Protokoll:
16151

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 151

  • date_rangeDatum: 13. März 2008

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:36 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/151 b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ausweitung und Stär- kung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 16/8489) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 23, 45 und 93) (Drucksache 16/8488) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und der Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . Hermann Gröhe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15837 A 15837 A 15850 D 15851 C 15852 B 15852 C 15852 D 15853 D 15855 A 15856 A 15856 B 15856 C Deutscher B Stenografisc 151. Si Berlin, Donnerstag, I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Wolfgang Wieland . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 14 . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 (Drucksache 16/8300) . . . . . . . . . . . . . . . . 15835 A 15835 B 15836 B 15836 B 15836 D Fraktion DIE LINKE: Intransparenz beenden – Eine lesbare Fassung des Reformvertrags schaffen (Drucksache 16/7446) . . . . . . . . . . . . . . . . 15837 B undestag her Bericht tzung den 13. März 2008 l t : Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15837 D 15838 B 15839 D 15841 C 15843 B 15844 B 15846 A 15847 B 15848 B 15849 C Tagesordnungspunkt 4: a) – Zweite und dritte Beratung des vo der Bundesregierung eingebrachte n n II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 Entwurfs eines Sechzehnten Geset- zes zur Änderung des Wehrsold- gesetzes (16. WSGÄndG) (Drucksachen 16/8188, 16/8470) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/8471) . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes (Drucksache 16/5970) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler (Wiesbaden), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Fograscher, Klaus Uwe Benneter, Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbot des Vereins „Collegium Humanum“ sowie des „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ prüfen und bestehende Gemeinnützigkeit aberken- nen (Drucksache 16/8497) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Ausweitung der Inlandseinsätze der Bundeswehr (Drucksache 16/6036) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Chancen der Charta der Vielfalt nut- zen (Drucksache 16/8502) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15857 C 15857 D 15857 D 15858 A 15858 D 15859 D 15861 B 15862 B 15863 B 15864 C 15864 D 15866 A 15866 B 15866 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Hopfengesetzes (Drucksachen 16/8153, 16/8397) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschlie- ßung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial (Drucksachen 16/8151, 16/8486) . . . . . . . c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 8. September 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago über die Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 16/8251, 16/8520) . . . . . . . d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 1. August 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Madagaskar über die gegen- seitige Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 16/8252, 16/8520) . . . . . . . e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. November 2006 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Guinea über die gegenseitige Förderung und den gegen- seitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 16/8253, 16/8520) . . . . . . . f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 5. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Bahrain über die Förde- rung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 16/8254, 16/8520) . . . . . . . g) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 30. Mai 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapital- anlagen (Drucksachen 16/8255, 16/8520) . . . . . . . 15866 C 15866 D 15867 A 15867 B 15867 B 15867 C 15867 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 III h) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädli- cher Bewuchsschutzsysteme auf Schif- fen (AFS-Gesetz) (Drucksachen 16/8154, 16/8503) . . . . . . . i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Antifoulingab- kommen unverzüglich ratifizieren (Drucksachen 16/5777, 16/8498) . . . . . . . j)–q) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 373, 374, 375, 376, 377, 378, 379 und 380 zu Peti- tionen (Drucksachen 16/8385, 16/8386, 16/8387, 16/8388, 16/8389, 16/8390, 16/8391, 16/8392) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a)–i) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 381, 382, 383, 384, 385. 386, 387, 388 und 389 zu Petitionen (Drucksachen 16/8505, 16/8506, 16/8507, 16/8508, 16/8509, 16/8510, 16/8511, 16/8512, 16/8513) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verbraucher- politischen Bericht vorlegen (Drucksache 16/8499) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Moderne Ver- braucherpolitik fortführen und weiter- entwickeln (Drucksachen 16/684, 16/8398) . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU) . . . . . 15867 D 15868 B 15868 C 15869 A 15870 A 15870 A 15870 B 15871 C Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Walter Riester, Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Auf- bau und bei Reformen von sozialen Siche- rungssystemen unterstützen und soziale Sicherung als Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit implemen- tieren (Drucksachen 16/7747, 16/8484) . . . . . . . . . . Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das deut- sche Filmerbe sichern (Drucksache 16/8504) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15873 A 15874 A 15874 C 15876 A 15877 B 15879 A 15879 C 15881 B 15881 C 15883 B 15883 D 15884 D 15886 C 15887 C 15887 D 15888 C 15889 B 15890 B 15891 D 15892 C 15893 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ent- lastung von Vorstand und Aufsichtsrat der IKB Deutsche Industriebank AG durch Nutzung der Stimmrechte der KfW Kredit- anstalt für Wiederaufbau verhindern (Drucksache 16/8493) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Peter Bleser, Julia Klöckner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Sicheres Spielzeug für unsere Kinder (Drucksache 16/8496) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Spielzeug- richtlinie modernisieren und Verbrau- cherschutz ausbauen (Drucksache 16/7837) . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Privatisierungs- folgen seriös bilanzieren – Privatisierungen aussetzen (Drucksachen 16/3914 , 16/5565) . . . . . . . . . 15894 A 15894 B 15895 D 15896 D 15897 B 15898 A 15898 C 15899 C 15900 C 15900 C 15900 D 15901 D 15902 D 15904 A 15904 C 15905 C 15906 B 15907 B Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz) (Drucksachen 16/8307, 16/8523) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/8521) . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschäftigungspotenziale bei den Dienst- leistungen (Drucksachen 16/4817, 16/6746) . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Hans-Joachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert Barthle, weiterer Abgeord- 15907 C 15908 C 15909 C 15910 B 15911 A 15911 D 15913 A 15913 A 15914 A 15914 B 15914 B 15915 D 15916 C 15918 B 15919 C 15920 C 15920 D 15921 D 15923 C 15924 B 15926 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 V neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erneuerbare Energien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasserkraft, für die Energie- versorgung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzen – für Klimaschutz und Nachhaltigkeit (Drucksachen 16/7489, 16/7910) . . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- zes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Drucksache 16/8405) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsrege- lung in das Gesetz gegen Wettbewerbs- beschränkungen und europäisches Recht integrieren (Drucksachen 16/4065, 16/5946) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren (Drucksache 16/8384) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Katja Kipping, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – Projektförderung nach § 10 SGB III zulassen (Drucksachen 16/3889, 16/5167) . . . . . . . . . . 15927 C 15927 D 15928 B 15930 B 15932 A 15932 D 15934 A 15934 A 15934 C 15934 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Lokale Entschei- dungsspielräume und passgenaue Hilfen für Arbeitssuchende sichern (Drucksache 16/8524) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einfuhrverbot für den gentechnisch verän- derten Mais MON810 anordnen und den Verkauf von MON810-Saatgut stoppen (Drucksachen 16/7835, 16/8399) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Mahnungen des Sachverstän- digenrates ernst nehmen – Mehr Freiheit wagen (Drucksachen 16/7112, 16/8263) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans- Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eon-Netz in die öffentliche Hand über- nehmen (Drucksache 16/8494) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Markus Kurth, Cornelia Behm, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erwerbsarmut verhindern – Einkommen stärken – Wohngeld jetzt ver- bessern (Drucksache 16/8053) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 15934 D 15935 A 15935 B 15935 C 15935 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 der FDP: Medizinische Versorgung der Bundeswehr an die Einsatzrealitäten anpassen – Kompetenzzentrum für posttraumatische Belastungsstörungen einrichten (Drucksache 16/7176) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapazitäten für an post- traumatischen Belastungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr (Drucksache 16/8383) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Keine EU-Exportsubventionen für Schweinefleisch in Entwicklungsländer (Drucksache 16/8404) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ent- wicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Sicherungssystemen unterstützen und soziale Sicherung als Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit implementie- ren (Tagesordnungspunkt 6) Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun- gen – Antrag: Mehr Dynamik und mehr Wettbe- werb für die deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsregelung in das Gesetz ge- gen Wettbewerbsbeschränkungen und europäisches Recht integrieren (Tagesordnungspunkt 8 a und b) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 15935 D 15936 A 15936 B 15936 C 15937 A 15937 D 15938 C 15939 D Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgs- honoraren (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – Projektförderung nach § 10 SGB III zulas- sen – Lokale Entscheidungsspielräume und passgenaue Hilfen für Arbeitsuchende si- chern (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 5) Peter Rauen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder- ten Mais MON810 anordnen und den Verkauf von MON810-Saatgut stoppen (Tagesord- nungspunkt 17) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15941 B 15943 A 15943 C 15944 B 15945 A 15946 B 15947 B 15947 D 15948 C 15949 C 15951 A 15952 A 15952 C 15953 B 15954 A 15954 D 15955 D 15956 D 15957 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 VII Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Mahnungen des Sachverständigenrates ernst nehmen – Mehr Freiheit wagen (Tagesord- nungspunkt 18) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Medizinische Versorgung der Bundeswehr an die Einsatzrealitäten anpassen – Kom- petenzzentrum für posttraumatische Be- lastungsstörungen einrichten – Adäquate Behandlungs- und Betreuungs- kapazitäten für an posttraumatischen Be- lastungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Monika Brüning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15958 D 15959 C 15959 D 15960 C 15961 B 15971 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Eon-Netz in die öffentliche Hand übernehmen (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Erwerbsarmut verhindern – Ein- kommen stärken – Wohngeld jetzt verbessern (Tagesordnungspunkt 20) Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15962 A 15963 D 15965 A 15965 D 15966 C 15967 B 15968 B 15969 B 15970 B 15970 D Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Keine EU-Exportsubventionen für Schweinefleisch in Entwicklungsländer (Tagesordnungspunkt 22) Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15972 B 15973 D 15974 D 15975 B 15976 D 15978 A 15979 A 15979 D 15981 A 15981 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15835 (A) (C) (B) (D) 151. Si Berlin, Donnerstag, Beginn: 1
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    2) Anlage 11 überweisen. – Damit sind Sie wiederum einverstanden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15937 (A) (C) (B) (D) absicherung einzuführen. Ich kann mir aber ehrlich ge- Schultz (Everswinkel), SPD 13.03.2008 ganz zu schweigen. Ihr Antrag gibt darauf überhaupt keine Antworten. Die Forderungen, die Sie erheben, sindReinhard sagt nicht vorstellen, wie das im derzeitigen Kongo, Guinea, Niger, Burkina, Tschad, Sudan und vielen ande- ren funktionieren soll. Das sind Gesellschaften, in denen es am Solidargedanken noch fehlt, von den Finanzen Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 13.03.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ackermann, Jens FDP 13.03.2008 Bülow, Marco SPD 13.03.2008 Caspers-Merk, Marion SPD 13.03.2008 Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 13.03.2008* Dreibus, Werner DIE LINKE 13.03.2008 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 13.03.2008 Golze, Diana DIE LINKE 13.03.2008 Groneberg, Gabriele SPD 13.03.2008 Großmann, Achim SPD 13.03.2008 Günther (Plauen), Joachim FDP 13.03.2008 Hintze, Peter CDU/CSU 13.03.2008 Hochbaum, Robert CDU/CSU 13.03.2008 Dr. Lauterbach, Karl SPD 13.03.2008 Lintner, Eduard CDU/CSU 13.03.2008* Nitzsche, Henry fraktionslos 13.03.2008 Paula, Heinz SPD 13.03.2008 Pflug, Johannes SPD 13.03.2008 Piltz, Gisela FDP 13.03.2008 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.03.2008 Raidel, Hans CDU/CSU 13.03.2008 Roth (Esslingen), Karin SPD 13.03.2008 Schily, Otto SPD 13.03.2008 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 13.03.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Sicherungssystemen unterstützen und soziale Sicherung als Schwerpunkt der deut- schen Entwicklungszusammenarbeit implemen- tieren (Tagesordnungspunkt 6) Dr. Karl Addicks (FDP): Bei der Abstimmung über den Antrag der Koalition werden wir uns heute der Stimme enthalten. Mehr ist nicht drin, wir wollen damit auch nur signalisieren, dass wir die Aufgabe erkannt ha- ben, aber Ihrem Antrag nicht folgen mögen. Dieser An- trag enthält viel Wunschdenken, viele richtige Erkennt- nisse, aber so gut wie keine Folgerungen, wie es denn nun wirklich gehen soll. Immerhin haben Sie, Herr Riester, in Ihrer letzten Rede dazu keinen Zweifel offen gelassen über die Riesigkeit der Aufgabe, eine Aufgabe, die nach Ihren Worten das bisherige Verständnis von Entwicklungspolitik überschreitet. Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Aber dennoch muss ja irgendwann ir- gendwie angefangen werden. Damit wir uns da richtig verstehen: Ich spreche hier nicht von den Schwellenländern, in denen zum Teil ein- fache Systeme der sozialen Sicherung, wenn auch nur für erlauchte Kreise, bereits existieren. Ich spreche hier und heute von der Riesenaufgabe, in den afrikanischen Subsahara-Entwicklungsländern eine existenzielle Basis- Steinbach, Erika CDU/CSU 13.03.2008 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 13.03.2008 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 13.03.2008* Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 15938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) nichts als Allgemeinplätze, da kann man sich anschlie- ßen. Haben Sie denn mal eine Anhaltszahl, was es kosten würde, zum Beispiel im Niger mit 13 Millionen Einwoh- nern und einem Haushaltsvolumen von circa 700 Millio- nen Dollar eine Minimalabsicherung einzuführen? Und mit welchen Leistungen? Sie schreiben in Ihrem Antrag, es sei bisher in der Entwicklungszusammenarbeit zu viel Wert auf die wirt- schaftliche Entwicklung dieser Länder gelegt worden. Also, ich möchte davor warnen, nun die wirtschaftliche Entwicklung zugunsten der sozialen Systeme zu dros- seln. Die ist doch meistens sowieso schon zu gering. Und die wollen Sie noch weiter zurückfahren? Das wäre ein ganz großer Fehler. Im Grunde kann der Aufbau von Solidarsystemen einzig und allein synchron erfolgen wie alle anderen Fördermaßnahmen auch, dann wird ein Schuh draus. Wobei natürlich eine stärkere Wirtschafts- entwicklung am ehesten eine Finanzierung von einfa- chen Sozialsystemen ermöglichen wird. Mit dieser Erkenntnis stehen wir auch nicht allein, das sehen andere genauso wie wir, zum Beispiel die UN. Ausgehend von kleinsten Ansätzen muss der Aufbau dieser Systeme mit der Wirtschaftsentwicklung Hand in Hand gehen. Und damit muss tatsächlich bald angefan- gen werden. Die Aufgabe wird durch Zuwarten nicht kleiner, sondern größer. Aids, Malaria, Tuberkulose und die anderen Epidemien warten nicht, bis da etwas pas- siert ist. Wir werden in den nächsten Jahren, wenn wir unsere ODA-Quote erfüllen wollen, einen kräftigen Aufwuchs an Mitteln haben, aber auch der wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein gegenüber der immensen Größe der Aufgabe sein. Wenn Sie davon 60 Prozent Budgethilfe vergeben wollen, dann, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, wird für eine existenzielle Solidarabsicherung kaum mehr was übrig bleiben. Aber wir wollen jetzt nicht schon wieder über Budgethilfe streiten. Ich gebe das nur zu bedenken. Und wie soll das gehen mit dem informellen Sektor, der in manchen Ländern 80 oder sogar 90 Prozent der Wirtschaft ausmacht? Wie soll denn ein soziales Siche- rungssystem aufgebaut werden in Ländern, wo der größte Teil der Bevölkerung nicht einmal einen Geburts- schein oder Ausweispapiere oder irgendeine sonstige Legitimation hat? Soll das zuerst nur für Arbeitsplatzinhaber gelten oder von Anfang an auch für den informellen Sektor? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für alle gleichzeitig machbar ist. Auf der anderen Seite könnte auch niemand ausgeschlossen werden. Dass man da das deutsche System nicht einfach über- tragen kann, das ergibt sich eigentlich von selbst. Aber die Kollegin Pfeiffer hielt unser System in ihrer letzten Rede noch für einen Exportschlager. Also, da habe ich so meine Bedenken. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen – Antrag: Mehr Dynamik und mehr Wettbe- werb für die deutsche Volkswirtschaft – Ent- flechtungsregelung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und europäi- sches Recht integrieren (Tagesordnungspunkt 8 a und b) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Werte Abgeordnete der FDP, „Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die deutsche Volkswirtschaft“ überschrieben Sie ihren letz- ten Antrag zum Thema Entflechtung. Lassen Sie mich eines klarstellen – hier liegen wir auf einer Linie –: Auch die CDU/CSU tritt ein für freien und fairen Wettbewerb. Wettbewerb ist gut, Wettbewerb sichert den Wohlstand, die Kreativität, die Innovation und letztlich den Erfolg der deutschen Marktwirtschaft. Zunächst eine grundsätzliche Anmerkung: Wir be- trachten die Vorteile von Wettbewerb immer zu einseitig aus Verbrauchersicht. In vielen Bereichen haben sich aber inzwischen Markt- und Machtstrukturen ergeben, die aus Sicht des Verbrauchers vielleicht noch akzepta- bel sind, keinesfalls aber aus Sicht der Zulieferer. Neh- men Sie zum Beispiel den Lebensmittelsektor. Gewiss, gemessen am Einkommen sind die Ausgaben für Le- bensmittel in Deutschland nicht hoch. Die Konzentration hat hier – noch – keine auffälligen Nachteile für den Ver- braucher. Die Lieferanten sind die Leidtragenden. Der Mittelstand blutet aus. Der Preisdruck verschlechtert die Qualität und erhöht die Risiken. Das alles haben wir über Jahrzehnte nicht im Blick gehabt und haben eigent- lich vergessen, was Ludwig Erhard mit „Wohlstand für alle“ im Blick hatte. Auch das ist eine Entwicklung, über die wir nachdenken müssen. Gerne will ich mich hier – wie die Antragsteller – auf den Energiesektor konzentrieren. Hohe Energiepreise belasten die Verbraucherinnen und Verbraucher und ge- fährden die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat das klar erkannt, mutig thematisiert und ist das Problem ent- schlossen angegangen. Der Weg zum funktionierenden Wettbewerb muss ein wohl durchdachter sein. Eine er- zwungene Eigentumsentflechtung ist derzeit keine prak- tikable Lösung. Dazu zwei Gründe: Erstens. Eine verordnete Entflechtung ist ein unver- hältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsverhältnisse der Stromversorger: Mit großer Sicherheit hätte eine derart drastische Maßnahme langwierige und harte juristische Auseinandersetzungen zur Folge, die sich leicht über mehrere Jahre hinziehen könnten. Die sich daraus erge- bene Rechtsunsicherheit würde nicht nur im Bereich der Stromproduktionen zu einem Investitionsstau führen – gerade in den dringend notwendigen Netzausbau würde wohl kaum ein großes Unternehmen mehr investieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15939 (A) (C) (B) (D) Möchten Sie wirklich den Zerfall der deutschen Energie- versorgung verantworten müssen? Noch sind wir Welt- meister in Sachen Versorgungssicherheit. Zweitens. Keine deutschen Alleingänge in Europa: Es muss eine für alle gangbare Lösung für ganz Europa ge- funden werden. EU-Kommissionspräsident Barroso be- harrt auch weiterhin auf der von ihm geforderten eigen- tumsrechtlichen Aufspaltung in getrennte Unternehmen für Produktion und Netzbetrieb. Wir müssen einer EU- Entscheidung jetzt nicht zuvorkommen. Wenn Deutsch- land voreilig und im Alleingang dem deutschen Kartell- amt die Möglichkeit gibt, marktbeherrschende deutsche Unternehmen zu entflechten, hätte dies wohl fatale Aus- wirkungen auf die Positionierung der deutschen Strom- wirtschaft gegenüber der europäischen Konkurrenz. So- lange es keine europäische Regelung gibt, würden Investitionen abwandern und sowohl Produktionskapazi- täten als auch Arbeitsplätze in Deutschland verloren ge- hen. Internationale Konzerne würden ihren Strom zu- künftig in den Grenzregionen um Deutschland herum produzieren, um diesen später in Deutschland teuer zu verkaufen. Bei Betreibern von Kernkraftwerken ist diese Tendenz durch eine verstärkte Bautätigkeit in Grenzre- gionen – wenn auch aus anderen Gründen – bereits heute zu belegen. Fazit: Erst wenn alle anderen Maßnahmen gescheitert sind, darf der Staat es wagen, in das Eigentumsrecht der Bürger einzugreifen, um den Wettbewerb zu sichern – als Ultima Ratio also. Davon kann jedoch heute nicht die Rede sein. Vielmehr befinden wir uns – nicht zuletzt dank des Einsatzes unseres Bundesministers Glos – auf dem richtigen Weg. Wir arbeiten derzeit an der Umset- zung eines konzeptionell durchdachten Gesamtkonzepts, das Ihnen allen bekannt sein dürfte. Auch gegen den massiven Widerstand so mancher Konzerne wird dieses Paket Schritt für Schritt umgesetzt: Der Netzzugang und der Netzanschluss sind gesetzlich gewährleistet und kön- nen durch Entscheidungen der Bundesnetzagentur und vor Gericht durchgesetzt werden. Infolge der Regulie- rung der Netzentgelte sind die Netzkosten durch Verfü- gungen der Bundesnetzagentur um bis zu 20 Prozent ab- gesenkt worden. Auch haben wir bereits heute eine Form der Entflech- tung im Energiebereich durchgesetzt. Energieversor- gungsunternehmen, die sowohl Netze als natürliche Mo- nopole betreiben als auch in den Wettbewerbsbereichen Erzeugung und Vertrieb tätig sind, unterliegen bereits heute den Vorgaben zur organisatorischen Entflechtung. Dabei muss der Netzbetrieb in einer separaten Gesell- schaft erfolgen, bei der die Entscheidungsgewalt über das Netzgeschäft, das Rechnungswesen, die Netz- und Netz- nutzerinformationen sowie die Buchhaltung getrennt von den Wettbewerbssparten ist. Mit der Niederspannungs- und Niederdruckanschlussverordnung sowie der Strom- und der Gasgrundversorgungsverordnung hat das Ministe- rium den Wechsel des Strom- und Gasversorgers für Haushaltskunden wesentlich erleichtert. Jetzt können Ver- braucher selbst gegen überhöhte Preise vorgehen, indem sie zu einem günstigeren Anbieter wechseln. Um den Wettbewerb weiter zu stärken, wurde kürz- lich ein weiteres Maßnahmenpaket umgesetzt. Es setzt an drei Punkten an: den Netzen, der Stromversorgung und der Preismissbrauchsaufsicht. Die am 6. November 2007 in Kraft getretene Anreizregulierungsverordnung wird schon sehr bald für mehr Effizienz beim Betrieb der Strom- und Gasnetze sorgen. Bislang wurden die Netzentgelte auf der Grundlage der Kosten der Betriebs- führung ermittelt. Ab dem 1. Januar 2009 werden den Netzbetreibern Obergrenzen für ihre Erlöse vorgegeben. Bleiben die Netzbetreiber mit ihren Kosten unter diesen Obergrenzen, können sie die Differenz als Gewinn ein- behalten. So werden mit der Anreizregulierung im Mo- nopolbereich der Netze vergleichbare Bedingungen wie im echten Wettbewerb geschaffen. Faire Netzentgelte werden die Folge sein. Die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung ist am 30. Juni 2007 in Kraft getreten. Sie räumt Investitions- hindernisse im Bereich der Stromproduktion beiseite, in- dem sie den diskriminierungsfreien Anschluss neuer Kraftwerke ans Stromnetz nicht nur garantiert, sondern auch beschleunigt und erleichtert. Die eben erläuterten Maßnahmen entfalten erst mittelfristig ihre volle Wir- kung. Solange der Wettbewerb noch nicht wie ge- wünscht funktioniert, bedarf es eines schärferen Kartell- rechts. Die im November letzten Jahres vom Bundestag beschlossene Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbs- beschränkungen erleichtert es den Kartellbehörden, marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen missbräuchlich überhöhte Strom- und Gaspreise nachzu- weisen. Diese verstärkte Aufsicht gegen Preismiss- brauch wurde bis zum Jahr 2012 befristet. Eon denkt unter dem Druck nationaler und europäi- scher Politik darüber nach, die Netze zu verkaufen und er- hebliche Produktionskapazitäten abzugeben. Ich sage aber auch, dass wir uns um die Sicherheit der Netzversorgung kümmern müssen. Die hohe Versorgungssicherheit in die- sem Bereich darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Hier sollte aber der Verkäufer Eon ein entsprechendes Eigenin- teresse haben. Ohne funktionierende Netze lässt sich näm- lich kein Strom verkaufen. Gott sei Dank sind hier auch die Interessen vernetzt. Wir sollten also die Instrumente wirken lassen, ab- warten, was die eingeleiteten Maßnahmen bewirken, und nicht, wie von der FDP gefordert, den letzten Schritt ganz am Anfang tun. Rolf Hempelmann (SPD): Die FDP konfrontiert uns heute mit einem Gesetzentwurf bzw. einem Antrag, mit dem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das GWB, um eine Entflechtungsregelung ergänzt werden soll. Ganz offenkundig hat die FDP dabei insbesondere den Stromerzeugungsmarkt in Deutschland im Blick. Sie geht davon aus, dass ein bestehendes Oligopol von vier Unternehmen Preiswettbewerb blockiere und letztlich überhöhte Verbraucherpreise verursache. Deshalb – so der Lösungsansatz der FDP – müsse das Kartellamt als Ultima Ratio die Möglichkeit erhalten, marktbeherr- schende Unternehmen entweder zum Verkauf oder zu- mindest zur rechtlichen und organisatorischen Abspal- 15940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) tung von Vermögensteilen zwingen zu können. Konkret sollen dabei „von der Ausgliederung einzelner assets bis zur Abspaltung ganzer Unternehmens- bzw. Konzern- teile alle Maßnahmen, die zur Belebung des Wettbe- werbs geeignet erscheinen, möglich sein“. Richtig an der Einschätzung der FDP ist, dass wir im Stromerzeugungsmarkt mit einer oligopolistischen Marktsituation konfrontiert sind. Dies haben wir erkannt und daher mit einer ganzen Reihe von Instrumenten – ich nenne nur die Netzregulierung, die Kraftswerksan- schlussverordnung oder die bereits erfolgte Verschär- fung des Kartellrechts – Rahmenbedingungen für eine Intensivierung des Wettbewerbs gesetzt. Maßnahmen, wie sie nun von der FDP vorgeschlagen werden, lehnen wir hingegen ab. Sie sind im Übrigen auch nicht sonder- lich originell, sondern wiederholen lediglich Forderun- gen, mit denen sich schon der hessische Wirtschafts- minister Riehl aus guten Gründen nicht durchsetzen kann. Diese Ideen werden auch durch Wiederholung nicht richtiger, vielmehr dürfte ihre Umsetzung weit mehr Schaden als Nutzen anrichten. Wir haben gerade Ende vergangenen Jahres hier im Haus eine Novelle des GWB verabschiedet und damit den Wettbewerbsrahmen neu justiert. Dabei ist gerade für den Energiesektor eine wesentliche Stärkung der kar- tellrechtlichen Missbrauchsaufsicht durchgesetzt wor- den. Ein Schlüsselelement der Novelle war die vorge- nommene Umkehr der Beweislast. Liegt der Preis eines Energieversorgers deutlich über dem eines Vergleichsun- ternehmens, so ist es nun, anders als in der Vergangen- heit, an dem Unternehmen, diese Preisdifferenz gegen- über den Kartellbehörden sachlich zu rechtfertigen. Auf diese Weise dürfte eine effektive Missbrauchskontrolle sichergestellt sein und mehr noch: Wir erhoffen uns von der Verschärfung des GWB auch eine präventive Wir- kung auf die zukünftige Preisgestaltung der Energieun- ternehmen. Inzwischen entfaltet die Novelle erste konkrete Wir- kungen. Gerade in der vergangenen Woche hat das Bun- deskartellamt auf der Basis des neuen § 29 GWB Miss- brauchsverfahren gegen rund 35 Gasversorger wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Gaspreise für Haushalts- und Gewerbekunden eingeleitet. Hintergrund ist, dass das Kartellamt in einer vorangegangenen bun- desweiten Untersuchung der Gaspreise teilweise erhebli- che Preisabweichungen von 25 bis 40 Prozent festge- stellt hat. Vor diesem Hintergrund rate ich sehr dazu, das Kartellamt nun seine Arbeit tun zu lassen und die end- gültigen Ergebnisse der Missbrauchsverfahren abzuwar- ten, ehe bereits nach weiteren Instrumenten gerufen wird. Wichtig ist nämlich auch an dieser Stelle eines noch einmal ganz deutlich zu unterstreichen: Wir waren uns bereits im Rahmen der letztjährigen GWB-Novelle einig und sind auch durch die Öffentliche Anhörung in der Auffassung bestärkt worden, dass die GWB-Novelle kein Allheilmittel ist. Sie ist vielmehr ein Übergangsin- strument, das lediglich eine Brückenfunktion bis zur Entwicklung eines vollständig funktionierenden Wettbe- werbs übernehmen kann. Oder anders ausgedrückt: Die GWB-Novelle ist ein Behelfsinstrument, das wir nur so lange brauchen, bis unsere strukturellen, eher mittelfris- tig angelegten Maßnahmen zur Intensivierung des Wett- bewerbs wirken. Hier nun noch weitere Verschärfungen vorzunehmen und den Wettbewerbsrahmen schon wie- der umzugestalten, macht daher keinen Sinn. Auch die Unternehmen, von denen wir an anderer Stelle zu Recht dringend benötigte Investitionen einfordern, haben ein Anrecht auf ein Mindestmaß an Planungssicherheit. Gegen den Vorschlag der FDP spricht ein Zweites: seine mangelnde Praktikabilität. Bereits in der ersten Be- ratung des Antrags ist auf die ganz erheblichen Rechts- streitigkeiten hingewiesen worden, die eine Umsetzung der FDP-Forderung geradezu zwangsläufig nach sich ziehen müsste. Vor dem Hintergrund der Eigentumsga- rantie des Grundgesetzes würde wohl kaum ein Unter- nehmen einen solch tief greifenden, bis zu einer Zer- schlagung reichenden, Eingriff in sein Eigentum klaglos hinnehmen. Wir würden also sehenden Auges in eine Klagewelle hineinlaufen und insofern eine Art Beschäf- tigungsprogramm für Verfassungsjuristen auflegen – der Sache dient dies nicht. Denn während der zu erwarten- den langwierigen Auseinandersetzungen wäre mit Sicherheit keines der von einer Zersplitterung bedrohten Unternehmen bereit, auch nur einen Cent am Standort Deutschland zu investieren. Viel eher würden die ent- sprechenden Investments und die mit ihnen verbundenen Impulse für Wertschöpfung und Beschäftigung an uns vorbeigehen oder auf die lange Bank geschoben werden. Auf die rechtlichen Probleme derartiger Vorschläge hat übrigens auch Herr Heitzer, der Präsident des Bundes- kartellamtes, mehrfach hingewiesen. Mit anderen Wor- ten: Ausgerechnet der Chef jener Behörde, die Sie mit ihrem Gesetzentwurf zu stärken vorgeben, hält nichts von dieser Idee. Das sollte Ihnen zu denken geben. Aber selbst wenn wir diese, in der Tat schwerwiegen- den, juristischen Bedenken einmal beiseitelassen, sage ich Ihnen: Ihr Antrag passt nicht in die aktuelle (energie) wirtschaftspolitische Debatte. Sämtliche Ideen, die auf eine Zerschlagung von Unternehmen oder auch auf Zu- baumoratorien für große Konzerne abzielen, weisen in die Irre. Jedenfalls in der Rhetorik sind Sie mit uns einig, dass wir unsere Energiepolitik an der Zieltrias von Um- weltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirt- schaftlichkeit ausrichten wollen. Diese Ziele aber wer- den wir auf der Grundlage von Zerschlagungsfantasien nicht erreichen können. Im Gegenteil: Wir brauchen, wie uns übrigens neutrale Institutionen wie das schon er- wähnte Bundeskartellamt oder die Bundesnetzagentur bestätigen, dringend Investitionen in leistungsfähige Netze, aber auch in neue Erzeugungskapazitäten. Und dafür sollten wir alle, die zu investieren bereit sind, herz- lich willkommen heißen – sehr gerne die neuen Anbie- ter, aber eben auch die Etablierten, ohne deren Finanz- kraft wir die vor uns liegenden Herausforderungen nicht werden stemmen können. Ich will das Gesagte präzisieren: Erstens. Wir brauchen Investitionen in neue und effi- ziente Erzeugungskapazitäten, um unsere ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen. Wenn die CO2-Emissio- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15941 (A) (C) (B) (D) nen in Deutschland wie geplant um 40 Prozent bis 2020 abgesenkt werden sollen, dann muss das oberste Gebot sein, die ältesten und schmutzigsten Kraftwerke mög- lichst bald abzuschalten. Das aber geht nur, wenn ent- sprechende Ersatzinvestitionen in klimaverträglichere Kraftwerke möglich sind und nicht aufgrund neu ge- schaffener Kartellrechtstatbestände verhindert werden. Hier gilt: Wer Investitionen in moderne, möglichst auf KWK-Basis angelegte Kraftwerke mit deutlich höheren Wirkungsgraden bzw. deutlich geringeren Emissionen behindert, der tut dem Klima einen Bärendienst. Zweitens. Wir brauchen Investitionen aber auch zur Auf- rechterhaltung unserer Versorgungssicherheit. Deutschland ist heute Stromexportland und soll dies auch bleiben. Um aber die entsprechende Wertschöpfung und genauso die Sicherheit unserer Energieversorgung aufrecht zu erhal- ten, werden in den kommenden Jahren – über alle Effi- zienzanstrengungen hinaus – Investitionen in einer Er- zeugungskapazität von 35 000 MW benötigt. Auch vor diesem Hintergrund dürfen wir kein Unternehmen a priori von Investitionen ausschließen. Drittens. Und last, but not least sind Investitionen in neue Kapazitäten auch aus Gründen der Wirtschaftlich- keit dringend erforderlich. Die Diskussion um die stei- genden Strompreise – angemessener wäre eine Debatte über die Energiepreise insgesamt – ist uns allen bekannt, und sie wird auch zu Recht geführt. Wir brauchen wett- bewerbsverträgliche Energiepreise insbesondere wenn wir die energieverbrauchende Industrie über den Tag hi- naus am Standort Deutschland halten wollen. Nun aber ausgerechnet durch eine Unternehmenszerschlagung preissenkende Impulse zu erwarten, ist eine naive Vor- stellung. Ich frage mich, woher die FDP diese Annahme nimmt. Ist es nicht vielmehr so, dass die FDP-Vor- schläge, indem sie Investitionen jedenfalls der großen Unternehmen blockieren, eine bestehende Knappheitssi- tuation verstetigen? Und ist es nicht so, dass in einem Markt, der „short“ ist, mit Sicherheit keine preissenken- den Impulse zu erwarten sind? Ich meine: Genau dies wird passieren, und daher sollten wir alle sehr, sehr vor- sichtig sein, wenn dieser Tage Vorschläge wie der uns vorliegende unterbreitet werden. Wir befinden uns derzeit in einer Situation, in der dringend notwendige Investitionen in neue Kraftwerke, aber auch in neue Leitungen, mitunter sehr schwierig durchzusetzen sind. Das liegt bei manchem Unterneh- men an der explodierenden Entwicklung der Kraftwerks- preise, nicht selten sind es aber auch lokale Widerstände, die die Realisierung von Investitionen verhindern. Wir alle hätten sicherlich genug zu tun, hier gemeinsam durch Aufklärung und Kommunikation dabei mitzuhel- fen, dass wieder ein etwas investitionsfreundlicheres Klima entsteht. Was wir aber mit Sicherheit nicht tun sollten, ist, die ohnehin schwierige Lage durch neue ge- setzliche Regelungen weiter zu verkomplizieren. In die- sem Sinne wäre auch die FDP gut beraten, ihren Gesetz- entwurf noch einmal gründlich zu überdenken. Martin Zeil (FDP): Der Weg zu mehr Konkurrenz im Energiemarkt – und damit auf Dauer auch wieder zu sin- kenden Energiepreisen – „ist lang und holprig“, so der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. Einen ersten Stein wollen wir mit dem von der FDP Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf und mit unserem Antrag aus dem Weg räumen. Monopolkommission und Bundeskartellamt haben immer wieder festgestellt, dass im deutschen Energie- sektor Monopol- und Oligopolstrukturen vorliegen, die einen Wettbewerb verhindern und für die hohen Preise mitverantwortlich sind. Ein Blick auf die Zahlen unter- mauert dies: In Deutschland kontrollieren die großen Energieversorger rund 80 Prozent der Kraftwerkskapazi- tät. Dazu verfügen die vier großen Stromkonzerne neben der Kraftwerkskapazität über fast 100 Prozent des Stromnetzes. Das ist einer der größten Hemmschuhe für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt. Ne- ben dem Staat als Preistreiber ist diese Wettbewerbssitua- tion eine der Hauptursachen für die im europäischen Vergleich immer noch hohen Endkundenpreise für Strom. Daran haben weder die rot-grüne noch die schwarz-rote Bundesregierung etwas geändert. Es war eher das Gegenteil der Fall: Zum Beispiel sind die monopolistischen Strukturen im Postsektor von der Koalition aus CDU, CSU und SPD offenbar politisch ge- wollt. In den netzgebundenen Märkten setzt der Wettbe- werb aber eine Konkurrenz der Infrastrukturen voraus, und so sind für die Märkte für Strom, Gas oder auch die Eisenbahn andere Konzepte gefragt. Die EU-Kommission hat verschiedentlich Initiativen für mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten vorgelegt, wie zum Beispiel die Verordnung des Europäischen Par- laments und des Rates zur Änderung über die Netzzu- gangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, die Verordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates zur Einrichtung einer Agentur für die Kooperation der Energieregulatoren oder die aktuel- len Pläne, Stromnetz und Stromproduktion strikt zu tren- nen. Die Bundesregierung hat daran zwar im Einzelnen Kritik geübt, ohne aber eine eigene Strategie oder Kon- zeption zu entwickeln. Bundeswirtschaftsminister Glos hat als einzigen Beitrag eine kleine GWB-Novelle be- züglich der Preiskontrolle im Energiebereich vorgelegt und als großartige Lösung der Wettbewerbsprobleme ge- priesen. Nun ist das Gesetz in Kraft, und es gibt – wie von uns und den meisten Sachverständigen vorausgesagt – keine nennenswerten Tendenzen hin zu mehr Wettbe- werb oder günstigeren Energiepreisen. Hinzu kommt, dass das Bundeswirtschaftsministerium mit dafür verant- wortlich war, dass wichtige Elemente wie die Anreizre- gulierung immer wieder verschoben wurden. Am morgigen Freitag debattiert der Bundesrat über den Antrag des Landes Hessen zum Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- schränkungen. Die FDP hat der Union die Arbeit abge- nommen und einen nahezu identischen Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, in den Deutschen Bundestag eingebracht. Damit muss insbesondere die Union end- lich Farbe bekennen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn das nicht rot, die Farbe der Monopole und der Staats- 15942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) wirtschaft, sondern gelb, die Farbe der Freiheit und des Wettbewerbs, wäre. Die FDP tritt damit der Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung auf dem Gebiet des Kartellrechts ent- gegen. Wir schaffen mit dem Instrument der Entflech- tung als Ultima Ratio sozusagen ein Gegenstück zur Mi- nistererlaubnis und wollen mit dem vorgelegten Gesetzentwurf dem Bundeskartellamt die Möglichkeit geben, marktbeherrschende Unternehmen zum Verkauf oder zumindest zur organisatorischen und rechtlichen Abtrennung von Vermögensteilen zu zwingen. Mit unserem Gesetz wird auch ausgeschlossen, dass andere Oligopolisten auf dem Markt oder sogar konzern- eigene Unternehmen als Käufer auftreten. Wir wollen nichts über das Knie brechen, sondern dem betroffenen Unternehmen zwei, in besonderen Fällen sogar mehrere Jahre für die Entflechtung einräumen. Mit dieser parla- mentarischen Initiative würden wir die Elemente des Kartellrechts endlich zeitgemäß fortentwickeln. Es ist zudem eine alte Tradition im amerikanischen Recht, die wir hier aufgreifen. So gibt es beispielsweise den Sher- man Antitrust Act in den Vereinigten Staaten bereits seit 1890. Einzelne deutsche Energiekonzerne gehen bereits die- sen Weg. Damit rächt sich die Tatenlosigkeit der Bun- desregierung. Da sie selbst kein Konzept hat, läuft sie der aktuellen Debatte in Deutschland und Europa hinter- her. Es wird von vielen Seiten seit Jahren immer wieder ins Feld geführt, dass eine eigentumsrechtliche Entflech- tung einer Enteignung der etablierten Energieunterneh- men gleichkomme. An diesem Argument ist sicherlich richtig, dass diese Option in die Eigentumsrechte der Konzerne eingreift. Wir betonen aber auch die Vorraus- setzungen, die für eine solche Entflechtung von Unter- nehmen gegeben sein müssen: Es muss sich erstens um einen Markt mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung han- deln. Dies betrifft vor allem Märkte mit Gütern, an de- nen ein erhebliches versorgungs- und strukturpolitisches Interesse besteht, zum Beispiel den Energiemarkt. Zu- dem muss zweitens das betroffene Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Drittens darf zugleich auf diesem Markt auf absehbare Zeit kein we- sentlicher Wettbewerb zu erwarten sein. Wir sagen aber auch, dass eine Entflechtung, also die eigentumsrechtliche Trennung von Energieproduktion und -verteilung, erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und auch nur dann, wenn auf andere Weise kein we- sentlicher Wettbewerb zu erreichen ist, als politische Lö- sung angewandt werden soll. Das ist auch etwas anderes als eine Enteignung im klassischen Sinne. Denn zum ei- nen schaffen wir die Möglichkeit, dass das betroffene Unternehmen die Entflechtung maßgeblich mitgestalten kann, indem es Vorschläge für eine Unternehmensumge- staltung unterbreitet. Zum anderen stehen diejenigen, die für einen solchen Schritt plädieren, auch nicht im Ver- dacht, radikale Enteignungsfanatiker zu sein. So forderte die Deutsche Bank in einer aktuellen Studie die eigen- tumsrechtliche Entflechtung. Die DB Research stellt in dieser Studie fest: „Insbesondere auf dem Elektrizitätsmarkt wäre die vollständige Trennung der Erzeugerstufe von den Netzen ideal, um mehr Wettbewerb in den einzel- nen Ländern und auf dem europäischen Markt zu erreichen.“ Und weiter: „Bis dato ermöglichen die Leistungsmonopole den Stromkonzernen, die Konkurrenz klein und die Preise hoch zu halten.“ Insgesamt stehen wir vor einer einfachen Rechnung: Ein Netzbetreiber, der keinen Strom produziert, hat kein Interesse, Kapazitäten zurückzuhalten, um Wettbewer- ber zu benachteiligen. Letztendlich wird sich dies positiv auf den Strompreis auswirken. Ein reiner Netzbetreiber wird das Netz effizienter ausbauen. Die meisten Energie- experten sind sich deshalb einig: Die Grundvorsausset- zung, dass zwischen den Stromerzeugern überhaupt Wettbewerb entstehen kann, ist die Trennung von Netz und Produktion. Letztendlich bekommen wir sinkende Preise, da sich erstens der Wettbewerb intensivieren wird und da zwei- tens die Kosten für die sogenannte Regelenergie sinken, welche derzeit lediglich innerhalb des Einzugsbereichs eines der großen Energieversorger abgerechnet wird. Ein Beispiel: Wenn in meiner Heimat Bayern ein Stromüber- schuss besteht, im Norden der Republik aber ein Defizit, dann zahlen die Verbraucher sowohl im Norden als auch im Süden einen Regelaufschlag, der auf die Netzkosten umgelegt wird, und das, obwohl der Nettostromüber- schuss null ist. Ein weiteres, häufig vorgebrachtes Argument gegen die Trennung von Netz und Erzeugung bzw. Vertrieb ist die Gefährdung der Sicherheit der Energieversorgung. Dieses Argument überzeugt ebenfalls nicht. Verschiede- nen Studien der EU-Kommission ist zu entnehmen, dass es in Europa eine Vielzahl von Ländern gibt, in denen die Trennung von Erzeugung und Netz längst Realität ist. Im Stromsektor ist dies beispielsweise in elf von 27 EU-Staaten der Fall, im Gassektor in mindestens sie- ben Ländern. Es gibt aber kein einziges erkennbares Zei- chen, dass die Versorgungssicherheit in diesen Ländern gelitten hat. Deshalb gibt es auch bei der EU-Kommis- sion keine Bedenken, die eigentumsrechtliche Entflech- tung auf europäischer Ebene durchzusetzen. In Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden, wo es bereits die Trennung von Stromerzeugung und Netz gibt, ist die Aufteilung auch relativ konfliktfrei vonstattengegangen. Kurz- bis mittelfristig ist nicht mit einem Abbau der Marktzutrittsschranken und damit auch nicht mit mehr Wettbewerb zu rechnen. Deshalb müssen die verkruste- ten Marktstrukturen im Energiesektor aufgebrochen werden. Wir brauchen endlich einen sich selbst tragen- den, dauerhaften Wettbewerb im Energiemarkt. Aus die- sem Grunde müssen endliche alle Elemente, von der An- reizregulierung bis zum Ausbau der Grenzkuppelstellen, ausgeschöpft werden. Wenn das alles nichts bewirkt, dann ist „die vollständige Trennung … die sauberste Lösung“ so der Energiemarktexperte Christian von Hirschhausen in der aktuellen Wirtschaftswoche. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15943 (A) (C) (B) (D) Es geht letztlich um eine Urforderung der sozialen Marktwirtschaft, nämlich dass Wettbewerb gewährleistet werden muss. Eine Entflechtungsnorm als Ultima Ratio ins GWB aufzunehmen, wäre kein Akt der Verstaatli- chung, sondern ein Mittel, um der freien Marktwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen. In diesen Bereichen muss die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen und endlich ein schlüssiges Konzept vorlegen. Die Union steht vor einer Richtungsentscheidung, da die von ihr ge- führten Regierungen in Hessen und Schleswig-Holstein in dieser Debatte schon wesentlich weiter sind als die Bundesregierung. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Eon vermeldet eine Stei- gerung des Konzerngewinns für 2007 um 27 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro. RWE steigert sein Betriebsergebnis um 15 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro, obwohl der Kon- zern 2007 eine halbe Million Kunden verloren hat. Diese Gewinne haben wir alle bezahlt, mit unserer monatli- chen Strom- und Gasrechnung. Der Energiemarkt ist ein Paradebeispiel für vermachtete Strukturen und den Miss- brauch von Marktmacht. Die Folge sind überteuerte Preise und eine Energieversorgung, die auf große um- weltschädliche Kohle- und Atomkraftwerke setzt. Die Diskussion um diesen Missbrauch hat zu dem hessischen Gesetzentwurf geführt, den Sie, von der FDP nun hier parallel in den Bundestag einbringen. Ja, es ist ein eindeutiges Defizit der deutschen Gesetzgebung, dass sie keine Entflechtung kennt. Der vorliegende Gesetzentwurf bietet eine Diskussionsgrundlage, krankt aber noch an folgenden Stellen: Sie sagen, Marktmacht und Missbrauch reichten nicht für Entflechtungsregeln aus. Sie sind der Auffassung, es sei nur in Erwägung zu ziehen, wenn der Wettbewerb durch ein Übermass an Martkmacht beschränkt wird und mit herkömmlichen Mitteln nicht nachhaltig beseitigt werden könne. Das halten wir für eine zu hohe Hürde. Das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung muss selbst Grund genug sein, ein Entflechtungsverfahren ein- leiten zu können. Es muss dann Sache des Unterneh- mens sein nachzuweisen, dass kein Missbrauch vorliegt. Ein Aspekt fehlt ihnen völlig: Während Sie und das Kartellrecht im Wesentlichen nur auf den Wettbewerb abzielen, haben wir einen umfassenden demokratiepoli- tischen Zugang zu dem Thema. Ziel einer Entflechtungs- regelung muss auch sein, wirtschaftliche Macht zu ver- hindern. Wirtschaftliche Macht ist auch politische Macht und gefährdet demokratische Entscheidungsprozesse. Wir alle erleben doch ständig die Einflussnahme einiger weniger transnationaler Konzerne bis hin zur Erpressung der Politik. Neben der von uns bereits viel diskutierten Macht der Energiekonzerne gilt das insbesondere auch für die Medien, weil es dort um Macht über Meinungs- bildung und politische Willensbildung geht. Der Ministerdispens geht ebenfalls in die falsche Richtung. Wir haben beim Eon/Ruhrgas Verfahren exemplarisch gesehen, wie die Ministererlaubnis miss- braucht wird. Die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, gerade auch im Energiesektor, sind einfach zu groß. Die Ministererlaubnis muss abgeschafft wer- den. Insofern geht auch ihre Forderung nach Eingriffsmög- lichkeiten des Wirtschaftsministeriums gegenüber Ent- flechtung, wenn es um Global Player auf internationalen Märkten und die Auswirkungen auf ihre Stellung geht, in die völlig falsche Richtung. Stattdessen sind hier auch auf europäischer und internationaler Ebene Schritte ge- gen die Macht der Global Player notwendig. Dabei ist es wichtig – und das fehlt bei Ihnen völlig – das Kartellrecht vom reinen Wettbewerbsrecht auf den Verbraucherschutz auszuweiten. Die Folgen des Miss- brauchs der Marktmacht tragen ja nicht nur die Konkur- renten am Markt, sondern meist auch die Verbraucherin- nen und Verbraucher. Deren Rechte müssen gestärkt werden. Beim Eingreifen des Bundeskartellamtes wegen der Einpreisung der CO2-Zertifikate haben nur andere Unternehmen eine Entschädigung erhalten. Die Verbrau- cherinnen und Verbraucher, die die Preise letztlich be- zahlt haben, sind leer ausgegangen. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen der FDP: Den Ansatz teilen wir, über die Ausführungen müssen wir noch streiten, wenn Entflechtung zu mehr Demokratie in der Wirtschaft führen soll. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen der FDP, wie wir bereits den Antrag „Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsregelung in das GWB und europäische Recht integrieren“, Drucksache 16/4065, positiv gesehen haben. Ich möchte kurz daran erinnern, dass das Thema Entflechtung von marktbeherrschenden Unternehmen schon verschiedentlich im Bundestag durch die SPD in der zehnten Wahlperiode und die Grünen in der 13. Wahlperiode eingebracht worden ist. Damit sind wir beim Thema! Für einen dynamischen Wettbewerb fehlt im deutschen Gesetz gegen die Wett- bewerbsbeschränkung noch ein Instrument für eine ak- tive Wettbewerbspolitik. In den angelsächsischen Län- dern wurden mit dem Instrument der Entflechtung von Unternehmen sowohl für Unternehmen, die horizontal eine marktbeherrschende Stellung hatten, als auch für Unternehmen, die vertikal integriert waren und deshalb eine marktbeherrschende Stellung hatten, gute Erfahrun- gen gemacht. Der Wettbewerb auf den jeweiligen Märk- ten konnte wieder belebt und Innovationen befördert werden. Stichworte sind AT&T Fernmeldemonopolist in den USA oder Standard Oil in den USA. Ökonomen kommen zu der Erkenntnis, dass die aktive struktur- orientierte Wettbewerbspolitik positiv zu bewerten ist. Zur Schaffung wettbewerblicher Bedingungen auf Infra- strukturmärkten oder in Netzökonomien ist eine aktive Wettbewerbspolitik notwendig. Denn die vorhandenen Marktstrukturen, beispielsweise in den Energiemärkten, führen zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Um hier die Wettbewerbsintensität zu steigern, ist eine Entflech- tung der marktbeherrschenden Unternehmen oder Mo- nopolisten geboten. Wenn es in Deutschland dieses In- 15944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) strument im GWB schon eher gegeben hätte, dann wäre das Ziel der Europäischen Kommission, einen europäi- schen Energiebinnenmarkt zu schaffen, in Deutschland einfacher umzusetzen gewesen. Dabei ist die Entflechtung von marktbeherrschenden Unternehmen in der Regel ein einmaliger Akt, um den Wettbewerb auf verkrusteten oder vermachteten Märk- ten wieder zu beleben. Deshalb ist es nur ein ergänzen- des Instrument im GWB zu den anderen verankerten Wettbewerbsinstrumenten, wie das Verbot wettbewerbs- beschränkender Verhaltensweisen oder die Missbrauchs- aufsicht. Das Instrument der Entflechtung ist aber auch in Fusionsverfahren relevant, um von vornherein die Entstehung von Marktmacht zu verhindern. Dieser Aspekt ist auf europäischer Ebene in Art. 81 und 82 be- reits verankert. Trotzdem gehen wir an dieser Stelle mit unseren Forderungen über den Gesetzesentwurf der FDP hinaus und fordern – wie bereits in unserem Gesetzes- entwurf zur Änderung des GWB, Drucksache 16/365 von Januar 2006 – die Abschaffung der Ministererlaub- nis § 42 GWB. Die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirt- schaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an preis- werten, ökologischen und qualitativ hochwertigen Gütern werden am ehesten durch einen wettbewerblichen Ord- nungsrahmen gewährleistet. In der Vergangenheit wurde die Ministererlaubnis häufig mit dem Argument, Ein- schränkungen des Wettbewerbs waren durch die Schaf- fung multinationaler Konzerne mit Sitz in Deutschland zu rechtfertigen, begründet. An dieser Idee hält die FDP mit dem Ministerdispens gemäß § 42 a fest. Wir sind der Mei- nung, dass der eigentliche Bezugsrahmen der europäische Binnenmarkt ist und nicht die Schaffung nationaler Champions! Eine dynamische und innovative Volkswirt- schaft lebt von ihrer Vielfalt, auch von ihrer Vielfalt an Unternehmen, die einen fairen Wettbewerb benötigen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren. Es handelt sich dabei um ein Gesetzgebungsvorhaben, das aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsge- richts notwendig geworden ist. Das Bundesverfassungs- gericht hat mit Beschluss vom 12. Dezember das gegen- wärtig in der Bundesrechtsanwaltsordnung enthaltene Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren zwar im Grundsatz bestätigt. Es hat allerdings unter dem Gesichts- punkt der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG für eine bestimmte Fallkonstellation Ausnahmen gefordert. Eine Lockerung dieses Verbots soll dann erforderlich sein, wenn ein Rechtsuchender aufgrund seiner wirt- schaftlichen Verhältnisse das Risiko, im Misserfolgsfall mit den Kosten qualifizierter anwaltlicher Unterstützung belastet zu bleiben, nicht oder zumindest nicht vollstän- dig zu tragen vermöge, und ihn dies von der Verfolgung seiner Rechte abhalte. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit trotz der bestehenden Institute der Prozess- kostenhilfe und der Beratungshilfe zugunsten unbemit- telter Rechtsuchender eine Lücke gesehen, die es zu schließen gelte. Wir wollen diese Lücke allerdings mit Augenmaß und möglichst eng begrenzt an den vom Bun- desverfassungsgericht gemachten Vorgaben schließen. In den USA haben die Erfolgshonorare für Anwälte, Contingency Fees, die ursprünglich zur Unterstützung vermögensloser Kläger gedacht waren, ganz erheblich zur Etablierung einer Anwaltsindustrie beigetragen. In den USA sind inzwischen Schadensersatzprozesse nicht selten Investitionen hochspezialisierter Anwaltskanz- leien, die zunächst in eigener Regie nach haftungsrele- vanten und lukrativen Sachverhalten suchen, um sich erst nach erfolgter Recherche und Kalkulation quasi als letztem Schritt auch noch nach passenden Klägern umse- hen. Bei Erfolgshonoraren, die bis zu 40 Prozent der ins- gesamt zugesprochenen Summe eines Vergleichs oder Urteils betragen können, ist dies wahrlich eine unter- nehmerische Investition in die Zukunft, leider mit ein paar unerwünschten Schattenseiten. Mehr als nötig agiert in diesem System der Anwalt wie ein freier Un- ternehmer, dessen betriebswirtschaftliche Interessen mir doch zu sehr an erster Stelle stehen. All dies sind Entwicklungen und Erscheinungen, die nach meiner festen Überzeugung nicht zu unserer bewährten deut- schen Rechtstradition passen und die wir tunlichst mei- den sollten. Amerikanische Verhältnisse – ich habe das immer wieder betont – wollen wir jedenfalls nicht. Ich bin dem Bundesverfassungsgericht deshalb außer- ordentlich dankbar, dass es in seiner Entscheidung den dem Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren zu- grunde liegenden gesetzgeberischen Erwägungen sozu- sagen seinen verfassungsgerichtlichen Segen erteilt hat. Der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit, das Ver- trauen der Bevölkerung in die Integrität der Anwalt- schaft und der Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Gebührensätze sind vom Gericht ausdrücklich als legitime Ziele, die eine Einschränkung der Berufsfreiheit rechtfertigen, bewertet worden. Der vorliegende Gesetzentwurf beruht auf Vorschlägen der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen An- waltsvereins. Während der DAV – wie schon im Verfah- ren vor dem Bundesverfassungsgericht – für einen weitge- henden Entfall des Verbots von Erfolgshonoraren plädiert hatte, war die BRAK für eine strikt an der vom Bundes- verfassungsgericht verlangten Ausnahmeregelung orien- tierte Umsetzung eingetreten. Der Gesetzentwurf be- schreitet einen Mittelweg. Er geht allerdings insoweit über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus, als er die dort geforderte Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot von erfolgsabhängigen Vergütungen nur als Regel- beispiel beschreibt. Bundesrat und BRAK befürchten da- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15945 (A) (C) (B) (D) her, dass auf diese Weise weitere Möglichkeiten für Er- folgshonorare eröffnet werden. Da das Bundesverfassungsgericht in seiner Ent- scheidung allerdings auch die Möglichkeit eröffnet hatte, das Verbot von Erfolgshonoraren gänzlich entfal- len zu lassen, lässt der Gesetzentwurf auch in Fällen, in denen die Rechtsverfolgung für den Rechtsuchenden mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden ist, sol- che Vereinbarungen zu. Wir werden im weiteren Ver- lauf der Gesetzesberatungen sehr genau prüfen, ob diese im Regierungsentwurf vorgesehene etwas weitere Öffnung der Zulässigkeit der Vereinbarung von Er- folgshonoraren mit unserem Kernanliegen einer engen Begrenzung auf das verfassungsrechtlich Unabding- bare vereinbar ist. Da das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben hat, bis zum 30. Juni 2008 eine Regelung zu treffen, ist höchste Eile geboten. Wir werden deshalb im Rechtssausschuss nach Ostern ein erweitertes Berichter- stattergespräch durchführen und im Lichte der dort ge- wonnenen Erkenntnisse zu einem baldigen Abschluss des Gesetzgebungsvorhabens kommen. Christoph Strässer (SPD): Ein deutsches Sprich- wort besagt: Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Dinge. – Die Rechtsweggarantie, also der Anspruch eines jeden Bürgers, gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung vermeintlicher Rechtspositionen wahr- nehmen zu können, ist in einem Rechtsstaat ein hohes Gut – manchmal auch ein teures. Sein Recht zu bekom- men, darf aber in einem Rechtsstaat jedenfalls nicht da- ran scheitern, dass der Rechtsuchende seinen vermeintli- chen Rechtsanspruch deshalb nicht geltend macht, weil er es sich nicht leisten kann. Daher gibt es aus guten Gründen die Prozesskostenhilfe; und das soll in vollem Umfang auch so bleiben. Es kann aber Fälle geben, in denen für Rechtsuchende, die wegen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Prozesskosten- oder Beratungshilfe mehr in Anspruch nehmen können, eine Rechtsverfolgung zum Beispiel ein so großes finanziel- les Risiko darstellt, dass sie davon absehen. Deshalb kann es Sinn machen, Erfolgshonorare für Anwälte in Ausnahmefällen zuzulassen. Damit würde für Kläger das finanzielle Risiko sinken, einen Prozess zu führen. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird deshalb das bislang geltende Verbot von Erfolgshonora- ren gelockert und es Anwälten und Mandanten künftig erlaubt, eine erfolgsabhängige Vergütung im Einzelfall zu vereinbaren, wenn der Rechtsuchende ansonsten da- von absehen würde oder, schlimmer noch, müsste, seine Rechte wahrzunehmen. Mit diesem Entwurf wird aber gleichzeitig klarge- stellt, dass eine „Amerikanisierung“ unserer Rechts- ordnung nicht befürchtet werden muss. Eine gesunde Portion Skepsis gegenüber amerikanischen Erfolgshono- raren für Rechtsanwälte bleibt durchaus berechtigt. Denn es gibt sehr wohl gute Gründe für einen zurückhal- tenden Umgang mit Erfolgshonoraren. Ein Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung von 1920 drückt es noch so aus: „Als Organ der Rechtspflege darf sich der Rechts- anwalt nicht zum Gesellschafter einer Partei im Rechts- streit herabwürdigen.“ Ganz so drastisch möchte ich es nicht ausdrücken, aber eine gebotene kritische Distanz, die gewahrt bleiben muss, ist eine unverzichtbare Vo- raussetzung für eine funktionierende Rechtspflege. Da- neben muss die Regelung so ausgestaltet sein, dass sie den Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze schützt und die prozessuale Waffengleichheit im Auge behält, da der Beklagte im Prozess nicht über die Möglichkeit verfügt, sein Kosten- risiko ähnlich zu verlagern. Zudem schützen geregelte Vergütungssätze, darunter auch gesetzliche Mindestge- bühren, dass Dumpingpreise die Qualität des Rechtsrats mindern. Ein gänzliches Verbot einer erfolgsbasierten Vergü- tung kann aber gleichermaßen zu unbilligen Ergebnissen führen, hat zu Recht das Bundesverfassungsgericht ent- schieden. Es sind eben nicht nur Fälle vorstellbar, in de- nen das Verbot von Erfolgshonoraren eine qualifizierte Rechtsberatung und -durchsetzung garantiert. Es ist auch denkbar, dass durch ein solches ausnahmsloses Verbot Rechtsverfolgung erschwert oder gar unmöglich ge- macht wird. Bisher ließ das Gesetz keine Ausnahmen des Grundsatzes vom Verbot von Erfolgshonoraren zu. Damit soll und muss Schluss sein. Bis zum 30. Juni 2008 haben wir eine Neuregelung dieses Problems zu be- schließen. Welche Fälle sind denkbar, in denen Ausnahmen vom Grundsatz des Verbots von Erfolgshonoraren Sinn machen? Das kann für Fälle zutreffen, in denen um Rechte gestritten wird, die einen wesentlichen Vermö- gensbestandteil eines Rechtsuchenden ausmachen wie zum Beispiel bei einem Prozess um einen Erbteil oder einen Entschädigungsbetrag. Auch hohe, aber streitige Schmerzensgeldforderungen könnten in bestimmten Fällen wirtschaftlich nur durchsetzbar sein, wenn der Geschädigte die Gewissheit hat, im Verlustfall zumin- dest neben den Kosten des Verfahrens und der gegneri- schen Anwaltskosten nicht auch noch die Kosten des eigenen Anwalts tragen zu müssen. Ähnliches kann für mittelständische Unternehmen gelten, die vor der Frage stehen, ob sie einen riskanten Bauprozess führen sol- len, der mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden ist. Dass Bedarf an einer moderaten Liberalisierung be- steht, wird jedenfalls deutlich. Studien haben gezeigt, dass eine Mehrheit der Anwaltschaft sich für eine Öff- nung ausspricht und Erfolgshonorare befürwortet. In ei- ner Befragung gab sogar eine ganze Reihe von Anwälten an, bereits verbindlich oder unverbindlich schon einmal Erfolgshonorare vereinbart zu haben. Ein Großteil der Anwaltschaft sei zudem schon von Mandanten auf die Möglichkeit von erfolgshonorierter Mandatsübernahme angesprochen worden. Auch im Hinblick auf die interna- tionale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Anwalt- schaft ist eine Liberalisierung zu begrüßen. Denn in Europa gibt es sehr wohl einen allgemeinen Trend zum Erfolgshonorar. In vielen europäischen Nachbarländern sind Erfolgshonorare bereits zulässig oder sind derartige Bestrebungen im Gange. Der Gesetzentwurf trägt auch dieser Entwicklung Rechnung. 15946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Er erfüllt die Vorgaben des BVerfG und den Wunsch der Anwaltschaft, ohne das grundsätzliche Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren in Frage zu stellen. Die Möglichkeit einer vollständigen Freigabe wäre unter bestimmten Voraussetzungen nach der Entscheidung des BVerfG zwar durchaus verfassungskonform gewesen. Aber wie ich meine, aus guten und genannten Gründen sieht der Gesetzentwurf davon ab und beschreitet einen Mittelweg, indem er zwar geringfügig über das vom BVerfG vorgegebene Minimum hinausgeht, aber vom Maximum der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten keinen Gebrauch macht und die Zweckmäßigkeit der bisherigen Regelung nicht grundsätzlich in Frage stellt. Für den Fall der Vereinbarung von Erfolgshonoraren sollen in Zukunft zum Schutz der Rechtsuchenden Auf- klärungs- und Hinweispflichten normiert werden. So wird sichergestellt, dass der Rechtsuchende aufgrund ei- ner asymmetrischen Informationsverteilung nicht über- stürzt und unüberlegt eine Entscheidung trifft, deren wirtschaftliche Risiken er nicht abschätzen kann. Während der Gesetzentwurf in der Anwaltschaft doch ganz grundsätzlich auf Zustimmung stößt, gibt es hin- sichtlich einiger dieser formalen Vorschriften im Detail gleichwohl noch Gesprächsbedarf. Einige der Regelun- gen gingen zu weit und würden unverhältnismäßig in be- stehende Praktiken eingreifen. In Stellungnahmen unter anderem des Bundesrates, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer wurden einige Be- denken vorgetragen. Die Bundesregierung ist in ihrer Gegenäußerung bereits auf eine ganze Reihe von Punk- ten, auch zustimmend, eingegangen. In den anstehenden Beratungsgesprächen werden wir diese Fragen noch ein- mal vertiefen. Aber ich bin mir schon jetzt sicher, dass wir ein Gesetz mit Augenmaß verabschieden werden, ein Gesetz, das vor allen den Belangen der Rechtsuchen- den, aber auch der Anwaltschaft Rechnung trägt. Mechthild Dyckmans (FDP): Die Bundesregierung hat dargestellt, welche Rahmenbedingungen das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zur Neu- regelung der Erfolgshonorare vorgegeben hat. Das ausnahmslose Verbot der Erfolgshonorare ist verfas- sungswidrig. Wir können das Verbot vollständig aufhe- ben oder müssen, wenn wir dies nicht wollen, zumindest Ausnahmen von dem Verbot zulassen. Für die FDP sage ich ganz klar: Für uns haben die vom Gesetzgeber mit dem Verbot verfolgten Gemein- wohlziele – Wahrung der Unabhängigkeit des Anwalts, Schutz der Rechtsuchenden vor Übervorteilung und Her- stellung der prozessualen Waffengleichheit vor Gericht – ein hohes Gewicht. Diese Gemeinwohlziele müssen wir auch bei einer eventuell in naher Zukunft aus Europa auf uns zukommenden Debatte über Gebührenordnungen der freien Berufe – also auch der Anwälte – im Auge be- halten. Zwar hat der EuGH erst im vergangenen Dezem- ber zum Fall „Cipolla“ entschieden, dass die mitglied- staatlichen Anwalts-Gebührenregelungen mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sind. Trotz- dem sind auf europäischer Ebene weiterhin Bestrebun- gen im Gange, die nationalen Gebührenordnungen in- frage zu stellen. Es ist für uns Liberale wichtig, dass bei dieser Diskussion nicht allein Aspekte des Wettbewerbs ausschlaggebend sind. Das Berufsrecht und damit auch die Gebührenordnung muss auch im Lichte der Interes- sen der Verbraucher und im vorliegenden Fall im Inte- resse der Wahrung einer geordneten Rechtspflege gese- hen werden. In Abwägung der genannten Gemeinwohlziele kommt für uns schon aus diesen Gründen eine vollstän- dige Freigabe von Erfolgshonoraren nicht in Betracht. Mit der Bundesregierung sind wir der Auffassung, dass sich unser bisheriges System bewährt hat. Wir brauchen keine Erfolgshonorare nach amerikanischem Vorbild. Die Entscheidung zur Übernahme einer Rechtssache darf nicht primär eine kaufmännisch zu beurteilende In- vestitionsentscheidung sein. Zwar werden amerikani- sche Verhältnisse nicht alleine durch die teilweise Ermöglichung von Erfolgshonoraren entstehen, da exor- bitante Schadensersatzforderungen und exorbitante An- waltshonorare in den USA auf das gesamte US-amerika- nische Rechtssystem zurückzuführen sind. Wir sollten aber den Anfängen wehren und uns nicht schrittweise dem amerikanischen Rechtssystem annähern. Ich ver- weise in diesem Zusammenhang nur auf die europäi- schen Bestrebungen zur Einführung von Sammelklagen. Wir brauchen eine Regelung, die es Rechtsuchenden ermöglicht, durch die Vereinbarung einer erfolgsbasier- ten Vergütung das finanzielle Risiko einer Klage zumin- dest teilweise auf den Rechtsanwalt zu verlagern, wenn sie sonst insbesondere aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse davon absehen würden, ihre Rechte geltend zu machen. Daher begrüßen wir es, dass die Bundesregierung eine Regelung vorschlägt, wonach auch in Zukunft die Vereinbarung von Erfolgshonoraren grundsätzlich die Ausnahme sein wird. Der Gesetzent- wurf ist im Wesentlichen auch bei den beteiligten Krei- sen auf Zustimmung gestoßen. Zum Teil wird allerdings gefordert, dass ausschließlich die wirtschaftlichen Ver- hältnisse des Mandanten Voraussetzung für die Zulässig- keit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren sein sollen. Der Gesetzentwurf geht hier etwas weiter, wenn er an die „besonderen Umstände der konkreten Angelegen- heit“ anknüpft und die wirtschaftlichen Verhältnisse nur als einen – wenn auch wichtigen – Umstand ansieht. In unseren Beratungen im Rechtsausschuss werden wir si- cherstellen müssen, dass damit nicht ein Einfallstor für die generelle Vereinbarung von Erfolgshonoraren ge- schaffen werden soll. Das Gesetz sieht bei der Vereinbarung von Erfolgsho- noraren zum Schutze der Mandanten auch besondere In- formations- und Belehrungspflichten vor. So sind im Ge- setzentwurf zum Beispiel Informationspflichten zu finden hinsichtlich einer kurzen Darstellung der wesent- lichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, auf denen die Einschätzung der Erfolgsaussichten beruht, der Bedingung, bei deren Eintritt die Vergütung verdient sein soll, und eines Hinweises, dass der Mandant im Falle des Unterliegens gegebenenfalls die Gerichtskos- ten und die gegnerischen Kosten zu tragen habe. Die Bundesregierung hat sich bereits bereit erklärt, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15947 (A) (C) (B) (D) Pflicht zur Angaben der voraussichtlichen gesetzlichen Vergütung und erfolgsunabhängigen vertraglichen Ver- gütung noch einmal zu überarbeiten. Unnötige Bürokratie wollen wir mit diesem Gesetz nicht schaffen; nur die wirklich sinnvollen und für die Entscheidung beider Seiten notwendigen Informations- und Belehrungspflichten sollten Eingang in das Gesetz finden. Abschließend müssen wir uns auch über die An- wendungsbereiche der geplanten Regelung klar werden: Künftig soll es nicht nur möglich sein, Erfolgshonorare bei den klassischen zivilrechtlichen Konstellationen zu vereinbaren. Erfolgshonorare sollen – zumindest theore- tisch – auch bei Familienangelegenheiten, öffentlich- rechtlichen Streitigkeiten und – dies möchte ich an die- ser Stelle deutlich machen – im Strafrecht vereinbart werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat sich auch mit diesem Aspekt der Erfolgshonorare befasst. Es hat uns in deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass auf dem Gebiet des Familien- und Strafrechts, aber auch in weiten Bereichen des öffentlichen Rechts keine Ver- mögenswerte generiert werden, die den Mandanten in die Lage versetzen, die Anwaltskosten aufzubringen. Auch wir sollten uns mit dieser Frage beschäftigen. Wichtig ist mir hier insbesondere der Umstand, dass nach dem Gesetzentwurf in der Vereinbarung mit dem Mandanten auch die wesentlichen tatsächlichen Um- stände anzugeben sind, auf denen die Einschätzung der Erfolgsaussichten beruht. Es ist hier jedoch zu beachten, dass einem Angeklagten nicht einerseits das Recht zum Schweigen eingeräumt werden kann und andererseits der Zwang ausgeübt wird, den Sachverhalt korrekt in der Vergütungsvereinbarung darstellen zu müssen. Hierüber müssen wir reden. Ob Schriftformerfordernisse, Informationspflichten oder Prognoseentscheidungen – wir haben noch etwas Zeit für unsere Beratungen bis zum Ablauf der Frist, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat. Lassen Sie uns diese sinnvoll nutzen. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Wir beraten heute einen Gesetzesantrag, weil das Bundesverfas- sungsgericht die rechtspolitische Entscheidung, Erfolgs- honorare ausnahmslos zu verbieten, verfassungsrecht- lich beanstandet hat. Das Gericht hat damit nicht die rechtspolitische Entscheidung für ein grundsätzliches Verbot von Erfolgshonoraren bemängelt, sondern nur die Striktheit dieser Entscheidung gerügt. Daraus ergibt sich die Aufgabenstellung, auf die wir uns beschränken soll- ten. Dafür gibt es gute Gründe. Ich erinnere an die Motivlage bei Einführung des ge- setzlichen Verbotes für Erfolgshonorare im Jahre 1994. In der Gesetzesbegründung heißt es: Bei dem Verbot, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, steht die Frage der Unabhängigkeit des Anwaltes im Vordergrund. Sie ist gefährdet, wenn bei der Führung der Sache wirtschaftliche Erwägungen den Ausschlag geben könnten. So klar sah man das einmal, und so klar sieht es meine Fraktion auch heute noch. Wir meinen, das Gute am vorgelegten Entwurf ist, dass man im Justizministe- rium der Versuchung widerstanden hat, die vom Bundes- verfassungsgericht leicht geöffnete Tür zum Erfolgsho- norar voll aufzustoßen. Der Regierungsentwurf wählte eine andere Lösung. Sie besteht darin, zu dem grundsätz- lichen Verbot einen Ausnahmetatbestand zu schaffen, der insbesondere sozial schwachen Rechtsuchenden nüt- zen soll. Der Ausnahmetatbestand lässt sich allerdings auch auf eine ganze Reihe von anderen Konstellationen bezie- hen. In denen müsste es allerdings nicht zwingend um soziale Fragen gehen. Wir werden im Rechtsauschuss bei den anstehenden Beratungen also darauf Acht geben, dass sich der Ausnahmetatbestand im Entwurf nicht plötzlich in eine allgemeine Öffnungsklausel verwan- delt. Eine Frage bleibt im Entwurf der Regierung aller- dings völlig unbehandelt. Das ist die wichtige Frage nach dem Zusammenhang von Erfolgshonorar und Pro- zesskostenhilfe. Diesen Zusammenhang greift auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung, die dem aktuellen Vorhaben zugrunde liegt, auf. Ich zitiere: Die Möglichkeit, mit einem Rechtsanwalt ein Erfolgs- honorar zu vereinbaren, kann das Institut der Prozess- kostenhilfe nicht ersetzen. Der mittellose Rechtsuchende darf durch Versagung der Prozesskostenhilfe nicht fak- tisch dazu gezwungen werden, eine Erfolgshonorarver- einbarung abzuschließen. Sie sehen also, wie genau das Gericht aktuelle Tendenzen in der Politik beobachtet und welche Warnungen es für erforderlich hält. Sie wissen auch, dass im Rechtsauschuss ein Entwurf des Bundes- rates zur Begrenzung der Prozesskostenhilfe bereits vor- liegt. Es ist aber zu allererst Sache des Staates, nicht der Anwaltschaft, mittellosen oder einkommensschwachen Personen die Wahrnehmung ihrer Rechtsangelegenhei- ten zu ermöglichen. Ein Erfolgshonorar kann diese Pflicht sinnvoll ergänzen, keinesfalls ersetzen. Wer die- sen Ersatz gleichwohl betreibt, der führt eine Privatisie- rung staatlicher Fürsorgepflichten auf dem Rücken der Rechtsuchenden durch. Das ist nicht hinnehmbar und wird auf unseren heftigen Widerstand stoßen. Sozial- demokratische Unterstützung ist uns hierbei willkom- men. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um es gleich vorwegzunehmen. Ich bin kein Freund da- von, die Bezahlung von Rechtsbeistand vom späteren Erfolg abhängig zu machen. Als allgemeines Modell der Anwaltsvergütung taugt es nicht. Wenn jedoch Lücken beim Zugang zur Rechtsverfolgung bestehen, müssen wir sie schließen. Unsere Maxime dabei ist aber: Das darf nur in begründeten Einzelfällen und nur dann pas- sieren, wenn der Mandant aus wirtschaftlichen Gründen von einer ordentlichen Vertretung seiner Interessen ab- geschnitten wäre. Dass es solche Fälle gibt, zeigt uns die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Für sol- che Fallkonstellationen brauchen wir eine neue Rege- lung und wir brauchen Rechtssicherheit. 15948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Das Bundesjustizministerium hat dazu einen Entwurf vorgelegt, der in die richtige Richtung zielt. Vieles sehen wir ähnlich. An der Rechtssicherheit muss aber noch ein wenig gefeilt werden. Wir würden die Regelung gern en- ger formuliert wissen. Sie wollen das Erfolgshonorar un- ter „besonderen Umständen“ ermöglichen. Das scheint uns zu weit zu gehen. Andere als wirtschaftliche Gründe können die Inanspruchnahme von Rechtsbeistand legiti- merweise nicht behindern. Wer Einkommen und Vermö- gen hat, muss dies auf das Risiko einer Niederlage hin einsetzen. Das sollte die Regel sein. Nur wenn diese Vo- raussetzungen fehlen, sollen Mandant und Anwalt aus- nahmsweise eine Sondervereinbarung treffen dürfen. Mit der jetzigen Formulierung kommt dieser Ausnahme- charakter des Erfolgshonorars zu wenig zum Ausdruck. Dies könnte eine Hintertür öffnen, durch die auch solche Mandanten schlüpfen, die sich sonst einen Anwalt leis- ten können. Was ist zum Beispiel bei hochriskanten Fäl- len? Sind es dann auch besondere Umstände, wenn der Anwalt zum Beispiel wegen einer ungewöhnlich hohen Leistungsklage bereit ist, sich am Risiko einer Klage ins Blaue hinein zu beteiligen? Ich meine, hier sollten wir etwas mehr Rechtsklarheit in das Gesetz bringen und uns an den Gedanken der Prozesskostenhilfe orientieren. Auch sollten wir darüber nachdenken, ob man den Anwendungsbereich nicht allein Verbrauchern vorbehal- ten sollte. Wer Unternehmer ist, der hat schon jetzt über Prozesskostenfinanzierer und Versicherer die Möglich- keit, seine Interessen durchzusetzen. Der Zugang zum Recht scheint mir hier ausreichend gewährleistet zu sein. Ein Erfolgshonorar sollte zudem nicht in jeder belie- bigen Höhe vereinbar sein. Es setzt Fehlanreize zum übermäßigen Prozessieren, wenn die Höhe des Honorars nicht in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftli- chen Bedeutung der Sache und zu seinem Risiko steht. Denkbar wäre es auch – da sind wir selbst noch in der Diskussion – ob nicht eine Vervielfachung der gesetzli- chen Gebühren in diesen Fällen ausreichend wäre. Die Großzügigkeit, die Sie eingangs walten lassen, wäre da- für an anderer Stelle angebracht. Bei der Frage, wie die Regelung abgeschlossen wird und welche Informations- pflichten den Rechtsanwalt treffen, lassen Sie leider zu viel Bürokratie zu. Die Neuregelung muss aber, wenn sie funktionieren soll, praktikabel sein. Das ist sie bisher nicht ausreichend. Für eine Gebührenvereinbarung verlangen sie die Schriftform, also eine Unterschrift. Zur Arbeitserleichte- rung sollte jedoch die Textform genügen. E-Mails und Faxe dürften ausreichen, um die Vereinbarung in Kraft zu setzen. Am Anfang des Mandats muss selbstverständ- lich eine Belehrung über die voraussichtliche gesetzliche Vergütung bzw. die erfolgsunabhängige vertragliche Vergütung, die Höhe des Erfolgszuschlages, die Erfolgs- bedingungen, die zum Eintritt des Anspruchs auf ein Er- folgshonorar führen, erfolgen. Auch muss auf die Kos- tentragungspflichten im Unterliegensfall sowie die Gerichtskosten hingewiesen werden. Über die Erfolgs- aussichten dagegen kann vernünftigerweise zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht aufgeklärt werden. Wie wahrscheinlich ein Obsiegen ist, muss sich erst nach Un- tersuchung des Sachverhalts und eingehender rechtlicher Prüfung erweisen. Dies gleich am Anfang von den An- wälten zu verlangen, setzt zu früh an. Im Zweifel müsste ein Anwalt vor Abschluss der Vereinbarung eine kosten- lose Vorprüfung übernehmen, um eine sichere Prognose abgeben zu können. Das kann es nicht sein, was Sie mit ihrem Gesetzesentwurf wollen. Nicht vollständig schlüssig erscheinen mir auch die vorgeschlagenen Rechtsfolgen für eine nichtige Gebüh- renvereinbarung. Hier müsste unterschieden werden, ob der Anwalt oder der Mandant das Scheitern zu verant- worten hat. Ist Letzteres der Fall, weil dieser beispiels- weise über seine Vermögensverhältnisse getäuscht hat, sollte im Erfolgsfall weiterhin die vereinbarte Vergütung zu zahlen sein. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Mandanten, die es später bereuen, ihren Anwalt an der Streitsumme beteiligt zu haben, die Vereinbarung künst- lich platzen lassen. Das alles sind Fragen, über die wir uns im Rechtsausschuss noch verständigen werden. Aus unserer Sicht muss auch noch über weitere Detailrege- lungen gesprochen werden. So muss meines Erachtens darüber nachgedacht werden, was in den nicht seltenen Fällen geschuldet wird, in denen ein Anwalt einen Teil- erfolg erzielt. Klarzustellen ist weiterhin, dass eine Ver- gütungsvereinbarung auch zur Abwehr von Angriffen und nicht nur zur Geltendmachung von Ansprüchen ge- troffen werden kann. In der Tendenz aber liegen unsere Einschätzungen nah beieinander und deshalb sehe ich den kommenden Erörterungen mit Zuversicht entgegen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Mit dem Entwurf eines Ge- setzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren tragen wir geänderten Gegeben- heiten des Rechtsberatungsmarktes Rechnung. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis Mitte dieses Jahres, 30. Juni 2008, eine Neuregelung zu treffen, nach der Erfolgshonorare zu- mindest dann zugelassen werden müssen, wenn „der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasier- ten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen“; Beschluss vom 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, Tz. 97. Erfolgshonorare müssen daher zugelassen werden zugunsten von Bürge- rinnen und Bürgern, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ansonsten ihre Rechte nicht verfolgen könn- ten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber zugleich be- sonders betont, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, darüber zu entscheiden, ob er an einem weitestgehenden Verbot von Erfolgshonoraren festhalten möchte oder ob er das Verbot – so ausdrücklich das Gericht – „völlig aufgeben oder an ihm nur noch unter engen Vorausset- zungen, wie etwa im Fall unzulänglicher Aufklärung des Mandanten, festhalten“ möchte; Tz. 110. Die Gegebenheiten des Rechtsberatungsmarktes spre- chen dafür, Erfolgshonorare in – etwas – weiterem Um- fang zuzulassen, als es durch das Verfassungsrecht zwin- gend gefordert ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15949 (A) (C) (B) (D) Es gibt viele Hinweise dafür, dass für Erfolgshono- rare ein Bedarf existiert. Obwohl Erfolgshonorare abso- lut verboten sind, haben nach eine Studie des Soldan- Instituts 8 Prozent der befragten Anwältinnen und An- wälte eingeräumt, Erfolgshonorare fallweise zu verein- baren; AnwBI. 2006, 50. Zwar haben sich 45 Prozent der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in einer Befra- gung dafür ausgesprochen, dass Erfolgshonorare nur in dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Aus- nahmefall – Bedürftigkeit des Mandanten – erlaubt wer- den. 55 Prozent sprechen sich aber für eine weitere Öff- nung aus, 42 Prozent sogar für eine völlige Aufhebung des Verbots; Hommerich/Kilian, Brennpunkte des an- waltlichen Berufsrechts – Das Soldan Berufsrechtsbaro- meter, NJW 2007, 2308, 2314. Auch der Blick über die Grenzen bestätigt, dass anwaltliche Erfolgshonorare als Vergütungsform bei uns anerkannt werden sollten: Welt- weit stellen wir fest, dass erfolgsbasierte Anwaltsvergü- tungen zunehmend zugelassen werden. Die Gegebenheiten des Rechtsberatungsmarktes strei- ten daher dafür, einen Mittelweg zu gehen, so wie es auch der Deutsche Anwaltverein vorgeschlagen hat. Ein Erfolgshonorar sollte nicht nur dann vereinbart werden dürfen, wenn ein Rechtsuchender aufgrund seiner wirt- schaftlichen Verhältnisse darauf angewiesen ist, eine er- folgsbasierte Vergütung zu vereinbaren, um anwaltliche Hilfe zu erhalten. Auch Rechtsuchende, für die die Rechtsverfolgung mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden ist – etwa ein mittelständischer Unternehmer, der vor der Frage steht, ob er einen riskanten Bauprozess führt – sollten die Möglichkeit erhalten, mit der Verein- barung eines Erfolgshonorars ihr Kostenrisiko zu be- grenzen. Die Anwaltschaft wendet sich heute dagegen, bei der Vereinbarung von Erfolgshonoraren zum Schutz der Rechtsuchenden Informationspflichten zu begründen. Dies überrascht. Die ersten Reaktionen auf die Entschei- dung des Bundesverfassungsgerichts waren noch anders. Eine Neuregelung, so eine Pressemeldung des DAV, „müsse ... auch umfangreiche Informationspflichten des Anwalts vorsehen“; Pressemeldung DAV Nr. 13/07. Die Möglichkeit, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, eröffnet für alle Vertragsbeteiligten Chancen und Verant- wortung. Der Regierungsentwurf verlangt daher, dass „die wesentlichen tatsächlichen Umstände und rechtlichen Er- wägungen kurz darzustellen [sind], auf denen die Ein- schätzung der Erfolgsaussichten beruht“; § 4 a Abs. 3 Satz 1 RVG-E. Die Rechtsuchenden – übrigens auch der An- walt – erhalten damit Klarheit. Dabei braucht nur das fest- gehalten zu werden, was im Zeitpunkt des Vertragsschlus- ses bekannt ist. Ermittlungs- und Prüfungspflichten des Anwalts vor Vertragsschluss werden nicht begründet. Für eine Befürchtung, Anwältinnen und Anwälte könnten durch unverhältnismäßige Informationspflichten belastet werden, besteht also kein Anlass. Erfolgshonorare sollen und werden keine „Regelform“ der Anwaltsvergütung sein. Aber die Vertragsbeteiligten sollen Spielraum erhalten, um die Besonderheiten ihres individuellen Falles bei ihrer Vergütungsvereinbarung be- rücksichtigen zu können. Damit passen wir das anwalt- liche Berufsrecht an die Erfordernisse und Gegebenheiten des Rechtsberatungsmarktes an. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – Projektförderung nach § 10 SGB III zulas- sen – Lokale Entscheidungsspielräume und pass- genaue Hilfen für Arbeitssuchende sichern (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 5) Peter Rauen (CDU/CSU): Heute erleben wir wieder einmal – was zumindest den Antrag der Linken betrifft – den zwanghaften Versuch, den prosperierenden Arbeits- markt mit fruchtlosen Beschäftigungsmaßnahmen über- ziehen zu wollen. Dieser Versuch bezeugt wirtschaftli- che Unkenntnis und politische Unvernunft: Wir reden heute zum wiederholten Mal über das Projekt „Teilzeit Plus“, das in den Jahren 2002 bis 2004 unter anderem in Dresden veranstaltet und vor über vier Jahren – zu Recht – beendet wurde. In diesem Projekt sollten Unternehmen bei mangel- hafter Auftragslage ihre Mitarbeiter in einer 50:50 Lö- sung an öffentliche Vereine im Rahmen einer ABM-Lö- sung ausleihen dürfen, um diese damit im laufenden Arbeitsverhältnis halten zu können. Nach Aussage der örtlichen Arbeitsagentur war die- ses Projekt von vornherein lediglich gedacht für Kleinst- betriebe, wie zum Beispiel Projektierungsbüros, und selbst dies sollte in einem überschaubaren Rahmen statt- finden. Von flächendeckender Wirtschaftsförderung war insofern keineswegs die Rede. Hintergedanke war zu- dem, in öffentlich geförderten Projekten unabgerufene Fachkräfte zu platzieren, um dort deren Fachwissen ge- zielt einbringen zu können. Schnell wurde bei dieser Maßnahme allerdings offenkundig, dass für einen sinn- vollen Ablauf des Modells eine bezahlte Koordinations- stelle unabdingbar gewesen wäre, was wiederum die Kosten in die Höhe getrieben hätte. Letzten Endes trug sich das ganze Projekt auch orga- nisatorisch nicht und hätte einer dauerhaften Fremd- finanzierung bedurft. Somit blieb es beim Versuch. Da- raus nun ein Erfolgsmodell linker Denkart machen zu wollen, ist schon erschreckend realitätsfern. Unverfroren hingegen ist, dass die Linken uns vorgaukeln wollen, dass sie sich um die Belange des Mittelstandes kümmern könnten. Weiß doch nun wirklich jeder, wie zutiefst ab- lehnend gerade die Linken dem Mittelstand und mittel- ständischem Unternehmergeist entgegentreten. Nicht ohne bewußte Zielsetzung wurden deshalb mittelständi- sche Unternehmungen gerade im gelebten Sozialismus – also in ihrer DDR – drangsaliert und letztendlich ab 1972 Stück für Stück verboten. Das Endergebnis dieser 15950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) sozialistischen Wahnvorstellung ist allgemein bekannt: Völliger wirtschaftlicher Zusammenbruch! Die offensichtliche Tatsache, dass sich seit dem Jahre 2005 die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes und der deutschen Wirtschaft erheblich geändert haben, wird von ihrer, der linken Seite ebenso gänzlich ignoriert. Ich meine sogar, die arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedin- gungen haben sich nicht nur ein Jahr nach Beendigung des Projektes, sondern eben wegen Beendigung solcher Projekte eindeutig positiv verändert. Doch bei den Lin- ken gilt weiterhin das Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses hier nur kurz wenige Fakten: Die Zahl der sozialversicherungspflich- tig Beschäftigten stieg in den letzten zwei Jahren – De- zember 2005 bis Dezember 2007 – um über eine Mil- lion, während sie in den vier Jahren zuvor – also in der Zeit der Teilzeit Plus-Projekte – um 1,655 Millionen zu- rückgegangen war. Die Bruttolöhne sind in den vergan- genen zwei Jahren um 43 Milliarden Euro gestiegen, netto 17 Milliarden Euro, in den vier Jahren zuvor gerade einmal um 24 Milliarden Euro, netto 12,7 Mil- liarden Euro. Die Rücklagen der Rentenversicherung stie- gen in den zwei Jahren unserer Regierung von 1,7 Milliar- den Euro auf 11,5 Milliarden Euro. Zur Erinnerung: Im Oktober 2005 musste der Finanz- minister der Rentenversicherung einen Kredit gewähren, um die Renten überhaupt auszahlen zu können. Tatsäch- lich konnten wir zu Anfang 2008 den Gesamtsozialversi- cherungsbeitrag auf unter 40 Prozent senken. Eine Maß- nahme, die nicht nur Monat für Monat Geld in die Taschen der Bürger bringt, sondern auch gleichzeitig Ar- beitsplätze schafft, Arbeitsplätze, die an keinem Tropf öffentlicher Mittel hängen. Mit diesen Fakten wird un- zweifelhaft klar, dass sich die Umstände seit Ende des Modellversuches in Dresden grundlegend geändert ha- ben. Doch die Antragsteller leben offensichtlich noch in einer illusionären Welt, wie es diese heute gar nicht mehr gibt. Gleichwohl war und ist die seit 1998 nach § 10 SGB III geregelte Freie Förderung ein bedeutsamer Schritt in Richtung Dezentralisierung und Regionalisierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitsämter hatten und haben immer noch die Möglichkeit, in konkreten Fällen und zeitlich begrenzt, bis zu zehn Prozent ihres örtlichen Eingliederungstitels für Neuansätze, Modell- versuche und das Schließen von Regelungslücken zu verwenden. Im Übrigen wurde auf eine Rechtsverord- nung, die es der Bundesregierung erlauben würde, Ein- fluss auf die Ausgestaltung der Maßnahmen und die Ent- scheidung über die Vergabe der Mittel zu nehmen, bewusst verzichtet. Dies kann allerdings keine generelle Aufforderung zur Umverteilung von Fördermitteln darstellen, so wie dies laut Antrag der Linken geschehen soll: Gelder, die durch die Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung aufgebracht wurden, sollen nach dieser Vorstellung ver- teilt werden, um damit einen künstlichen – nicht lebens- fähigen – Arbeitsmarkt „am staatlichen Tropf“ und so- mit am Leben zu erhalten. Die dadurch entstehenden Wettbewerbsverzerrungen werden billigend, wenn nicht sogar bewusst, in Kauf genommen. Das bedeutet kurz gesagt: Dort, wo zwei halbe Stellen für Tischler vom Amt finanziert werden, wird zugleich ein bis dahin regulär angestellter Tischler arbeitslos. Das kann nun wirklich nicht Sinn der Sache sein. Dabei ist die diesbezügliche Sperrklausel im Gesetz – § 10 SGB III, Absatz 1, Satz 3 – eindeutig geregelt und keinesfalls zu übersehen: Bei Leistungen an Arbeitgeber ist darauf zu achten, Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden. Aus gutem Grund hat deshalb auch der Bundesrech- nungshof zuvor ausufernde Praktiken im Zusammen- hang mit der Freien Förderung erfolgreich angemahnt: Die Agenturen förderten die Projekte unabhängig vom Eingliederungserfolg und schufen zumeist nur befristete Beschäftigungen. Förderaufwand und nachhaltige Eingliederung standen in keinem ange- messenen Verhältnis. Die BA gab nur unzureichend vor, wie die Projekte zu gestalten waren. … Die Bundesagentur für Arbeit hat … die Projektförde- rung ausgesetzt und wird die Freie Förderung auf Individualhilfen beschränken so der Ergebnisbericht des Bundesrechnungshofs 2006. Dieser Bericht läßt an Klarheit wenig zu wünschen übrig, und es war im wahrsten Sinne des Wortes eine „weise“ Entscheidung der Bundesagentur, darauf zu rea- gieren. Auch von der Bundesagentur sind die Anweisungen klar und deutlich: Die freien Leistungen dürfen weder in ihrer Ausge- staltung und Ausrichtung an die Stelle der Regel- leistungen treten noch die dort getroffenen Voraus- setzungen aushebeln. Sie dürfen auch gesetzliche Leistungen nicht aufstocken. Es ist unzulässig, im Rahmen eines Programms, mit der freien Förde- rung eine regionale Regelleistung zu schaffen. Wenn also die Linken nun behaupten, die Freie För- derung sei durch „Anweisung von oben“ generell abge- schafft worden, ist dies schlichtweg falsch. Sie wurde le- diglich auf ein sinnvolles, zielführendes und konkretes Maß beschränkt. Waren 2003 insgesamt 17 116 Perso- nen in der Freien Förderung, wurden im Jahr 2006 zu- sammen 25 340 Personen durch die Freie Förderung un- terstützt. Das ist ein Drittel mehr als zuvor! Streuen Sie also den Menschen keinen Sand in die Augen, indem sie so tun, als gäbe es dieses Instrument gar nicht mehr. An dieser Stelle, so meine ich, sollten wir die Gele- genheit nutzen und dem Vorstandschef der Bundesagen- tur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, und seinen Mitstrei- tern dafür danken, dass sie durch erfolgreiche Arbeit die Effizienz und die Finanzen der Agentur in eine gute Ord- nung gebracht haben. Die seinerzeit eingeleitete Umge- staltung des Arbeitsamtes als eine 100 000 Mitarbeiter- Behörde hin zur BA heutiger Erscheinung ermöglichte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15951 (A) (C) (B) (D) uns unter anderem die Senkung der Arbeitslosenversi- cherungsbeiträge auf nunmehr 3,3 Prozent. Ein kurzes Wort noch zum Antrag der Grünen und zum Instrument der „Weiteren Leistungen“: Ich kann die Argu- mentation des Baden-Württembergischen Ministeriums für Arbeit und Soziales, wie diese in der Ausschussdruck- sache 938 ausgeführt ist, durchaus nachvollziehen, geht es hier doch gerade darum, mit maßgeschneiderten Hilfen – vor Ort – Menschen, die lange arbeitslos sein mussten, wieder in eine vernünftige Stellung zu bringen. Hier sehe ich noch ausgiebigen Diskussionsbedarf und er- warte im Ausschuss eine zielgerichtete und praktikable Lösung für die Menschen, die unserer Unterstützung be- dürfen. Insofern muss uns allen eine Tatsache bewusst sein: Die Wirtschaft ist natürlich kein Selbstzweck. Der Mensch steht und bleibt im Mittelpunkt des Wirtschaf- tens. Es ist aber unsere Aufgabe, den Unternehmen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, die freie Ausübung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten zu gewährleisten. Erst dort – und nur dort –, wo selbst das potentielle Markt- ergebnis nicht akzeptabel sein kann, dürfen wir eingrei- fen, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Das Verteilen von Geldern der Beitragszahler im Gießkannenprinzip ist jedenfalls keine sinnvolle Lösung. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Zunächst wende ich mich dem Antrag der Linken zu, der fordert, die Pro- jektförderung nach § 10 SGB III zuzulassen. Ich könnte es mir einfach machen und meine Rede vom 29. März 2007 vortragen. Damals beschäftigte sich der Bundestag bereits mit ihrem Anliegen. Hätte er seinerzeit zur Ab- stimmung gestanden, wäre ihr Antrag abgelehnt worden. Mittlerweile wurde er im Fachausschuss beraten, hat dort die Mehrheit nicht überzeugt – und so wird es heute auch sein. Denn die Begründung ist nicht richtiger ge- worden und die Forderung geht auch ein Jahr später in die falsche Richtung. Wenn für ein Politikfeld der Begriff „innovativ“ zu Recht verwendet werden kann, dann ist es das Feld der Arbeitsmarktpolitik. Seit 2003 hat es eine Fülle neuer In- strumente gegeben, ja sogar so viele, dass wir nunmehr viele gute Gründe dafür haben, den „Instrumentenkas- ten“ aufzuräumen, zu bündeln und uns statt auf viele auf einige erfolgreiche konzentrieren zu wollen. Dafür fin- den wir nicht nur im Parlament große Zustimmung, ge- rade die Praktiker vor Ort halten das für richtig. Die von ihnen angesprochene Projektförderung ist ein Unterfall der freien Förderung. Welcher gesetzlichen Re- gelung unterliegt sie? Die Agenturen für Arbeit können bis zu 10 Prozent der im Eingliederungstitel enthaltenen Mittel für Ermessenleistungen der aktiven Arbeitsmarkt- förderung einsetzen, um die Möglichkeiten der gesetz- lich geregelten, aktiven Arbeitsmarktförderung durch freie Leistungen der aktiven Arbeitsförderung zu erwei- tern. Schauen wir auf die Zahl der Förderfälle, stellen wir fest: Das Instrument wird genutzt. 2005 hatten wir etwa 80 000 Förderfälle, 2006 bereits über 100 000 und in diesem Jahr bis Februar 2008 schon über 11 000 Fälle. Offenkundig braucht weder das Parlament noch die Agentur für Arbeit ihren Antrag. Ich begrüße ausdrück- lich, dass die BA klugerweise auch die Förderung von Projekten in dem gesetzlich gegebenen Rahmen wieder nutzt, zum Beispiel im Rahmen präventiver Förderung in Schulen, um neue Wege zu erproben. Meine Damen und Herren von den Linken, seit Ein- bringung Ihres Antrages hat sich der Arbeitsmarkt weiter gut entwickelt. War schon damals das genannte Projekt „Teilzeit plus“ in Dresden nicht mehr arbeitsmarktkon- form, so trifft diese Kritik heute noch deutlicher. Schon deutlich mehr auf der Höhe der Zeit ist da die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist sogar so zeit- nah, dass ihr Antrag erst gestern auf unsere Tische flat- terte. Aber schnell ist nicht immer auch richtig. Was ha- ben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gemacht? Sie haben einen unbestritten vorhan- denen Klarstellungsbedarf in der Anwendung des § 16 Absatz 2 SGB II genutzt und sich vehement auf die Seite der Kritiker und Bedenkenträger gestellt. Das kennen wir von Ihnen. Das ist nicht mutig, sondern nur einfach. Aber genau das ist ein Privileg der Opposition. Wir können und wollen es uns nicht ganz so einfach machen. Was haben wir getan? Zunächst haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass es tatsächlich die Finan- zierung von Maßnahmen auf der Grundlage des § 16 Abs. 2 SGB II gegeben hat, die eine andere Finanzie- rungsquelle hätten haben müssen. Das hat der Bundes- rechnungshof zu Recht gerügt. Dennoch wären von einer restriktiven Auslegung des § 16 Abs. 2, weitere Einglie- derungsleistungen, erfolgreiche, innovative und bereits ausgezeichnete Projekte betroffen. Dies will auch die SPD-Bundestagsfraktion so nicht hinnehmen. Deshalb haben wir uns unverzüglich an das Ministerium gewandt und sind, so bewerte ich die Konsultation, in einem kon- struktiven Gespräch, um Lösungen zu erarbeiten. Was ist uns dabei besonders wichtig? Wir wollen auch weiterhin jungen Menschen eine Perspektive auf einen Hauptschulabschluss eröffnen, auch wenn eine anschließende Ausbildung noch nicht „in trockenen Tüchern“ ist. Da stimmen wir mit ihnen überein. Optimistischer als Sie sehe ich jedoch, wie zü- gig wir die bereits erwähnte „Instrumentendebatte“ ab- schließen werden. Aber Sie brauchen ja diese Zweifel, um Ihre aktuelle Kritik anbringen zu können. Sicher werden Sie die überarbeiteten Förderinstrumente noch in diesem Jahr würdigen können. Sie werden feststellen, dass sie so ausgestaltet sein werden, dass die Instrumente grundsätzlich flexibler und passgenauer angewendet werden können, dass sie die so- zialintegrativen Ansätze des SGB II berücksichtigen und den individuellen Erfordernissen von Arbeitsuchenden gerechter werden. Wenn ich damit den Punkt vier Ihrer Forderungen zi- tiere, was sie hoffentlich erkannt haben, dann signali- siere ich Ihnen damit, dass wir bereits bevor Sie diesen Antrag gestellt haben eine kluge Weiterentwicklung un- serer Arbeitsmarktpolitik in Gang gesetzt haben. 15952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Bleibt mir abschließend noch der Hinweis, dass in den Fragen der finanziellen Rückforderung für rechts- widrig erbrachte Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II zumindest in Teilen auf Rückerstattung verzich- tet wurde. Aber gerade weil wir eine rechtskonforme Leistungsgewährung weder hier noch an anderer Stelle infrage stellen, legen wir als SPD-Bundestagsfraktion viel Wert darauf, dass am Ende der Instrumentendebatte klare Strukturen, einfache Instrumente und individuelle Lösungen stehen, dass so viel Standardisierung wie möglich, aber auch so viel individueller Entscheidungs- spielraum wie nötig eröffnet wird. Wir wollen eindeutige Verantwortlichkeit bei der Erreichung der Ziele und eine bessere Vernetzung von SGB III und SGB II. Qualität ist das Schlüsselwort für die von uns ge- wünschten Änderungen. Daran werden wir jeden Vor- schlag messen. Jörg Rohde (FDP): Mit Ihrem heute zur Abstim- mung vorliegenden Antrag liegen Sie, werte Kollegin- nen und Kollegen der Linken in einem Punkt richtig. Es ist zweifellos richtig, dass die freie Förderung im SGB III ausgeweitet werden sollte. Denn in der freien Förderung liegen die Chancen für passgenaue, individu- elle und flexible Projekte zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Wir sind uns auch einig darin, dass die Vermittlung Langzeitarbeitsloser in Arbeit nur regio- nal und dezentral sowie mit innovativen, flexiblen In- strumenten gelingen kann. Vor diesem Hintergrund ist es in der Tat nicht nachzuvollziehen, dass die Bundesagen- tur für Arbeit die Projektförderung auf Eis gelegt hat. So gesehen würden wir dem vorliegenden Antrag heute gerne zustimmen, können dies im Ergebnis aus mehre- ren Gründen jedoch nicht, sondern werden uns darum enthalten. Wir können nicht zustimmen, weil Ihr Antrag zwar in die richtige Richtung zielt, aber auf bestenfalls halbem Wege stehen bleibt, nämlich allein bei der Pro- jektförderung. Letztlich wollen Sie von den Linken an einem System herumdoktern, das einfach nur abge- schafft gehört. Ich meine die Bundesagentur für Arbeit. In ihrer jetzigen Form hat sich die Mammutbehörde BA nicht bewährt. Hier werden unzählige Aufgaben mehr schlecht als recht verwaltet, die viel besser von den Kreisen und Kommunen übernommen werden sollten. Die FDP im Deutschen Bundestag fordert deshalb seit langem die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit und eine grundlegende Neuorganisation und Kommuna- lisierung der Jobvermittlung. Jeder Arbeitgeber, jeder Arbeitsuchende und jeder lo- kale und regionale Arbeitsmarkt in Deutschland ist an- ders. Deshalb müssen sich auch die Jobvermittlungsstra- tegien unterscheiden und müssen auf diese Unterschiede eingehen. Was in der Stadt München funktioniert, muss noch lange nicht im ländlichen Raum Frankens klappen. Hier wie dort müssen ganz unterschiedliche Brücken zwischen Arbeitsuchenden und Arbeitgebern gebaut werden. Die Projektförderung kann dabei eine konstruk- tive Rolle spielen und sollte von der BA nicht nur umge- hend wieder in Kraft gesetzt werden, sondern auch aus- geweitet werden. Erfolgreich entfalten kann sich Projektförderung aber nur dann, wenn die Kommunen mit der Jobvermittlung vertraut werden. Denn niemand kennt seine Kunden – gleich ob Arbeitgeber oder Jobsu- cher – besser als die Kommune. Die Bundesagentur und die Argen werden hier immer hinterherhinken, weil sie letztlich viel zu weit vom Kunden und seinen individuel- len Bedürfnissen entfernt sind. Eine leistungsstarke Jobvermittlung ist die eine Seite der Medaille, wir dürfen aber die andere Seite nicht ver- gessen: Nämlich die der Arbeitgeber. Jede Jobvermittlung kann nur erfolgreich sein, wenn die Arbeitgeber, also vor allem die mittelständischen Un- ternehmen, wirtschaftlich auf sicherem Boden stehen, ver- lässliche Rahmenbedingungen haben und auch die nöti- gen Spielräume für neue Investitionen – und damit neue Jobs – haben. Wir brauchen ein einfaches und gerechtes Steuersystem, mehr Flexibilität im Kündigungsschutz, bessere schulische und berufliche Bildung sowie einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in die Rente. Wenn wir diese positiven Rahmenbedingungen schaffen, be- kommen wir auch die Sockelarbeitslosigkeit in den Griff und werden viel weniger auf Förderinstrumente in der Ar- beitsmarktpolitik angewiesen sein. Katja Kipping (DIE LINKE): Wollen wir eine Ar- beitsförderung, die auch den Regionen und regionalen Akteuren am Arbeitsmarkt einen Spielraum für innova- tive Projekte ermöglicht? Wenn ja, dann wäre der § 10 des Ditten Buches Sozialgesetzbuch geeignet. Er ermög- licht genau diesen Spielraum. Er ermöglicht die Umset- zung kreativer und innovativer Ideen, die sich an den konkreten Bedingungen der Region orientieren. Dies wird zum Beispiel durch das Projekt „Teilzeit Plus“ in Dresden belegt, das von 2002 bis 2004 von der Arbeitsagentur finanziell unterstützt wurde. Mit diesem Projekt wurden zwar keine neuen Arbeitsplätze geschaf- fen, aber immerhin die Beschäftigten in Handwerksbe- trieben vor der Erwerbslosigkeit bewahrt. Das Projekt „Teilzeit Plus“ wurde in Zusammenarbeit der Kreishand- werkerschaft, eines Umweltzentrums und der Arbeits- agentur durchgeführt. Es waren 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 38 Handwerksbetrieben und 48 Ver- eine beteiligt. Das Ziel des Projekts war es, die Abfede- rung von betrieblichen Auftragsschwankungen mit der Ausführung gesellschaftlich sinnvoller Arbeiten zu ver- binden. Wenn in den Handwerksbetrieben die Auftrags- lage zurückging, arbeiteten die Beschäftigten für eine gewisse Zeit nur noch verkürzt für ihre Firma und in der restlichen Zeit für einen gemeinnützigen Verein. Die Ar- beitsagentur hat für die Zeit, die die Beschäftigten für die Vereine arbeiteten, die Lohnzahlung übernommen. Für die Betriebe und die dort Beschäftigten hatte dieses Projekt den Vorteil, dass trotz konjunktureller Schwan- kungen keine Entlassungen vorgenommen werden muss- ten und der Betrieb weiter existieren konnte. Die Vereine konnten auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter zurückgreifen, die für sie gemeinnützige Arbeiten erledigten. Darüber hinaus wurden Wettbewerbsverzer- rungen vermieden, da die Kreishandwerkerschaft das Projekt selbst mit verwaltete und sowohl die Unbedenk- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15953 (A) (C) (B) (D) lichkeitsbescheinigungen für die Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit der Arbeiten in den Vereinen ausstellte als auch die Auftragslage der Handwerksbetriebe im Blick hatte. „Teilzeit Plus“ wird von allen Beteiligten sehr positiv beurteilt und musste trotzdem aufgrund einer Geschäfts- anweisung der Bundesagentur für Arbeit eingestellt wer- den, da sie die Möglichkeit der Projektförderung zu- gunsten von Individualförderungen ab 2003 ausgesetzt hat. Obwohl die Projektförderung sowohl für die Be- triebe als auch die Beschäftigten wie beschrieben posi- tive Effekte haben kann, findet sie seitdem nicht mehr statt. Die Win-win-Situation für alle Beteiligten wird durch eine Geschäftsanweisung der Bundesagentur un- terbunden. Wir fordern, dass die Bundesregierung sich aktiv in der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Ar- beit dafür einsetzt, dass die Aussetzung der Möglichkeit der innovativen Projektförderung nach § 10 des SGB III umgehend zurückgenommen wird. Was wir brauchen ist eine innovative Arbeitsförde- rung, die sich an den Erfordernissen und Möglichkeiten der Akteure auf dem Arbeitsmarkt orientiert. Grundsätz- lich aber brauchen wir eine Arbeitsförderung, die nicht auf Abschreckung der Erwerbslosen durch Repressionen zielt, sondern die Erwerbslose ermutigt, eigene Arbeits- förderungsprojekte zu entwickeln oder sich selbst einen Arbeitsplatz in Arbeitsförderungsprojekten auszusu- chen. Für diesen innovativen Ansatz gibt es einen Namen: Arbeitsmarkt von unten. Er orientiert auf die verstärkte Teilhabe und Selbstbestimmung der Erwerbs- losen, setzt auf deren soziale und berufliche Kompetenzen statt auf schikanöse Repressionen, wie sie bei Hartz IV an der Tagesordnung sind. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer wenn es darum geht, dezentrale Strukturen und lokale Kompetenzen zu stärken, hat die schwarzrote Koalition offensichtlich ein Problem. Das belegen die beiden hier vorliegenden Anträge. Sie wurden im Ab- stand von ungefähr einem Jahr gestellt und zeugen von denselben Problemen: Der Angst der Bundesregierung vor Kontrollverlust und ihrem Misstrauen gegenüber denjenigen, die vor Ort mit den Arbeitslosen arbeiten und das Ziel haben, für sie neue Perspektiven zu eröff- nen. Dabei geht es zunächst um die freie Förderung des SGB III. Dieses von Rotgrün eingeführte innovative In- strument zieht immer dann, wenn neue Ansätze und Pro- jekte erprobt oder Regelungslücken gefüllt werden sollen. Seit dem 1. März 2007 ist nach einer Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit der Projekt- förderung ausgesetzt worden. Das gilt nach wie vor, auch wenn im Ausschuss alle Fraktionen das hohe Lied der Projekte gesungen haben. Im Ergebnis ist die Projektför- derung zwar gesetzlich verankert, aber faktisch nicht möglich. Das ist ein Unding und Drückebergerei der ver- antwortlichen Bundesregierung, die mit einer Rechtsver- ordnung einen Rahmen setzen könnte. Ungleich schwerwiegender ist aber nun die rigorose Beschränkung der sogenannten weiteren Leistungen des Sozialgesetzbuches II durch die Bundesregierung. Die bisher vorhandene Möglichkeit, flexibel und vor Ort auf die spezifischen Problemlagen bestimmter Zielgruppen und Hilfebedürftiger einzugehen, wird so zunichtege- macht. Wird die Bundesregierung nicht gestoppt, stehen viele erfolgreiche Integrationsansätze für besonders schwer integrierbare Zielgruppen vor dem Aus. Das sind beispielsweise: kombinierte Beschäftigungs- und Qualifi- zierungsmaßnahmen für Migranten, sozialpädagogisch betreute berufliche Orientierungshilfen für Jugendliche, Maßnahmen zum Nachholen von Schulabschlüssen für junge Erwachsene, kombinierte Ausbildungs- und Kin- derbetreuungsangebote für alleinerziehende junge Müt- ter, sozialpädagogische Begleitungen oder aufsuchende Angebote der Jugendberufshilfe zur Verhinderung von Verwahrlosung und Verarmung. Die Begrenzung der „weiteren Leistungen“ auf Ein- zelfallhilfen bedeutet, dass diese Fördermaßnahmen be- endet werden müssen. Kofinanzierte Angebote, die zum Beispiel gemeinsam mit der Jugendhilfe konzipiert und finanziert wurden, sind ebenfalls nicht mehr ohne Weite- res möglich. Gewachsene Strukturen und Kooperationen werden zerstört. Die Bundesregierung begründet ihre Vorgehensweise mit der missbräuchlichen Nutzung der „weiteren Leis- tungen“, die sie zukünftig verhindern will. Dabei schießt sie jedoch weit übers Ziel hinaus. Im Ergebnis blockiert die Bundesregierung eine dezentrale und zielgruppen- orientierte Integrationspolitik und damit den ganzheitli- chen Hilfeansatz, der gerade Ziel und Aufgabe des SGB II ist. Die Bundesregierung muss ihren restriktiven Katalog für erlaubte „weitere Leistungen“ sofort wieder zurück- ziehen, damit die passgenauen Hilfen für Arbeit- suchende nicht eingestellt werden müssen. Die von der Bundesregierung in Aussicht gestellte mögliche Über- nahme besonders innovativer Ansätze im Zuge der Re- form des arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkastens reicht nicht. Bis diese Reform kommt, sind die aufge- bauten Strukturen und Kooperationen längst zerstört. Ich hoffe sehr, dass sich diese Haltung in den Aus- schussberatungen durchsetzen wird. Denn nicht nur wir Grünen, die Träger der Grundsicherung, die Kommunen, die Länder, die Wohlfahrtsverbände und zahlreiche andere Träger sind dieser Meinung. Auch die arbeitsmarktpoliti- sche Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles ist auf unserer Seite. In einem Schreiben an Bun- desarbeitsminister Scholz vom Januar schlug sie vor „zu prüfen, ob eine geänderte Rechtsauslegung … zum jetzi- gen Zeitpunkt notwendig und sinnvoll ist. Vielmehr soll- ten wir die Überlegungen hier in den größeren Kontext im Rahmen des geplanten Gesetzes zur Straffung des Instru- mentenkastens stellen. … Eine anderslautende Regelung jetzt und heute im SGB II könnte so verstanden werden, dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Viel spricht für das Argument, dass die Arbeitsuchenden im SGB II aufgrund ihrer besonderen Situation andere Hilfen benötigen als Personen, die gerade erst arbeitslos gewor- den sind …“ 15954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Frau Kollegin Nahles, in dieser Sache passt kein Blatt Papier zwischen uns und ich setze sehr auf Ihr Engage- ment im Ausschuss. Gemeinsam werden wir die Bun- desregierung sicherlich zum Umdenken bringen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Einfuhrverbot für den gentechnisch veränderten Mais MON810 anordnen und den Verkauf von MON810-Saatgut stoppen (Tages- ordnungspunkt 17) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat sich bereits mehrfach mit den in dem Antrag geforderten Maßnahmen zu dem gentechnisch veränderten Mais MON810 beschäftigt. Die Antragsteller fordern wieder- holt ein Einfuhrverbot sowie ein Verkaufsverbot für MON810-Saatgut. Als Begründung wird immer wieder angeführt, es gäbe neue wissenschaftliche Studien, die Zweifel an der gesundheitlichen und ökologischen Un- bedenklichkeit belegen sollen. Ausdrücklich stelle ich wiederholt fest: Das oberste Gebot einer Zulassung gilt uneingeschränkt, nach der die Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt gewährleistet sein muss. Unter dieser Zielsetzung hat das BVL mit Be- scheid vom 27. April 2007 das teilweise Ruhen der Ge- nehmigung zum Inverkehrbringen von MON810 ange- ordnet. Danach durfte Saatgut von MON810 erst dann wieder zu kommerziellen Zwecken abgegeben werden, wenn der Inhaber der Genehmigung dem BVL einen den aktuellen Anforderungen entsprechenden Beobachtungs- plan für MON810 vorgelegt hat. Hintergrund für den Er- lass war, dass aus Sicht des BMELV noch nicht alle Zweifel endgültig ausgeräumt wurden, dass der Anbau von MON810 keine Gefahr für die Umwelt bedeuten kann. Um solche eventuellen Gefahren frühzeitig entde- cken zu können, wurde die eingehendere Beobachtung gefordert. Derzeit lagen und liegen keine Belege dafür vor, dass von MON810 tatsächlich Gefahren für die Umwelt aus- gehen. Der Erlass der Maßnahme war also allein vom Vorsorgegedanken geprägt. Vom Zulassungsinhaber wurde anordnungsgemäß ein Plan zur Überwachung des Anbaues von MON810 vorgelegt, der nach Einschät- zung des BMELV den gestellten Anforderungen ent- spricht. Zusätzliche Prüfbitten des Bundesamtes für Na- turschutz, die in dem vorliegenden Plan nicht abgedeckt werden konnten, werden im Zuge einer überwachungs- begleitenden Forschung vonseiten des BVL abgedeckt. Hierbei handelt es sich vor allem um die Beobachtung von Langzeiteffekten auf Bodenorganismen und Nicht- Ziel-Tiere. Damit wurde die Schutzmaßnahme gegen- standslos und Saatgut der Linie MON810 kann seit De- zember 2007 in Deutschland wieder vertrieben werden. Von den Antragstellern wird und wurde bereits mehr- fach auf neue Erkenntnisse hingewiesen, die besondere gesundheitliche und ökologische Risiken im Zusammen- hang mit dem Anbau von MON810 belegen sollen. Diese sind jedoch nach den Ergebnissen intensiver Re- cherchen und erneuter, mehrfacher Überprüfung der ein- schlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen, insbe- sondere der EFSA und des BVL, nicht bestätigt. Zudem sind während der zehnjährigen Anbauzeit von MON810 keinerlei Schäden an Mensch, Tier oder der Umwelt festgestellt worden. Dieses entspricht de facto einem Langzeitexperiment. Dem vorliegenden Antrag kann aus diesen genannten Gründen nicht zugestimmt werden. Ausdrücklich möchte ich feststellen, dass Zulassun- gen ausschließlich nach den festgelegten, wissenschafts- basierten Sicherheits- und Anwendungsvorschriften aus- gesprochen werden sollen. Ich stimme damit der Forderung von Bundesminister Seehofer zu, den politi- schen Entscheidungsprozess in den EU-Gremien zu ver- einfachen und auf eine objektive, wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Es ist nicht hinnehmbar, dass in diesem Bereich nach Mehrheiten und aktuellen Stim- mungen entschieden wird. Zielgerichtete, erfolgsorien- tierte Forschung verlangt verlässliche Rahmenbedingun- gen. Dies gilt insbesondere auch für die Grüne Gentechnik, die hinsichtlich der absehbaren Herausfor- derungen bei der Erzeugung von Pflanzen als Lebens- mittel und Pflanzen für die stoffliche und energetische Verwertung enorme Potenziale birgt. Diese Chancen nicht zu nutzen, wäre gerade für den Hightechstandort Deutschland verhängnisvoll. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Wir haben bereits gefordert, den Anbau von MON810 auszusetzen. Diese Forderung wiederhole ich hiermit; denn seit Bekannt- werden des Monitoringplans von Monsanto bzw. der ge- naueren Umstände dieses Monitorings hat sich eine neue Sachlage ergeben: Der Plan scheint das Papier nicht wert, auf dem er steht. Wir haben uns gemeinsam mit unserem Koalitions- partner zum Schutz von Mensch und Umwelt als obers- tes Ziel des Gentechnikrechts verpflichtet. Gemeinsam haben wir gemäß diesem Ziel das Gentechnikrecht no- velliert – im Bestreben, den Bestand der gentechnik- freien Landwirtschaft zu schützen und gleichzeitig den Anbau von solchen GVO-Pflanzen, deren Unbedenk- lichkeit für Gesundheit und Umwelt bewiesen ist, zu er- leichtern. Bei MON810 ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzun- gen erfüllt sind. Der von Monsanto vorgelegte Monito- ringplan ist nicht geeignet, für eine aussagekräftige und auswertbare Beobachtung der Umweltauswirkungen zu sorgen. MON810 ist weder auf Basis der aktuellen wis- senschaftlichen Erkenntnisse noch auf Grundlage der derzeit geltenden rechtlichen Bestimmungen bewertet worden. Neben Frankreich haben auch Ungarn, Grie- chenland, Österreich und Polen nationale Einfuhr- bzw. Anbauverbote für MON810-Mais erlassen. Sie berufen sich dabei auf die Schutzklausel des Art. 23 der EU-Frei- setzungsrichtlinie 2001/18/EG. Die Schutzklausel er- möglicht den Mitgliedstaaten ein vorübergehendes Ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15955 (A) (C) (B) (D) bot des Einsatzes eines bestimmten GVO, wenn neue oder zusätzliche Informationen über diesen GVO vorlie- gen, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht vorla- gen. Im Falle von MON810 liegt die Zulassung auf EU- Ebene bereits zehn Jahre zurück. Die lange Liste der Studien, die seitdem neue Erkenntnisse ergeben haben, lässt sich dem Schreiben des BVL vom 27. April 2007 an Monsanto entnehmen. Diese Liste ist nicht komplett. So gibt es auch neue Untersuchungen zum Bt-Toxin- Gehalt von MON810-Pflanzen, die neben drastischen Schwankungen feststellen, dass die vom Anbieter ange- gebenen Werte nicht mit den tatsächlich auf dem Acker produzierten Mengen übereinstimmen. Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, nach der MON810 damals zugelassen wurde, ist inzwischen durch die neue Richtlinie 2001/18/EG abgelöst worden. Sie schreibt einen Plan zur Beobachtung der Umweltaus- wirkungen vor. Die Überwachung der Umweltauswirkun- gen wird bisher nicht in geeigneter Weise durchgeführt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens- mittelsicherheit, BVL, hatte mit Verfügung vom 27. April 2007 das Ruhen der Inverkehrbringensgeneh- migung angeordnet. Dort hieß es: Der Genehmigungsinhaber lässt Landwirte, die MON 810 anbauen, einen Fragebogen ausfüllen, in dem allgemeine Anbaudaten sowie verschiedene Parameter abgefragt werden. Diese Fragebögen sind ein nützliches Instrument für eine rein visuelle Erfassung agronomisch relevanter Aspekte der An- baufläche. Sie sind aber nicht geeignet, statistisch auswertbare Daten zu Umweltauswirkungen auf Agrarflächen und in der Umgebung, zum Beispiel auf Nichtzielorganismen, zu liefern. Fragebögen stellen somit ein ergänzendes Element dar, können aber ein Monitoring nach der Richtlinie 2001/18/EG nicht ersetzen. Aufgrund von neuen Informationen und zusätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der Nicht- zielorganismen und der Neubewertung bereits vorliegen- der Informationen sah das BVL „berechtigten Grund zu der Annahme, dass der Anbau von MON810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt“. Auch wenn Monsanto inzwi- schen einen Monitoringplan vorgelegt hat, hat sich an dieser Situation nichts geändert. Dennoch hat das BVL am 6. Dezember 2007 das Inverkehrbringen von MON810 wieder zugelassen. Zentraler Teil des aktuellen Monitoringplans von Monsanto sind jene Fragebögen, von denen es im BVL- Schreiben vom 27. April 2007 heißt, dass sie zur Daten- sammlung über Umweltauswirkungen ungeeignet seien. Das Bundesamt für Naturschutz, BfN, hat den Beobach- tungsplan stark kritisiert und sieht die Auflagen des BVL nicht bzw. nur unzureichend erfüllt. Laut Anordnung des BVL sollte der Plan mehrere für die Risikoeinschätzung relevante Prüfpunkte berücksichtigen wie den Verbleib des von MON810 produzierten Gifts im Boden sowie dessen Auswirkungen auf Bodenorganismen und Boden- funktion als auch Auswirkungen des Gifts auf Nichtziel- organismen. Der vorgelegte Monitoringplan sieht keine fallspezifi- sche, sondern nur eine allgemeine Beobachtung vor. Um dem „berechtigten Grund zu der Annahme, dass der An- bau von MON810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt“ nachzugehen und die Auflagen des BVL-Schreibens vom 27. April 2007 zu erfüllen, ist aber eine fallspezifi- sche Beobachtung nötig. Studien belegen die schädliche Wirkung des Gen-Maises auf Schmetterlingslarven; mögliche negative Auswirkungen auf die Umwelt kön- nen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Laut BfN sollten als Minimum gezielte Beob- achtungen hinsichtlich der Auswirkungen des Gen-Mai- ses auf Schmetterlinge, aquatische Organismen wie Kö- cherfliegenlarven und die Exposition und den Verbleib des von dem Gen-Mais produzierten Gifts in die Umwelt durchgeführt werden. Für die Überwachung der Um- weltwirkungen sieht der Plan die Abfrage bereits beste- hender Monitoringprojekte wie das Tagfaltermonitoring, das Brutvogelmonitoring oder das Bienenmonitoring vor. Monsanto will diese Daten auswerten und dem BVL zur Kenntnis geben. Diese Projekte werden mit öffentlichen Geldern fi- nanziert, teilweise wird die Arbeit durch Ehrenamtliche geleistet. Bisher wurden die Beteiligten nicht von Mon- santo darüber informiert, dass ihre Projekte nun Teil des Monitoringplans werden sollen. Auch eine Beteiligung an der Finanzierung der Projekte scheint nicht geplant zu sein. Offen ist auch, wie die teilweise in nicht gentech- nikspezifischen Projekten und durch Laien gesammelten Daten standardisiert werden können, damit sie überhaupt für GVO-Monitoring aussagekräftig sind und verglichen und bewertet werden können. Nach Meldungen des Spiegel von dieser Woche ist eine Bereitstellung dieser Daten mit den im Monitoringplan aufgeführten Beobachtungsnetzwerken wie dem Deutschen Jagd- schutzverband, dem Dachverband Deutscher Avifaunis- ten oder dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ, überhaupt nicht vereinbart worden. Da die UFZ nicht einmal Beobachtungsräume im Umfeld von MON810-Anbauflächen hat, ist es gar nicht möglich, für das MON810-Monitoring relevante Daten zu erheben. Es gibt viele Gründe, die für eine Aussetzung des An- baus von MON810 sprechen. Der Anbau muss untersagt werden, bis die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, und das muss schnell gehen. Deshalb stimmen wir dem Antrag der Grünen nicht zu. Die Prüfung neuer Informa- tionen über ein mögliches Gefährdungspotenzial dauert uns zu lange. Der Anbaustopp muss noch vor der Aus- saat erfolgen. Es kann den Landwirten nicht zugemutet werden, dass ihnen erst nach wochen- oder monatelan- gem Prüfungs- und Diskussionsprozess dann im laufen- den Anbau die Vermarktung von MON810 untersagt wird. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Schutz von Mensch und Umwelt hat auf allen Ebenen Vorrang. Daher ist es völlig unverständlich, wenn die Grünen heute ein Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder- ten Mais der Sorte MON810 sowie ein Verkaufsverbot für das Saatgut fordern. Diese Sorte wurde zehn Jahre lang weltweit ohne jegliche Beanstandung angebaut. Die 15956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Grünen nennen in ihrem Antrag kein einziges Beispiel für eine Gefährdung von Umwelt oder der Gesundheit von Menschen oder Tieren durch Anbau oder Verzehr dieser Sorte. Warum also sollte diese Sorte verboten werden? Es seien Zweifel an der Unbedenklichkeit auf- gekommen, heißt es im Antrag. Aber diese Zweifel wer- den nicht benannt. Die Grünen nehmen sie offensichtlich nicht einmal so ernst, dass sie ausführen, worin die Zweifel begründet liegen. Sie nennen stattdessen Län- der, die MON810 verboten haben. Doch bevor man sich Verboten anschließt, sollte man zumindest deren Grund- lage prüfen. Gerade angesichts der zehnjährigen positi- ven Erfahrung mit dieser Sorte ist eine solche Prüfung – wenn es um die Sache geht – selbstverständlich. Neh- men wir als ein Beispiel den Forschungsbericht des Bun- desumweltamtes von Österreich, erschienen im Dezem- ber 2007. Es ist kein Forschungsbericht, sondern eine Literaturstudie. Auf 31 Seiten erfolgt eine dürftige Zu- sammenfassung der Literatur. Die Literaturstudie ent- spricht inhaltlich der Risikobewertung von MON810, die im Juni 2006 das Bundesamt für Naturschutz erstellt hatte. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hatte im selben Monat Kernaussagen der Stellungnahme ein- drucksvoll widerlegt mit dem Fazit: „Das BVL kann aus den bisherigen Publikationen keine spezifischen (schäd- lichen) Wirkungen des MON810-Mais auf die Umwelt erkennen.“ Angesichts dieser klaren Aussage ist verständlich, dass der sogenannte BVL-Erlass vom 27. April 2007 vom Minister gegen die Fachmeinung des BVL durchge- setzt wurde. In diesem Erlass wurde nach der Aussaat von MON810 ein Verkaufsverbot für MON810 verfügt. Die FDP hat dies scharf kritisiert, weil völlig unbegrün- det die Bevölkerung geängstigt wurde. Der damalige Präsident des BVL ist für seine Unterschrift unter den Erlass mit einer Abteilungsleiterstelle im Ministerium belohnt worden. Der Erlass wurde im Dezember, da er- kennbar unbegründet, aufgehoben. Es gibt somit keinen nachvollziehbaren, sachlichen Grund für ein Verbot der Sorte MON810. Der Antrag der Grünen ist daher als Dienstleistung für ihre Klientel zu werten. Er steht in ei- ner Linie mit ihrer üblichen Verbotspolitik. Sie fordern ein Verbot für ein Produkt, das sich über zehn Jahre be- währt hat. Die FDP lehnt den Verbotsantrag ab. Gleichzeitig kritisieren wir das Vorgehen von Mon- santo bei der Organisation des Umweltmonitoring. Die behördliche Auflage, ein Umweltmonitoring durchzu- führen, muss erfüllt werden. Die Umweltbeobachtung des Anbaus von MON810 muss entsprechend der Richt- linie 2001/18/EG sowie der ergänzenden Leitlinie und der Leitlinie der EFSA erfolgen. Nach unserer fachli- chen Einschätzung ist es sinnvoll, dafür bestehende Mo- nitoringsysteme zu nutzen. Es ist jedoch eine selbstver- ständliche Pflicht des Unternehmens Monsanto, die einzelnen Verbände und Institutionen, die bisher schon unter unterschiedlichen Gesichtspunkten ein Umwelt- monitoring betreiben, von Anfang an in die Überlegun- gen zum geforderten Umweltmonitoring einzubeziehen. Bereits am 6. Dezember des letzten Jahres hatte Mon- santo dem Bundesamt für Verbraucherschutz einen Mo- nitoringplan vorgelegt und fünf deutsche Institutionen benannt, deren Monitoringsysteme genutzt werden soll- ten. Drei Monate später teilt das dort genannte Helm- holtz-Zentrum für Umweltforschung mit, dass Monsanto noch keinen Kontakt aufgenommen habe. Ein derartig laxer Umgang mit der Vereinbarung zum Umweltmoni- toring ist eine Missachtung der zuständigen Behörden, der gesetzlichen Vorschriften und der Institutionen, de- ren Dienstleistungen Monsanto nutzen wollte. Vor die- sem Hintergrund sollte Monsanto alternative Überlegun- gen für sein Umweltmonitoring anstellen. Institutionen, die auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen sind, wer- den ihren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern nicht zumuten wollen, mittelbar für ein Unter- nehmen zu arbeiten, das es nicht einmal für nötig befunden hat, die Institutionen darüber zu informieren. Das Unternehmen Monsanto wird weltweit wegen seines Umgangs mit der Öffentlichkeit sowie mit Ver- tragspartnern scharf kritisiert. Es hätte guten Grund, in Deutschland einen auf gegenseitigen Respekt angelegten Umgang zu zeigen. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Die FDP unterscheidet anders als andere politische Mitbewerber zwischen dem Vorgehen von Monsanto und der Züchtungsmethode Grüne Gen- technik. Wie Patrick Moore, der Mitbegründer von Greenpeace und deren langjähriger Präsident es darge- stellt hat, stehen den rein theoretischen Risiken der Züch- tungsmethode Grüne Gentechnik zahlreiche praktische Vorteile gegenüber. Die FDP will diese nutzen. Wir haben in unserem Antrag „Biotechnologische Innovationen im Interesse von Verbrauchern und Landwirten weltweit nut- zen – Biotechnologie ein Instrument zur Bekämpfung von Armut und Hunger in den Entwicklungsländern“ zahlreiche Beispiele genannt für die Vorteile der Züch- tungsmethode und deren Möglichkeiten, gerade in Län- dern der Dritten Welt die Armut zu lindern und die Er- nährungssituation zum Beispiel durch den Goldenen Reis zu verbessern. Auch in Deutschland bieten die BT- Mais-Sorten die Chance, zugleich mit der Bekämpfung des Maiszünslers auch die Futterqualität zu verbessern, weil Sekundärinfektionen durch Pilze vermieden wer- den, der Gehalt an kanzerogenen Pilzgiften vermindert wird. Der Anbau von BT-Mais ist naturverträglicher als die Bekämpfung des Maiszünslers durch chemischen Pflanzenschutz. Es muss auch in Deutschland möglich sein, die Vorteile und Chancen der Züchtungsmethode Grüne Gentechnik zu nutzen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Diese Woche schrieb der SPIEGEL: „Genmais ohne Überwachung?“ Damit war nicht die fehlende parlamentarische Kontrolle gemeint. Um diese kümmert sich die Fraktion Die Linke schon! Nein, die Meldung spielte auf den von Monsanto vorgelegten Monitoringplan zur Umweltbeobachtung des Genmais MON810 an. Der Plan sei lückenhaft und zur Überwachung der Umweltwirkungen des Genmais völlig ungenügend. Das kritisieren Umwelt- und Ver- braucherschutzorganisationen schon seit Wochen. Der Monitoringplan basiert auf Daten von bestehenden Um- weltbeobachtungen. In diesen werden Tagfalter, Wild- tiere, Bienen und Brutvögel beobachtet. Übrigens größ- tenteils ehrenamtlich! Natürlich sind das keine Studien, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15957 (A) (C) (B) (D) die den spezifischen Anforderungen an Überwachungs- untersuchungen für Risiken im Zusammenhang mit dem kommerziellen Anbau von genetisch veränderten Pflan- zen genügen. Laut Aussagen der Expertinnen und Ex- perten, die in diesen Monitoringprogrammen arbeiten, liegen nicht mal Genmaisfelder in der Nähe der Be- obachtungsflächen! Da frage ich mich: Wie soll etwas effektiv überwacht werden, wenn im Umkreis kilometer- weit keine Beobachtungen stattfinden? Oder wenn die Untersuchungen überhaupt nicht dazu geeignet sind, die Wirkung des transgenen Maispollens zum Beispiel auf das Bodenleben zu erfassen? Ein ernst gemeintes, wirk- sames Monitoring sieht ganz anders aus. Zur Heilung der Defizite im Monsanto-Überwachungsprogramm, wird nun von der Bundesregierung eine anbaubeglei- tende Forschung beauftragt. Die Linke sagt dagegen: Wenn Monsanto keinen wirksamen Überwachungsplan vorlegen kann, darf auch kein MON810 ausgesät wer- den! Schon deshalb, weil es sich hier ja nicht mal um Forschungsanbau handelt, sondern um kommerziellen Anbau. Die Linke hat zu dieser Problematik am Mittwoch eine Kleine Anfrage gestellt. Ich bin gespannt, was die Bundesregierung antworten wird. Wir wollen wissen, warum das Bundesamt für Verbraucherschutz und Le- bensmittelsicherheit (BVL) den Verkauf von MON810- Saatgut wieder zugelassen hat. Die vom BVL vorge- brachte Begründung für diese Entscheidung überzeugt nämlich nicht nur mich nicht. Der vom US-Multi vorge- legte Monitoringplan ist mit dem Vorsorgeprinzip nicht vereinbar und darf daher nicht als Grundlage für den kommerziellen Anbau dieser Risikotechnologie genutzt werden! MON810 ist eine „never ending story“: Der Genmais ist schon seit Jahren in der Kritik. Er schafft Unfrieden in den Dörfern, gefährdet die gentechnikfreie Landwirt- schaft und bietet keine Lösungen für die durchaus aner- kannten agrartechnischen Probleme. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist nicht, die Interessen der Saatgutmultis durchzusetzen. Wir müssen Schaden von der Gesell- schaft abwenden! Es führt aus Sicht der Linken in die Irre, wenn die landwirtschaftliche Zukunft Deutsch- lands konzernfreundlich von genetisch veränderten Pflanzen abhängig gemacht wird. Dieses Jahr sind circa 4 423 Hektar mit Genmais bestellte Äcker beim BVL angemeldet worden. Das sind 0,03 Prozent der landwirt- schaftlichen Nutzfläche. Also fast nichts. Oft werden viele der angemeldeten Flächen gar nicht genutzt. Aber ob ein Anbau überhaupt stattfinden darf, hängt auch von uns ab. Findet der vorliegende Antrag auf ein vorläufiges Verbot des Anbaus eine Mehrheit, dann kann rechtzeitig vor der Aussaat die Notbremse gezogen werden. Die na- tionale Schutzklausel basierend auf Art. 23 der Freiset- zungsrichtlinie bietet die Möglichkeit für solche vorläu- figen Verbote. Vielleicht sollte sich Minister Seehofer mal mit dem ebenfalls konservativen französischen Prä- sidenten Nicolas Sarkozy ernsthaft austauschen. Der hat sich bereits klar gegen eine weitere Nutzung des Gen- mais MON810 ausgesprochen und die nationale Schutz- klausel genutzt. Lernen Sie Französisch, Herr Minister! Übrigens gibt es bei MON810 nicht nur Probleme mit der gentechnikfreien Landwirtschaft oder der Imkerei. Leider hat die Koalition es versäumt, bei der Novellie- rung des Gentechnikgesetzes am Anfang dieses Jahres den Schutz von ökologisch sensiblen Gebieten zu verbes- sern. Eine Studie des brandenburgischen Landwirt- schaftsministeriums hat kürzlich ergeben, dass der trans- gene Maispollen durchaus einen Effekt auf Schutzgebiete und die darin lebenden Tiere und Pflanzen hat. Es wird empfohlen, mindestens 1 000 Meter Abstand einzuhalten um die geschützten Tiere nicht zu gefährden. Da man sich dabei nicht auf die Bundesregierung verlassen kann, wird das brandenburgische Landwirtschaftsministerium aktiv und verabredet mit den Genbauern freiwillige Sicher- heitsabstände zu den ökologisch sensiblen Gebieten. Da- mit entgehen die Landwirte auch dem Problem, dass Un- tere Naturschutzbehörden den Umbruch des Genmais anordnen könnten – wie im vergangenen Jahr geschehen. Ich finde das Engagement des Brandenburger Ministe- riums – übrigens SPD-geführt – sinnvoll, auch wenn wir Linke eine gesetzliche Regelung gefordert hatten. Anscheinend sieht nicht nur Die Linke den Anbau von MON810 kritisch: Drei Fraktionen in diesem Haus lehnen MON810 ab. Die Grünen beschreiben ihre Gründe im vorliegenden Antrag. Auch die SPD-Fraktion meldet sich regelmäßig kritisch zu Wort. Der stellvertre- tende Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber sagte vor vier Wochen – Zitat: „Wir erwarten von Landwirtschaftsmi- nister Seehofer, dass er MON 810 verbietet.“ Zitat Ende. Die Gentechnikexpertin der Sozialdemokraten Elvira Drobinski-Weiß mahnte diese Woche zur Eile – Zitat: „Der Anbaustopp muss noch vor der Aussaat erfolgen.“ Zitat Ende. Gut: Ich nehme Sie beim Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion. Haben Sie Mut und verlas- sen Sie ihre großkoalitionäre Zwangsjacke zugunsten ei- nes längst überfälligen Moratoriums! Die Linke stimmt dem Antrag jedenfalls zu. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Genmais MON810 geht in diesem Jahr – wenn auch auf sehr wenigen Flächen – bereits in die dritte Anbau- saison, und das ist Landwirtschaftsminister Seehofer zu „verdanken“. Zunehmend bedenkliche Studien belegen das Risiko der Gensaat: kanadische und französische Studien, aber genauso eine aktuelle Untersuchung des Landesumwelt- amtes Brandenburg. Die Ergebnisse der Studie im Natur- park Märkische Schweiz, die im Februar veröffentlicht wurde, belegen, dass sich die Maispollen sehr viel weiter verbreiten als bisher vorausgesetzt. Ein Abstand von mindestens 1 000 Metern dürfe an keiner Stelle unter- schritten werden, um die Schmetterlinge und andere ge- fährdete Arten zu schützen. Andere Laboruntersuchun- gen zum Beispiel zum Genmais BT 176 zeigen auf, dass bereits äußerst geringe Pollenkonzentrationen des Gen- mais genügen, um den Tod der Schmetterlinge herbeizu- führen. Vor diesem Hintergrund ist der Umgang von Minister Seehofer mit der Zulassung von MON810 ein Akt der 15958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Willkür zugunsten von Monsanto. Aufgrund des öffent- lichen Druckes der Grünen wurde vom zuständigen Bun- desamt für Verbraucherschutz der Verkauf des Genmais im Frühjahr 2007 gestoppt, weil der Genmais „ein Ri- siko für die Umwelt“ darstellt: nach der erfolgten Aus- saat, versteht sich. Und im Dezember 2007 unter skanda- lösen Umständen vor der neuen Aussaat im April wieder zugelassen. Bedingung für diese Wiederzulas- sung war nach Angaben des BVL die Vorlage eines Mo- nitoringplans durch Monsanto. Doch statt eines eigenen Monitoring-Plans gab Monsanto die Untersuchungen ah- nungsloser Umwelt- und Jagdverbände an. Diese (Deut- sches Bienenmonitoring des ImkerBundes, Tagfaltermo- nitoring der Umweltverbände, das Monitoring des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten und des Deut- schen Jagdschutzverbandes) empören sich darüber, dass sie von der Industrie nicht einmal in Kenntnis gesetzt wurden und ihre Untersuchungen nicht im Mindesten für ein Gentechnik-Monitoring geeignet seien. Der Präsi- dent des konservativen Jagdschutzverbandes, der ehe- malige Landwirtschaftsminister Borchert, CDU-MdB schreibt: „… dass unser Verband zu keinem Zeitpunkt von Monsanto in der Angelegenheit kontaktiert bzw. über das geplante Vorhaben in Kenntnis gesetzt worden ist. Insofern ist unser WILD-Projekt in dem Monitoring- plan ohne unser Wissen oder gar Einverständnis benannt worden.“ Des Weiteren schreibt er, dass „in keinem un- serer jährlich publizierten WILD-Berichte das Thema GVO (gentechnisch veränderte Organismen) erwähnt wurde“. Der Jagdschutzverband verlangt wie die ande- ren Verbände vom Bundesminister eine Auskunft darü- ber, aufgrund welcher Erkenntnisse das BVL zu seinen Schlussfolgerungen gelangt sei und ob überhaupt eine Eignungsprüfung der fünf benutzten Monitorings für ein GVO Monitoring vorliege. Auch ohne diese Antwort der Bundesregierung zu kennen: Diese Art der einseitigen Vertretung der Gen- tech-Konzerninteressen verträgt sich nicht mit Rechts- staatlichkeit und Verfassung. Dort heißt es in Art. 20 a: „Der Staat schützt in Verantwortung für die kommenden Generationen (auch) die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…)“. Die Menschen, die sich um Umwelt und Gesundheit berechtigt sorgen, fühlen sich durch die Verschlechterung des Gentechnikgesetzes und die omi- nöse Wiederzulassung mehr und mehr in die Ohnmacht getrieben. So wird Minister Seehofer auch zu verantwor- ten haben, wenn sich dieses Gefühl in den Protestaktio- nen entlädt. Eine solche Situation darf nicht entstehen. Inzwischen kommen wie in Bayern mehr als 700 Men- schen – auch die Bauern im Deutschen Bauernverband – zu den Gentechnikwiderstandsveranstaltungen und grün- den gentechnikfreie Regionen. In der dreisten, die Meinung der Bevölkerung und die Risiken ignorierenden Vorgehensweise der Bundesregie- rung und Minister Seehofers liegt die Erklärung für den Absturz der CSU bei den letzten Wahlen, nicht beim Nichtraucherschutz. Wenn die Bundesregierung einen Rest an Glaubwürdigkeit behalten will, muss der Anbau des Genmais MON810 umgehend vor der Aussaat ge- stoppt werden. Was sagte Seehofer noch im Januar 2008 auf der ersten internationalen Agrarministerkonferenz zur Grünen Woche: „Da schrillen bei mir alle Alarm- glocken!“ Er forderte in diesem Zusammenhang eine Sonderrolle Deutschlands und hat vor einem zunehmen- den Gentechnikanbau in Deutschland aus wirtschaftli- chen Zwängen gewarnt. Den Reden müssen dann auch die Taten folgen. Wir fordern die Bundesregierung auf: den Verkauf von MON810-Saatgut zu stoppen, aufgrund der neuen und zusätzlichen Informationen im Hinblick auf die Ge- fährdung von Menschen oder der Umwelt ein Ruhen der Inverkehrbringensregelung für Produkte aus MON810 entsprechend Art. 23 der RL 2001/18/EG einzuleiten, sich auf EU-Ebene gegen eine Neuzulassung von MON810 einzusetzen, sich für eine Verbesserung des EU-Zulassungsverfahrens für gentechnisch veränderte Pflanzen einzusetzen wie unter anderem dafür, dass die Verfahren für die Öffentlichkeit transparenter werden und dass wissenschaftliche Bedenken nationaler Behör- den der EU-Länder und unabhängiger Experten stärker als bisher berücksichtigt und einbezogen werden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Mahnungen des Sachverständigen- rates ernst nehmen – Mehr Freiheit wagen (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Im traurigen Mo- nat November war’s – da haben Sie, liebe Kollegen von der FDP, uns diesen Antrag vorgelegt. Darin fordern Sie die Bundesregierung auf, die Mahnungen des Sachver- ständigenrates ernst zu nehmen und mehr Freiheit zu wa- gen. Nach der Debatte und den Beratungen in den betei- ligten Ausschüssen liegt nun die Beschlussempfehlung des federführenden Wirtschaftsausschuss vor, der dazu rät, diesen Antrag abzulehnen. Um es kurz zu machen: Dem ist nur wenig hinzuzufügen. Natürlich nehmen wir den Bericht des Sachverständi- genrates ernst und ignorieren ihn nicht; das ist schon mal ein grundlegender Irrtum. Darum stimmen im Übrigen auch die Aussagen des Sachverständigenrates zur Ent- wicklung der Wachstumsraten mit denen der Bundes- regierung überein. Die Regierung hat von Anfang an sehr moderate Schätzungen vorgelegt. Wir lassen uns eben lieber von einer positiven Entwicklung überra- schen, statt beständig nach unten korrigieren zu müssen. Das Gutachten ist auch ein Beleg für den Erfolg die- ser Großen Koalition: eine Million weniger Arbeitslose als noch im Herbst 2005 nach sieben Jahren Rot-Grün; eine Million mehr Menschen, die wieder einer Beschäf- tigung nachgehen. Darüber hinaus liegt die Zahl der Er- werbstätigen insgesamt bei über 40 Millionen – ein his- torischer Wert. Zudem sinkt die Staatsquote auf etwa 45 Prozent, und die Neuverschuldung geht kontinuier- lich gen null. Insgesamt können wir also auf eine sehr gute Bilanz für die erste Halbzeit der Koalition blicken. Die Sachverständigen bestärken uns in unserem Handeln Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15959 (A) (C) (B) (D) und fordern uns auf, den eingeschlagenen Weg der Re- formen weiterzugehen. Das ist eine Aufforderung, der wir gerne nachkommen, und darum können Sie sicher sein, dass wir das auch tun werden. Ein großer Teil der Forderungen, die Sie, liebe Kolle- gen von der FDP, stellen, hat sich erledigt; denn wir ha- ben sie bereits in die Tat umgesetzt. Der andere Teil Ihrer Forderungen ist schlichtweg abzulehnen; denn er würde uns klar vom Kurs abbringen, also weg von unserem Re- formweg, und damit würden wir nicht zuletzt auch den Rat der Sachverständigen ignorieren. Das kann ja auch nicht in Ihrem Interesse liegen. Lassen Sie mich Ihnen ein prägnantes Beispiel geben. Sie fordern, dass die Beitragsmittel der BA nicht in den Bundeshaushalt „verschoben“ werden sollen. Da darf ich Sie beruhigen: Natürlich werden diese Gelder nicht hin- und hergeschoben. Die Überschüsse der BA gehö- ren dahin, wo sie hergekommen sind, nämlich zurück in die Taschen der Beitragszahler. Darum entlasten wir Ar- beitgeber und Arbeitnehmer, und darum haben wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung noch einmal von 4,2 Prozent auf nun 3,3 Prozent abgesenkt. An dieser Stelle möchte ich auch darauf hinweisen, dass aufgrund der positiven Lage eine weitere Absenkung des Beitrags- satzes möglich ist; vielleicht gelingt es uns sogar, unter die 3-Prozent-Grenze zu kommen. Zudem haben wir da- mit unser Ziel, die Lohnnebenkosten endlich wieder un- ter die 40-Prozent-Marke zu senken, erreicht. Damit machen wir Arbeit günstiger und ermöglichen die Schaf- fung weiterer Arbeitsplätze. Mit der Senkung der Bei- träge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf zuerst 4,2 Prozent und nun um weitere 0,9 Prozent haben wir übrigens die stärkste Absenkung der Lohnnebenkosten vorgenommen, die jemals von einer Bundesregierung beschlossen worden ist. Das Wichtigste aber bleibt für uns die damit erzielte tatsächliche Nettoentlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; denn ihnen bleibt nun mehr netto von ih- rem Lohn in der Geldbörse. Konkret bedeutet das für ei- nen durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer eine Entlastung von mehr als 270 Euro im Jahr. Dagegen sieht Ihre Bilanz ja nicht ganz so rosig aus, wenn ich beispielsweise an die Zeit der gelb-roten Koali- tion in meiner Heimat denke. In Rheinland-Pfalz können Sie mit Herrn Beck gemeinsam auf eine „glanzvolle Bilanz“ ordnungspolitischer Arbeit zurückschauen. Ich habe hier einige Höhepunkte für Sie: Im gesamten Zeit- raum von 1947 bis 1990, also inklusive Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, hat das Land Rheinland- Pfalz insgesamt 10 Milliarden Euro Schulden gemacht. In den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit, also von 1991 bis 2003, haben Sie diese Schulden lässig verdoppelt und es in den 13 Jahren auf traurige 24 Milliarden Euro ge- bracht. – Bis Ende 2005 wurde ein Schuldenstand von rund 6 350 Euro je Einwohner erreicht. Das ist bundes- weit beispiellos. Dies bedeutet seit Ende 1991 – hier lag der Schuldenstand bei 2 954 Euro pro Kopf – einen Zu- wachs um 3 396 Euro. Das sind 115 Prozent in 14 Jah- ren, das sind insgesamt 14,509 Milliarden Euro Schul- den. – Solange Sie im Landtag in Mainz gesessen haben, ist die Zahl der Arbeitslosen von 76 000 auf das Dop- pelte, nämlich auf 147 000 Arbeitslose, angestiegen. – Obendrein haben Sie die Bezirksregierungen abgeschafft und sich lieber gegen eine bürgerfreundliche, ortsnahe Verwaltung und für eine bürokratische, zentralistische Neuorganisation entschieden. – Das nenne ich „Er- folge“. Vielleicht sollten Sie aber auch einfach etwas gründli- cher lesen: Der Sachverständigenrat schreibt, dass es aufgrund der Krise an den Finanzmärkten zu einer Ver- langsamung des Aufschwungs gekommen ist und wir deshalb für das kommende Jahr mit einem Wirtschafts- wachstum von nur 1,9 Prozent rechnen können. Dann aber kommt die eigentliche Aussage: Diese Abschwächung ist aber kein Indiz dafür, dass der Aufschwung zum Erliegen kommt oder gar eine Rezession bevorsteht. Man sollte Zitate eben nicht aus dem Zusammenhang reißen, um ihren Inhalt damit zu verfälschen. Wir können, denke ich, stolz sein auf das, was wir bisher erreicht haben. Dies ist für uns aber noch lange kein Grund, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Wir werden weiter alles dafür tun, damit der Aufschwung sich verfestigt und die positive Entwicklung für die Menschen in diesem Land weiter anhält. Das ist der Auf- trag, den wir mit der Wahl angenommen haben, und den werden wir auch ausführen. Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Die FDP folgt frommen Bräuchen und hat sich kollektiv eine Ent- giftungskur gegönnt. Das Heilfasten wurde eingeleitet mit einem Fasteneinlauf. Der Erfolg war durchschla- gend: Alles, was die FDP in den letzten Jahren an neoli- beralen Giften im Fettgewebe und in den Knochen ange- lagert hatte, wurde mobilisiert. Alles Gift muss raus. Und was sich da alles findet: Der Schutz von Unter- nehmen mit strategischer Bedeutung vor Staatsfonds wird abgelehnt. Freie Fahrt für Staatsfonds. – Ein neuer Akzent im Freiheitsbegriff der FDP. Ablehnung von Mindestlöhnen. Freie Fahrt für Lohndumping. Freiheit vom existenzsichernden Einkommen als FDP-Pro- gramm. Kein Staatsanteil an der Bundesdruckerei, weil die Sicherheitsphilosophie des Unternehmens, das fäl- schungssichere Personalausweise druckt, natürlich Pri- vatsache ist. Natürlich kommt auch Angedautes zum Vorschein, wie das berühmte „einfache und gerechte Steuersystem“ oder die „kapitalgedeckte Pflegeversicherung“. So ist das bei Einläufen. Alles in allem: Das Gift ist raus. Die FDP fühlt sich erleichtert. Wir lehnen ab und spülen runter. Nachdem die Herren Westerwelle und Pinkwart sich offen für neue Berührungsflächen in der Parteienland- schaft zeigen, ist es nur konsequent, zu entschlacken und Ballast abzuwerfen. Mal sehen, was kommt. Rainer Brüderle (FDP): Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick- 15960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) lung soll die Bundesregierung wissenschaftlich fun- diert beraten und deren Urteilsbildung bei wirtschafts- politischen Fragestellungen erleichtern. Die derzeitige schwarz-rote Bundesregierung schlägt bei ihrer Mei- nungsbildung die Mahnungen der Wirtschaftsweisen aber offenkundig einfach in den Wind. Das gute Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre hat mittlerweile zu mehr Beschäftigung und zu einer ver- besserten Haushaltslage geführt. Grundlage für diese po- sitive Entwicklung waren die boomende Weltwirtschaft, moderate Lohn- und Tarifabschlüsse in den vergangenen Jahren, erhebliche Umstrukturierungen der deutschen Unternehmen und letztlich auch die Arbeitsmarktrefor- men der vergangenen Legislaturperiode. Statt diesen Weg fortzusetzen, dreht die Große Koalition das Rad jetzt wieder zurück. Die Verlängerung der Arbeitslosengeldzahlungen für Ältere ist nur vermeintlich sozial. Tatsächlich senkt eine solche Maßnahme die Wiederbeschäftigungschancen äl- terer Menschen, wenn sie arbeitslos geworden sind. Und dass Arbeitgeber solche Regelungen gern für Frühver- rentungen nutzen, ist uns allen hinlänglich bekannt. Die meisten Unternehmen haben ihre Hausaufgaben besser gemacht als die Regierung. Sie haben ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren gefes- tigt oder zurückgewonnen, trotz des starken Euro. Um unseren Wohlstand langfristig zu sichern, reicht es aber nicht, wenn unsere Produkte auf den Märkten dieser Welt erfolgreich sind. Deutschland muss auch im internationalen Standortwettbewerb Erfolg haben. Wenn Kapital und gut ausgebildete Menschen aus Deutschland in andere Länder abwandern, muss uns das zu denken geben. Diese Abwanderung zu verhindern, sollte die Aufgabe der Bundesregierung sein. Langfristig entschei- det die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstand- ort über unseren Wohlstand. Langfristig nützt uns eine von der Weltwirtschaft geborgte konjunkturbedingt boo- mende Exportnachfrage nicht viel, wenn die Weltkon- junktur wieder schwächer wird. Alle Wachstumsprognosen für dieses Jahr liegen deutlich unter dem des vergangenen Jahres. Die Bundes- regierung geht in ihrer offiziellen Prognose jetzt von 1,7 Prozent aus und liegt damit noch am oberen Rand der Vorhersagen. Den privaten Konsum, auf den die Bundesregierung ihre Hoffnung gesetzt hatte, hat sie mit der Mehrwertsteuererhöhung selbst ausgebremst. Stei- gende Steuern und Sozialabgaben und eine relativ hohe Inflation von mehr als 3 Prozent am Jahresende 2007 und immer noch 2,8 Prozent in diesem Januar haben die wirtschaftliche Situation durchschnittlich Verdienender weiter getrübt. Die Mehrwertsteuererhöhung nützt nur den neuen Ausgabenwünschen der Regierung; den Bür- gern und der Wirtschaft schadet sie. Deshalb braucht Deutschland endlich wieder eine konsistente wirtschaftspolitische Reformagenda, die auf Wettbewerb und Subsidiarität setzt, mehr unternehmeri- sche und persönliche Freiheit unterstützt und die sozia- len Sicherungssysteme zukunftsfähig macht. Wir brau- chen keinen Protektionismus in Deutschland. Das Außenwirtschaftsgesetz muss internationalen Handel und Investitionen unterstützen und nicht unterbinden. Wir brauchen Wettbewerb und keine Monopole. Was die Regierung bei der Post veranstaltet, ist eine Politik ge- gen Wachstum und gegen Arbeitsplätze. Das Umsatz- steuerprivileg der Deutschen Post AG verzerrt den Wett- bewerb. Es gehört abgeschafft. Mit den Mindestlöhnen zementiert die Regierung das Postmonopol dauerhaft. Das garantiert keinen Arbeitsplatz, das vernichtet Ar- beitsplätze im großen Stil. Die entlassenen Briefträger der Post-Konkurrenten können sich für ihre Kündigung bei der Bundesregierung bedanken. Wir müssen die Arbeitsmärkte flexibler machen und dürfen nicht mit Mindestlöhnen zusätzlich in den Markt- prozess eingreifen. Es darf gerade nicht das Ziel sein, den Staatseinfluss in der Wirtschaft zu vergrößern. Über- all dort, wo der Staat seine Finger im Spiel hat, geht es in der Wirtschaft schief. Die Krise der IKB ist dabei nur das aktuellste Stichwort. Der politische Zickzackkurs der Bundesregierung ist das Gegenteil einer solchen abgestimmten Reformpoli- tik. Deutschland braucht endlich wieder eine politische Führungsverantwortung, für die „mehr Freiheit wagen“ nicht nur ein gebrochenes Wahlversprechen ist. Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Mit ihrem Antrag fordert die FDP die Bundesregierung auf, die Mahnung des Sachverständigenrats ernst zu nehmen. Diese Mah- nung lautet: „Das Erreichte nicht verspielen.“ Es stellt sich die Frage: Was haben wir erreicht? Das Wirtschaftswachstum hat in den letzten beiden Jahren deutliche zugenommen, nach einer langen Phase der Stagnation. Auf den Abschwung folgte ein Aufschwung. Ist das eine Errungenschaft, die man bewahren könnte? Nur dann, wenn man davon ausgeht, dass es sich nicht um eine zyklische Erholung handelt, sondern um einen anhaltenden Wachstumsschub. Ich habe da meine Zwei- fel. Der Aufschwung führte zu mehr Beschäftigung und zu weniger Arbeitslosigkeit. Auch dies ist nicht unge- wöhnlich. Die entscheidende Frage ist: Wie stark steigt die Zahl der Beschäftigten im Aufschwung, und wie stark fällt sie im folgenden Abschwung? Aktuell stieg die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um 716 000. Im vergangenen Aufschwung waren es 645 000. Es ent- stehen also nicht mehr Arbeitsplätze, als es in einem Wirtschaftsaufschwung üblich ist. Die Agenda 2010 hat kein Beschäftigungswunder ausgelöst. Man darf sich nicht davon blenden lassen, dass die Arbeitslosigkeit deutlich stärker zurückgegangen ist. Dies erklärt sich nicht aus einem Mehr an Beschäftigung, sondern aus ei- nem Weniger an Erwerbspersonen. Langfristig geht die Entwicklung in die falsche Richtung: Im Abschwung nach dem Jahr 2000 sind mehr Arbeitsplätze vernichtet worden, als jetzt geschaffen wurden. Will man die erreichte Beschäftigung nicht verspie- len, muss man sie sichern. Das würde bedeuten: den Kündigungsschutz stärken, Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung in gute Arbeit umwandeln, also in unbe- fristetete, sozialversicherungspflichtige, tariflich ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15961 (A) (C) (B) (D) lohnte Arbeitsverhältnisse. Dies ist natürlich nicht die Form von Freiheit, die die FDP in ihrem Antrag wagen will. Wer gehört zu den Gewinnern des Aufschwungs? Die Beschäftigten sind es nicht. Ihre Nettolöhne sind in die- sem Aufschwung real um 1,5 Prozent gesunken. Das ist sehr ungewöhnlich. Im Aufschwung davor waren sie noch um 8 Prozent gestiegen. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei den Rentnerinnen und Rentnern und bei anderen Sozialeinkommensbeziehern. Die Sozialleistun- gen wurden insgesamt um fast 6 Prozent gekürzt. Wenn im Aufschwung Löhne und Sozialleistungen zurückge- hen, müssen die Gewinn- und Vermögenseinkommen dramatisch steigen. Das sind sie auch, real um 25 Pro- zent. Erreicht wurde, mit den Worten des Deutschen In- stituts für Wirtschaftsforschung, eine „dauerhafte Polari- sierung der verfügbaren Einkommen“. Ist das die Errungenschaft, die es nicht zu verspielen gilt? Der Aufschwung ist labil. Die FDP sorgt sich zu Recht. Er ist fast ausschließlich vom Export getragen, zyklische Ersatzinvestitionen kamen hinzu. Beim Kon- sum hat kein Aufschwung stattgefunden. Das konnte er auch nicht. Es besteht nun mal ein Zusammenhang zwi- schen Einkommensverteilung und Konsumentwicklung, den weder der Sachverständigenrat noch die FDP zur Kenntnis nehmen wollen. Für die meisten Menschen geht es nicht darum das Erreichte nicht zu verspielen, sondern das Verlorene zurückzugewinnen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In seinem Gutachten mit dem Titel „Das Erreichte nicht verspielen“ warnt der Sachverständigenrat zur Begut- achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vor der Absage an oder der Verschiebung von Reformen in den Sozialversicherungssystemen und vor einer Aufgabe des Ziels der Haushaltskonsolidierung. Nach dem Herbst- gutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute ist dies der zweite dringende Appell der maßgeblichen Wirtschafts- experten an die Bundesregierung, die Reformziele nicht aus den Augen zu verlieren. Der Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs ist mit der mäßigen Wachstumsprognose von 1,9 Prozent für 2008 im Vergleich zu der erwarteten Wachstumspro- gnose für 2007 von 2,6 Prozent laut Sachverständigenrat bereits überschritten. Der Börsencrash vom 21. Januar hat deutlich gemacht, dass die Politik nicht weiter mit Aufschwungszenarien planen kann. Die anhaltende Phase des konjunkturellen Aufschwungs muss konse- quent zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden, weil sonst im nächsten Abschwung der Konjunktur eine dra- matische Finanzsituation für die öffentliche Hand ent- steht. Diese Hinweise müssen wir sehr ernst nehmen. Der Sachverständigenrat weist zu Recht auf die Re- formdividende hin, die wesentlich auf die strukturellen Reformen während der Regierungsjahre der rot-grünen Koalition zwischen 1998 und 2005 zurückzuführen ist. Der Sachverständigenrat lehnt deshalb richtigerweise das Vorhaben der Großen Koalition ab, die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes I wieder zu verlängern und die Rentenreform abzuschwächen. Kritisiert werden auch Vorhaben wie der Gesundheitsfonds. Zugleich warnen die Sachverständigen vor einem neuen Protektionismus, der ausländische Investoren abschreckt. Deutschland braucht mehr, nicht weniger Finanzströme. Der Bundesregierung muss jetzt zu einer wirtschafts- politisch begründeten Gesamtstrategie umsteuern und die Strukturreformen in allen sozialen Sicherungssyste- men fortsetzen, um sie für die Erfordernisse der Zukunft fit zu machen und zu einer dauerhaft stabilen Senkung der Lohnnebenkosten zu kommen. Besonders drängend ist eine gezielte und spürbare Absenkung der Lohnne- benkosten im unteren Einkommensbereich durch das grüne Progressivmodell, durch das wesentliche Beschäf- tigungseffekte generiert werden können. Zugleich muss das Gutachten des Sachverständigen- rates differenziert bewertet werden. Es reicht nicht aus, die durchgesetzten Reformen beizubehalten oder – wie die FDP in ihrem Antrag – einfach die Forderungen des Sachverständigenrates eins zu eins zu übernehmen. Die erfolgten Reformschritte müssen ausgewertet werden, um Nachsteuerungsbedarfe zu erkennen. Eine Neujustie- rung der Arbeitsmarktreformen darf nicht einfach die Uhren zurückdrehen, sondern muss Lösungen für neue Herausforderungen bieten. Dazu gehört auch die Defini- tion von verbindlichen Standards wie Mindestlöhnen. Viele Wirtschaftsexperten weisen darüber hinaus zu Recht auf die deutlichen Beschäftigungs- und nachhalti- gen Wachstumspotenziale hin, die eine ökologische Neuausrichtung des Wirtschaftens verspricht. Das igno- riert die FDP, und diese Blickweise zählt auch nicht zu den Stärken des Sachverständigenrates. Die FDP nimmt mit ihrem Antrag pauschal positiv auf das Jahresgutachten Bezug und leitet hieraus ihre be- kannten politischen Forderungen ab. So fordert sie unter anderem eine Reduzierung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, eine Flexibilisierung des Kündigungs- schutzes und eine allgemeine Absage an Mindestlöhne. Der Antrag der FDP verbleibt weitestgehend in pro- grammatischen Allgemeinplätzen. Die Kritik an der Bundesregierung ist in weiten Bereichen nicht falsch, kann dann aber nicht in Plattitüden wie „mehr Freiheit wagen“ zusammengefasst und mit dem Abbau von Ar- beitnehmerrechten garniert werden. Es ist einfach falsch und fahrlässig, so undifferenziert zu argumentieren. Mittlerweile sind nicht nur 74 Prozent der Bürgerin- nen und Bürger für die Einführung von Mindestlöhnen, sondern auch 68 Prozent der FDP-Wähler. Und das aus gutem Grund: Schließlich müssen wirtschaftliche Fort- schritte auch bei den Menschen ankommen. Niemandem ist geholfen, wenn wir ein Heer von schlecht bezahlten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben, die dann noch ergänzende staatliche Leistungen beziehen müssen, um über die Runden zu kommen. Deswegen ist auch die platte Forderung nach Flexibilisierung des Kündigungs- schutzes falsch. Alle Gutachten zum Thema sagen uns: Es lässt sich weder eine negative Auswirkung des Kün- digungsschutzes auf die Wirtschaft nachweisen noch po- sitive Auswirkungen, wenn wir ihn runterfahren. Aber das Signal an die Menschen ist fatal: Heuern und Feuern – und Arbeiten zu Dumpinglöhnen. 15962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Daher kann die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen diesem Antrag nicht zustimmen. Wir teilen die Einschät- zung, dass wir uns intensiv mit den Forderungen des Sachverständigenrates auseinandersetzen müssen. Das versäumt die Bundesregierung und lässt viele gute und wichtige Vorschläge der Experten in der Schublade ver- stauben. Uns ist aber auch nicht geholfen, wenn wir mit dem Holzhammer auf Arbeitnehmerrechte einschlagen und die Menschen zu miesen Bedingungen beschäftigen. Eine Wirtschaftspolitik, bei der nichts ankommt bei den Menschen führt zu guter Rendite, aber zu einer Gesell- schaft, die immer weiter auseinanderdriftet. Spätestens nach Nokia sollte die FDP gemerkt haben, dass ein plat- ter Neoliberalismus heute weder hilfreich ist noch die Menschen überzeugt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: E.ON-Netz in die öf- fentliche Hand übernehmen (Tagesordnungs- punkt 19) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Der Antrag der Linken ist keine große Überraschung. Auf jedes Ereignis in Politik und Wirtschaft kommt bei den Linken der re- flexartige Ruf nach dem Staat. Zur Erinnerung an die Schulzeit: Ein Reflex ist die Reaktion eines Organismus auf einen bestimmten Reiz ohne Einschaltung des Ge- hirns. Aber was ist denn auch von einer Partei zu erwar- ten, die einmal einen Staat trug, der bis unter die Bettde- cken seiner Bürger herumgeschnüffelt hat? Was Sie hier fordern, ist nichts anderes, als das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen. Davor kann ich nur warnen. Ich möchte noch einmal daran erinnern, wo wir ei- gentlich herkommen. Seit 1998 wächst der Energiemarkt sukzessive zu einem Binnenmarkt zusammen. Die Vor- teile, die den Verbrauchern durch den EU-weiten Wett- bewerb bei anderen Produkten und Dienstleistungen schon lange zugute kamen, sollten sich auch für Strom und Gas umsetzen. Leider ist insbesondere Deutschland unter der damaligen rot-grünen Regierung mit angezoge- ner Handbremse gestartet. Zwar sind bis 2001/2002 die Strompreise gesunken, aber das war eher ein Marktberei- nigungseffekt der großen vier Erzeuger als wirklicher Wettbewerb. Der verhandelte Netzzugang hemmte jede Entwicklung, vom Gassektor will ich gar nicht erst re- den. Mit der EnWG-Novelle im Jahr 2005 haben wir einen Paradigmenwechsel im Energiemarkt eingeläutet. Der Union ist es im Vermittlungsverfahren durch Regulie- rung der Netze und ein vereinfachtes Marktmodell im Gasbereich gelungen, dem Wettbewerb mit dem Gesetz wichtige Impulse zu geben. Seit November 2005 ist die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommuni- kation, Post und Eisenbahnen, kurz Bundesnetzagentur, BNetzA, per Gesetz der neutrale Schiedsrichter, der die Netzentgelte vorab anhand eines präzisen Kostenkata- logs genehmigt und für einen fairen Zugang zu den Net- zen sorgt. Das heißt, staatliche Regulierung wurde auf den Bereich eingeschränkt, wo die Mechanismen des Marktes versagt haben. Dazu gehört der natürliche Mo- nopolbereich der Netze, nicht aber die Erzeugung oder der Vertrieb. Und das Netz bleibt ein Monopol, egal ob in staatlicher oder privater Hand. Deshalb bleibt uns durch den Vorschlag der Linken kein Stück weit die Re- gulierung erspart. Dem Wettbewerb ist durch eine staat- liche Übernahme der Netze nicht geholfen. Wir brauchen eine Regulierung, die diesem natürli- chen Monopol entsprechende Rahmenbedingungen setzt und einen Als-ob-Wettbewerb darstellt. Hier haben wir gehandelt und sind den Weg des regulierten Netzzugan- ges gegangen. Die Ex-ante- und die Anreizregulierung sind Markenzeichen des Paradigmenwechsels. Damit wurde klar der Pfad zu mehr Wettbewerb betreten. Das ist zukunftsweisend und trägt bereits erste Früchte: Die Netznutzungsentgelte für normale Haushaltskunden sind im letzten Jahr um 1 Cent pro Kilowattstunde – von 7,7 Cent auf 6,7 Cent – gesunken. Der Anteil der Netz- nutzungsentgelte an den Stromkosten ist von über 38 Prozent auf 32 Prozent zurückgegangen. Wir haben für den Wettbewerb noch weitere Dinge getan: Erstens. Private Stromverbraucher können ihren Lieferanten so einfach wie ihr Bankkonto wechseln. Zweitens. Wir schaffen mehr Wettbewerb bei der Stromerzeugung. Denn wir brauchen neue Kraftwerke und vor allem solche von neuen Anbietern. Drittens. Der Netzbetreiber muss sich künftig an sei- nen effizientesten Wettbewerbern messen lassen. Das schaffen wir durch die so genannte Anreizregulierung. Damit haben wir die Weichen gestellt, dass weitere Effi- zienzpotenziale bei den Netzen gehoben werden. Viertens. Solange der Wettbewerb jedoch noch nicht wie gewünscht funktioniert, brauchen wir kurzfristig eine Schärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsauf- sicht. Daher hat das BMWi eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB, auf den Weg gebracht, die am ersten Januar 2008 in Kraft getreten ist. Das Kartellamt hat seinen neuen Handlungsspielraum direkt genutzt und Verfahren gegen 35 Gasversorger ein- geleitet. Das ist im Sinne Ludwig Erhards, der einen starken Staat dort wollte, wo er den Wettbewerb stützt. Nun müssen die marktbeherrschenden Energiekonzerne nachweisen, dass ihre Strom- und Gaspreise gerechtfer- tigt sind. Natürlich haben wir auch noch ein Stück Weg vor uns. Die staatlich administrierten Abgaben und Belastun- gen sind mit über 40 Prozent des Haushaltsstrompreises noch deutlich zu hoch. Zudem müssen die bisher einge- führten Anreiz- und Steuerinstrumente besser aufeinan- der abgestimmt werden. Schließlich wollen wir nicht ein gesetzgeberisches Dickicht schaffen, das ähnlich un- durchdringlich und ineffizient ist wie das Steuerrecht. Schon heute werden zu viele Stellen im Namen des Kli- maschutzes parallel gefordert und gefördert, belohnt und bestraft. Dazu ist der Emissionshandel als zentrales In- strument des Klimaschutzes zu stärken. Das sind komplexe Maßnahmen, die nicht immer ein- fach zu verstehen sind. Dazu braucht man Gehirn. Aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15963 (A) (C) (B) (D) nur durch mehr Wettbewerb sind optimal die Potenziale zu nutzen, die in der Wirtschaft stecken. Die Linken wollen mit ein paar Beamten das leisten, wozu Tausende motiviere Marktteilnehmer bereitstehen. Sie wollen den Staatshaushalt mit zusätzlichen Geldern belasten. Im- merhin würde der Kauf des deutschen Stromnetzes über 100 Milliarden Euro kosten. Nicht damit eingerechnet sind mehrere Milliarden Euro, die dringend in das Stromnetz investiert werden müssen. Dieses Geld will die Linke den Kommunen aufbürden. Das ist ein verant- wortungsloser Umgang mit Steuergeldern und eine un- geheuerliche Belastung für die nächsten Generationen. Und nicht einmal der Strom wird dadurch billiger. Dort wo sich das Stromnetz in öffentlichen Händen befindet, sind die höchsten Strompreise zu zahlen. Die Beispiele Schiene und Autobahn zeigen auch, wozu staatliche Be- teiligung führt: zu Investitionsstau. Nein, für die Union ist eindeutig: Wir schaffen An- reize, dass mehr Anbieter in das Netz einspeisen können und damit mehr Wettbewerb entsteht. Denn bei der Er- zeugung ist das eigentlich preistreibende Oligopol, das unbedingt geknackt werden muss. Die Entscheidung von Eon, seine Stromnetze zu verkaufen, ist eine reine Unter- nehmensentscheidung. Wenn sich ein Versorger freiwil- lig von seinem Netz trennen will, wird er nicht aufgehal- ten. Der Vorschlag der EU-Kommission geht aber weit darüber hinaus. Brüssel will eine zwangsweise Abtren- nung der Netze. Diesen Schritt lehnt die Bundesregie- rung ab und hat auf EU-Ebene mit dem „dritten Weg“ ei- nen vernünftigen Vorschlag unterbreitet. Sie hat dabei die volle Unterstützung der Union. Die von der EU-Kommission erwünschten Effekte sind empirisch nicht belegbar. In Großbritannien etwa, wo die Übertragungsnetze längst abgetrennt wurden, lie- gen die Großhandelspreise für Strom seit Monaten konti- nuierlich über den deutschen. Briten und Niederländer konnten die Abtrennung der Verteilnetze vergleichs- weise leicht durchsetzen, befanden sich diese doch in der öffentlichen Hand. In Deutschland dagegen ist ein sol- cher Schritt verfassungsrechtlich außerordentlich be- denklich. Art. 14 des Grundgesetzes – Schutz des Eigentums – bildet einen hohen Schutzwall um die Netze. Ich be- fürchte eine tiefgreifende Entflechtung verzögert die Li- beralisierung erheblich. Jahrelanger Rechtsstreit ist vor- programmiert. Rechtsunsicherheit behindert notwendige Investitionen. Sie würden auch kein neues Auto kaufen, wenn sie wüssten, dass der Staat es ihnen in einem hal- ben Jahr abnimmt. Bevor wir europaweit nun zum nächsten Sprung ansetzen, sollten wir lieber erstmal schauen, ob der zweite Schritt vollständig getan wurde. Das Zweite EU-Binnenmarktpaket ist noch gar nicht in allen Mitgliedstaaten umgesetzt worden. In vielen Nach- barländern, beispielsweise in Frankreich oder Spanien, existieren merkwürdige Konstrukte, um die Strompreise etwa für die Industrie staatlich zu senken. Hier entstehen Wettbewerbsverzerrungen, die nicht vereinbar sind mit einem liberalen Markt. Deutschland hat in Europa die größte Netzstabilität und die wenigsten Ausfallzeiten. Dieser Standard muss gehalten werden. Gleichzeitig ist das Stromnetz eine der Hauptschlagadern Deutschlands. Wenn dies nicht funk- tioniert, gehen die Lichter aus. Darum hat Deutschland ein vitales Interesse daran wer das Netz besitzt. Hier set- zen wir uns für eine Ergänzung des Außenwirtschaftsge- setzes ein, damit Mitsprache- und Einspruchmöglichkei- ten entstehen, sobald 25 Prozent und mehr Anteile am Stromnetz den Besitzer wechseln. Auch das gehört zu den Rahmenbedingungen. Aber es sind nur Rahmenbe- dingungen, die der Staat setzt, damit sich der Markt in die richtige Richtung entfaltet. Es sind keine Fesseln, die das Stromnetz an den Staat binden und zu einer sozialis- tischen Steuerung führen. Natürlich kontrolliert der Staat das Stromnetz nicht zu 100 Prozent. Das dies einer Par- tei, die 40 Jahre lang jede Bewegung ihrer Bürger zu 100 Prozent kontrolliert hat, nicht passt, ist klar. Die CDU ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Sie hat mit Ludwig Erhard die soziale Marktwirtschaft in der Nachkriegszeit gegen vielfache Widerstände durch- gesetzt und die Bundesrepublik Deutschland mit ihr er- folgreich gemacht. Die CDU lehnt sozialistische und an- dere Formen des Kollektivismus ab. Darum haben wir auch begonnen den Energiemarkt in Deutschland so zu formen, dass auch auf ihm die soziale Marktwirtschaft gilt. Nur so ist eine konkurrenzfähige und sozialverträg- liche Energieversorgung auf Dauer zu erreichen. Der Antrag der Linken ist nicht marktwirtschaftlich und schon gar nicht sozial und wird deshalb von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt. Rolf Hempelmann (SPD): Wir haben es heute mit einem sehr aktuellen Thema zu tun: dem vom Eon-Kon- zern angekündigten Verkauf seines Netzbetriebs. Diese Nachricht hat insbesondere im Blätterwald einige Aufre- gung und auch Erstaunen ausgelöst. Ich denke aber, dass sich die Überraschung über diese Entscheidung jeden- falls bei allen, die die aktuelle Diskussion genau verfol- gen, in Grenzen gehalten haben dürfte. Wir wissen, dass die Unternehmen derzeit eine Reihe von Optionen prü- fen, wie zukünftig mit dem Netzgeschäft umzugehen ist. Und dazu gehört selbstverständlich auch die Möglichkeit eines Verkaufs. Diese Überlegungen haben mehrere Ursachen. Eine davon ist sicherlich die 2005 durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes bzw. die Einrichtung der Bundesnetzagentur, BNetzA, ausgelöste Kontrolle der Netznutzungsentgelte. Dieses Regulierungsinstrument funktioniert; gerade im Strombereich haben wir bereits in der ersten Entgeltgenehmigungsrunde Absenkungen der beantragten Netzentgelte in einer Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro erlebt. Mindestens für den Bereich der Übertragungsnetzbetreiber hat die BNetzA mit ihren Entscheidungen vom Januar dieses Jahres deutlich ge- macht, dass sie willens ist, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Kürzungen von bis zu 29 Prozent gegen- über den Anträgen sprechen, so denke ich, eine sehr deutliche Sprache. Wir befinden uns also erkennbar in einer Situation, in der die Zeiten der Monopolrenditen offenkundig vorbei sind. Man könnte auch sagen: Politik und Regulierungs- 15964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) behörden sind in ihrem Bestreben, Kostensenkungs- potenziale im Netzbereich zu erschließen, erfolgreich. Dass damit umgekehrt für die großen, aber auch für die kleinen Netzbetreiber die Attraktivität des Netzgeschäfts nicht eben zunimmt, dürfte auf der Hand liegen und ei- nen wesentlichen Einfluss auf Entscheidungen wie die heute zu diskutierende haben. Darüber hinaus haben wir alle mitbekommen, dass die Eon-Entscheidung zum Netzverkauf in erheblichem Umfang durch Prozesse auf europäischer Ebene beför- dert oder zumindest beschleunigt worden ist. Da war zum einen das seit längerem laufende EU-Kartellverfah- ren gegen Eon, das die Kommission im Falle eines Netz- verkaufs offenbar einzustellen bereit ist. Ich meine, dass es schon berechtigt ist, an dieser Stelle einmal nachzu- fragen, ob es denn wirklich opportun ist, wenn hier Dinge, die eigentlich nur sehr wenig miteinander zu tun haben, von der Kommission zur Durchsetzung ihrer In- teressen instrumentalisiert werden. Da war zum anderen die Debatte um eine eigentums- rechtliche Entflechtung vertikal integrierter Energiekon- zerne, wie sie von der Kommission in ihrem im September letzten Jahres vorgestellten Energiebinnenmarktpaket gefordert worden ist. Diese Debatte hat in den zurücklie- genden Wochen noch einmal deutlich an Fahrt aufge- nommen, auch durch die Tatsache, dass acht Mitglied- staaten – darunter Deutschland und Frankreich – ein Alternativkonzept, einen dritten Weg, vorgestellt haben. Dieses Alternativmodell, das den bestehenden Regulie- rungsrahmen verschärfen und insbesondere organisatori- sche Maßnahmen zur Steigerung der Unabhängigkeit der Netzgesellschaften sowie konkrete Vorgaben für den Be- reich der Netzinvestitionen umfassen würde, hätte zu- gleich den Vorteil, ohne tief greifende Eingriffe in beste- hende Eigentumsstrukturen auszukommen. In dieser Auseinandersetzung hat die Eon-Entschei- dung die Position der Kommission sicherlich nicht gerade geschwächt. Dennoch: Bis heute ist uns die Kommission den Nachweis schuldig geblieben, dass die Eigentum- sentflechtung tatsächlich Vorteile im Sinne der Verbrau- cher mit sich bringt. Jedenfalls im Blick auf die bislang vorliegenden empirischen Daten ist eher vom Gegenteil auszugehen. Nimmt man etwa einen seriösen Vergleich der Strompreise vor, dann ergibt sich folgendes Bild: 2006 lag der Strompreis ohne Steuern und Abgaben im ei- gentumsrechtlich entflochtenen Italien bei 16,7 Cent/ kWh, und exakt derselbe Preis war auch im oft zitierten Musterland des energiewirtschaftlichen Wettbewerbs, im Großbritannien, zu entrichten. In Deutschland dagegen lag der Preis auf der Grundlage einer informatorischen und operationellen, aber eben nicht eigentumsrechtlichen Entflechtung bei 11,8 Cent und damit beinahe ein Drittel unter dem von Italien und Großbritannien. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es auch Staaten mit Eigen- tumsentflechtung gibt, in denen die Preise wie zum Bei- spiel in Dänemark oder Schweden geringfügig unterhalb des deutschen Niveaus liegen, geht kein Weg an der Er- kenntnis vorbei, dass die Unterstellung eines Kausalzu- sammenhangs von Eigentumsentflechtung und Preisen schlechterdings nicht aufrechtzuerhalten ist. Ganz ähnlich sieht es übrigens auch bei den Netz- investitionen aus. Die Kommission geht hier – analog zur Frage der Preise – davon aus, dass eine Eigentums- entflechtung günstige Auswirkungen auf die Investi- tionstätigkeit der Netzbetreiber und damit auf die Netz- sicherheit insgesamt haben würde. Ein Gutachten der Unternehmensberatung A. T. Kearny, das diese Frage genauer analysiert, kommt zu anderen Ergebnissen: Mit Ausnahme von National Grid in Großbritannien ist keine Korrelation zwischen der gewählten Entflechtungs- variante und der Investitionstätigkeit der Netzbetreiber zu erkennen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass sich die Frage der Netzinvestitionen noch verschärfen würde, wenn die Kommission ihre Forderung nach einer Eigentumsentflechtung ohne die Aufnahme einer etwai- gen dritten Option gegen die Unternehmen durchsetzen würde. Die Folge wären möglicherweise langwierige ju- ristische Auseinandersetzungen, während derer wohl kaum ein Netzbetreiber noch ausreichend in den Ausbau und Erhalt seines Netzes investieren würde. Demgegen- über hätten Modelle wie die aktuell diskutierte Variante einer Netz AG, in die die verschiedenen Übertragungs- netzbetreiber ihre Netze einbringen würden und die auch weitere Kapitalgeber umfassen würde, sicherlich den Vorteil, dass sie auf freiwilliger Basis erfolgen und die Gefahr eines Investitionsattentismus verringern würden. Im Unterschied zu den Antragstellern von der Linken bin ich fest davon überzeugt, dass eine solche privatwirt- schaftliche Organisation der Netzgesellschaft erhebliche Vorteile gegenüber einer Verstaatlichung hätte. Alle Er- fahrung zeigt doch, dass der Staat, wo immer er in eine quasi-unternehmerische Rolle geschlüpft ist, nicht eben erfolgreich gewesen ist. Unternehmen in öffentlicher Hand haben sich nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie besonders kosteneffizient agieren und sich privaten Un- ternehmen gegenüber als überlegen erweisen. Im Gegen- teil. Weil das so ist, sage ich an die Adresse der Linken: Schuster bleib bei deinem Leisten. Wir in der Politik sollten, wie wir das im Rahmen der Netzregulierung ja auch erfolgreich tun, in der Tat klare Rahmenbedingun- gen setzen. Das operative Geschäft aber sollten wir doch denjenigen überlassen, die über die notwendige unter- nehmerische Kompetenz verfügen. Diese Präferenz für eine privatwirtschaftliche Lösung macht übrigens nicht nur vor dem Hintergrund der Frage der Kosteneffizienz einigen Sinn. Ich glaube vielmehr, dass auch unser aller Interesse an einer auch weiterhin hohen Netzqualität und -sicherheit am ehesten auf dieser Basis erfüllt werden kann. Wir benötigen in den kom- menden Jahren massive Investitionen in den Ausbau un- serer Netze. Diese Investitionen wird es nicht geben ohne Investoren, die bereit sind, Milliardenbeträge in die Hand zu nehmen. Anders als Die Linke bin ich davon überzeugt, dass sich diese Mittel am ehesten von einem privatwirtschaftlich organisierten Netzbetreiber und eben nicht von der öffentlichen Hand werden aufbringen und effizient einsetzen lassen. Das allerdings hat auch zur Voraussetzung, und zwar unabhängig davon, ob eine etwaige Netzgesellschaft pri- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15965 (A) (C) (B) (D) vat oder öffentlich organisiert wäre, dass wir auch zukünftig Rahmenbedingungen gestalten, die angemes- sene, aber eben auch auskömmliche Renditen ermögli- chen. Ein „race to the bottom“, das früher oder später zwangsläufig zulasten der Netzqualität gehen müsste, kann in niemandes Interesse liegen. Im Gegenteil: Wir alle wissen, dass die Ansprüche an die Netze aufgrund einer immer dezentraleren Struktur der Stromeinspei- sung, aber auch wegen des zunehmenden internationalen Stromhandels in den nächsten Jahren erheblich steigen werden. Dafür brauchen wir leistungsfähige und investi- tionsstarke Netzbetreiber. Die Verstaatlichung der Netze, wie sie der Linken vorschwebt, ist kaum der geeignete Weg, um den vor uns liegenden Herausforderungen ge- recht zu werden. Gudrun Kopp (FDP): „Um es gleich vorweg zu sa- gen: Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den hier und heute zu beratenden Antrag der Fraktion Die Linke „Eon-Netz in die öffentliche Hand übernehmen“ ab. Wir lehnen ihn ab, weil er ökonomisch falsch ist; offenbart, dass die Linkspartei aus der Geschichte nichts gelernt hat; einen Anschlag auf die soziale Marktwirtschaft dar- stellt.“ Vom Titel des Antrags abgesehen sind diese ersten Zeilen meiner heutigen Rede identisch mit dem, was ich in der vorletzten Woche zu einem anderen Antrag der Fraktion Die Linke hier im Hohen Hause vorgetragen habe. Dies zeigt, dass die Linkspartei offenbar nicht in der Lage ist, sich aus den Fesseln der Vergangenheit zu lösen. Es nutzt aber weder den Menschen in Deutschland noch irgendwelchen abstrakten Verteilungsphantasien, wenn Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Lin- ken, hier jede Woche zu jedem Thema die immergleiche Lösung vortragen: nämlich die Verstaatlichung der Pro- duktionsmittel! Was bei Marx schon falsch war und im vergangenen Jahrhundert Hunderte von Millionen Men- schen in den ökonomischen Abgrund und – das sollte nicht vergessen werden – den millionenfachen Tod ge- trieben hat, das kann kein Rezept für die Zukunft sein. Solange Sie Ihren Sozialismusphantasien zur Verskla- vung der Menschheit anhängen, können Sie nicht auf die Zustimmung der FDP rechnen. Eine Verstaatlichung von Energienetzen – sei es im Übertragungsnetzbereich, im Verteilnetzbereich oder in beiden – löst nicht ein einziges Problem, das wir heute auf den Energiemärkten haben, es schafft lediglich neue. Die Energienetzwirtschaft kennt so gut wie keinen paral- lelen Netzbau, weshalb dieser Sektor zu Recht als natür- liches Monopol bezeichnet wird. Natürliche Monopole tendieren immer dazu, Kosten zu produzieren, völlig un- abhängig davon, wer dieses Monopol betreibt. Das wäre auch und gerade bei einem öffentlichen Unternehmen nicht anders. Und genau deshalb ist es unabdingbar, dass diese Monopole staatlich reguliert werden. Dies ge- schieht in Deutschland seit 2005 durch die Bundesnetz- agentur, die ihre Sache nach unserer Meinung ganz aus- gezeichnet macht. Dafür meinen herzlichen Dank an Herrn Kurth und seine Mitarbeiter, die diese schwierige Aufgabe übernommen haben. Dies allein zeigt schon, dass eine Verstaatlichung der Übertragungsnetze uns wettbewerbspolitisch keinen Schritt weiterbringen würde. Dafür entstünde aber eine ganze Reihe neuer Probleme: So müsste zunächst einmal ein Enteignungsverfahren durchgeführt werden für diejenigen Netze, die nicht frei- willig veräußert werden. Dafür sieht unser Grundgesetz zu Recht hohe Hürden vor, die zu überschreiten vermut- lich Jahre in Anspruch nehmen würde, in denen kein Cent in den dringend notwendigen Ausbau der Netze in- vestiert würde. Auch bleibt unbeantwortet, woher das Geld für eine solche Transaktion kommen soll. Soll der Bund, der noch immer aufgrund einer verfehlten Haus- haltspolitik jedes Jahr neue Schulden aufnimmt, die Steuern erhöhen, um diese Milliardenbeträge zusam- menzubringen? Und wenn ja, welche Steuern wollen Sie erhöhen? Darüber hinaus bringen öffentliche Unternehmen im- mer ganz spezifische Probleme mit sich, die jeder von uns von seinen örtlichen Sparkassen oder Unternehmen wie der Deutschen Post AG oder Telekom kennt. Zu- nächst einmal werden diese Betriebe – das ist im kom- munalen Bereich deutlich zu erkennen – allzu gern be- nutzt als Versorgungsposten für verdiente Parteifreunde, die nach Parteienproporz eingesetzt werden – nicht im- mer zum Vorteil der Unternehmen. Ferner werden diese Unternehmen nicht selten mit sachfremden Aufgaben überfrachtet. Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Linkspartei, lassen Sie sich doch einmal was Neues einfallen. Jedes erdenkliche Pro- blem immer gleich mit Steuererhöhungen, Verstaatli- chung und Regulierung zu beantworten, mag zwar ihre Kommunistenfreunde in Westdeutschland erfreuen, ein Beitrag zur Lösung energiewirtschaftlicher Probleme ist das nicht. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Jahrelang hat die Eon AG gemeinsam mit den anderen Stromkonzernen die Bun- desregierung vorgeschickt, in Brüssel gegen eine Ent- flechtung von Stromproduktion und Transport zu kämp- fen. Pünktlich zum Energierat, an dem genau über diese Frage verhandelt werden sollte, kam der Paukenschlag: Ohne vorher mit der Bundesregierung gesprochen zu ha- ben, kündigt Eon an, sich von seinem Übertragungsnetz zu trennen. Eon tanzt der Bundesregierung auf der Nase herum und macht sie in Brüssel lächerlich. Bis zu 8 Milliarden Euro, das ist die Strafe, die Eon laut Medienberichten droht – wegen illegaler Preisab- sprachen und Behinderung des Wettbewerbs. Die bei Eon von der EU-Kommission beschlagnahmten Akten enthalten offenbar hinreichende Beweise für den Markt- machtmissbrauch. Und nun die Absprache zwischen der EU-Kommission und Eon: Brüssel verzichtet auf die Strafe, wenn sich Eon von seinem Übertragungsnetz und von Kraftwerkskapazitäten in Höhe von 4 800 Megawatt trennt. Das ist ein fauler Deal; in dieser Hinsicht stimme ich mit Minister Glos völlig überein. Eon darf nicht mit einem politischen Kuhhandel aus der Verantwortung ent- 15966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) lassen werden. Wer die Stromkundinnen und Stromkun- den betrügt, muss bestraft werden. Was soll nun aber mit den Netzen passieren? Sie wur- den in der Vergangenheit heruntergewirtschaftet. Der Blackout im November 2005, der auf dem Gebiet der RWE passierte, war nur eine Vorwarnung. Die Netze sind völlig veraltet. Ihre übliche Nutzungsdauer wird auf 50 Jahre angesetzt. Laut Bundesnetzagentur haben die 220 KV-Masten im Durchschnitt das Alter von 50 Jah- ren, manche sind sogar 80 bis 85 Jahre alt. Die Strom- konzerne haben fleißig überhöhte Netznutzungsgebüh- ren kassiert, aber kaum in die Netze investiert. Dies gefährdet die Versorgungssicherheit und behindert den Ausbau regenerativer Energien. Es ist doch im Sinne des Klimaschutzes unerträglich, dass bei starkem Wind, also genau dann, wenn viel Windstrom produziert werden könnte, die Windanlagen abgeschaltet werden müssen, weil das Netz von Eon den Strom nicht aufnehmen kann. Jahrelang haben sie den Ausbau der Netze in die Regio- nen, in denen regenerativer Strom produziert wird, verzögert. Und warum? Weil der saubere Strom eine un- angenehme Konkurrenz für die Atom- und Kohlever- stromer wie Eon ist. Der Betrieb der Netzinfrastruktur muss gesamtgesell- schaftlichen Zielen dienen. Aufgabe ist eine möglichst sichere, bezahlbare, umweltverträgliche, verbraucher- freundliche und effiziente Versorgung der Allgemein- heit. Das Beispiel Eon zeigt, dass diese Ziele mit einem privatwirtschaftlichen Netzbetrieb nicht zu erreichen sind: Die Netze sind überaltert, die Durchleitungsgebüh- ren viel zu hoch, der Einsatz regenerativer Energien wird behindert und bezahlen müssen dies alles die Verbrau- cher und Verbraucherinnen mit völlig überteuerten Strompreisen. Auch dieses Jahr vermeldet Eon wieder eine Gewinnsteigerung von 27 Prozent auf 7,7 Milliar- den Euro. Hauptursache: die hohen Strompreise. Aufgrund des überragenden Allgemeinwohlinteresses darf das Übertragungsnetz von Eon weder in die Hände privater Finanzspekulanten noch anderer privater Inves- toren fallen. Auch diese würden nur versuchen, mög- lichst hohe Profite mit dem Netz zu erzielen. Die Strom- netze gehören – genauso wie die Straßen und das Schienennetz – in die öffentliche Hand. Diese ist dafür am besten geeignet. Sie kann die Ziele, der sicheren und effizienten Stromversorgung mit den Zielen der sauberen und bezahlbaren Versorgung am besten vereinigen. Die Investitionsmittel für den nötigen Ausbau und der Er- neuerung der Netze können weiterhin über die Nut- zungsentgelte refinanziert werden. Die öffentliche Hand muss aber keine höchstmögliche Rendite mit den Netzen erzielen. Sie kann deshalb die Preise senken. Und was am wichtigsten ist: Sie kann den Netzbetrieb auf die energiepolitischen Ziele von Klimaschutz und Atomaus- stieg ausrichten. Eon hat die Verpflichtungen, die mit dem Netzbetrieb verbunden sind, nicht in ausreichendem Maße erfüllt. Dies ist ein Missbrauch der Netzinfrastruktur, der eine Enteignung oder Vergesellschaftung im Sinne des Grundgesetzes rechtfertigt. Zur Entschädigungsfrage stellt die Deutsche Bank völlig zu Recht fest, dass die Energieriesen die hohen Gewinne und ihr Kapital un- rechtmäßig mit Monopolrenditen erwirtschaftet haben. Damit haben sie ihre Entschädigung für die Enteignung schon vorab kassiert. Deshalb: Lassen Sie uns jetzt die Chance nutzen und das Netz der Eon AG in die öffentli- che Hand überführen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Wettbewerb auf dem Energiemarkt können wir ernsthaft nicht reden. 90 Prozent der Stromerzeugung wird durch die großen Vier – Eon, EnBW, Vattenfall und RWE – abgedeckt, und sie halten das ganze Übertra- gungsnetz. Die Wettbewerber klagen über Hindernisse beim Netzanschluss. Der Bundesnetzagentur und dem Bundeskartellamt fehlen Mittel und Personal. Die Ver- braucherinnen und Verbraucher klagen über steigende Energiepreise. Ownership Unbundling: Die Trennung von Netz und Energieerzeugung ist dringend geboten, damit die Neuen – insbesondere auch die Anbieter von Strom aus regene- rativen Energiequellen – auf dem Strommarkt eine Chance haben und die Hindernisse aus dem Weg ge- räumt werden, die die Großen gesetzt haben. Wir müs- sen auch das Oligopol der Großen bei der Energieerzeu- gung brechen. Bündnis 90/Die Grünen fordert, sie so lange zum Verkauf von Kraftwerken zu zwingen, bis ihre Übermacht abgebaut ist. Die EU fordert den Wettbewerb massiv ein und dringt auf Ownership Unbundling. Was macht die Bundesre- gierung? Statt die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu vertreten und den Wettbewerb zu stär- ken, kämpft Minister Glos auf totem Gleis weiter in Brüssel für seinen dritten Weg. Dabei hat sich seit eini- gen Tagen die Lage völlig verändert. Eon fällt dem Wirt- schaftsminister in den Rücken. Um sich vor drohenden Kartellverfahren zu schützen, geht Eon in die Offensive und bietet seinerseits an, sein Übertragungsnetz zu ver- kaufen. Das wirft ohne Zweifel die Frage auf, ob hier ein fauler Deal vorliegt. Nichtsdestotrotz öffnen sich da- durch aber neue Chancen für den Wettbewerb. Auch Vattenfall denkt laut nach, wie es weitergehen soll und ob das eigene Netz an den Markt gebracht werden soll. Diese Entwicklung ist absolut positiv zu bewerten. Damit – und mit einem weiteren Unbundling-Engage- ment der EU – kommt Bewegung in den starren Energie- markt. Jetzt gilt es, Konzepte zu entwickeln, um den Energiemarkt neu zu ordnen. Der Antrag der Linken zur Verstaatlichung des Eon- netzes bringt in der Sache gar nichts. Im Klartext: Eon bewegt sich zögerlich, darum wird sein Netz enteignet. Was ist mit RWE, mit Vattenfall, mit EnBW? Da schweigt sich die Linksfraktion aus. Was würde das Bundesverfassungsgesetz zu einer Lex Eon sagen? Eine Sozialisierung lässt sich nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern muss gut begründet werden. Auch der Gleich- heitsgrundsatz kann hier nicht einfach missachtet wer- den. Aber selbst bei einer Enteignung aller Netze wird nicht von heute auf morgen alles gut. Vermutlich wären jahrelange Prozesse die Folge, während derer dann nie- mand mehr ins Netz investiert, weil die Lage unklar ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15967 (A) (C) (B) (D) So einfach darf man es sich auch nicht machen, dass ein VEB Netze dann alles gut werden lassen würde. Die Netze reichen nicht, wie sie sind. Wir brauchen Investitionen: an den Grenzkuppelstellen, bei den Wind- parks, bei neuen umweltfreundlichen Kraftwerken. Dazu brauchen wir Know-how, Geld und Verantwortungsbe- wusstsein. Das Know-how gibt es jetzt schon bei den Netzabteilungen der Großen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lassen sich in neue Strukturen einbinden. In- vestoren fürs Netz sind gesucht. Die müssen wir moti- vieren – und mit klaren Regeln dafür sorgen, dass keine einseitige Dominanz besteht. Deshalb müssen die gro- ßen Vier ihre Netze abgeben. Ziel muss sein, die Netze in eine gesamtdeutsche Netzgesellschaft zu integrieren. Dabei muss der Staat die Regeln setzen. Das heißt aber nicht, bis ins letzte Unternehmensglied die Verwaltungs- struktur des öffentlichen Dienstes umzusetzen. Wir müs- sen klare Entscheidungen für einen wettbewerbsgerech- ten Netzausbau auf der Zielebene der Netzgesellschaft umsetzen. Dafür brauchen wir einen ordnungspolitisch starken Staat, der vernünftig mit den Investoren zusam- menarbeitet. Die Probleme sind klar, auch die Anforderungen der EU. Mit platten Anträgen für der einer Lex Eon ist nie- mandem geholfen. Wir brauchen jetzt vernünftige Pläne für eine deutsche Netzgesellschaft, und wir brauchen eine Bundesregierung, die im Bereich Energie, Wettbe- werb und Verbraucherschutz endlich ihrer ordnungspoli- tischen Verantwortung gerecht wird. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Erwerbsarmut ver- hindern – Einkommen stärken – Wohngeld jetzt verbessern (Tagesordnungspunkt 20) Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir diskutieren heute einen Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, den diese Fraktion am 13. Februar 2008, also erst kürzlich, in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Der Antrag der Grünen hat zum Ziel, das Wohngeld für die Bezieher geringerer Einkommen zu erhöhen. Nun ist die Reform des Wohngeldrechts in den letzten Monaten bereits verstärkt in den Fokus parlamentari- scher Beratungen gelangt. Im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 hatten CDU, CSU und SPD das Ziel formuliert, das Wohngeldrecht durch Bund und Länder zügig mit dem Ziel einer deutlichen Vereinfachung zu überprüfen. Im Mittelpunkt hierbei stand die Prämisse, das Wohngeld werde weiterhin der sozialen Absicherung des Wohnens dienen. Wohngeld sei keine Subvention, sondern eine Fürsorgeleistung. So steht es im Koali- tionsvertrag und daran halten wir auch fest. In Umsetzung der Ziele dieses Vertrages hat die Bun- desregierung im September vergangenen Jahres den Ent- wurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeld- rechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf hat zum Ziel, das Wohngeldrecht fortzuentwickeln und im Voll- zug zu vereinfachen. Hintergrund ist, dass die sogenann- ten Transferleistungsempfänger, also unter anderem die Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe, seit dem 1. Januar 2005 vom Bezug von Wohngeld ausge- schlossen sind. Die Kosten für die Unterkunft dieses Personenkreises werden seitdem im Rahmen der jeweili- gen Transferleistung berücksichtigt. Seit Januar 2005 hat deswegen die Zahl der Wohn- geldempfänger deutlich abgenommen. Im Jahr 2006 ha- ben knapp 666 000 Haushalte Wohngeld erhalten. 2004, vor der Reform, lag die Zahl noch bei knapp 2,3 Millio- nen Haushalten. Die finanziellen Aufwendungen für das Wohngeld sind von 5,1 Millionen Euro im Jahre 2004 auf 1,1 Millionen Euro im Jahre 2006 zurückgegangen. Zugleich hat aber die Zahl derjenigen Haushalte zuge- nommen, die ergänzend Arbeitslosengeld II in Form der sogenannten Kosten der Unterkunft beziehen. Diese Leistungen sind im Vergleich zum Wohngeld vielfach höher. Weil jedoch die Kosten für die Unterkunft eine kommunale Leistung darstellen, findet derzeit eine Kos- tenverlagerung auf die Kommunen statt. Von dieser Kos- tenverlagerung profitieren der Bund und die Länder. Deshalb ist eine Erhöhung des Wohngeldes auch im ur- eigenen Interesse unserer Kommunen; denn so stärken wir deren Finanzkraft und deren politische Handlungsfä- higkeit. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung des Deutschen Bundestages hat am 12. Dezember 2007 eine umfangreiche Expertenanhörung durchge- führt. Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Anhörung ist vom Ausschuss zwischenzeitlich noch nicht vorge- nommen worden. Dafür bedarf es angesichts der umfas- senden Stellungnahmen der Experten auch noch einiger Zeit. Wir wollen eine Gesetzesnovelle, die in erster Linie den Empfängern des Wohngeldes nützt und ihnen ge- recht wird. Schnellschüsse lehnen wir von der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in diesem Zusammenhang ab. Sicherlich ist es die Aufgabe einer Oppositionsfrak- tion, die Arbeit der Bundesregierung kritisch zu beglei- ten. Wenn allerdings von den Grünen in dem heute zu diskutierenden Antrag formuliert wird, der von der Bun- desregierung vorgelegte Entwurf des Gesetzes zur Ände- rung des Wohngeldrechts ziele lediglich auf eine Verein- fachung von Verwaltungsabläufen ab und sei mangels einer Leistungsnovelle nicht geeignet, das Wohngeld als ein den Leistungen des SGB II vorgelagertes System zu stärken, so muss dies schon verwundern. Bereits am 17. Januar 2008, also rund einen Monat vor Einreichung des Antrages der Grünen, haben mein Kollege Dirk Fischer und ich erklärt, dass eine Wohn- gelderhöhung auf der Tagesordnung steht und die CDU/ CSU-Fraktion dem offen gegenübersteht. Wir haben da- mit bereits kurz nach dem Jahreswechsel die von den Grünen jetzt erst geforderte Leistungsnovelle beim Wohngeldrecht zusammen mit unserem Koalitionspart- ner angeschoben. Wir hielten es also schon früh für gerechtfertigt, die im Ausschuss beratene Wohngeldno- velle um eine weitere Leistungskomponente zu ergän- zen. Nachzulesen ist dies in unserer Presseerklärung 15968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) vom 17. Januar. Die Grünen scheinen hier ein wenig die Zeit verschlafen zu haben; anders ist der heute hier in Rede stehende Antrag nicht zu deuten. Das Konzept der Bundesregierung zur Erhöhung des Wohngeldes liegt bereits seit dem 22. Februar auf dem Tisch. Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Entlas- tung der Hauptbezieher von Wohngeld. Dies sind seit Einführung des Arbeitslosengeldes II nunmehr in erster Linie viele Arbeitnehmer mit geringem Einkommen so- wie Rentner. Seit 2001 sind die Mieten um 7 Prozent, die kalten Betriebskosten um 7 Prozent und die warmen Be- triebskosten um 32 Prozent angestiegen. Die Mietbelas- tung bei Haushalten mit niedrigem Einkommen liegt heute durchschnittlich bei 35 Prozent des Gesamtein- kommens und damit deutlich über der Mietbelastung im Bundesdurchschnitt, die bei etwa 25 Prozent liegt. Wir werden deshalb geringverdienende Arbeitnehmer und Rentner bei der Bewältigung dieses Kostenanstiegs an- gemessen unterstützen. Das Konzept der Bundesregierung sieht hierzu eine Erhöhung des Wohngeldes um insgesamt 520 Millionen Euro vor. Von der Verbesserung werden ab 2009 rund 850 000 Haushalte profitieren. Eine Familie mit zwei Kindern könnte dann rund 80 Euro mehr im Monat er- halten. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber jetzt um etwa 70 Prozent. Insgesamt wird das Wohngeld im Durchschnitt von 90 auf 150 Euro steigen. Dies zeigt: Die von der Großen Koalition geplante Wohngelderhö- hung hilft Haushalten mit geringem Einkommen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt daher das geplante Gesetz- gebungsvorhaben. Über den Antrag der Grünen werden wir in den Aus- schussberatungen zu befinden haben. Sören Bartol (SPD): In Ihrem Antrag fordern die Grünen die Bundesregierung auf, das Wohngeld jetzt zu verbessern – eine richtige Forderung. Darüber herrscht Konsens in diesem Haus. Das wollen wir alle. Aktuell aber ist diese Forderung Ihres Antrags vom 13. Februar 2008 nicht mehr. Am 22. Februar hat Bundesminister Tiefensee sein Konzept für eine Wohngelderhöhung vor- gestellt. Nach der Einigung der Fraktionsspitzen von CDU/CSU und SPD auf der Klausurtagung vom 26./27. Februar wird das Konzept zur Wohngelderhö- hung nun vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ausgearbeitet. Das Konzept sieht eine Erhöhung um insgesamt 520 Millionen Euro vor. Für die Empfängerinnen und Empfänger bedeutet das eine durchschnittliche Erhö- hung ihrer Wohngeldleistung um rund zwei Drittel. Eine Familie mit zwei Kindern würde rund 80 Euro mehr er- halten, eine Rentnerin ca. 42 Euro mehr. Insgesamt wird das Wohngeld im Schnitt von 90 auf 150 Euro steigen. Eine Leistungsverbesserung des seit 2001 nicht mehr er- höhten Wohngeldes war nicht zuletzt vor dem Hinter- grund des im Wohngeld- und Mietenbericht 2006 der Bundesregierung konstatierten Mietanstiegs von 10 Prozent, vor allem aber aufgrund der in diesem Zeit- raum mit mehr als 30 Prozent überproportional gestie- genen Energiepreise dringend erforderlich geworden. Mittel- und langfristig haben wir mit dem CO2-Gebäu- desanierungsprogramm und der Einführung des Energie- ausweises eine adäquate und nachhaltige Antwort auf das Problem der steigenden Energiekosten gefunden. Er- gänzend dazu brauchen wir jetzt eine Erweiterung des Wohngeldes, um Geringverdiener und Rentner zu unter- stützen, für die hohe Nebenkostenabrechnungen ein Ar- mutsrisiko bedeuten. Maßstab dabei muss deshalb die Warmmiete sein. Hierbei gilt es, eine Lösung zu finden, die sowohl sozial- als auch energiepolitisch sinnvoll ist. Das von Bundesminister Tiefensee vorgestellte auf drei Säulen basierende Konzept wird beidem gerecht. Dazu sieht es – wie unter anderem auch im vorliegenden An- trag gefordert – die Umstellung des Wohngeldsystems von einem Bruttokaltmieten- auf ein Warmmietenkon- zept vor. Damit werden die Heizkosten in die berück- sichtigungsfähige Miete einbezogen. Anreize zum Ener- giesparen bleiben trotzdem bestehen, da immer nur ein Teil der Warmmiete erstattet wird. Zudem werden die Miethöchstbeträge um 10 Prozent angehoben. Diese An- hebung ermöglicht die Berücksichtigung höherer Mieten bei der Wohngeldberechnung; das ist eine bei der Um- stellung auf Warmmieten notwendige flankierende Maß- nahme, da sonst die Einbeziehung der Nebenkosten bei mehr als 60 Prozent der Empfänger ins Leere laufen würde. Drittens ist eine Anhebung der Wohngeldtabel- lenwerte um 10 Prozent vorgesehen. Hinzu kommt die Zusammenfassung der Höchstbeträge für Miete in einer Kategorie auf Neubauniveau. Der Wegfall der Baual- tersklassen bedeutet für rund zwei Drittel der Haushalte, die Wohngeld empfangen, eine finanzielle Verbesserung. Das von Bundesminister Tiefensee vorgestellte Kon- zept entspricht sowohl dem Ergebnis der Sachverständi- genanhörung zum Wohngeldänderungsgesetz vom 12. Dezember 2007 als auch den Forderungen der Bau- und Wohnungspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion, die in der Debatte um die Novelle des Wohngeldgesetzes klargestellt hatten, dass der im Gesetzentwurf zum Wohngeldänderungsgesetz zentralen Verwaltungsverein- fachung eine deutliche Leistungsverbesserung folgen muss. Die in der Anhörung geäußerten Bedenken bezüg- lich des erweiterten Haushaltsbegriffs und der gesamt- schuldnerischen Haftung wurden im BMVBS ebenfalls berücksichtigt, die entsprechenden Änderungen im Ge- setzentwurf vorgenommen. Für die Wohngeldempfängerinnen und -empfänger bedeuten die vorgesehen Änderungen eine durchschnitt- liche Erhöhung ihrer Wohngeldleistung um bis zu zwei Drittel. Eine Familie mit zwei Kindern würde rund 80 Euro mehr erhalten, eine Rentnerin 42 Euro mehr. Insgesamt wird das Wohngeld im Schnitt von 90 auf 150 Euro steigen. Finanziert wird die Erhöhung zu je 200 Millionen von Bund und Ländern. Hinzu kommen die im laufenden Verfahren zur Wohngeldvereinfachung vereinbarten 120 Millionen. Die Länder haben bereits ihre Zustimmung signalisiert. Damit wird sichergestellt, dass das Wohngeld seiner Intention, einkommensschwachen Haushalten ein familiengerechtes und angemessenes Wohnen zu ermöglichen, auch weiterhin gerecht wird. Insbesondere Geringverdiener und Rentnerinnen und Rentner, die angesichts der gestiegenen Miet- und Ener- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15969 (A) (C) (B) (D) giekosten bei der derzeitigen Gesetzeslage, die eine Be- zuschussung der Heizkosten ausschließt, an ihre Gren- zen stoßen, werden so entlastet. Davon profitieren vor allem strukturschwache Regionen im Osten, wo der An- teil der im Jahr 2006 bundesweit 691 119 Wohngeld- haushalte an Privathaushalten mit 2,9 Prozent fast dop- pelt so hoch ist wie im Westen mit l,5 Prozent. Wohngeld ist ein zielgenaues sozialpolitisches Instru- ment. Seine Stärkung ist so wichtig wie folgerichtig: Wir brauchen starke, dem Transfersystem vorgelagerte Leis- tungen, wenn wir wieder mehr Menschen aus dem ALG-II- Bezug herausholen wollen. Auch im Hinblick auf die sogenannten Aufstocker, die ergänzend zu ihrem Ein- kommen Hartz-IV-Leistungen beziehen müssen, ist ein attraktives, um die genannten Punkte erweitertes Wohn- geld zentral. Das Problem: Leistungen zu den Kosten der Unterkunft sind heute in vielen Fällen finanziell attrakti- ver als Wohngeld. Bei einer Wohngeldreform muss es deshalb auch darum gehen, die bestehende Gerechtig- keitslücke zu ALG-II-Empfängern, bei denen die Kosten der Unterkunft komplett übernommen werden, zu schlie- ßen. Die Erhöhung des Wohngeldes muss außerdem so gestaltet sein, dass Erwerbstätige mit niedrigem Ein- kommen nicht mehr als Aufstocker unter das SGB II fal- len. Derzeit erhalten 274 000 Haushalte nach dem SGB II ausschließlich Unterkunftskosten. Um das zu än- dern, brauchen wir Leistungen, die dem staatlichen Transfersystem vorgelagert sind. Eine davon ist das Wohngeld. Doch ich möchte an dieser Stelle auf eine weitere zu sprechen kommen: Noch immer bedeuten Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen. Es ist daher vorgesehen, neben dem Wohngeld auch den Kinderzu- schlag auszubauen. Künftig sollen mehr Personen mit geringem Einkommen von ihm profitieren. Die Pläne der Familienministerin von der Leyen sehen vor, dass weitere 150 000 Kinder von Familien mit geringem Ein- kommen den Kinderzuschlag erhalten sollen. Dazu soll die Mindesteinkommensgrenze gesenkt werden. Mit der Neuregelung würden dann insgesamt 250 000 Kinder er- reicht. Der Zuschlag in der Höhe von 140 Euro monat- lich pro Kind soll verhindern, dass Familien nur wegen der Ausgaben für ihre Kinder unter Hartz IV fallen. Zu- sammen mit einem erhöhten Kinderzuschlag kann das Wohngeld dazu beitragen, Geringverdiener wieder aus dem ALG-II-Bezug herauszuholen. Die Einführung ei- nes flächendeckenden Mindestlohns ist und bleibt ein weiteres zentrales Element zur Verhinderung von Er- werbsarmut in Deutschland. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt das Konzept zur Wohngeldverbesserung von Bundesminister Tiefensee. Unser Ziel ist, dass die Wohngelderhöhung am 1. Januar 2009 in Kraft tritt. Patrick Döring (FDP): Um es vorweg zu nehmen: Die FDP-Fraktion wird den Antrag der Grünen ableh- nen; dies nicht in erster Linie wegen der wohngeldrecht- lichen Aspekte, sondern vor allem wegen der Forderung nach der Einführung von Mindestlöhnen. Zum Wohngeld: Viele Anregungen im vorliegenden Antrag zur Novellierung des Wohngeldgesetzes sind richtig und werden von mir und meiner Fraktion aus- drücklich geteilt. Dazu zählt insbesondere die Anhebung des Wohngeldes. Der Zweck des Wohngeldgesetzes ist es, Menschen mit geringen Einkommen so zu unterstüt- zen, dass sie mit ihrem Einkommen und dem Wohngeld als Zuschuss ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Mit diesem Ziel wurde zuletzt zum 1. Januar 2001 das Wohngeld angehoben. Bislang erfolgt die Zahlung von Wohngeld als Zuschuss allein auf die Kaltmiete. In den letzten Jahren hat sich die Struktur der Miet- zahlungen aber drastisch verändert. Zum einen sind die Kaltmieten gestiegen. Da liegt aber nicht das ganz große Problem für viele Haushalte. Ganz deutliche Zusatzbe- lastungen sind durch die Kostenexplosion bei den Ener- giepreisen eingetreten, an denen auch die Grünen in ih- rer Zeit in der Bundesregierung mitgewirkt haben. Natürlich haben auch andere Belastungen der letzten und der aktuellen Bundesregierung, wie beispielsweise die Erhöhung der Mehrwertsteuer, dazu geführt, dass es nun Menschen gibt, die es nicht wagen, die Heizung anzu- stellen, weil sie Angst haben, die Rechnung nicht bezah- len zu können. Daher ist es angesichts dieser neuen zusätzlichen Belastungen nicht nur erforderlich, das Wohngeld insgesamt anzuheben, sondern in die Berech- nungsgrundlage – mit Deckelung – auch die Heizkosten und Kosten für Warmwasser einzubeziehen. Es sind auch viele andere Punkte zu diskutieren, da- runter der wohngeldrechtliche Haushaltsbegriff und die gesamtschuldnerische Haftung für zu viel gezahltes Wohngeld. Mit dem jetzigen Vorschlag zum Wohngeld- gesetz belastet die Bundesregierung das Wohnen in Stu- denten-WGs oder sogenannten Alten-WGs mit einem Haftungsrisiko, das die Bereitschaft zum Wohnen in ei- ner WG sinken lassen wird. Diejenigen, die es können, nehmen sich dann lieber eine eigene Wohnung. Dass da- durch insgesamt erheblich mehr Wohngeld zu zahlen sein würde, ist die logische Konsequenz. Man wird – ohne zu übertreiben – dem bisherigen Entwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Wohngeldrechts attestieren dürfen, dass er völlig an der Realität vorbeigeht und, da er keine Erhöhung des Wohngeldes vorsieht, nicht geeignet ist, die Ziele des Wohngeldes zu erreichen. Denn um ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen sicherzustellen, sind Er- höhungen erforderlich. Dass der zuständige Minister dies inzwischen auch so sieht, freut die Liberalen. Wir werden daher, wenn die Ankündigungen zutref- fen, ja auch schon bald einen – hoffentlich stark – über- arbeiteten Entwurf der Bundesregierung diskutieren dür- fen. Aus Sicht der FDP-Fraktion muss klar sein – und da- rauf werden wir in der kommenden Debatten immer wie- der hinweisen: Es ist nicht richtig, wenn inzwischen in vielen Fällen und nicht nur als Ausnahme die Summe aus Arbeitslosengeld II und den Kosten der Unterkunft mehr beträgt als die Summe aus einem geringen Ein- kommen und Wohngeld oder einem geringen Arbeitslo- sengeld I und Wohngeld. Das setzt die falschen Anreize. 15970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Daher fordert die FDP-Fraktion schon seit langem eine Erhöhung des Wohngeldes. So gut meine Fraktion und ich den meisten wohn- geldrechtlichen Forderungen der Grünen zustimmen können, so wenig teilen wir ihre Position zum Mindest- lohn – das werden Sie erwartet haben. Gleich drei Mal haben die Antragsteller die wenig glückliche Verknüpfung zwischen Mindestlohn und Wohngeld in ihrem Antrag verankert. Darüber können wir nicht hinwegsehen. Die FDP-Fraktion hat immer wieder deutlich gemacht, warum Mindestlöhne der fal- sche Weg sind: Liegen die Mindestlöhne unter dem Marktniveau, sind sie wirkungslos. Liegen sie darüber, kosten sie Arbeitsplätze. Treffen sie genau das Maß, sind sie nutzlose Regulierung. Wenn wir annehmen dürfen – und sonst macht die ganze Debatte darüber keinen Sinn –, dass die Befürwor- ter des Mindestlohns einen Mindestlohn weit über dem Marktpreis anstreben, muss man feststellen, dass Sie sich wieder einmal aktiv für die Vernichtung von Ar- beitsplätzen in Deutschland einsetzen und vielen Men- schen die Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsmarkt nehmen. So haben wir es gerade erst im Postsektor er- lebt. Den Menschen, die aufgrund der Einführung eines Mindestlohns ihren Arbeitsplatz verloren haben, hilft dann auch die Erhöhung und Verbesserung des Wohn- geldes nur noch während der Zeit, in der ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I besteht. Danach bleibt nur das ALG II. Und das bedeutet: Das Ziel bei der Erneuerung und Verbesserung des Wohngeldrechts, nämlich dass weniger Menschen auf die Zahlung von Arbeitslosen- geld II angewiesen sind, das konterkarieren die Grünen in ihrem Antrag durch die Forderung nach der Einfüh- rung von Mindestlöhnen. Das entwertet die erwähnten guten Ansätze zum Wohngeldgesetz völlig und findet daher auch nicht die Zustimmung der FDP-Fraktion. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Circa 700 000 Wohn- geldempfängerinnen und Wohngeldempfänger in der Bundesrepublik Deutschland erhalten gegenwärtig auf- grund ihres geringen Familieneinkommens einen Zu- schuss zur Kaltmiete. Dieser ist trotz nachweislich ge- stiegener Steuern und Abgaben sowie Reallohnverlusten seit 2001 nicht mehr dynamisiert worden, obwohl so- wohl die Mieten als auch die Nebenkosten, vor allem die warmen Betriebskosten, förmlich explodiert sind. Die Linke hat immer wieder eine Anpassung gefor- dert und kritisiert, dass die ursprüngliche Wohngeld- novelle an der Realität und der Lage der Betroffenen vollkommen vorbeigeht. Deshalb hatte die Opposition auch eine Anhörung gefordert. Dort verrissen selbst die von der Großen Koalition bestellten Gutachter den Ge- setzentwurf, der keinerlei Verbesserung für die Wohn- geldempfänger vorsah. Lediglich die Verwaltung konnte von einigen bürokratischen Verbesserungen profitieren. Herr Bundesminister Tiefensee hat nun im Ergebnis der Wohngeldanhörung einen neuen Entwurf der Wohn- geldnovelle seitens der Bundesregierung angekündigt. Die Linke begrüßt dabei die Ankündigung des Bundes- ministers Wolfgang Tiefensee, das Wohngeld durch- schnittlich um 70 Prozent bzw. 60 bis 80 Euro im Monat zu erhöhen. Die Ankündigung von Bundesbauminister Tiefensee erfüllt eine wesentliche Forderung der Linken nach einer deutlichen Erhöhung des Wohngeldes. Gesetz ist die Ankündigung damit aber noch lange nicht, und noch liegt dem Parlament keine neue Wohn- geldnovelle vor. Wie so oft werden wir uns also auf quä- lende und lange Auseinandersetzungen mit – und ich denke auch innerhalb – der Großen Koalition einstellen müssen. Wir warnen allerdings die Bundesregierung vor einer Rolle rückwärts. Sollten sich die Ankündigungen vom Vorabend der Hamburg-Wahl als Wahlkampfge- klingel herausstellen, lassen Ihnen die Betroffenen und auch wir das nicht durchgehen. Damit das Wohngeld wieder einen verlässlichen und wirksamen Beitrag zur Entlastung einkommensschwa- cher Haushalte leisten kann, hält die Linke ihre Forde- rungen nach vollständiger Anerkennung der Kosten für Heizung und Warmwasser als Bestandteil der Miete bei der Berechnung des Wohngeldes, nach regelmäßiger An- passung des Wohngeldes an die Mieten- und Lohnent- wicklung – Dynamisierung – und nach Erhöhung der Einkommensgrenzen der Wohngeldberechtigten auf- recht. Das würde die Zahl der Wohngeldberechtigten er- höhen und die Aufstockerhaushalte, die heute durch die Argen und Optionskommunen betreut werden, reduzie- ren oder zumindest begrenzen. Mit ihren Niedriglöhnen können diese nicht mehr ihre Miete bezahlen und müs- sen ergänzend Kosten der Unterkunft beantragen, eine Entwicklung, für die auch Bündnis 90/Die Grünen mit Ihrer Zustimmung zu Hartz IV Verantwortung tragen. Wenn Bündnis 90/Die Grünen uns durch neue Einsich- ten dabei helfen wollen, die Wirkung der Hartz-Gesetze zu überwinden, dann stehen wir beide zumindest in die- ser Frage auf der gleichen Seite. Wir stehen dem Antrag daher positiv gegenüber und signalisieren Zustimmung zu diesem Antrag, der für uns im ersten Schritt in die richtige Richtung weist. Die Linke geht in ihren Forderungen jedoch weiter, wie ich soeben bereits zum Ausdruck gebracht habe. Wir werden bei Vorlage der Wohngeldnovelle durch die Bun- desregierung – das sei hier schon angekündigt – einen entsprechenden Entschließungsantrag einbringen. Res- sortübergreifend ist dabei darauf zu achten, dass die positiven Veränderungen im Wohngeld auch mit den be- absichtigten Kindergeldzuschlägen und anderen sozial- politischen Maßnahmen der Bundesregierung abge- stimmt werden. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehrfach hat Bundesminister Wolfgang Tiefensee die Erhöhung des Wohngelds angekündigt. Angeblich haben sich die Koalitionsfraktionen und Ministerien ja auch schon auf ein Konzept geeinigt. Eine Ergänzung oder ein neuer Entwurf des Wohngeldgesetzes liegt bisher aber noch nicht vor. Bei den Ankündigungen zur Erhöhung des Wohngelds handelt es sich also nur um leere Ver- sprechen! Wir wollen nach den vielen Worten endlich Taten se- hen, damit sich die Situation der Geringverdiener und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15971 (A) (C) (B) (D) vieler Rentner schnellstmöglich bessert. Man darf Men- schen, die jeden Cent umdrehen und jede Ausgabe genau planen müssen, nicht länger warten lassen. Deshalb be- antragen wir, das Wohngeld jetzt zu verbessern. Wir for- dern eine unverzügliche Erhöhung des Wohngeldes und die Einbettung der Wohngeldreform in eine Gesamtstra- tegie zur Vermeidung von Erwerbsarmut. Denn nur so können wir sicherstellen, dass möglichst viele Men- schen, die von ihrer Arbeit nicht leben können, künftig nicht mehr auf ergänzende staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Wir brauchen eine Gesamtstrategie zur Vermeidung von Erwerbsarbeit mit Mindestlöhnen und mit progressiv gestaffelten Sozialabgaben. Die ge- ringen Einkommen müssen entlastet werden. Bündnis 90/Die Grünen fordern, das Wohngeld dyna- misch an die Mieten- und Einkommensentwicklung an- zupassen und zu erhöhen, damit es seine Entlastungswir- kung wieder erfüllen kann. Die sogenannte zweite Miete – Warmwasser- und Heizkosten – muss in die Berech- nung des Wohngeldanspruchs einbezogen und anteilig erstattet werden. Vor dem Hintergrund des Klimawan- dels und drastisch steigender Energiepreise setzen wir uns für kostenlose Energieberatungen und ein Bonussys- tem ein. So wird ein zusätzlicher Anreiz zum Energie- sparen geschaffen und Haushalte mit besonders gerin- gem Energieverbrauch werden belohnt. Keiner weiß, ob es sich bei den Ankündigungen von Bundesminister Wolfgang Tiefensee nur um wahltakti- sche Luftbuchungen vor den Wahlen in Hessen, Nieder- sachsen und Hamburg gehandelt hat. Die Versprechungen des Verkehrsministers gefährden die Planungssicherheit für die Kommunen. Denn die Höhe des von Bund und Ländern zu zahlenden Wohngeldes hat erheblichen Ein- fluss auf die kommunalen Ausgaben für die Kosten der Unterkunft bei Hartz-IV-Empfängerinnen und „Aufsto- ckern“. Die Kommunen werden durch die steigende Zahl der Hartz-IV-„Aufstocker“ finanziell übermäßig stark belastet, da sie den Löwenanteil der Unterkunfts- kosten tragen. Die finanziellen Spielräume für andere kommunale und soziale Aufgaben schrumpfen zusam- men. Hier gilt es die Kommunen zu entlasten. Herr Minister Tiefensee, machen Sie ihre Ankündi- gung wahr! Folgen Sie der Einschätzung der Sachver- ständigen aus der Anhörung im Verkehrsausschuss! Eine Anpassung des Wohngelds an das heutige Mieten- und Einkommensniveau sowie an die gestiegenen Lebens- haltungskosten ist dringend notwendig. Lassen Sie die Menschen nicht länger warten! Erhöhen Sie das Wohn- geld jetzt! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Medizinische Versorgung der Bundeswehr an die Einsatzrealitäten anpassen – Kompe- tenzzentrum für posttraumatische Belas- tungsstörungen einrichten – Adäquate Behandlungs- und Betreuungska- pazitäten für an posttraumatischen Belas- tungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Monika Brüning (CDU/CSU): Wir beraten heute über zwei Anträge, welche sich mit der Thematik der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen – PTBS – bei Soldatinnen und Soldaten beschäftigen. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten eine hervor- ragende Arbeit. Die Einsätze der Bundeswehr in den verschiedensten Kriegs- und Krisenregebieten der Welt nehmen zu. Hierbei sieht sie sich ständig neuen Einsatz- realitäten gegenüber, Einsatzrealitäten, die insbesondere eine gesteigerte Gefährdungslage mit sich bringen. Dies wird uns derzeit besonders in Afghanistan vor Augen ge- führt. Mit der Zunahme der Auslandseinsätze und den damit verbundenen besonderen Anforderungen an die Soldatin- nen und Soldaten gehen häufig psychische Belastungen einher. Die extremen Belastungssituationen über Ver- kehrs- und Minenunfälle bis hin zu Terroranschlägen, mit denen die meist jungen Menschen in Einsätzen im Aus- land konfrontiert werden, dürfen nicht unterschätzt wer- den. Bisher wurden bereits rund 700 Soldaten in Bundes- wehrkrankenhäusern wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung behandelt. Das entspricht etwa einem Prozent aller Soldaten, die im Ausland waren. Feldstu- dien von Streitkräften anderer Nationen – USA, Nieder- lande, Skandinavien – haben jedoch gezeigt, dass circa 4 bis 5 Prozent aller Soldaten im Einsatz von PTBS be- troffen sind. Für die Bundeswehr, eine „Einsatzarmee im Werden“, fehlen noch entsprechende Erhebungen. Da- rüber hinaus sind die langfristigen Folgen dieser Erkran- kung im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr noch nicht hinreichend erforscht. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine außergewöhnliche Bedrohung. Nach den beiden Weltkriegen sagte man über Soldaten, die zit- terten, nicht schlafen konnten und sprachlos am Tisch saßen, sie hätten das „Kriegszittern“ oder eine „Schüt- zengrabenneurose“. Seit dem Vietnam-Krieg ist die Be- zeichnung „Posttraumatische Belastungsstörung“ ein feststehender Begriff und meint, dass ein Mensch nach einem extrem belastenden Ereignis psychisch erkrankt. Die Symptome von PTBS sind vielfältig. Nicht immer reagiert die Psyche sofort. Manche Soldaten merken erst Jahre nach dem Einsatz, dass sie traumatisiert sind. Nicht jeder, dem ein potenziell traumatisches Ereignis widerfährt, entwickelt eine posttraumatische Belastungs- störung. Die PTBS entsteht nicht aufgrund erhöhter psy- chischer Labilität des Betroffenen. Auch psychisch voll- kommen gesunde und in sich gefestigte Persönlichkeiten können eine PTBS entwickeln. Nichtsdestotrotz nimmt die Anzahl der Soldaten, die an einer PTBS erkranken, zu. Viele Soldaten sind betroffen, lassen sich jedoch aus den verschiedensten Gründen nicht behandeln. Auch der 15972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Wehrbeauftragte hat diesen nicht unerheblichen Aspekt in seinen Jahresbericht aufgenommen. So berichtet er, dass Wehrpsychologen davon ausgehen: „Viele Soldaten fühlen sich nach wie vor stigmatisiert, wenn sie sich be- handeln lassen.“ Die Bundeswehr bereitet ihre Soldaten auf die Ein- sätze in den Krisenregionen sehr sorgfältig vor. Bei der Vorbereitung verfügt sie auch über ein medizinisch-psy- chologisches Stresskonzept, durch dessen Hilfe sich die Soldaten darauf vorbereiten, mit Stress und psychischer Belastung umzugehen. Bei auftretenden PTBS wird die Behandlung schwerpunktmäßig im Bundeswehrkran- kenhaus Hamburg durchgeführt, wo 33 Betten in der Abteilung Psychiatrie zur Verfügung stehen. Darüber hi- naus stehen im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz weitere 27 Betten und in den Bundeswehrkrankenhäu- sern Ulm und Berlin 25 bzw. 30 Betten bereit. Dies reicht jedoch nicht aus. Um den Betroffenen umfassend helfen zu können, besteht weiterhin großer Handlungs- bedarf insbesondere bei der Sensibilisierung und Be- wusstseinsbildung für das Krankheitsbild PTBS, ausrei- chenden und umfassenden Behandlungskapazitäten und -konzepten und der Erforschung des Krankheitsbildes im besonderen Kontext der Auslandseinsätze der Bundes- wehr. In den uns vorliegenden Anträgen werden viele rich- tige Fakten erörtert. Unter anderem wird die Schaffung eines Kompetenzzentrums angedacht. Dies wäre ein möglicher Ansatz. Ich denke jedoch, dass wir keine vor- schnellen Maßnahmen ergreifen, sondern zunächst eine umfassende Analyse der Problematik und erforderlichen Maßnahmen vornehmen sollten. Einen guten Schritt in die richtige Richtung haben wir im vergangenen Jahr im Bereich der Versorgung mit der Verabschiedung des Einsatzweiterverwendungsgesetzes gemacht. Mit dem Gesetz wurden Regelungen für eine Wiedereinstellung in den Fällen vorgesehen, in denen die gesundheitliche Schädigung durch eine Auslandsver- wendung erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses erkannt wird. Der PTBS wird hier also bereits weitge- hend Rechnung getragen. Eine PTBS belastet nicht nur die Betroffenen, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf das familiäre Um- feld. Wir dürfen unsere Soldaten und ihre Angehörigen nicht damit alleinlassen. Wir müssen uns deshalb vorran- gig der Problematik psychischer Belastungen durch die neuen Einsatzrealitäten der Bundeswehr annehmen. Dies sollte auf einer soliden und umfassenden Analyse basie- ren. Die CDU/CSU-Fraktion empfiehlt deshalb die Über- weisung beider Anträge an die federführenden Aus- schüsse. Petra Heß (SPD): Die Fraktionen der FDP und der Linken fordern – wenn auch aus unterschiedlichen Moti- ven und mit unterschiedlichen Herleitungen – die An- passung der medizinischen Versorgung innerhalb der Bundeswehr an die Einsatzrealitäten und die Einrichtung von Kompetenzzentren für die Erforschung und die Be- handlung sogenannter posttraumatischer Belastungsstö- rungen. Während sich die FDP bei der Begründung ihrer Forderung relativ nüchtern an die Fakten hält, nimmt Die Linke ihren Antrag erneut zum Anlass, ihre grund- sätzliche Ablehnung einer deutschen Armee, der deut- schen Außen- und Sicherheitspolitik und der Politik der NATO zum Ausdruck zu bringen. Davon einmal abgesehen, liegen die Forderungen der beiden Anträge relativ nah beieinander. Im Wesentlichen werden folgende Maßnahmen gefordert: erstens die fort- laufende Anpassung der medizinischen und vor allem der psychologischen Betreuungs- und Behandlungskapa- zitäten an den tatsächlichen Bedarf, zweitens die Ein- richtung einer anonymen Beratung und Betreuung von Betroffenen und deren Familien durch Errichtung von Hotlines und eines 24-Stunden-Bereitschaftsdienstes, drittens die Errichtung eines Kompetenz- und For- schungszentrums zur Behandlung von PTBS an einem oder mehreren Bundeswehrkrankenhäusern und den re- gelmäßigen fachmedizinischen Erfahrungsaustausch mit zivilen Stellen und den entsprechenden Sanitätseinrich- tungen der anderen alliierten Streitkräfte, viertens Aus- bildung und Schulung von Bundeswehrmedizinern zur Erkennung von PTBS und zur zeitnahen Hilfe und Aus- bildung sogenannter Peers als Ansprechpartner im Ein- satz, damit zeitnah Hilfe bei psychischen Problemen er- folgen kann, fünftens bessere Vorbereitung der Soldatinnen und Soldaten auf mögliche Stresssituationen im Einsatz und deren Bewältigung, sechstens die Ver- besserung der Nachsorge durch a) Ausweiten der Frage- bögen – psychische Belastung –, b) Erfassen auch der ausscheidenden Soldaten, der freiwillig länger Dienen- den etc., c) Gewähren von mehrtägigen Erholungspha- sen nach dem Einsatz und vor allem d) zeitnahe Durch- führung der Einsatznachbereitung und siebtens zeitnah die notwendigen Maßnahmen wie Erhebungen und Be- fragungen durchführen, um die Behandlung für PTBS geschädigte Soldatinnen und Soldaten fortlaufend ver- bessern und den Einsatzbedingungen anpassen zu kön- nen. Auch der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2007 sieht in der angemessenen Behandlung der zuneh- menden Zahl von Soldatinnen und Soldaten, die an einer PTBS leiden, eine Herausforderung, die zeitnah ange- nommen werden muss. Problematisch beurteilt der Be- richt vor allem die Tatsache, dass viele Soldatinnen und Soldaten sich durch einen Besuch beim Psychologen nach wie vor stigmatisiert sehen und auch Nachteile in ihrer Laufbahnentwicklung befürchten. Der Ausbau der Erforschung und Behandlung von Traumata innerhalb der Bundeswehr und die zügige Ermittlung und, falls notwendig, Anpassung der Kapazitäten werden ebenfalls in dem Bericht angemahnt. Damit steht die Frage im Raum: Wird nicht genug für die im Einsatz befindlichen und aus dem Einsatz zurück- kehrenden Soldatinnen und Soldaten und deren Familien getan, und was muss verbessert werden, um eine gelin- gende Wiedereingliederung der Soldatinnen und Solda- ten in ihren Alltag zu erreichen? Und hier reicht ein nüchterner Blick auf die Faktenlage, um festzustellen, die geforderten Maßnahmen sind im Aufbau befindlich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15973 (A) (C) (B) (D) oder existieren bereits, werden laufend fortentwickelt und verbessert und damit den „Erfordernissen der Ein- sätze immer wieder angepasst“. Dabei konzentrieren sich die einsatzvorbereitenden Maßnahmen vor allem auf den Aspekt der Prävention: Eine möglichst realitätsnahe Ausbildung soll die Solda- tinnen und Soldaten mit dem vertraut machen, was sie im Einsatz erwartet, alle möglichen Gefahrenlagen und Maßnahmen zum Selbstschutz werden dabei genaues- tens erörtert. Hier wird jeder Soldat auf die besonderen Anforderungen seines Einsatzdienstpostens vorbereitet, die er oder sie im Einklang mit den Einsatzregeln – Rules of Engagement – zu erfüllen hat. Jeder Soldat, der in den Einsatz geht, wird darüber hinaus über seine Möglich- keiten zur persönlichen Gesundheitsvorsorge und den Umgang mit Stress informiert. Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang natürlich auch das Lernen von Stressbewältigungstechniken. Zahlreiche Soldaten werden darüber hinaus am Zen- trum für Innere Führung in Stressbewältigung geschult und sollen als Multiplikatoren – Peers – wirken. Hier sorgt die Bundeswehr also gleich von zwei Seiten vor, indem sie zum einen aufklärt, zum anderen zahlreiche Soldaten speziell für den Umgang mit Stress im Einsatz schult, die dann vor Ort den Kameraden als Ansprech- partner zur Seite stehen. Im Einsatz steht die psychische Stabilisierung der Soldatinnen und Soldaten dann an erster Stelle. Zeigt ein Soldat während des Einsatzes Verhaltensauffälligkeiten, so sollen diese sogenannten Multiplikatoren erste Hilfe leisten und den Betroffenen über weitere Hilfsangebote bereits im Einsatz informieren. Hier stehen dem Solda- ten Gespräche mit einem Seelsorger oder Arzt, der eben- falls in der Erkennung und Beurteilung von Belastungs- störungen geschult ist, respektive einem Truppen- psychologen offen. Die Einsatznachbereitung ergänzt den präventiven Ansatz der Einsatzvorbereitung, indem sie ein weiteres Bündel an Maßnahmen bereithält, um je- dem einzelnen Soldaten und jeder einzelnen Soldatin eine möglichst gelungene Rückkehr in den Alltag zu er- möglichen. Die Maßnahmen reichen von einsatznaher Erholung von besonders belasteten Soldaten und präventiven Ku- ren – „Kolbow“-Kur – nach besonders belastenden Er- eignissen bis hin zu einem Pflichtbesuch an einem zwei- bis dreitägigen Einsatznachbereitungsseminar, das hel- fen soll, die Eindrücke aus dem Einsatz zu verarbeiten und diesen innerlich abzuschließen. Selbstverständlich sind wir uns da einig, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, dass eine erfolgreiche Einsatznachsorge jeden Soldaten und jede Soldatin erfassen und vor den möglichen negativen Nachwirkungen eines Einsatzes so weit als möglich be- wahren muss. Auch muss in diesem Zusammenhang dafür Sorge ge- tragen werden, dass eine aus psychischen Gründen not- wendige vorzeitige Rückkehr aus dem Einsatz dem be- troffenen Soldaten oder der betroffenen Soldatin nicht zum Schaden in seiner Laufbahn gereicht oder ihn vor den Kameraden stigmatisiert. Stigmatisierungsängste und die Angst vor einem Karriereknick müssen hierbei noch stärker fokussiert werden, damit jeder Soldat und jede Soldatin die angebotene Hilfe in jedem Fall in An- spruch nimmt. Hier bedarf es tatsächlich weiterer An- strengungen, da absehbar ist, dass die Belastungen, de- nen unsere Soldatinnen und Soldaten in Zukunft ausgesetzt sein werden, eher zu als abnehmen werden. Probleme einer umfassenden Einsatznachsorge sind aber nicht nur Stigmatisierungsängste, sondern auch die Erfassung aller Zeitsoldaten, Reservisten und Wehr- pflichtigen, falls diese nach dem Einsatz unmittelbar zu ihrer Ausbildung oder Arbeitsstelle zurück müssen. Tre- ten trotz der genannten Maßnahmen bei Soldatinnen und Soldaten posttraumatische Belastungsstörungen auf, so ist eine qualitativ hochwertige und effektive Behandlung ambulant oder stationär an Bundeswehreinrichtungen oder an zivilen Einrichtungen möglich. Dabei sind die Kapazitäten für Diagnostik und Therapie derzeit ausrei- chend vorhanden und nicht in vollem Umfang ausge- schöpft. Auch die Kooperation und die Forschung auf dem Gebiet der PTBS werden intensiv betrieben und ge- lebt. Es findet hier ein reger Erfahrungsaustausch mit zivi- len Einrichtungen und Krankenhäusern statt, und jeder außerhalb einer Bundeswehreinrichtung behandelte Pa- tient erweitert das Wissen der Bundeswehr, indem seine Therapie am Ende der Behandlung von der Bundeswehr von der zivilen Einrichtung erfragt, erfasst und für die eigenen Arbeit ausgewertet wird. Auch der internatio- nale Erfahrungsaustausch wird gepflegt, und Ergebnisse anderer Behandlungsmethoden werden laufend berück- sichtigt. Abschließend lassen Sie mich noch ein paar Worte zu der immer wieder erwogenen Errichtung eines For- schungszentrums sagen: Die Prüfung zur Einrichtung ei- nes Forschungszentrums ist zu begrüßen, allerdings darf nicht nur einer Krankenhausabteilung ein Name überge- stülpt werden. Die Errichtung eines Forschungszentrums wäre nur mit einer erheblichen Aufstockung des Perso- nals und der Stellen machbar, da nicht in bestehende Strukturen immer mehr Aufgaben hineinprojiziert wer- den können. Deshalb bin ich gespannt auf das Ergebnis einer Prüfung und stehe dem Ansinnen grundsätzlich po- sitiv gegenüber. Elke Hoff (FDP): Ich bin froh, dass dieser Antrag der FDP-Bundestagsfraktion so schnell den Weg in den Deutschen Bundestag gefunden hat und damit auch zü- gig im Verteidigungsausschuss behandelt werden kann. Denn das Thema Posttraumatische Belastungsstörungen – PTBS – gewinnt an Bedeutung. Daher bin ich auch froh, dass der Wehrbeauftragte in seinem in der letzten Woche vorgestellten Bericht dem Thema einen promi- nenten Platz einräumt. Der Bericht hat eine zentrale For- derung unseres Antrages aufgegriffen, nämlich die Schaffung eines Kompetenzzentrums an einem der Bun- deswehrkrankenhäuser. Die Ursache für die zunehmende Bedeutung von PTBS liegt auf der Hand: Immer mehr Soldaten werden 15974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) im Rahmen der Auslandseinsätze mit Situationen kon- frontiert, die tiefe Spuren hinterlassen können. Insbe- sondere die Einsätze in Afghanistan haben die Truppe stark verändert. So mussten laut General Viereck, Be- fehlshaber des Einsatzführungskommandos, allein 200 Soldaten jährlich aufgrund des psychischen Drucks, vor allem durch die andauernde Terrorgefahr, vorzeitig nach Hause geschickt werden. Die mittel- und langfristigen Folgen solcher Extrem- situationen, mit denen die Soldatinnen und Soldaten nach ihrem Einsatz zu kämpfen haben, sind Depressionen, Ge- reiztheit und Suchtprobleme. Bei besonders belastenden Vorfällen, wie beispielsweise einer Geiselnahme oder dem Tod von Kameraden, können Posttraumatische Belas- tungsstörungen auftreten. Dabei handelt es sich in aller Regel um eine verzögerte Reaktion auf ein sehr belasten- des Ereignis oder eine Situation von außergewöhnlicher Bedrohung. Sie werden auch als „Rückkehrer-Trauma“ bezeichnet. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundes- wehr, die an PTBS in der Folge eines Auslandseinsatzes erkranken, hat in den vergangenen Jahren stetig zuge- nommen. In den Jahren 2004/2005 hat sich die Zahl der PTBS-betroffenen Soldaten gegenüber den Vorjahren nahezu verdreifacht. Besonders bei Soldatinnen und Sol- daten aus dem ISAF-Kontingent treten vermehrt PTBS- Erkrankungen auf. Die aktuellen Zahlen für die Jahre 2006 und 2007 wurden bislang noch nicht veröffentlicht. Es ist aber aufgrund der verschärften Sicherheitslage in Afghanistan anzunehmen, dass die Zahl der PTBS-Er- krankungen weiter steigen wird. An PTBS erkrankte Soldatinnen und Soldaten werden schwerpunktmäßig im Bundeswehrkrankenhaus Ham- burg behandelt. Dort stehen für die circa 7 600 Soldaten, die sich derzeit im Auslandseinsatz befinden, lediglich 33 Betten in der Abteilung Psychiatrie zur Verfügung. Dieses Kontingent muss für eine stationäre Behandlung sowohl von PTBS als auch anderer stressbedingter psy- chischer Erkrankungen ausreichen. Ergänzend hierzu stehen im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz noch einmal 27 Betten und in den Bundeswehrkrankenhäu- sern Ulm und Berlin 25 bzw. 30 Betten bereit. Das scheint mir langfristig nicht auszureichen. Die Zahl der stationären Behandlungskapazitäten für psychische Er- krankungen darf nicht länger auf Basis des Streitkräfte- umfangs geplant werden. Da dieser in den letzten Jahren sinkt, sind die Behandlungskapazitäten nach dem Rasen- mäherprinzip in allen Fachbereichen der Bundeswehr- krankenhäuser reduziert worden. Die Bundesregierung lässt hier eine bedarfsgerechte Schwerpunktsetzung ver- missen. Denn die Bedeutung psychischer Erkrankungen innerhalb der Bundeswehr ist trotz sinkenden Streitkräf- teumfangs deutlich gestiegen. Daher muss die Bundesre- gierung den wirklichen Bedarf ermitteln und die Be- handlungskapazitäten dementsprechend anpassen. Ferner liegt die Zahl der gemeldeten und statistisch erfassten PTBS-Erkrankungen in den deutschen Streit- kräften bei circa 1 Prozent und damit auffällig niedrig. Mit circa 4 bis 5 Prozent liegt dieser Wert in den Streit- kräfteverbänden anderer Staaten weitaus höher, wie Stu- dien aus den USA, den Niederlanden und den skandina- vischen Ländern belegen. Daher kann eine hohe Dunkelziffer an PTBS-Betroffenen unter den Bundes- wehrsoldaten angenommen werden. Gründe für ein Ver- schweigen der Erkrankung können unter anderem die Furcht der betroffenen Soldaten vor Stigmatisierung und Laufbahnnachteilen sein. Daher ist es in Zukunft wich- tig, Verfahren zu etablieren, durch die den Betroffenen auch rasche anonyme Hilfe gewährleistet werden kann. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, Bera- tungsangebote einzurichten, die von PTBS-Betroffenen anonym in Anspruch genommen werden können. Dazu sollte aus unserer Sicht eine 24-Stunden-Hotline und ein anonymer 24-stündiger psychologischer Bereitschafts- dienst für die Soldatinnen und Soldaten gehören. Die Vermeidung und Behandlung von PTBS-Erkran- kungen wird zukünftig einen wichtigen Bereich der mili- tärisch-medizinischen Versorgung unserer Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz darstellen. Daher sollte ein „Kompetenzzentrum“ für PTBS an einem der Bundes- wehrkrankenhäuser eingerichtet werden, in dem Aufklä- rungs- und Forschungsarbeit zusammenlaufen können. Dies könnte auch den Wissenstransfer und Erfahrungsaus- tausch zwischen deutschen Bundeswehrärzten und Medi- zinern aus anderen internationalen Streitkräfteverbänden verbessern. Ohne Zweifel haben insbesondere unsere amerikanischen Partner langjährige und schmerzhafte Er- fahrungen in diesem Bereich sammeln können, die wir nutzen sollten. Ferner besteht so die Möglichkeit, dass dort Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Kom- mandeure, Einheitsführer und Betriebsärzte besser gebün- delt und veranstaltet werden können. Die medizinisch-psychische Versorgung für die Sol- datinnen und Soldaten muss den neuen Einsatzrealitäten angepasst werden. Die Erfüllung der Fürsorgepflicht er- fordert ein umfassendes Gesamtkonzept hinsichtlich der Vorsorge, Behandlung und Nachsorge von Posttraumati- schen Belastungsstörungen. Die hier bestehenden Defi- zite müssen durch die Bundesregierung schnellstmöglich ausgeräumt werden. Daher bitten wir um Unterstützung unseres Antrages zum Wohle unserer Soldatinnen und Soldaten. Inge Höger (DIE LINKE): Die Mehrheiten im Bun- destag haben sich seit Anfang der 1990er-Jahre dafür entschieden, aus der Bundeswehr eine „Armee im Ein- satz“ zu machen. Wer Soldatinnen und Soldaten in mehr Regionen und in immer gefährlicheren Situationen ein- setzt, der kalkuliert auch Opfer ein: Opfer unter der Zi- vilbevölkerung im Einsatzgebiet, aber auch Opfer bei den Bundeswehrangehörigen. Neben Toten und Men- schen mit physischen Verletzungen gibt es vermehrt auch psychische Schäden. Seit den Auslandseinsätzen in den 90er-Jahren traten immer mehr Posttraumatische Belastungsstörungen – PTBS – auf. Seelische Verletzungen und psychologische Erkran- kungen gefährden und belasten zurückkehrende Solda- tinnen und Soldaten, deren Angehörige und ihre soziale Umgebung. Obwohl dieses Problem aus anderen Län- dern längst bekannt ist und spätestens seit den Balkan- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15975 (A) (C) (B) (D) einsätzen auch in Deutschland nicht mehr zu übersehen war, wurde es dennoch weitgehend ignoriert. Leider unterblieb bisher die Entwicklung eines umfas- senden Betreuungs- und Rehabilitationskonzepts für ein- satzbedingte psychische Erkrankungen. Die Probleme der Soldaten und Soldatinnen nach der Rückkehr aus dem Auslandseinsatz wurden nicht in ausreichendem Maße ernst genommen. Der Fokus beim Umgang mit PTBS lag bis jetzt meist auf der Sicherstellung der Erfül- lung des militärischen Auftrags. Wegen PTBS wurden in den Jahren von 1995 bis 2006 rund 640 Soldaten in Bun- deswehrkrankenhäusern behandelt. Das ist ungefähr 1 Pro- zent der Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland wa- ren. Experten schätzen die Zahl behandlungsbedürftiger psychischer Störungen bei den Rückkehrerinnen und Rückkehrern auf 10 bis 20 Prozent. Diese Größenord- nungen sind auch aus anderen Staaten mit Truppen in vergleichbaren Einsätzen bekannt, wie etwa in den Nie- derlanden oder Schweden. Um bessere Hilfe und Vorbeugung zu ermöglichen fordert Die Linke unter anderem eine umfassende Be- darfsermittlung für Betreuungs- und Behandlungskapazi- täten. Direkt Hilfe für Betroffene und Angehörige kann eine Hotline bieten. Dieses Modell hat sich bei den nie- derländischen Streitkräften bereits bewährt. Auch aus- scheidende und bereits ausgeschiedene freiwillige Wehr- dienstleistende genauso wie Soldatinnen und Soldaten auf Zeit und Berufssoldatinnen und -soldaten müssen in die Hilfen einbezogen werden. In allen Bundeswehrkran- kenhäusern sollen Psychotraumazentren für die statio- näre Behandlung mit ausreichender Bettenzahl einge- richtet werden. Grundsätzlich gilt jedoch: Solange sich die Bundeswehr weiterhin an militärischen Interventio- nen beteiligt, wird es trotz aller Präventionsmaßnahmen weiter zu PTBS bei Soldatinnen und Soldaten kommen. Den Forderungen des FDP-Antrages kann ich mich weitgehend anschließen. Im Gegensatz zur FDP sieht Die Linke in den Auslandseinsätzen jedoch keine we- sentliche strategische Aufgabe der Bundeswehr. Der An- trag der Fraktion Die Linke verbindet die Forderung nach einer umfassenden Hilfe und Vorbeugung von PTBS-Erkrankungen mit einer klaren Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Für diesen Antrag bitten wir – auch im Interesse der Soldatinnen und Sol- daten sowie der Angehörigen – um Unterstützung. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Auslandseinsätze der Bundeswehr dienen alle der Kriegs- und Gewalteindämmung im Auftrag der Verein- ten Nationen. Die völkerrechtliche Legalität und sicher- heitspolitische Notwendigkeit solcher Einsätze gegen den Krieg ändert nichts daran, dass sie mit erheblichen physischen und psychischen Belastungen für die Solda- tinnen und Soldaten einhergehen. Im Einsatz müssen sie mit der Gefahr von Anschlägen und Minen leben, im schlimmsten Fall gar mit Tod oder Verwundung rechnen, aber auch die ständige soziale Kontrolle oder die feh- lende Intimsphäre im Einsatz sowie die Trennung von der Familie, Probleme mit den Kindern oder dem Partner bzw. der Partnerin werden von den Soldaten und Solda- tinnen als erhebliche, manchmal extreme Belastung er- lebt. Soldaten und Soldatinnen müssen mit diesen Belas- tungen umgehen und sie bewältigen können. Die erste Unterstützung dabei muss von der jeweili- gen soldatischen Einheit und den unmittelbaren mili- tärischen Vorgesetzen kommen: ein Gruppenklima von Solidarität und Offenheit, das Rückhalt gerade in Kon- fliktsituationen gibt und wo Probleme, Ängste und psy- chische Belastungen nicht als Schwächen abgekanzelt werden. Das Notwendige ist aber längst nicht hinrei- chend. Es braucht genauso eine angemessene Ausbil- dung in Stressbewältigungsstrategien und ein Netz zur psychosozialen Betreuung, Begleitung und Beratung. Deshalb ist es richtig, dass in den vergangenen Jahren die Einsatzvorbereitung, -begleitung und -nachberei- tung sukzessive ausgebaut und verbessert wurde. Auch die verbesserten Reintegrationsangebote für Soldaten und Soldatinnen sowie ihre Angehörigen nach der Rück- kehr aus dem Einsatzland sind positiv. Im Bereich Prävention ist bereits Vieles geschehen. Das reicht aber längst nicht aus. Gerade im Zusammen- hang mit posttraumatischen Belastungsstörungen müs- sen wir endlich vorankommen. Mit der Verschärfung der Einsatzbedingungen kommen zunehmend mehr Soldaten und Soldatinnen mit psychischen Problemen aus Aus- landseinsätzen zurück. Die Zahl der Soldaten und Solda- tinnen mit posttraumatischen Belastungsstörungen hat sich in den vergangen Jahren nahezu verdreifacht. Waren 2003 noch 48 Soldaten und Soldatinnen mit PTBS in Be- handlung, so waren es 2005 bereits 146 Fälle. Insgesamt sind laut jüngstem Bericht des Wehrbeauftragten bisher rund 700 Soldaten und Soldatinnen mit der Diagnose „PTBS“ nach einem Auslandseinsatz behandelt worden. Das verbreitetste Symptom sind Flashbacks, plötzliche, quälend echte Erinnerungen an das traumatisierende Geschehen. Sie können sich verschieden äußern. Die Be- troffenen leiden unter Schlafstörungen und Konzentra- tionsschwierigkeiten. Sie sind oft reizbar und neigen zu Wut-, manchmal auch zu Gewaltausbrüchen. Depressio- nen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch können die Folge sein. Ursache des Traumas sind drama- tische Erlebnisse, die Konfrontation mit Tod und Ver- wundung, das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit, Situationen, wie sie in den internationalen Einsätzen der Bundeswehr zur Friedenssicherung immer häufiger vor- kommen. Trotz des Anstieges an posttraumatischen Belastungs- störungen hat das Verteidigungsministerium den Ernst der Lage noch nicht hinreichend erkannt. Man beruhigt sich damit, dass die bisherigen 700 Betroffenen nicht einmal ein Prozent der zurückgekehrten Soldaten und Soldatinnen darstellen. Im Vergleich zu den US-ameri- kanischen oder britischen Streitkräften ist diese Zahl tat- sächlich vergleichsweise gering. Die Dunkelziffer für die Bundeswehr liegt laut Expertenmeinung jedoch um ein Mehrfaches höher. Auch der Wehrbeauftragte geht davon aus, dass die Anzahl der Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen mit posttraumatischen Belastungsstörungen vier Mal so hoch ist. Das liegt zum einen daran, dass die Statistik weder die Reservisten noch die freiwillig Län- gerwehrdienstleistenden erfasst, die nach Ende des Aus- 15976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) landseinsatzes aus der Bundeswehr ausgeschieden sind. Es liegt zum anderen auch daran, dass die Symptome oft erst mit deutlicher Zeitverzögerung nach Monaten oder manchmal gar nach Jahren auftreten oder aber sich die Betroffenen aus Angst vor Stigmatisierung und Karriere- nachteilen, wenn überhaupt, dann erst sehr spät melden. Der Zunahme an PTBS-Fällen nach Auslandseinsät- zen stehen die zu geringe Anzahl hauptamtlicher Trup- penpsychologen sowie ärztlicher Psychotherapeuten ge- genüber. Das ist nicht hinnehmbar. Der Wehrbeauftragte fordert zu Recht, dass zur Erkennung und Behandlung von PTBS qualifiziertes Personal bereits vor Ort im Ein- satz notwendig ist. Eine schnelle Reaktion auf extreme Grenz- und Gewalterfahrungen kann dazu beitragen, psychische Belastungen abzumildern. So genannte Peers sind als Ansprech- und Gesprächspartner deshalb hilf- reich und notwendig. Sie sind aber ebenso wenig wie die Truppenpsychologen für die Behandlung ausgebildet. Das können nur Mediziner und Medizinerinnen mit ent- sprechender Ausbildung in der Psycho-Traumatologie. Hier muss viel mehr getan werden. Mit der bisherigen geringen Anzahl an Dienstposten für ärztliche Psycho- therapeuten an den Bundeswehrkrankenhäusern ist das nicht zu machen. Sie fehlen dort bereits jetzt. Deshalb halte ich viele Forderungen in den Anträgen der FDP und der Linken, wie den Ausbau der Betreuungs- und Behandlungskapazitäten für PTBS-Betroffene oder auch die Einrichtung eines Kompetenz- und Forschungszen- trums zur Behandlung von PTBS, für richtig und not- wendig. Ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen hätte diesen Forderungen mehr Gewicht verleihen können. Im Laufe der weiteren parlamentarischen Beratungen be- steht aber immer noch die Möglichkeit, zu einem frak- tionsübergreifenden Beschluss zu kommen. Im Sinne der betroffenen Menschen wäre das wünschenswert. Un- abhängig davon wäre aber auf jeden Fall die Bildung ei- ner Berichterstattergruppe des Verteidigungsausschusses zur PTBS-Problematik angebracht. Abschließend möchte ich einen weiteren wichtigen Aspekt im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrun- gen ansprechen: Als erstes stehen Politiker und Parla- ment in der Verantwortung, jeden Einsatz von Streitkräf- ten sorgsam abzuwägen. Die Soldatinnen und Soldaten müssen dem Auftraggeber Politik begründet vertrauen können. Das ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, Einsatzbelastungen bewältigen zu können. Wenn die Politik Soldatinnen und Soldaten in gefähr- liche Einsätze schickt, dann müssen wir uns auch über die Konsequenzen im Klaren sein. Nicht zuletzt geht es dabei immer auch um so zentrale Fragen wie die nach den Auswirkungen von Einsatzerfahrungen auf die Sol- datinnen und Soldaten und wie sie sich mit diesen nach der Rückkehr aus dem Einsatz in unserer Gesellschaft wieder integrieren können. Diejenigen, die im Sinne des Friedensauftrages des Grundgesetzes einen wichtigen Beitrag zur kollektiven Friedenssicherung leisten, haben daher jedes Recht auf entsprechende Präventions- und Unterstützungsmaßnahmen. Das ist politische Maßgabe. Ebenso wenig dürfen wir jedoch die Menschen in den Ländern und Regionen, in denen die Bundeswehr einge- setzt ist, aus dem Blick verlieren. Sie sind durch Krieg, Vertreibung und massive Menschenrechtsverletzungen meist selbst schwer belastet und traumatisiert. Wer vor Ort in Krisenregionen war, weiß nur allzu gut, dass es ohne eine Stärkung der Zivilgesellschaft, ohne Wahr- heitsfindung, Versöhnung und soziale Neuordnung kei- nen nachhaltigen Frieden geben kann. Entscheidend ist dafür auch die Integration ehemaliger Soldaten und Kriegsveteranen. Auch sie müssen mit ihren Erfahrun- gen und Erlebnissen einen entsprechenden Ort in den Gesellschaften finden können. Sonst bleibt das Gewalt- potenzial enorm. Im Bereich der Versöhnungsarbeit leis- ten gerade kleine, aber wichtige Projekte des Zivilen Friedensdienstes – ZFD – mit wenig Personal und Mit- teln Enormes. Deshalb ist es ausgesprochen kurzsichtig und unklug, wenn solche Ansätze und Projekte nur in der Dimension „Tropfen auf dem heißen Stein“ gefördert werden. Und ausgesprochen destruktiv ist, dass be- währte ZFD-Projekte zur Integration ehemaliger Kämp- fer in Serbien und Bosnien-Herzegowina seitens der Bundesregierung keine Unterstützung mehr bekommen sollen. In Zeiten der viel beschworenen „vernetzten Sicherheit“ ist das in keiner Weise nachvollziehbar. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Keine EU-Export- subventionen für Schweinefleisch in Entwick- lungsländer (Tagesordnungspunkt 22) Anette Hübinger (CDU/CSU): Seit dem 30. Novem- ber 2007 werden von der Europäischen Union wieder Ex- porterstattungen für Schweinefleischteile – zu welchen beispielsweise Schlachthälften, Teilstücke und Schweine- bäuche zu zählen sind – gewährt. Diese Verordnung geht auf eine Initiative der Europäischen Kommission zurück und wurde im zuständigen Verwaltungsausschuss von den EU-Mitgliedstaaten Ende vergangenen Jahres beschlos- sen. Seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung können Ausfuhren von Schweinefleisch in alle Staaten außer- halb der EU mit bis zu 54 Euro pro 100 Kilogramm sub- ventioniert werden. Eine Entscheidung, die kurz vor Abschluss der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwi- schen der EU und den AKP-Staaten getroffen wurde, die aus entwicklungspolitischer Sicht und den damit verbun- denen Bemühungen, Agrarsubventionen abzubauen, auf den ersten Blick befremdlich und kontraproduktiv er- scheint. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert im vor- gelegten Antrag einerseits, die Festsetzung von Export- erstattungen für Schweinefleisch rückgängig zu machen, und andererseits, auf Exportsubventionen für Agrarpro- dukte in Entwicklungsländer grundsätzlich zu verzich- ten. Ein Petitum der Entwicklungsländer, mit dem sich die WTO seit längerem auseinandersetzt. In meinen Au- gen sprechen Sie in Ihrem Antrag, sehr geehrte Kolle- ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, auf der einen Seite richtigerweise die entwicklungspolitische Relevanz der Wiedereinführung von Exporterstattungen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15977 (A) (C) (B) (D) für Schweinefleisch an, auf der anderen Seite ignorieren Sie aber weitgehend die agrar- bzw. außenhandelspoliti- sche Dimension dieser Entscheidung. Es wird deutlich, dass Sie die vorliegende Problematik zu einseitig be- trachten, und dies wird einer umfassenden Analyse zur Notwendigkeit bzw. zu den Auswirkungen der Export- subventionierung von Schweinefleisch nicht gerecht. Unstrittig ist, dass in der EU eine schwierige Marktlage und ein damit verbundener Preisdruck auf Schweine- fleisch zu konstatieren ist. Dieser Entwicklung entge- genzuwirken, war unausweichlich. Die zuvor einge- führte Regelung zur privaten Lagerhaltung war der erste Schritt. Im Rahmen dieser Maßnahme werden für die private Lagerhaltung je nach Teilstück und nach Mona- ten gestaffelte Zahlungen gewährt, um das Missverhält- nis von zyklusbedingten niedrigen Schweinefleischprei- sen und steigenden Futtermittelkosten auszugleichen. Diese bis Ende Juni 2008 verlängerte Maßnahme hat maßgeblich dazu beigetragen, den Markt zu entlasten. Sie reicht jedoch allein nicht aus, um die schwierige Marktlage zu bereinigen. Die Wiedereinführung der Ex- porterstattungen ist somit als weiterführende Maßnahme anzusehen, um die nicht zu verleugnenden Martkschwie- rigkeiten in Bezug auf Schweinefleisch zu bewältigen. Weiterhin darf in diesem Zusammenhang nicht ver- gessen werden, dass sich die europäischen Bauern im in- ternationalen Agrarmarkt bewegen. So ist Deutschland nach den USA, Frankreich und den Niederlanden viert- größter Agrarexporteur der Welt. Im Bereich Schweine- fleisch ist Deutschland sogar europaweit führend. Der starke Rückgang des US-Dollars bzw. der steigende Wert des Euros in den vergangenen Monaten hatte aller- dings zur Folge, dass die europäischen Schweinefleisch- exporteure gegenüber ihren internationalen Konkurren- ten – zum Beispiel Brasilien, Kanada und den USA – mehr und mehr an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Auch als Reaktion auf diese Problematik war die Wiederein- führung der Exporterstattungen für Schweinefleisch not- wendig. Nicht zuletzt deuten die erzielten Exporterfolge nach Russland oder China darauf hin, dass das Instru- ment der Exportförderung greift und solange die interna- tionalen Hauptkonkurrenten im Bereich des Agrarsek- tors mit Subventionen arbeiten, wäre es vonseiten der EU fahrlässig, die europäischen Schweinefleischprodu- zenten mit ungleichen Mitteln auf dem internationalen Agrarmarkt antreten zu lassen. Im Hinblick auf die ent- wicklungspolitische Dimension muss die Thematik äu- ßerst differenziert betrachtet werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der Beschluss zur Wiedereinführung von Exportsubventionen für Schweinefleisch in alle Länder außerhalb der EU WTO-rechtlich im Rahmen der erlaubten Möglichkeiten liegt. Die WTO-Ministerin- nen und -Minister einigten sich zwar 2005 in Hongkong auf eine Abschaffung der Exportsubventionen bis Ende 2013, allerdings tritt dieser Beschluss erst infolge eines Endergebnisses der Doha-Welthandelsrunde in Kraft. Seit Herbst 2007 wird – im Besonderen im Agrarbereich – fieberhaft nach Kompromissen gesucht, die auch den Abbau jeglicher Formen von Exportunterstützung be- treffen. Die EU hat im Laufe der Verhandlungen deutlich ihre Kompromissbereitschaft zum Ausdruck gebracht, und mit Blick auf eine Einigung bin ich optimistisch, dass sich ein tragfähiger Kompromiss auf Basis des Vor- schlags von Botschafter Falconer durchsetzen wird. Bis die WTO-Verhandlungen abgeschlossen sind und die dann international geltenden Regelungen angewendet werden können, müssen nach meiner Ansicht andere Wege gefunden werden, um die Interessen der europäi- schen Agrar- bzw. Außenhandelspolitik mit den Forde- rungen der Entwicklungspolitik in Einklang zu bringen. In Europa haben wir uns für den Weg entschieden, in den WTO-konformen Wirtschaftspartnerschaftsabkom- men – EPAs – und Interimsabkommen die Zusammen- arbeit mit AKP-Staaten in Handelsfragen neu zu gestalten. Die abgeschlossenen EPAs beinhalten dabei zwingend Regelungen, welche Exportsubventionen vonseiten der EU – auch in Bezug auf Schweinefleisch – ausschließen. Auch einige abgeschlossene Interimsabkommen be- inhalten diese Regelung, wenn deren Aufnahme ge- wünscht wurde. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Schweinefleisch als sensibles Produkt zu klassifizieren. Somit greifen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten schon jetzt Re- gelungen auf, die für den im Rahmen der WTO abge- stimmten Welthandel noch in weiter Zukunft liegen und machen die Schutzdimensionen der so oft gescholtenen EPAs deutlich. Lassen Sie mich am Beispiel Afrikas verdeutlichen, um welche Größenordnungen es sich beim subventio- nierten Schweinefleischexport handelt. 1999 lag der subventionierte Export bei 50 Prozent. Bis heute ist er auf 5 Prozent zurückgegangen. Exporte nach Afrika – Hauptabnehmer sind dabei Angola und Südafrika – machen circa 3 Prozent aller EU-Exporte aus. Zudem importiert Südafrika hauptsächlich gefrorenes Fleisch und Angola vor allen Dingen Würste. Die neu eingeführ- ten Exporterstattungen von 0,31 Euro pro Kilo beziehen sich aber auf unverarbeitetes Schweinefleisch. Der ma- ximale Erstattungsbetrag von 0,54 Euro pro Kilo gilt da- gegen für gesalzene und getrocknete Ware – zum Bei- spiel Parma- und Serranoschinken – und besteht schon seit längerer Zeit. Die befürchtete Marktverdrängung einheimischer Kleinproduzentinnen und Kleinproduzen- ten kann nicht dadurch verhindert werden, dass sich die EU einseitig weltweit geltende Wettbewerbsbeschrän- kungen auferlegt und die Konkurrenten wie Brasilien und die USA weiterhin diese Märkte bedienen. Vielmehr muss die Entwicklungspolitik bis zu einer WTO-Rege- lung dafür Sorge tragen, die Wettbewerbsnachteile klein- bäuerlicher Schweineproduktion in Afrika als Folge fehlender Investitionen in die notwendigen Vermark- tungstrukturen vor Ort aufzuarbeiten. An diesem Punkt anzusetzen ist in meinen Augen erfolgversprechender, als ein europäisches Verbot von Exporterstattungen in Entwicklungsländer zu fordern, welches über die bereits eingegangenen und noch einzugehenden Verpflichtun- gen in den EPAs hinausgeht. Die Zusage der EU gegenüber den 78 AKP-Staaten bis 2013 alle Formen von Agrarsubventionen auslaufen zu lassen, gilt weiterhin. Die Bundesregierung und die 15978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Mitgliedstaaten der EU werden sich im Rahmen der WTO-Verhandlungen für eine schnelle Einigung einset- zen, die auch eine internationale Abschaffung jeglicher Formen von Exporterstattungen beinhaltet. Ohne die gleichen Spielregeln im internationalen Agrarmarkt ist es heute jedoch noch nicht möglich – auch im Interesse der europäischen Bauern – gänzlich auf Exportsubven- tionen für Agrarprodukte zu verzichten. Zumal die Ziel- richtung der Maßnahme vor allem auf den russischen Markt ausgerichtet ist. Dieser Aspekt, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen von Bündnis 90/Die Grünen, fehlt in Ihrem Antrag gänzlich. Des Weiteren verkennen Sie in Ihrem Antrag, dass für die AKP-Staaten mit den EPAs bzw. Interimsab- kommen Möglichkeiten vorliegen, schon jetzt – unab- hängig von den zukünftigen Ergebnisse der Doha-Welt- handelsrunde – Handelbeziehungen zur EU aufzubauen, welche Exporterstattungen vonseiten der EU ausschlie- ßen. Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Fraktion den Antrag der Bündnis 90/Die Grünen ab. Dr. Sascha Raabe (SPD): Der Antrag der Grünen geht dem Grunde nach in die richtige Richtung. 2005 hatte die EU im Rahmen der WTO-Welthandelsrunde in Hongkong zugesichert, ihre Exportsubventionen bis 2013 abzubauen. Wenn die EU jetzt im November ver- gangenen Jahres die Wiedereinführung von Exporterstat- tungen für unverarbeitetes Schweinefleisch beschlossen hat, dann kann man nicht sagen, dass das mit der in Hongkong eingeschlagenen Richtung in Einklang zu bringen wäre. Bei allem Verständnis für die schwierige Lage auf dem Schweinefleischmarkt, die offenbar Hilfe- leistungen seitens der EU erforderlich gemacht hat, bleibt doch festzuhalten, dass der Griff in die Subventi- onsschatulle der falsche Weg ist. Nun ist es beim Schweinefleisch so, dass die subven- tionierten Exporte zu weiten Teilen nach Russland, Ja- pan und Osteuropa und nur in äußerst geringem Maße in Entwicklungsländer gehen. Allein auf Russland entfal- len 32 Prozent der gesamten EU-Schweinefleischex- porte. Der Anteil des nach Afrika exportierten Schwei- nefleisches beträgt dagegen weniger als 3 Prozent der gesamten Exportmenge. Davon geht das meiste Fleisch nach Angola, ein kleiner Rest überwiegend nach Süd- afrika. Europa exportiert somit mehr Schweinefleisch nach Kroatien als insgesamt in Entwicklungsländer. In- sofern würde ich auch die Lage bei den Exporterstattun- gen für Schweinefleisch nicht ganz so schwarzsehen, wie das im Antrag der Grünen dargestellt wird. Die Aus- wirkungen für die Bauern in Afrika werden voraussicht- lich kaum spürbar, Märkte in Entwicklungsländern so gut wie nicht beeinträchtigt sein. Zudem kann man die Hoffnung haben, dass sich der saisonal schwankende Schweinefleischmarkt in Europa wieder erholt und die Exporterstattungen schnell wieder zurückgefahren wer- den können. Dennoch halte ich es für richtig, dass man sich jede Subvention, die entgegen der Aussagen von Hongkong heimlich durch die Hintertür wieder eingeführt wird, ge- nau anschaut. So gesehen ist der Grünen-Antrag zu- nächst einmal ein dankenswerter Beitrag. Wir müssen jetzt darauf achten, dass die Schweinefleischsubventio- nierung nicht lediglich der Auftakt für weitere Stützun- gen auch in anderen Bereichen ist und so ein erfolgrei- cher Abschluss der Doha-Runde gefährdet wird. Wir werden also Herrn Seehofer und seinen europäischen Kollegen genau auf die Finger schauen. Beim Schweinefleisch werden wir Minister Seehofer beim Wort nehmen, wenn er sagt, dass die Exporterstat- tungen lediglich der Überbrückung der aktuell schwieri- gen Lage dienen sollen. Es kann jedenfalls nicht sein, dass das, was in zähen Verhandlungen 2005 durchgesetzt worden ist, jetzt wieder infrage stehen soll. Der Be- schluss von Hongkong, die Exportsubventionen bis 2013 zu beenden, war ein Erfolg und hat uns dem Ziel, den Welthandel gerechter zu gestalten, ein kleines Stückchen näher gebracht. Sicher hätte man sich einen früheren Ausstieg aus dem europäischen Subventionswahnsinn gewünscht. Das war aber leider nicht durchzusetzen. Es wird also noch eine Weile dauern, bis die Export- subventionen auslaufen, aber immerhin ist ein Ende in Sicht. Dann werden hoffentlich die zahllosen Negativbei- spiele für die schlimmen Folgen europäischer Agrarex- portsubventionen Geschichte sein. So bedroht beispiels- weise nach wie vor in Burkina Faso subventioniertes Milchpulver aus Europa die Existenz vieler Milchbauern, die gegen die Dumpingpreise nicht konkurrieren können. Europäisches Milchpulver ist dort pro Liter weniger als halb so teuer wie ein Liter einheimische Frischmilch. Den Luxus, das heimische Produkt zu kaufen, wird sich in Burkina Faso kaum jemand leisten können. Ähnliches gilt für den Geflügelmarkt. Hähnchenteile, die sich in Eu- ropa nicht verkaufen lassen, werden tiefgefroren nach Af- rika verschifft. Dort werden sie – Subventionen sei dank – zu Schleuderpreisen unters Volk gebracht. Viele Fami- lien, die von der Hühnerhaltung gelebt haben, haben so ihre Existenz verloren. Wohlgemerkt sind es beim Hühn- chenfleisch nicht die Exportsubventionen, sondern die in- ternen Stützungen des Getreides und somit des Hühner- futters, die neben dem europäischem Konsumverhalten für diese Verzerrungen verantwortlich sind. Wir sehen die Folgen dieser verqueren Subventions- politik nicht nur im Nahrungsmittelsektor, sondern auch in anderen Bereichen und mit anderen Protagonisten. In Westafrika hängt das Leben von 15 Millionen Kleinbau- ern von der Baumwollproduktion ab. In den USA hinge- gen gibt es nur ein paar Tausend Baumwollfarmer. Trotzdem erhalten diese paar Tausend Farmer 5 Milliar- den US-Dollar an Subventionen pro Jahr. In den USA wird jedes Kilo Baumwolle allein mit 50 Cent subven- tioniert, während in Benin ein Farmer ein Kilo Baum- wolle überhaupt nur für 40 Cent verkaufen kann. Diese Bauern haben kaum eine Chance, ihre Ware auf dem Weltmarkt zu fairen Bedingungen zu verkaufen. Ebenso wie Europa müssen also auch die USA ihre Subventions- politik dringend überprüfen. Die OECD-Staaten haben im vergangenen Jahr 349 Milliarden US-Dollar an Subventionen im Agrarsektor ausgezahlt. Das ist verhee- rend. Im Vergleich dazu beträgt übrigens die gesamte öf- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15979 (A) (C) (B) (D) fentliche Entwicklungszusammenarbeit aller OECD-Län- der zusammen nicht einmal ein Drittel dieser Summe. Für die AKP-Staaten sind die noch immer laufenden EPA-Verhandlungen ein Hoffnungsschimmer. In den Ab- kommen wird festgeschrieben, dass für die Produkte, die liberalisiert werden, keine Exportsubventionen mehr ge- zahlt werden. Man kann also nur hoffen, dass die bislang abgeschlossenen Interimsabkommen schnellstmöglich in eine endgültige, nachhaltig entwicklungsorientierte Form gebracht werden. Zahlreiche Exportstützungen könnten dann bereits vor dem Endzeitpunkt 2013 zumindest in diesen Regionen als erledigt betrachtet werden. Wir brauchen wirkliche Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen zwischen der EU und den AKP-Staaten. Die Betonung liegt hier eindeutig auf dem Begriff „Partner- schaft“. Nachdem Ende vergangenen Jahres nicht zuletzt durch die Art der Verhandlungsführung auf europäischer Seite einiges an Porzellan zerbrochen wurde, müssen die Verhandlungen nun auf Augenhöhe und im gegenseiti- gen Einverständnis weitergeführt werden, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Von einem fairen Welthandel, von einer gerechten Gestaltung der Globalisierung werden wir alle profitieren. Wir werden uns daher weiter dafür einsetzen, der unsinnigen Sub- ventionspolitik ein Ende zu bereiten. Das, was Ende No- vember in Brüssel für den Export von Schweinfleisch entschieden wurde, ist Politik von gestern. Manfred Zöllmer (SPD): Die Lage auf dem Markt für Schweinefleisch ist weiterhin sehr angespannt. Die Preise sind in den letzten Wochen zwar leicht gestiegen, sie decken aber nicht die bei der Produktion entstande- nen Kosten. Am stärksten betroffen sind die Ferkeler- zeuger. Die Ferkelpreise bewegen sich schon seit gerau- mer Zeit auf einem sehr niedrigen Niveau. Ursächlich für diese Entwicklung sind die stark gestiegenen Futter- mittelpreise und das, was in der ökonomischen Theorie zutreffend als „Schweinezyklus“ bezeichnet wird. Die deutsche Schweinewirtschaft ist für die Landwirt- schaft insgesamt von großer Bedeutung. Deutschland ist vom Nettoimporteur von Schweinefleisch zu einem Net- toexporteur geworden. Unsere Zielsetzung bleibt auch weiterhin eine Stärkung des Veredelungsstandortes Deutschland. Von daher darf uns diese Entwicklung nicht gleichgültig lassen. Die Strategie der Bundesregierung, den Absatz für die Erzeugung im stärkeren Maße im Export zu finden, ist grundsätzlich richtig. Die verbesserte Marktöffnung in Richtung Russland und China hat zu einer Entlastung auf den Märkten beigetragen. Die Exportmöglichkeiten nach Japan und Südkorea zu verbessern, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir unterstützen die Bundesre- gierung nachdrücklich bei diesen Bemühungen. Die von der EU eingeleitete Maßnahme, in Deutsch- land bis zu 13 000 Tonnen Schweinefleisch im Rahmen der privaten Lagerhaltung vom Markt zu nehmen, ist richtig. Dies trägt zu einer deutlichen Entlastung auf dem Markt für Schweinefleisch bei. Dieses Instrument sollte von den Marktteilnehmern auch entsprechend ge- nutzt werden. Zusätzlich wurde von der Kommission beschlossen, Exporterstattungen für unverarbeitetes Schweinefleisch in Höhe von 31,10 Euro je 100 kg einzuführen. Nach den geltenden WTO-Regeln kann die EU pro Jahr insge- samt 588 000 Tonnen Schweinefleisch mit Exporterstat- tungen exportieren. Bisher wurde die Quote zu rund 40 Prozent ausgenutzt. Diese Exportsubventionen sind staatliche Leistungen mit dem Ziel, preisgünstigere Exporte zu ermöglichen. Die Exporteure erhalten dadurch einen Wettbewerbsvor- teil gegenüber Anbietern aus anderen Ländern. Export- subventionen sind seit langer Zeit heftig umstritten. Sie verzerren internationale Preisrelationen und haben häu- fig schädliche Auswirkungen für lokale Erzeugermärkte. Eine ganze Reihe von Entwicklungsländern haben sich zu Recht über die negativen Auswirkungen von Export- erstattungen beklagt. Es gibt viele Beispiele dafür, dass lokale Märkte, besonders in Afrika, nachhaltig beschä- digt wurden. Die Auswirkungen für die lokalen Erzeuger und die Nahrungsmittelversorgung waren teilweise ex- trem negativ, sinkende Einkommen und steigende Armut häufig die Folge. Die EU hat deshalb bei den WTO-Verhandlungen in Hongkong im Rahmen der laufenden Doha-Runde die Abschaffung aller handelsverzerrenden Exportsubven- tionen für landwirtschaftliche Güter bis 2013 angeboten. Dieses Angebot war verbunden mit der Forderung, par- allel alle Exportförderinstrumente, auch durch Staats- handelsunternehmen, sowie die Nahrungsmittelhilfe zur Überschussbeseitigung abzuschaffen. Ziel war es, den Entwicklungsländern im Rahmen der Doha-Entwick- lungsrunde entgegenzukommen und faire Handelsbedin- gungen für landwirtschaftliche Produkte zu schaffen. Das jetzt zusätzlich angewandte Instrument der Ex- porterstattung für Schweinefleisch ist deshalb ein Rück- fall in längst überwunden geglaubte Zeiten handelsver- zerrender Praktiken. Das Versprechen der EU bei den Verhandlungen in Hongkong muss eingehalten werden. Dies gilt auch dann, wenn die Exporte von Schweine- fleisch in Entwicklungsländer, insbesondere in afrikani- sche Länder, sich auch jetzt auf einem niedrigen Niveau bewegen. Es bleibt ein falsches Signal. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen formuliert zu Recht Kritik am Verhalten der Kommission. Es gibt Al- ternativen zu diesem Instrument. Eine verstärkte Export- förderung ohne Exporterstattungen ist möglich; das hat die Bundesregierung mit ihren Initiativen in Richtung Russland, China, Japan und Südkorea gezeigt. Der An- trag der Grünen beschränkt sich allerdings nicht auf Ex- porterstattungen. In der Antragsbegründung wird ein un- qualifizierter Rundumschlag gegen die Produktion von Schweinefleisch in Deutschland gestartet. Dies hat mit dem eigentlichen Sachverhalt nichts zu tun. Wir werden deshalb den Antrag ablehnen. Hellmut Königshaus (FDP): Es ist sehr bedauer- lich, dass wir dieses wichtige Thema erst zu so später 15980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) Stunde im Parlament debattieren können. Es ist schade, dass der Koalitionsmehrheit in diesem Hause augen- scheinlich die Sensibilität für dieses wichtige Thema fehlt. Das Thema der EU-Exportsubventionierungen ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Verbraucher in Europa, vor allem aber auch für die Produzenten in Ent- wicklungsländern. Überhaupt: Es mutet schon merkwürdig an, dass wir über das Thema „EU-Exportsubventionen für Schweine- fleisch“ in Zeiten von steigenden Nahrungsmittelpreisen noch diskutieren müssen. Subventionen sind schon an sich ein Übel. Aber diese Subventionen sind in Zeiten steigender Nahrungsmittelpreise nun wirklich völlig überholt. Milch, Brot, Fleisch – alles wird bei uns teurer. Und dazu trägt die EU mit ihrer Förderpolitik auch noch bei, indem sie mit viel Geld in Europa hergestellte Lebens- mittel auf dem Weltmarkt geradezu verschleudert. Die Hälfte des EU-Haushalts geht für Agrarsubventionen drauf. Jedes Jahr werden mehr als 900 Millionen Euro nur dafür ausgegeben, dass zum Beispiel Milch, Ge- treide, Geflügel, Schweine- und Rindfleisch zu billigsten Preisen außerhalb der EU abgesetzt werden. Allein für Getreide plant die EU-Kommission 62 Millionen Euro Fördermittel ein. Und für Zucker sollen noch einmal 440 Millionen Euro dazu kommen. Für Milch und Milcherzeugnisse sind es 276 Millionen, für Geflügel 91 Millionen Euro. Und die Liste geht noch weiter. Die Verbraucher zahlen dabei doppelt: Erst mit den Steuern für die Subventionen und dann an der Kasse für überteu- erte Lebensmittel. Die Welthandelsorganisation sagt, dass EU-Exportsubventionen den Weltmarkt kaputtma- chen und verhindern, dass ärmere Länder am Markt be- stehen können. Zu Recht. Mit den niedrigen Preisen kön- nen die Produzenten in den Entwicklungsländern nicht mithalten. Aus Verantwortung gegenüber den Verbrau- chern und Solidarität mit den Ländern der Dritten Welt gehören die Exportsubventionen für Lebensmittel abge- schafft. Wir haben schon früh Vorschläge gemacht, diese dop- pelte Verschwendung und Marktverzerrung zu beseiti- gen. Unser Modell der Kulturlandschaftsprämie wurde schon auf dem FDP-Bundesparteitag 2001 einstimmig beschlossen. Kernpunkt des Modells ist die Stärkung der unternehmerischen Landwirtschaft durch eine Entkoppe- lung der Prämien von der Produktion. Landwirte sollen für ihre Leistungen zur Pflege und für den Erhalt der Kulturlandschaft honoriert werden. Landwirte produzie- ren für die nachfragenden Märkte unter Einhaltung der Fachgesetze im Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz. Dadurch würde Bürokratie abgebaut, Überschüsse wür- den verringert und notwendige entwicklungs- und han- delspolitische Korrekturen vorgenommen sowie der EU- Haushalt deutlich entlastet. Das FDP-Modell einer Kul- turlandschaftsprämie wurde mit der Umsetzung der EU- Agrarreform 2005 in Deutschland und der Europäischen Union verwirklicht. Damit hat die FDP mit ihrem Mo- dell den Grundstein für eine marktwirtschaftlichere Aus- richtung der Gemeinsamen Agrarpolitik gelegt. Die FDP-Fraktion setzt sich vor diesem Hintergrund für die Abschaffung der EU-Exportsubventionen ein, insbeson- dere weil diese zu massiven Handelsverzerrungen vor al- lem gegenüber Entwicklungsländern führen. Darunter leiden dort insbesondere deren Landbevölkerung und die kleinbäuerlichen Betriebe, die auf den Export von agra- rischen Rohstoffen und den damit verbundenen Einnah- men besonders angewiesen sind. Freier Handel ist fairer Handel. Von einem freien Handel profitieren vor allem die Entwicklungsländer und die kleinbäuerliche Land- wirtschaft. Deshalb ist es aus agrar- und entwicklungs- politischer Sicht wichtig und notwendig, dass die lau- fende WTO-Runde zu einem weiteren Abbau des Agrarprotektionismus in allen beteiligten Ländern führt. Flankierend müssen die kleinbäuerlichen Betriebe in den Entwicklungsländern über die verschiedenen Entwick- lungshilfeorganisationen besonders unterstützt werden. Es ist also vollkommen klar, dass wir auch in diesem Einzelfall – der EU-Exportsubventionen für Schweine- fleisch – bei unserer Haltung bleiben werden: wir lehnen sie ab. Insofern sind wir mit dem Grundtenor des An- trags von Bündnis 90/Die Grünen einverstanden. Schwieriger wird es da schon mit der Forderung, die Exporterstattungen für Schweinefleisch rückgängig zu machen. Darüber werden wir im Ausschuss noch disku- tieren müssen, wie so etwas funktionieren soll. Aber es sei schon jetzt angemerkt, dass wir Rechtssicherheit und Verlässlichkeit nicht nur von den Regierungen der Ent- wicklungsländer verlangen dürfen, sondern dies vor allem auch selbst praktizieren müssen. Eine Rückab- wicklung staatlicher Fehlleistungen zulasten der daran unschuldigen Landwirte lehnen wir ab. Um die Krise am Schweinemarkt zu beheben, sind aus unserer Sicht marktwirtschaftliche Instrumente ge- eigneter. Dazu sind insbesondere die „hausgemachten“ Probleme, die mit der Setzung falscher Rahmenbedin- gungen durch die Bundesregierung zu tun haben, zu än- dern. Insbesondere die Kostentreiberei durch die Wettbe- werbsverzerrungen der Schweinehaltungsverordnung und den geplanten „Tierschutz-TÜV“ sind hier zu nen- nen. Wer wie die Bundesregierung eine innovations- feindliche Politik zulasten der Landwirtschaft und der Biotechnologie in Deutschland und Europa betreibt, darf sich auch nicht über teurere Futtermittel beklagen. Denn in den Hauptwettbewerbsländern der EU sind die Kosten für Futtermittel auch wegen der Nutzung neuer GVO- Sorten deutlich niedriger. Dieser Kostenvorteil für Land- wirte in den USA, Kanada und Brasilien wird durch die zögerliche Genehmigungspolitik der EU mit Unterstüt- zung der Bundesregierung verstärkt und macht bis zu 50 Euro je Tonne Futter aus, also ungefähr den Betrag, mit dem die EU mit Subventionen den Exportpreis drückt. Es ist bedauerlich, dass die Fraktion Die Grünen ihren ansonsten sehr vernünftigen Antrag ideologisch über- frachtet, indem sie erneut moderne Tierhaltung diskredi- tiert, die ihrem Ideal vom „ökologischen Landbau“ nicht entspricht. Wir werden uns also im Ausschuss beraten müssen, ob wir in dieser Frage zu einer gemeinsamen Position kommen können. Ausschließen möchte ich das nicht, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15981 (A) (C) (B) (D) denn dem Grundgedanken des Antrags stimmen wir zu: EU-Exportsubventionen gehören abgeschafft. Heike Hänsel (DIE LINKE): Es ist nicht akzeptabel, dass die Europäische Union mit Zustimmung der Bun- desregierung ihre hausgemachten Probleme in alle Welt exportiert. Die Bundesregierung hat im EU-Verwal- tungsrat der Wiedereinführung der Ausfuhrerstattungen für den Export von unbehandeltem Schweinefleisch zu- gestimmt. Das ist ökologisch unsinnig und entwick- lungspolitisch unverantwortlich. Die Schriftliche Frage unserer Fraktion, ob die Zu- stimmung der deutschen Delegation im EU-Verwal- tungsrat mit dem BMZ abgestimmt war, hat uns das fe- derführende Landwirtschaftsministerium schlicht nicht beantwortet. Deswegen frage ich Frau Wieczorek-Zeul hier ganz direkt: War die Zustimmung der deutschen De- legation zur Wiedereinführung der Ausfuhrerstattungen für Schweinefleischexporte mit Ihrem Haus koordiniert? Und wenn ja: Haben Sie die kritischen Stimmen von ent- wicklungspolitischen Organisationen gehört? Wie stel- len Sie sich dazu? Das BMELV hat uns auch die Frage nach der Entwicklungsverträglichkeit dieser Maßnahme nur sehr ausweichend beantwortet: mit dem lapidaren Verweis darauf, dass die Exporte ja nur zu einem sehr kleinen Teil nach Afrika, zu einem wesentlich größeren Teil jedoch zum Beispiel nach Russland gingen. So ig- norant kann man nicht mit existenziellen Ängsten in den Abnehmerländern und mit der fundierten Kritik von Fachleuten umgehen. Dabei müssten wir viel grundsätz- licher über die Ordnung der Landwirtschaft in der EU und des Agrarhandels weltweit diskutieren: Europäische Landwirte müssen in Europa die Mög- lichkeit haben, ihre Märkte zu finden und die Preise zu erzielen, die sie benötigen, um ihre Existenz zu sichern. Von den Ausfuhrerstattungen profitieren nur die Fleisch- exporteure, die offensichtlich in der Lage sind, mit ihren Lobbyisten die Politik zu bestimmen. Unter dem Preis- verfall, der durch das Anheizen der Überschussproduk- tion ausgelöst wird, leiden aber vor allem die kleinen und mittleren Betriebe, die für die lokalen und regiona- len Märkte in der EU produzieren. Das ist auch ein entwicklungspolitischer Irrsinn. Auf dem WTO-Ministertreffen in Hongkong Ende 2005 hatte die EU den Abbau ihrer Agrarexportsubventionen bis 2013 angekündigt. Darauf haben sich die Verhandlungs- partner in den Ländern des Südens und viele entwick- lungspolitische Organisationen verlassen. Die Wieder- einführung der Ausfuhrerstattungen für Schweinefleisch widerspricht streng genommen nicht den Zusagen von Hongkong, aber sie ist ein Signal, das vollkommen in die falsche Richtung geht: eine kurzfristige Maßnahme, selbstverschuldete eigene Probleme auf Kosten Schwä- cherer zu lösen. Erstens können auch Exportvolumen, die aus der Per- spektive des Exportweltmeisters klein erscheinen, als Im- porte in Afrika gewaltigen Schaden anrichten, das wissen wir aus vielen Bereichen des Agrarhandels zwischen der EU und Afrika. Zudem nehmen die Schweinefleischex- porte nach Afrika zu, wie der EED in einem Brief, der auch den Kollegen und Kolleginnen von den Koalitions- fraktionen zugegangen sein dürfte, aufzeigt. Bereits vor der Wiedereinführung der Subventionen verdrängen die Schweinefleischimporte aus der EU in Afrika im großen Stil lokale Produzenten und nehmen ihnen die Existenz- grundlage. Dazu kommt: Auch in Russland führen die EU-Exportsubventionen zu Marktverzerrungen und zu Verdrängung zuungunsten lokaler Produzenten. Zweitens ist diese Art der „Problemlösung“ durch die EU kurzsichtig und ökologisch irrsinnig: Die Überpro- duktion an Schweinefleisch und der damit verbundene Preisnachlass sind ja nicht „höhere Gewalt“, sonder Er- gebnis einer falschen Politik. Ich nenne nur die Vereinfa- chung der Genehmigungsverfahren für Schweinemast- anlagen und die Aufhebung der Flächenbindung der Tierhaltung in der Agrarinvestitionsförderung. Immer neue Großanlagen wie zum Beispiel die Schweinemastanlage in Hassleben mit 80 000 Stallplät- zen werden gefördert und erhöhen den Fleischberg, den hierzulande keiner will. Wir wollen auch nicht, dass in Deutschland Schweine mit gentechnisch verändertem Importsoja aus Brasilien gefüttert werden, um sie nach Asien zu exportieren. Exportsubventionen nach Russ- land oder in andere Teile der Welt lösen keine Probleme sondern bilden Anreize für zusätzliche Produktion und Überschüsse. Und die Gülle, die dabei anfällt, bleibt hier und stellt mittlerweile eines der größten ökologi- schen Probleme der Agrarwirtschaft hierzulande dar. Deshalb unterstützen wir den hier vorliegenden Antrag der Grünen, die Agrarexportsubventionen für Schweine- fleisch zurückzunehmen und grundsätzlich die Ausfuhr in Entwicklungsländer von der Subventionierung auszu- nehmen. Die Perspektive muss weiterhin und vor allem glaubwürdig auf die Abschaffung der Agrarexportsub- ventionen gerichtet sein. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat den UN- Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Men- schenrechte ratifiziert, mit dem sie in Art. 11 das Men- schenrecht auf angemessene Nahrung völkerrechtlich verbindlich anerkennt, und auch die freiwilligen Leitli- nien der FAO zum Menschenrecht auf Nahrung unter- stützt. Diese fordern in Teil III: „Internationale Maßnah- men, Aktionen und Verpflichtungen“ alle Staaten unter anderem dringend dazu auf, ihre Anstrengungen zur Re- duzierung – mit dem Ziel des Abbaus – sämtlicher For- men von Exportsubventionen zu verstärken. Mit ihrer Verteidigung der Exportsubventionen für Schweine- fleisch verstößt die Bundesregierung demnach gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz des Men- schenrechtes auf Nahrung. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frage, welche Auswirkungen Subventionen in der Land- wirtschaft und dabei gerade Exportsubventionen auf Entwicklungsländer haben, beschäftigt die Politik schon mehr als 20 Jahre. Schon in den 80er-Jahren haben uns Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen en detail im Einzelfall nachgewiesen, wie Märkte insbeson- dere in afrikanischen Ländern negativ von einer unsinni- 15982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 (A) (C) (B) (D) gen, unfairen europäischen Subventionspolitik massiv geschädigt werden. Und nach all den Erfahrungen fragt man sich wirk- lich: Warum gelingt es nicht, andere Formen der Unter- stützung der Landwirtschaft zu finden und auch ohne in- ternationales Abkommen und neue WTO-Regeln auf Im vorliegenden Antrag nun wird diese Fehlentwick- lung beschrieben am Beispiel der EU-Exportsubventio- nen für Schweinefleisch. Auch für diese gilt einmal mehr: Die Wiedereinführung von Schweinefleischexportsub- ventionen durch die EU ist aus entwicklungspolitischer, handelspolitischer und agrarpolitischer Sicht völlig un- sinnig. Exportsubventionen in AKP-Länder, vor allem Subventionen zu verzichten, die neben den erwähnten Nachteilen für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auch einen nicht hinnehmbaren Umgang mit Steuermitteln mit sich bringt? Und auch der Blick auf die Profiteure dieser Form der Subventionierung wird uns nicht leicht gemacht. Politische Initiativen unserer Fraktion, transpa- rent zu machen, wer besonderes Interesse an diesen Sub- ventionen hat, wird mit Verweis auf den Datenschutz ab- gelehnt. Ob subventionierte Rindfleischexporte nach Süd- afrika oder Tomatenmark und Reis nach Ghana, das Mus- ter ist immer das Gleiche. Eine Politik, die die Bedin- gungen für die lokale Landwirtschaft verschlechtert. Wer sich mit Entwicklungspolitik beschäftigt, hat nie wirk- lich einsehen können, wieso eine Bäuerin in der Nähe ei- ner afrikanischen Stadt, sagen wir in Mosambik, nicht in der Lage ist, mit Produkten zu konkurrieren, die in diese Stadt aus Europa importiert werden. Dass afrikanische Regierungen im Einzelfall nicht von den Möglichkeiten Gebrauch machen, gegen diese „Dumping-Exporte“ vor- zugehen, erschwert die Situation. Auch dort ist das Inte- resse, „günstige Lebensmittel“ gerade in den städtischen Räumen anzubieten, gelegentlich höher als eine gezielte Politik zur Förderung der eigenen Landwirtschaft. All dies fällt zusammen mit der nicht zu bestreitenden Tatsache, dass auch heute zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung in Subsahara-Afrika von der Landwirt- schaft und dem daraus zu erzielenden – kargen – Ein- kommen abhängig sind. Die Weltbank hat in ihrem Weltentwicklungsbericht die Bedeutung der ländlichen Entwicklung und der Landwirtschaft wiederentdeckt. Dort heißt es unter anderem: „Im 21. Jahrhundert bleibt die Landwirtschaft fundamental für eine nachhaltige Entwicklung und die Armutsbekämpfung. Drei von vier Menschen in Entwicklungsländern leben in ländlichen Regionen –; 2,1 Milliarden Menschen leben von weniger als zwei Dollar am Tag und 880 Millionen Menschen von weniger als 1 Dollar am Tag – für die Mehrzahl die- ser Menschen hängt das Leben von der Landwirtschaft ab.“ Die internationale Gebergemeinschaft räumt mitt- lerweile ein, dass sie zu lange die Entwicklung des länd- lichen Raums zu wenig befördert und unterstützt hat. Die EU verfolgt ihrem Selbstverständnis nach das Ziel einer kohärenten Politik zwischen den verschiedenen Politikfeldern. Sie hat einen ersten Kohärenzbericht vor- gelegt, in dem auf die Probleme hingewiesen wird zwi- schen der Handels-, Agrar- und Entwicklungspolitik. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 nach Afrika, sind besonders schädlich. Viele Staaten dort verfügen nicht über ausreichende Kapazitäten, um die Auswirkungen subventionierter Exporte zu kontrollieren und handelspolitische Gegenmaßnahmen einzusetzen. Schon durchschnittliche Preise der EU-Exporte liegen mit 0,44 Euro pro Kilo weit unter den Kosten, zu denen einheimische Mäster in Westafrika und Zentralafrika produzieren können, so hat es uns der Evangelische Ent- wicklungsdienst anhand von Zahlen der FAO vorgerech- net. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen geht beispielsweise von durch- schnittlichen Produktionskosten von 1,72 Euro pro Kilo aus. Die EU hat in der laufenden Welthandelsrunde ange- boten, die Exportsubventionen auslaufen zu lassen. Nun wissen wir alle, dass es noch kein Abkommen in der lau- fenden Welthandelsrunde gibt. Im Jargon der Bürokratie wird nun darauf verwiesen, dass die Ministererklärung von Hongkong eine Abschaffung der Exporterstattungen erst bis Ende 2013 festlegt. Bis dahin bestünde weiter die Möglichkeit, bei Bedarf das „marktsteuernde Instrument der Exporterstattungen“ anzuwenden. Eine zutreffende Beschreibung für eine falsche Politik. Eine Politik, die sich die EU von 2006 bis 2007 rund 273,6 Millionen Euro hat kosten lassen, in Form von Ausgaben für Erstat- tungen. Dies betrifft sowohl die Ausfuhr in Industrie- als auch in Entwicklungsländer. In Beschlüssen zur Exportsubventionierung und der fortgesetzten Praxis zeigt sich, dass die EU kein aufrech- ter Makler ist. Sie setzt ein falsches Signal und beschä- digt die Märkte in Entwicklungsländern. Diese Form der Unterstützung für die Großproduzen- ten fördert eine widersinnige Agrarpolitik, die zum Bau von riesigen Tierfabriken führt. Sie orientieren sich of- fensichtlich nicht an der Marktnachfrage, der Absatz ih- rer Produkte lässt sich offensichtlich nur durch Dumping- preise sicherstellen. Gerade in einer Zeit, in der die Preise für viele Agrargüter auf hohem Niveau sind, gehören Ex- portsubventionen zu den Interventionen, die besser heute als morgen beendet werden müssen. Zustimmende Ent- wicklungspolitikerinnen und Politiker finden sich schnell für solch eine Forderung. Doch bislang haben es nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns einflussreiche Agrar- lobbyisten immer noch verstanden, ihren Interessen Ge- hör zu verschaffen. Agrarexportsubventionen gehören ohne Wenn und Aber abgeschafft. nd 91, 1 2, 0, T 22 151. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1615100000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
alle.

