
ten sonst eigentlich sehr kollegial zusammen, wenn es
um Kinder geht. Man sollte aber zumindest die Rechts-
lage kennen. Ich lese Ihnen einmal § 27 Abs. 2 a des
SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – vor:

Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen
außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt
der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht da-
durch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person

– unterhaltspflichtige Personen gibt es nur in direkter Li-
nie, also Eltern und Großeltern, mehr nicht –

bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Ge-
währung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem
Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet
ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem






(A) (C)



(B) (D)


Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe
der §§ 36 und 37 zu decken.

Weitere Paragrafen, die hier zutreffen, sind die §§ 33,
36 und 39. Unterhaltspflichtige, die für ein Kind auf-
kommen müssten, werden also vom Jugendamt gefor-
dert, wobei das Jugendamt die Fremdunterbringung be-
zahlen muss. Wenn hier irgendjemand etwas anderes
sagt, dann ist klar, dass er die entsprechenden Gesetze
zur Jugendhilfe und das Unterhaltsvorschussgesetz nicht
kennt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Unterhaltsvorschuss ist keine Ersatzleistung bei
außerhäusiger Unterbringung. Für den Fall, dass ein
Kind außerhäusig bei Großeltern untergebracht wird, ha-
ben wir mit der letzten Reform der Jugendhilfe im § 27
SGB VIII den Abs. 2 a eingeführt, um damit die Ver-
wandtenpflege abzusichern, also um dafür zu sorgen,
dass Großeltern, die dazu bereit sind, nicht bestraft wer-
den. Dabei kann dann die Unterhaltspflicht der Groß-
eltern anteilig mitberücksichtigt werden, aber mehr
nicht. Das Kind bekommt einen nach dem Alter abge-
stuften Barbetrag darüber hinaus. Ich bitte, dies einmal
zur Kenntnis zu nehmen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Es ist schon wichtig, dass man Gesetze liest, bevor man
im Bundestag entsprechende Anträge stellt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616610500

Herr Kollege Wunderlich zur Erwiderung.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616610600

Frau Kollegin Rupprecht, der Anspruch auf Unter-

haltsvorschuss entfällt in dem Falle; es ist halt so. Die
übrigen Leistungen werden ersetzt.

Am Ende ist von Ihnen in einem konzilianten Neben-
satz erwähnt worden, dass die Unterhaltsverpflichtungen
der Großeltern bestehen und dass sie angerechnet wer-
den können. Sie werden auch angerechnet. So sind die
Fälle in der Praxis, und gerade um diese Fälle geht es in
unserem Gesetzentwurf.

Es soll ein minimaler Punkt angepasst werden, um
diese kleine Regelungslücke zu schließen. Trotzdem
sträuben Sie sich ohne Ende. Jedes Mal, wenn es eine
konkrete Problemlösung gibt – es handelt sich um Fälle
aus der Praxis –, dann zieht diese Koalition nicht mit.
Große Worte, keine Taten, das kennzeichnet die Kinder-
und Familienpolitik dieser Regierung im Hinblick auf
Kinderarmut.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Leeres Gerede bei den Linken!)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616610700

Frau Rupprecht, Sie können darauf nicht erwidern.

Andere Redner Ihrer Fraktion können darauf noch einge-
hen.

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elisabeth Winkel-
meier-Becker von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder mehr Sachlichkeit!)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1616610800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Überschriften der Anträge von Grünen und
FDP lassen eigentlich einiges erhoffen. Aber leider
kommt beim Weiterlesen schnell die Ernüchterung. Von
einem Gesamtkonzept zur Vermeidung von Kinderarmut
kann hier nicht die Rede sein.

Im Antrag der Grünen steht unter Punkt 2 – von der
Linken wurde es gerade wiederholt –:

Das Ausmaß der Kinderarmut wächst und die Re-
gierung schaut untätig zu.

Da kann ich nur sagen: Sie haben einige Dinge einfach
nicht mitbekommen.

Werfen Sie doch einmal einen Blick in den neuen
Armuts- und Reichtumsbericht von Minister Scholz.
Er zeichnet das Bild der Armut anhand der Daten von
2004 und 2005.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden doch von Herrn Glos angezweifelt!)


Das ist der Zeitraum nach sieben Jahren grüner Regie-
rungsmitverantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich finde es aber für diese Debatte nicht erhellend,
wenn wir uns mit gegenseitigen Schuldzuweisungen be-
glücken. Ich finde es auch nicht gut, wenn mit dem
Gestus der Empörung die Folgen von privaten Entschei-
dungen komplett der Regierung vor die Hütte gekippt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn es beispielsweise auf privaten Entscheidungen
beruht, dass die Familien der türkischen Community
eine höhere Geburtenrate haben,


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Es geht auch um deutsche!)


dann bedeutet das zwar, dass wir uns besonders darum
kümmern müssen, aber die Folgen sind der Regierung
nicht von vornherein anzulasten. Deshalb finde ich es
falsch, wenn dieses Thema mit dem Gestus großer Auf-
regung vorgetragen wird.


(Ute Kumpf [SPD]: Dürfen nur die Deutschen Kinder kriegen und die anderen nicht, oder was ist die Konsequenz?)







(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Winkelmeier-Becker
– Nein, das ist nicht die Konsequenz. Es hat vor allem
nicht die Konsequenz – das dürfen Sie nicht falsch ver-
stehen –, dass wir uns diesem Problem nicht widmen
wollen. Aber dass bestimmte private Entscheidungen zu
bestimmten Problemen führen, darf nicht von vornherein
der Politik angelastet werden.


(Zuruf von der SPD: Das ist aber sehr, sehr gefährlich, was Sie da sagen!)


Seit 2005 haben sich die maßgeblichen Parameter für
die Erwerbstätigkeit von Eltern durchweg verbessert.
Wir haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
bessert,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)


das Elterngeld eingeführt, die Absetzbarkeit von Kinder-
betreuungskosten verbessert sowie den massiven Aus-
bau der Kinderbetreuung beschlossen und finanziert.
Wir stellen endlich auch die richtigen Weichen bei der
Fortentwicklung des Kinderzuschlags, vor allem mit ei-
ner geringeren Transferentzugsrate, was dazu führt, dass
von zusätzlichem Einkommen auch tatsächlich mehr
übrig bleibt.

Wir kümmern uns verstärkt um den Wiedereinstieg
von Frauen in den Arbeitsmarkt. Dank der guten Kon-
junktur – das zeigen die Zahlen – gibt es eine höhere
Chance, dass mehr Menschen eine bezahlte Arbeit fin-
den. Das ist das Maßnahmenpaket, mit dem wir Eltern
zu mehr Einkommen verhelfen und damit Kinder aus der
Kinderarmut herausholen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihnen fällt dazu nur ein, noch mehr Ausbau der Kin-
derbetreuung und mehr Rechtsansprüche zu fordern.
Finanziert werden soll das durch Einsparungen beim
Ehegattensplitting in Höhe von 5 Milliarden Euro. Sie
möchten also Familien mit Kindern, die nachweislich
am meisten vom Ehegattensplitting profitieren, das Geld
wegnehmen,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)


und zwar unter der Überschrift: Vermeidung von Kinder-
armut.


(Zuruf von der SPD: Das ist keine saubere Interpretation!)


Das ist doch nicht logisch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist heuchlerisch!)


Als zweiten Punkt wollen Sie den Regelsatz für Er-
wachsene auf 420 Euro erhöhen. Gleichzeitig sollen
diese Familien aber kein Betreuungsgeld erhalten; denn
das würde den Anreiz setzen, Mütter vom Arbeitsmarkt
fernzuhalten. So ist Ihre Argumentation, die gerade noch
einmal vorgetragen wurde. Aber in der Argumentation
ist doch ein klarer Bruch. Wenn Sie in Bezug auf das Be-
treuungsgeld kritisieren, dass es gerade für die Falschen
lukrativ sei und den Anreiz zur Arbeit abschwäche
– auch beim Ehegattensplitting wird häufig so argumen-
tiert –,

(Zuruf von der SPD: Zu Recht!)


dann erzielen Sie doch genau den gleichen Effekt, wenn
die Transferleistungen erhöht werden, die es ohne ei-
gene Erwerbstätigkeit und Anstrengung gibt. Wenn wir
diese baren Transferleistungen einfach nur deutlich er-
höhen, dann schwächt das die eigene Initiative, finan-
ziell wieder selbstständig zu werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616610900

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kurth von den Grünen?


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1616611000

Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616611100

Bitte schön.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616611200

Vielen Dank. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-

men, dass die Erhöhung des Regelsatzes dazu dient,
das Existenzminimum zu sichern, und wie bewerten Sie
den einstimmig gefassten Beschluss des Bundesrates
vom 23. Mai 2008, in dem die Bundesländer feststellen:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die
Regelleistung für Kinder nach dem SGB II sowie
die Regelsätze nach dem SGB XII unverzüglich
neu zu bemessen und als Grundlage dafür eine spe-
zielle Erfassung des Kinderbedarfes vorzusehen.
Dabei ist auch sicherzustellen, dass die besonderen
Bedarfe der Kinder im Hinblick auf die Mittagsver-
pflegung in Ganztagsschulen oder Schulen mit
einem Bildungs- und Betreuungsangebot am Nach-
mittag … sowie bei der Beschaffung von besonde-
ren Lernmitteln für Schülerinnen und Schüler …
abgedeckt werden.

Die Verhandlungsführung hatte – Sie kommen ja aus
Nordrhein-Westfalen – Herr Laumann.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1616611300

Hätten Sie mich in meiner Rede fortfahren lassen,

wäre ich genau darauf zu sprechen gekommen, dass dies
alles für die Kinder durchaus anders bewertet werden
kann. Der Punkt, den ich gerade ausgeführt hatte, betraf
zunächst den für die Erwachsenen vorgesehenen Regel-
satz. Wenn sich aus dem Existenzminimumbericht, des-
sen Vorlage wir im Herbst erwarten, Handlungsbedarf
ergibt, dann haben wir eine andere Faktenlage und dann
wird daraus eine Konsequenz zu ziehen sein. Lassen Sie
mich am besten einfach in meiner Rede fortfahren und
damit auf die Regelsätze für Kinder zu sprechen kom-
men!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich stimme Ihnen nämlich ausdrücklich darin zu, dass
wir darüber nachdenken müssen, ob die sehr schemati-
sche Bedarfsberechnung mit 60 Prozent und 80 Prozent
richtig ist. Denn als Mutter weiß ich, wie viel Kinder






(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Winkelmeier-Becker
verputzen können und was das bei den ansteigenden
Preisen bedeutet.

Weitergehende Barhilfen halte ich aber für kontrapro-
duktiv; denn sie würden genau das subventionieren, was
politisch nicht gewollt ist: das dauerhafte Verharren in
der Arbeitslosigkeit und das Vererben von Armut. Da
wären Sachleistungen und Gutscheine im Prinzip die
bessere Alternative. Ich könnte mir da übrigens auch ei-
nen Anwendungsfall für das Betreuungsgeld vorstellen,
der Ihre Bedenken aufgreifen könnte.

Darüber hinaus kostet das alles aber Geld, und zwar
für Aufgaben, für die primär die Länder zuständig sind.
Auf Bundesebene gibt es im Moment wenig Spielraum.
Der Charme dieses Instruments wird aber auch in den
Reihen der Union gesehen.

Noch einen Bruch in Ihrer Argumentation muss ich
aufgreifen. – Ich sehe gerade, dass es hier blinkt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616611400

Ich blinke, weil die Redezeit zu Ende ist.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1616611500

In Deutschland sprechen wir allgemein bei einem

Einkommen von unter 50 Prozent des Medianeinkom-
mens von Armut. Sie aber beschreiben Kinderarmut an-
hand der Zahlen von Leistungsbeziehern. Das impliziert,
dass das Beziehen von Leistungen mit Armut gleichzu-
setzen ist. Aber umgekehrt wird doch ein Schuh daraus:
Der Sozialstaat funktioniert. Gerade mit diesen Leistun-
gen holen wir die Leute aus der Armut heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616611600

Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1616611700

Schade. So kann ich auf die positiven Vorschläge der

FDP zum UVG leider nicht mehr eingehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616611800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616611900

Frau Winkelmeier-Becker, ich will direkt mit Ihrer

Kritik anfangen. Das Problem der jetzigen Koalition ist,
dass Sie im Moment Kinderarmut gar nicht vernünftig
konzeptionell angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihnen liegen ein Bericht von Herrn Scholz und ein
Bericht von Frau von der Leyen vor. Frau von der Leyen
bezweifelt die Zahlen von Herrn Scholz, Herr Scholz die
von Frau von der Leyen, und Herr Glos bezweifelt ein-
fach alle Zahlen. Sie führen eine reine Zahlendebatte.
Das hat aber überhaupt nichts damit zu tun, wie man
Kinderarmut konkret bekämpft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anstatt diese Zahlendebatte zu führen, sollten Sie sich
mit den Instrumenten beschäftigen. Das müssen Sie sich
vorwerfen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ilse Falk [CDU/CSU]: Haben Sie Frau von der Leyen nicht zugehört?)


Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Dieses Gesamtkon-
zept wird von zwei Säulen getragen. Das eine ist die
Kinderbetreuung zur Vereinbarkeit von Beruf und Fa-
milie und damit zum Schutz gegen Kinderarmut. Das an-
dere sind die materiellen Leistungen. Die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie ist wichtig. Ja, Herr Singhammer,
auch wir sind für Wahlfreiheit. Aber Kinderbetreuung
dient nicht nur der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Kinderbetreuung ist auch die frühe Förderung von Kin-
dern, sei es in der Sprache, sei es in weiteren Kernkom-
petenzen. Vor allem für benachteiligte Kinder ist frühe
Förderung wichtig.

Wenn das Geld zu Hause knapp ist und die Eltern
dann vor der Entscheidung stehen, dann entscheiden sie
sich lieber für das Geld als für die frühe Förderung ihres
Kindes.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung gegenüber den Eltern!)


Das ist das Manko Ihres Betreuungsgelds. Sie können
das noch so sehr verneinen: Die Einführung des Betreu-
ungsgelds wird dazu führen, dass Kinder eben nicht früh
gefördert werden, weil ihnen diese Förderungsinstru-
mente vorenthalten werden. Das ist nichts anderes als
eine reine Ideologiepolitik, die Sie hier durchzusetzen
versuchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Schlechte Meinung von den Eltern! Eltern sind nicht böse! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Sie misstrauen den Eltern!)


Kommen wir zu dem anderen Instrument, das Sie vor-
schlagen, dem Kinderzuschlag. Wir hatten dazu im
Ausschuss eine Anhörung. Wissen Sie, was ich von die-
ser Anhörung mitgenommen habe? Dass der Kinderzu-
schlag nichts anderes als eine Mogelpackung ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)


Er ist Symbolpolitik, weil Sie nicht dazu bereit sind, aus-
reichend Geld in die Hand zu nehmen, um in diesem
Land wirklich etwas zu verändern. In diesem Fall sollten
Sie es lieber ganz lassen. Machen Sie keine Verspre-
chungen, die Sie mit Ihren Taten nicht einhalten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Wir halten sie ein!)







(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz
Ich komme nun zu dem, was Sie gesagt haben, Herr
Wunderlich. Sie tun so, als ob Sie mit einer minimalen
Änderung im Unterhaltsvorschussgesetz Armut in
Deutschland bekämpfen könnten. Der Bezug des Unter-
haltsvorschusses ist in Deutschland auf sechs Jahre be-
grenzt. Unser Problem ist aber nicht das Unterhaltsvor-
schussgesetz. Unser Problem ist, dass zwei Drittel
derjenigen, die unterhaltspflichtig sind, unterhaltssäumig
sind und das Geld erst gar nicht zahlen. Da müssen wir
sehen, wie wir die Menschen dazu bringen, den Unter-
halt zu finanzieren und zu bezahlen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Dann machen Sie mal einen Vorschlag!)


Die komischen Vorschläge, die Sie machen, gehen
komplett an der Realität vorbei.


(Caren Marks [SPD]: Die Täter sind männlich!)


Mit dem Instrument des Unterhaltsvorschusses können
Sie die Armut nicht bekämpfen; das wissen Sie. Dieser
Vorschlag macht sich vielleicht in Ihren Wahlkreisbüros
gut, um sich in ein positives Licht zu rücken, aber mit
Armutsbekämpfung hat er rein gar nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Vorschlag der FDP. Sie schlagen vor,
die Freibeträge zu erhöhen. Wer profitiert davon? Da-
von profitieren doch nur diejenigen, die Steuern zahlen,
um die Freibeträge nutzen zu können.


(Widerspruch bei der FDP)


Das sind aber nicht die Menschen, die von Armut betrof-
fen sind oder das ALG II beziehen. Wer profitiert davon,
wenn das Kindergeld, wie Sie es fordern, auf 200 Euro
erhöht wird? Schließlich ist auch Ihnen aufgefallen, dass
die Freibeträge nur von einem Bruchteil der Menschen
in Anspruch genommen werden können.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Wollen Sie alles so belassen?)


Wie finanzieren Sie das? Woher nehmen Sie das
Geld? Wissen Sie überhaupt, was das kostet? Sie haben
gerade der Linken und auch uns vorgeworfen, wir wüss-
ten nie, wie wir unsere Forderungen finanzieren.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir wissen das!)


Wie Sie Ihre „Träume“ finanzieren, sagen Sie uns aber
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu einem weiteren Punkt, der immer wie-
der angesprochen wird, das Ehegattensplitting. Über
dieses Thema werden wir noch lange diskutieren. In al-
len Fraktionen gibt es dazu verschiedene Positionen.
Aber eines müssen wir festhalten: Das Ehegattensplit-
ting fördert nicht die Familie, sondern das Ehegatten-
splitting fördert die Ehe.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau! Richtig! Jawohl! – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Art. 6 des Grundgesetzes!)

60 Prozent der Familien haben nichts, aber auch gar
nichts vom Ehegattensplitting. Es gibt nun einmal ver-
schiedene Lebensformen in Deutschland, nehmen Sie
das zur Kenntnis. Es gibt nun einmal Verheiratete und
Unverheiratete mit Familie.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das sind ja ganz neue Erkenntnisse!)


Es gibt Doppelverdiener, die aber nicht viel verdienen.
Sie profitieren überhaupt nicht vom Ehegattensplitting.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wollen Sie grundgesetzwidrig handeln?)


Dafür gibt es aber Menschen, die hervorragend verdie-
nen und vom Ehegattensplitting maximal profitieren.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Weil sie verheiratet sind!)


Dass diese Menschen dann bis zu 8 000 Euro mehr als
Nichtverheiratete bekommen, liegt daran, dass sie sich
für ein bestimmtes Lebensmodell entschieden haben. Es
darf uns aber nicht darum gehen, bestimmte Lebensmo-
delle zu bevorzugen, sondern wir müssen Kinder und
das Leben mit Kindern fördern. Dafür ist das Ehegatten-
splitting das falsche Instrument. Daran gibt es nichts zu
zweifeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal Art. 6 des Grundgesetzes gelesen?)


Zusammengefasst sage ich Folgendes: Der Kampf ge-
gen Kinderarmut beruht auf zwei Säulen. Wir brauchen
die Infrastruktur, wie den Ausbau der Kinderbetreuung für
die unter Dreijährigen, qualitativ hochwertige Angebote
und eine bessere Qualifizierung unserer Erzieherinnen.
Wir brauchen die Ganztagsschulen, deren Förderung aber
2009 ausläuft und die dank der Föderalismusstrukturre-
form nicht fortgesetzt werden kann. Wenn es um die
Fortführung der Ganztagsschulförderung geht, ist auch
die FDP gefordert.

Wir brauchen all dies, darüber hinaus brauchen wir
aber auch eine materielle Sicherung, vor allem auf der
untersten Ebene: Die ALG-II-Leistungen für Kinder
müssen neu berechnet werden. Vor allem müssen wir
aber eine Neustrukturierung der Leistungen ins Visier
nehmen; denn die gegenwärtige Leistungsstruktur dient
vor allem den Gut- und Besserverdienenden.

Dafür steht der Antrag der Grünen. Uns geht es nicht
darum, ein bestimmtes Familienmodell zu unterstützen,
sondern darum, Kinder direkt und effizient zu unterstüt-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616612000

Das Wort hat jetzt die Kollegin Helga Lopez von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Helga Lopez (SPD):
Rede ID: ID1616612100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede das Wort an
Herrn Wunderlich richten. Ich konnte vorhin leider keine
Zwischenfrage stellen; da ich jetzt rede, kann ich diesen
Punkt aber jetzt anbringen. Eines ist noch nicht gesagt
worden – Marlene Rupprecht hat es vorhin angedeutet –:
Das Pflegegeld beträgt in der untersten Stufe roundabout
650 Euro. Sie können doch nicht erwarten, dass zusätz-
lich Unterhaltsvorschuss gezahlt wird. Das ist nun wirk-
lich nicht notwendig und deswegen auch nicht vorgese-
hen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Es geht um den Kreis, der aus dem Pflegegeld rausfällt, Frau Lopez!)


– Ich weiß nicht, wo der Fall, den Sie skizziert haben,
aufgetreten ist. Ich würde Ihnen empfehlen – schließlich
sind Sie Bundestagsabgeordneter –, zur Behörde zu ge-
hen. Ich kenne einen solchen Fall nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– Nein. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Da stimmt et-
was nicht. Gehen Sie zur Behörde und klären Sie das.
Dahinten sitzt Rolf Stöckel. Er kennt die Rechtslage aus
dem Effeff und kann Ihnen nachher bestätigen, dass auch
er einen solchen Fall noch nicht erlebt hat.

Zur Debatte über die vorliegenden Anträge: Den An-
trag der FDP haben wir erst gestern erhalten, vor ziem-
lich exakt 24 Stunden. Wir hatten aber genug Zeit, um
ihn aufmerksam zu lesen. Eine Stelle in Ihrem Antrag
hat mir besonders gut gefallen. Im Antrag der Grünen
gibt es eine ähnliche Formulierung. Ich lese die beiden
Stellen einmal vor, weil sie eine Herzensangelegenheit
von mir betreffen; das gilt nicht erst seit heute. Im An-
trag der Grünen heißt es:

So sind Kinder auch nicht per se arm, sondern die
Familien, in denen sie leben.

Im Antrag der FDP heißt es:

Kinder und Jugendliche sind arm, weil die Fami-
lien, in denen sie leben, arm sind.

Das kann ich unterschreiben. Das trifft den Kern. Des-
wegen sollten wir aufhören, von Kinderarmut zu spre-
chen. Familienarmut ist der treffendere Begriff.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Der Begriff Kinderarmut suggeriert leider – das will
ich deutlich sagen –, dass Eltern ihren Kindern nicht das
geben, was ihnen zusteht bzw. das Geld unverantwort-
lich ausgegeben wird. Das gilt für die weitaus größte
Zahl aller Fälle mitnichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme aus einem rein ländlichen Gebiet. Dort
sind viele Leute arbeitslos geworden, weil Firmen abge-
wandert oder in Konkurs gegangen sind. Die Zahl der
Arbeitslosen nimmt zwar auch dort inzwischen ab, aber
– und das ist der eigentliche Skandal in diesem Land –
innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl der Bedarfsge-
meinschaften – das sind Familien, die Zuzahlungen be-
nötigen, obwohl die Eltern arbeiten gehen – von 1 200
auf über 3 000 gestiegen. Ich sage es noch einmal: Das
ist ein Skandal.

Dort, wo ich lebe, schämen sich arbeitslose, insbeson-
dere langzeitarbeitslose, Menschen für ihre unverschul-
dete Situation. Sie tun alles, wirklich alles, damit we-
nigstens ihre Kinder nicht auf alles verzichten müssen.
Für sie bedeuten 5 Euro Kindergelderhöhung nicht eine
Packung Zigaretten, sondern ein paar Liter Milch. Aber
– auch das will ich sagen – sie bedeuten hier und da auch
die Möglichkeit, auf dem Flohmarkt eine gebrauchte
Markenklamotte, vielleicht sogar einen gebrauchten
Nintendo Gameboy zu kaufen. Denn Teilhabe bedeutet
in dieser Gesellschaft nicht nur die wichtige Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben, sondern leider auch Teilhabe
an Statussymbolen. Diese Eltern wollen nicht, dass ihre
Kinder gehänselt und stigmatisiert werden, dass sie
„Assi“ genannt werden; so ist der Sprachgebrauch unter
Jugendlichen. Das ist schlimm und bleibt für diese Kin-
der leider nicht folgenlos.

Wenn man sich also anschaut, woher Armut in
Deutschland kommt, ist man unweigerlich und sofort bei
den prekären Beschäftigungsverhältnissen.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Bei der schlechten Politik, die Sie machen!)


– Nicht bei der schlechten Politik, die wir machen. Sie
können das tausendmal wiederholen. Ich sage Ihnen:
Schauen Sie sich Berlin an. Dort sind Sie an der Regie-
rung beteiligt. Verbessern Sie die Situation dort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Wenn ich schon dabei bin, möchte ich noch sagen: Die
ersten privatgewerblichen Kindergärten gibt es in Berlin.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Wer ist in Berlin die größere Fraktion in der Regierungskoalition?)


Sie sind also mitverantwortlich; Sie können sich nicht
rausreden.

Ich war gerade bei prekären Beschäftigungsverhält-
nissen, bei Dumpinglöhnen und bei den allgemein
schlechteren Bedingungen für Alleinerziehende. Ich
frage mich, Kolleginnen und Kollegen von der FPD: Wo
ist bei Ihnen die Forderung nach einem Mindestlohn?


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist doch Ihr zukünftiger Koalitionspartner!)


Sie fordern die Einführung von Bürgergeld. Mir ist nie
klar geworden – ich habe viel dazu gelesen –, wem Bür-
gergeld nutzt. Ich habe den Eindruck, es nutzt nicht den
Bürgern, sondern den Unternehmen, die dann noch ein-
facher Dumpinglöhne zahlen können.


(Widerspruch bei der FDP)


Sie sagen auch nicht, wie Sie das finanzieren wollen.






(A) (C)



(B) (D)


Helga Lopez

(Zurufe von der FDP: Doch!)


Wenn Sie den Umsatzsteuersatz auf 40 Prozent erhöhen
wollen, dann fordern Sie weiterhin ein Bürgergeld! Ich
weiß nicht, wie Ihre Forderungen finanziert werden sol-
len. Wir sollen den Staat entschulden, fordern Sie; das ist
eine vernünftige Forderung. Zeitgleich legen Sie jetzt
das größte Steuersenkungspaket auf, das ich bisher gese-
hen habe.


(Ina Lenke [FDP]: Weil Sie ein Steuererhöhungspaket aufgelegt haben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616612200

Frau Kollegin Lopez, kommen Sie bitte zum Schluss.


Helga Lopez (SPD):
Rede ID: ID1616612300

Einen Satz noch.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616612400

Ja, bitte.


Helga Lopez (SPD):
Rede ID: ID1616612500

Wer den höchsten Steuersatz auf 35 Prozent senkt – das

fordern Sie –, hat kein Geld, um die Familien ernsthaft
zu fördern. Das ist Fakt.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616612600

Jetzt hat das Wort die Kollegin Katharina Landgraf

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1616612700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Anträge bzw. der Gesetzentwurf der drei Par-
teien sehen, zumindest wenn man die Überschriften be-
trachtet, eigentlich gut aus. Man muss dafür sein. Denn
die Existenz von Kindern zu sichern und Familien zu
stärken, ist auf jeden Fall gut. Ich habe mir jetzt vor allen
Dingen die Anträge der Grünen und der FDP ange-
schaut. Ich stelle zum Beispiel fest, dass im Grünen-An-
trag ein Mischmasch von Zuständigkeiten vorherrscht.
Die Verantwortung der Eltern fehlt. Darüber steht dort
überhaupt nichts.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Schade!)


Am meisten ärgere ich mich darüber, dass unter Punkt 2
im Antrag der Grünen steht, die Regierung schaue untä-
tig zu.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Stimmt!)


Ich muss fragen: Haben Sie nichts erkannt? Haben Sie
nichts gemerkt? Waren Sie nie anwesend, oder wollen Sie
das aus strategischen Gründen verschweigen? Die Be-
hauptung ist falsch, und wir können nachweisen – meine
Vorredner haben das schon gesagt –, was alles getan
wird und was wir weiterhin vorhaben.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)

Es wird zum Beispiel von zentralen Barrieren ge-
sprochen, ohne das Wort zu erklären. Ich frage mich,
was Sie damit meinen. Meinen Sie eine bundespolitische
Barriere? Mir ist so etwas nicht bekannt.

Beim Antrag der FDP sieht es schon besser aus. Sie
haben einen besseren Bezug zu den Kompetenzebenen
der Länder und der Kommunen gefunden. Ebenso wie
bei den Grünen fehlt aber auch bei Ihnen die direkte An-
sprache der Eltern. Haben diese eine Verantwortung?


(Sibylle Laurischk [FDP]: Dazu habe ich eine ganze Rede gehalten!)


– Das steht aber nicht definitiv im Antrag.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Das habe ich doch in meiner Rede ausgeführt!)


Auf Seite 2 steht ein interessanter Satz:

Die soziale Lage der Eltern darf nicht über den Bil-
dungsweg der Kinder und Jugendlichen entschei-
den.

Das stimmt.


(Zuruf von der FDP: Chancengleichheit!)


Wir kommen jedoch nicht darum herum, zuzugeben,
dass die soziale Lage der Eltern letztlich doch entschei-
det. Unsere Aufgabe ist es, die Eltern zu stärken und ih-
nen Kompetenzen an die Hand zu geben, damit die Kin-
der einen besseren Zugang zur Bildung erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Nun komme ich zu Aspekten, von denen ich hoffe,
dass andere sie noch nicht in dem Sinne angesprochen
haben. Ich denke aber ähnlich wie Sie, Frau Lopez. Wir
müssen mehr für die Eltern tun. Wir müssen die Kompe-
tenz der Eltern erhöhen, denn wir dürfen nicht nur an
den Symptomen der viel beklagten Kinderarmut herum-
doktern. Eltern brauchen Deutschland als ein familien-
freundliches und kindergerechtes Land. Sie brauchen
ebenfalls familienfreundliche Gemeinden, Landkreise
und Bundesländer. Wir müssen hier klar äußern: Betreu-
ungsangebote sind Ländersache. Die Kommunen haben
ebenso viele Kompetenzen. Durch unseren Gesetzent-
wurf zur Förderung von Kindern unter drei Jahren eröff-
nen wir die Möglichkeit, gemeinsam mit den Kommu-
nen und den Ländern etwas für die Eltern zu tun. Auf
diesem Wege haben wir die Möglichkeit, den Kindern
die frühkindliche Bildung zuteil werden zu lassen, die
uns vorschwebt.

Eltern brauchen das Angebot einer hochkarätigen
frühkindlichen Bildung. In meinem Heimatland Sachsen
wurden in diesem Bereich schon erste Schritte getan.
Wie ich gehört habe, gilt das auch für andere Bundeslän-
der, die auch die Mittel für die Weiterbildung von Erzie-
herinnen und Erziehern, die schon in Arbeit sind, erhöht
haben. Es wurde ebenfalls ein neues Programm für die
Ausbildung von Erzieherinnen aufgelegt. Ich finde es
toll, dass im FDP-Antrag auch von Erziehern die Rede
ist. Ich finde es super, dass man auch die Männer in die-
sem anspruchsvollen Beruf anspricht. Es tut unseren






(A) (C)



(B) (D)


Katharina Landgraf
Kindern gut, wenn sich auch Männer an ihrer Ausbil-
dung und Betreuung beteiligen. Das soll auch ein Signal
unserer heutigen Debatte sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


In Sachsen wird übrigens auch das Ganztagesschul-
programm weiter gefördert. Dort steht nicht nur das
Bundesprogramm im Blickfeld. Wir haben ein Landes-
programm, und Schulen werden mit Mitteln für Hono-
rare ausgestattet und können entscheiden, welche
ehrenamtlich Tätigen und welche Experten weitere
Nachmittagsangebote an Ganztagsschulen anbieten. Ich
finde das gut.


(Caren Marks [SPD]: Lehrer!)


– Lehrer auch, aber auch andere von außen, zum Bei-
spiel aus den Vereinen.


(Caren Marks [SPD]: Ganztagsschule light!)


Eltern brauchen eine familienfreundliche Arbeits-
welt. Sie brauchen familienfreundliche Arbeitsplätze
und familienfreundliche Arbeitszeiten. Es gilt kein An-
wesenheitsmythos. Vielmehr muss die Arbeitszeit ver-
einbart werden. Dann ist die Motivation junger Eltern
am größten. Auch die Unternehmer haben Vorteile, das
müssten diese erkannt haben. Wir brauchen auch eine
Arbeitsagentur, die auch Mütter mit mehreren Kindern
vermitteln kann und will. Wir brauchen Netze, die zum
Beispiel durch Mehrgenerationenhäuser, Nachbarn,
Freunde, Paten, Großeltern und ehrenamtlich Tätige ge-
bildet werden.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Verantwortung wegschieben!)


– Nein, das ist nicht ein Wegschieben von Verantwor-
tung. Liebe Frau Reinke, alle müssen sich dazu beken-
nen. Vielleicht haben Sie es selbst nicht erlebt, aber wir
praktizieren es und tragen dazu bei, dass Umfeld und
Netz funktionieren. Die Grünen haben in ihrem Antrag
von Eltern-Kind-Zentren gesprochen. Unser Mehrgene-
rationengedanke geht noch einen Schritt weiter, denn er
umfasst eine Generation mehr. Das müssen wir in unse-
rer modernen Zeit mit ihrer mobilen Arbeitswelt fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird es den
Eltern ermöglichen, ihren Kindern eine verantwortliche
Erziehung angedeihen zu lassen und ihnen aus der Fami-
lie heraus Selbstbewusstsein zu vermitteln. Die Familie
pflanzt das ein, was ein Kind braucht, nämlich die Neu-
gier auf die Welt und einen Wissensdurst, der zuerst in
der Familie akzeptiert werden muss, um dann später von
uns, von der Öffentlichkeit, weiter gefördert zu werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Helga Lopez [SPD])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616612800

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Stöckel von der

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1616612900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als einer

der letzten Redner in dieser Debatte möchte ich hervor-
heben, dass heute wohltuend viele Gemeinsamkeiten
deutlich geworden sind. Wir teilen die Erkenntnisse,
dass das Thema Kinderarmut auf der Tagesordnung blei-
ben muss und dass wir alle – das gilt nicht nur für die
Mitglieder dieses Hauses, sondern auch für alle staatli-
chen Ebenen und gesellschaftlichen Institutionen sowie
für die Menschen im Lande – Verantwortung dafür tra-
gen, die Kinderarmut in diesem reichen Land konse-
quent zu bekämpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es darf nicht immer nur darum gehen, welche Armutsri-
siken in 20, 30 Jahren auf die Rentner zukommen, weil
wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht und versäumt
haben, heute die notwendigen Investitionen in die zu-
künftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu täti-
gen.

Es gibt Übereinstimmung, was die strukturellen
Veränderungen betrifft. Uns ist klar, dass wir die Kin-
derarmut nicht nur durch materielle Transferleistungen
bekämpfen können. Mit Ausnahme der Linken haben
wir deutlich gemacht, dass die Länder bei Bildung, Früh-
förderung, Elementarerziehung und Kinderbetreuung
Zuständigkeiten haben, dass wir aber gewillt sind, ihnen
zu helfen. Vor allen Dingen die alten Bundesländer sind
noch weit von der Erfüllung der Standards in diesem Be-
reich entfernt. Deshalb müssen unsere Anstrengungen
verstärkt werden.

Zur materiellen Existenzsicherung. Wir haben zuge-
sichert, dass wir im Herbst dieses Jahres auf der Grund-
lage der Existenzminimumberichte über die Neufestle-
gung der Steuerfreibeträge für Kinder und damit auch
über die Höhe des steuerfreien Existenzminimums und
der Regelsätze der Grundsicherung, über die Pfändungs-
freigrenzen usw. diskutieren. All dies muss dann ange-
passt werden.

Man kann sich darüber streiten, ob die Art und Weise,
wie die Transferleistungen erbracht werden, optimal ist.
Im Rahmen der Arbeitsmarktmaßnahmen und des
Grundsicherungssystems für Arbeitsuchende wird aller-
dings evaluiert, wie diese Maßnahmen wirken. Daher ist
es folgerichtig, auch dies zu überprüfen.

Ich möchte davor warnen, all die Maßnahmen, die im
Hinblick auf den Bürokratieabbau und die Herstellung
von Leistungsgerechtigkeit durch Pauschalierungen zu
Fortschritten geführt haben – das ist damals von allen
Seiten gefordert worden –, jetzt aus populistischen
Gründen zurückzunehmen. Ich bin der Meinung, dass es
Öffnungsklauseln für individuelle Hilfen und für Sach-
leistungen geben sollte. Diese sollten denjenigen zugute
kommen, die darauf angewiesen sind. Allgemeine
Rechtsansprüche nach dem Gießkannenprinzip einzu-
führen, lehne ich allerdings ab.






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Stöckel
Ich denke, dass es nicht hilft, in einen Wettbewerb
über die Höhe der Transferleistungen einzutreten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mir ist kein Vorschlag bekannt, weder von den Linken
noch von den Wohlfahrtsverbänden noch vom DGB noch
von anderen, nach dem durch eine Erhöhung der Trans-
ferleistungen eine Senkung des Armutsrisikos – auf der
Grundlage der EVS liegt die Armutsrisikogrenze bei
936 Euro pro Monat – erreicht würde.

Wir haben die Grundsicherungssysteme als Armuts-
bekämpfungsinstrumente eingeführt. Uns ist klar, dass
die Hauptursache für die Armut von Kindern die Tatsa-
che ist, dass ihre Eltern arbeitslos sind oder in prekären
Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Es ist richtig, in
diesem Bereich die vernünftige Politik, die die rot-grüne
Koalition in den letzten Legislaturperioden betrieben hat
und die wir Agenda 2010 genannt haben, fortzuführen;
denn sie hat zu positiven Ergebnissen geführt. Herr
Singhammer, die beste Botschaft lautet in der Tat: Die
Arbeitslosigkeit sinkt.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ja!)


Wir müssen allerdings auch dafür sorgen, dass die Men-
schen, die arbeiten, vernünftige Löhne bekommen.


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


Bei allen Gemeinsamkeiten muss ich Ministerin von
der Leyen Folgendes sagen – sie ist im Moment zwar
nicht hier, aber vielleicht wird ihr das überbracht –:
Wenn man als Familien-, Frauen- und Jugendministerin
gute Arbeit und staatliche Mindestlöhne ablehnt, dann
betreibt man eine Politik, die vor allen Dingen gegen er-
werbstätige alleinerziehende Frauen gerichtet ist.


(Beifall bei der SPD)


Das zeigt die Erfahrung in Großbritannien: Zu 80 bis
90 Prozent kommt dieses Instrument alleinerziehenden
erwerbstätigen Frauen zugute.

Frau Gruß, ich finde in Ihrem Antrag viele richtige
Ansätze. Ich möchte Ihnen das Angebot machen, dass
wir uns zusammensetzen und das, was in der Tat nicht
nur im Bereich der Bildung und Förderung, sondern
auch im Bereich der Jugendhilfe an Strukturverbesserun-
gen notwendig ist, gemeinsam mit der FDP umsetzen.

Am Samstag hat Ihr Parteivorsitzender, Guido Wes-
terwelle, in München eine Rede gehalten und sich groß
darüber ausgelassen, dass Nächstenliebe von den Men-
schen ausgeht, dass der Staat sie nicht ersetzen kann,
dass er das nicht leisten kann. Gleichzeitig fordern Sie in
Ihrem Antrag nicht nur von der Bundesregierung, son-
dern vom Staat insgesamt, noch größere Anstrengungen
als bisher zu unternehmen. Dabei gab es unter Rot-Grün
und gibt es auch jetzt unter der Großen Koalition mehr
an staatlichen Familienleistungen als jemals zuvor. Ent-
weder haben Sie den falschen Vorsitzenden,


(Miriam Gruß [FDP]: Mit Sicherheit nicht!)


oder Ihr Antrag ist eigentlich kein FDP-Antrag – diesen
Widerspruch müssen Sie in Ihrer Partei lösen!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe nicht mehr viel Redezeit, will aber noch an-
bringen: Ich respektiere Ihre Arbeit und die Ihrer Kolle-
ginnen und Kollegen in der Kinderkommission des
Deutschen Bundestages. Es ist mir, der ich einmal Mit-
glied der Kinderkommission war, wichtig, darauf hinzu-
weisen, dass der konsensorientierte Ansatz einer Arbeit
für Kinder und Kinderrechte in diesem Hause notwendig
ist. Ich vermisse Ihre Initiative, aber auch eine gemein-
same Initiative aller Fraktionen, für ein Antragsrecht der
Kinderkommission in diesem Hause.


(Miriam Gruß [FDP]: Wer war denn dagegen?)


Ich vermisse – schließlich wollen Sie mit Ihrem Antrag
etwas für die materielle Sicherung von Kindern tun –,
dass Sie sich für eine Ausweitung der Rechte von Kin-
dern aussprechen. Das heißt ganz klar: für die Einfüh-
rung eines Kinderwahlrechts ab Geburt. Ich weiß, dass
da nicht alle klatschen können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616613000

Herr Kollege Stöckel, ich habe Ihnen jetzt einen aus-

reichenden Kinderzuschlag gegeben; aber Sie müssen
jetzt zum Ende kommen.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1616613100

Damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident. – Es

reicht nicht aus, materielle Forderungen zu erheben.
Man muss Kindern und Familien die Rechte einräumen,
die andere selbstverständlich für sich in Anspruch neh-
men. Deshalb gehören das Kinderwahlrecht und ein An-
tragsrecht der Kinderkommission auf die Tagesordnung,
und die Kinderrechte gehören ins Grundgesetz.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden noch lange über diese Fragen diskutieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616613200

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der

Kollegin Miriam Gruß.


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1616613300

Sehr geehrter Herr Stöckel, als ehemaligem Mitglied

der Kinderkommission darf ich Ihnen in Erinnerung ru-
fen, dass wir in der Kinderkommission über ein Antrags-
recht der Kinderkommission im Deutschen Bundestag
beraten haben, dort aber das Einstimmigkeitsprinzip gilt.

Ich darf Ihnen mitteilen: Ich bin ebenso wie meine
Fraktion dafür. Ich kann Ihnen auch drei andere Fraktio-
nen nennen, die dafür sind. Jetzt bleibt es dem Publikum
und Ihnen überlassen, zu überlegen, welche Fraktion in
der Kinderkommission nicht dafür ist und warum ich
mich ausgerechnet auf Ihren Redebeitrag zu Wort melde.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)







(A) (C)



(D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616613400

Herr Kollege Stöckel zur Erwiderung.


(Miriam Gruß [FDP]: Jetzt kommt die Überraschung: eine Kehrtwende!)



Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1616613500

Herr Präsident! Frau Gruß, ich begrüße, dass die Un-

terstützung für dieses berechtigte Anliegen gewachsen
ist. Ich hoffe natürlich, dass das auch in meiner Fraktion
so ist.


(Zurufe von der FDP: Aha! – Hört! Hört!)


Aber ich rede hier als Sozialpolitiker, nicht nur als je-
mand, der einmal Kinderbeauftragter seiner Fraktion
war. Die Beachtung der Kinderrechte muss natürlich
auch dazu führen, dass sich die materiellen Bedingungen
für Kinder verbessern, vor allen Dingen für diejenigen,
die es am nötigsten haben. Das muss durchgesetzt wer-
den. Insofern begrüße ich Ihre Haltung, und ich biete Ih-
nen meine Zusammenarbeit gerne an.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wollen Sie die eigene Fraktion nicht überzeugen?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1616613600

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat nun die Kollegin Petra Hinz von der SPD-Fraktion
das Wort.


Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1616613700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gerade all diejenigen, die im Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu Hause sind,
werden sich sicherlich wundern, dass ich als Haushälte-
rin jetzt hier zu Wort komme. Erst einmal möchte ich
mich bei meiner Fraktion ganz herzlich dafür bedanken,
dass ich die Möglichkeit dazu habe. Wir wollen damit
deutlich machen, dass das, was hier heute besprochen
worden ist – Vorschläge, Initiativen usw. – auch umge-
setzt werden muss.

Wir haben für uns die Marschrichtung, dass all die
heutigen Lippenbekenntnisse des einen oder anderen bei
den nächsten Haushaltsberatungen in Form von Anträ-
gen Widerhall finden müssen. Es muss fiskalisch wie-
derzuerkennen sein.

Wenn ich das heute hier richtig verstanden habe, dann
sind wir uns darin einig, dass wir zur Beseitigung der
Armut deren Wurzeln bekämpfen müssen. Für mich ha-
ben sich hier heute zwei Lösungen herauskristallisiert:

Erstens ist das die Erwerbsarbeit für Eltern. Es ist
viel über den Mindestlohn, über die Verantwortung für
die Alleinerziehenden und diejenigen, die wieder in den
Beruf einsteigen wollen, gesprochen worden. All diese
Themen haben wir auch in den zurückliegenden Haus-
haltsberatungen auf den Weg gebracht.

Zweitens. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, he-
rauszusuchen, welche Maßnahmen gegen Kinderar-
mut wir auf den Weg gebracht haben, um das hier heute
im Plenum deutlich zu machen: Kinderzuschlag, Eltern-
geld, Erziehungsgeld, Unterhaltsvorschuss. Im Gegen-
satz zur Regierung – in diesem Fall zur Ministerin – war
das Thema Kindergeld für uns kein Ruhekissen, sondern
ganz im Gegenteil – Frau Künast hat das vorhin schon
gesagt –: Während unserer Regierungsverantwortung ist
das Kindergeld gestiegen. Das möchte ich hier auch
noch einmal deutlich machen.

Allerdings sagen wir Sozialdemokraten nach den vie-
len Debatten, die im Fachausschuss stattgefunden haben,
auch Ja zur Förderung von Familien und Kindern, aber
nicht mit der Gießkanne. Erreichen wir das, was wir
wollen, tatsächlich durch eine Kindergelderhöhung,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Staffelung des Kindergeldes!)


oder müssen wir in diesem Bereich nicht noch wesent-
lich mehr auf den Weg bringen? Die Devise muss doch
sein: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Dies wer-
den wir im Rahmen der Haushaltsberatungen auch tun.

Wir waren es, die für einen Rechtsanspruch auf Be-
treuung gesorgt haben. Das Kinderbetreuungsfinanzie-
rungsgesetz ist auf den Weg gebracht und verabschiedet
worden. Ich sage es hier noch einmal: 4 Milliarden Euro
stehen zum Beispiel für den Ausbau der Betreuungsin-
frastruktur und die Finanzierung von Betriebskosten zur
Verfügung.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Und Betreuungsgeld!)


Wir, der Bund, haben Wege gefunden, die Kommunen
und die Träger über das Land zu finanzieren und zu för-
dern.


(Beifall bei der SPD)


Wie sehen denn die Wirklichkeit und die Praxis aus?
In meiner Kommune, der Stadt Essen, ziehen sich einige
kirchliche Träger gerade aus der gesellschaftlichen
Verantwortung, die wir alle haben, zurück. Aufgrund
von Finanz- und Wirtschaftsplänen aus dem Jahre 2001
schließen sie gerade Kindertageseinrichtungen in nicht
unerheblicher Zahl. Dies tun sie nicht, weil kein Bedarf
vorhanden ist, weil keine langen Wartelisten bestehen
oder aufgrund des Finanzierungskonzeptes, sondern weil
von den Bewerbern nicht der entsprechende Glaube ver-
treten wird. All diejenigen, die angemeldet worden sind,
sind Muslime, Nichtgläubige oder wie auch immer.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Sie haben eine gesellschaftspolitische Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir waren diejenigen, die hier Fördergelder zur Ver-
fügung gestellt haben. Das Land und vor allem die Kom-
munen müssen finanziell entsprechend ausgestattet wer-
den. Schauen Sie sich an, was alles beim Land klebrig
hängen bleibt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


dass das Land Nordrhein-Westfalen das KiBiz auf den
Weg gebracht hat, die Finanzierung aber im Prinzip den

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Hinz (Essen)

Trägern überlassen wird, und dass dort Eltern, die mögli-
cherweise nicht zu den Begünstigten gehören, ihren Kin-
dern nicht mehr Zeit in Kindertagesstätten kaufen kön-
nen. Das ist die Wahrheit.

Ich erwarte von der Regierung, der Ministerin und
auch Ihnen, Herr Staatssekretär Kues, dass Sie im Rah-
men der Konferenzen zwischen Bund und Land genau
dies thematisieren, damit all die Punkte, die im Kinder-
armutsbericht dargestellt worden sind, auch mit Leben
erfüllt und umgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen also keine Förderung mit der Gießkanne,
sondern werden im Rahmen der Haushaltsberatungen
das fortsetzen, was wir auf den Weg gebracht haben. Wir
haben die Programme zum Ausbau der Ganztagsschule,
das Ganztagsbetreuungsgesetz und das neue Elterngeld
auf den Weg gebracht. All dies kann sich sehen lassen.
Aber darauf können wir uns nicht ausruhen. Deshalb
freue ich mich sehr auf die Beratung im Haushaltsaus-
schuss.

Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär Kues, den Fachaus-
schussmitgliedern und den Haushältern eine Auflistung
über alle Maßnahmen zu geben, die sich im Haushalt
und im Finanzkonzept widerspiegeln und deutlich ma-
chen, wo wir gemeinsam gegen Kinderarmut kämpfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616613800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/9433 und 16/9028 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion Die Linke zur Änderung des Unterhaltsvor-
schussgesetzes. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/9440, den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7889 abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und
FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 a sowie die Zu-
satzpunkte 2 a bis 2 c auf:

36 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Die europäische Integration der Republik
Moldova unterstützen

– Drucksache 16/9358 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Chris-
tian Ahrendt, Carl-Ludwig Thiele, Hans-Michael
Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Optimaler Darlehensnehmerschutz bei Kre-
ditverkäufen an Finanzinvestoren

– Drucksache 16/8548 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Ton-
car, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Europäisches Parlament stärken – Sitzfrage
durch Europaparlamentarier entscheiden las-
sen

– Drucksache 16/9427 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vertrag über die Beteiligung von Kapitalanle-
gern an den Verkehrs-, Logistik- und zugehö-
rigen Dienstleistungsgesellschaften der Deut-
sche Bahn AG durch externen Sachverstand
prüfen lassen

– Drucksache 16/9474 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache 16/9358 zu
Tagesordnungspunkt 36 a federführend vom Auswärti-
gen Ausschuss beraten werden soll. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b so-
wie 37 d bis 37 n auf. Es handelt sich um die Beschluss-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
fassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge-
sehen ist.

Tagesordnungspunkt 37 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bevölkerungsstatistikgeset-
zes

– Drucksache 16/9040, 16/9079 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksachen 16/9319 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kristina Köhler (Wiesbaden)

Siegmund Ehrmann
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/9319, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/9040 und
16/9079 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller
Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 8. November 2007
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Königreich Saudi-Arabien zur Ver-
meidung der Doppelbesteuerung auf dem Ge-
biet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen von Luftfahrtunternehmen und der
Steuern von den Vergütungen ihrer Arbeit-
nehmer

– Drucksache 16/9276 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/9459 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Dr. Gerhard Schick

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/9459, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9276 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und FDP bei Stimmenthaltung der Linken und der
Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-
vor angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)


Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages
hier: Vereinbarung zwischen dem Deutschen
Bundestag und der Bundesregierung über die
Zusammenarbeit in Angelegenheiten der
Europäischen Union

– Drucksache 16/9400 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Dr. Carl-Christian Dressel
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck (Köln)


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 37 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 415 zu Petitionen

– Drucksache 16/9323 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 415 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 37 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 416 zu Petitionen

– Drucksache 16/9324 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 416 ist bei Stimment-
haltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der
übrigen Fraktionen angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Tagesordnungspunkt 37 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 417 zu Petitionen

– Drucksache 16/9325 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 417 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Linken bei Stimmenthaltung der Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 37 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 418 zu Petitionen

– Drucksache 16/9326 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 418 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 37 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 419 zu Petitionen

– Drucksache 16/9327 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 37 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 420 zu Petitionen

– Drucksache 16/9328 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 420 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Linken bei Stimmenthaltung der Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 37 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 421 zu Petitionen

– Drucksache 16/9330 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 421 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Linken und der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 422 zu Petitionen
– Drucksache 16/9331 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von
FDP und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 423 zu Petitionen
– Drucksache 16/9332 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 423 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stim-
men von FDP und Linken angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 424 zu Petitionen
– Drucksache 16/9333 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP
und der Grünen bei Enthaltung der Linken angenom-
men.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches So-
zialgesetzbuch – Verbesserung der Ausbil-
dungschancen förderungsbedürftiger junger
Menschen
– Drucksache 16/8718, 16/9238 –

– Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


– Drucksache 16/9456 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller (Erlangen)



(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/9465 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Klaus Brandner das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


K
Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1616613900


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Unsere Gesellschaft mit der sozialen Marktwirtschaft
lebt davon, dass sie Chancen eröffnet. Wenn sie zulässt,
dass junge Menschen, die sich bemühen, auf unüber-
windliche Hürden treffen, dann wird sie langfristig ins
Wanken geraten, dann ist in unserem Land etwas nicht in
Ordnung.

Zu diesen Hürden gehört auch, dass junge Menschen
in ein Raster eingeteilt werden, ob sie für eine Ausbil-
dung geeignet sind oder nicht. Wenn es um junge Men-
schen geht, finde ich eine solche Unterscheidung zy-
nisch.


(Beifall bei der SPD und der FDP)


Jede und jeder verdienen eine Chance. Jede und jeder
sollen sich ihren Platz in der Gesellschaft erarbeiten kön-
nen. Eines muss klar sein: Qualitativ gute Arbeit ist nur
durch eine gute Ausbildung möglich. Für die meisten Ju-
gendlichen bleibt die Ausbildung der zentrale Weg in
Arbeit.

Deshalb bringen wir mit dem Fünften Gesetz zur Än-
derung des SGB III neue Maßnahmen mit einem wichti-
gen Anliegen auf den Weg, nämlich die Verbesserung
der Ausbildungschancen junger Menschen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ausbildungsbonus und Berufseinstiegsbegleitung sind
die Antwort auf zwei Probleme, die immer drängender
werden und die für viele zum Stolperstein geworden
sind, die schon lange auf einen Ausbildungsplatz warten.
Erstens. Zum einen ist es die enorm gestiegene Zahl der
Altbewerber. Zweitens. Zum anderen beobachten wir
wachsende Schwierigkeiten insbesondere für Jugendli-
che mit einem Hauptschulabschluss bei der Suche nach
einem betrieblichen Ausbildungsplatz.

Sicher, wir haben mit dem Ausbildungspakt eine deut-
liche Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze erreicht.
Immerhin gibt es über 625 000 neu abgeschlossene Aus-
bildungsverträge. Das ist der zweithöchste Wert, den wir
seit der Wiedervereinigung zu verzeichnen haben. Über
53 000 erstmalig ausbildende Betriebe sind ein Beleg
dafür,


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


dass sich die Anstrengungen in unserem Land gelohnt
haben. Das ist die gute Nachricht.
Die schlechte ist: Es gibt noch immer deutlich zu
viele Altbewerber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Darum wollen wir eine zeitlich befristete Förderung von
Altbewerbern auf den Weg bringen. Bundesregierung
und Bundestag stimmen jedenfalls darin überein, dass
wir diejenigen Unternehmen unterstützen wollen, die zu-
sätzliche Ausbildungsplätze schaffen und mit Jugendli-
chen besetzen, die als Altbewerber schon lange nach ei-
nem Ausbildungsplatz suchen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU])


Wir wollen mit dem Ausbildungspakt und dem Aus-
bildungsbonus allen eine Chance auf eine Ausbildung
geben, damit sich ihre Berufswünsche erfüllen und die
Suche nach einem Ausbildungsplatz zu einem guten Ab-
schluss führt. Mit dem Ausbildungsbonus wollen wir in
den kommenden drei Ausbildungsjahren 100 000 Altbe-
werbern eine Chance zum Einstieg in das duale Ausbil-
dungssystem eröffnen. Die Anhörung, die wir am
26. April dieses Jahres dazu durchgeführt haben, hat ge-
zeigt


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Mai! Aber sonst war es richtig!)


– stimmt, es war im Mai; schön, dass wir eine gute Ko-
alition sind, in der man gegenseitig auf das Wesentliche
achtet; danke, Herr Kollege Brauksiepe –, dass unser
Anliegen, die Ausbildungsplatzlage durch unterstüt-
zende Maßnahmen zu verbessern, auf eine grundsätzlich
positive Resonanz gestoßen ist. Auch der Bundesrat
sieht Handlungsbedarf, wie die von ihm beschlossene
Gesetzesinitiative für ein Altbewerbergesetz zeigt.

Die Anhörung hat aber auch deutlich gemacht, dass es
schwierig ist, eine Lösung zu finden, die Fehlanreize und
Mitnahmeeffekte quasi zu 100 Prozent ausschließt. Wenn
aber Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausrei-
chend nachkommen, dürfen darunter nicht die jungen
Menschen in unserem Land leiden, die heute auf der
Straße stehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb muss jetzt steuernd eingegriffen und mitgehol-
fen werden, auch für Altbewerber eine Ausbildung zu
organisieren. Genau das wollen wir mit dem Gesetz er-
reichen.

Wir haben nach der Anhörung Modifizierungen am
Gesetzentwurf vorgenommen und das Anliegen noch
klarer und fester verankert. Dabei ist die Förderung mit
dem Ausbildungsbonus kein Selbstzweck zur Unterstüt-
zung von Arbeitgebern. Wir wollen ausdrücklich allein
zusätzliche Anstrengungen unterstützen; denn wir brau-
chen noch deutlich mehr und zusätzliche betriebliche
Ausbildungsplätze für junge Menschen, die schon seit
längerem auf eine Chance warten. Nur durch zusätzliche
Ausbildungsplätze bleibt gleichzeitig die Chance für Be-
werber des aktuellen Schulabgängerjahrgangs erhalten.






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Klaus Brandner
Ich sage ganz offen, dass im Zusammenhang mit der
Förderung oft von Mitnahmeeffekten die Rede ist. Wir
haben im Gesetzgebungsverfahren versucht, Mitnahme-
effekte so gut wie auszuschließen. Zu 100 Prozent sind
sie nie auszuschließen. Aber sollen wir die Chancen jun-
ger Menschen einfach unberücksichtigt lassen, nur weil
es Mitnahmemöglichkeiten gibt? Ich denke: Nein. Wir
müssen mutig sein. Insofern haben wir konsequent ge-
handelt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Wir haben deshalb den Rechtsanspruch auf eine För-
derung auf diejenigen konzentriert, die keinen Schulab-
schluss, einen Sonderschulabschluss oder einen Haupt-
schulabschluss haben.

Dazu werden Jugendliche berücksichtigt, die sozial
benachteiligt oder lernbeeinträchtigt sind. Wir haben die
Auszahlungsweise dem Vorschlag der Wirtschaftsver-
bände angepasst. Der Bonus wird zu 50 Prozent nach der
Probezeit und zu 50 Prozent bei der Anmeldung zur Ab-
schlussprüfung gezahlt. Auch damit, dass bei Teilnahme
an einer Einstiegsqualifizierung beim selben Arbeitgeber
der Förderausschluss durch eine Anrechnungslösung er-
setzt wird, sind wir dem Vorschlag der Wirtschaftsver-
bände gefolgt. Wir erhoffen uns jetzt, dass sie aktiv mit-
helfen, das Altbewerberproblem zu lösen. Wir verbinden
damit die Erwartung einer breiten Zustimmung, und wir
hoffen, dass der Weg jetzt frei ist, damit die Agenturen
für Arbeit nach der Beratung im Bundesrat im Juli zügig
die gesetzlichen Möglichkeiten umsetzen können. Wir
haben nämlich einen äußerst ehrgeizigen Zeitplan. Der
Ausbildungsbonus soll zu Beginn des Ausbildungs-
jahres 2008 voll wirken. Auch im Hinblick auf die Be-
rufseinstiegsbegleitung – ein weiteres Element – und die
Auswahl der 1 000 Schulen brauchen wir ein schnelles
Verfahren, weil der Vorlauf sehr kurz ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Berufseinstiegsbegleitung hat im parlamentari-
schen Verfahren viel positive Resonanz erfahren, aber
auch ab und an Skepsis, und zwar deshalb, weil wir mit
dieser Initiative auch Gefahr laufen könnten, ehrenamtli-
che Initiativen zu verdrängen. Ich glaube, wir müssen
sehr sorgfältig mit dem Thema umgehen. Ich bin mir
aber sicher, dass es im Zuge der Umsetzung vor Ort ge-
meinsam mit Schulen, Arbeitgebern und all denen, die
auf diesem Gebiet bisher schon praktisch wertvolle Ar-
beit geleistet haben, gelingen wird, mehr Menschen in
eine Ausbildung zu bringen. Das Ziel der Integration
junger Menschen durch Ausbildung in die Arbeit ist da-
bei das wesentliche Ziel, das wir uns vorgenommen ha-
ben.

Deshalb darf ich sagen: Wir wirken mit all denen, die
dieses Ziel verfolgen, zusammen und sind auf einem
guten Weg. Alle können mit anpacken. Auch die Oppo-
sitionsparteien können mit anpacken, indem sie diesem
guten Gesetzentwurf ihre Unterstützung nicht versagen.
Ich hoffe jedenfalls auf eine breite Unterstützung und
darauf, dass viele junge Menschen wieder eine Zukunfts-
chance haben.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616614000

Das Wort hat nun Jörg Rohde, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1616614100

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Herr Staatssekretär, ich habe Ihre Rede
sehr aufmerksam verfolgt, und Sie haben ab und zu Bei-
fall über die Fraktionsgrenzen hinweg bekommen, auch
von der FDP.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir stimmen im Ziel überein, aber ich habe vermisst,
dass Sie darauf hinweisen, wer am Ende die Zeche zahlt.


(Beifall bei der FDP)


Das ist ein entscheidender Punkt, um das in meiner Rede
vorweg zu nehmen. Sie hätten schon sagen sollen, wer
zahlt. Ich komme darauf zurück.

Wir haben im April in erster Lesung gemeinsam über
den sogenannten Ausbildungsbonus beraten. Wir Libe-
rale hatten Ihnen von der Großen Koalition signalisiert,
dass wir das Ziel Ihres Ansinnens mittragen.


(Jörg Tauss [SPD]: Also, gute Rede!)


Auch die FDP hält es für richtig, förderungsbedürftigen
Jugendlichen, die schon seit Jahren einen Ausbildungs-
platz suchen, durch einen Arbeitgeberzuschuss eine
Chance für eine betriebliche Berufsausbildung zu geben.
Aber wir haben Ihnen von der Union und der SPD auch
unsere Bedenken mitgeteilt. Der Bonus schien uns we-
der hinreichend zielgenau auf die wirklichen Problem-
fälle zugeschnitten, noch konnte der Entwurf Mitnahme-
effekte bei den Arbeitgebern wirklich verhindern. Vor
allem aber hatten wir von der FDP darauf hingewiesen,
dass die Verbesserung der Ausbildungschancen Jugend-
licher keine Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, also
allein der angestellten Erwerbstätigen, ist, sondern dass
wir dies als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehen,
die ergo aus Steuermitteln zu finanzieren wäre.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU] und der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der folgenden Anhörung des Bundestagsausschusses
für Arbeit und Soziales haben die Experten unsere Kritik
mehrheitlich bestätigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Regie-
rungskoalition, die Hausaufgaben für Sie waren glasklar:
Erstens. Nur die Jugendlichen fördern, die aus eigener
Kraft keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben.
Zweitens. Echte Anreize zum Abschluss der Ausbildung
setzen und damit Mitnahmeeffekte vermeiden. Drittens.
Die Arbeitslosenversicherung nicht mit versicherungs-
fremden Ausgaben belasten.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Rohde
Werte Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Rot,
Ihre gestern im Bundestagsausschuss für Arbeit und So-
ziales präsentierten Lösungen für diese Aufgaben blei-
ben weit hinter unseren Erwartungen und auch den Rat-
schlägen der Sachverständigen zurück.


(Beifall bei der FDP)


Sie erweisen sich leider selbst als lernbeeinträchtigt: Der
Anhörung im Ausschuss konnten Sie ganz offensichtlich
nicht in Gänze folgen; sonst wären Sie bei der Korrektur
Ihres eigenen Gesetzentwurfs nicht auf halbem Wege
stehen geblieben. Ich prophezeie Ihnen deshalb: Viele
von Ihnen werden in dieser Verfassung die Versetzung in
die nächste Legislatur wohl nicht schaffen.

Es ist paradox: Die Regierung erwartet von den Be-
trieben und Unternehmen, dass diese mehr Ausbildungs-
plätze anbieten, insbesondere für schwer in Ausbildung
vermittelbare Jugendliche. Aber wenn die Arbeitgeber in
einer Bundestagsanhörung erläutern, wie eine Förder-
maßnahme für die betroffene Gruppe aussehen sollte,
gehen die Regierungsfraktionen über diese Anregung
hinweg.

Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund, der nicht ge-
rade als treuer Gefährte der BDA bekannt ist, steht hier
eng an der Seite der Arbeitgeber und hat vor der heuti-
gen Debatte noch einmal eindringlich davor gewarnt,
den Kreis der Förderberechtigten zu weit zu fassen.


(Beifall bei der FDP)


Statt einer Gießkannenförderung brauchen wir ein In-
strument, das eindeutig auf die schwächsten Jugendli-
chen ausgerichtet ist. Jede andere Lösung wird zur Rosi-
nenpickerei durch die ausbildenden Unternehmen auf
dem Markt förderberechtigter Jugendlicher führen. Die
Koalition hat mit diesem Gesetzentwurf einige kleine
Schritte in die richtige Richtung gemacht. Das erkennen
wir ausdrücklich an. Sie haben aber nicht den Mut auf-
gebracht, einigen Jugendlichen zu sagen: Du hast es aus
verschiedenen Gründen nicht leicht, kannst es aber den-
noch aus eigener Kraft schaffen. Vor allem von den Kol-
legen der CSU und der CDU hätte ich hier mehr erwar-
tet.

Ihrem Ausbildungsbonus fehlt auch ein wichtiger Er-
folgsanreiz. Wir von der FDP haben vorgeschlagen, die
zweite Hälfte des Bonus erst dann auszuzahlen, wenn
der Auszubildende die Abschlussprüfung absolviert hat.
Ausdrücklich wollen wir Liberale die Förderung nicht an
ein Bestehen der Prüfung knüpfen; aber es muss gewähr-
leistet sein, dass die Ausbildung abgeschlossen wird.

Gerade bei den förderbedürftigen Jugendlichen ist die
Quote der Ausbildungsabbrecher sehr hoch. Wir müssen
den Unternehmen hier also einen Anreiz bieten, ihre
Schützlinge auch wirklich bis zum Ende bei der Stange
zu halten.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb sollte die letzte Rate des Bonus erst dann ausge-
zahlt werden, wenn der Auszubildende die Abschluss-
prüfungen tatsächlich in Angriff genommen hat.
Neben diesen inhaltlichen Mängeln ist es aber vor al-
lem ein ordnungspolitischer Fauxpas, der uns Liberale
zur Ablehnung dieses Gesetzentwurfs zwingt; ich habe
schon darauf hingewiesen. Auch von zahlreichen Sach-
verständigen haben Sie von Schwarz-Rot sich nicht da-
von abbringen lassen, das Instrument aus Beitragsmit-
teln der Bundesagentur für Arbeit finanzieren zu wollen.

Wir reden hier von Jugendlichen, die noch nie einen
einzigen Cent in die Arbeitslosenversicherung einge-
zahlt haben. Wir reden hier von Jugendlichen, die keine
adäquaten Schulabschlüsse haben. Wir reden hier von
Jugendlichen, die eine Lernbeeinträchtigung haben oder
sozial benachteiligt sind.


(Christel Humme [SPD]: Wollen Sie die zurücklassen?)


Der Ausgleich all dieser Ausbildungshemmnisse ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe,


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Richtig!)


muss also von allen gestemmt werden, nicht nur von den
Beitragszahlern der Arbeitslosenversicherung.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])


Nicht nur der FDP, sondern auch der Mehrheit der
Sachverständigen in der Anhörung ist schleierhaft, wa-
rum die Koalition hier die Kasse der Bundesagentur
plündern will. Mit einem solchen Griff ins Portemonnaie
der Beitragszahler nehmen Sie von Union und SPD dem
Parlament weiteren Spielraum, den Beitrag zur Arbeits-
losenversicherung zu senken und damit den Faktor Ar-
beit insgesamt von den hohen Lohnnebenkosten zu ent-
lasten. Die FDP hält bei der Arbeitslosenversicherung
einen Beitragssatz von weniger als 3 Prozent für mög-
lich.


(Beifall bei der FDP)


Mit dem Gesetz zum Ausbildungsbonus steuert die Bun-
desregierung nun in die Gegenrichtung. Dies hätten wir
gerne vermieden.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat
die Zeit zwischen erster und dritter Lesung für eine Um-
frage genutzt. 12 000 Unternehmen haben online zum
Thema Ausbildungsplätze abgestimmt. Die Ergebnisse
der Umfrage dürften Sie von der großen sozialdemokra-
tischen Koalition überrascht haben – für die FDP waren
sie absehbar –: 85 Prozent der Unternehmen haben er-
klärt, dass der Ausbildungsbonus ihre Ausbildungspläne
überhaupt nicht beeinflusst. Von den gerade einmal
5 Prozent der Betriebe, die mit dem Bonus einen neuen
Ausbildungsplatz schaffen wollen, sind die meisten im
Gastgewerbe und im Handel aktiv, also dort, wo ohnehin
traditionell schlechter qualifizierte Bewerber ausgebil-
det, aber häufig nicht übernommen werden. Ich hatte
heute Morgen selber einen Anruf von einem Unterneh-
mer. Ich habe ihn direkt gefragt: Wie sieht’s aus? Wirst
du mit diesem Instrument arbeiten? Antwort: Nein;


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Jörg Rohde
ich mache Ausbildungsplätze nur dann, wenn sie Aus-
sicht auf Erfolg haben.


(Andrea Nahles [SPD]: War das eine repräsentative Umfrage?)


– Das war nicht repräsentativ. Ich konnte nur eine Stich-
probe machen. Aber die Umfrage bei den 12 000 war re-
präsentativ. – Diese ernüchternde Aussage darf aber
nicht als Destruktivität der Unternehmen bewertet wer-
den.

Klipp und klar haben die Unternehmen erklärt, wel-
che Maßnahmen sie stattdessen von der Politik erwarten.
Ganz oben steht dabei der Wunsch nach einer besseren
schulischen Vorbildung der Bewerber. Fast zwei Drittel
der Unternehmen haben Schwierigkeiten mit dem Bil-
dungsstand der Jugendlichen. Hier liegt das eigentliche
Problem: Zu viele Jugendliche verlassen die Schule ohne
hinreichende Ausbildungsreife. Wer dieses Problem löst,
meine Damen und Herren, braucht sich später keine Ge-
danken um Ausbildungsplätze und Fachkräftemangel zu
machen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das nützt den Jugendlichen aber jetzt nicht!)


Ich bringe die Position der FDP in einem Satz auf den
Punkt: Die FDP lehnt den Griff in die Kasse der Arbeits-
losenversicherung und damit der Beitragszahler ab und
wird deshalb bei aller Sympathie für das Anliegen dem
vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Das hilft den Leuten aber bedauerlicherweise gar nicht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616614200

Das Wort hat nun Franz Romer für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Franz Romer (CDU):
Rede ID: ID1616614300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wir können mit dem nun vorliegen-
den Gesetzentwurf zum Ausbildungsbonus zufrieden
sein. Damit werden wir den Sockel der Altbewerber ziel-
sicher abbauen, ohne bestehende Ausbildungsplätze zu
gefährden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist der Ersatz des Wissens durch Hoffnung!)


Wir werden einem großen Teil der sogenannten Alt-
bewerber die Chance geben, einen Ausbildungsplatz zu
finden und den Übergang von Schule zu Beruf zu schaf-
fen. Damit geben wir ihnen vor allem die Möglichkeit,
für ihr weiteres Leben Eigenverantwortung zu überneh-
men. Kein anderer Faktor führt zwangsläufig so sicher
zu Hartz IV und Arbeitslosigkeit wie eine fehlende Be-
rufsausbildung. Es muss unser Ziel sein, jedem Schulab-
gänger eine Berufsausbildung zu ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Herr Kollege Rohde, jeder anschließend Beschäftigte
leistet dann Beiträge zur Arbeitslosenversicherung


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)


und bezahlt damit seinen Bonus über die Jahre wieder
zurück. Deshalb ist die Finanzierung über die BA auch
voll gerechtfertigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wenn er in Beschäftigung ist!)


Wir alle wissen, dass die Anforderungen der Ausbil-
dungsbetriebe heute sehr hoch sind. Letztlich braucht die
Wirtschaft aber auch gut qualifizierte Arbeitskräfte. Mit
dem Ausbildungsbonus und der Berufseinstiegsbeglei-
tung vermitteln wir zwischen dem hohen Anspruch der
Betriebe und den vorhandenen Fähigkeiten der Schulab-
gänger. Aus meinem Wahlkreis weiß ich, dass viele Ju-
gendliche die Schule mit nur mittleren oder unterdurch-
schnittlichen Ergebnissen verlassen. Dann kommt es
schnell zu Benachteiligungen bei der Ausbildungsplatz-
suche. Das wird nun nicht mehr so leicht passieren.

Ich will hier einen wichtigen Punkt ansprechen: Wir
müssen sicherstellen, dass nur zusätzliche Ausbildungs-
plätze gefördert werden. Missbrauch muss verhindert
werden. Das Gesetz trägt diesem Problem ausreichend
Rechnung. Ein Ausbildungsplatz gilt nur dann als zu-
sätzlich, wenn damit die durchschnittliche Zahl der Aus-
bildungsplätze der letzten drei Jahre überschritten wird.
Bleibt die Zahl der Plätze konstant, wird nicht gefördert.
Wir können gut mit den Kammern zusammenarbeiten,
um Missbrauch grundsätzlich zu verhindern. Durch den
Ausbildungsbonus hat kein Neubewerber schlechtere
Chancen gegenüber Altbewerbern.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir mit diesem Gesetz
gleichfalls die Berufseinstiegsbegleitung einführen so-
wie die vielen ehrenamtlichen Projekte und die Partner-
schaften zwischen Betrieben und Schulen unterstützen.

Eine konsequente Begleitung bei der Berufswahl,
beim Übergang von Schule zu Beruf und zu Beginn der
Ausbildung ist besonders für Jugendliche mit mittleren
und schlechteren Schulabschlüssen wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit Beendigung der Schule können sich junge Men-
schen erstmals nach ihren Fähigkeiten und Leistungen
frei für einen Beruf entscheiden. Hier müssen wir im Be-
darfsfall in der Lage sein, zu helfen. Dafür schaffen wir
nun die Grundlage.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
betonen, dass wir auch eine Förderung von Zweitausbil-
dungen mit dem Ausbildungsbonus als Ermessensleis-
tung zulassen. Damit kann gerade denjenigen, die wäh-
rend der Ausbildung Probleme hatten, eine neue,
zusätzliche Chance gegeben werden, einen passenden
Ausbildungsplatz zu finden. Wir können es uns nicht
leisten, dass motivierte Auszubildende wegen des Ab-
bruchs einer Ausbildung, die ihren Fähigkeiten und Inte-
ressen vielleicht nicht entsprach, ihr Leben lang benach-
teiligt sind.






(A) (C)



(B) (D)


Franz Romer
Die Anhörung zum Gesetzentwurf hat gezeigt, dass
wir auf dem richtigen Weg sind. Die Experten haben das
Vorhaben der Koalition begrüßt. Kritisiert wurden aber
einzelne Punkte, wie die breite Zielgruppe der Förde-
rung sowie die fehlende Vereinbarkeit von Einstiegsqua-
lifizierung und Förderung. Hier haben wir nachgebes-
sert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Rohde [FDP]: Bei anderen Punkten nicht!)


Das Gesetz sieht nun vor, dass der Ausbildungsbonus
für Auszubildende mit mittlerem Schulabschluss nur
noch als Ermessensleistung gewährt wird und kein di-
rekter Anspruch auf diese Leistung besteht.

Auch bei der Einstiegsqualifizierung beim selben Ar-
beitgeber gibt es nun eine Anrechnungslösung.

Die Auszahlungsbedingungen sind ebenfalls ange-
passt worden. Nun wird der Bonus zur einen Hälfte nach
Ablauf der Probezeit und zur anderen Hälfte nach An-
meldung zur Abschlussprüfung ausgezahlt. So erreichen
wir, dass abgebrochene Ausbildungsverhältnisse nicht
weiter gefördert werden und für beide Seiten Anreize be-
stehen, eine Ausbildung auch zu Ende zu führen.

Ich bin mit der gefundenen Lösung sehr zufrieden.
Der Anteil von mehr als 50 Prozent Altbewerbern ist auf
Dauer nicht vertretbar,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


wenn wir international wettbewerbsfähig bleiben wol-
len. In Deutschland können wir kaum noch rentable Ar-
beitsplätze halten, die ohne eine hochwertige Ausbil-
dung auszufüllen sind. Also helfen wir nicht nur den
Jugendlichen in ihrer individuellen Entwicklung, son-
dern auch den Betrieben. Für die Zukunft ersparen wir
der Allgemeinheit die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit
und sichern zusätzlich qualifizierte Arbeitskräfte für un-
sere Wirtschaft.

Ich bin überzeugt, dass die Einführung des Ausbil-
dungsbonus günstiger und effizienter sein wird, als eine
große Zahl von Bewerbern außerbetrieblich auszubilden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616614400

Das Wort hat nun Cornelia Hirsch, Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Hirsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616614500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wer ausbildet, soll unterstützt werden; wer nicht ausbil-
det, soll zahlen. Das ist das ebenso einfache wie gerechte
Prinzip einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Kommen Sie auch noch mit diesem alten Ladenhüter!)

Gerecht ist dieses Prinzip gleich doppelt:

Erstens, weil es einen Ausgleich schafft zwischen den
Unternehmen, die ausbilden, und den Unternehmen, die
nicht ausbilden. Ein Unternehmen, das nicht ausbildet,
kann dann nämlich nicht mehr, ohne irgendwelche Kon-
sequenzen befürchten zu müssen, dem Unternehmen,
das ausbildet, die fertig ausgebildeten Fachkräfte weg-
schnappen.


(Jörg Rohde [FDP]: Was hat das mit dem Gesetzentwurf zu tun?)


Gerecht ist es zweitens, weil es Zukunft für die Ju-
gendlichen sichert. Es kann nämlich gesetzlich dafür ge-
sorgt werden, dass es ein auswahlfähiges, also ein aus-
reichendes Angebot an Ausbildungsplätzen für alle
Jugendlichen gibt. Deshalb sagt die Linke weiterhin: Die
Forderung nach einer gesetzlichen Ausbildungsplatzum-
lage ist nicht vom Tisch. Daran halten wir weiter fest.


(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Keine Drohungen!)


Sie legen uns heute den Ausbildungsbonus vor. Die-
ser Bonus folgt leider geradewegs dem entgegengesetz-
ten Prinzip; er ist gleich doppelt ungerecht. Erstens ist er
ungerecht, weil er die Unternehmen für ihre jahrelange
Ausbildungsverweigerung auch noch belohnt.


(Christel Humme [SPD]: Da oben sitzen junge Menschen! Was sagen Sie denn denen? – Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch populistischer Quatsch, den Sie da erzählen!)


Man kann sich ein konkretes Beispiel anschauen: Ein
Unternehmen hatte letztes Jahr die Bewerbung eines
Hauptschülers vorliegen. Aber da es einen Ausbildungs-
platz wegrationalisiert hatte, konnte er in dem Jahr nicht
ausgebildet werden. In diesem Jahr bekommt das Unter-
nehmen eine erneute Bewerbung des Jugendlichen und
stellt ihn ein. Dafür bekommt es von Ihnen auch noch
eine Prämie zwischen 4 000 und 6 000 Euro überwiesen.


(Andrea Nahles [SPD]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen! Da gibt es die Kriterien der Zusätzlichkeit!)


Da fragen wir uns: Ist es in irgendeiner Form gerecht,
ein Unternehmen dafür zu belohnen, dass es einen Ju-
gendlichen ein Jahr einfach so im Regen hat stehen las-
sen? Das finden wir nicht richtig. Ausbildung ist keine
Wohltätigkeit von Unternehmen; Ausbildung ist Pflicht.


(Beifall bei der LINKEN – Christel Humme [SPD]: Und darum sollten wir nichts tun und die Jugendlichen im Stich lassen, oder wie?)


Zweitens ist der Ausbildungsbonus ungerecht, weil er
keine nachhaltige Zukunftsperspektive für die Jugendli-
chen bietet. Denn mit diesem Gesetz tun Sie mal wieder
nichts weiter, als an den Symptomen herumzudoktern,
anstatt endlich einmal die Ursachen für die Ausbildungs-
misere anzugehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im aktuellen Berufsbildungsbericht steht die erschre-
ckend hohe Zahl von 385 000 Jugendlichen, die mindes-






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Hirsch
tens – zum Teil deutlich länger – ein Jahr auf der Suche
nach einem Ausbildungsplatz sind. Diese erschreckend
hohe Zahl von 385 000 Jugendlichen ist kein Zufall oder
hat ihre Ursache in der Dummheit der Betroffenen, son-
dern sie ist das konkrete Ergebnis der Ausbildungspoli-
tik der letzten Jahre.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen kann es nicht heißen: Wir machen einfach
weiter mit dem Pakt. – Denn dieser Pakt ist gescheitert;
er ist für diese hohe Zahl von Jugendlichen ohne Ausbil-
dungsplatz verantwortlich. Man kann auch nicht nach
dem Motto „Weiter so!“ fortfahren, nichts gegen die
Warteschleifen zu unternehmen. Denn Jugendliche brau-
chen Ausbildungsplätze.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt natürlich noch eine zweite Lesart für diesen
Ausbildungsbonus. Man kann ihn auch als ein Förder-
instrument verstehen. Zumindest versuchen Sie, dies deut-
lich zu machen; denn schließlich trägt der Gesetzentwurf
den Titel „Verbesserung der Ausbildungschancen förde-
rungsbedürftiger junger Menschen“. Das Problem daran
ist nur, dass diese Förderung zwar im Titel enthalten ist,
aber der Inhalt des Gesetzes dies nicht widerspiegelt.

Wiederum ganz konkret: Wenn Ihre Zielgruppe wirk-
lich die Jugendlichen sind, die förderungsbedürftig sind
und die demnach einer Unterstützung bedürfen, dann
frage ich Sie: Was ist das für eine Unterstützung dieser
Jugendlichen, wenn Sie ein paar Tausender an ihre Ar-
beitgeber überweisen? Das ist keine Unterstützung. Da-
rum halten wir diesen Ansatz als Förderungsinstrument
für nicht schlüssig.


(Beifall bei der LINKEN – Andrea Nahles [SPD]: Das ist hanebüchen!)


Wenn Sie den Ausbildungsbonus tatsächlich zu einem
Förderinstrument hätten ausbauen wollen, dann hätten
Sie besser auf die Meinung der Sachverständigen in der
Anhörung hören müssen. Das hätte bedeutet:

Erstens. Die Zielgruppe wäre deutlicher eingegrenzt,
als Sie es tun. Der einzige Punkt, an dem Sie nachgebes-
sert haben, war, die Realschüler aus der Pflicht- in die
Ermessensleistung zu nehmen, was aus unserer Sicht in
keinem Fall ausreichend ist.


(Andrea Nahles [SPD]: Dann hätten noch weniger Jugendliche von der Förderung profitiert! Das ist eine Position, die sich mir nicht erschließt!)


Zweitens. Sie hätten ausbildungsbegleitende Hilfen
ganz klar als verbindlichen Anspruch im Gesetz veran-
kern müssen. Ansonsten klappt es eben nicht, dass der
Jugendliche, der in dieses Programm gesteckt wird, auch
wirklich die Hilfe erhält, die er braucht.


(Andrea Nahles [SPD]: Was ist denn Ihr Konzept? Sie haben noch nicht gesagt, was Sie wollen!)


Drittens. Sie hätten auch klarstellen müssen, dass für
eine zweijährige Ausbildung nicht die gleiche Prämie
gezahlt wird wie für eine dreijährige Ausbildung, wie es
bisher geregelt ist. Damit wird eine Schmalspurausbil-
dung gefördert. Auch an dieser Stelle macht die Linke
nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN – Andrea Nahles [SPD]: Sie wollen überhaupt keine Ausbildung!)


Aus all diesen Gründen halten wir den Ausbildungs-
bonus für kein taugliches Förderinstrument. Wir sagen
Nein zu diesem ungerechten Ansatz und stehen weiter
für das Recht auf Ausbildung, wie es auch in der Petition
von über 70 000 Jugendlichen gefordert wurde.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Dann bilden Sie doch mal aus!)


Diese Woche war sehr ermutigend; denn sie hat ge-
zeigt, dass solche Forderungen durchaus Erfolg haben
können. Schauen wir uns die Situation in Hessen an. Die
Studierenden haben dort nicht hingenommen, dass Stu-
diengebühren eingeführt wurden.


(Beifall bei der LINKEN – Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch blanker Zynismus, den Sie verbreiten!)


Sie haben dagegen protestiert, Autobahnen blockiert und
Rektorate besetzt. Das Ergebnis ist, dass der Landtag in
Hessen vorgestern mit Mehrheit beschlossen hat, die
Studiengebühren wieder abzuschaffen.


(Christel Humme [SPD]: Die Zusammenhänge sind aber nicht schlüssig!)


Dazu sagen wir Linke: Was an den Hochschulen klap-
pen kann, das ist im Bereich der Ausbildung ebenfalls
möglich. Auch hier muss man für das Recht auf Ausbil-
dung weiterkämpfen. Das heißt in einem ersten Schritt:
Nein zu diesem ungerechten Bonus, weg mit dem ge-
scheiterten Pakt und her mit einer gesetzlichen Ausbil-
dungsplatzumlage!

Besten Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616614600

Das Wort hat nun Brigitte Pothmer, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616614700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

100 000 Stellen durch die Jobperspektive, 100 000 Stellen
durch den Kommunalkombi, sogar mehr als 100 000 Stel-
len für junge Menschen mit und ohne Ausbildung – so
weit die vollmundigen Ankündigungen. Die Wirklich-
keit: Diese drei Programme sind Megaflops.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das können Sie doch gar nicht wissen! Haben Sie eine Kristallkugel? Können Sie in die Zukunft schauen?)


Das war zuletzt im Spiegel dieser Woche zu lesen.






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
Die Große Koalition liebt offensichtlich das Gesetz
der großen Zahl und kommt jetzt mit dem Versprechen
daher, 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze – ich be-
tone: zusätzliche – durch die Gewährung eines Ausbil-
dungsbonus zu schaffen. Ich sage Ihnen: Das wird der
nächste Flop.

Herr Romer, Sie haben hier deutlich gesagt, es gehe
um Zusätzlichkeit. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was
das Bundesinstitut für Berufsbildung errechnet hat:


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Lesen Sie doch erst mal die Arbeitsmarktstatistiken!)


Nach den Kriterien, die jetzt in Ihrem Gesetzentwurf ste-
hen, würden bis auf den öffentlichen Dienst alle Wirt-
schaftsbereiche bei der gleichen Zahl von Neuverträgen
wie 2007 eine Förderung bekommen. Wo bleibt da die
Zusätzlichkeit?

Es ist sogar noch schlimmer, Herr Romer: Es ist sogar
möglich, dass mit Ihrem Bonus Unternehmen gefördert
werden, die weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung
stellen als 2007. Sie müssten einmal denjenigen Betrie-
ben, die in der Vergangenheit ihre Ausbildungsverpflich-
tung trotz wirtschaftlich schwieriger Lage und ohne jede
finanzielle Förderung ernst genommen und bis Ober-
kante Unterlippe ausgebildet haben und jetzt nicht mehr
nachlegen können, erklären, warum sie bei Ihrem Aus-
bildungsbonus leer ausgehen. Sie arbeiten nach dem
Prinzip: Die Ehrlichen sind die Dummen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU], zu Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Frau Dückert, das wissen Sie doch besser! Da können Sie doch nicht klatschen!)


Das können Sie niemandem erklären.

Dieses Konzept ist eine krasse Fehlsubventionierung.
Dieses Konzept ist im Übrigen Schmu, weil Sie Ausbil-
dungsplätze als zusätzlich zählen werden, die keines-
wegs zusätzlich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Was mich am meisten quält, ist: Das ist das falsche
Konzept, zumindest für diejenigen, für die Sie vorgeben
etwas tun zu wollen und die auch tatsächlich die meiste
Unterstützung brauchen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was ist Ihr Konzept? – Andrea Nahles [SPD]: Legen Sie mal ein besseres vor!)


Das sind ja nicht einfach Jugendliche, die aufgrund der
Tatsache, dass es wenige Ausbildungsplätze gab, keinen
Ausbildungsplatz bekommen haben. Das ist doch eine
Gruppe, die nicht nur eine mangelnde schulische Bil-
dung mitbringt, sondern die auch sonst eine ganze Reihe
von Problemen mit sich herumschleppt. Ich spreche von
mangelndem Durchhaltevermögen, von einer geringen
Frustrationsschwelle und von mangelnden sozialen
Kompetenzen.

(Widerspruch bei der SPD – Andrea Nahles [SPD]: Deswegen die ausbildungsbegleitende Hilfe!)


An diesen geht der Ausbildungsplatzbonus doch kom-
plett vorbei. Oder glauben Sie wirklich, dass Sie die Ar-
beitgeber mit ein paar Tausend Euro Schmerzensgeld
davon überzeugen können, solchen Jugendlichen einen
Ausbildungsplatz zu geben?


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Warten Sie es doch mal ab! – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Glauben Sie wirklich, was Sie da sagen? – Zuruf der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Die Arbeitgeber wissen doch ganz genau, dass diese Ju-
gendlichen ganz andere Hilfen brauchen; auch das ist in
der Anhörung deutlich geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Nahles, Sie haben in Ihrer Presseerklärung
zur Entscheidung gestern im Ausschuss gesagt – ich lese
Ihre Presseerklärungen sehr aufmerksam –, die Umset-
zung dieses Ausbildungsplatzbonus sei die Einlösung ei-
nes Kernversprechens sozialdemokratischer Politik:


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig! Sie haben richtig zitiert!)


Aufstieg durch Bildung. – Mein Gott, wie bescheiden
Sie geworden sind!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann mich an Zeiten erinnern, da waren die Sozial-
demokraten in der Tat ambitionierter in dem, was sie in
dieser Gesellschaft verändern wollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: Studiengebühren in Hamburg!)


Frau Nahles, Sie haben gesagt, dass der von Olaf Sc-
holz angekündigte Rechtsanspruch auf einen Haupt-
schulabschluss Teil eines Gesamtkonzeptes sei, der ei-
nen „Aufstieg durch Bildung“ garantieren würde. Ich
will Ihnen einmal sagen, was es mit diesem Rechtsan-
spruch auf sich hat. Die jungen Menschen können diesen
Rechtsanspruch nur im Rahmen einer Maßnahme geltend
machen. Sie müssen vorher Warteschleifen durchlaufen
haben, also Berufsvorbereitungsjahr oder Berufsgrundbil-
dungsjahr. Außerdem können sie den Hauptschulab-
schluss nur dann machen, wenn vorher klar ist, dass sie
ihn auch schaffen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was machen Sie eigentlich für die Jugendlichen, Frau Pothmer?)


Es wird leichter sein, einen Sechser im Lotto zu be-
kommen, als dieses Versprechen zu realisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD)


Bis jetzt war es im Rahmen von § 16 Abs. 2 SGB II ganz
leicht möglich, einen Hauptschulabschluss nachzuma-
chen. Dieses gute Instrument haben Sie gestrichen. Sie






(A) (C)



(B) (D)


Brigitte Pothmer
sollten es wieder in Kraft setzen. Damit würden Sie
wirklich etwas für die Jugendlichen tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Das war der erste Vorschlag! Ganz toll!)


Ganz grundsätzlich gilt: Wenn Sie für die Jugendli-
chen etwas tun wollen, dann sollten Sie nicht die Be-
triebe, sondern die Jugendlichen unterstützen. Das geht
am besten mit den ausbildungsbegleitenden Hilfen. Zu-
nächst einmal müssten Sie die 3,5 Milliarden Euro, die
jährlich in dieses Übergangssystem fließen, mit dem den
Jugendlichen in keiner Weise geholfen wird, zum Um-
bau nutzen. Ich spreche von Modulen, die Teil einer ins-
gesamt modularisierten Ausbildung sein sollten. Sie
werden die Situation für die Altbewerber nur dann ernst-
haft verbessern, wenn Sie strukturelle Veränderungen
vornehmen.


(Christel Humme [SPD]: Das dauert zu lange! Was sagen wir denen, die heute Hilfe brauchen? – Jörg Tauss [SPD]: Immer diskutieren, und dann tun wir irgendwann was!)


All das finden wir aber nicht in Ihrem Programm. Es
geht wirklich nicht, dass das Recht auf eine Ausbildung
für Jugendliche davon abhängt, ob das Konjunkturbaro-
meter gerade steigt oder fällt.

Der Ausbildungsbonus hilft denen nicht, die ihn am
dringendsten brauchen. Der Ausbildungsbonus bewirkt
erhebliche Mitnahmeeffekte. Bezahlt – da hat die FDP
recht – wird er ausschließlich durch die Beitragszahler.
Ich finde, das sind drei von sehr vielen Gründen, die hin-
reichend dafür sind, dass dieser Ausbildungsbonus je-
denfalls von uns abgelehnt wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Die BDA-Position! Nur ablehnen! – Katja Mast [SPD]: BDA pur!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616614800

Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1616614900

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Wenn wir gleich das Gesetz zum Ausbildungsbonus ver-
abschieden, dann haben wir uns ganz klar an die Seite
der jungen Menschen gestellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir fördern mit dem Ausbildungsbonus Bildungsab-
schlüsse, keine Warteschleifen. Das ist in der Tat gerech-
ter – das sage ich in alle Richtungen – als dogmatisches
Nichtstun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zugegeben: Das parlamentarische Verfahren war
recht zäh und mühselig. Für junge Menschen, die sich
um ihre Zukunftschancen betrogen sehen, ist das sicher-
lich völlig unverständlich. Worum geht es? 22 Prozent
der Menschen zwischen 25 und 35 Jahren sind heute
ohne einen beruflichen Bildungsabschluss.


(Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Warum denn wohl?)


22 Prozent sind fast ein Viertel dieser Altersgruppe. Für
eine Wirtschaftsnation, wie wir es sind, halte ich das, ge-
linde gesagt, für einen Skandal.


(Beifall bei der SPD)


Was bedeutet das – darauf haben schon viele hinge-
wiesen – für die jungen Menschen? Sie haben weniger
Chancen auf eine gute Arbeit und existenzsichernde
Löhne. Sie haben weniger Chancen auf Teilhabe. Sie ha-
ben weniger Chancen auf Unabhängigkeit und indivi-
duelle Persönlichkeitsentfaltung. Darüber hinaus haben
sie ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden, und ein
deutlich höheres Risiko, in die Abhängigkeit von staatli-
chen Transferleistungen zu geraten. Genau das ist jetzt
die Situation.

Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unterneh-
men, die Zahl junger Menschen, die heute ohne Ab-
schluss sind, zu verringern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist
klar: Wir wollen Ausbildung für alle. Alle haben das
Recht auf Ausbildung. In den letzten Jahren sind wir die-
sem Ziel etwas nähergekommen.


(Zurufe von der LINKEN)


Wir hatten 2007 eine relativ gute Ausbildungssituation.
2007 – der Staatssekretär hat das bereits erwähnt – war
eines der besten Ausbildungsjahre, und 2008 wird eben-
falls ein gutes Ausbildungsjahr werden.

In jüngster Zeit war zum Teil nicht mehr von einer
Lehrstellenlücke, sondern von einer Bewerberlücke die
Rede. Ich möchte die Diskutanten bitten, etwas ehrlicher
zu sein, wenn sie die Analyse des Ausbildungsmarktes
betreiben.


(Zurufe von der LINKEN)


– Es wäre gut, wenn Sie ein bisschen weniger schreien
könnten. – Fakt ist: Es gelingt nach wie vor nur jedem
zweiten Jugendlichen, direkt nach der Schule einen Aus-
bildungsplatz zu finden. Es landen noch immer viele Ju-
gendliche in sinnlosen Warteschleifen, Herr Rohde.


(Jörg Rohde [FDP]: Unbestritten!)


Die Hälfte derjenigen, die einen Ausbildungsplatz su-
chen, ist seit einem Jahr oder länger vergeblich auf der
Suche.

625 000 Ausbildungsplätze geben zwar ein gutes Bild
ab, aber das sind trotzdem weit mehr als 100 000 zu we-
nig. Ich finde, hier steht die Wirtschaft in der Verantwor-
tung; denn bedauerlicherweise bildet nur die Hälfte der
ausbildungsfähigen Betriebe aus. Da ist richtig viel






(A) (C)



(B) (D)


Christel Humme
Potenzial vorhanden. Auch das gehört zu einer ehrlichen
Analyse.

Wir in der Großen Koalition haben uns gefragt, wie
wir den jungen Menschen, die vor diesem Problem ste-
hen, besser unter die Arme greifen können. Ich sehe
viele junge Menschen auf der Tribüne sitzen. Niemand
kann ernsthaft glauben, dass der Streit, den wir hier über
die Finanzierung führen, einen Jugendlichen interessiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Jörg Rohde [FDP]: Später hängt der Job von den Lohnnebenkosten ab!)


Wir haben es geschafft, ein – so nenne ich es einmal –
Chancenverbesserungspaket zu schnüren. Wir schlagen
zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens unterstützen wir
die benachteiligten Jugendlichen, die schon länger einen
Ausbildungsplatz suchen, mit einem Ausbildungsbonus,
und zweitens haben wir mit der Berufseinstiegsbeglei-
tung ein Instrument geschaffen – das ist sehr wichtig –,
mit dem wir Schulabgängern unter die Arme greifen
können. Die Jugendlichen sollen nach der Schule direkt
eine Ausbildung aufnehmen können und gar nicht erst zu
Altbewerbern werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Aus bil-
dungspolitischer Sicht habe ich eine Debatte der letzten
Wochen überhaupt nicht verstanden: Es wurde immer
wieder gefragt, welche Jugendlichen gefördert werden
sollen. Viele Politiker hatten das Ziel, diese Gruppe so
klein wie möglich zu halten. Ich habe immer wieder ver-
sucht, mir vorzustellen, wie diese Debatte, die wir ge-
führt haben, auf den einzelnen Jugendlichen wirken
muss. Was sagen wir ihm? Wenn sich diejenigen, die
vorhatten, die Gruppe kleinzuhalten, durchgesetzt hät-
ten, dann hätte zum Beispiel eine 19-jährige Arbeitslose
mit Hauptschulabschluss, die seit drei Jahren vergeblich
einen Ausbildungsplatz sucht, gar keine Förderung er-
halten. Was hätten wir dieser Frau sagen sollen? Ich
kann dazu nur sagen: Für diese Zielgruppendiskussion,
die wir auch mit den Gewerkschaften führen mussten,
werden die Jugendlichen kein Verständnis aufbringen.
Dafür wiederum habe ich Verständnis.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, dieses Pa-
ket im Sinne der Jugendlichen zu schnüren. Die Ent-
scheidung, die wir gleich treffen werden, ist mehr als die
Verabschiedung eines Gesetzes. Das ist eine Botschaft
an die jungen Menschen. Sie lautet: Wir nehmen euch
und eure Sorgen ernst. Wir tun nicht so, als gäbe es eure
Probleme nicht. Wir wollen und wir brauchen euch in
der Gesellschaft. Deswegen lassen wir euch nicht im Re-
gen stehen. – Ich danke allen, die das ermöglicht haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616615000

Das Wort hat nun Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1616615100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine erfolgreiche Berufsausbildung ist der Schlüssel für
ein erfolgreiches berufliches Leben, weil sie Sicherheit
bietet und die Möglichkeit gibt, das eigene Leben selbst-
bestimmt und selbstbewusst zu gestalten und zu bestrei-
ten. Ich finde, wir können froh sein über die Erfolge, die
wir in den letzten Jahren haben zur Kenntnis nehmen
dürfen. Der starke Wirtschaftsaufschwung und die er-
folgreiche Arbeitsmarktpolitik dieser Großen Koalition
haben zum größten Rückgang der Arbeitslosigkeit und
zu einer Zunahme der Beschäftigung geführt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man kann bestreiten, dass die Große Koalition irgendeinen Einfluss darauf hatte!)


Es hat auch dazu geführt, dass die Ausbildungszahlen in
unserem Land deutlich besser geworden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Arbeitsmarktzahlen für den Mai dieses Jahres be-
legen das. Es gibt 61 000 Arbeitslose unter 25 Jahren
weniger als im Mai 2007. Zwischen dem 1. Oktober
2006 und dem 30. September 2007 wurden insgesamt
625 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Das
sind fast 50 000 Ausbildungsverträge mehr als im Vor-
jahr. Das zeigt, dass unser duales Ausbildungssystem
funktioniert. Ich wehre mich dagegen, dass es auch in
diesem Haus Kolleginnen und Kollegen gibt, die das
duale Ausbildungssystem immer wieder infrage stellen.
Es funktioniert; das belegen die Zahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt erstmals seit dem Jahr 2001 über 600 000 neue
Ausbildungsverträge. Das sind Zahlen, über die man
sich, wie ich finde, zu Recht freuen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das alles ist Ergebnis der Politik dieser Großen Koali-
tion.

Bei aller Freude über diese Zahlen muss ich dennoch
sagen: Es gibt immer noch zu viele, die nicht profitieren,
die ohne Erfolg Hunderte Bewerbungen schreiben und
das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Das sind
vor allem diejenigen, die lernbeeinträchtigt sind, die aus
einem schwierigen sozialen Umfeld kommen und als so-
zial benachteiligt gelten. Genau für diese Jugendlichen,
die sich in den vergangenen Jahren vergeblich bemüht
haben, eine Lehrstelle zu finden, schaffen wir mit dem
Ausbildungsbonus das richtige Instrument, um ihnen
zielgenau zu helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen ihnen damit eine Chance auf eine Ausbil-
dung, eine Beschäftigung und auf ein selbstbestimmtes






(A) (C)



(B) (D)


Stefan Müller (Erlangen)

Leben geben. Nur wer gut ausgebildet ist, hat dauerhaft
eine berufliche Perspektive. Genau da wollen wir heute
ansetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ziel einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik muss
sein, möglichst frühzeitig denen unter die Arme zu grei-
fen, die unsere Hilfe brauchen. Das zeichnet unser So-
zialsystem aus. Wir alle wissen: Je länger die Wartezeit
ist, bis junge Leute einen Ausbildungsplatz bekommen,
und je länger die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit
ist, desto schwieriger wird die Integration in ein regulä-
res Arbeitsleben und desto höher sind auch die Folge-
kosten für unsere Sozialsysteme. Wir tun gut daran, uns
mit diesem neuen Instrument um die zu kümmern, die es
besonders schwer haben.

Ziel des Ausbildungsbonus ist es, zusätzliche – ich
betone: zusätzliche – Ausbildungsstellen zu schaffen,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Müller, das glauben Sie doch selber nicht!)


und zwar vor allem für diejenigen, die bisher noch nicht
vom Aufschwung profitiert haben, die als lernschwach
gelten oder sozial benachteiligt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frau Pothmer, da Sie hier immer das Kriterium der
Zusätzlichkeit anführen – gestern im Ausschuss haben
Sie das auch getan –, will ich es wiederholen:

Die Ausbildung erfolgt zusätzlich, wenn bei Aus-
bildungsbeginn die Zahl der Ausbildungsverhält-
nisse … in dem Betrieb aufgrund des mit dem
Auszubildenden abgeschlossenen Ausbildungsver-
trages höher ist, als sie es im Durchschnitt der drei
vorhergehenden Jahre jeweils am 31. Dezember
war.

Ich habe aus dem Gesetzentwurf vorgelesen; das hätten
Sie dort nachlesen können.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß, was da drinsteht!)


Natürlich lassen sich Mitnahmeeffekte nie ausschlie-
ßen, wenn es direkte finanzielle Leistungen an Unter-
nehmen gibt.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie einmal mit der IHK darüber gesprochen, Herr Müller?)


Ich glaube aber, dass wir dem mit der Definition der Zu-
sätzlichkeit, so wie sie im Gesetzentwurf steht, und auch
aufgrund der Tatsache, dass die Industrie- und Handels-
kammern und die Handwerkskammern die Zusätzlich-
keit bescheinigen müssen, Rechnung getragen haben
und Mitnahmeeffekte weitgehend ausschließen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ein weiteres Thema im Zusammenhang mit Mitnah-
meeffekten ist die Frage des förderfähigen Personenkrei-
ses. Ich gebe zu, Herr Kollege Rohde, man hätte an der
einen oder anderen Stelle sicherlich noch mehr machen
können; ich kenne die Stellungnahmen. Wie auch im-
mer: Wir haben Vorschläge der Sozialpartner in unsere
Änderungsanträge aufgenommen, zum Beispiel hin-
sichtlich der Eingrenzung des förderfähigen Personen-
kreises und auch hinsichtlich der Möglichkeit, EQJ-
Praktikanten im gleichen Betrieb zu fördern. Ich bin mir
sicher, dass wir durch die jetzige Definition des förderfä-
higen Personenkreises Mitnahmeeffekte ausschließen
können, jedenfalls mehr als durch den alten Wortlaut des
Gesetzentwurfes.

Herr Rohde, ich möchte gerne auf einen Punkt einge-
hen, den Sie angesprochen haben. Sie haben von einem
Telefonat berichtet, das Sie heute mit einem Unterneh-
mer geführt haben. Diesen Unternehmer haben Sie ge-
fragt, ob er zusätzlich ausbilden würde. Er hat dies ver-
neint. Gut, es gibt immer Unternehmen, die es für sich
– aus welchen Gründen auch immer – ausschließen, mehr
auszubilden. Ich darf Ihnen trotzdem etwas aus der heu-
tigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorlesen. Dort
wird unter anderem über die heutige Beratung über den
Ausbildungsbonus berichtet, jedoch auch von einer Um-
frage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auf-
trag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Dort
heißt es:

Annähernd zwei Drittel der Unternehmer befürwor-
ten jedoch, dass Betriebe einmalige Zuschüsse er-
halten, wenn sie Ausbildungs- oder Arbeitsplätze
für gering qualifizierte Jugendliche schafften. Da-
mit unterstützen sie die von der großen Koalition
geplante Einführung eines Ausbildungsbonus.

So ist es, liebe Kollegen von der FDP. Wir haben im
Grundsatz die Zustimmung für diesen Ausbildungsbo-
nus. Ich finde, das muss einmal gesagt werden. Sie täten
gut daran, das zuzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Frau Pothmer, Sie haben vorhin an dieser Stelle sehr
viel kritisiert. Sie haben alles Mögliche genannt, was
man ansprechen könnte. Man kann ja in der Sache unter-
schiedlicher Meinung sein. Ich habe von Ihnen aber
keine Alternativen gehört.


(Beifall bei der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Die FDP hat sich zumindest die Mühe gemacht, einen
eigenen Änderungsantrag vorzulegen.


(Abg. Jörg Rohde [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Kollege Rohde, wenn Sie noch einen Moment
warten, können Sie Ihre Zwischenfragen gebündelt los-
werden; denn ich komme noch zu Ihnen. – Im Ände-
rungsantrag der FDP heißt es, der Ausbildungsbonus
solle nicht aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit,
sondern aus Steuermitteln finanziert werden. Sie haben
das schon oft im Ausschuss gesagt.


(Jörg Rohde [FDP]: Das haben auch andere gesagt!)







(A) (C)



(B) (D)


Stefan Müller (Erlangen)

Ich habe Ihnen schon gestern im Ausschuss die Frage
gestellt: Wenn Sie der Auffassung sind, dass gesamtge-
sellschaftliche Aufgaben über Steuern finanziert werden
müssten, dann frage ich mich, warum Sie dies nur auf
den Ausbildungsbonus beziehen. Wenn Sie konsequent
wären, dann würden Sie sich hier hinstellen und sagen,
alle Leistungen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-
keit müssten aus Steuermitteln bezahlt werden und nicht
wie heute aus der Arbeitslosenversicherung. Damit wä-
ren alle berufsvorbereitenden Maßnahmen, alle Maßnah-
men der vertieften Berufsorientierung und vieles andere
mehr eingeschlossen. Sie haben gerade davon gespro-
chen, dass wir über die Beitragszahler etwas für Jugend-
liche finanzieren, die noch nie etwas in die Arbeitslosen-
versicherung eingezahlt haben. Das würde auch für alles
andere gelten, was die Bundesagentur in diesem Bereich
macht. Wir reden hier über eine Größenordnung von
1 Milliarde Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich frage Sie: Wären Sie so konsequent, zu sagen,
dass bei uns in Erlangen zum Beispiel das Projekt
„Straße ins Leben“, das zur Hälfte aus Mitteln der Bun-
desagentur finanziert wird, ebenfalls nicht mehr durch
die Bundesagentur unterstützt werden kann?


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616615200

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?


Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1616615300

Bitte, Herr Rohde.


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1616615400

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. Es ist zwar eher

üblich, dass das Plenum Fragen an den Redner stellt,
aber ich komme gerne auf Ihre Fragen zurück.

Fangen wir mit dem letzten Punkt an, mit dem Projekt
„Straße ins Leben“. Wir haben die Möglichkeit, die
Steuermittel gezielt einzusetzen. Wir als FDP sagen,
dass wir alle versicherungsfremden Leistungen aus der
Arbeitslosenversicherung herausnehmen wollen, um den
Beitragssatz für die Beitragszahler so gering wie mög-
lich zu halten und mehr Jobs in Deutschland zu generie-
ren. Das ist die Zielrichtung. Wir haben gestern im Aus-
schuss schon mit der Diskussion darüber begonnen. Wir
sind gerne bereit, noch in dieser Legislaturperiode ge-
meinsam mit Ihnen eine Initiative durchzuführen.

Wir sind nicht nur konsequent; wir sind auch pragma-
tisch. Wir befinden uns leider gerade in der Rolle der
Opposition. Aber den Vorschlag, versicherungsfremde
Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung herauszu-
nehmen, können wir gerne gemeinsam umsetzen.

Ich möchte noch auf die FAZ zurückkommen. Es
muss dort mehrere Redakteure geben; denn eine Über-
schrift lautet:

Umfrage des DIHK
„Der Ausbildungsbonus ist Geldverschwendung“.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

So weit gehen wir mit unserer Kritik gar nicht. Wir wen-
den uns nur dagegen, dass Beitragsmittel verwendet
werden.

Wir haben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Niemand bestreitet, dass es Altbewerber gibt und dass
man deshalb Maßnahmen ergreifen sollte. Wir streiten
um den Weg, und das ist eine gute Sache. Herr Müller,
stimmen Sie mit mir darin überein, dass die FDP wie Sie
etwas für diese Zielgruppe tun möchte, dass wir uns nur
im Weg unterscheiden?


(Andrea Nahles [SPD]: Das ist ja ein Riesenvortrag! – Jörg Tauss [SPD]: Die armen Jugendlichen!)



Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1616615500

Herr Kollege Rohde, zunächst zum FAZ-Artikel. Ich

gebe Ihnen gleich den Artikel, den ich habe;


(Jörg Rohde [FDP]: Gerne!)


dann können Sie das nachlesen.


(Andrea Nahles [SPD]: Sehr gut!)


Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein: Herrn Kolb habe ich
versprochen, ihm das Steuerkonzept der CSU nachzurei-
chen; auch das werde ich noch tun.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja! Wenn ihr es endlich habt!)


Herr Rohde, ich habe mir Ihr Steuerkonzept bereits
angeschaut; leider habe ich keine Zeit mehr, es inhaltlich
zu bewerten, so gern ich das auch tun würde. Auf Ihrem
Parteitag am vergangenen Wochenende in München ha-
ben Sie ein Steuerkonzept beschlossen


(Jörg Rohde [FDP]: Wir haben sogar Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht!)


und sogar von Gegenfinanzierungsvorschlägen gespro-
chen. Gegenfinanzierungsvorschläge kann ich in Ihrem
Konzept allerdings nicht finden. Das, was dort zum
Thema Gegenfinanzierung steht, ist wirklich halb
virtuell.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich lasse Ihnen nicht durchgehen, dass Sie den Men-
schen einerseits in Aussicht stellen, die Steuern zu sen-
ken – allerdings ohne Gegenfinanzierungsvorschläge zu
machen –,


(Jörg Rohde [FDP]: Stimmt nicht! – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das ist falsch!)


und andererseits zu fordern, dass alles Mögliche über
Steuermittel finanziert wird. So geht das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Rohde [FDP]: Lesen, Herr Kollege! Lesen!)


Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem Ausbil-
dungsbonus das richtige Instrument entwickelt haben,
um endlich auch denen eine Chance zu geben, die vom
Aufschwung am Arbeitsmarkt noch nicht profitiert ha-
ben. Um diese Menschen müssen wir uns dringend küm-






(A) (C)



(B) (D)


Stefan Müller (Erlangen)

mern. Ich lade Sie ein, uns auf diesem Weg zu unterstüt-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616615600

Das Wort hat nun Katja Mast für die SPD-Fraktion.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1616615700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist ein guter Tag für vorsorgende Arbeitsmarktpo-
litik.


(Beifall bei der SPD)


Heute ist Chancentag im Bundestag. Es ist Chancentag,
weil wir den Weg für 100 000 zusätzliche Ausbildungs-
plätze in den Betrieben freimachen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist Chancentag, weil wir uns um die Jugendlichen
kümmern, die seit über einem Jahr vergeblich eine Lehr-
stelle suchen, um die Jugendlichen, die täglich eine Ab-
sage im Briefkasten haben, in Warteschleifen verharren
und so langsam den Glauben verlieren, dass sie in unse-
rem Land gebraucht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist Chancentag, weil wir ihnen mit dem Ausbildungs-
bonus für Altbewerber eine Perspektive geben. Wir las-
sen sie nicht allein.

Aber auch die Betriebe wissen uns an ihrer Seite. Wer
zusätzlich einen Altbewerber ausbildet, kann damit rech-
nen, den Bonus für Ausbildung, der zwischen 4 000 und
6 000 Euro beträgt, zu erhalten.

Die Bundesagentur für Arbeit geht noch einen Schritt
weiter. Wo notwendig, bietet sie sozialpädagogische Be-
gleitung in Form von ausbildungsbegleitenden Hilfen
an. Denn nur beides gemeinsam, der Bonus für Ausbil-
dung und sozialpädagogische Begleitung, wird dazu füh-
ren, dass eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen
wird.


(Beifall bei der SPD)


Das zeigen uns die Erfahrungen aus der Praxis, so auch
in meiner Heimatstadt Pforzheim und im Enzkreis, wo
es einen solchen Bonus schon gibt. Ich erinnere nur an
Aishe – ich habe dieses Beispiel in meiner letzten Rede
erwähnt –, die nach 80 Absagen schon geglaubt hatte,
keinen Ausbildungsplatz mehr zu finden. Durch den Bo-
nus der Bundesagentur und die Hilfe eines Jobcoachs,
der ihr über die gesamte Ausbildungsdauer hinweg zur
Seite stand, hat sie ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau
im letzten Jahr im zweiten Anlauf abgeschlossen. Von
dieser Praxiserfahrung ließ sich die Große Koalition bei
der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes leiten.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich spielten bei den letzten kleinen Änderungen
auch die Auffassungen der Sachverständigen, die in der
Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ge-
äußert wurden, sowie die Anregungen des Bundesrates
eine Rolle. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir
die Ausbildungsabbrecher aus Insolvenzunternehmen
mit aufgenommen haben.

Im vorliegenden Gesetzentwurf ist eine Befristung
auf drei Jahre vorgesehen.


(Andrea Nahles [SPD]: Richtig!)


Das hat seinen Grund. Denn seit kurzem ist auf dem
Ausbildungsmarkt eine Trendwende zu verzeichnen. Im
Jahre 2007 wurden 625 000 Ausbildungsverträge abge-
schlossen, so viele wie seit 1999 nicht mehr. Wir können
aber nicht länger mit ansehen, dass die Zahl der abge-
schlossenen Ausbildungsverträge steigt, während die
Chancen der Altbewerber auf einen Ausbildungsplatz
sinken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie wir heute zur Genüge gehört haben, wird auch
bei diesem Chancengesetz Kritik laut. Die einen wollen
mehr, die anderen wollen weniger, wieder andere verlie-
ren sich in Grundsatzdebatten. Das ist der beste Beweis
dafür, dass dieses Gesetz zielgerichtet ist, dass dieses
Gesetz die Jugendlichen erreicht.


(Beifall bei der SPD)


Den Kritikern rufe ich zu: Bedenken Sie, dass für den
Bonus zwei Kriterien erfüllt sein müssen: Erstens. Der
Betrieb muss einen zusätzlichen Ausbildungsplatz schaf-
fen. Grundlage der Bewertung ist dabei die Zahl der
Ausbildungsplätze im Betrieb in den letzten drei Jahren.
Zweitens. Der Betrieb muss einen Altbewerber einstel-
len. Wo da der Anreiz zu flächendeckender Mitnahme
liegen soll, müssen Sie mir auch nach der heutigen De-
batte noch glaubhaft begründen.


(Beifall bei der SPD)


Ich fordere die Wirtschaft auf, mitzumachen und zu
helfen, dass die Betriebe die Chancen, die dieses Gesetz
bietet, nicht etwa ausnutzen, sondern nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])


Meist sind es Jugendliche mit Hauptschulabschluss,
Sonderschulabschluss oder ganz ohne Schulabschluss,
die längere Zeit keinen Ausbildungsplatz finden. Sie be-
kommen mit diesem Gesetz einen Rechtsanspruch auf
den Bonus für Ausbildung, sofern für sie ein zusätzlicher
Ausbildungsplatz geschaffen wird. Das gibt den Jugend-
lichen und den Betrieben Sicherheit; das ist das, was die
Große Koalition will. Altbewerber mit einem höheren
Schulabschluss können den Bonus ab dem nächsten
Ausbildungsjahr ebenfalls erhalten, sofern der Bundesrat
zustimmt.

Aufstieg durch Bildung, das ist sozialdemokratische
Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik.


(Beifall bei der SPD)


Wir schaffen Chancen, wo vorher Frust war. Wir wollen,
dass jeder ausgebildet wird, wenn möglich im Betrieb.






(A) (C)



(B) (D)


Katja Mast
Eines ist doch uns allen klar: Wer morgen Fachkräfte
braucht, muss sie heute ausbilden. Es sind der Mittel-
stand und das Handwerk, die Vorbilder in Sachen Aus-
bildung sind. Aber das reicht nicht. Jeder Jugendliche
muss ausgebildet werden. Politik ohne Ausbildungs-
zwang setzt voraus, dass die Unternehmen ihrer Verant-
wortung für den Nachwuchs solidarisch gerecht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Bonus – ich bleibe dabei – ist ein Musterbeispiel
für vorsorgende Arbeitsmarktpolitik. Chancentag im
Bundestag – das war heute nicht das letzte Mal. Die Re-
form der arbeitsmarktpolitischen Instrumente steht noch
in dieser Legislatur an.


(Jörg Rohde [FDP]: Wir hoffen noch immer!)


Wir von der SPD-Bundestagsfraktion wollen gemeinsam
mit unserem Arbeitsminister Olaf Scholz die Kultur der
zweiten Chance verankern: Jeder soll das Recht bekom-
men, seinen Hauptschulabschluss nachzuholen. Nur so
gilt „Aufstieg durch Bildung“, nur so bekommen wir den
nächsten Chancentag im Bundestag. Stimmen Sie heute
dem Chancentag im Bundestag zu!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616615800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Fünften Geset-
zes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch –
Verbesserung der Ausbildungschancen förderungsbe-
dürftiger junger Menschen. Der Ausschuss für Arbeit
und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/9456, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 16/8718 – Unterrichtung
durch die Bundesregierung auf Drucksache 16/9238 – in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr
die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 d auf:

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999)

des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Techni-
schen Abkommens zwischen der internationa-
len Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Re-
gierungen der Bundesrepublik Jugoslawien

(jetzt: Republik Serbien) und der Republik

Serbien vom 9. Juni 1999

– Drucksachen 16/9287, 16/9461 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Gut-
tenberg
Uta Zapf
Dr. Werner Hoyer
Monika Knoche
Marieluise Beck (Bremen)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/9462 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Omid Nouripour

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

ordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl Addicks,
Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999)

des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Techni-
schen Abkommens zwischen der internationa-
len Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Re-
gierungen der Bundesrepublik Jugoslawien

(jetzt: Republik Serbien) und der Republik

Serbien vom 9. Juni 1999

– Drucksachen 16/9287, 16/9369, 16/9463 –

Berichterstattung:
Abgeordnete. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Gut-
tenberg
Uta Zapf
Dr. Werner Hoyer
Monika Knoche
Marieluise Beck (Bremen)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Knoche, Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech,






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Konflikte zwischen Serbien und Kosovo-Alba-
nern reduzieren – UN-Resolution 1244 unein-
geschränkt umsetzen sowie faire und ergebnis-
offene Verhandlungen ermöglichen

– Drucksachen 16/6034, 16/7583 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Gut-
tenberg
Uta Zapf
Harald Leibrecht
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck (Bremen)


d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Knoche, Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Unverzüglicher Rückzug der Bundeswehr aus
dem Kosovo

– Drucksachen 16/8779, 16/9151 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Gut-
tenberg
Uta Zapf
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck (Bremen)


Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses zu dem Antrag der Bundesregierung werden
wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Johannes Jung, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Jung (SPD):
Rede ID: ID1616615900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich komme gerade von einem Gespräch mit den
diesjährigen Teilnehmern des Stipendienprogramms des
Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, das den Na-
men des ermordeten ehemaligen serbischen Ministerprä-
sidenten Zoran Djindjic trägt. Ich würde hier natürlich
sehr gerne über die Potenziale und Chancen der Region
sprechen, die wir heutzutage den westlichen Balkan nen-
nen, so wie ich das auch mit diesen jungen Leuten getan
habe. Leider bietet dieser Tagesordnungspunkt aber nur
wenig Gelegenheit dazu. Vielmehr ist es notwendig, hier
ungeschminkt auf die harte Realität im Kosovo einzuge-
hen.

Ich glaube, man muss leider feststellen – um das in ei-
nem Satz zusammenzufassen –: Wer sich heute für seine
Kinder im Kosovo eine bessere Zukunft wünscht, der hat
Schwierigkeiten, das zu erreichen, wenn er sich nach un-
seren Maßstäben rechtsstaatskonform verhält. – Es war
und ist in Kosovo traditionell leider schlecht möglich,
beides miteinander zu vereinbaren.

Die internationale Gemeinschaft hat in den letzten
Jahren sicherlich zu viel toleriert. Um auch einmal Na-
men zu nennen: Führungspersonal wie der famose US-
General Shook stellt eben keine Lösung des Problems
dar, sondern ist selbst ein Problem, wenn es darum geht,
ein Gebiet wie Kosovo international aufzurichten.

Wir sprechen bekanntlich von einem Landstrich mit
knapp 2 Millionen Einwohnern. Das spricht noch nicht
gegen die internationale Anerkennung. Kleine Länder
können erfolgreich sein. Luxemburg und, um in der Re-
gion zu bleiben, Montenegro, sind erfolgreiche Beispiele
dafür. Nun wird seit Jahren darauf hingewiesen, Kosovo
sei ein Sonderfall. Das stimmt ganz gewiss; denn Ko-
sovo erfüllt – einzigartig in Europa – alle Kriterien eines
Entwicklungslandes. Was machen wir aber aus diesem
Sonderfall? Es ist beschämend, dass die Mission EULEX
so schwer aus der Vorbereitungsphase herauskommt,
was keineswegs nur an Komplikationen mit Russland
liegt.

Die Mission KFOR im Kosovo ist leider weiterhin
notwendig. Sie muss auf unserem Schirm bleiben, wie
man heute sagt; daran besteht angesichts der Sicherheits-
lage und der Tatsache, dass das Jahr 2008 ein Jahr des
Übergangs im Kosovo ist, kein Zweifel.

Recht ist für die Menschen da. Für manche auf dieser
Welt, so auch für die Damen und Herren von der Links-
partei, PDS, wird es niemals ein Völkerrecht geben kön-
nen, das sie ruhigen Gewissens in ihrer Isolation leben
lässt. Von Solidarität keine Spur – mit niemandem, auch
nicht in dieser Frage, über die wir heute zu entscheiden
haben. Sie verschanzen sich an dieser Stelle erneut hin-
ter Ihrer notorischen Interpretation des Völkerrechts.
Wen und wie viele Sie Ihres notorisch guten Gewissens
wegen hängen lassen, ist Ihnen egal. Ich möchte auch
beim nächsten Mal, wenn es um Massenmord geht, nicht
auf Sie angewiesen sein.

Wir müssen allerdings mehr bieten als Halbherzig-
keit. Offensichtlich ist der Nationalismus im Kosovo auf
allen Seiten dominant. Vernünftige Menschen wie Veton
Surroi von der albanischen Seite und Oliver Ivanovic
von der serbischen Seite, um auch hier Namen zu nen-
nen, sind derzeit leider nicht gefragt. Werden wir das
noch ändern können? Werden die derzeitigen politischen
Führer im Kosovo einen demokratischen und europäi-
schen Weg gehen, weg von traditioneller Unterdrückung
in einer in weiten Teilen vormodernen Gesellschaft und
weg von organisierter Kriminalität? Gerade weil darauf
jedenfalls heute nicht mit Ja geantwortet werden kann,
sind KFOR und EULEX bitter notwendig.

Das führt zu der Frage, ob die Menschen dort in unse-
rem Sinne europäisch sein wollen. Reicht es, Demokra-
tie und Wohlstand zu versprechen? Wie glaubwürdig ist
dieses Versprechen, wenn Sicherheit und Gewaltmono-
pol fehlen? Wer kann denn garantieren, dass am Ende
die gemeinsame europäische Zukunft steht, die wir uns






(A) (C)



(B) (D)


Johannes Jung (Karlsruhe)

hier wünschen? Woher nehmen wir diesen Glauben?
Uns muss klar sein: Wer nicht in dieser Generation in die
Europäische Union kommt, der wird weiterhin ein natio-
nalistisches Projekt betreiben.

Seit langer Zeit versuche ich klarzustellen, dass die
Lage im Nachbarland Mazedonien prekärer ist als in Ko-
sovo und Serbien. In Kosovo und Serbien ist die Separa-
tion längst vollzogen; wir haben sie hier bestätigt. In
Mazedonien exerziert die internationale Gemeinschaft
eine Strategie des Ethnoproporzes, die genau wie in Bos-
nien-Herzegowina erkennbar nicht funktioniert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist traurig, aber nicht beifallswürdig!)


Die größere der beiden Albanerparteien soll wieder nicht
mit der größten slawisch-mazedonischen Partei koalie-
ren. Es ist das gute Recht beider Parteien, sich ihre Ko-
alitionspartner selbst zu wählen; aber aufgrund der
Spielregeln, die wir mit aufstellen, kann die größte alba-
nische Partei in Mazedonien die in dieser Gesellschaft an
sie gestellten klientelistischen Ansprüche eben nicht be-
friedigen. Das kann nur eine Regierungspartei. So führt
Nationalismus zu dem, was wir jetzt beobachten müs-
sen: zur Selbstzerfleischung in derselben Volksgruppe,
als wäre die Zugehörigkeit zur selben Volksgruppe per
se ein politisches Problem oder Kriterium. Was tun wir?
Wir sind nicht bereit, Sicherheit für alle Staatsbürger
Mazedoniens über die NATO zu ermöglichen, was der
einzige Weg wäre. Ein schwerer Fehler!

Ein Blick in den Norden Kosovos: Wir haben bereits
genügend Erfahrungen mit extralegalen Staatstrukturen.
In den 90er-Jahren gab es die Quasirepublik Serbische
Krajina auf kroatischem Territorium, die Quasirepublik
Herceg-Bosna als kroatische Teilstruktur in Bosnien-
Herzegowina. Können wir im Nordkosovo das pragma-
tisch ignorieren, was sich dort abspielt? Vielleicht wäre
es ehrlicher, zu sagen, dass wir plan- und hilflos dane-
benstehen und das akzeptieren, was es dort seit Jahr-
zehnten gibt. Jedenfalls sehe ich niemanden, der im
Sinne dessen, was KFOR und EULEX eigentlich errei-
chen sollen, die Zustände im Nordkosovo dramatisch än-
dern möchte. Ich füge hinzu: Es ist auch ratsam, dies zu
unterlassen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Der europäische Einsatz ist sowohl bei KFOR als auch
bei EULEX notwendig, um allen Seiten im Kosovo Si-
cherheit zu geben, aus sogenannten Volksgruppen viel-
leicht doch endlich Staatsbürger zu machen und der
nächsten Generation ein besseres Leben zu ermöglichen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616616000

Das Wort hat nun Rainer Stinner für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1616616100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Balkan-Blues – Europas ungelernte Lektionen“ ist der
Titel der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Internationale
Politik vom Juni dieses Jahres. Dieser Titel spiegelt ge-
nau das wider, was wir gegenwärtig bedauerlicherweise
auf dem Balkan erleben. Ich fordere uns alle auf, hier
und auch draußen von der Beschönigung der Situation
abzusehen und der Realität im Kosovo ins Auge zu
schauen. In dem angesprochenen Heft dieser Zeitschrift
stehen Überschriften wie „Drohendes Desaster im Ko-
sovo“, „Krampf ums Kosovo“, „Gedankenlose Neuord-
nung“ etc. All diese Beschreibungen sind leider durch-
aus realistisch.

In diesem völlig unbefriedigenden Umfeld stehen wir
heute vor der Frage der Verlängerung des KFOR-Man-
dates. Hier sage ich ganz deutlich: Gerade weil die Situa-
tion so unbefriedigend ist und die Dinge sonst nicht lau-
fen, ist es ungeheuer wichtig, dass wir heute gemeinsam
das KFOR-Mandat verlängern. Die KFOR-Mission ist
gegenwärtig der einzige stabile Anker in dieser Region.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die KFOR-Mission macht jede Entwicklung erst mög-
lich. Ohne die KFOR-Mission gingen wir das Risiko ein,
dass das Land in ein unerträgliches Chaos gerät. Das
können wir doch nicht wollen. Deshalb muss jeder in
diesem Raume, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem
wirklich an den Menschen in der Region liegt, diesem
KFOR-Mandat hier und heute zustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wissen alle, dass das Mandat eine notwendige,
aber keine hinreichende Voraussetzung für das ist, was
im Kosovo geschehen muss. Die KFOR alleine bringt
den Kosovo keinen Millimeter weiter; sie verhindert nur
Schlimmeres. – Ein Nebensatz, sehr verehrter Herr Mi-
nister Jung: Die KFOR nimmt im Kosovo auch polizeili-
che Aufgaben wahr, um hier nur ganz kurz eine andere
Debatte anzuführen. Was braucht die Republik Kosovo?
Sie braucht erstens die europäische Rechtsstaatsmission
EULEX, über die wir sprechen, damit Stabilität herbei-
geführt, ein Rechtsstaat aufgebaut und notwendige
Strukturen entwickelt werden können.

Wir müssen feststellen – auch das gehört zu einer
kritischen Analyse –, dass die acht Jahre dauernde
UNMIK-Mission nicht die erwarteten Ergebnisse ge-
bracht hat. Acht Jahre unbeschränkte Vollmachten der
internationalen Gemeinschaft haben zu einem unbefrie-
digenden Ergebnis geführt. Das muss nachdenklich
stimmen.


(Beifall bei der FDP)


Daraus muss die EULEX-Mission lernen. Ich stelle in-
frage, ob es sinnvoll ist, dass an der EULEX-Mission
mehrere Tausend Personen beteiligt sind. Die Erfahrung
mit internationalen Missionen hat gezeigt, dass in einem






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Stinner
solchen Fall die Selbstbeschäftigung eher zunimmt. Die
EULEX-Mission muss aber schlagkräftig sein.

Bei der Vorbereitung der Mission erleben wir ein wei-
teres Trauerspiel: Die EU ist eben nicht in der Lage, die
Vorbereitung konsequent zu betreiben. Sie ist ins Sto-
cken geraten, und das wirft ein schlechtes Licht auf uns.


(Beifall bei der FDP)


Zweitens braucht das Kosovo die Einbindung in regio-
nale Strukturen. Auch das gestaltet sich gegenwärtig au-
ßerordentlich schwierig. Ich spreche nicht nur über
Serbien – die Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang
sind ein Sonderfall –, sondern auch über die anderen re-
gionalen Partner. Bei der Einbindung des Kosovo in re-
gionale Strukturen kommt es darauf an, dass sie von der
Europäischen Union bzw. von Deutschland aktiv voran-
getrieben wird. Hierbei sehe ich relativ wenige Impulse
der deutschen und europäischen Politik.

Drittens. Auch das Kosovo braucht eindeutig die
europäische Perspektive. Die Zeitschrift Internationale
Politik formuliert prägnant und auch etwas süffisant:

„… wir tun so, als wollten wir sie aufnehmen, und
sie tun so, als würden sie uns das glauben …“

Das beschreibt die unbefriedigende gegenwärtige Situa-
tion. Die Glaubwürdigkeit der EU hat in der Region lei-
der sehr stark abgenommen. Das muss man erkennen.
Wir haben seitens der EU heroisch hohe Hürden aufge-
baut, unter denen wir dann aber ganz schlank weggelau-
fen sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
Zusammenarbeit mit Den Haag in Serbien und an die
Polizeireform in Bosnien-Herzegowina. In beiden Fällen
wurden hohe Hürden aufgebaut, beide Male schlank da-
runter weggelaufen. Das erhöht unsere Glaubwürdigkeit
in der Region leider überhaupt nicht.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das schadet dem Balkan, und das schadet auch Europa.
Eine kohärente europäische Balkanpolitik ist leider nicht
erkennbar. Ich sage noch deutlicher: Man kann den Ein-
druck haben, dass die Balkanpolitik in Brüssel eher lust-
los administriert wird, als dass sie mit Herz, Realitäts-
sinn und Nachdruck politisch gestaltet wird.

Alle diese Punkte machen deutlich: Auch im Kosovo
liegt die Lösung – das wissen wir alle – nicht im Militä-
rischen; es müssen die politischen Voraussetzungen ge-
schaffen werden. Das Militär kann nur die Grundlagen
dafür schaffen.

Leider beschränkt sich der Antrag der Bundesregie-
rung, dem wir aus vollem Herzen zustimmen, formalis-
tisch-minimal auf die Forderung, das Militär einzuset-
zen, und nimmt die Komplexität der politischen
Entwicklung in keiner Weise wahr. Deshalb haben wir
seitens der FDP unseren Antrag eingebracht, um wenigs-
tens auf einige inhaltliche Punkte hinzuweisen.

Ich darf Ihnen ehrlich sagen, ich war gestern im Ver-
teidigungsausschuss ein bisschen erschüttert darüber,
mit welchen wirklich fadenscheinigen, primitiven Grün-
den unser Antrag, dem Sie eigentlich alle zustimmen,
abgelehnt worden ist. Ich sehe hier zwei Fraktionsvorsit-
zende der Großen Koalition. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie werben um unsere Stimmen für die Zu-
stimmung zur Fortsetzung des Mandats. Das bedenken
wir, und wir werden auch zum großen Teil zustimmen,
wie Sie wissen. Wir können dann aber auch erwarten,
dass Sie mit unseren inhaltlichen Anträgen, die unsere
Zustimmung begleiten, ernsthafter umgehen, als Sie es
in diesem Fall getan haben.


(Beifall bei der FDP)


Ich hoffe auf Ihre Lernwilligkeit und Lernfähigkeit
und gehe deshalb davon aus, dass Sie heute unserem An-
trag zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616616200

Das Wort hat nun Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-

Fraktion.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1616616300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Unionsfraktion wird dem Antrag der Bundesre-
gierung, das Mandat für KFOR zu verlängern, zustim-
men. Nach den Beratungen im Auswärtigen Ausschuss
können wir auch davon ausgehen, dass die Zustimmung
auch vom Bündnis 90/Die Grünen und von der FDP, also
von einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag, ge-
tragen wird. Das hat auch gute Gründe; denn jeder, der
sich mit der Lage im Kosovo befasst, weiß – Herr Stin-
ner hat darüber gerade gesprochen –, dass die KFOR für
den Aufbau eines sicheren Umfeldes für alle Bewohner
und die weitere Unterstützung beim Aufbau demokrati-
scher und rechtsstaatlicher Strukturen im Kosovo unver-
zichtbar ist.

Wahr ist, dass der eigentlich sorgfältig vorbereitete
Weg, beim Kosovo zu einer Statusänderung zu kommen,
nicht zu einer einvernehmlichen Lösung geführt hat.
Aber der Zustand war auch nicht länger haltbar. Denjeni-
gen, die sagen – ich spreche hier vor allem die Links-
fraktion an –, es sei falsch gewesen, dass die Bundesre-
publik Deutschland den anderen Ländern, die die
Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben, gefolgt
sei, möchte ich sagen, dass eine einvernehmliche Lösung
nicht mehr zu erwarten war.


(Dr. Norman Paech [DIE LINKE]: Das ist die Frage!)


25 Monate ist verhandelt worden, zuerst unter Ahtisaari,
dann im UN-Sicherheitsrat, dann unter Beteiligung der
Troika von Russland, den USA und der Europäischen
Union sowie von Wolfgang Ischinger. Alles war ergeb-
nislos. Der Status quo war nicht länger tragbar. Insofern
sind wir nun bei der zweitbesten Lösung. Damit müssen
wir umgehen.

Über die zweitbeste Lösung zu sprechen, bedeutet ge-
rade angesichts des Besuchs des russischen Präsidenten
in Berlin, zwei, drei Sätze zur Rolle Russlands in diesem






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz
Prozess zu sagen. Russland hat seinerzeit eine Resolu-
tion des UN-Sicherheitsrats für eine Intervention verhin-
dert, obwohl Genozidgefahr bestand. Russland hat dann
eingelenkt und die UN-Resolution 1244 mitgetragen.
Russland hat dem Mandat für Ahtisaari zugestimmt. Ich
selber habe mit Ahtisaari zu Beginn seiner Verhand-
lungsmission gesprochen. Er, der ein erfahrener Politiker
ist, hat damals den festen Eindruck gehabt, dass die
Ziele, die er in sogenannten Private Messages nach
Priština und Belgrad vermittelt hat, von allen ständigen
Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates geteilt werden.
Russland ist dann irgendwann ausgeschert und hat mit
dem internationalen Konsens gebrochen. Deshalb haben
wir nun das Problem, einen Übergang von UNMIK, der
Mission der Vereinten Nationen im Kosovo, die eine Art
Protektoratsregime innehatte, zu einer von der Europäi-
schen Union und der EULEX-Mission überwachten und
kontrollierten Unabhängigkeit des Kosovo zu finden. Es
wird nicht so laufen wie geplant. Dazu sage ich gleich
noch etwas.

Es gibt nun die neue Aufgabe, die Einheit des Kosovo
sicherzustellen. Es gibt den serbisch besiedelten Norden,
den Serbien gerne als Hebel zur Durchsetzung seines
Anspruchs auf das Kosovo nutzen möchte. Nicht nur die
Parlamentswahlen, sondern auch die Kommunalwahlen,
die Serbien rechtswidrig beispielsweise in Mitrovica hat
durchführen lassen, haben gezeigt, dass sich daraus noch
ein Problem ergeben könnte. Falls in Belgrad die Eu-
ropabefürworter die Regierung bilden werden, haben sie
das Problem, dass es sich aus serbischer Sicht bei den
Vertretern in Mitrovica um Hardliner in Amt und Wür-
den handelt, die möglicherweise den ganzen Prozess
noch weiter erschweren.

Es besteht die Gefahr, dass sich im Norden ein
Machtvakuum bildet und dass Priština den Anspruch er-
hebt, die Unabhängigkeit des ganzen Kosovo erklärt zu
haben. Nun kann man auf Zeit spielen. Es wird uns auch
nicht viel anderes übrig bleiben, gerade wenn es um den
Übergang von UNMIK zu EULEX geht. Angesichts der
Kürze der Debatte nur so viel: Wahrscheinlich wird ent-
gegen den Planungen UNMIK bleiben, und EULEX
wird unter dem Dach von UNMIK ein Pfeiler. Eine an-
dere Lösung kann ich mir nicht vorstellen. Aber beim
zeitlichen Aspekt müssen auch die Nebenwirkungen in
der Region beachtet werden.

Damit bin ich bei Mazedonien, Herr Jung. Ich glaube,
wenn in Mazedonien angesichts der jetzigen Lage der
Eindruck entsteht, der Norden des Kosovo sei auf einem
erfolgreichen Weg, sich abzuspalten, wird die Versu-
chung für die albanische Minderheit in Mazedonien sehr
stark wachsen, darüber nachzudenken, ob man das auch
machen könnte. Deshalb ist es ganz wichtig, dass auch
die deutsche Regierung und vor allem die Europäische
Union den Namensstreit zwischen Mazedonien und
Griechenland als ein erstrangiges Problem wahrnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn für die Stabilisierung Mazedoniens sind die Mit-
gliedschaft in der NATO und die EU-Perspektive, die es
ohne die Lösung des Namensstreites natürlich nicht gibt,
essenziell. Mein Eindruck, gerade auch in der Vorberei-
tung des NATO-Gipfels, war, dass die meisten gemeint
haben, Griechenland vertrete eine aberwitzige Position
und werde schon einknicken. Ich will die griechische
Position gar nicht bewerten. Nur, eines will ich Ihnen sa-
gen: Jeder, der auch nur drei Stunden in Athen war, hätte
erkennen können, dass es für jede griechische Regierung
völlig unmöglich war, im Namensstreit nachzugeben.
Und dass Griechenland einige Erfahrungen damit hat,
EU-Entscheidungen zu blockieren, wissen wir aus ande-
ren Zusammenhängen. Also, hier bitte mehr Aufmerk-
samkeit auch der deutschen Politik für diesen Namens-
streit. Wir müssen sehen, dass wir ihn in diesem Jahr
vom Tisch bekommen.

Eine letzte Anmerkung: Wir werden auch Wert darauf
legen müssen, Russland und Serbien so gut es geht ir-
gendwie wieder in die Prozesse einzubeziehen. Hier
kommt die OSZE als eine Möglichkeit ins Spiel, über
die wir stärker nachdenken müssten, als das vielleicht
bisher geschehen ist. Die OSZE ist als ziviler Stabilisie-
rungsfaktor im Land dabei – 800 Mitarbeiter in allen Ge-
meinden des Kosovo –, den Aufbau demokratischer
Institutionen zu fördern, zum Beispiel mit Monitoring-
aufgaben, was Menschenrechte, Minderheitenschutz und
die Medienentwicklung in Kosovo angeht. Sie unter-
stützt die Dezentralisierung, und sie betreibt Polizei- und
Gerichtsmonitoring, sogar eine eigene Polizeischule.
Jetzt kommt der politische Aspekt. Die OSZE arbeitet
unter der Prämisse der Statusneutralität und könnte da-
durch eine Klammer in der jetzigen Frage zu Russland
und zu Serbien darstellen. Es ist ganz wichtig, dass ge-
rade Deutschland deutlich macht, dass wir nach wie vor
eine wichtige Rolle der OSZE wünschen. Nach dem,
was man hört, könnte demnächst ein Wechsel an der
Spitze der OSZE-Mission anstehen. Ich möchte gerade
von dieser Stelle die Anregung geben, dass Deutschland
sich um eine Übernahme dieser Führungsposition be-
müht, zumal die Position von Herrn Rücker bei UNMIK
demnächst auslaufen wird und wir zu den Ländern gehö-
ren, die ein besonderes Interesse am Kosovo haben, dann
aber in keiner Führungsposition mehr bei den internatio-
nalen Organisationen vertreten sein würden. Das wäre
auch ein Signal dafür, dass wir den Weg des Kosovo
weiter begleiten wollen, auch weil es in unserem Inte-
resse liegt, diesem Armenhaus des früheren Jugoslawi-
ens, dem Armenhaus des jetzigen Europas, zu helfen. Es
ist reich an Bodenschätzen – die drittgrößten Braun-
kohlenreserven Europas liegen dort, und es gibt viele
Erz- und Mineralvorkommen, die sehr wichtig sind.

Eine allerletzte Bemerkung: 13 Prozent des kosovari-
schen Bruttosozialprodukts bei einer Arbeitslosigkeit
von 50 Prozent kommen von den Überweisungen von
Exilkosovaren in ihre Heimat. Ich finde es etwas wider-
sinnig, dass wir mit sehr viel Geld vor Ort tätig sind,
aber eine Politik der Rückführung von Kosovaren, die
hier gut integriert sind, die hier ihre Wohnung und ihren
Arbeitsplatz haben – die Arbeitgeber kommen sogar mit
ihnen in unsere Sprechstunden und sagen, dass diese ihre
besten Mitarbeiter seien, und fragen, warum wir die
zurückschicken –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)


Ruprecht Polenz
betreiben und auf diese Weise das Kosovo von einer
wirtschaftlichen Einnahmequelle abschneiden, die das
Land auf absehbare Zeit noch brauchen wird.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616616400

Kollege Polenz, gestatten Sie nicht eine Zwischen-

frage, sondern eine Nachfrage? Ihre Redezeit ist nämlich
schon vorüber.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1616616500

Ja. Ich weiß.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Kollege Polenz, Sie wissen, dass
ich Sie sehr respektiere und wir in diesem Punkt Ihre
Haltung absolut teilen. Kann man aufgrund Ihrer jetzi-
gen Aussage davon ausgehen, dass die Regierung und
Sie als Teil der Koalitionsfraktionen sich massiv vor al-
len Dingen an die Innenministerkonferenz wenden wer-
den, weil diese Entscheidungen nicht vom Außen-
ministerium getroffen werden, sondern von den
Innenministern, die in unverantwortlicher Weise genau
diese Widersinnigkeit, die Sie eben beschrieben haben,
von Jahr zu Jahr fortführen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1616616600

Liebe Frau Kollegin Beck, ich muss ehrlich sagen:

Das weiß ich nicht. Was ich hoffe, ist, dass dieser Zu-
sammenhang, über den wir, glaube ich, alle zu wenig
diskutiert haben, deutlich wird und zu einer Korrektur
des Verhaltens führt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616616700

Das Wort hat nun Norman Paech, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norman Paech (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616616800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Linke wird der Mandatsverlängerung nicht zu-
stimmen,


(Beifall bei der LINKEN)


und zwar aus ganz einfachen Gründen: Die UN-Sicher-
heitsratsresolution 1244 von 1999 taugt nicht mehr als
Rechtsgrundlage für eine Verlängerung des Bundeswehr-
einsatzes. Die Umstände haben sich mit der einseitigen
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008
grundlegend und entscheidend verändert. Diese Unab-
hängigkeitserklärung war völkerrechtswidrig, ebenso die
anschließende Anerkennung durch die Bundesregierung.
Das haben Sie – das ist das Interessante – in der Debatte
vor einem Jahr genauso gesehen, und das möchte ich Ih-
nen in Erinnerung rufen.
Die Bundesregierung, Herr Steinmeier, hat damals in
ihrem Antrag auf Verlängerung des Mandats die Hoff-
nung ausgedrückt, „dass der VN-Sicherheitsrat seiner
Aufgabe gerecht wird und möglichst bald eine neue Re-
solution verabschiedet, die … die bisherige Resolu-
tion 1244 (1999) des VN-Sicherheitsrates ablöst und die
Grundlage für die neue internationale Präsenz schafft“.
Sie betonte damals, dass eine „derartige Folgeresolution
... eine Neumandatierung des Bundeswehreinsatzes im
Rahmen einer konstitutiven Befassung des Deutschen
Bundestages notwendig machen wird“.

Kollege Polenz, erinnern Sie sich noch an das, was
Sie in der Debatte am 21. Juni 2007 gesagt haben? Fol-
gendes:

Die jetzige Rechtsgrundlage … ist die Sicherheits-
ratsresolution 1244. Es ist klar, dass bei einer Ver-
änderung eine rechtzeitige neue Befassung des
Bundestages erfolgen muss. Es ist genauso klar,
dass der Bundeswehreinsatz in jedem Fall und zu
jedem Zeitpunkt eine eindeutige rechtliche Grund-
lage haben muss.

Sie können doch jetzt nicht behaupten, dass diese recht-
liche Grundlage nun gegeben ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Frau Kollegin Zapf, erinnern Sie sich noch an Ihre
Worte am 21. Juni 2007? Sie sagten:

Ich finde allerdings, dass eine einseitige, unkondi-
tionierte Anerkennung des Kosovo … über den
Horizont des Denkens hinausgeht. Eine solche An-
erkennung kann nicht infrage kommen.

Meine Frage an Sie: Hat sich Ihr Horizont jetzt erwei-
tert?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Zur FDP. Sie stellte in ihrem Entschließungsantrag
damals ganz unmissverständlich Folgendes fest:

Innerhalb des Kosovo mehren sich die Stimmen,
die eine einseitige Unabhängigkeitserklärung for-
dern. Völkerrechtlich wäre eine solche Erklärung
ein Bruch der Resolution 1244.


(Zuruf von der Linken: Aha!)


… Mit dem Bruch der Resolution 1244 würden
beide Institutionen

– KFOR wie UNMIK –

ihre Legitimitätsbasis verlieren.

Sie, Kollege Stinner, wiederholten das in Ihrer Rede fast
wörtlich.

Schließlich zu den Grünen. In ihrem Entschließungs-
antrag, aus dem ich zitiere, sagten sie:

Grundlage dafür

– für die weitere Stationierung der Bundeswehr –

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norman Paech
ist das Beharren auf einer neuen UN-Resolution,
die Resolution 1244 ersetzt. Eine Unabhängigkeits-
erklärung der kosovarischen Regierung kann eben-
falls nur auf dieser Grundlage erfolgen. Sollte eine
dieser Bedingungen oder beide nicht mehr erfüllt
sein, wäre die völkerrechtliche Grundlage für das
KFOR-Mandat und die UNMIK-Mission entfallen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


So haben Sie sich im Juni 2007 geäußert.

All diesen Reden zum Trotz ist nach der Unabhängig-
keitserklärung im Februar 2008 genau das Gegenteil ge-
schehen: Die Bundesregierung hat weder ihre KFOR-
Truppen zurückgerufen noch eine neue Resolution als
Grundlage für die weitere Präsenz der Bundeswehr im
Kosovo gefordert. Stattdessen hat sie den Bundestag
schlichtweg übergangen, das Völkerrecht missachtet und
das Kosovo anerkannt.


(Beifall bei der LINKEN)


Waren diese Ihre Worte eigentlich nur das Geschwätz
vom vergangenen Jahr, das Sie heute nicht mehr küm-
mert?

Herr Kollege Polenz, Sie warnten vor einem Jahr,
dass sich einseitige Schritte in Priština „wie der Funke
an einem Pulverfass auswirken“ könnten. Was ist eigent-
lich mit den vielen anderen Pulverfässern dieser Welt,


(Beifall bei der LINKEN)


in Abchasien, Südossetien, bei den Basken, den Kurdin-
nen und Kurden, in Tibet? Wollen Sie bei der Lösung all
dieser Konflikte nach Gutsherrenart, nach dem Prinzip
der politischen Willkür verfahren? Ich sage Ihnen eines:
Die Missachtung von Völkerrecht löst keine Probleme,
sondern wird immer weitere Probleme schaffen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Deswegen rate ich Ihnen: Kehren Sie zum Völkerrecht
zurück, und holen Sie die deutschen Truppen aus dem
Kosovo zurück!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616616900

Das Wort hat nun Marieluise Beck, Fraktion Bündnis

90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen über den gesamten Balkan,
wenn wir über das Kosovo sprechen. Wir haben es mit
einer Realität zu tun, die sich durch Argumentationen,
die man immer wiederholt, nicht verändern lässt. Die
Realität ist: Der Staat Jugoslawien ist in seine Teile zer-
fallen. Wenn wir heute über das Kosovo sprechen, haben
wir es immer noch zu tun mit dem Bewältigen von auch
völkerrechtlich schwierigen Situationen, die durch die-
sen Staatszerfall entstanden sind und die mit der Unent-
schiedenheit der Europäischen Union und der internatio-
nalen Staatengemeinschaft zusammenhängen.

Herr Jung, Sie haben das angesprochen: Wir haben
uns – das kann man insbesondere an Bosnien-Herzego-
wina sehen – auf einen schmalen Grat begeben, indem
wir ethnische Zugehörigkeit als Teil des Verfassungs-
rechts anerkannt haben. Wir wissen, dass die Länder, die
aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen sind,
bis zum heutigen Tag an den Folgen dieser sehr prekären
Entscheidungen herumlaborieren.

Noch einmal kurz zu der völkerrechtlichen Frage,
Herr Paech. Jawohl, wir alle hätten uns eine einvernehm-
liche Lösung gewünscht. Es ist lange daran gearbeitet
worden. Nachdem es Vertreibung gegeben hatte, Völker-
mord gedroht hatte und die Autonomie durch Milosevic
genommen worden war, war es dem Kosovo nicht mehr
zuzumuten, noch einmal unter das Dach dieses Staates
zurückzukehren. Wir alle wussten, dass das Kosovo das
nie tun würde.

Wir haben die Resolution 1244, die die Staatenge-
meinschaft dazu verpflichtet, den Schutz aller Ethnien
vor Ort zu gewährleisten. Das ist die Aufgabe der
KFOR-Soldaten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben sich vor einigen Tagen in der Berliner Zei-
tung fragen lassen müssen: Wäre es denn politisch zu
verantworten, die verfeindeten Kosovo-Albaner und Ko-
sovo-Serben miteinander allein zu lassen? Sie geben
keine Antwort darauf. Was Sie hier sagen, heißt in der
Konsequenz aber: Jawohl, wir lassen sie alleine. – Dann
gäbe es aber eine große Krise. Deswegen müssen unsere
Soldaten dort bleiben. Sie haben bisher verhindert, dass
diese Krise ausbricht und es wieder zu Vertreibung und
Gewalt kommt.

Das also ist Ihre Konsequenz. Sie werden Sie nie un-
ter der Überschrift „Menschenrechte“ verkaufen können.
Die Resolution 1244 ist sehr eindeutig. Sie verpflichtet
dazu, vor Ort für Gewaltvermeidung zu sorgen. Diese
Maßgabe der Resolution 1244 besteht fort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norman Paech [DIE LINKE]: Der Abzug bedeutet nicht, die allein zu lassen!)


Nun also gilt es, nach vorn zu schauen, was als
Nächstes zu tun ist. Das ist die EULEX-Mission als
Rechtsstaatsmission. Das ist der schwierige Weg, im Ko-
sovo Institutionen aufzubauen, damit die Menschen end-
lich wieder eine Perspektive bekommen, damit es Justiz
und Polizei gibt, damit die Chance auf Investitionen be-
steht, damit sich in dem Land wirtschaftliche Tätigkeit
entwickeln kann und nicht auf Dauer der Import der le-
benswichtigen Ressourcen von außen notwendig bleibt.

Es geht auch darum, organisierte Kriminalität zu ver-
hindern. Trafficking vom Balkan betrifft auch uns in un-
seren Staaten. Wir haben also ein Interesse daran, dass
im gesamten kosovarischen Gebiet der Weg hin zum
Rechtsstaat eingeschlagen wird, und zwar nicht von






(A) (C)



(B) (D)


Marieluise Beck (Bremen)

außen aufgesetzt, sondern in Eigenverantwortung der
Kosovo-Albaner.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht um den schwierigen Weg des Nation-Buil-
ding. Kosovo ist das bisher anspruchvollste Vorhaben
der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik. Es steht unter schwierigen Vorzeichen,
weil es ein Nebeneinander von UNMIK und EULEX
gibt. Vermutlich wird aber – davon ist auszugehen – in
der nächsten Woche der Generalsekretär der Vereinten
Nationen in dieser Frage eine Klärung herbeiführen.

Wir sollten uns hier klarmachen, dass Gewalt und
Vertreibung auf dem Balkan unendlich viel Leid hervor-
gerufen haben. Natürlich – da haben Sie recht, Herr Stin-
ner – dauert die Mission schon acht Jahre. Das ist eine
lange Zeit. Aber in Bosnien dauert sie zum Beispiel noch
viel länger, nämlich 15 Jahre. Wir lernen aber da-raus,
dass das Wiederherstellen von Staatlichkeit und Rechts-
staatlichkeit gerade dann, nachdem Nationalisten so
lange freies Spiel hatten und es so viel Gewalt unter den
Menschen verschiedener Ethnien gegeben hat, sehr
mühselig ist. Es ist also ein langer und schwieriger Weg,
das wieder aufzubauen, was vorher durch Gewalt und
Vertreibung zerstört worden ist. Es gibt keine Alterna-
tive zu diesem sehr mühseligen Weg.

Wir als Grüne nehmen die Herausforderung an. Wir
setzen auf EULEX und werden der Verlängerung der
KFOR-Mission zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616617000

Das Wort hat nun Kurt Rossmanith für die CDU/

CSU-Fraktion.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1616617100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute in der Tat über einen Teil des Bal-
kans, nämlich über das Kosovo, ein Land, das, wie Sie,
Frau Kollegin Beck, richtigerweise hingewiesen haben,
ein Teil des zerfallenen Jugoslawiens war.

Wir müssen leider auch mit dem Fakt leben, dass in
den neun Jahren nach Beendigung des Krieges die diplo-
matischen Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben,
sodass im Endeffekt am 17. Februar dieses Jahres gar
nicht viel anderes zu erwarten war, als dass das Kosovo
sich zum selbstständigen Staat erklärt. Die Bundesrepu-
blik Deutschland hat in Form der Bundesregierung vier
Tage später, am 21. Februar, diesen Staat als solchen an-
erkannt und damit auch Verpflichtungen übernommen.

Ich danke Ihnen, Frau Beck, dass Sie auf Flucht, Ver-
treibung und all die Mühsal sowie auf all die Verbre-
chen, die dort geschehen sind, hingewiesen haben. Da-
her frage ich – das ist schon fast nicht einmal mehr als
rhetorische Frage zu verstehen –, was man von einer
Partei halten kann, muss oder soll, die auf diese Frage
nichts anderes zu sagen weiß, als auf Rechtspositionen
hinzuweisen, die völlig falsch sind. Herr Gysi hat ja das
Bundesverfassungsgericht angerufen. Ich wünsche ihm
dabei sehr viel Erfolg. Jeder blamiert sich so gut er kann,
kann ich dazu nur sagen.

Es nützt auch nichts, Kollege Stinner, wenn wir nur
auf die Vergangenheit schauen und all das beklagen, was
geschehen ist. Es ist richtig, dass wir bislang Hilfen in
Höhe von 2 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der
Wirtschaft geleistet haben. Dennoch liegt die Arbeitslo-
sigkeit über 50 Prozent. Für den Aufbau der Energiever-
sorgung im Kosovo haben wir über 1 Milliarde Euro ge-
geben. Nach wie vor fällt die Stromversorgung dort aber
stundenlang aus.

Überweisungen aus dem Ausland tragen zu 13 Pro-
zent zum Bruttoinlandsprodukt des Kosovo bei. Darauf
hat Kollege Polenz hingewiesen.

Man kann die Situation auch folgendermaßen be-
trachten: Die Investitionsneigung im Kosovo ist momen-
tan äußerst gering. Daher können wir von den Fachleu-
ten aus dem Kosovo, die Krieg, Flucht und Vertreibung
nicht erleben mussten, weil sie bei uns in Sicherheit le-
ben konnten, schon erwarten, dass sie ihr in Deutschland
erworbenes Fachwissen in ihrem Heimatland ihren Mit-
bürgerinnen und Mitbürgern zugute kommen lassen und
einen entsprechenden Beitrag zum Wiederaufbau der
Wirtschaft leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung den An-
trag eingebracht hat, unser Mandat zu verlängern. Auf-
gabe der KFOR ist ja die Demilitarisierung, Stabilisie-
rung, Leistung von humanitärer Hilfe und von
Rückkehrhilfe für Flüchtlinge und für Vertriebene, um
sie wieder eingliedern zu können. Natürlich hoffen wir,
dass die zivile Rechtsstaatsmission EULEX – das wäre
zwingend notwendig – zum Tragen kommt. Dies ist ein
ganz wichtiger Pfeiler. Gerade deshalb benötigen wir
weiterhin den Schutz durch die KFOR. Es wäre gera-
dezu verrückt und würde ein großes Maß an Inhumanität
zeigen, wenn wir sagen würden: Die Soldaten ziehen so-
fort wieder ab.

Wir hatten fast 7 000 Soldaten im Kosovo. Jetzt sind
es noch 2 800. Wir wollen die Zahl weiter auf 2 200 re-
duzieren. Die Bundesregierung und die sie tragende
Koalition verhalten sich, was diese Mission betrifft, sehr
korrekt. Das Mandat ist unbegrenzt; es wäre also gar
nicht erforderlich gewesen, dass die Bundesregierung es
erneuern lässt. Aber die Koalition aus den Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD war der Meinung: Wir wol-
len nach der Unabhängigkeit des Kosovo die Verlänge-
rung dieses Mandats im Parlament bestätigen.

Die Verlängerung des Mandats ist wichtig für die
Bürgerinnen und Bürger im Kosovo. Denn sie können so
mit unserer Hilfe und mit dem Beistand unserer Soldaten
am Aufbau ihres Heimatlandes mitwirken. Ich sage dies
auch im Interesse unserer Soldaten, denen ich ausdrück-
lich im Namen meiner Fraktion – ich bin überzeugt:
auch im Namen des ganzen Hauses – einen Dank für ihre






(A) (C)



(B) (D)


Kurt J. Rossmanith
hervorragende Leistung ausspreche, die sie dort unter
wirklich schweren Bedingungen erbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bitte um Zustimmung für diesen Antrag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616617200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie darum,

eine solche Ruhe herzustellen, dass wir auch dem letzten
Redner in dieser Debatte noch zuhören können.

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Hans-
Peter Bartels das Wort.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1616617300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt

im Augenblick zwei große NATO-Missionen: KFOR
und ISAF. Während in Afghanistan um den Erfolg noch
gerungen werden muss – auch um den Erfolg einer mili-
tärischen Absicherung –, können wir für das Kosovo sa-
gen: KFOR ist ein Erfolg und leistet das, wofür wir das
Mandat 1999 und die folgenden Mandate gegeben ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Sicherheitslage ist ruhig. Wir haben die Präsenz
unserer Soldaten Schritt für Schritt reduzieren können.
Das ist ein Zeichen dafür, dass die Sicherheitslage mit
immer weniger internationaler Präsenz stabil gehalten
werden kann. Die Zahl der NATO-Soldaten wurde von
über 45 000 auf jetzt 16 000 verringert. Der deutsche
Anteil wurde von anfänglich 6 500 Soldaten auf
2 200 Soldaten im Normalfall verringert. Auch daran,
dass mit immer weniger militärischer Absicherung das
gleiche Sicherheitsergebnis erreicht wird, kann man den
Erfolg messen.

Die Unabhängigkeit ist so, wie sie erreicht wurde
– auch das ist schon gesagt worden –, nicht die erste
Wahl und somit nur das zweitbeste Ergebnis gewesen.
Die sich daraus ergebende Situation muss jetzt gestaltet
werden. Die Ausschreitungen, die es zu Anfang in
Mitrovica gegeben hat, sind schnell unter Kontrolle ge-
bracht worden. Auch das ist ein Erfolg von KFOR. Dank
KFOR kam es nicht zu einem Flächenbrand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Institutionen eines demokratischen Kosovo sind
im Aufbau. Die internationalen Organisationen arbeiten
in einem sicheren Umfeld. Flüchtlinge sind in den ver-
gangenen Jahren nach und nach in das Kosovo zurück-
gekehrt. Deutschland ist das Land – auch das ist ange-
sprochen worden –, das das größte Interesse daran hat,
dass hier eine gute Zukunft gestaltet wird. Denn heute leben
300 000 Kosovo-Albaner in Deutschland. 100 000 sind
schon in das Kosovo zurückgegangen. Das heißt,
Deutschland hat im Vergleich zu allen anderen europäi-
schen Ländern die engsten Beziehungen zum Kosovo.
Die starke, stabile Kraft im Kosovo ist heute noch
KFOR. Die dritte Linie hinter der kosovarischen Polizei
und der UNMIK-Polizei – in Zukunft EULEX – sind Sol-
daten. Sie müssen aber nur dann eingreifen, wenn die an-
deren Kräfte versagen würden, und sie versagen immer
weniger. Da wir immer den deutschen Soldaten danken,
sollten wir auch einmal den 130 bis 140 deutschen Poli-
zisten Dank sagen, die heute ihren Dienst im Kosovo tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über deren Einsatz beschließen wir ja nie in Form von
eigenen Mandaten. Das gilt auch für manche, die in der
Aufbauhilfe tätig sind. Wir reden immer nur über die
Militärmandate. Aber es sind auch Polizisten mit exeku-
tiver Befugnis in einem fremden Land. Das ist kein
leichter Dienst.

Wir werden dafür sorgen müssen, dass es beim Über-
gang von UNMIK zu EULEX kein Machtvakuum gibt.
Die Verhandlungen – das ist angesprochen worden –
sind im Gange. Der UNO-Generalsekretär hat sich ein-
geschaltet. Wir sollten darauf vertrauen, dass keine ge-
fährlichen Situationen entstehen; wir sollten diese aber
auch nicht herbeireden. Aber für den Fall, dass gefährli-
che Situationen entstehen, ist die starke Kraft, die im
ganzen Land akzeptiert wird und die dahintersteht, die
KFOR. KFOR ist – ich habe mich bei einem Besuch An-
fang dieser Woche davon überzeugen können – auch auf
Eventualitäten gut vorbereitet. Sie wird nicht so leicht
von Ereignissen überrollt und überrannt werden können,
die möglicherweise hier oder da geplant werden, die
aber den Friedensprozess in diesem Land nicht mehr
rückgängig machen können.

Alle Konfliktparteien vertrauen der NATO mit ihrer
KFOR-Mission. Das ist ein hohes Gut. Alle vertrauen
darauf, dass KFOR unparteiisch ist und schützt – auch in
kritischen Situationen wie beim Inkrafttreten der Verfas-
sung, was in wenigen Tagen, am 15. Juni, der Fall sein
wird, und beim Übergang von UNMIK zu EULEX.

Die Vertrauensarbeit in diesem Land muss weiterge-
hen. Auch in diesem jetzt unabhängigen Staat muss Ver-
trauen zwischen Mehrheit und Minderheit sowie zwi-
schen Kosovo und Serbien geschaffen werden. In der
UNO muss Russland für einen konstruktiven Weg ge-
wonnen werden. In der NATO muss die Türkei für einen
konstruktiven Weg gewonnen werden.

Auch als Parlamentarier können wir in Deutschland
und Europa möglicherweise etwas zum Aufbau des Ver-
trauens in die neuen kosovarischen Institutionen beitra-
gen. Es gibt bisher nur die deutsch-südosteuropäische
Parlamentariergruppe, womit im Moment auch Kosovo
gemeint ist. Wir haben schon Parlamentariergruppen mit
Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina. Ich
wäre dafür, dass wir jetzt eine Parlamentariergruppe
Deutschland-Kosovo einrichten. Das wäre ein vertrauen-
schaffendes und integrierendes Signal an diesen jungen
Staat auf dem Weg zur Demokratie.

Wir werden gewiss noch einige Jahre finanzielle, per-
sonelle und auch militärische Beiträge zur Absicherung
der Entwicklung leisten müssen, die wir im südlichen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Bartels
Osteuropa wollen, für eine Entwicklung, die wir dem
Kosovo gönnen und die der Kosovo braucht. Das wird
nicht ohne KFOR gehen. Wir werden noch einen langen
Atem brauchen, der jedenfalls so lange halten muss, bis
es dann ganz ohne fremde Hilfe geht. Das wird einige
Jahre dauern. Aber diesen langen Atem sollten wir ha-
ben. Ich bitte Sie, dem Antrag der Bundesregierung zu-
zustimmen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616617400

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-

gen Ausschusses auf Drucksache 16/9461 zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im
Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/9287 anzunehmen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind
alle Schriftführerinnen und Schriftführer an den vorgese-
henen Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-
stimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.

Während der Abstimmung haben das Präsidium Er-
klärungen zum Abstimmungsverhalten nach § 31 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags der Kolle-
gin Sylvia Kotting-Uhl, der Kollegin Monika Lazar, des
Kollegen Hans-Christian Ströbele und des Kollegen
Dr. Harald Terpe erreicht. Wir nehmen diese Erklärun-
gen entsprechend unseren Bestimmungen zu Protokoll.1)

Wir setzen die Abstimmungen fort. Dazu bitte ich Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wieder die Plätze ein-
zunehmen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internatio-
nalen Sicherheitspräsenz im Kosovo. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/9463, den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/9369 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der
Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die
Linke angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke

1) Anlage 2
mit dem Titel „Konflikte zwischen Serbien und Ko-
sovo-Albanern reduzieren – UN-Resolution 1244 un-
eingeschränkt umsetzen sowie faire und ergebnisoffene
Verhandlungen ermöglichen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/7583, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/6034 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
möchte sich enthalten? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion,
der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Unverzüglicher Rückzug der Bundeswehr aus dem Ko-
sovo“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/9151, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8779 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das
ist nicht der Fall. Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Wolfgang Nešković, Ulla Löt-
zer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Steuerhinterziehung bekämpfen – Steueroasen
austrocknen

– Drucksache 16/9168 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Dr. Gregor
Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE
LINKE

Steuermissbrauch wirksam bekämpfen – Vor-
handene Steuerquellen erschließen

– Drucksache 16/9166–
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Keine Hintertür für Steuerhinterzieher

– Drucksache 16/9421 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Die
Linke hat die Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616617500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am Samstag beginnt die Fußballeuropameisterschaft.
Das ist ein großes Ereignis, das viele Menschen begeis-
tern wird. Ich hoffe auf interessante Spiele. Möge die
Mannschaft mit der schönsten Spielkultur gewinnen.
Vielleicht kann die deutsche Nationalmannschaft der
Männer an die Erfolge der Frauen anknüpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Man wird natürlich nicht nur schöne Spiele zu sehen
bekommen, sondern auch Franz Beckenbauer. Der Bot-
schafter und ungekrönte Kaiser des deutschen Fußballs
wird als willkommener und allseits gefragter Kommen-
tator auf allen Kanälen zu sehen sein. Herr Beckenbauer
lebt seit 1982 in Österreich, um Steuern zu sparen, wäh-
rend er beruflich all die Zeit schwerpunktmäßig in
Deutschland tätig war und ist. Er muss nur aufpassen,
dass er im Jahr nicht mehr als 183 Nächte in Deutsch-
land verbringt.

Herr Zumwinkel bekam den Hals nicht voll genug. Er
war dank Erbschaft schon Millionär, bevor er seine Ein-
künfte als Chef der Deutschen Post gewaltig vermehren
konnte. Allein 2006 steigerte er seine Gesamtbezüge ge-
genüber dem Vorjahr um 26 Prozent auf sage und
schreibe 4,24 Millionen Euro. Aber all diese Millionen
waren noch nicht genug für ihn. Nein, er musste auch
noch Steuern über die Steueroase Liechtenstein hinter-
ziehen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: KPÖ!)


In der aktuellen Werbung von Banken und Kreditin-
stituten wimmelt es nur so von Vorschlägen und Aufma-
chern, wie die im nächsten Jahr kommende Abgeltung-
steuer umgangen werden kann. Sogar die Tageszeitung
Die Welt titelte am 14. Mai dieses Jahres: „Banken schü-
ren Angst vor Abgeltungssteuer“.

Die Finanzbranche warnt ausgerechnet vor der Steuer,
deren Einführung Bundesfinanzminister Steinbrück letz-
tes Jahr hier im Plenum noch so begründete: 25 Prozent
von x sind besser als 42 Prozent von nix. Diese Aussage
ist leider bezeichnend für die Strategie der Bundesregie-
rung – die gerade nicht anwesend ist –, wenn es um
Steuerhinterziehung geht.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Der Verteidigungsminister ist geblieben!)


Sie entlasten die Einkommen, bei denen sich Steuer-
hinterziehung lohnt, nämlich die hohen Kapitaleinkom-
men. Damit verknüpfen Sie die Hoffnung, dass weniger
hinterzogen wird. Diese Strategie geht bisher nicht auf,
da Sie offenbar Folgendes unterschätzen: In Deutschland
sind Steuerumgehung, also das legale Ausnutzen von
Lücken im Steuerrecht, und illegale Steuerhinterziehung
en vogue. Es gibt hierzulande geradezu eine Kultur des
exzessiven Steuersparens, nach der es heldenhaft ist,
dem Staat möglichst wenig zu überlassen. Das lehnen
wir ab.


(Beifall bei der LINKEN – Frank Schäffler [FDP]: Wo ist das Vermögen der SED geblieben?)


Rituale der öffentlichen Empörung nach jedem aufge-
deckten Steuerhinterziehungsskandal sind absolut über-
flüssig, solange ihnen kein Handeln folgt. In Bundesre-
gierung und Koalition bedarf es offensichtlich eines
Umdenkens bezüglich wirksamer Strategien gegen Steu-
erhinterziehung und -umgehung. Die Steuersenkungen,
die Sie veranlasst haben, sind hierzu das völlig falsche
Instrument.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen stattdessen einen Ausbau der Kontroll-
möglichkeiten und die Durchsetzung der bestehenden
Gesetze. Dazu bedarf es mehr Ressourcen und mehr Per-
sonal für die Steuerverwaltung. Die bestehenden Pro-
bleme in diesem Feld, die sich aus der föderalen Kompe-
tenzverwaltung ergeben, müssen endlich angegangen
werden. Es muss Schluss damit sein, dass die Bundes-
länder Standortwettbewerb mittels laxen Steuervollzugs
betreiben. Die Bekämpfung der internationalen Steuer-
hinterziehung braucht auf nationaler Ebene dringend zu-
sätzliche Kontrollmöglichkeiten. Daher schlagen wir
vor, eine Meldepflicht bei Kapitalbewegungen ins Aus-
land ab einem jährlichen Betrag in Höhe von insgesamt
100 000 Euro einzuführen. Wir brauchen weitere gesetz-
liche Regelungen, zum Beispiel eine gesetzliche An-
zeige- und Registrierpflicht für aggressive Steuermo-
delle. Das sind Konstrukte, die extra dafür geschaffen
werden, Gewinne nicht aus Wertschöpfung, sondern aus
dem Sparen von Steuern zu erreichen. Mit der deutschen
Vorreiterrolle beim internationalen Steuersenkungswett-
bewerb muss Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Weitere Wettbewerbsrunden, beispielsweise durch die
Unternehmensteuerreform, einzuläuten, ist falsch. Es
wäre langfristig viel sinnvoller, wenn sich die Bundesre-
gierung für mehr Steuerharmonisierung auch auf euro-
päischer Ebene einsetzen würde.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür bestehen ja Chancen. Die Bundesrepublik als
größte Volkswirtschaft verfügt über das dafür notwen-
dige politische Gewicht. Natürlich geht es auch darum,
die Steueroasen endlich auszutrocknen. Dass das mach-
bar ist, hat das Verhalten der USA gegenüber Liechten-
stein gezeigt. Die Zinsrichtlinie auf EU-Ebene muss
dringend reformiert werden. Sie sollte in Zukunft alle
Kapitaleinkünfte erfassen. Wir brauchen unbedingt ge-
setzliche Neuregelungen bezüglich der Quellensteuerver-
einbarung auch mit Steueroasen wie Luxemburg, Öster-
reich, Belgien und der Schweiz. Dabei darf die
Quellensteuer aber nicht auf natürliche Personen be-
grenzt sein, sondern muss auf juristische Personen aus-
gedehnt werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll

Georg Brunnhuber
Cajus Caesar

Christian Hirte
Robert Hochbaum

Maria Michalk
Philipp Mißfelder

Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski

Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Gitta Connemann Klaus Hofbauer Dr. Eva Möllring Johannes Singhammer
Ich fordere Sie auf: Nehm
Hand. Lassen Sie uns darübe
es nicht bei der öffentlichen E
Sie endlich, wo es möglich is

Ich bedanke mich.


(Beifall bei de Vizepräsidentin Petra P Bevor ich nun dem Kolle Unionsfraktion das Wort ge Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 559; davon ja: 499 nein: 57 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe en Sie unsere Anträge zur r diskutieren. Belassen Sie mpörung, sondern handeln t. r LINKEN)


(Reutlingen)


(Bönstrup)


au:
gen Manfred Kolbe für die
be, komme ich zu Tages-


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
ordnungspunkt 6 a zurück
Schriftführerinnen und Sch
gebnis der namentlichen A
schlussempfehlung des Aus
dem Antrag der Bundesregi
deutschen Beteiligung an d
heitspräsenz im Kosovo beka
559. Mit Ja haben gestimm
stimmt 57. Drei Kolleginnen
enthalten. Die Beschlussemp
trag der Bundesregierung ist

Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers (Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

und gebe das von den
riftführern ermittelte Er-
bstimmung über die Be-

wärtigen Ausschusses zu
erung zur Fortsetzung der
er internationalen Sicher-
nnt: Abgegebene Stimmen

t 499, mit Nein haben ge-
und Kollegen haben sich
fehlung und damit der An-
angenommen.

Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller

SPD

Dr. Lale Akgün
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)

Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Michael Link (Heilbronn)

Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau

Bärbel Höhn Ulla Lötzer Dr. Wolf Bauer
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Anna Lührmann

Nun hat das Wort der Kol
Unionsfraktion.


(Beifall bei de Manfred Kolbe (CDU/CS Frau Präsidentin! Liebe K Um es vorab klarzustellen, s fraktion bekämpft Steuerhint die Bundesregierung bekämp energisch. Wir bekämpfen si und Weise. Frau Höll, bloße F höhungen, Meldepflichten keine Lösung. (Dr. Barbara Höll [DIE Steuererhöhung Deshalb darf ich kurz sachl diesem Gebiet bereits geleist Sie das unterschlagen haben. Wir haben in den letzten Ja hinterziehung getan. Seit 20 richtlinie. Diese gab es vorhe auf deutsches Drängen hin e ten wenden diese Zinssteue Petra Hinz FDP Jürgen Koppelin lege Manfred Kolbe für die r CDU/CSU)


U):
olleginnen und Kollegen!

age ich: Auch die Unions-
erziehung energisch. Auch
ft die Steuerhinterziehung
e aber auf vernünftige Art
orderungen nach Steuerer-

und Abgabepflichten sind

LINKE]: Habe ich
en erwähnt?)

ich darstellen, was wir auf
et haben. Dies tue ich, weil
hren viel gegen die Steuer-
05 gilt die EU-Zinssteuer-
r nicht. Sie ist maßgeblich
ingeführt worden. 22 Staa-
rrichtlinie an. Es ist aller-
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech

dings bedauerlich, dass bei
überseeischen Gebiete nicht
ressant wären. Bei Großbrita
muda und die Virgin-Islands.
wenden diese Richtlinie an.
tere Ausdehnung. Belgien, L
Schweiz und Liechtenstein v
nahme und führen lediglich
heißen wir nicht gut.


(Dr. Barbara Höll [D Wir treten für eine Ausdehnu ein. Sie darf nicht nur für muss auch für Körperschafte für Zinserträge gelten, sie mu gelten. Noch ist das ein Käse (Christine Scheel (BÜN NEN)

LINKE): In dem Punkt
zustimmen? – Dr. Ilja S
Stimmen Sie doch ein
zu!)

Sie wurde im Jahr 2005 ein
rung und die sie tragenden Fr
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Winfried Hermann
Dr. Anton Hofreiter

einigen dieser Staaten die
dabei sind, die gerade inte-
nnien fehlen Anguilla, Ber-
Aber immerhin: 22 Staaten
Wir drängen auf eine wei-
uxemburg, Österreich, die
erweigern bisher die Teil-

eine Quellensteuer ab. Das

IE LINKE]: Und?)

ng der Zinssteuerrichtlinie
Privatpersonen gelten, sie
n gelten. Sie darf nicht nur
ss auch für andere Erträge

mit vielen Löchern.

DNIS 90/DIE GRÜ-

(DIE können Sie uns dann fach unserem Antrag geführt. Die Bundesregieaktionen arbeiten daran. Ute Koczy Gregor Amann Dr. Gesine Lötzsch Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck Volker Beck Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz Ulrike Höfken Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Willy Wimmer SPD DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer Volker Schneider Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe fraktionslos Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Manfred Kolbe Lassen Sie mich zur Amtshilfe kommen. Angesichts der zunehmenden internationalen Verpflichtungen ist die Zusammenarbeit im Verwaltungsvollzug immer wichtiger. Deshalb sehen auch die Art. 26 und 27 des OECDDBA-Musterabkommens den Austausch von Bankinformationen und die Gewährung von Betreibungshilfe vor. Wir arbeiten weiter daran, dies zu verbessern. Das Ganze ist im Augenblick noch nicht optimal. Nach einem Bericht des Bundesministeriums der Finanzen vom 18. März 2008 ist es bisher aber nicht einmal gelungen, mit allen westeuropäischen OECD-Mitgliedstaaten Bankinformationen nach Maßgabe des OECD-Musterabkommens auszutauschen; hier wären erneut eine Reihe von Ländern zu nennen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind jedoch an vorderster Linie dabei, Frau Kollegin Höll. Lassen Sie mich bei der Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung zu den Doppelbesteuerungsabkommen kommen. Auch diese Doppelbesteuerungsabkommen eröffnen durch die Begrenzung der Besteuerungsrechte der einzelnen Staaten gewisse Gestaltungsmöglichkeiten. Wir versuchen, diese durch Vorbehaltsklauseln in den DBA oder durch einseitige nationale Maßnahmen wie zum Beispiel § 50 d Abs. 3 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 einzugrenzen. Hier sind wir weiter tätig. Alles in allem können wir in diesem Bereich aber nicht allein handeln. Wir brauchen dazu auch Vereinbarungen mit den anderen Europäern. Das alles ist nicht so einfach. Auf nationaler Ebene ist der Umsatzsteuerbetrug das größte Problem. Nach Schätzungen des Ifo-Institutes haben wir allein im Jahr 2007 einen Einnahmeausfall in Höhe von 11,3 Milliarden Euro erlitten. Hier muss etwas getan werden. Wir haben auch schon einiges getan: Wir haben im Jahr 2001 das Umsatzsteuerverkürzungsbekämpfungsgesetz verabschiedet. Wir haben das Steueränderungsgesetz 2003 verabschiedet. Wir haben im letzten Jahr die Telekommunikationsüberwachung bei der bandenmäßigen Umsatzsteuerund Verbrauchsteuerhinterziehung eingeführt. Bis dahin gab es im Bereich des Steuerrechts keine Telefonüberwachung. Wenn von Telefonüberwachung die Rede ist, dann gibt es hier einige, die gleich den ganzen Rechtsstaat in Gefahr und den Abhörstaat kommen sehen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Na ja! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1616617600

(Saarbrücken)





(A) (C)


(B) (D)


Im Bereich der bandenmäßigen Umsatzsteuer- und Ver-
brauchsteuerhinterziehung hat diese Bundesregierung
erstmalig die Möglichkeit einer Telekommunikations-
überwachung geschaffen.

Wir müssen das Umsatzsteuersystem generell refor-
mieren, um es weniger betrugsanfällig zu machen. Frau
Staatssekretärin Kressl, unsere augenblicklichen Bemü-
hungen auf europäischer Ebene sind an einem Punkt an-
gelangt, an dem es mit Reverse-Charge wohl nicht wei-
tergeht. Wir überlegen jetzt auf nationaler Ebene, wie
wir das System weniger betrugsanfällig gestalten kön-
nen.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das wird auch Zeit!)


– Ja, die FDP ist natürlich dabei. Wir können doch über
alles reden, Herr Wissing. Die FDP war schon etliche
Jahrzehnte an der Regierung beteiligt, aber auch Ihnen
ist das bisher noch nicht geglückt. Daran zeigt sich: Es
ist nicht ganz einfach, dieses dicke Brett zu bohren.

Auf nationaler Ebene ist das Thema Steuerhinterzie-
hung durch die Verhaftung von Klaus Zumwinkel am
14. Februar dieses Jahres und die anschließende deutsch-
landweite Aktion der Steuerfahndung Wuppertal in den
Fokus der Öffentlichkeit geraten. Wir haben damals ge-
sagt – das sagen wir auch heute noch –: Steuerhinterzie-
hung ist kein Kavaliersdelikt und wird von uns energisch
bekämpft.

Der Fall Zumwinkel darf nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass die Steuerfahndung in Deutschland alles in
allem erfolgreich ist. Es gibt pro Jahr rund 40 000 Ver-
fahren, rund 17 000 Strafverfahren, und die Mehreinnah-
men betragen im Schnitt 1,5 Milliarden Euro. Das ist
eine beachtliche Leistung der Steuerfahnder. Auch was
die Verhaftung von Klaus Zumwinkel angeht, hieß es
nicht etwa, man habe zu wenig energisch gehandelt, son-
dern es hieß eher, man habe vielleicht sogar zu energisch
gehandelt, da man zum Beispiel die Hilfe des BND in
Anspruch genommen habe. Daran wird deutlich: Steuer-
hinterziehung wird energisch verfolgt.

Was kann noch getan werden? Gelegentlich wird die
Forderung nach einer Erhöhung des Strafmaßes erhoben.
Wir glauben, dass das Strafmaß von bis zu zehn Jahren
Freiheitsentzug ausreichend ist. Eine weitere Erhöhung
würde wenig bringen, zumal das Strafmaß von bis zu
zehn Jahren bisher kaum ausgeschöpft wurde.

Auch die Abschaffung der strafbefreienden Selbst-
anzeige, die gelegentlich gefordert wird, würde wenig
bringen, da diese Selbstanzeige eine Folge der Mitwir-
kungspflicht des Steuerpflichtigen ist. Würde man die
strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen, würde sich
niemand korrigieren können, ohne die Einleitung eines
Strafverfahrens zu riskieren; auch derjenige nicht, der
nur irrtümlich einen Fehler in seiner Steuererklärung ge-
macht hat.

An einem Punkt gibt es unserer Meinung nach aber
einen Wertungswiderspruch: Derjenige, der seine Steu-
ern ordnungsgemäß deklariert und lediglich bei der Zah-
lung einige Tage in Verzug gerät, muss einen Säumnis-
zuschlag von 1 Prozent pro angefangenem Monat
zahlen. Wenn man seine Steuern also ordnungsgemäß
deklariert und lediglich verspätet zahlt, hat man auf das
Jahr gerechnet einen Strafzins in Höhe von 12 Prozent
zu entrichten. Derjenige hingegen, der seine Steuern
nicht deklariert, der sie also hinterzieht, zahlt nach den
§§ 235 und 238 AO lediglich Hinterziehungszinsen in
Höhe von 6 Prozent pro Jahr. Das ist unseres Erachtens
ein Wertungswiderspruch, über den wir einmal nachden-
ken sollten. Die Besserstellung eines Steuerhinterziehers
gegenüber einem bloß säumigen Zahler scheint mir nicht
angebracht zu sein.






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Kolbe
Abschließend sage ich: Missbrauchsbekämpfung und
Bekämpfung der Steuerhinterziehung sind die eine Seite
der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist ein ge-
rechtes und von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptier-
tes Steuersystem.


(Beifall bei der FDP)


Je höher die Steuern sind und je mehr an der Steuer-
schraube gedreht wird, desto eher sieht der eine oder an-
dere als vermeintlichen Ausweg – ich sage ausdrücklich:
als vermeintlichen, nicht als berechtigten Ausweg – die
Steuerhinterziehung. Deshalb müssen wir genauso ener-
gisch, wie wir die Steuerhinterziehung bekämpfen, für
ein gerechtes und akzeptiertes Steuersystem kämpfen.


(Frank Schäffler [FDP]: Und für niedrigere Steuern!)


Sie, meine Damen und Herren von der Linken, haben
bis 1989 in einem Teil Deutschlands regiert. Dort gab es
eine Einkommensteuer, die erdrosselnd war: Ab einem
Einkommen von 20 000 Mark waren in der DDR
80 Prozent Steuern fällig. Steuerflucht und Globalisie-
rung gab es aufgrund der bekannten einengenden Um-
stände nicht. Das Ergebnis war nicht mehr Wohlstand
und eine größere staatliche Leistungsfähigkeit. Das Er-
gebnis war eine Revolution, die alles hat zusammenbre-
chen lassen. Wir müssen also einen vernünftigen Mittel-
weg finden. Wir brauchen ein gerechtes und akzeptiertes
Steuersystem, und die Steuerhinterziehung muss ener-
gisch bekämpft werden. Dafür wird sich die Unionsfrak-
tion einsetzen.

Danke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616617700

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker

Wissing das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1616617800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Über Steuerhinterziehung haben wir schon oft gespro-
chen, sind aber keinen Schritt weitergekommen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Richtig!)


Angesichts der Qualität der heutigen Anträge ist damit
auch nicht zu rechnen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Doch! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht ihr denn?)


Ich gehe auf den Antrag der Grünen ein. Die Grünen
schreiben:

Die große Koalition hat viel zu lange stillgehalten
und damit Steuerhinterziehung gedeckt.

Die Wahrheit ist: Die Große Koalition regiert seit drei
Jahren, die Grünen haben vorher sieben Jahre regiert und
genauso stillgehalten. Nach Ihrer Logik, Frau Kollegin
Scheel, haben Sie Steuerhinterziehung doppelt so lange
gedeckt wie die Große Koalition. Herzlichen Glück-
wunsch!


(Beifall bei der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Wir haben viele Gesetze geändert!)


Sie schreiben in Ihrem Antrag weiter:

Die Bundesregierung soll in der Föderalismuskom-
mission II darauf hinwirken, dass das Personal bei
Betriebsprüfung und Steuerfahndung deutlich auf-
gestockt wird.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in der
Sache haben Sie recht; aber warum wirken Sie nicht
selbst in der Föderalismuskommission II darauf hin?


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir doch!)


– Sie sollten einmal mit Herrn Kuhn sprechen; er sitzt ja
in der Kommission. – Bevor Sie hier nach der Unterstüt-
zung der Bundesregierung rufen, sollten Sie in der
Föderalismuskommission II das, was Sie in Ihrem An-
trag fordern, vortragen. Im Übrigen hat die FDP in der
Föderalismuskommission II wiederholt auf diesen Punkt
hingewiesen. Wenn Sie uns dabei unterstützen wollen,
sind wir bei diesem Punkt schon morgen ein Stück wei-
ter.

Am Ende wird Ihr Antrag richtig skurril. Sie schrei-
ben, Staatsanwälte würden Steuerstrafsachen aus Kapa-
zitätsmangel nicht bei den zuständigen Strafkammern
der Landgerichte, sondern bei den Amtsgerichten erhe-
ben, die nur maximal vier Jahre Freiheitsstrafe verhän-
gen dürfen. Liebe Frau Scheel, die Zulässigkeit einer
Anklage wird in Deutschland von unabhängigen Richte-
rinnen und Richtern geprüft.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oberlehrer!)


Es ist absurd, Amtsrichtern zu unterstellen, sie würden
Hauptverfahren in Steuerstrafsachen eröffnen, obwohl
die Landgerichte zuständig sind. Mich würde wirklich
interessieren, wie Sie auf solche unhaltbaren Vorwürfe
kommen.


(Beifall bei der FDP)


Sie schöpfen aus dem Vollen, Sie schreiben in Ihrem
Antrag, deutsche Gerichte würden aus Kapazitätsmangel
Steuerstrafsachen oft einstellen, anstatt die Angeklagten
zu verurteilen. Ich finde, das ist bodenlos. 2006 wurden
von den Gerichten in Deutschland 14 Prozent der allge-
meinen Strafsachen eingestellt, bei Steuerstrafsachen lag
die Einstellungsquote bei nur 9,3 Prozent, also deutlich
niedriger.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt hier „nur“?)


Ich frage Sie: Was veranlasst Sie eigentlich dazu, in Ih-
rem Antrag derart schwerwiegende Vorwürfe gegen die
deutsche Justiz zu erheben?






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Volker Wissing

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Quote ist viel zu hoch! Das wissen Sie!)


Es ist eine Zumutung, dass Sie uns Anträge mit haltlosen
Vorwürfen vorlegen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Staatsanwaltschaften klagen selbst darüber, dass sie keine Kapazitäten haben!)


Sie zeichnen ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun
hat.


(Frank Schäffler [FDP]: Es ist unglaublich!)


Wenn Sie sich, bevor Sie Anträge schreiben, einmal
informieren wollen, wie sich das mit den Steuerstraf-
sachen verhält, empfehle ich Ihnen, die Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP zu le-
sen; darin können Sie die Zahlen nachlesen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anscheinend wollen Sie die Steuerhinterzieher weiter schützen!)


Dann werden Sie feststellen, dass Steuerstrafsachen von
der deutschen Justiz schärfer verfolgt werden als allge-
meine Straftaten. Hören Sie auf, einen solchen Popanz in
Ihre Anträge zu schreiben! Das ist, gelinde gesagt, un-
seriös, Frau Scheel.


(Beifall bei der FDP)


Nun zu den Anträgen der Linken. Liebe Kollegin
Höll, was mich an Ihrem Ansatz stört,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Na?)


ist, dass er rein reaktiv ist. Sie fordern regelmäßige Be-
richte des Finanzministers über Steuergestaltungs-
modelle. Sie wollen Steuergestaltungsmodelle verbieten.
Besser wäre es, Steuergestaltungsmodelle von vornhe-
rein zu verhindern.


(Frank Schäffler [FDP]: Einfach, niedrig, gerecht, so muss ein Steuersystem aussehen!)


Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, dass Steuer-
gestaltungsmodelle vor allem dort entstehen, wo das
Steuerrecht zu kompliziert ist, wo es undurchsichtig ist,
wo es von den Menschen nicht akzeptiert wird.

Herr Kollege Kolbe, ich bin ganz Ihrer Meinung,
wenn Sie sagen, es sind viele Löcher im Käse. Auch die
FDP ist der Meinung, dass das deutsche Steuerrecht
ziemlicher Käse ist.


(Beifall bei der FDP – Frank Schäffler [FDP]: Es stinkt gewaltig!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616617900

Kollege Dr. Wissing, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Dr. Höll?


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1616618000

Ja.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616618100

Herr Kollege Wissing, ich bin irritiert. Unser Antrag

trägt den Titel „Steuermissbrauch wirksam bekämpfen –
Vorhandene Steuerquellen erschließen“. Wir setzen uns
darin explizit mit Maßnahmen gegen aggressive Steuer-
sparmodelle auseinander. Wir haben das Punkt für Punkt
aufgeführt. Man kann das so machen, wie wir das vor-
schlagen, man kann das auch anders machen; aber man
muss etwas machen. Zu einer Form haben wir uns sehr
konkret geäußert, nämlich zu den Steuergestaltungsmo-
dellen. Hier sollen Anzeigepflichten eingeführt werden.
Sie müssen bei der ersten oder zweiten Zeile aufgehört
haben, unseren Antrag zu lesen.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1616618200

Ich sage es Ihnen noch einmal, Frau Kollegin Höll:

Ich halte Ihren Ansatz für schwach, weil er rein reaktiv
ist. Es wäre vernünftiger, dort anzusetzen, wo die Pro-
bleme entstehen. Sie liegen in einem viel zu komplizier-
ten Steuerrecht begründet. Sie versuchen immer wieder,
die Dinge im Nachhinein zu flicken. Sie können dann
neue Löcher in den Käse hineinschneiden, aber das
Ganze bleibt ein löchriger Käse.

Das Steuerrecht würde vor allen Dingen mit der Um-
setzung Ihrer Vorschläge Käse bleiben. Sie führen näm-
lich neue Bürokratielasten ein und machen es noch kom-
plizierter. Das halte ich schlicht und einfach für die
falsche Lösung. Ein besserer Lösungsansatz wäre es, das
Steuerrecht zu vereinfachen, es gerechter zu gestalten
und niedrigere Steuersätze einzuführen, damit die Men-
schen das akzeptieren und die Fehlanreize zur Schaffung
von Steuerausnahmen in Deutschland beseitigt werden.
Genau das habe ich gesagt. Dazu stehe ich auch. Das ist
die Meinung der FDP.


(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Durchforsten Sie einmal die Bundestagsdrucksachen der letzten Jahrzehnte!)


Bezeichnenderweise findet sich in den Anträgen der
Oasenaustrockner kein einziges Wort dazu. Statt inhalt-
lich mit eigenen Konzepten in die Offensive zu gehen,
wollen Sie nur reagieren. Ehrlich gesagt langweilt mich
an dieser Debatte langsam, dass immer wieder so getan
wird – die Grünen sind darin ja auch immer sehr stark –,
als gäbe es hier im Haus einige, die für Steuerhinterzie-
hung sind, während andere sie bekämpfen wollen. Ich
finde diesen Popanz ehrlich gesagt ziemlich albern und
will noch einmal sagen: Wenn wir gemeinsam etwas tun
wollen, dann müssen wir dort ansetzen, wo die Probleme
entstehen. Diese entstehen aufgrund der Komplexität
und der mangelnden Transparenz unseres Steuersystems.

Die FDP ist gerne bereit, mit Ihnen über Maßnahmen
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu reden; aber
allein damit werden wir uns nicht zufriedengeben. Wir
wollen mehr. Wir wollen etwas Konkretes, nämlich ein
einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen
Steuersätzen für die Mitte unserer Gesellschaft, die seit
Jahren abkassiert wird.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerhinterziehung im Ausland hat nichts mit der Komplexität des Steuerrechts zu tun! Vielmehr tut man das, weil man keine Steuern bezahlen will!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Volker Wissing
– Frau Scheel, Sie erheben hier laut Ihre Stimme.


(Joachim Poß [SPD]: Billige Ausrede für Steuerhinterzieher!)


– Herr Kollege Poß, da Sie von „billig“ reden, sollten
Sie einmal Ihren Zwischenruf im Protokoll nachlesen.
Der ist nicht nur billig, sondern den kann ich Ihnen auch
gleich schenken und zurückgeben.

Frau Kollegin Scheel, ich sage Ihnen ganz offen: Sie
kommen mit Ihren Vorschlägen nicht weiter. Wer etwas
gegen Steuerhinterziehung tun will, der muss dort anset-
zen, wo die Probleme entstehen. Das ist bei unserem
Steuerrecht. Deswegen wollen wir eine Politik für die
Mitte machen, die hier abkassiert wird.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616618300

Kollege Wissing, achten Sie bitte auf das Zeichen vor

Ihnen. Die Redezeit ist überschritten.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1616618400

Sie haben das angefangen, die Große Koalition hat

das fortgesetzt. Wenn dieses Steuersystem nicht gerech-
ter wird, dann werden Sie die Probleme nicht lösen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da Ihre Redezeit um ist, kann ich jetzt leider keine Zwischenfrage mehr stellen! – Joachim Poß [SPD]: Politik für Steuerhinterzieher!)


– Ich bedaure nicht, dass Sie keine Frage mehr stellen
können, aber wir hören nachher ja noch Ihre Ausführun-
gen zu Ihrem nicht ganz sorgfältig ausgearbeiteten An-
trag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616618500

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Lothar

Binding das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1616618600

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Eigentlich hat jetzt auch der Letzte ge-
merkt, dass wir etwas gegen Steuerhinterziehung, inter-
nationale Steuergestaltung und Steuerbetrug machen
müssen, also auch die PDS, die Linke, die Lafontaine-
Partei.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ihr habt eine Arbeitsgruppe, die bisher aber nichts vorgelegt hat!)


Es ist schon wichtig, etwas zu tun, man darf aber
nicht verschweigen, dass schon sehr viel getan wurde.
Wir wissen, dass die Steueroasen schon ein paar Jahre
existieren. Herr Wissing hat uns vorgetragen, wie lange
jetzt verschiedene Koalitionen existieren und wie lange
die Fraktionen in der Regierung waren. Schauen Sie sich
an, wie alt die Steueroasen schon sind, und bedenken
Sie, dass auch die FDP 39 Jahre lang an der Regierung
beteiligt war, ohne sich so darum zu kümmern. Andern-
falls hätten wir uns heute gar nicht mehr darum küm-
mern müssen. Daran erkennen Sie, wie schnell sich Ihre
Aussagen relativieren.


(Beifall bei der SPD)


Ich will ein Grundproblem nennen, mit dem ich an-
deuten kann, dass unsere Regierung ein gigantisches
Lob verdient hat. Es geht um das Verdienst, sich um in-
ternationale Verhandlungen über ein faires Steuermodell
zu kümmern. Das geschieht international in der OECD
und in der EU ganz intensiv. Trotzdem haben wir noch
Probleme.

Deshalb haben die SPD und die CDU/CSU einen ei-
genen großen und seriösen Antrag in den Blick genom-
men. Wir wollen die Lücken, die es noch gibt, genauer
untersuchen, immer mit Blick auf die internationale Ein-
bindung. Solange die Unterschiede bei den Steuersyste-
men und den Steuersätzen zwischen den Ländern so
groß sind, können wir nicht alles erreichen, was wir wol-
len.

Angenommen, ich habe in Deutschland ein x-beliebi-
ges Vermögen. Sagen wir, es sind 3 Milliarden Euro. Ich
denke an eine Institution, an ein Unternehmen oder an
eine Partei. Angenommen, ich würde Gefahr laufen,
dass ich dieses Geld steuerlich irgendwie zur Geltung
bringen muss. Das würde mich ärgern. Was würde ich
also machen? Ich würde möglicherweise – Österreich
wurde von Euch ja schon genannt – eine Rudolfine
Steindling aus Österreich kennen, die zu 60 verschiede-
nen Banken engste Kontakte pflegt und weltweit über
ein ehemals noch über die SED existierendes Unterneh-
mensnetz gewisse Dinge tun kann. Was würde ich also
mit meinem Geld in Deutschland tun? Ich würde auslän-
dische Firmen finden, die meiner inländischen Firma,
die das Geld hat, eine Rechnung ausstellen würden.

Die Rechnung würde für Consulting, also Beratung,
ausgestellt. Ich kann gute Beratung gut oder schlecht be-
zahlen, ich kann schlechte Beratung gut oder schlecht
bezahlen, ich kann natürlich auch gar keine Beratung gut
bezahlen.

Jetzt sieht man sofort das Problem: Ich bekomme die
Rechnung auf den Tisch und bezahle sie, was in
Deutschland eine ganz normale Ausgabe ist. Das Geld
ist dann grenzüberschreitend weg, es ist an einem wohl-
überlegten, sicheren Ort in einem Land, in dem vielleicht
keine Steuern erhoben werden. Falls doch, fällt mir be-
stimmt die nächste Grenze ein – bis dieses Geld in einer
Steueroase angekommen ist.

Wenn wir uns richtig erinnern, ist das deshalb so
kompliziert, weil ich selbst dann, wenn die anderen Staa-
ten wohlmeinend wären, die Firma, die mir die Rech-
nung schreibt, umgründen, in Konkurs gehen lassen,
verschmelzen oder neu gründen kann. Ich nenne ein Bei-
spiel: Die SED geht in die PDS über, diese verschmilzt
mit der WASG und gründet Die Linke neu. Hier haben
wir genau diese klassische Umgründung, Verschmel-
zung und Neugründung erlebt,






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Binding (Heidelberg)


(Lachen bei der LINKEN)


die wir auch in der Unternehmenswelt vorfinden. Des-
halb empfinde ich euren Antrag als essenziell wichtig.
Wir werden sogar einzelne Dinge, speziell diejenigen,
die die Zinsrichtlinie betreffen, in unseren Antrag auf-
nehmen. Die Zinsrichtlinie ist tatsächlich verbesserungs-
bedürftig.

Da ich gerade Herrn Bisky sehe, füge ich an: Dass
meine Untersuchung eben gerade nicht ganz verkehrt
war, kann ich auch damit begründen, dass Sie sogar ein
Ordnungsgeld in Kauf genommen haben, allerdings
nicht, um Transparenz zu erzeugen, sondern möglicher-
weise deshalb, um Aussagen nicht machen zu müssen,
die Transparenz geschaffen hätten. Vornehm formuliert,
nennt man dies Verschleierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Von daher muss man ein bisschen genauer hingucken
und fragen, was dort gemacht wird. Man muss auch et-
was genauer auf das gucken, was im Antrag steht.

Zu Ihrem Vorschlag, die Doppelbesteuerungsabkom-
men abzuschaffen, habe ich drei Fragen. Wissen Sie,
dass es etwa 40 000 bis 50 000 Grenzgänger zur
Schweiz gibt, deren Einkommen in Deutschland versteu-
ert werden? Haben Sie sich überlegt, welche Konse-
quenzen es für uns hätte, wenn wir darauf verzichteten?
Natürlich gilt dies immer symmetrisch. Überlegen Sie
sich also, was das für unser Steueraufkommen, aber auch
für die Menschen bedeutete, die als Grenzgänger Arbeit-
nehmer in der Schweiz sind. Haben Sie sich auch einmal
überlegt, wie eigentlich die Beziehungen etwa in der
chemischen Industrie zwischen Schweizer Unternehmen
und wichtigen Töchtern in Deutschland sind und welche
Konsequenzen es etwa für die Besteuerung von Lizenz-
zahlungen hätte, wenn wir Ihrem Vorschlag zu den Dop-
pelbesteuerungsabkommen folgten? Daran merken wir,
dass Ihr Vorschlag sehr unüberlegt ist.

Diese Unüberlegtheit zeigt sich insbesondere an ei-
nem kleinen Satz in Ihrem Antrag:

– der Verzicht auf die Einführung der Kapitalabgel-
tungsteuer: Kapitalerträge werden auch zukünftig
dem persönlichen Steuersatz unterworfen;

Dies heißt eigentlich nichts weiter als Folgendes:
Machte eine Aktiengesellschaft einen Gewinn von, sa-
gen wir, 100 Euro, und zahlte sie auf diese 100 Euro
30 Euro Steuern, bekämen Sie als Anteilseigner 70 Euro
und müssten darauf, weil Sie reich sind, wie wir gerade
gehört haben, 40 Prozent Steuern zahlen. Am Ende hät-
ten Sie möglicherweise von dem Gewinn allenfalls noch
35 bis 40 Prozent übrig. Wollen Sie dies wirklich, und
haben Sie sich überlegt, was das für Investitionstätigkeit,
Ansiedlungspolitik und Standortfragen bedeutet? Dessen
bin ich mir nicht sicher; ich vermute, dass Sie sich die-
sen Vorschlag nicht besonders gut überlegt haben.

Es gibt in Ihrem Antrag noch ein paar andere Vor-
schläge, zum Beispiel den „Ausschluss von Bankinstitu-
ten aus nicht kooperierenden Staaten“. Welchem Recht
unterliegen eigentlich Filialen ausländischer Banken in
Deutschland? Diese Filialen unterliegen deutschem
Recht. Was passierte, wenn sie geschlossen würden?
Dann gäbe es immer noch internationale Banktransfers.
Es würde immer noch eine Dividende in die Clearstream
Banking AG als Sammelbecken fließen, die das dann
über ihr Korrespondenzkonto komplett auf eine andere
Bank überweisen würde. Wie würden Sie dieser Anony-
mität Herr werden?

Insofern wäre eine echte kleine Tochtergesellschaft
einer ausländischen Bank oder eine Filiale vorzuziehen,
die nach deutschem Recht beaufsichtigt wird und Trans-
parenz wahren muss. Der Kollege Kolbe hat bereits da-
rauf hingewiesen, dass es eine ganze Reihe von Kon-
trollmitteilungen gibt. Möglich ist zum Beispiel eine
Kontenabfrage, um herauszufinden, ob jemand Konten
verschleiern wollte. Wir können auch die Stammdaten
und die Anzahl der Konten erheben.

Ich halte die Diktion in Ihrem Antrag insgesamt für
falsch. Mit den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen
wäre es nicht möglich, Erträge aus Vermögen, die sich
heute im Ausland befinden, aufzuspüren.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Denn wenn sich das Vermögen erst einmal im Ausland
befindet, dann kann man die sich daraus ergebenden Er-
träge international anlegen, ohne jemals mit einer deut-
schen Bank bzw. dem deutschen Fiskus zu tun zu haben.
In Ihrem Antrag sind keine Möglichkeiten vorgesehen,
auf solche Erträge zu stoßen. Das ist ein Fehler.

Wir wollen Ihren Antrag zum Anlass nehmen, uns mit
dem Thema zu befassen und mit unserem Antrag, den
wir bereits formuliert haben, der Stoßrichtung in diesem
Punkt zu folgen. Ich glaube, dann können wir zu einem
guten Ergebnis kommen.

Sie haben uns aufgefordert, Ihrem Antrag zuzustim-
men. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag
zu! Er ist wohlüberlegt.


(Beifall bei der SPD – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wo? Das ist der größte Witz, einem Antrag zuzustimmen, den es nicht gibt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616618700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Christine Scheel das Wort.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616618800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es wäre schön, wenn wir einem Antrag vonseiten der
SPD und der CDU/CSU zustimmen könnten, wenn es
ihn denn gäbe. Es gibt ihn aber nicht.


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


Das Problem besteht darin, dass innerhalb der Großen
Koalition anscheinend sehr individuell gearbeitet wird.
Die einen arbeiten in einer AG an einem Antrag; die an-
deren haben andere Arbeitszusammenhänge und setzen
andere Prioritäten. Ich befürchte, dass es zum Thema
Steuerhinterziehung in dieser Legislaturperiode keinen






(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
gemeinsamen Antrag der Großen Koalition geben wird.
Das ist bedauerlich. Aus diesem Grund haben wir vom
Bündnis 90/Die Grünen einen konkreten Antrag mit
Handlungsmöglichkeiten vorgelegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Mit bedauerlichem Inhalt!)


– Der Inhalt ist richtig.

Herr Wissing, Sie sind von Beruf Jurist. Der Antrag
der Grünen ist nicht so zu verstehen, als ob wir Staatsan-
wälten oder Richtern einen Vorwurf machen würden,
wie Sie ihn interpretiert haben. Im Gegenteil: Die Grü-
nen sind der Meinung, dass die Richter und Staatsan-
wälte im Zusammenhang mit Ermittlungstätigkeiten re-
gelmäßig in Verfahren ertrinken. Deswegen wollen wir
mehr Effizienz und eine Personalaufstockung mit einer
Schwerpunktsetzung in diesem Bereich, wie es sie der-
zeit nicht gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern ebenso wie bei der Wirtschaftskriminali-
tät die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaf-
ten. Es geht nicht an, dass in der Bundesrepublik
Deutschland viele Verfahren nicht so zügig bearbeitet
werden können, wie es diejenigen gerne täten, die sie zu
bearbeiten haben.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616618900

Kollegin Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Dr. Wissing?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616619000

Gern.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1616619100

Frau Kollegin Scheel, Sie haben eben festgestellt,

dass das, was in Ihrem Antrag formuliert ist, richtig sei.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass aus Kapazitätsman-
gel beim Amtsgericht angeklagt wird, obwohl an sich
die Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichtes zustän-
dig sind. Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass diese
Aussage falsch ist, weil nach deutschem Recht nicht frei
entschieden werden kann, wo man Anklage erhebt, und
dass es dienstrechtlich für Staatsanwälte in Deutschland
nicht zulässig ist, in Kenntnis der Zuständigkeit des
Landgerichtes beim Amtsgericht Anklage zu erheben?
Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass Staatsanwälte in
Deutschland nicht gegen diese gesetzliche Regelung ver-
stoßen?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616619200

Herr Kollege Wissing, Sie lenken ab. Der entschei-

dende Punkt ist, dass wir die Situation, die Anlass zum
Bedauern gibt, verändern wollen. Es gibt solche Fälle,
wie ich sie beschrieben habe; das wissen Sie. Die Juris-
tinnen und Juristen in meiner Fraktion haben in der Pra-
xis der Lebenswelt festgestellt, dass es Probleme gibt.
Wir möchten die Probleme lösen, indem wir dem Perso-
nal mehr Hilfestellung geben, zum Beispiel durch das
Aufstocken der Stellenzahl. Dann kann mehr passieren.
Das wäre im Hinblick auf unser Ziel gut, Steuerhinter-
ziehung zu bekämpfen. Das ist der entscheidende Punkt,
nicht mehr und nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen ein einfaches und faires Steuersystem und
das Problem durch Senkung der Steuersätze lösen. Da-
mit liegen Sie falsch. Nehmen wir den Fall des Postchefs
Klaus Zumwinkel. Er hat viele Jahre bei der Liechten-
steiner LGT Bank etwa 10 Millionen Euro angelegt und
hat auf die Zinserträge keine Steuern gezahlt. Ich frage
Sie: Verhindern Sie solche Fälle, in denen jemand ir-
gendwo Geld anlegt und null Zinserträge angibt, obwohl
er sie angeben müsste, wenn Sie das Einkommensteuer-
recht durch entsprechende Änderungen vereinfachen
und die Sätze senken? Sie können noch so sehr vereinfa-
chen, aber solche Fälle, in denen jemand bewusst keine
Steuern zahlen will, verhindern Sie so nicht. Sie müssten
den Satz schon auf null senken, um vielleicht Ihr Ziel zu
erreichen. Das kann aber nicht im Interesse des Allge-
meinwesens liegen und wird der Situation in der Bun-
desrepublik Deutschland nicht gerecht. Das wäre völli-
ger Quatsch; das wissen Sie auch. Sie lenken mit Ihrer
Zwischenfrage nur ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Spitze des Eisbergs ist nun ein Stück weit abge-
tragen. Aber der Eisberg ist ziemlich breit und groß.
Nach Angaben der Deutschen Steuer-Gewerkschaft sind
etwa 400 Milliarden Euro im Ausland versteckt. Um den
Bürgerinnen und Bürgern die Relation deutlich zu ma-
chen: Das ist das Eineinhalbfache dessen, was der Bund
ausgeben kann. Allein der Steuerschaden liegt im zwei-
stelligen Milliardenbereich. Aus diesem Grund haben
wir strategische Überlegungen angestellt. Unser wirksa-
mes Maßnahmenpaket auf nationaler, europäischer und
internationaler Ebene finden Sie in unserem Antrag.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Fragt sich nur, warum Sie das damals nicht gemacht haben, als Sie regiert haben!)


Wir wollen alle Chancen nutzen. Ich verweise nur auf
die Löcher bei der europäischen Zinssteuerrichtlinie und
bei Doppelbesteuerungsabkommen. Wir wollen zum
Anrechnungsverfahren übergehen. Das alles und vieles
mehr lässt sich in unserem Antrag finden. Wir werden in
Zukunft darüber weiter diskutieren können, wenn die
Koalition denn einen Antrag vorlegt. Ich hoffe sehr, dass
sie es bald tun wird. Unser Antrag liegt bereits vor. Die
Ideen sind richtig. Die Maßnahmen sind gut. Deswegen
bitten wir, unseren Antrag zu unterstützen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616619300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/9168, 16/9166 und 16/9421 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Heinz
Riesenhuber, Dr. Michael Fuchs, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Ute Berg, Dr. Rainer Wend,
Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Das neue Zentrale Innovationsprogramm Mit-
telstand ZIM optimal ausgestalten und konso-
lidierungskonform finanzieren

– Drucksachen 16/8905, 16/9471 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Berg

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Heinz Riesenhuber für die Unionsfraktion.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1616619400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Über Steuerhinterziehung ha-
ben wir gerade gesprochen, jetzt reden wir über den ehr-
lichen Mittelstand, der vielfältig in Deutschland seine
Arbeit tut und der seine Steuern zahlt.

Der Mittelstand hat in den letzten Jahren den größten
Anteil an neuen Arbeitsplätzen geschaffen. Es waren
Hunderttausende. Der Aufbau von Arbeitsplätzen fand
insbesondere im innovativen Mittelstand statt. Die Welt
besteht aus Hightech, Lowtech und Notech, aber der Be-
reich, in dem am schnellsten Neues entsteht, ist der tech-
nisch-innovative Mittelstand. In diesem Bereich gibt es
in Deutschland gut hunderttausend Unternehmen. Man
muss ehrlich einräumen, dass rund die Hälfte von diesen
Unternehmen gar nicht forscht, 30 000 mit großer Stetig-
keit forschen und der Rest gelegentlich. Jeder ist will-
kommen. Es gibt viele, die im Wesentlichen von Imita-
tionen leben. Das ist zulässig, solange sich das in den
Grenzen dessen bewegt, was die Gesetze erlauben. Es
gibt andere, die Ideen zu technologischen Dienstleistun-
gen zur Marktreife bringen und dabei aus frei verfügba-
rem Wissen schöpfen. Auch dies ist gut. Was hier ent-
steht, ist eine große Landschaft, die allerdings in den
letzten Jahren nicht ganz die Dynamik hatte, die wir uns
immer gewünscht haben. Wir konstatieren eine Stagna-
tion der Forschungsaufwendungen in den mittelständi-
schen Unternehmen bei nur geringen Schwankungen.
Dies ist in Zeiten, die sich immer schneller ändern und in
denen immer mehr auf Forschung basiert, eine gefährli-
che Strategie.

Zum Mittelstand gehören auf der anderen Seite die
Gründungen. Die Zahl der Neugründungen von Highte-
chunternehmen stieg bis 2000 Jahr für Jahr, dann nahm
die Zahl ab, anschließend gab es eine leichte Erholung,
und 2005 ging die Zahl wieder zurück. Die Situation ist
durchaus schwierig.

Schauen Sie sich die ganze Landschaft an. Von den
300 forschungsstärksten Unternehmen der Welt sind 55
nach 1960 gegründet worden, zwei in Europa, eins da-
von in Deutschland, 53 in den USA. Wenn wir die Dyna-
mik erreichen wollen, die wir mit der Lissabon-Strategie
beschlossen haben, dann müssen wir einen neuen Anlauf
nehmen. Das macht die Bundesregierung. Deshalb hat
sie die Ziele gesetzt. Das 6-Milliarden-Euro-Programm
ist inzwischen durch die Weisheit und Güte des Finanz-
ministers aufgestockt worden. Wir hoffen, dass es so
weitergeht. Ich nenne weiterhin die Hightech-Strategie
und die Programme, die den Mittelstand in den einzel-
nen Bereichen voranbringen. Es gibt die Fachpro-
gramme des Forschungsministeriums und des Wirt-
schaftsministeriums. Eine große Stärke aber liegt in den
technologieoffenen Programmen, die der Wirtschaftsmi-
nister aufgelegt hat.

Hier setzt jetzt ZIM an, der neue Vorschlag, über den
wir jetzt diskutieren. Das ist eine Weiterentwicklung von
Programmen, die wir haben, eine Zusammenführung und
Vereinfachung. ZIM bedeutet Zentrales Innovationspro-
gramm Mittelstand, nur damit wir uns nicht mit Kürzeln
erschlagen. Ich habe das jetzt einmal gesagt und darf es
deswegen künftig einsparen. Dieses ZIM fasst mehrere
Programme zusammen, die sich bewährt haben. Nach
1990, nach der deutschen Einheit kam eine Reihe von
Programmen, die sich in den alten Bundesländern be-
währt hatten, in die neuen Länder. Manche wurden mo-
difiziert. Inzwischen haben sich diese und andere, neue
Programme in den neuen Ländern bewährt.

Mit ZIM soll das, was gut ist, zu einem einzigen Pro-
gramm für ganz Deutschland zusammengeführt werden.
Die Scheidung in Ost und West kann nicht der vernünf-
tige Weg sein. Dabei handelt man in dem klaren Be-
wusstsein, dass der Anteil der Mittel, die in die neuen
Bundesländer gehen, weiter steigt und immer überpro-
portional hoch bleibt. Das ist notwendig für die Dyna-
mik in diesem Bereich.

Was geschieht im Einzelnen? Ich beschreibe jetzt
nicht die Programme, die uns allen, wie ich vermute,
wohlvertraut sind. Pro Inno betrifft die Zusammenarbeit
zwischen Unternehmen und wissenschaftlichen Institu-
ten. Das ist mit über 200 Millionen Euro ein starkes Pro-
gramm. Damit werden Kooperationen aufgebaut. Inno-
Net fördert Netzwerke zwischen kleinen und mittleren
Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Diese Ko-
operationen brauchen wir so, dass das selbstverständlich
wird. NEMO steht für: Netzwerkmanagement Ost. Es
war eine gute Idee, einen Förderwettbewerb zum Aufbau
von Netzwerken zwischen mittelständischen Unterneh-
men und Forschungseinrichtungen durchzuführen. Aus
dem Programm Inno-Watt soll die einzelbetriebliche
Förderung von Unternehmen in den neuen Bundeslän-
dern in ZIM integriert werden. Damit haben wir das
Konzept.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber
Was ändert sich? Neu ist, dass die Programme für
ganz Deutschland gelten. Neu ist, dass die Antragsver-
fahren einfacher werden. Neu ist, dass man bei all diesen
Programmen den einzelnen Adressaten nicht hinterher-
laufen muss; vielmehr gibt es eine einzige zentrale An-
sprechstelle. Neu ist die Schnelligkeit der Bearbeitung.
Ein Mittelständler muss schnell über die Entscheidung
informiert werden. Neu sind außerdem einige Inhalte.

Bis jetzt galt beispielsweise eine beachtliche Alters-
grenze. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund, warum
erfahrene Forscher nicht weiterarbeiten sollen, solange
sie Ideen haben. Bis jetzt war es auch so, dass die Ge-
schäftsführer nicht mitmachen durften. Bei einem mittel-
ständischen Unternehmen, das forscht, ist aber der Ge-
schäftsführer in der Regel das „Frontschwein“, das die
ganze Arbeit zu machen hat. Das heißt, wir versuchen
Barrieren zu beseitigen, sodass die Sache schnell, dyna-
misch und erfolgreich ist. Wir sorgen für ein einziges ge-
schlossenes Programm für ganz Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu brauchen wir hier neben der vorzüglichen Ar-
beit des Wirtschaftsministers die Unterstützung des Fi-
nanzministers. Ich kann hier nicht voraussagen, was es
kostet. Es heißt, dass wir in diesem Jahr mit den Mitteln
hinkommen, dass wir im nächsten Jahr 80 Millionen
Euro und in den Folgejahren, je nach Entwicklung,
100 Millionen bis 200 Millionen Euro mehr brauchen
könnten. Es sind also sehr beachtliche Beträge. Wir ha-
ben bis jetzt die Erfahrung gemacht, dass uns der Fi-
nanzminister, der heute zufällig nicht da ist, mit Herz-
lichkeit durch die Jahre begleitet hat. Wir vertrauen fest
darauf, dass das so bleiben wird.


(Uwe Barth [FDP]: Er hat nicht damit gerechnet, dass Sie ihn so loben!)


Die Frage des Finanzministers, warum er Forschung
fordern soll, ist ungefähr 150 Jahre alt. Damals fragte
der englische Finanzminister Gladstone, wofür Elektrizi-
tät gut sei. Die klassische Antwort war: Sie können sie
eines Tages besteuern. Nichts ist bezaubernder für einen
Finanzminister, als dass er einmal besteuern kann. Wenn
es mehr neugegründete Unternehmen gibt, dynamische
Unternehmen, die durch Forschung neue Arbeitsplätze
schaffen, dann profitiert davon der Finanzminister. Ihn
glücklich zu machen, ist das größte Ziel. Auf dieser
Grundlage könnten wir dann arbeiten.

Wir werden daran in den nächsten Jahren arbeiten.
Wir brauchen zum Start dieses Programms das grüne
Licht des Finanzministers jetzt; denn am 1. Juli soll die
erste Stufe starten, und am 1. Januar nächsten Jahres soll
der betriebsspezifische Teil von Inno-Watt dazukom-
men. Das ist ein wichtiger Schritt, auch wenn es nicht al-
les ist.

Wenn die Forschungspolitik gut ist, entstehen immer
neue Forschungsprogramme. Alte Forschungsprogramme
werden eingestellt, neue werden begonnen, und vorhan-
dene werden umstrukturiert. Das muss ein lebendiger
Prozess sein. Wenn ein Forschungsprogramm erfolg-
reich ist, dann muss man sich fragen, ob man es weiter-
führen muss. Wenn es erfolglos ist, dann darf man nicht
gegen den Markt fördern. Entscheidend ist, eine Strate-
gie zu finden, durch die Neues angeregt wird, Ideen in
den Markt eingebracht werden, die Menschen begeistert
werden und fröhlicher Unternehmungsgeist unter den
Menschen wächst. Da haben wir noch einen langen Weg
vor uns.

Über vieles diskutieren wir. Noch mehr tut die Bun-
desregierung, worüber wir stolz und glücklich sind. Uns
wird ein Vorschlag zur steuerlichen Forschungsförde-
rung gemacht werden. Über Wagniskapital werden wir
in der nächsten Stufe wieder reden. Wir werden in vielen
Bereichen das Neue angehen. Dann entsteht eine Land-
schaft, über die vor allem der Finanzminister glücklich
sein kann, weil er dadurch zusätzliche Steuereinnahmen
erzielt. Herr Staatssekretär, bitte, richten Sie ihm meine
herzlichen und verbundenen Grüße aus.


(Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär: Das tue ich sehr gerne!)


Vorher müssen wir dafür sorgen, dass das Neue entsteht
und wächst. Der Staat kann die Zukunft nicht vorherse-
hen, aber er kann die Voraussetzungen dafür schaffen,
dass die Menschen, die etwas davon verstehen, die die
Arbeit tun und die Verantwortung tragen, die unsere
Bürgergesellschaft ausmachen – –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616619500

Kollege Riesenhuber, auch wenn Sie darüber hinweg-

sehen: Dieses Licht dort bedeutet, dass Sie weit über
Ihre Redezeit sind. Ich weiß, dass Sie das immer irritiert.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1616619600

Frau Präsidentin, ich bedanke mich für den Hinweis.

Ich freue mich sehr, dass Sie mich so liebevoll begleiten.


(Heiterkeit)


Wir werden deshalb mit Fröhlichkeit, Unternehmungs-
geist und Entschlossenheit unter Begleitung der Präsiden-
tin in eine neue unternehmerische Zukunft aufbrechen.
Wenn die Frau Präsidentin uns dabei wohlwill – genau
wie der Finanzminister –, dann ist das für uns alle nütz-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616619700

Das Wort hat der Kollege Martin Zeil für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1616619800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Trotz der wie immer eindrucksvollen Vortragsweise,
Herr Kollege Riesenhuber, geht es uns mit dem Antrag
der Koalitionsfraktionen so wie mit einem Luftballon,
der nicht ganz dicht ist: Je länger man ihn in Händen
hält, desto mehr schnurrt er zusammen.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben einen einfachen haushaltstechnischen Vor-
gang genutzt, um wunderschöne Sätze und Selbstver-






(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
ständlichkeiten aufzuschreiben und eindrucksvoll das
Hohelied des Mittelstands zu singen. Eine besondere po-
litische Substanz können wir dem leider nicht entneh-
men.

Vielleicht erklärt das auch Ihr Verhalten gestern im
Ausschuss, wo der Antrag entgegen allen parlamentari-
schen Gepflogenheiten einfach durchgepeitscht wurde,
ohne dass die Fragen unserer Fraktion vor der Abstim-
mung beantwortet worden waren. Offenbar sahen Sie Ih-
ren eigenen Antrag als nicht so recht diskussionswürdig
an.

Gegen die Bündelung der Fördermaßnahmen für den
Mittelstand ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden,
falls dadurch Effizienzpotenziale gehoben und vor allen
Dingen mehr Transparenz für die Förderungsempfänger
erreicht werden können. Jedoch darf die Förderung nicht
zu einem simplen Geschenketopf für alle werden. Die
Förderrichtlinien müssen klar formuliert werden. Die
Maßnahmen müssen endlich von einer unabhängigen In-
stanz bewertet werden.


(Beifall bei der FDP)


Leider halten Sie sich erneut nicht an Ihre eigenen
Subventionsrichtlinien. Im Subventionsbericht der Bun-
desregierung heißt es – ich zitiere –:

Neue Finanzhilfen werden nur noch befristet und
grundsätzlich degressiv ausgestaltet.

In Ihrer verspäteten Antwort auf unsere Fragen heißt es
stattdessen:

Innerhalb der Laufzeit werden die … Fördersätze
im Programm stabil gehalten, um bei den Nutzern
Planungssicherheit zu gewährleisten.

Aber nur die degressive Förderung verhindert die Ab-
hängigkeit vom Subventionstropf und fördert die Initia-
tive der Empfänger, eigene Finanzquellen zu erschlie-
ßen.


(Beifall bei der FDP)


Aber für alles das hätte es dieses Antrags nicht be-
durft. Sie haben angesichts der anhaltenden Kritik aus
dem Mittelstand an Ihrer Politik – Stichwort Ziel- und
Orientierungslosigkeit – einmal wieder einen Anlass ge-
sucht, sich selbst zu loben. Sie schreiben im Antrag:

Nur an der Spitze des wissenschaftlichen und techni-
schen Fortschritts kann Deutschland auch in Zukunft
im globalen Wettbewerb bestehen und damit Wachs-
tum, Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland si-
chern.


(Beifall des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD])


– Wer wollte dem nicht zustimmen, Herr Kollege Wend?

Sie reden von vielen forschenden und innovativen
Unternehmen in unserem Land. Haben Sie sich eigent-
lich einmal gefragt, wie lange die sich das Forschen nach
Ihrer mittelstandsfeindlichen Politik noch leisten kön-
nen? Ich erinnere an die Debatte um die Besteuerung der
Funktionsverlagerung im Zusammenhang mit der Unter-
nehmensteuerreform.

(Uwe Barth [FDP]: Sehr richtig!)


Herr Kollege Riesenhuber, das ist gerade für die innova-
tiven Unternehmen, die jungen Unternehmen ein ganz
gravierender Hemmschuh.


(Beifall bei der FDP)


Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
hat richtig festgestellt, dass die kleineren Unternehmen
sich noch zu wenig an diesem Innovationsprozess be-
teiligen. Das wirft doch die Frage auf: Warum? Die
Antwort ist gar nicht so schwer: Es sind Ihre Politik des
Stillstands, der mittelstandsfeindlichen Erbschaftsteuer-
reform, der Steuererhöhungen, der hochgetriebenen Ener-
gie- und Lohnnebenkosten sowie die Bewegungs-
losigkeit bei der Reform des Arbeitsmarkts und eine
nach wie vor belastende Bürokratie, die diese Schritte
behindern.


(Beifall bei der FDP)


Solange Sie eine mittelstandsfeindliche Politik machen,
solange Sie damit immer mehr gut ausgebildete junge
Menschen ins Ausland treiben, solange werden auch die
gutgemeinten Programme und ihre Zusammenlegung
nichts bewirken. Noch ist die Lage unserer Wirtschaft
gut. Die Alarmzeichen am Horizont sind aber nicht zu
übersehen. Gerade deshalb ist es so verantwortungslos,
wenn sich die schwarz-rote Koalition mehr und mehr
vom Regieren verabschiedet und sich nur noch mit
Wahlkampfscharmützeln bis zum nächsten Wahltermin
schleppen will.


(Beifall bei der FDP)


Wir befinden uns in einer Vertrauenskrise: Viele Men-
schen vertrauen der Finanzwirtschaft wegen der aktuel-
len Krise nicht mehr; viele Marktteilnehmer vertrauen
einander nicht mehr; viele Menschen trauen der Regie-
rung nicht mehr; Teile der Regierung trauen sich unter-
einander nicht mehr. Die Regierung betreibt aber keine
Politik, die das Vertrauen wieder stärken könnte.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch des Abg. Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU])


Vertrauen gewinnt man nur mit einem klaren Kurs zu-
rück, der am Kompass der sozialen Marktwirtschaft aus-
gerichtet ist.


(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)


Lassen Sie mich abschließend sagen: Sie sollten sich
gerade anlässlich Ihres Antrages folgenden Satz des
deutschen Familienunternehmers Hans Knürr hinter die
Ohren schreiben:

Belässt man dem Mittelstand die notwendigen Mit-
tel, hat er ohne staatliche Hilfe einen unglaublich
festen Stand.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616619900

Das Wort hat die Kollegin Ute Berg für die SPD-

Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1616620000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach der larmoyanten Rede von Herrn Zeil


(Martin Zeil [FDP]: Was Sie so unter Larmoyanz verstehen, Frau Kollegin!)


möchte ich wieder Optimismus in die Runde bringen
und auch mit ein wenig Stolz zurückblicken.

Wir haben Deutschland unter Rot-Grün im Bereich
Forschung und Entwicklung gut aufgestellt.


(Uwe Barth [FDP]: Sie wollten doch über Optimismus reden!)


– Ja, ich sagte aber auch: „und auch mit ein wenig Stolz
zurückblicken“. Gedulden Sie sich!

Mit Edelgard Bulmahn an der Spitze des Forschungs-
ministeriums wurden die Ausgaben für Bildung und For-
schung um fast 38 Prozent erhöht. Sie erinnern Sie sich
vielleicht an einen gewissen Herrn Rüttgers, der auch
einmal Forschungsminister war. Ich erinnere nur einmal
kurz daran, dass unter ihm der Etat zweimal zurückge-
schraubt wurde. Bei uns war das anders.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Jetzt aber vorsichtig!)


Ohne unser klares sozialdemokratisches Bekenntnis zur
Innovationspolitik,


(Widerspruch der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])


ohne den Pakt für Forschung und Innovation, ohne die
Exzellenz-, Gründer- oder IT-Forschungsinitiativen, den
Hightech-Masterplan, um nur einige Projekte zu nennen,
stünden wir definitiv nicht so gut da.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Martin Zeil [FDP]: Nachruf auf eine Volkspartei! Nur noch 20 Prozent!)


Da unser jetziger Koalitionspartner das leider nicht he-
rausstellt – man sieht das ja deutlich –, müssen wir das
eben hin und wieder auch einmal selber tun.

Die erfolgreiche Politik setzen wir nun aber auch in
der Großen Koalition fort. Die Ausgaben des Bundes für
Forschung und Entwicklung haben wir im Jahr 2007 mit
rund 10 Milliarden Euro auf einen Höchststand angeho-
ben. Dieser Betrag wird in diesem Jahr mit voraussicht-
lich 11 Milliarden Euro sogar noch getoppt. Das sind gut
angelegte Gelder. Wir bestreiten ein Drittel unseres welt-
weiten Handels mit forschungs- und entwicklungsinten-
siven Gütern. Den jetzigen Aufschwung hätten wir ohne
unsere Spitzenposition bei Technologieexporten nicht
erlebt – so die Expertenkommission Forschung und In-
novation in ihrem ersten Gutachten 2008 für die Bundes-
regierung.

Vor zwei Jahren haben wir die Hightech-Strategie
gestartet – Herr Riesenhuber hat schon darauf hingewie-
sen –, um Deutschland an die Spitze der wichtigsten
Zukunftsmärkte zu bringen. Ressortübergreifend zieht
diese Regierung dabei an einem Strang. Unsere Ziele
sind, aus Ideen schneller marktfähige Produkte zu ma-
chen, Wirtschaft und Wissenschaft noch enger miteinan-
der zu vernetzen und dabei besonders die kleinen und
mittelständischen Betriebe im Auge zu haben. Sie sind
nämlich der Motor unserer wirtschaftlichen Entwick-
lung. Das ist bekannt. Fast 30 000 von ihnen betreiben
kontinuierlich Forschung, circa 110 000 bringen regel-
mäßig innovative Produkte und Dienstleistungen auf den
Markt und sorgen damit für einen enormen Beschäfti-
gungszuwachs. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standor-
tes Deutschland wird maßgeblich durch diese Unterneh-
men beeinflusst.

Die eben erwähnte Expertenkommission erklärte uns,
dass mit der Hightech-Strategie ein neuer, vielverspre-
chender Weg beschritten wurde, und sie forderte den
Bund auf, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzu-
setzen, Herr Zeil. Das werden wir tun.

Aber nicht nur der Staat unternimmt verstärkte An-
strengungen, auch die privaten Investitionen ziehen in-
zwischen nach. Laut Stifterverband sind seit 2006 deutli-
che Zuwächse zu verzeichnen. Damit tun sich die
Unternehmen, die forschen und entwickeln, selbst den
größten Gefallen. Sie schaffen sich nämlich in aller Re-
gel gute Positionen im nationalen, aber auch im interna-
tionalen Wettbewerb.

Die Unternehmensberatung Ernst & Young hat in ih-
rer aktuellen Studie „Siegerstrategien im deutschen Mit-
telstand 2008“ 100 besonders erfolgreiche mittelständi-
sche Unternehmen unter die Lupe genommen und nach
dem Geheimnis ihres Erfolgs gesucht. Das Ergebnis
war: Die Entwicklung innovativer Produkte gilt als
wichtigster Schritt zum Erfolg. Es folgen Bildungsakti-
vitäten, Orientierung an Kundenwünschen und Motiva-
tion durch gesellschaftliches Engagement.

Aber wo viel Licht ist, ist natürlich auch Schatten. Ich
habe mich bisher auf die innovativen Mittelständler kon-
zentriert. Leider ist auch das Realität in Deutschland:
Zwei Drittel der Unternehmen, die das IW, das Institut
der deutschen Wirtschaft Köln, in seinem Zukunftspanel
befragt hat, forschen oder entwickeln überhaupt nicht.
Herr Riesenhuber hat schon darauf hingewiesen. Das hat
natürlich unterschiedliche Gründe: Den einen fehlt
schlicht und ergreifend das Geld für FuE-Aktivitäten,
die sich in der Regel erst mittel- oder langfristig auszah-
len, und die anderen haben häufig keine Kenntnis davon,
welche Forschungsergebnisse, die vermarktet werden
können, die Hochschulen und Forschungsinstitute her-
vorbringen.

In jedem Fall bleiben riesige Potenziale ungenutzt.
Das muss sich schnellstens ändern. Deshalb hat das
BMBF das Programm „KMU-innovativ“ aufgelegt, um
Spitzenforschung im Mittelstand zu fördern. Deshalb
startet das BMWi das ZIM, das Zentrale Innovationspro-
gramm Mittelstand, das – wie Sie schon gehört haben –
technologieoffen angelegt ist.

Vier Programme des Bundesministeriums für Wirt-
schaft werden zu einem Dachprogramm zusammen-
gelegt. Mit dieser Reform sollen die schon in der Ver-
gangenheit durchaus erfolgreiche Innovationsförderung
des Mittelstandes noch effektiver gestaltet und ein trans-






(A) (C)



(B) (D)


Ute Berg
parentes, zielgenaues und leicht zugängliches Unterstüt-
zungsangebot gemacht werden.

Die wichtigsten positiven Veränderungen noch ganz
kurz im Überblick: Die Forschung wird ausgeweitet. Es
wurde schon erwähnt, dass NEMO, das Netzwerkpro-
gramm-Ost, das sich früher nur auf Ostdeutschland be-
zog, auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt wird.
Im zweiten Schritt geschieht das für das Programm Inno-
Watt, welches hinsichtlich der Förderung von Forschung
und Entwicklung bei innovativen Wachstumsträgern im
Osten Deutschlands erfolgreich funktioniert hat. Auch
noch andere Programme werden, wie gesagt, unter die-
sem Dach vereinigt.


(Uwe Barth [FDP]: Das war eine überzeugende Darstellung!)


– Eben. Effektivität kann nicht schaden.

Die dritte Veränderung: Transparenz und Nutzer-
freundlichkeit werden erhöht. Die Förder- und Antrags-
bedingungen werden vereinfacht.

Die vierte Veränderung: Die Innovationsprogramme
– das hatte ich am Anfang schon angedeutet – sind in
die Hightech-Strategie eingebettet. Damit fließen um-
fangreiche Mittel in dieses Programm, das von einer Er-
höhung der Fördermittel von 450 Millionen Euro in
2005 auf 670 Millionen Euro bis zum Jahre 2009 profi-
tiert.

Die ressortübergreifende Beratungsstelle ist sicherlich
auch von großem Interesse für die KMU; denn bisher
mussten sie sich an die unterschiedlichsten Stellen wen-
den und haben damit sehr viel Zeit vergeudet. Es wurden
bürokratische Hürden geschaffen, die jetzt abgebaut
werden. Das heißt, die eine Beratungsstelle informiert
nicht nur über die Programme des Bundes, sondern auch
über Programme der Länder und der EU und gibt zusätz-
lich Hinweise, an welche Anlaufstellen bzw. an welche
Projektträger sich die kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen wenden müssen. Das bringt Licht in den För-
derdschungel und ist gerade für die kleineren Unterneh-
men extrem wichtig, die weder Zeit noch Geld und
schon gar kein zusätzliches Personal haben, um mühsam
auf eigene Faust das für sie geeignete Programm samt
Anlaufstelle zu recherchieren.

So gut das alles klingt, möchten wir als Parlament
weiterhin informiert und beteiligt werden und – wo
nötig – auch nachjustieren. Selbstverständlich wollen
wir auch eine vernünftige Evaluation, die im Übrigen in
der Vergangenheit bei den einzelnen Programmen schon
stattgefunden hat.


(Martin Zeil [FDP]: Aber nicht von Unabhängigen!)