Dem Kollegen Wolfgang Wieland, der am vergange-
nen Sonntag seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, möchte
ich im Namen des Hauses nachträglich und in Abwesen-
heit ganz besonders herzlich gratulieren.


(Beifall – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Oh! Auch wenn man nicht da ist, wird einem hier also gratuliert! Wie schön!)


Es findet sich in der Fraktion sicher jemand, der ihm
diese besonders herzlichen Grüße in angemessener
Weise überbringt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
FDP und DIE LINKE:

Haltung der Bundesregierung zu den Konse-
quenzen aus dem Urteil des Berliner Verwal-

Rede
tungsgerichts zum Mindestlohn für Brief-
dienste

(siehe 150. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 29)


Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

Chancen der Charta der Vielfalt nutzen

– Drucksache 16/8502 –
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat

ZP 3 Weitere abschließende Beratungen
sprache

(Ergänzung zu TOP 30)

tzung

den 13. März 2008

0.31 Uhr

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 381 zu Petitionen

– Drucksache 16/8505 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 382 zu Petitionen

– Drucksache 16/8506 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 383 zu Petitionen

– Drucksache 16/8507 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 384 zu Petitionen

– Drucksache 16/8508 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 385 zu Petitionen

text
– Drucksache 16/8509 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 386 zu Petitionen

– Drucksache 16/8510 –

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 387 zu Petitionen

– Drucksache 16/8511 –

ratung der Beschlussempfehlung des Peti-
nsausschusses (2. Ausschuss)


mmelübersicht 388 zu Petitionen
ohne Aus-

h) Be
tio

Sa
– Drucksache 16/8512 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 389 zu Petitionen

– Drucksache 16/8513 –

ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP

Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der
IKB Deutsche Industriebank AG durch Nut-
zung der Stimmrechte der KfW Kreditanstalt
für Wiederaufbau verhindern

– Drucksache 16/8493 –

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Lokale Entscheidungsspielräume und passge-
naue Hilfen für Arbeitssuchende sichern

– Drucksache 16/8524 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Lanfermann, Birgit Homburger, Daniel Bahr

(Münster), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP

Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben –
Qualität und Transparenz der stationären
Pflege erhöhen

– Drucksachen 16/672, 16/6836 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Willi Zylajew

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 14
abzusetzen und an dieser Stelle den Tagesordnungspunkt 8
aufzurufen. Darüber hinaus sollen der Tagesordnungs-
punkt 7 an den Platz des Tagesordnungspunktes 11 rü-
cken, der Tagesordnungspunkt 11 an den Platz des
Tagesordnungspunktes 9 und der Tagesordnungspunkt 9
an den Platz des Tagesordnungspunktes 7. Ich denke,
das alles haben Sie jetzt voll drauf.


(Heiterkeit – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Leider nein! Können Sie das bitte wiederholen?)


Sollte es Irritationen geben, stehen wir für ergänzende
Auskünfte gerne zur Verfügung.

Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Die in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen
zusätzlich dem Finanzausschuss (7. Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

– Drucksache 16/8150 –
überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Finanzausschuss

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Vorschriften zum begünstigten Flä-
chenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der

(Flächenerwerbsänderungsgesetz-FlErwÄndG)


– Drucksache 16/8152 –
überwiesen:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Finanzausschuss

Der in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden.

Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit
Homburger, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zur Einsetzung eines
Nationalen Normenkontrollrates

– Drucksache 16/7855 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Das scheint der Fall zu sein. Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ver-
trag von Lissabon vom 13. Dezember 2007

– Drucksache 16/8300 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Ausweitung und Stärkung der Rechte des
Bundestages und des Bundesrates in Angele-
genheiten der Europäischen Union

– Drucksache 16/8489 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss

c) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

(Art. 23, 45 und 93)


– Drucksache 16/8488 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Dr. Hakki
Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Intransparenz beenden – Eine lesbare Fassung
des Reformvertrags schaffen

– Drucksache 16/7446 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch
das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Jean Monnet, einer der Gründungsväter Euro-
pas, hat in seiner Erinnerung folgenden Satz geprägt:
Wer auf ein Vorhaben verzichtet, weil er nicht die Ge-
wissheit hat, dass sich die Dinge nach Plan entwickeln,
ist zur Untätigkeit verdammt.

Vor einem Jahr hatten wir immer noch ein großes Vor-
haben, aber – daran erinnere ich – alles andere als Ge-
wissheit, vielleicht sogar ganz im Gegenteil. Das Projekt
einer Vertragsreform – damals noch Verfassungsreform
genannt – galt nach den verlorenen Referenden in Frank-
reich und in den Niederlanden als gescheitert. Ich erin-
nere auch daran, dass unsere Entschlossenheit, sich dieser
resignierten Haltung entgegenzustellen, auf ungläubige,
ja manchmal sogar entmutigende Reaktionen traf; über
Begebenheiten dieser Art habe ich bei anderen Gelegen-
heiten hier im Parlament bereits berichtet.

Allerdings: Untätigkeit konnten wir uns, konnte sich
Europa nicht leisten. Wir konnten sie uns angesichts der
wachsenden Herausforderungen, die die sich rasant wan-
delnde Welt für Europa darstellte, nicht leisten. Der
weltweite wirtschaftliche Wettbewerb mit aufstreben-
den Handelsmächten wie China und Indien, der Klima-
schutz und die Energiepolitik, all das sind Stichworte,
die diese Herausforderungen beschreiben. Wir konnten
uns auch deshalb keine Untätigkeit leisten, weil die ge-
scheiterten Referenden und die nachfolgende Krise eine
Krise für das Selbstverständnis Europas bedeuteten. Ich
füge hinzu: Wir wollten uns auch keine Untätigkeit leis-
ten. Denn wir hatten den Anspruch, die Europäische
Union demokratischer und transparenter zu machen.

Heute, kaum mehr als ein Jahr nach dem Beginn un-
seres Vorhabens, liegt Ihnen der Entwurf eines Gesetzes
zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon vor. Das ist
zuallererst ein Beleg für die Erneuerungskraft Europas
und für das Verantwortungsbewusstsein, das alle Mit-
gliedstaaten im vergangenen Jahr an den Tag gelegt ha-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist auch ein Beweis für den engen Schulterschluss
zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag:
Bundesrat und Bundestag haben die Bemühungen der
Bundesregierung um eine Wiederbelebung des Reform-
prozesses vom Anbeginn an engagiert und konstruktiv
unterstützt. Dafür und für die exzellente persönliche Zu-
sammenarbeit meinen ganz herzlichen Dank und den
Dank der Bundesregierung!

Uns einte in den Diskussionen der letzten Monate das
gemeinsame Ziel, die Substanz des Verfassungsvertra-
ges zu erhalten. Dieses Ziel haben wir erreicht, auch
wenn wir auf dem Weg zu diesem Ziel Abstriche ma-
chen mussten; darüber haben wir in diesem Hohen Haus
bei anderer Gelegenheit gesprochen. Sie wissen, dass es
nur um den Preis dieser Abstriche möglich war, das Er-
gebnis zu erzielen, das Sie kennen und das nach meiner
festen Überzeugung für Europas Legitimation, für seine
Glaubwürdigkeit und vor allen Dingen für Europas
Handlungsfähigkeit entscheidende Fortschritte bringt.

Wir haben uns auf den Reformvertrag geeinigt. Jetzt
kommt es darauf an, dass er wie geplant in Kraft tritt und
ab Januar 2009 möglichst schnell mit Leben erfüllt wird.
Dazu gehört die innerstaatliche Umsetzung, insbeson-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
dere die konkrete Ausgestaltung der besseren Mitwir-
kungsrechte der nationalen Parlamente.

Wir haben – die Ausschüsse des Deutschen Bundesta-
ges waren intensiv daran beteiligt – die verschiedenen
Optionen für die Umsetzung der mit dem Reformvertrag
neu eingeführten Instrumente abgewogen. Am Ende
stand die uns verbindende Überzeugung, dass es am bes-
ten ist, wenn wir die verstärkten Mitwirkungsrechte von
Bundestag und Bundesrat in einem sogenannten Begleit-
gesetz niederlegen. Sie wissen auch, flankiert wird die-
ses Begleitgesetz durch eine behutsame Anpassung des
Grundgesetzes, die eine allgemeine Ausweitung und da-
mit eine verfahrensmäßige Harmonisierung der Minder-
heitenrechte im Bundestag zum Inhalt hat. Ich glaube,
das ist insgesamt eine sinnvolle, eine angemessene Lö-
sung, der wir hoffentlich alle zustimmen können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie wissen, dass Malta, Ungarn, Slowenien, Frank-
reich und Rumänien den neuen Vertrag bereits angenom-
men haben. Sie wissen auch, dass die Ratifizierungs-
verfahren in anderen Mitgliedstaaten noch einige
Hürden zu nehmen haben; ich denke hierbei nicht nur an
die Volksbefragung, an das notwendige Referendum, das
in der zweiten Juniwoche in Irland stattfinden wird. Ich
hoffe, dass am Ende in den Mitgliedstaaten die Weichen
so gestellt sind, dass der Vertrag wie geplant zum
1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Ich glaube, wir kön-
nen die Umstände in anderen Staaten günstig beeinflus-
sen, indem wir die Ratifizierung in Deutschland – mit
Ihrer Unterstützung natürlich – bis zum 23. Mai ab-
schließen. Ich glaube, es wäre ein gutes Signal, das auch
in anderen Ländern – sicherlich auch in Irland – in der
Diskussion Wirkung zeigen kann.

Lassen Sie uns das Vorhaben, das wir vor einem Jahr
gemeinsam begonnen haben, jetzt auch gemeinsam zu
einem guten Ende führen.

Ich danke Ihnen sehr.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1615100100

Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Markus

Löning das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1615100200

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Dieser Reformvertrag ist
ohne Zweifel ein wichtiger Schritt nach vorne, hin zu
mehr Handlungsfähigkeit und Gemeinsamkeit der Euro-
päer. Die Europäische Union hat schon immer Stagna-
tionsphasen und dynamische Phasen erlebt. Ich will
Ihnen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesaußenmi-
nister, an dieser Stelle ausdrücklich die Anerkennung der
Freien Demokraten dafür aussprechen, dass Sie unter Ih-
rer Präsidentschaft die Phase der Stagnation überwun-
den haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Sie haben den Rahmen ge-
steckt. Die Portugiesen haben die Einigung über den
Text herbeigeführt. Jetzt kommt es darauf an, dass der
Vertrag ratifiziert wird. Wir sind nicht mit allem glück-
lich, was erreicht worden ist. Aber eines ist klar: Der
Vertrag macht die Europäische Union demokratischer,
transparenter und handlungsfähiger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dem Europäischen Parlament wird eine ganze
Reihe von neuen Rechten eingeräumt. Es wird an allen
wesentlichen Teilen der Gesetzgebung – im Inneren und
im Rechtsbereich, in der Landwirtschaft, im Verkehr und
bei den Strukturfonds – beteiligt und erhält zudem ein
sorgfältig ausgestaltetes Haushaltsrecht.

Bei der Wahl des Kommissionspräsidenten wird das
Europäische Parlament dem Bundestag gleichgestellt;
auch wir wählen den Chef der Exekutive. Ich weise an
dieser Stelle auch darauf hin, dass das Europäische Par-
lament bei der Anhörung und Bestätigung der Kommis-
sion bessergestellt wird und mehr Rechte haben wird als
der Deutsche Bundestag. Denn wir hören die Minister
nicht an; auch wird die Regierung nicht durch uns bestä-
tigt. An dieser Stelle ist ein deutlicher Fortschritt der De-
mokratie zu verzeichnen.

Auch die doppelte Kontrolle ist ein Schritt hin zu
mehr Demokratie in Europa. Sie ist ein Schritt zu einer
Union der Länder, aber auch der Bürger. Mit der doppel-
ten Mehrheit werden die Bevölkerungsmehrheiten und
Bevölkerungsgrößen der Länder angemessen abgebildet.
Das ist für das große Land Deutschland mit 80 Millionen
Einwohnern ein wichtiger Schritt nach vorne zu mehr
Demokratie in Europa.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Europa wird rechtsstaatlicher gestaltet. Es wird durch
Mehrheitsentscheidungen handlungsfähiger und erhält
eine Rechtspersönlichkeit. Die Europäische Union kann
endlich der Europäischen Menschenrechtskonvention
beitreten. Ich hoffe, dass das auch unmittelbar nach der
Ratifizierung erfolgen wird.

Des Weiteren erhalten wir eine Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik. Eines muss vor Beginn der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik festgestellt
werden: Sie muss den Geist der Union atmen. Sie kann
nicht so gestaltet werden, wie es sich der Präsident unse-
res Nachbarlands Frankreich vorstellt, nämlich dass sich
einige wenige große Staaten zusammenschließen und
vorangehen. Wir brauchen zwar dynamische Gruppen,
die vorangehen. Aber jedes Vorangehen von Gruppen
muss inklusiv sein. Nichts darf als exklusiv empfunden
werden. Die Großen dürfen sich nicht gegen die Kleinen
zusammenschließen. Die Staaten des Südens dürfen sich






(A) (C)



(B) (D)


Markus Löning
nicht zusammenschließen und die Staaten des Nordens
ausschließen. Der Westteil Europas darf sich nicht gegen
den Ostteil zusammentun. Europa gehört zusammen. Je-
des Zusammengehen in einzelnen Politikfeldern bedarf
einer sorgfältig austarierten Gruppe derer, die vorange-
hen.

Ich halte es für außerordentlich wichtig, das von An-
fang an klarzumachen: Wir sind für eine dynamische
Entwicklung, aber nur gemeinsam und im europäischen
Geist.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Punkten
sagen, die leider nicht ganz gelungen sind. Es wird im-
mer postuliert, dass die nationalen Parlamente eine stär-
kere Rolle bekommen sollen. Wir bekommen nun das
Recht der Subsidiaritätsrüge. Wir sollen innerhalb von
acht Wochen eine Mehrheit innerhalb des Parlaments
herstellen. Obwohl die Frist nun um ein Drittel länger ist
als ursprünglich vorgesehen, wissen Sie genauso gut wie
ich, wie lang parlamentarische Wege sind und dass es
daher außerordentlich schwierig sein wird, so schnell
eine Mehrheit herzustellen. Ich glaube, die Rolle des
Deutschen Bundestages wird – genauso wie die der an-
deren nationalen Parlamente – vielmehr darin bestehen,
dass wir unsere Rechte, die uns zustehen, aktiv wahrneh-
men. Das ist eine Aufforderung insbesondere an die Ko-
alitionsfraktionen, in Zukunft mit mehr parlamentari-
schem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gegenüber
der Regierung aufzutreten. Wenn wir das nicht tun, nut-
zen uns alle Rechte nichts. Dann sind sie noch nicht ein-
mal das Papier wert, auf dem sie stehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Hans Eichel [SPD])


Im wirtschaftlichen Bereich gibt es einige Punkte, die
nicht so ausgefallen sind, wie wir Liberale uns das ge-
wünscht hätten. Deutschland ist mit der Unabhängigkeit
der Bundesbank immer sehr gut gefahren und hat deswe-
gen großen Wert darauf gelegt, dass die Rolle der Euro-
päischen Zentralbank entsprechend festgelegt wird.
Nun ist sie vielleicht nicht faktisch, wohl aber symbo-
lisch dadurch ein bisschen abgewertet worden, dass sie
keinen eigenen Artikel mehr hat. Man kann und muss
dem entgegensteuern. Uns muss klar sein: Das darf nicht
den Einstieg in einen Paradigmenwechsel in der Wäh-
rungspolitik bedeuten. Die EZB und ihre Unabhängig-
keit müssen weiter Toppriorität in der deutschen Politik
haben.

Der Verzicht auf Symbole mag ein Preis sein, den wir
zahlen mussten, um Einigkeit herzustellen. Dennoch
sollten wir daran denken, dass sich die Bürger mit
Europa identifizieren wollen. Dazu brauchen wir Sym-
bole. Deswegen begrüßen wir es, dass wir weiterhin
Symbole im Bundestag verwenden.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Thema Wettbewerb noch ein
paar Sätze sagen. Wettbewerb wurde aus dem Ziele-
kanon gestrichen und abgestuft. Aber Wettbewerb ist
mehr als ein Mittel der Wirtschaftspolitik. Wettbewerb
ist ein Ordnungsmittel einer freien Gesellschaft. Wenn
ich sehe, dass soziale Ziele, die immer staatliches Han-
deln nach sich ziehen, nach vorne gerückt sind, während
der Wettbewerb abgestuft ist, dann sehe ich im Hinter-
grund einen Paradigmenwechsel, der mir als Liberalen
nicht gefällt. Europa ist auch immer eine Union der
freien Bürger gewesen. Ein Grundwert Europas ist im-
mer gewesen, dass die Freiheit des Einzelnen zählt, dass
es sich um freie Gesellschaften handelt, in der das Indi-
viduum einen sehr hohen Stellenwert hat. Wir müssen in
den nächsten Jahren unser Augenmerk darauf richten,
dass nicht zu viel staatliches Handeln aus Europa quasi
über uns kommt.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Mit dem Vertrag
von Lissabon wird ein wichtiger Schritt gegangen. Da-
mit können wir Europa nach vorne bringen. Wir Freien
Demokraten werden den Vertrag ratifizieren; denn wir
denken, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Da-
nach wird es an der Zeit sein, europäische Politik wieder
mit Substanz zu betreiben, zum Wohl der Europäerinnen
und zum Wohl der Europäer.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1615100300

Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1615100400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Europa ist in den letzten Jahren durch den Beitritt von
zwölf weiteren Staaten nicht nur größer geworden. Es ist
auch politisch stabiler geworden. Wir haben es nicht nur
geschafft, die widernatürliche politische Teilung zu
überwinden, sondern auch zusammenzuwachsen. Dass
die Europäische Union in einer so extrem schwierigen
und völkerrechtlich nicht eindeutigen Frage wie der An-
erkennung des Kosovo zusammengeblieben ist, dass sie
sich geschlossen für die ESVP-Rechtsstaatsmission ein-
gesetzt hat und den Aufbau des Kosovo angeht, zeigt
doch, dass wir auf dem Weg zu einer handlungsfähigen
Sicherheitsunion sind.

Ich nenne dieses Beispiel, weil die vielen wichtigen
Verbesserungen durch den Lissaboner Vertrag nur dann
die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäi-
schen Union wirklich stärken werden, wenn auch der
politische Wille da ist, trotz unterschiedlicher Interessen
zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen. Genau da-
rin liegt die politische Bedeutung dieser beiden Ereig-
nisse, der Einigung auf den Lissaboner Vertrag und der
Geschlossenheit in der Kosovo-Frage. Die EU hat ihre
Ambitionen unterstrichen, eine politische Union, eine
Sicherheitsunion, ein maßgeblicher Akteur der interna-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Schockenhoff
tionalen Politik zu sein. Die Einigung auf den Lissabo-
ner Vertrag ist der Ausdruck des politischen Willens, die
dafür erforderlichen Schritte der Vertiefung nachzuholen
und den Prozess der politischen Integration fortzuset-
zen. Ich sage eines ganz offen: Angesichts der globalen
Herausforderungen haben wir dazu keine Alternative.
Entweder sind wir in der Lage, bei der Bewältigung der
globalen Herausforderungen unsere Interessen gemein-
sam zu vertreten, indem wir handlungsfähiger werden,
oder wir lassen uns von anderen vorgeben, welche Rolle
wir zu spielen haben.