– Auch von Unabhängigen.

Daher fordern wir die Bundesregierung auf, uns jähr-
lich über den Erfolg der Technologieförderung im Mit-
telstand zu unterrichten, insbesondere natürlich über das
künftige Kernstück: das ZIM.

Mit Blick auf die weitere Entwicklung kleiner und
mittelständischer innovativer Unternehmen möchte ich
noch einen Aspekt ansprechen, der maßgeblich zum Er-
folg aller Unternehmen, besonders aber der kleinen in-
novativen beiträgt. Gerade für diese ist es entscheidend
wichtig, dass hochqualifiziertes Personal vorhanden ist.
Daher trifft sie der Ingenieur- und Fachkräftemangel ins-
gesamt besonders hart. Die Zahlen des Stifterverbandes
für die Deutsche Wissenschaft verdeutlichen dies: 2005
waren ungefähr 300 000 Arbeitnehmer in Forschung und
Entwicklung tätig. Für 2007 wurden dann schon 310 000
prognostiziert. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Es
ist aber ganz klar: Die Zahlen in diesem Bereich werden
steigen; die Nachfrage wird steigen. Auf dem Arbeits-
markt kommen aber nicht genügend hochqualifizierte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616620100

Kollegin Berg, achten Sie bitte auf die Zeit.


Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1616620200

Ich komme zum Schluss.

Durch gezielte Anstrengungen im gesamten Bil-
dungsbereich Verbesserungen herbeizuführen, muss un-
ser aller Herzensanliegen sein. Daher ein abschließender
Appell: Lassen Sie uns gemeinsam für eine gute Zukunft
des Mittelstands und des Standorts Deutschland
arbeiten – mit Zukunftsinnovationen in Forschung und
Entwicklung, mit dem weiteren Abbau unnötiger Büro-
kratie, mit intelligenten Investitionen in unsere Infra-
struktur und mit einer Kraftanstrengung im Aus- und
Weiterbildungsbereich. Davon haben dann alle Bürge-
rinnen und Bürger etwas. Sie profitieren von guten Ar-
beitsplätzen, mehr Wirtschaftskraft und höherer Lebens-
qualität.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616620300

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Petra Sitte das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616620400

Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Wir haben schon gehört: Es werden mehrere
Mittelstandsprogramme des Ministeriums für Wirt-
schaft und Technologie in ein Zentrales Innovationspro-
gramm Mittelstand überführt. Ich muss Ihnen ehrlich sa-
gen: Ich bin ganz froh, dass dies nicht nur eine
Zusammenführung bedeutet. Als Aufsichtsratsmitglied
eines kleinen, aber feinen Technologiegründerzentrums
freut es mich, dass es auch Erweiterungen gibt, dass
auch marktvorbereitende Maßnahmen wie beispiels-
weise klinische Studien oder die Fertigung von Proto-
typen förderfähig werden.

Das war eine Blindstelle bisheriger Förderpolitik.
Denn oft genug haben wir zwar mit öffentlichen Mitteln
Innovationen gefördert. Aber dann ist nicht nur die
Markteinführung gescheitert, sondern schon vorher auch
die Produktionseinführung. Gerade diese Maßnahmen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
bedürfen nochmals erheblicher finanzieller Aufwendun-
gen. Diese haben dann oftmals gefehlt. Wir haben also
mit öffentlichem Geld eine Entwicklung gefördert; dabei
sind aber keine Arbeitsplätze entstanden und, Herr Rie-
senhuber, noch weniger Steuereinnahmen angefallen.

Zusammengeführt werden auch Programme, die vor-
her ausschließlich für den Mittelstand Ost galten. Wir
haben im Osten sehr wichtige Erfahrungen für struktur-
schwache Gebiete bundesweit gesammelt. Das heißt, das
Zentrale Innovationsprogramm richtet sich jetzt nicht
nur an den Osten, sondern an alle strukturschwachen Ge-
biete der Bundesrepublik. Alle Regionen können sich
unterschiedslos für dieses Programm bewerben.

Wenn wir aber nicht in Rechnung stellen, dass es ganz
unterschiedliche Ausgangsbedingungen gibt, kann es zu
einem ungleichen Wettbewerb kommen. Wenn diese Re-
gionen gleichermaßen Chancen haben sollen, müssten
die Mittel für dieses Programm eigentlich insgesamt
nochmals aufgestockt werden. Denn bei Konkurrenz von
strukturschwachen und starken Regionen sind die
Hauptnutznießer – wir kennen schon jetzt das Ergebnis;
das haben wir bei der Exzellenzinitiative gesehen – die
stärkeren, insbesondere dann, wenn sich zeigt, dass der
Topf zu klein ist, um den sich alle drängen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen also verhindern, dass strukturschwache
Regionen hinten herunterfallen. Wir müssen auch daran
denken: Strukturschwache Gebiete im Osten sind in der
Dimensionierung nicht mit strukturschwachen Gebieten
im Westen gleichzusetzen. Deshalb ist durchaus zu über-
legen, ob in diese Programmlinien eine Quote nicht nur
für strukturschwache Regionen insgesamt, sondern auch
für den Osten eingeführt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Ansonsten vergrößert sich der Abstand zwischen struk-
turschwachen und -starken Regionen, zwischen Ost und
West.

Ich möchte kurz zeigen, warum die Innovationsförde-
rung für den Osten so wichtig ist. Bundesweit – das ist
schon angeklungen – liegt der Anteil der Ausgaben für
Forschung und Entwicklung in kleinen und mittelständi-
schen Betrieben an den Gesamtausgaben bei 12 bis
14 Prozent; hingegen beträgt der Anteil dieser Ausgaben
bei Betrieben im Osten 50 Prozent, aber nur 8 Prozent
der innovativen Unternehmen haben dort ihren Sitz.

Deshalb ist es für uns so wichtig, jetzt nicht nur A,
sondern auch B zu sagen. Ein wichtiger Bestandteil ist
aus unserer Sicht die Forschungsprämie, die bislang
Hochschuleinrichtungen und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen zur Verfügung stand, sofern sie
mit Mittelständlern Entwicklungen umgesetzt haben.

Bei uns im Osten gibt es jedoch gemeinnützige
GmbHs – Forschungs-gGmbHs –, die für die Substanz
der dortigen Forschung und damit auch für den Struktur-
wandel ausgesprochen wichtig sind. Nunmehr, seit An-
fang des Jahres, können auch diese gGmbHs an der For-
schungsprämie partizipieren.

(Uwe Barth [FDP]: Weil wir es beantragt haben!)


– Es haben so viele daran mitgewirkt, bis es am Ende
dazu gekommen ist: auch wir, aber auch die anderen.


(Uwe Barth [FDP]: Wir, das Parlament, meine ich!)


– Da bin ich mir nicht so sicher. – Diese Forschungs-
gGmbHs erwirtschaften Beträge, die ähnlich wie bei den
Fraunhofer-Instituten sehr hoch sind; aber sie werden
nicht gleichermaßen kontinuierlich gefördert. Deshalb
ist es aus unserer Sicht notwendig, im Zusammenhang
mit dieser Programmlinie darüber nachzudenken, diese
ebenso kontinuierlich zu fördern wie andere außeruni-
versitäre Forschungseinrichtungen.

Fazit: Es ist positiv, dass es eine solche zentrale Pro-
grammlinie gibt. Für kleine und mittelständische Unter-
nehmen werden Verbesserungen erreicht. Wir müssen
aber aus den Erfahrungen lernen. Dazu gehört, die unter-
schiedlichen Zugangsmöglichkeiten, die unterschiedli-
chen Voraussetzungen der Mittelständler in den Regionen
in Rechnung zu stellen. Dann besteht die Möglichkeit,
einen Strukturwandel zu erreichen und damit am Ende
Arbeitsplätze und letztlich – ich komme auf Herrn Rie-
senhuber zurück – Steuern zu generieren.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616620500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Kerstin Andreae das Wort.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616620600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bevor ich auf die Inhalte des Antrags eingehe,
möchte ich kurz sagen: Es hat uns sehr enttäuscht, dass
wir im Wirtschaftsausschuss über die Angelegenheit
nicht debattieren konnten.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Warum?)


Uns wurde erzählt, es gebe einen Fragenkatalog der
FDP. Dem Protokoll der Wirtschaftsausschusssitzung ist
zu entnehmen:

Die Parlamentarische Staatssekretärin Wöhrl hat
zugesichert, aufgrund der vorangeschrittenen Zeit
die schriftlich ausgearbeiteten Antworten den Aus-
schussmitgliedern im Laufe des Tages per E-Mail
zuzusenden.

Das war gestern. Es ist nicht geschehen. Wir mussten
heute extra nachfragen, damit wir die Antworten bekom-
men.

Ich bitte, dass das abgesprochene Verfahren eingehal-
ten wird. Wir haben ein Recht auf die Antworten auf
diese Fragen. Es ist notwendig, dass wir sie bekommen,
damit wir eine ausführliche, sinnvolle Debatte führen
können.






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Das müssen wir sicherstellen! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber hallo!)


Ich möchte jetzt einige Punkte zu den Inhalten des
Antrags sagen. Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass
es wichtig ist, hier Bürokratieabbau zu betreiben. Sie
wollen die Programme zusammenfassen. Das ist gut; es
wird einfacher. Der Antrag ist aber noch sehr unkonkret
und kommt blass daher. Es gibt viele Möglichkeiten, im
Bereich der KMU Forschungs- und Technologieförde-
rung zu betreiben. Sie müssen aber viel dezidierter und
klarer äußern, was Sie denn wollen und in welche Rich-
tung Ihre politische Arbeit geht. Das wäre sehr wichtig.

Ein Beispiel: Unternehmensteuerreform und Wagnis-
kapital. Der erste Entwurf zum Venture Capital war ein
totaler Rohrkrepierer. Er wurde in der Anhörung von den
Sachverständigen auseinandergenommen.


(Widerspruch des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD] – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab ein vernichtendes Urteil aller Sachverständigen!)


– Das Urteil war sogar vernichtend. – Jetzt haben Sie ei-
nen neuen Entwurf angekündigt. Meines Wissens hätte
er vor der Sommerpause verabschiedet werden sollen.
Das werden wir jetzt nicht mehr wirklich schaffen. Im
Übrigen ist meine Prognose, dass wir es in dieser Legis-
laturperiode überhaupt nicht mehr schaffen werden, die
Programme zum Venture Capital auf neue Beine zu stel-
len.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Zweites Thema: Forschungsprämie. Sie haben die
Forschungsprämie eingeführt. Das ist eine gute Sache;
wir finden das richtig. Es geht darum, die Zusammen-
arbeit zwischen KMU und Hochschulen zu fördern. Un-
tersuchen Sie aber einmal, warum nur 20 Prozent der
Mittel überhaupt abgefragt wurden. Wenn Sie solche
Programme auflegen und solche Prämien einführen,
müssen Sie doch auch schauen, was mit den Mitteln pas-
siert. Warum liegen 80 Prozent der Mittel brach? Warum
werden sie nicht genutzt? Solcher Fragen müssen Sie
sich annehmen.

Mein drittes Thema – auch hier finde ich Ihr Vorge-
hen viel zu unambitioniert –: Klimaschutz, Umwelttech-
nologien und effiziente Technologien. Wir haben schon
im Zusammenhang mit der Hightech-Strategie ange-
mahnt, dass ein Leitbild „nachhaltiges Wirtschaften“
fehlt. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, eine politische
Ausrichtung der Technologieförderung und -forschung
vorzunehmen. Wir brauchen wesentlich stärkere An-
strengungen in den Bereichen Effizienztechnologien, er-
neuerbare Energien und Einsparpotenziale.

Ich gebe zu, dass Sie im Haushalt mehr Mittel für
Klima- und Energieforschung bereitgestellt haben. Sie
müssen aber auch deutlich mehr Marktanreizprogramme
auflegen, damit die Forschungsergebnisse als Produkte
bzw. Produktionsprozesse in den Markt überführt wer-
den können. Das ist es, was wir brauchen, was Sie aber
nicht machen. Die Klimapolitik der Bundesregierung be-
steht nur aus schönen Worten. Da steckt nicht viel hinter.
Morgen führen wir eine lange Debatte über das Klima-
paket, über das IKEP. Da steckt nicht viel hinter, was
Marktanreizprogramme oder die Schaffung von Märkten
angeht, damit das, was erforscht wird, auch tatsächlich
einmal auf dem Markt angeboten werden kann. Wir
müssen marktreife Produkte entwickeln und Anreizpro-
gramme schaffen, sonst sind die meisten Mittel im For-
schungsbereich nutzlos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und es muss vor allen Dingen in Deutschland produziert werden!)


Viertes Thema: IT. Es gab einen IT-Gipfel. Es bestand
die große Hoffnung, dass die Bundeskanzlerin auf die-
sem IT-Gipfel ankündigt, dass die Einkommensschwelle
für ausländische Fachkräfte gesenkt wird, weil sie zu
hoch ist. Ich werde nicht müde, es zu sagen: Wenn Sie
verlangen, dass eine ausländische Fachkraft aus dem
Nicht-EU-Ausland in Deutschland ein Einkommen von
85 000 Euro pro Jahr nachweist, dann werden Sie diese
Kraft nicht bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie stehen einer Fortentwicklung in den Bereichen Tech-
nologieentwicklung, Forschung und Innovation, in de-
nen wir auf das Know-how von anderen angewiesen
sind, im Weg, weil Sie eine diesbezügliche Änderung
nicht herbeigeführt haben. Das war eine Riesenenttäu-
schung auf dem IT-Gipfel. Wenn Sie wenigstens solche
Maßnahmen umsetzen würden, wären wir schon deut-
lich weiter.

Fazit: Das ist ein oberflächlicher, blasser Antrag, der
mehr Fragen aufwirft, als er Antworten liefert.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was?)


Statt den Kritikpunkten, die im Übrigen auch von der ei-
genen Expertenkommission geäußert wurden, nachzuge-
hen, verzetteln Sie sich in Prosa. Auch im Wirtschafts-
ausschuss fand keine Debatte darüber statt. Da wir es im
Prinzip sinnvoll finden, dass Sie die Programme zusam-
menfassen, werden wir uns bei der Abstimmung heute
enthalten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616620700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Ti-
tel „Das neue Zentrale Innovationsprogramm Mittel-
stand ZIM optimal ausgestalten und konsolidierungs-
konform finanzieren“. Der Ausschuss empfiehlt in






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9471,
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/8905 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexan-
der Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine kohärente und konsistente Menschen-
rechtspolitik gegenüber China entwickeln

– Drucksache 16/9422 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtslage im Vorfeld der Olympi-
schen Sommerspiele 2008 in Beijing

– Drucksachen 16/6175, 16/7273 –

Zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616620800

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Wenn wir gegenwär-

tig nach China schauen, dann bewegt uns alle, glaube
ich, hier in Deutschland wie in Europa die schwierige Si-
tuation, in der sich die chinesische Volksrepublik auf-
grund der Folgen des Erdbebens befindet. Wir versi-
chern der Volksrepublik China all unsere Solidarität und
Unterstützung für das chinesische Volk zur Bewältigung
der schweren Folgen dieser Katastrophe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass die chinesische
Regierung gesagt hat, dass sie Hilfe aus dem Ausland
annimmt. Denn kein Volk dieser Welt kann die Folgen
solcher Naturkatastrophen allein und ohne die Unterstüt-
zung der Völkergemeinschaft bewältigen.
Wir haben uns als Fraktion schon im letzten Jahr mit
der Menschenrechtslage in China verstärkt beschäftigt,
weil wir gesagt haben: Wir müssen beobachten, wie sich
die Situation im Vorfeld der Olympiade entwickelt. Die
Hoffnungen und Erwartungen aufgrund der Vergabe der
Olympischen Spiele an Peking waren groß. Wir haben
feststellen müssen: Die Hoffnungen haben sich in den
letzten Wochen und Monaten leider nicht erfüllt. Über
anderthalb Millionen Menschen sind im Zusammenhang
mit der Errichtung der olympischen Stätten enteignet
worden, viele davon ohne jegliche Entschädigung und
unter Anwendung von Zwang.

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten auch
erlebt, dass nicht nur in Tibet, sondern auch in Zentral-
china alle Kritik durch eine Verschärfung der Repressio-
nen gegen politische Dissidenten und gegen religiöse
und kulturelle Minderheiten niedergedrückt wird. Das
haben wir eigentlich nicht erwartet. Deshalb hoffe ich,
dass heute mit der Zustimmung zu unserem Entschlie-
ßungsantrag ein einheitliches Signal des Deutschen Bun-
destages ausgeht. Wir bitten die Bundesregierung, die
chinesische Regierung aufzufordern, alle politischen Ge-
fangenen bis zum Beginn der Olympiade in China frei-
zulassen. Ich hoffe, dass wir in dieser Frage im Hause
großer Einheit haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bezüglich des Applauses muss man in der Debatte viel-
leicht noch etwas nacharbeiten.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wir sollten hier nicht auseinanderfallen,
wenn es um eine klare Sprache zur Verteidigung der
Menschenrechte geht. Dass das Haus, insbesondere die
Bundesregierung, bei der Chinapolitik ständig auseinan-
derfällt, ist eine Malaise. Wir haben das an den Diskus-
sionen im Zusammenhang mit dem Besuch des Dalai-
Lama bei Angela Merkel und auch beim letzten Besuch
des Dalai-Lama hier im Deutschen Bundestag erlebt.
Mit dieser Art von Politik dient man weder den Men-
schenrechten noch den außenpolitischen Beziehungen
zur Volksrepublik China. Wir brauchen eine konsistente
Menschenrechtspolitik, die sich nicht in Symbole flüch-
tet, sondern eine klare Linie hat, auf Gespräche und Dia-
log setzt und eine klare Sprache im Dialog findet. In un-
serem Antrag haben wir Vorschläge zu den Punkten,
über die es hier zu reden gilt, gemacht.

Im Antrag werden die entscheidenden Punkte ge-
nannt. Wir müssen zum Beispiel mit den Chinesen im
Dialog über die Todesstrafe weiterkommen. Da haben
wir erste Erfolge erzielt. Es ist ganz wichtig, dass wir
diese Erfolge gegenüber den chinesischen Partnern beto-
nen. Die chinesische Volksrepublik hat mit ihrer neuen
Gesetzgebung eine Reduzierung der Zahl der Vollstrek-
kungen der Todesstrafe bewirkt. Das ist gut. Aber damit
erfüllt sie weder unsere Hoffnung auf eine völlige Ab-
schaffung noch unsere Vorstellungen von den Mindest-
standards, die der Zivilpakt von den Staaten verlangt.
Die chinesische Volksrepublik hat mit der Wahl zum






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

Menschenrechtsrat versprochen, den Zivilpakt zu unter-
zeichnen. Auch das hat sie bis heute nicht vollzogen.
Wenn sie ihn ratifizieren würde, müsste sie Veränderun-
gen vornehmen und nur noch bei schweren Verbrechen
die Todesstrafe verhängen. Vielleicht entscheidet sie sich
dann auch aufgrund von Dialogen mit uns, aber auch mit
Ländern wie den USA – auch dort gibt es noch die To-
desstrafe – für die Abschaffung der Todesstrafe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, es gibt keine Alternative zum Dialog mit
China. Wir brauchen China bei der Lösung von men-
schenrechtlichen Konfliktfeldern wie zum Beispiel beim
Konflikt in Darfur. Wir brauchen China auch bei der Be-
wältigung der verheerenden Situation in Birma, wo die
Menschen Opfer einer Naturkatastrophe geworden sind
und ein Regime so kaltschnäuzig und diktatorisch ist,
dass es internationale Hilfe behindert, statt den Men-
schen zu helfen. Ich finde, die Chinesen könnten darauf
verweisen, wie sie mit den Folgen des Erdbebens umge-
hen; das könnte ein Vorbild für Birma sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ein letztes Wort, da dies unmittelbar die Beziehungen
des Deutschen Bundestages zur Volksrepublik China be-
trifft. Die chinesische Volksrepublik hat es für richtig be-
funden, den Menschenrechtsausschuss vor seinem Be-
such in der nächsten Woche zum zweiten Mal auszuladen.
Wir haben heute im Ältestenrat darüber gesprochen und
gesagt: Wir protestieren dagegen, und wir erwarten von
den Chinesen, dass sie im Rahmen des Menschenrechts-
dialogs auch mit dem Menschenrechtsausschuss des
Deutschen Bundestages in Gespräche eintreten und dass
wir in der nächsten Zeit eine definitive Einladung erhal-
ten.

Dass die Chinesen allein vor dem Wort Menschen-
rechte Angst haben, kann man an einer Mail sehen, die
mich von einer Bürgerin erreicht hat.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616620900

Herr Kollege Beck!


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616621000

Noch einen Satz, Frau Präsidentin. Sie erinnern sich

vielleicht: Ich hatte in meiner Rede zur Tibet-Debatte
dieses T-Shirt hochgehalten.


(Der Redner hält ein T-Shirt hoch)


Bürgerinnen und Bürger haben es bestellt. Eine Bürgerin
der Bundesrepublik Deutschland ist damit nach Peking
auf den Platz des Himmlischen Friedens gereist. Ihre ge-
samte Reisegruppe wurde festgehalten. Erst nach einer
Befragung durch die Polizei und nach der Bedeckung
des T-Shirts haben die Chinesen die Leute weiterlaufen
lassen. Das ist kein gutes Signal für die Olympiade. Ich
hoffe, dass die Chinesen, die Mitglied des Menschen-
rechtsrats sind, keine Angst mehr vor dem Wort Men-
schenrechte haben und es dulden, wenn Bürgerinnen und
Bürger sich weltweit – auch in China – für die Men-
schenrechte einsetzen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616621100

Kollege Beck, ich bitte Sie jetzt wirklich um Ihren

letzten Satz.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616621200

Vielen Dank für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. Die

Menschenrechte brauchen manchmal ein paar Worte
mehr. Das sollten sie uns wert sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616621300

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Holger

Haibach das Wort.


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1616621400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die
Menschenrechte uns einiges wert sind, sieht man auch
daran, dass Herr Beck fünf Minuten Redezeit bekommen
hat. Offensichtlich hat er das etwas falsch verstanden.
Ich hatte den Eindruck, er meinte, sieben Minuten zur
Verfügung zu haben. Zumindest hat er sich so lange aus-
gelassen.

Der Anlass ist wichtig. Die Beantwortung der Großen
Anfrage, für die ich der Bundesregierung danke, ist deut-
lich und zeigt die Defizite auf, die Kollege Beck hier
auch genannt hat. Ich finde, es lohnt sich aber, sich ge-
nauer mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen aus-
einanderzusetzen, der uns heute vorliegt. Ich würde das
gern anhand von zwei Leitfragen tun. Die erste Leitfrage
lautet: Stimmt das, was in diesem Antrag steht? Die
zweite Leitfrage lautet: Ist das wirklich etwas Neues?
Wir sollten uns hier eigentlich nur dann mit Themen be-
schäftigen, wenn wir erkennbare Veränderungen sehen
oder wenn wir an der einen oder anderen Stelle erkenn-
bare Fortschritte sehen. Wenn ich mir diesen Antrag an-
schaue, dann habe ich da Zweifel.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Dauerthema!)


– Ich weiß, dass dies ein Dauerthema ist, Frau Kollegin,
aber auch Dauerthemen werden dadurch, dass man sie
immer wieder neu zusammenfasst, nicht besser. Sie wer-
den vor allem nicht entschieden besser.

Zu Beginn Ihres Antrags heißt es, die Bundesregie-
rung sei in der Frage, wie man mit China in der Zukunft
umgehen solle, gespalten; im Übrigen verlören die Bun-
desregierung und die Koalition sich in Symbolpolitik.
Dazu muss ich sagen: Hier können Sie auf Ihre eigene
Regierungszeit verweisen. Ich bin immer wieder über-
rascht darüber, wie schnell Sie sich in die Opposition
verabschiedet haben. Ich kann mich daran erinnern, dass
es auch unter Rot-Grün solche Diskussionen gegeben
hat, nämlich als es um die Frage eines Waffenembargos
ging. Trotzdem haben Sie hier im Bundestag als Koali-
tionsfraktion abgestimmt. Es mag sein, dass wir an der
einen oder anderen Stelle unterschiedlicher Meinung






(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
sind, lieber Herr Kollege Beck, aber tun Sie nicht so, als
sei das etwas Besonderes. Akzeptieren Sie es als das,
was es ist, nämlich ein Meinungsstreit in der Demokra-
tie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616621500

Kollege Haibach, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Beck?


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1616621600

Mit großer Freude.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616621700

Da Sie einige Erinnerungslücken aufgewiesen haben,

frage ich Sie: Sind Sie dann, wenn ich Ihrer Erinnerung
nachhelfe, bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in
der Frage des Waffenembargos zwar eine Diskussion
hatten, dass wir in unserer Fraktion aber keine Verände-
rung der Position hatten und dass wir während unserer
Regierungszeit im Ergebnis weiterhin für die Beibehal-
tung des Waffenembargos gegenüber China waren?


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1616621800

Sehr geehrter Herr Kollege Beck, das habe ich nie be-

stritten. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es inner-
halb der Koalition vielleicht unterschiedliche Meinun-
gen zu diesem Thema gegeben haben könnte.


(Zurufe von der SPD)


Das ist etwas, was wir in Demokratien des Öfteren erle-
ben. Ich finde, man muss an einer Stelle, an der keine
Symboldebatte existiert, auch keine eröffnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man
einmal das ganze Brimborium beiseite schiebt, muss man
sagen: Jeder von uns kann seine eigene Meinung haben.
An dieser Stelle möchte ich auf eines hinweisen: Wir ha-
ben begrüßt, dass Frau Merkel den Dalai-Lama empfan-
gen hat, und vielleicht hatten wir an der einen oder ande-
ren Stelle eine andere Meinung als Sie. Das bedeutet aber
nicht, dass wir nicht der Meinung sind, konstruktive Ge-
spräche, Kompromisse und Dialoge seien notwendig. Al-
lerdings denke ich, man kann das eine tun, ohne das an-
dere zu lassen. Wir sollten daraus keinen Glaubenskrieg
machen. Denn es ist wichtig, dass wir insgesamt voran-
kommen. Das werden wir aber nur schaffen, wenn wir
alle Mittel, die uns zur Verfügung stehen, gleichermaßen
einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In Ihrem Antrag steht – auch das hat mich sehr über-
rascht –, dass wir China jetzt loben und keine Symbolpo-
litik betreiben sollten. Ich möchte daran erinnern, dass
Kollege Trittin, der der heutigen Debatte auch beiwohnt,
damals ausdrücklich gelobt hat, dass Frau Merkel den
Dalai-Lama empfangen hat. Er sagte, das sei eine rich-
tige Maßnahme. Ich finde, man kann nicht in der Ver-
gangenheit das eine getan haben und heute das genaue
Gegenteil in einen Antrag schreiben. Auch das ist letzt-
lich nicht gerade glaubwürdig.

Man muss überlegen: Wo besteht in dieser Angele-
genheit eigentlich die Kohärenz? Wenn man Ihren An-
trag, in dem viel Richtiges steht – das will ich überhaupt
nicht bestreiten; darum geht es aber nicht –, liest, dann
muss man feststellen: Man findet darin nichts, was wir
nicht schon an anderer Stelle gefordert bzw. schriftlich
niedergelegt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Weil ich wusste, dass wir uns heute mit diesem
Thema beschäftigen, habe ich mir das ein bisschen ge-
nauer angesehen. Sie erheben in Ihrem Antrag zum Bei-
spiel die Forderung nach Zugang zu den Haftanstalten
und Lagern; hier verweise ich Sie auf unseren gemeinsa-
men Antrag zur Verurteilung der Laogai-Lager. Außer-
dem fordern Sie eine Reform der Gefängnisse und der
Haftlager; auch an dieser Stelle verweise ich Sie auf un-
seren Antrag zu den Laogai-Lagern. Falls Sie mir nicht
glauben: Ich habe alle Anträge mitgebracht und kann sie
Ihnen gerne zeigen.


(Zuruf von der SPD: Ach! Das nützt doch nichts!)


Zur Presse- und Meinungsfreiheit gibt es ebenfalls einen
Antrag der Koalition, und auch mit dem Thema Tibet ha-
ben wir uns nicht nur einmal beschäftigt; hoffentlich
werden wir uns vor der Sommerpause noch einmal damit
befassen.

Das macht das, was in Ihrem Antrag steht, nicht
falsch. Nichtsdestoweniger muss ich sagen: Auf der ei-
nen Seite fordern Sie eine kohärente Außenpolitik und
eine kohärente Menschenrechtspolitik ein. Auf der ande-
ren Seite wiederholen Sie aber nur das, was ohnehin
schon „common sense“ bzw. gemeinsame Ansicht dieses
Hauses ist.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was wir zu Tibet ausgeführt haben, können wir gar nicht wiederholt haben! Denn das wurde bisher noch gar nicht thematisiert!)


Das ist wirklich nicht besonders originell. Ich finde, dass
Sie sich sehr überschätzen, wenn Sie sagen, Ihr Antrag
sei besonders toll.

Sie haben recht, dass es einer differenzierten Betrach-
tung der Menschenrechtssituation in China bedarf.
Heute ist China sicherlich ein anderes Land als vor 25
oder 30 Jahren;


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist auch anders als noch vor zehn Jahren!)


das ist gar keine Frage. Heute gibt es dort gewisse Frei-
heiten, die man früher mit Sicherheit nicht hatte. Aber
die Defizite sind weiterhin klar erkennbar.

Ich stimme Ihnen auch zu, dass die Hoffnungen, die
mit der Vergabe der Olympischen Spiele an China ver-
bunden waren, nicht erfüllt wurden. Über dieses Thema






(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
haben wir schon einmal in einer Aktuellen Stunde ge-
sprochen. Ich möchte aber deutlich machen: Hier sind
auch die internationalen Sportverbände gefordert. Wer
sich auf der einen Seite dafür einsetzt, dass die Olympi-
schen Spiele in China stattfinden, der muss auf der ande-
ren Seite auch kontrollieren, ob dort Fortschritte ge-
macht werden


(Uwe Barth [FDP]: Das hätte man vor zehn Jahren vereinbaren müssen!)


und darf nicht einfach sagen: Die Spiele sind unpoli-
tisch. – Die Olympischen Spiele waren nie unpolitisch.
Es ist heuchlerisch, wenn man das behauptet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Uwe Barth [FDP])


Wahr ist auch, dass wir China als internationalen Part-
ner in der Menschenrechtspolitik, aber auch in der Au-
ßenpolitik brauchen; das ist gar keine Frage. Bei den Er-
eignissen in Birma, aber auch, als es um Nordkoreas
Atomprogramm ging, haben wir erlebt, was erreicht
werden kann, wenn sich China zu einer konstruktiven
Haltung bereiterklärt. Wir würden uns wünschen, dass
das viel öfter geschieht. Ich will nur daran erinnern:
Wenn die Chinesen keinen Druck auf Nordkorea ausge-
übt hätten, hätte in diesem Konflikt wahrscheinlich
keine Einigung erzielt werden können. Daran wird deut-
lich, dass wir die Chinesen brauchen.

Uns allen muss völlig klar sein, dass wir unsere men-
schenrechtlichen Standards nicht senken dürfen. Sie
müssen weiterhin gelten, gegenüber China und gegen-
über allen anderen Staaten. Das bedeutet aber auch: Wir
müssen so miteinander umgehen, dass wir uns in Zu-
kunft noch ins Gesicht schauen können.

Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen – denn
wir diskutieren heute auch über einen Entschließungs-
antrag –: Ich glaube, jeder von uns würde sich wünschen,
dass die chinesische Regierung noch vor den Olympi-
schen Spielen alle politischen Gefangenen entlässt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt uns doch zu!)


Aber wer würde sich nicht wünschen, dass es keine Ver-
treibungen mehr gibt? Wer würde sich nicht wünschen,
dass es Verhaftungen wegen der Religion nicht mehr
gibt? Wer würde sich nicht wünschen, dass es Verhaftun-
gen von Journalisten nicht mehr gibt, dass es Presse- und
Meinungsfreiheit gibt? Wer würde sich nicht wünschen,
dass es keine Internetzensur mehr gibt?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein schwaches Argument!)


Ich könnte Ihnen fünfundzwanzig, dreißig, vierzig The-
men aufzählen, die man in einen Entschließungsantrag
aufnehmen kann. Nur, man muss sich fragen, ob das die
Methode der Wahl ist.

Nichtsdestoweniger will ich einräumen, dass dies ein
wichtiges Thema ist. Jenseits des Antrags und der Gro-
ßen Anfrage der Grünen ist es für mich wichtig, dass wir
mit dieser Debatte an die Herrscher in China das Signal
senden, dass die Menschenrechte nicht etwas sind, was
man gewähren kann oder eben nicht. Ich komme deshalb
darauf, weil, als Herr Medwedew kürzlich zum Staatsbe-
such in Peking war, es zu einem gemeinsamen Kommu-
niqué von Herrn Medwedew und der chinesischen Seite
gekommen ist. Die Neue Zürcher Zeitung hat dies am
24. Mai 2008 wie folgt kommentiert und dabei aus die-
ser Erklärung zitiert:

Auch gegen westliche Menschenrechtskritik weh-
ren sich Russland und China gleichermassen. Men-
schenrechte sollten nicht politisiert werden oder als
Vorwand dienen, sich in die inneren Angelegenhei-
ten anderer Länder einzumischen, hiess es in der
gemeinsamen Erklärung. Jeder Staat habe das
Recht, die Menschenrechte „auf der Grundlage sei-
ner eigenen Bedingungen und Eigenschaften zu er-
mutigen und zu schützen“.

Diese Einstellung ist falsch. Die Menschenrechte sind
nicht etwas, was jemandem zuerkannt werden könnte,
die Menschenrechte hat jeder Mensch von Geburt an.
Wenn wir einen grundsätzlichen Beitrag zur Achtung der
Menschenrechte leisten wollen, müssen wir dafür sor-
gen, dass dieser Gedanke in China und auch sonst wo
auf der Welt Einzug hält.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616621900

Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege

Florian Toncar.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1616622000

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass
wir alle hier angesichts der furchtbaren Erdbebenkata-
strophe mit dem chinesischen Volk fühlen, und unser
Beileid aussprechen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen aber auch darauf hinweisen, dass das
nicht genügt. Wir wünschen uns, dass Deutschland, wo
es kann, schnell und effektiv Hilfe leistet. Im Erdbeben-
gebiet in China sind derzeit schätzungsweise 5 Millio-
nen Menschen obdachlos, und das wird sich bis zum
Winter wahrscheinlich nicht wesentlich ändern. Die chi-
nesische Zeltproduktion läuft auf Hochtouren; aber es ist
unmöglich, dass China aus eigener Kraft in kürzester
Zeit Zelte für 5 Millionen Menschen herstellt. Herr Staats-
minister, ich glaube, dass die 900 Zelte, die das Auswär-
tige Amt bzw. die Bundeswehr zur Verfügung gestellt
hat, nicht alles sind, was wir tun können. Wir Freien De-
mokraten wünschen uns, dass mehr getan wird.


(Beifall bei der FDP)


Der Umgang der Behörden und der Medien mit dem
Erdbeben hat, wie wir wahrnehmen konnten, eine neue
Qualität angenommen. Erstmals ist der Wert des einzel-






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
nen Menschenlebens öffentlich anerkannt und dokumen-
tiert worden: Die Regierung hat Anteilnahme am Schick-
sal einzelner Familien gezeigt, die Medien konnten
vergleichsweise offen berichten. Das sind Dinge, die uns
Mut machen. Die chinesische Führung hat offensichtlich
verstanden, dass Transparenz wertvoll und den chinesi-
schen Interessen dienlich ist.

Das ist das Bindeglied zur Menschenrechtspolitik, es
ist die Voraussetzung dafür, dass wir China gegenüber
deutlich machen können, dass Öffnung, dass selbststän-
dig, eigenständig denkende Menschen nicht etwa Stabi-
lität kosten, sondern Stabilität und Fortschritt bringen.
Dieser Paradigmenwechsel ist das Entscheidende in un-
serem Verhältnis zu China.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen bin ich ein Anhänger des Konzepts der
Einbindung Chinas in internationale Verantwortung, der
Zusammenarbeit und des direkten Dialogs. Man muss
sich nur die Situation in Birma oder in Nordkorea an-
schauen, um zu sehen, was in völlig abgeschotteten Län-
dern die Realität ist. In den Gesprächen mit China müs-
sen Gemeinsames und Trennendes offen erörtert werden
können, ohne Übertreibungen, aber genauso wenig ohne
Beschönigung der Situation.

Der Antrag der Grünen trifft diesen Duktus weitge-
hend. Er wird den Fortschritten Chinas im Menschen-
rechtsbereich gerecht; genauso wird zu Recht auf die
weiterhin bestehenden massiven Probleme in einzelnen
Bereichen hingewiesen. Ich glaube, das ist die richtige
Linie.


(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP] sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist vollmundig, wenn der Bundesregierung Kon-
zeptlosigkeit vorgeworfen wird. Aber ich bin da nicht so
zurückhaltend wie der Kollege Haibach. Was hat sich
hier vor drei Jahren abgespielt, als über eine Aufhebung
des Waffenembargos diskutiert worden ist: Nicht nur
Bundeskanzler Gerhard Schröder, auch Außenminister
Joschka Fischer haben an diesem Pult die Meinung ver-
treten – ich habe das im Protokoll nachgelesen –, es sei
der Integration der Volksrepublik China in die Weltge-
meinschaft dienlich, das Waffenembargo fallen zu las-
sen. Diese Einstellung ist verkehrt und bestimmt kein
Ausdruck konzeptioneller Klarheit.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Fischer-Rede haben Sie im virtuellen Raum gelesen!)


– Herr Kollege Beck, ich verstehe, dass Sie das trifft.


(Beifall bei der FDP)


Die heutige Bundesregierung hat ebenfalls kein Kon-
zept für eine stimmige Menschenrechtspolitik gegenüber
der Volksrepublik China. Das gilt insbesondere für das
Verhältnis zwischen der Bundeskanzlerin und dem Au-
ßenminister, die das alles ja offen austragen. Eine Rol-
lenverteilung, bei der die eine für die publikumswirksa-
men Auftritte und der andere für die stille Diplomatie
zuständig ist, ist schlecht. Diese Rollenverteilung hilft
uns nicht; sie ist unglücklich und schadet deutschen Inte-
ressen.


(Beifall bei der FDP)


Wir brauchen ausdrücklich auch gegenüber Staaten
wie China, bei denen wir diese Defizite sehen, öffentli-
che Signale. In Deutschland gelten die Regeln offener
Gesellschaften. Diejenigen, die zum Beispiel sagen, dass
Gespräche mit dem Dalai-Lama eine Gefahr für die Sta-
bilität Chinas seien, haben aus meiner Sicht eine über-
kommene Vorstellung von Stabilität. Sie führen gerade
keinen Dialog auf Augenhöhe, sondern passen sich von
vornherein chinesischen Erwartungen an und müssen
sich schlussendlich fragen lassen, was wir denn tun sol-
len, wenn wir keine Gespräche führen sollen. Ich glaube,
dass wir öffentliche Signale brauchen.


(Beifall bei der FDP)


Letztendlich ist es aber eine schiere Selbstverständ-
lichkeit, dass solche auch öffentlichkeitswirksamen
Treffen und Termine die Diplomatie, vertrauliche Ge-
spräche und den Rechtsstaats- und Menschenrechtsdia-
log, der ein wirklich gelungenes Instrument ist, nicht er-
setzen können. Es ist völlig klar, dass beides miteinander
einhergehen muss.

Aus meiner Sicht hat sich der Bundesaußenminister
deshalb unnötigerweise in einen menschenrechtspoliti-
schen Hungerturm zurückgezogen, aus dem er jetzt – viel-
leicht auch aus Gründen verletzten Stolzes – nicht mehr
so leicht herauskommt. Das sagt nicht nur einiges über
das Verhältnis zwischen der Kanzlerin und dem Außen-
minister, sondern auch über den Zustand der Koalition
insgesamt aus.


(Beifall bei der FDP – Walter Kolbow [SPD]: Lieber Herr Doktor! – Ute Kumpf [SPD]: Jetzt wollten wir Sie gerade loben! Nun müssen wir das zurücknehmen!)


Liebe Koalition, liebe Grünen, um noch auf diesen
Punkt einzugehen: Ich finde das, was Sie aufgeschrieben
haben, in weiten Teilen zustimmungsfähig. Beim Streit
über die Menschenrechtspolitik ist entscheidend, wo-
rüber wir genau streiten; denn wir streiten ja nicht über
die Geltung von Menschenrechten, sondern wir streiten
hier politisch darüber, wie man Menschenrechten mög-
lichst effektiv zur Durchsetzung und Förderung verhilft.
Ich glaube, dass es in einem Land wie Deutschland
selbstverständlich ist, dass man auch darüber streiten
darf. Streit ist etwas Normales, und ich finde, dass er
noch wichtiger ist, als Pluralismus zu fordern.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616622100

Kollege Toncar, achten Sie bitte auf die Zeit.


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1616622200

Frau Präsidentin, jetzt hätten Sie fast meinen Schluss-

satz unterbrochen.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Ist nicht schlimm!)







(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Ich komme sofort zum Ende. Es war einer der letzten
Sätze.

Noch wichtiger, als Pluralismus zu fordern, ist es aus
meiner Sicht, ihn vorzuleben. Das schwächt unsere Posi-
tion in Deutschland auch nicht, sondern das verschafft
uns zusätzliche Glaubwürdigkeit. Insofern wünsche ich
mir auch über Menschenrechtsthemen einen konstrukti-
ven und sinnvollen Streit.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616622300

Die Kollegin Herta Däubler-Gmelin hat jetzt für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1616622400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Toncar, ich stimme Ihnen voll und ganz zu:
Diskussion und Streit sind in der Tat die Lebenselemente
jedes Parlaments.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Manchmal auch von der Regierung!)


Dass man sich manchmal wünschen würde, der Anlass
wäre dem angemessen, gehört freilich auch dazu.

Wenn ich mir vor Augen führe, wie häufig und wo
überall wir uns mit China, der Politik der Bundesregie-
rung oder auch dieses Parlaments gegenüber China, den
Menschenrechten oder auch den Olympischen Spielen
beschäftigt haben, dann weiß ich nicht so recht, ob wir
hier heute eigentlich mehr als nur künstliche Gegensätze
haben. Ich sage das hier ganz offen, weil wir uns sehr
häufig mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben.

Weil viele unserer Zuschauerinnen und Zuhörer das
gar nicht wissen können, darf ich noch einmal daran er-
innern: Bereits im Januar hat der Menschenrechtsaus-
schuss zusammen mit dem Sportausschuss eine sehr gute
Anhörung durchgeführt, bei der es um Menschenrechte,
die Olympischen Spiele und im Speziellen übrigens auch
um das Selbstverständnis des Sports und um den Teil der
Olympischen Charta ging, der sich mit Menschenrechten
befasst.

An dieser Anhörung haben Sportlerinnen und Sport-
ler, Vertreter des Deutschen Olympischen Komitees und
des Deutschen Olympischen Sportbunds, Journalisten
mit sehr langer China-Erfahrung und Vertreterinnen und
Vertreter der Menschenrechtsorganisationen teilgenom-
men. Wie es bei uns Brauch ist, haben alle Fraktionen
Anhörungspersonen und Experten benennen können.
Die Statements bei dieser Anhörung waren durchweg
nicht sehr unterschiedlich und vor allen Dingen nicht so
schrill, wie es der eine oder andere Beitrag heute hier
vermuten lässt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU])


Es war eine inhaltlich interessante Anhörung, weil
wir die Zeit hatten, die unterschiedlichen Gesichtspunkte
und Aspekte breit zur Sprache zu bringen. Wir haben uns
nicht nur auf die Befürchtungen oder das fokussiert, was
der eine oder andere gerade in den Medien gesehen
hatte, sondern es war uns möglich – das macht eben das
ganze Bild aus –, auch die Fortschritte in China zu se-
hen. Eine Darstellung dieser Fortschritte finden Sie übri-
gens ebenfalls in der Antwort auf Ihre Große Anfrage.
Ich greife einige heraus, die man einfach zur Kenntnis
nehmen muss:

Dass in jedem Jahr zwischen 9 und 10 Millionen
junge Leute in China von den Universitäten kommen, ist
ein Potenzial für das Selbstverständnis, für das wach-
sende Selbstbewusstsein, für die Veränderung einer Ge-
sellschaft hin zu mehr Menschenrechten und mehr Men-
schenrechtsschutz. Hier sehe ich eine große Chance,
durch Gespräche die ganz praktische Umsetzung der
Menschenrechte zu unterstützen. In diesem Punkt
stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, lieber Herr Toncar.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU])


In den letzten Jahren – ich bin dankbar, dass auch dies
zur Kenntnis genommen wird – hat es bei allen Mängeln
und bei allem, was uns stört und was wir selbstverständ-
lich kritisieren, mehr Meinungsfreiheit, Bewegungsfrei-
heit sowie Vertrauens- und Eigentumsschutz gegeben.
Übrigens lohnt es sich, beides, die Mängel, die wir kriti-
sieren, und die Fortschritte, zur Kenntnis zu nehmen,
weil es zeigt, dass unsere Menschenrechtsarbeit – ich
sage es einmal etwas weniger ambitioniert: dass auch
unsere Menschenrechtsarbeit – tatsächlich Erfolge zei-
tigt. Darauf sollten wir stolz sein. Hier kann man nicht
nur das Parlament, sondern auch die Bundesregierung
loben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU])


Ob man jetzt den einen oder die andere mehr oder weni-
ger mag, hat damit eigentlich gar nichts zu tun.

Ich gebe an dieser Stelle noch einmal den Rat, die
Materialien zu dieser Anhörung nachzulesen. Sie stehen
der Öffentlichkeit zur Verfügung und können auf der In-
ternetseite des Menschenrechtsausschusses des Deut-
schen Bundestages in voller Länge abgerufen werden.

Ich halte es für sehr gut, dass Herr Beck und Herr
Toncar ebenso wie Herr Haibach – ich tue es jetzt auch –
auf die schreckliche Zeit, die die Menschen in Sichuan
durchmachen, auf die enormen Probleme, die sich dort
gestellt haben, und auf die unglaublich tolle Hilfsarbeit
der Organisationen in China und bei uns hingewiesen
haben. Dass die Unterbringung dieser vielen Millionen
Obdachloser in Zelten nicht möglich ist, weil es auf der
gesamten Welt nicht so viele Zelte gibt, wie allein in Si-
chuan gebraucht würden, ändert daran nichts. Ich jeden-
falls bin dem Roten Kreuz in China, den Helferinnen
und Helfern in China, aber auch den Helferinnen und
Helfern bei uns in Europa und überall in der Welt für ih-
ren Einsatz ausgesprochen dankbar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herta Däubler-Gmelin
Folgenden Gesichtspunkt, der hier auch schon er-
wähnt worden ist, muss man deutlich unterstreichen: Die
chinesischen Medien haben von Anfang bis Ende berich-
tet; sie berichten auch heute noch sehr stark. Der Fokus
der Berichterstattung zielte eindeutig weniger darauf ab,
die Taten der Regierung ins Bild zu rücken, als darauf,
das Leiden der Menschen und vor allem den Wert eines
jeden einzelnen Menschenlebens und den Kampf um je-
des einzelne Menschenleben abzubilden.


(Beifall bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU])


Wir haben hier also nicht nur Lob im Vergleich zu den
schrecklichen Verhältnissen in Myanmar auszusprechen,
sondern können auch zur Kenntnis nehmen, wie die
Hilfsbereitschaft und der veränderte Fokus eine Gesell-
schaft zum Guten verändern.

Manchmal habe ich den Eindruck, wir sollten im Ple-
num daran erinnern, dass sich der Menschenrechtsaus-
schuss, der sich mit der Umsetzung der Menschenrechte
und vor allem mit dabei vorhandenen Mängeln befasst,
nicht nur mit China beschäftigt. Diesen Eindruck könnte
man manchmal gewinnen, wenn man den einen oder an-
deren Antrag liest. Das hat mit den Olympischen Spielen
zu tun, und es ist auch legitim, Herr Beck, dass man ein
solches Großereignis nutzt, um die Aufmerksamkeit auf
die Menschenrechte zu richten.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben doch auch Versprechungen in diesem Zusammenhang gemacht! Pacta sunt servanda!)


Ich möchte jedoch erinnern, dass Menschenrechte
nicht nur bei großen öffentlichen Auftritten interessant
sind, sondern auch dann, wenn die Olympischen Spiele
vorbei sind. Menschenrechte sind auch in einem Land
interessant, das wir zu unseren Freunden rechnen. Die
Glaubwürdigkeit Ihrer beiden Anträge wäre nicht ver-
letzt worden, wenn man zum Beispiel Simbabwe mit
aufgenommen hätte, wo gestern der Oppositionsführer
Tsvangirai verhaftet worden ist, oder wenn darin ein
kleiner Hinweis auf das Waterboarding oder
Guantánamo enthalten gewesen wäre.


(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt argumentieren Sie wie die Linksfraktion!)


Das alles wäre im Sinne unserer gemeinsamen Arbeit,
Herr Beck. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie im Men-
schenrechtsausschuss über die Fraktionsgrenzen hinweg
diesen Ansatz teilen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gilt das Wort von Herrn Haibach, der gesagt hat, wir sollten nicht Sachen aus vergangenen Beschlüssen abschreiben! Zu Guantánamo haben wir dieses Jahr schon einen Beschluss gefasst!)


– Lieber Herr Beck, wenn Sie sich mit Kollegen aus-
einandersetzen wollen, dann haben Sie im Zweifel im-
mer meine Unterstützung.
Ich erinnere daran, dass der Menschenrechtsaus-
schuss über die Parteigrenzen hinweg immer wieder da-
rauf aufmerksam gemacht hat, welche Sorgen uns zum
Beispiel die Einschränkung der Pressefreiheit in ver-
schiedenen Ländern macht, und die Bundesregierung
und alle anderen, die dazu in der Lage sind, aufgefordert
hat, ihren Beitrag zu leisten. Das ist auch dann notwen-
dig, wenn es wieder darum geht, das Waterboarding zu
ächten. Auch dazu wird heute Abend Gelegenheit sein.

Wir sollten nicht nur die Balken in den Augen der an-
deren sehen – obwohl wir sie kritisch wahrnehmen soll-
ten –, sondern auch gelegentlich die Splitter bei uns
selbst, zum Beispiel die illegal bei uns lebenden Men-
schen, für die die Menschenrechte auch gelten müssen.
Dann wird das, was wir tun, sinnvoll und immer wichti-
ger.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616622500

Der Kollege Michael Leutert hat jetzt das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616622600

Frau Kollegin Däubler-Gmelin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Unsere Fraktionen bewegen sich im Be-
reich der Menschenrechtspolitik langsam aufeinander
zu. Nach Ihrer Rede hätte ich fast geklatscht.

Wir beraten heute auch eine Große Anfrage der Grü-
nen. In ihrer Antwort darauf kommt die Bundesregie-
rung zu dem Gesamturteil:

Die Menschenrechtslage in China gibt – trotz eini-
ger Verbesserungen – weiterhin Anlass zur Besorg-
nis.

Diese Einschätzung wird auch von meiner Fraktion ge-
teilt. Ich möchte das kurz begründen.

In der Volksrepublik China hat nach der Kulturrevolu-
tion eine rasante Veränderung eingesetzt, die die unter-
schiedlichsten Bereiche – insbesondere Wirtschaft, Poli-
tik und Recht – erfasst hat und China auch heute noch
weiter verändert. In den letzten Jahren sind mehr und
mehr Defizite auch in den Bereichen Sozialpolitik, sozi-
ale Spannungen, Wanderarbeiter, Umweltbelastungen
oder Ausbildung des Rechtssystems zutage getreten. Das
sehen nicht nur wir, sondern das sieht auch der Botschaf-
ter der Volksrepublik China so, wie in seiner schriftli-
chen Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Sport-
ausschuss nachzulesen ist.

Trotz alledem ist festzustellen, dass die Erfolge mess-
bar sind, sowohl nach ökonomischen als auch nach
rechtlichen Kriterien. Aber ganz sicher wird diese Ent-
wicklung dann scheitern, wenn dieser Weg der Stabilität
verlassen wird. Diese Stabilität im Wandel ist unseres
Erachtens davon abhängig, ob es der chinesischen Re-
gierung gelingt, zivilgesellschaftliche Lösungsstrate-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Leutert
gien zu entwickeln und auf Repressionsmechanismen zu
verzichten. Darin sehen wir die Perspektive, einen ge-
meinsamen Nenner in der deutschen und der chinesi-
schen Politik zu finden, weil die Reformkräfte in der
Kommunistischen Partei Chinas an dieser Stabilität und
diesem Wandel und damit auch an zivilgesellschaftli-
chen Lösungsstrategien inklusive der Menschenrechte
interessiert sind. Das gilt meines Wissens auch für alle
Fraktionen in diesem Hause und die Bundesregierung.
Wir sind der Auffassung, dass Instrumente wie der
deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog und der Men-
schenrechtsdialog die geeigneten Mittel sind, um dieses
Ziel zu erreichen, weil sie vernünftig sind. Das heißt, sie
sind dialog- und kooperationsorientiert.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Kooperationsorientiert! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!)


Alternativ dazu kann natürlich Menschenrechtspolitik
im Sinne moralischer Appelle verstanden werden. Damit
haben wir uns hier schon mehrfach auseinandergesetzt.
Diese Politik ist sicherlich billig zu haben, wird aber
letztendlich keinen Erfolg haben. Sie blendet aus, dass
China 15-mal mehr Einwohner hat als Deutschland,
Deutschland aber ein 15-mal höheres Bruttoinlandspro-
dukt pro Kopf aufweist als China.


(Dr. Karl Addicks [FDP]: Was hat das jetzt mit den Menschenrechten zu tun?)


Genau das ist der objektive Rahmen, in dem sich die Re-
formpolitik in China bzw. sich unsere Politik bewegt.

Zum Antrag der Grünen bleibt Folgendes zu sagen:
Ob China auch nur einen einzigen politischen Gefange-
nen freilässt oder nicht freilässt, hat sehr wenig mit den
Olympischen Sommerspielen zu tun, sehr viel aber mit
dem rechtsstaatlichen Charakter des Strafrechts in
China. Veränderungen im Strafrecht sind nur durch Dia-
log zu erreichen, nicht durch Symbolpolitik vor den
Sommerspielen. Deshalb werden wir uns bei der Ab-
stimmung über den Antrag enthalten.

Ich freue mich, dass die Linke in dieser Debatte das
letzte Wort hatte.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Forderung nach Freilassung von Gefangenen enthalten Sie sich! Super!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616622700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9422 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.

Tagesordnungspunkt 9 b: Wir kommen zur Abstim-
mung über den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zu ihrer Großen Anfrage. Zu
dieser Abstimmung liegt eine Erklärung des Kollegen
Arnold Vaatz nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1)

Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Druck-
sache 16/9489? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, wir hatten die Mehrheit! Ich bitte, das auszuzählen! Hammelsprung! – Uta Zapf [SPD]: Hammelsprung!)


Wir können uns im Präsidium nicht darauf einigen, wer
die Mehrheit hat.


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Was? – Ute Kumpf [SPD]: Abstimmung wiederholen!)


Deswegen werden wir noch einmal abstimmen. Wer ist
für den Entschließungsantrag? –


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf einmal ist die SPD für die Gefangennahme!)


Wer ist dagegen? –


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Eindeutig!)


Wer enthält sich?


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Das kann selbst ein Blinder mit Krückstock zählen! Wir sollten noch mal über unser Bildungssystem nachdenken!)


Es ist nach wie vor so, dass sich die Schriftführerin-
nen in der Frage nach den Mehrheitsverhältnissen unter-
schiedlich verhalten.


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das gibt es nicht!)


Deswegen bitte ich die Geschäftsführer nach vorne.


(Die Parlamentarischen Geschäftsführer begeben sich zum Präsidium und beraten sich.)


Unsere Geschäftsordnung – das will ich sagen – sieht
vor, dass man, wenn es Uneinigkeit im Präsidium gibt,
nichts anderes machen kann, als einen Hammelsprung
durchzuführen. Hier besteht Uneinigkeit. Deshalb möchte
ich Sie bitten, den Saal zu verlassen. Das übrige Proze-
dere kennen Sie. –


(Walter Kolbow [SPD]: Unglaublich!)


Natürlich muss ich die Kolleginnen und Kollegen bit-
ten, den Saal zu verlassen. Verlegen Sie Ihre Bespre-
chungen bitte nach draußen. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, sich an den Türen einzufinden. –

Ich muss Sie nun dringend bitten, den Saal zu ver-
lassen und die Besprechungen und Telefonate, die hier
drin sowieso nicht erlaubt sind, nach draußen zu verle-
gen. – Wie ich sehe, sind genügend Schriftführerinnen
und Schriftführer da. Offensichtlich haben alle den Saal
verlassen. Wir können also den Hammelsprung durch-
führen. Ich bitte, jetzt mit der Auszählung zu beginnen.

1) Anlage 3






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Sind draußen noch Abgeordnete, die zur Tür herein-
kommen möchten, um ihre Stimme abzugeben? – Das
scheint noch immer der Fall zu sein. Dann warten wir
noch einen Augenblick.

Ich sehe von hier oben Winksignale. Das heißt wohl,
dass die Schriftführerinnen und Schriftführer mir signa-
lisieren wollen, dass alle, die hereinkommen wollten,
drin sind. Ist das richtig? – Das scheint mir der Fall zu
sein. Dann schließe ich die Abstimmung.

Ich gebe jetzt das Ergebnis der Abstimmung bekannt.
Es ging um den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zu ihrer Großen Anfrage. Für
diesen Antrag auf Drucksache 16/9489 haben 83 Abge-
ordnete gestimmt, dagegen haben 283 Abgeordnete ge-
stimmt, und 24 Abgeordnete haben sich enthalten. Damit
ist der Entschließungsantrag abgelehnt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Peinlich!)


Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
möchte ich all diejenigen, die noch in den Gängen stehen
und sich über den vergangenen Tagesordnungspunkt un-
terhalten, bitten, entweder Platz zu nehmen oder den
Saal zu verlassen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-
elterngeld- und Elternzeitgesetzes

– Drucksache 16/9415 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, eine
halbe Stunde zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Wi-
derspruch.

Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Ingrid
Fischbach das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1616622800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte diejenigen, die anwesend sind, bitten, doch
Platz zu nehmen. Dann können sie erfahren, an welchen
Stellen wir Veränderungen durchführen und wie wir da-
mit etwas Gutes noch besser machen wollen. Sie erfah-
ren all das, was wir beim Elternzeitgesetz ändern wollen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616622900

Frau Fischbach, ich habe Ihre Redezeit angehalten.

Denn im hinteren Teil des Saals stehen noch einige Kol-
legen, die anscheinend kein starkes Interesse an dieser
Debatte haben. Ich möchte diese Kollegen bitten, den
Saal zu verlassen.

(Jörg Tauss [SPD]: Alles Männer! Unglaublich!)


– Es sind in der Tat alles Männer.


(Caren Marks [SPD]: Vor allem die könnten bei dem Thema richtig was lernen!)


Auch die könnten an dieser Debatte eigentlich teilneh-
men.


(Ina Lenke [FDP]: Elterngeld gibt es auch für Männer! – Caren Marks [SPD]: Sogar!)


Bitte, Frau Kollegin Fischbach.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1616623000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als wir das Elterngeld auf den Weg gebracht haben, hat
niemand – bei allem Optimismus, den wir hatten – daran
geglaubt, dass es ein solcher Erfolg wird.

Das muss man einfach feststellen. Denn die Zahlen,
die uns schon nach gut einem Jahr vorliegen, überra-
schen alle. Ich selber gebe zu: Auch ich war etwas skep-
tisch. Ich gehörte nicht zu den großen Optimistinnen,
war aber von dem überzeugt, was wir auf den Weg ge-
bracht haben.

Die Zahlen sprechen für sich: Das Elterngeld ist ein
Erfolg. Es ist gerade für junge Familien der richtige
Weg, ihren Wunsch nach Kindern zu erfüllen und die
Möglichkeit zu haben, ohne große finanzielle Belastun-
gen in die Familienphase zu kommen. Das war die rich-
tige Entscheidung, der richtige Weg. Deshalb kann man
an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Das Elterngeld ist
ein Erfolg der Regierungskoalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber wie das bei vielen großen Erfolgen ist: Manch-
mal gibt es Änderungswünsche. Wir haben damals ge-
sagt: Wir bringen ein ganz neues Projekt auf den Weg.
Wir werden es evaluieren. Den Bericht über diesen Eva-
luationsprozess werden wir zum 1. Oktober 2008 vorge-
legt bekommen.


(Ina Lenke [FDP]: Wer es glaubt, wird selig! Das glaube ich nicht!)


– Frau Lenke, Sie sind schon wieder so aufgeregt. Hören
Sie doch erst einmal zu! Vielleicht sind ja noch ein paar
Dinge dabei, die Sie noch gar nicht gelesen haben. Ich
kann Ihnen versichern, dass wir im Oktober, wenn der
Gesamtbericht vorliegt,


(Ina Lenke [FDP]: Das werden wir mal sehen!)


viel intensiver diskutieren werden müssen. Das ist gar
keine Frage; das wissen wir. Aber nichtsdestotrotz soll-
ten wir die Chancen, die wir jetzt haben, nutzen, die
Dinge, die sich schon jetzt abzeichnen und die wir
schnell ändern können, auf den Weg zu bringen und Än-
derungen vorzunehmen, die dann diejenigen, die vom
Elterngeld profitieren, noch besser stellen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
Ich zähle die Bereiche auf, die wir heute – dies ist die
erste Lesung – auf den Weg bringen wollen. Dazu gehört
zum einen der Bezug des Elterngeldes für Wehrdienst-
und Zivildienstleistende. Sie wissen, dass diejenigen, die
den Wehrdienst oder den Zivildienst ableisten, nichts da-
für können, dass sie dann auch weniger verdienen. Das
ist im Wehrpflichtgesetz festgesetzt. Deshalb müssen wir
darauf Rücksicht nehmen, dass diese Personen, wenn sie
dann Eltern werden, aufgrund ihres Wehrdienstleistens
oder Zivildienstleistens bei der Berechnung des Eltern-
geldes nicht benachteiligt werden. Wir sagen: Hier muss
die Möglichkeit bestehen, in Bezug auf den Verdienst
auf weiter zurückliegende Monate zurückzugreifen, da-
mit für Wehrdienstleistende und Zivildienstleistende
keine Verluste eintreten. Wir wollen hier eine Änderung
vornehmen. Ich glaube, das ist gut und wichtig. Wir wol-
len, dass alle Familien profitieren, auch die, die ihren
bürgerlichen Pflichten nachkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite große Bereich, der jetzt geändert werden
soll, ist der Bereich der Großeltern. Wir haben an ande-
rer Stelle über vermehrte Teenagerschwangerschaften
debattiert. Wir haben festgestellt, dass es mehr junge
Menschen, mehr Minderjährige, ja Kinder gibt, die Müt-
ter bzw. Eltern werden. Diese Kinder, wenn sie denn sel-
ber Eltern werden, müssen die Chance haben, ihre
Schulausbildung oder auch eine begonnene Berufsaus-
bildung abzuschließen.

Damit sie das tun können, wollen wir, dass die Eltern-
zeit auf die Großeltern übertragen werden kann. Das
heißt, dass sich Großeltern, die, vor allem wenn es sich
um minderjährige Kinder handelt, ihrer Verpflichtung
nachkommen – sie haben ja noch eine eigene Erzie-
hungspflicht ihren Kindern gegenüber; diese sind ja
noch nicht 18 Jahre alt –, freistellen lassen können, also
in Elternzeit gehen können. Wir wollen mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf auf den Weg bringen,


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


dass Großeltern eingreifen und mithelfen können


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


– Herr Tauss, herzlichen Dank für Ihre Unterstützung –,
und zwar nicht nur bei minderjährigen Kindern. Auch
gerade junge Volljährige, die in der Berufsausbildung
sind – sie sind ja von der Lebensphase her nicht anders
aufgestellt als Minderjährige –, sollen die Möglichkeit
haben, ihre Berufsausbildung abzuschließen. Den Groß-
eltern soll es möglich sein, statt der jungen Volljährigen
Elternzeit zu nehmen, um das Enkelkind zu betreuen, da-
mit die jungen Leute in Ruhe ihre Berufsausbildung, auf
die letzten beiden Ausbildungsjahre beschränkt, ab-
schließen können.

Ich glaube, auch das ist richtig und wichtig. Dabei gilt
es allerdings bestimmte Voraussetzungen einzuhalten,
etwa dass das Kind im Haushalt leben muss. Ich glaube,
es ist, wenn wir über Generationen reden, ein gutes,
wichtiges Zeichen, zu sagen: Die Großeltern haben die
Möglichkeit, hier mitzumachen. Das halte ich für einen
wichtigen Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Damals, bei Einführung des Elterngeldes, haben wir
gedacht: Wenn besondere Härtefälle auftreten – Tod
oder eine schwere Krankheit –, sollen junge Familien die
Möglichkeit haben, die einmal beim Antrag getroffene
Entscheidung, wer das Elterngeld bezieht, zu ändern.
Wir sagen jetzt: Die Erfahrungen zeigen, dass es auch
andere Gründe gibt, den Bezugspartner zu ändern. Wenn
zum Beispiel jemand, der in der Elternzeit ist, plötzlich
erwerbslos wird und eine neue Arbeitsstelle angeboten
bekommt, muss es den jungen Familien möglich sein,
kurzfristig den Bezugspartner zu ändern, also einen
neuen Antrag zu stellen. Wir sagen: Es muss möglich
sein, einmal ohne Begründung einen Antrag auf Ände-
rung zu stellen; das hat auch etwas mit Verwaltungsver-
einfachung zu tun. Weiterhin besteht in einem besonde-
ren Härtefall die Möglichkeit – das bleibt unberührt –,
den Bezugspartner ein zweites Mal zu ändern. Dies ist
eine wirksame Regelung, damit die Familien das Eltern-
geld viel effektiver in Anspruch nehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben damals – Sie erinnern sich – Partner-
monate ermöglicht; die Ministerin spricht gerne vom
Wickelvolontariat.


(Caren Marks [SPD]: Das ist ein Kampfbegriff von denen, die es nicht wollten!)


Das heißt: Wenn sich beide Elternteile die Elternzeit tei-
len, wird die Bezugsdauer beim Elterngeld um zwei Mo-
nate verlängert. Wir haben damals nicht daran gedacht,
dass es unterschiedliche Grundvoraussetzungen gibt:
Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, hat die Mutter
schon die Grundvoraussetzung für die Partnermonate er-
füllt; dann könnte der Vater seine Verpflichtung in nur
einem Monat Elternzeit erfüllen. Wir sagen: Die Bin-
dung von Vater und Mutter zum Kind – sie ist wirklich
nötig – soll zum Wohle des Kindes möglichst intensiv
sein. Deshalb soll der Partner mindestens zwei Monate
in Elternzeit gehen. Ich glaube, es ist gut fürs Kind,
wenn sich der Vater zwei Monate lang an das Kind ge-
wöhnen kann.


(Ina Lenke [FDP]: Die Politiker wissen ganz genau, was gut fürs Kind ist! Das ist gut!)


Ich glaube, der Vater bleibt noch einen Monat länger
beim Kind, weil es einfach schön ist, mitzuerleben, wie
das junge, kleine Kind wächst und gedeiht. Auch hier
werden wir also eine Änderung vornehmen.


(Ina Lenke [FDP]: Das bestimmt also die Politik!)


– Frau Lenke, Sie können gerne eine Zwischenfrage stel-
len; dann darf ich länger reden.


(Ina Lenke [FDP]: Nein, ich mache Zwischenrufe!)


– Gut, rufen Sie zwischen!






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
Es gibt eine weitere, eher formale Änderung bei der
Arbeitgeberbescheinigung. Bisher wurde die Bescheini-
gung des Arbeitgebers über die Höhe des Verdienstes,
der Sozialabgaben und dergleichen an den Arbeitnehmer
ausgegeben; der musste sie wiederum an die zuständigen
Behörden weiterleiten. Wir sagen: Ähnlich wie beim
Unterhaltsvorschussgesetz und beim Bundeskindergeld-
gesetz muss der Arbeitgeber diese Bescheinigung sofort
an die Behörde schicken. Das heißt, wir sparen Wege,
Zeit und Verfahren. Das ist richtig und wichtig.

Wir machen mit den ersten Änderungen, über die wir
heute debattieren, deutlich, dass wir die Entscheidung
der jungen Menschen für Kinder, für Familie und den
damit verbundenen Auftrag sehr ernst nehmen und ge-
nau hinschauen, was von uns Politikern bei der Weiter-
entwicklung des Elterngeldes erwartet wird. Es ist unbe-
stritten, dass kein Gesetz, so wie es verabschiedet wird,
in seiner Wirkung wirklich hundertprozentig bei den
Menschen ankommt. Man muss bereit sein, ein Gesetz
weiterzuentwickeln. Das tun wir heute mit der ersten
Vorlage, mit den Punkten, die ich gerade genannt habe.

Dabei ist die Großelternzeit sehr wichtig. Wir machen
damit deutlich, dass wir Erziehungsverantwortung ernst
nehmen und sie wirklich anerkennen wollen. Ich kann
Sie, vor allem die Kolleginnen und Kollegen in den Op-
positionsfraktionen, nur bitten, sich diesen wichtigen,
kleinen Weiterentwicklungsschritten nicht in den Weg zu
stellen.


(Ina Lenke [FDP]: Kleine Schritte!)


– Frau Lenke, ich habe gerade gesagt, dass dies die ers-
ten Schritte sind, die wir kurzfristig gehen können. Eine
große Debatte wird folgen. Sie werden sich – ich kenne
Sie ja – dort einbringen. Diese Debatte kann folgen,
wenn uns im Oktober der Evaluationsbericht vorliegt.

Jetzt haben wir die Möglichkeit, für die Bezieher von
Elterngeld wichtige Schritte, auch wenn sie klein sind,
zu tun. Sie sollten sich nicht verweigern, sondern mitma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616623100

Die Kollegin Ina Lenke hat jetzt das Wort für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1616623200

Frau Präsidentin! Liebe Frau Fischbach, wir machen

mit, aber anders. Die halbe Stunde, die wir hier über
diese Änderungen diskutieren, ist wirklich verschenkte
Zeit. Sie haben gesagt, dass die Geburtenzahl im letzten
Jahr gestiegen ist. Sie wissen doch, dass man die Eltern-
schaft planen kann. Dafür gibt es die Pille. Sie glauben
doch nicht wirklich, dass die Menschen nicht auf das
Jahr 2007 gewartet haben. Damit ist dieser Berg, die hö-
here Geburtenrate, zu erklären. Dieser „Berg“ wird sich
aber wieder „normalisieren“, und dann haben wir wieder
die „weite Fläche“. Das war eine sehr subjektive Be-
trachtung, Frau Fischbach. Angesichts der Tatsache,
dass Sie neun Minuten Redezeit hatten, der vorliegende
Gesetzentwurf aber nur wenig Substanz hat, blieb ihnen
vermutlich nichts anderes übrig, als auch dies als Be-
gründung anzuführen.


(Beifall bei der FDP)


Dieser Gesetzentwurf bedeutet keine Weiterentwick-
lung des Gesetzes. Das Gesetz enthält Fehler, und Sie
verändern diese Fehler nur.


(Caren Marks [SPD]: Es ist eine Weiterentwicklung!)


Die Ministerin hat ganz deutlich gesagt, dass vergessen
wurde, die Oma-und-Opa-Regelung, die Teil des alten
Gesetzes war, in das neue Gesetz aufzunehmen. Das ist
die Veränderung, und jetzt meinen Sie, dass das etwas
Superneues ist. Dazu kann ich nur sagen: Sie haben beim
ersten Gesetz Fehler gemacht, die Sie jetzt korrigieren
wollen. Was soll das?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und der SPD, Sie haben die Chance verpasst, die Ma-
cken, die das Elternzeitgesetz hat, auszubessern. Wir von
der FDP müssen nicht auf den Evaluationsbericht war-
ten. Sie müssen das anscheinend. Dabei müssten Sie
ebenso wie ich Briefe aus der Bevölkerung bekommen,
die die Macken dieses Gesetzes aufzeigen. Dazu möchte
ich einige Dinge sagen:

Sie wollen Flexibilisierung nur bei Härtefällen. Die
Härtefälle haben Sie folgendermaßen definiert: wenn ein
Ehepartner stirbt, wenn jemand behindert ist usw. Nur
dann soll eine Flexibilisierung möglich sein. Wissen Sie,
was wir wollen? Wir wollen die Entscheidung den Eltern
überlassen. Die Eltern sollen sich mit dem Arbeitgeber
einigen. Der eine könnte zum Beispiel drei Tage und der
andere zwei Tage arbeiten, oder der eine arbeitet drei
Wochen und der andere sieben Wochen. Über ein Budget
könnten wir das sehr gut entbürokratisieren. Warum gibt
es diese Möglichkeiten nicht? Warum feiern Sie es als
Supererfolg, dass sich diese Eltern innerhalb der Eltern-
zeit ein zweites Mal umorientieren können? Wo sind wir
eigentlich?


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616623300

Frau Lenke, Frau Fischbach würde Ihnen gerne eine

Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen?


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1616623400

Wenn Sie das gerne möchten, Frau Fischbach.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616623500

Bitte schön.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1616623600

Frau Lenke, geben Sie mir recht, dass es eine Flexibi-

lisierung ist, wenn wir den Familien die Möglichkeit ge-
ben, innerhalb des Jahres, in dem sie Elterngeld bezie-
hen, ohne Begründung eine Veränderung vorzunehmen?






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
Sie sind doch immer für Verwaltungsvereinfachung.
Glauben Sie, die Unternehmen und die Behörden wür-
den es begrüßen – Stichwort: Papierkrieg –, wenn die El-
tern ständig – sie sprachen von wöchentlich drei Stunden
und dann vier Stunden – wechseln könnten?


(Ina Lenke [FDP]: Zwei und drei Tage!)


Sie müssten das dann generell freigeben. Sie können ja
nicht sagen: Dreimal oder viermal im Jahr darf geändert
werden. Wenn, dann muss man das generell tun dürfen.
Wenn alles ständig geändert werden kann, wie soll die
Angelegenheit unbürokratisch, einfach und schnell, was
im Sinne der Eltern ist, geregelt werden? Ich wäre Ihnen
sehr verbunden, wenn Sie mir erklären könnten, wie das
ohne Mehrkosten und ohne mehr Verwaltungsaufwand
geregelt werden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1616623700

Viel Beifall hat Ihre Rede ja nicht hervorgerufen.


(Kerstin Griese [SPD]: Das war ja auch keine Rede, sondern eine Frage!)


Frau Fischbach, in der Debatte zum ersten Elternzeit-
gesetz haben Sie gesagt: Das geht nicht anders, weil der
Bürokratieaufwand sonst zu groß würde. Deswegen
wollten Sie nur einen einmaligen Wechsel ermöglichen.
Jetzt haben Sie festgestellt, dass das gar nicht praktika-
bel ist, weil es Sonderfälle des Lebens gibt. Sie haben
den Kreis der Sonderfälle, bei denen eine zweite Ände-
rung möglich sein soll, sehr eng gefasst.

Warum sollen die Eltern nicht ein Budget bekommen,
wenn die Arbeitgeber der Eltern und die Eltern selbst sa-
gen: „Wir wollen das anders regeln“? Die in Ihrem Ge-
setzentwurf vorgesehene Regelung ist immer noch zu
starr. Das ist immer noch zu wenig Flexibilität. Ich
glaube, wir könnten hier im Bundestag gemeinsam zu
der Auffassung gelangen, dass ein Budget weniger Bü-
rokratie mit sich bringen würde. Die Eltern könnten die-
ses Budget untereinander aufteilen, ohne dass die Politik
sich einmischt. Dass es insgesamt bei einer Bezugsdauer
von 14 Monaten bleiben muss, darüber sind wir uns ei-
nig. Ich finde – das meine ich ganz ernst –, das ist zu we-
nig Flexibilität.


(Beifall bei der FDP – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Ihre Antwort war nicht überzeugend!)


Ich würde Ihnen gerne ein Beispiel aus der Praxis
nennen. In meiner Bürgersprechstunde wurde mir von
folgendem Fall berichtet: Der Vater, der Elternzeit
nimmt, muss an einem Tag im Monat im Betrieb erschei-
nen.

Wissen Sie warum? Weil er sonst nach dem Tarifver-
trag weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld bekommt.
Wir sind eine völlig verregulierte Gesellschaft. Ich sage
es noch einmal: Wir brauchen Wahlfreiheit für junge El-
tern.

Elterngeld sollte Lohnersatz sein. Wir wissen aber,
dass ein Drittel des Elterngeldes Sozialleistungen und
nicht Lohnersatzleistungen sind. Sie müssen sich also
einmal überlegen, was Sie als Koalition falsch gemacht
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme noch einmal auf die Nachteile für teilzeit-
beschäftigte Ehefrauen zu sprechen. Die Lohnersatzleis-
tung bemisst sich nach dem Nettogehalt. Jeder, der in
Steuerklasse V ist, weiß: hohes Brutto, niedriges Netto.
Nach diesem niedrigen Netto wird das Elterngeld be-
rechnet. Wir hatten einen guten Vorschlag gemacht, be-
vor das Elterngeld eingeführt wurde. Wenn der Brutto-
lohn berücksichtigt worden wäre – mit einer Pauschale –,
würden alle gleich behandelt, egal welche Steuerklasse
sie haben. Ich finde weiterhin, dass das eine sehr gute
Idee ist.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben zwar etwas für Wehrpflichtige getan, aber
nichts für Mütter, die selbstständig sind. Der Deutsche
Journalisten-Verband kritisiert das. Ich kann dies aus
Zeitgründen nicht ausführen, lege Ihnen aber ans Herz,
die Broschüre zu lesen. Ich kann sie Ihnen gerne zusen-
den. Wenn ein Umsatz für eine zurückliegende Beschäf-
tigung im Zeitraum des Bezugs von Elterngeld auf dem
Konto der Mutter eingeht, bekommt sie deswegen weni-
ger Elterngeld. Ich frage mich, ob das gerecht ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Sie müssen sich mehr um Selbstständige kümmern.

Die Bild-Zeitung hat uns darüber aufgeklärt, dass man
vom Elterngeld Steuern zahlen muss. Ich war sehr er-
schrocken, als ich die Zahlen sah.


(Christel Humme [SPD]: Progressionswirkung, Frau Lenke! Sie waren doch Steuerfachfrau!)


Man verliert über 10 Prozent, also einen Monat Eltern-
geld. Wer als Elternteil die 101 Seiten der Broschüre
durchgearbeitet hat – das hat übrigens auch etwas mit
Bürokratie zu tun –, hat das sicherlich gelesen. Ich muss
sagen: Wenn die Ministerin immer nur von 1 800 Euro
und 67 Prozent vom Netto spricht, aber darüber nicht
aufklärt und nicht sagt, dass das Elterngeld, was die Pro-
gression angeht, teilversteuert werden muss – ich drücke
es einmal laienhaft aus –, dann sind die Bürger natürlich
hinterher enttäuscht. Daran sind Sie schuld und nicht das
Elternzeitgesetz.


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Ich will zum Schluss kommen. Ich rate Ihnen:
Schauen Sie sich unseren alten Antrag zum Elterngeld-
gesetz an. Sie werden sehen, dass er gute Ideen enthält,
die Sie übernehmen können, damit das Elterngeld end-
lich allen Lebenslagen von Frauen und Männern gerecht
wird. Wir werden wieder einen Antrag stellen. Der Eva-
luationsbericht wird hoffentlich nicht subjektiv, sondern
objektiv sein. Sie werden noch vieles finden, um das El-
terngeldgesetz weiter zu verändern; denn ordentlich ge-
macht ist es nicht. Ich warte mit Freude auf die Evalua-
tion, damit wir konstruktiv darüber streiten können.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ich dachte, die brauchen wir nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616623800

Die Kollegin Caren Marks spricht jetzt für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1616623900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Lenke, eine
kleine Anmerkung vorweg: Natürlich ist das Bessere
stets der Feind des Guten. Aber dazu kann ich Ihre Vor-
schläge überwiegend leider nicht zählen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ina Lenke [FDP]: Die Frauen, die Steuerklasse V haben, werden sich freuen!)


Zu Frau Fischbach möchte ich Folgendes sagen: Sie
haben vorhin vom Wickelvolontariat gesprochen. Ich
möchte, weil ich weiß, dass Sie genauso wie ich von den
Partnermonaten überzeugt sind, darauf hinweisen, dass
wir den Begriff Wickelvolontariat nicht gebrauchen soll-
ten; denn das war ein Kampfbegriff von Herrn
Ramsauer, der sich damals gegen die Partnermonate aus-
gesprochen hat. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Aber ich darf doch sagen, was ich möchte, oder?)


Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-
ben den Familien im Wahlkampf 2005 ein Elterngeld
versprochen. Wir haben dieses Versprechen zum 1. Ja-
nuar 2007 eingelöst. Wir haben das bisherige Erzie-
hungsgeld durch ein modernes Elterngeld nach skandi-
navischem Vorbild abgelöst. Das Elterngeld ist eine neue
Leistung für Familien.

Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen
wir kurzfristig auf Hinweise reagieren, die uns aus der
Praxis erreicht haben.

Hinweis Nummer eins: Teenager, die Kinder bekom-
men, wollen ihre Ausbildung beenden. Die Großeltern,
die sie dabei unterstützen möchten, haben jedoch gegen-
über ihren Arbeitgebern bisher keinen Anspruch auf El-
ternzeit.

Hinweis Nummer zwei: Aktuell kann der Elterngeld-
antrag nur in Härtefällen wie Krankheit oder Tod geän-
dert werden. Wenn sich aber die Erwerbssituation verän-
dert, konnten Mütter und Väter ihre Elterngeldmonate
bisher nicht flexibel anpassen. Das haben wir verändert.

Hinweis Nummer 3: In Einzelfällen gibt es Nachteile
für Wehr- und Zivildienstleistende bei der Berechnung
des Elterngeldes. Auch das wurde verändert.

Hinweis Nummer 4: Vereinzelt musste Elterngeld für
weniger als zwei Monate bewilligt werden. Das war
nicht zielführend.
Frau Lenke, diesen vier Hinweisen tragen wir mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf Rechnung. Damit ver-
bessern wir die Wirkung der Elternzeit und des Eltern-
geldes. Wir verbessern insgesamt die Vereinbarkeit von
Familie, Ausbildung und Beruf.

Die Initiative zur Einführung der sogenannten Groß-
elternzeit bei Teenagerschwangerschaften kam aus den
Reihen der Sozialdemokratinnen. Es freut uns, dass es
uns in der Großen Koalition gelungen ist, dies umzuset-
zen. Teenagereltern unterstützen wir mit diesen Neure-
gelungen, sodass sie ihre Ausbildungen abschließen
können. Schul- und Bildungsabschlüsse sind für ihre
späteren Berufschancen von immenser Bedeutung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Lenke, das ist für Sie vielleicht spannend: Im
Herbst wird die Bundesregierung eine erste umfassende
Evaluation zum Elterngeld vorlegen. Das wird die Da-
tenbasis für eine sinnvolle Weiterentwicklung des El-
terngeldes sein.

Zusammenfassend kann man sagen: Das Elterngeld
wirkt. Junge Eltern müssen in Deutschland nicht mehr
befürchten, dass die Geburt eines Kindes für sie mit er-
heblichen Einbußen verbunden ist. Beiderseits erwerbs-
tätige Paare profitieren dadurch, dass das wegfallende
Nettoeinkommen zu 67 Prozent ersetzt wird. Geringver-
dienerinnen und -verdiener bekommen einen höheren
prozentualen Einkommensersatz. Paare mit einem Ver-
diener erhalten das Elterngeld on top. Auch sie profitie-
ren von einem insgesamt höheren Familieneinkommen.
Familien, die von Leistungen der Grundsicherung leben,
bekommen das Elterngeld ebenfalls on top; denn das El-
terngeld wird nicht auf die existenzsichernden Leistun-
gen nach dem Sozialgesetzbuch II angerechnet. Diese
Wirkungen sind sozial gerecht.

Die zweijährige Bezugsdauer des früheren Erzie-
hungsgeldes wurde in der Fachwelt als Falle für Frauen
bezeichnet, und zwar zu Recht. Zu viele Frauen haben
nach der bezahlten Elternzeit von zwei Jahren den Wie-
dereinstieg in den Beruf nicht geschafft. Sie mussten ei-
nen Teil ihrer Lebenswünsche aufgeben und auf eine ei-
genständige soziale Absicherung verzichten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Lin-
ken, Ihre Forderung nach einer Verlängerung des Be-
zugszeitraums zeigt, dass sich das traditionelle Familien-
bild von Christa Müller bei Ihnen leider mehr und mehr
durchsetzt.


(Beifall bei der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Absoluter Quatsch!)


Wir hingegen setzen auf eine moderne Frauen- und Fa-
milienpolitik. Das entspricht den Wünschen der jungen
Männer und Frauen in diesem Land. Dafür steht auch
das Elterngeld. Wir wollen mehr Männer, die sich Fami-
lienarbeit mit ihren Partnerinnen teilen. Das haben wir
erreicht. Heute gehen dreimal so viele Väter in Elternzeit
wie im Jahr 2006, und die Tendenz ist steigend. Rund
40 Prozent von ihnen nehmen sie länger als zwei Mo-
nate. Die Orientierung des Elterngeldes am Nettoeinkom-






(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks
men und die Partnermonate sind ein wirksamer Anreiz.
Sie erleichtern gemeinsame Erziehungsverantwortung.

Es hat sich gelohnt, dass wir diese gezielte Starthilfe
für Mütter und Väter durchgesetzt haben. Mit dem El-
terngeld, mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und mit
familienfreundlichen Arbeitsbedingungen schaffen wir
echte Wahlfreiheit für Familien.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616624000

Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1616624100

Lassen Sie uns diese Instrumente gemeinsam weiter-

entwickeln. – Das war der letzte Satz.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616624200

Ich erteile jetzt dem Kollegen Jörn Wunderlich für die

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616624300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Elterngeld – nur wenige Eltern profitieren“, „nur we-
nige kommen über 1 000 Euro“, „Elterngeld der Realität
anpassen“, „familienfreundliche Arbeitswelt sieht an-
ders aus“.


(Caren Marks [SPD]: Sie reden alles schlecht!)


– Nein, das ist nicht von mir. Das sind Schlagzeilen und
Meldungen der letzten Wochen.

Verbände diskutieren mit Eltern, Wissenschaftlern,
Juristen und Arbeitgebern über die Frage: Was hat ein
Jahr Elterngeld gebracht? Im Ergebnis wird festgestellt:
Das war eine wunderbare Kür, aber vom Staat wird mehr
Pflicht verlangt. Fazit: Das Reförmchen ist wieder ein-
mal mehr Schein als Sein. Eltern wünschen sich tatsäch-
lich mehr.

Da, wo Änderungsbedarf besteht – eine Erhöhung des
Mindestelterngeldes bei gleichzeitigem Teilelterngeld-
bezug –, wird nichts gemacht. Das Elterngeld bleibt auch
nach dem vorliegenden Gesetzentwurf eine sozialpoliti-
sche Mogelpackung, die für die Mehrheit der Eltern
nicht hält, was sie verspricht. Das Elterngeld benachtei-
ligt Eltern mit niedrigem oder gar keinem Einkommen.
Im Wissen darum, dass jedes siebte Kind in Deutschland
auf einem Einkommensniveau lebt, das es von einer an-
gemessenen sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe
ausschließt, verschärfen Sie die Kinderarmut weiter.


(Jörg Tauss [SPD]: Das, was Sie da sagen, müssten Sie doch mittlerweile auswendig aufsagen können! Es ist doch immer das Gleiche! – Gegenruf des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig, Herr Tauss! Hier und da gibt es aber auch einmal die eine oder andere kleine Variante!)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf halten Sie an der
Unausgewogenheit und an der Umverteilung von Arm
nach Reich fest.

Herr Singhammer, die Zahlen sprechen für sich: Die
Mehrheit der Eltern erhält ein Elterngeld von weniger als
500 Euro, 32 Prozent bekommen sogar nur das Mindest-
elterngeld in Höhe von 300 Euro. Um noch eins draufzu-
setzen: Die Auswirkungen auf Alleinerziehende sind sta-
tistisch gar nicht zu ermitteln, weil das Gesetz diesbe-
zügliche Erhebungen nicht vorsieht. Dazu kann man nur
sagen: Gratulation! Sind das die Wahlversprechen, die
die SPD im Wahlkampf gemacht hat – Frau Marks hat
sie gerade erwähnt –, wollte man den Eltern nach der
Wahl weniger geben?


(Caren Marks [SPD]: Ach! Auf so etwas lassen wir uns doch gar nicht erst ein!)


Das ist wie mit euren Steuerversprechen: Es wird viel
versprochen, aber nichts wird gehalten.


(Caren Marks [SPD]: Das ist doch Ihr Programm! Oder war das gerade ein Selbstbekenntnis? Auf jeden Fall war es ein Eigentor! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Im Ankündigen von Versprechen sind Sie weltmeisterlich!)


Eine Bemerkung zur Großelternzeit. Unsere Kritik
richtet sich darauf, dass der Anspruch auf das Zeitrecht
ohne Anspruch auf Elterngeld gewährt werden soll, ganz
nach dem Motto: Oma wird es schon richten. Das Argu-
ment, dass die Eltern das Mindestelterngeld erhalten,
greift zu kurz.


(Zuruf von der SPD)


– Mehrwertsteuererhöhung – ohne uns; das war euer
Wahlversprechen. Ich sage nur: Versprecht ruhig weiter!
Wenn ihr 3 Prozent weniger bekommt und wir 3 Prozent
mehr bekommen, dann haben wir euch überholt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine Bemerkung am Rande: Die Großeltern, um die
es hier geht, die Eltern der Teenie-Eltern, sind heute zwi-
schen 40 und 50 Jahren, also noch nicht im Rentenalter.
Wie sollen sie mit einem Zeitanspruch aussteigen, wenn
sie noch im Berufsleben stehen? Das Recht und die
Möglichkeit auf eine Ausstiegszeit bringen wenig, wenn
nicht klar ist, woher in dieser Zeit das Geld kommen
soll.


(Zuruf von der SPD: Wie gut, dass die Linke schon so viele Bundesgesetze gemacht hat! Sie wissen ja immer ganz genau, wie man gute Gesetze macht!)


Aus gleichstellungspolitischer Sicht – auch diese Per-
spektive ist von Bedeutung – ist das Ganze ohnehin kon-
traproduktiv, weil es wieder die Frauen sind – ich sage
nur: Steuerklasse V –, auf deren geringeres Einkommen
eher verzichtet wird.


(Caren Marks [SPD]: Keine Frau muss in Steuerklasse V gehen! – Gegenruf der Abg. Jörn Wunderlich Ina Lenke [FDP]: Na klar! Das geht doch gar nicht anders!)





(A) (C)


(B)


Ich wiederhole: Oma wird es schon richten.

Großelternzeit nur den Großeltern zu gewähren, und
das auch nur, wenn sie mit dem betreuenden Kind in ei-
nem Haushalt leben, das ist uns zu wenig. Die Linke will
den Anspruch auf andere Verwandte bis zum dritten
Grad ausdehnen, auch dann, wenn sie nicht mit dem
Kind in einem Haushalt leben. Außerdem wollen wir So-
lidarität auch außerhalb von Verwandtschaftsbeziehun-
gen anerkennen; denn es sind nicht immer nur Ver-
wandte, die helfen. Deshalb schlagen wir vor, auch
Dritten, die mit Eltern und Kind nicht verwandt sind, ei-
nen entsprechenden Anspruch zu gewähren.

Die Linke steht für eine sozial gerechte Kinder- und
Familienpolitik und fordert eine stärkere Übernahme öf-
fentlicher Verantwortung für Kinder und Familien. Wir
fordern die sofortige Anhebung des Mindestelterngeldes
auf 450 Euro


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


und die Verlängerung des Anspruchs auf Elterngeld


(Caren Marks [SPD]: Die Linke verspricht den Leuten wirklich alles! Unglaublich!)


– Frau Marks, hören Sie mir doch einmal zu, bevor Sie
hier Unwahrheiten verbreiten! – auf zwölf Monate pro
Elternteil, nämlich auf zwölf Monate für die Mutter und
auf zwölf Monate für den Vater.


(Kerstin Griese [SPD]: Aha! Bei Ihnen darf dann keiner mehr arbeiten gehen!)


Wenn Sie unsere Konzepte vertreten, dann vertreten Sie
sie bitte richtig! Wir wollen einen zwölfmonatigen An-
spruch auf Elterngeld auch für die Väter, um sie stärker
in die Pflicht zu nehmen.


(Caren Marks [SPD]: Ich habe von Partnermonaten gesprochen, Herr Kollege!)


Insbesondere fordern wir in diesem Zusammenhang
eine öffentliche, gut ausgebaute und qualitativ hochwer-
tige Kinderbetreuung mit entsprechend ausgebildeten
Erzieherinnen und Erziehern, wobei ich die Schwer-
punkte auf „öffentlich“ und „gut ausgebaut“ lege. Die
öffentlichen Träger und der Bundesjugendverband haben
gesagt: Der von der Regierung angekündigte Bedarf
lässt sich auch mit öffentlichen und gemeinnützigen Trä-
gern umsetzen. – Frau Lenke hört gerade leider nicht zu,
obwohl das ganz besonders an sie gerichtet ist. –


(Ina Lenke [FDP]: Entschuldigung! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das liegt vielleicht an Ihrem Redebeitrag!)


Es kann also auf gewerbliche und profitorientierte Trä-
ger verzichtet werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Caren Marks [SPD]: Jeder Vater kann zwölf Monate Elternzeit nehmen!)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616624400

Jetzt hat die Kollegin Ekin Deligöz für das Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616624500

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man ein In-

strument wie das Elterngeld einführt, dann hat das
zwangsläufig zur Folge, dass nach einem Jahr Korrektur-
und Verbesserungsbedarf besteht, weil man im Laufe der
Zeit vieles lernt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
soll die Feinkorrektur dieses neuen Instruments vorge-
nommen werden.

Ich muss allerdings darauf hinweisen, dass dem Parla-
ment bis zum 1. Oktober dieses Jahres ein erster Bericht
vorgelegt werden soll, in dem die Folgen und der Wir-
kungsbereich der Einführung des Elterngeldes darge-
stellt werden. Eigentlich wäre es sinnvoll gewesen, mit
den Korrekturen zu warten, bis dieser Bericht vorliegt.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, genau!)


Dann hätte man daraus Konsequenzen ziehen und die In-
strumente dementsprechend anpassen können.

Sie wollten aber nicht bis zum Herbst dieses Jahres
warten, und wir wissen auch, warum.


(Caren Marks [SPD]: Weil man den Familien schon eher helfen sollte! – Kerstin Griese [SPD]: Gute Sachen muss man so schnell wie möglich machen!)


Wir wissen, dass in der Koalition schnelle, einvernehm-
liche familienpolitische Verfahren Seltenheitswert ha-
ben.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wie bitte? Waren Sie zweieinhalb Jahre nicht im Parlament?)


Spätestens mit der Vorlage des Wirkungsberichts zum
Elterngeld hätten Sie sich darauf einigen müssen, wie es
mit den Vätermonaten weitergeht. Die Ministerin hat die
Debatte darüber ja schon eröffnet.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Die Debatte ist doch vorbei, Frau Deligöz!)


Aber Sie möchten das lieber zu einem Wahlkampfthema
machen, als hier etwas Konkretes vorzulegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Familienministerin hat, was die Ausweitung der
Partnermonatsregelung angeht, eine konkrete Positionie-
rung mehrfach vermieden. Sie hat selber gesagt, das
überlasse sie der Diskussion, die sich sicher entwickeln
wird. So redet jemand, der sich entweder nicht festlegen
will oder nicht festlegen kann.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Womöglich gibt es nicht nur innerhalb der Koalition,
sondern sogar innerhalb der CDU/CSU-Fraktion Diffe-
renzen.

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern, Frau Deligöz!)


Dass Sie darauf beharren, Bericht und Korrekturen zu
trennen, lässt darauf schließen, dass Sie den Bericht als
Wahlkampfschlager verwenden möchten. Ich sage Ih-
nen: Das wird Ihnen nur bedingt gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Tosender Beifall!)


Das, was jetzt gemacht werden soll, ist Klein-Klein,
ja klitzeklein, und ab Herbst wird der Wahlkampf toben.
Bis dahin gibt es mit dem Gesetzentwurf ein paar Vor-
schläge, die grundsätzlich nicht schlecht sind: Die Ein-
führung einer Mindestbezugsdauer für die Partnermo-
nate kann man begrüßen, genauso, dass Wehr- und
Zivildienst bei der Einkommensermittlung ausgeklam-
mert werden sollen. Zur Revidierung der Leistungsauf-
teilung muss ich sagen: Eigentlich gibt es keinen Grund,
warum, wenn man eine Leistungsaufteilung im Härtefall
zugesteht, dies nur einmalig möglich sein soll.


(Ina Lenke [FDP]: Ja!)


Härtefälle können schließlich öfters vorkommen.

Auch der Vorschlag einer sogenannten Großelternzeit
ist nachvollziehbar. Gerade im Falle von Teenager-
schwangerschaften ist jede Hilfe willkommen und sinn-
voll.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Also stimmen Sie zu? Fein!)


Ich glaube, dass die Großelternzeit in Anspruch genom-
men werden wird, Herr Wunderlich. Die Großeltern
könnten zum Beispiel auf Teilzeitarbeit übergehen; auch
in diesem Sinne ist Elternzeit möglich. Das Problem ist
aber: Was passiert, wenn sich die Großeltern mit den El-
tern nicht einigen können? Die ersten Experten sagen
schon, dass diese Regelung Konflikte nicht aus dem Weg
räumt, sondern womöglich vertieft bzw. neue Konflikte
schafft. Darüber werden wir in der Anhörung, die die
Oppositionsfraktionen verlangen, noch zu sprechen ha-
ben.

Abgesehen davon erschließt es sich mir nicht, warum
Sie sich, wenn Sie schon eine solche Öffnung vorsehen,
auf die Großeltern konzentrieren. Man könnte doch sa-
gen: In einer modernen Welt, in der es verschiedene Fa-
milienformen gibt, gibt es auch andere Konstellationen
des Zusammenlebens, des Miteinander-Verantwortung-
Übernehmens.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Auch diesen Konstellationen sollte man eine solche
Möglichkeit eröffnen. Das Ziel ist doch, dass die Teen-
ager auch mit Kind ihre Schule oder Ausbildung fortfüh-
ren und beenden können.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es hat doch keiner etwas anderes gesagt!)

Wir machen jetzt Klein-Klein. Die großen Reformen,
die Änderungen, die auf jeden Fall anstehen, werden uns
dann im Herbst beschäftigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616624600

Jetzt ergreift Kerstin Griese das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1616624700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zwei Anmerkungen vorneweg. Erste Bemerkung: Liebe
Ekin Deligöz, es sind zwar kleine Änderungen; aber es
sind Änderungen, die den Menschen im realen Leben
helfen. Deshalb wird das Gesetz dadurch besser.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine zweite Anmerkung: Herr Wunderlich, wenn
eine Meisterschaft im Versprechen-Abgeben ausgerufen
würde, wären Sie mit den 157 Milliarden Euro – diese
Summe umfassen die Versprechen der Linkspartei; die-
sen Geldsegen würden Sie gern verteilen – schon jetzt
der Gewinner. Im Versprechen-Abgeben sind Sie die
Größten, eine Gegenfinanzierung haben Sie allerdings
nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden heute über etwas Erfolgreiches. Dass Sie
das stört, kann ich verstehen; nichtsdestotrotz ist das El-
terngeld ein großer Erfolg. Wir von der SPD sind froh,
dass wir unseren Koalitionspartner davon überzeugen
konnten.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben das Elterngeld gemeinsam verwirklicht. Da-
rauf können wir stolz sein. Ich sage das ausdrücklich;
damit alle Seiten klatschen können. Die Zustimmung in
der Bevölkerung ist enorm: Zwei Drittel der Bevölke-
rung halten das Elterngeld für eine gute Sache. Sicher-
lich nicht nur durch dieses Gesetz – auch durch viele an-
dere Maßnahmen –, aber auch durch dieses Gesetz
wurde der Geburtenrückgang zum ersten Mal seit 1990
gestoppt. Bei den Männern gibt es ein Umdenken. Viel-
leicht haben diejenigen, die früher einmal von einem
Wickelvolontariat gesprochen haben, dazugelernt.

Bereits im letzten Quartal des letzten Jahres ging jede
achte Bewilligung des Elterngeldes an einen Mann.
Zwei Drittel dieser Väter haben zwei Monate lang El-
terngeld in Anspruch genommen. Knapp jeder fünfte
dieser Väter ist sogar für zwölf Monate ganz oder teil-
weise aus dem Beruf ausgestiegen, um sich um das Kind
zu kümmern. Es findet also ein echtes Umdenken in der
Gesamtbevölkerung statt: bei den Männern und auch in
der Wirtschaft. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass das
Verständnis der Personalverantwortlichen für Familien
deutlich gestiegen ist. 61 Prozent befürworten es, wenn
auch Väter Elternzeit nehmen. Das waren vor ein paar






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Griese
Jahren noch viel weniger. Alles in allem ist die Bilanz
des Elterngeldes erfolgreich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es ist schon gesagt worden: Wir werden zum
1. Oktober 2008 eine umfassende Evaluation erhalten.
Das ist auch gut so. Nichtsdestotrotz kann man einige
Dinge schon vorher ändern.

Ich will mich ganz ausdrücklich beim Diakonischen
Werk des Evangelischen Kirchenbezirks Baden-Baden
und Rastatt bedanken; denn wir wurden vor etwas über
einem Jahr, im April 2007, mit einem Brief an unsere
Kollegin Nicolette Kressl darauf aufmerksam gemacht,
dass es in der Tat das Problem gibt, dass keine Groß-
elternzeit mehr möglich ist. Vonseiten der SPD haben
wir uns dann sehr schnell für die Wiedereinführung der
Großelternzeit stark gemacht. Ich sage ganz ehrlich: Wir
hätten das gerne noch schneller auf den Weg gebracht
– wir haben häufig darüber gesprochen; es gab aber viel
abzustimmen, auch mit dem Bereich Bildung –; denn
wir wollen, dass Großeltern in dieser Notsituation ein-
springen können. Wir wollen, dass Großeltern eine Aus-
zeit nehmen können mit der Garantie für eine Rückkehr
in ihren Job, wenn ihre Kinder Eltern werden und sie
ihre Enkelkinder betreuen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, diese Änderung entspricht der Lebenswirk-
lichkeit. Es geht um Teenager, die selber Eltern werden.

Daneben wollen wir, dass die jungen Eltern, die in der
Schule, in der Ausbildung oder vielleicht sogar schon im
Studium sind, ihren Abschluss machen können; denn wir
wissen, dass die beste Prävention von Kinderarmut – wir
reden viel über Kinderarmut, auch heute Morgen hier im
Parlament – die Erwerbstätigkeit der Eltern ist. Erwerbs-
tätig kann man nur sein, wenn man einen Schul- und
Ausbildungsabschluss hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben diese Regelung auch deshalb eingeführt,
um Teenagern in dieser schwierigen Situation wirksam
helfen zu können. Heute werden etwa sechs von 1 000
13- bis 17-jährigen Mädchen in Deutschland schwanger.
Etwa drei von diesen Mädchen, also die Hälfte, bekom-
men ein Kind. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche
in der gleichen Altersgruppe ist ein klein wenig höher als
die der Geburten. Wir sprechen über etwas mehr als
7 000 Kinder von 13- bis 17-jährigen Teenagern, die in
Deutschland pro Jahr geboren werden. Diese Teenager
können die Hilfe ihrer Eltern mit der neuen gesetzlichen
Regelung leichter in Anspruch nehmen. Hinzu kommen
noch diejenigen, die schon volljährig sind, aber vor ih-
rem 18. Geburtstag mit einer Ausbildung begonnen ha-
ben. Auch für sie ist diese neue Regelung im Bundes-
elterngeld- und Elternzeitgesetz positiv.


(Beifall des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU])

Fakt ist also: Wir verbessern die Möglichkeiten im
Rahmen der Elternzeit weiter und schaffen eine lebens-
nahe Lösung für ganz junge Eltern, wodurch ihnen ge-
holfen wird, Schule und Ausbildung zu Ende zu machen.
Damit helfen wir den Familien ganz konkret. Ich bitte
Sie alle nicht nur um Zustimmung, sondern auch um zü-
gige Zustimmung, damit diese wirklich gute Lösung
sehr schnell in Kraft tritt und die Großeltern, die es wol-
len und können, ihren Kindern und Enkelkindern glei-
chermaßen helfen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616624800

Damit schließe ich die Aussprache.

Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 16/9415 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. –
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika über die Vertiefung der Zusammen-
arbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung
schwerwiegender Kriminalität neu verhandeln

– Drucksache 16/9094 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kein uferloser Datenaustausch mit den USA

– Drucksache 16/9360 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

Es ist verabredet, über diese beiden Anträge insge-
samt eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gisela Piltz für die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1616624900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Als „Albtraum“ hat der europäische Datenschutz-






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
beauftragte Peter Hustinx das Vorantreiben der EU-wei-
ten Ausdehnung des Prümer Vertrags bezeichnet und
hinzugefügt, die mit dem Vertrag verknüpften Daten-
schutzbestimmungen seien ein „kompliziertes Flick-
werk“. Der Prümer Vertrag ist damit für uns alles andere
als ein gutes Vorbild. Trotzdem geht die Bundesregie-
rung noch einen Schritt weiter und handelt ein Sicher-
heitsabkommen mit den USA zum Austausch von Daten
aus, ohne sich wenigstens an diesen zugegebenermaßen
flickwerkartigen Datenschutzbestimmungen zu orientie-
ren. Dann verkauft uns diese Bundesregierung das auch
noch als politischen Erfolg und stellt die Vorreiterrolle
Deutschlands heraus. Der Prümer Vertrag selbst ist in
Europa bis heute nicht umgesetzt, eine Evaluierung gibt
es auch nicht. Aber wir müssen wieder einmal mit gutem
Beispiel vorangehen. Für uns ist das eher ein schlechtes
Beispiel.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es wäre sinnvoll gewesen, die Erfahrungen aus dem Prü-
mer Vertrag erst einmal abzuwarten und auszuwerten,
anstatt ihn unter einem anderen Namen über den Atlan-
tik zu exportieren.

Wer sensible Daten wie die politische, religiöse oder
sonstige Überzeugung, die Zugehörigkeit zu einer Ge-
werkschaft, die sexuelle Einstellung und Gesundheitsda-
ten übermitteln will, ohne dabei Begriffe wie Terroris-
mus und Kriminalität ausreichend zu definieren, muss
sich schon fragen lassen, wo sein Grundrechts- und Bür-
gerrechtsverständnis geblieben ist.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn er es je hatte!)


– Damit haben Sie völlig recht, Herr Kollege. – Es reicht
nicht, dass die Vertragspartner einander notifizieren kön-
nen, welche Straftaten nach nationalem Recht unter die
Begriffe Terrorismus und Kriminalität fallen; denn diese
Notifikation ist jederzeit änderbar. Heute hü!, morgen
hott! – so kann Rechtssicherheit nicht eintreten.

Was hat, bitte schön, die Gewerkschaftszugehörigkeit
mit terroristischen Straftaten bzw. schwerwiegender Kri-
minalität zu tun? Wir haben lange darüber nachgedacht.
Weder das englische noch das deutsche Wort geben uns
dazu Veranlassung. Wenn man aber lange genug bei
Google sucht, fallen einem das spanische und das fran-
zösische Wort für „Gewerkschaft“ auf: el sindicato und
syndicat. Hier ergibt sich ein ganz neuer Horizont von
Assoziationen. Der Syndikalismus war eine revolutio-
när-gewerkschaftliche Bewegung, die sich Ende des
19. Jahrhunderts bildete. Mittel der Syndikalisten war
nicht nur der Streik, sondern auch die Sabotage.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das war nicht schlecht!)


– Dass Sie von der Linken das wieder gut finden, ist mir
klar. – Parlamentarische Bestrebungen wurden abge-
lehnt. Im heutigen Kontext würde ein solcher Mittelein-
satz von einigen Ländern vielleicht als Terrorismus
bezeichnet werden. Unsere Gewerkschaften in Deutsch-
land bedienen sich aber dieser Mittel nicht. Ich glaube,
die Zeiten des Syndikalismus haben wir nun wirklich
überwunden.

Ich verstehe auch nicht, wie eine Bundesjustizminis-
terin mit SPD-Parteibuch ein solches Abkommen feder-
führend verhandeln konnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Dieses Sicherheitsabkommen stellt die Gewerkschaften
an den Pranger. Das haben sie wirklich nicht verdient.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sonst sind Sie ja nicht so zartfühlend! Eine Landplage sind diese Gewerkschaftsbonzen, sagen Sie doch!)


Es ist schon bezeichnend, wenn die FDP die Gewerk-
schaften verteidigen muss. Dies ist eine wirklich komi-
sche Rollenverteilung.

Noch ein Wort zum Verfahren: Entgegen Ihrer Ant-
wort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke ha-
ben Sie den Innenausschuss des Bundestages im Februar
2007 nicht über die Aufnahme von Vertragsverhandlun-
gen informiert. Ich habe mir extra noch einmal das Wort-
protokoll angeschaut. Meinem Fraktionskollegen Ernst
Burgbacher haben Sie auf Nachfrage geantwortet, dass
die USA dem Vertrag von Prüm nicht beitreten könnten.
Dies stimmt natürlich. Sie haben eine formale Antwort
gegeben und sich so um die inhaltliche Antwort ge-
drückt. Sie haben im Ausschuss nicht die Wahrheit ge-
sagt,


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Na, na, na!)


und das kann sich das Parlament nicht bieten lassen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Regelungen im Sicherheitsabkommen haben
Sprengstoff in sich. Europäische Datenschutzstandards
haben in den USA überhaupt keinen Bestand, wie wir
wissen. Das dortige Datenschutzniveau ist deutlich nied-
riger. Insbesondere werden in den USA polizeiliche Da-
ten über Jahrzehnte gespeichert: bis zu 99 Jahre. Das
Ende der Speicherung seiner Daten wird also kaum je-
mand erleben. Eine unabhängige Datenschutzkontrolle,
wie es in Deutschland der Fall ist, gibt es dort auch
nicht. Der automatisierte Austausch soll im sogenannten
Hit-/No-hit-Verfahren erfolgen. Die Vertragspartner
wollen sich dabei gegenseitig Zugriff auf die sogenann-
ten Fundstellendatensätze ihrer nationalen DNA- und
Fingerabdruckdatenbanken gewähren, um diese für den
automatisierten Abgleich zu nutzen. Einzelheiten sollen
aber Durchführungsvereinbarungen vorbehalten bleiben.
Auch da werden wir dann keinen Einfluss haben. Es ist
nicht sonderlich klug, wie man in diesem Punkt mit dem
Parlament umgeht.

Auskunfts- und Berichtigungsansprüche, die einem
rechtsstaatlichen Verfahren grundsätzlich immanent sind,
sind in dem Abkommen für die Betroffenen vorsichts-
halber gar nicht vorgesehen, da nur das Verhältnis zwi-
schen den Vertragsparteien USA und Deutschland gere-






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
gelt wird. Wenn ich betroffen bin, brauche ich als
betroffene Person einen Auskunftsanspruch.

Wir hoffen, dass Sie in dieser Hinsicht noch einmal
tätig werden. Uns wäre es sowieso lieber, Sie würden
das Ganze zurückziehen. Aber wenn Sie es durchführen,
dann müssen Sie sich auch an rechtsstaatliche Verfahren
halten. Der Grundsatz des effektiven Rechtschutzes, der
jedenfalls nach unserer Auffassung eine tragende Säule
unseres Rechtsstaates ist, wird damit einmal mehr über
Bord geworfen.

Zum Abschluss: Nachdem ich schon versucht habe,
den Begriff Syndikat geschichtlich zu erklären, habe ich
in der Zitatenkiste gewühlt und ein Zitat aus dem Jahr
1670 gefunden.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine große Kiste!)


Das liegt so weit zurück, dass es vielleicht für die Bun-
desregierung unverdächtig ist, auch wenn es von einem
Mitglied der liberalen Bundestagsfraktion verwendet
wird. Baruch de Spinoza hat gesagt: „Der Zweck des
Staates ist in Wahrheit die Freiheit.“ Ich fände es gut,
wenn wir uns alle daran halten würden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616625000

Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph

Bergner hat jetzt das Wort für die Bundesregierung.

D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1616625100


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
Frau Piltz, die Einzelheiten des in Rede stehenden, von
der Bundesregierung verhandelten deutsch-amerikani-
schen Abkommens werden im Zuge der anstehenden
vertragsgesetzlichen Ratifizierungen behandelt. Ich
werde deshalb darauf verzichten, auf viele der Vorwürfe
– Sie nannten Speicherhöchstfristen und anderes – im
Einzelnen einzugehen.

Ich will vorausschauend so viel zurückweisen – wir
haben es sogar im Innenausschuss im Rahmen der Be-
richterstattung diskutiert, wenn ich mich richtig erin-
nere –: Die Gewerkschaften und religiöse und sonstige
Überzeugungen sind in Art. 12 des Vertrages ausdrück-
lich wegen der besonderen Schutzwürdigkeit der ent-
sprechenden Daten erwähnt. Das heißt, was von Ihnen
als besondere Weitergabe von speziellen Informationen
zu denunzieren versucht wird,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Gisela Piltz [FDP]: Also bitte! Das verbitte ich mir! Ich bin keine Denunziantin!)


ist in dem Vertrag gerade in den Rahmen einer besonde-
ren Schutzwürdigkeit gestellt worden. Sie sollten sich
wenigstens die Mühe machen, in dieser Frage fair zu ar-
gumentieren.

Ein Weiteres. Mein Kollege Altmaier hat am 28. Fe-
bruar über die Aufnahme von Gesprächen mit den USA
zur Intensivierung des bilateralen Informationsaustau-
sches informiert, damals natürlich noch nicht über Ver-
tragsinhalte. Sie wissen, dass am 9. März ein Bericht-
erstattergespräch stattgefunden hat – an dem Sie, glaube
ich, selbst teilnahmen –, in dem mein Kollege Altmaier
über den Vertrag informiert hat.

Ich will versuchen, auf die allgemeinen Vorwürfe, die
das Muster Prümer Vertrag und seine Übertragung auf
den Drittstaat USA betreffen, einzugehen. Dabei ist zu-
nächst einmal hervorzuheben, dass der Vorwurf, hier
würde ein Ausverkauf des Datenschutzes betrieben,
wirklich unbegründet ist. Wer die bisherige Realität und
das angestrebte Abkommen nüchtern betrachtet, der
wird feststellen müssen: Erstens. Die USA sind und blei-
ben einer unserer wichtigsten internationalen Verbünde-
ten. Das gilt auch und gerade im Kampf gegen den inter-
nationalen Terrorismus.


(Beifall des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ CSU])


Wer hier auf den Informationsaustausch mit den USA
verzichten will, verschließt die Augen vor der Realität.
Ich erinnere daran, dass der entscheidende Hinweis im
Sauerland-Fall gerade von amerikanischer Seite kam.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)


Zweitens. Der Datenschutz ist ein Problem bei jeder Art
von internationaler Zusammenarbeit. Wer ein Datum an
einen anderen Staat übermittelt, muss sich darüber im
Klaren sein, dass dort nicht mehr die eigene, sondern die
dortige Rechtsordnung gilt. Im Bereich des Datenschut-
zes gibt es dabei natürlich erhebliche Abweichungen.
Mit diesen Abweichungen kann man auf dreierlei Weise
umgehen.

Erstens. Man übermittelt – das ist möglicherweise die
Zielsetzung, von der Sie ausgehen – gar keine Daten an
Staaten, die über kein angemessenes Datenschutzniveau
verfügen. Diese Ansicht hätte allerdings im Extremfall
zur Konsequenz, dass der Datenschutz über das Leben
von Menschen gestellt wird, die von einem konkreten
Anschlag bedroht sind, wenn der Anschlag durch Über-
mittlung eines Hinweises hätte abgewendet werden kön-
nen. Weil dies niemand ernsthaft wollen kann, muss im
Einzelfall eine Abwägung zwischen den Belangen des
Datenschutzes und dem Zweck der Datenübermittlung
stattfinden. Das ist Weg Nummer zwei, der der gegen-
wärtigen Rechtslage entspricht. Nach § 14 Abs. 7 des
Bundeskriminalamtgesetzes muss das Bundeskriminal-
amt bei einer Datenübermittlung an andere Staaten auch
die Angemessenheit des dortigen Datenschutzniveaus
berücksichtigen und nach den Umständen des Einzelfalls
eine Abwägung vornehmen.

Neben der jeweiligen Rechtsordnung im Empfänger-
staat kommt es insbesondere auf die konkrete Art der
Daten und den Zweck der Übermittlung an. Ein Polizist,
der möglicherweise binnen Minuten oder wenigen Stun-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
den entscheiden muss, ob er einen Hinweis an einen
Drittstaat geben kann, hat jedoch kaum Zeit, ausführlich
die Rechtsordnung des Empfängerstaates zu prüfen und
diese in Relation zum Übermittlungszweck zu setzen.

Deshalb ist die dritte Lösung, mit den weltweit unter-
schiedlichen Datenschutzniveaus umzugehen, offenkun-
dig die beste. Sie besteht darin, durch ein Abkommen
mit dem Empfängerstaat selbst ein angemessenes Daten-
schutzniveau für die im Abkommen vorgesehene Über-
mittlung zu schaffen. Diesen Weg wollen wir nun mit
den USA bei der polizeilichen Zusammenarbeit be-
schreiten.

Das Abkommen flankiert die Befugnisse zum Daten-
austausch mit einer Reihe von Datenschutzbestimmun-
gen, die im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ein
deutlich besseres Datenschutzniveau schaffen. Ich
denke, das werden wir noch würdigen, wenn wir in die
Ratifikation des Vertrages einsteigen. Dies gilt insbeson-
dere für den automatisierten Austausch im sogenannten
Hit-/No-Hit-Verfahren. Dies bedeutet, dass jeweils nur
Fundstellendatensätze und nicht die eigentlichen Perso-
nendaten abgerufen werden können. Wenn ein Treffer
erzielt wird und eine Seite weiß, dass die andere über
Erkenntnisse zur gleichen DNA oder zum gleichen Fin-
gerabdruck verfügt, muss sie ein Ersuchen um Übermitt-
lung der eigentlichen Personendaten stellen. Diese Er-
mittlung erfolgt nach den bereits bestehenden
allgemeinen Regeln. Das heißt, wir haben dann ein
Rechtshilfeverfahren, wie wir es kennen. Dieses Verfah-
ren, das der Prümer Vertrag vorsieht, wurde vom
Datenschutzbeauftragten als datenschutzfreundlich ge-
lobt, weil im ersten Schritt keine Personendaten abgeru-
fen werden, sondern lediglich Fundstellen zu DNA- und
Fingerabdruckdaten.

Nun verkenne ich nicht, dass man sich an der einen
oder anderen Stelle – darüber werden wir bei der Ver-
tragsratifikation noch zu befinden haben – aus daten-
schutzrechtlicher Sicht noch mehr gewünscht hätte. Die
Bundesregierung hatte sich insbesondere im Rahmen der
Verhandlungen massiv für die Schaffung unmittelbarer
subjektiver Rechte der Betroffenen eingesetzt, sodass
sich deutsche Bürger wegen Verletzung einer Daten-
schutzbestimmung direkt an ein US-amerikanisches Ge-
richt hätten wenden können. Die USA hatten dies jedoch
unter Hinweis auf ihr innerstaatliches Recht strikt abge-
lehnt; denn der sogenannte Privacy Act in den USA gibt
bisher nur US-Bürgern unmittelbare subjektive Rechte.

Der in dem Abkommen, Frau Piltz, gefundene Kom-
promiss kann sich jedoch aus unserer Sicht sehen lassen;
denn mit dem Abkommen werden nun völkerrechtliche
Ansprüche der Vertragsparteien auf Auskunft, Berechti-
gung, Sperrung oder Löschung geschaffen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo klage ich die denn ein?)


Die jeweiligen Vertragsparteien, also Deutschland und
die USA, vermitteln diese Ansprüche nach dem jeweili-
gen innerstaatlichen Recht ihren Bürgern, Herr Kollege
Wieland. Nach innerstaatlichem Recht bestehende sub-
jektive Rechte des Betroffenen auf Auskunft, Berichti-
gung, Sperrung oder Löschung können also vermittelt
durch die jeweilige Vertragspartei wahrgenommen wer-
den. Diese vermittelte Wahrnehmung bedeutet im Ergeb-
nis keine Schwächung der Rechtsposition der Betroffe-
nen. Zugegebenermaßen wird das Verfahren für die
Betroffenen möglicherweise etwas komplizierter. Ande-
rerseits wird dem Anspruch durch die Geltendmachung
seitens der Vertragspartei ein höheres Gewicht verliehen.

Meine Damen und Herren, wenn wir die einzelnen
Punkte durchgehen, können wir feststellen, dass wir
überall zu sehr tragfähigen Ergebnissen gekommen sind.
Wer meint, wie es im FDP-Antrag zum Ausdruck
kommt, es könne durch Neuverhandlungen zu besseren
Ergebnissen kommen, der sollte sich nicht täuschen. Ge-
rade dort, wo sich die Kritik am lautesten entfacht hat
– Frau Kollegin Piltz, ich bin schon auf Art. 12 und die
Übermittlung sogenannter besonders sensibler Daten
eingegangen –, zeigt sich häufig auch ihre Irrationalität.
Auslöser hierfür war eine sinnentstellende Pressebericht-
erstattung, die auch bei Ihrer Rede, Frau Piltz, durch-
drang,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


und zwar über den Charakter der Regelung als Schutz-
vorschrift, die ins Gegenteil verkehrt wurde; denn – ich
sage es noch einmal – Art. 12 schafft eben gerade nicht
die Verpflichtung oder erst die Möglichkeit zur Über-
mittlung sensibler Daten, sondern er dient ihrem beson-
deren Schutz. Was hier von vielen Seiten als Ausverkauf
des Datenschutzes beklagt wurde, ist genau das Gegen-
teil.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616625200

Herr Kollege, Sie müssten bitte zum Ende kommen.

D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1616625300


Ja. – Vergleichbare Sonderregelungen gehören zum
klassischen Repertoire internationaler Datenschutzbe-
stimmungen.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns, wie ge-
sagt, noch immer im Vorfeld der vermutlich noch in die-
sem Jahr beginnenden gesetzlichen Ratifikation des Ver-
trages, und wir werden dann über alle Einzelheiten
sprechen können. Aus Sicht der Bundesregierung sollten
beide Anträge, die versuchen, im Vorfeld Stimmungen
gegen den Vertragsinhalt zu machen, zurückgewiesen
werden.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616625400

Der Kollege Jan Korte hat jetzt das Wort für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616625500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Staatssekretär Bergner, wir würden gerne Ihre Be-
mühungen in den Verhandlungen um Datenschutz hono-
rieren und Sie dafür loben, aber wir haben dasselbe Pro-
blem wie bei dem Abkommen über Fluggastdaten. Wie
Sie sich erinnern, haben wir auch darüber diskutiert. Sie
haben in diesem Zusammenhang im Innenausschuss mit-
geteilt, dass Sie grundsätzlich über laufende Verhandlun-
gen mit ihren Partnerinnen und Partnern in den USA
keine Auskunft geben. Deswegen können wir überhaupt
nicht nachvollziehen, wie Ihre Bemühungen gewesen
sind. Wir können nicht nachvollziehen, an welcher Stelle
die US-Administration sagt: Das ist mit uns überhaupt
nicht zu machen. – Das würden wir aber gerne wissen,
um Sie unterstützen zu können. Wenn Sie uns das aber
nicht rechtzeitig berichten, können wir Sie nicht unter-
stützen, und das ist das Problem. Die Anträge der FDP
und der Grünen sind sehr sinnvoll, weil wir gerade in
dieser Woche viele schlechte Erfahrungen gemacht ha-
ben, wie es um den Datenschutz bestellt ist. Deswegen
ist es wichtig, sozusagen präventiv für die Bürgerrechte
zu wirken. Deswegen unterstützen wir ausdrücklich
diese Anträge.

Ich will kurz zusammenfassen, welche die Hauptkri-
tikpunkte auch der Linken sind. Wir teilen ausdrücklich
die Kritik, die in den Anträgen formuliert ist. Ein Punkt
steht im Zusammenhang mit der Rendition-Praxis. Da es
keine praktische, nachvollziehbare Definition von Terro-
rismus gibt – auch nicht in diesem Abkommen –, ist der
Willkür Tür und Tor geöffnet. Das ist das Hauptproblem.
Zur Speicherdauer in den USA – 99 Jahre – ist schon et-
was gesagt worden. Wenn wir darüber diskutieren, dass
diese Daten – das ist in den USA anders als in der Bun-
desrepublik – zum Beispiel an die CIA, die NSA, das
FBI und was weiß ich, welche Geheimdienste und Halb-
geheimdienste es inzwischen dort gibt, weitergegeben
werden, dann würde mich interessieren, wie Sie in die-
sen Verhandlungen darauf hingewirkt haben, dass diese
Daten nicht für eine Praxis genutzt werden, die wir nicht
mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren können,
die aber in den USA seit 2001 gang und gäbe ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hoffe, dass der Kollege Gunkel heute wieder so
trefflich die Vorlage kritisiert, wie er das beim letzten
Mal gemacht hat. Darüber würde ich mich sehr freuen.
Ich glaube aber, das passiert nicht, weil die Federfüh-
rung auch bei der Bundesministerin Zypries gelegen hat.
Dazu muss man sagen: Es ist nicht nur Herr Schäuble,
der Ärger kriegen muss, sondern in diesem Fall auch
Frau Zypries. Eines verstehe ich bei der SPD nicht; ich
kann es nur wiederholen: Sie erklären auf Ihrem Ham-
burger Parteitag, dass die SPD wieder die Bürgerrechts-
partei in diesem Land sein soll. Beim BKA-Gesetz ha-
ben Sie laut angekündigt, dass Sie da nicht mitmachen
werden und dass die Onlinedurchsuchung nicht stattfin-
den werde. Spätestens nächste Woche fallen Sie um und
werden alles mitmachen. Im Zweifel sind Sie schon um-
gefallen.
Ich kann gar nicht verstehen – schließlich wollen Sie
sich hier wieder als Bürgerrechtspartei profilieren; zu-
mindest bei uns sind Parteitagsbeschlüsse sehr viel wert;
wir halten uns immer daran; ich dachte immer, das sei
bei Ihnen auch so –, wie man das hier verteidigen kann.
Ich hoffe, das passiert nicht.

Wir lehnen das ab. Wir fordern, die Ratifizierung zu
stoppen, neu zu verhandeln und vor allem den Bundes-
tag in diesen Prozess einzubinden, damit wir mit unseren
sachlich orientierten Hinweisen eine Hilfestellung geben
können.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616625600

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Wolfgang

Gunkel.


Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1616625700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehr-

ter Kollege Korte, ich muss natürlich zuerst einmal auf
das eingehen, was Sie hier kurz angesprochen haben.
Die Situation hier ist ein klein wenig anders als zuletzt
beim Fluggastdatenabkommen mit den USA. Der we-
sentliche Unterschied besteht darin, dass man in dieses
Abkommen einen Paragrafen eingefügt hat – den be-
reits erwähnten Art. 12 –, durch den dafür Sorge getra-
gen wird – von der Opposition wird dies anders interpre-
tiert –, dass zum Schutze der Menschen verhindert
werden soll, dass diese Daten ohne konkreten Anlass
weitergegeben werden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Witz! Ohne konkreten Anlass wird doch hoffentlich gar nichts weitergegeben!)


– Das ist beim Fluggastdatenabkommen mit den USA
aber durchaus möglich. Deswegen habe ich es damals
kritisiert. Hier ist das nicht der Fall, und daher kritisiere
ich das heute nicht.

Was die Onlinedurchsuchungen angeht, brauchen wir
gar nicht umzufallen.


(Gisela Piltz [FDP]: Sie haben noch nie gestanden!)


Offensichtlich haben Sie übersehen, dass das Bundesver-
fassungsgericht dazu ein Urteil gefällt hat. Das Bundes-
verfassungsgericht hat ausgeführt, dass Onlinedurchsu-
chungen grundsätzlich möglich sind, allerdings unter
sehr schwierigen Bedingungen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Die haben nicht gesagt, dass man es machen muss!)


– Nein, es sagt keiner, dass man es machen muss.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Doch!)


Man kann aber auch etwas tun, was man nicht unbedingt
lassen will. Daher ist es unredlich, zu sagen, wir fielen in






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gunkel
irgendeiner Weise um. Wir werden mit den Kollegen der
CDU/CSU darüber noch ausführlich diskutieren. Das
Kabinett hat einen entsprechenden Entwurf verabschie-
det. Seien Sie mit diesen Äußerungen also bitte schön
ein bisschen vorsichtig! Ich bemühe mich schon, das
Ganze auch kritisch zu betrachten. Was Recht ist, muss
allerdings auch Recht bleiben. Dieser Entwurf unter-
scheidet sich ganz wesentlich von dem, was uns bisher
vorgelegt worden ist.

Nun zu den einzelnen Punkten. Die Anträge der Grü-
nen und der FDP befassen sich mit dem besagten Ab-
kommen zwischen Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika vom 11. März dieses Jahres. Das
Abkommen soll die Zusammenarbeit bei der Verhinde-
rung und der Bekämpfung schwerwiegender Kriminali-
tät vertiefen, insbesondere der terroristischen Gefahr.
Konkret geht es um Datenaustausch. Geregelt wird in
diesem Vertrag, dass Fingerabdrücke und DNA-Daten
automatisiert in den Datenbänken beider Länder abgegli-
chen und dass personenbezogene Daten zu sogenannten
terroristischen Gefährdern im Wege der Rechtshilfe
übermittelt werden können.

Es ist schon mehrmals gesagt worden, dass dieses Ab-
kommen an den Vertrag von Prüm angeglichen worden
ist. Dieser Vertrag ist ein Abkommen zwischen den EU-
Staaten. Es galt bisher zwischen sieben Staaten. Es ist
unter deutscher Ratspräsidentschaft in den Rechtsrah-
men der EU überführt worden und ist damit verbindlich
für alle anderen EU-Mitglieder. Richtig ist – Frau Piltz,
das stimmt –, dass es noch nicht alle EU-Mitglieder um-
gesetzt, das heißt ratifiziert haben. Aber es dauert eben
alles seine Zeit. Man hat auch bei uns nicht alles sofort
umgesetzt.

Glauben Sie mir, dass auch ich über das Zustande-
kommen dieses Vertrages etwas überrascht war;


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


schließlich waren von deutscher Seite ausschließlich das
Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministe-
rium beteiligt, das Parlament leider nicht. Daran habe ich
Kritik zu üben. Man hätte uns vielleicht etwas eher ein-
binden sollen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn hier „vielleicht“?)


Die Chance, uns besser einzubeziehen, besteht noch.
Wir können darüber im Innenausschuss noch diskutie-
ren, bevor der Gesetzentwurf im Bundestag verabschie-
det wird. Aufgrund Ihres Antrags streiten wir auch heute
darüber, ob es sinnvoll ist, bestimmte Regelungen zu än-
dern. Es ist ja noch nie ein Gesetzentwurf so verabschie-
det worden, wie er eingebracht worden ist.


(Jörg Tauss [SPD]: „Struck’sches Gesetz“ heißt das!)


– Ja, Struck’sches Gesetz. Danke für die Hilfestellung,
Herr Kollege. – Das ist im Rahmen der demokratischen
Gepflogenheiten doch alles ganz normal. Also besteht
kein Grund, daran Kritik zu üben.
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass dieses
Abkommen notwendig ist. Angesichts der steigenden
terroristischen Gefahren, die wir ohne Zweifel zu ver-
zeichnen haben, muss man eine gute Zusammenarbeit
mit den Behörden der Vereinigten Staaten pflegen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit allen Behörden!)


Wir können nicht so tun, als wenn die USA das Land des
Bösen oder Ähnliches wären. Die Hinweise, die aus den
USA kamen, haben zumindest wesentlich dazu beigetra-
gen, die Anschläge der Sauerland-Gruppe gegen den
amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Ramstein sowie
gegen amerikanische und usbekische Konsulareinrich-
tungen im Herbst vergangenen Jahres zu verhindern.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht unsere Daten, die wir ihnen geschickt haben, haben dazu geführt!)


Dennoch ist an dieser Stelle die Frage zu stellen, ob
man eine ausgewogene Balance zwischen Sicherheit und
Freiheit geschaffen hat. Wie Sie wissen, sollte man aus
meiner Sicht immer zugunsten der Freiheit entscheiden,
wenn es denn geht.


(Gisela Piltz [FDP]: Wenn es denn geht!)


Die personenbezogenen Daten, um die es hier geht,
unterscheiden sich vom Fluggastdatenabkommen, weil
in den USA ohne Anlass gesammelt wird. In Deutsch-
land wird aber nur aus einem bestimmten Anlass gesam-
melt. Qualitativ gesehen ist das ein Unterschied. In
Art. 10 handelt es sich um personenbezogene Daten wie
den Namen, das Geburtsdatum und Ähnliches. Daran
kann ich nichts Verwerfliches erkennen.

Interessant wird es, wenn zusätzliche Daten übermit-
t
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1616625800
das Verfassungsschutzge-
setz und das BKA-Gesetz. An dieser Stelle kann ich nur
sagen: Hier wird ganz konkret darauf abgestellt, dass die
Personen dem terroristischen Umfeld zugerechnet wer-
den, zu den sogenannten Gefährdern zählen oder andere
Ermittlungen ausgelöst haben. Der Grundsatz, der da be-
steht, ist, dass diese Daten nur in solchen Fällen über-
haupt übermittelt werden können.

Die politische Weltanschauung, die Mitgliedschaft in
einer Gewerkschaft oder Auskünfte über Gesundheit und
Sexualleben, die in Art. 12 beschrieben werden, können
nur unter bestimmten Voraussetzungen herausgegeben
werden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter welchen denn?)


– Ich habe sie gerade genannt. Wenn es sich um Gefähr-
der handelt oder wenn sich Personen in einem Ausbil-
dungslager befinden. Das sind alles Personen, die mehr
oder weniger in die staatlichen Maßnahmen einbezogen
sind.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie finden Sie denn die sexuelle Orientierung heraus?)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gunkel
– Ich sagte gerade, dass diese Daten nur übermittelt wer-
den, wenn sie relevant sind und für die Ermittlungen von
Bedeutung sind. Es liegt auch auf der Hand, dass dies
überwiegend nicht der Fall ist.

Zur berühmten Gewerkschaftszugehörigkeit habe ich
ein Beispiel:


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deine eigene!)


Wenn jemand, der des Terrorismus verdächtigt ist, zufäl-
lig Gewerkschaftsmitglied ist, ist es nicht zwingend,
dass Letzteres übermittelt wird. Denn dazu muss ein re-
levanter Anlass bestehen. Lassen Sie die Kirche doch im
Dorf!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Vorschrift kommt nur in den seltensten Fällen zur
Anwendung.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie!)


Wenn dieses Gewerkschaftsmitglied einer konspirati-
ven Gruppe angehört, die einen Anschlag vorbereitet,
dann wäre zum Beispiel zu prüfen, ob man das übermit-
telt. Dies wäre der Fall, wenn die Schlussfolgerung ge-
zogen werden könnte, dass die Gewerkschaftsgruppe die
konspirative Gruppe ist; aber auch das ist höchst un-
wahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass dies so bedeutend
ist, dass man hier ein Konstrukt ablehnt, welches insge-
samt der Terrorismusbekämpfung dient.

Die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzniveaus
kennen wir. Die amerikanischen Verhältnisse haben wir
schon beim Fluggastdatenabkommen erlebt. Die ameri-
kanischen Bestimmungen sind natürlich nicht wie die
deutschen Bestimmungen, das ist ganz klar. Sie haben
das benannt, Frau Kollegin Piltz: Es handelt sich um
Aufbewahrungsfristen, um Übermittlungsfristen oder
Übermittlungsmöglichkeiten. Es ist sicherlich zu kriti-
sieren, dass das nicht ausreichend geregelt ist. Vielleicht
besteht die Möglichkeit, da noch etwas nachzubessern.

Die Kritik hält sich deshalb vonseiten unserer Frak-
tion in engen Grenzen. Nach den schwierigen Verhand-
lungen – mit den Amerikanern ist es sicherlich nicht
ganz so einfach zu realisieren – ist ein Werk vorgelegt
worden,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hält sich in Grenzen, weil Frau Zypries mitverhandelt hat!)


das zwar noch zu diskutieren ist, das aber für die Krimi-
nalitätsbekämpfung erst einmal hilfreich ist.

Aus den Gründen, die ich genannt habe, kommen wir
zu der Auffassung, dass wir die Anträge zunächst zu-
rückweisen. Wir setzen darauf, dass wir das Abkommen
im Gesetzgebungsverfahren, wenn es in den Innenaus-
schuss kommt, noch einmal ausführlich behandeln kön-
nen und die eine oder andere Änderung oder Verbesse-
rung vornehmen können.

In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616625900

Wolfgang Wieland spricht jetzt für das Bündnis 90/

Die Grünen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616626000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute

hätte ich mir fast gewünscht, dass der Kollege Gehb zu
diesem Thema spricht. Gestern hat er über Mammogra-
fie gesprochen. Ich hätte es mir gewünscht, weil er im-
mer versucht, uns die rechtliche Einordnung von sexuel-
len Dingen zu präsentieren.


(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)


Ob es passt oder nicht: Er versucht es immer. Die Frage,
was nun Sexualdaten mit der Abwehr terroristischer Ge-
fahr zu tun haben, hat hier noch niemand erklären kön-
nen; auch der Kollege Gunkel nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Es wird immer gesagt, dass es sich um eine Schutz-
vorschrift handelt. Damals in der Fragestunde hat Herr
Bergner zu den Fragen, wer die Daten sammelt und in
welcher Datei sie zu finden sind, nichts sagen können.
Wenn dieser Art. 12 wirklich eine Schutzvorschrift wäre,
müsste er wie folgt lauten:

Personenbezogene Daten, aus denen die Rasse oder
ethnische Herkunft, politische Anschauungen, reli-
giöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mit-
gliedschaft in Gewerkschaften hervorgeht oder die
die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen, dür-
fen nicht übermittelt werden.

Das wäre eine klare Schutzvorschrift.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])


Stattdessen wird hier gesagt: nur wenn die Daten be-
sonders relevant sind. Was soll denn das? Werden denn
sonst irrelevante Daten übermittelt? Natürlich sollen nur
relevante Daten übermittelt werden, und irgendwelchen
Amtsleuten ist es vorbehalten, sexuelle Orientierung,
Gewerkschaftszugehörigkeit oder sonst etwas an die
USA zu übermitteln. Ihr Gewerkschaftsvorsitzender Mi-
chael Sommer liegt da richtig, das GdP-Mitglied Wolf-
gang Gunkel liegt da leider völlig falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])


Die allererste Frage, die sich einem stellt, lautet doch:
Warum macht das die Bundesrepublik im Alleingang?
Wie hat man sich den Mund zerrissen, als die Tschechen
ein ähnliches Separatabkommen zum Visumverfahren
Ende Februar abgeschlossen haben! Da hieß es: Warum
ein Alleingang? Warum nicht im Konzert mit den ande-
ren EU-Staaten? Nun geht man hin, schließt mit den
USA ein Abkommen und hat noch die Chuzpe, an des-
sen Anfang zu schreiben, die anderen EU-Mitglieder
sollten sich dieses zum Vorbild nehmen und auch diesen
Weg gehen. Gehen Sie einmal nach Brüssel und reden
Sie mit den Mitgliedern der Kommission darüber, wie






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
das dort aufgefasst wurde: erstens als Affront und zwei-
tens als Schwächung der europäischen Position gegen-
über den USA. Das ganze Ding gehört in den Papierkorb
und darf keinesfalls vom Bundestag ratifiziert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Eine weitere Frage muss man stellen, auch wenn die
USA natürlich unsere Verbündeten sind: Gab es da nicht
gewisse Probleme in den letzten Jahren? Warum tagt
denn hier seit Jahr und Tag ein Untersuchungsaus-
schuss?


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das frage ich mich auch!)


– Sie wussten es einmal besser, Kollege Benneter, und
haben da auch einmal sehr kritische Fragen gestellt, zum
Beispiel, ob es denn sein kann, dass aufgrund von Daten-
weitergabe durch deutsche Behörden ein Herr Zammar
in Marokko gekidnappt oder anderswie gefangen ge-
nommen wird und dann in Damaskus im Gefängnis lan-
det, wo er heute noch sitzt.


(Ralf Göbel [CDU/CSU]: Die Daten wurden aber von Ihnen weitergegeben!)


Die Frage ist also, ob wir gegenüber den USA deswe-
gen nicht besondere einschränkende Sicherheitsstan-
dards brauchen. Aber statt hieraus endlich einmal die
Konsequenzen zu ziehen, machen Sie das Gegenteil. Sie
machen alle Aktenschränke und alle Dateien zugänglich
und schlagen ein Abkommen vor, das die Daten hem-
mungslos fließen lässt.


(Ralf Göbel [CDU/CSU]: Das hat Joschka Fischer gemacht!)


Das ist doch geradezu unglaublich. Ein gegenteiliges
Verhalten wäre gegenüber den USA nötig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Wolfgang Gunkel [SPD]: Brechen wir die Beziehungen zu den USA ab!)


– Wir werden die Beziehungen zu den USA nicht abbre-
chen.

Es ist sogar richtig, sich über solche Dinge zu unter-
halten, aber bitte im europäischen Rahmen und nicht im
Alleingang. Von den Rendition-Fällen waren ja auch an-
dere europäische Staaten betroffen. Das Europaparla-
ment, auch Abgeordnete Ihrer Fraktion, hat sich damit
deutlich kritischer – ich erinnere an Herrn Kreissl-
Dörfler und andere – befasst, als Sie es hier tun. Es ist
doch wohl nicht normal, dass Menschen in Europa ge-
kidnappt und irgendwohin verbracht werden, die Euro-
päer dann aber einen Keil zwischen sich treiben lassen
und einzeln entsprechende Abkommen mit den USA
abschließen. Die USA gehen hier nach dem Motto:
„Divide et impera!“ vor, und wir sagen: Bitte, bitte, liebe
USA, hier habt ihr unsere Daten. Wir stellen all das, was
wir wissen, zur Verfügung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


So kann es nun wirklich nicht laufen.
Dieses Abkommen – ich wiederhole mich – gehört in
den Reißwolf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616626100

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/9094 und 16/9360 an die in der Ta-
gesordnung vorgesehenen Ausschüsse vorgeschlagen. –
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und b
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe-
auftragten für den Datenschutz und die Informa-
tionsfreiheit

Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des Bundes-
beauftragten für den Datenschutz und die In-
formationsfreiheit – 21. Tätigkeitsbericht –

– Drucksache 16/4950 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbe-
auftragten für den Datenschutz und die Informati-
onsfreiheit

Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für
die Jahre 2006 und 2007

– Drucksache 16/8500 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für. Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
der Kollegin Beatrix Philipp für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1616626200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich gebe zu, es ist nach der gestrigen Debatte
über die Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom
schwierig, heute über bereits abgeschlossene Vorgänge
aus den Jahren 2005 und 2006 zu sprechen. Hinzu
kommt, dass die Vorgänge bei der Telekom von solch
ungeheurer krimineller Energie zeugen, dass eigentlich
für jeden klar ist: Auch der Gesetzgeber ist nicht in der
Lage, jeden Missbrauch und jede Form kriminellen Ver-
haltens auszuschalten und auszuschließen.

Die FAZ hat daher am 3. Juni in bemerkenswerter Of-
fenheit ausgeführt:

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte, der die
Gelegenheit ergreift, die Vergrößerung seiner Be-
hörde zu fordern, könnte kriminellen Datenmiss-
brauch mit noch so vielen Kontrolleuren nicht ver-
hindern.

Ich glaube, das ist wahr. Aber wir müssen versuchen,
Missbrauch so weit wie eben leistbar schwierig bis un-
möglich zu machen. Wir müssen außerdem aus dem vor-
liegenden Bericht Konsequenzen ziehen, ohne irgend-
welchen Ergebnissen aus laufenden Untersuchungen
vorgreifen zu wollen.

Ich weiß nicht, wie Sie auf den Skandal bei der Deut-
schen Telekom reagiert haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Mit Empörung!)


Mir schoss durch den Kopf: Es ist ungeheuerlich, dass in
diesem großen Unternehmen mit Tausenden von Mitar-
beitern ein so eklatanter Verstoß so lange Zeit unbemerkt
geblieben ist. Man kann sicherlich davon ausgehen, dass
es eine Reihe von Mitwissern gegeben hat. Diese Tatsa-
che wiederum lässt ein kleines, aber feines Kapitel aus
dem vorliegenden Bericht in einem besonderen Licht er-
scheinen. Ich zitiere aus dem Kapitel 3.3.1 mit dem Titel
„Whistleblowing – Richtiger Umgang mit Insidertipps“:

Gründe für die Einrichtung solcher Hotlines sind
– neben der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben –
auch eigene Unternehmensinteressen an der Aufde-
ckung rechtswidrigen Handelns und ethisch vor-
werfbarer Verhaltensweisen.

Der Düsseldorfer Kreis – jetzt wird es spannend – be-
fasst sich mit genau dieser Problematik in einem
Arbeitskreis, weil eben auch dieses interne Verfahren
– man höre und staune – „datenschutzkonform“ gestaltet
werden muss. Es ist fast skurril, dass auch das Meldever-
fahren – im Falle der Telekom betrifft dies den kriminel-
len Umgang mit Daten – dem Datenschutz unterliegt
und dementsprechend datenschutzkonform sein muss.
Das wirft natürlich schon die Frage auf, ob wir uns gene-
rell mit unserer Datenschutzgesetzgebung auf dem rich-
tigen Weg befinden.


(Jörg Tauss [SPD]: Audit!)


– Herr Tauss, auch das Audit hätte nicht geholfen. Der
Datenschutzbeauftragte hat gestern im Ausschuss er-
klärt, er sei regelmäßig bei der Telekom gewesen und
habe regelmäßig überprüft. Sie wissen genauso gut wie
ich, dass nur ein Insider die Schwächen und Fehler sei-
nes Unternehmens kennt. Es war immer ein Argument
von uns gegen das Audit, dass nämlich derjenige, der
von außen kommt, sich in einer erheblich schwächeren
Position befindet als der Insider. Das Audit hätte nicht
geholfen, weil es nur darauf abzielt, sicherzustellen, dass
Gesetze eingehalten werden. Dies kann man aber auf an-
deren Wegen erreichen.

Auch das will ich ehrlicherweise sagen: Ein Unter-
nehmen wie die Telekom könnte mit dieser Angelegen-
heit auf freiwilliger Basis locker umgehen. Wir haben in
unserem gemeinsamen Entschließungsantrag gesagt,
dass ein Audit freiwillig und unbürokratisch möglich ist.
Wenn wir dies aber flächendeckend und für alle verbind-
lich machen würden, würden wir den Mittelstand in
Deutschland in erheblichem Maße belasten. Das würde
zu weiteren Standortnachteilen führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Im Gegenteil!)


Ich will zu der Überlegung zurückkommen, ob wir
uns, was die immer engmaschiger werdende Kontrolle
im Rahmen des Datenschutzes angeht, auf dem richtigen
Weg befinden und ob man nicht einmal in einem Teilbe-
reich einen anderen Weg beschreiten sollte.

Wir hatten einmal gemeinsam eine etwas breiter an-
gelegte Anhörung durchgeführt. Damals hat der Sach-
verständige Professor Dr. Abel einen Gedanken ent-
wickelt, den ich nach wie vor für richtig und für
ausgesprochen interessant halte. Er hat eine Konkretisie-
rung des Wettbewerbsrechts dahin gehend gefordert,
dass datenschutzrechtliche Verstöße und auch das Unter-
lassen datenschutzrechtlich erforderlicher Maßnahmen
als unlauterer Vorsprung durch Rechtsbruch anzusehen
und mit einem wettbewerbsrechtlichen Instrumentarium
zu ahnden sei. Dass eine solche Bestimmung nicht zu-
letzt im Interesse eines redlichen Geschäftsverkehrs lie-
gen würde, würde natürlich ein Grund dafür sein. Ein
weiterer Grund wäre, dass dies den bürokratischen Auf-
wand im Zusammenhang mit dem Datenschutz erheblich
reduzieren würde.

Meine Damen und Herren, wir haben vor etwas mehr
als einem Jahr hier die gemeinsame Entschließung zum
20. Tätigkeitsbericht debattiert. Wir sind auch jetzt auf
dem Wege, zu einer gemeinsamen Entschließung zu
kommen. Ich finde das bemerkenswert und bin ein biss-
chen stolz darauf, dass es bei aller Unterschiedlichkeit in
der Auffassung vom Datenschutz doch auch Gemeinsa-
mes gibt und man der staunenden Bevölkerung eine ge-
meinsame Auffassung präsentieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dazu gehört sicherlich, dass wir über den für Miss-
brauchsfälle gültigen Bußgeldrahmen nachdenken und
zu einem Ergebnis kommen werden.

Gestern hat der Bundesdatenschutzbeauftragte im
Ausschuss sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass nicht
einmal die Bußgeldvorschriften im Bundesdatenschutz-
gesetz und im Telekommunikationsgesetz einheitlich






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp
sind. Das ist nicht in Ordnung. Die Beträge, die wir im
geltenden Recht vorgesehen haben, wirken, wie man bei
der Telekom sieht, in keinem Falle wirklich abschre-
ckend. Darüber muss also sicherlich diskutiert werden.

Wir werden im Hinblick auf die Einführung eines Au-
dits – ich muss nach wie vor sagen, dass die Telekom ein
Beweis dafür ist, dass das Audit, anders als es immer
verkauft wird, kein Allheilmittel ist – dabei bleiben, es,
wie wir es letztens beschlossen haben, freiwillig und un-
bürokratisch auf den Weg zu bringen.

Schließlich: Es gibt eine Menge von Beispielen im
Tätigkeitsbericht, den wir im Ausschuss noch intensiv
besprechen werden. Beim Fluggastdatenabkommen mit
den USA haben wir die Hausaufgaben gemacht. Es wird
um das Thema RFID gehen. Dort wird es wieder zu ei-
ner Abwägung zwischen dem Nutzen und den Chancen,
die mit neuen Technologien verbunden sind, und daten-
schutzrechtlichen Bedenken kommen.

Sicherlich wird wieder die Onlinedurchsuchung auf
der Tagesordnung stehen; dazu ist eben schon ausführ-
lich gesprochen worden. Dabei müsste es ein gemeinsa-
mes Anliegen sein, der Bevölkerung zu sagen, was mit
Onlinedurchsuchungen wirklich verbunden ist. Ich habe
heute nur so im Vorbeigehen gesehen, dass es eine Um-
frage von Forsa gibt. Es ist ja abenteuerlich, was die
Leute glauben, was mit Onlinedurchsuchungen verbun-
den ist oder verbunden sein kann. Das heißt, dass sie
über Details, über die Bedingungen und den engen Rah-
men, in dem eine Onlinedurchsuchung überhaupt statt-
finden kann, nicht informiert sind. Es müsste eigentlich
ein Anliegen aller hier in diesem Hause sein, das deut-
lich zu machen.

Man soll ja nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen;
aber es ist doch toll, dass sich Innenminister
Dr. Schäuble dafür verteidigen muss, dass er sich dafür
einsetzt, dass die Durchführung von Onlinedurchsu-
chungen in Form eines Gesetzes geregelt werden soll,
während sein Vorgänger, Innenminister Schily, der Auf-
fassung war, dass eine Verordnung ausreiche. Sie alle
wissen, dass wir uns über Wochen und Monate bemüht
haben, Staatssekretär Diwell im Innenausschuss zu be-
fragen, wie das eigentlich abgegangen ist. Es ist uns
nicht gelungen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten ihn doch herbeizitieren können, mit uns zusammen! Nur, diesen Mut hatten Sie nicht!)


Ich will es noch einmal sagen: Während Innenminister
Dr. Schäuble sagt: „Wir brauchen dafür ein Gesetz“, hat
Innenminister Schily die Auffassung vertreten, dass eine
Verordnung ohne Beteiligung des Parlamentes für die
Durchführung von Onlinedurchsuchungen ausreiche. So
lange ist das noch nicht her, als dass uns das nicht noch
gut im Gedächtnis wäre.

Es ist noch viel zu sagen; aber die Redezeit ist schnell
um. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass ich es für
sehr erfreulich halte, dass der Bundesdatenschutzbeauf-
tragte, der auch für das Informationsfreiheitsgesetz zu-
ständig ist, der Auffassung ist, dass den meisten Infor-
mationsbegehren der Bürgerinnen und Bürger
stattgegeben wurde. Wie gesagt, es ist noch viel zu die-
sem Bericht zu sagen. Wir werden das im Ausschuss tun
und sind natürlich deswegen mit der Überweisung ein-
verstanden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616626300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Piltz für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1616626400

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Herr Schaar hat gleich zwei Tätigkeitsberichte
vorgelegt: einen zum Datenschutz und einen zur Infor-
mationsfreiheit. Beide Berichte lassen aus unserer Sicht
deutlich erkennen, von welch grundlegender Bedeutung
die kritische Begleitung dieser Themen durch eine unab-
hängige Stelle ist.

Ich möchte mich ausdrücklich bei Herrn Schaar sowie
bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die ge-
leistete Arbeit bedanken. Wer regelmäßig im Innenaus-
schuss zu Gast war, durfte im Zusammenhang mit den
sogenannten Postdaten miterleben: Erst der Bericht des
Bundesdatenschutzbeauftragten war fundiert genug, um
uns darüber in Kenntnis zu setzen, was da überhaupt
passiert ist. Leider war auch nach dreifachem Nachfra-
gen bei den entsprechenden Ministerialbeamten keine
Klarheit zu bekommen. Der Behörde gebührt unser herz-
licher Dank.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In einer modernen Informationsgesellschaft ist ein In-
formationsfreiheitsgesetz unerlässlich. Seit Inkrafttreten
dieses Gesetzes im Januar 2006 müssen Bundesbehör-
den und sonstige öffentliche Stellen des Bundes Bürgern
Akteneinsicht bzw. Auskünfte gewähren. Ich bitte dieje-
nigen, die hier zuschauen – vielleicht haben Sie davon
noch nicht gehört; die Bundesregierung macht es nicht
öffentlich, weil es ihr nicht so ganz in den Kram passt –:
Machen Sie davon Gebrauch! Fragen Sie nach, wenn Sie
etwas interessiert! Amtsgeheimnisse bzw. beschränkte
Aktenöffentlichkeit gehören nicht zu einer modernen
Verwaltung.

Die geäußerten Befürchtungen haben sich nicht be-
wahrheitet. Weder ist eine Verwaltung untergegangen
noch gab es eine Flut von Anträgen; all das ist nicht ein-
getreten. Dennoch zeigt sich nach knapp zweieinhalb
Jahren, dass das Gesetz verbesserungsbedürftig ist. Dazu
gehört aus unserer Sicht auch, dafür zu sorgen, dass sich
die Behörden bei Auslegungsfragen nicht scheuen, die
Beratungshilfe des Informationsbeauftragten in An-
spruch zu nehmen. Wir brauchen eine Fragekultur in den
Behörden. Das vermeidet Ärger, geht im Zweifel schnel-






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
ler und spart unnötige Bürokratie. Das ist eine gute Sa-
che.


(Beifall bei der FDP)


Im Tätigkeitsbericht zum Datenschutz kommt deut-
lich zum Ausdruck, dass die Bundesregierung vor allem
eine Antwort auf die technischen Entwicklungen hat:
möglichst umfassende Überwachung, von der vorwie-
gend Unverdächtige betroffen sind. Wir haben gerade
schon über einen anderen Aspekt gesprochen; hinzu
kommen die Vorratsdatenspeicherung, die Fluggastda-
tenübermittlung, biometrische Daten in Pässen und bald
auch in Personalausweisen oder der vorgelegte Entwurf
eines BKA-Gesetzes, das die Möglichkeit zu heimlichen
Onlinedurchsuchungen schafft.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sonst macht es keinen Sinn!)


Frau Kollegin Philipp, das ist der Unterschied: Die On-
linedurchsuchungen dürfen heimlich sein.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Aber unter genau genannten Bedingungen!)


Das hat es in unserem Rechtsstaat bisher nicht gegeben:
heimliche Durchsuchungen. Das ist eine ganz neue Qua-
lität. Das können Sie nicht einfach so abtun.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
wird immer weiter beschnitten. Die Bundesregierung ist
auf dem Weg, den gläsernen Bürger zu schaffen. Aus
unserer Sicht muss sich der Bundestag dringend mit den
rasanten Entwicklungen bei den Technologien ausei-
nandersetzen und ihnen neue Regelungen im Bundesda-
tenschutzgesetz entgegensetzen. Da muss die Bundesre-
gierung endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen.

Auch in der Bundesverwaltung müssen Vorkehrungen
getroffen werden – das wird im Bericht deutlich –, um
vertrauliche Daten ausreichend zu sichern. Das war lei-
der nicht immer der Fall. Nach einer Kleinen Anfrage
unserer Fraktion hat sich herausgestellt, dass Hunderte
von Festplatten und Computern der Bundesverwaltung
einfach verloren gegangen sind. Ich weiß nicht, was Sie
machen, wenn Ihnen ein Computer verloren geht. Es
verschwinden also nicht nur in Großbritannien, sondern
auch hier Daten. Ich möchte gar nicht wissen, wer diese
Daten in die Hände bekommen hat. Ich finde, darum
muss man sich kümmern. Es ist nicht so, als könne so et-
was in Deutschland nicht passieren; es passiert jeden
Tag. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie et-
was dagegen tut.

Ich begrüße ausdrücklich die umfangreichen Ausfüh-
rungen im Tätigkeitsbericht zum Sozialdatenschutz. Ge-
rade in diesem Bereich wissen die Betroffenen oft nicht,
an wen sie sich wenden sollen. Der Bericht macht deut-
lich, dass der Datenschutzbeauftragte häufig einen ret-
tenden Anker für die Betroffenen bietet. Wir sollten da-
für sorgen, dass kein Rettungsanker nötig ist.

Nicht nur der Staat, sondern auch Private sammeln
Daten; Kollegin Philipp hat es eben schon gesagt. Durch
Einführung eines Datenschutzaudits würde auf jeden
Fall ein Teil des verloren gegangenen Vertrauens der
Bürgerinnen und Bürger zurückgewonnen werden. Es ist
wirklich ein Armutszeugnis, dass es auch die Große Ko-
alition seit fast drei Jahren nicht schafft, es einzuführen.


(Beifall bei der FDP)


Schleswig-Holstein hat es uns vorgemacht: Dort ist das
Datenschutzaudit Realität; es funktioniert.

Ich teile nicht die Auffassung von Herrn Schaar und
des Düsseldorfer Kreises, dass Rechtsanwälte unbe-
grenzt auskunftspflichtig gegenüber Datenschutzkon-
trollinstanzen sein sollen; denn aus meiner Sicht kann es
nicht sein, dass Datenschutzkontrollinstanzen mehr
Rechte haben als Staatsanwalt und Gerichte bei straf-
rechtlichen Ermittlungen.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Daten-
schutz ist in unserer Informationsgesellschaft wichtiger
denn je. Wir fordern das Parlament auf, endlich eine Re-
naissance des Datenschutzes einzuleiten. Die Bürgerin-
nen und Bürger dieses Landes hätten das verdient.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Gunkel [SPD])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616626500

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss für die

SPD-Fraktion.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt auch eine Renaissance!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1616626600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Highlight und
Renaissance – ich freue mich über die Vorschusslorbee-
ren.


(Gisela Piltz [FDP]: Ich glaube, das haben Sie falsch verstanden!)


– Frau Piltz, Sie haben bisher noch nichts Nettes gesagt.
Sie haben aber noch die Möglichkeit dazu.

Wir diskutieren heute über zwei Berichte des Daten-
schutzbeauftragten zum Datenschutz und zur Informa-
tionsfreiheit. Auf Letzteres wird mein Kollege Bürsch
eingehen. An dieser Stelle will ich nur sagen: Es besteht
Handlungsbedarf. Eine ganze Reihe Abgeordneter nutzt
dieses Gesetz. Auch ich gehöre dazu. Es ist interessant,
dass wir nicht nur ein Gesetz gemacht haben, sondern
mittlerweile auch für die Literatur dazu sorgen. Von ei-
nem 17 000-seitigen Vertrag zum Thema Maut bekam
ich vom Ministerium zwischenzeitlich vier Seiten. Wen
das interessiert, dem gebe ich gern Akteneinsicht. Hier
sind die vier Blätter.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist nichts geschwärzt!)


Es gibt noch einiges zu tun, damit wir zu einer bürger-
freundlicheren, offeneren und transparenteren Verwal-
tung kommen, was im Sinn des Gesetzgebers war.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Das war das letzte Gesetz, das wir unter Rot-Grün,
übrigens mit Zustimmung der FDP – Dank dafür –,
durch Bundestag und Bundesrat gebracht haben.


(Gisela Piltz [FDP]: Ohne uns hätten Sie es nicht geschafft!)


– Gelegentlich kann man euch schon loben. Es ist ja
nicht alles schlecht, was ihr macht.


(Gisela Piltz [FDP]: Muss ich mir Sorgen machen?)


Eure Steuerkonzepte sind nicht so toll, aber in bürger-
rechtlicher Hinsicht können wir zueinanderfinden, auch
wenn ihr an der einen oder anderen Stelle übertreibt.

Der Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten ist
ein guter Bericht. Er zeigt, dass der Datenschutz in
Deutschland einen hohen Stellenwert hat. Allerdings ist
es bedauerlich – so empfinden das vor allen Dingen wir,
die wir uns in diesem Bereich seit vielen Jahren engagie-
ren –, dass es eines Skandals wie desjenigen bei der Te-
lekom bedurfte, damit dieses Thema auch öffentlich
Konjunktur bekommt. Ich hätte mir diese Öffentlichkeit
früher gewünscht. Ich erinnere mich an Begegnungen
mit dem einen oder anderen Journalisten; ich vermeide
es, jetzt Namen zu nennen. Ich möchte aber darauf hin-
weisen, dass mir ein Journalist, dem ich mit Datenschutz
kam, gesagt hat: Tauss, das hört sich sehr interessant an,
aber hast du denn kein Thema, das sexy ist? Im journa-
listischen Sinn galt Datenschutz nicht als sexy. Ich be-
dauere sehr, dass auch die Journalisten dazu beigetragen
haben, dass dieses Thema nicht öffentlich behandelt
wurde. Es gab kein Bewusstsein für die Wichtigkeit die-
ses Themas. Wenige Journalisten waren die Ausnahme;
ich nenne Herrn Prantl. Das Thema hat wieder Konjunk-
tur. Für uns ist das eine Chance, etwas zu verbessern.

Liebe Frau Kollegin Philipp, ich höre nicht auf, Sie
mit sanfter Stimme zu umwerben.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Lauter Drohungen!)


Ihre Position zum Thema Datenschutzaudit sollten Sie
einmal überprüfen. Es geht hier nicht um Pflicht. Wir
sollten uns einfach einmal zusammensetzen; das wäre
von Vorteil.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Hilfe!)


Das Bundesinnenministerium hat in vorbildlicher Weise
angefangen, an einem Gesetzentwurf zu arbeiten. Er
liegt im Moment in der Schublade. Herr Staatssekretär
Bergner, wir sind damit noch nicht so ganz zufrieden.
Die Koalition sollte in den nächsten Tagen zusammen-
kommen und den einen oder anderen Vorbehalt überwin-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Vielen Dank, an dieser Stelle kann ruhig geklatscht
werden, damit Frau Philipp nicht glaubt, Datenschutz sei
nur ein Hobby von mir.

Beim Datenschutzauditgesetz geht es in der Tat nicht
darum, Bürokratie zu schaffen, sondern darum, ein mo-
dernes Instrumentarium zu erreichen. Wir wissen, dass
wir bei einem in die Jahre gekommenen Bundesdaten-
schutzgesetz mit der technischen Entwicklung nicht
Schritt halten können. Die Entwicklung wird immer
schneller sein, als wir Gesetze machen können. Es geht
nicht darum, ein Gesetz für diejenigen zu machen, die
sich – das ist ja immer selbstverständlich – an die Ge-
setze halten. Wir wollen vielmehr denjenigen, die in be-
sonderer Art und Weise deutlich machen, dass sie mit
den sensiblen Daten, die ihnen übereignet worden sind,
verantwortungsbewusst umgehen, denjenigen, die sich
mit diesem Thema intensiv beschäftigen, sich Daten-
schutzkonzepte überlegen und das im Wettbewerb nut-
zen wollen, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber unseriö-
sen Dienstleistern gewähren. Ich glaube, das wäre der
beste Weg in Richtung eines besseren Datenschutzes.
Das ist das Beste, was wir erreichen können. Da sind wir
übrigens mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten einer
Meinung.

Liebe Frau Präsidentin, die Lampe am Rednerpult
leuchtet bereits. Meine Redezeit ist also beendet. Lassen
Sie mich aber noch leidenschaftlich in den Raum rufen:
Wir können hier mehr für Datenschutz tun!

Frau Piltz, wenn aus den Ländern, in denen die FDP
mitregiert, die Ideen, die Sie hier vorgetragen haben, et-
was häufiger oder überhaupt einmal über den Bundesrat
vorgelegt würden, dann hätten wir eine zusätzliche
Chance für einen besseren Datenschutz in Deutschland.


(Gisela Piltz [FDP]: Das haben Sie schon gestern gesagt!)


An dieser Stelle hoffe ich ausnahmsweise auf die FDP,
an anderen Stellen nicht ganz so.


(Gisela Piltz [FDP]: Wenn Ihnen nichts Neues einfällt!)


Sie können bestimmt irgendwann einmal koalieren.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616626700

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege

Jan Korte.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616626800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Tauss, wenn Sie etwas Gutes für den Daten-
schutz in diesem Lande machen wollen, dann rate ich
dringend davon ab, sich in der Koalition zusammenzu-
setzen. Denn wenn Sie zusammensaßen, ist bisher im-
mer nur Schlechtes für den Datenschutz herausgekom-
men. Das kann man nach knapp drei Jahren schon
beurteilen. Deswegen setzen Sie sich besser nicht zu-
sammen.

Interessant an dieser Debatte, die wir jetzt haben, ist,
dass es nach den Fällen Lidl, Telekom usw. einen öffent-
lichen Druck gibt, wie es ihn noch nie gegeben hat. Ich
glaube, dass wir hier uns alle darin einig sind, dass wir
über die kriminelle Energie empört sind. So weit, so gut.






(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte
Das Trennende beginnt an dem Punkt, dass ich
glaube, dass Ihre Empörung ein Stück weit geheuchelt
ist.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Ach!)


Denn das politische Kernproblem ist, dass Ihre Maßnah-
men und Ihre Gesetze, insbesondere die Vorratsdaten-
speicherung, die Sie in den letzten drei Jahren verab-
schiedet haben, durch diese Skandale in Misskredit
geraten sind und gesellschaftlich nicht mehr getragen
werden.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das hat damit nichts zu tun!)


Das ist der Kern des Problems. Deswegen finde ich es
notwendig, dass wir eine politische Debatte darüber füh-
ren, was für eine Sicherheitsarchitektur wir wollen.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist wieder eine Nebelbombe! Das stimmt überhaupt nicht!)


Was für ein Niveau von Datenschutz wollen wir? Das ist
eine politische Entscheidung.

Der Bundesbeauftragte, Peter Schaar, hat ein paar
Vorschläge dazu gemacht. Interessant ist – soweit ich die
Berichte gelesen habe –, dass allein in den letzten drei
Jahren der Bundesbeauftragte für den Datenschutz drei-
mal aufgefordert hat, endlich ein Arbeitnehmerdaten-
schutzgesetz vorzulegen. Nichts ist geschehen, obwohl
er dies in den letzten drei Jahren in jedem Bericht gefor-
dert hat.

Deswegen glaube ich, dass es in der nächsten Sit-
zungswoche an der Zeit wäre – Sie haben das BKA-Ge-
setz, Stichwort „Onlinedurchsuchung“, auf die Tages-
ordnung gesetzt –, noch einmal in sich zu gehen und
– das sage ich insbesondere an die SPD gewandt – zu
überlegen,


(Jörg Tauss [SPD]: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben Sie gelesen?)


ob man das so weiter mitmachen und sich von Minister
Schäuble und der Law-and-Order-Fraktion treiben las-
sen will. Sie müssen entscheiden, was Sie wollen.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Law and Order? Ist das etwas Schlechtes?)


Solche Überlegungen fände ich äußerst interessant. Mit
der Union kann ich ja umgehen, weil ich weiß, was
kommt. Bei jedem Gesetz, das vorgelegt wird, weiß ich,
was darin steht: Es ist nicht gut und bedeutet eine Ver-
schärfung der inneren Sicherheit. Damit kann ich umge-
hen. Bei der SPD weiß ich es leider nie.


(Wolfgang Gunkel [SPD]: Das ist das Gute! Immer offen!)


Das ist ja das Problem. Sie sagen erst, Sie würden etwas
nicht mitmachen, machen es dann aber trotzdem. Da-
durch wird es schwierig.

Der Kern der Auseinandersetzung ist – das ist in der
Tat eine Auseinandersetzung mit den Konservativen –
das Gesellschaftsbild, das man hat. Hat man ein Bild von
einer offenen Gesellschaft, von mündigen, aufrecht mar-
schierenden Bürgerinnen und Bürgern, die sich nichts
sagen lassen?


(Ralf Göbel [CDU/CSU]: Wie Herr Gysi es hatte?)


Ist das das Bild, das man will? Oder – das ist das Pro-
blem der Konservativen in den letzten 200 Jahren – ist
Ihnen die offene Gesellschaft suspekt?


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Falsch!)


Misstrauen allseits – das ist das konservative Bild der
letzten 200 Jahre.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Immer noch falsch!)


Darüber sollten wir streiten.

Denn eines ist klar: Wenn man die offene Gesell-
schaft, den aufrechten Gang, Aufmüpfigkeit und Unge-
horsam will – das wollen zumindest wir –, dann muss
man die Privatsphäre sichern und schützen, damit die
Menschen einen Rückzugsraum haben, in dem sie sich
zum Beispiel überlegen können, wie sie in der nächsten
Woche in der Gesellschaft aufmüpfig agieren. Das ist Ih-
nen suspekt. Wir hingegen finden das total klasse. Des-
wegen trennen sich unsere Gesellschaftsbilder.


(Beifall bei der LINKEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Ohne rot zu werden!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616626900

Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn hat ihre Rede

zu Protokoll gegeben.1)

Damit hat als letzter Redner in dieser Debatte das
Wort der Kollege Dr. Michael Bürsch für die SPD-Frak-
tion.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1616627000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Werte Freunde und Förderer des Datenschutzes! Ich
nehme mit großer Genugtuung zur Kenntnis, dass aus
den vier oder fünf, die sich vor zehn Jahren für Daten-
schutz interessiert haben, jetzt schon fast vierzig gewor-
den sind.


(Jörg Tauss [SPD]: 55 demnächst!)


Das ist ein gutes Zeichen; das ist ein hoffnungsvolles
Zeichen für den Datenschutz. Herr Kollege, man darf die
Hoffnung nie aufgeben.

Die Schweden haben das Informationsfreiheitsgesetz
schon vor 200 Jahren gehabt. Die CDU hat es jetzt. Inso-
fern ist die CDU in der Frage der offenen Gesellschaft
bei uns. Das entnehme ich zumindest der heutigen De-
batte und dem Bericht des Informationsfreiheitsbeauf-
tragten.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber 200 Jahre zu spät, wenn ich Ihnen folgen darf!)


1) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch
Wir haben das Informationsfreiheitsgesetz. Ich mache
dazu drei Bemerkungen:

Erstens. Es ist gut, dass wir das Gesetz haben und
dass alle in diesem Haus dieses Gesetz auch befürwor-
ten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben damit ein großes Stück des Wegs aufgeholt.
Wir waren eines der drei letzten Länder von allen indus-
trialisierten Ländern, die ein solches Gesetz noch nicht
hatten. Wir haben es seit dem 1. Januar 2006. Damit ist
der uralte Grundsatz der Amtsverschwiegenheit, der vor-
her lange Zeit galt, durch das Prinzip der Transparenz
und auch durch das Prinzip der offenen Gesellschaft er-
setzt worden, Herr Kollege Korte. Insofern ist das der
Anschluss an die moderne Zeit des 21. Jahrhunderts, den
wir damit geschafft haben.


(Ralf Göbel [CDU/CSU]: Aber Herr Tauss hat seine Unterlagen immer noch nicht!)


Zweitens. Das Gesetz hat sich im Prinzip bewährt.
Das ist nicht meine eigene Einschätzung. Ich kann mich
hier auf eine neutrale Instanz berufen. Das ist die Bewer-
tung des Beauftragten für die Informationsfreiheit, der in
Person gleichzeitig der Datenschutzbeauftragte ist. Er
hat in seiner ersten Bilanz deutlich geschrieben: Im Prin-
zip hat sich das Gesetz bewährt. Die Befürchtungen, die
damals von vielen Seiten – unter anderem von der Wirt-
schaft – geäußert wurden, weil sie sich dem vielleicht
noch nicht öffnen konnten, haben sich nicht bewahrhei-
tet. Die deutsche Verwaltung wurde nicht lahmgelegt;
das war eine der Befürchtungen. Eine weitere Befürch-
tung war, jetzt rolle eine Riesenwelle von Anträgen auf
Information auf die Verwaltung zu und sie könne nichts
anderes mehr tun, außer diese Anträge zu bearbeiten.
Nein, die Welle war überschaubar. Im Jahr 2006 gab es
rund 2 300 Anträge. Im Jahr 2007 waren es nur noch
1 250 Anträge. An dieser Stelle muss man vielleicht der
Frage nachgehen, woran dies lag. War dies nur eine so-
genannte Delle? Wird im Jahr 2008 wieder eine Aufsto-
ckung erfolgen? Ich hoffe nicht, dass es bedeutet, dass
im Jahr 2006 schon der Höhepunkt der Nachfrage nach
Informationen erreicht wurde.

Es wurde ebenfalls die Befürchtung geäußert, die Ge-
bühren könnten abschreckend wirken. Das ist nicht pas-
siert. Zu Beginn gab es ein bis zwei Fälle, in denen deut-
lich zu hohe Gebühren erhoben worden sind. In diese
Fälle hat sich der Beauftragte für Informationsfreiheit
eingeschaltet. Das ist inzwischen behoben. Somit ist das
eingetreten, was wir 2005 in das Gesetz geschrieben ha-
ben: Die Gebühren dürfen in keinem Fall abschreckend
wirken.

Drittens. Die Umstellung in den Köpfen mag noch
Zeit – vielleicht noch einige Jahre – brauchen. Das kann
man aus dem Bericht des Informationsfreiheitsbeauf-
tragten ebenfalls herauslesen. Für manche in der Verwal-
tung ist es schon eine Umstellung, dass jeder Bürger
diese Informationen verlangen kann. Hier müssen wir
Zeit geben. Weiterhin ist vielleicht ein wenig häufig von
den Ausnahmeregelungen Gebrauch gemacht worden.
Es wurde darauf verwiesen, dass es sich bei den nachge-
fragten Informationen um ein Betriebsgeheimnis oder
um ein Geschäftsgeheimnis handelte. Bei der Anfrage
des Kollegen Tauss ist wahrscheinlich darauf Rücksicht
genommen worden, dass ein Abgeordneter vielleicht ge-
rade die Zeit hat, vier Seiten zu lesen, dass er für das Le-
sen von 17 000 Seiten während seiner aufreibenden Ar-
beit von 70 Stunden in der Woche wahrlich keine Zeit
hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich würde mir das angucken!)


Wir werden hier nachhaken. Lieber Jörg, vielleicht be-
kommst du jetzt jede Woche vier Seiten. Ich lese sie
dann gern mit.

Die Ausnahmeregelungen sollen wirklich nur als
Ausnahme gehandhabt werden. Meine Überzeugung ist:
Informationsfreiheit ist ein Bürgerrecht. Das hat etwas
damit zu tun, dass wir eine offene Gesellschaft sind und
dass wir Bürgerengagement fördern wollen. Wer eine
Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern will, der muss
ihnen das Recht auf Information geben. Wer sich beteili-
gen will, der muss auch wissen, worum es geht. Insofern
ist die Informationsfreiheit die andere Seite der Me-
daille.

Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir wer-
den in drei Jahren eine Evaluation vornehmen. Ich hoffe,
dann sagen zu können: Das ist – dank der FDP – ein gu-
tes Gesetz, und die CDU ist mit im Boot. Das ist hervor-
ragend, so soll es weitergehen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616627100

Ich schließe nun die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/4950 und 16/8500 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Abzug der Bundeswehr aus Südafghanistan

– Drucksache 16/9418 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden
wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Paul Schäfer für die Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616627200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

kein alltäglicher Vorgang, dass sich der Wehrbeauftragte,
wie vor einigen Wochen geschehen, an den Verteidi-
gungsausschuss wendet und von großer Unsicherheit bei
Soldaten des Fernmeldebataillons in Wesel berichtet, die
sich fragen, ob ihr Einsatz in Kandahar, in Südafghanis-
tan, rechtlich in Ordnung und mit dem Bundestagsman-
dat in Einklang zu bringen ist.

Der Punkt ist: Diese Soldaten sind weit über ein Jahr
ununterbrochen im Süden Afghanistans im Einsatz, und
die Zweifel, ob noch von einem befristeten Einsatz ge-
sprochen werden kann, sind mehr als berechtigt. Vor al-
lem: Jetzt soll das Mandat wieder verlängert werden,
von Juni bis August. Auf meine Nachfrage wurde geant-
wortet: In NATO-Kreisen geht man natürlich davon aus,
dass es weitere Verlängerungen geben wird. Im Mandat
des Deutschen Bundestages heißt es aber unmissver-
ständlich, dass deutsche Streitkräfte außerhalb des Ver-
antwortungsbereichs im Norden und außerhalb Kabuls
nur für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstüt-
zungsmaßnahmen eingesetzt werden dürfen. Daran ist
zu erinnern.

Das Bundesministerium der Verteidigung hat dem
Wehrbeauftragten geantwortet, dass deutsche Soldaten
zwar seit dem 16. Oktober 2006 für solche Unterstüt-
zungsmaßnahmen im Einsatz seien, dass das aber ein
zeitlich befristeter und im Umfang begrenzter Einsatz
sei. Außerdem könne die Kriegsführungsfähigkeit der
NATO im Operationsschwerpunkt Südafghanistan nur
durch den deutschen Beitrag sichergestellt werden.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Arme NATO! – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Was lernen wir daraus? Erstens. Es gibt Bundeswehr-
soldaten, die darauf bedacht sind, dass ihr Einsatz im
Rahmen des Rechts und des Bundestagsauftrags erfolgt
und die hinterfragen, ob dies tatsächlich in jedem Fall so
ist. Das ist gut.


(Maik Reichel [SPD]: Das ist gut so! – ErnstReinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Ja! Das ist richtig!)


– Ja, das ist gut so.

Das Zweite. Wir haben einen Wehrbeauftragten, der
dieses Unbehagen aufgreift und kritische Fragen an die
Bundesregierung weiterleitet.


(Maik Reichel [SPD]: Richtig! Dafür haben wir ihn ja!)


Auch das ist gut so.

Drittens. Aus der Antwort der Bundesregierung ergibt
sich, dass man wieder einmal – ich sage es vorsichtig –
im Grauzonenbereich operiert. Denn die geschilderte
Praxis ist meines Erachtens eindeutig nicht mit dem
Mandat des Bundestags vereinbar. Natürlich kann man
das Mandat immer wieder verlängern, sodass es jedes-
mal auf zwei oder drei Monate befristet ist, in der
Summe aber für eine Dauer von zwei Jahren gilt. Das ist
allerdings ein Rosstäuschertrick, den wir Ihnen nicht
durchgehen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der vierte Punkt – die betreffenden Soldaten werden
das nicht so gern hören; es muss aber gesagt werden –:
Die Bundeswehr leistet offensichtlich einen wichtigen
Beitrag zur Kriegsführungsfähigkeit der NATO im Sü-
den Afghanistans. Es gilt: kein moderner Krieg ohne
Fernmeldeverbindungen. Auch in diesem Fall ist das so.
Es gibt dort Fernmelder, denn ohne entsprechende Infor-
mationstechnik läuft nichts.

Unser Antrag zielt auf zwei Dinge ab. Erstens. Das
Parlament entscheidet über die Entsendung der Bundes-
wehr ins Ausland. Es legt den Auftrag und die Einsatz-
bedingungen genau fest. Die Praxis der dauerhaften
Stationierung von Soldaten in Kandahar steht im Wider-
spruch zu diesem Mandat. Hier geht es um die Wahrung
der Rechte des Parlaments.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb wollen wir, dass das Mandat für diesen Fern-
meldeeinsatz nicht verlängert wird und dass die deut-
schen Soldaten unverzüglich zurückgezogen werden.

Zum Zweiten – das ist der Hintergrund –: Die ver-
schiedenen Hilfsleistungen der Bundeswehr im Kampf-
gebiet Afghanistan, vermehrte Transall-Hilfsflüge, mehr
Soldaten in den Führungsstäben und die dauerhaft statio-
nierten Fernmelder in den entsprechenden NATO-Batail-
lonen bezeugen die zunehmende Verstrickung der Bun-
deswehr in die Kampfhandlungen im Süden des Landes.
Deutschland ist, um das zugespitzt zu formulieren, auch
Teil des schmutzigen Krieges in Afghanistan, der nach
wie vor viele, zu viele zivile Opfer fordert. Nicht zuletzt
aus diesem Grund kann die NATO mit dem Militärein-
satz nicht gewinnen. Der Abzug dieser Soldaten ist für
uns Linke Teil eins des Ausstiegs Deutschlands aus dem
Krieg in Afghanistan, zu dem wir die Bundesregierung
auffordern.

Wenn die Bundesregierung jetzt andere Signale sen-
det – der Herr Minister spricht von zehn Jahren oder län-
ger, die der Einsatz noch dauern könnte –, müssen Sie
wissen: Sie stärken damit den wachsenden Teil der Af-
ghaninnen und Afghanen, der fürchtet, dass sich die
NATO-Truppen dauerhaft in Afghanistan festsetzen. Sie
stärken damit auch diejenigen, die daraus den Schluss
ziehen, auf die andere Seite überzuwechseln.

Ich finde, das ist keine verantwortliche Politik. Es ist
doch genau das Problem, dass ein wachsender Teil der
Afghanen den Eindruck gewinnt, es mit einer Besat-
zungsmacht zu tun zu haben.


(Uta Zapf [SPD]: Echt? – Jürgen Herrmann [CDU/CSU]: Ihr seid Weltverbesserer ohne Ansätze von Lösungen!)


– Man kann das ignorieren. Wir finden, man sollte das
nicht ignorieren, sondern die richtige Schlussfolgerung
daraus ziehen. Sie kann nur darin bestehen, den Abzug
der Bundeswehr einzuleiten


(Uta Zapf [SPD]: Schmarrn!)







(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (Köln)

und stattdessen die wirtschaftliche und politische Auf-
bauhilfe, diplomatische Bemühungen um Frieden zu
stärken. Das ist unsere Position.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616627300

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der

Kollege Ernst-Reinhard Beck.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1616627400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Schäfer, der vorliegende An-
trag der Fraktion der Linken ist für mich Teil einer Raus-
Kampagne: raus aus Afghanistan, raus aus Kosovo, raus
aus der NATO.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit sind Sie allerdings wieder bei einer Ohnemichel-
Kampagne; die 50er- und 80er-Jahre der alten Bundes-
republik lassen grüßen. Eine seriöse Auseinandersetzung
mit den drängenden Problemen ist dies nicht, von Lö-
sungen ganz zu schweigen.

Vordergründig – Sie haben das gerade ausgeführt –
geht es Ihnen heute um Einsätze in Südafghanistan.
Südafghanistan ist eine Region mit hoher Bedrohungs-
lage, eine Region, wo man als Otto Normalverbraucher
gemeinhin keine deutschen Soldaten vermutet; dies ist
sicherlich richtig. In Wirklichkeit geht es Ihnen aber da-
rum, die gesamte ISAF-Mission infrage zu stellen.


(Widerspruch bei der LINKEN)


– Frau Knoche, wenn Sie sagen: „Nein, überhaupt
nicht“, nehme ich das mit großer Freude zur Kenntnis.
Doch bisher schien der Tenor Ihrer Forderungen in diese
Richtung zu gehen. Sie versuchen nämlich den Eindruck
zu erwecken, die Bundeswehr bereite systematisch ein
Standbein in Südafghanistan vor, sie stationiere heim-
lich, am Parlament und an der Öffentlichkeit vorbei, grö-
ßere Truppenteile im Süden und sie verstoße last, but not
least – wenn dies zuträfe, wäre das in der Tat ein gravie-
render Verstoß – gegen das von uns im Deutschen Bun-
destag beschlossene Mandat. Diese Unterstellungen sind
allesamt falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage auch, warum. Vielleicht müssen wir auf ein
paar Dinge einmal näher eingehen. Wir haben als dritt-
größter Truppensteller den Einsatz auf den Norden und
auf die Hauptstadt Kabul beschränkt. Diesen Ansatz
halte ich nach wie vor für richtig und für erfolgverspre-
chend. Spekulationen über ein Engagement im Süden
halte ich für falsch und für abträglich.


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Wir werden es sehen!)


Die Bundeswehr wird im Süden – übrigens auch im
Westen und im Osten – nur dann eingesetzt, wenn es um
Unterstützungsmaßnahmen geht, und auch das nur, so-
fern diese zur Erfüllung des Gesamtauftrages der ISAF
unabweisbar notwendig und im Umfang regional be-
grenzt sind. Dies ist die Vorgabe.

In diesem Zusammenhang sind die deutschen Anteile
an NATO-Verbänden – das Fernmeldebataillon, um das
es geht, gehört zu einem NATO-Verband – im Mandat
explizit erwähnt. Wir haben es nicht mit einem nationa-
len Einsatz zu tun, wir haben es mit einem multinationa-
len Einsatz im Bündnis zu tun. Ich kann mir nicht vor-
stellen, da Soldaten abzuziehen und zu sagen: Die
gehören da nicht hin. Zum Funktionieren eines Einsatzes
mit 40 Nationen sind der Verbund und die Multinationa-
lität unbedingt und zwingend erforderlich.

Dies ist bei den erwähnten deutschen Soldaten auf
dem Kandahar Airfield durchaus der Fall. Die Soldaten
sind aus Bündnissolidarität im Süden stationiert. Lieber
Kollege Schäfer, sie sind nicht dauerhaft, sondern ledig-
lich zeitweilig dort. Darum wird der Einsatz ja auch im-
mer wieder von Vierteljahr zu Vierteljahr erneuert.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616627500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schäfer?


Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1616627600

Ich komme gleich zu der Zwischenfrage.

Ich habe natürlich auch mit dem Wehrbeauftragten
gesprochen. Herr Schäfer, möglicherweise beantworte
ich damit auch gleich Ihre noch nicht gestellte Frage.
Auf Anfrage des Wehrbeauftragten, der die von Ihnen
skizzierten Sorgen und Nöte von Soldaten vorgetragen
hat, erklärte das Verteidigungsministerium am 25. Fe-
bruar 2008 – ich zitiere –:

Die Erweiterung des ISAF-Operationsgebietes im
Jahr 2006 auf ganz Afghanistan und die damit ver-
bundene Aufstellung von fünf Regionalkommandos
erforderte die Ausweitung der Informations- und
Kommunikationstechnik, um so die Führungsfähig-
keit von ISAF umfassend zu sichern. Der Aufbau
der dafür erforderlichen Einrichtungen sowie der
Betrieb der Systeme wurde durch die NATO an ei-
nen zivilen Dienstleister vergeben. Trotz großer
Anstrengungen kommt es bis dato vor allem im
Raum Kandahar und weiter im Süden Afghanistans
zu erheblichen Verzögerungen. Das ist der Grund,
weshalb insbesondere im Feldlager Kandahar
Airfield die notwendige Führungsunterstützung
durch militärisches Personal sichergestellt wird.
Dieses militärische Engagement wird bis zur voll-
ständigen Auftragserfüllung durch den zivilen
Dienstleister aufrechterhalten.

Ich meine, wenn man das nicht im zivilen Bereich
schafft und man Führungsfähigkeit braucht, dann ist die
einzige Möglichkeit die, dass dies Soldaten tun. Wer
sonst als die Fernmelder sollte das denn tun?

Herr Kollege Schäfer, ich gebe Ihnen gerne die Mög-
lichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.






(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616627700

Herr Kollege, bitte.


Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616627800

Werter Kollege Beck, dann möchte ich Ihnen die Ge-

legenheit geben, einen Punkt klarzustellen. Sie haben ja
gesagt, diese Fernmelder seien Bestandteil eines NATO-
Bataillons, also eines integrierten Verbandes, und man
könne sie jetzt nicht beliebig herauslösen. Heißt das Ih-
rer Meinung nach, dass die Restriktionen, die der Bun-
destag in seinem Mandat festgeschrieben hat – zum Bei-
spiel hinsichtlich der zeitlichen Befristung –, in diesem
Falle nicht gelten und dass man sich einfach darüber hin-
wegsetzen kann?

Diese einfache Frage möchte ich beantwortet haben.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Hat doch keiner gesagt!)



Ernst-Reinhard Beck (CDU):
Rede ID: ID1616627900

Ich habe gerade versucht, klarzustellen, dass im

Wechsel und für kurze Zeiträume immer wieder andere
Soldaten mit Aufgaben betraut sind. Sie müssen auch
Bagram noch hinzurechnen. Zum Teil sind unsere Solda-
ten ein Vierteljahr lang für diesen Bereich verantwort-
lich. Dann sind es mehr, nämlich die von Ihnen genann-
ten 38. Wenn ich richtig informiert bin, sind es im
Augenblick nur 31. Wenn innerhalb des NATO-Batail-
lons andere Nationen in dieser Funktion unterstützt wer-
den, dann sind es wesentlich weniger, nämlich nur vier
oder fünf.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch keine Antwort!)


Ich möchte zum Schluss noch ein paar Anmerkungen
machen. Ich habe festgestellt, dass die Fernmeldesolda-
ten für diese Aufgabe selbstverständlich ordentlich vor-
bereitet wurden. Sie unterliegen natürlich – darüber sind
wir uns auch im Klaren – einer erhöhten Gefährdung.
Wie ich meine, hat die militärische Führung darauf ge-
achtet, die Chancen und Risiken dieses Einsatzes vor je-
der Entsendung gewissenhaft abzuwägen. Ihr Vorwurf
würde dann zutreffen, wenn man die Kontingente im
Grunde genommen ohne eine entsprechende Begren-
zung jeweils durcheinanderlaufen ließe.

Weil wir uns hinsichtlich der Fürsorge unserer Solda-
ten sicherlich einig sind: Diese turnusmäßigen Wechsel
sind für die Soldaten, die besonders belastet sind – Sie
haben darauf hingewiesen, und der Wehrbeauftragte hat
nicht umsonst danach gefragt –, natürlich auch im Hin-
blick auf die Planbarkeit außerordentlich wichtig. Man
muss sagen, wann ungefähr wieder ein solcher Bedarf
für diese Spezialisten besteht.

Neben der gerade beendeten Tätigkeit waren deutsche
Soldaten immer wieder lageabhängig und zeitlich eben-
falls befristet zur Verstärkung ihrer NATO-Kameraden
in Afghanistan im Einsatz. Sie haben schon gesagt
– man muss auch gar kein Geheimnis daraus machen –,
aus welchen Bereichen sie kommen. Das sind in der In-
stallation, im Netzwerk, in der Nutzerbetreuung, in der
Wartung, in der Reparatur und in der Versorgung einge-
setzte Leute. Wenn ich das so sagen darf: Das ist das
Parlakom des ISAF-Kommandos im Süden Afghanis-
tans. Es sind Spezialisten, die man auch hier nicht an je-
der Straßenecke findet.

Ich wiederhole: Alle bislang beantragten und nach
ministerieller Prüfung im jeweiligen Einzelfall durch
den Bundesminister der Verteidigung genehmigten Ein-
sätze deutscher Führungsunterstützungssoldaten in Süd-
afghanistan waren stets zeitlich befristet und stellten im
Umfang begrenzte sowie für den Gesamterfolg der ISAF
unabweisbare Unterstützungsmaßnahmen zum Erhalt
der Führungsfähigkeit dar. Wenn Sie in Ihrem Antrag
schreiben, dass Sie etwas gegen die Führungsfähigkeit
hätten, lehnen Sie damit im Grunde die Durchführbar-
keit militärischer Operationen völlig ab. Der soeben zu
Ende gegangene Einsatz erfüllte die genannten Krite-
rien, er war mandatskonform und nach meiner Auffas-
sung auch rechtlich zulässig.

Nach wie vor ist es das Ziel der NATO, das militäri-
sche Personal durch die zivile Komponente zu ersetzen.
Persönlich würde ich mich freuen, wenn entsprechend
der ursprünglichen Planung möglichst bald zivile Leis-
tungsträger eingesetzt würden. Herr Kollege Schäfer, um
es noch einmal zu sagen: Weil die zeitliche Perspektive
vorhanden ist, ist der Einsatz grundsätzlich nicht auf
Dauer, sondern lediglich für eine Übergangszeit ange-
legt.

Der Einsatz der deutschen Führungsunterstützungs-
soldaten und ihre Tätigkeit in Südafghanistan werden im
internationalen Umfeld sehr hoch eingeschätzt. Ohne
diesen Beitrag wäre es wahrscheinlich zu erheblichen
Einschränkungen bei der Führungsfähigkeit im Bereich
des Regionalkommandos Süd gekommen.

Lassen Sie mich mit zwei Bemerkungen schließen.
Erstens. Wir stehen zu unseren Bündnisverpflichtungen.
Wir bleiben verlässliche Partner. Wir stehen auch zu un-
serer Verantwortung für die Menschen in Afghanistan,
die nämlich wollen, meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen, dass wir bleiben, weil sie wissen, was die Alterna-
tive wäre und was dann auf sie zukäme. Wer jetzt für den
Abzug unserer Soldaten plädiert, lässt unsere Verbünde-
ten und damit auch die Menschen in Afghanistan im
Stich, und zwar mit unabsehbaren Folgen für unsere ei-
gene Sicherheit, von den Folgen eines Scheiterns für das
Bündnis ganz zu schweigen.

Zweitens. Der ISAF-Auftrag bezieht sich auf ganz
Afghanistan. Wir werden deshalb gemeinsam Erfolg
haben – was ich hoffe und wünsche – oder gemeinsam
scheitern. Regionale Erfolge wird es hier nicht geben. Es
war übrigens kein Politiker der Großen Koalition, son-
dern der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer, der
Anfang Mai vorhersagte, die Bundeswehr werde bald
auch im gefährlichen Süden Afghanistans kämpfen müs-
sen. Ich teile diese Einschätzung ausdrücklich nicht.

Im Übrigen lehnen wir den Antrag der Fraktion Die
Linke ab.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616628000

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit

Homburger.


(Beifall bei der FDP)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1616628100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Fraktion Die Linke hat wieder einmal den
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan beantragt. Das
ist nichts Neues. Deswegen beschränke ich mich hier auf
die Tatsachen.

Die erste Tatsache ist, dass es ein Mandat gibt. In die-
sem ISAF-Mandat ist der Einsatz von Bundeswehrsolda-
ten außerhalb des Nordgebiets und Kabuls erlaubt, und
zwar in der ISAF-Region West sowie in anderen Regio-
nen für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstüt-
zungsmaßnahmen, sofern diese zur Erfüllung des ISAF-
Gesamtauftrags unabweisbar sind. So steht es, Herr Kol-
lege Schäfer, im Mandat, und genau so wird es gemacht.

Die NATO – das hat der Kollege Beck gerade ausge-
führt – hat die Firma Thales beauftragt, ein Kommunika-
tionsnetz für ganz Afghanistan aufzubauen. Leider ist
dies bisher nicht fertiggestellt. Deswegen besteht das
Problem darin, dass die Fernmeldeverbindungen nicht
ausreichen, die aber dringend notwendig sind. Sie dienen
der Führungsunterstützung. Dabei geht es um Informa-
tionsmanagement und die Versorgung mit Informatio-
nen, aber auch um die Gewährleistung von Informati-
onssicherheit, die zwingend erforderlich ist.

Es geht auch um die Vernetzung von Feuerleitstellen
in Kandahar und Kabul. Damit komme ich zu dem Argu-
ment, das Sie vorhin angeführt haben, Herr Kollege
Schäfer. Die Vernetzung stellt sicher, dass der Einsatz
präzise geplant werden kann. Das wiederum trägt dazu
bei, Kollateralschäden zu verhindern. Anders ausge-
drückt dient dieser Einsatz dazu, die Planungen so prä-
zise durchführen zu können, dass zivile Opfer vermieden
werden. Dieses Anliegen teilen wir alle in diesem Hause.


(Beifall bei der FDP und der SPD)


Im Übrigen hat nur die parlamentarische Kontrolle
dazu geführt, dass das Thema angesprochen wurde. Wir
haben uns im vergangenen Jahr in diesem Hause damit
befasst. Nicht zuletzt unsere Diskussionen haben dazu
geführt, dass dieses Thema auf NATO-Ebene aufgegrif-
fen wurde und dass die Zahl der zivilen Opfer seitdem
drastisch zurückgegangen ist. Ich glaube, dass man diese
Bemühungen fortsetzen sollte.


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Haben Sie genaue Zahlen?)


Die Linke ist gegen alles. Der Antrag dient als Mittel,
das Thema in den Vordergrund zu rücken und gegen den
Einsatz Stimmung zu machen. Das ist nicht nur unge-
rechtfertigt, sondern auch unfair gegenüber den einge-
setzten Soldaten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Gegensatz zu den Linken hat die FDP mehrheit-
lich für den Einsatz gestimmt. Voraussetzung dafür war,
dass er im Rahmen des Mandats erfolgt. Die FDP hat
kürzlich im Zusammenhang mit dem AWACS-Einsatz
über der Türkei vor dem Bundesverfassungsgericht eine
Stärkung der Parlamentsrechte erreicht. Wir werden
auch weiter peinlich genau darauf achten, dass das Parla-
ment nicht übergangen wird. Darum geht es nämlich in
diesem Fall.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen!)


Konkret bedeutet das, Herr Kollege Schäfer: Erstens
sind die Einsätze bekannt. Sie bekommen Informationen
über die wöchentliche Unterrichtung des Parlaments. Sie
haben im Februar eine ausführliche schriftliche Informa-
tion erhalten, und wir sind mehrfach bei den Obleuten
unterrichtet worden.


(Maik Reichel [SPD]: Man kann auch mal hinfahren!)


Zweitens ist der Einsatz zeitlich begrenzt. Das hat
mein Vorredner eben sehr ausführlich erläutert. Ich will
noch einmal deutlich machen, dass es sich hier um zwei
NATO-Fernmeldebataillone handelt, die multinational
aufgestellt sind und in deren Rahmen auch deutsche Sol-
daten zum Einsatz kommen. Sie schreiben in Ihrem An-
trag korrekterweise, dass die Bundeswehrsoldaten in
Kandahar fast durchgängig stationiert sind, Herr Kollege
Schäfer. Das heißt, nicht ganz durchgängig, und genau
das ist der Fall: Es ist ein zeitlich befristeter Einsatz.

Drittens ist der Umfang des Einsatzes begrenzt. Auch
das ist schon erläutert worden. Er ist für den gesamten
Auftrag unverzichtbar, da Telekommunikationssysteme
für ganz Afghanistan von zentraler Bedeutung sind. Des-
halb ist es nicht richtig, dass die Bundeswehrsoldaten
stationiert sind, um Führungsunterstützungsaufgaben für
die anderen NATO-Staaten im Süden Afghanistans zu
leisten, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben. Das ist nur
die halbe Wahrheit. Es geht um die Führungsfähigkeit in
ganz Afghanistan, also auch in der Nordregion. Insofern
liegt dieses Thema auch im Interesse der deutschen Sol-
daten im Norden.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rainer Arnold [SPD])


Für meine Fraktion sage ich in aller Deutlichkeit: Der
vorliegende Antrag gibt uns Anlass, beim Bundesminis-
ter der Verteidigung nachzuhaken, wann die Firma
Thales endlich den ausgeschriebenen Aufgaben nach-
kommt, die von dieser privaten Firma übernommen wur-
den.

Zurzeit gibt es keine Alternative zu dieser tragfähigen
Zwischenlösung. Sie ist im Rahmen des Mandats für alle
wichtig, auch für unsere Kräfte in der Nordregion.

Die FDP-Bundestagsfraktion wird weiter darauf ach-
ten, dass alles, was in Afghanistan geschieht, im Rah-
men des Mandats stattfindet und dass die Rechte des
Deutschen Bundestags gewahrt werden. Die Bundes-






(A) (C)



(B)


Birgit Homburger
wehr ist eine Parlamentsarmee. Dafür werden wir uns
weiter einsetzen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616628200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Uta Zapf für die

SPD-Fraktion.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1616628300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre gebets-
mühlenartig wiederholte Forderung „Raus mit unseren
Soldaten aus Krisengebieten!“


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau!)


– stattdessen wollen Sie alles mit Diplomatie und ähn-
lich schönen Sachen lösen – regt mich langsam auf. Wie
wollen Sie denn die Befriedung, die Stabilität und den
Wiederaufbau einer nach 30 Jahren Krieg zerrütteten
Gesellschaft sowie den Aufbau eines funktionierenden
Staatswesens allein mit Diplomatie und Aufbauhilfe
schaffen? Es ist doch richtig, dass es in einer Post-War-
Conflict-Situation – wie es so schön im Neudeutschen
heißt – wie im Kosovo und in Afghanistan nicht ohne
eine militärische Absicherung geht. Sonst können wir
alle Aufbauanstrengungen schlicht und ergreifend ver-
gessen. Das wissen Sie auch. Sie stellen Behauptungen
wider besseres Wissen auf.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen uns natürlich um das Wie kümmern. Das
tun wir auch. Wir haben in der SPD eine Arbeitsgruppe,
die seit Oktober 2006 versucht, alle möglichen Aspekte
zu analysieren, und Verbesserungsvorschläge macht.
Eine Frage, über die wir – auch in der NATO – lang und
breit diskutiert haben, lautet, wie wir die Interventionen
sowohl auf ziviler als auch auf militärischer Seite mit
mehr Kultursensibilität angehen können. Hier haben wir
alle noch etwas zu lernen.


(Lachen bei der LINKEN)


Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Paul
Schäfer, deine Behauptung, dass praktisch die ganze af-
ghanische Bevölkerung den Abzug verlange und die
Truppen als Bedrohung empfinde, ist unseriös. Ich will
ein paar Zahlen nennen. In einer breit angelegten Studie
von ARD und BBC, die du sicherlich kennst, wird ge-
nauso wie in einer noch nicht veröffentlichten neueren
Studie festgestellt: 99 Prozent begrüßen die Aktivitäten
der Entwicklungsorganisationen. 96 Prozent sind der
Meinung, dass sie vom Aufbau und von der Anwesen-
heit ausländischer Truppen profitieren, auch finanziell.
74 Prozent der Antwortenden sind der Meinung, dass
das Militär die lokale Bevölkerung schützt. Darüber
kann man sich nicht hinwegsetzen, weil vielleicht insge-
samt 10 Prozent der Bevölkerung anderer Meinung sind.
Es gibt sicherlich eine interessengeleitete Spaltung der
afghanischen Gesellschaft.
Was bedeutete denn ein Abzug für das afghanische
Volk? Er bedeutete, es im Stich zu lassen. Wenn Sie nach
Afghanistan fahren – das hat bislang fast niemand von
Ihnen getan – und mit den Menschen dort sprechen wür-
den, würde Ihnen bestätigt werden, dass die Afghanen
noch nicht in der Lage sind, ihre eigene Sicherheit zu ga-
rantieren. Deshalb bilden wir vermehrt aus. Die Bundes-
wehr hat die Ansätze für die Ausbilder und die Ausbil-
dungsaufgaben verstärkt. Bei EUPOL findet sogar eine
Verdoppelung statt. Die Afghanistan-Konferenz in Paris
wird die militärischen wie die zivilen Maßnahmen über-
prüfen und genau darauf achten, was erreicht wurde und
was nicht, wer seine Aufgaben erfüllt hat und wer nicht,
was schiefgelaufen ist und welche Gründe es dafür gibt.
Nach Beantwortung dieser Fragen müssen wir unsere
Strategie notfalls überdenken.

Alle Studien, die nun wie Pilze aus dem Boden schie-
ßen, besagen, dass etwas verändert werden muss. Eine
der geforderten großen Veränderungen ist – ich glaube,
darin stimmen wir überein –, noch mehr in den Aufbau
zu stecken,


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


noch mehr Entwicklungshilfe zu leisten, noch mehr in
Straßenbau, Arbeitsplätze, Ausbildungsprojekte und alle
Projekte zu investieren, die begonnen wurden und nun
verstärkt werden müssen.

Nur, dann soll mir doch bitte einer erklären, wie wir
das ohne Schutz der Bevölkerung, ohne Schutz der Pro-
jekte fertigbringen sollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ein letzter Punkt. Paul, du hast die zivilen Opfer an-
gesprochen. Schau dir bitte die Statistiken an:


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Wo gibt es die denn? Es gibt doch keine Zahlen!)


Es gibt mehr zivile Opfer von afghanischen Warlords,
von illegalen Akteuren und von den Taliban,


(Walter Kolbow [SPD]: Jawohl!)


als es zivile Opfer durch militärische Angriffe gibt. Das
brauche ich jetzt nicht noch einmal auszuführen. Wir ha-
ben doch schon diskutiert, welche Strategien von den Ta-
liban insbesondere im Süden angewendet werden; dort
nehmen sie die Zivilbevölkerung in Geiselhaft. Die Lage
wird nicht dadurch besser, dass Militär abgezogen wird
und wir noch eine Straße bauen, sondern die Situation
wird nur durch den Aufbau von Polizei und Militär bes-
ser, sodass die eigenen Sicherheitskräfte diesen Schutz
gewährleisten können. Die zivile Hilfe wird hoffentlich
noch viel länger andauern. Wir werden in den Wieder-
aufbau noch viel länger investieren müssen als in die mi-
litärischen Kapazitäten. Aber solange militärische Hilfe
notwendig ist, ist eure Forderung einfach absurd. Es tut
mir leid.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


(D)







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1616628400

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616628500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten heute einen Antrag der Linksfraktion mit dem Titel
„Abzug der Bundeswehr aus Südafghanistan“. Ziel die-
ses Antrags ist es, etwas zu skandalisieren, was kein
Skandal ist. Weil wir wissen, dass Sie diesen Antrag
auch stellen, um am Wochenende bei der friedenspoliti-
schen Konferenz in Hannover gut auszusehen,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da werden wir gut aussehen! Ganz sicher!)


möchte ich Ihnen die Erkenntnis zurufen, die sich Grüne
und Friedensbewegung gemeinsam erarbeitet haben:
Friedenspolitik braucht Fachkompetenz. Leider bewei-
sen Sie diese mit Ihrem Antrag nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie, Herr Kollege
Schäfer, sich endlich einen Ruck geben würden und ein-
mal das Hauptproblem beim Namen nennen würden.
Wann kommt endlich der Antrag der Linksfraktion mit
dem Titel „Abzug der Taliban“? Darauf warte ich, seit
ich diesem Hause angehöre, aber dieser Antrag kommt
leider nicht.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Ein sehr fachkompetenter Vorschlag!)


Ich möchte zum Gegenstand Ihres Antrags zurückkom-
men. Wir sind der Ansicht, dass der Einsatz der
38 Fernmelder auf dem ISAF-Stützpunkt in Kandahar
durch das vom Deutschen Bundestag vergebene Mandat
durchaus gedeckt ist; denn dieser Einsatz ist eine Unter-
stützungsmaßnahme. Unterstützungsmaßnahmen sind Teil
des Mandats. Das schreiben Sie selbst in Ihrem Antrag.
Sie schreiben darin völlig zu Recht, dass die Bundesre-
gierung nur dann Soldaten außerhalb der Region Kabul
und des Zuständigkeitsbereichs des Regionalkomman-
dos Nord einsetzen dürfe, wenn – ich zitiere – „es um
eine Unterstützungsmaßnahme geht, die für die Erfül-
lung des ISAF-Gesamtauftrags unabweisbar ist, und
diese Maßnahme sowohl zeitlich als auch im Umfang
begrenzt ist.“ Dass die Fernmelder in Kandahar Unter-
stützungsaufgaben übernommen haben, schreiben Sie
drei Sätze später in Ihrem eigenen Antrag.

Dass Unterstützung zwischen den Bündnispartnern
jenseits von Kampfeinsätzen selbstverständlich sein
muss, ergibt sich einmal aus der Natur des Begriffs
„Bündnis“, zum anderen daraus, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten im Zweifelsfall auch Unterstützung brau-
chen, wenn es zum Beispiel um Evakuierungsmaßnah-
men geht. Also ist Ihr Antrag widersprüchlich. Ich
glaube, dass Sie das wissen.

(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Zur Befristung sagen Sie nichts!)


– Doch, dazu sage ich auch etwas. Das bringt mich leider
zu der Konsequenz, zu sagen: Die Ernsthaftigkeit, die
das Thema erfordert, haben Sie leider mit Ihrem Antrag
verfehlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Umfang des Einsatzes hat sich in den letzten Jah-
ren nicht verändert. Wenn ein Bündnispartner oder ein
anderer Akteur aus technischen Gründen nicht in der
Lage ist, eine Aufgabe zu übernehmen, und deshalb die
Bundeswehr diese Aufgabe weiter übernimmt, dann ist
das bedauerlich, aber noch lange kein Rechtsbruch. Der
Einsatz ist keineswegs entfristet. Das ist nämlich der
zentrale Punkt. Es gibt immer wieder die Frage, was
nach drei Monaten passiert. Natürlich wünschen wir uns,
dass die Bundesregierung eine andere Informationspoli-
tik betreibt, und natürlich wollen wir mehr Transparenz
haben. Natürlich bricht sich die Bundesregierung keinen
Zacken aus der Krone, wenn das nächste Mal – das for-
dern und erwarten wir auch – die Fernmelder in das
Mandat hineingeschrieben werden. Das ist die transpa-
renteste und sauberste Lösung.

Wie Sie wissen, haben auch wir Grüne viel Kritik an
der Afghanistan-Politik – „Afghanistan-Strategie“ ist in
diesem Fall vielleicht ein zu großes Wort – der Bundes-
regierung. Natürlich wollen wir einen Strategiewechsel.
Natürlich wollen wir auch eine zivile Offensive. Natür-
lich wollen wir, dass OEF und ISAF nicht mehr unsinni-
gerweise nebeneinander bestehen. Natürlich wollen wir,
dass die US-Regierung auch Druck aus Berlin spürt, ei-
nen Kurswechsel vorzunehmen.

Sie ersparen uns aber nicht, dass wir Ihre Position hier
kritisieren müssen. Sie wollen den sofortigen Gesamtab-
zug aus Afghanistan, und zwar – das ist meine Vermu-
tung – nicht nur aus außenpolitischen Gründen. Das fin-
den meine Fraktion und ich persönlich unverantwortlich;
denn dadurch würden die Menschen in Afghanistan im
Stich gelassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Da wir dieser Unverantwortlichkeit nicht beitreten wol-
len, lehnen wir Ihren Antrag ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616628600

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Maik

Reichel, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Maik Reichel (SPD):
Rede ID: ID1616628700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Von einigen meiner Vorredner ist schon betont






(A) (C)



(B) (D)


Maik Reichel
worden: Der uns vorliegende Antrag der Fraktion Die
Linke ist nahezu gleichlautend mit Anträgen, die wir
schon des Öfteren behandelt haben. Das gibt uns noch
einmal die Möglichkeit, klarzustellen, was wir in Afgha-
nistan tun und was wir dort nicht tun. Ich denke, dazu
sollte immer genügend Zeit sein, auch wenn manche An-
träge von vornherein besser durchdacht sein sollten.

Ich will auf diesen Antrag unter dem Eindruck meiner
Reise nach Afghanistan vor wenigen Tagen eingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, als ich
zunächst die Überschrift Ihres Antrags „Abzug der Bun-
deswehr aus Südafghanistan“ gelesen habe – die war zu-
erst bekannt –, habe ich geglaubt: Okay, die Linke hat
sich dem ISAF-Einsatz konstruktiv genähert; sie hat un-
sere Mission dort zumindest anerkannt. Aber weit ge-
fehlt! Es geht wieder darum, aus Afghanistan insgesamt
abzuziehen. Auch meine Vorredner – Kollege Beck,
Kollege Nouripour und Frau Homburger – haben deut-
lich gemacht, unter welchen Bedingungen wir da sind,
was wir wollen und was klar sein muss, damit wir dort
weiter bleiben wollen. Meine Kollegin Uta Zapf ist da-
rauf entsprechend eingegangen.

Frau Homburger, nicht nur die FDP, sondern wir alle
– die SPD und die anderen Fraktionen – halten viel da-
von, genau darauf zu achten, dass die Mandate eingehal-
ten werden; das machen wir auch. Ich möchte das kurz
an dem Beispiel Kontingentobergröße erläutern: An die-
sem Punkt halten wir das Mandat ein, auch wenn es hier
und da ein bisschen quietscht, weil wir Managementpro-
bleme haben. Auch da werden wir perspektivisch bis zur
nächsten Mandatsverlängerung sicherlich einiges tun.

Frau Homburger, was Thales anbetrifft, sind wir
ebenfalls auf Ihrer Seite. Wir müssen beobachten, wie
sich der Afghanistan-Einsatz dort entwickelt. Er ist an-
ders als vor sechs Jahren. Wohin konkret müssen wir ge-
hen? Wenn die nächste Mandatsverlängerung ansteht,
müssen wir über Veränderungen nachdenken. Auch das,
worüber wir heute diskutieren, wird dabei eine gewisse
Rolle spielen.

Ich möchte auf meine Reise vor wenigen Tagen zu-
rückkommen. Daran haben insgesamt acht Kollegen teil-
genommen. Vor Ort gewesen zu sein – einige hier haben
mich begleitet –, erhöht das Verständnis dessen, was dort
passiert. Zwar können Berichte und Bilder einen Ein-
druck vermitteln, aber wichtiger ist, dorthin zu gehen
und mit den Akteuren vor Ort auf allen Ebenen zu reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU])


Lieber Kollege Schäfer, ich glaube, für viele von Ih-
nen wäre es nötig, einmal dorthin zu fahren – das schei-
nen Sie nicht zu wollen –, sich mit den Soldatinnen und
Soldaten, mit den Polizistinnen und Polizisten und auch
mit den Leuten, die dort leben, zu unterhalten, um zu er-
fahren, was dort passiert; denn man kommt von dort et-
was verändert zurück. Man erfährt, was die Soldatinnen
und Soldaten beim Aufbau der afghanischen Armee ma-
chen. Unser hiesiges Menschenbild ist dort fehl am
Platz. Dort gilt ein ganz anderer Maßstab für das, was
Erfolg ist. Wir reden zu wenig über die Erfolge, die dort
erzielt werden.

Natürlich ist die Sicherheitslage prekär; aber sie wird
noch prekärer, falls wir unsere Truppen dort abziehen
und den Wiederaufbau nicht fortführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wollen wir nicht. Man kann dort konkret erleben,
was unsere Soldatinnen und Soldaten, unsere Polizisten
und auch die zahlreichen Aufbauhelfer dort tun. Ich
möchte an dieser Stelle allen, die dort monatelang mit
vielen Entbehrungen arbeiten, meinen herzlichsten Dank
aussprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch auf einige wenige Aspekte eingehen.
Seit 2002 wird der Polizeiaufbau dort bilateral durchge-
führt; mittlerweile geschieht er unter der Verantwortung
von EUPOL. Über 18 000 Polizisten sind dort ausgebil-
det worden. Momentan werden etwa 35 000 Menschen
in der Armee ausgebildet. Diese Zahl soll auf 70 000 an-
steigen. Wir sind unterstützend dort – Assistants. Das
heißt, wir wollen, dass die Afghanen sich selbst schützen
können, ob mithilfe von Polizei, Justiz oder Armee. Das
ist das Wichtige; das kann nicht oft genug gesagt wer-
den. Ich kann nur jedem raten: Fahren Sie hin! Sprechen
Sie mit den Leuten vor Ort!

Zum Abschluss möchte ich noch erwähnen, was Zia
Farsin – ein Afghane, der uns begleitet hat – gesagt hat:
Afghanistan ist wie ein Mensch, der gefallen ist, der un-
terstützt wird und dessen Arme hochgehalten werden,
unter anderem auch von euch. Er wankt nach vorne und
nach hinten. Wenn ihr loslasst, dann fällt er wieder. Das
wollen wir nicht. Bleibt hier und helft!

Viele Studien – Frau Zapf hat es erwähnt – sprechen
dafür. In diesem Sinne, lieber Herr Schäfer: Fahren Sie
hin, schauen Sie es sich an, und reden Sie mit den Leu-
ten!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616628800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9418 mit dem Ti-
tel „Abzug der Bundeswehr aus Südafghanistan“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist bei Gegenstimmen der Lin-
ken mit den übrigen Stimmen des Hauses abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Fakultativprotokoll vom 18. Dezember






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
2002 zum Übereinkommen gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder ernied-
rigende Behandlung oder Strafe

– Drucksache 16/8249 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/9468 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marie-
luise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Für eine effektive Umsetzung des Zusatzproto-
kolls zur VN-Anti-Folter-Konvention

– Drucksachen 16/8760, 16/9411–

Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Christoph Strässer
Florian Toncar
Michael Leutert
Volker Beck (Köln)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Al-
fred Hartenbach.


(Beifall des Abg. Dirk Manzewski [SPD])


A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1616628900


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrtes Präsidium!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute die
Voraussetzung für die Ratifikation des Vertragsgesetzes
zum Fakultativprotokoll zum UN-Antifolterübereinkom-
men schaffen.

Ich möchte dies zunächst zum Anlass nehmen, um
mich bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechts-
ausschuss für die zügige Beratung des Vertragsgesetzes
zu bedanken.


(Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD])


Das macht deutlich, dass es der Bundesrepublik
Deutschland – Ihnen aus der Legislative wie auch uns
aus der Exekutive – mit der Unterstützung dieses neuen
völkerrechtlichen Instruments gegen Folter und un-
menschliche Haftbedingungen ernst ist.
Wie Sie wissen, ist es auch durchaus nötig, dass die
Bundesrepublik diese Entschlossenheit hinsichtlich der
Einmütigkeit des Bestrebens und des Tempos der Bera-
tungen demonstriert. Denn bei der Ratifikation müssen
wir leider die Erklärung abgeben, dass wir unsere natio-
nalen Präventionsmechanismen erst mit einer Verzöge-
rung von bis zu drei Jahren in Kraft setzen können. Das
wirkt international sicherlich nicht besonders schön; es
ist aber unvermeidlich.

Für die Gründung der Länderkommission ist aus ver-
fassungsrechtlichen Gründen nun einmal ein Staatsver-
trag nötig. Dieser kann nicht von heute auf morgen rati-
fiziert werden. In einigen Ländern ist auch eine
Parlamentsbeteiligung notwendig. Das dauert seine Zeit.
Ich denke, es ist gut, dass auf Länderebene die Parla-
mente an diesem Gesetzgebungsverfahren beteiligt wer-
den.

Immerhin legen wir heute die Rechtsgrundlage, wenn
wir den Vertragstext verabschieden. Das ist doch schon
etwas. Auch der Text des Staatsvertrages ist bereits in
den Ländern konsentiert. Das Verfahren läuft jetzt an.
Auch die organisatorischen Vorbereitungen sind schon
im Gang.

Ich bin sicher, dass neben dem Bundesministerium
der Justiz vor allem der Ausschuss der Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe, lieber Christoph, die Arbeit des
nationalen Präventionsmechanismus im Interesse aller
Beteiligten aufmerksam und kritisch verfolgen wird.

Wir schließen mit diesem Gesetz nichts ab, sondern
leiten eine neue Form der präventiven Kontrolle ein, mit
der wir den Schutz der Menschenrechte für Personen,
die – aus welchem Grund auch immer – in Deutschland
in Gewahrsam genommen werden, sichern wollen. Das
ist ein Prozess, an dem sich die Regierung ebenso wie
das Parlament mit ihren jeweiligen Mitteln beteiligen
wird. Beide verfolgen wir das gleiche Ziel: eine arbeits-
fähige Institution zu schaffen, die die Ziele der Vereinten
Nationen auf diesem Gebiet so umsetzt, wie wir selbst
das als Rechtsstaat von uns erwarten.

Mit dem heutigen Beschluss werden wir diesen Pro-
zess ein Stück voranbringen. Dafür bedanke ich mich
noch einmal und bin sicher, dass wir zu dem Thema mit-
einander im Gespräch bleiben, auch – jetzt hören Sie gut
zu; denn da sind Sie auch gefordert, wenn es so weit ist –
was die finanzielle und personelle Ausstattung der Gre-
mien betrifft.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616629000

Ich gebe das Wort dem Kollegen Florian Toncar,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1616629100

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die parlamentari-

sche Behandlung der Konvention, über die wir heute
sprechen, ist ein angenehmer Anlass. Ich glaube aber,






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
wir sind uns einig, dass der Schutz vor Folter ein ernstes,
weil ein gegenwärtiges Thema ist und dass wir die Äch-
tung der Folter als zentrale zivilisatorische Errungen-
schaft auch weiterhin aktiv verteidigen müssen.

Es ist immer wieder unvorstellbar, was Menschen
einander antun können. Wir wissen, dass Folter in der
Welt heute noch weit verbreitet ist. Selbst dort, wo die
Folter offiziell, also nach den Gesetzen eines Landes, ab-
geschafft ist, herrscht nicht selten ein Klima, in dem es
regelmäßig zu Misshandlungen in Gefängnissen oder auf
Polizeistationen kommt, ohne dass diese geahndet wer-
den. Lange hat das Völkerrecht gebraucht, um auf diese
Probleme eine Antwort zu finden. Die UN-Antifolter-
konvention von 1984 stellt dazu den entscheidenden
Beitrag dar.

Natürlich wissen wir, dass Folter heute hauptsächlich
ein Problem von klassischen Unrechtsstaaten ist, die
keine entwickelte Justiz haben. Ich möchte aber auch sa-
gen, wie sehr mich beunruhigt, dass etwa im Zuge des
Kampfes gegen den Terrorismus auch in entwickelten
Rechtsstaaten Folter teils diskutiert und teils – Stichwort
„Waterboarding“ – auch praktiziert wird. Das ist eine
höchst beunruhigende Entwicklung.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir auch dadurch, wie wir heute ab-
stimmen, deutlich machen müssen, dass wir gegen jede
Aufweichung des absoluten Folterverbotes in Deutsch-
land und auch in der Welt sind. Natürlich steht die Miss-
handlung von Menschen bei uns in Deutschland unter
Strafe. Natürlich treffen wir bereits heute weiter gehende
Maßnahmen, um Folter zu vermeiden. Wir schieben bei-
spielsweise keine Ausländer ab, wenn ihnen dann Folter
droht, und wir verwerten durch Folter erlangte Aussagen
nicht in Strafverfahren.


(Michael Leutert [DIE LINKE]: Ach so! Das ist mir aber ganz neu!)


Neu ist aber – das soll heute umgesetzt werden –, dass
wir zu einer aktiven Folterprävention kommen. Wir wol-
len einerseits ein Vorbild für andere Staaten abgeben, die
diesem Mechanismus beitreten wollen, indem wir das
Zusatzprotokoll in Deutschland vorbildlich umsetzen.
Andererseits wollen wir durch aktive Kontrolle und Prä-
vention dafür sorgen, dass Misshandlungen in staatli-
chen Einrichtungen – bei uns handelt es sich dabei
immer nur um Einzelfälle – noch weiter gehender unter-
bunden werden, als es bislang durch das Strafrecht getan
wird. Aus diesem Grund kommt der heute anstehenden
Ratifizierung wirklich große Bedeutung zu.

Es ist immer gut, wenn eine staatliche Instanz durch
unabhängige Experten kontrolliert wird. Das ist kein
Ausdruck des Misstrauens gegen die Mitarbeiter in sol-
chen Einrichtungen; ihnen vertrauen wir grundsätzlich.
Wir wissen aber auch: Je mehr es in den Grundrechtebe-
reich hineingeht, je sensibler die Bereiche sind – ich
nenne beispielsweise Gefängnisse oder Polizeistatio-
nen –, umso gründlicher muss die Kontrolle sein, damit
auch die wenigen Einzelfälle von Misshandlungen auf-
gedeckt werden. Dass es dabei immer besser ist, wenn
jemand von außen kontrolliert und nicht jemand, der aus
dem Apparat bzw. der Behörde selbst stammt, ist, wie
ich glaube, uns allen klar.


(Beifall bei der FDP)


Insofern ist die Tatsache, dass das Zusatzprotokoll nun-
mehr ratifiziert wird, auch für die FDP-Fraktion ein
Grund zur Freude.

Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch kritische An-
merkungen.

Die Vorlaufzeit bis zur Ratifikation war sehr lang; das
hing damit zusammen, dass sich Bund und Länder zu-
nächst nicht über die Umsetzung der Konvention in un-
seren nationalen Präventionsmechanismus einigen konn-
ten. Keiner von uns möchte überflüssige neue Strukturen
schaffen.

Keiner von uns möchte, dass neu einzustellende Be-
amte bzw. staatliche Angestellte Dinge tun, die längst
getan werden. Darum geht es keinem von uns. Es geht
vielmehr darum, dass die Instrumente, die auf Bundes-
und Länderebene bestehen, vernetzt und koordiniert
werden und jemand dafür sorgt, dass keine Schutzlücken
entstehen. Das muss sichergestellt sein. In diesem Falle
kann man nicht davon reden, dass neue bzw. zusätzliche
Bürokratie geschaffen wird.

Was wir wollen, wird mit den derzeit vorgesehenen
Ressourcen nur schwer zu erreichen sein. Die Länder-
kommission, die eine ganz wichtige Aufgabe erfüllt,
weil sich die meisten Einrichtungen, um die es geht, in
Trägerschaft der Länder befinden, ist mit vier Ehrenamt-
lichen besetzt, die die Kontrollaufgaben übernehmen.
Dass diese Ehrenamtlichen in 16 Bundesländern keine
ausreichende Präsenz in den vielen Einrichtungen zeigen
können, liegt auf der Hand.

Der Bund finanziert im Wesentlichen lediglich eine
neue Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters. Das
Gesamtbudget für den Nationalen Präventionsmechanis-
mus beträgt 300 000 Euro. Das ist ausgesprochen wenig.
Unter diesen Umständen wird es nicht mehr geben als
nur Stichproben. Anders gesagt: Wenn auch nur eine ein-
zige Kontrolle irgendwo im Bundesgebiet stattfindet,
geht bei der Koordinierungsstelle nur der Anrufbeant-
worter an.

Wir sind zwar glücklich, dass es Fortschritte gegeben
hat, aber wir sehen auch die Defizite. Die FDP-Fraktion
möchte, dass das Instrument, das wir jetzt einführen, zü-
gig evaluiert wird. Der Menschenrechtsausschuss wird
sich mit Sicherheit auch mit den Personen, die diese
Kontrollen konkret vornehmen, zusammensetzen und
sich von ihrer Arbeit berichten lassen.

Der zum Ratifikationsgesetz vorgelegte Antrag der
Grünen nennt notwendige Aspekte – sowohl internatio-
nale als auch innerstaatliche –, die wir beachten müssen.
Die FDP schließt sich den entsprechenden Forderungen
an. Wir selbst haben einen Antrag eingebracht, in dem
ähnliche Gedanken aufgegriffen wurden und der im
Laufe dieses Jahres im parlamentarischen Verfahren be-
dauerlicherweise von der Koalition abgelehnt worden
ist. Wir werden deshalb dem inhaltlich sehr ähnlichen






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
Antrag der Grünen zustimmen und hoffen sehr, dass wir
das Instrument so effektiv wie möglich ausgestalten kön-
nen.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616629200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Granold, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1616629300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es geht heute um Folter, das heißt um schwere Verstöße
gegen die Menschenrechte. Die Union und mit ihr un-
sere Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel stehen für
eine wertegebundene Außenpolitik. Das hat die Bundes-
kanzlerin unter anderem gezeigt, als sie den Dalai-Lama
empfangen hat.

Wir treten national und international entschlossen für
die Einhaltung der Menschenrechte ein, und legen dort
den Finger in die Wunde, wo Menschenrechte eklatant
verletzt werden, unabhängig davon, ob das in Russland,
Kuba, Venezuela, Nordkorea oder im Iran der Fall ist. In
diesem konsequenten Verhalten werden wir uns nicht be-
irren lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb freut es mich sehr, dass wir heute abschlie-
ßend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum
Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter
und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe beraten. Deutschland war bei
der Ausarbeitung dieses Fakultativprotokolls maßgeb-
lich beteiligt. Mittlerweile haben 61 Länder dieses Pro-
tokoll gezeichnet, davon haben es 34 ratifiziert. Die Ra-
tifikation ist für Deutschland eine Selbstverständlichkeit.
Dieser Schritt ist ein Symbol für die Kontinuität unseres
Einsatzes für das absolute Folterverbot – auch im Kampf
gegen den internationalen Terrorismus.

Nicht nur in bilateralen Gesprächen, sondern auch im
Rahmen der Vereinten Nationen und gemeinsam mit un-
seren EU-Partnern setzen wir uns vehement dafür ein,
dass Folter abgeschafft wird. Dabei legen wir den Fin-
ger, wie gesagt, in die Wunde. Wir zahlen freiwillig Bei-
träge in den Fonds der Vereinten Nationen für die Opfer
von Folter. Wir treten außerdem dafür ein, dass Dritt-
staaten dieser Konvention beitreten und sich für die
Rechte der Opfer einsetzen. Die Union steht ausdrück-
lich hinter dem großen Engagement der Bundesregie-
rung zur globalen Durchsetzung des absoluten Folterver-
bots.

Die Forderung im Antrag der Grünen an die Bundes-
regierung, mehr für die Durchsetzung der Konvention zu
tun, ist Schaufensterpolitik. Dieser Antrag ist absolut
haltlos; denn die Einhaltung des Grundgesetzes ist für
uns auf allen Ebenen immer eine Selbstverständlichkeit
gewesen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Umsetzung, Frau Granold! Das sind Selbstverständlichkeiten! – Weitere Zurufe)


Was das Fakultativprotokoll angeht, sind wir natür-
lich dafür, auf internationaler und nationaler Ebene dafür
einzutreten, dass die Besuchs-, Präventions- und Kon-
trollmechanismen eingesetzt werden.

Lassen Sie mich zu beiden Elementen des Regie-
rungsentwurfs etwas sagen. Mit der Ratifizierung des
Fakultativprotokolls wird dieses für die Bundesrepublik
bindend und Bestandteil der deutschen Rechtsordnung.
Was die Umsetzung angeht, so haben wir auch hier unse-
ren Beitrag geleistet. Wir müssen versuchen – das Lin-
dauer Abkommen verpflichtet uns dazu; hier sind wir in
einer schwierigeren Situation als die anderen National-
staaten –, die Bundesländer einzubinden, da die Zustän-
digkeit der Länder berührt ist.

Was die Bundesebene angeht, findet eine enge Ab-
stimmung zwischen den Ministerien der Justiz, des Inne-
ren und der Verteidigung statt, um die Bundesstelle zur
Verhütung von Folter zu installieren.

Was die Länder angeht – Bundeswehr und Bundes-
polizei –, so gibt es eine vielfältige Zuständigkeit: zum
einen im Bereich der Polizei, was den Strafvollzug und
die Abschiebehaft angeht, und zum anderen, was Pflege-
einrichtungen und die Psychiatrie angeht. Aufgrund der
Vielfältigkeit ist es erforderlich, dass eine Zentralstelle
eingerichtet wird, die die Kontrollen durchführt. Herr
Hartenbach hat es gerade gesagt: Es gibt einen Staatsver-
trag; der Entwurf liegt vor. Wir gehen davon aus, dass in
Kürze die notwendigen Umsetzungen erfolgt sind und
wir an die Arbeit gehen können.

Zur Umsetzung soll ein gemeinsames Sekretariat bei
der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden einge-
richtet werden. Es sind Sach- und Personalkosten in Höhe
von 300 000 Euro eingestellt worden. 200 000 Euro da-
von tragen die Länder, 100 000 Euro der Bund. Wir mei-
nen, dass das in Ordnung ist. Man wird sehen, ob es,
wenn diese Stelle arbeitet, erforderlich ist – so der An-
trag der Grünen; Sie wollen ja von heute auf morgen
mehr Geld einsetzen –, Weiteres zu tun.

An dieser Stelle möchte ich ein klares und deutliches
Wort zum Thema Folter sagen. Es wird hier so getan, als
sei Folter in Deutschland ein Thema, das wir jeden Tag
zu bearbeiten hätten. Die Polizei leistet bei uns eine her-
vorragende Arbeit.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will ich nicht hoffen! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nehmen Sie zurück!)


Sie ist nicht zu kriminalisieren und in die Nähe von Aus-
länderfeindlichkeit zu rücken. Es wird tagtäglich unter
schwierigsten Bedingungen hervorragende Arbeit ge-
leistet. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich
bei den Polizeibehörden dafür bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold
Wir werden in unserem Kampf zur Durchsetzung der
Menschenrechte und zur Prävention, was Folter angeht,
nicht nachlassen. Wir werden dafür sorgen, dass auch
andere Staaten, bei denen Folter noch ein großes Thema
ist, der Konvention beitreten und dass die Mechanismen
in den einzelnen Nationalstaaten greifen. Wir wären
dankbar, wenn heute alle Fraktionen dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung zustimmen würden, damit wir wei-
tere Schritte gehen könnten. Ich denke, hier besteht ein
Konsens.

Zur Verzögerung bei den Ländern möchte ich noch ei-
nen Satz sagen. Wir sind in der Tat ganz erheblich in
Verzug. Das liegt aber nicht daran, dass die Länder Be-
denken hätten, was die Zielrichtung der Konvention an-
geht. Dies lag vielmehr einfach daran, dass bei einigen
Ländern Bedenken bestanden, dass die Schaffung neuer
Stellen zu mehr Bürokratie führt. Diese Bedenken konn-
ten inzwischen ausgeräumt werden. Ich denke, dass wir
mit dem jetzt formulierten Vertragsgesetz für Deutsch-
land die Ratifikation und Umsetzung gemeinsam auf den
Weg bringen können und so unseren Beitrag zur welt-
weiten Prävention von Folter leisten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616629400

Für die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Mi-

chael Leutert.


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616629500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Niemand hier wird bezweifeln, dass die Ratifizierung
des Zusatzprotokolls der VN-Antifolterkonvention eine
Notwendigkeit ist. Allerdings muss man sagen, dass der
Gesetzentwurf natürlich lange auf sich hat warten lassen.
Die Schuld dafür – das ist hier schon mehrmals gesagt
worden – liegt mit Sicherheit nicht bei der Bundes-
regierung.


(Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD])


Dies liegt vielmehr an der Länderebene, und zwar an den
Ländern Sachsen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
Wenn ich die Feierlaune etwas trüben darf: Das alles
sind CDU-geführte Länder; auch das sollte hier gerech-
terweise gesagt werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Holger Haibach [CDU/CSU])


– Moment, wir kommen noch dazu.

Der Preis, der dafür gezahlt worden ist, dass diese
Verhandlungen mit den Ländern geführt werden muss-
ten, ist ein sehr bitterer, nämlich die Struktur von nur
vier ehrenamtlichen Beobachtern, die über 1 000 Ein-
richtungen zu überprüfen und zu untersuchen haben.
Hinzu kommen möglicherweise weitere Gewahrsams-
einrichtungen, die nicht zum Bereich der Polizei gehö-
ren. Dass das eine defizitäre Struktur ist, wird hier im
Hause wohl niemand – auch keiner von der CDU/CSU-
oder der SPD-Fraktion – bestreiten.

Wenn das Argument vorgebracht werden sollte, dass
das zumindest ein Einstieg ist, dann kann ich nur sagen:
Das ist kein Argument; das ist einfach nur eine Beteue-
rung. Wir werden uns anschauen, wie weit man in die-
sem Bereich in den nächsten Jahren vorankommen wird.

Schlimm ist meines Erachtens aber etwas ganz ande-
res: Es wird immer davon gesprochen, dass Deutschland
eine größere internationale Verantwortung hat, insbeson-
dere in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und mili-
tärisches Engagement; das Thema der vorhergehenden
Debatte war Afghanistan. Wenn es so ist, dass wir eine
größere internationale Verantwortung haben, dann hat
das, was vorgelegt wurde, eine maximal negative Signal-
wirkung und zeigt einen relativen traurigen Zustand un-
serer Gesellschaft:


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein so reiches Land wie Deutschland ist nicht in der
Lage, einen Präventionsmechanismus gegen Folter ein-
zurichten.

Ich möchte Zahlen nennen – sie müssen einmal ge-
nannt werden –: Deutschland investiert jedes Jahr
650 Millionen Euro nur in das Militär in Afghanistan.
Das Hauptargument dafür ist immer wieder die gestie-
gene internationale Verantwortung. Im Bereich der Prä-
vention von Folter sind wir aber nicht einmal in der
Lage, 300 000 Euro zu investieren;


(Christoph Strässer [SPD]: Doch! Doch!)


trotzdem reden Sie hier von der gestiegenen internatio-
nalen Verantwortung. Wenn es dabei bleibt, bin ich ge-
spannt, wie die Bundesregierung in nächster Zeit auf in-
ternationaler Ebene nicht so reichen Ländern erklärt,
dass es für sie extrem wichtig ist, einen solchen Präven-
tionsmechanismus einzurichten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Christoph Strässer [SPD]: Wir haben schon einen!)


Gerade im Hinblick auf den außenpolitischen Bereich
wäre es notwendig gewesen, eine angemessene mate-
rielle Ausstattung zu gewährleisten, um eine Signalwir-
kung zu erreichen.

Wir reden hier über Folter und über das Folterverbot.
Gerade im Kampf gegen den internationalen Terroris-
mus – das wurde heute schon mehrmals erwähnt – ist
das Folterverbot in letzter Zeit mehr und mehr aufge-
weicht worden. Wir reden hier nicht nur über die USA;
wir, der Deutsche Bundestag, haben einen Untersu-
chungsausschuss eingerichtet, weil die Vermutung im
Raume steht, dass deutsche Sicherheitsbehörden unter
Anwendung von Folterpraktiken erzielte Ermittlungser-
gebnisse zumindest verwendet haben. Wenn so etwas
schon im Raume steht, wenn solche Vorwürfe existieren,
dann sollte das ein ausreichender Grund sein, einen Prä-
ventionsmechanismus einzurichten, der materiell ausrei-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Leutert
chend abgesichert ist, um seine Aufgaben in angemesse-
ner Form wahrzunehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Leider begnügt sich die Koalition damit, sich mit ei-
ner gewissen Symbolpolitik in der Öffentlichkeit darzu-
stellen. Dennoch werden wir notgedrungen diesem Ge-
setzentwurf zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Christoph Strässer [SPD]: Jetzt aber! – Weiterer Zuruf von der SPD: Lange Herleitung!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616629600

Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616629700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-

nächst einmal möchte ich sagen: Mit der Ratifizierung
des Zusatzprotokolls gehen wir heute endlich – es hat
elendig lange gedauert – einen guten Schritt. Im Rahmen
der Staatengemeinschaft ist es das richtige Signal, dass
die Bundesrepublik Deutschland immerhin als 17. Land
das Zusatzprotokoll ratifiziert und damit den entschei-
denden Schritt geht. Diese Gemeinsamkeit wollen wir
festhalten. Ich weiß, wie schwierig es war, die Länder
von dieser Lösung zu überzeugen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein wichtiger Schritt, der aber zu kurz ist. In
erster Linie geht es natürlich nicht darum, bei unserer
rechtsstaatlich orientierten Polizei und bei der Bundes-
wehr nachzuprüfen, dass bei uns nicht gefoltert wird.
Wir sind zwar, wie der Fall Daschner gezeigt hat, nicht
völlig frei von Ausrutschern; so etwas kann auch bei uns
vorkommen. Rechtsstaatliche Verfahren führen aber in
der Regel dazu, dass so etwas geahndet wird, weil unser
Rechtsstaat funktioniert.