Dass Europa erneut zusammengefunden und sich auf
diesen Vertrag geeinigt hat, ist maßgeblich ein Erfolg der
deutschen EU-Präsidentschaft. Es war eine große Leis-
tung unserer Bundeskanzlerin, selbst die widerspenstigs-
ten Partner zu überzeugen. Dafür danken wir ihr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesen Ver-
trag ratifizieren. Auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt
wurden, ist es ein guter Vertrag. Er stärkt die Hand-
lungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen
Union: In 40 weiteren Politikbereichen gehen wir von
der Einstimmigkeits- zur Mehrheitsentscheidung über,
mit der doppelten Mehrheit wird künftig die Blockade-
möglichkeit eingeschränkt, und die EU-Kommission
wird deutlich verschlankt, was einen Beitrag zum Büro-
kratieabbau darstellt.

Es gibt mehr Kontinuität und Sichtbarkeit nach innen
wie nach außen durch den Präsidenten des Europäischen
Rates und durch den Hohen Beauftragten für Außen-
und Sicherheitspolitik. Wir sollten bei der umgangs-
sprachlichen Bezeichnung „EU-Außenminister“ bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Henry Kissinger hat vor vielen Jahren gefragt, welches
denn die Telefonnummer von Europa sei. Jetzt haben wir
sie endlich. Das ist wichtig für den Dialog mit unseren
globalen Partnern USA, Russland, China und Indien. Es
ist aber auch für die Identifikation unserer Bürger mit
der EU und ihrer Politik wichtig.

Die nationalen Parlamente werden durch das Recht
der Subsidiaritätseinrede und der Subsidiaritätsklage ge-
stärkt. Je größer die Europäische Union wird, desto
wichtiger ist es, dass sie sich auf ihre Kernaufgaben kon-
zentriert: auf die globalen, länderübergreifenden Heraus-
forderungen. Sie soll aber nicht für Fragen zuständig
sein, die auf nationaler oder regionaler Ebene besser ge-
regelt werden können. Die Europäische Kommission hat
immer wieder Gesetzgebungsvorschläge gemacht – ich
denke hier etwa an die Antidiskriminierungspolitik –,
bei denen eine Zuständigkeit der EU kaum zu erkennen
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als nationale Parlamente haben wir jetzt die Chance, da-
für zu sorgen, dass die EU-Politik wieder bürgernäher
wird. Dann müssen wir unsere Rechte aber auch nutzen
und die im Begleitgesetz geschaffenen Kontrollmöglich-
keiten anwenden: im Inneren gegenüber unserer eigenen
Bundesregierung und nach außen, indem wir uns mit den
anderen nationalen Parlamenten zügig koordinieren.

Wie wichtig es ist, die Handlungs- und Entschei-
dungsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken, zei-
gen die Herausforderungen, die wir zu bewältigen ha-
ben. Ich nenne drei Beispiele:

Erstens. Unsere wachsende Energieabhängigkeit macht
es dringend erforderlich, die vor einem Jahr beschlos-
sene Energieaußenpolitik endlich in die Praxis umzu-
setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dieses Thema wird heute und morgen beim EU-Gipfel
angesprochen werden. Wenn wir in unseren Beziehun-
gen gegenüber Dritten wie Russland weitermachen wie
bisher – als Beispiele nenne ich nur den Einstieg Un-
garns und Bulgariens bei „South Stream“ –, dann müs-
sen wir uns nicht wundern, wenn wir eines Tages ein
Spielball russischer Gaspolitik werden.

Gasprom – das lässt sich an den Aktivitäten ganz klar
absehen – hat eine europäische Strategie, Europa hat sie
noch nicht; sie ist aber dringend erforderlich. Wir kön-
nen uns eine fragmentierte, an bilateralen Verhandlun-
gen orientierte Politik, die uns alle nur schlechter stellt,
nicht mehr länger leisten. Wir brauchen eine Energie-
sicherheitsunion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt erstens, dass Energieversorgungssicherheit
ein geschlossenes Auftreten gegenüber Dritten erfordert.
Das heißt zweitens, dass wir eine Kultur der Energiesoli-
darität brauchen, dass wir also bei Versorgungsproble-
men solidarisch füreinander einstehen. Das schließt na-
türlich ein, dass wir gleiche Bevorratungsstandards
haben. Es kann nicht angehen, dass die Bundesrepublik
für 120 Tage Gas vorhält, während andere EU-Partner
überhaupt keine Bevorratung haben. Das heißt drittens,
dass wir unsere technologische Überlegenheit im Ener-
giebereich, also Energieeffizienz, Energieeinspartechno-
logien und Klimaschutz, viel stärker in die Verhandlun-
gen einbringen müssen.

In diesem Zusammenhang – das ist das zweite Thema –
kurz ein Wort zur Klimapolitik. Der Klimawandel wird
immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko. Es wäre sträf-
lich, ihn nur als ein Umwelt- und Energieproblem zu be-
trachten. Wenn es nicht gelingt, den Klimawandel zu be-
wältigen, dann werden sich die Folgen des Klimawandels
in anderen Regionen direkt bei uns in Europa auswirken,
zum Beispiel durch Flüchtlingsbewegungen, aber auch
indem wir in Konflikte um Wasser, Land und Nahrung hi-
neingezogen werden. Wir müssen unbedingt die im letz-
ten Jahr beschlossenen Emissionsreduktionsziele erfül-
len, wir müssen erreichen, dass unsere Partnerländer, dass
die Schwellen- und Entwicklungsländer mehr als bisher
für den Klimaschutz tun, und wir brauchen einen europä-
ischen Ansatz zur Konfliktprävention und zum Krisen-
management, um den durch den Klimawandel hervorge-
rufenen Herausforderungen zu begegnen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Schockenhoff
Ein drittes Thema: Wir müssen möglichst bald die
Verhandlungen mit Russland über ein Folgeabkommen
zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen begin-
nen. Die Energiethematik wird dabei eines der wichtigen
Themen sein, aber auch Themen wie Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Ausbau der zi-
vilgesellschaftlichen Zusammenarbeit müssen vorange-
bracht werden. Der künftige Präsident Medwedew hat
dazu bemerkenswerte Reden gehalten und Aussagen ge-
macht, die wir begrüßen. Wir hoffen, dass er sie in die
Tat umsetzt; sonst wird er das selbstgesteckte Ziel einer
umfassenden Modernisierung von Wirtschaft, Staat und
Gesellschaft in Russland nicht erreichen. Ich sage aber
auch, dass wir ein klares Interesse an einem politisch
und wirtschaftlich modernen Russland haben. Deswegen
sollten wir Medwedews Modernisierungsvorhaben un-
terstützen und nicht nur als Zuschauer begleiten, zumal
Russland uns braucht. Dadurch haben wir Einfluss. Da-
bei werden wir Medwedew und seine wiederholte Beto-
nung von Rechtsstaatlichkeit, freien Medien und einer
starken Zivilgesellschaft beim Wort nehmen. Das tun wir
beispielsweise dadurch, indem wir einfordern, dass das
Gesetz über Nichtregierungsorganisationen geändert
wird. Das ist ein bürokratisches Monstrum, das dem
Staat nach wie vor viel Raum für Willkür bietet.

Alle drei Themen – Energie, Klima, Russland – wer-
den Schwerpunkte auch der französischen EU-Ratspräsi-
dentschaft im zweiten Halbjahr sein. Diese Herausforde-
rungen zeigen, wie wichtig es ist, dass der deutsch-
französische Motor rundläuft. Deutschland und Frank-
reich waren seit Beginn der europäischen Einigung der
Motor des Einigungsprozesses und werden es auch wei-
terhin sein. Wann immer sich Deutschland und Frank-
reich nicht einig waren, lief nichts in der Europäischen
Union; wenn sie sich einig waren, kam die Europäische
Union voran. Deshalb begrüßen wir, die CDU/CSU, es
außerordentlich, dass es Ihnen, liebe Frau Bundeskanzle-
rin, vor wenigen Tagen gelungen ist, mit Präsident
Sarkozy in Hannover eine europäische Lösung für das
Projekt einer Union für das Mittelmeer zu vereinbaren.
Alles andere wäre ein Rückschlag gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird in Frankreich ganz unterschiedlich bewertet!)


– Die politische Bewertung der Europapolitik durch die
Bundeskanzlerin und durch den französischen Präsiden-
ten ist einheitlich, und das ist das Entscheidende. Wir
werden sehen, was dabei herauskommt.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubt doch kein Mensch! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiß das Herr Sarkozy?)


Wir brauchen eine starke französische Präsidentschaft,
die sich frühzeitig mit Deutschland abstimmt.
Für die Europapolitik ist es wichtig, die mittleren und
kleinen Staaten frühzeitig einzubinden. Das ist bei
26 Partnerstaaten oft mühsam und nicht immer einfach;
aber die deutsche Präsidentschaft hat gezeigt, dass es
möglich ist. Nichts ist kontraproduktiver für Europa, als
wenn die großen eine Politik über die Köpfe der mittle-
ren und kleinen Staaten hinweg betreiben.

Ich fasse zusammen: Der Lissabonner Vertrag ist ein
guter Vertrag, der Europa voranbringen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Markus Löning [FDP])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615100500

Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Lothar

Bisky, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615100600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Nie-

derländer und Franzosen haben in Referenden die ur-
sprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten eine
Verfassung für Europa


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war gestern!)


– ja, das war gestern, aber man darf sich daran erinnern –,
aber sie wollten keinen Sargdeckel für den Sozialstaat;
sie wollten nicht, dass Aufrüstung und eine gescheiterte
Wirtschaftspolitik Verfassungsrang erhalten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie stimmt denn die Linke in Berlin ab? Gegen den Vertrag, Herr Bisky?)


Es gibt weitere Gründe.

Die Regierenden verordneten sich eine Denkpause,
aus der sie bis heute nicht herausgefunden haben. Das
Ergebnis: Die Europäerinnen und Europäer bekommen
jetzt einen Vertrag, in dem erneut Aufrüstung und eine
gescheiterte Wirtschaftspolitik die Grundrichtung be-
stimmen.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Diese alten Hüte! – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Von gescheiterter Wirtschaftspolitik verstehen Sie etwas!)


Der Konventspräsident Giscard D’Estaing sagte, der
Vertrag von Lissabon sei ein alter Brief in einem neuen
Umschlag.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie die PDS!)


Ich frage mich: Fürchten sich die Regierenden vor den
Europäern, oder haben die Europäerinnen und Europäer
Grund, sich vor diesem Vertrag zu fürchten?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky
Bis heute liegt kein lesbarer Vertrag vor. Wir alle
brauchen einen Steuerberater; wahrscheinlich werden
wir alle auch einen Europaberater brauchen. Ohne euro-
päische Öffentlichkeit gibt es keine europäische Demo-
kratie.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Sicher: Mit dem europäischen Bürgerbegehren wird
mehr direkte Demokratie in Europa eingeführt; soziale
Bewegungen erhalten von der EU ein Gestaltungsinstru-
ment. Das begrüßen wir ausdrücklich. Es ist aber ein
Armutszeugnis, dass es bei einem so einschneidenden
Vertragswerk zu einer eklatanten Missachtung des Volks-
willens kommt. Darum fordert die Linke Volksabstim-
mungen in allen EU-Ländern,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


am besten am selben Tag, damit Europa auf der Zustim-
mung seiner Menschen aufbauen kann.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie stimmen Sie dann ab, Herr Bisky? Wie Harald Wolf mit Nein?)


Wir sehen durchaus Verbesserungen gegenüber dem
Vertrag von Nizza: Die Charta der Grundrechte wird
rechtsverbindlich. Künftig soll eine soziale Querschnitts-
klausel zur Prüfung aller Rechtsakte auf ihre Sozialver-
träglichkeit gelten. Die Vielfalt der Daseinsvorsorge und
der vorrangigen Kompetenz der Mitgliedstaaten wird an-
erkannt. Europol kommt unter parlamentarische Kon-
trolle. Haushaltsrechte des Europäischen Parlaments
werden gestärkt.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Lauter Gründe, zuzustimmen!)


Bei internationalen Handelsabkommen wird ein parla-
mentarisches Vetorecht eingeführt. Und: Die Mitbestim-
mungsrechte des Europäischen Parlaments werden von
20 auf 80 Politikbereiche erweitert.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Ein guter Vertrag! Ein sehr guter Vertrag!)


Die ursprüngliche Idee der europäischen Integration
war es, Frieden durch Abhängigkeit zu schaffen.
Heute wird überdies eine politische Antwort auf die Glo-
balisierung gesucht. Wir stehen vor den Herausforderun-
gen des Klimawandels, der Energiesicherheit und der
Friedenssicherung durch Kooperation. Der Vertrag von
Lissabon wird diesen Herausforderungen nicht gerecht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Bei allem Positiven: Es fehlt ihm an Zukunftsfähigkeit.
Wir bedauern, dass Sozialstaatlichkeit nicht zu den Wer-
ten der EU gehört und soziale Marktwirtschaft an Wett-
bewerbsfähigkeit gekoppelt ist. Marktradikalismus leh-
nen wir ab; das wissen Sie.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Eine Lehre aus der europäischen Geschichte lautet:
Wir dürfen Freiheit und Gerechtigkeit nie wieder tren-
nen.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das sagen Sie?)


Wir müssen sie zusammen denken.

Meine Damen und Herren von der Koalition, mit dem
Vertrag von Lissabon schaffen Sie eine Aufrüstungs-
verpflichtung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Markus Löning [FDP]: Das ist demagogischer Mist, den Sie da verzapfen!)


Ich zitiere den Direktor der EU-Verteidigungsagentur,
Alexander Weis. Im Handelsblatt vom 27. November
2007, auf Seite 7, hat er das Jahr 2008 zum Jahr der Auf-
rüstung erklärt. Ich frage Sie: Wer bedroht Europa
heute?


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Sie bedrohen Europa!)


Wir als Linke meinen: Wir brauchen weder Innenminis-
ter, die in unsere Computer kriechen, noch darf sich Eu-
ropa durch Raketen spalten lassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Was wir brauchen, sind viele Jahre der Abrüstung.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Zu welchem Thema sprechen Sie?)


Wozu brauchen wir eine ständige strukturierte Zusam-
menarbeit? Möchte die EU ihre Battle-Groups innerhalb
von wenigen Tagen überall in die Welt verlegen? Wollen
die Europäer die strenge Bindung an die UN-Charta lö-
sen?


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn eigentlich?)


Nur wer meint, immerzu stark zu sein, kann sich die
Missachtung des Völkerrechts leisten.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


6 000 Afrikaner – junge Frauen, junge Männer, Kin-
der – sind allein im vergangenen Jahr bei dem Versuch
ertrunken, europäisches Festland zu erreichen. Es ist zy-
nisch, die Heimat dieser Menschen mit Waren zu über-
fluten, ihre Sehnsucht nach einer Perspektive aber im
Mittelmeer zu ertränken.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Markus Löning [FDP]: Sagen Sie das mal den afrikanischen Diktatoren!)


Ich will deutlich sagen: FRONTEX ist eine humanitäre
Katastrophe. Wir alle sind aufgefordert, dies zu überwin-
den.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Wenn es um Agrarsubventionen für die alten LPGBetriebe geht, sind Sie auf der anderen Seite!)


– Frau Künast, Sie sind gleich dran, dann können Sie das
alles sagen. Es gibt keinen Grund zur Aufregung.

Die Linke möchte eine Verfassung für Europa, die auf
den besten europäischen Traditionen aufbaut: ein sozia-
les, ein wohlhabendes und ein friedliches Europa.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Freiheit!)


Die Bundesregierung hat sich redlich bemüht, die euro-
päischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidarität
zu stutzen. Das halten wir für falsch. Deshalb lehnen wir
den „Basta!“-Vertrag von Lissabon ab.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615100700

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rainder Steenblock,

Bündnis 90/Die Grünen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Rainder, jetzt bin ich aber gespannt! Frieden durch Aufrüstung! Grüne Ideale!)



Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615100800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, dass
auch die Linke in diesem Bundestag verstanden hat – das
erkenne ich auch an, Kollege Bisky –: Dieser Vertrag
macht die Zukunft Europas demokratischer und transpa-
renter; er stärkt die Beteiligung der europäischen Bürge-
rinnen und Bürger deutlich. All das ist anscheinend Kon-
sens in diesem Haus. Das ist gut so – das sage ich auch
ganz deutlich in Ihre Richtung, Herr Bisky –; das ist,
finde ich, ein Schritt in die richtige Richtung.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!)


Wir als Grüne in diesem Haus haben immer gesagt:
Natürlich wäre es richtig gewesen, über die europäische
Verfassung damals ein Referendum zu veranstalten und
damit ein Votum in ganz Europa herbeizuführen. Unsere
Debatte über die Vor- und Nachteile von Referenden ist
aber sehr viel differenzierter als das, was Sie mit Ihrer
Forderung nach Referenden auf nationaler Ebene hier
populistisch einbringen. So einfach ist das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mich ärgert es manchmal schon, wie schnell einige
Leute vom autoritären Zentralismus zur direkten Demo-
kratie und Basisdemokratie übergewechselt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der doppelte Toeloop! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Reiner Populismus!)


Ich glaube, dass zwei Fragen wichtig sind, weil sie
die Menschen in diesem Land bewegen. Die Menschen
machen sich Gedanken über die Frage: Kann die Euro-
päische Union unsere zentralen Zukunftsfragen lösen?


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Ja!)


Die Fragen der Sicherheit und der ökonomischen Zu-
verlässigkeit sind mit Blick auf die Erreichung der Ziele
der Menschen in Europa berechtigt, auf sie muss man
eingehen. Ich will dies noch einmal sehr deutlich sagen:
Herr Bisky, Sie haben den marktradikalen Neoliberalis-
mus wieder angesprochen. Wenn Sie sich diesen Vertrag
einmal genau anschauen würden, so würden Sie sehen,
dass man jedes dieser Argumente widerlegen kann. Un-
ter anderem gibt es die soziale Querschnittsklausel in
Art. 5 des Vertrages. Dort steht:

Bei der … Durchführung ihrer Politik und ihrer
Maßnahmen

– und zwar aller Politiken der Europäischen Union –

trägt die Union den Erfordernissen im Zusammen-
hang mit der Förderung eines hohen Beschäfti-
gungsniveaus, mit der Gewährleistung eines ange-
messenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung
der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen
Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung
und des Gesundheitsschutzes Rechnung.

Das sind zentrale soziale Erfordernisse, die in dieser
Verfassung wie in keiner anderen als Querschnittsauf-
gabe für alle Politikfelder enthalten sind. Als oberstes
Ziel steht in Art. 2 Abs. 3 unter dem Stichwort „soziale
Ziele“: Die EU

bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminie-
rungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozia-
len Schutz, die Gleichstellung von Frauen und
Männern …

Ich will das gar nicht alles vortragen. Diese zentralen
sozialen Ziele sind in keiner anderen Verfassung Euro-
pas so intensiv integriert wie in diesem Vertrag.

Schließlich gibt es auch noch die Grundrechtecharta,
die in zentralen Teilen ebenfalls diese sozialen Grund-
rechte beschreibt, die nicht nur für die Staaten, sondern
auch für die Organe der Europäischen Union relevant
sind. In diesem Zusammenhang zitiere ich aus der Be-
zirkszeitung Die Linke. Friedrichshain-Kreuzberg vom
5. Februar dieses Jahres:


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Was du alles liest!)


Die Charta der Grundrechte ist das modernste Grund-
rechtedokument überhaupt. – Das steht in diesem lesens-
werten Blatt. Das ist richtig, das unterstützen wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Rainder Steenblock
Das hat Frau Kaufmann geschrieben, die Abgeordnete
der Linken, die für sie auch im Konvent war.

Vielleicht noch ein Wort zum Militarismus. Wenn
man in diesem Vertrag nachliest, was dort zur Sicher-
heits- und Friedenspolitik steht, dann sieht man: Im
Vertrag ist als allererstes Ziel in Art. 2 Abs. 1 verankert:

Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und
das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.

Weiter heißt es dann:

In ihren Beziehungen zur übrigen Welt … leistet
[sie] einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler
nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegensei-
tiger Achtung unter den Völkern … sowie zur strik-
ten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völker-
rechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze
der Charta der Vereinten Nationen.

Hier ist die Friedenspflicht internationaler Politik noch
einmal verankert.

Auch in dem Kapitel zur Außen- und Sicherheitspoli-
tik werden vorrangig, vor den militärischen Konfliktlö-
sungsmöglichkeiten, die zivilen Möglichkeiten genannt.
All das steht in dieser Verfassung. Deshalb unterstützen
wir diesen Vertrag für die Zukunft Europas. Er spiegelt
genau unsere Werte wider.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Als Vertreter der Grünen sage ich hier denjenigen, die
dieses Europa sozialer machen wollen: Wir brauchen
mehr soziale Gerechtigkeit, und wir brauchen weitere
Initiativen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aha!)


All denjenigen, die dieses Europa – das bezieht sich auf
die Sicherheitspolitik – mit seinen zivilen Konfliktlö-
sungsmöglichkeiten aktiver, attraktiver und auch hand-
lungsfähiger machen wollen, sage ich: Auch Sie haben
die Grünen an Ihrer Seite. Das ist überhaupt keine Frage.
Dieser Prozess muss weitergehen. Ich sage aber auch
sehr deutlich: Diejenigen, die die Grundwerte der Euro-
päischen Union instrumentalisieren wollen, um daraus
ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen, werden unse-
ren entschiedenen Widerstand finden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615100900

Der nächste Redner ist der Kollege Michael Roth,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1615101000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am gestrigen Tag hat das Europäische Parlament feier-
lich seinen 50. Geburtstag begangen. Das Europäische
Parlament macht deutlich, in welch dynamischem Pro-
zess der Verfassungsgebung innerhalb der Europäischen
Union wir uns bewegen.

Wie klein und bescheiden hat der Parlamentarismus
in Europa begonnen – mit einem beratenden Gremium.
Jetzt haben wir es, auch dank des Vertrages von Lissa-
bon, mit einem parlamentarischen Organ zu tun, das in
fast allen Politikbereichen, für die die Europäische
Union verantwortlich zeichnet, mit dem Rat gleichbe-
rechtigt ist. Damit wird deutlich: Die Europäische Union
ist eine Union nicht allein der Staaten, nicht allein der
Regierungen; vielmehr ist sie eine Union der Bürgerin-
nen und Bürger, der Parlamentarierinnen und Parlamen-
tarier. Dafür haben wir viel, lange, intensiv und mühsam
gearbeitet; es ist ein Erfolg, auf den wir alle gemeinsam
stolz sein können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union ist es,
sich mit einer demokratischen und gleichzeitig sozialen
Antwort auf die Risiken und die Chancen der Globalisie-
rung zu positionieren. Da sei die kritische Frage erlaubt,
ob das, was wir institutionell, auch mit dem Vertrag von
Lissabon, auf den Weg bringen konnten, ausreicht, um
die EU im globalen Wettbewerb so zu positionieren, dass
sie den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger voll-
umfänglich gerecht werden kann. Ich befürchte, dass die
Fortschritte, die wir erzielen konnten, noch nicht ausrei-
chen. Aber auch das sollte uns nicht in Pessimismus ver-
fallen lassen, weil wir alle wissen, dass auch mit dem
Vertrag von Lissabon die Verfassungsgebung in der Eu-
ropäischen Union nicht an ein Ende gekommen ist. Die
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, nicht nur
hier im Parlament, halten an dem Ziel fest: Wir wollen
eine Verfassung für die Europäische Union. Wir wollen,
dass die Union der Bürgerinnen und Bürger weiter ge-
stärkt wird und dass auch der Parlamentarismus in der
Europäischen Union noch stärker gefestigt wird, als das
mit dem Vertrag von Lissabon erfreulicherweise der Fall
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Michael Stübgen [CDU/CSU])


Wir müssen zur Kenntnis nehmen – ob uns das passt
oder nicht –, dass das Fundament gemeinsamer Über-
zeugungen innerhalb der Europäischen Union brüchiger
geworden ist. Mit einer EU der 27 ist es schwierig ge-
worden, so voranzukommen, wie es die Bürgerinnen und
Bürger von uns erwarten. Die Suche nach dem kleinsten
gemeinsamen Nenner ist mit 27 natürlich schwieriger als
mit sechs, acht oder auch mit 15 Partnern. Dennoch kön-
nen wir hier im Bundestag zufrieden sein. Ein langer
Weg kann hoffentlich endlich zu einem erfolgreichen
Abschluss gebracht werden. Erinnern wir uns kurz: Der
Weg hat, damals noch unter deutscher Präsidentschaft
– Ratspräsident war Gerhard Schröder –, mit dem Kon-
vent zur Erarbeitung der Grundrechtecharta begonnen.
Das war das Startsignal für die Verfassungsdebatte. Des-
wegen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten besonders stolz auf das, was wir in den vergange-
nen Jahren und Monaten erzielen konnten.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Roth (Heringen)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was ist aber jetzt zu tun? Wir alle wissen: Der Vertrag
von Lissabon macht die Europäische Union nicht auto-
matisch besser. Aber es besteht jetzt eine Chance, dass
wir in bestimmten Politikfeldern vorankommen. Das
zentrale Momentum scheint für mich zu sein, dass wir
das europäische Sozial- und Gesellschaftsmodell aus-
bauen, stärken und intensivieren. Hier ist die Europäi-
sche Union noch nicht so weit, wie sie eigentlich sein
müsste. Die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass bei
der Lösung von sozialen Problemen, bei der Schaffung
von neuen und zukunftsweisenden Arbeitsplätzen die
Europäische Union nicht Teil des Problems, sondern Teil
der Lösung ist. Hier muss die Europäische Kommission
in noch stärkerem Maße als bislang das europäische So-
zialmodell in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten rücken.
Wir als Deutscher Bundestag haben diesen Prozess sehr
aufmerksam und sehr kritisch zu begleiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ebenso wichtig ist es, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dass wir in außen- und sicherheitspolitischen
Fragen zu einem neuen Gemeinsinn kommen. Hier ha-
ben die großen Mitgliedstaaten Vorbild zu sein. Deswe-
gen ist das, was auch unser französischer Partner in den
vergangenen Monaten geliefert hat, besorgniserregend.
Es kann nicht angehen, dass man mit dem Kopf durch
die Wand will, dass man beispielsweise mit der Mittel-
meerunion einen Vorschlag auf den Weg bringt, der eher
spaltet denn vereint. Wir müssen das gemeinsame Fun-
dament in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken.
Wir können nicht mit dem Finger auf Tschechien oder
andere kleinere Mitgliedstaaten zeigen, wenn gerade die
großen Mitgliedstaaten – Deutschland, Frankreich,
Großbritannien – nicht mit gutem Beispiel vorangehen.
Diese Glaubwürdigkeit darf von uns erwartet werden.
Wenn wir hinsichtlich unserer Überzeugungen nicht
glaubwürdig sind, können wir auch nicht mit dem Finger
auf andere, wie die Vereinigten Staaten von Amerika
oder Russland, zeigen.

Wir brauchen daher keine großen Solisten in der Au-
ßen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Wir
brauchen Teamspieler und die Bereitschaft zum Kom-
promiss. Denn weltweit besteht die Erwartungshaltung
an die Europäische Union: Tragt dazu bei, dass Kon-
flikte präventiv oder mit zivilen Mitteln gelöst werden!
Tragt zu einem anderen Sicherheitsmodell – als dem zur
Zeit global dominierenden – bei! Die Europäische Union
sollte diesen Erwartungen gerecht werden.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen – das betrifft jetzt einen anderen zentra-
len Politikbereich der Europäischen Union – eine neue
Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Die EU
begreift sich als Raum der Sicherheit, der Freiheit und
des Rechts. Ich habe bei einigen Gesetzesinitiativen und
-vorstößen der EU-Kommission mitunter den Eindruck,
dass man die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zulas-
ten einer vermeintlichen Sicherheit opfert. Es muss deut-
lich werden, dass wir innerhalb der Europäischen Union
nicht einseitig auf Sicherheitsmodelle setzen, die bei-
spielsweise von den Vereinigten Staaten von Amerika
propagiert werden. Ich halte zum Beispiel die Vor-
schläge zur Fluggastdaten-Speicherung für inakzeptabel.
Darüber müssen wir noch einmal reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist nicht unsere Vorstellung von einem sicheren und
freiheitlichen Europa der Bürgerinnen und Bürger.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Unsere auch nicht!)


Wir müssen vor allem unsere eigene Rolle als Parla-
ment neu justieren. Der Vertrag von Lissabon eröffnet
den nationalen Parlamenten neue Chancen der Mitver-
antwortung und der Mitwirkung. Es bleibt aber dabei:
Die zentrale Aufgabe des Deutschen Bundestages ist es,
Regierungshandeln innerstaatlich zu kontrollieren. Die
Bundesrepublik Deutschland wird im Rat von der Bun-
desregierung vertreten. Hier müssen wir kontrollieren
und versuchen, Einfluss zu nehmen.


(Beifall bei der FDP)


Oftmals gibt es Missverständnisse in Deutschland,
was die Subsidiarität angeht. Subsidiarität ist ein
Instrument; aber wir dürfen mit der Keule der Subsidia-
ritätskontrolle oder -rüge nicht all das, was uns mögli-
cherweise politisch missfällt, zerschlagen. Wir brauchen
die politische Auseinandersetzung. Wir müssen uns
frühzeitig in den Gesetzgebungsprozess der Europäi-
schen Union einbringen. Subsidiaritätsrüge und -kon-
trolle sind sicherlich wichtige Instrumente. Wir müssen
aber dafür sorgen, dass es innerhalb der Europäischen
Union keine neuen Blockaden gibt, sondern konstruktive
Mitgestaltung. Hier stehen wir im Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615101100

Herr Kollege Roth.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1615101200

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Es muss uns darum gehen, auch durch personalpoliti-
sche Entscheidungen, die in den nächsten Jahren und
Monaten zu treffen sind, die Gemeinschaftsinstitutionen
der Europäischen Union zu stärken. Wir brauchen nicht
mehr intergouvernementales Handeln, –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615101300

Herr Kollege, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Frak-

tionskollegen.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1615101400

– sondern eine starke Kommission und ein starkes

Parlament. Deshalb bleibt es beim Slogan der deutschen
Ratspräsidentschaft: Die EU gelingt nur gemeinsam.


(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sehr gut! Hervorragend!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615101500

Das Wort hat der Kollege Florian Toncar, FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1615101600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Europa ist ein Projekt der Freiheit. Grenzen fallen; Men-
schen aus unterschiedlichen Ländern kommen zusam-
men. Jeder Europäer darf sich in ganz Europa frei entfal-
ten. Die Unionsbürgerschaft gewährt ihm im ganzen
Unionsgebiet das Recht dazu.

Vor diesem Hintergrund finde ich es ein bisschen
schade, dass diese Errungenschaften in Ihrer wenig in-
spirierenden Rede, Herr Kollege Bisky, nicht gewürdigt
worden sind. Ich glaube, dass Sie einen eher öden Vor-
trag über alle Vorurteile – seien sie auch noch so platt –,
die es über Europa gibt, gehalten haben. Das wird Eu-
ropa nicht gerecht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Europa stärkt nämlich nicht nur unsere Wettbewerbs-
fähigkeit – das tut es zweifelsohne –, sondern Europa
fördert insgesamt die gegenseitige Toleranz von Men-
schen unterschiedlicher Herkunft, die Fähigkeit, sich auf
Menschen anderer Kulturen, anderer kultureller Her-
kunft einzulassen. Ich glaube, dass diese Fähigkeit, an-
dere Kulturen zu verstehen und auf andere Menschen
einzugehen, eine der Schlüsselqualifikationen im Zu-
sammenhang mit der Globalisierung insgesamt ist. Eu-
ropa liefert sie uns gratis, und dafür sollten wir etwas
dankbarer sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Europa wird mit dem Lissabonner Vertrag
wieder handlungsfähig – das ist gut. Denn wir haben
sehr lange über Verfahren und die Verfassung gestritten.
Aber das ist ja auch der Weg, den man gehen muss, um
die bestehenden Probleme anzupacken.

Ich möchte einen Bereich als Beispiel nennen, in dem
wir sehr viel zu tun haben werden, den Raum der Frei-
heit, der Sicherheit und des Rechts in Europa. In 27 Mit-
gliedsländern der Europäischen Union herrscht Bewe-
gungsfreiheit. Das ist großartig, aber das macht mehr
Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und mehr
Koordination auf europäischer Ebene notwendig.

Der Lissabonner Vertrag vertieft die bestehende Zu-
sammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik. Das
zentrale Prinzip sowohl im zivilrechtlichen als auch im
strafrechtlichen Bereich ist das Prinzip der gegenseitigen
Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Art. 81
und 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-
schen Union. Auf der einen Seite ist also die gegensei-
tige Anerkennung zwingend vorgesehen. Auf der ande-
ren Seite fehlt es aber immer noch an
Mindestvorschriften für ein faires Strafverfahren, für Be-
schuldigtenrechte und Datenschutz in ganz Europa. Aus
unserer Sicht kann es nicht angehen, dass einerseits die
gegenseitige Anerkennung sehr weit geht, aber anderer-
seits die Beschuldigtenrechte und Verfahrensrechte dem
nicht gerecht werden. Daran muss gearbeitet werden.


(Beifall bei der FDP)


Denn wer gleichzeitig von Freiheit, Sicherheit und Recht
spricht, der muss alle diese Werte schützen und nicht die
einen mehr und die anderen weniger.

Natürlich ist der Beitritt zur Europäischen Menschen-
rechtskonvention ein wichtiges Signal, das die FDP-
Bundestagsfraktion seit vielen Jahren gefordert hat.
Auch die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta ist
wichtig für den Grundrechtsschutz in Europa. Aber für
die gegenseitige Anerkennung ist beides nicht ausrei-
chend. Die EMRK gilt in ganz Europa für alle Mitglied-
staaten schon sehr lange. Trotzdem gibt es noch deutli-
che Unterschiede bei den Standards in den
Strafverfahren. Die Grundrechtecharta wird für europäi-
sches Recht gelten, aber nicht bei Strafverfahren auf na-
tionaler Ebene. Das bedeutet, dass wir in dem neuen Ver-
trag – wenn er in Kraft tritt – zwingend von der
Ermächtigung Gebrauch machen und die angesproche-
nen Verfahrensgarantien auf europäischer Ebene schnell
weiter harmonisieren müssen, wenn wir die gerichtli-
chen Entscheidungen gegenseitig anerkennen wollen.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema Subsi-
diarität machen. Das ist ein Thema, auf das wir mehr
achtgeben müssen. Früher war völlig klar: Europa hat
eher ein Defizit bei den Kompetenzen. Heute sind die
Kompetenztitel des Vertrages sehr weitgehend. Jetzt
geht es um eine sinnvolle Abgrenzung dessen, was eher
dezentral, regional, auf nationalstaatlicher oder europäi-
scher Ebene gelöst werden soll. Dieses Prinzip muss
ernst genommen werden. Es ist eine der Schlüsselfragen
bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union, wie
viel regionale Vielfalt noch möglich und erlaubt ist und
in welchen Bereichen es gar keine andere Möglichkeit
gibt, als europaweit einheitliche Regelungen zu treffen.

In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche
gegeben, EU-Kompetenzen auszudehnen, die wir als
wenig sinnvoll erachtet haben. Es gab beispielsweise
den Streit um das Thema Bodenschutz. Im Strafrecht gab
es immer weiter reichende Kompetenzen, die zum Teil
nicht einmal auf einer klaren vertraglichen Grundlage
beruht haben. Jetzt liegen Vorschläge für eine Auswei-
tung des Antidiskriminierungsschutzes in Europa auf
dem Tisch. Wir glauben, dass wir das Subsidiaritätsprin-
zip in diesen Bereichen in Zukunft strikter anwenden
und besser beachten müssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Kompetenztitel dieses Vertrages und auch die For-
mulierung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 des EU-
Vertrages sind nicht besonders klar. Sie lösen diesen
Konflikt nicht, sondern machen es nötig, dass wir diesen
auch im Vertrag angelegten Konflikt bei jeder einzelnen
Sachfrage wieder von Neuem austragen und ausdiskutie-
ren. Dieses Parlament sollte sich das Recht herausneh-
men, sehr selbstbewusst zu sagen: Es gibt Bereiche, in






(A) (C)



(B) (D)


Florian Toncar
denen man uns die Regelungskompetenz nicht wegneh-
men muss, weil sie auch auf nationaler Ebene sehr ver-
nünftig geregelt werden können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von diesem Recht muss der Bundestag Gebrauch ma-
chen.

Ein weiterer Punkt ist: Der Europäische Gerichtshof
hat bisher bei allen Kompetenzfragen eine große Zu-
rückhaltung an den Tag gelegt und gesagt: Wir entschei-
den das nicht; wenn die Regierungen im Rat sagen, dass
etwas auf europäischer Ebene geregelt werden muss,
dann wird es schon so sein. – Diesen Beurteilungsspiel-
raum möchte ich dem Rat nicht mehr zugestehen. Ich
glaube, dass der Europäische Gerichtshof nicht darum
herumkommen wird, eine klare Doktrin zu entwickeln,
wie er das Subsidiaritätsprinzip anwendet. Ich verbinde
mein positives Votum zum Vertrag mit der klaren Erwar-
tung, dass der Gerichtshof das tun wird und auch meine
Rechte als Mitglied eines nationalen Parlaments durch
konsequente Anwendung des Vertrages schützt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615101700

Ich gebe dem Kollegen Gunther Krichbaum, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1615101800

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Gerade in letzter Zeit höre ich vermehrt, wir hätten statt
eines Vertrages lieber eine Verfassung gehabt. Manche
trauern jenen Bestandteilen hinterher, die jetzt nicht
mehr im Vertrag enthalten sind. Ich kann nur davor war-
nen, dieses Werk kleinzureden. Wir befinden uns heute
in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zum
Vertrag von Lissabon. Wir beginnen damit den Ratifizie-
rungsprozess. Die Abstimmung darüber hier im Parla-
ment wird im Ergebnis einen Quantensprung für die
Entwicklung in Europa bedeuten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich höre darüber hinaus, der Text sei nicht lesefreund-
lich. Mit diesem Text wurde nie der Anspruch verfolgt,
den Literaturnobelpreis zu erringen. Ich kenne kaum je-
manden in Deutschland, der mir erklären kann, wie der
Motor eines Autos funktioniert. Die meisten setzen sich
ins Auto und wollen damit fahren. So ist es auch mit Eu-
ropa. Nicht die Details dieses Vertrages müssen interes-
sieren, sondern der Umstand, dass wir uns damit in Eu-
ropa nach vorne bewegen.


(Zuruf des Abg. Dr. Lothar Bisky [DIE LINKE])


– Verehrter Herr Bisky, es bleibt natürlich Ihnen überlas-
sen, einen Steuerberater zu konsultieren, um den Ver-
tragstext zu verstehen. Dieser Umstand lässt allerdings
tief blicken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ging darum, in Europa Handlungsfähigkeit zu-
rückzugewinnen. Diese Handlungsfähigkeit haben wir
zurückgewonnen. Wir haben die Strukturen verschlankt.
Wir verringern die Zahl der Kommissare. Obwohl mög-
licherweise weitere Staaten der EU beitreten werden,
wird die Zahl der Parlamentarier begrenzt. Wir haben
mehr und mehr sogenannte Mitentscheidungsverfahren
des Parlaments bzw. Mehrheitsentscheidungen statt des
zähen Einstimmigkeitsprinzips. Diese Aufzählung
könnte man beliebig fortsetzen.

Zunächst musste das Fundament, auf dem Europa
aufgebaut wurde, ein Haus mit sechs bzw. zwölf Mit-
gliedstaaten tragen. Mittlerweile wohnen in diesem Haus
27 Mitgliedstaaten. Das Fundament hat daher nicht mehr
getragen. Dies gilt erst recht, wenn möglicherweise mit
Kroatien noch ein 28. Mitglied hinzukommt. Diesem
Umstand müssen wir Rechnung tragen.

Hier haben wir den entscheidenden Schritt nach vorne
getan. Wir haben insgesamt zu mehr Transparenz gefun-
den. Die demokratische Teilhabe wird gestärkt, sodass
erstmalig der Deutsche Bundestag und auch die Bundes-
länder mehr Mitsprachemöglichkeiten haben. Um es im
Klartext zu sagen: Daraus erwächst auch ein hohes Maß
an Verantwortung für uns Parlamentarier. Das geht bis in
die einzelnen Fachausschüsse hinein. Wir können es uns
mit dem Thema Europa nicht mehr so leicht wie in der
Vergangenheit machen. Europa strahlt sehr viel stärker.
Diesem Umstand müssen wir noch stärker Rechnung tra-
gen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Wir reden sehr häufig über die Grundpfeiler. Dazu ge-
hören auch unsere Errungenschaften wie Frieden und
Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das müs-
sen wir auch an einem Tag wie heute erwähnen, das kön-
nen wir nicht oft genug tun. Für mich ist es neben der
zweifelsohne historischen Errungenschaft des jetzigen
Lissabon-Vertrages wichtig, dass wir im Sinne der Bür-
ger auch über andere europäische Errungenschaften
sprechen. Das sind für mich der Wettbewerb und die Re-
gelungen in diesem Wettbewerb. Immerhin verdanken
wir diesen Regelungen einen einheitlichen europäi-
schen Binnenmarkt. Wir haben den Euro. Gerade in
diesen Tagen muss man den Bürgern aufzeigen, wie
wichtig genau diese Errungenschaft ist. Ich will nicht
wissen, was in Deutschland an den Tankstellen los wäre,
wenn wir unseren starken Euro nicht hätten. Schließlich
wird der Ölpreis auf Dollarbasis abgerechnet. Auch der
oft herbeigeschriebene Einbruch im Export ist nicht ein-
getreten, weil wir 70 Prozent unseres Exports innerhalb
der Europäischen Union abwickeln und deswegen nicht
so anfällig sind. Das sind Dinge, die wir dem Bürger be-
greiflich machen müssen; denn das verdeutlicht jedem,
dass er die Existenz und Sicherung des eigenen Arbeits-
platzes auch Europa zu verdanken hat. So werden die
Dinge greifbar und plastisch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Gunther Krichbaum
Ein zweiter Punkt, den ich in diesem Zusammenhang
erwähnen möchte, weil er meiner Ansicht nach noch
nicht ausreichend gewürdigt worden ist, ist die Erweite-
rung des Schengen-Raums. Es ist auch das Verdienst
unseres Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, dass
man trotz Bedenken in der Öffentlichkeit darauf hinge-
wirkt hat, dass sich die Menschen in Europa begegnen
können. Das ist wichtig; denn davon profitieren die Bür-
ger in Europa. Ich hätte mir gewünscht – mit dieser Be-
merkung möchte ich zum Schluss kommen –, dass jene,
die sich gegen den Vertrag von Lissabon wenden, die
möglicherweise sogar vor das Bundesverfassungsgericht
ziehen werden – das sage ich, weil ich aus meinem Her-
zen keine Mördergrube machen möchte –, dieser Debatte
beigewohnt hätten; denn der eigentliche Ort der Ausei-
nandersetzung ist der Deutsche Bundestag. Die parla-
mentarische Willensbildung vollzieht sich nämlich nicht
in den Kolumnen irgendwelcher Tageszeitungen, son-
dern hier, im Deutschen Bundestag. Daher hätte ich mir
die Anwesenheit dieser Abgeordneten ganz besonders
gewünscht.

Ich denke, wir machen einen großen Schritt in die
richtige Richtung. Wenn wir darauf schauen, was wir in
den letzten 50 Jahren erreicht haben, wenn wir die Er-
rungenschaften und Fortschritte sehen und in die Zu-
kunft projizieren, dann wissen wir, vor welch großer Zu-
kunft wir stehen; dann wird uns aber auch klar, welche
Fantasien uns manchmal guttäten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615101900

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615102000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Krichbaum, bisher hat nur einer angekündigt, vor
das Verfassungsgericht zu ziehen, und der gehört Ihrer
Fraktion an. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion muss
ihre Hausaufgaben machen. Machen Sie es aber bitte
nicht wie die SPD in Hessen: Mobben Sie ihn bitte nicht.
Lassen Sie die demokratische Möglichkeit, nach Karls-
ruhe zu gehen, zu.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Unser Leben wird immer stärker von der Europäi-
schen Union bestimmt. Bis Januar 2009 sollen alle EU-
Länder den Vertrag von Lissabon ratifizieren. Die Völ-
ker Europas – das hat mein Kollege Lothar Bisky schon
deutlich zum Ausdruck gebracht – sollen aber nicht mit-
bestimmen, wie die Grundlagen der Europäischen Union
gestaltet werden, obwohl dadurch das Leben und Arbei-
ten der Bevölkerung grundlegend verändert werden. Der
Vertrag von Lissabon – ich möchte das wiederholen –
festigt die undemokratische, neoliberale und militärische
Entwicklung der Europäischen Union.

(Beifall bei der LINKEN – Markus Löning [FDP]: Das ist ja nicht zu fassen!)


Herr Steenblock, das, was Sie hier gesagt haben,
zeigt, wie sehr sich die Grünen zum Schlechteren ver-
ändert haben.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer zu völkerrechtswidrigen Kriegen die Hand hebt,
wer in Jugoslawien, im Kosovo mitgemacht hat, hat na-
türlich kein Problem damit, zu dieser EU-Verfassung Ja
zu sagen. Wer als Grüner kein Problem mit dem Krieg
hat, muss zu einem solchen Vertrag natürlich Ja sagen.
Schade, dass die Grünen sich so sehr zum Schlechteren
verändert haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Niederländer und die Franzosen haben die ur-
sprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten zwar
eine Verfassung, aber nicht Sozialabbau, Aufrüstung und
eine neoliberale Wirtschaftsordnung mit Verfassungs-
rang.


(Markus Löning [FDP]: Das ist doch Volksverdummung, was Sie hier machen!)


Herr Bundesaußenminister, Sie sind nebenher stell-
vertretender Vorsitzender einer sogenannten Volkspartei.
Vor wenigen Monaten hat die SPD in Hamburg ein
Grundsatzprogramm beschlossen, in dem steht, dass
man für den demokratischen Sozialismus eintritt. Wer
das in ein Programm schreibt, aber zu einer neolibera-
len EU-Verfassung Ja sagt, begeht einmal mehr Wort-
bruch, in diesem Fall gegenüber der eigenen Partei.
Wortbruch wird zum Tagesgeschäft der SPD.


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen doch die Mauern neu auf, nur an einer anderen Stelle!)


Nach den gescheiterten Volksabstimmungen haben
sich die Regierungen eine Denkpause verordnet. Es
wurde eine Pause des Denkens. In den Expertengesprä-
chen während der letzten Wochen konnten wir feststel-
len, dass 90 Prozent des EU-Verfassungsvertrages in
dem Vertrag von Lissabon steht. Das zeigt, dass die Be-
hauptung, es handele sich nicht mehr um eine Verfas-
sung, ein undemokratischer Putsch der EU-Regierungen
war; denn 90 Prozent von dem, was damals darin stand,
steht jetzt in den Verträgen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Von undemokratisch haben Sie Ahnung!)


Das ist eine Ignoranz gegenüber der Bevölkerung, insbe-
sondere Frankreichs und der Niederlande.

Sie wollen keine Volksabstimmungen und auch keine
Öffentlichkeit,


(Gerd Andres [SPD]: Sie wollen keine Volksdemokratie! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)







(A) (C)



(B) (D)


Alexander Ulrich
weil die Regierung mit ihrer nur auf Wirtschaftsinteres-
sen ausgerichteten Politik gescheitert ist. Wir hoffen,
dass dieser Vertrag in Irland abgelehnt wird. Nur dann
besteht noch die Chance für ein friedliches und soziales
Europa. An die Bevölkerung Irlands sage ich: Gehen
Sie zur Wahl und stimmen Sie mit Nein!

Die soziale Spaltung in den EU-Ländern nimmt im-
mer mehr zu. Das ist kein Zufall, sondern Folge von po-
litischen Entscheidungen. Das Europa der herrschenden
Eliten will seine unsoziale und neoliberale Politik jetzt
vertraglich absichern. Statt europäische Mindestlöhne,
das Verbot der Privatisierung von öffentlichem Eigen-
tum und Mindestsozialstandards umzusetzen, wird die
offene und freie Marktwirtschaft im Vertrag festge-
schrieben.


(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Lesen Sie es einmal! Dann wissen Sie es besser!)


Dies bedeutet den Abbau von Schutzrechten für die Be-
schäftigten, Dumpinglöhne und auch Steuerdumping.
Diese Wirtschaftsordnung widerspricht den Interessen
der Bevölkerungsmehrheit. Sie dient nur den Banken,
Konzernen und Wohlhabenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer Armut und Prekarisierung bekämpfen will, muss
den Vertrag von Lissabon ablehnen.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das ist noch schlimmer als Moskau in den 50er-Jahren!)


Die Grundfreiheiten führen derzeit zur Unfreiheit
der Arbeitnehmer. Der EuGH hat auf Grundlage der gel-
tenden europäischen Verträge die erfolgreichsten Wirt-
schafts- und Sozialmodelle Europas angegriffen. In
Finnland und Schweden wurde das Streikrecht mit der
Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit ausgehe-
belt. Der Europäische Gewerkschaftsbund und die däni-
schen Gewerkschaften fordern daher, den Vertrag von
Lissabon nicht zu ratifizieren.


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Wie bitte?)


Wenn der Gerichtshof die Grundfreiheiten der Unterneh-
men höher bewertet, bedeutet dies, dass Aufträge künftig
nur noch an Mindestlöhne gekoppelt werden dürfen. Da-
mit werden Mindestlöhne zu Höchstlöhnen. Das ist doch
pervers, das ist Gleichmacherei auf niedrigstem Niveau.

Sie schaffen eine Aufrüstungsverpflichtung. Der Vor-
sitzende der EU-Verteidigungsagentur hat das der FAZ
mitgeteilt. Im Protokoll über die zuständige strukturelle
Zusammenarbeit entmachten Sie die Parlamente. Die
EU möchte ihre Battle Groups – zu Deutsch: Schlacht-
verbände – innerhalb von wenigen Tagen überall in die
Welt verlegen können.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Schlachtverbände“?)


Wir fordern eine Verfassung für Europa, die an die
besten europäischen Traditionen anknüpft. Wir wollen
ein soziales und wohlhabendes Europa, ein Europa als
Friedensmacht, ein Europa des Völkerrechts. Sie wollen
ein Europa der Nokias, der Zumwinkels,


(Widerspruch bei CDU/CSU, der SPD, der FDP und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


der Konzerne und des Finanzkapitalismus.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615102100

Herr Kollege.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615102200

Ich komme zum Ende. – Die Menschen wollen Ihr

Europa nicht. Deswegen lehnen wir den Vertrag von Lis-
sabon ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Gerd Andres [SPD]: Das war eine Rede von ganz hohem Niveau! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, von ganz rechts!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615102300

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615102400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Ulrich, es war schon bezeichnend, dass Sie sich,
als Herr Krichbaum unzweifelhaft den leider abwesen-
den Peter Gauweiler angesprochen hat, angesprochen
gefühlt haben.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Getroffene Hunde bellen!)


Darüber sollten Sie einmal nachdenken.


(Gerd Andres [SPD]: Das kann er nicht!)


Ich glaube, wenn Sie darüber nachdenken, kommen Sie
vielleicht zu dem Ergebnis, dass Sie einmal der Frage
nachgehen sollten, wie es dazu kommen konnte, dass ein
Vertreter Ihrer Fraktion hier erklärt hat, der Vertrag von
Lissabon sei hinsichtlich der Demokratie, der Beteili-
gung von Parlamenten und vieler anderer Punkte ohne
Zweifel besser als der Vertrag von Nizza. Wenn Sie hier
sagen, Sie möchten, dass die Iren dafür abstimmen, dass
der schlechtere Vertrag, der Vertrag von Nizza, in Kraft
bleibt, dann zeugt das nicht von europapolitischer
Kenntnis,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


sondern davon, dass Sie die Dinge nicht zu Ende gedacht
haben. Das zeugt auch davon, dass in Ihrer Partei der
Prozess, zu einer proeuropäischen Haltung und einem
Bekenntnis zu Europa zu kommen und den Nationalis-
mus zu überwinden – dieser nationalistische Gedanken-






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
gang ist der Hintergedanke der Klage von Herrn
Gauweiler –, noch ein ganz langer Weg ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Verfas-
sung müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern klarma-
chen, worum es dabei geht. Dabei sollten wir uns davor
hüten, das Vorhandene schönzureden. Wir sollten uns
aber auch davor hüten, die Diskussion mit einfachen Po-
pulismen zu begleiten. Für das eine wie das andere gibt
es Beispiele.

Heute kann man in der Financial Times ein Beispiel
der letzteren Art lesen. Der Vorsitzende der CDU/CSU-
Fraktion, Herr Kauder, bediente die Vorurteile der ande-
ren Sichtweise auf Europa unter der Überschrift
„Schluss mit den Anmaßungen“.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Genauso wie das Bild der Linken von einem militarisier-
ten Europa falsch ist, ist Ihr Bild, Herr Kauder, eines Eu-
ropas, das sich ständig neue Kompetenzen anmaßt und
Richtlinien vorschlägt, ein falsches.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Dagegen gehen wir jetzt vor!)


Der Vorwurf von Herrn Kauder ist, dass vor der Erstel-
lung von Richtlinien eine Einbeziehung der Bürger
durch den Prozess der Konsultationen stattfindet. Wenn
es etwas gibt, bei dem man von Europa lernen kann,
dann ist es die offene Art und Weise, in der die Kommis-
sion ihre Richtlinien vor der Verabschiedung in öffentli-
chen Konsultationen zur Schau stellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])


Davon könnten Sie noch etwas lernen. Dafür sollte man
Europa loben! Was ist das eigentlich für ein Bild, das Sie
da zeichnen?

Wir streiten im Rahmen eines gemeinsamen Gesetz-
entwurfs zusammen mit Ihnen – in dem Punkt sind wir
einer Meinung – dafür, auch einer Minderheit des Deut-
schen Bundestages das Recht einzuräumen, im Zweifel
dagegen klagen zu können, wenn Kompetenzen über-
schritten werden.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So ist es!)


Aber interessant sind dann immer die Beispiele, die ih-
nen zu angeblichen Kompetenzüberschreitungen einfal-
len.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was fällt Ihnen denn ein?)


Das wichtigste Thema diesbezüglich war für Sie über
Wochen und Monate hinweg offensichtlich, dass es in
Wien eine Agentur für Menschenrechte gibt. Früher hat
es zwar schon Tausende Agenturen gegeben, ohne dass
Sie sich gerührt haben.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: 29!)

aber als es um eine Agentur für Menschenrechte ging,
haben Sie angefangen, das zu kritisieren.

Ein anderes Beispiel sind die von Ihnen als ständig
ausufernd beklagten Regelungen zur Antidiskriminie-
rung. Das ist ein Punkt, an dem Sie Europa nicht nur
schlecht verkaufen, sondern den Gedanken auf den Kopf
stellen. Wenn es etwas gibt, das man aus den Plebisziten
in Frankreich und den Niederlanden lernen kann, dann
ist es, dass die Menschen Europa nicht mehr als einen
Schutz vor den Gefährdungen und Verunsicherungen
aufgrund der Globalisierung begriffen haben. Der Ver-
such, einheitliche Standards zur Antidiskriminierung in
Europa zu schaffen – das hat auch etwas mit Wettbe-
werbsgerechtigkeit zu tun –, bedeutet doch nichts ande-
res, als den Bürgerinnen und den Bürgern Schutz vor den
Anforderungen der Globalisierung und Sicherheit zu
vermitteln. Das ist eine der Herausforderungen für
Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Letzte Bemerkung: Man darf es sich auch in anderer
Hinsicht nicht zu leicht machen. Nur weil jemand sagt,
dass es aufgrund des Klimawandels und der Ressourcen-
knappheit ein Sicherheitsproblem geben wird, ist das,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, noch
keine Forderung nach einer Militarisierung der EU. Ich
empfehle, einfach einmal nachzulesen, was jemand wie
Solana zu dieser Frage sagt. Er schlägt zum Beispiel vor,
EU-Kapazitäten aufzubauen im Hinblick auf Beobach-
tung und Frühwarnung über Konfliktprävention und Kri-
senbewältigung bis hin zum Katastrophenschutz. Es ist
doch genau der richtige Ansatz, nicht nachzusorgen,
sondern durch Prävention und Ursachenbekämpfung das
Entstehen gewaltsamer Konflikte aufgrund solcher Risi-
ken zu unterbinden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615102500

Herr Kollege.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615102600

Das ist es, was sich in dem Vertrag von Lissabon, in

der neuen Grundrechtecharta ausdrückt, –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615102700

Herr Kollege Trittin.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615102800

– und deswegen sagen wir Ja zu diesem Vertrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615102900

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Kauder.


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1615103000

Herr Kollege Trittin, zunächst einmal begrüße ich,

dass Ihre Fraktion dem Vertragswerk zustimmt und da-
mit ein klares Bekenntnis zu Europa abgibt. Wir haben
in diesem Vertrag genau geregelt, wofür Europa zustän-






(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
dig ist und wofür Europa nicht zuständig ist. Außerdem
haben wir im Rahmen der Föderalismusreform in
Deutschland genau festgelegt, wofür der Bund zuständig
ist und wofür die Länder zuständig sind. Daher kann
nicht jedes Mal, wenn man meint, dass in einem be-
stimmten Fall der Bund zuständig sein sollte, in die
Kompetenzen der Länder eingegriffen werden.

Ich habe in meinem Namensbeitrag ausdrücklich ge-
sagt:

Beim Natur- und Verbraucherschutz, im Arbeits-
recht und in der Sozial- und Familienpolitik mag es
unterschiedlichen Handlungsbedarf geben. Aber

– jetzt kommt der entscheidende Satz; Sie können davon
ausgehen, dass dies auch die Meinung meiner Fraktion
ist –

nicht jedes Problem ist ein Auftrag für die Kommis-
sion, immer tätig zu werden, wenn sie glaubt, etwas
besser regeln zu können als die Mitgliedstaaten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im weiteren Verlauf meines Artikels habe ich gesagt:

Nicht überall sind einheitliche europäische Lösun-
gen automatisch richtig.

Gerade Sie, Herr Trittin, müssten diesen Satz unter-
schreiben können. Oder sind Sie etwa der Meinung, dass
wir in Europa zu einheitlichen Auffassungen in der
Energiepolitik kommen sollten, beispielsweise bei der
friedlichen Nutzung der Kernenergie?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie endlich dieser An-
sicht wären. Denn bei diesem Thema vertreten Sie eine
ganz andere Auffassung als die Mehrheit der Mitglied-
staaten der Europäischen Union.

Wir sollten uns an diesem Punkt aber nicht streiten.
Es geht schlicht und ergreifend darum, dass die Men-
schen in vielen Fällen den Eindruck haben, Europa sei
meilenweit von ihnen entfernt.


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Ja! Weil Sie ihnen das einreden!)


Ich will ein Europa, das auch die Herzen der Bürgerin-
nen und Bürger bewegt, nicht nur ihre Köpfe.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! So nicht! Wir brauchen auch die Köpfe der Menschen und nicht nur ihre Herzen!)


Deswegen ist es richtig, Europa den Menschen näherzu-
bringen, nicht den Bürokraten. Das war die Botschaft
meines Beitrags.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615103100

Herr Kollege Trittin.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt kommt das Bekenntnis zur Kernenergie! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615103200

Lieber Herr Kollege Kauder, manchmal muss man

aufpassen, welche Beispiele man anführt. Ein schönes
Beispiel, das Sie erwähnt haben, ist die Föderalismus-
reform in Deutschland. Ich habe noch gut in Erinne-
rung, was hier geschehen ist. Sie haben eine Föderalis-
musreform beschlossen, deren erklärtes Ziel darin
bestand, sicherzustellen, dass es künftig keine Finanz-
transfers des Bundes an die Länder mehr geben wird,
beispielsweise für Ganztagsschulen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Dann stellte Ihre Ministerin Frau von der Leyen fest – übri-
gens zu Recht –, dass es bei der Kinderbetreuung in
Deutschland ein Defizit gibt. Daher mussten Sie einen
Weg vorbei am Grundgesetz und an der von Ihnen ge-
rade erst getroffenen Regelung finden, um das dafür
dringend benötigte Geld bereitstellen zu können.

Was lehrt uns dieses Beispiel? Sollte man einem sol-
chen Vorgehen auf europäischer Ebene nacheifern? Ich
glaube, nein. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt
Dinge, die man gut auf europäischer Ebene regeln kann,
und es gibt Dinge, die man besser vor Ort regeln kann.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Genau!)


Wir sind diejenigen, die an dieser Stelle für ein hohes
Maß an Dezentralität plädieren.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Aha! Sehr richtig!)


Wir geben uns aber nicht dem Irrtum hin, dass das
möglich ist, indem man schlanke und einfache Regelun-
gen trifft, wie Sie es im Rahmen der Föderalismusreform
versucht, aber schlecht gemacht haben. Was man
braucht, sind Mechanismen, die dann, wenn es zu einem
Konflikt kommt, greifen. Das ist auch der Grund, warum
wir die zur Subsidiaritätsklage einer Minderheit getrof-
fene Regelung mittragen.

Am Ergebnis kommen auch Sie nicht vorbei: Es ist
mit der Idee eines gemeinsamen Binnenmarktes über-
haupt nicht zu vereinbaren, dass wir wichtige Parameter
des Binnenmarktes – ein Beispiel sind die Steuern – dau-
erhaft weiterhin entweder national oder nur im Konsens
regeln können. Das ist ein Defizit dieses Vertrages, übri-
gens ein Defizit, das auch Ihre Fraktion immer kritisiert
hat. In Anbetracht der Situation, dass eine vergemein-
schaftete europäische Regelung ein Defizit hat, sollten
Sie nicht permanent davon reden, Europa würde alles
„kleinregulieren“.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was! – Gegenruf des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt hören Sie doch mal zu, Herr Kauder!)


Was die Energiepolitik angeht, mache ich mir übri-
gens gar keine Sorgen. Über dieses Thema sollten Sie






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
einmal mit Ihren österreichischen Parteifreunden von der
ÖVP diskutieren.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Das tun wir! Mit unseren Freunden in Norwegen und Finnland reden wir übrigens auch!)


Dann werden Sie das Echo auf Ihre Vorschläge bekom-
men.

Ich gebe Ihnen ein anderes schönes Beispiel: Sie soll-
ten einmal darüber nachdenken, ob Ihre Form der Ver-
weigerung einer Regelung europäisch korrekt ist. Wie
kann es sein, dass Deutschland das einzige Land ist, –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615103300

Herr Kollege Trittin, Ihre drei Minuten sind ver-

braucht.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615103400

– das darauf verzichtet, zu regeln – Frankreich, die

Beneluxstaaten, Großbritannien machen es uns vor –,
was jemand verdienen muss? Deutschland geht, was die
Beschäftigung angeht, einen nationalen Sonderweg, mit
dem wir permanent Lohndumping aus Steuermitteln fi-
nanzieren. Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615103500

Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Kauder das Wort.


(Gerd Andres [SPD]: Wie geht das denn? – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann können wir ja alle gehen!)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1615103600

Frau Präsidentin! Herr Trittin, ich möchte nur auf ei-

nen Ihrer Punkte eingehen. Sie haben das Beispiel der
Kinderkrippen angesprochen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir haben hier keine Hamburger Koalitionsverhandlungen!)


Es ist durchaus richtig, dass man über die Kompetenzzu-
weisung sprechen muss. Aber dann muss die Europäi-
sche Kommission bereit sein, sich mit uns zusammenzu-
setzen und sich mit uns zu einigen, wie wir es mit den
Ländern gemacht haben. Dann können wir den Vor-
schlag miteinander umsetzen. Aber die Europäische
Kommission setzt sich nicht mit uns zusammen, sie kün-
digt einfach an, was sie machen will. Hier unterscheidet
sie sich von unserer Vorgehensweise.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Das ist nicht wahr! So ein dummes Zeug!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615103700

Herr Kollege Trittin, Sie dürfen noch antworten; aber

dann beenden wir dieses Gespräch.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615103800

Lieber Kollege Kauder, ich muss Ihnen Nachhilfe ge-

ben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Oberlehrer! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Herr Magister!)


Es ist doch so: Die Kommission macht Vorschläge, sie
hat das alleinige Initiativrecht in Europa. Diese Vor-
schläge haben keinerlei Rechtsverbindlichkeit, es sei
denn, der Rat und, in den meisten Fällen, das Parlament
stimmen dem zu. Das heißt, wir haben genau den Zu-
stand, dass in Europa seit geraumer Zeit ohne Zustim-
mung der Mitgliedstaaten nichts geht.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ist das jetzt die Bewerbungsrede von jemandem, der EUKommissar werden will?)


Was Sie gerade belegt haben, ist das alte Vorurteil
über Europa. Das können wir nicht durchgehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht die Kommission ist Europa, wir sind Europa; das
ist die Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie etwas nicht verstanden!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615103900

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Carl-Christian

Dressel, SPD-Fraktion.