Die internationale Gemeinschaft hat sich aber für die-
ses Zusatzprotokoll und den Präventionsmechanismus
entschieden, weil es in vielen Staaten keine funktionie-
renden Mechanismen gibt, weil es keinen Rechtsstaat
gibt. Heute senden wir ein Signal an diese Länder – es ist
das falsche Signal –: 300 000 Euro, also das Geld für
– sagen wir – vier Ehrenamtler und eine Geschäftsstelle,
reichen in einem Land mit 82 Millionen Menschen – mit
Polizeidienststellen, Heimen, Gewahrsamsanstalten und
Abschiebeeinrichtungen – völlig aus, um sicherzustel-
len, dass es in Deutschland weder Folter noch un-
menschliche Behandlung gibt.

Bei der Konvention – sie wird kurz Antifolterkonven-
tion genannt – geht es nicht nur darum, zu prüfen, ob bei
uns tatsächlich Menschen gefoltert werden, sondern
auch darum, zu prüfen, ob Menschen in Heimen, in psy-
chiatrischen Einrichtungen usw. unter unmenschlichen
Bedingungen leben. Da können wir nicht sagen: Alles,
was bei uns in Altersheimen und psychiatrischen Anstal-
ten passiert, ist super; es bedarf keiner zusätzlichen Kon-
trolle.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])


Ich bin hochunzufrieden damit, dass wir hier nicht
weiter gehen. Frau Granold, in unserem Antrag haben
wir eindeutig geschrieben, dass wir die Ratifizierung be-
grüßen, aber meinen, dass ein nächster Schritt folgen
muss. Das wollen Sie hier heute ablehnen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, „gemeinsam
mit den Ländern nach der Ratifizierung an einem Aus-
bau des bisher beschlossenen Präventionsmechanismus
zu arbeiten, der eine effektive Umsetzung aller im Zu-
satzprotokoll vorgesehenen Regelungen zum nationalen
Präventionsmechanismus gewährleistet.“ Was kann an-
gesichts der Tatsache, dass Sie alle beteuern, dass wir
den nächsten Schritt gehen müssen, der Grund sein, die-
ses Ansinnen abzulehnen? Wir sollten den Ländern sa-
gen, dass es erbärmlich ist, dass sie darauf bestanden ha-
ben, von Länderseite maximal 200 000 Euro dafür zu
investieren.

In der Anhörung haben alle Fachleute gesagt: Diese
Magersuchtlösung ist eine Schande für unsere Republik
und unserer Arbeit nicht würdig.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616629800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Granold?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616629900

Ja, aber gerne doch.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1616630000

Herr Kollege Beck, Sie haben gerade anhand des Fal-

les Daschner ausgeführt, dass unser Rechtsstaat funktio-
niert.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich selbst angezeigt!)


Darauf können wir stolz sein. Deutschland ist ein
Rechtsstaat, der weltweit seinesgleichen sucht.

Können Sie bestätigen, dass, wenn es diesen Kon-
trollmechanismus gibt, wir für diese Maßnahme
300 000 Euro in den Haushalt einstellen, wir dahin ge-
hend Einvernehmen erzielt haben, dass wir dann eine
Evaluation vornehmen wollen, um festzustellen, ob
mehr Geld – dem verschließen wir uns nicht – erforder-
lich ist?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616630100

Es geht um die Grundannahmen. Es geht darum, vor

welchem Hintergrund man über diese Frage diskutiert.
Selbstverständlich ist Deutschland ein sehr guter Rechts-
staat. Ob er seinesgleichen sucht, weiß ich nicht. In Eu-
ropa gibt es noch viele andere Rechtsstaaten. Ich glaube,
wir sollten nicht überheblich sein und behaupten, dass
wir Deutschen auch das viel besser können, weil wir im-






(A) (C)



(B) (D)


Volker Beck (Köln)

mer alles viel besser können. Ich finde, diese Tonlage ist
unangemessen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Meine Güte! Waren Sie schon mal im Ausland?)


– Wenn Sie diese Tonlage für angemessen halten, ist das
Ihre Sache. Das respektiere ich. Ich finde, das ist die fal-
sche Haltung gegenüber unseren europäischen Nach-
barn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Ute Granold [CDU/CSU] nimmt wieder Platz)


Frau Granold, ich bin noch bei der Beantwortung Ih-
rer Frage. Deshalb bitte ich Sie, entsprechend den Ge-
pflogenheiten des Hauses stehenzubleiben; denn meine
Redezeit läuft sonst gleich ab.

Wir müssen das Ganze unter folgender Fragestellung
diskutieren: Welches Signal senden wir an andere Staa-
ten aus? Was soll Marieluise Beck sagen, wenn sie nach
Russland oder Zentralasien fährt? Soll sie sagen: Ja, wir
haben vier Ehrenamtliche dafür!?


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist doch nicht die Antwort! Das ist Zeitschinden!)


– Das ist die Antwort auf die Frage. Wenn Sie mich fra-
gen, müssen Sie mir die Antwort überlassen. So ist das
in der Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen den Ländern sagen – das ist das Entschei-
dende –: Wir machen das so wirkungsvoll, dass ihr das
nachmachen könnt. Wenn wir das mangelhaft machen,
werden sie sich auch daran orientieren und sich darauf
herausreden. Das wird insbesondere für die Länder gel-
ten, die Unterstützung beim Thema Folterprävention ei-
gentlich dringend nötig hätten.

Nicht ohne Grund hat uns der UN-Sonderbericht-
erstatter für Folter, Manfred Nowak, heute ins Stammbuch
geschrieben, dass er den Gesetzentwurf, den wir auf dem
Tisch haben, kritisiert. Ich zitiere aus einer Meldung der
Nachrichtenagentur des Evangelischen Pressedienstes:

Er bezweifele, ob Deutschland die Konvention zur
Folterprävention angemessen umsetzt und genü-
gend bezahltes Personal bereitstellt, sagte Nowak
im Deutschlandradio Kultur. „Mit ein paar unbe-
zahlten, freiwilligen Mitarbeitern kann man diese
wichtige Aufgabe sicherlich nicht durchführen.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Recht hat er. Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir
eine Blamage Deutschlands bei der Ratifizierung verhin-
dern. Noch ist das möglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616630200

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Christoph Strässer, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1616630300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Beck, Sie kennen sicherlich Brehms Tier-
leben. In einer Parabel steht – ich bekomme sie nicht
mehr ganz auf die Reihe –: Je mehr sich der Hahn auf-
plustert, desto weniger nützt es der Henne.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir erschließt sich das Bild in diesem Zusammenhang überhaupt nicht! Sie haben das falsche Opfer in Ihrem Bild!)


Ich begreife Ihre Aufregung nicht. Sie ist der Sache nicht
angemessen.

Ich darf vielleicht einige Aspekte um der historischen
Wahrheit willen aufzeigen: Lieber Kollege Beck, Sie be-
klagen, dass das alles lange gedauert hat. Ich darf daran
erinnern, dass das Zusatzprotokoll, das Fakultativproto-
koll zur Antifolterkonvention im Dezember des Jahres 2002
in der Generalversammlung der Vereinten Nationen ver-
abschiedet wurde. Jetzt frage ich Sie und mich – da müs-
sen wir uns beide schämen –, wer eigentlich 2002 und
bis 2005 regiert hat.


(Michael Leutert [DIE LINKE]: So eine Kritik wünsche ich mir!)


Ich bin ein Stück weit stolz darauf, dass in dieser Großen
Koalition die Zeichnung durch den Bundesaußenminis-
ter im September 2006 endlich erfolgt ist, damit wir hier
auf einen vernünftigen parlamentarischen Weg kommen
können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist die historische Wahrheit an dieser Stelle.

Noch etwas gehört zur Wahrheit; das hat mit den Län-
dern zu tun. Die Wahrheit ist, dass die Bundesländer, die
jetzt einen Staatsvertrag abschließen müssen, sich nur
bereit erklärt haben, überhaupt über dieses Thema zu
reden, wenn sie mit nicht mehr als insgesamt
200 000 Euro belastet werden. Worauf freue ich mich
jetzt an dieser Stelle? Bevor wir Anträge, die uns im Mo-
ment nicht weiterbringen, im Deutschen Bundestag be-
schließen, freue ich mich auf die erste Bundesratsinitia-
tive des Stadtstaates Hamburg zur Umsetzung dieser
Geschichte auf Landesebene. Darauf bin ich sehr ge-
spannt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Florian Toncar [FDP])


Kollege Toncar klatscht gerade so laut. Ich kann ihn nur
fragen: Wo sind denn die Initiativen aus Nordrhein-
Westfalen, aus Niedersachsen oder aus Baden-Württem-
berg?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Christoph Strässer
Da können Sie alle Ihre Hausaufgaben machen. Dann
können wir hier in aller Ruhe und verständnisvoll über
diese Themen reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, wir sind dabei, keine Sorge.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616630400

Kollege Strässer, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Toncar?


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1616630500

Gerne.


(Jörg Tauss [SPD]: Kollege Toncar, Vorsicht! Sonst bekommen Sie auch noch eine!)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1616630600

Herr Kollege Strässer, in Kenntnis dessen, dass es

noch Bundesländer gibt, in denen die SPD mitregiert,
wollte ich fragen, ob ich Ihre Ausführungen so verstehen
darf, dass bald von dem einen oder anderen Bundesland
eine Initiative zu erwarten ist.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1616630700

Sie können sich fest darauf verlassen, dass wir dafür

sorgen werden. Wir kritisieren ja im Moment an dieser
Stelle nicht. Wir sagen vielmehr ganz deutlich: Das, was
hier auf den Weg gebracht worden ist, ist ein Fortschritt.
Man sollte nicht sofort anfangen, das schlecht- und ka-
puttzureden. Wir haben dies jetzt in dieser Konstellation
auf den Weg gebracht. Wir werden es heute hier wahr-
scheinlich mit Zustimmung aller ratifizieren. Es ist ein
guter Tag für den Schutz der Menschenrechte in
Deutschland und in Europa. So ist das.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstgefällige Plattitüden!)


Zu den vielfältigen Kommentaren, die hier jetzt im
Raume stehen: Kollege Beck, Sie haben eine Fachta-
gung im Deutschen Institut für Menschenrechte ange-
sprochen, auf der ich Sie gar nicht gesehen habe. Aber
man kann ja in den Protokollen nachlesen. Es gibt zum
Beispiel einen Vertragsausschuss bei den Vereinten Na-
tionen, der sich mit den WSK-Rechten befasst. Der deut-
sche Vertreter dort ist Professor Dr. Eibe Riedel; Sie ken-
nen ihn wahrscheinlich. Er hat mir bei der letzten
Kuratoriumssitzung des Deutschen Instituts für Men-
schenrechte klar gesagt, dass das, was wir hier in
Deutschland machen, in diesem Vertragsausschuss aus-
gesprochen begrüßt wird. Denn es kommt nicht in erster
Linie auf ein Signal nach außen, auf den konkreten Sta-
tus an, sondern es geht darum, dass endlich eines der
größten Länder Europas diese Ratifizierung durchführt.
Das ist die zentrale Botschaft, die von diesem heutigen
Tag ausgehen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will deutlich sagen, dass die Debatte, die wir hier,
wie ich finde, mit großem Verantwortungsbewusstsein,
sehr fair und in der Sache nach vorne gerichtet geführt
haben, ein Stück weit dazu beigetragen hat, dass in unse-
rem Land Sensibilisierungen für die Themen Folter und
Antifolterkonvention stattgefunden haben. Ich darf da-
ran erinnern, dass die Antifolterkonvention der Verein-
ten Nationen eine der Konventionen ist, die am wenigs-
ten gezeichnet worden sind. Das hat damit zu tun, dass
große Länder vor diesem Thema ein Stück weit zurück-
schrecken; sie gehen es nicht offensiv an. Wir müssen
diese Fragen demnächst bei uns und anderswo themati-
sieren.

Ich bin auf Einladung von Amnesty International vor
drei Wochen in Washington gewesen. Wir haben die
amerikanische Administration und alle, die damit zu tun
haben, sehr offen, klar und auch sehr massiv darauf hin-
gewiesen – dies bezieht sich auch auf unsere europäische
Verantwortung –, dass das, was die Vereinigten Staaten
im Kampf gegen den Terrorismus in Gang gesetzt haben,
nicht mehr unter die Antifolterkonvention fällt. Diskus-
sionen wie die über das Waterboarding, wie sie auch von
Herrn Bush geführt werden, tragen nicht dazu bei, in der
Welt den Eindruck zu erwecken, dass unsere westlichen
Werte in dieser Art und Weise gut vertreten sind.

Ich glaube, diesen Anstoß sollten wir zur Verteidi-
gung der Menschenrechte und zur weiteren Forcierung
des Schutzes vor Folter überall aufnehmen. Dafür ist
dieser Tag heute ein guter. Mein Dank geht an alle, die
daran mitgewirkt haben und insbesondere an die Bun-
desregierung, die das auf den Weg gebracht hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616630800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Fakul-
tativprotokoll vom 18. Dezember 2002 zum Übereinkom-
men gegen Folter und andere grausame, unmenschliche
oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/9468, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 16/8249 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Tagesordnungspunkt 14 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Für eine effektive Umsetzung des Zusatzpro-
tokolls zur VN-Anti-Folter-Konvention“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/9411, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/8760 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen
der Opposition angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Trittin, Josef Philip Winkler, Omid Nouripour,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – im
Irak, in Nachbarländern und in Deutschland

– Drucksachen 16/7468, 16/9006 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Johannes Jung (Karlsruhe)

Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Jürgen Trittin

Über die Beschlussempfehlung werden wir später auf
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich
abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Rolf Mützenich, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1616630900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ohne die folgenschwere Entscheidung der
US-Regierung, im Irak zu intervenieren, müssten wir
heute nicht über die Situation der Flüchtlinge reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch vor wenigen Tagen hat der frühere Pressespre-
cher des amerikanischen Präsidenten, McClellan, einge-
räumt, dass der Krieg gegen den Irak ein ernsthafter stra-
tegischer Missgriff war. Mehr als 4 Millionen Menschen
sind noch heute, fünf Jahre nach Beginn des Irak-Kriegs,
auf der Flucht. Nach 1948 ist dies die zweite große
Flüchtlingswelle in der Region. Allein 2 Millionen Ira-
ker leben in Syrien, Jordanien und dem Libanon. Nur
etwa ein Drittel der ehemals 1,2 Millionen Christen im
Irak sind heute noch im Land. Fünf von zehn Irakern
müssen täglich mit weniger als einem Euro überleben.
Das ehemals vorbildliche Gesundheits- und Bildungs-
system ist zusammengebrochen. 60 000 Iraker sind in-
haftiert, die Mehrzahl von ihnen ohne Prozess oder An-
klage. Die schreckliche Bilanz lautet: 1,2 Millionen
Menschen sind getötet worden. Genauso viele Menschen
wurden verwundet. Die Folgen des Irak-Kriegs sind de-
saströs. Schlimmer noch: Die angeführten Gründe für
den Einmarsch waren eine niederträchtige Manipulation.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


McClellan zieht ein verheerendes Fazit: Der Zusammen-
bruch der Kriegsgründe hätte keine Überraschung zu
sein brauchen. Damit bezichtigt der ehemalige Presse-
sprecher im Weißen Haus nicht allein seinen ehemaligen
Vorgesetzten der Selbsttäuschung. Auch denjenigen, die
vor fünf Jahren den US-Streitkräften in den Irak gefolgt
waren oder folgen wollten, schreibt er ins Zeugnis, sie
hätten es bereits damals besser wissen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb bin ich
stolz darauf, dass die von Gerhard Schröder geführte
Bundesregierung den Irak-Krieg von Anfang an abge-
lehnt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Obwohl einzelne Medien sowie politische und gesell-
schaftliche Meinungsführer eine Beteiligung Deutsch-
lands forderten, haben wir uns nicht beirren lassen. Da-
mals hat die SPD in einem geschichtlichen Moment
wieder richtig gehandelt.


(Beifall bei der SPD)


Auch wenn wir nicht alle furchtbaren Entwicklungen
vorhersehen konnten, wussten wir, dass dieser Krieg
falsch war. Wir befürchteten auch, dass die Invasion im
Irak die Region destabilisieren und die europäische Si-
cherheit bedrohen würde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir gegen
den Krieg waren, hat Deutschland sogleich geholfen.
Wir haben bisher rund 300 Millionen Euro für den Wie-
deraufbau und die Stabilisierung des Iraks bereitgestellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In den letzten beiden Jahren haben wir allein für die
Flüchtlingshilfe 8 Millionen Euro verausgabt. Im Jahre
2008 sind bereits 4 Millionen Euro in Projekte der hu-
manitären Hilfe geflossen. Ein Großteil der Leistungen
kam den Aufnahmeländern direkt zugute.

Vor allem Syrien hat irakische Flüchtlinge aufgenom-
men. Viele der 1,3 Millionen Iraker leben im Großraum
Damaskus. Nahezu jeder dritte Bewohner der Hauptstadt
ist ein Flüchtling. Man kann sich die daraus erwachsen-
den Herausforderungen für das Schul- und Gesundheits-
wesen, für den Wohnungsmarkt und für die Strom- und
Wasserversorgung nur ansatzweise vorstellen. Deshalb
war es richtig, dass wir in den vergangenen Monaten vor






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich
allem Syrien bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme
geholfen haben.


(Beifall bei der SPD)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Besuche
des Außenministers und der Entwicklungshilfeministe-
rin in Damaskus dienten vor allem diesem Ziel. Deswe-
gen ist es verwunderlich, dass diejenigen, die heute wei-
tere Anstrengungen verlangen, diese Besuche damals
kritisiert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, Frank-Walter Steinmeier und Heidemarie
Wieczorek-Zeul haben mit ihren Gesprächen und ihren
konkreten Hilfszusagen einiges für die Stabilisierung der
Situation und der Region getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Neben den staatlichen Instanzen in den arabischen
Nachbarstaaten des Iraks haben insbesondere Hilfsorga-
nisationen versucht, die Probleme der Flüchtlinge zu lin-
dern. So haben das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen, das Internationale Rote Kreuz und der Rote
Halbmond eine Menge bewegen können. Gleichzeitig
haben Menschen und private Organisationen in Syrien,
Jordanien und Libanon geholfen. Ihnen allen sei hiermit
ganz herzlich gedankt!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten in die-
sem Zusammenhang auch daran erinnern, dass bereits
heute 73 000 irakische Staatsangehörige in Deutschland
leben, darunter viele Jesiden und Christen. Ich würde
mir wünschen, dass weitere Iraker bei uns Schutz finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir begrüßen den Vorstoß des Innenministers, sich
dafür einzusetzen, dass in Deutschland und in den ande-
ren EU-Mitgliedstaaten weitere irakische Flüchtlinge
aufgenommen werden. Jetzt geht es darum, diesen Vor-
schlag rasch umzusetzen. Im Sinne der notleidenden
Menschen wäre es daher wünschenswert, wenn die EU-
Innenminister bereits auf der morgigen Ratstagung einen
Beschluss über die Zahl der aufzunehmenden Flücht-
linge und über die EU-interne Lastenverteilung fassen
würden.


(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Die Sitzung war heute Mittag!)


– Das werden Sie uns gleich berichten. Ich freue mich
auf Ihre Rede, Herr Innenminister. Die SPD-Fraktion un-
terstützt Ihre Initiativen. Darüber hinaus tritt die SPD-
Fraktion dafür ein, das Programm zur Wiederansiedlung
des UNHCR in Deutschland zu etablieren.


(Beifall bei der SPD)

Nunmehr findet eine Debatte darüber statt, ob wir ira-
kische Christen nach Deutschland holen sollten. Ich be-
zweifle, dass die Konzentration allein auf irakische
Christen den Herausforderungen angemessen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE] und des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Verschärft nicht bereits die Aufteilung entlang ethni-
scher und religiöser Trennlinien die Konfliktsituation im
Irak und in der Region? Ist eine Frauenrechtlerin musli-
mischen Glaubens in Deutschland weniger willkommen
als eine engagierte Politikerin christlichen Glaubens? Ist
nicht ein Arzt muslimischen Glaubens genauso mit tödli-
cher Verfolgung konfrontiert wie sein Kollege christli-
chen Glaubens?


(Zuruf von der SPD: Richtig!)


Dürfen wir die Beweggründe für Flucht anhand des
Glaubens relativieren?


(Zuruf von der SPD: Nein!)


Selbst wenn christlichen Flüchtlingen die Aufnahme
in Deutschland erleichtert werden sollte, könnten wir
nicht mit der Unterstützung des UNHCR rechnen. Denn
ich glaube, dass die Einzelschicksale im Vordergrund
stehen und nicht die Zugehörigkeit zu einer Religion.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Was wir brauchen, ist eine Flüchtlingspolitik, die auf die
individuellen Schicksale und nicht auf bestimmte Merk-
male Bezug nimmt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Flüchtlingspro-
blem ist leider nur ein Problem von vielen. Deshalb hat
sich Deutschland auf die Ausbildungshilfe im Berufs-
und Sicherheitssektor konzentriert. Deutsche Institutio-
nen haben irakische Sicherheitskräfte aus- und fortgebil-
det. Wir haben bei der Minenräumung geholfen.
Schließlich haben wir den politischen und administrati-
ven Wiederaufbau unterstützt, bei der Wahlbeobachtung
geholfen und die föderale Entwicklung begleitet. Der
Schuldenerlass beläuft sich gegenwärtig auf 5 Milliarden
Euro. Angesichts der schwierigen Situation sind dies nur
geringe Beiträge. Wir sollten uns darauf einstellen, dass
die Hoffnungen und Anforderungen gegenüber Deutsch-
land wachsen werden.

Es ist gut, dass wir in der vergangenen Woche zwei
hochrangige Besucher aus dem Irak empfangen durften.
Diese Konsultationen sollten fortgesetzt werden, auch
im Irak. Angesichts der Sicherheitslage, aber auch ange-
sichts der engen Beziehungen ist es derzeit durchaus an-
gemessen und sinnvoll, sich auf den kurdischen Teil des
Iraks zu konzentrieren. Zweifellos wäre die rasche Eröff-
nung eines Konsulats in Erbil ein wichtiges Zeichen. Ich
würde dies begrüßen. Zugleich wäre es falsch, die ande-
ren Regionen des Landes außer Acht zu lassen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat in
den vergangenen Jahren dem Irak geholfen. Wir werden
dies auch in Zukunft tun müssen. Wir sollten dabei eine
Politik unterstützen, die den ganzen Irak und alle Men-
schen in den Blick nimmt. Vor allem gegenüber den ara-
bischen Nachbarstaaten und dem Iran sollten wir deut-
lich machen, dass nur verlässliche, regionale Lösungen
einen Sicherheitsgewinn für alle bringen können. Der
Irak wird nur in einem so gesicherten Umfeld eine Zu-
kunft haben können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Elke Hoff (FDP):
Rede ID: ID1616631100

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir heute,
auch wenn es schon so spät ist, im Deutschen Bundestag
über das Thema der Flüchtlinge im Irak und außerhalb
des Iraks reden. Ich finde es auch gut, dass wir heute na-
mentlich abstimmen. Kollege Mützenich, Sie wissen,
dass ich Sie sehr schätze; aber ich muss Ihnen sagen, Sie
sind die Erklärung schuldig geblieben, wie sich Ihre
Fraktion nachher bei der Abstimmung verhalten wird.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Darauf bin ich nach Ihren Ausführungen sehr gespannt.

Wir alle müssen ein Interesse daran haben, dass die
Region, dass der Irak so schnell wie möglich stabilisiert
wird. Wir können in der Presse verfolgen und wir wissen
auch aus den Gesprächen, die wir mit irakischen Kolle-
ginnen und Kollegen führen, dass es darauf ankommen
wird, zwischen den verschiedenen Ethnien und zwischen
den verschiedenen religiösen Ausrichtungen eine Ba-
lance zu finden.

Deswegen kann ich die Intention und die Intonation
dessen, was der Innenminister zurzeit auf europäischer
Ebene betreibt bzw. was die Kolleginnen und Kollegen
von der Union betreiben, nicht verstehen. Wenn Sie von
den Schicksalen hören, wenn Sie sich mit den Flüchtlin-
gen unterhalten, hören Sie auch von muslimischen Fami-
lien, dass sie bedroht worden sind, dass Mitglieder ihrer
Familie massakriert worden sind, dass sie froh sind, es
geschafft zu haben, aus dieser fürchterlichen Situation
nach Jordanien oder Syrien zu fliehen. Wie könnten wir
einer solchen Familie sagen: Ihr habt euer Leben geret-
tet; aber ihr habt das Pech, dass ihr der falschen Konfes-
sion angehört. – Das ist für mich keine christliche Hand-
lungsgrundlage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen beweisen, dass es uns um mehr geht: dass es
uns um die Menschen geht und dass wir als Vertreter ei-
ner funktionierenden Demokratie, eines funktionieren-
den Staatswesens in der Lage sind, die Dinge zusam-
menzuführen.

Kollege Mützenich hat versucht, die Zuwendungen
positiv darzustellen. Wir erleben aber, dass irakische
Flüchtlinge diese Zuwendung nicht bekommen, dass
Frauen und sogar erst zwölfjährige Mädchen gezwungen
sind, sich zu prostituieren, ihren Körper zu verkaufen.
Das können wir nicht weiter hinnehmen. Die Probleme
sind eben nicht gelöst. Es wird zu wenig getan. Der
UNHCR hat erhebliche finanzielle Probleme. Wir soll-
ten an dieser Stelle den Ländern Syrien und Jordanien ei-
nen Dank dafür aussprechen,


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


dass sie die Lasten getragen haben, die wir als westliche
Wertegemeinschaft mit verursacht haben. Wir sitzen
nicht nur in einem Boot, wenn wir unsere Werte in der
Welt verkaufen wollen, wir sitzen auch in einem Boot,
wenn wir dafür geradestehen müssen, was im Namen
von Demokratie und westlicher Welt passiert ist.

Als Demokratin und Mitglied des Deutschen Bundes-
tages fühle ich mich über die konfessionellen und die
Parteigrenzen hinweg verpflichtet, so schnell wie mög-
lich einen Beitrag dafür zu leisten, dass die Menschen im
Irak eine Perspektive bekommen. Wir müssen heute
auch an die Zukunft denken.

Bei all den Analysen der Vergangenheit, die wir alle
hinreichend kennen und die schrecklich genug sind,
müssen wir auch eine Perspektive für die Stabilisierung
des Iraks finden,


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


das heißt das, was der Kollege Mützenich in Ansätzen
schon vorgetragen hat, nämlich den Austausch mit den
Institutionen und das Vorantreiben des gemeinsamen
Aufbaus von demokratischen Strukturen. Ich begrüße es,
dass sich viele Kolleginnen und Kollegen über die Par-
teigrenzen hinweg die Situation in Syrien und Jordanien
angeschaut haben, und ermuntere sie, auch den Weg in
den Irak zu finden. Wir setzen dadurch ein Zeichen, dass
uns wirklich daran liegt, das, was wir hier verkörpern
und wofür wir einstehen, auch den Menschen zukommen
zu lassen, die das – unter schlimmsten Bedingungen –
wollen.

Als ich die Gelegenheit hatte, den Irak zu besuchen,
haben sie mir gesagt: Wir wollen nicht euer Geld, wir
wollen auch keine militärische Hilfe, sondern wir wollen
wissen, wie es die Bundesrepublik Deutschland ge-
schafft hat, zu einer blühenden und prosperierenden De-
mokratie zu werden. Helft uns dabei! – Diese Anliegen,
Wünsche und Forderungen kamen über die religiösen,
ethnischen und regionalen Grenzen hinweg.






(A) (C)



(B) (D)


Elke Hoff
Herr Bundesinnenminister, ich begrüße Ihre Initiative
zusammen mit den Kollegen Innenministern der Länder
auf europäischer Ebene. Es würde mich jedoch sehr
freuen, wenn Sie diesen Pfad verlassen und all die Men-
schen mit einschließen würden, die unsere Hilfe brau-
chen, weil wir damit beweisen würden, dass wir Demo-
kraten und auch Christen sind.

Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631200

Ich gebe dem Bundesinnenminister Dr. Wolfgang

Schäuble das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Not und das Elend der Flüchtlinge im und
aus dem Irak ist so groß, dass es in der Tat gut ist, dass
wir das Thema nicht mit mehr Streit behandeln, als es
von der Sache her unvermeidbar ist.

Ich bin gerade vom Rat der Justiz- und Innenminister
in Luxemburg zurückgekommen. Die Verspätung hier ist
gar nicht so schlecht; denn so kann ich Ihnen sagen, wie
weit wir dort heute Mittag gekommen sind. Ich würde
aber gerne noch ein paar Bemerkungen vorweg machen.

Ich bin ganz davon überzeugt, dass es wahrscheinlich
eine der größten Herausforderungen sein wird, das
Flüchtlingsproblem nachhaltig zu bewältigen, wenn es
im Irak bald zu einer besseren Entwicklung kommt, was
wir ja alle hoffen. Ich bin auch fest davon überzeugt,
dass Europa seinen Beitrag dazu leisten muss. Ein Teil
Europas sind auch wir in Deutschland. Wir haben ja
auch eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Deshalb ist das richtig.

Ich habe mich zunehmend davon überzeugt, dass es
nicht ausreichen wird, den Ländern in der Region bei der
Bewältigung des Flüchtlingsproblems zu helfen, sondern
wir müssen auch dafür eintreten, dass ein Teil der Pro-
blematik dadurch gelöst wird, dass Flüchtlinge auch in
anderen Teilen der Welt Aufnahme finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dazu muss auch Europa seinen Beitrag leisten; denn
man kann das nicht nur anderen raten, sondern man
muss dann auch das Seine tun.

Wenn wir sagen, dass Europa seinen Beitrag leisten
muss, dann muss auch Deutschland seinen Beitrag leis-
ten, obwohl wir ganz anders als andere in Europa hin-
sichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen Vorbelastun-
gen haben. Ich muss gelegentlich darauf hinweisen, dass
Deutschland mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge auf-
grund der Kriege im ehemaligen Jugoslawien aufgenom-
men hat und wir noch immer an den Folgen leiden. Da-
mals war die europäische Solidarität und damit die
Bereitschaft, einen Beitrag zu leisten, geringer als heute.
Aber wir wollen ja, dass die Dinge besser werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will gleich hinzufügen: Das Problem kann nicht
dadurch gelöst werden, dass alle Flüchtlinge in anderen
Teilen der Welt oder in Europa Aufnahme finden. Ziel
muss es sein, dass möglichst viele wieder in den Irak zu-
rückkehren können. Deswegen muss das der entschei-
dende Punkt der mittel- und langfristigen Perspektive
sein.

Ich muss folgende Bemerkung machen: Man muss
wissen, dass wir in Deutschland nur etwas erreichen kön-
nen, wenn wir das gemeinsam mit den Ländern tun. Im
Übrigen: Die Aufenthaltsgewährung nach § 23 Aufent-
haltsgesetz geht nur – das steht auch in der Begründung
und ist Praxis –, im Einvernehmen mit den Bundeslän-
dern. Deswegen habe ich – auch im Menschenrechtsaus-
schuss des Bundestages – gesagt: Ich bin bereit, bei den
Innenministern und -senatoren der Bundesländer dafür
zu werben, mir zuzustimmen, dass ich eine solche Initia-
tive auf europäischer Ebene ergreifen kann. Ich bin dank-
bar, dass die Innenminister und -senatoren aller 16 Bun-
desländer einstimmig beschlossen haben, sie seien
einverstanden, dass der Bundesinnenminister eine solche
Initiative ergreift. Dies habe ich im April im Rat der eu-
ropäischen Justiz- und Innenminister getan.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zunächst war es nur eine Ankündigung, und heute ha-
ben wir es, weil es auf der Tagesordnung stand, etwas
substanzieller beraten. Ich hatte es mit dem schwedi-
schen Kollegen, dem slowenischen Kollegen – der am-
tierenden Präsidentschaft und dem französischen Kolle-
gen – Frankreich wird die Präsidentschaft – übernehmen –
beraten. Wir sind auch heute nicht zu einer abschließen-
den Entscheidung gekommen. Ich bleibe dabei, dass es
richtig ist – so war die Beschlussfassung der Konferenz
der Innenminister der Bundesländer –, dass wir einen
Beitrag im Rahmen einer europäischen Aktion leisten
wollen. Davon sollten wir nicht abgehen.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Und konkret?)


– Wir haben heute keine Zahlen genannt, geschweige
denn beschlossen. So weit sind wir nicht.

Weil andere davon sprachen, sie machten bereits et-
was und hätten nationale Quoten, habe ich in den Bera-
tungen darauf hingewiesen, dass Deutschland in jedem
Monat durchschnittlich mehr als 500 Asylbewerber und
Flüchtlinge aus dem Irak aufnimmt. Es ist keineswegs
so, dass keine Menschen aus dem Irak nach Deutschland
kämen und hier Aufnahme fänden. Trotzdem sollten wir
einen weiteren Schritt tun.

Heute haben sich all diejenigen, die sich im Rat der
Justiz- und Innenminister geäußert haben – auch der zu-
ständige Kommissar und Vizepräsident Barrot; geäußert
haben sich Frankreich, Schweden, Großbritannien, die
Niederlande, Slowenien usw. –, sehr für unsere Initiative
ausgesprochen. Ziel ist es, dass wir spätestens unter fran-
zösischer Präsidentschaft – möglichst im September, so
habe ich es mit dem Kollegen vor zwei Wochen vorbe-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
sprochen – zu einer Beschlussfassung kommen und hier-
bei mit dem UNHCR zusammenwirken. Natürlich sollen
auch die europäischen Mitgliedstaaten, die sich an einer
solchen Aktion solidarisch beteiligen, daran mitwirken
können, welche Menschen geeignet sind, in welchem
Land Aufnahme zu finden, wer besonders verfolgt ist
und wer bessere und wer schlechtere Rückkehrperspek-
tiven hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber in der Genfer Flüchtlingskonvention so nicht drin!)


Deswegen ist, mit Verlaub, die Beschlussempfehlung
des Ausschusses richtig und der Antrag falsch. Er ist zu
schematisch; er löst das Problem nicht.

Aber wir sind ja in der Sache nicht auseinander.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Da bin ich gespannt!)


– Sie vielleicht schon.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie haben bisher außer Formeln nichts gesagt!)


– Es gibt doch keine Formeln. Ich habe im Gegensatz zu
Ihnen etwas getan. Ich habe ziemlich viel getan, damit
wir hier vorankommen und das Problem gelöst wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich erläutere Ihnen, wie wir es am besten lösen und
einen europäischen Konsens zustande bringen können.
Es ist übrigens den Menschen und der Region mehr ge-
dient, wenn es eine gemeinsame europäische Initiative
gibt. Dafür habe ich auch das Einvernehmen der Innen-
minister aller Bundesländer, das ich dazu brauche, was
auch richtig so ist.

Wir haben gesagt, wir müssten doch denjenigen hel-
fen, die besonders verfolgt sind. Das sind nun einmal die
religiösen Minderheiten, wie es im europäischen Sprach-
gebrauch heißt. Wenn Sie im Irak genau hinschauen,
dann glauben Sie kaum, welche religiösen Minderheiten
unter den Flüchtlingen besonders bedrängt und verfolgt
sind. Besonders schlecht haben es die Christen. Das darf
man auch unter der Geltung des Grundgesetzes und der
Neutralität sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann muss man bei einer zwischen EU, Aufnahme-
land und UNHCR abgestimmten Aufnahmepolitik – Re-
settlementpolitik – auch bedenken, wer am besten wohin
passt und wen man wo aufnehmen kann. Ich sage das
mal in meiner alemannischen Art. Natürlich könnte man
auch sagen, die Christen sollten möglichst in der Türkei
Aufnahme finden, die Muslime möglichst in Mitteleu-
ropa. Ich halte es ein bisschen anders auch für intelli-
gent, wenn ich an die Chance denke, dass die Menschen
sich einfügen und zusammenpassen. Deswegen kann ich
nicht erkennen, dass es irgendwie diskriminierend sei,
wenn sich die christlichen Kirchen in Deutschland dafür
einsetzen, dass wir in besonderer Weise Christen helfen,
was nicht heißt, dass wir anderen nicht auch helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber gibt es übrigens in Europa auch großes Ein-
vernehmen. Jedes Mitgliedsland wird sein System nach
seinen eigenen Überzeugungen und Erfahrungen ausle-
gen. Verabredet ist, dass jedes Land im Rahmen der eu-
ropäischen Aktion daran mitwirken kann, zusammen mit
dem UNHCR mitzubestimmen, wen wir aufnehmen.

Ich habe mit dem Vertreter der Innenministerkonfe-
renz, dem Berliner Innensenator Körting, verabredet,
nicht bis zu einer formalen europäischen Beschlussfas-
sung zu warten. Auch das habe ich angekündigt, und ich
habe dafür geworben, dass andere Mitgliedstaaten auch
so verfahren. Vielmehr haben wir besprochen, ob wir
nicht im Vorgriff auf eine europäische Beschlussfassung
jetzt schon handeln sollten. Einige Länder sind schon da-
bei.

Herr Kollege Körting und ich werden mit den Innen-
ministern und -senatoren der Bundesländer in dieser
Frage in den nächsten Tagen Kontakt aufnehmen. Zwar
muss eine europäische Aktion, bei der wir – in Abstim-
mung mit dem UNHCR – mitreden, wer in Deutschland
aufgenommen wird, das Ziel bleiben, aber wir können in
Erwägung ziehen, im Vorgriff auf diese Aktion schon
jetzt zu handeln. Ich werbe dafür, das zu tun.

Wenn wir in diesem Sinne ein starkes Einvernehmen
erzielen, dann wird dies auch die Einigkeit der Innenmi-
nister und -senatoren der Länder fördern. Ich werbe da-
für, dass wir in dem Stil, in dem wir diese Debatte ge-
führt haben, aufeinander zugehen, es gemeinsam
angehen und uns nicht wieder durch Profilierungsversu-
che auseinandertreiben lassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616631400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit

über einem Jahr diskutiert der Innenausschuss über die
humanitäre Hilfe für irakische Flüchtlinge. Wir haben
damals den Antrag der Linken diskutiert, die ihn zuerst
eingebracht hat. Dann folgte der Antrag der Grünen. Die
Anträge sind abgelehnt worden.

Heute diskutieren wir über Soforthilfe für Flüchtlinge
aus dem Irak; es geht nicht um eine Hilfe zu irgendeinem
späteren Zeitpunkt. Es wurde bereits angesprochen, dass
es um fast 5 Millionen Menschen im Irak geht, die auf
der Flucht sind. Etwa 2,2 Millionen Menschen sind in-
nerhalb des Irak auf der Flucht, und 2,7 Millionen Men-
schen sind in die inzwischen überlasteten Nachbarländer






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
geflüchtet, die es sich nicht mehr leisten können, diese
Flüchtlinge zu ernähren.

Allein in Deutschland leben zurzeit 25 000 irakische
Flüchtlinge, die anerkannt sind. 9 000 sind nur geduldet.
Sie müssen täglich davon ausgehen, das Land zu verlas-
sen.

Herr Schäuble, zu meinem Erstaunen war heute zu-
mindest zu hören, dass Sie bereit sind, jetzt schon mit
der Hilfe anzufangen. Das ist in der Tat eine neue Infor-
mation. Am Mittwoch hieß es im Innenausschuss noch,
dass frühestens unter der französischen Ratspräsident-
schaft, möglicherweise im Oktober, damit begonnen
werden soll.

Die Linke ist der Meinung, dass Soforthilfe nötig ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Nach einem Jahr intensiver Debatte im Innenausschuss
ist es ein Armutszeugnis, dass die deutsche Ratspräsi-
dentschaft diesen Punkt nicht aufgegriffen hat. Man
muss nicht warten, bis die einzelnen Länder der EU be-
reit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Die geltende Rechts-
lage erlaubt es, hier und jetzt mit dem Resettlement-Pro-
gramm zu beginnen. Das fordern das UNHCR und viele
Flüchtlingsorganisationen seit langem.

Herr Schäuble hat darauf hingewiesen, dass die Län-
der mit einbezogen werden müssen. Wie lange soll das
denn dauern, wenn erst jedes einzelne Land darüber be-
raten will, ob es Flüchtlinge aufnimmt? Bisher sind Zah-
len zwischen 1 000 und 2 000 Flüchtlingen im Gespräch.
Das halte ich für viel zu wenig.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Kirchen haben sich vorbildlich dafür eingesetzt,
dass die irakischen Flüchtlinge auch in Deutschland auf-
genommen werden. Ich bin sicher, dass die Kirchen
nicht der Meinung sind, dass dabei ausschließlich die
christliche Minderheit zu berücksichtigen ist, die in der
Tat besonders verfolgt wird. Wir treten vielmehr dafür
ein, dass die Flüchtlinge unabhängig von ihrer religiösen
Einstellung oder ethnischen Herkunft hier aufgenommen
werden können.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Zum Schluss möchte ich einen Punkt ansprechen, der
ebenfalls in die Gedanken von Herrn Schäuble einflie-
ßen sollte. Sie haben hinsichtlich einer Kleinen Anfrage
der Fraktion Die Linke angekündigt, dass im kommen-
den Jahr der Asylstatus von 12 500 irakischen Flüchtlin-
gen erneut überprüft werden solle. Das bedeutet, dass die
betroffenen Menschen Angst vor der Zukunft haben,
Angst, möglicherweise in ein Land abgeschoben zu wer-
den, in dem Krieg geführt wird. Das Bundesamt sollte
angewiesen werden, keinerlei Überprüfungen vorzuneh-
men, sondern den Menschen ihren Asylstatus zu belas-
sen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Linke will eine klare europäische Regelung für
die Beteiligung an den Resettlement-Programmen. Das
kann gar keine Frage sein. Andere europäische Länder
tun das bereits. Es ist wichtig, dass diejenigen, die es
nicht tun, überzeugt werden; denn die Flüchtlinge aus
dem Irak brauchen unsere Solidarität und vor allen Din-
gen eine Lösung. Deshalb unterstützen wir den Antrag
der Grünen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631500

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte hat gezeigt: Wir sind uns über die dramati-
sche Lage der irakischen Flüchtlinge weitgehend einig.
Wir sind uns ebenfalls darüber einig, dass Deutschland
und die Europäische Union dringend und schnell helfen
müssen, und zwar auch bei der Aufnahme von Flüchtlin-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Kollege Mützenich, Sie haben eine gute Rede
gehalten und sicherlich gesehen, dass wir Grüne Ihnen
voll zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bin gespannt, wie Sie sich bei der Abstimmung über
unseren Antrag verhalten werden. Nach Ihrer Rede
müssten die SPD-Fraktion, aber auch Kolleginnen und
Kollegen von der Union unserem Antrag zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Elke Hoff [FDP] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Die Aufnahmeländer Syrien und Jordanien dürfen mit
den Flüchtlingen nicht alleine gelassen werden. Sie sind
an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und reagieren
teilweise sehr restriktiv auf die Flüchtlinge, zum Bei-
spiel mit Arbeitsverboten, was zur Folge hat, dass die
Flüchtlinge in katastrophalen Verhältnissen leben. Herr
Vaatz und Frau Steinbach, Sie haben das alles auf Ihren
Reisen erfahren. Herr Schäuble, wir begrüßen es sehr,
dass die EU-Innenminister auf deutsche Initiative hin
endlich darüber beraten haben, wie sich die EU im Rah-
men von Resettlement-Verfahren an der Aufnahme iraki-






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Müller (Köln)

scher Flüchtlinge beteiligen kann. Das ist ein wichtiges
humanitäres Signal und eine der zentralen Forderungen
unseres Antrags, der deshalb von vielen Kolleginnen
und Kollegen unterstützt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es muss aber auch gesagt werden – dies haben Sie lei-
der unterschlagen, Herr Schäuble –: Dieses Signal war
überfällig. Durch das fast ein Jahr dauernde Hin und Her
in der Koalition in der Frage, wie man mit den iraki-
schen Flüchtlingen verfahren soll, wurde eine schnelle
Lösung auf der europäischen Ebene verhindert; das ist
unverantwortlich. Schon während der deutschen EU-
Ratspräsidentschaft hätten Sie die Initiative ergreifen
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Hoff [FDP])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631600

Frau Kollegin Müller, vielleicht warten Sie einen Au-

genblick. Ich stoppe auch Ihre Zeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vonseiten der
Grünen nicht möglich, die Kollegin zu hören. Herr Kol-
lege Reiche, ich bitte Sie, die Gespräche einzustellen
oder außerhalb des Saales fortzuführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Vielen Dank. – Ich will auf den Grund eingehen. Teile
der Union haben lange Zeit gefordert, nur Angehörige
christlicher Minderheiten aufzunehmen. Damit wurden
eine entsprechende Regelung und eine schnelle Einigung
in der Europäischen Union verhindert. Herr Grindel und
Herr Uhl von der Union haben noch vor einigen Tagen ge-
sagt, dass es keine Beschlusslage in der Fraktion dazu
gebe und dass man sich bei der Aufnahme keinesfalls an
den Resettlement-Gruppen des UNHCR orientieren dürfe.
Diese Position ist angesichts des Elends der Flüchtlinge
unhaltbar. Es darf nicht nach religiöser Zugehörigkeit,
sondern es muss nach der Schutzbedürftigkeit der iraki-
schen Flüchtlinge gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)


Herr Vaatz, Sie haben es auf Ihrer Reise selbst zu hö-
ren bekommen. Der UNHCR in Damaskus hat zu Recht
gesagt: Wir weigern uns, nach diesem Kriterium vorzu-
gehen. Ich möchte Ihnen das Beispiel einer sunnitischen
Frau nennen, die fünf Kinder hat und in Damaskus in ei-
nem Kellerloch lebt. Ich glaube, Sie sind mit diesem
Beispiel konfrontiert worden. Sie wurde vertrieben, weil
sie zur sunnitischen Minderheit im Irak gehört, und muss
ihre fünf Kinder mehrere Stunden am Tag in diesem Kel-
lerloch einsperren, damit sie illegal etwas Geld verdie-
nen kann. Ich frage Sie: Ist diese Frau weniger schutzbe-
dürftig als Angehörige christlicher Minderheiten? Das
kann nicht Ihr Ernst sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Herr Schäuble, Sie haben die katholische und die evan-
gelische Kirche erwähnt. Vertreter beider Kirchen waren
auf dieser Reise Ihrer Kollegen mit. Ich möchte den von
uns allen sehr geschätzten Prälaten, Herrn Jüsten, zitieren.
Er hat nämlich nach dieser Reise Folgendes gesagt: Bei
Härtefällen ist die Religion zweitrangig. Da gilt die Ge-
schichte vom barmherzigen Samariter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Ich kann Ihnen nur sagen: Er hat recht. Das muss die
Richtlinie von Christinnen und Christen bei der Auf-
nahme von Flüchtlingen sein. Insofern hoffen wir, dass
es zu einem schnellen Beschluss auf der Ebene der Euro-
päischen Union kommt. Aber ich möchte Sie auch auf-
fordern: Solange die Europäer nicht entscheiden, muss
Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen – aber
nicht, indem nach Christen und Nichtchristen unter-
schieden wird – und schnell und unbürokratisch iraki-
sche Flüchtlinge hier aufnehmen. Dazu fordere ich die
Innenminister und die Bundesregierung auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Hilfe für irakische
Flüchtlinge ausweiten – im Irak, in Nachbarländern und
in Deutschland“. Ich weise die Kolleginnen und Kolle-
gen darauf hin, dass uns Erklärungen nach § 31 vor-
liegen, die von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen
unterschrieben wurden.1) Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9006,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7468 abzulehnen. Wir stimmen nun über
die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, ihre vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? –
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.

Wir setzen die Beratungen fort.

1) Anlagen 4 und 5






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Seelotsgesetzes
– Drucksache 16/9037 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/9390 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Michael Goldmann

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen:
Enak Ferlemann, CDU/CSU, Dr. Margrit Wetzel, SPD,
Hans-Michael Goldmann, FDP, Dorothée Menzner, Die
Linke, Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen, und
die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth.1)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-

kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/9390, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9037
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit auch in dritter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 sowie die Tagesordnungs-
punkte 17 a bis 17 d auf:

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Burk-
hardt Müller-Sönksen, Harald Leibrecht, Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Präsident Medwedew beim Wort nehmen
– Drucksache 16/9423 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

17 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Dr. Werner Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnar-
renberger, Harald Leibrecht, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

1) Anlage 7
Für eine konstruktive Zusammenarbeit mit
Russland und einen kritischen Dialog

– Drucksachen 16/4165, 16/7907 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Grund
Johannes Pflug
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck (Bremen)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Ent-
schließungsantrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander

Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zu der Bera-
tung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ma-
rieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Ale-
xander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre
Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der
EU und Russland

– Drucksachen 16/4932, 16/6241, 16/7187,
16/7873 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Johannes Jung (Karlsruhe)

Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Volker Beck (Köln)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

luise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Rain-
der Steenblock und der Fraktion BÜND-NIS 90/
DIE GRÜNEN

Anforderungen an eine strategische Partner-
schaft der EU mit Russland

– Drucksachen 16/4155, 16/7906 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Grund
Markus Meckel
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck (Bremen)


d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

luise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Ale-
xander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusammenarbeit der EU mit Russland stär-
ken

– Drucksachen 16/8420, 16/9464 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Gut-
tenberg
Markus Meckel
Harald Leibrecht
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck (Bremen)


Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen:
Karl-Georg Wellmann, CDU/CSU, Gert Weisskirchen,
SPD, Harald Leibrecht, FDP, Wolfgang Gehrcke, Die
Linke, Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.1)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616631900

Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung der

Vorlage auf Drucksache 16/9423 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 17 a. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Für
eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland und ei-
nen kritischen Dialog“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7907, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4165
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Linken, der
SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und
bei Enthaltung der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zur Beratung ihrer Großen Anfrage mit dem
Titel „Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre
Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und
Russland“, Drucksachen 16/4932, 16/6241, 16/7187.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/7873, den Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktio-
nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen und bei Ent-
haltung der Fraktion der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 c. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Anforderungen
an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/7906, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4155 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die
Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der Frak-

1) Anlage 8
tion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Frak-
tion der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 d. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis90/Die Grünen mit dem Titel „Zusammenarbeit
der EU mit Russland stärken“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9464,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/8420 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hammelsprung! Mehrheit!)


Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD und der
CDU/CSU bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 sowie den Zu-
satzpunkt 4 auf:

18 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Hü-
binger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha
Raabe, Gregor Amann, Elvira Drobinski-Weiß,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit
Deutschlands im Rahmen der strategischen
Partnerschaft der Europäischen Union mit
den Staaten Lateinamerikas und der Kari-
bik zielgerichtet stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hän-
sel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima –
Impulse für solidarische und gleichberech-
tigte Beziehungen zwischen der EU und La-
teinamerika

– zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die strategische Partnerschaft zwischen der
Europäischen Union, Lateinamerika und
der Karibik durch eine intensive Umwelt-
und Klimakooperation beleben

– Drucksachen 16/9073, 16/9074, 16/8907,
16/9458 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Dr. Karl Addicks
Hüseyin-Kenan Aydin
Thilo Hoppe






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Beziehungen zu Lateinamerika und den
Staaten der Karibik stärken und den EU-La-
teinamerika/Karibik-Gipfel zu einer ehrli-
chen Bestandsaufnahme nutzen

– Drucksachen 16/9056, 16/9475 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Niels Annen
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1616632000

Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Der

Gipfel in Lima ist zu Ende. Ich bin der Meinung, dass er
den Beziehungen zwischen Lateinamerika und Europa
sehr gut getan hat.

Bei den zentralen Themen wie Armutsbekämpfung
und globalem Klimaschutz gab es rege Diskussionen,
die zeigten, dass sowohl Europa als auch Lateinamerika
eine enge und ernsthafte Zusammenarbeit wollen, die
auf eine strategische Partnerschaft zielt. Dabei sind das
klare Bekenntnis der lateinamerikanischen Staaten zu
den Millenniums-Entwicklungszielen und der Wille,
diese sogar zu übertreffen, ein großer Fortschritt und
eine wichtige Grundlage für unsere weitere Zusammen-
arbeit.

Gerade bei der Überwindung der sozialen Ungleich-
heiten wird es davon abhängen, wie sehr der einzelne
Staat bereit ist, diesen Konflikt durch den Aufbau von
Instrumenten zu lösen. Denn trotz steigender Sozialaus-
gaben in vielen lateinamerikanischen Staaten in den letz-
ten Jahren und trotz sozialpolitischer Programme wie
des brasilianischen Programms „Bolsa Família“ liegt die
Entwicklung im sozialen Bereich noch weit hinter dem
guten wirtschaftlichen Wachstum der letzten Jahre zu-
rück.

Die im Antrag der Koalitionsfraktionen enthaltenen
Forderungen zu nachhaltigen Entwicklungen waren in
Lima immer wieder wichtige Gesprächsthemen auf
multilateraler Ebene sowie in vielen bilateralen Dialogen
unserer Kanzlerin. Denn die entwicklungspolitische Zu-
sammenarbeit hat durch den breit angelegten Ansatz in
der Armutsbekämpfung und in Fragen des Klimaschut-
zes eine Schlüsselrolle. So wurde auch in der Gipfeler-
klärung zu Recht unterstrichen, dass die Möglichkeiten
der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit für die Be-
kämpfung der sozialen Ungleichheiten noch stärker als
bisher genutzt werden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber auch in unserer Arbeit sehe ich noch erhebliches
Potenzial, wenn es darum geht, flexibler auf regionale
Veränderungen zu reagieren, unsere zahlreichen Aktivi-
täten im internationalen Bereich besser aufeinander ab-
zustimmen und Schnittmengen zu gestalten. Ich denke
an dieser Stelle an internationale Projekte im For-
schungs- und Bildungsbereich. Doch auch im Wirt-
schafts- und Energiebereich gibt es noch viel Potenzial,
mit entwicklungspolitischen Instrumenten eine wirklich
nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist es aber
ebenso wichtig, dass wir von den lateinamerikanischen
Partnern ganz klare Hinweise bekommen, was genau zu
tun ist und welche Unterstützung in welchem Bereich
gebraucht wird. Oft müssen keine großen Summen in-
vestiert werden, damit die Lebenssituation der Men-
schen erheblich verbessert werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Gespräch mit der Bundeskanzlerin wies der perua-
nische Staatspräsident auf die Notwendigkeit von
Rauchabzugsanlagen für den ländlichen Raum hin, da-
mit die Lebens- und Gesundheitssituation der Menschen,
die in einem einzigen Raum wohnen und kochen, ver-
bessert werden kann.

Dieser gegenseitige Austausch spielt für den Ent-
wicklungserfolg eine ganz entscheidende Rolle; denn je-
des Land hat seine eigenen spezifischen Herausforderun-
gen, die wiederum sehr individuelle Ansätze benötigen.
Differenzierte Ansätze sind deshalb in unseren Antrag
eingeflossen.

Wenn wir von Lateinamerika sprechen, dann muss
uns klar sein, dass wir einer Vielfalt von Staaten und
Völkern gegenüberstehen, die in ihrer Ausprägung nicht
unterschiedlicher sein könnten. Diese notwendige Flexi-
bilität muss meines Erachtens auch die EU bei den noch
offenen Handels- und Assoziierungsabkommen mit der
Andenregion, mit Zentralamerika und mit dem Mercosur
deutlich zeigen. Dabei sollte vielleicht – darauf verwies
Präsident García meines Erachtens zu Recht – zuerst mit
denen begonnen werden, die es auch ernsthaft wollen.

In der lateinamerikanischen Vielgestaltigkeit nehmen
wir aber auch Entwicklungen wahr, die als sehr kritisch
zu bewerten sind, Entwicklungen wie beispielsweise die
in Venezuela. Menschenrechtsverletzungen stehen dort
zunehmend auf der Tagesordnung, das zeigt zum Bei-
spiel das jüngst per Dekret erlassene Geheimdienstge-
setz. Durch staatszentralistische Maßnahmen werden die
Ressourcen der venezolanischen Bevölkerung für die ei-
genen populistischen Zwecke des Staatspräsidenten
Chávez missbraucht.


(Jan Mücke [FDP]: Pfui!)







(A) (C)



(B) (D)


Anette Hübinger
Meine Damen und Herren von der Fraktion Die
Linke, es wäre wirklich an der Zeit, dass Sie sich endlich
eingestehen, dass die Politik, die Sie wiederum in Ihrem
Antrag verfolgen und auch in anderen Ländern unterstüt-
zen, den Menschen keine Zukunft gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Den Menschen eine Zukunft zu eröffnen, ist ein zen-
trales Anliegen unserer entwicklungspolitischen Zusam-
menarbeit. Deshalb werden Themen wie Bildung, Auf-
bau von Sozialsystemen und rechtsstaatliche Strukturen,
die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch
Eliten und Unternehmen, die Einführung von gerechten
Steuersystemen, Good Governance, aber auch Umwelt-
fragen in unseren politischen Dialogen immer wieder
eine große Rolle spielen. Wir wissen nämlich aus eige-
ner Erfahrung, wie wichtig diese Sektoren für den Auf-
bau einer funktionierenden Gesellschaft und für eine
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung sind. Gerade
wir im ressourcenarmen Deutschland wissen, was ein
gutes Bildungssystem bedeutet. Deshalb werden wir
auch in den lateinamerikanischen Ländern unermüdlich
dafür werben, in die Bildung der Menschen zu investie-
ren. Nur so wird sich das derzeitige wirtschaftliche
Wachstum auch in Zukunft nachhaltig entwickeln.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang möchte ich als ein gelun-
genes Beispiel der ressortübergreifenden Arbeit zwi-
schen dem BMZ und dem BMBF in Mexiko den Start ei-
nes Masterstudiengangs im Umweltbereich nennen.
Kooperationen gerade auch im Umweltbereich werden
in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Denn
keine Region verfügt über so viele geschützte und ökolo-
gisch wertvolle Gebiete wie Lateinamerika.

Die größte Herausforderung für uns alle wird meines
Erachtens dabei sein, uns gemeinsam bei den globalen
Fragen des Klimaschutzes, des Walderhaltes und des Er-
halts der Biodiversität der Verantwortung zu stellen und
zu international gültigen Regeln zu kommen. Einzelpro-
jekte können hierbei einen wichtigen und wertvollen
Beitrag leisten. Als Beispiele wären zu nennen: unsere
Unterstützung bei den Regionalprogrammen des Ama-
zonas-Paktes oder das sich in der Prüfung befindliche
ITT-Projekt in Ecuador.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Klar ist auch, dass wir als Industrienation dabei eine
Bringschuld haben. Deshalb müssen wir auch eine Vor-
reiterrolle übernehmen. Die Zusage der Bundeskanzle-
rin, bis 2012 für den Walderhalt 500 Millionen Euro zu-
sätzlich zur Verfügung zu stellen und danach jährlich
den gleichen Betrag, ist ein wichtiger Vorstoß.

Auch benötigen wir eine ständige Dialogplattform,
um diese wichtigen Themen zu diskutieren. Brasilien
wird im November dieses Jahres zu einer internationalen
Konferenz einladen, auf der die Fragen Agrartreibstoffe,
Nahrungsmittelsicherheit und Klimawandel diskutiert
und Lösungsansätze entwickelt werden sollen.
Begreifen wir Lateinamerika in seiner Vielfältigkeit
so, wie wir im vereinten Europa unsere verschiedenen
Kulturen erleben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe,
für die großen zentralen Herausforderungen unserer Zeit
gemeinsame Lösungen zu finden, damit die Fiktion einer
strategischen Partnerschaft zwischen Lateinamerika und
Europa auch Realität wird. Die Entwicklungspolitik von
deutscher wie auch von europäischer Seite kann dabei
wertvolle und unterstützende Arbeit leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616632100

Ich gebe nun das Wort der Kollegin Marina Schuster,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1616632200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte zunächst auf meine Vorrednerin
eingehen. Ich weiß nicht, welches Gipfeldokument Sie
gelesen haben. Ich kann jedenfalls in der 15-seitigen Ab-
schlusserklärung wenig Konkretes finden. Substanzielle
Ergebnisse sind ebenfalls ausgeblieben.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: BP: Brille putzen!)


So war dieser Gipfel wie auch die Gipfel zuvor leider
eine Veranstaltung mit hohem Symbolcharakter, aber
ohne neue Ergebnisse. Das ist wirklich sehr schade.


(Beifall bei der FDP)


Vor fast zehn Jahren, 1999, ist diese strategische Part-
nerschaft begründet worden. Es ist schon gut, wenn man
sich die alten Gipfelerklärungen anschaut. 1999 wurden
insgesamt 69 Punkte vereinbart. Man muss schon die
kritische Frage stellen, was bisher herausgekommen ist
und was bisher umgesetzt worden ist. Die Ergebnisse
sind einfach mau.

Ich hatte die Hoffnung, dass der Gipfel in Lima neuen
Schwung bringt. Deutschland und die EU waren einfach
zu wenig engagiert und haben zu wenige ehrgeizige
Ziele vereinbart. Das rächt sich zu einem Zeitpunkt, zu
dem sich die politische Landkarte in Lateinamerika
komplett verändert hat und sehr viel komplexer ist als
noch vor zehn Jahren.

Jahrelang sind wir wie selbstverständlich davon aus-
gegangen, dass wir der natürliche Partner Lateinameri-
kas sind, weil wir in der Tat viele Werte teilen,


(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!)


was die Kultur, die Religion und die Tradition angeht.
Aber der große Fehler war, zu glauben, dass uns der
Kontinent so nahe ist, dass wir uns nicht mehr aktiv da-
rum bemühen müssen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Marina Schuster
Jetzt wundern wir uns, dass China, Indien und Russ-
land vor Ort an Einfluss gewinnen und dass sie ihre Be-
ziehungen gefestigt haben. Da muss ich auch an die
Adresse der Grünen sagen: Wer sich an die Politik von
Joschka Fischer erinnert, der muss auch feststellen, dass
es in dieser Zeit keine neuen Impulse gab.


(Beifall bei der FDP)


Glücklicherweise ist das Interesse der lateinamerikani-
schen Staaten an den Beziehungen zu Deutschland und
zur Europäischen Union sehr hoch. Wir müssen endlich
diese ausgestreckte Hand ergreifen.

Die Staaten Lateinamerikas haben ein neues Selbstbe-
wusstsein gewonnen. Der Rohstoffboom und die asiati-
sche Nachfrage nach Energie und Lebensmittel tun das
Ihre dazu. In diesem Zusammenhang erwarte ich von der
Bundesregierung, dass sie definiert, welche Rolle
Lateinamerika für die künftige Energiediversifizierung
Deutschlands und der Europäischen Union spielen soll.

Zudem müssen wir uns eingestehen, dass sich unsere
Hoffnungen auf eine lateinamerikanische Integration
nach europäischem Vorbild auf absehbare Zeit wohl
nicht erfüllen werden. Dies ist sehr schade. Die Gründe
dafür sind aber auch bekannt.

Zum einen ist es die nachlassende Bereitschaft der la-
teinamerikanischen Staaten, nationale Souveränität ab-
zutreten. Dafür ist Mercosur ein gutes Beispiel. Ob die
seit Jahren geplanten Assoziierungsabkommen mit dem
Mercosur oder auch mit der Anden-Gemeinschaft über-
haupt noch zustande kommen, ist die große Frage. Bei
der Erklärung der Mercosur/EU-Troika, die jetzt im In-
ternet steht, ist das Deckblatt größer als die Erklärung
selbst. Ich glaube, da sind wir auf keinem guten Weg.

Zum anderen müssen wir Europäer uns fragen, was
unsere neue Initiative ist. Es ist vollkommen richtig, auf
den globalen Freihandel zu setzen. Auch wir wünschen
uns endlich den Durchbruch bei den Doha-Verhandlun-
gen. Wir müssen aber auch eine ehrliche Bestandsauf-
nahme vorlegen und überlegen, inwieweit wir EU-weit
bilaterale und subregionale Abkommen forcieren müs-
sen, so wie wir das im Falle von Chile und Mexiko ge-
macht haben.


(Beifall bei der FDP)


Ansonsten verpassen wir den Zug, auf den andere schon
längst aufgesprungen sind.

Ich begrüße, dass die Kanzlerin Deutschland in Lima
prominent vertreten hat und dass sie sich von Chávez
nicht hat aus der Ruhe bringen lassen.


(Beifall bei der FDP)


Es ist aber die Frage, mit welchen Initiativen die Bun-
desregierung jetzt an die Umsetzung herangehen und
wie sie zum Beispiel die Außenwirtschaft und den Tou-
rismus forcieren will. Es ist auch ganz drängend, im Be-
reich der Sicherheitspolitik enger zusammenzuarbeiten.
Wir haben Probleme im Bereich der Bekämpfung des
Drogenhandels und des Terrorismus, aber auch in der
Frage der Abrüstung. Da ist viel zu tun. Außerdem be-
steht bei der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
enormer Handlungsbedarf.


(Beifall bei der FDP)


Ich frage mich, welche konkreten Ziele und welchen
Zeitrahmen die Bundesregierung vereinbaren will. Denn
zu einer strategischen Partnerschaft gehört aus meiner
Sicht eine umfassende Zusammenarbeit in allen wichti-
gen Politikbereichen. Eines darf nicht passieren: dass
wir den Begriff „strategische Partnerschaft“ als dauernde
Wunschvorstellung in unsere Dokumente schreiben und
dass dies nicht Wirklichkeit wird.


(Beifall bei der FDP)


Gerade für Lateinamerika gilt, dass diese Partnerschaft
endlich mit Leben erfüllt werden muss. Dafür ist es aus
liberaler Sicht höchste Zeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616632300

Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1616632400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben die vorliegenden Anträge vor
einigen Wochen in erster Lesung diskutiert. In unserem
Koalitionsantrag haben wir einige Anregungen und
Wünsche in Richtung Bundesregierung – an der Spitze
die Bundeskanzlerin – formuliert, die wir heute nach-
träglich beschließen. Der Lateinamerika-Gipfel hat ja in
der Zwischenzeit stattgefunden. Als Augenzeuge dieser
Reise – ich durfte die Kanzlerin für die SPD-Fraktion
auf dieser Reise begleiten – kann ich Ihnen sagen, dass
sie die wesentlichen Punkte, die wir in dem Antrag der
Koalition vereinbart hatten, bei ihren Gesprächen in al-
len vier Ländern und auf dem Gipfel angesprochen hat.

Wir haben in unserem Antrag eine Vertiefung der Be-
ziehungen zwischen der Europäischen Union und La-
teinamerika nicht nur allgemein gefordert, sondern das
auch mit ein paar konkreten Inhalten gefüllt. Zum Bei-
spiel muss der Umwelt- und Ressourcenschutz auch
dazu führen, dass das Erbe, das wir unserer nachfolgen-
den Generation, den Kindern, im Bereich der biologi-
schen Vielfalt hinterlassen – dazu hat kurz danach die
Konferenz in Bonn stattgefunden –, wirkungsvoll ge-
schützt wird. Das geht natürlich nicht, wenn wir den Ent-
wicklungsländern und unseren lateinamerikanischen
Partnern – zum Beispiel Brasilien oder Ecuador, wo es
große Regenwaldflächen gibt – nur mit dem moralischen
Zeigefinger sagen: Ihr müsst euren Wald schützen. – Na-
türlich müssen diese Länder ihre Verantwortung wahr-
nehmen. Aber unsere Bundeskanzlerin hat sich im Sinne
unseres Antrags dazu bekannt, dass Deutschland weiter-
hin und verstärkt seinen finanziellen Beitrag dazu leisten
wird, dass diese Wälder geschützt werden und dass die
lokale Bevölkerung, die um diese Wälder lebt, und die
indigene Bevölkerung, die in diesen Wäldern lebt, Ein-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sascha Raabe
kommensalternativen erhalten, wenn sie keine Wälder
roden.

Wir haben schon vor vielen Jahren in Brasilien – das
war die erste Station der Reise – das PPG-7-Projekt ge-
startet, um den amazonischen Regenwald zu schützen.
Mittlerweile sagt man in Brasilien oft – das habe ich vor
Ort gehört –: Das ist eigentlich das PPG-1-Projekt, weil
Deutschland der einzige Geldgeber ist, der dieses Pro-
jekt noch wirkungsvoll unterstützt. Deshalb hat man in
Brasilien einen großen Respekt und eine große Anerken-
nung dafür, was wir im Bereich des Tropenwaldschutzes
leisten.

Vor dem Gespräch, das die Kanzlerin mit dem ecua-
dorianischen Präsidenten Correa geführt hat, hatte ich
Gelegenheit, mit ihr über den Vorschlag der ecuadoriani-
schen Regierung zu sprechen, dass wir in einem beson-
ders wertvollen Abschnitt des Amazonas, in dem die
höchste Biodiversitätsdichte der Welt herrscht, in dem
also die meisten Pflanzen- und Tierarten vorkommen –
abgekürzt: im ITT-Gebiet; eine Parlamentarierdelegation
hat sich dies zuvor auf einer Reise in das Amazonasge-
biet angeschaut –, helfen. Denn unter dem Boden dieses
Gebietes liegen die größten Erdölreserven Ecuadors.

Ecuador ist ein armes Land; es kann nicht ohne Wei-
teres auf solche Einnahmen verzichten. Denken Sie da-
ran, welche hohen Erdölpreise wir gerade haben. Da
gäbe es viel zu gewinnen, was dieses Land für Infra-
struktur, Bildung, Gesundheit und die Armutsbekämp-
fung einsetzen könnte. Deswegen hat Ecuador gesagt:
Wir erkennen unseren Teil der Verantwortung an. Wir
verzichten auf die Hälfte der möglichen Einnahmen aus
der Erdölförderung, wenn die Weltgemeinschaft die
zweite Hälfte kompensiert und wir dieses Geld für die
Bevölkerung vor Ort nehmen können, damit sie sich an-
dere Einkunftsquellen erschließen kann.

Auch das hat die Kanzlerin in einem Gespräch mit
Correa unterstützt. Wir von der Koalition werden ge-
meinsam mit den Grünen dazu einen Antrag in den Bun-
destag einbringen, in dem zum Ausdruck gebracht wird,
dass wir dieses Projekt unterstützen wollen.

Die Kanzlerin hat auch beim Thema Biokraftstoffe
das, was wir in unserem Antrag beschrieben haben und
auch in vielen anderen Papieren zu lesen ist, sehr diffe-
renziert und positiv rübergebracht: Biokraftstoffe, zum
Beispiel aus Zuckerrohr gewonnenes Ethanol, können
und dürfen nur dann nach Europa eingeführt werden,
wenn sie aus nachweislich zertifiziertem Anbau stam-
men. Es darf also weder zu ökologischen Beeinträchti-
gungen – auch nicht zu indirekten Beeinträchtigungen,
die sich daraus ergeben, dass der Sojaanbau auf Regen-
waldflächen verlagert wird – noch zu einer Konkurrenz
zur Nahrungsmittelproduktion kommen; denn auch die
Ernährungssicherheit ist uns wichtig.

Die Kanzlerin hat in Brasilien im Sinne unseres An-
trages durchaus den richtigen Ton getroffen. Es ist be-
kannt, dass Präsident Lula in der Produktion von Bio-
kraftstoffen große Chancen sieht. Es ist berechtigt, dass
er diese Chancen wahrnehmen will. Er hat aber schon
die Botschaft verstanden, die wir vom deutschen Parla-
ment über unsere Bundeskanzlerin ausgesandt haben:
Wir wollen darauf achten, dass die ökologischen und so-
zialen Kriterien gewahrt bleiben.

Apropos soziale Kriterien: Gerade in Lateinamerika,
auf einem Kontinent, der hohe wirtschaftliche Wachs-
tumsraten verzeichnet – in den letzten Jahren lag die
Wachstumsrate in den meisten Ländern bei 7 bis 8 Pro-
zent; davon können wir nur träumen –, ist es ganz wich-
tig, dass das Problem der Verteilungsungerechtigkeit ge-
löst wird. Auf keinem anderen Kontinent gibt es eine
solch starke Ungleichverteilung zwischen Arm und
Reich. Hier konnten wir, die deutsche Delegation, im
Gespräch mit den Unternehmern immer wieder deutlich
machen, dass wir in Lateinamerika eine soziale Markt-
wirtschaft fördern wollen. Das bedeutet, dass die oberen
Schichten durch eine gerechte Besteuerung ihrer Verant-
wortung gerecht werden müssen, damit soziale Siche-
rungssysteme aufgebaut werden können. Sonst entsteht
dort – auch das konnten wir rüberbringen – ein explosi-
ver Sprengstoff, der für den Kontinent nicht gut ist.

In einigen Zeitungen und von einigen kritischen
NGOs wurde beklagt, dass auf dem Gipfel, was Doku-
mente anbelangt, keine riesigen Ergebnisse erzielt wur-
den. Ich glaube, internationale Gipfel haben das an sich.
Es ist aber wichtig, dass eine Annäherung zwischen Eu-
ropa und Lateinamerika in Freundschaft erreicht wurde
und dass die Themen richtig besetzt wurden. Jetzt liegt
es an uns Parlamentariern in Deutschland, in Europa und
in unseren lateinamerikanischen Partnerländern, die be-
nannten Themen mit Leben zu erfüllen und konkrete
Ziele zu erreichen, sei es durch Wirtschaftsabkommen
mit Lateinamerika, durch verschiedene Assoziierungs-
abkommen, oder sei es – das würde Europa und Latein-
amerika sicherlich helfen – durch einen Durchbruch in
der WTO-Runde.

Ich möchte ein paar Sätze zur letzten Station unserer
Reise, zu Kolumbien, äußern. In erster Lesung haben wir
sehr emotional über Kolumbien diskutiert. Auf der einen
Seite erkennen wir dort, was die Sicherheit angeht, große
Fortschritte. Die Journalisten und die Wirtschaftsdelega-
tion konnten sich davon überzeugen, dass sich viele Ver-
besserungen ergeben haben: Die Zahl der Morde und der
Entführungen sowie das Ausmaß des Terrors sind zu-
rückgegangen.

Die größte dort verbliebene Terrororganisation ist die
FARC. Sie hält weiterhin viele Geiseln gefangen, und
zwar unter schlimmen Bedingungen. Vor einigen Wo-
chen konnten wir in den Medien von einem Computer-
fund der kolumbianischen Regierung lesen. In der letz-
ten Debatte wurde die Frage gestellt, ob die Daten echt
sind oder ob der Computer manipuliert wurde. Mittler-
weile wissen wir: Diese Computer sind nicht manipuliert
worden.

Bei der Auswertung der Daten auf diesem Computer
wurden erschreckende Erkenntnisse gewonnen: Die ve-
nezolanische Regierung mit Präsident Chávez hat der
FARC, einer Terrororganisation, Geld und Waffen ange-
boten. Zugleich ließ sich Chávez anlässlich der Vermitt-
lung einer möglichen Geiselfreilassung als Friedens-
engel feiern. Es ist der Gipfel der Heuchelei, die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sascha Raabe

legt.
kraten ein wirklich erschreckender Vorgang.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es war wirklich erschreckend, dass Sie in der letzten
Parlamentssitzung tränenrührig gesagt haben: „Liebe
Freunde von der FARC“ – na ja, das haben Sie nicht ge-
sagt –, „ich gebe euch einen sozialistischen Rat: Lasst
die Geiseln frei!“, Sie aber gleichzeitig die FARC ver-
harmlosen und sagen, dass Sie die FARC von der Terror-
liste nehmen wollen. Sie sagen immer, dass man mit den
Leuten verhandeln muss. Man muss aber sehen, dass
man hier im Grunde in einer Erpressungssituation ver-
handelt. Wenn ein Entführer eine Pistole an den Kopf

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 527;
davon

ja: 387
nein: 140

Ja

CDU/CSU

Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner

Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616632500

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 15 zurück und

gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – Im
Irak, in Nachbarländern und in Deutschland“ – Druck-
sachen 16/7468 und 16/9006 – bekannt: Abgegebene
Stimmen 528. Mit Ja haben gestimmt 387, mit Nein ha-
ben gestimmt 141, Enthaltungen 0. Die Beschlussemp-
fehlung ist damit angenommen.

Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer

Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Geiselnehmer zu unterstütze Geiseln sollten befreit werden Im Spiegel konnten wir üb ment, Wolfgang Gehrcke vo hier noch reden –, lesen, das diesem Computer im Jahr 200 ristenführers getroffen hat, u stützung und über Strategie Linkspartei/PDS die Terroror zen kann. (Wolfgang Gehrcke [DI noch nicht einm Das Ergebnis war: Herr Ge Sohn des Terroristenführers a ken, dass die FARC von der chen wird. (Zuruf von der SP Das hat die Linke gleich hie ein entsprechender Antrag w n und dann zu sagen, die . er einen Kollegen im Parlan der Linkspartei – er wird s er sich laut der Daten auf 5 mit dem Sohn des Terro m konkret über eine Untern zu verhandeln, wie die ganisation FARC unterstüt E LINKE]: Das stand al im Spiegel!)


hrcke hat von sich aus dem
ngeboten, darauf hinzuwir-
Terrorliste der EU gestri-

D: Hört! Hört!)

r im Parlament umgesetzt;
urde dem Parlament vorge-
des Entführten hält, dann kann
nur verhandeln und sagen: Be

Wie Sie das darstellen, kl
die FARC zu einer sozialen B
ren Vertretern man auf Augen
soziale Probleme zu lösen. S
kriminalisieren. Die FARC m
den, weil das eine Mörder- u
Massaker verursacht und Leid
gebracht hat.

Vizepräsidentin Dr. h. c
Herr Kollege, bitte.


(SPD Sie dürfen nicht immer a sein. Wir Demokraten müsse egal ob sie von links oder v eine Schande, dass Sie diese Herr Gehrcke. die Polizei in dem Moment vor du ihn erschießt … ingt das so, als wollten Sie ewegung machen, mit dehöhe verhandeln kann, um ie wollen die FARC nicht uss aber kriminalisiert wernd Terroristenbande ist, die über die Zivilbevölkerung . Susanne Kastner: )

uf dem linken Auge blind
n alle Terroristen ablehnen,
on rechts kommen. Es ist
Organisation unterstützen,






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers (Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller

SPD

Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz (Essen)

Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz

Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster) DIE LINKE

Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nächster Redner ist der K
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN Winkelmeier [f Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine Leutheusser Schnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto Detlef Parr Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms ollege Wolfgang Gehrcke, sowie des Abg. Gert raktionslos])


(Frankfurt)

Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Monika Knoche
Jan Korte
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich


(DIE Frau Präsidentin! Liebe K Fangen wir gleich mit dem T ja, dass Sie damit kommen. (Dr. Stephan Eisel [CDU Sie nicht Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Jerzy Montag Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslos Gert Winkelmeier LINKE)

olleginnen und Kollegen!

hema FARC an. Ich wusste

/CSU]: Darüber reden
gern!)

(Everswinkel) Uwe Barth

Rainer Brüderle Hüseyin-Kenan Aydin Ekin Deligöz
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz

Nein

SPD

Otto Schily

FDP

Dr. Karl Addicks
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
Es war nicht schwer, das zu erahnen.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wer so Ihre Freunde sind!)


Sie haben den Begriff „Fund“ benutzt; bezeichnen wir
das einmal so. Bei einer Geheimdienstoperation von
Ecuador, also von außerhalb Kolumbiens, wurde der
stellvertretende Vorsitzende der FARC ermordet.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Stehen Sie doch zu dem, was da gefunden wurde!)


– Passen Sie doch einmal auf. Sie können ja noch nicht
einmal richtig aus dem Spiegel zitieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Stephan Hilsberg [SPD]: Erklären Sie doch mal Ihre Kontakte zur FARC!)


Die Computerdaten – ich kenne den Inhalt dieser Da-
ten nicht im Einzelnen – sind geknackt worden. Span-
nend ist, dass der Spiegel einen Tag vor unserem Partei-
tag und meiner Kandidatur diese Daten veröffentlicht
hat. Ein Narr ist, wer Schlechtes dabei denkt.


(Stephan Hilsberg [SPD]: Aber darum geht es gar nicht!)


Im Spiegel stand einzig und allein, dass ich mich mit
dem Sohn des FARC-Führers getroffen habe und ich ihm
gesagt habe, dass wir dafür sind, die FARC von der Ter-
rorliste zu streichen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das reicht doch schon!)


– Das können Sie ja ablehnen. Das ist meine Position.

Ich hatte Gelegenheit, die Friedensprozesse in El
Salvador und Guatemala zu begleiten. Ich habe Erfah-
rungen mit diesem Prozess. Damals wurde das Gleiche
über die Frente in El Salvador und Guatemala gesagt. In
solchen Gespräche muss man dem Gesprächspartner
klipp und klar sagen, was man von ihm erwartet. Das
habe ich den FARC-Führern genau so gesagt, wie ich es
hier im Bundestag gesagt habe.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das ist doch nicht zu vergleichen!)


Ich habe gesagt: Ich erwarte von Ihnen, dass Sie die
Geiseln sofort freigeben, weil das nichts mit linker Poli-
tik zu tun hat.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich glaube, dass es vernünftig ist, die Sache so auszutra-
gen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Wollen Sie die RAF auch von der Terrorliste streichen?)


Die FARC hat jetzt die Möglichkeit, die Geiseln ohne
Vorbedingungen sofort freizugeben.

Ihnen sage ich aber: Wenn Sie einen wirklichen Frie-
densprozess in Kolumbien wollen, sind Sie schlecht be-
raten, sich ganz auf die Seite von Präsident Uribe zu
schlagen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Der ist von über 60 Prozent der Bevölkerung gewählt!)


Krieg verdirbt ein ganzes Land, und 40 Jahre Bürger-
krieg bedeuten in einem Land für alle Seiten Zerstörung,
Gewalt, Drogen, Waffen und was alles dazugehört. Das
prägt Kolumbien. Ich behaupte nicht, dass das nicht auch
die FARC prägt. Das ist die konkrete Situation. Wenn
Sie da rauskommen wollen, bleibt Ihnen nur der Weg der
Verhandlungen. Es wäre sinnlos, einen anderen Weg ein-
zuschlagen. Ein anderer Weg würde nicht zu einem Er-
gebnis führen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Stephan Hilsberg [SPD]: Schönrederei hier!)


Ich weiß gar nicht, warum Sie sich hier so aufregen.
Ich habe aus meinen Positionen nie einen Hehl gemacht.
Ich habe immer darüber diskutiert. Das hätten Sie nicht
erst dem Spiegel entnehmen oder vom Geheimdienst hö-
ren müssen; Sie hätten mir nur einmal zuzuhören brau-
chen. Ich gehe offen damit um.

Ich will Ihnen noch etwas sagen, damit wir nicht nur
über dieses Problem reden.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Doch, darüber müssen wir mal reden!)


– Das können Sie ja auch. Reden Sie mit sich selbst. Wir
haben eh wenig Zeit dafür.


(Jan Mücke [FDP]: Schlimm genug, dass Sie Kontakt zu Terroristen haben!)


Herr Raabe, Sie haben das Ergebnis des Gipfels ge-
schönt. Es war ein nichtssagendes, ein schlechtes Ergeb-
nis. Ich Blödkopf habe es mit Ihrem Antrag, den Sie als
SPD beschlossen haben, verglichen, um zu sehen, ob
sich das ein Stück weit dort wiederfindet. Nichts findet
sich dort wieder. Ich sage Ihnen auch mit Blick auf die
vergangenen Debatten, in denen Kollege Mützenich gute
Reden gehalten hat: Ihre Partei macht kaputt, dass Sie
sich völlig entgegen dem verhalten, was Sie hier sagen.
Das gilt auch bezüglich Lateinamerika.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich zum Gipfel gesagt?)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616632600

Ich gebe das Wort der Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/

Die Grünen.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616632700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Freiheit für Ingrid Betancourt – ich denke, das
muss die Botschaft sein, dafür müssen wir uns einsetzen.
Und an die Linke: Sie haben die Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass gewalttätige Organisationen – und das ist
die FARC – dazu angehalten werden, von der Gewalt ab-
zulassen.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Koczy

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sie machen dies auf dem falschen Weg; denn Sie distan-
zieren sich nicht weit genug. Das ist ein Problem, das
dazu beiträgt, die Gewalt zu kontinuieren, zu perpetuie-
ren. Eigentlich müsste man das ganz anders angehen.
Aber ich sage ebenfalls: Auch gegenüber der Regierung
Kolumbiens haben wir Grüne Forderungen, die wir nicht
so einfach unter den Tisch fallen lassen können. Auch
die Regierung Uribe hat Dreck am Stecken.

Ich komme zurück zum Gipfel in Lima; denn darum
geht es hier. Wir wollen bewerten, was der Gipfel ge-
bracht hat. Es ist schlicht übertrieben, wenn man den
Gipfel und die Reise der Kanzlerin als Erfolg wertet. Da-
für gibt die Abschlusserklärung von Lima viel zu wenig
her. Man bekennt sich zu Gemeinplätzen. Man bekundet
zwar, auf vielen Feldern zusammenarbeiten zu wollen,
aber es wird nicht gesagt, wie diese Zusammenarbeit
umgesetzt werden soll


(Marina Schuster [FDP]: Sehr richtig!)


und welche konkreten Schritte stattfinden sollen, weder
bei der Bekämpfung der Nahrungsmittelkrise noch beim
Klimawandel, ganz zu schweigen von der Steuerpolitik
oder den Agrotreibstoffen, die im Abschlussdokument
überhaupt nicht erwähnt werden.

Wir haben nach dem Gipfel in Wien vor zwei Jahren
kritisiert, dass sich die Ergebnisse in Bekenntnissen zu
gemeinsamen Werten erschöpfen und dass sie nichts
dazu beitragen, die strategische Partnerschaft zwischen
den Regionen mit Leben zu füllen. An den Anträgen der
Koalition kritisieren wir, dass alles Lob für die Bundes-
regierung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich
real wenig getan hat. Das ist ein Desaster.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die beiden Anträge der Koalition zeichnen sich vor al-
lem dadurch aus, dass sie mit vielen Worten wenig sa-
gen, vor allem wenig Konkretes, und um den heißen Brei
herumgeredet wird.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Was? Ute!)


Ich möchte hier nur an den Umgang mit den Regierun-
gen von Kolumbien und Venezuela erinnern. Wie groß
die Uneinigkeit in der SPD ist und wie unterschiedlich
die Einschätzung zu diesen beiden Ländern sein kann,
haben Herr Raabe und Herr Mark in der letzten Debatte
hierzu vorgeführt.

Die Kanzlerin hat ihr Amt erst jetzt nach Lateiname-
rika geführt, also zweieinhalb Jahre nach ihrem Amtsan-
tritt. Sie hat versucht, in einer Woche all das nachzuho-
len, was sie in den letzten zweieinhalb Jahren hätte tun
müssen. Das kann natürlich nicht gut gehen.

Lateinamerika befindet sich in einem Wandlungs- und
Wachstumsprozess. Der Kontinent mit seinen 500 Mil-
lionen Menschen kommt zusehends zu mehr Handlungs-
spielräumen und Selbstbewusstsein. Das ist eine Weis-
heit, die nicht erst in den letzten Wochen vom Himmel
gefallen ist. Die gestiegenen Rohstoffpreise und die stär-
kere Orientierung Lateinamerikas hin zu China, Indien
und anderen Staaten des Südens haben sich schon länger
abgezeichnet. Die Staaten Lateinamerikas werden im
Zuge dieser Entwicklungen politisch und wirtschaftlich
unabhängiger, sowohl von den USA als auch von der
EU. Gleichzeitig verliert die bestehende regionale Inte-
gration an Schwung und damit auch die Strategie der EU
für die biregionale Zusammenarbeit. Das spürt man bei
den Verhandlungen zu den Assoziations- und Freihan-
delsabkommen, aber auch in den internationalen Finanz-
institutionen.

Wir müssen uns schon die Frage stellen, wie wir die
Verhandlungen mit unseren Partnern in Zukunft führen
wollen. Der Umgang mit der Andengemeinschaft ist ein
gutes Beispiel. Das Bündnis ist wegen interner Probleme
geschwächt. Kompromisse fallen schwer. Wenn die EU
die regionale Integration stärken will, ist es dann sinn-
voll, eine Kooperation in zwei Geschwindigkeiten zu be-
treiben? – Ich bezweifle das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Zukunft werden Deutschland und die EU aktiv und
mit attraktiven Angeboten auf die Staaten Lateinameri-
kas zugehen müssen. Ein Angebot wäre – Sascha Raabe
hat es schon erwähnt –, Ecuador darin zu unterstützen,
das Öl im Boden zu lassen. Das ist korrekt. Wir wollen
einen gemeinsamen Antrag dazu schreiben. Das wäre
meiner Meinung nach innovativ und nach vorn schau-
end. Hier wäre es auch einmal konkret. Daher denke ich,
dass wir zumindest in diesem Bereich auf einem guten
Weg sind.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616632800

Der Kollege Gregor Amann, SPD, hat seine Rede zu

Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache
16/9458. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache
16/9073 mit dem Titel „Die entwicklungspolitische Zu-
sammenarbeit Deutschlands im Rahmen der strategi-
schen Partnerschaft der Europäischen Union mit den
Staaten Lateinamerikas und der Karibik zielgerichtet
stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der Opposition angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/9074 mit dem Titel „Zum EU-Lateinamerika-
Gipfel in Lima – Impulse für solidarische und gleichbe-

1) Anlage 9






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
rechtigte Beziehungen zwischen der EU und Lateiname-
rika“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9458 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/8907 mit dem Titel „Die stra-
tegische Partnerschaft zwischen der Europäischen
Union, Lateinamerika und der Karibik durch eine inten-
sive Umwelt- und Klimakooperation beleben“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei
Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Zusatzpunkt 4. Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Die Beziehungen zu Lateinamerika und
den Staaten der Karibik stärken und den EU-Lateiname-
rika/Karibik-Gipfel zu einer ehrlichen Bestandsauf-
nahme nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/9475, den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9056 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen
des restlichen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Ge-
sine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Ehrung für Johann Georg Elser als gesamtge-
sellschaftliches Anliegen begreifen

– Drucksache 16/9419 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU, Dr. Wolfgang Thierse,
SPD, Christoph Waitz, FDP, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Die Linke, Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1616632900

Johann Georg Elser war ein mutiger und ehrenwerter

Mann: Im Sommer 1938 entschloss er sich, Adolf Hitler
zu ermorden und zwar allein. Sein monatelang geplantes
Attentat führte er am 8. November 1939 in München aus,
scheiterte aber tragisch. Kurz vor Kriegsende, am
9. April 1945, wurde er im Konzentrationslager Dachau
„auf höchste Weisung“ erschossen. Tragisch, skandalös,
ein Akt der Barbarei des NS-Staates.
Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus hatte
kein einheitliches Gesicht: Er kam aus der Arbeiterbewe-
gung, aus bürgerlichen Kreisen, aus den Kirchen, er exis-
tierte innerhalb der Wehrmacht. Und es gab die zahlrei-
chen, nicht namentlich bekannten Widerstandskämpfer
im Alltag, die einfach menschlich handelten. Ihnen allen
gebührt unser tiefer Dank, unser Respekt.

Johann Georg Elser war ein Einzelkämpfer, der die
Geschichte unseres Landes ändern wollte. Daher ist das
Anliegen richtig, seiner zu gedenken, an ihn zu erinnern,
ihn nicht der Vergessenheit anheim zu geben. Deshalb
auch wird an ihn in der Gedenkstätte Deutscher Wider-
stand erinnert. Deshalb gibt es in der KZ-Gedenkstätte
Sachsenhausen, wo er fünf Jahre Einzelhaft erdulden
musste, eine Gedenktafel. Deshalb beschäftigt sich mit
ihm auch die Topographie des Terrors.

Es gibt eine Georg-Elser-Gedenkstätte in Königs-
bronn, wo er geboren wurde. Sie zeigt neben wertvollen
zeitgeschichtlichen Dokumenten auch die Verhörproto-
kolle vom Dezember 1939 und zeichnet ein umfangrei-
ches Bild der Hintergründe des Attentats. In Heidenheim,
wo er entscheidende Vorbereitungen für sein Attentat traf,
existiert der engagierte Georg-Elser-Arbeitskreis. In en-
ger Zusammenarbeit haben die Gedenkstätte Deutscher
Widerstand, der Georg-Elser-Arbeitskreis Heidenheim
und die Gemeinde Königsbronn eine wissenschaftlich
fundierte Dokumentation zu Elser und dem Attentat erar-
beitet. In Deutschland gibt es 24 Straßen und Plätze, die
nach ihm benannt sind. Man kann also nicht davon spre-
chen, dass Johann Georg Elser in der Öffentlichkeit nicht
präsent wäre. Im Gegenteil – und man wünschte sich,
dass anderer Widerstandskämpfer ebenso engagiert und
vielseitig gedacht würde.

Die Rolle des Widerstands gegen den Nationalsozialis-
mus und die Leistungen und den Mut jedes Einzelnen zu
würdigen, ihnen den Platz im öffentlichen Bewusstsein zu
geben, der ihnen gebührt – das ist eine Aufgabe, die nie
abgeschlossen sein wird und die von vielen Seiten wahr-
genommen werden muss, auch und in erster Linie von den
Ländern.

Daher ist das Anliegen unserer Berliner Freunde von
der Union begrüßenswert, in Berlin eine Ehrung für Jo-
hann Georg Elser vorzusehen, allerdings ist es eine Lan-
desangelegenheit. Nur am Rande sei hier bemerkt, dass
die Berliner Linken im Abgeordnetenhaus – als mitregie-
rende Fraktion – eine rasche Ehrung abgelehnt haben
und stattdessen einen Prüfauftrag beschlossen haben.
Die Reaktion der Berliner Linken jedenfalls ist konse-
quent, bedenkt man, dass Elser in der DDR von der SED
ignoriert wurde, passte er doch nicht in die leninistische
Geschichtsschreibung und wurde nicht als Kommunist
der reinen Lehre betrachtet.

Man könnte daher tatsächlich zu der Ansicht gelan-
gen, dass der uns vorliegende Antrag der Linken im Deut-
schen Bundestag, wo sie keine Regierungsverantwortung
tragen, nicht mehr als ein Schaufensterantrag ist. Seine
Zielrichtung geht fehl, und die Unterstellung, es gebe
„nicht erinnerte Opfer“ des Nationalsozialismus, zeugt
von blankem Unwissen: Die Gedenkstätte Deutscher Wi-
derstand und die Neue Wache Unter den Linden als


(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Mahnmal für alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
leisten diese Erinnerung, in würdiger und bewegender
Weise.

Auch München hat für eine verantwortungsbewusste
Aufarbeitung der NS-Historie in Bezug auf Johann Georg
Elser Beispiele gesetzt. Dort, wo er verhaftet wurde und
sein Weg ins Konzentrationslager begann, erinnern ein
Georg-Elser-Platz, eine Gedenktafel und die Georg-
Elser-Hallen an den Widerstandskämpfer.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1616633000

Am 13. März dieses Jahres haben im Berliner Abge-

ordnetenhaus die beiden Koalitionsfraktionen SPD und
Die Linke einen Antrag beschlossen, der das gleiche An-
liegen verfolgt wie der jetzt von der Bundestagsfraktion
Die Linke vorgelegte Antrag: nämlich Johann Georg
Elsers in Berlin zu gedenken.

In der Sache waren sich alle Fraktionen im Berliner
Parlament einig, nur über Formulierungen wurde gestrit-
ten. Auch der in Berlin für Kultur zuständige Staatssekre-
tär André Schmitz unterstützt das Projekt.

Deshalb verstehe ich nicht, warum die Linke diesen
Antrag zum jetzigen Zeitpunkt im Bundestag einbringt
und nicht erst einmal die von Ihnen im Berliner Abgeord-
netenhaus mitbeschlossene Prüfung der „Möglichkeiten
zur Errichtung eines Denkzeichens für Johann Georg
Elser an zentraler, öffentlich zugänglicher Stelle in Ber-
lin“ abwartet, deren Ergebnisse bis zum 30. Juni 2008
vorgelegt werden sollen.

Ich halte es für sinnvoll, dass das Land Berlin in eige-
ner Trägerschaft Elsers gedenkt. Und natürlich ist auch
zu überlegen, ob und wie der Bund das Anliegen unter-
stützen kann.

Die Linke fordert in ihrem Antrag auch, im Umfeld des
Deutschen Bundestages die bislang nicht erinnerten Op-
fer des NS-Regimes zu ehren. Sie sollten bei dieser For-
derung allerdings berücksichtigen, dass jedes weitere
Denkmal den Wert der bestehenden schmälert.

In der Sache stimme ich dem Anliegen der Linken zu,
das Andenken an den Widerstandskämpfer Johann Georg
Elser im öffentlichen Bewusstsein zu stärken. Dafür habe
ich als Schirmherr der Berliner Georg-Elser-Initiative
mehrfach geworben.

Johann Georg Elser blieb viel zu lange die Aufmerk-
samkeit und die öffentliche Würdigung verwehrt, die ihm
gebührt. Das gilt im Übrigen für beide deutschen Staaten
gleichermaßen. Das Gegenteil nämlich war der Fall:
noch viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
hielt sich hartnäckig das Gerücht, Johann Georg Elser
sei eine Marionette der Nationalsozialisten gewesen, die
durch das Attentat den Mythos des von der Vorsehung be-
schützten Führers stärken wollten.

André Schmitz sprach zu Recht von einer zweiten Hin-
richtung: erst durch seine Henker und dann durch die öf-
fentliche Wahrnehmung nach dem Zusammenbruch des
NS-Regimes.
Zu Protokoll
Johann Georg Elser war mutiger und weitsichtiger als
die meisten anderen Deutschen. „Ich habe den Krieg ver-
hindern wollen“, sagte er in den Verhörprotokollen zu
seinem Motiv für das Attentat. Der Anschlag am 8. No-
vember 1939 im Münchner Bürgerbräukeller schlug fehl.
Das mörderische Regime entfaltete sich unaufhaltsam
weiter und kostete vielen Millionen Menschen auf bru-
talste Weise das Leben. Elser wurde am 9. April 1945,
vier Wochen vor Ende des Krieges, hingerichtet.

Erst Ende der 1960er-Jahre haben Historiker anhand
der Verhörprotokolle der Gestapo die Alleintäterschaft
Elsers nachgewiesen. Auch danach dauerte es noch viele
Jahre, bis Johann Georg Elser in der offiziellen Gedenk-
kultur der Bundesrepublik gewürdigt wurde. Zu verdan-
ken ist das den ehrenamtlichen Georg-Elser-Initiativen,
von denen es mittlerweile sechs in Deutschland gibt. Ih-
nen gebührt mein Dank.

Dieses dezentrale zivilgesellschaftliche Engagement
ist charakteristisch für die Erinnerungskultur in Deutsch-
land. Staatliches Erinnern kann und soll diese Initiativen
nicht ersetzen. Erst das Engagement vieler, nicht nur hier
in Berlin, sondern auch anderswo in Deutschland, hält
das Andenken an Johann Georg Elser und die vielen an-
deren Widerstandskämpfer wach.

Mir ist es wichtig, nicht nur Elsers Tat stärker ins öf-
fentliche Bewusstsein zu heben, sondern ihn auch als Bei-
spiel, als Vorbild für mutiges Eintreten eines einzelnen
Menschen gegen staatliche Willkür und Unrecht wahrzu-
nehmen. Die wichtigste Lehre des Widerstandes ist, Un-
recht zu bekämpfen, bevor es die Chance erhält, an die
Macht zu kommen. Es ist im Sinne von Johann Georg
Elser, politisch wach zu sein und Feinde des demokrati-
schen Zusammenlebens frühzeitig zu erkennen und zu-
rückzudrängen.

Lassen Sie uns im Ausschuss weiter darüber diskutie-
ren, in welcher Weise und an welchem Ort Johann Georg
Elsers gedacht werden kann und gedacht werden sollte
und wie der Bund Berlin dabei unterstützen kann. Jede
Debatte darüber hält die Erinnerung an diesen mutigen
Widerstandskämpfer wach und hilft, Johann Georg Elser
den prominenten Platz im kollektiven Gedächtnis einzu-
räumen, der ihm gebührt.


Christoph Waitz (FDP):
Rede ID: ID1616633100

1938, als die Nationalsozialisten und Adolf Hitler ihre

Macht in Deutschland zementiert, Österreich an das
Deutsche Reich angeschlossen und die Tschechoslowakei
als Staat zerschlagen hatten, erkannte Georg Elser, dass
Hitler und die Nationalsozialisten einen Angriffskrieg
vorbereiteten. Er erkannte, wofür viele Zeitgenossen in
Deutschland blind waren. Er sah den Krieg mit unvor-
stellbaren Ausmaßen, der vor Deutschland und Europa
lag. Er erkannte für sich, dass nur ein Attentat auf Hitler
diese Gefahr bannen konnte.

Am 1. September 1939 begann Zweite Weltkrieg. In der
Nacht vom 6. auf den 7. November 1939 setze Georg
Elser den Zeitzünder der Bombe in Gang. Zu diesem Zeit-
punkt war Polen längst überfallen, in die Kapitulation
gezwungen und geteilt worden. Großbritannien und



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christoph Waitz
Frankreich hatten dem Deutschen Reich den Krieg er-
klärt. Die Welt stand vor dem Abgrund, der zu über
55 Millionen toten Menschen führen sollte.

„Ich habe den Krieg verhindern wollen“, sagte er spä-
ter, nachdem er unter Folter seine Tat gestanden hatte.
1945, wenige Jahre nach dem Attentatsversuch von Elser,
steht Europa am Ende des Zweiten Weltkrieges vor einem
Desaster. Millionen von Kriegstoten, Flüchtlingen und
Vertriebenen, Millionen von Menschen, die aus rassisti-
schen oder weltanschaulichen Gründen im System der
Konzentrationslager aus Hunger, Krankheit oder Ent-
kräftung starben oder Opfer von Massenerschießungen
und Vergasung wurden.

Gerade im Lichte des millionenfachen Leids wünschte
ich, Georg Elser hätte mit seinem Attentat auf Hitler Er-
folg gehabt, und ich wünschte, dass diese Tat wirklich die
Wirkungskette der Folgeereignisse unterbrochen und das
massenhafte Leid und Elend verhindert hätte.

Elser beschließt, Hitler zu töten, und bereitet das At-
tentat sorgfältig vor. Er platziert die Zeitbombe im
Münchner Bürgerbräukeller. Er weiß, dass Hitler am
8. Novembers 1939, anlässlich des Vorabends des Hitler-
putsches vom 9. November 1923, dort sprechen wird. Die
Bombe ist in einer tragenden Säule platziert. Die Detona-
tion bringt Teile der Decke zum Einsturz und begräbt das
Rednerpult. Acht Menschen sterben, viele sind verletzt.
Doch Hitler selbst verlässt zusammen mit weiteren Nazi-
Größen wenige Minuten vor der Explosion den Saal.
Noch am gleichen Tag wird Elser an der Schweizer
Grenze verhaftet und bis zum 9. April 1945, dem Tag sei-
ner Hinrichtung, inhaftiert.

Georg Elser verdient unsere Anerkennung für das, was
er weitsichtig, selbstlos und unter großer persönlicher
Gefahr getan hat. Das von Georg Elser verübte Attentat
ist eines der wenigen, das tatsächlich ausgeführt wurde.
Viele weitere Attentatspläne kamen über das Planungs-
stadium nie hinaus. So steht die Tat Elsers historisch ne-
ben dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944.

Die Besonderheit seiner Tat kam auch durch die Inhaf-
tierung und den Zeitpunkt seiner Hinrichtung zum
Ausdruck. Man „hob“ Elser quasi auf, um ihn nach
Kriegsende einem Schauprozess zu unterwerfen. Als
Deutschland kurz vor der Kapitulation stand, wurde
Elser zeitgleich mit Widerstandskämpfern wie Dietrich
Bonhoeffer, Wilhelm Canaris und Hans von Dohnanyi
hingerichtet.

Georgs Elsers Rolle als Widerstandskämpfer wurde
früher nicht ausreichend gewürdigt. Deswegen bin ich
froh, dass die Heimatstadt von Elser, Königsbronn, die
Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Ernst-
Freiberger-Stiftung die Erinnerung an Elser bewahren
und die Leistung und die Motivation Elsers für viele Men-
schen erfahrbar machen.

Heute gibt es bereits eine Vielzahl von Gedenkstätten
und Denkmäler für Georg Elser. In der Heimat Elsers
sind Straßen, Plätze und Schulen nach ihm benannt. Dort
gibt es auch eine Georg-Elser-Gedenkstätte. Die Gedenk-
stätte Deutscher Widerstand in Berlin räumt Elser einen
zentralen Platz in Ihrer Ausstellung ein, und die Ernst-
Zu Protokoll
Freiberger-Stiftung errichtet im Rahmen der „Straße der
Erinnerung“ ein Denkmal für Georg Elser in der Nähe
des Bundesinnenministeriums am Spreebogen, das Ende
September 2008 eingeweiht werden soll.

Wenn jetzt das Land Berlin die Errichtung eines Denk-
mals plant, so ist dieses Vorhaben richtig und unterstüt-
zenswert. Ich denke, das Vorhaben ist in der Federfüh-
rung des Landes Berlin auch gut aufgehoben.

Der Antrag der Linken leidet an zahlreichen Mängeln.
Er vermischt das Gedenken an Georg Elser mit dem Ge-
denken an andere Opfergruppen der nationalsozialisti-
schen Gewaltherrschaft. Er entmündigt das Land Berlin
selbst in einfachsten Fragen der Denkmalerrichtung. Er
vermischt das Gedenken an Georg Elser sachwidrig mit
Aspekten, die das in Vorbereitung befindliche Gedenk-
stättenkonzept des Bundes betreffen. Er bietet bis auf das
lose Aneinanderreihen von nicht unmittelbar zusammen-
hängenden Forderungen keine praktisch verwertbaren
Vorschläge.

Der Deutsche Bundestag hat sich bereits in vielen an-
deren Fällen für die Errichtung von Denkmälern und Ge-
denkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus ausge-
sprochen und eingesetzt. Zuletzt wurde das Denkmal für
die ermordeten Homosexuellen in Berlin eingeweiht. Ein
Denkmal für die „als Zigeuner verfolgten“ Menschen be-
findet sich gegenwärtig im Bau. Darüber hinaus existiert
eine Vielzahl weiterer Gedenkstätten, die an im National-
sozialismus ermordete Menschen erinnern.

Das Gedenken an den deutschen Widerstand hat in
Berlin eine zentrale Stelle gefunden. Die Gedenkstätte
Deutscher Widerstand befindet sich am Originalschau-
platz im Bendlerblock in der Stauffenbergstraße. Hier ha-
ben die Attentäter des 20. Juli 1944 um Graf von Stauf-
fenberg gewirkt, geplant und gehofft, und hier sind sie
gescheitert, gefangen und standrechtlich erschossen wor-
den. Die Gedenkstätte wird bereits durch den Bund unter-
stützt. Es zweifelt niemand daran, dass die Arbeit der Ge-
denkstätte und der Ort des Gedenkens angemessen sind.

Ich verstehe nicht, warum die Linke den vorliegenden
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. So-
weit der Antrag über das Gedenken an Georg Elser hi-
nausgeht, betrifft er das Gedenkstättenkonzept des Bun-
des. Hier sind wir noch mit den Beratungen beschäftigt.
Das wissen auch Sie, liebe Kollegin Dr. Jochimsen.

Auch wir warten auf die Vorlage des endgültigen Kon-
zepts der Bundesregierung. Hier hat es immer wieder
Verschiebungen gegeben. Jetzt soll das Konzept Ende
Juni dieses Jahres vorgelegt werden. Der Antrag der Lin-
ken hilft aber nicht, die Vorlage des Konzepts zu
beschleunigen. Ich schlage Ihnen vor, das Gedenkstätten-
konzept abzuwarten und dann konkrete Änderungsvor-
schläge einzubringen. Dann können diese Vorschläge
auch im richtigen Kontext diskutiert werden.


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616633200

Wer war Georg Elser? Der Sohn eines Bauern und

Holzhändlers aus Württemberg, Jahrgang 1903, Volks-
schüler, Schreinerlehrling, der die Gesellenprüfung 1922
als Jahrgangsbester besteht, Tischler und Uhrmacher. Als



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
die Weltwirtschaftskrise ausbricht, wird er Mitglied im
Rotfrontkämpferbund. Ab 1936 ist er Hilfsarbeiter in ei-
ner Heidenheimer Armaturenfabrik und erfährt dort von
der Rüstungsproduktion im Auftrag der Nationalsozialis-
ten. 1938 erlebt er eine Gedenkveranstaltung der NSDAP
zum Hitler-Putsch. Das ist der historische Augenblick für
seinen Entschluss, Hitler durch ein Attentat umzubringen.
Er allein. „Einer muss es doch machen“, war seine Be-
gründung. Ein Einzelner. Ein Einzelner, der als Erster
viereinhalb schrecklich lange Kriegsjahre vor Stauffen-
berg und der Gruppe des 20. Juli versucht hat, Deutsch-
land von seinem Diktator zu befreien und den gerade be-
gonnen Krieg zu beenden. Das Sprengstoff-Attentat am
8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller miss-
lingt, weil Hitler wenige Minuten vor der Explosion den
Versammlungssaal verlässt.

Georg Elser wird noch am gleichen Tag verhaftet und
gesteht am 13. November, die Tat allein geplant und
durchgeführt zu haben. Zitat aus dem Verhör: „Die seit
Herbst 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete
Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1933 vermu-
tete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Ge-
dankengänge. … Ich stellte allein Betrachtungen an, wie
man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und ei-
nen Krieg vermeiden könnte. Die von mir angestellten
Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhält-
nisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der au-
genblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter
der Führung verstand ich die Obersten, ich meine damit
Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen
kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung
dieser drei Männer andere Männer an die Regierung
kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forde-
rungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen
und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse
der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.“

Nach dem Eingeständnis der Tat wird Georg Elser vier
Jahre lang im KZ Sachsenhausen und im KZ Dachau im-
mer wieder verhört und gefoltert und am 9. April 1945
– einen Monat vor der bedingungslosen Kapitulation –
erschossen.

Warum sollten wir, müssen wir dieses Mannes im Jahr
2008 ff. – mehr als hundert Jahre nach seiner Geburt und
mehr als sechzig Jahre nach seinem Tod – gedenken, und
zwar in Berlin im nationalen Rahmen? Der Grund ist
beschämend: weil genau dies in den vergangenen Nach-
kriegs-Jahrzehnten unterblieb. Ich zitiere Peter Steinbach
und Johannes Tuchel aus der „Frankfurter Rundschau“
vom 18. November 1999: „Georg Elser hatte keiner Elite
angehört, der man das Recht auf Widerstand zubilligte;
keine gesellschaftliche Großgruppe setzte sich für sein
Andenken ein. Er blieb Werkzeug der Machthaber, nicht
aber ein Mensch, der sich selbst in Übereinstimmung mit
seinem Gewissen einen Handlungsauftrag gegeben hatte.
… Lange Zeit wurde übrigens in beiden Teilen Deutsch-
lands nicht akzeptiert, dass ein Arbeiter ohne Rücksicht
auf sich und seine unmittelbaren Angehörigen eine Tat bis
ins Detail geplant, gewagt und durchgeführt hatte, zu der
sich andere weder 1939 noch später entschließen konn-
ten.“

„In der Bundesrepublik war Elsers Widerstand gegen
den Nationalsozialismus nach 1945 noch umstrittener als
Zu Protokoll
die gesamte Gegnerschaft zum Regime. Immer wieder
rankten sich um seine Tat neue Gerüchte. Diffamierungen
aus der NS-Zeit wirkten fort und überlagerten sich nicht
selten mit teils bizarren Nachkriegsdeutungen. Georg
Elser war eine Herausforderung: Er machte deutlich,
dass ein einfacher Mann aus dem Volke sich zu einer welt-
geschichtlichen Tat aufraffen konnte. Er strafte all jene
Lügen, die sich weiterhin einredeten, sie hätten dem Ter-
ror des NS-Staates nichts entgegensetzen können. Der
Durchschnittsbürger, das zeigte Elsers Beispiel, war kei-
neswegs zum Mitläufer bestimmt – er konnte dem Rad des
Staates durchaus in die Speichen greifen.“

„Kein Denkmal erinnert an ihn“ heißt es am Ende des
Films „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ von Klaus
Maria Brandauer aus dem Jahr 1989.

Zwar hat es seitdem eine große Ausstellung über Ge-
org Elser gegeben, die in Berlin und 33 anderen Städten
Deutschlands zu sehen war und heute den Mittelpunkt der
Elser-Gedenkstätte in Königsbronn darstellt; zwar gibt es
eine Gedenktafel in München, einen Gedenkstein in Hei-
denheim, eine Schule mit seinem Namen, ein Archiv und
sogar eine Sonderbriefmarke, aber in Berlin erinnert an
dieses Vorbild des Deutschen Widerstands bisher nichts.

Seit Jahren plädiert Rolf Hochhuth dafür, Georg Elser
mit einem Denkmal in Berlin zu ehren. Er begründet das
so: „Elser war der Einzige von 80 Millionen, der klar
genug geblieben war, um zumindest den Versuch zu unter-
nehmen, Hitler umzubringen“. Und es war Rolf
Hochhuth, der im Februar dieses Jahres dem Berliner
Abgeordnetenhaus vorgeschlagen hat, ein Denkzeichen
für Georg Elser an zentraler, öffentlich zugänglicher
Stelle zu errichten – auf dem Terrain der früheren Reichs-
kanzlei. Also, Ehre dem einsamen Attentäter, der Vorbild
gerade für moderne Menschen sein könnte.

Die Linksfraktion im Bundestag sieht in diesem Vor-
schlag ein gesamtgesellschaftliches Anliegen – und keine
Sache Berlins allein. Eine Ehrung Elsers mit vorherge-
hender breiter gesellschaftlicher Diskussion würde die
politische Kultur der Bundesrepublik bereichern. Des-
halb fordern wir die Bundesregierung auf: im Einverneh-
men mit dem Land Berlin die Trägerschaft für eine
Ehrung von Johann Georg Elser zu übernehmen; eine
Konzeption vorzulegen, in der dargestellt wird, wie und
an welchen Orten im Umfeld des Deutschen Bundestages
die bislang nicht erinnerten Opfer des verbrecherischen

(zum Beispiel die sowjetischen Kriegsgefangenen, die osteuropäische Intelligenz unter anderem)

ehrt werden sollten; darzustellen, wie die Breite des poli-
tischen Widerstandes auch außerhalb der mit dem 20. Juli
1944 verbundenen Gedenkstätte Deutscher Widerstand
im Berliner Stadtraum erinnert werden kann und in die-
sem Zusammenhang zu prüfen, ob tatsächlich und gege-
benenfalls auf welche Weise der Ort der früheren Reichs-
kanzlei als der eigentlichen politischen Machtzentrale
des NS-Regimes in das öffentliche Bewusstsein der Topo-
grafie des NS-Terrors eingefügt werden kann und sollte.

Dazu sollte im Ausschuss für Kultur und Medien eine
Anhörung stattfinden mit: Klaus Maria Brandauer, Rolf
Hochhuth, Prof. Jutta Limbach, Prof. Peter Steinbach,
Prof. Johannes Tuchel und anderen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich an Johann Georg Elser und sein gescheiter-
tes Attentat auf Adolf Hitler denke, dann gerate ich in re-
trospektive Spekulationen: Wie wäre die Weltgeschichte
verlaufen, wenn Hitler damals eine viertel Stunde länger
im Münchner Bürgerbräukeller geblieben wäre? Hätte es
dann diesen schrecklichen Krieg nicht gegeben? Wäre
der millionenfache Mord an den europäischen Juden
dann nicht geschehen? Niemand kann das wissen und
doch erfüllt uns das tragische Scheitern Elsers mit der
seltsamen Ahnung, dass die Weltgeschichte oft von Zufäl-
len gesteuert wird. Hinzu kommt das persönliche Schick-
sal Elsers, der 1945 in Dachau ermordet wurde, aber
nach dem Krieg lange Zeit nicht angemessen gewürdigt
wurde, weil er vielen als Marionette der Nationalsozialis-
ten galt. Dies ist mittlerweile widerlegt, Elser war ein mu-
tiger Einzeltäter mit einer eigenen moralischen Agenda.

Der Schriftsteller und Dramatiker Rolf Hochhuth mag
Ähnliches gedacht und gefühlt haben, als er den Vor-
schlag machte, ein öffentliches Denkzeichen für Johann
Georg Elser in Berlin einzurichten, und zwar am Ort der
früheren Reichskanzlei, also an einer Stelle, die als
Schaltzentrale des nationalsozialistischen Menschheits-
verbrechens gilt. Die Linkspartei in Berlin hat sich diesen
Vorschlag zu eigen gemacht und damit die Unterstützung
aus anderen Fraktionen gewonnen. Im Februar hat das
Berliner Abgeordnetenhaus denn auch einen entspre-
chenden Beschluss gefasst.

Doch wünsche ich mir, dass, bevor wir ein solches Pro-
jekt in die Wege leiten, einige inhaltliche und formale
Grundsatzfragen geklärt werden. Inhaltlich wichtig finde
ich die Frage, wie anhand einer Einzelperson das breite
Spektrum des kommunistischen Widerstands dargestellt
oder zumindest angedeutet werden kann. Auch müssen
wir darüber nachdenken, wie sich dieser neue Erinne-
rungsort systematisch in das dichte Gesamtensemble der
Berliner Gedenkstätten einfügen kann. Welche Korres-
pondenzen und pädagogischen Synergien wären dabei
denkbar? Und formal-ästhetisch wäre mir doch sehr da-
ran gelegen, dass wir kein klassisches Heldendenkmal in
Bronze aufstellen, sondern bei der Ausschreibung die ge-
rade in Berlin hochaktive junge Kunstszene um zeitgemä-
ßere, gleichsam „experimentellere“ Vorschläge bitten.
Ich verstehe den Begriff „Denkzeichen“ im Beschluss des
Berliner Abgeordnetenhauses nämlich genau so: dass es
darum geht, mit subtilen Mitteln eine historische und
politische Nachdenklichkeit wachzurufen.

Über die weiterführenden Forderungen im vorlie-
genden Antrag bezüglich der Erinnerung an andere Op-
fergruppen des Nationalsozialismus – wie etwa die
sowjetischen Kriegsgefangenen oder die osteuropäische
Intelligenz – werden wir im Ausschuss für Kultur und Me-
dien zu beraten und zu diskutieren haben.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616633300

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9419 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung haftungsrechtlicher Vorschrif-
ten des Atomgesetzes und zur Änderung sons-
tiger Rechtsvorschriften

– Drucksache 16/9077 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 16/9472 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Christoph Pries
Angelika Brunkhorst
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu den Protokollen vom
12. Februar 2004 zur Änderung des Überein-
kommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung
gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kern-
energie in der Fassung des Zusatzprotokolls
vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom
16. November 1982 und zur Änderung des Zu-
satzübereinkommens vom 31. Januar 1963
zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli
1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf
dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung
des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und

(Gesetz zu den Pariser Atomhaftungs-Protokollen 2004)


– Drucksache 16/9078 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 16/9473 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Christoph Pries
Angelika Brunkhorst
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Georg
Nüßlein, CDU/CSU, Christoph Pries, SPD, Angelika
Brunkhorst, FDP, Hans-Kurt Hill, Die Linke, Sylvia
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1616633400

Regelungsgegenstand der vorliegenden Gesetzesent-

würfe ist zentral die Ratifizierung der Änderungsproto-
kolle zum Pariser Übereinkommen sowie zum Brüsseler
Zusatzübereinkommen und die entsprechende Umsetzung
in nationales Recht, soweit erforderlich.

Das Atomhaftungsrecht ist ein von internationalen
Übereinkommen geprägtes Rechtsgebiet. Mit dem Pari-
ser Übereinkommen wurde eine multilaterale Haftungs-
grundlage für nukleare Schäden geschaffen. Dieses
wurde durch das Brüsseler Zusatzübereinkommen im
Hinblick auf weitere Entschädigungsmittel ergänzt.

Die Überarbeitung dieser internationalen Überein-
kommen erfolgte insbesondere mit der Zielsetzung, die
multilaterale Haftungsgrundlage für Nuklearschäden
weiter zu verbessern und das Nuklearhaftungsniveau an-
zuheben. An einer substanziellen Optimierung des inter-
nationalen Haftungsrechts muß uns fraktionsübergrei-
fend gelegen sein. An dieser Stelle begrüße ich die
Haltung des Koalitionspartners in der ersten Lesung –
der Kollege Pries spricht hier korrekterweise von einer
deutlichen Verbesserung im Bereich der internationalen
Atomhaftung.

An die fraktionsübergreifende energiepolitische Ge-
samtverantwortung will ich an dieser Stelle aber auch
jenseits des Haftungsrechts appellieren: Ich plädiere
nach wie vor für die notwendigen Laufzeitverlängerun-
gen unserer deutschen Kernkraftwerke, weil ich nicht
weiß, wie wir im Bereich des grundlastfähigen Stroms die
Kernenergie bis zum anvisierten Finalausstieg spätestens
2023 ersetzen sollen – wenn wir nicht in Kauf nehmen
wollen, dass statt der Kernenergie verstärkt fossile
Energieträger eingesetzt werden und diese wiederum die
C02-Bilanz entscheidend verschlechtern. Wir brauchen
die Kernenergie als Brückentechnologie in einen neuen
Energiemix.

Auch wenn mir das Thema der energiepolitischen Ge-
samtverantwortung angesichts der Energieversorgungs-
sicherheit und rasant ansteigender Energiekosten unter
den Nägeln brennt, ich will zurückkommen auf die heute
zu behandelnde Haftung im Bereich der Kernenergie.

Bei der Überarbeitung der internationalen Überein-
kommen sind wichtige, bereits bestehende Haftungs-
grundsätze beibehalten worden. So ist beim Brüsseler
Zusatzübereinkommen das dreigliedrige Entschädi-
gungssystem geblieben, es ist jedoch mit der Zielsetzung
verbesserter Haftungskonditionen jeweils auf jeder Stufe
eine Tranchenerhöhung erfolgt. Beim Pariser Überkom-
men sind wichtige Haftungsprinzipien – wie die Gefähr-
dungshaftung des Kernanlageinhabers oder die Haf-
tungsbefreiung nur in abschließend aufgezählten Fällen
besonderer höherer Gewalt – beibehalten worden. Neue
Regelungsinhalte zum Pariser Überkommen sind etwa
die Haftungserhöhung des Kernanlageninhabers um ein
Mehrfaches auf mindestens 700 Millionen Euro oder die
entscheidende Anhebung der Mindesthaftung im Bereich
der Transporte nuklearen Materials. Mit der Erhöhung
der Haftungs- und Deckungssummen wurde dem Um-
stand Rechnung getragen, dass in einigen Vertragsstaa-
Zu Protokoll
ten noch immer verhältnismäßig niedrige Haftungs-
höchstgrenzen bestanden.

Neben der beschriebenen Anhebung der Haftungs-
und Deckungssummen hat der Opferschutz auch dadurch
eine wesentliche Verbesserung erfahren, dass der territo-
riale Anwendungsbereich erweitert wurde. Eine weitere
wichtige Präzisierung und Besserstellung zugunsten des
Opferschutzes erfolgte durch die Aufnahme einer Rege-
lung zum Staatenklagerecht für geschädigte Bürger sowie
die vertragsstaatliche Pflicht zur Bestimmung eines Ge-
richts für nukleare Schadensersatzprozesse. Im Übrigen
wurde der anwendungsrelevante Schadensbegriff klarge-
stellt und ausgeweitet. Der Schadensbegriff bezieht sich
nun unter anderem auch ausdrücklich auf Umweltschä-
den, womit man insbesondere dem Anspruch an ein mo-
dernes Umwelthaftungsrecht gerecht wird.

Vor diesem Hintergrund sind die Gesetzesvorlagen im
Sinne des Opferschutzes zu begrüßen, weil sie im Ver-
gleich zur bisherigen internationalen Rechtslage eine er-
hebliche Verbesserung bedeuten. Wichtig ist deshalb das
baldige Inkrafttreten dieser verbesserten Haftungsgrund-
sätze.

Die von der Kollegin Brunkhorst in der ersten Lesung
angeführte Kritik, dass mit den debattierten Gesetzesent-
würfen zielgerichtet insbesondere kerntechnischen For-
schungseinrichtungen das Leben finanziell schwerer ge-
macht werden solle, weise ich entschieden zurück. Richtig
ist allein, dass der deutsche Gesetzgeber im Zuge der
Umsetzung verbesserter internationaler Haftungsstan-
dards einen davon unabhängigen, aber notwendigen
Nachbesserungsbedarf im Bereich des Verwaltungskos-
tengesetzes sowie der Kostenverordnung zum Atomgesetz
gesehen hat: Künftig kann das Bundesamt für Strahlen-
schutz auch von Bund, Ländern, Gemeinden und be-
stimmten juristischen Personen des öffentlichen Rechts
sowie von gemeinnützigen Forschungseinrichtungen Ge-
bühren erheben. Damit soll aber gerade nicht den kern-
technischen Forschungseinrichtungen beziehungsweise
der Forschung an sich der Boden entzogen werden. Mit
der modifizierten Kostentragungsregelung werden nur
die rechtlichen Voraussetzungen für die Refinanzierung
jener Kosten geschaffen, die dem Bundesamt für Strah-
lenschutz durch die Genehmigung der Anwendung radio-
aktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung zum Zwecke
der medizinischen Forschung entstehen. Mit diesem Re-
finanzierungsinstrument wird lediglich gewährleistet,
dass die mit den entsprechenden Aufgaben betrauten Stel-
len im Bundesamt dauerhaft gesichert werden.


Christoph Pries (SPD):
Rede ID: ID1616633500

Der Deutsche Bundestag verabschiedet heute zwei Ge-

setzentwürfe zur internationalen Atomhaftung. Damit
werden das Pariser Übereinkommen von 1960 und das
Brüsseler Zusatzabkommen von 1963 über die Haftung
gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie
grundlegend novelliert. Mit der Ratifizierung und Umset-
zung der sogenannten Pariser Atomhaftungsprotokolle
vom 12. Februar 2004 erreichen wir substanzielle Ver-
besserungen beim internationalen Opferschutz im Falle
eines nuklearen Schadens.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christoph Pries
Aufgrund des Ausmaßes und des potenziell grenzüber-
schreitenden Charakters nuklearer Ereignisse und Schä-
den war man sich bereits seit den 1950er-Jahren darüber
im Klaren, dass es eine internationale Kooperation in
diesem Bereich geben müsse. Der nach bisherigen Er-
kenntnissen zum Glück glimpflich verlaufene Kühlwas-
serverlust im Primärkreislauf des slowenischen Atom-
kraftwerkes Krsko am gestrigen Abend macht das wieder
einmal deutlich.

Lassen Sie mich noch einmal kurz die wesentlichen
Verbesserungen skizzieren, die durch die Verabschiedung
der beiden Gesetzentwürfe erreicht werden: Die zur Ver-
fügung stehenden Haftungssummen der Anlagenbetrei-
ber werden von 15 auf 700 Millionen Euro pro nuklearen
Schaden laut Pariser Übereinkommen erhöht. Die Haf-
tungssummen werden von Höchst- zu Referenzbeträgen
umgewandelt. Eine unbegrenzte Haftung des Betreibers
einer Atomanlage – wie in Deutschland im Atomgesetz
verankert – wird ausdrücklich zugelassen. Die Höchst-
summen garantierter Ersatzleistungen laut Brüsseler Zu-
satzübereinkommen werden von 300 Millionen auf
1,5 Milliarden Euro deutlich angehoben. Die Haftungsre-
gelungen des Übereinkommens werden ausgedehnt. Da-
von profitieren vor allem diejenigen europäischen Staa-
ten, die über keinerlei Atomanlagen verfügen – zum
Beispiel die Republik Irland und Österreich –, da das
Übereinkommen nun automatisch für diese Länder gilt.
Der Kreis der ersatzfähigen Schäden wird durch eine
Neudefinition des Begriffs „nuklearer Schaden“ deutlich
erweitert. Dadurch werden in Zukunft insbesondere Um-
weltschäden erfasst. Die weitgehende inhaltliche De-
ckungsgleichheit der Bestimmungen der regionalen Pari-
ser und Brüsseler Atomhaftungsübereinkommen und des
weltweiten Wiener Atomhaftungsübereinkommens wird
wiederhergestellt. Dies war nach der Revision des Wiener
Übereinkommens 1997 erforderlich geworden.

Ich hatte anlässlich der ersten Lesung der vorliegen-
den Gesetzentwürfe meine Hoffnung auf eine breite Zu-
stimmung im Bundestag zum Ausdruck gebracht. Die ges-
trigen Beratungen im Umweltausschuss haben mich
leider eines Besseren belehrt. Besonders verwundert bin
ich über die Ablehnung der Grünen: Wurden doch die Pa-
riser Atomhaftungsabkommen noch unter der Federfüh-
rung des grünen Umweltministers Jürgen Trittin ausge-
handelt. Statt zum eigenen Regierungshandeln zu stehen,
ziehen Sie sich mit Ihrem Entschließungsantrag zur Haf-
tungsfrage im Atomgesetz auf Maximalpositionen zurück.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, mit
der Frage der Versicherungsfähigkeit von Atomanlagen
weisen Sie auf ein altbekanntes Problem hin. Professor
Traube hat dies in der öffentlichen Anhörung des Um-
weltausschusses anlässlich des 20. Jahrestages der Reak-
torkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 2006 auf den
Punkt gebracht. Ich zitiere: Wir haben das Problem, dass
der Unfall, der große Unfall, sehr unwahrscheinlich ist,
aber seine Folgen sehr, sehr groß wären. Das ist ein Pro-
blem, das wir mit Null mal Unendlich bezeichnen.

Daraus folgt: Die Versicherungssumme für ein Atom-
kraftwerk ist grundsätzlich immer zu niedrig oder zu
hoch. Mit dem Atomkonsens von 2000 und der Novelle
des Atomgesetzes von 2002 haben wir dieses Dilemma
Zu Protokoll
durch einen politischen Kompromiss gelöst. Dieser Kom-
promiss sieht eine unbegrenzte Haftung des Anlagenbe-
treibers vor, der durch eine Deckungssumme von
2,5 Milliarden Euro je Schadensfall abgesichert wird.
Die damalige Novelle des Atomgesetzes stellte eine deut-
liche Verbesserung des Opferschutzes dar und geht weit
über das hinaus, was wir hier heute für das internationale
Atomhaftungsrecht beraten.

Wir sind uns alle bewusst, dass die Folgen eines GAUs
in einem deutschen Atomkraftwerk selbst die Betriebsver-
mögen der vier großen deutschen Energieversorger zu-
sammengenommen bei weitem übersteigen würden. Die
Internationale Atomenergie-Organisation, der man eine
zu große Nähe zu Atomkraftgegnern nicht unterstellen
wird, schätzt in ihrem Tschernobyl-Bericht aus dem
Jahr 2005 den volkswirtschaftlichen Schaden der Reak-
torkatastrophe von 1986 auf mehrere 100 Milliarden US-
Dollar. Allein diese Zahl macht deutlich: Die Risiken der
Atomenergie tragen in letzter Konsequenz immer die Bür-
gerinnen und Bürger.

Es ist vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die
milliardenschweren staatlichen Subventionen für die
Atomenergie in den vergangenen Jahrzehnten Augenwi-
scherei, wenn der RWE-Konzern jetzt erwägt, einen rei-
nen Atomstromtarif anzubieten. Dies ist ein durchsichti-
ges Manöver, die wahren Kosten der Atomenergie zu
verschleiern. Ich bin sicher, die Verbraucherinnen und
Verbraucher werden die richtige Antwort geben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch noch
auf einen anderen Aspekt hinweisen: Allen Befürwortern
der Atomenergie muss klar sein, dass jeder schwere Stör-
fall in einem Atomkraftwerk die Existenz der gesamten
Atomwirtschaft grundsätzlich infrage stellt. Wer fordert,
Milliarden in diese unsichere Form der Energiegewin-
nung zu pumpen, sollte die Bürgerinnen und Bürger auch
auf das Risiko eines Totalverlustes hinweisen. Ich betone
deshalb von dieser Stelle noch einmal: Wir stehen zum
Atomausstieg.

Zu den vorliegenden Gesetzentwürfen fasse ich noch-
mals zusammen: Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt
die vorliegenden Gesetzentwürfe als wesentliche Verbes-
serung des Opferschutzes im internationalen Atomhaf-
tungsrecht. Wichtig ist jetzt, dass die Pariser Atomhaf-
tungsprotokolle möglichst rasch in Kraft treten. Wir
leisten mit der heutigen Entscheidung unseren Beitrag
dazu.


Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1616633600

Wie bereits in der ersten Lesung üben wir Liberale teil-

weise Kritik an den Gesetzentwürfen der Bundesregie-
rung zu den Pariser Atomhaftungs-Protokollen 2004. Wir
bleiben aber weiterhin dabei, dass wir beiden Gesetzen
zustimmen, zumal es um die Umsetzung international ra-
tifizierter Verträge geht. Die Gesetzentwürfe sehen vor,
dass die Haftungshöchstsummen deutlich erhöht werden;
das gilt für Betreiber kerntechnischer Anlagen und ein-
zelne Vertragsstaaten genauso wie für die Gemeinschaft
der Vertragsstaaten. Das begrüßen wir. Begrüßenswert
ist ebenso, dass die Entschädigung für Bürger verbessert
wird, egal ob das betreffende Ereignis im eigenen oder im
Nachbarland stattgefunden hat.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst
Wir bleiben aber bei unserer Kritik: Es ist ein Unding,
dass die Bundesregierung dieses schlichte Artikelgesetz
benutzt, um dem Bundesamt für Strahlenschutz zulasten
der Kommunen und Länder und insbesondere der deut-
schen Kernforschungseinrichtungen 350 000 Euro mehr
an jährlichen Einnahmen zu gewähren. Ich sage es an
dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit: Unsere
Forschungseinrichtungen sind chronisch unterfinanziert.
Sie benötigen dieses Geld dringend, um ihre internatio-
nalen hohen Standards zu halten.

Liebe Kollegen von SPD und Grünen: Ob mit oder
ohne Atomausstieg, wir brauchen Fachkräfte – komme
was wolle – für den Rückbau von Kernkraftwerken genau
wie im Falle einer Verlängerung der Laufzeiten. Leider
mussten in der vergangenen Woche aber die Gewerk-
schaft Technik und Naturwissenschaft im öffentlichen
Dienst und Tanja Gönner, Umweltministerin von Baden-
Württemberg, bestätigen, was wir seit langem wissen:
Die Bewerberzahlen für Studienplätze in Fächern, die für
eine funktionierende Atomaufsicht relevant sind, sind in
den letzten Jahren dramatisch eingebrochen. Selbst das
Bundesumweltministerium – man höre und staune – er-
kennt den Ernst der Lage: Der Fachkräftemangel sei ein
Thema, mit dem sich die Behörden auseinandersetzen
müssten.

Es ist verständlich, dass die wenigen Fachleute, die es
hierzulande gibt, sich von den hohen Gehältern locken
lassen, die die Privatwirtschaft zahlt. Das ist aber noch
lange kein Grund, die Kernforschung gleich ganz aufzu-
geben und dazu noch die Forschungsbedingungen zu ver-
schlechtern. Aber auf eine genau solche Einstellung lässt
das Verhalten der Bundesregierung bezüglich der vorlie-
genden Gesetzentwürfe schließen. Der Bundesrat hat die
Zeichen der Zeit erkannt und der Bundesregierung emp-
fohlen, die Beschneidung der Forschungseinrichtungen
rückgängig zu machen. Die Bundesregierung aber hat
diesen Einwand geflissentlich ignoriert und fördert lieber
sein eigenes Amt.

„Jeder ist sich selbst der nächste“ heißt ein kluges
Sprichwort. Das mag sich auch die Bundesregierung ge-
dacht haben. Aber hier geht die Rechnung nicht auf. Weit-
aus eigennütziger wäre es – und in diesem Fall auch für
alle anderen besser –, die deutsche Kernforschung zu för-
dern. Das hat Staatssekretär Meyer-Krahmer noch vor
wenigen Wochen behauptet zu tun. Und nun das.
Deutschland darf seine Führungsrolle in der kerntechni-
schen Forschung nicht durch Zusatzbelastungen behin-
dern – im Sinne der Sicherheit vorhandener und künftiger
Anlagen, der Nichtverbreitung, der Behandlung radioak-
tiver Abfälle und der Stilllegung ausgedienter kerntechni-
scher Anlagen. Die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert
die vorgelegten Gesetzentwürfe in Teilen, befürwortet
aber die Umsetzung internationaler Abkommen auf
nationaler Ebene. Wir stimmen den Gesetzentwürfen der
Bundesregierung daher zu.


Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616633700

Die CDU setzt auf die gefährliche Atomkraft. Was das

kostet, darüber will sie aber nicht reden. Durchwinken
heißt die Devise, wenn es um die Folgen und volkswirt-
Zu Protokoll
schaftlichen Auswirkungen der Atomkraft geht. Das
wurde am vergangenen Mittwoch in der Sitzung des Um-
weltausschusses deutlich.

Mit der Vorlage der Bundesregierung sollen zwar un-
ter anderem die Haftungssummen für Atomtransporte neu
festgelegt und EU-weit vereinheitlicht werden. Doch bei
genauerem Hinsehen entpuppt sich der Entwurf als Luft-
nummer. Die Mindesthaftung bei Atomtransporten soll
80 Millionen Euro betragen. Bei einem Unfall mit abge-
branntem Nuklearmaterial wird diese Summe nicht ein-
mal im Ansatz reichen. Die Folgen eines Schadenfalls
würden das Hundertfache kosten.

Gleichzeitig klammert die Änderung des Atomgesetzes
eine längst überfällige Haftungsregelung für deutsche
Atomkraftwerke aus. Die Bundesregierung hält es nicht
für nötig, das Kassemachen der Atomkonzerne auf Kos-
ten der Bürgerinnen und Bürger zu beenden. So heißt es
im Gesetzentwurf, die Änderung „erfordert keine inhalt-
lichen Anpassungen des nationalen Rechts“.

Damit wir uns richtig verstehen: Die Energiebosse ha-
ben für ihre Atomkraftwerke jeweils eine Haftungsbe-
grenzung von 2,5 Milliarden Euro. Die Folgekosten eines
Kernschmelzeunfalls werden aber mit 500 Milliarden bis
5 Billionen Euro angegeben. Ungeheure Summen würden
im Ernstfall auf die Allgemeinheit abgewälzt. Das würde
auch die deutsche Volkswirtschaft für längere Zeit läh-
men.

So etwas ist nicht hinnehmbar und verdeckt die tat-
sächlichen Kosten der Atomenergienutzung. Diese rech-
net sich für die Anlagenbetreiber doch nur, weil die enor-
men Zusatzkosten und Risiken auf die öffentliche Hand
abgewälzt werden. Bezieht man die sozialen, ökologi-
schen und gesundheitlichen Risiken in die Stromrechnung
mit ein, würde Atomstrom je Kilowatt nicht 2 Cent, son-
dern 2 Euro kosten.

Damit ist klar: Atomenergie ist unwirtschaftlich, ge-
fährlich und nicht beherrschbar – ganz abgesehen davon,
dass die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Stoffe
wohl nie abschließend geklärt werden kann. Die Links-
fraktion fordert die Bundesregierung deshalb auf, die
Haftungsfrage auch in Deutschland mit der vorliegenden
Gesetzesvorlage neu zu regeln. Man muss schließlich
auch zur Kenntnis nehmen, dass die Energiekonzerne mit
jedem der maroden Atomblöcke pro Jahr mindestens
300 Millionen Euro Profit machen. Die wahren Kosten
der Atomenergie müssen endlich offengelegt werden.
Letztendlich muss die Konsequenz aber lauten: Raus aus
der gefährlichen Atomenergie, so schnell wie möglich.

Einige Verbesserungen bringt der Entwurf aber: Das
Bundesamt für Strahlenschutz kann zukünftig Kosten für
Verwaltungsaufgaben in Rechnung stellen. Das ist zu be-
grüßen; denn es ist nicht gerechtfertigt, dass die Bürge-
rinnen und Bürger die Kosten der gefährlichen Atom-
energie durch die Hintertür bezahlen.

Die Linke wird sich deshalb zu den Gesetzentwürfen
enthalten.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616633800

In der vergangenen Woche habe ich bei der ersten De-

batte zur Änderung des deutschen Atomrechts auf die Ge-
fahren hingewiesen, die mit der Atomkraft einhergehen.
Aus Sicht der Grünen sollte die Haftung für dieses Risiko
durch die Betreiber sichergestellt werden. Die Höhe der
gesetzlich festgelegten Deckungssumme, die sich im Pro-
millebereich der tatsächlichen Kosten bei einem schwer-
wiegenden Atomunfall bewegt, muss dringend angehoben
werden.

Der jüngste Fall eines ernsten Störfalls in einem euro-
päischen AKW liegt erst wenige Stunden zurück. Im slo-
wenischen AKW Krsko ist radioaktives Kühlwasser aus
dem Primärkühlsystem des Reaktors ausgetreten. Fach-
leute gehen davon aus, dass dies zu einem Druckabfall im
System geführt hat. Das ist die erste Stufe zu einer Kern-
schmelze. Eine Kernschmelze hat 1986 zur Katastrophe
in Tschernobyl geführt. Dass gestern in Slowenien eine
derart ernste Situation eintreten konnte, dass das AKW
heruntergefahren werden musste, wie schon mehrfach in
den vergangenen Jahren, alles, obwohl es mit deutscher
Technologie nachgerüstet wurde, zeigt die Vermessenheit
der heimischen Atomlobby. Hier wird nach wie vor dreist
behauptet, deutsche Atomkraftwerke seien „sicher“.

Auch die Aussage von Kommissar Piebalgs und von
Umweltminister Gabriel, alles sei im Griff, das europäi-
sche Informationssystem funktioniere bestens und die
Medien würden mit ihrer Berichterstattung Ängste schü-
ren, offenbart eine politische Ignoranz gegenüber den
Gefahren der Atomkraft, die wir zurückweisen. Vielmehr
ist festzuhalten, dass sich bei einem Verlust von Kühlwas-
ser der Reaktor durch schnelles Herunterfahren derart
aufheizen kann, dass es zu einer Kernschmelze kommt.
Ein Leck im Kühlsystem ist also wahrlich keine Lappalie,
sondern einer der schlimmsten Störfälle, zu dem es in ei-
nem Atomkraftwerk kommen kann.

Das Risiko der Atomkraft bleibt unbeherrschbar. Des-
halb ist es zwingend, eine obligatorische Haftung in der
vollen Höhe des möglichen Schadens gesetzlich festzu-
schreiben. Der Änderung des Atomgesetzes können wir
deshalb nicht zustimmen. Es bleibt bei unserer Forderung
nach einer deutlichen Erhöhung der garantierten De-
ckungsvorsorge. Die garantierte Deckung im Promillebe-
reich eines möglichen Schadens ist nicht hinnehmbar.
Tatsächlich müsste das gesamte Risiko versichert werden.
Darüber hinaus ist es an der Zeit, die Organisationsstruk-
tur der finanziellen Vorsorge zu verändern. Wir sind der
Ansicht, dass diese Geldmittel unter staatliche Kontrolle
gestellt werden sollten. Die Erträge aus diesen Rücklagen
sollten in zukunftsweisende Technologien im Bereich der
Erneuerbaren investiert werden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616633900

Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungs-

punkt 20 a. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/9472, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/9077 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP
bei Gegenstimmen der Grünen und Enthaltung der Frak-
tion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmener-
gebnis wie in zweiter Beratung angenommen.

Tagesordnungspunkt 20 b. Der Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9473,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/9078 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kein Leugnen der BSE-Gefahren – Tierfette
und -mehle raus aus der Lebensmittelerzeu-
gung – Rein in die energetische Verwertung

– Drucksache 16/9098 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Franz-Josef
Holzenkamp, CDU/CSU, Dr. Wilhelm Priesmeier, SPD,
Hans-Michael Goldmann, FDP, Dr. Kirsten Tackmann,
Die Linke, Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1616634000

Ihr Antrag offenbart mal wieder Ihre typische

schwarz-weiß Denke. Unter der Überschrift „Kein Leug-
nen der BSE-Gefahren“ breiten Sie vor uns einmal mehr
Ihre bekannten Vorurteile aus: Intensive Landwirtschaft
ist schlecht. Nur der Ökolandwirt ist ein guter Landwirt.
Die fleischverarbeitende Wirtschaft besteht aus lauter
Kriminellen. Gentechnik ist per se gefährlich.

Das ist ärgerlich und raubt uns die Zeit für wirklich
wichtige sachorientierte Politik. Sie geben wieder mal
keine Antwort auf drängende Fragen in der Landwirt-
schaft. Ich bitte Sie inständig: Ersparen Sie uns diesen
Quatsch zukünftig.


(A) (C)



(B) (D)


Franz-Josef Holzenkamp
Besonders ärgerlich ist: Dieser Antrag ist nicht nur in-
haltlicher Quatsch, er ist zudem fahrlässig populistisch.
Sie spielen hier mit den Ängsten der Verbraucher und ma-
len ein BSE-Schreckensszenario an die Wand, das mit der
Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Verstehen Sie mich nicht falsch, niemand will die auf-
getretenen Fälle von BSE oder der Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit relativieren. Aber Sie benutzen Ihr BSE-Schre-
ckensszenario, um die Landwirte, die intensive Tierhal-
tung betreiben, zu diffamieren. Ist es bei Ihnen immer
noch nicht angekommen: Jeder Tierhalter in Deutschland
hat höchste Tierschutz- und Umweltstandards einzuhal-
ten.

Aber die BSE-Erreger allein reichen nicht aus, um Ih-
rem Theaterstück richtig Pfeffer zu geben. Der zweite Bö-
sewicht wartet schon an der nächsten Ecke: Die durch
und durch kriminelle Fleischwirtschaft, die ob des größ-
ten Profites nicht nur Gammelfleischskandale am laufen-
den Band produziert. Nein, hier wird auch munter mit
BSE-verseuchtem Futtermittel herumgesudelt.

Für die Kollegen von den Grünen also noch einmal:
Nein, nicht die gesamte fleischverarbeitende Branche ist
kriminell. Ja, es gibt – wie überall – schwarze Schafe.
Und die gilt es zu scheren.

Deswegen wurden mit dem von der Bundesregierung
vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Le-
bens- und Futtermittelgesetzbuches die Barrieren für die
schwarzen Schafe in der Lebensmittelbranche noch ein-
mal hochgesetzt. So sind Lebensmittelunternehmer künf-
tig verpflichtet, die Behörden zu informieren, wenn ihnen
verdorbene Lebensmittel angeboten werden. Damit
gehen wir aktiv gegen die Verschiebebahnhöfe vor. Au-
ßerdem werden wir den Bußgeldrahmen bei Verstößen
gegen das Lebens- und Futtermittelrecht von 20 000 auf
50 000 Euro anheben. Damit haben die Behörden nun
weitaus schärfere Sanktionsmöglichkeiten. Das Abschre-
ckungsmoment steigt. So, meine Damen und Herren von
den Grünen, sieht ein sachlicher und konsequenter Ver-
braucherschutz aus.

Erlauben Sie mir auf Ihre Forderung nach dem Verbot
der Verfütterung tierischer Fette und Proteine einzuge-
hen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir den Vorschlag
des Bundesrates aufgegriffen haben, die Verfütterung von
tierischen Fetten an Nichtwiederkäuer wieder zuzulas-
sen. Im Zuge der BSE-Krise hatte die Europäische Union
die Verfütterung von tierischen Proteinen als potenzielle
Überträger des BSE-Virus verboten. Das war eine Ent-
scheidung, die damals zu Recht getroffen wurde.

Die Vorgängerregierung ist über das Ziel – wie so oft –
hinausgeschossen und hat zudem auch noch die Verfütte-
rung der tierischen Fette verboten. Kein anderes EU-Mit-
gliedsland sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen.
Aber Verbraucherschutz ist nicht teilbar! Wir können
zwar in Deutschland Regelungen und Verbote einführen.
Bei offenen Märkten nützt das nur oftmals nichts. Wie
auch in diesem Fall.

Die deutschen Verbraucher sind hier von Frau Künast
schlicht an der Nase herumgeführt worden. Ihnen wurde
vorgegaukelt, dass auf ihren Tisch kein Fleisch kommt,
Zu Protokoll
das von einem Tier stammt, welches mit tierischen Fetten
gefüttert worden ist. Hatte das Tier seine Heimat in einem
andern europäischen Mitgliedsland, dann wurde es aber
mit tierischen Fetten gefüttert, und der Verbraucher hat
nichts gemerkt.

Unsere Veredelungsbetriebe sahen und sehen sich im
Vergleich mit den europäischen Nachbarn deutlichen
Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Denn sie müssen die
tierischen Fette durch pflanzliche Futtermittel ersetzen.
Die zusätzlichen Kosten für unsere Veredelungswirtschaft
sind erheblich. Marktanteile wurden verloren. Am Ende
stehen auch immer Arbeitsplätze in der Land- und Ernäh-
rungswirtschaft zur Disposition.

Nein, auch hier zeigt Ihr Antrag in die falsche Rich-
tung. Mit der Wiederzulassung der Verfütterung tieri-
scher Fette an Nichtwiederkäuer heben wir Ihr unsinni-
ges Verbot endlich auf. Es ist mir auch klar, dass Ihnen
das nicht passt – und es ist trotzdem richtig.

Verboten bleibt vorerst die Verfütterung tierischer
Fette von Nichtwiederkäuern an Wiederkäuer. Aber auch
hier wünschte ich mir eine Lockerung. Allerdings benöti-
gen wir dafür genaue Analysemethoden, um die Stoff-
ströme genau zu kanalisieren. Hier ist aber auch die Wirt-
schaft aufgerufen mitzuhelfen, dass Analyseverfahren zur
Bestimmung der Fettherkunft weiterentwickelt werden.

Kommen wir nun zu den tierischen Proteinen. Auch
hier fordern Sie die Beibehaltung des Verfütterungsver-
botes. Gleichzeitig fordern Sie, den Anbau heimischer
GVO-freier Eiweiß-Futtermittelpflanzen zu stärken.

Durch das noch immer bestehende Verbot der Verfüt-
terung tierischer Proteine müssen europäische Tierhalter
noch stärker auf Ersatz in Form pflanzlicher Proteine,
zum Beispiel Sojaschrot, zurückgreifen.

Ihr Vorschlag, durch einheimische Eiweißpflanzenpro-
duktion die tierischen Proteine zu ersetzen, ist auf den
ersten Blick blauäugig, auf den zweiten schamlos.

Ich denke, Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass man
für die aus lebensmitteltauglichen Schlachtabfällen ge-
wonnene Proteinmenge – das sind für Europa 1,125 Mil-
lionen Tonnen und für Deutschland 262 500 Tonnen –
3,2 Millionen Tonnen für Europa oder 746 000 Tonnen
für Deutschland Sojaschrotäquivalent produzieren
müsste. Die dafür benötigte Anbaufläche entspricht der
Größe Schleswig-Holsteins!

Sie wissen so gut wie ich, dass es illusorisch ist, einer-
seits die Menge der tierischen Proteine auf deutscher
oder europäischer Anbaufläche zu substituieren. Ande-
rerseits wird es in Zukunft unumgänglich sein, gentech-
nisch veränderte Sojaschrotimporte zuzulassen, da auf
dem Weltmarkt immer weniger GVO-freies Soja zur Ver-
fügung steht.

Bleibt es weiterhin bei der restriktiven europäischen
GVO-Politik – und dies fordern Sie ja in Ihrem Antrag –,
gäbe es folgendes Szenario: GVO-freies Soja würde auf-
grund rapide abnehmender Marktverfügbarkeit so teuer
werden, dass die Futtermittelkosten für unsere Tierhalter
enorm in die Höhe schnellen würden – Studien sprechen
von einer Verteuerung von bis zu 600 Prozent. In der



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Franz-Josef Holzenkamp
Folge würden die Nahrungsmittelpreise rapide steigen.
Weiterhin würden viele tierhaltende Betriebe und Verar-
beitungsbetriebe aufgeben müssen, weil sie gegenüber
der GVO-fütternden ausländischen Konkurrenz nicht
mehr wettbewerbsfähig wären. Zahlreiche Arbeitsplätze
gingen verloren. Schließlich würde der deutsche Nah-
rungsmittelmarkt mit Produkten ausländischer Anbieter
überschwemmt, die nicht zu unseren hohen Tier- und Um-
weltschutzstandards produzieren.

Meine Damen und Herren von den Grünen, sagen Sie
das den Landwirten und den Verbrauchern endlich ein-
mal deutlich ins Gesicht. Sagen Sie Ihnen: Ja, uns ist un-
sere Ideologie wichtiger als eure Arbeitsplätze und der
Verbraucherschutz. Seien Sie endlich einmal ehrlich!

Nein, Vernichtung von Arbeitsplätzen und Verbrau-
chertäuschung kann nicht unser Ziel sein. Deswegen bin
ich für die Wiederzulassung der Verfütterung tierischer
Proteine. Allerdings müssen wir strengste Maßstäbe an
die Wiederzulassung anlegen: Es muss sichergestellt
sein, dass vollständig getrennte Ketten in der Futtermit-
telproduktion und bei der Anwendung des Futters er-
reicht werden und sichere Testverfahren vorhanden sind.
Ist dies nicht der Fall, kann es keine Wiederzulassung der
Verfütterung tierischer Proteine geben. Das erwartet der
Verbraucher. Und dazu hat er auch volles Recht.

Wir können es uns nicht mehr leisten, wertvolle Roh-
stoffe wie tierische Fette und Proteine aus dem Verwer-
tungskreislauf auszuschließen. Das trifft im Übrigen auch
auf die Verwertung im Kraftstoffbereich zu. Allerdings
müssen Verwendung und Verbrauchersicherheit Hand in
Hand gehen.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1616634100

Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen „Kein Leugnen der BSE-Gefahren –
Tierfette und -mehle raus aus der Lebensmittelerzeugung
– Rein in die energetische Verwertung“. Ich finde es löb-
lich, dass die Kolleginnen und Kollegen heute das Thema
Landwirtschaft auf die Tagesordnung gebracht haben.
Leider nutzen sie jedoch wieder einmal ein mit Ängsten
besetztes Thema für einen Rundumschlag gegen die kon-
ventionelle Tierhaltung in Deutschland. Das habe ich
nicht anders erwartet. Es hilft aber in der Sache nicht
weiter. Wir haben es mit einem sehr sensiblen Thema zu
tun. Daher sollten wir mit ein wenig mehr Sorgfalt und
Rationalität an die Sache gehen.

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
grünen Fraktion, suggeriert, dass die Gefahren, die von
BSE-Risikomaterial für die menschliche Gesundheit aus-
gehen, von den Koalitionsparteien vollkommen vernach-
lässigt werden. Dem muss ich energisch widersprechen.
Ein kleiner Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Brisanz
des Themas: Insgesamt haben wir in Deutschland seit der
Einführung der BSE-Tests knapp 400 bestätigte BSE-
Fälle bei Rindern. Die Tendenz ist eindeutig abnehmend:
In den Jahren 2005 und 2006 wurden insgesamt 48 Rin-
der positiv getestet, im Jahr 2007 nur noch vier Tiere und
im laufenden Jahr nur noch ein Rind. Es ist eine eindeu-
tige Tendenz zu erkennen. Dies ist ein Beleg für mich,
dass die Bekämpfungs- und Kontrollmaßnahmen gegrif-
Zu Protokoll
fen haben und erfolgreich umgesetzt wurden. Ich betone:
Wir sind in Deutschland auf dem richtigen Weg, und die
Erfolge bei der Bekämpfung von BSE geben uns recht! Es
dauert nicht mehr lange, und Deutschland wird den Sta-
tus BSE-frei erlangen.

Wir müssen uns aber auch die Relation zu den insge-
samt 16 801 885 getesteten Rindern verdeutlichen:
Knapp 400 amtlich festgestellte BSE-Fälle im Zeitraum
vom 1. Januar 2001 bis zum 31. März 2008 sind prozen-
tual ein geringer Anteil. Aber selbstverständlich ist die
absolute Zahl an BSE-Fällen aus Sicht des vorbeugenden
gesundheitlichen Verbraucherschutzes nicht hinnehmbar,
gibt es also keinen Grund, Vorsorgemaßnahmen schleifen
zu lassen – was wir im Übrigen auch nicht tun.

Mit dem Änderungsantrag zum Gesetzentwurf zur Än-
derung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches
spricht sich auch die SPD dafür aus, die Verfütterung von
Fetten aus Gewebe warmblütiger Landtiere an Wieder-
käuer weiterhin zu verbieten. Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf folgen wir den Empfehlungen der Europäi-
schen Behörde für Lebensmittelsicherheit, des BfR und
des FLI, die ebenfalls zu dem Schluss gekommen sind,
dass bei der Verarbeitung des von Nichtwiederkäuern ge-
wonnenen Fettes jegliches BSE-Risiko auszuschließen
ist. Ich möchte betonen: Wir sprechen nicht von irgend-
welchen Fetten, sondern ausschließlich von Fetten derje-
nigen Tiere, die vorab für den menschlichen Genuss als
tauglich befunden wurden. Alle anderen Tiere werden
weiterhin in vollem Umfang den Tierkörperbeseitigungs-
anlagen zugeführt und gelangen daher nicht in die Le-
bensmittelkette. Mit dem Gesetzentwurf gehen wir in Eu-
ropa keinen Sonderweg, sondern vollziehen die Praxis
nach, die in den anderen EU-Ländern seit vielen Jahren
alltäglich ist. Ich sehe daher keine Notwendigkeit, in Auf-
geregtheiten zu verfallen, und möchte Sie in diesem Zu-
sammenhang um mehr Sachlichkeit bitten. Ihr Antrag
strotzt von Unwissenheit: Sie vermischen die Verfütterung
von Fetten mit der Verfütterung von Wiederkäuertiermeh-
len, was überhaupt nicht zur Diskussion steht. Mit diesem
Szenario verunsichern Sie deutsche Verbraucherinnen
und Verbraucher. Von einer Zulassung der Tiermehlver-
fütterung an alle Tierarten kann aber zum gegenwärtigen
Zeitpunkt keine Rede sein.

Es ist legitim, darüber nachzudenken, in welchem Um-
fang tierische Einweiße in der Futtermittelproduktion
eingesetzt werden können. Ausgangspunkt aller Überle-
gungen ist und bleibt aber das Verfütterungsverbot an
Wiederkäuer. Die entsprechende Kennzeichnung der Fut-
termittel und die Überwachung am Entstehungs- und Ver-
wendungsort bleiben dabei unerlässlich. Die heutigen
Standarduntersuchungsverfahren stellen sicher, dass
selbst geringste Spuren von Rindereiweiß in Futtermitteln
von Wiederkäuern problemlos und schnell festgestellt
werden können. Ihr Antrag ist gehaltlos und kann daher
von meiner Fraktion nur abgelehnt werden.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1616634200

Unsere Landwirte werden ständig mit steigenden Pro-

duktionskosten konfrontiert. Die aktuellen Proteste der
Milchbauern sprechen eine beredte Sprache hierüber.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
Auf der Demo des BDM lassen sich die Grünen als
Freunde der Milchbauern feiern, doch sie gehören zu den
Wegbereitern der ständig steigenden Produktionskosten
der deutschen Landwirtschaft. Zusammen mit der SPD
haben sie dafür gesorgt, dass die Ökosteuer die deutschen
Landwirte belastet, dass die deutschen Bauern ein Vielfa-
ches an Steuern auf ihren Diesel zu bezahlen haben, je-
weils im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn.

Und CDU/CSU und SPD machen gleich so weiter wie
zuvor Rot-Grün. Europäische Vorschriften werden nach
wie vor nicht eins zu eins umgesetzt. Den Verbrauchern
wird suggeriert, dass es 100 Prozent gentechnikfreie Le-
bensmittel geben könnte, und die Zeche zahlen die Land-
wirte.

Im Zuge der BSE-Bekämpfung hat man vielfach das
Kind mit dem Bade ausgeschüttet und Maßnahmen ergrif-
fen, die nichts mit BSE-Bekämpfung zu tun haben, wie
zum Beispiel das Verbot tierischer Fette an Nichtwieder-
käuer. Die FDP hat diese Maßnahme schon immer abge-
lehnt.

Angesichts der beständig sinkenden BSE-Zahlen in
Deutschland tritt die FDP außerdem dafür ein, dass das
BSE-Testalter abgeschafft wird. Wir müssen zwar weiter
dafür sorgen, dass das Risikomaterial entsorgt wird, doch
die Testerei ist nichts als eine Ressourcenverschwendung.

Schließlich setzen wir uns dafür ein, dass das generelle
Verbot der Verfütterung tierischer Eiweiße auf europäi-
scher Ebene überprüft wird. Auch dieses Verbot ist nicht
mehr zeitgemäß.

Wir müssen diese Ressourcen schließlich auch nutzen,
um eine Entlastung der Flächenkonkurrenz herbeizufüh-
ren.

Wir können nicht einerseits GVO-Futtermittel verbie-
ten und andererseits den heimischen Schweineproduzen-
ten die Verfütterung von tierischem Eiweiß untersagen.
Hier muss endlich wieder umgedacht werden.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616634300

Kein Leugnen der BSE Gefahren – das schreiben die

Grünen in ihrem Antrag. Ich verstehe sehr gut, dass die
dramatischen Vorgänge im Jahr 2000 ein Trauma hinter-
lassen haben bei den Grünen. Sie waren damals in Regie-
rungsverantwortung und es war in der damals auch von
den Medien entfachten Hysterie offensichtlich nicht im-
mer ganz einfach, sachlich richtige und politisch kluge
Entscheidungen zu treffen. Zu lange hatte die Politik die
warnenden Stimmen aus der Wissenschaft ignoriert, um
das einmal vorsichtig auszudrücken. Denn die sagten
schon lange vor dem ersten BSE-Nachweis, dass es na-
hezu ausgeschlossen sein dürfte, dass Deutschland bei
dieser neuartigen Erkrankung eine Insel der Glückseeli-
gen bleibt. Und sie machten lange vor diesem ersten
Nachweis auf große Wissenslücken aufmerksam. Als das
erste infizierte Rind dann diagnostiziert war, brach ein
Zustand aus, den man mit gutem Recht als chaotisch be-
zeichnen kann.

Wir wussten damals wenig über den Auslöser der Er-
krankung. Auch das Wissen über die Übertragungswege
Zu Protokoll
war eher spekulativ. Daher mussten auch die Bekämp-
fungsmaßnahmen zunächst am theoretisch Denkbaren
ausgerichtet werden. Selbst die Diagnostik war auf das,
was dann kam, nicht vorbereitet. Von einer ohnehin
schwierigen Einzeltierdiagnostik musste auf Massentier-
diagnostik umgestellt werden. Deren Befunde entschie-
den lange über die Existenz von ganzen Rinderherden und
-beständen. Ich kann mich an die Hektik, die durch eine
allzu reißerische Medienbegleitung forciert wurde, sehr
genau erinnern. Ich habe damals an dem Institut in Wus-
terhausen gearbeitet, das für die wissenschaftliche Be-
gleitung der Entscheidungen verantwortlich war. Die
Situation in jenen Tagen hat eine Erkenntnis bei mir wei-
ter vertieft: Über Tierseuchenbekämpfungskonzepte muss
man in Friedenszeiten nachdenken. Nur dann kann sach-
lich jenseits unterschiedlicher Lobbyismen begründet be-
wertet werden. Das setzt allerdings voraus, dass Gefahr
erkannt und ernst genommen werden. Aber genau das ist
das eigentliche Problem. In Friedenszeiten werden selbst
die für die Beantwortung der allernotwendigsten Fragen
notwendigen Ressourcen nur sehr begrenzt bereitgestellt.
Die Gefahr wird so lange ignoriert, bis es zu spät ist. War-
nungen aus der Wissenschaft werden mit dem Vorwurf er-
widert, es ginge nur um mehr Geld. Diese Geschichte
wiederholt sich leider regelmäßig. Ich erinnere nur an
MKS, Vogelgrippe und Blauzungenkrankheit. Dabei
wächst die Gefahr von Tierseuchen durch die globalen
Personen- und Handelsströme.

Das Signal müsste sein, die Veterinärepidemiologie,
die Wissenschaft für die Tierseuchenbekämpfung, zu stär-
ken. Stattdessen hält auch diese Regierung an der Schlie-
ßung der einzigen Einrichtung der Agrarressortfor-
schung fest, das sich mit solchen Bekämpfungskonzepten
und Risikobewertungen beschäftigt: das Institut für Epi-
demiologie in Wusterhausen/Dosse. Der Schließungsbe-
schluss war schon 1996 ein Fehler und heute spricht noch
viel mehr dagegen. Es ist inakzeptabel, dass diese Ent-
scheidung nicht wenigstens noch einmal geprüft wird.
Die Folgen dieser Ignoranz sind dramatisch: Verbrau-
cherinnen und Verbraucher werden verunsichert und
Tiererkrankungserreger sind unterdessen eine ökonomi-
sche Existenzbedrohung für die Nutztierhaltung

Doch zurück zur BSE. In Erinnerung an die Situation
im Jahr 2000 ist es besonders wichtig, über die Frage des
Übertragungsrisikos durch Tiermehl und Tierfette sehr
ernsthaft, aber auch in aller Ruhe zu diskutieren. Auf der
einen Seite steht die Tatsache, dass das totale Fütterungs-
verbot seit Anfang 2001 Erfolg hatte: Im vergangenen
Jahr wurden nur vier BSE-Fälle nachgewiesen und das
bei 3,3 Millionen Schlachtungen. Das heißt aber auf der
anderen Seite: Das Risiko der Übertragung ist extrem ge-
fallen. Auch die Herstellungsprozedur für Tiermehl
wurde risikominimierend geändert. Das spräche für eine
Aufhebung des Totalverbots sind zwei Einschränkungen:
das Fütterungsverbot an Wiederkäuer und das Kanniba-
lismusverbot, das heißt keine Verfütterung an die gleiche
Tierart, bleiben bestehen, und zwar unter einer Vorbedin-
gung: Verstöße gegen diese beiden Verbote müssen nach-
weisbar und damit kontrolliert sein.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Das ist die eigentlich wichtige Debatte, die wir im Aus-
schuss führen müssen: Kann die Verwendung des Tier-
mehls ausreichend sicher kontrolliert werden?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616634400

Die schwarz-rote Koalition bricht mit dem Prinzip des

vorsorgenden Verbraucherschutzes und der Tierseuchen-
und Krankheitsbekämpfung. Sie macht einen fatalen
Schritt, wenn sie mit der Novelle des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches klammheimlich das Verfüttern
von Tierfetten an Nichtwiederkäuer wieder zulässt. Die
fatalen Folgen von BSE werden – wie vor 2001 – unter
den Teppich gekehrt. Dabei sind bis heute Erreger und
Übertragungswege nicht geklärt. Tatsache ist aber: Mil-
lionen von Tieren und Menschen sind in Gefahr. Auch
Nichtwiederkäuer sind an BSE erkrankt. Verbrauchermi-
nister Seehofer zeigt hier wieder einmal seine Unglaub-
würdigkeit: Während die Große Koalition bereits Ende
Februar den Vorstoß unternahm, mit einem Änderungs-
antrag das Verbot der Tierfettverfütterung zugunsten der
Futtermittel- und Fleischlobby zu lockern, stellte Minis-
ter Seehofer Ende April im Plenum noch fest: „Mir ist
nicht bekannt, dass die Bundesregierung beabsichtigt,
Tierfette/Tiermehle zuzulassen“.

Unwissenheit oder Unwahrheit? Anfang Mai folgte
dann die Offenbarung von Seehofer. Bereits im Sommer,
so titelten die Gazetten, wäre es denkbar, dass eine ge-
meinsame Verfütterungsposition der Bundesregierung
über Handlungsempfehlungen zustandekomme. Seehofer
erliegt klar dem Druck und den Drohgebärden der Fut-
termittel- und Agroindustrie und vertritt eins zu eins die
Position des Deutschen Bauernverbandes. Der Verbrau-
cherschutz wird leichtfertig den Interessen der Futtermit-
tel- und Agroindustrie geopfert.

Es darf nicht vergessen werden: Tierfette sind beson-
ders risikoreich, weil der Erreger BSE liposom ist, das
heißt, sich an Fette anlagert bzw. bindet. In Großbritan-
nien, wo die Rinderkrankheit am stärksten wütete, star-
ben bis Ende 2007 bereits 163 Menschen.

Die auf die BSE-induzierte Form der Creutzfeldt-Ja-
kob-Krankheit zurückzuführenden Todesfälle in Spanien
Anfang des Jahres bestätigen, dass vor 2001 mit BSE ver-
seuchtes Fleisch Todesfälle verursacht. Dort wurden seit
dem Jahr 2000 mehr als 720 Krankheitsfälle bei Kühen
bekannt. In Deutschland sind mehr als 400 BSE-Krank-
heitsfälle bei Rindern offiziell bestätigt, wobei eine hö-
here Dunkelziffer angenommen wird.

Experten gehen davon aus, dass die Inkubationszeit
der durch BSE bedingten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
mindestens zehn Jahre beträgt. Es ist also damit zu rech-
nen, dass erst in den nächsten Jahren der ganze Umfang
der menschlichen Erkrankungen zutage tritt. Auch das
Friedrich-Loeffler-Institut hat vor einigen Wochen die
Wiedereinführung der Tierfette als falsches und riskantes
Signal gewertet.

Die EU-Kommission hat hingegen hinterrücks die
Wiedereinführung von Fischmehl erlaubt. Dies ist weder
als tiergerecht noch als Verbrauchervorteil zu bewerten.
Schließlich ist Fischmehl ein Fremdprotein für Nutztiere
Zu Protokoll
und bei Menschen als Dioxin-Senke völlig kontraproduk-
tiv.

Die Futtermittel- und Fleischlobby verkündet laut-
stark, dass die Tierfette doch nur bei Schweinen und Hüh-
nern landen sollen und nicht in Trögen der Wiederkäuer.
Eine Garantie, dass komplette Futterströme von der Fut-
termittelindustrie getrennt und vom Staat kontrolliert
werden können, ist pure Illusion. Erst gestern beklagten
die Lebensmittelkontrolleure in einer Anhörung im Bun-
destag ihre katastrophale Personalsituation. Noch
schlimmer sieht es bei den Veterinären aus. Mit der Wie-
derzulassung von Tierfetten in der Futtermittelherstel-
lung wird dem Missbrauch in der Fleischindustrie Tür
und Tor geöffnet. Damit steigt die Gefahr der Übertra-
gung von Krankheiten auf Mensch und Tier enorm an.

Dies bestätigt auch eine Recherche der Verbraucher-
organisation Foodwatch von Anfang April. Zum einen
wurden mehrere tausend Tonnen Risikomaterial zu Tier-
mehldüngemittel umdeklariert, von Deutschland illegal
exportiert und in Malaysia in die Lebens- und Futtermit-
telkette eingeschleust. Das alles zeigt, dass Minister See-
hofer seine ergriffenen Maßnahmen zwar offen angekün-
digt, aber in der Praxis nicht umgesetzt hat. Bis heute
fehlt die Umsetzung des K-3-Materials durch Zusatz von
Farb-, Geruchs- oder Bitterstoffen. Auch die Melde-
pflichten über die Verwendung von Tiermehldüngemitteln
sind mangelhaft.

Auch die Schweizer haben in einem partiellen Fütte-
rungsversuch gezeigt, dass eine Trennung der Waren-
ströme nicht funktioniert. Mit der Wiederzulassung von
Tierfetten in Tierfutter wird eine Aufweichung von Ge-
sundheits- und Qualitätsstandards in der Nahrungsmit-
telkette vollzogen, und Menschen werden in unverant-
wortlicher Weise gefährdet.

Um das Vertrauen der Verbraucher zu sichern und zum
Schutz des Images von Fleischprodukten haben aus Sicht
von Bündnis 90/Die Grünen Tierfette und -mehle nichts in
der Futterkette zu suchen. Wir Bündnisgrüne stehen für
eine sinnvolle Alternative, nämlich die Reststoff- und Ab-
fall-Verwertung in der Energieerzeugung. Wer Kreislauf-
wirtschaft unterstützen will, der muss sich einsetzen für
die kontrollierte und abgesicherte Verwendung der Tier-
abfälle in der Energiegewinnung.

Außerdem plädieren wir für deutlich weniger, dafür
aber qualitätsvolleres Fleisch in der Ernährung, aus öko-
logischen und bäuerlichen Betrieben. Klasse statt Masse,
das ist der Wahlspruch grüner Verbraucherpolitik. In Zu-
kunft muss die Basis der Futtermittelerzeugung in Europa
selbst liegen. Forschung und Entwicklung von gentech-
nikfreien Eiweißpflanzen müssen verstärkt werden.
Ebenso ist die Nutzung von Rapskuchen als Eiweißalter-
native eine weitere Möglichkeit.

Eindeutige und verbraucherfreundliche Regelungen
zur Kennzeichnung und klare Sicherheitsbestimmungen
werden sich auf Dauer als wichtiger Markt- und Stand-
ortvorteil der deutschen Landwirtschaft erweisen. Die
gesamte Agrar- und Fleischwirtschaft sollte dies als
Chance nutzen, statt das Risiko der Tiermehl-/Tierfett-
Verfütterung einzugehen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616634500

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9098 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig Fi-
scher (Göttingen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Gregor
Amann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Förderung von Bildung und Ausbildung –
Entwicklungspolitischen Schlüsselsektor kon-
sequent ausbauen

– Drucksache 16/9424 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hüseyin-
Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Entwicklung braucht Bildung – Den deutschen
Beitrag erhöhen

– Drucksache 16/8812 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Dr. Christian Ruck, CDU/CSU, Dr. Bärbel Kofler, SPD,
Hellmut Königshaus, FDP, Hüseyin-Kenan Aydin, Die
Linke, Ute Koczy, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1616634600

Wenn man sich die Frage stellt, was die Kernfaktoren

sind, die Entwicklung wirklich voranbringen, so wird
man als wichtigsten Schlüsselfaktor die Bildung identifi-
zieren. Bildung ist der Schlüsselfaktor für erfolgreiche
nachhaltige Entwicklung und das Fundament aller ande-
ren Säulen unserer Entwicklungszusammenarbeit und für
eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Für die
unionsgeführte Entwicklungspolitik war Bildung daher
auch traditionell einer der drei Schwerpunkte.
Die Weltgemeinschaft hat die Bedeutung der Bildung
mit der Milleniumserklärung unterstrichen und strebt an,
es bis zum Jahr 2015 zu ermöglichen, dass alle Kinder auf
der Welt – Mädchen wie Jungen – eine Grundschulaus-
bildung erhalten. Bei der Weltbildungskonferenz in Da-
kar im Jahre 2000 haben die 180 teilnehmenden Staaten
sechs Ziele verabschiedet, um „Bildung für alle“– Edu-
cation For All, EFA – bis zum Jahre 2015 erreichen zu
können. Obwohl es unbestreitbar Erfolge bei der Bil-
dungszusammenarbeit gibt – so besuchten im Jahr 2005
rund 24 Millionen Kinder mehr die Grundschule als noch
1999 –, ist die Bildungssituation in vielen Ländern wei-
terhin sehr besorgniserregend. Noch immer können
780 Millionen Menschen weltweit nicht lesen und schrei-
ben, und fast 80 Millionen Kinder besuchen keine Grund-
schule.

Neben der klassischen Entwicklungszusammenarbeit
muss die Bildungszusammenarbeit auch eine größere
Rolle in der Unterstützung von Nachkriegsregionen, in
Flüchtlingslagern und in sogenannten „failing oder
failed states“ einnehmen. Nur so können dort Friedens-
und Entwicklungsperspektiven eröffnet werden. Diese
Gebiete und Staaten sind durch ein sehr geringes Bil-
dungsniveau gekennzeichnet.

In den ärmsten Entwicklungsländern bricht jedes
vierte Kind die Schule vorzeitig und ohne Abschluss ab.
Für Millionen von Grundschulabsolventen steht kein wei-
terführendes Bildungsangebot zur Verfügung. Über den
Zugang zur Grundbildung hinaus ist es daher wichtig, die
Abbrecherquoten abzusenken und zusätzliche Bildungs-
perspektiven zu eröffnen. Der Bildungssektor muss in
seiner Gesamtheit als Querschnittsaufgabe der Ent-
wicklungszusammenarbeit verankert werden. Sekundar-
schulbildung, akademische Bildung und die berufliche
Aus- und Fortbildung sind wichtige Kernelemente, um
die Entwicklungspotenziale unserer Partner zu optimie-
ren.

Die Unterstützung des Bildungssektors muss darauf
abzielen, ein angepasstes, bedarfsgerechtes und kohären-
tes Bildungssystem aufzubauen bzw. fortzuentwickeln. Es
gilt dabei, in einem übergreifenden Ansatz Mechanismen
und Strukturen formeller und non-formaler Bildungsan-
gebote für die frühkindliche Bildung, die Grundbildung,
die Sekundarschulbildung, die akademische Bildung, die
berufliche Aus- und Fortbildung und die Erwachsenen-
bildung ebenso zu etablieren wie die dazu erforderlichen
Voraussetzungen für die Bereitstellung der entsprechen-
den Infrastruktur und der dazu notwendigen Lehrkräfte
sowie deren Aus- und Fortbildung.

Alle konzeptionellen Ansätze der Bildungsunterstüt-
zung müssen – auch im Rahmen übergeordneter Armuts-
bekämpfungsstrategien – zwischen Partnern und Gebern
eng abgestimmt und verzahnt werden. Auch darf die Un-
terstützung nicht dazu führen, dass bestimmte Landesteile
bevorteilt bzw. benachteiligt werden. Maßnahmen der
Bildungsunterstützung sind nur dann nachhaltig erfolg-
reich, wenn die weitere Finanzierung auch nach dem
Rückzug der Geldgeber abgesichert ist. Entsprechende
Strategien müssen bereits bei der Konzeption der Maß-


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck
nahmen integraler Bestandteil der Planungen und Ver-
einbarungen sein.

Schwierige wirtschaftliche Bedingungen und fehlen-
der Zugang zu Bildung sind Faktoren, die Menschen für
radikal religiöse und politische Heilslehren anfällig ma-
chen können. Um den Herausforderungen des Extremis-
mus oder religiösen Fundamentalismus zu begegnen,
sollten in Risikogebieten die Zusammenarbeit im Bil-
dungsbereich als ein sektorübergreifendes Anliegen ver-
standen und staatliche Bildungssysteme gestärkt werden,
damit sie attraktive Alternativen zu einem fundamental
religiös geprägten Bildungsangebot werden.

Voraussetzung für alles weitere Lernen ist eine solide
Grundbildung. Investitionen in Grundbildung sind Inves-
titionen für eine nachhaltige Entwicklung durch eigen-
verantwortlich handelnde Menschen. Noch immer
herrscht eine sehr ungleiche Verteilung der Grundbil-
dungsangebote zwischen Land und Stadt. Um den Bereich
der primären Bildung voranzubringen, sind mehr regio-
nale und praxisorientierte Ansätze notwendig. Zur Über-
windung der den Schulbesuch hemmenden Faktoren müs-
sen angepasste Anreizstrategien – zum Beispiel
Anpassung der Ferien, an den landwirtschaftlichen Ka-
lender, Erhöhung der Schuldichte, Schulspeisung – iden-
tifiziert und umgesetzt werden.

Es gilt zudem, Anreize für Lehrpersonal zu schaffen,
einen Lehrauftrag an abgelegenen Standorten aufzuneh-
men. Beim Ausbau der Schulsysteme und Einrichtungen
müssen die Faktoren Quantität und Qualität ineinander-
greifen. Neben den Einschulungsraten ist verstärkt auf
die Abschlussraten zu achten. Vermitteltes Wissen sollte
durch Qualitätskontrollen und Leistungstests kontrolliert
werden.

Nach der Grundschule müssen den Schülerinnen und
Schülern weiterführende Bildungsangebote zur Verfü-
gung stehen. Daher muss darauf geachtet werden, auch
angepasste und leistungsfähige Sekundarschulstrukturen
– insbesondere im ländlichen Raum – auf- bzw. auszu-
bauen. Zielsetzung muss dabei sein, ein Sekundarbil-
dungsangebot zu etablieren, welches sowohl die Basis für
ein selbstbestimmtes Leben der Jugendlichen schafft und
die für die Landesbedürfnisse notwendige Ausbildungsfä-
higkeit in praktischen Berufen sicherstellt als auch die
Qualifikation für eine weiterführende technische oder
akademische Weiterbildung vermittelt sowie die Beschäf-
tigungsfähigkeit verbessert.

Der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften für Pro-
duktion. Handel und Dienstleistungen ist ein wichtiger
hemmender Faktor für die Entwicklung in vielen Ent-
wicklungsländern. Der Aufbau angepasster Berufsaus-
bildungssysteme in enger Kooperation mit der örtlichen
Wirtschaft ist daher eine große Herausforderung für viele
Partner und damit für die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit. Berufliche Bildung hat in der Entwicklungs-
zusammenarbeit zwei wichtige Zieldimensionen: Sie un-
terstützt die Entwicklung und Erschließung von
Wachstumspotenzialen insbesondere der modernen Wirt-
schaft, und sie befähigt gleichzeitig die Menschen zur ei-
genverantwortlichen Gestaltung ihres Lebens und der Ar-
beit.
Zu Protokoll
Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch die Eröffnung von
Perspektiven für die Beschäftigen des non-formalen Sek-
tors, für junge Erwachsene und Menschen, denen es nicht
möglich war, am formalen Bildungssystem teilzuhaben.
Bei der Stärkung einer Brückenfunktion hin zu Zugängen
in den formalen Bildungsbereich haben Nichtregierungs-
organisationen und Kirchen solide Kompetenzen.

Die lokale Anpassung des deutschen Systems der dua-
len Berufsausbildung kann bei der beruflichen Bildung
wichtige Impulse liefern, wird aber erfahrungsgemäß
nicht immer eine angepasste Lösung für die spezifischen
Bedürfnisse eines bestimmten Landes darstellen. Wichtig
ist aber die Herausbildung einer engen Kooperation von
Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Für die ausgebildeten Fachkräfte ist es wichtig, Zu-
gang zur Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen, damit
sie mit den schnelllebigen Entwicklungen Schritt halten
können. Dazu sind die Etablierung neuer und der Ausbau
bestehender Bildungseinrichtungen sowie die Herstel-
lung von Kooperationen mit entsprechenden Einrichtun-
gen in Deutschland und anderen Industrieländern wich-
tige Elemente. Über das Instrument der privaten-
öffentlichen Partnerschaften sollte auch die Einrichtung
überbetrieblicher Bildungseinrichtungen über die Indus-
trie- und Handelskammern oder die Handwerkskammern
angestrebt werden.

Nachhaltige Bildungssysteme können nur dann eta-
bliert werden, wenn die Partner mittelfristig auch ohne
Hilfe der Geber selbstständig ausbilden können. Ohne
gute akademische Bildungseinrichtungen – Universitäten
und Fachhochschulen – vor Ort ist dies nicht möglich.
Ein wichtiger Aspekt der Bildungszusammenarbeit ist da-
her auch die Intensivierung der Zusammenarbeit im
Hochschulbereich. Neben der Stärkung von Hochschul-
bildung als Querschnittsbereich sollte auch eine Vernet-
zung der Hochschulen in und zwischen Entwicklungslän-
dern stärker gefördert werden, um einen lebhaften
Wissenstransfer innerhalb eines Landes oder einer Re-
gion zu gewährleisten. Auch die Gründung deutscher
Universitäten in Entwicklungsländern sollte als strategi-
sche Option gezielt vorangetrieben werden.

Hochschulen übernehmen eine Verbindungsfunktion
zwischen Staat und Gesellschaft und begleiten gesell-
schaftliche und politische Reformprozesse. Bei der Hoch-
schul- und Wissenschaftskooperation können daher Syn-
ergieeffekte erzielt werden, wenn Brücken zu den anderen
Sektoren der Entwicklungszusammenarbeit geschlagen
werden. Mit dem Instrument Public-Private-Partnership
– PPP – können die in Entwicklungsländern angesiedel-
ten Verbände und Unternehmen dabei unterstützt werden,
Ausbildungszentren und Hochschulen vor Ort zu initi-
ieren und auszustatten. Die Einrichtung von grenzüber-
schreitenden Studiengängen mit möglicher Vernetzung zu
regionalen Forschungsnetzwerken stellt ein geeignetes
Instrument für die ressortübergreifende Förderung von
Hochschulkooperationen in Schwellenländern dar, die es
auszubauen gilt.

Die Förderung von Stipendiaten aus Entwicklungslän-
dern und die Vertiefung der Wissenschaftskooperation
zwischen den universitären Einrichtungen erhöhen das



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck
Bildungsniveau und festigen die Beziehungen zwischen
den beteiligten Staaten zum gegenseitigen Vorteil. Koope-
rationen deutscher Universitäten und Forschungsinsti-
tute mit Partnern in Entwicklungsländern sind wegen des
damit verbundenen Aufbaus von Kontakten zur wissen-
schaftlichen Lösung globaler Probleme – Klima, Gesund-
heit und andere – notwendig, aber auch von Vorteil für die
deutsche Wirtschaft. Ein wichtiges Element der Koopera-
tionen ist die Verstetigung der wissenschaftlichen und
persönlichen Kontakte sowie des gegenseitigen Aus-
tauschs durch eine intensivierte Pflege der Alumni-Netz-
werke.

Gleich, welche Bildungsstufe durchlaufen wurde, sol-
len die Menschen dadurch in die Lage versetzt werden,
ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften, damit erwor-
benes Wissen und Fähigkeiten dem jeweiligen Partner-
land nachhaltig erhalten bleiben. Es gilt, die Abwande-
rung von qualifizierten Kräften mit ihrem Wissen
– sogenannter Brain Drain – zu vermeiden. Dazu sind
Anreize zu schaffen, qualifizierte Menschen dort zu be-
schäftigen, wo sie am nötigsten gebraucht werden: im ei-
genen Land.

Wir sollten uns bei der Entwicklungszusammenarbeit
im Bildungsbereich auch der Akteure besinnen, die nicht
im engeren Sinn Teil der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit sind. Wir müssen alle Potenziale ausloten, die
Erfahrung der deutschen Auslandsschulen und der
Goethe-Institute zur Stärkung der Bildungssysteme unse-
rer Partner zu nutzen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen,
dass es auch einen Bereich gibt, wo wir die Bildung un-
serer Bürger, voranbringen müssen. Dies ist die entwick-
lungspolitische Bildung. Sie soll unseren Bürgern die He-
rausforderungen in den Entwicklungsländern und die
Instrumente zur Bewältigung dieser Herausforderungen
in der Einen Welt zur Sicherstellung von Frieden und
Wohlstand verdeutlichen. Wir sollten gemeinsam mehr
tun, den Zugang zu diesen Bildungsangeboten zu erwei-
tern.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1616634700

Ich freue mich, heute unseren aktuellen Antrag zur

Förderung der Bildung und Ausbildung in der Entwick-
lungspolitik vorstellen zu können. Bildung ist bei Weitem
kein neues Thema: Zusammen mit Gesundheit sind Bil-
dung und Ausbildung fundamentale Elemente jeder ent-
wicklungspolitischen Arbeit und Voraussetzung für die
nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft.

Bisher hat unsere bilaterale wie auch multilaterale
staatliche Entwicklungszusammenarbeit Gutes geleistet.
Die im Jahr 2000 initiierte Initiative „Education for all“
und die seit 2002 darauf aufbauende „Fast Track Initia-
tive“ sind gelungene Beispiele dafür. Dennoch spricht
der UNESCO-Weltbildungsbericht vom Dezember 2007
eine deutliche Sprache. Die Bildungssituation in vielen
Ländern ist weiterhin besorgniserregend.

Zurzeit besuchen fast 80 Millionen Kinder keine
Schule, und der Zugang zu Bildung, insbesondere zur
Zu Protokoll
Grundbildung, ist für viele Menschen immer noch mit
großen Schwierigkeiten und Hindernissen verbunden.

Dabei ist eines unbestritten: Bildung ist ein Menschen-
recht, ist wesentliche Voraussetzung für ein selbstbe-
stimmtes Leben und für gesellschaftliche Teilhabe. Daher
fordert unser Antrag den konsequenten Ausbau des
Schlüsselsektors Bildung. Dabei ist wichtig, dass Bildung
heute einerseits sektorübergreifend beispielsweise bei der
Friedensentwicklung und Krisenprävention sowie der
Demokratieförderung integriert werden muss, anderer-
seits aber auch ein wichtiger selbstständiger Sektor ist
und bleibt. Der Sektor Bildung ist also von elementarer
Bedeutung, das sollte auch bei Regierungsverhandlungen
immer wieder betont werden.

Auf meiner Reise in den Ostkongo im Mai dieses Jah-
res hatte ich die Gelegenheit eine Schule zu besuchen, in
der mit partizipativen Lehrmethoden das selbstständige
Denken der Schüler gefördert wird und damit den Schü-
lern auch friedliche Konfliktlösungskonzepte aufgezeigt
werden. Hiervon unterscheidet sich noch deutlich die
weit verbreitete herkömmlicher Methode der Unterrichts-
gestaltung mit wenig selbstständiger Beteiligung der
Schüler und einem Auswendiglernen von Dingen, die den
Bedürfnissen der Region nicht entsprechen. Fragen der
Schüler sowie Formulierung eigener Standpunkte ist da-
bei nicht Teil des Unterrichtsgeschehens.

Dies hat Auswirkungen auf gesellschaftliches Handeln
und die Eigenreflexion der Schüler. In einem Gespräch
mit den Schülern wurde deutlich, dass die im Unterricht
erarbeiteten Verhaltensregeln auch auf das Leben außer-
halb der Schule übertragen werden. Die Schülerinnen
und Schüler berichteten davon, wie sie das gemeinsame
Diskutieren in der Gruppe, das sie im Unterricht eingeübt
hatten, auch als Streitschlichtungsmodell für Schwierig-
keiten im Freundeskreis außerhalb der Schule und in der
Familie einsetzen. Nach Jahren des Bürgerkriegs und der
Gewalt ist es insbesondere für die junge Generation un-
bedingt nötig, friedliche und demokratische Konfliktlö-
sungsstrategien einzuüben. Denn auch dazu können
Schulen beitragen.

Dies zeigt, dass neben der Quantität der zu schaffen-
den Schulen auch die Qualität des angebotenen Unter-
richts von entscheidender Bedeutung ist.

Neben der Vernetzung von Bildung mit anderen Sekto-
ren der Entwicklungszusammenarbeit wie Friedensent-
wicklung gibt es drei Kernfelder, bei denen Bildung als ei-
genständiger Schwerpunkt ansetzten muss:

Allen voran ist die Grundbildung zu nennen. Wir als
Sozialdemokraten haben uns schon von jeher für eine
vom Elternhaus unabhängige Bildungschance für Kinder
und für Bildungsgerechtigkeit eingesetzt. Das ist in der
Entwicklungszusammenarbeit nicht anders. Daher ist bei
der Grundbildung besonders wichtig, dass sie gebühren-
frei erfolgt und auch die Lehrmittel kostenfrei sind.
Insbesondere ist auch darauf zu achten, dass der Grund-
schulbesuch für Mädchen gefördert wird. Praxisorien-
tierte Ansätze sind dabei wichtig: Die Schulwege müssen
sicher gestaltet werden, weibliches Lehrpersonal muss
verstärkt zum Einsatz kommen. Manchmal sind es einfa-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Bärbel Kofler
che Dinge wie die Einrichtung von nach Geschlechtern
getrennten Schultoiletten, die es Mädchen leichter macht,
die Schule zu besuchen. Nach der Grundbildung und dem
Ausbau der Sekundarschulbildung, ist die berufliche Bil-
dung und Weiterbildung als ein weiteres Kernelement der
entwicklungspolitischen Bildungsarbeit zu nennen.

Lassen Sie mich hier nochmals unterstreichen, dass
das duale Berufsschulsystem, mit welchem wir in
Deutschland gute Erfahrung haben, schon häufig in Part-
nerländern den Impuls für ähnliche Berufschulsysteme
gab. In der beruflichen Bildung gilt es, Fachwissen und
praktische Fähigkeiten wie auch soziale Verhaltenswei-
sen zu erlernen, um Beschäftigungsfähigkeit zu schaffen.

Auch hier möchte ich ein Beispiel von meiner Reise in
den Kongo anführen. Das Berufsbildungszentrum CAPA
in Bukavu bietet jungen Menschen die Chance, in den Be-
reichen Lederverarbeitung, Metallverarbeitung – KFZ-
Handwerk – Schreinerei, Polsterei, Textilbearbeitung und
Schneiderei, Gastronomie, Gitarrenbau, Seifenproduk-
tion, Bau- und Maurerarbeiten und EDV eine Ausbildung
zu erhalten, die es ihnen ermöglicht, sich nach ihrem Ab-
schluss in ihrem erlernten Beruf selbstständig zu machen.
Auch ein Lager, in dem die Absolventen günstig ihr Ma-
terial für ihre eigene Werkstatt beziehen können, ist ange-
schlossen. Viele derjenigen, die hier eine Ausbildung er-
halten, waren Kindersoldaten, Soldaten, die ihre Waffen
abgegeben hatten, und Menschen aus schwierigstem fa-
miliären und sozialen Umfeld.

Solche beruflichen Bildungsangebote, deren Qualifi-
kationsmaßnahmen oft auch nur wenige Monate dauern,
bieten eine Chance für Menschen, die bisher nicht den
Weg im formalen Bildungssystem gehen konnten. In sol-
chen Einrichtungen finden sich meist Alphabetisierungs-
angebote, auch Frauen werden durch diese besonders an-
gesprochen und gestärkt.

Das von mir erwähnte Institut in Bukavu schafft beruf-
liche Perspektiven, die angesichts der kriegsbelasteten
Vergangenheit der Menschen auch zu einem Weg zu ei-
nem neuen Leben in einer friedlichen Gesellschaft wer-
den.

Lassen Sie mich nun noch auf einige Aspekte der aka-
demischen Bildung eingehen. Im Rahmen der Entwick-
lungszusammenarbeit kommt der akademischen Bildung
ein wichtiger Auftrag zu. Im Bereich Wissenstransfer und
Hochschulkooperation ist es wichtig, regionale Vernet-
zung seitens der Hochschulen zu betreiben. Dies kann
nicht nur die Entstehung von Forschungsnetzwerken be-
fördern, sondern dient auch dem Auf- und Ausbau akade-
mischer Bildungseinrichtungen.

Gerade die universitären Einrichtungen müssen mit
Blick auf den Arbeitsmarkt des jeweiligen Landes Ausbil-
dungsangebote machen: Der Fachkräftemangel im aka-
demischen Bereich, insbesondere der Lehrkräftemangel,
stellt eine besondere Herausforderung dar.

Aber gerade am Beispiel der Lehrkräfte wird deutlich,
wie wichtig es ist, auch die Bedingungen des Arbeitsum-
felds zu gestalten, um qualitative Bildung zu gewährleis-
ten. Dazu gehören eine adäquate Besoldung der Lehrer
Zu Protokoll
sowie Anreize für Lehrpersonal, auch an abgelegenen
Standorten zu unterrichten.

Zusammenfassend möchte ich folgende Aspekte noch-
mals betonen: Wie in Punkt acht unseres Antrags gefor-
dert, ist der Grundbildungsförderung erhöhte Priorität
beizumessen. Vollständige Primarschulbildung ist
schließlich ein ausdrücklich formuliertes Millenniums-
entwicklungsziel. Der Zugang zu Bildung und die Anwen-
dung der erlernten Bildungsinhalte sind aber auch
Grundlage zur Verwirklichung aller Millenniumsent-
wicklungsziele, sei es Armutsbekämpfung und wirtschaft-
liches Wachstum, das durch die praktische, berufliche
Umsetzung des erlernten Wissens befördert wird, sei es
die Förderung einer aktiven Zivilgesellschaft, bei der sich
die in Bildungseinrichtungen vermittelten partizipativen
Strukturen und Kommunikationsfähigkeiten positiv nie-
derschlagen. Auch die im dritten Millenniumsentwick-
lungsziel formulierte Gleichstellung der Geschlechter ist
im Bereich Bildung von weitreichender Bedeutung: Da
Frauen bei der Entwicklung eine Schlüsselrolle für Ent-
wicklung zukommt, ist die Bildung von Mädchen und
Frauen explizit zu fördern.

Selbstverständlich gilt das Recht auf Bildung auch für
Menschen mit Behinderungen, denen in ungleich höhe-
rem Maße als anderen Menschen der Zugang zur Primar-
schulbildung verweigert wird.

Grundlage für den Schulbesuch ist, dass Kinder nicht
arbeiten müssen, um zum Lebensunterhalt der Familie
beizutragen. Die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen
und – für den Bereich der Bildung besonders wichtig –
das Verbot der Kinderarbeit sind dafür unabdingbare Vo-
raussetzung.

Zu guter Letzt will ich noch auf den Einsatz der Bun-
desländer für Bildung in der Entwicklungszusammenar-
beit eingehen. Aufgrund unserer föderalen Struktur und
der Länderhoheiten im Bereich Bildung kommt unseren
Bundesländern hier nicht nur innenpolitisch, sondern
auch im Rahmen entwicklungspolitischer Zielsetzungen
Verantwortung zu. Was bereits innenpolitisch ein Grund-
satz der Sozialdemokratie ist – Bildung muss gebühren-
frei sein –, ist natürlich auch ein Anspruch an die Bil-
dungsarbeit der Bundesländer mit Entwicklungsländern.
Hier ist insbesondere der Abbau von Studiengebühren für
Studierende zu nennen. Studiengebühren sind hinderlich
für die Chancengleichheit; dies gilt für inländische Stu-
dierende ebenso wie für Studierende aus Entwicklungs-
ländern.

Bildung ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Le-
ben, gesellschaftliche Teilhabe und effektive Armutsbe-
kämpfung.

Es gibt viel zu tun!


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1616634800

Seit Jahren kämpft die FDP für die Verbesserung der

Bildung in Entwicklungsländern und somit der Lebens-
chancen der betroffenen Menschen. Erst jetzt kommt die
Koalition mit einem Antrag zu Bildung in Entwicklungs-
ländern. Es ist traurig, dass es so lange gedauert hat,
aber immerhin hat die Koalition die Wichtigkeit des Pro-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
blems endlich erkannt. Sie hätte allerdings schon früher
auf die Idee kommen können, dass die Bundesregierung
in diesem Bereich bisher zu wenig getan hat. Zum Bei-
spiel hätten die Koalitionsfraktionen in den Haushalts-
beratungen der letzten Jahre den Anträgen der FDP-
Fraktion zustimmen sollen. Wir haben jedes Jahr die Auf-
stockung der Mittel im Grundbildungsbereich um insge-
samt 60 Millionen Euro, aufgesplittet auf finanzielle und
technische Zusammenarbeit, gefordert, um der Bundes-
regierung die Chance zu geben, wenigstens ihre eigenen
Planungsziele einzuhalten. Leider hat die Koalition dem
nicht zugestimmt, und leider hat die Bundesregierung in
diesem Bereich auch nichts getan.

So ist die deutsche Entwicklungshilfe in diesem Be-
reich deutlich zurückgegangen: Von über 5 Milliarden
Euro deutscher Entwicklungshilfe wurden lediglich
70 Millionen Euro der Förderung der Grundbildung zu-
geschrieben, was einen Anteil von nur 1,6 Prozent der
ODA ausmacht. Das ist zu wenig, da Bildung von über-
greifender Bedeutung für die Entwicklung ist.

Bildung ist grundlegende Voraussetzung für jede Form
wirtschaftlichen Wachstums. Ohne Bildung kann es keine
Entwicklung geben, und ohne Fortschritt kann die Armut
in den betroffenen Ländern nicht besiegt werden. Die An-
wendung von Wissen und Fähigkeiten als Kern des Wirt-
schaftswachstums muss zentraler Bestandteil der Ar-
mutsbekämpfung werden und sowohl die Grund- als auch
die Weiterbildung gezielter gefördert werden.

Armut und Bildungsarmut hängen unmittelbar zusam-
men. Nachhaltige Bekämpfung der Armut erfordert also
den Aufbau eines für alle zugänglichen Bildungssystems.
Dabei ist zunächst die Grundbildung entscheidend. Ohne
Grundbildung können Menschen kaum an demokrati-
scher Willensbildung teilnehmen. Der Manipulation und
Demagogie von Kriegsherren und Kleptokraten ist freie
Bahn gegeben. Ohne Grundbildung ist schon eine einfa-
che wirtschaftliche Betätigung erheblich erschwert. An-
alphabeten werden viel eher zu Opfern von Betrügern
und Fälschern.

Bildungsarmut verhindert zumeist den Zugang zur
Justiz. Bildungsarmut führt wegen Unkenntnis oft zu
Gleichgültigkeit gegenüber Menschenrechtsverletzun-
gen. Deshalb muss ein Schwerpunkt deutscher und euro-
päischer Entwicklungshilfe für die ärmsten Länder in
dem Aufbau eines für alle zugänglichen Grundbildungs-
wesens liegen.

Die Entwicklung von Justiz, Marktwirtschaft und ei-
nem funktionierenden demokratischen System hängt da-
von ab, ob es genügend Menschen in dem jeweiligen Land
gibt, die in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen.
Daher ist auch die weiterführende Bildung für den Ent-
wicklungsprozess entscheidend. In der weiterführenden
Bildung müssen die ethischen Maßstäbe verantwortli-
chen Handelns, also die Voraussetzung des „good gover-
nance“, vermittelt werden.

Deshalb muss ein weiterer Schwerpunkt der Entwick-
lungspolitik auf Hilfen zum Aufbau eines sekundären und
tertiären Bildungssektors liegen. Der Zugang zur weiter-
führenden Bildung muss dabei für alle, Männer und
Zu Protokoll
Frauen, nach Leistungsmaßstäben diskriminierungsfrei
zugänglich sein. Nur so kann sich Demokratie entwi-
ckeln. Die zu leistende Hilfe kann nicht nur finanziell ge-
dacht werden, sie sollte auch inhaltliche und strukturelle
Bestandteile haben.

Die Bedeutung des Bildungssektors spiegelt sich auch
in den Millenniumsentwicklungszielen, den MDGs, wie-
der. Zwei der von den Vereinten Nationen im Jahre 2000
festgesetzten MDGs benennen Bildung als einen der es-
sentiellsten Beiträge im Kampf gegen Armut und für
nachhaltige Entwicklung. So sieht einerseits MDG 2 die
Erreichung der universellen Grundschuldbildung für
Kinder bis zum 14. Lebensjahr vor: Alle Mädchen und
Jungen sollen bis 2015 die Grundschule abschließen.
MDG 3 bezieht sich auf die Förderung von Mädchen und
Frauen und eine Gleichberechtigung der Geschlechter.
Bis zum Jahr 2005 sollte eine geschlechterspezifische
Unterscheidung in der Primär- und Sekundarbildung be-
seitigt werden, bis zum Jahre 2015 auf allen Ausbildungs-
ebenen eine völlige Gleichbehandlung der Geschlechter
erreicht werden.

Auf dem Weltbildungsforum im April 2000 in Dakar
verabschiedeten 164 Länder den Aktionsplan „Bildung
für alle“, dessen sechs Ziele sich im Kern auf die Bereit-
stellung von angemessenen Bildungsangeboten für alle
Altersstufen und die Halbierung der Analphabetenrate
bis 2015 beziehen. Im April 2002 wurde unter Schirm-
herrschaft der Weltbank die Fast Track Initiative ins Le-
ben gerufen, welche eine zusätzliche technische und fi-
nanzielle Unterstützung für die von Bildungsarmut
betroffenen Länder bieten soll.

Bildung ist damit in den Fokus der Armutsbekämpfung
gerückt. Dennoch sind im Bereich der Bildung in entwick-
lungspolitischer Hinsicht zahlreiche Probleme zu bekla-
gen. Insbesondere hat es die Bundesregierung in der Ver-
gangenheit versäumt, ein einheitliches Konzept zur
Erreichung der international festgesetzten Größen vorzu-
legen. Vielmehr steht nach der Hälfte des angestrebten
Zeitrahmens laut dem von den Vereinten Nationen he-
rausgegebenen Fortschrittsbericht bereits jetzt fest, dass
die Millenium Development Goals in den meisten der be-
troffenen Länder, so unter anderem in Afrika südlich der
Sahara und Westasien, nicht erreicht werden. Ungefähr
30 der 125 EFA-Länder sind laut dem Education for All
Development Index nach wie vor weit von den EFA-Zielen
entfernt; zu zwei Dritteln handelt es sich um Staaten in
Afrika südlich der Sahara.

Besonders schwierig ist immer noch die Situation der
Menschen, die weder lesen noch schreiben können. So
weist die UNESCO in ihrem im Jahre 2005 in London pu-
blizierten Weltbericht „Bildung für alle 2006“ auf die im-
mer noch erschreckende Zahl von Analphabeten hin und
macht das Thema Alphabetisierung zum Schwerpunkt ih-
res EFA Global Monitoring Report 2006.

Die Gründe, warum ein Großteil der Kinder in Ent-
wicklungsländern nicht zur Schule gehen kann oder diese
vorzeitig abbricht, sind nicht ausschließlich auf die Ab-
wesenheit von Schulen oder Lehrkräften zurückzuführen,
sondern auch auf zahlreiche andere Faktoren wie feh-
lende Infrastruktur, kriegerische Auseinandersetzungen,



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
schlechte Regierungsführung und die Notwendigkeit,
dass auch die Kinder armer Familien einen Beitrag zum
existenziellen Auskommen leisten müssen.

Wie soll beispielsweise ein Familienvater seine Kinder
zur Schule schicken, wenn er gleichzeitig riskiert, da-
durch die materielle Existenz seiner Familie zu gefähr-
den, und weder weiß, ob ihnen die Schulbildung in der
Zukunft neue Chancen eröffnet noch ob sie am nächsten
Tag überhaupt etwas zu essen auf den Tisch bekommen?
Ein Kind kann nun mal nicht auf dem Feld oder sonst wo
arbeiten und gleichzeitig auf der Schulbank sitzen und
lernen. Mit hungrigem Magen lässt es sich nun einmal
schlecht lernen.

Bildung braucht also nicht nur Schulen und Lehrer,
sondern auch ein Umfeld, in dem sich Bildungsinvesti-
tionen entwickeln können. Wir täten zum Beispiel gut da-
ran, EU-Agrarsubventionen abzubauen, um den afrikani-
schen Bauern die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Waren zu
fairen Preisen auf dem Weltmarkt anzubieten, und dafür
zu sorgen, dass verfehlte Klimaschutzpolitiken nicht zu
einem existenzbedrohenden Anstieg der Lebensmittel-
preise und ungenutzten Anbaupotenzialen in genau den
Regionen führen, die es sich am wenigsten leisten können.
Diese Verfehlungen treffen natürlich in erster Linie die
Ärmsten der Armen, und ganz besonders deren Kinder.
Solange wir keine Lösung für Ernährungsfragen und
Fragen der politischen Stabilität finden, müssen wir uns
über mangelndes Engagement der betreffenden Regie-
rungen und Bevölkerungen hinsichtlich des Aufbaus ei-
nes zukunftsfähigen Bildungssystems nicht wundern.

Dass wir die Entwicklungsländer stärker unterstützen
müssen, darüber sind sich alle Fraktionen hier im Parla-
ment offensichtlich einig. Schade nur, dass die Bundesre-
gierung diesen Bereich in der Vergangenheit zu sehr ver-
nachlässigt hat. Es ist insofern zu begrüßen, dass die
Große Koalition jetzt mit einem Antrag kommt, in dem
sehr viele richtige Forderungen enthalten sind. Leider
wird das Fehlverhalten der Bundesregierung darin völlig
ausgeblendet. Wieso hat die Koalition in den letzten drei
Jahren denn nicht schon einmal mit ihrer parlamentari-
schen Mehrheit darauf hingewirkt, dass die Regierung
ihre Prioritäten ändert? Jetzt diesen Antrag hinterherzu-
schieben, als sei die ganze Zeit nichts gewesen, hat ledig-
lich Alibicharakter.

Den Antrag der Linken muss man nicht weiter kom-
mentieren. Ein gutes Anliegen wird missbraucht, um lin-
ker Ideologie gegen private Schulen, den Welthandel und
die Weltbank Platz zu bieten. Damit wird die Fraktion Die
Linke diesem wichtigen Thema wirklich nicht gerecht.


Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616634900

Der Bildungssektor muss im Rahmen der vom Bundes-

tag im vergangenen März geforderten Neuausrichtung
der Entwicklungszusammenarbeit auf die Sozialsysteme
gestärkt werden. Denn weltweit sieht die Bildungssitua-
tion immer noch alles andere als befriedigend aus. Nach
den neuesten Zahlen können 780 Millionen Erwachsene
weder lesen noch schreiben. Mindestens 72 Millionen
Kinder haben keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Die
Mehrheit unter ihnen sind Mädchen. Am härtesten trifft es
Zu Protokoll
Kinder mit Behinderung, von denen nicht einmal 10 Pro-
zent eingeschult werden.

Die Linke legt heute einen Antrag vor, der die Umset-
zung der im April 2000 auf dem Weltbildungsforum in
Dakar vereinbarten sechs Entwicklungsziele fordert, da-
runter die Sicherstellung einer obligatorischen, gebüh-
renfreien und qualitativ guten Grundschulbildung für alle
Kinder bis 2015. Die damalige Bundesregierung hat sich
selbst verpflichtet, dieses Ziel durch einen angemessenen
Beitrag zu unterstützen.

Leider müssen wir heute feststellen, dass sie dieses
Versprechen gebrochen hat. Dies gilt insbesondere für die
Grundbildung. Dieser Sektor stellt nach wie alles andere
als einen Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit dar. Die Ausgaben für Grundbildung be-
trugen 2006 nicht mehr als 1 Prozent des Entwicklungs-
haushaltes.

Angesichts dieser Defizite ist es zu begrüßen, dass
auch die Bundestagsfraktionen von SPD und Union durch
die Vorlage eines eigenen Bildungsantrages heute ihre ei-
gene Regierung an die eingegangenen Selbstverpflich-
tungen erinnern wollen. Doch leider müssen wir dabei
feststellen, dass sie am Ende Angst vor der eigenen Cou-
rage bekamen. Wie sonst ist es zu werten, dass sie in ih-
rem vorliegenden Antrag nirgends konkret werden? Sie
verlieren sich in Allgemeinplätzen, die nichts bewegen
werden. Deutlich wird das etwa an ihrem Umgang mit
dem multilateralen Bildungsfonds FTI. Sie prangern das
Defizit an, das die Zahlungsunwilligkeit der G 8 in die-
sem Fonds hinterlassen hat. Doch zum konkreten
Engagement der Bundesregierung fällt kein Wort.

Ich helfe ihnen auf die Sprünge. Auf der Brüsseler Bil-
dungskonferenz vom Mai 2007 sagte die Bundesregie-
rung die Bereitstellung von 8 Millionen Euro für den
sogenannten Catalytic Fund der FTI zu. Das ist praktisch
nichts. Die Niederlande haben sich bereit erklärt, in den
denselben Fonds bis 2009 satte 470 Millionen Euro ein-
zustellen. Das Schönreden haben sie von ihrer Regierung
abgeguckt. Seit Jahren fordern Nichtregierungsorganisa-
tionen und die Linke, dass endlich eine saubere Buch-
führung bei der Ausweisung der offiziell geleisteten Ent-
wicklungshilfe eingeführt wird. Die bilaterale Hilfe wird
in den Bilanzen der Bundesregierung systematisch aufge-
bläht. 2005 wurden 985 Millionen Euro der bilateralen
Leistungen für den Gesamtsektor Bildung ausgewiesen.
Davon entfielen allerdings 745 Millionen auf die Anrech-
nung der Studienplatzkosten ausländischer Studierender
in Deutschland. Das ist eine rein fiktive Größe. Solange
sie nicht aufhören, die Bilanzen derart zu schönen, blei-
ben ihre vollmundigen Versprechen vollkommen unglaub-
würdig.

Fakt ist: Gemessen am Bruttonationaleinkommen läge
nach Berechnungen der Globalen Bildungskampagne der
angemessene Anteil Deutschlands zur Finanzierung der
bildungspolitischen Millenniumsziele bei jährlich rund
560 Millionen Euro. Tatsächlich brachte die Bundesrepu-
blik im Durchschnitt der Jahre 2004 und 2005 davon bes-
tenfalls 39 Prozent auf – wenn man von der großzügigen
Annahme ausgeht, dass ein Drittel der unspezifizierten
Gelder für Entwicklungshilfe im Bereich Bildung in die
Förderung von Grundbildung fließen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hüseyin-Kenan Aydin
Hier wird klar: Ihre Buchführung ist deshalb so unsau-
ber, weil sie das ganze Ausmaß der Kluft zwischen Ankün-
digungen und Umsetzung vertuschen wollen. Lassen Sie
mich noch dieses anfügen: Dort, wo die Regierungsfrak-
tionen konkret werden, dort wo sie nicht beschönigen,
dort stellen sie der Bundesregierung ein erbärmliches
Zeugnis aus. Ich spreche von Afghanistan. Sie stellen fest:
Afghanistan hat mit 72 Prozent die höchste Analphabe-
tenrate weltweit – und das nach fast sieben Jahren des so-
genannten Wiederaufbaus. Und ich füge an: Auch auf
dem alle sozialen Indikatoren umfassenden Weltentwick-
lungsindex ist Afghanistan in dieser Zeit noch weiter zu-
rückgefallen. Deutlicher kann man wohl kaum machen,
dass der ganze Bundeswehreinsatz in Afghanistan ein
einziges kostspieliges Desaster darstellt. Sparen Sie end-
lich die Milliarden für den Militäreinsatz ein! Dann
würde auch für die Bekämpfung des weltweiten Analpha-
betismus mehr übrig bleiben.

Ich komme zum Schluss noch auf ein Problem zu spre-
chen, das häufig in den Diskussionen untergeht. Es ist
gut, wenn die KfW-Entwicklungsbank den Bau von Schu-
len in den Elendsvierteln Nairobis finanziert. Doch das
allein bringt uns dem Ziel einer qualitativ guten Grund-
bildung nicht näher. Entscheidend ist, dass genügend gut
ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Sie finden
in manchen Entwicklungsländern häufig unhaltbare
Situationen vor, selbst dort, wo alle Kinder eines Ortes
eingeschult worden sind. So zeigte jüngst eine Dokumen-
tation des Senders arte beispielhaft, wie in einer Grund-
schule in Madagaskar eine Lehrerin in ein und derselben
Stunde zwei Klassen gleichzeitig unterrichten muss – mit
je 50 Kindern! Da verwundert es nicht, dass viele Kinder
zwar eingeschult werden, aber nicht einmal die vier Klas-
sen der Grundschule absolvieren. Es ist deshalb erforder-
lich, neben den Einschulungsraten auch die Abbrecher-
quoten bei der Bewertung der Fortschritte in der
Grundbildung zu berücksichtigen.

Die Linke fordert, dass sich die Entwicklungszusam-
menarbeit mit Nachdruck auf die Erhöhung der Anzahl
qualifizierter Lehrkräfte orientiert. Nach Schätzungen
der UNESCO müssen in Schwarzafrika bis 2015 zusätz-
lich 1,6 Millionen Lehrkräfte eingestellt werden, damit je-
des Kind eine angemessene Grundschulbildung erhalten
kann. Um hier Abhilfe zu schaffen, kommen wir nicht um-
hin, auch über die Beteiligung der Entwicklungszusam-
menarbeit an Qualifizierungsmaßnahmen und der Besol-
dung der Lehrkräfte nachzudenken. Dies wäre im
Rahmen einer konditionierten Budgethilfe auch ohne
Weiteres machbar. Des Weiteren müssen CIM als inte-
griertes Rückführungsprogramm von Arbeitsagenturen
und GTZ weiter gestärkt werden. Modelle der so genann-
ten zirkulären Migration, wie sie im Antrag der Regie-
rungsfraktionen propagiert werden, sind hingegen zum
Scheitern verurteilt, da sie auf Zwang statt auf Anreiz be-
ruhen.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616635000

Zu Recht wird der Bildung in der internationalen Ent-

wicklungszusammenarbeit ein hoher Stellenwert einge-
räumt. Denn Bildung kann den Armutskreislauf durch-
brechen und ist eine der wesentlichen Voraussetzung für
Zu Protokoll
die Entwicklung eines Landes. 1998/99 waren in Sub-
Sahara-Afrika nur 57 Prozent der Kinder eingeschult.
Dann kamen im Jahr 2000 das Weltbildungsforum in
Dakar/Senegal und die Millenniumserklärung der Ver-
einten Nationen. Die Staatengemeinschaft verpflichtete
sich in den Erklärungen der beiden Gipfel die Bildungs-
situation in den Entwicklungsregionen der Welt zu ver-
bessern. Grundschulbildung soll bis 2015 allen Kindern
zugänglich gemacht werden. Die Statistiken der Vereinten
Nationen zeigen seit den Verpflichtungserklärungen gute
Fortschritte bei den Einschulungsquoten. So erhöhte sich
besonders prägnant in den Ländern Sub-Sahara-Afrikas
die Quote bis 2005 auf 70 Prozent. In allen Entwicklungs-
regionen zusammengenommen stieg diese zwischen
1998/99 bis 2005 von 83 auf 88 Prozent. Nimmt man ab-
solute Zahlen, so wird deutlich, dass es immer noch sehr
viel zu tun gibt; denn 77 Millionen Kinder erhalten welt-
weit immer noch keine Grundbildung. Neben Armut, die
viele Kinder dazu zwingt ihren Beitrag zur Haushalts-
kasse beizutragen, sind es vor allem Schulgebühren, die
viele arme Familien, besonders auf dem Land, daran hin-
dern ihre Kinder in die Schule zu schicken. Eine gebüh-
renfreie Grundschulbildung zu erreichen muss in den Bil-
dungsplänen der jeweiligen Staaten implementiert
werden. Besondere Fortschritte sind demnach auch in
den Ländern zu verzeichnen, die ebendiese abgeschafft
haben, so in Ghana oder Mosambik.

Deutschland hat sich den internationalen Entwick-
lungszielen verpflichtet und muss seinen Beitrag leisten,
um das Ziel des universellen Zugangs zu einer Grund-
schulbildung bis 2015 zu erreichen. Die Mittel, die es da-
für ausgibt, sind aber relativ gering. Die Globale Bil-
dungskampagne attestiert Deutschland, dass es für die
Grundbildung weit unter dem „fairen Anteil“ gemäß der
deutschen Wirtschaftskraft liegt. In der Tat gilt es zu klä-
ren, wie eine angemessene Beteiligung Deutschlands
auszusehen hätte und auf welcher Grundlage diese zu er-
rechnen wäre. Besonders das geringe Engagement
Deutschlands in der Education For All, EFA, – Fast Track
Initiative, FTI, der Weltbank ist sehr kritisch zu sehen. In
der Initiative werden in erster Linie diejenigen Entwick-
lungsländer finanziell wie technisch unterstützt, die
durch langfristig angelegte Aktionspläne den Zugang zu
Bildung systematisch verbessern wollen. Dadurch gibt es
ein hohes Maß an verbindlicher Planung und Identifika-
tion mit den Bildungszielen der Vereinten Nationen. Die
großen Geberländer sollten der Initiative den entspre-
chenden finanziellen Spielraum einräumen, um die Re-
formbemühungen der Partnerländer effizient zu unter-
stützen. Deutschland muss sich aus unserer Sicht an der
Initiative mit mehr Geld beteiligen. Bis dato sind drei Mil-
lionen US-Dollar für EFA-FTI aus dem Bundeshaushalt
geflossen. Verglichen mit den Niederlanden, die sich bis-
her mit 430 Millionen US-Dollar beteiligen, ist das ein-
fach zu wenig. Den Koalitionsfraktionen ist dies schein-
bar aufgefallen. Sie fordern von der Bundesregierung
eine angemessene finanzielle Ausstattung der EFA-FTI,
lassen aber nicht erkennen an welche Größenordnung sie
dabei denken.

Ein wesentlich höherer Betrag wird für die Förderung
ausländischer Studierender und die Hochschul- und Wis-
senschaftskooperation ausgegeben. Im Grundsatz ist die



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Ute Koczy
Hochschul- und Wissenschaftskooperation nicht zu kriti-
sieren und wir teilen nicht die Auffassung, dass dadurch
die bilateralen EZ-Mittel künstlich aufgebauscht werden.
Dass würde voraussetzen, dass diese Formen der Förde-
rung und Kooperation keine Instrumente der Entwick-
lungszusammenarbeit sind bzw. sein sollten. Sie sind es
aber, denn sie leisten einen wichtigen Beitrag zum gefor-
derten Capacity Building in den Entwicklungsländern.
Ich frage aber kritisch nach, ob die finanzielle Überge-
wichtung dieses Sektors in Relation zur Förderung der
Grundbildung den Entwicklungszielen der Bundesregie-
rung nicht zuwider läuft.

Der Antrag der Koalitionsfraktionen beschreibt um-
fassend den Bereich Bildung in der Entwicklungszusam-
menarbeit. Wichtige Handlungsfelder werden erwähnt,
von der Grundschulbildung über weiterführende Bildung
und Berufschulbildung bis zu Bildung in fragilen Staaten.
Es lässt sich allerdings – insbesondere im Forderungsteil –
nicht immer nachvollziehen, worin der optimale deutsche
Beitrag liegt. Wo hat Deutschland wirkliche Kompetenz,
die von den Partnerländern verstärkt und erwünscht
wird? So wäre es interessant zu wissen, was die Koalition
unter den „komparativen Vorteilen Deutschlands bei der
Konzeption von Bildungssystemen“ verstehen und vor al-
lem wie diese in Entwicklungsländern eingebracht wer-
den können. Konkret: Was können Mali oder Vietnam vom
deutschen Bildungssystem lernen? Dazu brauchten wir
eine Bestandsaufnahme unserer Stärken im Bildungsbe-
reich, wobei immer noch die Frage zu klären wäre, ob
und wie sich diese auf andere Länder übertragen ließen.
Ähnliches gilt für den Hinweis, sich verstärkt in fragilen
Staaten zu engagieren. Bildung in Konfliktstaaten ist ein
wichtiges Thema. Dies steht nicht zur Frage. Aber die Ar-
beit mit und in fragilen Staaten ist komplex, und die Welt-
gemeinschaft steht damit noch am Anfang. Es stellt sich
also die Frage, ob es eine realistische Einschätzung gibt,
welche bildungspolitischen Konzepte in solchen Staaten
notwendig und möglich sind? Haben wir in diesem Be-
reich Konzepte anzubieten und können wir auf Erfah-
rungswerte zurückgreifen?

Der Antrag lässt aus unserer Sicht keine Schwerpunkt-
setzung erkennen. Es reicht nicht aus, den ganzen Bogen
der Probleme zu benennen, ohne den eigenen Anteil an ei-
ner möglichen Lösung wirklich benennen zu können.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616635100

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 16/9424 und 16/8812 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Verfahren vereinfachen, Bürger entlasten,
Rechtssicherheit schaffen – Notwendige Be-
dingungen für die Sinnhaftigkeit eines Pro-
jekts „Umweltgesetzbuch“

– Drucksache 16/9113 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Andreas
Jung (Konstanz), CDU/CSU, Dr. Matthias Miersch,
SPD, Horst Meierhofer, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke,
Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.


Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1616635200

Wir reden heute über einen Antrag der FDP-Fraktion,

der durch den Gesetzentwurf für ein UGB, der vor kurzem
versendet worden ist, zum Teil schon überholt ist. Zu-
nächst einmal vorweg: Die Union will das UGB; das ha-
ben wir bereits im Koalitionsvertrag deutlich gemacht.
Aber genauso gilt: Wir wollen das UGB nicht als Selbst-
zweck, wir verbinden damit konkrete Anforderungen;
auch das wird bereits im Koalitionsvertrag deutlich.

Die Anforderungen, die wir stellen, unterscheiden sich
nicht wesentlich von jenen, die die FDP in ihrem Antrag
benennt: Wir wollen das UGB, um das zersplitterte deut-
sche Umweltrecht zusammenzuführen. Wir wollen da-
durch Verfahrenserleichterungen erreichen. Wir wollen
weniger Bürokratie, und wir wollen bessere Europataug-
lichkeit. Auch in dem, was wir nicht wollen, treffen wir
uns mit der FDP: Die bestehenden materiellen Umwelt-
standards müssen erhalten bleiben. Mit dem UGB sollen
Standards weder erhöht noch abgesenkt werden. Wir wol-
len keine Beeinträchtigung von Privateigentum oder Be-
wirtschaftungsmöglichkeiten, die über das aktuelle Maß
hinausgeht. An all diesen Vorgaben wird die Union den
vorliegenden Entwurf Punkt für Punkt messen. Wo die
Anforderungen nicht erfüllt werden, wird sich die Union
für Änderungen starkmachen.

Die gute Nachricht: Vieles von dem, was die FDP in
ihrem Antrag befürchtet, ist bereits vom Tisch: Das gilt
für den befürchteten Eingriff in bestehende Eigentums-
rechte durch Beschränkung des Bestandsschutzes für alte
Rechte und alte Befugnisse. Die Union hat klargemacht,
dass sie dem nie und nimmer zustimmen wird. Damit ha-
ben wir erreicht, dass diese Regelung im Gesetzentwurf
erst gar nicht auftaucht. Das gilt auch für die kritisierte
freie Widerruflichkeit jeglicher Gewässerbenutzung im
Rahmen der integrierten Vorhabengenehmigung, die im
Referentenentwurf enthalten war. Die Kritik aus der
Union hat dazu geführt, dass hier eine Alternative ge-
sucht wurde, die den Bestandsschutz sichern soll. Wir
werden sorgfältig prüfen, ob das durch die im Gesetzent-
wurf enthaltene Regelung erreicht wird.

Und schließlich: Das EEG soll nicht Bestandteil des
UGB werden. Warum? Nicht weil es nicht wichtig wäre –
das EEG ist eines der zentralen Instrumente zur Verwirk-
lichung der Klimaschutzziele. Aber es passt nicht in ein
Buch, in dem das zersplitterte Umweltrecht zusammenge-
führt werden soll. Das EEG ist ein Förderprogramm wie
etwa das Marktanreizprogramm oder das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm. Mit welchem Argument sollte man


(A) (C)



(B) (D)


Andreas Jung (Konstanz)

das eine Gesetz aufnehmen, die anderen aber nicht? Sys-
tematisch ist es sinnvoller, Fördergesetze von der im UGB
zusammengefassten Materien zu trennen.

Entscheidend wird am Ende sein: Erreichen wir mit
dem UGB tatsächlich Verfahrenserleichterungen? Kern-
stück soll die integrierte Vorhabengenehmigung sein.
Den im Gesetzentwurf hierfür enthaltenen Vorschlag
werden wir daher besonders intensiv prüfen. Zu diesem,
aber auch zu allen anderen Punkten werden wir unseren
Standpunkt in Gesprächen mit den Betroffenen, mit Ver-
tretern von Wirtschaft und Umwelt, mit Experten aus der
Praxis und der Wissenschaft erarbeiten. Dazu werden wir
im parlamentarischen Verfahren nach der Sommerpause
und gerade bei den notwendigen Anhörungen ausrei-
chend Gelegenheit haben.

Ich freue mich auf die Beratungen.


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1616635300

Als ich den vorliegenden Antrag der FDP zum Um-

weltgesetzbuch auf den Schreibtisch bekam, musste ich
erst einmal genau hingucken, welches Datum dieser An-
trag trägt. Ich dachte zunächst, es handele sich um einen
veralteten Antrag aus dem Jahr 2005. Aber: Es ist tat-
sächlich ein Antrag vom 7. Mai 2008!

Was soll dieser Antrag zu dieser Zeit? Er enthält in den
Überschriften zunächst eine Aufzählung allgemeiner
Aussagen, die bereits vor und nach der Föderalismus-
reform stets genannt wurden, wenn das große Vorhaben
eines Umweltgesetzbuches angesprochen wurde:

Sie schreiben: „Das UGB soll Potenziale zur Verein-
fachung und Entbürokratisierung umfassend ausschöp-
fen“ – na klar –, „Die bestehenden Umweltstandards
müssen erhalten bleiben“ – selbstverständlich –, „das
UGB muss Planungssicherheit für Investitionsentschei-
dungen sowie Bestandsschutz gewährleisten“ – natürlich
– und – Ihr letzter Punkt – „Das UGB muss Rechtssicher-
heit und Rechtsklarheit für die Rechtsanwender schaf-
fen“ – sehr gutes Ziel! Als politische Zielsetzung wäre Ihr
Antrag im Jahr 2005 durchaus diskutabel gewesen. Ja, er
wäre auch in den 70er-Jahren zeitgemäß gewesen, nach-
dem bereits dort über eine Kodifikation des Umweltrechts
nachgedacht wurde. Im Jahr 2008 ist er jedoch überflüs-
sig und nicht zielführend.

Sie wissen, dass wir aktuell weiter sind. Es liegt ein Re-
ferentenentwurf vor. Insoweit wäre – wenn überhaupt zu
diesem Zeitpunkt – eine Auseinandersetzung mit diesem
augenblicklich in der Anhörung befindlichen Regie-
rungsentwurf angezeigt gewesen. Wenn Sie jedoch den
Entwurf ansprechen, bleiben Sie äußerst oberflächlich.
Zudem scheinen die Aussagen in Ihrem Antrag auch wi-
dersprüchlich zu sein, sodass er insoweit zudem nicht zu-
stimmungsfähig ist. Da führen Sie zum Beispiel aus, dass
das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien mit
den Regelungsmotiven des UGB wenig gemein habe.

Klima- und Ressourcenschutz sowie die Abkehr von
den fossilen Energieträgern sind die zentralen Um-
weltthemen. Sind Sie wirklich der Auffassung, dass ein
Umweltgesetzbuch zu diesen zentralen Themen schwei-
gen sollte? Ist nicht das UGB auch der richtige Ort, um
Zu Protokoll
klare Zielsetzungen des Umweltrechts zu formulieren, an
denen sich die Rechtsanwendung orientieren muss?

Weiter kritisieren Sie unter der Überschrift „beste-
hende materielle Umweltstandards müssen erhalten blei-
ben“ die Einführung einer Genehmigungspflicht kleiner
Biogasanlagen bzw. die Wärmenutzung als Genehmi-
gungsvoraussetzung. Haben Sie sich die Effizienz be-
stimmter Anlagen einmal angesehen? Sie wissen doch ge-
nau, dass bestimmte Anlagen mit den notwendigen
Umweltstandards nicht mehr zu vereinbaren sind, sodass
es doch mehr als fahrlässig wäre, diese Punkte im Rah-
men eines Umweltgesetzbuches nicht anzusprechen.

Interessant sind auch die Aussagen zum Wasserrecht.
Auf Seite 2 fordern Sie noch die Ausschöpfung der Poten-
ziale zur Vereinfachung und Entbürokratisierung. Wenn
es dann aber um die Vereinheitlichung geht und alte
Rechte, die teilweise bis in das 13. Jahrhundert zurück-
reichen und überhaupt nicht mehr rechtlich zu handhaben
sind, in ein einheitliches Regelungssystem überführt wer-
den, kritisieren Sie das wieder. Ich habe deshalb den Ein-
druck, dass Entbürokratisierung bei Ihnen eine andere
Bedeutung hat und eher die Forderung nach der Absen-
kung von Umweltstandards beinhalten soll. Sie wissen
darüber hinaus, dass mit der Wasserwirtschaft gerade
auch hier intensiv beraten wurde und wohl eine – für alle
Beteiligten – akzeptable Regelung gefunden werden
kann.

Das waren exemplarisch nur einige Beispiele, die zei-
gen, dass Ihre umweltpolitischen Zielsetzungen offenkun-
dig nicht mit den im Antrag gewählten Überschriften zu
vereinbaren sind. Ich könnte jetzt noch weitere dieser
Widersprüchlichkeiten aufzählen, will jedoch die Zeit
nutzen, um für die SPD-Fraktion noch einmal ein paar
Dinge zum weiteren Verfahren zu sagen:

Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Bundesumwelt-
ministerium nun das Verfahren zur Anhörung der Länder
und Verbände mit einem Entwurf eingeleitet hat, der do-
kumentiert, dass wir eine Stufe erreicht haben, die in den
früheren Jahrzehnten, in denen es zahlreiche vergebliche
Anläufe gegeben hat, nie erreicht wurde.

Wir fordern alle Beteiligten auf, dieses Vorhaben nun
konstruktiv zu begleiten. Auch die SPD-Fraktion wird das
bereits in diesem Stadium tun, wenngleich ich darauf hin-
weisen möchte, dass das parlamentarische Verfahren erst
nach der Kabinettsentscheidung beginnen wird und wir
uns dann, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, über
all die Inhalte austauschen können und werden. Dazu
sollten Sie jedoch differenziertere und substanziellere
Vorschläge ausarbeiten.

Der Weg zum vorliegenden Entwurf war bereits stei-
nig. Die Diskussionen unter den Ressorts haben die un-
terschiedlichen Vorstellungen offenbart. Bezieht man die
Abweichungskompetenz und die Sichtweise der Länder
mit ein, so zeigt sich, vor welch großen Herausforderun-
gen das Bundesumweltministerium gestanden hat und
weiter steht.

Ich erachte es deshalb als sinnvoll, dass sich das Bun-
desumweltministerium zunächst auf die Kodifikation des
Umweltrechts bei gleichzeitigem Erhalt der bestehenden



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Matthias Miersch
Umweltstandards konzentriert und sich nicht schon im
Vorfeld auf von Einzelinteressen geleitete Regelungen
einlässt. Der Entwurf soll das bislang durch einzelne
Fachgesetze zersplitterte deutsche Umweltrecht stärker
integrativ unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen
zwischen den Umweltmedien Wasser, Luft und Boden aus-
richten.

Aber: Die Erwartungen sollten insoweit aber auch
nicht überspannt werden.

Natürlich ist es Aufgabe der Opposition, die Dinge zu
kritisieren. Aber die vollständige Aufnahme des Immis-
sionsschutzrechts wäre nach meiner Einschätzung eine
solche Überspannung. Sie unterschlagen bzw. verkennen
in diesem Zusammenhang auch, dass sich mit der Schaf-
fung der integrierten Vorhabengenehmigung erstmals die
Chance bietet, Genehmigungsverfahren zusammenzufüh-
ren. Damit entsteht die Möglichkeit, einerseits für den
Normadressaten eine Vereinfachung zu konzipieren. Ich
bin deshalb zuversichtlich, dass zudem der Vollzugsauf-
wand der öffentlichen Verwaltung gesenkt wird, sodass
Rationalisierung auch zu mehr Effektivität und Effizienz
führen kann. In Planspielen und Fachgesprächen sind
vor allem die Genehmigungs- und Verfahrensvorschriften
mit Vertretern des BMU von Zulassungsbehörden und
Unternehmen eingehend auf Praxistauglichkeit überprüft
worden. All dieses bildet eine hervorragende Grundlage.

Die anstehenden Beratungen werden eine große He-
rausforderung sein.

Da alle Fraktionen des Deutschen Bundestages ihre
Unterstützung bei der Schaffung des UGB signalisiert ha-
ben, sollte das Bundesumweltministerium ausreichende
Rückendeckung erhalten, einen möglichst breiten, aber
auch zielorientierten Dialog über die verschiedenen Auf-
gabenstellungen und Anforderungen zu führen. Bereits im
Frühjahr 2007 fand ein erstes ausführliches Symposium
zwischen Wissenschaft, Bundesumweltministerium und
Umweltpolitikern des Deutschen Bundestages statt. Trotz
oder gerade wegen der unterschiedlichen Interessensla-
gen und der aufgezeigten Probleme sollte das UGB Er-
gebnis eines möglichst breit angelegten Dialoges sein,
der gegebenenfalls auch Perspektiven für die weitere Ar-
beit nach der Verabschiedung eines ersten UGBs eröff-
net. Die nun im Juni folgende Anhörung und Erörterung
für Verbände, Länder und kommunale Spitzenverbände
wird die SPD-Fraktion mit großer Aufmerksamkeit ver-
folgen.

Das Umweltgesetzbuch muss verwirklicht werden. Es
wäre ein erster, aber wichtiger Schritt hin zu einem über-
sichtlichen und anwenderfreundlichen Umweltrecht. Es
kann darüber hinaus zugleich eine solide Grundlage lie-
fern für weitere innovative Schritte im Bereich des Um-
weltrechts.


Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1616635400

Die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung, ein

Umweltgesetzbuch zu schaffen, zeigen deutlich: Nicht nur
beim Klimaschutz und bei den erneuerbaren Energien,
auch bei der Umweltgesetzgebung wird die Luft für
Zu Protokoll
Schwarz-Rot langsam dünn. Die Differenzen in der Gro-
ßen Koalition sind auch hier längst offensichtlich.

Ob das Vorhaben UGB in dieser Legislaturperiode
noch gelingt, bezweifeln mittlerweile selbst Abgeordnete
aus den Regierungsfraktionen. Noch immer gibt es eine
Reihe zentraler Punkte, bei denen Union und SPD auf
keinen gemeinsamen Nenner kommen. Ich denke da nur
an die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung!

Und dabei wird die Zeit so langsam wirklich knapp.
Ein Vermittlungsverfahren darf eigentlich schon nicht
mehr vorkommen, wenn das UGB tatsächlich noch vor
2010 in Kraft treten soll.

Der einstmals von Herrn Gabriel angekündigte große
Wurf ist in weite Ferne gerückt, um nicht zu sagen, er hat
sich in Luft aufgelöst. Mit viel Glück wird die Bundesre-
gierung am Ende der Legislaturperiode ein Regelwerk
präsentieren, auf dessen Einband „UGB“ steht.

Doch: Das reicht nicht! Wir Liberale sind der Mei-
nung, die Schaffung eines einheitlichen Umweltgesetz-
buchs sollte mehr sein als ein Beschäftigungsprogramm
für Ministerialbeamte und Prestigeprojekt des ein oder
anderen Beteiligten.

Wir sind der Meinung, ein UGB macht nur – und nur
dann – Sinn, wenn es vor allem folgende drei Vorausset-
zungen erfüllt: Das UGB muss erstens grundlegende Ver-
besserungen und Vereinfachungen im Verwaltungsver-
fahren herbeiführen.

Das UGB muss zweitens mehr Rechtsicherheit und
mehr Rechtsklarheit für die Rechtsanwender bringen.
Und drittens müssen die materiellen Umweltstandards
tatsächlich unangetastet bleiben. Wir wollen weder eine
Verschärfung noch eine Absenkung, sondern eine Beibe-
haltung des Status quo.

Das haben wir auch in unserem Antrag deutlich ge-
macht, und daran werden wir die Arbeit der Bundesregie-
rung messen.

Vor diesem Hintergrund begrüße ich es natürlich, dass
die neuesten Entwürfe zumindest an der einen oder ande-
ren Stelle den Forderungen unseres Antrags Rechnung
tragen. Dies gilt vor allem für die Abkehr von der freien
Widerruflichkeit des wasserrechtlichen Teils der inte-
grierten Vorhabengenehmigung und den Fortbestand der
sogenannten alten Rechte, aber zum Beispiel auch für die
Begriffsdefinitionen im Naturschutzrecht.

Ich begrüße es auch, dass die Bundesregierung unse-
rer Forderung nachgekommen ist, das EEG nicht im UGB
aufzunehmen. Es hat da einfach nichts verloren!

Und trotzdem: Auch die neuen Entwürfe bleiben noch
immer hinter unseren Erwartungen an ein wirklich sinn-
volles UGB zurück, das diesen immensen Aufwand über-
haupt wert ist. Auch die neuen Entwürfe enthalten noch
immer Regelungen, durch die die Genehmigungsverfah-
ren gerade für den Mittelstand komplizierter anstatt ein-
facher werden.

Zum anderen hat parteipolitisch gefärbte Lyrik in ei-
nem solchen Regelwerk – dessen Anspruch eine Allge-
meingültigkeit ähnlich der des BGB ist – nichts zu suchen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
Das gilt vor allem für die klar erkennbaren Tendenzen hin
zu einer Rekommunalisierung, die das Wasserbuch, wie
einen roten Faden durchziehen.

Vor allem der SPD sei an dieser Stelle gesagt: Gemein-
wohl und Privatisierung sind keine Gegensätze. Auch
Private können von den Kommunen klar umrissene Auf-
gaben zur vollsten Zufriedenheit der Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land erfüllen.

Die Bedeutung und Reichweite des Begriffs der Da-
seinsvorsorge ist alles andere als klar, sodass wohl auch
das Ziel der Rechtsvereinfachung eher konterkariert
wird; man wollte nur einmal mehr eine Streicheleinheit
an die kommunalen Unternehmen ins Gesetz packen; in-
haltlich schwammig, aber zumindest wird es einem warm
ums Herz.

Ich hoffe, dass sich bis zur endgültigen Verabschie-
dung des UGB noch einiges zum Positiven verändert. Die
FDP wird das Projekt jedenfalls weiterhin kritisch beglei-
ten.


Lutz Heilmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616635500

Durchhalten ist Ihre Parole, meine Damen und Herrn

von der Koalition. In zentralen Fragen bekommen Sie
nichts auf die Reihe. Das Umweltgesetzbuch droht wie
der zweite Teil Ihres sogenannten Klimapakets zu flop-
pen. Die von Ihnen eingeleitete Anhörung der Verbände
und der Länder ist nichts als Augenwischerei. Hier wol-
len Sie ein Vorankommen vortäuschen, das es gar nicht
gibt. Fakt ist, dass zentrale Elemente des Umweltgesetz-
buches innerhalb der Regierung immer noch nicht abge-
stimmt sind. Es ist schon ein einmaliger Vorgang, dass
sich die Länder nun aussuchen können, wie sie es denn
gerne hätten. Das ist Wünsch-dir-was-Politik.