Dr. Carl-Christian Dressel (SPD):
Rede ID: ID1615104000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne

jetzt eine Replik geben zu wollen, möchte ich anknüpfen
an das, was Herr Trittin gesagt hat: Gerade wenn man
mit Vorurteilen gegenüber Europa aufräumen will, ge-
rade wenn man darstellen will, dass Europa etwas ist,
was jeden angeht, muss man feststellen: Der Vertrag von
Lissabon ist ein wichtiger Schritt, weil Europa mit die-
sem Vertrag transparenter, effizienter und vor allem de-
mokratischer wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir erleben auch einen weiteren wichtigen Entwick-
lungsschritt: Nachdem sich die Europäische Union
schon einige Zeit als Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts versteht, sind jetzt in Art. 2 des EU-Ver-
trages die Werte aufgeführt, auf die sich die Union stützt,
Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und die
Achtung der Menschenwürde. Für eine Gemeinschaft,
die ursprünglich als Europäische Wirtschaftsgemein-
schaft gegründet wurde, ist diese Entwicklung zu einer
Wertegemeinschaft etwas, was mit uns Sozialdemokra-
ten der überwiegende Teil des Hauses nur gutheißen
kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carl-Christian Dressel
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen
werden, dass durch den Vertrag von Lissabon die Charta
der Grundrechte für die Institutionen der EU erstmals
Rechtsverbindlichkeit erhält. Ich wage aber vorauszusa-
gen: Wenn die Charta der Grundrechte gegenüber den
Institutionen der EU gilt, dann wird sich im Sinne eines
Jus Communae Europaeum auch eine Entwicklung in
die nationalen Verfassungsräume abzeichnen, so wie es
jetzt schon ein fruchtbares Miteinander im deutschen
Verfassungsraum auf Bundes- und Länderebene gibt.

Gleichzeitig wird im Rahmen der Stärkung der natio-
nalen Parlamente allerdings auch das Europäische Parla-
ment weiter gestärkt. Dies haben wir als Parlamentarier
seit Jahren gewünscht. Das gilt sowohl für uns als auch
für die Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Par-
laments. Wir können uns erfreut darüber zeigen, dass ge-
rade diese Fortschritte während der deutschen EU-Rats-
präsidentschaft im Jahre 2007 beschlossen worden sind.

Zu den Fortschritten gehört auch, dass die Opposition
im Deutschen Bundestag mehr Rechte erhält, oder – wie
es Nikolai Fichtner in der Financial Times Deutschland
formuliert hat – „Mehr Macht für Opposition im Bun-
destag“. Es besteht die Möglichkeit, dass die Opposition,
wenn sie über ein bestimmtes Quorum der Mitglieder
des Deutschen Bundestages verfügt, gegen europäische
Vorhaben mit der Subsidiaritätsklage vorgehen kann.
Ich denke, dieses Oppositionsrecht ist beispielhaft und
fraktionsübergreifend begrüßenswert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir hoffen, dass wir mit der heutigen Debatte den Ra-
tifizierungsprozess beschleunigen können. Die Bundes-
regierung hat den Gesetzentwurf am 19. Dezember 2007
beschlossen. Ich gehe davon aus, dass gerade von der
deutschen Ratifizierung eine besondere Signalwirkung
ausgeht. Wir wollen, dass der Ratifizierungsprozess in
allen Mitgliedstaaten – an die „Linken“ gerichtet füge
ich hinzu: inklusive Irland – zügig und positiv verläuft,
damit der Vertrag zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft
treten kann.

Was wir als Bundesrepublik Deutschland dazu beitra-
gen können, das tun wir auch. Neben der Ratifikation
des Vertrages von Lissabon und der Verabschiedung des
sogenannten Begleitgesetzes müssen wir unser Grund-
gesetz behutsam anpassen, um die Ziele zu erreichen,
die wir mit dem Begleitgesetz verfolgen:

Erstens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes sieht vor, durch die Einfügung eines
Abs. 1 a in Art. 23 das Recht des Bundestages und des
Bundesrates auf Erhebung der Subsidiaritätsklage im
Grundgesetz zu verankern und im Rahmen des Opposi-
tionsschutzes die Pflicht des Bundestags einzuführen,
auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Erhebung
der Subsidiaritätsklage zu beschließen.

Zweitens. Das Mehrheitsprinzip wird in einzelnen
Fällen modifiziert, sodass wir im Begleitgesetz in Ein-
zelfällen die Zweidrittelmehrheit anstelle der im Hause
üblichen einfachen Mehrheit festschreiben können.
Drittens. Durch eine Änderung von Art. 45 des
Grundgesetzes wird der Ausschuss für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union zur Wahrnehmung der
Rechte ermächtigt, die dem Deutschen Bundestag in den
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union ein-
geräumt werden.

Viertens. Um einen Gleichklang im Rahmen des Op-
positionsschutzes, der im System des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland angelegt ist, zu ge-
währleisten, wird das für Normenkontrollanträge maß-
gebende Quorum nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz
von einem Drittel auf ein Viertel angepasst, wie es schon
bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen vor-
geschrieben ist und wie es auch künftig bei der Erhebung
der Subsidiaritätsbeschwerde vor dem Europäischen Ge-
richtshof geregelt wird.

Das ist ein vernünftiger und rechtssicherer Weg, der
sich in der Tradition unseres Parlaments und seines Vor-
gängers befindet. Am 8. September 1948 hat Carlo
Schmid im Parlamentarischen Rat ausgeführt – ich zi-
tiere –:

… daß die drei Staatsfunktionen Gesetzgebung,
ausführende Gewalt und Rechtsprechung in den
Händen gleichgeordneter, in sich verschiedener Or-
gane liegen, und zwar deswegen in den Händen
verschiedener Organe liegen müssten, damit sie
sich gegenseitig kontrollieren und die Waage halten
können.

Dieses von Carlo Schmid definierte Ideal können wir
durch den EU-Reformvertrag auf die europäische Ebene
ausweiten; denn die Möglichkeit einer verbesserten ge-
genseitigen Kontrolle auf europäischer wie auf nationa-
ler Ebene ist gegeben. Lassen Sie uns ein fraktionsüber-
greifendes Signal für dieses Ziel aussenden. Ich
wünsche, dass jede demokratisch und wahrhaft euro-
päisch gesinnte Fraktion in diesem Haus den vorgelegten
Gesetzentwürfen zustimmt, sodass wir Einstimmigkeit
erreichen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615104100

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1615104200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Das erklärte Ziel des Vertrages von Lissabon ist
es, die Europäische Union der 27 Mitgliedstaaten hand-
lungsfähiger und demokratischer zu machen. Diesem
Ziel kommen wir, wie ich meine, ein gutes Stück näher.
Mehr Handlungsfähigkeit wird durch die Vereinfachung
der Entscheidungsprozesse erreicht, beispielsweise
durch die Ausweitung der Beschlüsse mit qualifizierter
Mehrheit, aber auch durch die institutionellen Verände-
rungen. Das ist in einer erweiterten Europäischen Union






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Silberhorn
unabdingbar. Mehr Demokratie schaffen wir durch eine
Stärkung der Parlamente, sowohl durch eine Aufwertung
des Europäischen Parlaments, das in vielen Fällen am
Mitentscheidungsverfahren beteiligt wird, als auch
durch eine stärkere Beteiligung der nationalen Parla-
mente. Beides, mehr Handlungsfähigkeit und mehr De-
mokratie, bedingen aber auch einander. Wenn man die
Handlungsfähigkeit der Europäischen Union stärken
will, dann erfordert das geradezu, dass man auch mehr
Demokratie schafft, und zwar dadurch, dass man die Be-
teiligungsrechte des Europäischen Parlaments wie der
nationalen Parlamente stärkt. Ich glaube, das ist ein
wichtiges Signal des Vertrages von Lissabon.

Über die Instrumente, die den nationalen Parlamenten
an die Hand gegeben werden – die Subsidiaritätsrüge
und die Subsidiaritätsklage –, haben wir mehrfach debat-
tiert. Ich bin nach wie vor skeptisch, ob der sehr hohe
formale Aufwand der Subsidiaritätsrüge – innerhalb von
acht Wochen muss eine Stellungnahme abgegeben wer-
den und ein bestimmtes Quorum der nationalen Parla-
mente erreicht werden – gerechtfertigt ist. Wir werden
bei der Wirkung der Subsidiaritätsrüge sehr genau hin-
sehen müssen. Nach meiner Einschätzung liegt ihre Wir-
kung weniger in den einzelnen Verfahren als im Allge-
meinen darin, dass wir mit diesem Instrument eine
höhere Sensibilität der nationalen Parlamente für euro-
päische Politik schaffen können. Aber wir können damit
umgekehrt auch eine höhere Sensibilität der europäi-
schen Institutionen für die Belange der nationalen Parla-
mente erreichen. Mit wesentlich mehr Hoffnung sehe ich
die Subsidiaritätsklage, die wir – völlig zu Recht – im
Deutschen Bundestag als ein Minderheitenrecht eines
Viertels der Mitglieder des Hauses ausgestalten. Das ist
die einzig sachgerechte Lösung. Das haben auch die Ex-
pertengespräche im Europaausschuss ergeben.

Vor diesem Hintergrund werden sich auch die Rolle
der Kommission und die Rolle des Europäischen Ge-
richtshofs verändern müssen. Die Europäische Kommis-
sion wird sehr viel genauer als bisher begründen müssen,
warum sie auf europäischer Ebene aktiv wird. Herr
Trittin, hier muss in der Tat mit mancherlei Anmaßung
Schluss sein, die die Europäische Union bislang im Rah-
men der Kommission begeht; denn die Interpretation des
Subsidiaritätsprinzips kann nicht sein, dass es immer
dann besser ist, wenn die Europäische Union tätig wird.
Das haben wir an der Bodenschutzrichtlinie gesehen.
Hier wird die Tätigkeit der Europäischen Union damit
begründet, dass in einem Fluss die Flussablagerungen
flussabwärts die Grenze überschreiten könnten. Es
grenzt schon an Absurdität, mit einem solchen Argu-
ment das Tätigwerden auf europäischer Ebene zu be-
gründen.

Die Europäische Kommission wird sich künftig sehr
viel mehr anstrengen müssen. Es reicht eben nicht aus,
darauf zu verweisen, dass es besser ist, etwas auf euro-
päischer Ebene gemeinsam zu regeln. Die Europäische
Kommission muss vielmehr auch darlegen, dass eine be-
stimmte Materie durch die Mitgliedstaaten nicht ausrei-
chend geregelt werden kann. Insoweit setze ich manche
Hoffnung auf den Europäischen Gerichtshof. Ich wün-
sche mir, dass sich der Europäische Gerichtshof zum
Partner der Parlamente entwickelt; denn die Instrumente,
die uns der Vertrag von Lissabon zuweist, bedeuten ein
Stück Mitverantwortung der nationalen Parlamente für
die europäische Politik. Die Mitverantwortung der natio-
nalen Parlamente muss dazu führen, dass die bislang
recht exekutivlastige Rechtsetzung in der Europäischen
Union ein Stück weit parlamentarisiert wird, und zwar
durch die bessere Beteiligung des Europäischen Parla-
ments wie der nationalen Parlamente.

Dies wird sich am Ende selbstverständlich auch in der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nieder-
schlagen müssen. Es ist dessen Verantwortung, dafür zu
sorgen, dass das Subsidiaritätsprinzip justiziabel wird
und mit Inhalten ausgestattet wird. Eine wirksame Kom-
petenzbegrenzung muss auch in der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs zum Tragen kommen. Au-
ßerdem muss ein gewisses Verständnis dafür entwickelt
werden, dass nicht jedes Tätigwerden eines Ministers im
Ministerrat mit der parlamentarischen Mehrheit gleich-
zusetzen ist, der dieser Minister zu Hause verpflichtet
ist. Da kann es durchaus Unterschiede geben. Deswegen
ist die Wahrung der Handlungsspielräume der nationalen
Parlamente unsere Aufgabe als Wächter des Subsidiari-
tätsprinzips und zugleich eine Aufgabe des Europäi-
schen Gerichtshofs, dies in seiner Rechtsprechung eben-
falls zu berücksichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
in der Umsetzung des Vertrages von Lissabon Regelun-
gen gefunden, die europaweit Maßstäbe setzen. Es
kommt uns darauf an, dass wir unsere neuen Instrumente
aus dem Vertrag von Lissabon im Bundestag wirkungs-
voll wahrnehmen und gleichzeitig gegenüber der eige-
nen Bundesregierung eine starke Mitwirkung des Bun-
destages verankern.


(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])


Dass dies gelungen ist, ist für viele Kolleginnen und
Kollegen die Voraussetzung dafür gewesen, dem Vertrag
von Lissabon am Ende zustimmen zu können. Die Kom-
petenzübertragung, die wir auf die europäische Ebene
vornehmen, wird durch eine stärkere Mitwirkung des
Bundestages auf nationaler Ebene gewissermaßen kom-
pensiert. Das bedeutet eben eine stärkere Mitwirkung
nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch gegen-
über der eigenen Regierung.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615104300

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1615104400

Hier wird dem Bundestag nicht nur eine Kontroll-

funktion, sondern auch eine konstruktive Rolle, eine ge-
staltende Funktion, eingeräumt. Im Ergebnis wird dies
dazu beitragen, dass europäische Politik auf höhere Ak-
zeptanz stoßen kann, wenn sie durch die Parlamente der
Mitgliedstaaten in größerem Umfang als bisher mitgetra-
gen und gestaltet wird.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Silberhorn

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615104500

Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer, SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1615104600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist die Stunde des Parlaments. Mit einem gewis-
sen Stolz können wir feststellen, dass wir, die übergroße
Mehrheit in diesem Hause, mit dem Lissabon-Vertrag
die Gemeinschaft demokratischer, bürgernäher und da-
mit auch parlamentarischer machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit haben wir ein Stück des Weges abgeschlossen,
den seit 45 Jahren die Christdemokraten, Liberalen und
Sozialdemokraten im Bundestag – seit 25 Jahren auch
die Grünen – gegangen sind: einen gemeinsamen euro-
päischen Verfassungsbogen zu spannen, der für die Poli-
tik tragfest ist, die unser Land auch mit unterschiedli-
chen Regierungskonstellationen in der Europäischen
Union macht.

Bei dieser parlamentarischen Debatte ist der Links-
partei eine Frage zu stellen. Die Linkspartei muss heute
entscheiden, für welche Tradition sie steht: für die Tradi-
tion, die mit der jungen Arbeiterbewegung und Teilen
des liberalen Bürgertums 1848, also vor genau 160 Jah-
ren, begonnen hat, als in der Bürgerlichen Revolution
das vereinte Europa ein Schlagwort war, oder für die
Tradition der KPD von vor genau 60 Jahren, Nein zum
Grundgesetz zu sagen. Vor dieser Entscheidung stehen
Sie heute. Für uns ist unsere Entscheidung deshalb so
wichtig, weil wir mit dem neuen Vertrag von Lissabon
so etwas wie ein Grundgesetz für das 21. Jahrhundert in
Europa schaffen. Das Nein der Linkspartei dazu heißt
eben, dass sie sich auf eine kommunistische Tradition
stützt, die nicht unsere Tradition ist. Dies muss hier ganz
deutlich gemacht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir hatten eine Expertenanhörung – es gab eine au-
ßergewöhnlich spannende und kritische Diskussion –, an
deren Ende uns alle Experten, egal von welcher Fraktion
sie vorgeschlagen worden sind, gesagt haben: Wir emp-
fehlen euch, für diesen Vertrag zu stimmen. – Keiner hat
gesagt, wir sollten gegen den Lissabon-Vertrag stimmen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


– Das gilt selbst für eure Experten. Der Einzige, der an-
derer Meinung war, war ein Abgeordneter der Linkspar-
tei aus dem Europäischen Parlament. – Wenn Sie sagen,
dass der Entwurf des Lissabon-Vertrages ein Putsch der
Regierung sei, dann zeigen Sie nur eines: Sie sind auf
Bundesebene europapolitisch nicht handlungsfähig.


(Zuruf von der CDU/CSU: Untauglich!)

Besser gesagt: Sie sind auf Bundesebene, was Europa
anbelangt, untauglich. Das ist die ganz klare Feststel-
lung, die wir hier treffen müssen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Löning [FDP]: Die sind überhaupt untauglich!)


Eines geht bei dieser Diskussion, die Gott sei Dank
vielfältig war und bei der sich nicht nur breiter Jubel
Bahn gebrochen hat, natürlich auch nicht, nämlich dass
wir unehrlich über die schwierige Dialektik zwischen
Bürgerinteressen und Parlamentarismus reden. Wir ha-
ben die gesamte Diskussion über den Verfassungsver-
trag, die jetzt mit dem Lissabon-Vertrag endet, acht Jahre
lang öffentlich geführt. Wir hatten Anhörungen und Ver-
anstaltungen, wie es sie nie zuvor in der europäischen
Geschichte gegeben hat. Es sind wahrscheinlich Millio-
nen E-Mails an den Konvent gegangen, in denen Vor-
schläge, Meinungen und berechtigte Kritik geäußert
wurden. Das alles ist von den Parlamenten aufgenom-
men worden und in den Diskussionsprozess eingegan-
gen. Das Resultat ist letztendlich der Kompromiss, der
möglich war zwischen denen, die in Europa ein Stück-
chen weitergehen wollen, und denen, die eher ein Stück-
chen zögerlich sind. Am Ende haben aber alle gesagt:
Dieser Vertrag muss parlamentarisch ratifiziert werden.

Ich hätte es gut gefunden – das sage ich ganz offen –,
wenn es dem Konvent gelungen wäre, ergänzend zur
parlamentarischen Ratifizierung an einem Tag Volksab-
stimmungen in Europa anzusetzen. Dann hätte man, wie
es in der Schweiz der Fall ist, ratifiziert, wenn die Mehr-
heit der Staaten – in der Schweiz sind es die Kantone –
und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dafür ge-
stimmt hätten. Das ist leider nicht gelungen. Hier haben
wir im Rahmen des Verfassungsprozesses tatsächlich ein
Defizit, das wir ruhig einräumen können. Aber eines
geht natürlich überhaupt nicht, nämlich dass diejenigen,
die die Verfassung sowieso nicht wollen, sich dafür aus-
sprechen, dass die Bürger abstimmen, aber nicht um der
Abstimmung willen, sondern deshalb, damit dieses Eu-
ropa verhindert wird. Dagegen sind wir allerdings.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lasst uns auch, weil wir von der Selbstverpflichtung
des Parlaments, unserer Selbstverpflichtung für die zu-
künftige Arbeit reden, offen ansprechen: Jawohl, es gibt
Unterschiede zwischen den Parteien; es gibt auch Unter-
schiede innerhalb der jetzigen Großen Koalition. In Zu-
kunft wird es auch in diesem Hause einen spannenden
Wettbewerb bei der Diskussion über die europäische Di-
mension von Politik geben. Wir reden hier nicht über
Europa, sondern über die Handlungsebene, die wir zu-
sätzlich zur nationalen Ebene unbedingt brauchen. Es
wird sich die Frage stellen, ob diese Debatte über Europa
durch die Hoffnungsträger oder eher durch die Be-
denkenträger bestimmt wird. Ich sage für meine Frak-
tion: Wir waren, wir sind und wir bleiben die Partei der
europäischen Hoffnungsträger. Wir haben im Grundge-
setz formuliert, dass wir dieses vereinte Europa wollen,
um dem Frieden in der Welt zu dienen. So haben es






(A) (C)



(B) (D)


Axel Schäfer (Bochum)

Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit über
140 Jahren formuliert. Das ist unsere Verpflichtung, und
deshalb werden wir diesem Vertrag zustimmen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615104700

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Ulrich.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615104800

Lieber Kollege Axel Schäfer, ich kann die Nervosität

der Sozialdemokratie angesichts der Umfragen, die un-
sere beiden Parteien demnächst auf gleicher Höhe sehen,
und angesichts der Tatsache, dass die sozialdemokrati-
sche Partei unter die 20-Prozent-Marke fällt, sehr gut
verstehen.

Ich frage mich wirklich, wie du es nennst, dass es in
Frankreich und den Niederlanden Volksabstimmungen
gab, die Bevölkerungen mit Nein gestimmt haben, nun
90 Prozent dessen, was im ursprünglichen Entwurf
stand, im jetzigen Verfassungsvertrag enthalten ist und
jetzt die Regierungen nichts Besseres zu tun haben, als
darauf zu achten, wie man möglichst jeder Volksabstim-
mung aus dem Weg gehen kann, um die Verträge durch-
zubringen. Wie nennst du das? Ist das das demokratische
Modell, das du für Europa willst? Wir nennen das ganz
bewusst einen Putsch; denn hier haben die Regierungen
versucht, die Völker zu entmachten.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Es gibt eine Verfassung! Es gibt ein Grundgesetz!)


Das ist Fakt; man kann nicht darum herumreden.

Zweitens. Du sagst, dass wir nicht in Europa ange-
kommen sind. Ich sage ganz bewusst: Wir sind stolz da-
rauf, dass wir, die Linke, nicht Ja sagen zu einem Europa,
in dem die Armut wächst, in dem die Schere zwischen
Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Wir wol-
len nicht zulassen, dass im Mittelmeer Menschen ertrin-
ken, weil sie nicht nach Europa gelassen werden. Zu die-
sem Europa sagen wir ganz bewusst Nein. Wir wollen
ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Damit sind wir
in Europa angekommen; ihr seid auf dem Weg, nur Ka-
pitalinteressen zu vertreten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: So ein Schwachsinn!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615104900

Herr Kollege Schäfer, Sie können erwidern.


Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1615105000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist bedauerlich, dass man Volksabstimmungen immer
nur dann heranzieht, wenn sie negativ verlaufen sind. Im
Jahr 2005 gab es in Spanien und Luxemburg Referen-
den, bei denen sich eine Mehrheit für die Verfassung
aussprach. Es wäre gut, wenn das zur Kenntnis genom-
men würde.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es hilft überhaupt nicht weiter, wenn Sie ständig
Dinge wiederholen, die überhaupt nichts mit der Verfas-
sung zu tun haben, sondern lediglich mit der Frage, wie
wir letztlich auf einem gemeinsamen Fundament unter-
schiedliche Politik gestalten. Die Politik der Sozialde-
mokratischen Partei weicht etwas von der Politik der an-
deren Parteien ab; aber das Fundament ist das gleiche.

Lieber Kollege Ulrich, es hilft auch überhaupt nicht
weiter, wenn Sie immer wieder auf Frankreich hinwei-
sen, ohne dabei zu erwähnen, dass Ihre Parteifreunde
dort zusammen mit der Front National, den Rechtsextre-
misten, dieses Europaprojekt bekämpft haben; das muss
hier deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Solche Partner wie die Front National wollen wir nicht
haben.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615105100

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1615105200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In dieser Debatte ging es im Kern um die Handlungsfä-
higkeit der Europäischen Union und um mehr Transpa-
renz. Wenn kurz vor Ende in einer Kurzintervention der
Fortschritt, der mit dem Vertrag von Lissabon verbunden
ist, mit dem Wort „Putsch“ belegt wird, dann zeigt das
einfach, dass mancher das Friedenswerk Europa bis
heute nicht begriffen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte zum Abschluss dieser Debatte ein innen-
politisches Thema ansprechen: die behutsame Verfas-
sungsänderung, die wir ebenfalls heute auf den Weg
bringen. Wie bei anderen europäischen Weichenstellun-
gen, etwa im Zusammenhang mit dem Vertrag von
Maastricht, ist auch heute eine Anpassung verfassungs-
rechtlicher Bestimmungen aus unserem Grundgesetz er-
forderlich. Es hat sich die Überzeugung durchgesetzt,
dass die Minderheitenrechte unseres Parlaments, die wir
in der letzten Legislaturperiode einfachgesetzlich – mit
einem Begleitgesetz – geregelt haben, einer sicheren
verfassungsrechtlichen Grundlage bedürfen. Ein Min-
derheitenrecht ist immer auch eine Abkehr vom Mehr-
heitsprinzip; deswegen bedarf es einer entsprechenden
Verankerung im Grundgesetz.

Mit der Subsidiaritätsklage wird die Möglichkeit er-
öffnet, zu prüfen, ob Bestimmungen des sekundären Ge-
meinschaftsrechts gegen eine Norm des primären Ge-
meinschaftsrechts, nämlich das Subsidiaritätsprinzip,
verstoßen. Mit anderen Worten: Es geht dabei um die
Frage, ob die EU ihre Kompetenzen überschreitet. Die






(A) (C)



(B) (D)


Hermann Gröhe
Tatsache, dass die EU dies selbst im Vertragswerk regelt,
macht deutlich, dass der Konflikt, auf den unser Frak-
tionsvorsitzender hingewiesen hat, von existenzieller
Bedeutung ist. Es muss immer darum gehen, sauber ab-
zugrenzen: Wo liegen die Kompetenzen der EU? Wo lie-
gen die Kompetenzen der Mitgliedstaaten?

Bei der Subsidiaritätsklage als einem Minderheiten-
recht ging es um die Frage: Wollen wir die Regelung, die
wir in der letzten Wahlperiode beschlossen haben, ins
Grundgesetz aufnehmen, nämlich das Recht einer Frak-
tion, Klage zu erheben, verbunden mit der Möglichkeit,
dies mit einer Zweidrittelmehrheit zu verhindern? Wir,
die Koalition, haben uns dagegen entschieden und den
Oppositionsfraktionen einen anderen Vorschlag unter-
breitet. Wir hätten es für systemwidrig gehalten, de facto
materielles Geschäftsordnungsrecht des Bundestages in
die Verfassung aufzunehmen; denn damals wurde in ers-
ter Linie ein qualifiziertes Antragsrecht einzelner Frak-
tionen geschaffen. Mit dem Vorschlag, auf den sich die
Große Koalition, FDP und Grüne jetzt verständigt ha-
ben, knüpfen wir an Vorschläge der Unionsfraktion aus
der letzten Wahlperiode an, nach denen die Subsidiari-
tätsklage bzw. das damit verbundene Minderheitenrecht
im Parlament als wirkliches Minderheitenrecht qualifi-
ziert und nach denen auch damals schon eine Paralleli-
sierung zum Verfahren der Normenkontrollklage vorge-
sehen werden sollte. Außerdem nehmen wir Anliegen
aus der Opposition und Anregungen des Bundestagsprä-
sidenten im Hinblick auf die Gestaltung des Minderhei-
tenrechts im Parlament auf.

Wir haben dies in folgender Weise zusammengeführt:
Parallel zum Verfahren zur Normenkontrolle können 25 Pro-
zent der Mitglieder des Deutschen Bundestages – dies
entspricht der Regelung, nach der 25 Prozent der Mit-
glieder auch die Einsetzung eines Untersuchungsaus-
schusses verlangen können – darauf bestehen, dass der
Bundestag eine Subsidiaritätsklage einreicht. Anders als
beim Verfahren zur Normenkontrolle, die im Namen die-
ser 25 Prozent der Mitglieder erhoben wird, führt im
Falle der Subsidiaritätsklage der Deutsche Bundestag als
Ganzes das Verfahren. Deswegen ist es richtig, dass im
Begleitgesetz die folgende Regelung getroffen wird:
Wenn mindestens 25 Prozent der Mitglieder des Hauses
keine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips sehen, dann
können sie dies in der Klageschrift zum Ausdruck brin-
gen.

Parallel dazu wird durch die Verfassungsänderung
Weiteres auf den Weg gebracht. Ich nenne die Stärkung
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union und die Möglichkeit, durch ein Zustim-
mungsgesetz Abweichungen vom Mehrheitsprinzip
dann vorzusehen – aber auch nur dann –, wenn in den
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union Bun-
destag und Bundesrat besondere Rechte zugewiesen
werden. Es kann also keineswegs um Ausnahmen vom
Mehrheitsprinzip allgemein in Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union gehen. Es ist gut, dass dies in der Ge-
setzesbegründung ausdrücklich festgehalten wird.

Heute nimmt sich der Deutsche Bundestag einmal
mehr selbst in die Pflicht, der europäischen Politik durch
die Verankerung europapolitischer Entscheidungen in
den nationalen Parlamenten mehr demokratische Legiti-
mation zu verleihen. Dies ist ein guter und wichtiger
Schritt. Dass wir dies durch die beiden demokratischen
Oppositionsfraktionen und durch die Große Koalition
hier in so großer Gemeinsamkeit einbringen können,
lässt mich hoffen, dass wir diese behutsame Verfas-
sungsänderung nach einer zügigen Diskussion in einer
gemeinsamen Beschlussfassung auf den Weg bringen
können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615105300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/8300, 16/8489, 16/8488 und 16/7446
an die in der Tagessordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des
Wehrsoldgesetzes (16. WSGÄndG)


– Drucksache 16/8188 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei-
digungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 16/8470 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Siebert
Dr. Hans-Peter Bartels
Birgit Homburger
Paul Schäfer (Köln)

Winfried Nachtwei


(8. Ausschuss)


– Drucksache 16/8471 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Susanne Jaffke-Witt
Otto Fricke
Roland Claus
Alexander Bonde

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes

– Drucksache 16/5970 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung soll der Wehrsold
rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres um 2 Euro pro
Tag erhöht werden. Die letzte Erhöhung des Wehrsoldes
erfolgte vor neun Jahren, und zwar um 1 DM pro Tag.
Die Wehrpflichtigen leisten einen wichtigen Dienst für
die Sicherheit unseres Landes, aber auch für die Ge-
währleistung von Sicherheit, beispielsweise bei der Un-
terstützung der Auslandseinsätze. Ich denke deshalb,
dass sie eine Erhöhung verdient haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Folgendes unterstreichen: Wenn man den
Durchschnitt betrachtet, dann stellt man fest, dass die
Wehrpflichtigen rund 250 Euro pro Monat erhalten. Das
ist noch nicht einmal ein 400-Euro-Job.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb war
es auch unter dem Aspekt der Attraktivität des Wehr-
dienstes geboten, dass wir damals entschieden haben,
dass die Wehrpflichtigen sowohl das Weihnachtsgeld als
auch das Entlassungsgeld weiterhin erhalten, dass wir
jetzt aber auch bereit sind, den Wehrsold um 2 Euro pro
Tag zu erhöhen. Dies entspricht aus meiner Sicht der
Ableistung der Dienstpflicht und damit auch einer ange-
messenen finanziellen Ausstattung. Daher bitte ich Sie
um Ihre Unterstützung für die Erhöhung des Wehrsoldes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen die Wehrpflichtigen der Bundeswehr.
Wir brauchen sie für die Unterstützung unserer Aufga-
ben und unseres Einsatzes für den Frieden. Wir brauchen
sie aber auch zum Schutz Deutschlands, auch und gerade
im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Ich
denke beispielsweise an die Bewältigung der Hochwas-
serkatastrophe und an andere Ereignisse. Hier haben die
Wehrpflichtigen einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie
gewährleisten die Sicherheit Deutschlands. Deshalb,
denke ich, ist es richtig, an der allgemeinen Wehrpflicht
festzuhalten.

Die Wehrpflicht gewährleistet die Verbindung zur Ge-
sellschaft. Sie verkörpert die Armee in der Demokratie.
Als die Wehrpflicht eingeführt wurde, hat der damalige

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1615105400


Die … Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demo-
kratie. Es geht um den Dienst des freien Bürgers für
die Gemeinschaft der freien Bürger.

Die Wehrpflicht hat sich für die Bundeswehr innerhalb
ihrer 50-jährigen Tradition bewährt. Deshalb denke ich,
dass es richtig ist, wenn wir in Zukunft an der Wehr-
pflicht festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beifall aus den hinteren Rängen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Bild
der Bundeswehr vom Staatsbürger in Uniform und zum
Thema der inneren Struktur- und Personalanpassung.
Herr Kollege Nachtwei, auch Sie wissen: Wir haben
rund 60 000 Wehrpflichtige im Jahr. Davon verpflichten
sich 25 000 freiwillig weiter. Ich denke, das ist eine
wichtige Frage der Strukturentwicklung der Bundes-
wehr. Die Sicherheit unseres Landes wird im Wesentli-
chen durch unsere Gesamtkonzeption mit jetzt rund
250 000 Soldatinnen und Soldaten gewährleistet. Darun-
ter sind 60 000 Wehrpflichtige. Ich füge hinzu: Wir ha-
ben durch meine Entscheidung, jährlich 6 500 mehr
Wehrpflichtige einzuberufen, gewährleistet, dass wir
jetzt 79,1 Prozent derjenigen, die tauglich sind, für den
Wehrdienst einberufen. Das hat auch etwas mit Wehrge-
rechtigkeit zu tun. Deshalb halte ich diesen Weg für rich-
tig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele werden zurzeit als untauglich gemustert?)


Kollege Nachtwei, ich denke, die Attraktivität des
Dienstes verlangt eine angemessene finanzielle Ausstat-
tung. Deshalb bitte ich Sie hier im Deutschen Bundestag,
der Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro pro Tag zuzu-
stimmen. Das ist im Interesse der Gewährleistung der
Dienstpflicht richtig. Es ist auch richtig im Interesse der
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Damit ist
dies auch im Interesse der Bundeswehr. Ich bitte Sie um
Ihre Zustimmung zu dieser Wehrsolderhöhung.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615105500

Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1615105600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als ich mich auf diese Debatte vorbereitet habe, habe ich
überlegt, was man für 2 Euro bekommt. Für 2 Euro be-
kommen Sie ein Päckchen Butter, ein Glas Marmelade,
500 Gramm Nudeln, eine Packung Wunderkerzen oder
ein USB-Kabel für den PC. Ich zähle dies auf, um zu sa-
gen: 2 Euro sind nicht gerade üppig. Dessen sollten wir
uns bewusst sein, wenn wir heute die Erhöhung des
Wehrsoldtagessatzes um 2 Euro beschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Minister
hat es angesprochen: Hinzu kommt, dass diese Erhöhung
längst überfällig ist. Die letzte Erhöhung um 1 DM er-
folgte zum 1. Januar 1999. Seither hat ein Grenadier ei-
nen Tagessold von 7,41 Euro. Ich glaube, das ist wirk-
lich nicht angemessen.






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir sind der Auffassung, dass, solange die allgemeine
Wehrpflicht besteht, diejenigen, die ihrem Dienst und ih-
rer Pflicht nachkommen, wenigstens eine einigermaßen
nachvollziehbare Anerkennung erhalten sollten. Des-
halb fordert die FDP seit langem die Erhöhung des
Wehrsolds. Wir haben im letzten Jahr, am 4. Juli, einen
Antrag dazu eingereicht. Eine solche Erhöhung war
lange umstritten, obwohl sie gerade einmal knapp
0,2 Prozent des gesamten Verteidigungshaushalts aus-
macht. Wenn die Wehrpflichtigen wirklich die Bedeu-
tung haben, die der Verteidigungsminister hier eben be-
schrieben hat, dann hätte man ihnen diese Anerkennung
schon früher geben müssen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir haben uns dann, und zwar über alle Fraktionen
hinweg, im Laufe der Haushaltsberatungen im letzten
Jahr auf eine Wehrsolderhöhung verständigt und diese
im Bundeshaushalt eingestellt. An dieser Stelle möchte
ich sehr deutlich sagen, dass ich von dem Engagement
der Wehrdienstleistenden beeindruckt war. Sie haben
sich massiv engagiert. Herr Ahammer, der Beisitzer der
Grundwehrdienstleistenden beim Deutschen Bundes-
wehr-Verband, hat beispielsweise eine Petition einge-
reicht, und die Wehrdienstleistenden haben die Erhö-
hung zu einem Thema auf ihrer Bundestagung gemacht.
Die Tatsache, dass diese jungen Männer das Thema so
engagiert aufgegriffen haben, hat auch politischen Druck
erzeugt. Heute zeigt sich, dass politisches Engagement
sich rentiert, dass es richtig ist, sich politisch zu engagie-
ren. Es ist auch der Erfolg der Grundwehrdienstleisten-
den, dass heute diese Erhöhung beschlossen werden
kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Betrachtet man die Erhöhung um 2 Euro einmal ge-
nauer, dann stellt man fest, dass, wenn man die Inflation
herausrechnet, faktisch nur eine Erhöhung um 1 Euro
übrigbleibt. Deswegen bleibt zu hoffen, dass die nächste
Anpassung nicht wieder neun Jahre auf sich warten lässt.
Denn wenn die Inflation weiterhin ähnlich verläuft, wäre
man dann im Jahr 2017 wieder auf dem Stand von 1999.
Das wird der Bedeutung der Wehrpflichtigen überhaupt
nicht gerecht.


(Beifall bei der FDP)


Allerdings – hier unterscheidet sich die Einschätzung
der FDP-Bundestagsfraktion erheblich von der des Bun-
desverteidigungsministers – müssen wir uns dann viel-
leicht gar nicht mehr über einen Wehrsold unterhalten.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte anlässlich dieser Debatte darauf aufmerksam
machen, dass zwischenzeitlich nur noch 17 Prozent ei-
nes Jahrgangs wirklich Wehrdienst leisten. Insgesamt
leisten circa 60 Prozent eines Jahrgangs weder Wehr-
noch Zivildienst. Vor diesem Hintergrund kann von
Wehrgerechtigkeit schon lange nicht mehr gesprochen
werden, sondern nur noch von Wehrungerechtigkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist eine gemeine und nicht eine allgemeine Wehrpflicht!)


Es ist auf Dauer nicht akzeptabel, dass die einen die-
nen, während die anderen verdienen. Angesichts der Tat-
sache, dass sich die Bundeswehr zu einer Armee im Ein-
satz gewandelt hat und sich damit ganz anders darstellt
als noch vor einigen Jahren, sollten wir uns der Debatte
um die Wehrpflicht annehmen. Die Wehrpflicht – das
hat schon Roman Herzog gesagt – ist nur dann gerecht-
fertigt, wenn sie für die Aufrechterhaltung der äußeren
Sicherheit unabdingbar notwendig ist. Wenn wir uns die
sicherheitspolitische Lage Deutschlands anschauen,
dann sehen wir, dass das heute nicht mehr der Fall ist. Es
hat sich deutlich geändert. Vor diesem Hintergrund muss
diese Debatte geführt werden.


(Beifall bei der FDP)


Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
tritt die FDP-Bundestagsfraktion für eine Aussetzung
der Wehrpflicht ein. Wir sind der Auffassung, dass man
sich den Gegebenheiten stellen muss, dass die Bundes-
wehr zukunftsfähig gemacht werden muss und dass eine
Umstrukturierung erfolgen muss, um den zukünftigen
Herausforderungen gerecht zu werden. Ich sage aber
auch für meine Fraktion: Solange es die allgemeine
Wehrpflicht gibt, werden wir uns immer für die Interes-
sen der Wehrpflichtigen einsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615105700

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Bartels,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1615105800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegin Homburger, der feste Wille der Koalitionsfrak-
tionen ist, dass es nicht bei dieser Erhöhung des Wehr-
soldes bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Max Stadler [FDP]: Was zu gegebener Zeit zu beweisen wäre! – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist immer nur die Frage, wann!)


Nach neun Jahren nehmen wir – Gott sei Dank – wieder
einmal eine Erhöhung vor. Auch nach meinem Gefühl ist
ein bisschen viel Zeit vergangen.

Eine Erhöhung um 2 Euro – das entspricht einer Er-
höhung um 25 Prozent – hört sich nicht nach viel an.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Bartels
Aber wir reden hier in der Tat nicht über Gehälter, son-
dern über den Wehrsold. Er musste allerdings dringend
angehoben werden; denn in der Zwischenzeit sind die
Tariflöhne nach den Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung
um 20 Prozent gestiegen. Eine Erhöhung war also drin-
gend geboten.

Schon die letzte Erhöhung 1999 um 1 DM war knapp
bemessen. Damals hatte die SPD beantragt – ich war
noch nicht Mitglied des Bundestages –, eine Erhöhung
um 2 DM durchzuführen. Vielleicht sollte man in Zu-
kunft nicht mehr so lange bis zur nächsten Erhöhung
warten und es sich damit ersparen, in einer gewaltigen
Aktion eine Erhöhung durchzuführen. Man sollte die Er-
höhung des Wehrsolds lieber an lineare Erhöhungen, die
es für Angehörige des öffentlichen Dienstes auf anderem
Wege gibt, koppeln. Das haben die Wehrpflichtigen ver-
dient.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin sehr froh, dass wir gegen den Widerstand der
Haushälter – nicht alle in diesem Haus waren zunächst
willens, Geld in die Hand zu nehmen – eine Erhöhung
um 2 Euro statt einer Erhöhung um 1 Euro durchsetzen
konnten. Dass dies möglich ist, ist das Ergebnis der An-
strengungen der „Verteidiger“ in beiden Koalitionsfrak-
tionen. Wir sind froh, dass wir auch die FDP und die
Grünen dabei an unserer Seite haben.

Wir fragen uns natürlich immer, ob das Geld, das wir
der Bundeswehr zur Verfügung stellen, richtig angelegt
ist. Wir ziehen nun zusätzliche Wehrpflichtige ein – die
zugrunde liegenden Probleme wurden schon angespro-
chen; auch der Minister hat dies getan –, um den Aspekt
der Wehrgerechtigkeit zu beachten. Diese 6 700 zusätz-
lich eingezogenen Wehrpflichtigen kosten mehr Geld. Es
kann eigentlich nur – um mit Bismarck zu sprechen – ein
„System der Aushilfen“ sein. Das ist zwar nicht schlecht.
Aber wir sollten zu einer anderen Systematik und zu ei-
ner intelligenten Weiterentwicklung der Wehrpflicht
kommen, damit wir sie bewahren. Wir sollen unter den
neuen Bedingungen mehr Freiheit und mehr Freiwillig-
keit gewährleisten. Dazu wird mein Kollege Maik
Reichel nachher noch einiges sagen.

Ich will zur Attraktivität der Bundeswehr noch ein
paar Worte verlieren. Durch die Erhöhung des Wehrsol-
des wird der Dienst in der Bundeswehr substanziell nicht
wirklich attraktiver.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Sehr vorsichtig ausgedrückt!)


Das ist ein kleines Element. Aber es gibt auch andere
Aspekte, die für Wehrpflichtige heute zumindest ge-
nauso wichtig, wahrscheinlich noch wichtiger, sind. Das
ist zunächst einmal die Planbarkeit des Zeitpunkts für
den Dienstantritt. Wann wird man gezogen? An wel-
chem Ort wird man stationiert? Es geht auch darum, in-
wieweit den Wünschen der Wehrpflichtigen Rechnung
getragen wird. In welchem Bereich können sie tätig wer-
den?

Wenn man mit Wehrpflichtigen spricht, erfährt man,
dass die Ausgestaltung des Dienstes nicht immer zu-
friedenstellend ist. Es gibt auch das Problem der Unter-
forderung. Wir sind der Meinung, dass Wehrpflichtige in
der Bundeswehr gefordert werden wollen und können.
Wir wollen, dass Wehrpflichtige nicht nur Handlangertä-
tigkeiten ausführen, sondern in verantwortlicher Weise
Dinge tun können, die ihrem Ausbildungsstand entspre-
chen. Die Ausgestaltung des Dienstes – weg vom Gam-
meldienst, über den wir schon vor 25 Jahren diskutiert
haben – bleibt ein Thema für die Bundeswehr, auch
wenn sie heute weniger Wehrpflichtige für die Aufrecht-
erhaltung ihres Dienstbetriebes braucht.

Ein weiteres Thema wäre der Zustand der Unter-
künfte. Diesbezüglich haben wir allerdings schon eini-
ges auf den Weg gebracht. Das Sonderprogramm für die
Sanierung der Kasernen ist für die Attraktivität des
Dienstes ein wichtiger Punkt.

Der Minister hat es schon angesprochen: Dass 50 Pro-
zent der Zeit- und Berufssoldaten aus der Gruppe der
Grundwehrdienstleistenden gewonnen werden – sie wis-
sen also nicht schon vorher, dass sie diesen Beruf für
längere ergreifen wollen; sie tun dies, weil sie die Bun-
deswehr kennengelernt haben –, ist ein Beleg dafür, dass
wir erstens die Wehrpflicht brauchen und dass zweitens
der Wehrdienst attraktiv sein muss. In der Bundeswehr
muss man die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, da-
bei zu bleiben.

Wenn wir über die Zukunft der Wehrpflicht reden,
dann müssen wir uns in diesem Zusammenhang auch die
Frage stellen, wie sinnvoll es ist, dass der Wehrdienst in-
nerhalb von neun Monaten absolviert wird. Wenn wir im
Rahmen der Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu ei-
nem anderen, intelligenteren Modell übergehen, dann
muss dieser Zeitraum noch einmal auf den Prüfstand
gestellt werden. Zwölf Monate – solange dauern andere
vergleichbare Dienste; und so lange hat der Wehrdienst
früher auch über eine lange Zeit gedauert – sind sicher-
lich eine planbarere Größe als die Untergrenze von neun
Monaten, die zurzeit besteht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir hatten auch schon 18!)


Aber für viele kommt die Grenze von neun Monaten ja
auch gar nicht zum Tragen; viele leisten freiwillig einen
längeren Wehrdienst ab.

Lassen Sie mich eine Bemerkung zur generellen
Attraktivität des Wehrdienstes machen. Der Bundes-
wehrverband hat unter seinen Mitgliedern entsprechende
Umfragen durchgeführt. Über die Repräsentativität die-
ser Umfragen kann man sicherlich streiten; aber die Tat-
sache, dass die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung
tendieren, muss uns doch dazu bringen, auch über das
nachzudenken, was über die Wehrpflicht an sich hinaus-
geht, nämlich die Attraktivität des Wehrdienstes für Zeit-
und Berufssoldaten. Denn was diese Soldaten über den
Wehrdienst sagen, wirkt sich darauf aus, wie attraktiv
die Bundeswehr in der Gesellschaft und in der Genera-
tion derjenigen, die in die Bundeswehr nachrücken,
wahrgenommen wird. Wenn das Signal aus der Bundes-
wehr ist: „Es lohnt sich nicht, Wehrdienst zu leisten, ich
würde das meinen eigenen Kindern nicht empfehlen“,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans-Peter Bartels
dann ist das ein Problem. Wir müssen daran arbeiten,
dass die Berufe der äußeren Sicherheit von den materiel-
len Bedingungen, von der Planbarkeit und der Familien-
freundlichkeit her ähnlich attraktiv werden, wie es die
Berufe der inneren Sicherheit – Polizei – in den vergan-
genen Jahren nach und nach geworden sind. In diesem
Bereich hat die Bundeswehr Nachholbedarf. Wir werden
das Ministerium bzw. die Bundesregierung dabei unter-
stützen, in diesem Bereich mehr zu tun.

Heute geht es um 2 Euro. Der Antrag der FDP-Frak-
tion ist damit sozusagen auf freundliche Art und Weise
erledigt.


(Zuruf von der FDP: Nach knapp einem Dreivierteljahr!)


Ich bin froh, dass wir hier gemeinsam eine Debatte füh-
ren, die in die gleiche Richtung führt. Wir haben zwar
unterschiedliche Argumente; aber wir alle wollen, dass
die Wehrpflicht für die jungen Wehrdienstleistenden
– auch die Zivildienstleistenden – materiell ein kleines
bisschen attraktiver, dass die Besoldung angemessener
wird. Ich bin froh, dass wir dafür heute die Zustimmung
des Hauses in dieser Breite erhalten. Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615105900

Der nächste Redner ist der Kollege Paul Schäfer,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615106000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es

um die Entlohnung abhängig Beschäftigter geht, hat die
Linke klare Positionen. Wir sagen: Man muss davon le-
ben können. – Deshalb reden wir über den gesetzlichen
Mindestlohn. Wir reden darüber, dass ständig steigende
Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden müssen –
Stichwort „Inflationsausgleich“. Wir reden davon, dass
die Arbeitnehmer am Produktivitätsfortschritt teilhaben
sollen, um ihren Lebensstandard zu steigern.

Den letzten Aspekt können wir getrost beiseitelassen;
denn jetzt reden wir über den Wehrsold. Wir reden über
einen Inflationsausgleich und eine Aufstockung des
Wehrsolds, der zuletzt vor neun Jahren und seitdem nicht
mehr erhöht wurde. Allein wenn man bedenkt, wie sehr
die Lebenshaltungskosten gestiegen sind, dann muss
man zu dem Schluss kommen, dass diese Anpassung
längst überfällig und völlig gerechtfertigt ist. Solange es
die Wehrpflicht gibt, muss man auch über Wege nach-
denken, wie eine Dynamisierung des Wehrsolds erreicht
werden kann; denn sonst wird vielleicht in zehn Jahren
wieder die gleiche Situation bestehen.


(Beifall des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir stimmen diesem Gesetz also zu, vor allem, weil es
auch den Zivildienstleistenden zugutekommt, deren
Leistungen man an dieser Stelle einmal würdigen sollte.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DlE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ist der Sold auskömmlich? Es ist schon gesagt wor-
den: In den ersten drei Monaten gab es bisher 222 Euro
Sold, künftig werden es 282 Euro sein. Man muss natür-
lich berücksichtigen, dass Unterkunft, Verpflegung,
Dienstkleidung etc. gestellt werden. Aber es ist nicht üp-
pig, was für die Wehrdienstleistenden herauskommt. Das
ist nur zu rechtfertigen, wenn man berücksichtigt, dass
es sich um eine kurze Lebensspanne handelt, in der sich
die Grundwehrdienstleistenden in dieser Situation befin-
den, nämlich neun Monate. Für diese ist es oft keine pro-
duktive Zeit; denn sie bringt sie beruflich nicht weiter.

Deshalb liegt unser Vorschlag zu einer deutlichen An-
hebung des Entlassungsgeldes weiter auf dem Tisch.
Gegenwärtig sind es 690 Euro. Das ist, so scheint es uns,
ein sehr geringer Betrag. Wir schlagen nicht eine Aufsto-
ckung von 10 oder 20 Euro vor, sondern wir meinen
– darüber muss man dann diskutieren –, die Aufstockung
könnte so hoch sein, dass der Betrag vierstellig wird. Um
den Übergang von der Wehrpflicht in den Beruf oder in
eine weitere Ausbildung zu erleichtern, wäre das sinn-
voll.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Aber es gilt generell, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Die Wehrpflicht, über die wir hier reden, ist nicht mehr
zeitgemäß.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der heutige Wehrdienst, der nur eine kleine Minderheit
erfasst, der sogenannte Auswahlwehrdienst, ist überaus
ungerecht. Nehmen Sie nur einmal einen Geburtsjahr-
gang. Vom Geburtsjahrgang 1983 haben 62 000 junge
Männer ihren Wehrdienst geleistet, das sind 14 Prozent
dieses Altersjahrgangs. Das ist die allgemeine Wehr-
pflicht. Das kann überhaupt nicht sein.

Die Wehrpflicht als eine Art Zwangsdienst ist nur
durch eine bestimmte Sicherheitslage zu begründen, also
durch eine spezielle militärische Bedrohungs- und Ge-
fährdungslage. Diese ist aber nicht mehr gegeben. Des-
halb sollte man mit der Wehrpflicht schleunigst aufhö-
ren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Übrigen weiß die Bundeswehr gar nicht so richtig,
was sie mit den Wehrpflichtigen anfangen soll. Die
Beispiele, wie Unterforderung und Unzufriedenheit, sind
genannt worden. Ich habe mehrfach gefragt, wofür die
Wehrpflichtigen eingesetzt werden sollen. Eine konkrete
und präzise Antwort bekommt man auf diese Frage
nicht. Die Bundeswehr interessiert sich für die Wehr-
pflichtigen nur insoweit, als man aus ihnen Menschen
für den weiteren militärischen Dienst rekrutieren will.






(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (Köln)

Es gibt bezeichnenderweise keine Studien über die
Erwartungshaltung und Situation der Wehrpflichtigen.
Es gibt dazu im Bericht des Wehrbeauftragten verstreute
Hinweise. Aber ansonsten spielen die Wehrpflichtigen
keine Rolle. Das muss man sich der Ehrlichkeit halber
einmal einfach eingestehen. Hier muss man klar sagen:
Diese Menschen sind nur eine Rekrutierungsreserve,
aber ansonsten haben wir mit ihnen nichts zu tun. Ich
finde, das wird den Wehrpflichtigen, die neun Monate
oder etwas mehr ihres Lebens dafür opfern, nicht ge-
recht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider nicht nur an dieser Stelle bedeutet die Große
Koalition Stillstand. Die Frage der Wehrpflicht wird im-
mer wieder vertagt, obwohl die meisten hinter vorgehal-
tener Hand den Wehrdienst für nicht mehr up to date hal-
ten. Diesen Zustand müssen wir beenden. Gerade mit
Blick auf die Bundestagswahl 2009 ist es mehr als über-
fällig, mit dem Anachronismus Wehrpflicht Schluss zu
machen. Dabei geht es natürlich auch um die Ersetzung
der Zivildienstleistenden in den Bereichen Gesundheit,
Pflege und Altenbetreuung. Die Arbeit dort wollen wir
anders organisieren. Hier werden vor allem gut ausgebil-
dete und qualifizierte Fachkräfte gebraucht, nicht die Zi-
vildienstleistenden als Nothilfsmaßnahme, wie wir es
gegenwärtig haben. Es ist an der Zeit, die Wehrpflicht
aufzuheben.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615106100

Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Nachtwei,

Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615106200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt aus-
drücklich die heute zu beschließende Erhöhung des
Wehrsolds. Dies verdient Anerkennung für die Verteidi-
gungspolitiker der Koalition, die die Haushaltspolitiker
und das Ministerium dazu gebracht haben, zuzustimmen.
Mein Glückwunsch geht aber vor allem an die organi-
sierten Vertreter der Wehrpflichtigen.

Im Juni 2006 beschloss das Parlament der Wehr-
pflichtigen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes genau
diese Forderung nach 2 Euro mehr Wehrsold. Diese For-
derung wurde dann Anfang vorigen Jahres als Petition
mit damals 4 750 Unterschriften in den Bundestag ein-
gebracht; inzwischen sind es 29 000 Unterzeichner. Das
sollte man in der Tat ansprechen; Frau Kollegin
Homburger hat das vorhin ebenfalls getan. Die beiden
besonderen Fürsprecher dieses Anliegens, nämlich
Andreas Ahammer und Stephan Nachtigall, haben hier-
bei eine hervorragende Überzeugungsarbeit geleistet. In
der Tat können diese jungen Leute anhand dieses Bei-
spiels sagen: Es lohnt sich, für eine Sache zu kämpfen,
man kann auch etwas erreichen. Deshalb geht mein
Glückwunsch an diese beiden jungen Menschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Zugleich muss ich mein Bedauern darüber ausspre-
chen, dass es überhaupt dieses Druckes bedarf und dass
es zu dieser Erhöhung erst so spät gekommen ist. Rot-
Grün hatte bis 2005 Verantwortung.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Eben!)


Das heißt, meine Worte sind auch eine Kritik an der feh-
lenden Bereitschaft der damaligen Koalition, dies umzu-
setzen.

Im Gesetzentwurf heißt es:

Das konsequente Festhalten an dem Bestehen der
allgemeinen Wehrpflicht verpflichtet dazu, den jun-
gen Soldaten, die … einen wichtigen Dienst für un-
ser Land erbringen, nach neun Jahren eine Anpas-
sung des Wehrsolds zu gewähren.

Diese Formulierung scheint mir ironisch gemeint zu
sein.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Angesichts der enormen Verzögerung der anstehenden
Wehrsolderhöhung und der schon mehrfach angespro-
chenen geringfügigen „Höhe“ des Wehrsoldes wird ei-
nem klar, dass das das nicht wirklich ernst gemeint sein
kann. An dem Umgang der Politik mit dem Wehrsold
zeigt sich de facto eine Geringschätzung der Wehrpflich-
tigen.

Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, an
der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten. Herr Minis-
ter, dafür verwenden Sie bei der Bundeswehr allerdings
alle möglichen Tricks. Einige Belege dafür: Vor zehn
Jahren wurden 13,3 Prozent der Wehrpflichtigen als un-
tauglich gemustert. Vor fünf Jahren waren es 16,9 Pro-
zent. Und wie viele waren es im ersten Halbjahr des letz-
ten Jahres? 42,2 Prozent! Einen solchen Niedergang der
Gesundheit und des körperlichen Zustandes junger Män-
ner gibt es wahrhaftig nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Daran sieht man, wie hier manipuliert wird und wie es
um die Glaubwürdigkeit der Aussage „Wir halten an der
allgemeinen Wehrpflicht fest!“ steht. Dieses sogenannte
Festhalten ist zutiefst unglaubwürdig. Abgesehen davon
ist es auch sicherheitspolitisch ein Anachronismus.

Wie unglaubwürdig diese Aussage ist, hat sich – das
ist interessant – auch am vergangenen Montag bei der
Kommandeurtagung der Bundeswehr gezeigt. Kanzle-
rin und Minister bekannten sich dort ganz selbstver-
ständlich – das gehört sozusagen zum Redenarsenal von
Ministern und Kanzlern – zur allgemeinen Wehrpflicht.


(Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister: Jawohl!)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
– Jawohl. –


(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Donnernder Applaus!)


Welches Echo kam von den Generalen, die sicherlich die
stärkste Gruppe der Sympathisanten der allgemeinen
Wehrpflicht darstellen? Keine Hand rührte sich – im Un-
terschied zu der Kommandeurtagung vor drei Jahren.
Als der Bundespräsident damals ein Bekenntnis zur all-
gemeinen Wehrpflicht abgelegt hat, gab es kräftigen Bei-
fall – jetzt aber nicht mehr. Das heißt, die Generale kau-
fen Ihnen Ihr Bekenntnis schlichtweg nicht mehr ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Zurück zum Wehrsold. Der heutige Beschluss zur
Wehrsolderhöhung ist, wie gesagt, erfreulich. Er ist aber
kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Vonseiten der Oppo-
sition, aber auch vonseiten der SPD ist bereits gesagt
worden, dass eine Dynamisierung der Anpassung und
Entwicklung des Wehrsoldes eine Selbstverständlich-
keit sein müsste. Bis zur nächsten Wehrsolderhöhung
dürfen nicht noch einmal neun Jahre vergehen. Ich
meine aber, dass es so oder so keine neun Jahre dauern
wird; denn vorher wird die in der Tat völlig unglaubwür-
dige Wehrpflicht durch ein sinnvolles System einer Frei-
willigenarmee abgelöst. Da bin ich mir sehr sicher. Dies-
bezüglich habe ich die Unterstützung der Opposition und
erheblicher, „heimlicher“ Teile der Koalition.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1615106300

Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernd Siebert,

CDU/CSU-Fraktion.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist jetzt der unheimliche Teil der Koalition!)



Bernd Siebert (CDU):
Rede ID: ID1615106400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach den bisherigen Reden kann man eines sicherlich
festhalten: Der heutige Tag ist ein guter Tag für die
Wehrpflichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, der heutige Tag ist auch ein guter Tag für die
Bundeswehr insgesamt.

Mit dem vorliegenden Wehrsoldänderungsgesetz ist
das Bundesministerium der Verteidigung einer Initiative
der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der SPD,
gefolgt. Der Wehrsold wird, rückwirkend ab dem 1. Ja-
nuar 2008, um 2 Euro pro Tag erhöht. Für dieses wich-
tige Zeichen danke ich ausdrücklich dem Bundesminis-
ter der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, der diese
Initiative aus dem Herbst des Jahres 2007 aufgenommen
und entscheidend dazu beigetragen hat, dass diese Initia-
tive Erfolg hatte und haushalterisch umgesetzt werden
konnte.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Alles andere wäre auch eine Blamage!)


Wir waren und sind gemeinsam der Auffassung, dass
unsere Wertschätzung für die Wehr- und Ersatzdienst-
leistenden für alle in unserer Gesellschaft sichtbar sein
muss. Eine Erhöhung um 2 Euro ist nicht nur ein klares
Zeichen, ein Signal, sondern auch eine substanzielle Ver-
besserung für die Grundwehrdienstleistenden. Denn wir
konnten nicht vom Erhalt der allgemeinen Wehrpflicht
sprechen, ohne entsprechende Taten folgen zu lassen.
Darum werte ich diese vom Verteidigungsausschuss ein-
stimmig beschlossene Erhöhung des Wehrsoldes – es ist
übrigens die erste seit dem 1. Januar 1999; das ist schon
mehrfach erwähnt worden – als deutliches Bekenntnis
zur allgemeinen Wehrpflicht – ich sage das an dieser
Stelle bewusst –, jedenfalls für die Fraktion der CDU/
CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist schon mehrfach auf die 2 Euro hingewiesen
worden. Frau Kollegin Homburger hat darüber philoso-
phiert, was sie wert sind. Im Monat sind das immerhin
60 Euro. 222,30 Euro im Monat werden auf 282,30 Euro
erhöht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist beeindruckend!)


Dies ist eine Steigerungsrate, wie es sie in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland bei der Erhö-
hung des Wehrsolds noch nicht gegeben hat. All die Äu-
ßerungen, dass ein viel zu langer Zeitraum zwischen der
letzten Erhöhung und der heutigen ist, sind mit Recht
vorgetragen worden. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber ich will das gar nicht weiter bewerten. Denn das,
was in den Jahren dazwischen passiert ist, spricht für
sich selbst.

Herr Nachtwei, Sie haben auf eine Veranstaltung und
auch auf die beiden jungen Rekruten Andreas Ahammer
und Stephan Nachtigall hingewiesen, die sich im Bun-
deswehr-Verband in entscheidender Weise der Aufgabe
gewidmet haben, dazu beizutragen, den Wehrsold zu er-
höhen. Ich will aus einer Zeitung des Bundeswehr-Ver-
bandes zitieren, wo sie über eine Veranstaltung, bei der
auch Sie anwesend waren, schreiben: Es ist ein großer
Moment in der Geschichte des Deutschen Bundeswehr-
Verbandes. Die Abgeordneten Rainer Arnold und Bernd
Siebert halten den von ihnen in der Sitzung unterzeich-
neten Antrag auf Wehrsolderhöhung in die Kamera und
damit in das Publikum hinein.

Wir haben großen Beifall erhalten, und die Leute ha-
ben sich gefreut. Das war genau die Absicht, die wir da-
mals hatten,


(Birgit Homburger [FDP]: Beifall zu bekommen!)


nämlich dazu beizutragen, Anerkennung in der Öffent-
lichkeit für diese notwendige Maßnahme zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bernd Siebert
Die Wehrpflichtigen leisten in der Bundeswehr einen
nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Einsatzbereit-
schaft. Sie leisten meiner Ansicht nach einen sehr ver-
antwortungsvollen Dienst. Sie stellen – ebenfalls sehr
verantwortungsvoll – einerseits den reibungslosen Hei-
matbetrieb der Streitkräfte sicher, andererseits sind die
vielen freiwillig Längerdienenden das Rückgrat der
Truppe in den Auslandseinsätzen. So darf dieser persön-
liche Beitrag, den die jungen Bundesbürger für das Ge-
meinwohl Deutschlands erbringen, nicht unterschätzt
werden. Auch das gehört in diese Debatte. Die Wehr-
pflicht ist ein Zeichen der Solidarität mit der Gemein-
schaft und schafft nachhaltige Sicherheit für Deutsch-
land. Der Dienst des Einzelnen in der Gemeinschaft im
Rahmen der Wehrpflicht ist ein wichtiger Dienst und
trägt zur Sicherheit von uns allen bei.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Erhöhung des Wehrsolds darf nicht isoliert be-
trachtet werden. Vielmehr ist sie ein weiterer Beitrag zu
einem ganzen Strauß an Maßnahmen zur Verbesserung
der Lage der Bundeswehr als Armee im Einsatz. Ich darf
daran erinnern, dass wir im Jahre 2007 das Personalan-
passungsgesetz und das Einsatz-Weiterverwendungsge-
setz beschlossen haben. Wir beraten im Moment über das
Wehrrechtsänderungsgesetz, das wir hier wahrscheinlich
nächste Sitzungswoche beschließen werden. Das Dienst-
rechtsneuordnungsgesetz befindet sich ebenfalls in der
Pipeline. Wir werden in besonders intensivem Maße da-
rum kämpfen, dass die Interessen der Soldaten beim
Dienstrechtsneuordnungsgesetz berücksichtigt werden.

Natürlich ist auch – das sage ich in aller Deutlichkeit –
eine adäquate Unterbringung zum Wohlbefinden der
Soldatinnen und Soldaten notwendig, wenn sie ihre
schwere Aufgabe erledigen. Wenn wir es mit der Wehr-
pflichtarmee und der Fürsorge für sie wirklich ernst mei-
nen – und das tun wir –, müssen wir für moderne und an-
gebrachte Wohnverhältnisse in unseren Kasernen
sorgen. Das haben wir in den neuen Bundesländern seit
der Wiedervereinigung in den vergangenen Jahren mei-
ner Meinung nach vortrefflich geschafft.

Aber der finanzielle Mangel und die dringend not-
wendige Rettung der Ostkasernen haben die Kasernen
im Westen aus dem Fokus verschwinden lassen. Deshalb
war die Entscheidung des Ministers richtig, im Herbst
2007 ein Sonderprogramm in Höhe von 650 Millionen
Euro aufzulegen, um die Verhältnisse in den Westkaser-
nen deutlich zu verbessern. Auch das muss man in die-
sem Zusammenhang deutlich erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Entschei-
dung für die Erhöhung des Wehrsoldes, die zur Verbes-
serung der Verhältnisse der Soldaten beiträgt, ist eine
wichtige Entscheidung. Die Soldaten haben diese Unter-
stützung verdient. Sie haben in der Vergangenheit beson-
dere Leistungen erbracht und haben im Rahmen von
Auslandseinsätzen das Ansehen Deutschlands deutlich
verbessert. Deswegen sollten wir diese Entscheidung
heute umsetzen. Ich bitte ganz eindringlich um Zustim-
mung für dieses Gesetz.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615106500

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Stinner von der FDP-Fraktion das Wort.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1615106600

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Da diese Debatte sicherlich in die deutschen
Geschichtsbücher eingehen wird, möchte ich um der his-
torischen Wahrheit willen noch einmal die Fakten auf
den Tisch legen. Herr Siebert, Sie haben das Hohelied
auf die Koalition gesungen. Es ist richtig, dass Sie am
Ende des Tages zugestimmt haben. Aber ich möchte der
Öffentlichkeit und der Geschichte nicht den Fakt vorent-
halten, dass es die Fraktion der Freien Demokratischen
Partei im Deutschen Bundestag war, die den entspre-
chenden Antrag eingebracht hat.