Die FDP – die sich auch viel wünscht – bestätigt mit
ihrem Antrag wieder einmal, dass sie der parlamentari-
sche Arm der Wirtschaftsverbände ist.

Ich werde mich aber jetzt nicht mit der Vorhabensge-
nehmigung auseinandersetzen, sondern mit dem ebenso
umstrittenen Naturschutzrecht im Umweltgesetzbuch.
Hier ist es vor allem das Landwirtschaftsministerium, das
blockiert, wo es nur geht. Herr Seehofer scheint alles da-
ranzusetzen, den Naturschutz so weit auszuhöhlen, dass
die Landwirte im wahrsten Sinne freie Bahn haben. Wäh-
rend sich die Bundeskanzlerin auf der Bonner Biodiver-
sitätskonferenz als überzeugte Ökologin präsentierte und
sogar ein paar Millionen lockermachte, setzt ihr Minister
und Fraktionskollege Seehofer alles daran, den Natur-
schutz in Deutschland zu beerdigen. Vielleicht ist das nur
bayerisches Wahlkampfgetöse. Der zweite große Blockie-
rer im Natur- und Umweltschutz ist wohl nicht zufällig
der andere CSU-Minister. Im Bundesrat blockiert Bayern
noch ungenierter. Ich hoffe, dass die bayerischen Wähle-
rinnen und Wähler der CSU den fälligen Denkzettel ver-
passen. Diese bayerische Landesregierung gehört end-
lich abgewählt.

Anscheinend hatten die Blockierer bereits Erfolg: Der
vorliegende Entwurf bedeutet eine erhebliche Abschwä-
chung des Naturschutzes. Dabei ist die Wunschliste aus
dem Hause Seehofer noch lang und noch gar nicht ab-
Zu Protokoll
schließend geklärt. Das betrifft die Eingriffsregelung,
und das betrifft den Artenschutz. Beginnen möchte ich
aber mit § 1, in dem üblicherweise die Ziele des Gesetzes
festgelegt werden. Wenigstens das müsste noch hinzukrie-
gen sein, denke ich mir. Aber bereits hier zeigt sich, wie
wenig Ihnen der Naturschutz wert ist. Die Ziele werden
aufgeführt; das ist in Ordnung, auch wenn da ruhig ein
wenig mehr drin stehen dürfte. Aber sie wollen die Abwä-
gung dieser Ziele mit anderen Interessen: mit Interessen
der Landwirtschaft, des Verkehrs, der Industrie usw.
ebenfalls als Ziel festlegen. Die Abwägung ist das Ziel.
Das ist nicht nur juristisch Quatsch – der Weg zum Errei-
chen der Ziele wird üblicherweise in den folgenden Para-
grafen konkretisiert –, das ist für den Naturschutz auch im
höchsten Maße gefährlich. Wenn die Abwägung mit an-
deren Interessen ein gleichberechtigtes Ziel ist, schwindet
die Bedeutung der eigentlichen Ziele, sie stehen dann von
vornherein unter dem Damoklesschwert der Abwägung.
Alle weiteren Paragrafen, die das Erreichen der Ziele
festlegen, stehen unter Vorbehalt, sind praktisch nicht
mehr viel wert. Das bedeutet eine massive Schwächung
des Naturschutzes. Das ist Ihr Offenbarungseid im Natur-
schutz!

Frau Merkel, Ihre in Bonn zugesagten 500 Millionen
sind für mich eine moderne Form des Ablasshandels. Sie
beruhigen Ihr schlechtes Gewissen, machen aber munter
weiter wie bisher mit Ihrer die Natur zerstörenden Politik.

Nun zur Eingriffsregelung. Nach der bisherigen Ein-
griffsregelung müssen Schädigungen an der Tier- und
Pflanzenwelt real, das heißt, tatsächlich ausgeglichen
werden. Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer möchte
dies gerne abschaffen. Statt eines realen Ausgleichs soll
ein moderner Ablasshandel entstehen. Natur kaputt, Geld
gezahlt – alles paletti. So geht das aber nicht; denn ir-
gendwann ist von der Natur nicht mehr viel übrig. Da
nützt Geld dann auch nichts mehr. Damit ist der Kern der
bewährten Eingriff-Ausgleich-Regelung bedroht. Das
Landwirtschaftsministerium lässt den Lobbyverbänden
freie Hand beim Zerstören der Natur – trotz der gerade zu
Ende gegangenen UN-Biodiversitätskonferenz in Bonn.

Nun zur SPD. Ich möchte an die Diskussionen um die
Kleine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vom letz-
ten Jahr erinnern. Unsere Kritik war, dass es nur für die
nach dem europäischen Recht geschützten Arten ein ho-
hes Schutzniveau gibt. Die national geschützten Arten
werden zu „Freiwild“. Die SPD hat damals gesagt, die
Kleine Novelle sei dafür nicht der richtige Ort, weil damit
nur das Urteil des Europäischen Gerichtshofes umgesetzt
werde. Das solle aber mit dem Umweltgesetzbuch nach-
geholt werden. Wir haben im Referentenentwurf einmal
nachgeschaut. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob
die SPD Wort gehalten hat: Durch einen einzigen zusätz-
lichen Halbsatz sind nun auch national geschützte Arten
vor der Vernichtung durch Land- und Forstwirtschaft ei-
nigermaßen gefeit. Wenn man aber genau liest, sieht man,
dass nur ein ganz kleiner Teil dieser Arten geschützt wird.
Sie schaffen eine Zweiklassengesellschaft bei national
geschützten Arten. Wie bisher wird zwischen besonders
und streng geschützten Arten unterschieden; so weit, so
gut. Innerhalb der besonders geschützten Arten soll es
nun aber besonderere und weniger besondere geben. Die



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Lutz Heilmann
bisherige Definition lautete, dass besonders geschützte
Arten solche heimischen Arten seien, die im Inland durch
menschlichen Zugriff in ihrem Bestand gefährdet sind.
Nun gibt es einen zweiten exklusiven Club der Arten. Der
umfasst nur die Arten, für die Deutschland – wer auch im-
mer das definieren soll – in hohem Maße verantwortlich ist.
Nur für diese Arten soll es Einschränkungen für Land-,
Forst- und Fischereiwirtschaft geben. Diese Arten umfas-
sen aber nur cirka 10 Prozent der derzeit besonders ge-
schützten Arten. Die anderen 90 Prozent können von der
Landwirtschaft beliebig vernichtet werden.

Denn die andere einschränkende Bedingung, die gute
fachliche Praxis der Landwirtschaft, ist das Papier nicht
wert, auf dem sie steht. Die wird noch schlechter, als sie
ohnehin schon ist. 90 Prozent der national geschützten
Arten sollen also der Landwirtschaft ausgeliefert werden.
Die Artenvernichtung wird also fast ungehindert weiter-
gehen. Das Schlimme ist, dass noch diese Definition der
besonders geschützten Arten umstritten ist. Da der vorlie-
gende Entwurf die Fassung enthält, die den Wünschen
des BMU entspricht, kann sich das noch weiter ver-
schlechtern. Dann bleibt von Ihrer Ankündigung, liebe
SPD, vielleicht gar nichts mehr übrig.

Ich fasse zusammen: Mit diesem Gesetz schaden Sie
dem Naturschutz. Die Eingriffsregelung steht vor dem
Aus, die nationalen Arten bleiben Freiwild – und das
ganze Gesetz steht unter Vorbehalt. So sieht fortschrittli-
cher Naturschutz nicht aus; das ist ein klarer Rückschritt.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616635600

Wir debattieren heute einen Antrag der FDP zum Ge-

setzgebungsverfahren des Umweltgesetzbuches, der im
Titel behauptet, Bürger entlasten zu wollen. Tatsächlich
geht es den Freidemokraten natürlich darum, Unterneh-
men von vermeintlichen Belastungen zu befreien und die
ebenso beliebte wie unstimmige Litanei über die Unver-
einbarkeit von wirtschaftlicher Entwicklung und Mit-
spracherechten der Bürgerinnen und Bürger an eben die-
sen Entwicklungsprozessen anzustimmen.

Als wirkliche Fürsprecherinnen und Fürsprecher der
Bürgerrechte lehnen Bündnis 90/Die Grünen den Abbau
der Beteiligungsrechte in den Planungsbeschleunigungs-
gesetzen ab. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen,
SRU, hat bereits mehrfach betont, dass die maßgebliche
politische Rechtfertigung für die Beschleunigungsmaß-
nahmen einer tragfähigen empirischen Grundlage ent-
behrt. Weder ist eine übermäßig lange Dauer der deut-
schen Zulassungsverfahren für Infrastruktur- und
Industrieanlagen festgestellt worden noch sprechen die
Ergebnisse empirischer Studien dafür, dass ein relevanter
Zusammenhang zwischen der Verfahrensdauer und der
Standortwahl von Investoren besteht. Bürgerinnen und
Bürger müssen Einfluss auch auf Planungen von Wirt-
schaftsstandorten haben. Das ist Teil der Demokratie. Mit
der Vorlage zum UGB wird jetzt der Versuch unternom-
men, die Standardabsenkung durch die Beschleunigungs-
gesetzgebung zum Teil wieder rückgängig zu machen,
schließlich wird die Einschränkung der Öffentlichkeits-
beteiligung von zahllosen Experten auch als Europa-
rechtsbruch eingestuft.
Zu Protokoll
An der FDP scheint diese Debatte vorbeigegangen zu
sein. Obwohl sie sich gern als Bürgerrechtspartei be-
zeichnet, will sie Rechte von Bürgern und Bürgerinnen
beschneiden – das kann man nur bedauernd zur Kenntnis
nehmen. Kernbestandteile der europäischen Vorgaben
für die Öffentlichkeitsbeteiligung sind jedoch: die Bürge-
rinnen und Bürger in sachgerechter, rechtzeitiger und ef-
fektiver Weise frühzeitig zu informieren; ausreichend Zeit
zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung einzuräu-
men; eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem
Zeitpunkt zu initiieren, zu dem alle Optionen noch offen
sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfin-
den kann; seitens der Behörden künftige Antragsteller zu
ermutigen, die betroffene Öffentlichkeit zu ermitteln, Ge-
spräche aufzunehmen und über den Zweck ihres Antrags
zu informieren, bevor der Antrag auf Genehmigung ge-
stellt wird; Zugang zu allen Informationen zu ermögli-
chen, die für die entsprechenden Entscheidungsverfahren
relevant sind und zum Zeitpunkt des Verfahrens zur Öf-
fentlichkeitsbeteiligung zur Verfügung stehen.

In Deutschland haben wir die bewährten Instrumente
der Einsicht in Planungsunterlagen und des Erörterungs-
termins, um Gespräche aufzunehmen, über den Zweck ei-
nes Antrags zu informieren und Zugang zu allen Informa-
tionen zu ermöglichen. Wir lehnen es ab, auf diese
Instrumentarien zu verzichten, wenn es denn den Behör-
den opportun erscheint und fordern dagegen die Auswei-
tung der Öffentlichkeitsbeteiligung.

In Sachen Vorhabensgenehmigung vollführt die FDP
einen weiteren Kniefall vor der Wirtschaft. Sie fordert tat-
sächlich den Verzicht auf die von allen Seiten geforderte
Pflicht zur Kraft-Wärme-Kopplung bei Anlagen, die Ab-
wärme bzw. Wärme produzieren und nennt als Beispiel
fossile Kraftwerke. Die am häufigsten in Deutschland
eingesetzten Kraftwerke werden mit Kohle als Primär-
energie betrieben. Ihr Wirkungsgrad liegt deutlich unter
50 Prozent, häufig erreichen sie nur rund 35 Prozent oder
noch weniger. Das heißt, dass etwa 65 Prozent der Ener-
gie nicht genutzt werden, während gleichzeitig selbst von
Steinkohlekraftwerken bis zu 860 Gramm Kohlendioxid
pro Kilowattstunde ausgestoßen werden. Angesichts des
Klimawandels und der Reduktionsziele, zu denen sich
Deutschland verpflichtet hat, ist die Nutzung der Ab-
wärme von Kraftwerken ein Gebot der Stunde. Die FDP
zeigt auch mit dieser Forderung, dass sie nicht auf dem
Stand der Technik ist, um mit dem Bundesimmissions-
schutzgesetz zu sprechen, sondern sich einer Wirtschaft
verpflichtet fühlt, die sich weniger am Gemeinwohl als an
der Gewinnmaximierung ihrer Shareholder orientiert.

Während die FDP mit ihrem Antrag offenbar den wei-
teren Ausbau der Stromproduktion in Deutschland mittels
Kohlekraft fördern will, fordern wir Grüne den Stopp
neuer Kohlemeiler. Alle politische Energie muss sich da-
rauf konzentrieren, um schnellstmöglich den Umstieg auf
das postfossile Energiezeitalter zu erreichen. Nur durch
einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, mit
Effizienztechnologien und mit dem Reduzieren unseres
Energieverbrauchs können wir diese Aufgabe meistern.
Die FDP zeigt mit ihrem Antrag, dass sie davon nichts
verstanden hat.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616635700

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9113 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Achten
Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanz-
reformgesetzes

– Drucksachen 16/9275, 16/9288 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 16/9467 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Tillmann
Bernd Scheelen
Carl-Ludwig Thiele

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Antje
Tillmann, CDU/CSU, Bernd Scheelen, SPD, Carl-Lud-
wig Thiele, FDP, Dr. Axel Troost, Die Linke, Britta Ha-
ßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.


Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1616635800

Den Gemeinden steht seit der Abschaffung der Gewer-

bekapitalsteuer zum 1. Januar 1998 ein Anteil in Höhe
von 2,2 Prozent an der Umsatzsteuer zu. Im Jahr 2007
entsprach das 3 409 Millionen Euro. Damit werden circa
6 Prozent des kommunalen Gemeindesteueraufkommens
gedeckt. Die Frage, wie diese Summe auf die Städte und
Gemeinden verteilt wird, ist also entscheidend, sodass
dieses spröde Gesetz ganz handfeste Auswirkungen auf
das kommunale Leben hat.

Derzeit erfolgt die Verteilung des Gemeindeanteils an
der Umsatzsteuer auf die einzelnen Gemeinden nach ei-
nem nicht bundeseinheitlichen Übergangsschlüssel.

Der unterschiedliche Schlüssel in den alten und neuen
Bundesländern rührt daher, dass die gemeindliche Um-
satzsteuerbeteiligung als Ersatz für den Wegfall der Ge-
werbekapitalsteuer eingeführt wurde, die Eingang in die
Schlüsselkomponenten fand. In den neuen Ländern war
dies nicht möglich, da diese Steuer dort nicht erhoben
wurde. Durch die Berücksichtung des Merkmals „Gewer-
bekapitalsteuer“ ist dieser Schlüssel nicht nur nicht bun-
deseinheitlich, sondern auch nicht fortschreibungsfähig.

Von dem Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer entfällt
derzeit auf die Gemeinden der alten Bundesländer ein-
schließlich Berlin-West – ein Anteil von insgesamt
85 Prozent und auf die Gemeinden der neuen Bundeslän-
der sowie auf Berlin-Ost – ein Anteil von 15 Prozent. Der
prozentuale Anteil der neuen Bundesländer am zugewie-
senen Umsatzsteueraufkommen war damals großzügig
berechnet. Da die Gewerbekapitalsteuer nur in den alten
Bundesländern bestand, mussten damals Schätzungen in
den neuen Bundesländern über das Einnahmepotenzial
an der Gewerbekapitalsteuer erfolgen.

Das Gemeindefinanzreformgesetz enthält nun den
Auftrag an den Gesetzgeber, die Verteilung dieses Ge-
meindeanteils am Aufkommen der Umsatzsteuer mit Wir-
kung ab dem Jahr 2009 auf einen fortschreibungsfähigen
und bundeseinheitlichen Schlüssel umzustellen, um so
den Gemeinden weiterhin eine ausreichende Finanzaus-
stattung zur Verfügung zu stellen.

Bereits zum Jahre 2003 sollte ein bundeseinheitlicher
Schlüssel die Umsatzsteuerverteilung auf die Gemeinden
regeln. Schlüsselelement sollte das Betriebsvermögen
– Sachanlagen, Vorräte, Löhne und Gehälter – sein. Das
Statistische Bundesamt hatte zwar Modellrechnungen er-
stellt, die jedoch in zahlreichen Fällen nicht nachvoll-
ziehbare Unstimmigkeiten in Bezug auf einzelne Länder
und einzelne Gemeinden aufzeigten. Nach allgemeiner
Auffassung des Bundes, der Länder und der kommunalen
Spitzenverbände konnten die vorliegenden Daten nicht
Grundlage für einen gerichtsfesten Verteilungsschlüssel
sein. Die Erhebung scheiterte. Der derzeitige Vertei-
lungsschlüssel wurde wieder verlängert und Modell-
rechnungen des Statistischen Bundesamtes mit den
Schlüsselmerkmalen „Gewerbesteueraufkommen“, „so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigte“ und „sozial-
versicherungspflichtige Entgelte“ erstellt.

Im Gesetzentwurf wurde ein Kompromiss gewählt, der
von den drei großen Spitzenverbänden mitgetragen wird.

Der vorgesehene endgültige Verteilungsschlüssel setzt
sich zusammen aus: 25 Prozent aus dem Gewerbesteuer-
aufkommen – brutto – der Jahre 2001 bis 2006, 50 Pro-
zent aus der Anzahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten am Arbeitsort – ohne Beschäftigte von Ge-
bietskörperschaften und Sozialversicherungen sowie de-
ren Einrichtungen – der Jahre 2004 bis 2006 sowie zu
25 Prozent aus den sozialversicherungspflichtigen Ent-
gelten am Arbeitsort – ohne Beschäftigte von Gebietskör-
perschaften und Sozialversicherungen sowie deren Ein-
richtungen – der Jahre 2003 bis 2005.

Beschäftigte und Entgelt werden mit dem durchschnitt-
lich gewogenen örtlichen Gewerbesteuer-Hebesatz des
jeweiligen Erfassungszeitraums gewichtet.

Die nun vorgeschlagene Regelung hat gegenüber den
anderen diskutierten Varianten den Vorteil, dass sie das
geringste Umverteilungsvolumen zwischen den Ländern
hat. Trotzdem ergeben sich natürlich Änderungen bei der
Zuweisung an die Kommunen.

Deshalb besteht Einvernehmen zwischen den Ländern
und den kommunalen Spitzenverbänden darüber, ange-
sichts der Umverteilungswirkung zum Zeitpunkt des
Schlüsselwechsels den endgültigen Schlüssel nicht voll-
ständig mit Wirkung ab dem Jahr 2009, sondern mit ei-
nem Übergangszeitraum – in Anlehnung an die Fort-
dauer des Solidarpakts II – bis 2018 einzuführen. In der
Gesetzesbegründung heißt es dazu:

Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die Angleichung der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der neuen
Länder so weit fortgeschritten sein, dass der ab-


(A) (C)



(B) (D)


Antje Tillmann
schließende Übergang auf den endgültigen Vertei-
lungsschlüssel allenfalls geringfügige Auswirkun-
gen hervorrufen dürfte.

Ich kündige aber jetzt schon an, dass wir – sollte diese
Erwartung nicht eintreten – erneut über eine Neugestal-
tung des kommunalen Ausgleichs sprechen müssen.

In dem Übergangszeitraum von 2009 bis einschließ-
lich 2017 wird ein Übergangsschlüssel Anwendung fin-
den, der eine Kombination aus geltendem und zukünfti-
gem Schlüssel darstellt.

Folgende Stufen sind vorgesehen: In den Jahren 2009
bis 2011 geht der endgültige Schlüssel mit einem Anteil
von 25 Prozent und der geltende Schlüssel mit einem An-
teil von 75 Prozent ein, in den Jahren 2012 bis 2014 ge-
hen endgültiger und geltender Schlüssel jeweils mit
50 Prozent ein und in den Jahren 2015 bis 2017 geht der
endgültige Schlüssel mit einem Anteil von 75 Prozent und
der geltende Schlüssel mit einem Anteil von 25 Prozent
ein.

Daneben werden die Auswirkungen bei den Ländern,
die nach der Neuverteilung mit Mindereinnahmen zu
rechnen haben, durch den Länderfinanzausgleich deut-
lich abgemildert. Berechnungen haben ergeben, dass die
Umverteilungswirkung durch den Länderfinanzausgleich
um fast 60 Prozent gemildert wird. Wir werden in den
Länderparlamenten, in denen wir die Verantwortung tra-
gen, dafür sorgen, dass dieser Ausgleich auch bei den
Kommunen ankommt.

Der nun vorliegende endgültige und bundeseinheitli-
che Verteilungsschlüssel ist ein solider Baustein für die
Gemeindefinanzen. Städte und Gemeinden leisten ihre
Arbeit direkt am Bürger. Für Bildung, Erziehung, Verkehr
und Verwaltung brauchen Kommunen deshalb diese si-
chere Finanzierung. Für das Verhältnis Unternehmen/
Kommunen ist es hilfreich, wenn die Städte und Gemein-
den auch finanzielle Vorteile aus der Ansiedlung von Ge-
werbe haben.

Die Kommunen haben nun Anreize, sich um eine er-
folgreiche Ansiedlungspolitik zu kümmern. Die Abschaf-
fung der Gewerbekapitalsteuer als Substanzbesteuerung
war richtig. Die Skepsis der Kommunen hat sich als un-
berechtigt erwiesen, wir haben ihnen durch die Übertra-
gung des Umsatzsteueraufkommens Planungssicherheit
gegeben.

Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
daher zustimmen.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1616635900

Gerade wenn es um unsere Kommunen geht, freue ich

mich, weiterhin an den Anfang meiner Reden und State-
ments im und außerhalb des Deutschen Bundestages im-
mer noch als erste gute Nachricht setzen zu können: Nach
den Ergebnissen der Steuerschätzung werden sich die
kommunalen Steuereinnahmen auch in 2008 – mit leicht
reduzierter Zuwachsrate – erhöhen. Seit 2006 ist es dabei
nicht mehr nur die Gewerbesteuer, die einen erheblichen
Anstieg aufweist. Auch die Einnahmen aus den Gemein-
deanteilen an der Einkommensteuer und der Umsatz-
Zu Protokoll
steuer legen stark zu. Hinter der günstigen Gesamtent-
wicklung verbergen sich lokale Unterschiede, zu deren
Ausgleich die Länder verpflichtet sind.

Als zweite gute Nachricht gilt für mich die in dieser
Woche anstehende Verabschiedung des Gemeindefinanz-
reformgesetzes, oder, wie es im Amtsdeutsch heißt, des
Achten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzre-
formgesetzes. Es sieht vor, den derzeit geltenden Über-
gangsverteilungsschlüssel für den Gemeindeanteil am
Aufkommen der Umsatzsteuer mit Wirkung ab dem Jahr
2009 in vier Stufen – bis 2018 – auf einen endgültigen,
fortschreibungsfähigen und bundeseinheitlichen Schlüs-
sel umzustellen.

Als Bundestagsabgeordnete sind ihnen hierzu die ent-
sprechenden Drucksachen, das heißt, der Gesetzentwurf
der Bundesregierung vom 26. Mai 2008 und die Be-
schlussempfehlung und der Bericht des Finanzausschus-
ses vom gestrigen Tage, zugegangen. Den Dokumenten
können sie viele fachliche Details über die jeweilige Be-
deutung von einzelnen Schlüsselmerkmalen, einer He-
besatzgewichtung einzelner Merkmale sowie zur Diskus-
sion über zwölf Modellrechnungen des Statistischen
Bundesamtes im Vorfeld der Entscheidung für die jetzige
Gesetzesregelung entnehmen. Dies gilt auch für die ab
2018 geltende Gewichtung eines bundeseinheitlichen
Schlüssels mit einem Anteil von 25 Prozent bezogen auf
das Gewerbesteueraufkommen der Jahre 2001 bis 2006,
50 Prozent bezogen auf die Anzahl der sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten und 25 Prozent bezogen auf
sozialversicherungspflichtige Entgelte.

Somit könnte man zur dritten guten Nachricht überge-
hen: Sowohl im für das Gemeindefinanzreformgesetz fe-
derführenden Finanzausschuss als auch in den mitbera-
tenden Fachausschüssen Haushalt sowie Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung wurde die Annahme des Gesetzent-
wurfs mit überwältigender Mehrheit empfohlen. Von der
Opposition stimmten lediglich die Kolleginnen und Kol-
legen der Nachfolgeorganisation der PDS nicht für diese
Vorlage. Die über zwei Legislaturperioden andauernde
intensive Beratung war somit ein Erfolg. Was lange
währt, wird doch noch gut.

Ich möchte heute die Gelegenheit wahrnehmen, meine
Ausführungen auf einige andere Dinge zu lenken, die sich
mir im Laufe des langjährigen Gesetzgebungsverlaufes
zum Gemeindefinanzreformgesetz darstellten: Die Not-
wendigkeit einer starken und frühzeitigen Beteiligung der
Kommunen an allen sie betreffenden Gesetzgebungsver-
fahren, die Berücksichtigung vielschichtiger unterschied-
licher Interessenlagen von großen, oft finanzstarken
Städten, unseren kleineren Gemeinden und des ländlichen
Raumes – somit die Stärkung kommunaler Stärken und die
Verantwortung zur Überwindung von Defiziten durch die
Länder aber auch in Zusammenarbeit mit dem Bund –, die
Einheit unseres Landes mit jedem Gesetzgebungsverfah-
ren voranzutreiben und unser Versprechen im Bonner
Bundestag, in Berlin für unsere Bürgerinnen und Bürger
ein gläsernes Parlament zu sein.

Ich werde mit dem letzten Punkt anfangen: das glä-
serne Parlament. Gerade dieses Gesetzgebungsverfahren
verdeutlichte: Wir sind für das „Funktionieren“, für ge-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Bernd Scheelen
regelte Abläufe, für die Erfüllung der uns vom Grundge-
setz auferlegten Pflichten verantwortlich, aber auch da-
für, dies jedem Bürger verständlich zu machen. Daher
mein Verweis am Beginn meiner Rede auf die in den
Drucksachen des Deutschen Bundestages und Papieren
des Bundesministeriums für Finanzen nachzulesenden
Fachdetails zum heutigen Gesetzentwurf: ein Eldorado
für die Fachleute im Lande.

Für mich ist wichtig, dass man uns vor Ort versteht:
Dieses Gesetz ist keine Ergänzung unserer erfolgreichen
– gerade von der SPD Fraktion vehement vorangetriebe-
nen – Gewerbesteuerreform. Sie brachte im Ergebnis für
Städte und Gemeinden im letzten Jahr Rekordüber-
schüsse von 8,6 Milliarden Euro, das heißt, eine erhebli-
che Verbesserung der kommunalen Finanzkraft. Es dient
vielmehr einer längst überfälligen Neuregelung eines ge-
rechten Verteilungsschlüssels für den Anteil an der den
Gemeinden zustehenden Umsatzsteuer.

Diese Beteiligung war 1998 in Höhe von 2,2 Prozent
eingeführt worden. Damals ging es um die Kompensation
für den Einnahmeausfall durch die Abschaffung der soge-
nannten Gewerbekapitalsteuer. Der Gemeindeanteil an
der Umsatzsteuer wird in einem ersten Schritt auf die
Länder und dann auf die Kommunen nach bestimmten,
statistisch ermittelten Kriterien, sogenannter Schlüssel-
merkmale, verteilt.

Das Gemeindefinanzreformgesetz von 2001, das dies
regelt, war bewusst bis 2005 befristet worden; denn in
ihm gelten unterschiedliche Bewertungskriterien für die
alten und neuen Bundesländer. Zum 1. Januar 2006 sollte
im Rahmen eines neuen Gesetzes festgelegt werden, nach
welchen – für die neuen und die alten Bundesländer ein-
heitlichen – neuen Schlüsselmerkmalen die Umstellung
auf eine für die Zukunft fortschreibungsfähige Bewertung
erfolgen könnte.

Seit Anfang 2005 bemühten sich die Koalitionsfraktio-
nen des Deutschen Bundestages und das Bundesfinanz-
ministerium gleichermaßen um eine von den Kommunen,
Ländern und dem Bund akzeptierbare Lösung. Immerhin
geht es um die Neuverteilung eines Finanzvolumens von
3,53 Milliarden Euro. Mit dem gefundenen Schlüssel ist
sichergestellt, dass die Umverteilungswirkung im ersten
Jahr der veränderten Verteilung mit 35 Millionen Euro
und nach acht Jahren mit rund 140 Millionen Euro von
sieben auf neun Länder sehr maßvoll ausfällt.

Damit wurde ein guter Weg gefunden, ein Weg, bei dem
jeder Bürger für seine Kommune davon ausgehen kann,
dass dieser nicht willkürlich ist, sondern basierend auf
gesicherten statistischen Daten vorgezeichnet wird. Die
festgelegten Schlüsselmerkmale zur Zuweisung des An-
teils der jeweiligen Gemeinde an der Umsatzsteuer geben
zudem einen hohen Anreiz, die Zusammenarbeit zwischen
ihr und der Wirtschaft zu intensivieren.

Die Notwendigkeit, kommunale Interessen auf Bun-
des- und Landesebene im Wege einer starken und frühzei-
tigen Beteiligung zu berücksichtigen, ist ein weiteres, ge-
rade aus diesem Gesetzgebungsverfahren gestärktes
Anliegen – nicht nur weil dies eine Thematik ist, die ge-
rade von der SPD-Bundestagsfraktion in der letzten und
Zu Protokoll
dieser Legislaturperiode vehement verfolgt und auf die
Tagesordnung gesetzt wurde.

Selbstverständlich gibt es zu jedem Gesetzgebungsver-
fahren auch Anhörungen, zu denen auch die kommunalen
Spitzenverbände, manchmal einzelne kommunale Vertre-
ter, geladen werden. Ein grundgesetzlich bzw. gesetzlich
verankertes Anhörungsrecht, das von den Spitzenverbän-
den gefordert wird, und, wie sich das auch immer deutli-
cher auf europäischer Ebene herauskristallisiert, gibt es
nicht.

Sie, meine Damen und Herren, werden mit Recht auf
unsere parlamentarische Geschäftsordnung verweisen.
Viele Geschäftsordnungen der Bundesministerien und
Länderverfassungen enthalten differenzierte Anhörungs-
rechte. Aber es gibt keinerlei einheitliche Regelung –
auch nicht in der Handhabung. Mir genügt nicht die Be-
gründung, Kommunen seien nach dem Grundgesetz Teil
der Länder und keine selbstständige dritte Säule im Staat,
und die Länder nähmen umfassend die Rechte der Kom-
munen wahr.

Kommunen sind die Basis unseres Landes. Diese Basis
muss nicht nur finanziell gesichert sein. Sie muss mitge-
staltend auf Landes- und Bundesebene einbezogen wer-
den, das heißt, regelmäßig, ohne Einschränkung, selbst-
verständlich, nicht in Abhängigkeit von der Entscheidung
eines Sachbearbeiters, umfassend und nicht abhängig
vom Themenkomplex sozusagen nach dem Motto: bei in-
nerdeutschen Fragestellungen ja, soweit erforderlich, bei
europäischen nein oder vielleicht eingeschränkt.

Dieses Gesetzgebungsverfahren zum Gemeindefinanz-
reformgesetz verdeutlichte allen Beteiligten: Ohne die
Vertreter des Deutschen Städtetages, des Deutschen
Städte- und Gemeinebundes, des Deutschen Landkreista-
ges mit ihren Fachkenntnissen und Erfahrungen vor Ort
wäre die Verabschiedung des Gesetzes heute nicht mög-
lich gewesen. Gerade sie förderten in vielen Gesprächen
den Kompromiss zwischen den Gemeinden, zwischen
Kommunen und den Ländern und im Verhältnis zum
Bund.

Vielleicht kann man anführen: Nun ja, die Notwendig-
keit der Anhörung liegt hier ja quasi auf der Hand. – Den
Bürgern draußen sei gesagt: Rund 70 Prozent aller Ge-
setze des Deutschen Bundestages – inklusive der Umset-
zung europäischer Richtlinien – betreffen ihre kommuna-
len Interessen vor Ort – mal offensichtlich, mal versteckt.

„Gläsern“ heißt also auch: Anhörung und Beteiligung
der kommunalen Vertreter auf Bundesebene. Ich persön-
lich möchte mich nicht darauf verlassen, dass unsere
Städte und Gemeinden als Teil der Länder von diesen aus-
schließlich vertreten werden. Ich glaube, dass es hier
noch Diskussionsbedarf gibt.

Auf jeden Fall möchte ich mich an dieser Stelle beim
Bundesfinanzminister Steinbrück und seinen Mitarbei-
tern bedanken, dass in diesem Gesetzgebungsverfahren
das positive Ergebnis gerade durch eine intensive Betei-
ligung der kommunalen Spitzenverbände, aber auch
durch viele Gespräche mit den Ländern erreicht werden
konnte.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Bernd Scheelen
Mein letzter Punkt spricht unsere Verpflichtung und
unseren Wunsch zur inneren deutschen Einheit an. Auch
hierfür steht das Achte Gesetz zur Änderung des Gemein-
definanzreformgesetzes.

Der zu Beginn meiner Ausführungen angesprochene
„bundeseinheitliche“ Schlüssel zur Umverteilung des
kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer ist ein kleiner,
aber deutlicher Baustein. Gerade von unseren Kollegin-
nen und Kollegen aus der Nachfolgeorganisation der
PDS hätte ich erwartet, dass sie diesen meinen Hinweis
besonders hervorheben würden. Stattdessen übernahmen
sie wieder einmal originäre Forderungen der SPD-Bun-
destagsfraktion zur Stärkung der Gewerbesteuer, um als
Einzige den vorliegenden Regierungsentwurf abzuleh-
nen. Und sie wiesen in der Beratung darauf hin, das Ge-
setz stelle eine Umverteilung zulasten der finanzschwa-
chen neuen Bundesländer dar. Unabhängig davon, dass
dies von den Betroffenen – den Ostländern und ihren Ge-
meinden – nicht so gesehen wird, ist eine solche Argu-
mentation populistisch und fachlich falsch.

Noch einmal: Das Ziel des Gemeindefinanzreformge-
setzes ist nicht eine zusätzliche Stärkung kommunaler Fi-
nanzkraft. Hier sollten wir die Wirkung der Maßnahmen
zur Gewerbesteuer im Rahmen der Unternehmensteuer-
reform 2008 abwarten. Ziel ist die bundeseinheitliche,
überfällige Neuregelung des kommunalen Verteilungs-
schlüssels an der Umsatzsteuer. Es kann in sehr geringem
Maße zum Auslaufen einer Bevorzugung von einzelnen
Gemeinden in den neuen Bundesländern führen. Dies ist
allen Beteiligten bekannt. Zur Abmilderung der Umver-
teilungswirkung – übrigens auch in ehemals gewerbeka-
pitalsteuerstarken westlichen Gemeinden – wurde die
sehr lange Übergangszeit bis 2018 eingebaut. Daneben
verweise ich auf den kommunalen Finanzausgleich der
Länder. Wie beim Auslaufen des Solidarpakts II bis 2019
sind wir sicher, dass bis zu diesem Zeitpunkt alle Voraus-
setzungen für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Auf-
holprozess in den neuen Bundesländern und betroffenen
westlichen Kommunen geschaffen wurden.

Als kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundes-
tagsfraktion stehe ich voll hinter den gemeinsam mit den
Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und dem
Bundesfinanzministerium sowie vielen Kolleginnen und
Kollegen in diesem Hause diskutierten und letztlich fest-
geschriebenen Gesetzentwurf zur Verteilung des Gemein-
deanteils an der Umsatzsteuer ab 2009.

Sie verzeihen mir meinen Ausflug in Fragestellungen,
die sich mir im Verfahren auftaten und mit diesem
verknüpft sind auch wenn Sie sich nicht fachlich-finanz-
politisch mit Bruttogewerbesteueraufkommen, sozial-
versicherungspflichtigen Beschäftigten mit und ohne
Hebesatzgewichtung, sozialversicherungspflichtigen Ent-
gelten ohne Entgelte von Beschäftigten von Gebietskör-
perschaften und Sozialversicherungen sowie deren Ein-
richtungen, die als Durchschnitt für die Jahre 2003 bis
2005 der Beschäftigten- und Entgeltstatistik ermittelt
wurden beschäftigten. Letzteres kann übrigens in § 5
Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes nachgelesen werden.

Ich nehme den Gesetzentwurf zum Anlass, mich für die
gute Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenver-
Zu Protokoll
bänden zu bedanken und für ihr gesetzliches Anhörungs-
recht zu plädieren. Ich verweise noch einmal auf unsere
Verpflichtung, als „gläsernes Parlament“ unsere Gesetze
und unsere Arbeit gläsern, das heißt, für die Bürgerinnen
und Bürger verstehbar, darzulegen. Ich freue mich, dass
dieses in der Öffentlichkeit zu Unrecht wahrscheinlich
wenig beachtete Gemeindefinanzreformgesetz die deut-
sche Einheit ein Stück voranbringen wird.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1616636000

Die FDP begrüßt, dass nunmehr nach jahrelangen

Vorarbeiten ein Kompromiss über die Verteilung der Um-
satzsteuer auf die Kommunen gefunden wurde. Hinter-
grund dieser Regelung ist, dass seinerzeit von der
schwarz-gelben Koalition auf Drängen der FDP die Ge-
werbekapitalsteuer als reine Substanzsteuer abgeschafft
wurde und die Kommunen erstmalig einen Anteil an der
Umsatzsteuer erhalten haben. Dieses war ein erheblicher
Fortschritt, zumal für die Unternehmen bis zu diesem
Zeitpunkt unabhängig von Ihrer Ertragslage hinzu kam,
dass zu dem Gewerbekapital auch Schulden und Schuld-
zinsen gerechnet wurden.

Wenn der Staat direkte Steuern wie die Gewerbesteuer
erhebt, dann sollte Wert darauf gelegt werden, dass diese
Steuer sich am Ertrag und damit an der Leistungsfähig-
keit des Steuerpflichtigen orientiert. Dieses ist bei Sub-
stanzsteuern nicht der Fall; denn diese müssen auch in
Verlustjahren gezahlt werden. Hierdurch verschärft sich
die finanzielle Situation ertragsschwacher Betriebe ins-
besondere in Verlustjahren. Deshalb hält es die FDP auch
für einen unglaublichen Fehler der Großen Koalition,
dass im Zuge der Unternehmensbesteuerung Kosten und
Kostenelemente als Bemessungsgrundlage für die Kör-
perschaftsteuer eingeführt wurden. Dieses ist der falsche
Weg. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz-
entwurf in der vom Ausschuss verabschiedeten Fassung
zu. Es handelt sich bei dieser Gesetzesvorlage um einen
Kompromiss, der von den Beteiligten sicher nicht als
Ideallösung betrachtet wird. Letztlich können aber wohl
alle damit leben, auch die kommunalen Spitzenverbände,
die die vorgesehene dauerhafte Umstellung des Vertei-
lungsschlüssels für den Umsatzsteueranteil der Gemein-
den als akzeptabel mittragen. Den Spitzenverbänden der
Kommunen ist diese Position auch durch die vorgesehene
langfristige Übergangsregelung erleichtert worden, nach
der der endgültige Verteilungsschlüssel in Anlehnung an
den Solidarpakt II erst 2018 voll in Kraft treten wird. Der
Deutsche Städtetag hatte in einem Beschluss seines Prä-
sidiums vom 12. Februar dieses Jahres einen gleitenden
Übergang vom noch geltenden Verteilungsschlüssel, der
selbst nur Übergangscharakter hat, zum endgültigen Ver-
teilungsschlüssel gefordert. Zu begrüßen ist es, dass die
Neuregelung zu einer Vereinheitlichung des Verteilungs-
schlüssels zwischen den alten und den neuen Bundeslän-
dern führt.

Die jetzt auf den Weg gebrachte Anschlusslösung für
die derzeitige Verteilung des Umsatzsteueranteils der Ge-
meinden ist die letzte Phase eines grundlegenden Schritts
zur Änderung der Gemeindefinanzen, den die frühere
Koalition aus CDU/CSU und FDP vor zehn Jahren getan
hat: die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Nach



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
jahrelangem, teilweise erbittertem Tauziehen zwischen
den damaligen Koalitionsfraktionen und der SPD-Frak-
tion war diese antiquierte Steuer schließlich mit dem Ge-
setz zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform vom
29. Oktober 1997 abgeschafft worden. Den Gemeinden
sind damals 2,2 Prozent des Umsatzsteueraufkommens
als Ersatz für den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer zu-
gesprochen worden. Die Streichung der Gewerbekapital-
steuer war eine überfällige Maßnahme zu einer struktu-
rellen Verbesserung der Gemeindefinanzen; denn damit
wurde – neben dem Verzicht auf die Erhebung der Vermö-
gensteuer im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1997 –
eine weitere Substanzsteuer aufgehoben. Substanzsteuern
in der Unternehmensbesteuerung sind von Übel, weil sie
die Ertragslage der Betriebe ausblenden. Sie sind auch in
Zeiten geringer Erträge und selbst in Verlustjahren zu
zahlen und können dadurch die Existenz von Unterneh-
men und damit auch Arbeitsplätze gefährden. Diese Er-
kenntnis hat allerdings die Große Koalition nicht daran
gehindert, die ertragsunabhängigen Elemente der Ge-
werbesteuer in der Unternehmensteuerreform 2008 aus-
zubauen. Betriebswirtschaftliche Kosten werden jetzt von
ihr steuerlich zum Teil nicht mehr als Kosten anerkannt.
Die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Zinskosten
durch Einführung der Zinsschranke und die Hinzurech-
nungsbesteuerung von Zinsen, Mieten, Pachten, Leasing-
und Lizenzgebühren bei der Gewerbesteuer werden aber
in Zeiten ungünstiger Erträge oder Verluste zu einem
schweren Ballast für die betroffenen Unternehmen wer-
den. Mit ihrem Anteil an der Umsatzsteuer haben die
Kommunen einen guten Tausch gemacht. Sie haben da-
durch eine stabile und zukunftsträchtige Finanzierungs-
quelle erhalten, die der Wirtschaft nicht schadet. Durch
die in den vergangenen Jahren nur gedämpfte Entwick-
lung des privaten Konsums ist der Umsatzsteueranteil der
Gemeinden zwar weniger dynamisch gestiegen, als man
hätte erwarten können. Die Kommunen haben aber zu-
mindest von der Mehrwertsteuererhöhung durch die
Große Koalition profitiert. Um rund 15 Prozent liegen die
Umsatzsteuereinnahmen der Gemeinden in 2008 über
den entsprechenden Einnahmen in 2006.

Die FDP geht den vor zehn Jahren eingeschlagenen
Weg der Beteiligung der Kommunen am Aufkommen der
Mehrwertsteuer programmatisch weiter. Sie fordert, wie
auf ihrem Bundesparteitag vom 31. Mai/1. Juni 2008 be-
schlossen, eine Reform der Gemeindefinanzen mit einem
Ersatz der Gewerbesteuer durch einen auf 12 Prozent er-
höhten Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer und
einen Zuschlag mit eigenem Hebesatzrecht auf die Ein-
kommen- und Körperschaftsteuer in gleicher Höhe. Die
Koalitionsfraktionen setzen auf immer mehr Gewerbe-
steuern. Die FDP dagegen tritt nach wie vor für einen Ab-
bau dieser schädlichen und mit einigen Merkwürdigkei-
ten versehenen Steuer ein.


Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616636100

Dieser Gesetzentwurf kommt auf den ersten Blick als

ein recht technokratisches Werk zur Neuaufteilung des
kommunalen Umsatzsteueranteils daher. Bei genauerer
Betrachtung der damit einhergehenden Verteilungswir-
kungen stellt man aber fest, dass der Gesetzentwurf den
Zu Protokoll
Wettbewerbsföderalismus in ganz erheblichem Umfang
weiter verschärft. Trug die Verteilung des kommunalen
Umsatzsteueranteils zwischen den Kommunen bisher
dazu bei, dass auch Kommunen in strukturschwächeren
Regionen eine gewisse finanzielle Mindestausstattung er-
hielten, so werden diesen Städten und Gemeinden nun ge-
zielt Mittel zugunsten ohnehin besser ausgestatteter Ge-
bietskörperschaften entzogen. Durch die Neuregelung
wird das Wohl und Wehe jeder einzelnen Kommune in Zu-
kunft noch stärker davon abhängen, ob es ihr gelingt, ge-
werbesteuerkräftige Unternehmen anzusiedeln. Damit
wird die ohnehin schon häufig ruinöse Standortkonkur-
renz zwischen den Kommunen weiter verschärft. Das Er-
gebnis ist bekannt: Am Ende haben die Kommunen zu-
sammen genommen weniger in der Tasche, die soziale
Infrastruktur wird weiter eingeschränkt.

Unter dem Strich werden die Kommunen im Osten
Deutschlands je nach Bundesland zwischen rund 14 und
26 Prozent am Umsatzsteueranteil verlieren. Mit Aus-
nahme der hessischen Kommunen werden hingegen die
Kommunen im Westen per saldo mit Zugewinnen rechnen
können.

Sicher ist es richtig, jenen Kommunen, die durch die
Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer Einnahmerück-
gänge zu verzeichnen hatten, einen angemessenen Ersatz
zu verschaffen. Jedoch ist der hier vorgeschlagene Weg
einer Neuaufteilung des kommunalen Umsatzsteueran-
teils völlig unangebracht. Ein adäquater Ersatz für die
Gewerbekapitalsteuer, für deren Wiedereinführung auch
Die Linke nicht plädiert, kann nur in der Art geschehen,
dass die Gewerbesteuer in ihrer derzeitigen Ausgestal-
tung und Anwendung auf den Prüfstand gehört. Dabei
muss eine angemessene Einbeziehung der Selbstständi-
gen und freiberuflich Tätigen in die Steuerpflicht ebenso
geprüft werden wie die Ausweitung der Bemessungs-
grundlage. Darüber hinaus gilt es, der Entwicklung Ein-
halt zu gebieten, dass immer weitere Unternehmensarten,
hier vor allem Akteure auf den Finanzmärkten, von der
Gewerbesteuerpflicht entbunden werden. Nur so – und
nicht etwa auf dem Wege der Umsatzsteuerneuverteilung
zwischen den Kommunen – kann den Städten und Ge-
meinden auch in angemessener Weise etwas für die Be-
reitstellung von Infrastruktur an die Unternehmen und
zur Finanzierung der Daseinsvorsorge zurückgegeben
werden.

Gerne setzen wir uns mit Ihnen darüber auseinander,
wie die Kommunen besser an den Gemeinschaftssteuern
beteiligt werden können, als es derzeit der Fall ist. Dabei
halten wir es für überlegenswert, den Anteil der Städte
und Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen von derzeit
rund 2 Prozent auf 20 Prozent zu erhöhen und im Gegen-
zug die Beteiligung an der Einkommensteuer und am
Zinsabschlag aufzugeben. Dabei könnte eine gerechtere
Verteilung des kommunalen Umsatzsteueranteils zwi-
schen den Kommunen dadurch erfolgen, dass als Vertei-
lungsschlüssel die Einwohnerzahl zugrunde gelegt wird.
Nach diesem Lösungsansatz könnten alle ostdeutschen
Länder und alle westdeutschen Nehmerländer spürbare
finanzielle Zugewinne für ihre Kommunen verbuchen.
Die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfes stellt
besonders heraus, wie sehr der Gesetzentwurf einen müh-



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Axel Troost
sam gefundenen Kompromiss zwischen Bund, Ländern
und Gemeinden widerspiegelt. Wir sind aber ausdrück-
lich optimistisch, dass auch unser Vorschlag die Zustim-
mung der Länder und Kommunen finden würde. Klar
muss aber auch sein, dass allein eine gerechtere Vertei-
lung des Mangels zwischen den Kommunen – die immer-
hin fast 70 Prozent aller öffentlichen Investitionen schul-
tern müssen – dem kommunalen Finanzierungsbedarf
allein nicht gerecht wird. Hier stehen Bund und Länder
gemeinsam in der Pflicht, für eine angemessene Finanz-
ausstattung der Kommunalhaushalte mit Sorge zu tragen.
Will man den Worten von CDU/CSU, SPD, FDP und Grü-
nen glauben, dass nämlich die mittleren und unteren Ein-
kommensgruppen keine weiteren Steuerbelastungen er-
fahren sollen und der Staatshaushalt keiner zusätzlichen
Verschuldung ausgesetzt werden soll, so wird auch in die-
ser Frage kein Weg daran vorbeiführen, die Besitzer gro-
ßer Vermögen und die Gewinne der großen Unternehmen
stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuzie-
hen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616636200

Wenn diese Bundesregierung einen Gesetzentwurf in

den Deutschen Bundestag einbringt, in dem das Wort
„Kommunen“ vorkommt, dann haben Städte und Ge-
meinden hinterher fast immer weniger Geld als vorher.
Insofern ist diese Änderung des Gemeindefinanzreform-
gesetzes eine denkwürdige Ausnahme von der Regel.
Denn dieses Mal haben hinterher zumindest nicht alle
Städte und Gemeinden weniger Geld, sondern nur einige.

Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist kein gro-
ßer Wurf für die Gemeindefinanzen. Nur der verwegenste
Optimist erwartet von dieser zerrütteten Regierungs-
koalition im Juni 2008 überhaupt noch irgendeinen gro-
ßen Wurf. Aber er ist zumindest einmal eine handwerklich
ordentliche Vorlage, die im fairen Einvernehmen mit den
kommunalen Spitzenverbänden verhandelt wurde und ei-
nen tragfähigen Kompromiss darstellt. Deshalb stimmen
wir heute auch zu.

Nach Auffassung meiner Fraktion ist es richtig, bei der
Verteilung des Gemeindeanteils am Umsatzsteuerauf-
kommen schrittweise zu einem einheitlichen Schlüssel für
Ost und West zu kommen. Es ist auch systematisch sinn-
voll, die vollständige Einführung des neuen Schlüssels an
das Auslaufen des Solidarpakts II zu koppeln, denn die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zwischen Ost und West
muss noch weiter angeglichen sein, um einen so stark
wirtschaftskraftbezogenen Verteilerschlüssel voll wirk-
sam werden zu lassen.

Wir alle wissen, und das streitet auch die Bundesregie-
rung nicht ab, dass es sinnvollere Kriterien zur Verteilung
gäbe, die wir aber nicht anlegen können, wenn es keine
zuverlässige Datengrundlage dafür gibt. Deshalb ist es
für uns nachvollziehbar, einen Schlüssel zu finden, der
sich auf die amtliche Statistik für das Gewerbesteuerauf-
kommen sowie die Entgelt- und Beschäftigtenzahlen
stützt. Ausdrücklich begrüßen wir, dass der neue Schlüs-
sel zu verhältnismäßig geringen Umverteilungswirkun-
gen im Vergleich zum Status quo führt, zumal die Verluste
von Ländern wie Sachsen und Berlin auch noch durch
den Länderfinanzausgleich teilweise kompensiert wer-
den.

Die Hauptauseinandersetzung bei der Festsetzung
dieses Schlüssels lag bekanntlich in der Frage, wie hoch
wir das Gewerbesteueraufkommen werten. Hier wurde
ein sinnvoller Weg gefunden. Aber die Begründung der
Bundesregierung ist vor dem Hintergrund der Debatten,
die wir hier sonst führen, bemerkenswert: Die Gewerbe-
steuer ist verhältnismäßig gering gewichtet, denn Sie ist
ja so konjunktursensibel. Interessant. Ich möchte nur si-
chergehen: Reden wir hier über die gleiche Steuerquelle,
deren Aufkommenssteigerung Sie sonst immer zum An-
lass nehmen, um einen strukturellen Reformbedarf bei
den Kommunalfinanzen abzustreiten?

Mit der jüngsten Steuerschätzung haben Sie sich selbst
ins Stammbuch geschrieben: Wer bei der Konsolidierung
der Gemeindefinanzen alleine auf die Gewerbesteuer
baut, der baut finanzpolitisch auf Sand. Die Einnahmen
bei der Gewerbesteuer gehen zurück, und wenn der Auf-
schwung weiter an Dynamik verliert, dann haben wir hier
bald wieder die gleichen Diskussionen wie zuvor.

Meine Fraktion bleibt dabei: Es bedarf einer födera-
len Kraftanstrengung zur Stärkung der Kommunalfinan-
zen. Dazu brauchen wir eine Gemeindefinanzreform, in
deren Mittelpunkt die Weiterentwicklung der Gewerbe-
steuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer steht. Wir
brauchen aber auch die Verankerung der Konnexität ge-
genüber den Kommunen im Grundgesetz und eine kom-
munale Altschuldenhilfe im Rahmen der Föderalismusre-
form II. Und wir brauchen eine Politik, die nicht mehr
versucht, im Windschatten konjunktureller Erholung die
versprochenen 2,5 Milliarden Euro jährliche Entlastung
für die Kommunen klammheimlich einzukassieren.

Es lässt sich auch einfacher zusammenfassen: Wir
brauchen eine andere Bundesregierung.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616636300

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/9467, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 16/9275 und 16/9288 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit
den Stimmen des restlichen Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit
den Stimmen des restlichen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jel-
pke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
V-Leute in der NPD abschalten

– Drucksache 16/9007 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Kristina
Köhler (Wiesbaden), CDU/CSU, Gabriele Fograscher,
SPD, Christian Ahrendt, FDP, Ulla Jelpke, Die Linke,
Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen und Gert Win-
kelmeier.


Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1616636400

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist gegen das Ab-

schalten der V-Leute in der NPD. Der Schaden, der unse-
rer freiheitlich-demokratischen Grundordnung dadurch
droht, ist größer als die Aussicht auf Erfolg einer solchen
Maßnahme. Die Bekämpfung des Extremismus muss eben
mit Hirn und Verstand erfolgen, auch wenn man gefühls-
mäßig gerne anders entscheiden würde. Denn rein ge-
fühlsmäßig wünschen wir uns doch wohl alle, dass die
NPD und ihr antidemokratischer und antisemitischer
Rassismus von der Bildfläche verschwinden.

Aber so einfach ist es eben nicht, weil zum einen schon
fraglich ist, ob ein Verbot der NPD überhaupt zielführend
ist. Wir wissen, dass das Verbot einer Organisation noch
nie dazu geführt hat, dass ihre Anhänger plötzlich einem
anderen Weltbild folgen. Die Ideologie wird sich eine an-
dere Struktur geben und in einem anderen Gewand weiter
machen, vielleicht vorerst im Untergrund – aber dadurch
nicht weniger gefährlich, sondern nur weniger beobacht-
bar und weniger angreifbar. Die einzige dauerhafte Lö-
sung liegt daher darin, die NPD politisch zu demaskieren
und den Menschen zu zeigen, warum eine solche Partei
eine Partei des nationalen Untergangs ist und nicht des
gemeinsamen Fortschritts.

Nun gibt es aber auch einige, die sagen, dass ein Ver-
bot der NPD trotzdem das kleinere Übel wäre. Und ob-
wohl ich diese Meinung nicht teile, gibt es natürlich gute
und respektable Gründe für diesen Standpunkt. Voraus-
setzung für solch ein Verbotsverfahren ist aber – und da-
rum dreht sich ja der vorliegende Antrag – das Abschal-
ten aller V-Leute in der NPD, weil eben nur Material,
welches nicht kontaminiert ist, bei dem also zweifelsfrei
feststeht, dass kein V-Mann des Verfassungsschutzes ir-
gendetwas damit zu tun hat, in den Verbotsantrag einflie-
ßen darf. Es genügt also nicht, Zitate aus öffentlich zu-
gänglichen Quellen zusammenzukopieren, sondern es
muss sich um Material handeln, welches zweifelsfrei
nicht kontaminiert ist. Und dieses Material muss man
erstmal sammeln, und, das ist richtig, dies geht nur, wenn
alle V-Leute abgeschaltet sind und wenn man dann zwei
bis drei Jahre lang sammelt und darauf aufbauend einen
neuen Verbotsantrag vorbereitet.

Fakt ist deshalb aber, dass wir nach einem Abschalten
der Quellen für mehrere Jahre auf Erkenntnisse über das
Innere der NPD und damit auch in das mit ihr verbundene
rechtsextreme Netzwerk verzichten müssten, und das zu
einem Zeitpunkt, in dem sich die NPD auch durch die Ver-
netzung mit anderen rechtsextremistischen Strukturen
und Gruppen zunehmend noch weiter radikalisiert, zu-
gleich aber nach außen versucht, den Biedermann zu ge-
ben. Deshalb wird die intensive und auch ins Innere ge-
hende Beobachtung dieser Partei umso wichtiger. Und
deshalb wäre es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach Mei-
nung aller unserer Experten auch grob fahrlässig, die
Quellen abzuschalten, zumal auch nach einem Abschal-
ten der V-Leute nicht garantiert wäre, dass ein neues Ver-
botsverfahren erfolgreich sein würde

Die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei reicht dafür
ja nicht aus, sondern sie muss auch verfassungswidrig
sein. Und das heißt, man muss der NPD nachweisen, dass
sie aktiv aggressiv-kämpferisch die freiheitlich-demokra-
tische Grundordnung beeinträchtigt. Da mag nun jeder
für sich denken, eigentlich dürfte es daran bei der NPD
keinen Zweifel geben. Viele Experten haben aber erhebli-
che Zweifel, ob sich dies alleine mit offenen, nichtkonta-
minierten Materialien auch verfassungsgerichtsfest
nachweisen lässt. Mit den jetzt von manchen Ländern
vorgelegten Sammlungen lassen sich diese Zweifel nicht
widerlegen, weil noch nicht einmal sicher ist, ob die Ma-
terialien kontaminiert sind oder nicht. Alleine dass es
sich um öffentlich zugängliche Quellen handelt, sagt da-
rüber eben noch überhaupt nichts aus.

Es gibt also starke Zweifel, ob ein NPD-Verbot über-
haupt Sinn macht. Es gibt starke Zweifel, ob sich der
Nachweis eines aktiven aggressiv-kämpferischen Vorge-
hens gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung
alleine aus offenen Quellen führen lässt. Auf der anderen
Seite gibt es keine Zweifel, dass es sehr gefährlich wäre,
für Jahre auf interne Einblicke in die NPD verzichten zu
müssen.

Und es gibt auch keinen Zweifel daran, dass ein erneu-
tes Scheitern des Verbotsverfahrens ein Super-Gau für
unsere Demokratie wäre. Deshalb können wir nach Ab-
wägung aller uns vorliegenden Tatsachen uns nicht für
das Abschalten der V-Leute in der NPD aussprechen.


Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1616636500

Vor gut einem Jahr haben wir bereits einen inhaltsglei-

chen Antrag der Fraktion Die Linke beraten. Sie wissen,
dass er derzeit keine Bereitschaft des Bundesinnenminis-
ters und der Mehrheit der CDU/CSU-Länderinnenminis-
ter gibt, ein erneutes NPD-Verbotsverfahren anzustren-
gen. Für einen neuen Verbotsantrag braucht es mehr als
nur das Abschalten der V-Leute der Verfassungsschutz-
ämter in der NPD. Wir müssen nachweisen, dass die NPD
eine verfassungsfeindliche und aggressiv-kämpferische
Partei ist. Auch wenn es uns gelingen würde, die NPD zu
verbieten, ist es naiv zu glauben, dass damit das Problem
des Rechtsextremismus gelöst sei.

Selbst wenn wir, und das will die SPD, die NPD ver-
bieten lassen könnten, so hätten wir das rechte Gedan-
kengut damit in den Köpfen noch lange nicht verdrängt.
So wünschenswert ein NPD-Verbot ist, so wenig wird es
rechte Einstellungen, rassistische, antisemitische und
ausländerfeindliche Parolen sowie gewalttätige Über-
griffe zurückdrängen oder gar verhindern.


(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Fograscher
Fest steht – und hier zitiere ich den Bayerischen Ver-
fassungsschutzbericht 2007 –: „Das von der Partei ver-
tretene Staats- und Menschenbild steht im krassen Ge-
gensatz zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“

Das Ziel der NPD ist die Beseitigung der parlamenta-
rischen Demokratie und des demokratischen Rechtsstaa-
tes. Sie bedient sich hierzu auch aggressiver Agitation
und Propaganda. Das können und dürfen wir nicht zulas-
sen.

Leider – und das muss ich an dieser Stelle sagen –,
stellt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Bundes-
innenminister und die Mehrheit der CDU/CSU-Länder-
innenminister gegen ein NPD-Verbot. Unserer Meinung
nach reicht das vorhandene Material, das zur Prüfung
beim Bundesinnenministerium liegt, für ein erfolgreiches
Verbotsverfahren aus, auch wenn die Hürden für ein Par-
teiverbot in Deutschland zu Recht sehr hoch sind.

Neben der Prüfung eines NPD-Verbotsverfahrens soll-
ten wir alle rechtsstaatlichen Mittel anwenden, um
rechtsextreme Vereine und Organisationen, die auch im
vorpolitischen Raum aktiv sind, zu verbieten. Ich begrüße
ausdrücklich, dass der Bundesinnenminister auf Drängen
der Koalitionsfraktionen das Collegium Humanum und
zwei dazugehörige Vereine kürzlich verboten hat. Konse-
quent wäre es, weitere Verbote gegen solche Organisa-
tionen auszusprechen.

Der Verein Heimattreue Deutsche Jugend, HDJ, ist
eine Organisation, die zunehmend aktiver und unverfro-
rener auftritt. Die HDJ gilt als Kaderschmiede und Elite-
schule für den rechtsextremen Nachwuchs, sie agiert
paramilitärisch, pflegt den Hitlergruß und ist führerori-
entiert. Das bereits bestehende Uniformierungsverbot
wird nicht durchgesetzt, da es vor Ort meist weder der Be-
völkerung noch der Polizei bekannt ist. Hier sind die Län-
der gefordert, ihre Polizeibeamtinnen und -beamte darü-
ber zu informieren und die Bevölkerung aufzuklären. Die
HDJ ist bundesweit tätig und versucht auch über die ei-
genen rechten Kreise hinaus, Kinder und Jugendliche für
ihren Kampf gegen unsere freiheitlich demokratische
Grundordnung zu rekrutieren. Um in Jugendlichen Krei-
sen auf sich aufmerksam zu machen, hat die HDJ ein Wer-
bevideo in der Nähe von Wunsiedel in Bayern gedreht.
Dieses Video ist auf der Internetseite www.youtube.de zu
sehen und zeigt einen erschreckenden Umgang mit Kin-
dern und Jugendlichen.

Wir fordern deshalb den Bundesinnenminister auf, ein
Verbot dieser bundesweit agierenden Organisation ernst-
haft zu prüfen. Selbst wenn es gelänge, die NPD und an-
dere rechtsextreme Vereine und Organisationen zu ver-
bieten, bleibt es die Aufgabe für Politik, Staat und
Zivilgesellschaft, die Einstellungen und das braune Ge-
dankengut, die zur Zustimmung und sogar Mitgliedschaft
in rechtsextremen Vereinen und Parteien führen, zurück-
zudrängen. Studien belegen, dass rechtsextreme Einstel-
lungen keine Randerscheinung, kein Jugendproblem,
kein ostdeutsches Problem und auch kein Problem der
Ewiggestrigen sind, sondern ein Problem in der Mitte der
Gesellschaft ist. Diesem Problem müssen wir uns sach-
lich und engagiert, aber entschieden stellen, es konse-
quent angehen und es nicht nur dann, wenn es rechts-
Zu Protokoll
extreme Übergriffe oder Wahlerfolge solcher Parteien
gibt, auf die Agenda setzen.

Wir fordern die Prüfung und ein konsequentes Verbot
von Vereinen und Organisationen, die im rechtsextremen
Bereich tätig sind und die Aberkennung der Gemeinnüt-
zigkeit. Wir brauchen die verlässliche und nachhaltige
Finanzierung von Organisationen, Projekten und Initia-
tiven, die für die Stärkung der demokratischen Kultur auf
allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – in unse-
rem Land arbeiten. Eine „Kultur der Gewöhnung“, wie
es in einem Spiegel-Artikel vom 2. Juni 2008 heißt, darf es
in Deutschland nicht geben.


Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1616636600

Die FDP-Fraktion hält einen Abzug von V-Leuten aus

der NPD für die falsche Konsequenz als Reaktion auf das
öffentlich gescheiterte NPD-Verbotsverfahren.

Es ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes, extremis-
tische Organisationen zu beobachten, gleich welcher po-
litischen Szene sie angehören. Dazu gehört auch die In-
formationsgewinnung über den Einsatz von V-Leuten.
Oftmals kann nur so ein klares Lagebild erreicht werden.
Vielfach sind die Informationen von V-Leuten hilfreich
gewesen, um gefährliche Straftaten zu verhindern.

Es gibt keine Gewährleistung dafür, dass ein NPD-
Verbotsverfahren erfolgreich wäre, wenn die V-Leute
heute abgeschaltet werden würden. Denn hierdurch wür-
den die heute vorliegenden Erkenntnisse nicht verwert-
bar. Welche Erkenntnisse und Quellen in Zukunft heran-
gezogen werden könnten, um ein NPD-Verbotsverfahren
erfolgreich zu bestreiten, ist derzeit ungewiss. Es ist da-
her ein Trugschluss, dass mit dem Abschalten der V-Leute
die Quellen von gestern gerichtsverwertbar werden wür-
den.

Kritisch ist aber zum Einsatz von V-Leuten Folgendes
anzumerken: So sehr es darum geht, die rechtsextremis-
tische Szene aufzuklären, so wenig darf der Einsatz von
V-Leuten in der NPD dazu führen, dass der Verfassungs-
schutz eine Art Garant dafür wird, dass ein NPD-Verbots-
verfahren nicht durchgeführt werden kann. Beobachten
ist das eine. Eine aktive oder anders formuliert mittelbare
bzw. unmittelbare Beeinflussung von Quellen durch den
Verfassungsschutz darf es jedoch nicht geben. Das
BVerfG hat in seinem Beschluss vom 18. März 2003 zu
Recht festgestellt, dass Parteien grundsätzlich eine
„staatsferne Veranstaltung“ sind, der Staat also auf die
politische Willensbildung in den Parteien keinen Einfluss
nehmen darf.

Das Problem des Einsatzes von V-Leuten zur Beobach-
tung der „Rechten Szene“ ist nach dem gescheiterten
NPD-Verbotsverfahren zu einem Problem des Verfas-
sungsschutzes geworden. Es bedarf der Aufklärung, wo
die intensive Beobachtung der NPD durch V-Leute zu ei-
ner gezielten und wirkungsvollen Einflussnahme auf die
Willensbildung der Vorstände der NPD auf Bundes- und
Landesebene geworden ist.

Ich habe der Bundesregierung mit meiner Kleinen An-
frage vom letzten Monat eben diese Fragen gestellt. Die
Bundesregierung hat die Fragen nicht beantwortet. Ins-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Christian Ahrendt
besondere ist vollständig offen geblieben, wie durch die
„Führung von V-Leuten“ die Einflussnahme auf die poli-
tische Willensbildung ausgeschlossen wird.

Man kann also getrost festhalten: Das NPD-Verbots-
verfahren scheitert weniger an der nachrichtendienstli-
chen Überwachung der NPD durch den Verfassungs-
schutz, sondern vielmehr daran, wie diese Überwachung
in der Vergangenheit organisiert und durchgesetzt wor-
den ist. Deswegen ist der Antrag der Partei Die Linke der
falsche Ansatz, um sich dem eigentlichen Problem zu wid-
men.

Ich möchte mit einem Hinweis schließen. Es kommt
nicht nur darauf an, sich mit einem NPD-Verbotsverfah-
ren auseinanderzusetzen. Es ist ebenso bedeutsam, die
Organisationen im Umfeld der NPD zu verbieten. Mit
dem Verbot des Vereins „Collegium Humanum“ ist ein
Anfang gemacht. Aber wenn man sich anschaut, wie
lange dieser Verein existiert hat, hat das richtige Ergebnis
lange auf sich warten lassen.

Ebenso bedeutsam ist es, die Finanzierungsquellen für
extremistische Organisationen trocken zu legen. Es kann
nicht sein, dass solche Organisationen wie beispielsweise
der eben erwähnte Verein „Collegium Humanum“ das
Siegel der Gemeinnützigkeit erhalten und damit Spenden
an solche Organisationen steuerlich begünstigt sind.

Auch hier hat meine Kleine Anfrage vom März gezeigt,
dass die Bundesregierung keinen Überblick über dieses
Thema besitzt. Der Bundesregierung ist etwa die Zahl von
Körperschaften, die vom Verfassungsschutz beobachtet
und zeitgleich vom Staat steuerlich gefördert werden,
nicht bekannt. Ebenso wenig werden Fälle von Körper-
schaften registriert, denen die Gemeinnützigkeit entzogen
wurde, weil ihre Verfassungsfeindlichkeit festgestellt
wurde. Dies verwundert doch sehr. In einem Staat, in dem
die mittlere Lufttemperatur in Petrisberg jeden Monat
vom Bundesamt für Statistik akribisch festgehalten wird,
ist es ein starker Tobak, dass über die Gemeinnützigkeit
der verfassungsfeindlichen Körperschaften keine Notiz
gemacht wird.

Helfen wir der NDP also nicht länger durch eine stän-
dig neue Verbotsdebatte. Lassen Sie uns den rechten
Sumpf im Umfeld der NPD effektiv trocken legen. Das ist
effizienter, nicht so öffentlichkeitswirksam, führt aber
zum selben Ziel.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616636700

Die Frage eines möglichen Verbots der NPD ist in den

letzten Wochen wieder in den Hintergrund der Debatte
getreten. Das hat vor allem zwei Gründe: In erster Linie
haben die Unionsinnenminister deutlich gemacht, dass
sie die Voraussetzungen für ein solches Verbot – Abzug
der V-Leute – nicht herstellen werden. Und zweitens ha-
ben Sie mal wieder die angebliche Gefahr von links so
hochgeredet, dass der tägliche Straßenterror der NPD
und ihrer Unterstützer in der öffentlichen Wahrnehmung
relativiert wurde.

Das verbal-radikale Auftreten einiger Innenpolitiker
der Koalition hat offensichtlich keine praktischen Konse-
quenzen. Weil CDU/CSU ein neues NPD-Verbotsverfah-
Zu Protokoll
ren ablehnen, die NPD jedoch weiterhin als besonders
gefährlich einschätzen, wollen sie diese weiterhin beob-
achten. Die SPD fordert hingegen ein erneutes Verbots-
verfahren, obwohl nicht in allen SPD-geführten Bundes-
ländern die Innenminister zum notwendigen Abzug der
V-Leute bereit sind. Dieser Abzug ist jedoch notwendig,
da das Parteienverbot „ein Höchstmaß an Rechtssicher-
heit, Transparenz, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit“
verlangt – so das Bundesverfassungsgericht bei der Ein-
stellung des letzten Verbotsverfahrens 2003. Dies setzt
voraus, dass die „Quellen in den Vorständen einer politi-
schen Partei ,abgeschaltet“ sind.

Damit hat das Verfassungsgericht noch gar keine Aus-
sage darüber getroffen, ob bei der NPD die für ein Verbot
notwendige „aggressiv-kämpferische Haltung“ gegen
die verfassungsmäßige Ordnung vorliegt. Ehrhart Kör-
ting, der sozialdemokratische Innensenator Berlins, hat
im April dieses Jahres festgestellt, die Verfassungswidrig-
keit der NPD auch ohne V-Leute-Einsatz nachweisen zu
können. Daher verwundert es, dass nicht alle Innenminis-
ter der von der SPD geführten Bundesländer ihre V-Män-
ner abziehen wollen. Es passt nicht zusammen, einerseits
auf die besondere Gefahr hinzuweisen, die von der NPD
ausgeht, und andererseits nicht die nötigen Schritte zu ih-
rem Verbot zu unternehmen.

Wie im Fall eines V-Mannes in Ostwestfalen wurde in
letzter Zeit deutlich, dass der Verfassungsschutz nicht nur
in Einzelfällen entgegen seines eigentlichen Auftrages
handelt. Der genannte V-Mann soll sich des Drogenhan-
dels, der Körperverletzung und Verstößen gegen das Waf-
fengesetz schuldig gemacht haben. Er wurde danach von
seinem V-Mann-Führer vor laufenden Ermittlungsmaß-
nahmen gewarnt. Ein weiterer aktueller Fall ist der lau-
fende Prozess gegen die verbotene Neonazi-Gruppe
„Sturm 34“ im sächsischen Mittweida. Dort kam heraus,
dass ein Angeklagter Informant des Staatsschutzes war.
Bisher ist davon auszugehen, dass der Informant schon
bei Gründung der Gruppe für den polizeilichen Staats-
schutz tätig war.

Diese Kumpanei mit einem Kriminellen ist skandalös
und macht die aus diesen Quellen gewonnenen Erkennt-
nisse auch nicht gerade glaubwürdig. Die Aussagen des
ehemaligen V-Manns Wolfgang Frenz beim ersten NPD-
Verbotsverfahren belegen zudem, dass V-Leute generell
nicht im Hintergrund der jeweiligen Gruppe agieren, son-
dern vielmehr eskalierend und radikalisierend auf andere
Mitglieder einwirken. Wolfgang Frenz war von 1962 bis
1995 bezahlter V-Mann bei der NPD und bis in hohe Par-
teiämter aktiv. Eine solche Entwicklung liegt in der Logik
verdeckter Arbeit innerhalb von Parteien, da eine Unter-
wanderung eine aktive Rolle der V-Leute erfordert. Da-
durch wird nichts verhindert, und im Hinblick auf ein
mögliches Parteiverbot ist solche Art der Unterwande-
rung auch kontraproduktiv.

Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren und auch die
aktuellen Fälle aus NRW belegen, dass eine effektive
Kontrolle des Einsatzes von V-Leuten nicht möglich ist.
Die Informationen, die die Bundesregierung durch den
Einsatz von V-Leuten erhält, sind, wie man den Antworten
auf diverse Kleine Anfragen der Linken zum Thema



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
Rechtsextremismus entnehmen kann, durchgängig sehr
dürftig. Die meisten Antifa-Gruppen sind hier offensicht-
lich besser informiert.

Die Linke bleibt daher dabei: Die Spitzel des Verfas-
sungsschutzes müssen sofort aus allen Gremien der NPD
abgezogen werden. Sie tragen nichts zur Aufklärung bei,
sondern sind allzu oft staatlich bezahlte Nazihetzer und
Kriminelle. Statt des Verfassungsschutzes sollte eine aus
öffentlichen Mitteln finanzierte unabhängige Beobach-
tungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Anti-
semitismus geschaffen werden.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616636800

Jeder siebte NPD-Funktionär steht auf der Gehalts-

liste des Verfassungsschutzes! Das wurde im Zusammen-
hang mit dem gescheiterten Verbotsantrag im Jahr 2003
bekannt. Auch heute noch arbeiten viele Spitzel zugleich
für NPD und Verfassungsschutz – und kassieren oft dop-
pelt. Diese Strategie erwies sich vielfach als kontrapro-
duktiv. Es gibt etliche absurde und peinliche Beispiele,
wie Nazispitzel den Verfassungsschutz gezielt an der Nase
herumgeführt haben. Trotz jahrelanger Zusammenarbeit
mit V-Leuten gelang es den staatlichen Stellen nicht, die
NPD nachhaltig zu schwächen und ihren Einfluss zurück-
zudrängen. Im Gegenteil: V-Leute in der Parteiführung
garantieren der NPD stetige Subventionen und sind über-
dies der beste Schutz vor einem Verbotsverfahren. Das
sieht nach einem einseitig guten Geschäft für die Nazi-
partei aus.

Das demokratische Lager muss sich natürlich fragen:
Welchen Nutzen bringt uns der Einsatz von V-Leuten in
den NPD-Führungsetagen? Die Linksfraktion appelliert
in ihrem Antrag pauschal: Keinen Nutzen, es ist höchste
Zeit, alle V-Leute abzuschalten. Dies betrachtet sie als
ersten – und ausreichenden – Schritt für ein neues, dies-
mal erfolgreiches Verbotsverfahren. Und das ist das
wahre Ziel ihres Antrags. Seit jeher plädiert die Linke für
ein schnelles NPD-Verbot als zentrale Maßnahme gegen
Rechtsextremismus. Wir wissen jedoch, dass ein NPD-
Verbot die rechtsextreme Ideologie im Denken vieler
Menschen nicht ändert. Im Gegenteil, es gäbe vielleicht
sogar noch eine Art Märtyrerbonus für Nazikader. Auch
sehen wir die sehr reale Gefahr, dass sich nach einem Ver-
bot aktive NPD-Truppenteile unter anderem Namen neu
formieren oder aus dem Untergrund weiteragieren wür-
den. Darüber muss die Politik sich Gedanken machen,
bevor sie symbolträchtig nach Repressionen ruft. Denn
selbst wenn die NPD verboten würde, ihre Wählerinnen
und Wähler können wir nicht verbieten oder wegsperren.
Sie leben weiter in unserem Land, für das wir Verantwor-
tung tragen. Die zentrale Frage angesichts des wachsen-
den Rechtsextremismus lautet deshalb für mich: Warum
erreicht aktuell die demokratische Politik so viele Men-
schen nicht mehr, und wie können wir das ändern? Diese
Fragestellung lässt der Antrag der Linksfraktion leider
außen vor.

Im Vordergrund der politischen Debatte sollte die Be-
kämpfung des grundlegenden Problems stehen, nicht das
Verbot einer daraus erwachsenen Struktur. Dieses Pro-
blem besteht in der rassistischen, antisemitischen und
Zu Protokoll
neofaschistischen Haltung vieler Bürgerinnen und Bür-
ger. Die Verdrängung der NPD in die Illegalität würde die
Ultrarechten zweifellos strukturell schwächen. Auf Nazi-
ideologie und rechtsextreme Gewalt wäre sie jedoch
keine geeignete Antwort. Auch müsste man mit der Bil-
dung von Nachfolgeorganisationen rechnen. Ein Argu-
ment für ein Verbotsverfahren – und im Vorfeld für den
zwingenden Verzicht auf Informanten – ist die staatliche
Parteienfinanzierung. Mich ärgert es sehr, dass die NPD
davon profitiert. Die Lösung dieses Problems liegt jedoch
nicht in einem Parteiverbot, sondern in der Förderung
der Zivilgesellschaft, damit die NPD gar nicht erst ge-
wählt wird. Starkes Demokratiebewusstsein kann rechts-
extremen Parteien die Basis für ihre menschenverach-
tende Politik entziehen. Demokratische Strukturen
entstehen aber nicht durch Verbote! Wir müssen sie lang-
fristig und quer durch alle Parteien und Gesellschafts-
schichten entwickeln.

Diesen Ansatz vermisse ich im Antrag der Linksfrak-
tion. Stattdessen erhebt er die gern gehörte, symbolpoli-
tische Forderung nach einem NPD-Verbot. „Symbolpoli-
tisch“ nenne ich sie, weil die V-Leute dabei als scheinbar
einziges Hindernis für ein Verbot instrumentalisiert wer-
den. Die Linksfraktion legt nahe, dass einzig die Infor-
manten die Zerschlagung der Nazistrukturen verhindern
würden. Dies ist weder sachlich richtig noch zielführend.
Selbstverständlich verurteilen auch wir die Missstände
bei der Überwachung der NPD durch den Verfassungs-
schutz. Angesichts öffentlicher Skandale sind Skepsis
und Wachsamkeit durchaus angebracht. Es ist höchst
bedauerlich, wie stümperhaft und lasch offenbar ge-
wisse Überwachungen durchgeführt wurden. Wir for-
dern den Verfassungsschutz auf, professioneller zu agie-
ren und Informanten besser auf ihre Eignung zu prüfen.
Es ist abzusichern, dass staatliche Behörden nicht Straf-
taten billigend in Kauf nehmen oder gar unterstützen.
Eine Überwachung, die das Selbstbewusstsein agieren-
der Nazis und die Gefahren durch die NPD nur weiter er-
höht, verfehlt ihr Ziel in fataler Weise.

Sollen wir also sofort alle V-Leute abschalten, wie die
Linke vorschlägt? Unsere Antwort lautet: Nein. Das wäre
nicht realisierbar. Der Staat ist auf Informationen aus
dem NPD-Umfeld angewiesen und zudem verpflichtet,
aus Schutzgründen die Anonymität der V-Leute zu wah-
ren. Das heißt jedoch nicht, alles könne weiterlaufen wie
bisher. Die Überwachung muss viel professioneller ge-
staltet werden. Die zuständigen Gremien auf Bund- und
Länderebene haben ihre Kontrollfunktion gewissenhafter
und konsequenter auszuüben. Erkenntnisse des Verfas-
sungsschutzes müssen kooperativ ausgewertet und sinn-
voll genutzt werden. Leider hat aber die Innenminister-
konferenz großen Nachbesserungsbedarf aufgezeigt. Mit
Steuermitteln gewonnene Informationen wurden zurück-
gehalten. Politikerinnen und Politiker griffen einander
öffentlich an. Von einer abgestimmten Strategie war
nichts zu hören.

Ohne Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte
werden wir aber scheitern. Das gilt für Repression wie für
Prävention! In unserem Land finden fast ständig ir-
gendwo Wahlen statt. Lassen Sie uns mit starken Bündnis-
sen und präventiven Mitteln dafür sorgen, dass die NPD



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Monika Lazar
dabei auf der Verliererseite steht. Dann erübrigt sich die
Debatte um V-Leute und Verbotsverfahren.


Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616636900

Vorab erst einmal ein ernst gemeinter Dank an die

Fraktion der FDP: Die Kleine Anfrage von Anfang Mai
dieses Jahres korrespondiert hervorragend mit dem hier
zu debattierenden Antrag meiner Partei, der Linken. Sie
spült viel Wasser auf die Mühlen derjenigen Demokraten,
denen es ein dringendes Bedürfnis ist, der NPD das – der-
zeit noch vom Staat zwangsläufig mitfinanzierte – Hand-
werk zu legen. Die „Antwort“ der Bundesregierung
scheint hingegen vermeintlich gesetzlich gestützte Stau-
dämme errichten zu wollen. Sie ist schlicht eine Frech-
heit. Nur wird diese Nicht-Antwort das Gegenteil bewir-
ken: Derart substanzlose Mauer-Versuche werden
unweigerlich durch die zu erwartenden Gegenströmun-
gen zu Fall kommen. Auch nicht gegebene Antworten sind
interpretierbare Aussagen. Ende des Jahres 2006, als
meine Partei eine ähnliche Anfrage stellte, war die Bun-
desregierung noch ein klein wenig beredter.

Mich freut es, dass die FDP in Belangen der Bürger-
rechte immer häufiger zu ihren Wurzeln zurückfindet und
– in schier endlosen Zeiten der Opposition – hier wieder
ein halbwegs verlässlicher Partner werden kann. Das
war – im Protokoll bitte fett unterstreichen! – alles andere
als ein Koalitionsangebot.

Dieses Land braucht eine neue Bürgerbewegung:
Otto-Kataloge und Schäuble 2.0 schreien förmlich nach
Opposition. Zu diesem zivilgesellschaftlichen Engage-
ment zählt zwingend das Aufbegehren gegen rechtsextre-
mistische Tendenzen, die sich immer mehr in die Mitte un-
serer Gesellschaft ausbreiten. Alle demokratisch
denkenden Menschen in Deutschland sollten denen auf
die Füße treten, wenn sie mit rassistischen und menschen-
feindlichen Parolen der NPD und der ihr anhängenden
Kameradschaften und Zusammenschlüssen konfrontiert
werden.

Wir brauchen den zivilen Widerstand – die Gesinnung.
Aber wir benötigen auch den Widerstand der Politik und
der Gesetze. Das Bundesverfassungsgericht hat Vorga-
ben für ein Verbot der NPD formuliert. Die Linke – und
jetzt auch die FDP – haben dem auf den Zahn gefühlt. Es
könnte so einfach sein! Und hier benenne ich auch einen
sicherlich nicht ausschlaggebenden Kritikpunkt an dem
Antrag meiner Partei: Der Antrag fordert, alle Spitzel aus
der NPD abzuziehen. Die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts hingegen spricht von den Führungs-
strukturen als Hindernis für ein neues Verbotsverfahren.
Vielleicht ließe sich ja an dieser Stelle ein Kompromiss
finden. Dies böte sich, nach Lektüre des Urteils von 2003,
an.

Es geht um das Ziel: Eigentlich wollen alle demokra-
tisch gesinnten Menschen in dieser Republik, dass den
Volksverhetzern der Rechten Mittel und Wege entzogen
werden, ihre Ideen zu verbreiten. Genau aus diesem
Grund erschließt sich mir nicht, weshalb die Union an
dieser Stelle versucht, diese vermeintlichen Mauern zu
ziehen.
Allerdings überkommt mich gerade die Erinnerung
ans vergangene Jahr: Es ist erschreckend und einer De-
mokratie unwürdig, wenn das Bundesministerium des In-
nern ein erneutes NPD-Verbotsverfahren ablehnt, ob-
wohl es die Partei als „verfassungsfeindlich“ einschätzt.
Es ist zynisch, die NPD als „antidemokratisch“ und „an-
tisemitisch“ einzustufen, sie aber nicht verbieten zu wol-
len, weil man die rechtsextremistische Partei dann nicht
mehr mit „nachrichtendienstlichen Mitteln“ beobachten
lassen könne.

Im Klartext heißt dies: Innenminister Schäuble und
sein treuer Adjutant, Unions-Fraktionsvize Wolfgang
Bosbach, wollen einer verfassungsfeindlichen Partei das
Parteien-Privileg gewähren, um diese weiter durch den
Verfassungsschutz beobachten zu können. Das ist eine
absurde und gefährliche Denkstruktur.

Das erste Verfahren ist 2003 zu Recht daran geschei-
tert, dass sich kaum noch unterscheiden ließ, ob die NPD
von V-Männern oder ihren eigenen Leuten geführt wird.
Es geht also bei einem neuerlichen Anlauf darum, die
Leute des Verfassungsschutzes an verantwortlicher Stelle
im NPD-Parteiapparat abzuschalten. Dann hätte ein Ver-
botsverfahren gegen die rechtsextremistische Partei gute
Chancen auf Erfolg.

Es darf nicht sein, dass der allumfassende Beobach-
tungswahn des Dr. Wolfgang Schäuble und seines Minis-
teriums dazu führt, dass eine verfassungsfeindliche Par-
tei weiterhin mit öffentlichen Geldern ihr Unwesen
treiben kann.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616637000

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9007 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
24. September 2005 zwischen der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland und der Re-
gierung der Vereinigten Arabischen Emirate
über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbe-
reich

– Drucksache 16/9039 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/9343 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Michael Hartmann (Wackernheim)

Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ralf Göbel,
CDU/CSU, Michael Hartmann (Wackernheim), SPD,
Dr. Max Stadler, FDP, Ulla Jelpke, Die Linke, Wolfgang
Wieland, Bündnis 90/Die Grünen.


Ralf Göbel (CDU):
Rede ID: ID1616637100

Der technologische Fortschritt, die kommunikative

Vernetzung und offene Ländergrenzen verändern unsere
Gesellschaft insgesamt und damit auch die Strukturen
und das Bedrohungspotenzial von Kriminellen.

Kehrseite der Globalisierung ist aber auch, dass Kri-
minelle grenzüberschreitend agieren und global vernetzt
sind. Dass auch der Terrorismus schnell an globaler
Reichweite gewinnt, zeigt der „Europol Terrorism and
Trend Report 2007“, den die europäische Polizeibehörde
Europol im März vorgestellt hat. Danach wurden allein
im vergangenen Jahr 200 islamistische Terrorverdäch-
tige in der Europäischen Union festgenommen, darunter
die im Sauerland Verhafteten. Auch der Fall des deut-
schen Islamisten Eric B., der in Pakistan oder Afghanis-
tan vermutet wird und Gesinnungsgenossen per Video-
botschaft im Internet zum Dschihad aufruft, macht
deutlich, dass die Sicherheitsbehörden international en-
ger zusammenarbeiten müssen. Sie müssen ebenso grenz-
überschreitend agieren wie Kriminelle und genauso ver-
netzt sein wie diese.

Was die Zusammenarbeit der nationalen Behörden auf
europäischer Ebene anbelangt, hat sich einiges getan: So
haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
kürzlich darauf geeinigt, den Vertrag von Prüm, den sie-
ben Einzelstaaten zuvor auf völkerrechtlicher Basis ge-
schlossen hatten, in den Rechtsrahmen der Europäischen
Union zu überführen. Dieser ermöglicht unter anderem
verschiedene Formen der polizeilichen Kooperation auf
europäischer Ebene sowie den Informationsaustausch
über Terrorverdächtige. Neben einer verbesserten euro-
päischen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden bei
der Bekämpfung von Kriminalität ist auch die Koopera-
tion auf internationaler Ebene erforderlich, um den ernst-
zunehmenden Gefahren, insbesondere denen des interna-
tionalen Terrorismus, begegnen zu können. Es ist wichtig,
internationale Netzwerke gegen den Terrorismus und die
organisierte Kriminalität auf- und auszubauen.

Neben Interpol und multilaterale Kooperationsinstru-
mente unter Federführung der Vereinten Nationen treten
dabei bilaterale Rechtsinstrumente. Um ein solches han-
delt es sich auch bei dem vorliegenden Abkommen, das
die Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Ara-
bischen Emiraten im Jahr 2005 geschlossen hat. Ziel des-
selben ist es, die Zusammenarbeit der beiden Staaten im
Bereich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
und der grenzüberschreitenden Kriminalität auszubauen
und so die innere Sicherheit in den Vertragsstaaten zu er-
höhen. Gegenstand der Zusammenarbeit sind die Vorbeu-
gung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität,
des Terrorismus, der Rauschgiftkriminalität und anderer
Straftaten von erheblicher Bedeutung, die beispielhaft in
Art. 1 des Abkommens aufgelistet sind. Die Beschränkung
der Zusammenarbeit auf Straftaten mit einer gewissen
Eingriffsintensität gewährleistet, dass der andere Ver-
tragsstaat nicht wegen jeder beliebigen, geringfügigen
Straftat um Amtshilfe ersucht wird. Die aufgelisteten De-
liktsbereiche markieren zugleich die Schwerpunkte der
gemeinsamen Sicherheitspolitik.

Die Formen der Zusammenarbeit der deutschen Be-
hörden mit denen der Vereinigten Arabischen Emirate
sind abschließend in Art. 2 des Abkommens aufgelistet.
Zu ihnen gehört zunächst der Austausch von Informatio-
nen: In der Praxis müssen die Sicherheitsbehörden, um
zeitnah reagieren zu können, schnell über Daten über ver-
dächtige Personen verfügen können. Es muss den Sicher-
heitsbehörden daher möglich sein, einen schnellen Zu-
griff auf die Daten bekommen, die für eine effektive
Gefahrenabwehr und Strafverfolgung unerlässlich sind.
Nur mit möglichst umfassenden Informationen haben wir
eine Chance, Bedrohungen und Gefahren abzuwehren,
bevor es zum Schaden kommt. Deswegen können wir
nicht darauf verzichten, Informationen zu erheben und zu
vernetzen. Dafür brauchen wir effektive Ermittlungs-
instrumente sowie die nationale und internationale
Kooperation der Behörden. Die Mitgliedstaaten haben
sich daher dazu entschlossen, den Austausch von Infor-
mationen als erste Form der Zusammenarbeit im Abkom-
men festzuhalten. Danach tauschen die Vertragsstaaten
Informationen über in den Mitgliedstaaten begangene
oder geplante Straftaten und über kriminelle Organisa-
tionen, deren Strukturen und Verbindungen sowie die Mit-
tel und Methoden ihrer Tätigkeit aus, allerdings unter
dem Vorbehalt, dass dies für die Verhütung und Aufklä-
rung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforder-
lich ist. Damit wird sichergestellt, dass die Behörden die
Informationen erlangen, die für ihre Ermittlungsarbeit
von Bedeutung sind, über die sie aber selbst nicht verfü-
gen.

Des Weiteren sieht das Abkommen den Austausch von
Erfahrungen im Bereich der Rauschgiftkriminalität sowie
von Forschungsergebnissen vor. Hierdurch profitieren
beide Seiten vom jeweiligen Know-how des anderen Staa-
tes.

Als weitere Form der Zusammenarbeit kommt die Ent-
sendung von Verbindungsbeamten in Betracht, sofern Be-
darf besteht. Ferner können Beweismittelmuster geliefert
werden, die aus Straftaten erlangt oder für diese verwen-
det wurden oder werden können. Schließlich besteht die
Befugnis, auf Ersuchen der anderen Vertragspartei und
soweit das Recht der ersuchten Vertragspartei es zulässt,
abgestimmte operative Maßnahmen zur Verhütung und
Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung
durchzuführen.

Zugleich sieht das Abkommen für jede Vertragspartei
die Möglichkeit der Nichterfüllung des Amtshilfeersu-
chens vor. Voraussetzung für ein solches vollständiges
oder teilweises Verweigerungsrecht ist allerdings, dass
die Erfüllung des Ersuchens die Souveränität, die Sicher-
heit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche In-
teressen beeinträchtigen kann oder die Erfüllung des Er-
suchens gegen innerstaatliches Recht verstoßen würde.
Ein Ablehnungsrecht besteht auch dann, wenn das Ersu-
chen eine Handlung betrifft, die nach dem Recht des er-
suchten Staates keine strafbare Handlung darstellt.


(A) (C)



(B) (D)


Ralf Göbel
Deutschland ist nach alledem nicht gezwungen, Infor-
mationen um jeden Preis an die Vereinigten Arabischen
Emirate herauszugeben. Dieses – meiner Meinung nach
unverzichtbare – Abkommen trägt dazu bei, internatio-
nale Sicherheitsnetzwerke auszubauen und derzeit beste-
hende Sicherheitslücken infolge von Informationsdefizi-
ten zu minimieren.

Mit Ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf leisten
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen wichtigen Bei-
trag dazu, dass das Abkommen in nationales Recht umge-
setzt werden kann und für die Bundesrepublik Deutsch-
land Rechtsverbindlichkeit erlangt.


Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1616637200

In einer globalisierten Welt sind auch Terror und orga-

nisierte Kriminalität schon längst keine nationalen Phä-
nomene mehr. Den Netzwerken des Verbrechens sind des-
halb Netzwerke der inneren Sicherheit entgegen zu
stellen. Vor diesem Hintergrund begrüßt die SPD-Frak-
tion ausdrücklich das Abkommen zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Vereinigten Arabischen
Emirate über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich.

Wie mit anderen Staaten auch, so wird nunmehr die
Kooperation mit einem wichtigen arabischen Land auf
ein solides Fundament gestellt. Das ist gut und richtig.
Durch das Gesetz wird – zu dem bereits am 24. September
2005 paraphierten Vertrag – ein weiterer wichtiger Mo-
saikstein zur Befestigung unserer inneren Sicherheit von
uns eingefügt. Dass der arabische Raum besonders, aber
keineswegs nur, beim Kampf gegen den Terror eine wich-
tige Rolle spielt, liegt auf der Hand. Hier die Bande enger
zu knüpfen, liegt also in unserem wohl erwogenen Eigen-
interesse. Dass dabei stets die rechtsstaatlichen Grundla-
gen unserer Verfassung zu wahren sind, versteht sich von
selbst.

Nicht nur der Wissens- und Informationsaustausch
wird dadurch erheblich verbessert, sondern auch der
Austausch und die Mitwirkung von Beobachtern bei ope-
rativen Maßnahmen wird nunmehr stattfinden können.
Das dient der Verbesserung der Präventions- und Repres-
sionsarbeit der Sicherheitsbehörden beider Vertragspar-
teien. Obendrein werden das Verständnis und die Kennt-
nis der Mentalitäten und der Sicherheitskultur in beiden
Staaten erhöht. Der Austausch von Verbindungsbeamten
hilft dabei zusätzlich. Moderne Kriminalität findet zuneh-
mend im und mithilfe des World Wide Web statt. Daher
will ich ausdrücklich loben, dass es gelungen ist, auch
den Kampf gegen Computerkriminalität zu erfassen.

Möge das Gesetz vor allem aber das Vertrauen zwi-
schen zwei Staaten unterschiedlicher Kulturen fördern.
Denn anstatt einen „Clash of civilisations“ herbeizure-
den, wie manche dies allzu leichtfertig tun, geht es auch
hier um die vornehmste Aufgabe von Politik: Vertrauen
schaffen.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1616637300

Heute diskutieren wir hier das Gesetz zur Ratifizierung

des Abkommens vom 24. September 2005 zwischen der
Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Ara-
Zu Protokoll
bischen Emirate. Um es vorwegzunehmen: Wir werden
der Ratifizierung nicht zustimmen.

Erneut ist es die Bedrohung durch den internationalen
Terrorismus, die einen weiteren Eingriff in die Freiheits-
rechte der Bürgerinnen und Bürger rechtfertigen soll.
Schon zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, aber
auch seit der letzten Bundestagswahl und dem damit ver-
bundenen Amtsantritt von Wolfgang Schäuble als Bundes-
innenminister dient die Terrorgefahr als Vorwand für di-
verse Gesetze, die staatliche Überwachung ermöglichen
sollen oder, wie hier, über datenschutzrechtliche Bestim-
mungen schlicht hinweggehen. Ungeachtet mehrerer Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen
festgestellt wurde, dass die Koalition beim „Schutz“ der
Bürgerinnen und Bürger regelmäßig zu weit geht, verfol-
gen Regierung und Koalition ihre fragwürdige Sicher-
heitspolitik unbeirrt weiter. Es scheint mir so, als ob die
Einschränkung von Freiheitsrechten das Einzige ist, wo-
rauf sich die Koalitionsparteien noch einigen können.

Bei dem Abkommen, über dessen Ratifizierung wir
heute zu beraten haben, handelt es sich um einen weiteren
Schritt in Richtung „gläserner Bürger“. So sehr wir Li-
berale internationale Zusammenarbeit unterstützen, so
wenig ändert dies etwas an unserer Haltung gegenüber
diesem Abkommen. Wir sind davon überzeugt, dass die
Probleme in einer globalisierten Welt nicht durch natio-
nale Alleingänge gelöst werden können. Aus diesem
Grund sind vertrauensvolle Beziehungen gerade auch zu
den arabischen Staaten von herausragender Bedeutung.
Gleichwohl können wir bilateralen Abkommen dann
nicht zustimmen, wenn Regelungen enthalten sind, die
wir auch auf nationaler Ebene seit jeher ablehnen.

Mit unserer Zustimmung zu diesem Abkommen durfte
die Bundesregierung schon aufgrund von Art. 10 des Ab-
kommens nicht rechnen. Dass wir die Ausweitung der
Aufnahme biometrischer Daten in Ausweisdokumente ab-
lehnen, ist allseits bekannt. Ebenso problematisch wie
Art. 10 und ein weiterer Schritt in Richtung „gläserner
Bürger“ ist Art. 9 des Abkommens. Dieser bestimmt, dass
die Verwendung persönlicher Daten nicht nur zu den im
Abkommen geregelten Zwecken, sondern auch zur Verfol-
gung „schwerwiegender Straftaten“ und zum Zweck der
Abwehr von „erheblichen Gefahren für die öffentliche Si-
cherheit“ möglich sein soll.

Die Übermittlung und die Verwendung persönlicher
Daten an unbestimmte Rechtsbegriffe zu knüpfen, ist an
sich schon fragwürdig. Der Begriff der „schwerwiegen-
den Straftat“ ist darüber hinaus auch noch besonders
schwammig. Es bedarf also einer Auslegung dieses Be-
griffes. Zu welchem Auslegungsergebnis ein Land wie die
Vereinigten Arabischen Emirate kommen wird, dessen
Rechtssystem sich doch recht stark von unserem unter-
scheidet, ist schwer zu beurteilen.

Allerdings heißt es zum Beispiel auf der Internetseite
der deutschen Botschaft Abu Dhabi in einer Warnung für
Besucher der Emirate:

Drogenbesitz auch in kleinsten Mengen und unter
Umständen auch im Körper nachweisbarer kurz zu-
rückliegender Drogenkonsum werden strengstens



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Stadler
verfolgt und ziehen in der Regel die Verurteilung zu
einer Gefängnisstrafe nicht unter 4 Jahren nach
sich.

Gleichlautende Hinweise finden sich auch auf der
Homepage des Auswärtigen Amtes. – Ist eine Handlung,
die eine Strafe von mindestens vier Jahren Gefängnis
nach sich zieht eine schwerwiegende Straftat?

Es ist unserer Auffassung nach nicht auszuschließen,
dass Daten, die im Sinne des Abkommens rechtmäßig
übermittelt werden, anschließend zur Verfolgung von
„schwerwiegenden Straftaten“ im Sinn des „innerstaat-
lichen Rechts der jeweiligen Vertragspartei“ genutzt wer-
den. Denn genau danach soll sich die Verwendung der
übermittelten Daten richten. Für mich stellt sich daher
die Frage, warum dieser Begriff der „schwerwiegenden
Straftat“ gewählt wurde. Warum hat man sich stattdessen
nicht auf einen Straftatenkatalog geeinigt und die Ver-
wendung und die Übermittlung an die Aufklärung einer
solchen Katalogtat gebunden?

Auch der andere unbestimmte Rechtsbegriff wirft ei-
nige Fragen auf. Wann liegt denn eine „erhebliche Ge-
fahr für die öffentliche Sicherheit“ vor? Terrorismus al-
lein kann nicht gemeint sein, da dessen Verhütung bereits
Zweck des Abkommens ist. Art. 9 Nr. 3 Satz 2 soll gerade
eine darüber hinausgehende Verwendung ermöglichen.

Im Ergebnis wird durch dieses Abkommen einer will-
kürlichen Verwendung persönlicher Daten Tür und Tor
geöffnet.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616637400

Bei dem, was die Bundesregierung unter der Bekämp-

fung des Terrorismus versteht, wird leider in aller Regel
der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Das gilt auch
für die Vereinigten Arabischen Emirate, die uns von der
Bundesregierung hier als glaubwürdiger Akteur in Sa-
chen Menschenrechte verkauft werden. Doch das ist der
reine Hohn. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herr-
en: Lesen Sie den Länderbericht von Amnesty Internatio-
nal, und dann denken Sie noch einmal darüber nach, mit
wem Sie hier in aller Freundschaft Abkommen über poli-
zeiliche Zusammenarbeit schließen wollen.

Denn die Menschenrechte werden dort regelrecht mit
Füßen getreten. Der dortige Inlandsgeheimdienst ist be-
rüchtigt dafür, Menschen in Haft zu nehmen, weil sie an-
geblich Islamisten sein sollen, oder auch nur, weil sie es
wagen, politische Reformen zu fordern. Eine Anklageer-
hebung hält man für unnötig. Die Betroffenen bleiben mo-
natelang in sogenannter incomunicado-Haft, das heißt
ohne dass ihnen irgendein Kontakt zur Außenwelt ge-
währt wird. Manche Menschen „verschwinden“ einfach.
Die Todesstrafe wird verhängt, und grausame und ernied-
rigende Körperstrafen wie Auspeitschungen sind dort
keine Seltenheit. Wir wissen außerdem, dass in diesem
Land Homosexualität als sogenannte unzüchtige Hand-
lung verboten und unter Strafe gestellt ist.

Mit einem Wort: Die Vereinigten Arabischen Emirate
gehören mit zu den Staaten, die man nur als Menschen-
rechtsverletzer beschreiben kann. Und mit dessen Behör-
den sollen jetzt nach dem Willen der Bundesregierung po-
Zu Protokoll
lizeiliche Erkenntnisse ausgetauscht werden. Beruhigend
heißt es in dem Dokument, dass beide Seiten strikt auf Er-
forderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu achten hätten.
Doch von solchen Zusicherungen lässt sich Die Linke
nicht einlullen.

Denn wer kann garantieren, was mit diesen Daten pas-
siert? Wer von Ihnen legt seine Hand dafür ins Feuer,
dass die Behörden der Arabischen Emirate tatsächlich
„verhältnismäßig“ vorgehen?

Jeder, der in den Emiraten, sei es zu Recht oder auch
zu Unrecht, schwerer oder auch minder schwerer Strafta-
ten beschuldigt wird, muss damit rechnen, eingesperrt
und geschlagen zu werden oder zu verschwinden. Die
Vorstellung, dass das mit Hilfe deutscher Behörden pas-
siert, die ihren arabischen Kollegen erst die notwendigen
Informationen liefern, ist doch reiner Horror.

Wir wissen ja, dass die Bundesregierung eine emsige
Zusammenarbeit mit Folterregimen praktiziert, auch im
Militär- und Polizeibereich. Um Menschenrechte, um
Frieden und die Eindämmung illegitimer Gewalt geht es
dabei kaum, vielmehr geht es um machtpolitische Interes-
sen. Das fängt an bei den wichtigsten NATO-Verbünde-
ten, die mit ihrer Politik der weltweiten Angriffskriege
und Folterlager oftmals Gegengewalt erst hervorrufen.
Doch daran mag bis auf die Fraktion Die Linke ja keine
Fraktion in diesem Haus erinnert werden.

Abkommen mit menschenrechtsfeindlichen Staaten be-
gründet die Bundesregierung gerne damit, sie könnten
dabei helfen, eine grund- und menschenrechtsorientierte
Sicherheitspolitik zu etablieren. Ein Beispiel hierfür hat
sie allerdings bisher nicht vorgelegt. Würde sie ihre ei-
gene Begründung wenigstens selbst ernst nehmen, hätte
sie ja versuchen können, für das Gesetzgebungswerk
Menschenrechtsorganisationen zu Rate zu ziehen. Das ist
nicht geschehen.

Noch ein letzter Hinweis: Wie so oft vermischt die Bun-
desregierung auch hier Terrorismus und illegalisierte Mi-
gration. Sie will Menschen daran hindern, ohne staatli-
che Erlaubnis nach Europa zu kommen, ohne sich für
Fluchtgründe und Situation dieser Menschen zu interes-
sieren. Statt dessen wirft sie sie einfach in einen Topf mit
angeblichen Terroristen. Das ist inhuman, das ist unsach-
lich.

Die Fraktion Die Linke fordert eine an Menschenrech-
ten orientierte Außenpolitik. Davon kann im Zusammen-
hang mit diesem Abkommen keine Rede sein. Wir lehnen
den Gesetzentwurf daher ab.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616637500

Wir haben heute schon über ein Abkommen zwischen

der Bundesrepublik und den USA debattiert. Da haben
wir gesehen, was man bei einem solchen Abkommen alles
falsch machen kann. Das nun vorliegende Abkommen mit
den Vereinigten Arabischen Emiraten ist ähnlich gela-
gert, aber handwerklich besser und wesentlich weniger
bedenklich als das Übereinkommen mit den USA. Aber
auch in diesem Fall bleiben Probleme, die uns eine Zu-
stimmung nicht möglich machen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
Zu begrüßen sind die klareren Antworten auf die Fra-
gen: Wer? Was? Warum? Das Abkommen zählt explizit
auf, welche Stellen die Kooperation abwickeln. Es können
also nicht durch die Hintertür neue Zuständigkeiten für
andere Behörden geschaffen werden. Es herrscht auch
weitgehende Klarheit über die Straftaten, bei denen das
Abkommen zum Tragen kommen kann. Die Liste ist zu
lang geraten. Es stellt sich schon die Frage, ob die Kfz-
Kriminalität – vulgo: Autoklau – zwischen Deutschland
und Dubai ein wirklich dringliches Problem ist. „Eigen-
tumskriminalität“ ist ebenfalls eine zu umfassende Kate-
gorie, um einen – notorisch schwer zu kontrollierenden –
Datenaustausch mit einem anderen Land immer zu recht-
fertigen. Es gibt aber auch in diesem Abkommen den un-
definierten Begriff „Terrorismus“, bei dem man befürch-
ten muss, dass er in einer freiheitlichen Demokratie doch
anders definiert ist als in einem Emirat.

Aber immerhin wird deutlich geregelt, dass der Infor-
mationsaustausch nur dann stattfindet, soweit dies für die
Verhinderung und Aufklärung von Straftaten von erhebli-
cher Bedeutung erforderlich ist. Die Art und die Menge
der übermittelten Daten sind nach den Standards des
nationalen Rechts und nach der Verhältnismäßigkeit zu
bestimmen. „Erheblich“, „erforderlich“ und vor allem
„verhältnismäßig“ sind Worte, die man auch bei anderen
innenpolitischen Projekten dieser Bundesregierung gerne
öfter lesen würde.

Der Datenaustausch ist also beschränkt. Es wird – so-
weit das geht – die Einhaltung der eigenen Datenschutz-
standards festgeschrieben und die Verwendung für an-
dere Zwecke so eng limitiert wie nur möglich. Das löst
natürlich nicht das Problem, dass man Daten nicht mehr
wirksam kontrollieren kann, wenn sie den eigenen Ho-
heitsbereich verlassen haben. Aber es setzt ein Signal und
eine Grenze, und es muss sich rechtfertigen, wer diese
Grenze überschreitet.

Auch das Recht der Betroffenen wurde berücksichtigt.
Sie können nach den Gesetzen ihres Heimatlandes Aus-
kunft über die über sie gespeicherten Daten und den Ver-
wendungszweck erhalten. Das ist nicht perfekt; aber im
Gegensatz zu dem Abkommen mit den USA wird hier
deutlich, dass die Betroffenen als Menschen mit schüt-
zenswerten Rechten und nicht ausschließlich als Ver-
dachtsmomentslieferanten betrachtet werden.

Bis hierhin also Licht und Schatten, wobei das Licht
vor allem relativ ist – neben dem durch und durch ver-
schatteten Abkommen, das der Bundesinnenminister mit
den USA ausgehandelt hat, glänzt dieser Text.

Zum Ende aber zwei klare Kritikpunkte. Da gibt es
Art. 10, der – löblich und sinnvoll – die Einführung fäl-
schungssicherer Reisedokumente fordert. Weniger erfreu-
lich ist die Verpflichtung zur Einführung biometrischer
Merkmale in diesen Papieren. Da liest sich dieses noch
von Otto Schily ausgehandelte Abkommen, mit Verlaub,
eher wie eine Exportwerbung für deutsche Produkte.

Das größte Bedenken ergibt sich aber aus dem Ver-
tragspartner. Auch wenn es in letzten Jahren Fortschritte
gegeben hat, bleiben die Emirate ein bestenfalls vorde-
mokratischer Staat, in dem rechtsstaatliche Ansätze von
Entscheidungen nach der Scharia überlagert werden. Es
gibt immer wieder Berichte über Folter in den Emiraten.

So wünschenswert es ist, für die Bekämpfung des isla-
mistischen Terrorismus Partner zu gewinnen, gerade
auch im arabischen Raum: Es fragt sich, ob angesichts
des Umgangs mit politischer Opposition tatsächlich nur
der Extremismus bekämpft wird, den auch wir bekämp-
fen, oder ob eben nicht auch demokratisch orientierte Be-
wegungen als Terroristen verunglimpft und verfolgt wer-
den. Solange das nicht sicher zu sagen ist, sollte man sich
nicht der Gefahr aussetzen, unwillentlich dazu Beihilfe zu
leisten. Insofern können wir nur hoffen, dass die Bundes-
regierung bei der Umsetzung dieses Abkommens entge-
gen ihren sonstigen Gewohnheiten einmal vorsichtig und
umsichtig mit sensiblen Daten umgeht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616637600

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/9343, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/9039 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und FDP und
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler,
Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Humanitäre Standards bei Rückführungen
achten

– Drucksachen 16/4851, 16/7347 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Hans-Wer-
ner Kammer, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid
Wolff (Rems-Murr), FDP, Ulla Jelpke, Die Linke, Josef
Philip Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.


Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1616637700

Was ist flüssiger als flüssig? Überflüssig. Diese Be-

schreibung passt sehr gut auf den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen „Humanitäre Standards bei
Rückführungen achten“. Erstens: Deutschland hält be-
reits aufgrund der internationalen Abkommen, ich ver-
weise hier auf die Europäische Menschenrechtskonven-
tion, derartige Standards ein. Es ist doch eine
Selbstverständlichkeit, dass Deutschland bei Rückfüh-


(A) (C)



(B) (D)


Hans-Werner Kammer
rungen die humanitären Grundsätze und die Menschen-
rechte achtet.

Insofern sollten wir nicht noch eine Reihe von generel-
len Abschiebeerschwernissen einführen, die Drittstaats-
angehörigen zu leichte Möglichkeiten bieten, der Ab-
schiebung zu entgehen. Ich betone ausdrücklich, dass ich
niemanden mit pauschalen Verdächtigungen belegen
will, aber wir dürfen die Augen nicht vor dem Faktum
verschließen, dass es auch Menschen gibt, die Möglich-
keiten, einer Abschiebung zu entgehen, missbrauchen.
Insbesondere der absolute Abschiebestopp für Traumati-
sierte, den die Grünen in ihrem Antrag fordern, führt ja
schon jetzt bei Rückführungen zu einem erheblichen
Missbrauch. Mit dem Hinweis auf eine Traumatisierung
haben viele Personen, insbesondere Frauen, versucht, ei-
ner Abschiebung zu entgehen. Wundersamerweise war in
vielen Fällen bei Rückführung in das Heimatland eine
medizinische Hilfestellung nicht mehr erforderlich. Ge-
rade wenn es weitere bzw. andere Gründe für eine Ab-
schiebung gibt, darf ein Drittstaatsangehöriger sich nicht
hinter einer Traumatisierung verstecken. Ich möchte hier
niemanden unter einen Generalverdacht stellen, aber
umso wichtiger ist an dieser Stelle die Einzelfallprüfung.
An dieser Stelle genießt das Bundesamt für Flüchtlinge
und Migration mein vollstes Vertrauen.

Die Einführung künstlicher Abschiebehindernisse
halte ich zudem für kontraproduktiv. Sobald wir die
Schwelle für Abschiebungen und den Kreis der schutzbe-
dürftigen Personen erweitern, helfen wir vor allem den
Schleuserbanden, die Menschen um ihr Hab und Gut in
der Heimat bringen, indem sie mit immer mehr Verspre-
chen die Menschen hierher schleusen und ihre Notsitua-
tion schamlos ausbeuten. Es kann nun wirklich keiner
wollen, dass wir mit immer mehr künstlichen Abschiebe-
hindernissen neue Anreize für Schleuserbanden schaffen.

Jeder, der aus berechtigten Gründen nicht abgescho-
ben werden kann, wird auch in Deutschland nicht abge-
schoben. Das ist in Deutschland und in Europa Standard,
auch ohne Ihren Antrag.

Angestoßen durch die deutsche EU-Ratspräsident-
schaft, hat zudem die portugiesische Ratspräsidentschaft
einen entsprechenden Richtlinienentwurf neu initiiert.
Nach mehrjährigen Verhandlungen haben sich die EU-
Innenminister heute auf gemeinsame Regelungen zur Ab-
schiebung verständigt. Mit dieser Einigung sind wir ei-
nen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen
europäischen Migrationspolitik gegangen. In einem
Europa ohne Grenzen muss es auch eine einheitliche Mi-
grationspolitik geben. Erst durch einheitliche Standards
können wir auch die Bedingungen der Menschen, die un-
ter unmenschlichen Bedingungen hier zum Teil ein Skla-
vendasein führen, verbessern. Dazu gehört zum Beispiel,
dass die EU-Kommission künftig die Haftbedingungen
kontrollieren kann und so einheitliche Standards gewähr-
leistet werden können. Ich bin mir in diesem Zusammen-
hang sicher, dass es in Deutschland relativ wenig Verbes-
serungsbedarf gibt.

Zudem begrüße ich es ausdrücklich, dass Wiederein-
reiseverbote, die in den einzelnen Mitgliedstaaten ver-
Zu Protokoll
hängt wurden, dann EU-weit gelten werden. So ist eine ef-
fektive Bekämpfung von Schleuserbanden und anderen
kriminellen Aktivitäten erst möglich.

Ich bin zudem erfreut, dass sich die EU-Innenminister-
konferenz heute in Luxemburg auf eine Begrenzung der
Abschiebehaft auf 18 Monate geeinigt hat, also so, wie es
bisher in Deutschland schon gesetzlich geregelt ist. Tat-
sächlich ist es so, dass die durchschnittliche Haftdauer in
Deutschland weit darunter liegt.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die im In-
nenausschuss und auch hier bereits geführte Diskussion
um die Abschiebehaft eingehen. Während die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag die Abschiebehaft
als letztes Mittel anerkennen, schießt in dieser Diskussion
mal wieder die SED-Nachfolgepartei Die Linke den Vogel
ab, indem sie eine generelle Abschaffung der Abschiebe-
haft fordert. Dass gerade Sie nach über 40 Jahren Re-
pression gegen das eigene Volk an dieser Stelle mit huma-
nitären Argumenten kommen, ist schon ein Hohn. Und
wir haben in der vergangenen Woche in diesem Hause ja
wieder erleben dürfen, wer schon Hand in Hand mit dem
Unrechtssystem DDR gearbeitet hat, Ihr Fraktionsvorsit-
zender, Herr Gysi. Dass Herr Gysi nur einer von vielen in
der Partei Die Linke ist, die das System unterstützt haben,
ist keine Neuigkeit. Bei vielen Gelegenheiten dokumentie-
ren Sie immer wieder Ihre Nähe zu den Erfüllungsgehil-
fen des Systems. Wer Leute in seinen Reihen duldet, die
Bautzen mitzuverantworten haben, der sollte eine De-
batte um humanitäre Haftbedingungen mit mehr Augen-
maß führen.

Es gibt übrigens ein effektives Mittel, die Abschiebe-
haft zu verhindern: nämlich die freiwillige Ausreise bei
angeordneter Abschiebung. Darüber hinaus kommen
auch nur die Personen in Abschiebehaft, die nicht glaub-
würdig versichern können, dass sie sich der Abschiebung
in irgendeiner Form entziehen können. Nur in solchen
Fällen ist eine Abschiebehaft vorbehaltlich des richterli-
chen Einverständnisses vorgesehen. Ich erlaube mir in
dem Zusammenhang den Hinweis, dass es sich bei der il-
legalen Einreise immer noch um einen Straftatbestand
handelt.

Die CDU/CSU-Fraktion lehnt nicht nur vor dem Hin-
tergrund der heute getroffenen Einigung, die noch der Zu-
stimmung des EU-Parlamentes bedarf, den Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen ab. Wir halten Ihren Antrag auch
im Hinblick auf die Abschiebehindernisse für kontrapro-
duktiv. Gerade mit der Einführung der Traumatisierung
führen Sie eine sehr undifferenzierte Bedingung zur Ver-
hinderung einer Abschiebung ein, die möglicherweise ei-
ner missbräuchlichen Nutzung Tür und Tor öffnet. Ferner
halten wir in Deutschland die humanitären Standards in
den Haftanstalten ein. Und es ist in Deutschland eine
Selbstverständlichkeit, dass Rückführungen aus Deutsch-
land unter Einhaltung des Menschenrechtes und rechts-
staatlicher Gesichtspunkte vollzogen werden.

Zum Schluss möchte ich mich noch bei Herrn Staats-
sekretär Altmaier dafür bedanken, dass die verhandelte
EU-Rückführungsrichtlinie in vielen Teilen die Hand-
schrift der CDU trägt.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1616637800

Der Antrag, den wir heute diskutieren, fordert die Ein-

haltung menschenrechtlicher Normen bei Rückführun-
gen. Dass dieses Anliegen als solches meine Unterstüt-
zung findet, wird Sie nicht überraschen. Die Achtung der
Menschenrechte auch gegenüber denen, denen ein Auf-
enthaltsrecht in Europa versagt wird, muss für uns als In-
nenpolitiker und Europäer eine Selbstverständlichkeit
sein. Ich zitiere aus dem Haager Programm: „Der Euro-
päische Rat fordert zur Festlegung einer wirksamen
Rückkehr- und Rückübernahmepolitik auf, die auf ge-
meinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die
betreffenden Personen auf humane Weise und unter voll-
ständiger Achtung ihrer Menschenrechte und Würde zu-
rückgeführt werden.“ Doch Anspruch und Wirklichkeit
sind nicht immer leicht zu vereinen. Im Ringen um euro-
päische Kompromisse muss sich der menschenrechtliche
Anspruch immer wieder gegen Einzelinteressen aus ins-
gesamt 27 Mitgliedstaaten durchsetzen, die oft genug von
nationalen, auf Abwehr gerichteten Prinzipien geleitet
sind. So kann es nicht erstaunen, dass auch die Diskus-
sionen über die Rückführungsrichtlinie von heftigsten
Kontroversen begleitet sind. Diese haben den Anlass ge-
geben, dass sich die slowenische Ratspräsidentschaft um
Kompromissgespräche bemüht hat.

Nun haben sich der Berichterstatter und die sloweni-
sche Ratspräsidentschaft am 23. April 2008 auf einen
Kompromiss einigen können. Die aktuelle Fassung der
Richtlinie nach diesem Kompromiss liegt mir noch nicht
vor. Ich muss mich daher auf Angaben unserer Kollegin-
nen und Kollegen aus Brüssel verlassen. Sie deuten da-
rauf hin, dass einige Verbesserungen erreicht werden
konnten, aber kritische Punkte bestehen bleiben. Lassen
Sie mich beispielhaft drei Aspekte aufgreifen. Die Höchst-
dauer der Abschiebehaft wurde auf maximal sechs Mo-
nate, in Ausnahmefällen auf bis zu 18 Monate festgesetzt.
Dabei muss die Haft in vernünftigen Abständen überprüft
werden. Leider aber fehlt es an einer genaueren zeitlichen
Einschränkung, wann die Haftprüfung erfolgt. Die frei-
willige Ausreise soll die Regel darstellen. Nach Prüfung
des Einzelfalls soll eine Frist zwischen sieben und 30 Ta-
gen festgesetzt werden. Zwar sind die Mitgliedstaaten
verpflichtet, die Betroffenen über diese Möglichkeit zu
informieren, gleichwohl ist die Frist nicht nur kurz be-
messen, sondern soll zudem nur auf Antrag eingeräumt
werden. Zuletzt sollen Mitgliedstaaten bei Abschiebungs-
anordnungen ein Wiedereinreiseverbot verhängen, das
bis zu fünf Jahre betragen kann. Dies wurde von vielen
Seiten als zu lang kritisiert.

All dies wird nur vor dem Hintergrund verständlich,
dass die bisherigen innerstaatlichen Standards in den
Mitgliedstaaten stark auseinandergehen. Während die
Inhaftierung in Zypern und Frankreich auf höchstens ei-
nen Monat begrenzt ist, ist sie in immerhin acht europäi-
schen Staaten zeitlich unbegrenzt möglich. Während die
freiwillige Ausreisefrist in Deutschland bis zu sechs Mo-
nate betragen kann, kennen mehrere europäische Staaten
gar keine Frist, sondern nur die sofortige Ausreise. Wäh-
rend in mehreren Mitgliedstaaten – je nach Fallkonstel-
lation – eine Wiedereinreise bereits nach einem Jahr wie-
der möglich sein kann, kann in anderen, hierunter auch
Zu Protokoll
Deutschland, dem Gesetz nach theoretisch ein unbegrenz-
tes Wiedereinreiseverbot verhängt werden. Insbesondere
das Beispiel der Abschiebehaft führt zur entscheidenden
Frage: Soll man einem im Detail kritikwürdigen Kompro-
miss zustimmen, um wenigstens minimale Garantien zu
erreichen, wo in manchen Mitgliedstaaten gar keine be-
stehen?

Dies ist die Frage, die unsere Kolleginnen und Kolle-
gen im Europäischen Parlament derzeit umtreibt. Uns im
Deutschen Bundestag sollte der Austausch mit eben die-
sen Kolleginnen und Kollegen umtreiben, um das Er-
reichte zu würdigen, aber auch die verbleibenden Kritik-
punkte zu erkennen. Und eben diese führen uns zu der
Aufgabe, die vor uns liegt: Wo wir mit dem Kompromiss
nicht einverstanden sind, müssen wir unsere nationalen
Regelungen mit ihm vergleichen und überprüfen, ob wir
an günstigeren Regelungen – so etwa im Bereich der Frist
für die freiwillige Ausreise – festhalten oder gar neue
schaffen möchten. Denn wie immer im Bereich des euro-
päischen Asylrechtes gilt: Es steht den Mitgliedstaaten
frei, innerstaatlich günstigere Bestimmungen zu schaffen.
Mit dem Zuwanderungsgesetz haben wir zumindest im
Bereich der geschlechtsspezifischen Verfolgung ein Bei-
spiel dafür gegeben. In § 60 Abs. 1 Satz 3 Aufenthaltsge-
setz haben wir die Regelung getroffen, dass eine Verfol-
gung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn sie allein an das
Geschlecht anknüpft. Die Qualifikationsrichtlinie sieht
hier in Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d Satz 3 zweiter Halbsatz
eine deutliche Einschränkung vor. Hiernach können ge-
schlechterbezogene Aspekte berücksichtigt werden,
rechtfertigen aber für sich allein genommen noch nicht
die Annahme, dass dieser Artikel anwendbar ist.

Wegen weiterer Einzelheiten zum vorliegenden An-
tragstext verweise ich auf die Rede, die ich im Rahmen
der ersten Lesung am 29. März 2007 gehalten habe. Ich
möchte daher mit folgendem Appell schließen: Lassen Sie
uns die europäische Diskussion als einen Prüfauftrag im
eben genannten Sinne verstehen. Diesen allerdings müs-
sen wir auf Grundlage der aktuellen Verhandlungsergeb-
nisse umsetzen. Der heute diskutierte Antrag hingegen
wendet sich noch an die deutsche Ratspräsidentschaft,
die bekanntlich vorbei ist, und greift den aktuellen Ver-
handlungsstand nicht auf. Aus diesem Grund ist er trotz
richtigen Grundanliegens abzulehnen.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Der Umgang mit illegal sich in Deutschland auf-

haltenden Menschen betrifft durchaus auch das Selbst-
verständnis einer freiheitlichen Gesellschaft und die
grundsätzlichen Fragen der Durchsetzung unserer
rechtsstaatlichen Ordnung. Natürlich gilt auch aus libe-
raler Sicht, dass mit dem Instrument der Abschiebehaft
sehr behutsam umgegangen werden muss. Es gibt eine
ganze Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten, die umge-
setzt werden müssen. Grundsätzlich halten wir die Ab-
schiebehaft für durchaus gerechtfertigt und in manchen
Fällen auch für unumgänglich.

Die Grünen benennen konkrete Probleme in ihrem An-
trag und zeigen einige Lösungsvorschläge auf. Das ist



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, was für
Wünsch-dir-was-Kataloge zu dieser Thematik hier von
manchen vorgelegt werden. Doch auch die Grünen be-
leuchten in ihrem Antrag – vielleicht nicht unbeabsichtigt –
nur Teilaspekte und übersehen den Gesamtzusammen-
hang.

Natürlich sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, um
Hindernisse für die Abschiebepraxis zu errichten. So ist
die Forderung der Grünen, die Abschiebehaft dürfe kei-
nesfalls die Dauer von sechs Monaten überschreiten,
wohlfeil. Schnelle Entscheidungen schaffen Klarheit für
alle. Leider haben die Grünen keine Vorschläge gemacht,
wie die Abschiebeverfahren beschleunigt werden können.
Bereits im Koalitionsvertrag 1998 hatten die Grünen un-
terschrieben, die Praxis der „Abschiebehaft im Licht der
Verhältnismäßigkeit zu prüfen“. Sie hatten doch sieben
Jahre Zeit dazu, das zu tun und es besser zu machen. Was
ist denn daraus geworden?

Wir stimmen den Grünen aber zu, wenn sie in ihrer An-
tragsbegründung auf die drei essenziellen Aspekte hin-
weisen, die die EU-Kommission beschlossen hat. Dem-
nach müssen das Primat der freiwilligen Rückkehr
gestärkt, verfahrensrechtliche Mindestgarantien gesi-
chert und die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Aller-
dings vermittelt auch der vorliegende Grünen-Antrag den
Eindruck, schön klingende Forderungen nicht bis in die
letzte Konsequenz durchdacht zu haben – oder diese nicht
offensichtlichen Konsequenzen letztlich sogar zu wün-
schen. Wer unbegleitete Minderjährige, Behinderte, Alte
und Schwangere insgesamt von Abschiebung vollständig
ausnehmen will, sagt letztendlich: Ihr dürft illegal einrei-
sen – ist zwar nicht erlaubt, aber wir machen nichts da-
gegen! Organisierte kriminelle Schleuser könnten so zu
einer „Spezialisierung“ neigen, wenn absolute Regelun-
gen in dieser Form geschaffen werden. Wer auf Abschie-
bung verzichtet, sagt: Ihr könnt zuwandern. Das ist ein
weitgehendes Aushöhlen unserer zuwanderungsrechtli-
chen Regeln.

Ich halte nichts davon, mit humanitär klingenden For-
derungen grundsätzlich den Vollzug des deutschen Aus-
länderrechts zu untergraben. Wir sollten gemeinsam ein
rationales Verfahren entwickeln, das festlegt, wie viele
Menschen hier derzeit integrierbar sind, welche nach
wirtschaftlichem Bedarf, etwa gemäß dem von der FDP
vorgeschlagenen Punktesystem, zuwandern dürfen und
welche Zuwanderer wir aus humanitären Gründen auf-
nehmen wollen. Gerade im letzten Punkt müssen wir das
Individuum achten. Das ist ehrlicher, als immer wieder
neue Anläufe zu nehmen, illegalen Migranten die ohnehin
schon nicht recht dichten Türen zur Zuwanderung weiter
zu öffnen.

Unter den Lösungsangeboten der Grünen für die
Sicherstellung humaner Standards bei Rückführungen
überwiegt leider die weitgehende Erschwerung oder der
generelle Verzicht auf Abschiebungen. Damit ist nieman-
dem gedient, insbesondere den Menschen nicht, die legal
und unter Beachtung der Gesetze der Bundesrepublik
Deutschland hierher eingewandert sind und sich recht-
mäßig im Lande aufhalten. Eine individuelle Bewertung
ist notwendig. Institutionalisierte und automatische
Zu Protokoll
Nachsicht mit denen, die sich nicht an unsere Rechtsord-
nung halten, kann das Ansehen aller Zuwanderer beein-
trächtigen und die Rechtstreue im Alltag aushöhlen. Auch
deswegen bleibt die Abschiebehaft ein letztes, aber legi-
times Mittel, den Abschiebevollzug sicherzustellen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616637900

Die Fraktion der Grünen legt heute einen Antrag zur

Abstimmung vor, für den es eigentlich schon zu spät ist.
Denn just heute hat das Europäische Parlament den Ent-
wurf der so genannten Abschiebe-Richtlinie angenom-
men, der leider von den hier geforderten Standards weit
entfernt ist. Beispielsweise soll nun EU-weit eine Ab-
schiebehaft von bis zu 18 Monaten möglich sein.

Schlimmer noch: Nach der ersten Debatte über diesen
Antrag vor über einem Jahr hat die Koalition von Union
und SPD noch weitere Verschärfungen bei der Abschie-
behaft vorgenommen. Sie wurde erstens ergänzt um die
Durchbeförderungshaft für Überstellungen im Rahmen
der Dublin-Verfahren. Zweitens wurde für den sogenann-
ten Transitgewahrsam in Flughäfen eine 30-Tage-Frist
eingeführt, nach der dieser Gewahrsam überprüft werden
muss. Damit wurde diese Form der Inhaftierung über-
haupt erst mal reglementiert. Aber der eigentliche Skan-
dal, dass man Menschen am Flughafen festhält, ohne sie
einreisen zu lassen, der ist geblieben. Den größten
Klopper hat sich die Koalition aber mit der Inhaftie-
rungsbefugnis für die Ausländerbehörden geleistet. Die
Ausländerbehörde wird nach über 40 Jahren wieder zur
Fremdenpolizei. Sachbearbeiter ohne jede juristische Be-
fähigung können Menschen in Haft nehmen lassen, weil
sie glauben, dass diese sich einer Abschiebung entziehen
könnten. Erst im Anschluss muss ein Richter darüber ent-
scheiden.

Das ist aber auch keine ausreichende Sicherung gegen
eine fehlerhafte Einweisung in Abschiebehaft. Mehrere
Untersuchungen belegen, dass Urteile von Amtsgerichten
zur Verfügung von Abschiebehaft oft fehlerhaft sind. Aber
den Betroffenen werden systematisch die Mittel verwei-
gert, sich dagegen juristisch zur Wehr setzen zu können.
Mit der nun von der Koalition in die Wege geleiteten Re-
form der Freiwilligen Gerichtsbarkeit wurde der Rechts-
schutz ausgehebelt, indem die Berufungsmöglichkeiten
faktisch abgeschafft wurden und den Betroffenen der Weg
zum Oberlandesgericht versperrt bleibt.

Und es muss auch noch einmal darauf hingewiesen
werden, dass mindestens ein Drittel der Abschiebehäft-
linge entlassen wird, ohne abgeschoben zu werden. In
diesen Fällen ist die Abschiebehaft ganz klar rechtswid-
rig und mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar.
In einem Rechtsstaat gilt die Zweckbindung von Geset-
zen. Die Abschiebehaft gilt der Durchsetzung der Ab-
schiebung. Offensichtlich werden aber Menschen in Ab-
schiebehaft genommen, obwohl man gar nicht weiß, ob es
überhaupt zu einer erfolgreichen Abschiebung kommt.
Das ist ganz klar ein willkürliches Verhalten der Behör-
den!

Abschiebehaft wird mehr und mehr als Druckmittel
der Ausländerbehörden eingesetzt. Mit der Länge der Ab-
schiebehaft steigt der Anreiz für die Behördenmitarbeiter,



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
diese als Druckmittel einzusetzen. Und zwar gerade ge-
gen Menschen ohne Passpapiere, die damit zur Koopera-
tion bei der Passbeschaffung gezwungen werden sollen.

Ich will am Schluss noch auf zwei ganz dunkle Kapitel
der deutschen Abschiebehaft zu sprechen kommen. Man
kann nicht oft genug daran erinnern, dass zwischen 1993
und 2006 50 Menschen in deutschen Abschiebegefäng-
nissen infolge von Hungerstreik oder Selbstmordversu-
chen ums Leben gekommen sind. 399 Abschiebehäftlinge
haben sich in dieser Zeit beim Versuch, sich umzubringen,
ernsthaft verletzt. Das zeigt, in welche Verzweifelung die
deutsche Abschiebepolitik die Betroffenen treibt.

Der zweite Punkt, den ich am Schluss meiner Rede an-
sprechen möchte, betrifft minderjährige Flüchtlinge.
Aufgrund des deutschen Asylverfahrensrechts können
16- und 17-jährige Minderjährige in Abschiebehaft ge-
nommen werden, ohne eine entsprechende jugendge-
rechte Betreuung. Nach den zuletzt vorliegenden Zahlen
des Bundesinnenministeriums aus 2004 befanden sich
über 300 Minderjährige in Abschiebehaft, im Schnitt
über einen Monat.

Auch wenn wir die Kritik der Grünen an der Abschie-
behaft teilen, bleibt es dabei: Wir werden uns bei der Ab-
stimmung enthalten. Denn der Antrag der Grünen akzep-
tiert grundsätzlich die Abschiebehaft als probates Mittel.
Wir sagen aber: Die Betroffenen haben keine Straftat be-
gangen. Gegen sie wird, aus mehr oder weniger plausib-
len Gründen, der Verdacht erhoben, sich in Zukunft einer
Verwaltungsmaßnahme – der Abschiebung – entziehen zu
wollen. Uns wollen keine überzeugenden Argumente ein-
fallen, warum ein Mensch deshalb gleich wie ein Straftä-
ter behandelt werden soll. Wir fordern weiterhin die Ab-
schaffung der Abschiebehaft in Deutschland.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die EU-Innenminister haben sich heute auf gemein-
same Regeln für die Abschiebung von Flüchtlingen ver-
ständigt. Die Abschieberegeln sehen unter anderem vor,
dass Menschen ohne gültige Papiere vor einer Abschie-
bung in ihre Herkunftsländer bis zu 18 Monate in Haft ge-
nommen werden können. Diese Möglichkeit gilt aus-
drücklich auch für Minderjährige. Weiterhin wurde eine
Einreisesperre von fünf Jahren für alle Mitgliedsstaaten
der EU nach einer Abschiebung beschlossen.

Dieser Beschluss der EU-Innenminister ist vollkom-
men unverhältnismäßig. Es ist offensichtlich, dass die
Innenminister die existierenden und mangelhaften Asyl-
verfahrens- und Abschiebehaftregeln einiger Mitglied-
staaten nicht antasten wollten und sich auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner geeinigt haben und dieser kleinste
gemeinsame Nenner heißt „Haft statt Asyl“. Damit wird
ein fatal schlechter Standard für den Menschenrechts-
schutz in Europa gesetzt. Dass ausgerechnet der deutsche
Parlamentarische Staatssekretär im BMI, Peter Altmaier,
die Beschlüsse auch noch dahin gehend begrüßt, dass
„die Abschiebung von denen, die wir loswerden wollen,
in Zukunft erleichtert“ wird, ist skandalös.
Zu Protokoll
Es ist festzuhalten: Es ist kein Verbrechen, einen Asyl-
antrag zu stellen. Der generelle Vorwurf der illegalen
Einreise ist für von Verfolgung bedrohte Flüchtlinge eine
bodenlose Unterstellung. Auch das Wiedereinreiseverbot
von fünf Jahren – selbst bei Verfolgungsgefahr – ist ein
Verstoß gegen das internationale Flüchtlingsrecht, das
nämlich vielmehr vorsieht, diesen schutzsuchenden Men-
schen zu helfen. Eine besondere Schweinerei ist die Mög-
lichkeit, auch ausreisepflichtige Minderjährige in Haft
nehmen zu können. Das ist eindeutig ein Verstoß gegen
die UN-Kinderrechtskonvention.

Der ursprüngliche Richtlinienentwurf der EU-Kom-
mission griff Forderungen von Nichtregierungsorganisa-
tionen auf und setzte begrüßenswerte Mindeststandards
zum Beispiel für eine freiwillige Ausreisefrist, für das Ver-
fahren, für die Anwendung von Abschiebehaft; hier waren
im Entwurf maximal sechs Monate vorgesehen. Die Ver-
handlungen in den Ratsarbeitsgruppen haben jedoch
dazu geführt, dass der Entwurf der Richtlinie extrem ver-
schärft wurde. Maßgeblichen Anteil daran hatte die skan-
dalöse deutsche Verhandlungsführung. Staatssekretär
Altmaier sagt jetzt sogar voller Stolz, man habe „sehr viel
von der deutschen Philosophie in den Richtlinientext hi-
neingebracht“. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die
Verhängung von Abschiebungshaft nun in allen EU-Mit-
gliedsstaaten bis zu 18 Monate lang möglich ist – und das
für Personen, die kein Verbrechen begangen haben, son-
dern einzig und allein einen Asylantrag gestellt haben.

Im vorliegenden Antrag hatten wir die Bundesregie-
rung aufgefordert, im Rahmen der deutschen EU-Präsi-
dentschaft, aber auch darüber hinaus darauf hinzuwir-
ken, dass bei einer europäischen Regelung von
Rückführungen humanitäre Standards gewahrt und aus-
gebaut werden. Diesem Anspruch ist die Bundesregie-
rung definitiv nicht gerecht geworden. Ich kann nur
hoffen, dass die Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments, denen die Rückführungsrichtlinie am 18. Juni
2008 zur Abstimmung vorliegt, sich mehrheitlich gegen
den Entwurf entscheiden, weil er definitiv menschen- und
flüchtlingsrechtlichen Mindeststandards nicht genügt.

Meine Fraktion setzt sich seit langem dafür ein, die
Anordnungsdauer von Abschiebehaft auf ein Mindestmaß
zu begrenzen. Wir vertreten die Position, dass Abschiebe-
haft lediglich der Sicherung einer Abschiebung dienen
darf. Das heißt, nur dann, wenn sich jemand der Abschie-
bung erkennbar entziehen will, darf Abschiebehaft ver-
hängt werden. Wenn das in dieser Art und Weise durchge-
führt würde, könnte, nebenbei bemerkt, eine große Anzahl
der in Deutschland befindlichen Abschiebehaftanstalten
geschlossen werden. Des Weiteren setzen wir uns seit lan-
gem dafür ein, dass Minderjährige nicht inhaftiert wer-
den dürfen; denn die schwerwiegenden psychischen Fol-
gen, die Haft besonders auf Kinder und Jugendliche
haben kann, sind offensichtlich und bedürfen, glaube ich,
keiner weiteren Erläuterung.

Bei Rückführungen von Flüchtlingen muss aus grüner
Sicht die Einhaltung menschenrechtlicher Normen wirk-
sam gewährleistet sein. Das gilt insbesondere für den
Vollzug der Abschiebehaft und für die Anwendung unmit-
telbaren Zwangs bei Abschiebungen.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Josef Philip Winkler
Die Bundesregierung hätte bei den Verhandlungen um
eine Rückführungsrichtlinie der EU viel stärker auf die
Gewährleistung folgender Grundsätze hinzuwirken müs-
sen: Schutzbedürftige dürfen nicht abgeschoben werden.
Familien dürfen durch Rückführungsmaßnahmen nicht
getrennt werden. Der Zugang zu wirksamen Rechtsmit-
teln muss gewährleistet sein. Abschiebehaft muss vermie-
den und begrenzt werden. Humanitäre Standards bei
Flugabschiebungen müssen verbessert werden. Unab-
hängige Überprüfung – sogenanntes Monitoring – muss
gewährleistet sein.

Im Interesse des Flüchtlingsrechts und der Menschen-
rechte bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616638000

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/7347, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/4851 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktionen Die
Linke und FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

gierung

Weißbuch
Gemeinsam für die Gesundheit: Ein strategi-

(inkl. 14689/07 ADD 1 bis 14689/07 ADD 3)


KOM (2007) 630 endg.; Ratsdok. 14689/07

– Drucksachen 16/7575 Nr. 1.5, 16/9412 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Ackermann

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Michael
Hennrich, CDU/CSU, Dr. Wolfgang Wodarg, SPD, Jens
Ackermann, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die Linke, Dr. Harald
Terpe, Bündnis 90/Die Grünen, und der Parlamentari-
schen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.


Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1616638100

Mit der Beschlussempfehlung und dem Bericht des

Ausschusses für Gesundheit zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung zum „Weißbuch Gemeinsam für die
Gesundheit: Ein strategischer Ansatz der EU für 2008 bis
2013“ möchten wir ein Zeichen setzen; ein Zeichen, dass
der Bundestag Anteil an der Diskussion auf der europäi-
schen Ebene nimmt und die Europäische Kommission in
Ihrem Bemühen der klaren Kompetenzaufteilung unter-
stützen möchte.

Dabei ist gleich zu Beginn anzumerken, dass die Ge-
sundheitsstrategie als ein kohärenter Politikansatz der
europäischen Gemeinschaftspolitiken ausdrücklich zu
begrüßen ist und das die effektive Umsetzung der Strate-
gie unterstützt werden soll. Grundlage ist hier aber im
EU-Vertrag vor allem Art. 152. Er stellt klar, dass die Tä-
tigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gesund-
heitspolitik die Politik der Mitgliedstaaten ergänzt, die
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten fördert und deren
Tätigkeit unterstützt. Außerdem wird dort festgestellt,
dass die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Orga-
nisation des Gesundheitswesens und die medizinische
Versorgung in vollem Umfang gewahrt wird.

Der Entschließungsantrag entstand aus der Einschät-
zung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, dass
die Kommission mit Ihrem Ansinnen im Weißbuch Ge-
sundheit stellenweise zu weit gehen und dabei die vorge-
gebene Kompetenzverteilung, also letztlich das Subsidia-
ritätsprinzip verletzen könnte. Darauf möchten wir
hiermit aufmerksam machen. Die Regelungen im EU-Ver-
trag gilt es daher zu schützen, wie Erfahrungen mit der
Dienstleistungsrichtlinie und der Offenen Methode der
Koordinierung deutlich gezeigt haben.

Die Bundesregierung wird mit der vorliegenden Ent-
schließung aufgefordert, bei der Erarbeitung der
Schlussfolgerungen zur Umsetzung die vom Deutschen
Bundestag eingenommene Position zu beachten. Beson-
dere Bedeutung kommt der autonomen Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten auf nationaler, regionaler und kommuna-
ler Ebene für den Gesundheitsbereich zu und damit auch
der Beachtung, dass es zu keiner Aushöhlung dieser
Kompetenzen kommt. Diese Kompetenzwahrung steht
nicht im Gegensatz zu einer europäischen Zusammenar-
beit, im Gegenteil: Bereits seit langem arbeiten wir mit
den anderen Mitgliedstaaten der EU zusammen und ler-
nen voneinander. Dies geschieht jedoch nicht aufoktroy-
iert, sondern freiwillig im Rahmen des Best-Practice-An-
satzes.

Für weiter gehende Initiativen stellt sich immer die
Frage nach dem Mehrwert gemeinschaftlichen Handelns.
Aus Sicht des Deutschen Bundestages sollte ein Handeln
auf europäischer Ebene im Gesundheitsbereich nur an
denjenigen Stellen geschehen, wo ebendieser Mehrwert
identifiziert wird – und dann nicht durch Vergemeinschaf-
tung des entsprechenden Bereichs, sondern – wie auch im
EU-Vertrag vorgesehen – durch Einzelermächtigungen in
Bezug auf das konkrete Anliegen. Einzelermächtigungen
haben sich beispielsweise im Arzneimittelsektor als sinn-
voll erwiesen. So wird seitdem über die Arzneimittelzu-
lassung auf europäischer Ebene entschieden, was den
Verbrauchern unter anderem günstigere Preise und den
Unternehmen einen größeren Absatzmarkt beschert.
Aber auch hier zeigt sich, dass dies allenfalls eine ergän-
zende Initiative sein sollte, denn die Diskussion um die
europäische Arzneimittelzulassung sollte nicht zum
Nachteil kleiner und mittlerer Hersteller vonstatten ge-
hen. Deshalb sollte es mit Einschränkungen auch bei na-
tionalen Zulassungsmöglichkeiten bleiben. Daher ist der
geforderte Mehrwert aus deutscher Sicht sozusagen das
Herzstück der europäischen Gesundheitsstrategie und
damit zentraler Bestandteil der Feststellungen des Deut-
schen Bundestages. Ein gemeinsames Handeln im Ge-
sundheitsbereich ist nur dann notwendig, wenn dies ein-


(A) (C)



(B) (D)


Michael Hennrich
zelstaatlich nicht erreicht werden kann. Die von der
Bundesregierung signalisierte Bereitschaft, dieses Anlie-
gen in die Ratsberatungen einzubringen, begrüße ich da-
her sehr.

Der Deutsche Bundestag erkennt an, dass es neue ge-
sundheitliche Herausforderungen gibt, wie auch die
Kommission sie in ihrem Weißbuch beschreibt. Hierzu ge-
hören die demografische Entwicklung samt ihren Folgen,
Gesundheitsgefahren wie Pandemien, übertragbare
Krankheiten, Bioterrorismus und Auswirkungen des Kli-
mawandels sowie die rasche Entwicklung neuer Techno-
logien. Hier müssen neue Wege beschritten und Lösungen
gesucht werden. Ich möchte daher an dieser Stelle der
Kommission danken, dass sie darauf aufmerksam macht
und Lösungsvorschläge unterbreitet. Wir unterstützen die
Europäische Union bei ihrem Tätigwerden auf diesen Ge-
bieten.

Insofern ist das Weißbuch eine gute Grundlage, da ak-
tuelle Herausforderungen darin benannt werden. Es ist
das Ergebnis umfangreicher Konsultationen der Kom-
mission aus den Jahren 2004 bis 2007. Das Weißbuch
stellt einen strategischen Ansatz vor, der für die Jahre
2008 bis 2013 gelten und danach überarbeitet werden
soll. Zum ersten Mal wird hierfür eine einheitliche Stra-
tegie festgelegt. Darin sind vier zentrale Prinzipien und
drei strategische Themenschwerpunkte vorgesehen.

Es ist wichtig, uns die zentralen Prinzipien in Erinne-
rung zu rufen, gemeinsame Werte als Grundlage der Stra-
tegie; Gesundheit als Grundvoraussetzung für Wachstum
und Wohlstand; Gesundheit in allen Politikbereichen;
mehr Mitsprache der EU in der globalen Gesundheitspo-
litik. Konkrete Maßnahmen gibt es dazu viele. Nennen
möchte ich hier beispielhaft die Annahme einer Erklä-
rung über grundlegende Gesundheitswerte, eine stärkere
Einbeziehung von Gesundheitsaspekten in alle Politikbe-
reiche der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten, die
Stärkung des Gemeinschaftsstatuts in internationalen Or-
ganisationen und der Zusammenarbeit in Gesundheits-
fragen mit strategischen Partnern und Ländern sowie ei-
nen Gemeinschaftsrahmen für sichere, hochwertige und
effiziente Gesundheitsdienstleistungen.

Die Kommission plant mit dem Weißbuch des Weiteren
auch die Schaffung eines Mechanismus der strukturierten
Zusammenarbeit zur Einbindung der Mitgliedstaaten und
anderer Stakeholder. Damit soll die Gesundheit verstärkt
in alle Politikbereiche einbezogen werden. Dies würde
der Kommission grundlegend erlauben, bestehende Me-
chanismen zu ersetzen, Prioritäten zu setzen, Indikatoren
festzulegen, Leitlinien und Empfehlungen auszusprechen
und Fortschritte zu evaluieren. Diesen Mechanismus
beurteilt der Deutsche Bundestag kritisch. Es wird darin
eine zunehmende Vergemeinschaftung des Gesundheitsbe-
reichs, ein weiteres Ausufern der Organisation und Büro-
kratie sowie ein Übergehen der Bedürfnisse der Mitglied-
staaten befürchtet. Wir haben bereits mit der Offenen
Methode der Koordinierung die Erfahrung gemacht, dass
ein derartiger neuer Mechanismus dazu führen kann,
dass Kompetenzen auf der EU-Ebene konzentriert wer-
den und er sich der parlamentarischen Kontrolle entzieht.
Am besten sichtbar ist dies im Bereich des Sozialschutzes.
Zu Protokoll
Die Regelungen sind dort mittlerweile sehr weitgehend
und greifen in mitgliedstaatliche Kompetenzbereiche ein
ohne dass dies vertraglich so vorgesehen war.

In der vorliegenden Beschlussempfehlung finden sich
zehn Feststellungen und vier Forderungen. Im Folgenden
werde ich daher zunächst auf einige der Feststellungen
eingehen.

Die zentrale Feststellung zielt darauf ab, die im Weiß-
buch angesprochene originäre Zuständigkeit der Mit-
gliedstaaten durch deren nationale, regionale und kom-
munale Ebene zu schützen. Die von der Kommission
angesprochene Verlagerung der Kompetenzen auf die
EU-Ebene hinterfragt der Bundestag – wie bereits ange-
sprochen – gerade auch im Zusammenhang mit dem ge-
planten Mechanismus der strukturierten Zusammenar-
beit kritisch.

Es ist ja nicht so, dass wir nicht bereits zusammenar-
beiten würden; denn im nichtharmonisierten Bereich gibt
es bereits eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre
Politiken zu koordinieren. Ein Tätigwerden der Union
setzt hier daher eine Ermächtigung voraus. Dies ist bei-
spielsweise in der Zusammenarbeit bei Fragen der Aids-
strategie oder beim Themenfeld Ernährung und Bewe-
gung geschehen und wurde dort auch positiv vermerkt.
Der Bundestag begrüßt daher das bewährte und grundle-
gende Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Wir
haben bereits genügend Instrumente, um sinnvoll zusam-
menarbeiten zu können. Wir brauchen daher die struktu-
rierte Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich nicht.
Denn auch hier stellt sich die bereits eingangs skizzierte
Frage nach dem Mehrwert, der klar identifizierbar sein
sollte und keine neuen Gremien schafft. Ich kann diesen
Mehrwert hier nicht erkennen und spreche mich daher
klar gegen diesen neuen Mechanismus aus.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bezieht sich auf die Bü-
rokratie. Der Deutsche Bundestag lehnt die zunehmenden
Berichtspflichten ab und fordert eine Verschlankung be-
stehender Strukturen, eine Verschlankung, die die beste-
henden Gremien bündelt und damit die Entscheidungs-
und Konsultationsprozesse transparenter und sichtbarer
gestaltet und Doppelarbeit vermeidet. Eine – wie von der
Kommission vorgesehen – kohärente Gesundheitsstrate-
gie bietet eine einzigartige Möglichkeit, um bisherige
Strukturen zu überdenken sowie über Zusammenlegungen
und effektivere Nutzungen neu zu ordnen, also um unnö-
tige Bürokratie abzubauen. Hier lohnt es sich, mutig vo-
ranzugehen.

Schließlich könnte man sich nun fragen, warum wir
nicht weiter gehen beziehungsweise warum wir gegen
weiter gehende Kompetenzen sind. Hier sind ganz klar
die Komplexität und unterschiedlichen historischen Wur-
zeln sowie die daraus folgenden Unterschiede der Ge-
sundheitssysteme in den Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union zu nennen. Sie unterscheiden sich vor allem
in ihren jeweiligen Finanzierungssystemen, dem Kreis
der Versicherten beziehungsweise der Leistungsberech-
tigten, dem Umfang des Leistungsrahmens sowie den so-
zial- und gesundheitsökonomisch relevanten Kennzahlen.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Michael Hennrich
In Europa lassen sich im Wesentlichen zwei Modelle
von Gesundheitssystemen unterscheiden: Das Beveridge-
Modell, das sich in der Finanzierung primär auf Steuern
stützt, ist in den nordeuropäischen Ländern sowie in Ir-
land und dem Vereinigten Königreich anzutreffen. Auch
südeuropäische Länder wie Spanien, Portugal und Grie-
chenland sind seit den 80er-Jahren eher dieser Gruppe
zuzurechnen. Das Bismarck-Modell mit der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) ist hingegen in fast allen
mitteleuropäischen und seit etwa zehn Jahren auch in na-
hezu allen osteuropäischen Ländern verbreitet. Diese
Modelle lassen sich noch ausdifferenzieren hinsichtlich
der genauen Finanzierung. Zu betrachten ist auch die
Möglichkeit in den einzelnen Ländern, sich noch zusätz-
lich zu versichern als Substitut, Ergänzung oder Zusatz.

Dies enthält aus meiner Sicht zwei wichtige Feststel-
lungen: Zum einen sind diese Systemunterschiede mit
quantifizierbaren Zielen, wie sie im Weißbuch gefordert
werden, nicht vereinbar. Gerade auch angesichts der ori-
ginär nationalstaatlichen Zuständigkeit ist eine Quantifi-
zierung kritisch zu beurteilen und deshalb nicht möglich
als verpflichtende Form der Zusammenarbeit. Zum ande-
ren hat die Unterschiedlichkeit der Systeme auch Auswir-
kungen auf die Bildung von Indikatoren auf europäischer
Ebene. So ist die Datenlage oft unbefriedigend, und damit
ist die weitere Verarbeitung und letztlich die Vergleich-
barkeit der Daten nicht gewährleistet. Hier ist es bedeut-
sam, eine bessere Lösung zur Erhebung der Daten und
deren Weiterverwendung zur Definition, Erstellung und
seriösen Interpretation von Indikatoren zu finden. In Ge-
bieten, in denen ein Mehrwert in der Zusammenarbeit auf
europäischer Ebene erkannt wurde, sollten die Mitglied-
staaten dann auch freiwillig vermehrt in den Prozess der
Indikatorenerhebung und -verarbeitung einbezogen wer-
den. Fundierte Daten tragen zu einer besseren Vergleich-
barkeit und zu einer größeren Transparenz bei. Dies gilt
es aus Sicht des Deutschen Bundestages zu fördern.

All diese Feststellungen münden schließlich in besagte
vier Forderungen an die Bundesregierung ein, welche
auch zuvor immer wieder angesprochen wurden. Diese
besagen in gekürzter Form letztlich Folgendes: Autono-
mie im Gesundheitsbereich ohne weitere Aushöhlung der
Kompetenzen; Ablehnung der strukturierten Zusammen-
arbeit, wenn diese die Schaffung neuer Institutionen be-
inhaltet; effektivere Nutzung bestehender Strukturen und
Konzentration auf Bereiche, in denen ein europäischer
Mehrwert identifiziert wurde und wo sich grenzüber-
schreitende Herausforderungen stellen, Ablehnung der
Festlegung quantifizierter Ziele und damit der politi-
schen Bindung der Mitgliedstaaten in einem ihrer origi-
nären Kompetenzbereiche. Mit diesen Forderungen soll
möglichen Fehlentwicklungen auf europäischer Ebene
entgegengewirkt und damit ein konstruktiver Beitrag zur
zentralen Stellung der (europäischen) Gesundheitspolitik
gelegt werden.

Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion ist die Wahrung der
Souveränität ein Kernanliegen. Zusammenfassend ist
noch einmal zu sagen, dass eine Offenheit für eine Zu-
sammenarbeit im Gesundheitsbereich auf europäischer
Ebene zwar nicht kategorisch ausgeschlossen wird. Diese
wird jedoch nur dann begrüßt, wenn dabei ein Mehrwert
Zu Protokoll
identifiziert werden kann, also beispielsweise in Fällen,
in denen es sich um grenzüberschreitende Herausforde-
rungen handelt. Die Schaffung einer strukturierten Me-
thode der Zusammenarbeit sehen wir – wie bereits zuvor
angeführt – aufgrund der Erfahrung aus der Einführung
der Offenen Methode der Koordinierung, beispielsweise
im Bereich Sozialschutz, sehr kritisch und hinterfragen
die Notwendigkeit. Schließlich wird die Einführung quan-
tifizierter Ziele hinterfragt und stattdessen die bewährte
Methode des gegenseitigen Lernens durch Erfahrungs-
austausch befürwortet.

Die Rolle der Europäischen Union im Gesundheitsbe-
reich ist daher aus meiner Sicht hauptsächlich die eines
Moderators und Motivators. Es sollte für sie darum ge-
hen, den Austausch über die jeweiligen Erfahrungen der
Mitgliedstaaten im Gesundheitsbereich voranzutreiben
und im Rahmen des freiwilligen Best-Practice-Ansatzes
Verbesserungen zu erreichen. Dies entspricht einer Hilfe
zur Selbsthilfe. Die EU würde damit die Mitgliedstaaten
in die Lage versetzen, ihre selbst gesetzten gesundheits-
politischen Ziele zu realisieren. In den konkreten Berei-
chen, in denen im Rahmen dieses Austauschs ein Mehr-
wert im gemeinsamen europäischen Vorgehen erkannt
wurde, kann die Europäische Union auch ermächtigt
werden, selbst als Akteur in Erscheinung zu treten und ein
gemeinsames Vorgehen zu erarbeiten.

Die Rezeption der Beschlussempfehlung ist eindeutig.
Sie wurde von allen Fraktionen unterstützt und mit nur ei-
ner Enthaltung angenommen. Anders ausgedrückt könnte
man auch sagen, dass sie von keiner der Fraktionen ab-
gelehnt wurde. Dies ist ein deutliches Zeichen.

Daher möchte ich zum Schluss nochmals besonders
die Unterstützung durch die Bundesregierung hervorhe-
ben. Ich begrüße es persönlich sehr, dass die Bundesre-
gierung dieses Zeichen ernst nimmt und die Position des
Deutschen Bundestages in der Sitzung des Rates für Be-
schäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucher-
schutz am 9. und 10. Juni 2008 in Luxemburg einbringen
wird. Für die Verhandlungen wünsche ich der Bundesre-
gierung viel Erfolg.

Ich hoffe, dass das Zeichen dieser Entschließung auf
europäischer Ebene wohlwollend aufgenommen wird und
dass die Entschließung einen Beitrag zur Wahrung der
autonomen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, einer
klaren Kompetenzverteilung und der nachhaltigen Suche
nach einem europäischen Mehrwert leistet.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1616638200

Mit der kritischen Bewertung der von der Kommission

vorgeschlagenen sogenannten strukturierten Zusammen-
arbeit haben wir klargemacht, dass Gesundheit in
Deutschland – wie in den meisten anderen europäischen
Ländern – ein wichtiger Bereich staatlicher Daseinsvor-
sorge ist und bleiben soll. Die Europäische Union küm-
mert sich zunehmend auch um den europäischen Binnen-
markt „Gesundheit“, und es ist nicht zu leugnen, dass
sich in Europa längst ein großer Wirtschaftsbereich ent-
wickelt hat, der uns grenzüberschreitend mit Arzneimit-
teln, Medizintechnik, Hilfsmitteln und zunehmend auch
mit Dienstleistungen versorgt. Auch staatliche Gesund-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Wodarg
heitssysteme, wie die skandinavischen, das spanische
oder das britische, kaufen Leistungen auf diesem über-
staatlichen Markt; doch sie organisieren ihr System auto-
nom und, den Prinzipien der Subsidiarität folgend, auf
nationaler Ebene. Diese Länder sind stolz, wenn sie ihre
Bevölkerung auf hohem Niveau gesund halten und alt
werden lassen können und dafür möglichst wenig der so
kostbaren öffentlichen Ressourcen einsetzen müssen.

Wir in Deutschland sind bisher nicht so klar davor:
Wer demnächst die Berliner Gesundheitstage besucht,
wird dort von den Epigonen des boomenden Gesundheits-
marktes belagert werden, die vom „Wachstumsmotor Ge-
sundheitswesen“ sprechen und hierbei von volkswirt-
schaftlicher Effizienz so wenig hören mögen wie die
Zigarettenindustrie vom Nichtraucherschutz. Effiziente
Gesundheitspflege ist jedoch nicht nur ethisch gebotene
Daseinsvorsorge, sie ist auch die Voraussetzung für einen
nachhaltigen staatlichen Ressourceneinsatz im Wettlauf
der Nationen um globalen Einfluss und wirtschaftliche
Macht. Ein Staat, der wie zum Beispiel Finnland seine
Menschen mit wenig Aufwand auf hohem Niveau gesund
hält, kann die gesparten Mittel in die Bildung stecken und
damit erheblich effizienter sein als sein Konkurrent
Deutschland, der schon einen weit größeren Anteil seiner
Wirtschaftskraft im Gesundheitswesen verpulvert. Der
Markt kann einer effizienten Daseinsvorsorge dienlich
sein. Die Daseinsvorsorge selbst aber nach den Regeln
des Marktes zu bewerten oder gar zu ordnen, das würde
die Staaten Europas schwächen und vor allem der Ge-
sundheit seiner Einwohner abträglich sein – freut sich
doch der Markt über jeden Patienten.

Wir sind in unserem Antrag einen Kompromiss mit dem
Koalitionspartner eingegangen, der die nationale Zu-
ständigkeit für Gesundheit betont und einfordert, der aber
auch gewährleisten soll, dass in Zukunft auf europäischer
Ebene die Gesundheitssysteme sinnvoll miteinander ver-
glichen und evaluiert werden können. Wir wollen, dass
die Nationalstaaten gerade im gesundheitspolitischen
Bereich, das Subsidiaritätsprinzip verteidigen und dass
das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gewahrt
bleibt. Neue koordinierende Strukturen dürfen nicht dazu
führen, dass eine schrittweise Aushöhlung der mitglied-
staatlichen Kompetenzen bei gleichzeitig minimaler Kon-
trolle durch das Parlament erfolgt.

Dennoch halte ich den Vorschlag der Kommission in
einem wichtigen Punkt für positiv, und dieser hätte mei-
nes Erachtens in dem Entschließungsantrag noch deutli-
cher zum Ausdruck kommen können: Die Kommission
will innerhalb der Europäischen Union Voraussetzungen
dafür schaffen, dass die europäischen Gesundheitssys-
teme miteinander verglichen werden können. Unser Ziel
muss doch sein, langfristig einen möglichst gleichmäßig
hohen qualitativen und quantitativen Versorgungsstand
in der Europäischen Union zu erreichen.

So hat zum Beispiel die PISA-Studie einen positiven
Effekt auf die teilnehmenden Länder, da diese gezwungen
werden, sich dezidiert mit den Schwächen des eigenen
Bildungssystems auseinanderzusetzten. Für Deutsch-
land, so verheerend die ersten Ergebnisse auch waren,
hat diese eine breite bildungspolitische Debatte ausgelöst
Zu Protokoll
und zu vielen guten neuen Ansätzen und Qualitätsverbes-
serungen des Bildungsangebotes geführt.

Es ist wichtig, dass wir den Wettbewerb um die effi-
zientesten Gesundheitsysteme in Europa ermöglichen
und hier eine verbesserte Transparenz nicht scheuen.
Schlechte Erfahrungen bei der Methode der offenen
Koordinierung im sozialen Bereich sollten uns nicht ent-
mutigen. Daher erachte ich eine demokratische Formu-
lierung gesundheitspolitischer Endpunkte und die dazu-
gehörige Indikatorenbildung als einen wichtigen
Mehrwert europäischer Kooperation im Gesundheitsbe-
reich. Es ist mir eine Freude, festzustellen, dass die im
Antrag genannten Ziele auch von einer großen Mehrheit
der Gesundheitspolitikerinnen und -politiker getragen
werden.


Jens Ackermann (FDP):
Rede ID: ID1616638300

Die Europäische Kommission hat im Oktober 2007

das Weißbuch „Gemeinsam für die Gesundheit: Ein stra-
tegischer Ansatz der EU für 2008 bis 2013“ vorgelegt,
mit dem der Gesundheit in politischen Strategien mehr
Gewicht gegeben werden soll. Nach der Unterzeichnung
des Lissabon-Vertrages erwartet die Kommission neue
Prioritäten auf Gemeinschaftsebene sowie eine ver-
stärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im
Gesundheitsbereich. Zentrale Herausforderungen sind
demnach die Überalterung der Gesellschaft, neue Ge-
sundheitsgefahren wie Pandemien und die Entwicklung
und Anwendung neuer Technologien der Gesundheitsver-
sorgung. Das Weißbuch ist in diesem Zusammenhang als
ein erster Ansatz einer kohärenten europäischen Politik
zu deuten, deren Ziel die Verankerung von Gesundheits-
frage als Querschnittsaufgabe ist. Dafür hat die Kommis-
sion vier Prinzipien entwickelt, von denen sie sich bei der
Formulierung von EG-Maßnahmen im Gesundheitswe-
sen leiten lassen will. Obgleich die Kommission unter-
streicht, dass die hauptsächliche Zuständigkeit bei den
Mitgliedstaaten liegt, hebt sie insbesondere im Zusam-
menhang mit der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrages
eine stärkere eigene Kompetenz hervor. Hierzu hat sie
drei Ziele mit insgesamt zehn Maßnahmen vorgeschla-
gen, die von neuen Leitlinien für Krebsvorsorgeuntersu-
chungen über die Berücksichtigung von Gesundheitsas-
pekten der Anpassung an den Klimawandel bis hin zu
einem Gemeinschaftsrahmen für Gesundheitsdienstleis-
tungen gehen. Als Durchführungsmechanismus sieht das
Papier das Verfahren der strukturierten Zusammenarbeit
vor.

Abgesehen von der Tatsache, dass die Kommission
hier auf Grundlage eines Vertrages argumentiert, der
noch nicht endgültig ratifiziert ist und der in Irland kom-
mende Woche noch die Hürde des Referendums nehmen
muss, begrüßt die FDP das Vorhaben, der Gesundheits-
politik mit einem kohärenten Weißbuch einen größeren
Stellenwert zukommen zu lassen.

Allerdings müssen wir sehr genau hinsehen, wie die
Kommission sich die Umsetzung der Ziele und Maßnah-
men vorstellt. Hier haben wir einige Bedenken, insbeson-
dere vor dem Hintergrund, dass die Gesundheitspolitik in
erster Linie Aufgabe der Mitgliedstaaten ist. Ich bin skep-



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Jens Ackermann
tisch, ob das Weißbuch dieser Tatsache ausreichend
Rechnung trägt. Unzweifelhaft ist, dass überall dort, wo
eine europäische Zusammenarbeit zu wesentlich besseren
Ergebnissen führt, als wenn die einzelnen Länder diese
Themen isoliert angehen, eine sinnvolle Koordination ge-
fördert werden muss. Für jedermann einleuchtend ist das
zum Beispiel bei der Abwehr beziehungsweise Bewälti-
gung von Pandemien.

Für die FDP ist aber das Subsidiaritätsprinzip nach
wie vor ganz entscheidend, um gute Politikergebnisse er-
zielen zu können. Das bedeutet, dass die jeweils höhere
Ebene nur dann tätig werden soll, wenn die unteren Ebe-
nen nicht in der Lage sind, die anstehenden Aufgaben zu-
friedenstellend zu lösen. Dies gilt auch und noch ver-
stärkt nach der Ratifikation des Lissabon-Vertrages: Die
Gesundheitspolitik ist und bleibt ein nationales Politik-
feld. Das muss auch die Kommission wissen. Die von ihr
vorgesehenen Zuständigkeiten bei der Umsetzung der
Zielvorgaben sprechen aber eine andere Sprache: Allein
acht der zehn Maßnahmen sollen ausschließlich in den
Kompetenzbereich der Kommission fallen, darunter Leit-
linien für die Krebsvorsorgeuntersuchung und ein Ge-
meinschaftsrahmen für Gesundheitsdienstleistungen.
Mitgliedstaaten und Europäisches Parlament werden im
Weißbuch nicht ausreichend berücksichtigt.

Ich habe aber den Eindruck, dass hier schleichend ein
nationales Politikfeld erneut auf die europäische Ebene
gehoben werden soll. Insofern begrüßt die FDP auch den
Entschließungsantrag, der noch einmal verdeutlicht, dass
es nicht zu einer ungewollten Aufweichung nationaler
Kompetenzen kommen darf. Darüber hinaus unterstützen
wir die ablehnende Haltung im Hinblick auf den struktu-
rierten Dialog, da dies mit der Bildung neuer europäi-
scher Strukturen einhergeht. Mit dieser Art der sanften
Europäisierung haben wir im Zusammenhang mit der Of-
fenen Methode der Koordinierung bereits Erfahrungen
machen dürfen. Soweit es nur um eine Fokussierung der
europäischen Koordinierung auf grenzüberschreitende
Bereiche kommt, können wir das begrüßen. Mit umfang-
reichen Berichtspflichten und quantifizierbaren Indikato-
ren sollte aber äußerst vorsichtig umgegangen werden.

Letztlich muss eine europäische Gesundheitspolitik
auf Bereiche begrenzt bleiben, die einen Mehrwert gegen-
über nationalen Regelungen haben und keine neuen
Strukturen oder Europäisierungsprozesse nach sich zie-
hen. Aufgrund der dargelegten Bedenken unterstützen
wir den Entschließungsantrag.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616638400

Die Gesundheitspolitik ist, allen Versuchen, dies zu

ändern zum Trotz, noch immer in nationaler Verantwor-
tung. Die EU kann dazu flankierend tätig werden, aber
nicht die Souveränität der Einzelstaaten unterlaufen.
Dieses Prinzip wird mit unserem gemeinsamen Entschlie-
ßungsantrag gestärkt. Die Regierungskoalition, die FDP
und Die Linke unterstreichen gemeinsam, dass das Sub-
sidiaritätsprinzip der EU im sozialen Bereich, der nach
Art. 152 des EG-Vertrages in der Verantwortung der ein-
zelnen Mitgliedstaaten verbleibt, nicht unterlaufen wer-
Zu Protokoll
den darf. Insofern stellen wir die „strukturierte Zusam-
menarbeit“ des Weißbuch-Entwurfs infrage. Denn mit
dieser strukturierten Zusammenarbeit würde es der Kom-
mission gestattet werden, bestehende Mechanismen zu
ersetzen, Prioritäten zu setzen, Indikatoren festzulegen,
Leitlinien und Empfehlungen auszusprechen und Fort-
schritte zu evaluieren. Einen solchen Eingriff in die Sou-
veränität der Mitgliedstaaten lehnen die Fraktion Die
Linke und der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bun-
destages ab.

Die Festlegung von Indikatoren klingt zunächst einmal
ungefährlich, aber mit ihnen könnten dann die bisher
nicht näher erläuterten „quantifizierbaren Ziele“ defi-
niert werden. Ohne Beteiligung der nationalen Parla-
mente bei der Erstellung der Indikatoren kann und soll
Deutschland dem Weißbuch nicht zustimmen. Ansonsten
würde dem wiederholten Ansatz Brüssels, die Souveräni-
tät der Mitgliedstaaten für die Gesundheitsversorgung zu
unterlaufen, nachgegeben werden.

Ich möchte aber auch klarstellen, dass das Weißbuch
durchaus gute Ansätze zeigt, die von uns unterstützt wer-
den. So soll das Weißbuch auch dazu dienen, Gesundheit
in allen Politikbereichen zu etablieren, die Bedeutung der
Gesundheit der Bevölkerung als Voraussetzung für
Wachstum und Wohlstand zu begreifen und gemeinsame
Werte zur Grundlage der Gesundheitspolitik zu machen.
Es ist zweifelsohne eine wichtige Aufgabe der Mitglied-
staaten, sich stärker für die geriatrische Versorgung der
Bevölkerung einzusetzen und in gemeinsamen Anstren-
gungen gegen Infektionskrankheiten vorzugehen.

Da die Zuständigkeit für das Gesundheitswesen bei
den Mitgliedstaaten liegt, sollen sie eng in die Durchfüh-
rung der Strategie eingebunden werden. Die Kommission
schlägt daher vor, einen neuen Mechanismus der struktu-
rierten Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich einzu-
führen. Dieser soll die Kommission beraten und die
Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten fördern. So
soll der Kooperationsmechanismus der Kommission un-
ter anderem helfen, Prioritäten zu nennen, Indikatoren
festzulegen, Leitlinien und Empfehlungen zu erarbeiten,
den Austausch bewährter Verfahren zu fördern und Fort-
schritte zu bewerten. Da bleibt Die Linke skeptisch.

Wichtig für uns ist – nicht zuletzt infolge der wettbe-
werblichen Ausgestaltung der EU – die Beibehaltung des
Subsidiaritätsprinzips im Bereich Gesundheit. Im Weiß-
buch formulierte Ziele wie insbesondere die Verringerung
der gesundheitlichen Ungleichheit werden von uns unter-
stützt; wünschenswert wäre jedoch, wenn in einer ge-
sundheitspolitischen Strategie der EU der Grundstein ge-
legt werden könnte für eine europäische Umverteilung
von Mitteln für den Aufbau funktionierender Gesund-
heitswesen in allen Mitgliedstaaten. Hiervon könnten vor
allem die neuen Mitgliedstaaten profitieren. Denn so-
lange eine funktionierende Gesundheitsinfrastruktur
nicht gegeben ist, können gemeinsame Vorhaben wie eine
Abstimmung bei der Organspende und die Unterbindung
des Organhandels nicht wirkungsvoll angegangen wer-
den.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616638500

Wenn wir heute über das Weißbuch Gesundheit debat-

tieren, so debattieren wir zunächst einmal über eine Ini-
tiative der EU-Kommission, die in einigen Aspekten
durchaus zu begrüßen ist. Eine koordinierte Zusammen-
arbeit der EU-Mitgliedstaaten ist nämlich in solchen Be-
reichen sinnvoll, in denen die einzelnen Staaten einem
Problem nicht wirksam begegnen können, wie beispiels-
weise beim Kampf gegen Pandemien oder gegen den Or-
ganhandel. Auch die Formulierung von Gesundheitszie-
len auf europäischer Ebene kann durchaus sinnvoll sein,
wenn sie von den einzelnen Mitgliedern als Aufforderung
verstanden wird, Defizite im eigenen Land zu bekämpfen
oder positive Erfahrungen aus den europäischen Nach-
barländern zu übernehmen. In den letzten Jahren konnten
wir auf EU-Ebene allerdings vielfach Bestrebungen be-
obachten, auch die Gesundheitspolitik in vielen Berei-
chen EU-weit zu harmonisieren. Dahinter steckt ein Den-
ken, das das Gesundheitswesen an sich nicht mehr als
einen Teil der Daseinsvorsorge eines Staates, sondern als
Wirtschafts- und Dienstleistungsbranche ansieht, in der
es sämtliche Hindernisse und Unterschiede zu beseitigen
gilt. Davor kann ich nur warnen. Mit diesem Weißbuch
wird ein Konzept vorgelegt, das die Schaffung eines soge-
nannten einheitlichen strategischen Ansatzes vorschlägt.
Dafür setzt die EU-Kommission unter anderem Themen-
schwerpunkte fest, die durchaus begrüßenswert sind, bei-
spielsweise die Förderung der Gesundheit in einer altern-
den Gesellschaft oder den Schutz der Bürger vor
Gesundheitsgefahren. Das Mittel zur Umsetzung, das die
Kommission dafür wählt, geht allerdings weit über eine
einfache koordinierte Zusammenarbeit hinaus, sogar
weit über das hinaus, was der EG-Vertrag in Art. 152 vor-
sieht. Die Kommission kündigt einen neuen Mechanismus
der „Strukturierten Zusammenarbeit“ an, der die Kom-
mission befähigen soll, „Prioritäten zu nennen, Indikato-
ren festzulegen, Leitlinien und Empfehlungen zu erarbei-
ten, den Austausch bewährter Verfahren zu fördern und
Fortschritte zu bewerten“. Damit begibt sie sich in die
Rolle des federführenden Akteurs, der nicht nur – wie vom
EG-Vortrag eigentlich vorgesehen – die Politik der Mit-
gliedstaaten ergänzt und gegebenenfalls unterstützt. Die
Kommission billigt sich vielmehr selbst – sowohl inhalt-
lich als auch methodisch – eine Funktion zu, die ihr recht-
lich nicht zusteht und die zudem die Gefahr einer unge-
rechtfertigten Bürokratieerweiterung birgt. Bereits heute
schafft die sogenannte Offene Methode der Koordinie-
rung einen Mechanismus, der die klaren Zuständigkeiten
der Mitgliedstaaten zu verwischen droht und der nahezu
keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Noch ein-
mal: Es geht uns nicht um die Ablehnung jeglicher Koor-
dinierungstätigkeit seitens der EU. In Einzelfällen, in de-
nen daraus für die Mitgliedstaaten ein Mehrwert entsteht,
weil die zu bewältigenden Probleme grenzübergreifend
sind, ist dies durchaus sinnvoll. Eine solche Koordinie-
rung kann aber auch im Rahmen von Einzelermächtigun-
gen stattfinden und bedarf keiner umfassenden Übertra-
gung von Kompetenzen für einen Bereich, in dem nach
Art. 152 Abs. 5 die „Verantwortung der Mitgliedstaaten
für die Organisation des Gesundheitswesens und die me-
Zu Protokoll
dizinische Versorgung in vollem Umfang“ gewahrt blei-
ben soll.

Der ursprüngliche Entwurf des heute abgestimmten
Entschließungsantrags der Koalitionsfraktionen hat
diese Aspekte klar benannt. Leider wurde diese Klarheit
bei der anschließenden Abstimmung mit dem Bundesmi-
nisterium für Gesundheit sehr reduziert. Aus diesem
Grund sehen sich die Mitglieder meiner Fraktion nicht in
der Lage, diesem Entschließungsantrag in seiner neuen
Form zuzustimmen.

M
Marion Caspers-Merk (SPD):
Rede ID: ID1616638600


Die Befassung mit dem von der EU-Kommission vor-
gelegten Weißbuch für eine EU-Gesundheitsstrategie gibt
uns die Gelegenheit, einige ganz wesentliche Punkte an-
zusprechen. Es geht dabei um die Haltung Deutschlands
zu grundsätzlichen Weichenstellungen für die Gesund-
heitspolitik auf europäischer Ebene.

Diese Überlegungen haben die die Regierungskoali-
tion tragenden Fraktionen gemeinsam im vorliegenden
Entschließungsantrag zusammengefasst. Aus Sicht der
Bundesregierung möchte ich den Entschließungsantrag
nachdrücklich unterstützen. Es ist überaus erfreulich,
dass Parlament und Regierung bei diesem Thema an ei-
nem Strang ziehen.

Wir sind uns einig, dass die Initiative der EU-Kommis-
sion für eine Gesundheitsstrategie grundsätzlich die
Chance beinhaltet, den Stellenwert und die Sichtbarkeit
der europäischen Gesundheitspolitik als zentralen Poli-
tikbereich zu erhöhen. Gleichwohl muss unmissverständ-
lich klargemacht werden: Die Verantwortung der Mit-
gliedstaaten für die Gestaltung und Steuerung der
Gesundheitssysteme darf nicht von der Gesundheitsstra-
tegie infrage gestellt werden. Die geltende Kompetenzab-
grenzung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommis-
sion muss gewahrt bleiben.

Es wird bei der Umsetzung der Gesundheitsstrategie
darauf zu achten sein, dass die Zuständigkeiten auch
nicht durch den beabsichtigten Mechanismus zur struktu-
rierten Zusammenarbeit verwischt werden. Hier gilt ge-
nauso wie in der Offenen Methode der Koordinierung,
dass wir insbesondere die Festlegung von quantifizierten
Zielen auf EU-Ebene nicht akzeptieren sollten.

Darüber hinaus wäre der Versuch, die historisch ge-
wachsenen und hochkomplexen Gesundheitssysteme
über verallgemeinerte europäische Zielvorgaben zu steu-
ern, sowieso zum Scheitern verurteilt. So einfach geht das
nicht.

Wir begrüßen hingegen ausdrücklich eine europäische
Koordinierung und Zusammenarbeit in den Bereichen, in
denen ein klarer Mehrwert zu erkennen ist oder sich He-
rausforderungen grenzüberschreitend stellen, zum Bei-
spiel bei der Bekämpfung von Aids oder bei einem
gemeinsamen Vorgehen zur Förderung von gesunder Er-
nährung und mehr Bewegung. Hier können wir durch
eine verbesserte europäische Kooperation Vorteile für die
Bürgerinnen und Bürger realisieren.



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616638700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/9412, in Kenntnis der Unterrichtung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des
restlichen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Engagement für eine nachhaltige Tou-
rismusentwicklung – Ausweisung der CO2-Bi-
lanz bei Pauschalreisen

– Drucksache 16/9346 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Klaus
Brähmig, CDU/CSU, Dr. Reinhold Hemker, SPD, Jens
Ackermann, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die Linke, Bettina
Herlitzius, Bündnis 90/Die Grünen.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1616638800

Der heute zu debattierende Antrag zum Thema „Mehr

Engagement für eine nachhaltige Tourismusentwick-
lung“ der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zielt vor al-
lem darauf ab, Verbrauchern künftig durch die Auswei-
sung der mit einer Pauschalreise verbundenen CO2-
Emissionen die Möglichkeit zu geben, ihre Reiseentschei-
dung auch nach der Klimabelastung ihrer Reise zu tref-
fen. Deshalb sollen alle Reiseveranstalter verpflichtet
werden, die transferbedingten CO2-Emissionen und alle
anderen klimawirksamen Emissionen von Pauschalreisen
in Katalogen, Broschüren, sonstigen Printmedien sowie
im Internet gut sichtbar auszuweisen. Zur Begründung
wird darauf verwiesen, dass die mit dem Tourismus ver-
bundenen Probleme einen besonderen Stellenwert haben,
da der Tourismus etwa 5 Prozent der weltweiten CO2-
Emissionen verursacht und sich dieser Anteil aufgrund
hoher Wachstumsraten weiter vergrößern wird.

Die grundsätzliche Idee, den Verbrauchern mehr In-
formationen über die reisebedingte Umweltbelastung zur
Verfügung zu stellen, ist zu begrüßen. Diese Überlegung
sorgt aber für technische, organisatorische und finan-
zielle Probleme bei den Anbietern von Pauschalreisen.
Eine solche Auflistung für sämtliche im Rahmen einer
Pauschalreise gebuchten Verkehrsmittel wäre nicht nur
sehr aufwendig, sondern technisch schwer zu erstellen.
Bei der Angebotserstellung von Pauschalreisen stehen
die dabei genutzten Verkehrsmittel noch nicht fest. Dies
betrifft zum Beispiel unterschiedliche Flugzeugtypen
oder die Flugrouten, die vielleicht Zwischenlandungen
beinhalten. Die genaue Umrechnung auf den einzelnen
Passagier und damit auf die einzelne Reise hängt weiter
von der Auslastung sowie dem Frachtanteil des jeweili-
gen Fluges ab, was ebenfalls vorher nicht absehbar ist.
Dies wäre auch eine einseitige Belastung von Reisever-
anstaltern gegenüber den Verkehrsträgern Bus, Bahn
etc., die diese Information nicht liefern müssten. Außer-
dem würde bei dieser Erhebungspraxis der hohe Anteil
der Geschäftsreisen nicht berücksichtigt.

Dennoch wäre es wünschenswert, wenn für alle Reisen
eine annäherungsweise CO2-Bilanz vorliegen würde.
Diese könnte beispielsweise durch Durchschnittswerte
des Flottenverbrauchs der einzelnen Verkehrsträger Bus,
Schiff, Bahn und Flugzeug errechnet werden. Wir sind al-
lerdings absolut gegen eine gesetzliche Vorgabe, sondern
setzen auf freiwillige Selbstverpflichtung, und das aus gu-
tem Grund: 1994 hat Friedemann Prose in seiner Studie
„Ansätze zur Veränderung von Umweltbewusstsein und
Umweltverhalten aus sozialpsychologischer Perspek-
tive“ darauf hingewiesen, dass Selbstverpflichtungen die
größte Wirksamkeit beim Klimaschutz haben. Dort heißt
es:

Ein Klimaschutz-Marketing, mit dem eine nachhal-
tige Verhaltensänderung bewirkt werden soll,
müsste direkt und indirekt dazu beitragen, ein Ge-
meinwohldenken und -handeln sowie ein entspre-
chendes Problem- und Verantwortungsbewusstsein
zu entwickeln, bestärken und zu fördern.

Das kann nach Proses Ansicht nicht von außen er-
zwungen werden, sondern nur über die von innen kom-
mende Motivation und die Verinnerlichung entsprechen-
der Werte dauerhaft entstehen. Weiter heißt es dort:

Rein betriebswirtschaftliche Begründungen oder
ausschließliche Berechnungen der individuellen
Kosten/Nutzen-Relation wirken dem Gemeinwohl-
denken entgegen. Ordnungspolitische und finanzielle
Maßnahmen bedeuten äußeren Zwang bzw. externe
Anreize. Sie sind kaum geeignet, Einstellungen dau-
erhaft zu verändern und eine innere Motivation auf-
zubauen.

Selbstverpflichtung, Zielsetzungsprozeduren und Vor-
bildverhalten haben sich empirisch als wirksamste In-
strumente einer langfristigen Verhaltensänderung erwie-
sen.

Insofern würde ich mir wünschen, dass beispielsweise
der besonders umweltfreundliche Verkehrsträger Reise-
bus mit der Bereitstellung von solchen Informationen zur
CO2-Bilanz seinen Beitrag zum Klimaschutz noch besser
darstellen könnte. Auch deutsche Fluggesellschaften ver-
fügen aufgrund einer sehr modernen und verbrauchs-
armen Flotte über einen Wettbewerbsvorteil gegenüber
vielen ausländischen Konkurrenten. Wenn sich die ersten
Reiseveranstalter mit solchen Angaben freiwillig profilie-
ren, wird das geänderte Umweltbewusstsein automatisch
einen Druck auf die Branche erzeugen und ein langfristi-
ges Umdenken in Gang setzen.

Wir sollten bei der ganzen Diskussion um die Nachhal-
tigkeit von Reisen nicht damit anfangen, Reiseziele ge-


(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brähmig
geneinander auszuspielen. Die gegenwärtige Debatte um
Einschränkungen bei Flugreisen zugunsten des Klima-
schutzes lässt leider die vielen positiven Effekte von Flug-
reisen völlig außer Acht. Weltweit setzen viele Entwick-
lungsländer auf den Tourismus zur Armutsbekämpfung
und erwirtschaften damit dringend benötigte Devisen.
Aber auch in Deutschland sichert der Tourismus direkt
und indirekt fast 3 Millionen Arbeitsplätze – zu einem er-
heblichen Umfang auch durch Auslandsurlaub und Flug-
reisen. Gute Flugverbindungen sorgen im Übrigen mit
dafür, dass Deutschland große Zuwächse an ausländi-
schen Gästen verzeichnen kann, deren Ausgaben deutlich
über denen der inländischen Gäste liegen.

Außerdem wurde im Luftverkehr durch immer effizien-
tere Triebwerke, Flottenmodernisierungen und eine bes-
sere Auslastung der Flugzeuge eine nachhaltige Reduzie-
rung des Treibstoffverbrauchs erreicht. Ein Verbrauch
von 3 Litern auf 100 Kilometer pro Passagier ist hier
schon oft verwirklicht. Wichtige Schritte zur weiteren Re-
duzierung des Verbrauchs wären vor allem die Beseiti-
gung von Engpässen in der Verkehrsinfrastruktur, zum
Beispiel im Bereich der Flugsicherung, dem bedarfsge-
rechten Ausbau von Flughäfen und dem Abbau unnötiger
Warteschleifen.

Weiterhin leistet der Tourismus auch einen wichtigen
Beitrag zur Völkerverständigung. Tourismus ist eine her-
vorragende Form der Außenpolitik, da das Kennenlernen
anderer Kulturen die Wahrscheinlichkeit feindlicher
Handlungen oder kriegerischer Auseinandersetzungen
wesentlich verringert. Diese Aspekte des Reisens sollten
Sie, liebe Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, nicht
vernachlässigen. Gerade Sie fordern doch sonst immer
ganzheitliche Politikansätze.

Abschließend möchte ich noch auf die Forderung ein-
gehen, der Bund solle sich als Eigentümer der Deutschen
Bahn AG dafür einsetzen, dass die Bahn künftig aus-
schließlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen be-
zieht. Die Atomkraft aus Sicht des Klimaschutzes und aus
Kostengründen aus der Betrachtung auszuschließen,
zeigt schon Ihre rein ideologische und nicht von Logik ge-
prägte Denkweise. Die Verteuerung der Bahnfahrkarten
durch Ökostrom wird sicherlich nicht die Attraktivität der
Bahn steigern. Es ist eher zu befürchten, dass der Pkw
dann vergleichsweise doch wieder ein günstiges Verkehrs-
mittel bleibt. Aber auch hier ist ja noch ein Umdenken
möglich. Vielleicht werde ich noch erleben, dass grüne
Politiker mit Transparenten für den Bau neuer moderner
Atomkraftwerke demonstrieren. Das wäre ein effizienter
Weg, den Klimawandel zu gestalten, und er wird von fast
allen westlichen Ländern – mit Ausnahme Deutschlands –
beschritten. Zwei Spitzenfunktionäre der Grünen haben
ja nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament das
Potenzial der Atomenergie für sich schon erkannt.


Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1616638900

Der vorliegende Antrag befasst sich mit einem Teilas-

pekt der gesamten Bemühungen für den Klimaschutz, ins-
besondere durch die Minderung der CO2-Emissionen. In
den Antrag eingearbeitet sind Erkenntnisse, die in den
Berichten der Bundesregierung seit langem vorgelegt
Zu Protokoll
wurden und werden. Im Feststellungsteil werden teilweise
Fakten genannt, auf die sich auch die Bundesregierung
im letzten Tourismusbericht, Drucksache 16/8000, bezo-
gen hat. Dazu gehört die Feststellung, dass der Touris-
mus nach Schätzung der Welttourismusorganisation,
UNWTO, derzeit etwa 5 Prozent der weltweiten CO2-
Emissionen verursacht, genauso wie der Verweis auf die
doppelte Verknüpfung von Tourismus und Klimawandel.
Denn zum einen ist eine intakte Umwelt eine der wichtigs-
ten Rahmenbedingungen für einen Tourismusstandort,
zum anderen werden gerade auch durch den Tourismus
Umweltbelastungen verursacht, die zum Klimawandel
beitragen.

Positiv ist an dem Antrag, dass bezogen auf den Be-
reich Tourismus auf denkbare und bereits existente Ini-
tiativen wie zum Beispiel die Initiative von atmosfair ein-
gegangen wird.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass eine isolierte
Initiative, wie im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen in-
tendiert, nicht losgelöst von dem ambitionierten Gesamt-
konzept der Bundesregierung für einen wirksamen
Klimaschutz verfolgt werden sollte. Ziel aller Einzelbe-
mühungen in der Energie- und Umweltpolitik muss die Si-
cherstellung von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlich-
keit und Umweltverträglichkeit sein. Das Ziel einer
besseren CO2-Bilanz soll weder die Wettbewerbsfähigkeit
der Unternehmen einschränken noch die Verbraucher
überfordern. Klimaschutz muss Teil und nicht Hemm-
schuh einer modernen ökonomischen Entwicklung sein.

Durch den Anstieg der Preise für fossile Energie,
durch die Möglichkeiten für Wertschöpfung und Beschäf-
tigung bei der Ausweitung der erneuerbaren Energien
und durch die großen Potenziale der Technik für erneuer-
bare Energien für neue Exportmärkte erbringt Klima-
schutz bereits heute mehr, als dass er „kostet“. Dieser
Tenor sollte in allen Bemühungen zum Klimaschutz he-
rausgestellt werden.

Hingewiesen werden muss ebenfalls darauf, dass ein-
zelne im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen erwähnte
Maßnahmen ohnehin bereits zum Beispiel von den Ver-
kehrspolitikern, die Verantwortung im Bereich der Deut-
schen Bahn AG tragen, im Rahmen ihrer jeweiligen Zu-
ständigkeit verfolgt werden. Das gilt nicht nur für die
Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen,
sondern für die gesamten auf Nachhaltigkeit ausgerich-
teten Maßnahmen im Bereich der Deutschen Bahn AG.
Regierungsamtlich verordnet werden können solche
Maßnahmen, wie sie im Antrag genannt werden, ohnehin
eher nicht.

Zudem ist die Bundesregierung derzeit dabei, die Emp-
fehlungen der UN-Klimakonferenz auf Bali umzusetzen.
Dazu gehört unter anderem auch die im Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen erwähnte europäische Initiative
zur Abschaffung der Steuerbefreiung von Kerosin.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass bei den
jetzt laufenden Zwischenabstimmungen für die Bali-
Nachfolgekonferenz im Jahr 2009 in Kopenhagen der Be-
reich des Flugverkehrs elementarer Bestandteil der Ver-
einbarungen zur Reduzierung der Treibhausgase wird.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhold Hemker
Dabei werden einzelne Aspekte aus dem Antrag der
Grünen berücksichtigt werden. Es ist auch darauf hinzu-
weisen, dass zum Beispiel die Einbeziehung des Flugver-
kehrs in den Emissionshandel als sehr positive Entwick-
lung bewertet werden muss.

Zusammengefasst: Wichtig ist, dass diejenigen, die
sich um eine nachhaltige Tourismusentwicklung bemü-
hen, das Gesamtkonzept der Bundesregierung mit ihren
jeweiligen Schwerpunkten begleiten und auf die baldige
Verabschiedung des Gesamtkonzeptes drängen. Einzelne,
isolierte Initiativen, die zudem in den Verantwortungs-
und Ausgestaltungsbereich von Reiseveranstaltern ein-
greifen, sind nicht zu befürworten. In den Gesprächen mit
dem Deutschen Tourismusverband und der Deutschen
Tourismuszentrale mit einzelnen Reiseveranstaltern sind
die im Antrag genannten Punkte ohnehin immer Ge-
sprächsgegenstand.

Ich freue mich auf die Fachdiskussionen und frucht-
bare Anregungen im Ausschuss.


Jens Ackermann (FDP):
Rede ID: ID1616639000

Der Antrag der Grünen „Mehr Engagement für eine

nachhaltige Tourismusentwicklung – Ausweisung der
CO2-Bilanz bei Pauschalreisen“ geht grundsätzlich in
eine richtige Richtung. Leider ist aber die Umsetzung im
Detail nicht so gut gelungen.

So wird in den ersten drei der acht Forderungen an die
Bundesregierung gefordert, die Reiseveranstalter zur
Ausweisung der CO2-Emissionen zu verpflichten, und
zwar für jede Reise, in sämtlichen Medien und Katalogen.
Das ist ein riesiger Mehraufwand für die Veranstalter,
und die dadurch entstehenden Kosten würden mit Sicher-
heit auf den Endverbraucher umgelegt werden. Dabei
sollte es doch unser gemeinsames Anliegen sein, den Tou-
rismus in Deutschland zu stärken. Die Wachstumsbran-
che Tourismus hat eine zu große ökonomische Bedeutung,
um sie willentlich mit übertriebener Bürokratie zu brem-
sen. Wir als FDP sind für den Bürokratieabbau und nicht
für den Bürokratieaufbau. Gerade für ländliche und tou-
ristisch kleiner organisierte Veranstalter ist eine weitere
bürokratische Hürde wie die Verpflichtung zur Auswei-
sung der CO2-Emission enorm blockierend. Daher sind
wir für eine Selbstverpflichtung der Reiseveranstalter.

Das gleiche gilt für Standards wie TREMOD. Warum
sollte man diese zur Verpflichtung machen? TREMOD ist
die allgemein akzeptierte Datengrundlage für Energie-
und Emissionsdaten aus dem Bereich Verkehr und damit
jetzt schon Grundlage für alle Reiseveranstalter. Warum
sollte man an einer funktionierenden Sache etwas än-
dern?

Mit der Forderung, die Verbraucher zu informieren,
muss man vorsichtig sein, werden dann doch die Verbrau-
cher, die aufgrund ihrer finanziellen Lage nicht zwischen
ökologisch sinnvollen und preiswerten Reisen unterschei-
den können, diskriminiert. Wir dürfen nicht vergessen,
dass mehr als die Hälfte aller Reisenden sich bei der Wahl
ihres Urlaubes stark am Preis orientiert. Umweltschutz
spielt für diese Gruppe nur eine untergeordnete Rolle.
Man darf diesen Teil der Urlauber aber nicht vergessen
Zu Protokoll
und sollte sie behutsam und nicht mit dem Knüppel an ei-
nen nachhaltigen Tourismus heranführen.

Daher unterstützen wir auch den Punkt fünf der For-
derungen der Grünen, nämlich den eingeschlagenen Weg
zur Stärkung des Deutschlandtourismus konsequent fort-
zusetzen. Das geht eben nicht von heute auf morgen.
Schwierig wird es bei der sechsten Forderung. Grund-
sätzlich sind wir als FDP auch für die Abschaffung der
Steuerbefreiung für Kerosin, aber nur, wenn wir welt-
bzw. mindestens europaweit eine einheitliche Lösung fin-
den. Wir können es uns nicht erlauben, den deutschen
Tourismussektor im Vergleich zu anderen Ländern so
schlechterzustellen. Dies wäre ein klarer Rückschlag für
die gesamte deutsche Tourismusbranche. Derartige na-
tionale oder europäische Alleingänge bringen nichts für
den Klimaschutz, da dies vor allem zu Verlagerungen
führt. Profitieren würde zum Beispiel ein Standort wie
Dubai, der heute schon in den Startlöchern steht und nur
auf solche ideologischen Eigentore aus Europa lauert.
Den Schaden hätte der Luftverkehrsstandort Deutsch-
land bzw. Europa. Das können auch Sie als Grüne nicht
wollen. Denn kaum eine Branche sichert so viele Arbeits-
plätze und schafft sogar neue wie der Luftverkehr.

Ich frage mich, ob die Grünen ein besonderes Interesse
an dem Unternehmen atmosfair gGmbH haben. Sie nen-
nen das Unternehmen als einziges Beispiel für einheitli-
che Regularien zur Leistung eines Beitrages zur Treib-
hausgasminderung. Dabei gibt es noch mehrere
Angebote von unterschiedlichen Unternehmen, die auf
ähnliche Weise dem ökologisch interessierten Reisenden
Möglichkeiten zur Abgeltung seiner „Ökoschuld“ bieten.
Wir weigern uns, wenn es darum geht, sich auf ein Unter-
nehmen festzulegen, da das dem Wettbewerb sicher nicht
hilft.

Die achte Forderung, dass sich die Bundesregierung
für die ausschließliche Verwendung von Ökostrom einset-
zen soll, lehnen wir ab. Die Deutsche Bahn AG wurde,
wie der Name schon sagt, bewusst zur AG, damit sich der
Bund nicht in organisatorische Abläufe einmischt. Auch
hier wäre eine Selbstverpflichtung sinnvoller als jede er-
zwungene Verpflichtung.

Voraussetzung für eine langfristig ökonomisch erfolg-
reiche Entwicklung des Tourismus sind neue Ansätze,
aber das weiß die Branche ja selber. Daher gibt es inner-
halb der Tourismusindustrie verstärkt Ideen und konkrete
Handlungen, zum Beispiel den Tourismus per Bus und
Bahn. Auch die verstärkte Nachfrage nach Reisen inner-
halb Deutschlands zeigt doch, wie stark sich auch das
Reiseland Deutschland etabliert hat. Dass die Reisenden
damit nebenbei die Umwelt schonen, weil sie auf lange
Flüge verzichten, ist doch sehr gut. Daher kann man
grundsätzlich den Antrag der Grünen als Idee gutheißen,
leider mangelt es an der realistischen Umsetzung, da es
zu viel Bürokratie bedeutet und zu teuer ist.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616639100

Ja, es stimmt: Die Tourismusbranche wächst weltweit

und auch in Deutschland stärker als viele andere Wirt-
schaftsbereiche. Mehr Reisende bringen auch ein Mehr
an Belastungen für Klima und Umwelt.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert
Trotzdem ist es für die Linke eine Errungenschaft,
wenn nicht nur wenige Reiche, sondern zunehmend mehr
Menschen andere Länder und Kulturen kennenlernen
können. Wenn also der Ferntourismus heute einer breiten
Masse offensteht, halten wir dies für eine Demokratisie-
rung des Zugangs zu interkultureller Erfahrung. Selbst-
verständlich wissen wir auch um die Bedeutung des
Klimaschutzes und sehen die damit einhergehenden Pro-
bleme. Die Situation ist und bleibt janusköpfig.

Den vorliegenden Antrag halte ich vom Anliegen her
zunächst einmal für begrüßenswert. Die geforderte Infor-
mation über die jeweilige CO2-Emission von Touristik-
angeboten folgt einem ähnlichen Prinzip der Ermögli-
chung bewusster Verbraucherentscheidungen wie etwa
die Ausweisung der Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln,
die Warnungen vor Gesundheitsrisiken auf Zigaretten-
schachteln, die Energiebilanz bei Elektrogeräten oder
andere Beispiele der Produkttransparenz, wie sie heute
bereits zum Standard geworden sind.

Dennoch müssen einige Ihrer Ausgangspunkte und die
daraus vorgeschlagenen Konsequenzen hinterfragt wer-
den. Sie beziehen sich bei der Analyse von CO2-Emissio-
nen der Tourismuswirtschaft lediglich auf die Transfers,
also das Reisen von A nach B, nicht aber auf den Aufent-
halt selbst. Innerhalb dieser Transfers zielt Ihr Antrag le-
diglich auf die Gruppe der Pauschalreisen, mit anderen
Worten: den sogenannten Massentourismus.

Die Linke hält jedoch auch die Ökobilanz des touristi-
schen Aufenthaltes vor Ort für nicht unbedeutend. Hier
zeigt sich, dass die individuelle Umweltbilanz gerade für
Luxusreisende – große vollklimatisierte Suiten, riesige
beheizte Pools, Golfanlagen, private Safaris etc. – weit-
aus höher ist als die des einzelnen „Massentouristen“,
der sich doch mit verhältnismäßig einfachem Komfort be-
scheidet. Es ist also unklar, warum sich Ihre Forderung
nur auf den Transfer und dann ausgerechnet auf Pau-
schalreisen beschränkt.

Selbst wenn man nur den Transport ins Auge fasst – als
einen ersten und wichtigen Schritt vielleicht –, wäre es
zielführender und konsequent, alle Personentransporte
durch die neue Regelung zu erfassen. Warum verpflichte-
ten wir nicht alle Verkehrsträger – Fluggesellschaften,
die Bahn, Busunternehmen, Schiffe –, auf ihren Tickets
die jeweilige CO2-Belastung auszuweisen? Sicherlich
gibt es auch Möglichkeiten, Autofahrer über ihren indivi-
duellen CO2-Ausstoß je Fahrt zu informieren. Pauscha-
lanbieter können dann verpflichtet werden, diese Anga-
ben bei ihren Angeboten mit aufzuführen, da sie diese
Angaben beim Einkauf der Transferleistungen vom Ver-
kehrsträger erhalten. All dies würde das Bewusstsein für
Klimafragen schärfen, und hier würde sich auch zeigen,
dass ein Erste-Klasse-Flugticket die Umwelt deutlich hö-
her belastet als eines in der Touristenklasse.

Einig sind wir uns auch in der Frage, dass das Auswei-
sen der CO2-Bilanz allein nicht für eine nachhaltige Tou-
rismusentwicklung reicht. Notwendig sind unter anderem
die Kerosinsteuer im Flugverkehr und andererseits die
stärkere Förderung des Inlandstourismus, vor allem des
Rad- und Wandertourismus. Ein richtiger Weg wäre, den
öffentlichen Fernverkehr mit Bus und Bahn – auch im
Zu Protokoll
Verbund mit den europäischen Nachbarländern – auszu-
bauen und – verstanden als soziale und umweltbewusste
Aufgabe – weitgehend öffentlich zu finanzieren. Leider ist
die Koalition mit der Bahnprivatisierung den entgegen-
gesetzten Weg gegangen. Es war ihre Entscheidung, die
Bahn profitorientiert statt sozial- und damit klimaorien-
tiert zu entwickeln. Es ist pervers, wenn Menschen inner-
halb Deutschlands nur mit dem Flugzeug reisen, weil es
deutlich preiswerter ist als die Bahn. Selbst Reisende mit
Umweltbewusstsein müssen angesichts ihrer Einkommen
auf den billigeren Verkehrsträger zurückgreifen. Ich will
auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: Jeder
Verkehrsträger hat seine Stärken und Schwächen. Wer
Ferntourismus will – und wir möchten, dass sich Men-
schen verschiedener Kontinente begegnen –, braucht
auch bezahlbare Flugreisen. Amerika ist mit dem Rad,
dem Bus oder der Bahn von Europa aus nicht zu errei-
chen. Es geht darum, das aus umweltpolitischer Sicht
jeweils optimale Verkehrsmittel für eine bestimmte Ent-
fernung für den Einzelnen auch ökonomisch zum attrak-
tivsten zu machen.

Natürlich gibt es auch Reisen, deren Sinn mit Blick auf
die Klimabelastungen bezweifelt werden muss. Dazu ge-
hören die Kurzreisen zum Shoppen nach New York, Dubai
oder Mailand ebenso wie manche Geschäftsreise, die vie-
len unnötigen Beamtenshuttles zwischen Berlin und Bonn
oder die Reisen der Bundeswehr an den Hindukusch.

Wir brauchen eine sozial gerechte und umweltbe-
wusste Tourismuspolitik und keine Tourismuspolitik, bei
der die Klimabilanz aufgebessert wird, indem Menschen
mit niedrigen Einkommen ausgegrenzt werden. Das wäre
unsolidarisch und ist mit der Linken nicht zu machen.


Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1616639200

Die Tourismuswirtschaft zählt zu den weltweit am

stärksten wachsenden Branchen. Aber wir alle wissen
auch, dass es durch den Tourismus zu problematischen
Entwicklungen für Natur, Umwelt und bei der Einhaltung
sozialer Standards kommen kann. Das haben wir in die-
sem Haus bereits mehrfach thematisiert. Der Klimawan-
del wird Auswirkungen auf den Tourismus haben, auch
das wird der Branche zunehmend bewusster. Leider han-
delt die Tourismusindustrie aber noch nicht danach, aus-
genommen wenige nachhaltige touristische Nischenpro-
dukte.

Mit unserem vorliegenden Antrag „Ausweisung der
CO2-Bilanz bei Pauschalreisen“ wollen wir uns die
Kräfte des Marktes für die von uns Grünen gewünschte
nachhaltige Tourismusentwicklung zunutzemachen. Da-
bei wollen wir mit unseren politischen Aktivitäten gerade
nicht die touristischen Nischenprodukte ansprechen. In
Zeiten des Klimawandels sollte auch die Massentouris-
musindustrie Zeichen setzen und verpflichtet werden, bei
ihren Pauschalreiseangeboten die Höhe der transferbe-
dingten CO2-Emissionen auszuweisen. Warum also aus-
gerechnet die Ausweisung bei Pauschalreiseangeboten?
Pauschal- und Bausteinreisen sind bei den Auslandsrei-
sen mit knapp 60 Prozent die am häufigsten gewählte Art
der Organisation einer Urlaubsreise. Bei der Wahl des
Verkehrsmittels für diese Art der Urlaubsreise liegt das
Flugzeug bei den Auslandsreisen deutlich an erster Stelle.
Sie alle wissen, dass beim Flugverkehr über elfmal mehr



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Bettina Herlitzius
CO2-Emissionen im Vergleich zum Reisebus oder gar zum
Fernverkehr der Bahn in die Atmosphäre emittiert wer-
den. Flugreisen, Flugverkehr überhaupt sind ein großes
Umweltproblem. Wir Grünen wollen uns dafür stark ma-
chen, dass die Verbraucher für die Problematik „Reisen
– Treibhauseffekt – Klimawandel“ sensibilisiert werden.

Tourismus und Mobilität sind eng miteinander verwo-
ben. Tourismus ist abhängig von Mobilität und trägt da-
mit unweigerlich zum Klimawandel bei. Zur Verdeutli-
chung: Im Tourismus sind 75 Prozent des CO2-Ausstoßes
der Mobilität zuzurechnen. Gerade deshalb steht die
Wahl des Transportmittels bei einer Reise im Mittelpunkt,
wenn man den CO2-Verbrauch einer Reise reduzieren
will. Man kann es nicht oft genug sagen, es gibt große Un-
terschiede zwischen der Art des für eine Reise gewählten
Verkehrsmittels und den jeweiligen spezifischen CO2-Be-
lastungen. Die Angaben zum CO2-Verbrauch für den
Transport bei einer Pauschalreise sind deshalb ein erster
Schritt zu mehr Transparenz. Mit der von uns Grünen an-
gestrebten Ausweisung hat jede/jeder Reisende selbst die
Möglichkeit, seine Reiseentscheidung auch nach der Kli-
mabelastung der Reise zu treffen. Das trifft den Puls der
Zeit. Und auch der Deutschlandtourismus könnte von ei-
ner Ausweisung der CO2-Bilanz bei Pauschalreisen
durchaus profitieren und gestärkt werden.

Die Verbraucher legen immer mehr Wert auf gesell-
schaftliche und ökologische Verantwortung. Wir wollen
nicht den Sommerurlaub des „kleinen Mannes“ auf
Mallorca oder gar die Fernreise verbieten. Es ist auch
nicht unser Ziel, den moralischen Zeigefinger zu heben.
Wir Grüne setzen auf mehr Augenmerk der Verbraucher
für verantwortungsvolles Reisen. Das lässt sich nur mit
transparenter Informationspolitik erreichen. Dazu bitten
wir um die Unterstützung dieses Hauses.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616639300

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9346 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaela
Noll, Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-

(Rosenheim)

rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Wirksame Bekämpfung der Genitalverstüm-
melung von Mädchen und Frauen

– Drucksache 16/9420 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Michaela
Noll, CDU/CSU, Angelika Graf (Rosenheim), SPD, Si-
bylle Laurischk, FDP, Dr. Kirsten Tackmann, Die Linke,
Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1616639400

„Was lange währt, wird endlich gut.“ Unter dieses

Motto könnte man unseren Antrag fassen. Wir haben uns
die notwendige Zeit genommen, um zu einem guten Er-
gebnis zu kommen.

Die langen Verhandlungen mit unserem Koalitions-
partner haben sich daher ausgezahlt. Nie zuvor gab es im
Deutschen Bundestag einen solch umfassenden und effek-
tiven Antrag zur Bekämpfung von weiblicher Genitalver-
stümmelung. Er ist weitreichender und vielseitiger als
alle Oppositionsanträge zusammen. Wir reden nicht nur,
sondern wir handeln.

In über 20 Maßnahmen gehen wir das Thema „Female
Genital Mutilation“, FGM, von allen Seiten an. Der
Handlungsbedarf ist auch wirklich geboten. Denn insge-
samt sind weltweit circa 140 Millionen Mädchen und
Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. Laut einer
UNICEF-Studie kommen jährlich schätzungsweise 3 Mil-
lionen Mädchen im Alter von vier bis zwölf Jahren hinzu.
Schätzungen zufolge sind in Deutschland etwa 30 000
Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betrof-
fen oder bedroht. Dies können und wollen wir nicht hin-
nehmen. Genitalverstümmelung ist eine schwerwiegende
Menschenrechtsverletzung, die wir entschieden verurtei-
len.

Inzwischen hat hier eine Sensibilisierung der Öffent-
lichkeit stattgefunden, wozu sicherlich auch die Bücher
von Waris Dirie und Fadumo Korn sowie die Medienbe-
richterstattung beigetragen haben. Die Bundesärztekam-
mer hat Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen
nach weiblicher Genitalverstümmelung gegeben, und die
Bundesregierung berücksichtigte die Problematik aus-
drücklich in ihrem Aktionsplan zur Bekämpfung der Ge-
walt gegen Frauen.

In meiner Rede möchte ich nun unseren Antrag vor-
stellen und mich dabei auf einige Punkte konzentrieren:

Für Mädchen und Frauen, denen Genitalverstümme-
lung in Deutschland droht, gilt, dass in Deutschland Ge-
nitalverstümmelung in jedem Fall eine Körperverletzung
gemäß § 223 Strafgesetzbuch, StGB, darstellt, unabhän-
gig davon, durch wen sie durchgeführt wird. In den meis-
ten Fällen ist Genitalverstümmelung auch eine gefährli-
che bzw. schwere Körperverletzung im Sinne des § 224
Abs. 1 Nrn. 2, 4, 5 und des § 226 StGB.

Oftmals wird die Forderung erhoben, Genitalverstüm-
melungen ausdrücklich in den Tatbestand des § 226 StGB
aufzunehmen. Eine Verurteilung nach dieser Vorschrift
hat bei Ausländerinnen und Ausländern jedoch die Aus-
weisung zur Folge. Dies führt daher zu einem Auseinan-
derreißen der Familie. Denn es sind oft die Eltern, die als
Mittäter in Betracht kommen. In der Anhörung haben


(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll
verschiedene Sachverständige darauf hingewiesen, dass
eine solche Folge den betroffenen Mädchen nicht hilft.

Viel wichtiger ist es, die jungen Mädchen und ihre Fa-
milien darüber aufzuklären, dass FGM in Deutschland
verboten ist. Deshalb wollen wir durch eine konsequente
Öffentlichkeitsarbeit darauf hinwirken, dass die Strafbar-
keit der Verstümmelung weiblicher Genitalien als Kör-
perverletzung der breiten Öffentlichkeit und insbesondere
bei den Migrantenorganisationen stärker bekannt ge-
macht wird, Mädchen und Frauen umfassend über ihre
Rechte und über Beratungs- und Zufluchtsmöglichkeiten
aufgeklärt werden.

Dazu gehört aber auch, die beteiligten Berufsgruppen
entsprechend fortzubilden. Nicht überall ist das Thema
Genialverstümmelung präsent. In unserem Antrag for-
dern wir daher, in Zusammenarbeit mit den Ländern
Fortbildungs- und Sensibilisierungskampagnen für Poli-
zei und Justiz, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen
und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter so-
wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugend-, So-
zial-, und Ausländerbehörden anzubieten.

Was ich wirklich bemerkenswert finde, ist, dass es uns
gelungen ist, eine interministerielle Arbeitsgruppe einzu-
richten. Diese interministerielle Bund-Länder-NRO-
Arbeitsgruppe, IMA, unter der federführenden Koordina-
tion des BMZ soll sich an der Struktur und Arbeitsweise
der beiden Bund-Länder-Arbeitsgruppen „Häusliche Ge-
walt“ und „Frauenhandel“ des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend orientieren. Sie
hat drei wesentliche Aufgaben: erstens die bundesweite
zielgruppensensible Aufklärung voranzubringen, zwei-
tens die Vernetzung und einen konstanten interdisziplinä-
ren Informationsaustausch der Akteurinnen und Akteure
in allen relevanten Berufsgruppen und Organisationen
sicherzustellen und drittens die fachliche Unterstützung
für Projekte auf Landes- und auf Bundesebene zu leisten.

Soweit zu einigen Maßnahmen auf nationaler Ebene.

Vergessen dürfen wir aber auch nicht die europäische
und die internationale Ebene. Weibliche Genitalverstüm-
melung ist ein weltweites Problem, dem man auch inter-
national begegnen muss. Unser Antrag sieht daher vor,
dass Deutschland sich auf internationaler und europäi-
scher Ebene für den Abbau und die Beseitigung von Ge-
walt gegen Frauen einsetzt und insbesondere im Rahmen
der Entwicklungszusammenarbeit konsequent auf Maß-
nahmen zur Bekämpfung geschlechtsbezogener und sexu-
eller Gewalt an Frauen und Mädchen hinwirkt.

All diese Maßnahmen und Bemühungen nutzen jedoch
nur wenig, wenn wir nicht die Herkunftsländer mit einbe-
ziehen. Genitalverstümmelung wird vorherrschend in
afrikanischen Staaten durchgeführt, am häufigsten in So-
malia, Ägypten Dschibuti, Sudan und in Guinea. Anhand
der Verteilung wird deutlich, dass die Tradition der Geni-
talverstümmelung keineswegs einer bestimmten Kultur
oder Religion zuzurechnen ist. In vielen Staaten ist Geni-
talverstümmelung gesetzlich verboten, wird aber den-
noch praktiziert. Unsere Anhörung hat außerdem sehr
deutlich gezeigt, dass die Maxime „Hilfe zur Selbsthilfe“
lauten muss. Denn es macht keinen Sinn, dass wir in diese
Zu Protokoll
Länder gehen und den Menschen vor Ort nahelegen, wie
sie zu leben haben und wie sie die Genitalverstümmelung
zu bekämpfen haben. Dieser Handlungsvorschlag ist
auch explizit mit in unseren Antrag aufgenommen wor-
den. Dort heißt es dazu: Bei allen Maßnahmen im Rah-
men der Entwicklungshilfe ist die Zusammenarbeit mit al-
len Generationen zu gewährleisten und die Maxime
„Hilfe zur Selbsthilfe“ stets zu beachten.

Die Union hat sich in diesem Zusammenhang beson-
ders dafür starkgemacht, dass bei Projekten vor Ort Al-
ternativrituale und Berufsperspektiven für Beschneide-
rinnen mit berücksichtigt werden. Auch ist es wichtig, die
Männer mit ins Boot zu nehmen. Bei vielen Projekten hat
sich gezeigt: Wenn auch die Männer über dieses grau-
same Ritual aufgeklärt werden und sie erfahren, was den
Mädchen und Frauen an Körper und Seele angetan wird,
lehnen sie oftmals diese Tradition ab.

„Es muss aufhören, endlich aufhören“, schrieb die
UNO-Sonderbotschafterin Waris Dirie. Mit diesem um-
fassenden Antrag kommen wir diesem Ziel ein entschei-
dendes Stück näher.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1616639500

Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschen-

rechtsverletzung. Wir haben uns schon mehrfach im
Deutschen Bundestag mit dieser grausamen Praxis aus-
einandergesetzt. Trotz internationaler Ächtung der Geni-
talverstümmelung, der Verurteilung dieser Praxis durch
zahlreiche internationale Konventionen, trotz langen und
intensiven Engagements von Politikern und Politikerin-
nen, Nichtregierungsorganisationen, Betroffenen und
Journalistinnen im Kampf gegen die Genitalverstümme-
lung, trotz umfangreicher Projekte im Rahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit und trotz einer von islami-
schen Gelehrten ausgerufenen Fatwa – Kairo 2006 – ist
Genitalverstümmelung immer noch ein gravierendes Pro-
blem. Insgesamt sind circa 130 bis 150 Millionen Mäd-
chen und Frauen von Genitalverstümmelung betroffen.
Die Zahl der Betroffenen wächst laut einer UNICEF-Stu-
die jährlich um 3 Millionen, das heißt täglich um circa
8 220.

Genitalverstümmelung ist ein Ritus, der viele unter-
schiedliche Rechtfertigungen kennt: von Initiation bis zur
Kontrolle über die weibliche Sexualität. Eltern lassen
ihre Töchter oftmals aufgrund sozialen Drucks verstüm-
meln, denn nicht verstümmelte Frauen finden nur schwer
einen Ehemann. Sie tun es nicht, weil sie ihren Töchtern
gezielt Schlimmes antun wollen, sondern weil eine archa-
isch-grausame Tradition es so vorschreibt. Dennoch ist
ihnen sicher klar, dass die Prozedur brutal ist, viele Mäd-
chen während des Eingriffes oder an den Folgen sterben.
Die Mütter wissen außerdem sicherlich aus eigener Er-
fahrung, dass ihre Töchter lebenslang gesundheitliche
Beschwerden haben werden und ihnen durch die Verstüm-
melung ihr Recht auf eine selbstbestimmte und lustvolle
Sexualität genommen worden ist. Wie sich ein Mann fühlt,
der tagaus, tagein den sexuellen Akt mit einer verstüm-
melten Frau ja oft nur mit Gewalt vollziehen kann – da-
rüber kann man als Frau nur spekulieren.



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Angelika Graf (Rosenheim)

Allen, die sich auf politischer Ebene dem Kampf gegen
die Genitalverstümmelung verschrieben haben, ist klar:
Wir brauchen zur Bekämpfung von Genitalverstümme-
lung einen integrativen Ansatz, der die Eltern von Anfang
an in Aufklärung, Prävention und – wenn die Verstümme-
lung bereits geschehen ist – in Beratung und Betreuung
mit einbezieht. Das Thema muss bei den Betroffenen aus
der Tabuecke geholt werden. Dies fordern wir in unserem
Antrag ebenso wie die Sensibilisierung derjenigen Be-
rufsgruppen, die, wie Polizei, Justiz, Lehrkräfte, Ärzte-
schaft sowie Sozial- und Jugendamtsangestellte, von
Amts wegen mit bereits verstümmelten oder von Genital-
verstümmelung bedrohten Mädchen und Frauen zu tun
haben.

Obwohl wir bereits einiges über Genitalverstümme-
lung und ihre Folgen wissen, haben wir immer noch zu
wenig Kenntnis darüber, wie wir Menschen in Ländern
mit der Tradition der Genitalverstümmelung nachhaltig
davon überzeugen können, diese Menschenrechtsverlet-
zung einzustellen. In vielen Ländern insbesondere Afrikas
ist die Genitalverstümmelung bereits heute gesetzlich
verboten. Sie wird dennoch landauf, landab praktiziert.
Deshalb war es uns von der SPD besonders wichtig, die
von wissenschaftlichen Institutionen und Nichtregie-
rungsorganisationen gemachten Vorschläge zu offenen
Forschungsfragen im Bereich der Prävention in den An-
trag mit aufzunehmen.

In den letzten Jahren sind zarte Fortschritte gemacht
worden: Es gibt in der Entwicklungszusammenarbeit seit
einigen Jahren die erfolgreiche Erprobung von alternati-
ven Initiationsriten oder Umschulungsmaßnahmen für
Beschneiderinnen. Das sind gute Beispiele. Wir können
von ihnen lernen und müssen sie im Rahmen der Entwick-
lungszusammenarbeit, von humanitären Maßnahmen so-
wie von Menschenrechtsdialogen weiter entwickeln.

Aber auch die Frage, wie wir bei uns lebende Eltern
und Mädchen aus denjenigen Ländern erreichen, in de-
nen Genitalverstümmelung weit verbreitet ist – immerhin
30 000 –, müssen wir stärker erforschen, genauso wie die
institutionellen Engagements, die dafür notwendig sind.

Weil wir die ganze Arbeit nicht allein auf zivilgesell-
schaftliche Organisationen abschieben sollten, bin ich
sehr froh, dass wir von der SPD es geschafft haben, im
Antrag eine interministerielle Bund-Länder-NRO-Ar-
beitsgruppe unter der federführenden Koordination des
BMZ festzuschreiben. Das ist einer der wirklich innovati-
ven Ansätze in diesem Antrag. Damit machen wir deut-
lich, dass viele Ressorts bei der Bekämpfung der Genital-
verstümmelung gefordert sind.

Diese Arbeitsgruppe sollte sich an der Struktur und
Arbeitsweise der beiden Bund-Länder-Arbeitsgruppen
„Häusliche Gewalt“ und „Frauenhandel“ des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
orientieren. Aufgabe dieser Gruppe könnte dann sein:
erstens die bundesweite zielgruppensensible Aufklärung
voranzubringen, zweitens die Vernetzung und einen kon-
stanten interdisziplinären Informationsaustausch der Ak-
teurinnen und Akteure in allen relevanten Berufsgruppen
und Organisationen sicherzustellen und drittens fachli-
Zu Protokoll
che Unterstützung für Projekte auf Landes- und auf Bun-
desebene zu leisten.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1616639600

Es ist im Allgemeinen eine große Freude für eine

Oppositionsfraktion, zu sehen, wie eigene Vorschläge in
Regierungshandeln umgesetzt werden. So können wir für
uns in Anspruch nehmen, die Bekämpfung der Genital-
verstümmelung von Mädchen und Frauen schon seit län-
gerem zu fordern. Wir waren mit unserer Kleinen Anfrage
bereits im April 2006 die Ersten in dieser Legislaturperi-
ode, die dieses Thema auf die Agenda dieses Bundestages
gebracht haben. Die Fakten in der Antwort der Bundes-
regierung auf unsere Fragen stellen die Grundlage unse-
rer heutigen Diskussion dar. Im Dezember 2006 haben
wir einen entsprechenden Antrag mit einem ausführli-
chen Maßnahmenkatalog gestellt. Verwunderlich ist es
dabei schon, dass dieser Antrag zusammen mit den An-
trägen der anderen Oppositionsfraktionen im Familien-
ausschuss am 12. März 2008 ein ablehnendes Votum er-
halten hat, obwohl unsere zentralen Punkte sich im
Koalitionsantrag jetzt wiederfinden. In der Beschluss-
empfehlung finden sich Äußerungen des Bedauerns der
Koalitionsvertreterinnen, dass kein überfraktioneller An-
trag zustande gekommen sei. Hätten Sie doch das Ge-
spräch gesucht, wir haben es immer wieder angeboten,
statt bei uns zum Teil wörtlich abzuschreiben. Schon der
Dezember 2006 wäre ein guter Zeitpunkt für eine über-
fraktionelle Initiative gewesen. Wir hätten dies begrüßt.

Die Genitalverstümmelung in ihren verschiedenen
Schweregraden stellt eine der gravierendsten Menschen-
rechtsverletzungen an Frauen und Mädchen dar. Sie ist
nie wieder gutzumachen und führt zu lebenslänglichen
Traumatisierungen, neben körperlichen Auswirkungen
bis hin zum Tod auch zu erheblichen nachhaltigen seeli-
schen Verletzungen. Sie ist an keine Religion gebunden
und immer Ausdruck einer patriarchalischen, oft armen
Gesellschaft mit Bildungsdefiziten, die meint, Frauen
nicht nur in ihren Rechten, sondern auch körperlich be-
schneiden zu müssen. Die Beschneiderinnen sind zwar
Frauen, aber Täter hinter diesen Täterinnen sind Män-
ner.

Wenn schätzungsweise 30 000 von in Deutschland le-
benden Mädchen und Frauen von Genitalverstümmelung
betroffen oder bedroht sind, so ist dies ein Ausdruck auch
mangelnder Integration im Inland; sie soll den Frauen
die Möglichkeit einer Rückkehr in das Heimatland offen-
halten.

Von den angekündigten Maßnahmen sind mir folgende
besonders wichtig: Die Sensibilisierung der Jugendämter
und Gerichte hat bislang schon in Einzelfällen dazu ge-
führt, dass bei drohender Genitalverstümmelung im Hei-
matland der Eltern oder Großeltern das Aufenthaltsbe-
stimmungsrecht der Sorgeberechtigten eingeschränkt
wird. Diese Sensibilisierung muss durch Aus- und Fort-
bildungsmaßnahmen derjenigen, die mit Genitalverstüm-
melungsopfern zu tun haben könnten, fortgesetzt und ver-
tieft werden.

Notwendig ist gerade in solchen akuten Bedrohungssi-
tuationen, dass Schutzräume in ausreichender Zahl und



gegebene Reden


(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
erreichbar vorhanden sind. Frauen- und Kinderschutz-
häuser sind also auch aus diesem Grunde finanziell zu si-
chern. Die Möglichkeit der Stärkung der Opfer durch eine
Verjährungshemmung bis zum Erreichen der Volljährig-
keit des Opfers habe ich in der Anhörung der Sachver-
ständigen nachgefragt. Das ist nicht nur generalpräven-
tiv nötig, sondern für die Opfer auch die einzige
Möglichkeit, ihre Traumatisierung durch das Anstoßen
eines Strafverfahrens zu bewältigen. Auch die Überprü-
fung der Länder Ghana und Senegal im Hinblick auf ihre
Einstufung als sichere Herkunftsländer auf deutscher und
europäischer Ebene halte ich für notwendig.

Die Einrichtung einer interministeriellen Arbeits-
gruppe zur Koordination der unterschiedlichen Maßnah-
men erscheint durchaus sinnvoll, wenn auch nicht im
BMZ, da sie die in Deutschland zu treffenden Maßnah-
men koordinieren soll. Vernünftig wäre es hingegen, die
entwicklungshilfepolitischen Maßnahmen selbst besser
zu vernetzen. Sehr zu begrüßen sind Maßnahmen auch
auf internationaler Ebene bei sonstigen Menschenrechts-
verletzungen an Frauen, wie die sogenannten Ehrverbre-
chen und Zwangsverheiratungen. Sie haben die gleiche
Ursache wie die Genitalverstümmelung: eine patriarcha-
lische Gesellschafts- und Familienstruktur, die Frauen-
rechte beschneidet.


Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1616639700

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere

Menschenrechtsverletzung, die Frauen dauerhaft der se-
xuellen Selbstbestimmung und eines Teils ihrer Persön-
lichkeit beraubt und das Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit in schwerster Form verletzt. Mit der Forderung
nach stärkeren und schärferen Gesetzen zur Strafverfol-
gung allein wird sich diese menschenverachtende Praxis
nicht – weder hier noch anderswo – verhindern lassen.

Ich bin erfreut, im Antrag der Fraktionen der SPD und
der CDU/CSU zu lesen, dass Sie die Sichtweise unserer
Fraktion übernommen haben und statt der Einführung ei-
nes neuen Straftatbestandes lieber darauf einwirken wol-
len, dass die bereits bestehende „Strafbarkeit der Ver-
stümmelung weiblicher Genitalien als Körperverletzung
der breiten Öffentlichkeit und insbesondere bei den Mi-
grantenorganisationen stärker bekannt gemacht wird und
Mädchen und Frauen umfassend über ihre Rechte und
über Beratungs- und Zufluchtsmöglichkeiten aufgeklärt
werden“. Dass es einigen Expertinnen bei der Forderung
nach einem eigenen Straftatbestand nicht vorrangig um
die Strafverfolgung ging, wurde ja auch in der öffentli-
chen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu den Anträgen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen, der FDP-Fraktion und unserer Frak-
tion, Die Linke, am 19. September 2007 deutlich. Bei-
spielsweise wurde dafür plädiert, einen eigenen
Straftatbestand „eher aus programmatisch abschrecken-
der Perspektive“ zu schaffen, um die Aufklärungsarbeit
zu erleichtern. Aus unserer Sicht ist es der wirkungsvol-
lere Weg, wenn die Koalitionsfraktionen jetzt die Aufklä-
rungs- und Beratungsarbeit durch umfassende Öffent-
lichkeitsarbeit unterstützen wollen.

Es ist erst auf den zweiten Blick nachvollziehbar, wel-
che Schwierigkeiten mit einer sensiblen und unbedingt
antirassistischen Aufklärungs- und Beratungsarbeit tat-
Zu Protokoll
sächlich verbunden sind. Es geht um mehr als ein gesell-
schaftliches Tabu, das verhindert, über Sexualität zu spre-
chen. Es geht oft um ganz konkrete, individuelle
Traumata, die eine Gesprächspartnerin erlitten hat.
Während in der europäischen Diskussion davon gespro-
chen wird, dass die Genitalien der betroffenen Frauen
verstümmelt wurden, bezeichnen sich die meisten Afrika-
nerinnen als „beschnitten“.

Uns geht es vor allem auch um einen kultursensiblen
Umgang. Das bedeutet, zu verstehen, dass afrikanische
Frauen ihren Töchtern nicht nur nicht schaden wollen.
Vielmehr wollen sie ihnen „etwas Gutes tun“. Denn Ge-
nitalverstümmelung ist in vielen ethnischen Gruppen die
Vorbedingung für die Aufnahme von Frauen in die soziale
Gemeinschaft. Nur so erhalten sie die Chance, über eine
Ehe ihren Lebensunterhalt abzusichern. Das kann, nein,
das muss man ächten – aber es erfordert eben auch den
Bruch mit uralten Bräuchen und Ritualen. Im Grunde
geht es um nichts weniger als die notwendige Verände-
rung der sozialen Stellung der Frau in diesen Gesell-
schaften und Communities. Der Ruf nach härteren Stra-
fen ist angesichts dieser Herkulesaufgabe ebenso hilf-
wie erfolglos.

Eine solche anspruchsvolle Beratungs- und Aufklä-
rungsarbeit braucht viel Zeit, Geld und muttersprach-
liche Mitarbeiterinnen. Bislang wird diese Arbeit von
einzelnen, meist ehrenamtlichen Aktivistinnen und Bera-
tungsstellen geleistet. Ihre Arbeit muss dringend unter-
stützt und zu einem echten Beratungsnetz ausgebaut wer-
den. Hier sind die Forderungen der Koalitionsfraktionen
allerdings erschreckend dünn ausgefallen. Es ist bei wei-
tem nicht genug, wenn sich die Bundesregierung gemein-
sam mit den Bundesländern dafür einsetzt, „dass für
Betroffene Beratungs- und sonstige Unterstützungsleis-
tungen auch weiterhin angeboten werden“. Hier ist die
Bundesregierung vielmehr in der Pflicht, endlich eine
zentrale Stelle zur Koordination und Vernetzung der Ini-
tiativen gegen Genitalverstümmelung zu schaffen.

Auch eine weitere wichtige Forderung wurde in der
Anhörung bestätigt: Es ist absolut notwendig, dass Mi-
grantinnen bzw. Migranten beim Arztbesuch kostenfrei
eine Dolmetscherin in Anspruch nehmen können. Es kann
nicht sein, dass etwa männliche Verwandte als „Dolmet-
scher“ zur gynäkologischen Untersuchung einer genital-
verstümmelten Frau hinzugezogen werden. Dazu
schweigt die Regierungskoalition aber lieber, denn dass
hieße ja, sich ernsthafte Gedanken zu machen, wie ein ef-
fektives Hilfesystem aufgebaut und finanziell abgesichert
werden kann.

Abschließend komme ich zu einem letzten wichtigen
Punkt, der weit über die notwendige Beratung und Auf-
klärung hinausgeht. Selbst wenn afrikanische Frauen
über die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen in-
formiert sind und ihre Töchter vor einer Genitalverstüm-
melung schützen wollen – gegen patriarchale gesell-
schaftliche Normen können sie sich nur auflehnen, wenn
sie eigenständig für ihre eigene und die Existenz ihrer
Kinder sorgen können. Frau Faduma Korn von Forward
Germany e. V. hat es in der Anhörung auf den Punkt ge-
bracht:



gegebene Reden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Mütter aus Afrika beschneiden ihre Kinder nicht,
weil sie Spaß daran haben, sondern weil sie keine
andere Möglichkeit sehen, ihnen eine sichere Zu-
kunft zu geben.

Meine Fraktion, Die Linke, hat in ihrem eigenen An-
trag „Weibliche Genitalverstümmelung verhindern –
Menschenrechte durchsetzen“ – Drucksache 16/4152 –
daher die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert,
die vorhandene Armut in Ländern, in denen weibliche
Genitalverstümmelung verbreitet ist, durch entspre-
chende Projekte und Hilfsangebote zu bekämpfen und
durch einen besseren Sozialstandard die Lebenssituation
der von Genitalverstümmelung betroffenen und bedroh-
ten Kinder und Frauen zu verbessern, aber auch, die fi-
nanzielle Unabhängigkeit aller sich in Deutschland auf-
haltenden betroffenen Frauen und Mädchen zu sichern.

Denn wer diese Menschenrechtsverletzung wirksam
bekämpfen will, muss vor allem dem niedrigen sozialen
Status der betroffenen Frauen und ihrer wirtschaftlichen
Abhängigkeit entgegenwirken, und zwar nicht nur „jen-
seits in Afrika“, sondern ganz konkret hier und heute in
Deutschland, in Berlin, München und anderswo.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anderthalb Jahre ist es her, da haben wir Grünen im
Bundestag einen Antrag vorgelegt, mit dem wir die Regie-
rung aufforderten, Frauen und Mädchen auch in
Deutschland besser vor Genitalverstümmelung zu schüt-
zen. Fast ein Jahr ist es her, da haben auf einer Anhörung
im Ausschuss die Expertinnen unsere Forderungen weit-
gehend bestätigt. Vor wenigen Wochen wurde dieser An-
trag trotzdem von SPD und CDU/CSU im federführenden
Ausschuss abgelehnt.

Soweit zu unserer Arbeit. Eigene Vorschläge der
Koalition zu dem Thema mussten wir bislang ja vermis-
sen.

Aber jetzt haben Sie es doch noch geschafft, sich zu ei-
nem Antrag zusammenzuraufen. Dass Sie dafür andert-
halb Jahre brauchten, ist ja zumindest in der Frauen-
politik nichts Neues. Dass Sie diese Schwierigkeiten jetzt
schon in ihren Pressemitteilungen kundtun, hat allerdings
eine neue Qualität.

Auch sonst haben Sie uns mit Ihren vollmundigen Pres-
seankündigungen ja ziemlich neugierig auf Ihren Antrag
gemacht. Weitreichender und vielseitiger als alle Opposi-
tionsanträge zusammen sollte er sein. „Wir reden nicht
nur, sondern handeln“, haben Sie geschrieben – na, das
wäre bei den Frauenrechten aber wirklich einmal etwas
Neues!

Der Antrag ist demgegenüber leider eine ziemliche Er-
nüchterung. „Viel hilft viel“ scheint Ihr Motto zu sein.
Zahlreiche Zeilen wurden mit schönen Worten gefüllt.
Von den insgesamt 18 Forderungen sind jedoch nur we-
nige konkret, und bei diesen entdecke ich viele Parallelen
zu unserem grünen Antrag. Das zeigt doch, dass Sie
durchaus lernfähig sind, meine Damen und Herren, –
und nicht alle Mühen der Opposition vergeblich.
So begrüßen wir, dass Sie unsere Forderung übernom-
men haben, sicherzustellen, dass Länder, in denen Geni-
talverstümmelung in einem nicht unerheblichen Ausmaß
stattfindet, nicht als sichere Herkunftsländer einzustufen
sind.

Ausdrücklich nennen Sie Ghana und Senegal. Da wol-
len Sie prüfen. Aber da Sie ja angekündigt haben, zu han-
deln, nehmen wir Sie beim Wort und erwarten, dass
zumindest Ghana zügig von der Liste der sicheren Her-
kunftsländer gestrichen wird.

Auch dass Sie die Verlängerung der Verjährungsfrist
fordern, finden wir gut. Aber dafür müssen die Beteiligten
erstmal wissen, dass Genitalverstümmelung in Deutsch-
land strafbar ist – und hier kommen wir leider zum
Knackpunkt Ihres Antrags: Unserer Hauptforderung, die
Genitalverstümmelung ausdrücklich ins Strafgesetzbuch
aufzunehmen, sind Sie leider nicht gefolgt. Dabei haben
beinahe alle Expertinnen dies bei der Anhörung im Bun-
destag mit Nachdruck gefordert. Darin waren sie sich
völlig einig: Eine ausdrückliche Nennung im Strafgesetz-
buch wäre ein klares Signal an Ärztinnen, Eltern und Op-
fer: Eine solche Menschenrechtsverletzung wird von un-
serem Staat nicht geduldet.

Es kann doch nicht sein, dass die Genitalverstümme-
lung weiter nur als einfache Körperverletzung strafbar
ist. Sie können einen Verstoß gegen das Grundrecht auf
sexuelle Selbstbestimmung nicht mit einer Ohrfeige
gleichsetzen, meine Damen und Herren!

Mit einer Ankündigung haben Sie immerhin recht be-
halten: Vielseitig ist Ihr Antrag – aber ebenso unkonkret
und wolkig. Herr Singhammer, Frau Noll, Sie haben in
Ihrer Pressemitteilung ja angekündigt, nicht reden, son-
dern handeln zu wollen. Dann lassen Sie uns aus Ihren
schönen Worten doch auch Taten machen! Im Rahmen
der Ausschussberatungen lässt sich sicherlich noch etwas
konkretisieren. Gerade bei diesem Thema wäre es doch
gut, wenn wir über Parteigrenzen hinweg zusammen-
arbeiten, um Frauen vor dem grausamen Ritual der Ge-
nitalverstümmelung zu schützen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1616639800

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/9420 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 6. Juni 2008, 9 Uhr,
ein.

Ich wünsche allen Gästen auf den Tribünen, allen
Kolleginnen und Kollegen und auch den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern einen schönen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.