Ich möchte weiterhin zur Kenntnis geben, dass Ihre
Fraktion, sehr verehrter Herr Siebert, zunächst sehr zö-
gerlich war und den Wehrsold nur um 1 Euro erhöhen
wollte. Dass Sie sich unseren guten Argumenten letzt-
endlich nicht verschließen konnten, spricht für Sie; das
sollte öfter so sein. Das andere musste aber auch gesagt
werden.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Geschichtlicher Beifall!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615106700

Es gibt keine Erwiderung. – Dann hat der Kollege

Maik Reichel von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Maik Reichel (SPD):
Rede ID: ID1615106800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Dieses Thema um diese Tageszeit zu bespre-
chen, scheint nicht nur wegen der 2 Euro wichtig gewe-
sen zu sein. Die Erhöhung um 2 Euro war notwendig.
Das haben alle Redner bekräftigt, und auch der einstim-
mige Beschluss hat das gezeigt. Bei diesem Einverneh-
men soll es auch bleiben, unabhängig von Schuldzuwei-
sungen im Hinblick darauf, wer am Anfang zugestimmt
hat oder nicht.

Unsere Bundeswehr hat es verdient, dass wir nicht
nur heute über die Wehrpflicht, die Wehrpflichtigen oder
auch die Bundeswehr an sich reden. Deshalb wünsche
ich mir auch mehr Debatten zu diesen Themen. Ich
denke, dass die Erhöhung um 2 Euro, über die wir heute
reden, von allen getragen wird und allen ein Herzensan-
liegen war. Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen
Bundestags sitzt hier im Raum. Er hat in fast jedem sei-
ner Berichte, meistens im Vorwort, darauf hingewiesen,
dass ihm das ein wichtiges Anliegen war. Dieses haben
wir aufgegriffen.






(A) (C)



(B) (D)


Maik Reichel
Ich plädiere dafür, eine gesetzliche Regelung zu
schaffen, die es erübrigt, alljährlich, alle zwei oder gar
nur alle neun Jahre über eine Wehrsoldanhebung reden
zu müssen. Kollege Siebert hat das Dienstrechtsneu-
ordnungsgesetz angesprochen. Im Hinblick darauf
wünsche ich mir, dass die Soldatinnen und Soldaten ins-
gesamt nicht schlechter und nicht besser gestellt werden
als alle anderen Beamtinnen und Beamten, für die dieses
Gesetz gelten soll. Auch das ist ein großer Wunsch im
Hinblick darauf, dass wir im Rahmen des Dienstrechts-
neuordnungsgesetzes noch einiges bewegen wollen.

Wir hatten eine Debatte, die von der Ausstattung der
Bundeswehr über die Kasernen bis hin zur Sinnhaftig-
keit oder Nichtsinnhaftigkeit der allgemeinen Wehr-
pflicht reichte. Gerade in der heutigen Zeit und bei der
aktuellen Sicherheitslage kann man – das ist von mehre-
ren Seiten angedeutet worden – über den letztgenannten
Punkt reden.

Natürlich hat sich die Bedrohungslage in Deutsch-
land und in Europa nach 1990 völlig verändert; hier sind
wir uns alle einig. Die Gefahr eines konventionellen
Krieges im Herzen Europas, der wir uns vorher ausge-
setzt sahen, besteht heute nicht mehr; denn mittlerweile
ist Deutschland, wie es immer wieder heißt, umgeben
von Freunden. Dazu tragen EU und NATO bei, auch mit
ihren Erweiterungen in Richtung Osten. Diesen verän-
derten Bedingungen passt sich die Bundeswehr an. Auch
die Wehrpflicht ist daher neu zu bewerten.

Das Ende des Kalten Krieges bedeutet allerdings
nicht das Ende jeglicher Bedrohung für die Sicherheit
Deutschlands und Europas. Wenn wir nur einige Jahre
zurückschauen, stellen wir fest: Die Konflikte auf dem
Balkan, quasi vor unserer Haustür, aber auch die An-
schläge vom 11. September 2001 haben uns sehr deut-
lich vor Augen geführt, dass es in unserer Welt neue und
nach wie vor schreckliche Bedrohungen gibt. Tiefgrei-
fende Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage
sind vor allem kurzfristig nicht auszuschließen. Deshalb
ist es notwendig und wichtig, dass wir die Landesvertei-
digung auch weiterhin stets gewährleisten können.

Die Koalition, dieses ganze Haus und natürlich auch
meine Fraktion werden daran sehr intensiv mitwirken.
Denn unsere Soldatinnen und Soldaten, ob Wehrdienst-
leistende oder länger Dienende, leisten in allen Berei-
chen einen ehrenvollen, hervorragenden und sehr enga-
gierten notwendigen Dienst, sowohl im Inland als auch
im Ausland. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle un-
seren herzlichsten Dank sagen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee; das soll
sie auch bleiben. Dieses Thema ist gerade von vielen
Rednern der Opposition angesprochen worden. Die SPD
hat eine intelligente Weiterentwicklung unserer Wehr-
verfassung vorgeschlagen. Darum muss es gehen. Die
vollständige Deckung des Bedarfs der Bundeswehr wol-
len wir durch freiwillige Wehrdienstleistende sicherstel-
len. Auch das ist ein Thema, über das wir miteinander
reden werden, insbesondere auch mit unserem Koali-
tionspartner.
Die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr muss in
angepasster Form gewährleistet sein. Dazu haben wir ei-
nige Vorschläge unterbreitet. Wir wollen, dass sich die
jungen Männer entscheiden können, ob sie den Wehr-
dienst oder einen Ersatzdienst machen wollen; vorher
sollen sie aber alle Stufen, die wir kennen, durchlaufen,
auch die Musterung. Darüber werden wir in diesem
Hause entscheiden müssen.

Im Jahre 1978 – das ist also schon 30 Jahre her – hat
das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass man
bei der Entscheidung zwischen Wehrpflichtarmee und
Freiwilligenarmee nicht nur die sicherheitspolitischen
Bedingungen berücksichtigen, sondern auch wirtschafts-
politische Erwägungen, die gesellschaftspolitischen
Rahmenbedingungen und allgemeinpolitische Aspekte
abwägen muss. In diese Phase sollten wir eintreten, um
die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu gestalten.

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass die Bun-
deswehr noch attraktiver werden muss. Mit der Erhö-
hung des Wehrsolds um 2 Euro pro Tag tragen wir dazu
sicherlich ein wenig bei. Sollte man die Idee des Frei-
willigendienstes aufgreifen, muss hier allerdings noch
ein bisschen mehr getan werden. Dabei werden finan-
zielle Aspekte eine Rolle spielen, aber auch verschie-
dene Vergünstigungen. Darüber müssen wir nachdenken.

Da sich die sicherheitspolitischen Bedingungen auf
der Welt verändern, muss sich auch die Bundeswehr ver-
ändern. Sie muss sich der Situation anpassen. Daher
werden wir auch darüber diskutieren müssen, welche in-
telligenten Möglichkeiten es gibt, um die Wehrpflicht zu
ersetzen.

Wir stehen dazu, dass die allgemeine Wehrpflicht, die
wir kennen, ein wesentlicher Bestandteil unserer Überle-
gungen ist; hier stimmen wir dem zu, was der Minister
gesagt hat. Unsere Fraktion will aber ihre Weiterent-
wicklung. Über die verschiedensten Möglichkeiten, die
es dazu gibt, müssen und werden wir reden. Das wird in
Zukunft unser Anliegen sein. Die Einführung eines Frei-
willigendienstes ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Ich bitte das gesamte Hohe Haus, daran im Interesse
unserer Bundeswehr, der Soldatinnen und Soldaten und
des Ansehens der Staatsbürger in Uniform mitzuwirken,
anstatt Grabenkämpfe auszutragen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich freue mich auf die allgemeine Zustim-
mung in diesem Hause.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615106900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Sechzehnten
Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes. Der Ver-
teidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/8470, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/8188 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5970 mit dem Titel
„Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen abge-
lehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b so-
wie Zusatzpunkt 2 auf:

29 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina
Köhler (Wiesbaden), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-
neten Gabriele Fograscher, Klaus Uwe Benneter,
Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Verbot des Vereins „Collegium Humanum“
sowie des „Vereins zur Rehabilitierung der
wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“
prüfen und bestehende Gemeinnützigkeit ab-
erkennen

– Drucksache 16/8497 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Ausweitung der Inlandseinsätze der
Bundeswehr

– Drucksache 16/6036 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

Chancen der Charta der Vielfalt nutzen

– Drucksache 16/8502 –
Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis
30 q sowie den Zusatzpunkten 3 a bis 3 i. Es handelt sich
um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine
Aussprache vorgesehen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 a auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Hopfengesetzes

– Drucksache 16/8153 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/8397 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt Segner
Dr. Gerhard Botz
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Hopfengesetzes. Der Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/8397, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/8153 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 b auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu der Entschließung vom
8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkom-
mens vom 26. Oktober 1979 über den physi-
schen Schutz von Kernmaterial

– Drucksache 16/8151 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 16/8486 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Christoph Pries
Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
der Entschließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des
Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den phy-
sischen Schutz von Kernmaterial. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8486,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/8151 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 c bis 30 g auf:

c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. September
2006 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Trinidad und Tobago
über die Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 16/8251 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/8520 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. August
2006 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Madagaskar über die
gegenseitige Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 16/8252 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/8520 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. No-
vember 2006 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Guinea über
die gegenseitige Förderung und den gegenseiti-
gen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 16/8253 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/8520 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. Februar
2007 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Königreich Bahrain über die
Förderung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen

– Drucksache 16/8254 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/8520 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

g) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. Mai
2007 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Sultanat Oman über die Förde-
rung und den gegenseitigen Schutz von Kapi-
talanlagen

– Drucksache 16/8255 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 16/8520 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Wir kommen zur Abstimmung über die Entwürfe von
Gesetzen zu den Verträgen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago, der
Republik Madagaskar, der Republik Guinea, dem
Königreich Bahrain und dem Sultanat Oman über die
Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapital-
anlagen, Drucksachen 16/8251 bis 16/8255. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter
Buchstaben a bis e seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/8520, die Gesetzentwürfe anzunehmen.

Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über
diese fünf Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. – Es
gibt keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich bitte diejenigen, die diesen Gesetzentwürfen zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Gesetzentwürfe sind mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 h auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Internationalen Übereinkommen von
2001 über die Beschränkung des Einsatzes






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Schif-
fen (AFS-Gesetz)


– Drucksache 16/8154 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/8503 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Internationa-
len Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung
des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf
Schiffen, AFS-Gesetz. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/8503, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/8154 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 i auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Rainder Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Antifoulingabkommen unverzüglich ratifi-
zieren

– Drucksachen 16/5777, 16/8498 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Heinz Schmitt (Landau)

Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizie-
ren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/8498, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5777 für erle-
digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 j auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 373 zu Petitionen

– Drucksache 16/8385 –

Sammelübersicht 373 auf Drucksache 16/8385. Wer
stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 373 ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 k auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 374 zu Petitionen

– Drucksache 16/8386 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 374 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 l auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 375 zu Petitionen

– Drucksache 16/8387 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 375 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 m auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 376 zu Petitionen

– Drucksache 16/8388 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 376 ist einstimmig angenom-
men.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 n auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 377 zu Petitionen

– Drucksache 16/8389 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 377 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 o auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 378 zu Petitionen

– Drucksache 16/8390 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 378 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 p auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 379 zu Petitionen
– Drucksache 16/8391 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 379 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 q auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 380 zu Petitionen

– Drucksache 16/8392 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 380 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 a auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 381 zu Petitionen

– Drucksache 16/8505 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 381 ist einstimmig angenom-
men.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 b auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 382 zu Petitionen

– Drucksache 16/8506 –

Sammelübersicht 382 auf Drucksache 16/8506. Wer
stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 382 ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 c auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 383 zu Petitionen
– Drucksache 16/8507 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 383 ist einstimmig angenom-
men.
Ich rufe Zusatzpunkt 3 d auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 384 zu Petitionen

– Drucksache 16/8508 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 384 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 e auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 385 zu Petitionen

– Drucksache 16/8509 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 385 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 f auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 386 zu Petitionen

– Drucksache 16/8510 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 386 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion ange-
nommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 g auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 387 zu Petitionen

– Drucksache 16/8511 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 387 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 h auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 388 zu Petitionen

– Drucksache 16/8512 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 388 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die
Linke angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe Zusatzpunkt 3 i auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 389 zu Petitionen

– Drucksache 16/8513 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 389 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen

– Drucksache 16/8499 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Moderne Verbraucherpolitik fortführen und
weiterentwickeln

– Drucksachen 16/684, 16/8398 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Elvira Drobinski-Weiß
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Nicole Maisch

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Nicole Maisch von Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615107000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Da-

men und Herren! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
gute Verbraucherpolitik lebt von Transparenz. Die Ver-
braucherinnen und Verbraucher wollen wissen, was drin
ist. Umso unverständlicher ist es unserer Fraktion, dass
die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern so-
wie dem Parlament die Transparenz hinsichtlich ihrer
verbraucherpolitischen Tätigkeit vorenthält.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Seit dem Jahr 2004 wurde kein verbraucherpolitischer
Bericht mehr vorgelegt, obwohl regelmäßige Berichte
zugesagt wurden. Die Bundesregierung und insbeson-
dere Herr Minister Seehofer haben die Pflicht, ihre ver-
braucherpolitischen Ergebnisse, Vorhaben und Ziele of-
fenzulegen, um sie der demokratischen Kontrolle zu
unterwerfen. Wenn dies trotz Ihrer eigenen Ankündi-
gung nicht geschieht, ist offensichtlich: Sie haben keine
verbraucherpolitischen Erfolge vorzuweisen, die Sie do-
kumentieren können. Ihre Bilanz ist dünn. Deshalb hal-
ten Sie sich zurück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Ich werde Ihnen ein paar Beispiele nennen, um meine
Ausführungen zu erhellen. Thema Fahrgastrechte: Seit
über einem halben Jahr wird ein Gesetzentwurf zu den
Fahrgastrechten den Kunden der öffentlichen Verkehrs-
mittel versprochen. Doch Justiz- und Verbraucherminis-
terium können sich offensichtlich nicht einigen. Klar ist:
Die Überlegungen der Bundesjustizministerin sind für
die Verbraucherinnen und Verbraucher unzureichend.
Herr Minister Seehofer wird nicht müde, immer wieder
vollmundig mehr Entschädigungen anzukündigen. Aber
wo sind die Erfolge? Wo sind die konkreten Gesetze?
Wann werden wir im Ausschuss darüber beraten kön-
nen? Wann werden die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher mit verbindlichen Fahrgastrechten rechnen können?
Von Herrn Seehofer höre ich seit Monaten, alles sei auf
einem guten Weg. Der Weg ist das Ziel – das gilt viel-
leicht für Yogalehrerinnen. Aber in der Verbraucherpoli-
tik ist nicht der Weg das Ziel. Vielmehr müssen konkrete
Ergebnisse erzielt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Zweites Beispiel sind die Lebensmittelskandale:
Mehrere Gammelfleischskandale haben im vergangenen
Jahr unser Land erschüttert und Verbraucherinnen und
Verbraucher zutiefst verunsichert. Wir schlittern von ei-
nem Gammelfleischskandal zum nächsten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein, nein! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)


Das liegt vielleicht auch daran, dass die Bundesregie-
rung die Strukturen in der Fleischindustrie nicht in der
Art und Weise angeht, wie es aus verbraucherpolitischer
Sicht wünschenswert wäre. Immer wieder wird vor Lob-
byisten eingeknickt. Der Verbraucherminister sollte aber
an der Seite der Lebensmittelkonsumenten stehen und
beispielsweise ein Verbraucherinformationsgesetz vorle-
gen, das seinen Namen auch verdient.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Liste der Beispiele ließe sich ellenlang fortsetzen.
In den Stellungnahmen der Verbraucherzentralen und
natürlich in den Anträgen der grünen Fraktion können
Sie nachlesen, was alles noch abzuarbeiten ist. Die Um-
benennung des Hauses Seehofer war Programm. Der
Verbraucherschutz steht nur noch an dritter und damit
letzter Stelle Ihrer Arbeit.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Alphabetische Reihenfolge!)







(A) (C)



(B) (D)


Nicole Maisch
Das finde ich schade; das war zu anderen Zeiten besser.
Da stand der Verbraucherschutz nämlich an erster Stelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Aber nur verbal!)


Moderne Verbraucherpolitik, meine Damen und Her-
ren, sieht anders aus: Sie ist Schutz der Verbraucherin-
nen und Verbraucher vor Gefahren.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Vor den Grünen!)


Wo gesundheitliche und wirtschaftliche Gefahren dro-
hen – seien es Pestizide im Essen oder Anlagebetrug –,
muss der Staat seine Aufsichtspflicht und Kontrollfunk-
tion wahrnehmen. Eine Orientierung am Vorsorgeprinzip
statt Einknicken vor Lobbyinteressen – so sieht vernünf-
tige Verbraucherpolitik aus.


(Beifall der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber vernünftige Verbraucherpolitik setzt auch auf
Verbrauchermacht. Unser Ziel sind informierte und
selbstbestimmte Verbraucherinnen und Verbraucher, die
mit ihren Kaufentscheidungen ihre Macht auf dem
Markt ausüben können. Nachhaltiger Konsum und das
Verändern der Welt mit dem Einkaufsbeutel sind mög-
lich, wenn man die politischen Rahmenbedingungen da-
für schafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit den Schwarzen!)


In der grünen Regierungszeit haben wir vorgemacht, wie
dies geht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gab es eine grüne Regierungszeit? Waren Sie nicht dabei?)


Die Fair-Trade-Kampagne, das Biosiegel, unser Engage-
ment gegen Gentechnik sind nur drei Beispiele, wie Ver-
braucherpolitik richtig funktioniert.

In dieser Woche begehen wir den Weltverbraucher-
tag; doch die Arbeit dieser Bundesregierung stagniert.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wie ist es mit der Telefonwerbung?)


Grund zum Feiern haben die Verbraucherinnen und Ver-
braucher in diesem Jahr nicht.

Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gefahren
schützen, ihre Stellung gegenüber Unternehmen stärken,
ihre informationelle Selbstbestimmung garantieren und
zugleich funktionsfähigen Wettbewerb und nachhalti-
gen Konsum fördern – dafür steht grüne Verbraucherpo-
litik, und dafür stehen unsere Anträge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615107100

Das Wort hat die Kollegin Uda Heller von der CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1615107200

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kollegin Maisch, Ihnen ist offensichtlich nicht bekannt,
dass in wenigen Wochen der nächste verbraucherschutz-
politische Bericht erscheint; er wird am 23. April im Ka-
binett vorgelegt werden, sodass die parlamentarischen
Beratungen noch vor der Sommerpause erfolgen können.
Dieser Bericht ist schon nach dem neuen Berichtswesen-
system ausgerichtet, wozu gehört, mit längeren Berichts-
zeiträumen bessere Bewertungen vorzunehmen. Es geht
uns nicht wie der ehemaligen Verbraucherschutzministe-
rin Künast darum, mit jährlichen Berichten ohne konkrete
Aussagen ständig Wirbel zu veranstalten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Selbstvermarktung!)


Die Umstellung des Berichtswesens auf größere Be-
richtszeiträume ändert nichts daran, dass man natürlich
auch weiterhin entsprechende Daten und Fakten abrufen
kann.

Wenn ich mir den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen mit der Forderung nach Berichterstattung
anschaue, fühle ich mich in die Zeiten zurückversetzt,
als die Verbraucherschutzpolitik noch die typisch grüne
Handschrift von Frau Künast trug. Damals wurden fünf
Jahre lang medienwirksame Inszenierungen geboten,
viele Worte und viel Wind gemacht. Substanziell wurde
nicht viel umgesetzt, und wirkliche Erfolge konnte man
nicht vorweisen.

Der jetzige Verbraucherschutzminister steht für klare
Zielvorstellungen, nicht für Worte. Wir setzen auf Taten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Betrachte ich die verbraucherpolitischen Erfolge von
Minister Seehofer, kann ich nur feststellen: Es sind viele
gute Ergebnisse für den Verbraucherschutz erzielt wor-
den.

Unter konstruktiver Oppositionsarbeit verstehe ich
nicht, die Bundesministerien unnötig mit der Erstellung
von Berichten zu belasten. Das sind reine Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen, die die Ministerien und Fachab-
teilungen von der eigentlichen Sacharbeit abhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Minister Seehofer kann bereits nach zweieinhalb Jah-
ren eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen. Gestern hat
das Kabinett die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift über
Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwa-
chung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrecht-
licher und tabakrechtlicher Vorschriften“, AVV RÜb, be-
schlossen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Richtig!)


Damit sind weitere wichtige Elemente aus dem 13-Punkte-
Programm für Lebensmittelsicherheit umgesetzt. Kern-
stück der AVV RÜb sind Verbesserungen bei der Lebens-
mittelüberwachung und die Behebung von Mängeln, die
bei Gammelfleischskandalen offenkundig wurden. So
gelten nun das Vier-Augen-Prinzip bei der Betriebskon-
trolle, die vorrangige Probeentnahme beim Hersteller






(A) (C)



(B) (D)


Uda Carmen Freia Heller
oder Importeur und der Abgleich der Ergebnisse aus den
Betriebskontrollen mit denen der risikoorientierten Pro-
beentnahmen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das reicht doch hinten und vorne nicht bei der Gammelfleischmafia!)


Der entscheidende Erfolg der Maßnahmen der AVV
RÜb ist, dass sich die Lebensmittelsicherheit für den
Verbraucher deutlich verbessert.

Auch die berechtigte Forderung der Wirtschaft nach
Bürokratieabbau steht auf unserer Agenda.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist ja eine Bedrohung, wenn das auf der Agenda steht! Das wird ja jedes Mal mehr!)


Denn schließlich wollen wir die Nahrungsmittelproduk-
tion in unserer Heimat behalten und die Vielfältigkeit
unserer Nahrungsmittel bewahren. Ich denke, das ist für
uns ein ganz wichtiges Anliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes im
Februar wurde ein weiterer entscheidender Beitrag für
ein hohes Maß an Transparenz bei der Lebensmittel-
kennzeichnung geleistet.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Erstmals ist für den Verbraucher ganz klar zu erken-
nen, ob tierische Produkte gentechnikfrei sind oder
nicht.

Ein weiterer verbraucherpolitischer Erfolg ist der im
vergangenen Herbst verabschiedete Aktionsplan gegen
Allergien. Angesichts der Tatsache, dass insgesamt
40 Prozent aller Deutschen eine Anfälligkeit für Aller-
gien in sich tragen und die Zahl seit Jahren ansteigt, war
es dringend geboten, die Situation von Allergikern zu
verbessern. Der Aktionsplan setzt insbesondere auf eine
umfassende Information der Bevölkerung und auf die
Unterstützung durch Wirtschaft und Forschung. Es geht
auch darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse über
allergene Stoffe zu erlangen und die zunehmende Aus-
breitung von Allergien einzudämmen.

Außerdem wurden wichtige Reformen der Forschungs-
einrichtungen durchgeführt, um bessere Voraussetzungen
für eine leistungsfähige und international wettbewerbsfä-
hige Spitzenforschung zu schaffen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Innovation hat wieder einen Namen!)


Kernstück ist die Konzentration auf die vier Bereiche
Pflanze, Tier, Ernährung und Lebensmittel sowie ländli-
che Räume, Wald und Fischerei. Die bisher sieben Bun-
desforschungsanstalten wurden zu vier Bundesforschungs-
instituten zusammengefasst. Die bestehenden 71 Institute
an 35 Standorten werden nun auf 49 Institute an 21 Stand-
orten konzentriert. Einer davon ist in der Nähe meines
Wohnortes, in Quedlinburg.

(Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na prima!)


Mit einer neuen, schlankeren Verwaltungsstruktur kön-
nen wir nun das hohe Niveau der Bundesforschung er-
halten und diese an die Weltspitze heranführen.

Ein ganz wichtiges Anliegen der Bundesregierung ist
die Verabschiedung des Präventionsgesetzes zur Unter-
stützung einer gesunden Lebensführung und zur Vorbeu-
gung von Krankheiten. Anfang April wird der Referen-
tenentwurf im Kabinett vorgelegt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das war zu befürchten!)


Wir halten es für ganz wichtig, den Gedanken der Prä-
vention deutlich ins öffentliche Bewusstsein zu rücken,
allein schon um die Folgen der demografischen Ent-
wicklung bewältigen zu können und unser Gesundheits-
system vor dem Kollaps zu bewahren. Mit dem Nationa-
len Aktionsplan für Ernährung und Bewegung ist dieses
Ziel angegangen worden, und mit der Verabschiedung
des Präventionsgesetzes noch in dieser Wahlperiode
wird dieser Schwerpunkt des gesundheitlichen Verbrau-
cherschutzes gesetzlich verankert sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum
Jahr 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der
deutschen Bevölkerung nachhaltig zu verändern. Im par-
lamentarischen Beratungsprozess erwarten wir auch von
den Oppositionsparteien, dass sie dieses so wichtige An-
liegen nicht zerreden, sondern tatkräftig unterstützen.

Dass die Bundesregierung in Sachen Lebensmittel-
kennzeichnung gute Arbeit leistet, zeigt die Tatsache,
dass bei der anstehenden Novelle der EU-Kennzeich-
nungsverordnung für den gesamten Binnenmarkt das
deutsche Modell favorisiert wird. Die Angabe der zen-
tralen Elemente „1 plus 4“ mit der Kalorienzahl plus Ge-
halt an Fett, Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz
stößt bei der EU-Kommission auf gute Resonanz. Diese
in Deutschland bisher freiwillige Nährwertkennzeich-
nung erfüllt offensichtlich die Anforderungen an eine
verbindliche, einheitliche Lebensmittelkennzeichnung
für die gesamte Europäische Union.

Zum Schluss möchte ich Napoleon Bonaparte zitie-
ren:

Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und dem
Menschen doch das Kostbarste stehlen: die Zeit.

Das haben Sie, meine Damen und Herren von den Grü-
nen, mit diesem Antrag getan.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615107300

Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann

von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1615107400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beschäftigen uns heute zeitökonomisch
mit zwei Anträgen der Grünen.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit zwei guten Anträgen!)


Der erste Antrag mit dem Titel „Verbraucherpolitischen
Bericht vorlegen“ wird von uns nachdrücklich unter-
stützt. Wir wollen eine politische Diskussion darüber
führen, was uns die Verbraucherpolitik wert ist und wel-
chen Stellenwert wir ihr geben wollen. Ich halte die Ver-
öffentlichung eines entsprechenden Berichts für drin-
gend geboten.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Er kommt ja!)


Liebe Frau Kollegin Heller, es stimmt schlichtweg
nicht, dass in diesem Bereich gute Arbeit geleistet wird.
Ich möchte das an zwei Beispielen verdeutlichen:

Erstens. Gestern haben wir im Ausschuss erlebt, dass
Sie den Tagesordnungspunkt, bei dem Sie Ihre Vorstel-
lungen zum Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch
unterbreiten wollten, abgesetzt haben. Wir sind aber in
Sorge darüber, dass es bei der Rückverfolgbarkeit von
möglichen Skandalen in diesem Bereich das eine oder
andere Problem geben kann. Es stellt sich schon die
Frage: Warum musste der Punkt abgesetzt werden?
Wahrscheinlich weil Sie sich nicht einig sind. Es ist sehr
bedauerlich, wenn der Minister nicht die Kraft hat, hier
eine klare Position zu beziehen.

Zweitens. Auf der Anuga in Köln erklärte der Minis-
ter, die kleinen und mittelständischen Betriebe könnten
sich darauf verlassen, dass es zu einer freiwilligen De-
klaration kommt. Die Betriebe haben sich auf den Weg
gemacht, die Deklaration einzuführen, weil die Grünen
sonst sagen würden, dass die Wirtschaft wieder nichts
tut. Was passiert im Nachhinein? Auf einmal stellen Sie
fest – das ist hier letzte Woche vom Staatssekretär ver-
kündet worden –, man müsse die Bürger befragen, wie
man das regeln soll. Dann wundern Sie sich darüber,
dass niemandem Ihre verbraucherpolitische Botschaft
zur Kennzeichnung klar ist und dass keiner weiß, wie es
weitergehen soll. Ich denke, das ist ein Grund dafür, dass
Sie keinen Bericht vorlegen: Sie haben Ihre Position
dazu schlicht und ergreifend nicht gefunden.


(Beifall bei der FDP)


Auch in anderen Bereichen sind Sie nicht ganz so
munter, wie Sie behaupten. Was ist beim Cold Call pas-
siert? Wo bleiben Ihre parlamentarischen Initiativen?
Was ist beim Thema Kreditverkäufe und Veräußerung
von Krediten passiert? Wo sind Ihre parlamentarischen
Initiativen?


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da sind wir doch dran! Lieber langsam als ein Schnellschuss!)


Gestern saß der Verbraucherschutzminister neben der
Justizministerin; aber inhaltlich hat er fast nichts gesagt.
Gerade angesichts des Weltverbrauchertags am kom-
menden Wochenende hätte schon etwas mehr Butter bei
die Fische gemusst. Da ist von Ihnen wirklich nicht viel
auf den Weg gebracht worden.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre verbraucherpolitischen Taten lassen sehr zu wün-
schen übrig. Es wäre gut, wenn das in einer intensiven
parlamentarischen Auseinandersetzung deutlich würde.

Frau Heller, Sie kritisieren, dass die Grünen damals
nichts gemacht haben. Das ist unverständlich. Minister
Seehofer erklärt bei bestimmten Gelegenheiten durch-
aus, dass er die Künast’sche Politik in vielen Bereichen
fortsetzen möchte. Auch darüber müssen wir eine Dis-
kussion führen.

Nun zu Ihnen, liebe Kollegin Maisch. Ich darf Ihnen
sagen – ich bin schon etwas länger im Parlament –: Das
haben Sie prima gemacht. Sie haben über eine Sache ge-
redet, die für uns alle einen hohen Stellenwert hat; aber
Sie haben über Ihren zweiten Antrag überhaupt nicht ge-
redet. Das war clever; denn der Antrag ist von 2006. Es
ist ein bisschen peinlich, wenn man 2008 über Anträge
von 2006 redet.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Alter Tobak! Peinlich!)


Der Antrag ist aber nicht nur, was das Zeitfenster angeht,
peinlich, sondern auch, was die inhaltliche Klarheit an-
geht. Sie sagen in diesem Antrag eigentlich gar nichts:
Sie beschreiben bestimmte Dinge; aber wieso Sie be-
stimmte Forderungen stellen, wird überhaupt nicht deut-
lich.

Es wird nur eines deutlich: Sie verfolgen ein völlig
anderes Verbraucherleitbild als wir Liberale. Ich sage
vorweg: Wir geben nicht auf; wir setzen nach wie vor
darauf, den Verbraucher zu informieren, ihm die Chance
zu Informationen zu eröffnen. Der Verbraucher ist auch
gehalten, sich Wissen anzueignen. Dafür müssen wir
dem Verbraucher Informationen zur Verfügung stellen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da hat er recht!)


Dann aber, wenn sich der Verbraucher Wissen angeeig-
net hat, möchten wir ihn allein frei entscheiden lassen.


(Beifall bei der FDP)


Wir möchten nicht wie Sie von oben herab Verbote aus-
sprechen. Die Verbotspolitik, die Sie in diesem Punkt be-
treiben, ist mit unserem Leitbild eines mündigen, infor-
mierten Verbrauchers überhaupt nicht in Einklang zu
bringen. Ich glaube, auch damit müssen wir uns ausei-
nandersetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir sollten uns an dieser Stelle einigen. Wir werden
unsere gesellschaftlichen Entwicklungen nicht durch
Verbote, Gesetze und Verordnungen regulieren können.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Richtig!)


Dies führt dazu, dass es bis zu einem gewissen Grade
Gesellschaftssport wird, so etwas zu umgehen.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
Wir müssen erstens darauf setzen, dass der Verbrau-
cher – das habe ich bereits gesagt – informiert ist. Zwei-
tens müssen wir Anreize geben, damit der Verbraucher
diese Informationen dann auch klug nutzt. In Ihrem An-
trag wird mit keinem Wort von einem solchen Anreiz-
system, einem Eigeninitiativesystem, einem Eigenver-
antwortlichkeitsdenken, einer Wettbewerbsorientierung
oder einer Marktöffnung gesprochen. Deswegen ist es
ein schlechter Antrag, den wir entschieden ablehnen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615107500

Herr Goldmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Maisch?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1615107600

Ja, gerne.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615107700

Danke, Herr Präsident. – Lieber Herr Goldmann, der

heutigen Ausgabe der Welt konnte ich entnehmen, dass
Sie beim Thema „Unerlaubte Telefonwerbung“ stren-
gere Verbote und schärfere Maßnahmen fordern. Wie
passt das zu Ihren Ausführungen zur Verbotsrepublik?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1615107800

Wir stoßen bei bestimmten Punkten natürlich an eine

Grenze, an der der Gesetzgeber gefordert ist. Da sind wir
uns doch völlig einig.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Hört! Hört! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Es geht doch um Verhinderung von Betrug! – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist schon fast Sozialismus!)


Ich könnte das an Beispielen verdeutlichen, aber ich ma-
che es mir ein bisschen leichter.

Wir sind uns doch darüber einig, dass der Verbraucher
auf den Produkten Kennzeichnungen braucht. Das ist
doch gar kein Thema. Ein Mensch, der allergische Reak-
tionen zeigt, muss doch wissen, ob ein Produkt etwas
enthält, was ihn gefährdet. Darauf sollten wir uns aber
beschränken. Wir sollten dem Verbraucher nicht sein
Konsumverhalten vorschreiben – so machen Sie das –,
sondern wir sollten dem Verbraucher die Informationen
geben, die er benötigt.

Wenn es dann im Marktgeschehen einen Anbieter
gibt, der diese Situation missbraucht, dann muss der Ge-
setzgeber einschreiten und klipp und klar sagen: Das
darfst du nicht! – Mit dem sogenannten Cold Call haben
Sie einen der Bereiche angesprochen, in dem jemand
den freien Markt aushebelt und nicht auf Wettbewerb,
sondern auf Missbrauch von Wettbewerb setzt.

Ich bin auch dafür, dass Menschen, die mit Gammel-
fleisch handeln, bestraft werden. Das ist gar keine Frage.
Es geht um die Gewichtung.


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen;
dann können wir, glaube ich, sehr schnell wieder zum
Konsens finden. – Wir sollten das noch einmal aufgrei-
f
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1615107900
Verbraucherbildung. Lassen
Sie uns über unsere peb-Initiativen und anderes mehr
darauf hinwirken, dass Verbraucherbildung oder über-
haupt Verbraucherinformation auch in den Ländern ei-
nen höheren Stellenwert erhält! Dafür muss es nicht un-
bedingt ein neues Fach wie Hauswirtschaftskunde
geben. Das kann durchaus in vielfältige Angebote, die
bereits gemacht werden, integriert werden. In diesen An-
geboten sollte das dann aber auch stattfinden, damit der
Verbraucher für sich eine kluge Marktteilhabe verwirkli-
chen kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615108000

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff von der

SPD-Fraktion.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1615108100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 15. März, am
kommenden Samstag, ist Weltverbrauchertag. Es ist gut,
dass wir heute zwei Debatten zum Verbraucherschutz
führen.

Kollegin Maisch, was Ihren Antrag angeht, kann ich
mich nur meinem Kollegen von der FDP anschließen.
Der Antrag ist wirklich dünn. Darauf werde ich in mei-
nen Ausführungen noch zurückkommen.

Wie können Sie hier das Verbraucherinformationsge-
setz ansprechen? Ich war damals mit in der Regierungs-
koalition. Wir haben das unter Rot-Grün nicht hinbe-
kommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fünf Jahre nichts getan!)


Alles das, was wir jetzt in dieser Regierung geschafft ha-
ben, ist ein großer Schritt nach vorn.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Danke, Waltraud!)


Die Februar-Ausgabe des afg-reports der Wirtschafts-
vereinigung Alkoholfreie Getränke e. V. hat sich mit
dem Thema Nährwertkennzeichnung befasst. Besonders
spannend fand ich, dass dort ein Etikett eines Erfri-
schungsgetränks abgedruckt wurde. Dieses Beispiel
zeigt auf hervorragende Art und Weise, warum wir als
SPD eine verbindliche Kennzeichnung wollen, die ein-
fach ist und schnelle Orientierung gibt: Verbindliche An-
gaben, verbindliche Bezugsgrößen und eine leichte Er-
kennbarkeit, das sind die Ziele, die wir verfolgen.

Erfüllt das dort vorgestellte Etikett diese Vorgaben?
Ich kann nur sagen: bei weitem nicht. Das Getränk wird
in 1-Liter-Flaschen oder in 0,5-Liter-Flaschen abgefüllt.
Die Nährwertangaben werden aber auf einen Viertelliter
bezogen. Diese Angaben sind einfarbig unten links auf
dem Etikett zu finden. Wir wissen also: 17 Prozent des
Tagesbedarfs an Zucker sind gedeckt, wenn wir einen






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Viertelliter trinken. So weit, so gut. Wirklich auffallend
sind diese Angaben aber nicht. Was im Gegenzug auf-
fällt, ist etwas ganz anderes. Im Zentrum dieses Etiketts
ist ein großes Wort, nämlich „Wellness“ zu lesen. Erwar-
ten Sie bei einem Wellnessgetränk in einem Glas vier
Stück Würfelzucker? Ich nicht. Ich kenne diese Flasche
aus dem Beispiel nicht.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich kenne auch einige Flaschen!)


Ich habe sie nicht gesehen. Ich weiß aber, die Abteilung
Konsumentenpolitik der Arbeiterkammer in Wien hat im
Jahr 2006 eine Erhebung zum Zuckergehalt von Erfri-
schungsgetränken gemacht. Sie kommt zu dem Ergeb-
nis, dass Wellnessgetränke reichlich Zucker enthalten,
insbesondere im Vergleich zu Mineralwasser. Sie fragen
sich nun, warum ich mit Mineralwasser vergleiche. Der
Vergleich drängt sich förmlich auf, weil die Etikettenge-
staltung von Wellnessgetränken und Mineralwasser sehr
ähnlich ist. Ich glaube, hier liegt ein entscheidender
Punkt. Die Nährwertkennzeichnung konkurriert hier mit
der Gestaltung eines Produkts. Wir brauchen aber eine
Kennzeichnung, die sich genau in dieser Konkurrenz be-
wegt und bewährt und die eine Orientierung schafft, und
zwar verbindlich, klar und leicht erkennbar.


(Beifall bei der SPD)


Wenn ich Apfelsaft trinke, dann weiß ich: Damit
nehme ich sehr viel mehr Zucker zu mir. Mir ist natür-
lich klar, dass die Zusammensetzung der Ernährung ent-
scheidend ist. Ich bin aber sicher, dass wir beim Einkauf
eine gute Orientierung haben, wenn wir innerhalb einer
Lebensmittelgruppe vergleichen können. Genau das leis-
tet die Ampel, die wir von der SPD favorisieren.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem Antrag der
Grünen wird auf das Leitbild des selbstbestimmten und
auch des informierten Verbrauchers verwiesen. Ich
denke, wir können diesem Verbraucher durchaus zumu-
ten, eine Kennzeichnung wie die Ampel zu interpretie-
ren. Was ich ihm – dem Verbraucher – und uns allen
eigentlich nicht zumuten will, ist das, was uns die Le-
bensmittelindustrie hier bietet. Die Angaben werden auf
beliebige Portionsgrößen bezogen. Die Portionsgrößen
müssen aber keinerlei Bezug zu dem Packungsinhalt ha-
ben oder mit ihm im Zusammenhang stehen. Was nützt
die Kennzeichnung eines einzelnen Chicken Nugget in
einer ganzen Packung mit Chicken Nuggets?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Soll jeder einzeln beklebt werden?)


Oder was nützt der Bezug auf einen halben Liter in einer
ganzen Flasche?

Werden wir also demnächst mit dem Taschenrechner
losziehen müssen? All das informiert nicht. Das verwirrt
mehr, und da macht die SPD nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen führen
in ihrem Antrag eine Vielzahl von ungebundenen Einzel-
maßnahmen auf. Es fehlt eine klare Strategie. Verbrau-
cherpolitik bleibt auf diese Weise letztlich ein Reparatur-
betrieb für die anderen Politikbereiche.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das die klare Strategie der SPD?)


– Wir haben eine ganz klare Strategie hin zur Verbrau-
cherinformation. Fakt ist: Einfache Kennzeichen orien-
tieren, können aber natürlich nicht die ganze Komplexi-
tät eines Produkts erfassen. Was ist also zu tun? Erstens
die Einführung einer einfachen Kennzeichnung und
zweitens Verbraucherbildung, die das A und O ist. Diese
muss in der Schule beginnen, da sind wir uns alle einig.
Nur so bauen wir für die Zukunft Kompetenz auf. Die
Kennzeichnung kann so auch in das allgemeine Leben
übernommen werden. Lassen Sie uns hier gemeinsam zu
einem wirklich schlüssigen Konzept kommen!

Wir alle, auch die Zuschauer dort oben, wollen unser
Leben leben und unsere Zeit nicht mit dem Lesen von
Kleingedrucktem verbringen. Außerdem wollen wir im
digitalen Zeitalter sorglos einkaufen und sicher im Netz
surfen können. Vor allem aber wollen wir sicher sein
können, dass wir mitbekommen, wenn wir einen Vertrag
abschließen. Im gesundheitlichen Verbraucherschutz ha-
ben wir ein klar definiertes Vorsorgeprinzip. Das werden
wir für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz auch ent-
wickeln. Sonst laufen wir nämlich der technischen Ent-
wicklung immer hinterher. Das ist ein Rennen, das wir
nicht gewinnen können, wenn wir nicht grundsätzlich
die Spielregeln definieren.

Gestern haben Bundesjustizministerin Zypries und
Verbraucherschutzminister Seehofer hier ein Maßnah-
menpaket gegen unerlaubte Telefonwerbung vorgestellt.
Zur unerlaubten Telefonwerbung gibt es ja eigentlich
schon Regelungen, nämlich im Gesetz gegen den unlau-
teren Wettbewerb. Aber es halten sich nicht alle daran.
Ich glaube, jeder von uns kennt diese Anrufe, und der
eine oder andere hat auf diese Art und Weise schon einen
Vertrag abgeschlossen, den er gar nicht abschließen
wollte. Das darf in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Ausnahmeregelungen beim Widerspruch werden gestri-
chen, und weitere wichtige Schritte werden unternom-
men. Wenn man den Telefonanbieter wechselt, bekommt
man einen schriftlichen Nachweis.

Verbraucherpolitik ist an dieser Stelle ganz klassische
Verbraucherschutzpolitik. Denn das, was wir erlebt ha-
ben, ist reine Abzocke, zum Teil von renommierten Un-
ternehmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615108200

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1615108300

Ich komme zum Schluss. – Diese Dinge darf es in Zu-

kunft im Rahmen einer vernünftigen Verbraucherschutz-
politik nicht mehr geben.

Ich habe es schon einmal gesagt: Die Grünen haben in
ihrem Antrag viele Einzelmaßnahmen vorgeschlagen.
Wir wollen ein gemeinsames Konzept. An dieser Stelle
können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615108400

Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615108500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Ein
Schelm, wer Böses denkt bei der Überlegung, warum die
Grünen wohl ihren umfangreichen Forderungskatalog
zwei Jahre in der Schublade gehalten haben.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Weil er abgearbeitet ist!)


Warum wurde er nicht 2006 behandelt, nachdem er be-
reits am 15. Februar 2006 eingebracht worden war? Hat-
ten Sie möglicherweise die Befürchtung, dass dann zu
oft gefragt worden wäre, warum Sie diese Dinge nicht
schon in Ihrer Regierungszeit angepackt haben?


(Beifall bei der LINKEN – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sehr gut! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie nicht uns fragen, da müssen Sie die SPD fragen!)


Es gibt aber glücklicherweise noch einen zweiten An-
trag. Ich denke, er ist berechtigt. Wir brauchen dringend
einen verbraucherpolitischen Bericht. Ich freue mich,
dass er nun im April kommen soll. Von daher können
alle wunderbar zustimmen. Da sind wir uns einig: Der
Bericht ist fällig; wir brauchen ihn.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was steht denn drin?)


Ich hoffe doch inständig, dass in diesem Bericht et-
was mehr steht als das, was wir in der Regel über die Ta-
gespresse erfahren.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: „Wir sind auf gutem Wege“, steht da drin!)


Herr Seehofer ist auf jeden Fall ein Fachmann, wenn es
darum geht, sich marketingmäßig in den Medien in
Szene zu setzen, und bringt auch gut rüber, welche gro-
ßen Projekte er auf der Liste stehen hat. Das Problem ist
nur: Außer den Überschriften kommt sehr oft lange Zeit
erst einmal nichts, und wenn dann etwas kommt, ist das,
zumindest aus meiner Sicht, leider sehr unzulänglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Von daher wäre ich an diesem Bericht sehr interes-
siert, der außer den Überschriften möglichst viele Um-
setzungsvorschläge enthalten sollte. Sehr interessieren
würde mich dann natürlich auch, zu erfahren, was nach
der Umsetzung passiert ist: Wurden die Vorhaben, die
auf Bundesebene in Gang gesetzt wurden, von den Län-
dern aufgenommen? Und wie wurden sie von den Län-
dern umgesetzt? Wir können hier nämlich wunderbare
Gesetze beschließen; das nützt aber nichts, wenn am
Ende niemand zuständig und verantwortlich ist, diese
tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Ich denke dabei
nur an Themen wie die Lebensmittelkontrolle. Es ist
wunderbar, wenn wir hier Gesetze dazu beschließen.
Wenn aber die Länder die entsprechenden Stellen ab-
bauen und letztendlich niemand mehr diese Kontrolle
ausüben kann, dann haben wir ein Problem. Dafür gibt
es wirklich genügend Beispiele, zum Beispiel Stuttgart,
meine Heimatstadt. Dort gibt es circa 11 000 Betriebe,
die zu kontrollieren wären. Es gibt aber in Stuttgart ma-
ximal, wenn ich es richtig im Kopf habe, 18 Lebensmit-
telkontrolleure. Die schaffen im Jahr, wenn überhaupt,
die Hälfte dieser Betriebe. Ich denke, das ist deutlich zu
wenig. Von daher muss es eine wesentlich intensivere
Zusammenarbeit mit den Ländern geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor mehr als zwei Jahren schon, im Dezember 2005,
hat Herr Seehofer in seiner Regierungserklärung einige
vollmundige Sätze gesagt.

Er sagte:

Ich denke, zwei Leitbilder müssen uns führen:
Zum einen das Leitbild des mündigen Verbrau-
chers!
Zum zweiten, unsere Skepsis einer totalen Ökono-
misierung unserer Gesellschaft gegenüber!

Er führte als Beispiel das Verbraucherinformationsgesetz
an:

Das Verbraucherinformationsgesetz wird hierzu ein
erstes Beispiel geben: denn damit wollen wir den
mündigen Bürger stärken und diejenigen Unterneh-
men stärken, deren Leistungen und Produkte ohne
Beanstandung sind.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch gut!)


Frau Heller, Sie hatten den Bürokratieabbau ange-
sprochen. Ich frage Sie daher: Warum wurde mit dem
Verbraucherinformationsgesetz ein solches Bürokratie-
monster geschaffen?


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen müssen jetzt zu einer Behörde gehen, um
eine Auskunft zu erhalten, die sie auf direktem Wege
von einer Firma doch viel leichter erhalten können.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Problem ist, dass die Firma diese Auskunft nicht er-
teilen muss. Wenn die Bürger dann zu der Behörde ge-
hen und sich eine Auskunft geben lassen, dann kann es
sein, dass sie bis zu 500 Euro Gebühren zahlen müssen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist doch alles Kappes!)


Die entsprechende Gebührenordnung ist gerade in Ar-
beit. Es werden also Gebühren fällig, wenn man Rechte
nach dem Verbraucherinformationsgesetz in Anspruch
nimmt.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Bürgerverdummung par excellence!)







(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder
Gebühren bis zu 500 Euro sind für viele Menschen
eine viel zu hohe Hürde, um darüberzuspringen. Eine
solche Ausgabe können sich viele Menschen nicht leis-
ten. Es kommen möglicherweise noch Kosten für Ausla-
gen hinzu. Aus meiner Sicht ist dieses Gesetz deshalb
schon heute ein Auskunftsverhinderungsgesetz.


(Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist eine unabhängige Information und keine Wirtschaftsinformation!)


Wenn Herr Seehofer dem, was er in seiner Antritts-
rede damals angesprochen hat, gerecht werden will,
dann muss er schnell von dem Schmusekurs mit der
Wirtschaft abrücken. Er sollte sich vielmehr an dem ori-
entieren, was für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
also für die Menschen, wichtig ist, und nicht an dem,
was für die Wirtschaft wichtig ist.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Es geht um Arbeitsplätze, Frau Binder!)


Das ist aber im Moment wohl seine erste Maßgabe.

Vor diesem Hintergrund sage ich frei nach Bertolt
Brecht: Wer A sagt, muss nicht zwangsläufig B sagen.
Er kann auch erkennen, dass A falsch war.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das sieht man an Ihrer Rede!)


Es wäre also gut, hier entsprechende Korrekturen anzu-
bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Sie können auch zeigen, dass Sie das ganze Alphabet beherrschen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615108600

Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1615108700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter

und sehr geehrte Vertreterinnen der Bundesregierung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Binder, wir wol-
len in dieser Debatte über das wichtige Thema Verbrau-
cherpolitik diskutieren. Es war aber nicht die Rede davon,
Verbraucherverunsicherung zu betreiben und Unwahr-
heiten in die Welt zu setzen.

Ich will ganz kurz auf das Verbraucherinformations-
gesetz eingehen. Hier geht es darum – das hat meine
Kollegin Waltraud Wolff vorhin richtigerweise in Form
eines Zurufs konstruktiv angemerkt –, dass man unab-
hängige Informationen von Behörden erhält. Diese In-
formationen kosten keine 500 Euro, auch wenn Sie das
immer und immer wieder betonen. Das Verbraucherin-
formationsgesetz ist nach dem gleichen Muster wie das
Informationsfreiheitsgesetz aufgebaut. Bei der Beru-
fung auf dieses Gesetz mussten in etwas mehr als
100 Fällen Auskunftsgebühren, die höher als 50 Euro la-
gen, gezahlt werden. Es handelte sich aber niemals um
500 Euro. So wie Sie die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher verunsichern, kann man nur hoffen, dass Sie für im-
mer in der Opposition bleiben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich komme jetzt zu den Grünen. Ich finde es in Ord-
nung, dass wir über Verbraucherpolitik reden. Aber es
muss Hand und Fuß haben.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat es!)


Wir lesen Ihre Anträge, obwohl es manchmal ein biss-
chen Mut und Überwindung erfordert. In Ihrem Antrag
„Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen“ schreiben
Sie:

Das Arbeitsprogramm und der Grad der Zielerrei-
chung wurden von der Bundesregierung seitdem al-
lerdings nicht dokumentiert.

Das ist falsch. Denn die Halbzeitbilanz des Bundesmi-
nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz, in der man sich intensiv mit dem Verbrau-
cherschutz beschäftigt, liegt vor. Die Grünen sind
sicherlich auch firm darin, das Internet zu nutzen. Im In-
ternet kann man sich stundenlang mit verbraucherpoliti-
schen Themen beschäftigen, weil es zu diesem Thema
viele Dokumente gibt. Dieser Punkt Ihrer Kritik ist also
nicht zutreffend.

Sie schreiben weiter:

Transparenz heißt aber auch, die wichtigen verbrau-
cherpolitischen Projekte der Bundesregierung of-
fenzulegen und einer demokratischen Kontrolle zu
unterwerfen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Du lieber Himmel! Als wäre hier etwas unter Verschluss
gehalten worden! Frau Maisch, ich weiß nicht, wo Sie
Mittwoch morgens in einer Sitzungswoche sind.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie! Im Ausschuss!)


Wir sind jedenfalls im Ausschuss. Dort erstattet uns die
Bundesregierung sehr oft Bericht über die aktuellen ver-
braucherpolitischen Themen.

Ich kann ja einmal den Bericht hochhalten, den sie am
23. Januar 2008 im Ausschuss vorgestellt hat. Dieser
„Bericht der Bundesregierung über die verbraucherpoli-
tischen Schwerpunkte sowie konkrete verbraucherpoliti-
sche Initiativen und Maßnahmen der Bundesregierung
für das Jahr 2008“ umfasst an die zehn Seiten, ist sehr
ausführlich, beschäftigt sich intensiv mit der Thematik
und ist übrigens an alle Fraktionen, auch an Ihre, ver-
schickt worden. Knapp einen Monat später, am 20. Fe-
bruar 2008, wurde ein weiterer ausführlicher Bericht der
Bundesregierung vorgelegt. Dort wird berichtet, welche
Dinge in der Abstimmung sind, bei welchen Themen
noch Diskussionsbedarf besteht und in welchen Berei-
chen bereits etwas erreicht worden ist. Dort steht auch
– auch dieser Bericht ist allen Fraktionen schriftlich






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
zugegangen –, dass der verbraucherpolitische Bericht
der Bundesregierung noch vor der Sommerpause vorlie-
gen wird. Mittlerweile haben Sie ja schon gehört, dass
dieser Bericht noch im April vorgelegt wird.

Insofern erübrigt sich Ihr Antrag; er ist absolut obso-
let. Sagen Sie doch einfach, dass es Ihnen nur darum
geht, wieder einmal im Plenum zu reden. Wir machen da
gerne mit; das ist kein Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre eine ehrliche Aussage gewesen!)


Meine Kollegin Frau Heller hat es vorhin gesagt: Reden
ist das eine, aber Handeln ist das andere.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passt gut zu Ihnen!)


– Ich komme noch darauf zu sprechen. – Den Koali-
tionsfraktionen und der Bundesregierung ist es wichti-
ger, die Kapazitäten und Energien in etwas zu investie-
ren, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft.
Welchen Sinn und Zweck verfolgten denn die verbrau-
cherpolitischen Berichte damals unter Ihrer Ministerin,
Frau Künast? Das war doch reine Selbstdarstellung.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Na! Künastisierung der Politik! – Zuruf von der CDU/ CSU: Nur Luftblasen produziert!)


Frau Künast hat damals vieles angesprochen, doch ver-
ändert hat sie letztlich nichts. Sie hat ein verbales Wohl-
fühlprogramm aufgelegt.

Ich habe mir die verbraucherpolitischen Berichte und
die Debatten, die wir mit Frau Künast geführt haben,
noch einmal angeschaut. Sie hat damals zum Beispiel
die sogenannten Schrottimmobilien sehr gegeißelt, aber
sie hat nichts dagegen unternommen. Dann hat sie viel
von einem Verbraucherinformationsgesetz gesprochen.
Fünf Jahre lang hat die vorherige Regierungskoalition
versucht, ein solches Gesetz zu erarbeiten, aber sie hat
keines verabschiedet. Und wie sehr hat sie über unlau-
tere Telefonwerbung geklagt! Aber auch dazu hat sie
keinen Gesetzentwurf vorgelegt.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat es denn im Bundesrat blockiert?)


– Wo Sie jetzt dazwischenrufen, wir hätten das im Bun-
desrat blockiert: Ich darf Sie daran erinnern, dass die
Vorlage, die Frau Künast Herrn Clement als damaligem
Wirtschaftsminister vorgelegt hat, mitnichten so weitrei-
chend war wie das Gesetz, das wir jetzt verabschiedet
haben.

Wir haben die Verbraucherrechte gestärkt. Und nur
dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, interessieren sich
doch die Bürgerinnen und Bürger. Sie interessieren sich
doch nicht dafür, was eine Regierung oder eine Ministe-
rin oder ein Minister in ein Papier schreibt. Die Leute
draußen haben keine Zeit zum Lesen, sondern sie stehen
mitten im Leben und müssen arbeiten. Deshalb müssen
sie spüren, dass wir uns um sie kümmern. Wir machen
das nicht, indem wir bunte Berichte vorlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Thema Bürokratieabbau wurde vorhin bereits an-
gesprochen. Wir legen Wert darauf – das haben wir ge-
genüber der Bundesregierung auch angekündigt –, dass
wir diesen Bericht alle vier Jahre bekommen; und er
wird auch kommen.

Ich möchte ganz konkret hervorheben, was wir in die-
ser Legislaturperiode, die ja lange noch nicht zu Ende
ist, erreicht haben:

Wir haben einen Aktionsplan gegen Allergien aufge-
legt. Das heißt, dass Allergiker – in der Bundesrepublik
betrifft das 30 Prozent der Bevölkerung – besser infor-
miert werden, zum einen über ein Internetportal, das das
Ministerium eingerichtet hat, zum anderen auf den Ver-
packungen von Lebensmitteln.

Das Verbraucherinformationsgesetz habe ich schon
erwähnt.

Der grenzüberschreitende Verbraucherschutz hat end-
lich eine Lobby gefunden. Zusammen mit dem BVL,
dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-
mittelsicherheit, haben wir klare Regelungen getroffen,
damit grenzüberschreitender Verbraucherschutz umge-
setzt wird. Es ist wichtig, dass Gesetze und Rechte
durchgesetzt werden.

Weiter haben wir im Versicherungsbereich und im
Bereich der Überschuldung von Verbrauchern einiges
geregelt. Dank des reformierten Versicherungsvertrags-
gesetzes müssen Verbraucher informiert werden, bevor
sie etwas unterschreiben. Sie werden sogar an Über-
schüssen beteiligt. Auch im Verbraucherinsolvenzrecht
sind wir weitergekommen – Stichwort Kontopfändungs-
schutz. Davon hat Frau Künast landauf landab gespro-
chen, aber sie hat nie gehandelt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur Luftblasen produziert!)


Es ist wichtig, dass Verbraucherinnen und Verbrau-
cher ein Konto haben, um am gesellschaftlichen Leben
teilnehmen zu können.

Wir haben uns für die Senkung der Roaminggebühren
eingesetzt.

Wir sorgen dafür, dass im Internet – damit beschäftigt
sich gerade die Bundesregierung – niemand in Kosten-
fallen tappt, indem es erst zu einem sogenannten Ex-
traklick kommen muss, bevor ein Vertrag abgeschlossen
wird.

Auch haben wir dafür gesorgt, dass es über Telefon-
werbung nicht mehr dazu kommen kann, dass Jugendli-
che ohne ihr Wissen ein teures Abonnement abschließen.

Das ist wahre Verbraucherpolitik. Bürgerrechte und
Verbraucherrechte gehören zusammen. Verbraucher-
rechte sind Bürgerrechte. Wir nehmen die Bürgerinnen
und Bürger ernst. Wir wissen, dass sie einen Willen ha-
ben. Wir wissen auch, dass die Bürgerinnen und Bürger
Informationen zur Entscheidung brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615108800

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das
Wort.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1615108900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich finde es schade, dass die meisten meiner Vorred-
nerinnen und Vorredner nicht dem üblichen Ritual wi-
derstehen konnten, dem politischen Gegner jedes
grundsätzliche Interesse am Thema abzusprechen. Da
wird behauptet, dass in der Regierungszeit der anderen
nie etwas umgesetzt wurde oder dass das, was in den Re-
den gesagt wurde, nicht ernsthaft gemeint war. Mit ei-
nem solchen Stil werden wir nicht überzeugen. Wir soll-
ten uns nach wie vor um jedes einzelne Thema
kümmern. Ich glaube, dass sowohl in der Zeit bis 2005
als auch in der Zeit nach 2005 im Verbraucherschutz
wichtige Dinge umgesetzt wurden. Das kann man in den
einzelnen Themenfeldern erkennen.

Zunächst einmal sollte man sich über das Ziel des
Verbraucherschutzes verständigen. Ich finde es gut, dass
wir das Bild vom mündigen Verbraucher und der infor-
mierten Verbraucherin teilen. Dass das für einen moder-
nen Verbraucherschutz nicht ausreicht, ist aber auch klar.
Wir müssen mithilfe des Ordnungsrechts erzwingen, das
Angebote vergleichbar werden. Wir haben zum Beispiel
Regeln festgelegt, wie bei Krediten Zinssätze und ver-
deckte Kosten dargestellt werden müssen.

Wir müssen verhindern, dass eine so starke Markt-
macht entsteht, dass Wahlfreiheit nur noch auf dem Pa-
pier steht, weil ein Monopol auf einem Markt herrscht.

Wir müssen Regelungen merkbar machen; auch das
ist wichtig. Man kann natürlich hochkomplexe Regelun-
gen festlegen, die dann aber nur noch wenige für sich in
Anspruch nehmen können. Man darf den mündigen Ver-
braucher und die informierte Verbraucherin nicht so
missbrauchen, dass man von ihm bzw. ihr verlangt, zu
einem wandelnden Lexikon oder einem wandelnden Ta-
schenrechner zu werden. Das hat zum Beispiel Auswir-
kungen auf die Frage, wie ich die Kennzeichnung bei
Lebensmitteln vornehme.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schließlich kommen Gesetze und Ordnungsrecht
überall dort zum Tragen, wo der Schutz der Gesundheit
im Vordergrund steht. In diesem Bereich darf es eben
nicht mehr möglich sein, alles Mögliche anzubieten,
sondern ein bestimmter Standard muss von vornherein
durchgesetzt werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615109000

Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Höfken?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1615109100

Ja. Ich hatte die Frage zu einem späteren Zeitpunkt er-

wartet, aber ich erlaube sie auch schon gerne jetzt.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615109200

Angeregt durch das Stakkato der Kollegin Klöckner,

bei der ich überlegt habe, ob ich ihr durch eine Frage zu
mehr Redezeit verhelfen sollte, aber mich nicht mehr
rechtzeitig gemeldet habe, möchte ich nun Sie, Herr
Kelber, fragen, ob Sie der Auffassung sind, dass das Ver-
braucherinformationsgesetz noch erheblich zu verbes-
sern ist. Beispielsweise erfüllt es ja nicht die Aufgabe,
die kriminellen Machenschaften in der Fleischindustrie
tatsächlich einzudämmen und so die schwarzen Schafe
auszusortieren, wie das Minister Seehofer einst verspro-
chen hatte.

Schwierig beim Verbraucherinformationsgesetz sind
auch die Regelungen zu den Gebühren und zur Aus-
kunftspflicht. So werden unglaublicherweise Betriebsge-
heimnisse von Unternehmen so stark geschützt, dass der
Verweis auf „sonstige wettbewerbsrelevante Informatio-
nen“ ausreicht, um den Informationsanspruch der Bürge-
rinnen und Bürger, die eigentlich ab Mai die Gelegenheit
haben sollen, Auskünfte zu bekommen, einzuschränken.


(Otto Fricke [FDP]: Ist das eine Frage?)


Sind Sie also der Auffassung, dass dieses Verbraucher-
informationsgesetz, so wie es die SPD immer gefordert
hat, bald verbessert werden sollte und insbesondere beim
Thema Lebensmittelkennzeichnung – das hat auch Frau
Wolff schon dargestellt – eine deutliche Verbesserung
nötig ist und dass Minister Seehofer das mitbedenken
sollte?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1615109300

Frau Kollegin Höfken, für Statements ist normaler-

weise die Redezeit gedacht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Sie müssen sich eben beim nächsten Mal innerhalb Ihrer
Fraktion durchsetzen.

Natürlich beantworte ich gerne Ihre Frage, die Sie mir
wahrscheinlich auch deswegen gestellt haben, weil Sie
meine Aussagen zum Verbraucherinformationsgesetz
aus den Veröffentlichungen kennen. Daher wissen Sie,
dass ich das Verbraucherinformationsgesetz zunächst
einmal für einen großen Schritt nach vorne halte. Wir
sollten die Verbraucherinnen und Verbraucher ermun-
tern, es zu nutzen, und ihnen nicht von vornherein Angst
machen.


(Beifall bei der SPD)


Wir sind aber darüber hinaus der Meinung, dass es As-
pekte gibt, die nach einer gewissen Zeit überprüft werden
müssen. Das ist eine Aufgabe, an die wir herangehen
müssen. Die Gebührenfrage ist unserer Ansicht nach
nicht die wichtigste Frage. Wir sehen in der in diesem
Gesetz festgelegten Gebührenordnung keine Schlechter-
stellung gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz, das
wir in der Zeit von Rot-Grün gemeinsam umgesetzt ha-
ben. Ich hoffe, dass die Beamtinnen und Beamten die
Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Gebühren,
mit denen zu rechnen ist, aufmerksam machen werden.
Trotzdem fände ich es schön, wenn wir eines Tages auch






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
über so etwas wie die Erstellung von Kostenvoranschlä-
gen in diesem Bereich reden könnten.

Was ist zu überprüfen, eventuell zu verbessern? Die
erste Frage ist, ob bezüglich der Abwägung zwischen
Betriebsgeheimnissen und dem Wunsch nach Herstel-
lung von mehr Öffentlichkeit das Gesetz konkretisiert
werden muss. Die zweite Frage ist, ob wir eine Auswei-
tung auf andere Bereiche, zum Beispiel auf die Dienst-
leistungen, vornehmen müssen. Die dritte Frage ist, ob
wir für eine aktivere Rolle des Staates schon bei der Ver-
öffentlichung von Informationen sorgen müssen. Das
sind die Elemente, über die man ein Jahr nach Einfüh-
rung dieses Gesetzes sprechen sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Frau Höfken, das war meine Antwort. Ich denke, sie
war mehr als ausreichend, auch wenn sie nicht ganz so
lang war wie Ihr Statement.

Wenn wir unsere Vorstellung von Verbraucherschutz
und der Rolle der Verbraucherinnen und Verbrauchern
mit der Wirklichkeit vergleichen, dann werden die ein-
zelnen Aufgaben der Verbraucherschutzpolitik deutlich.

Ein Punkt, um den wir uns gegenwärtig kümmern,
auch wenn die Federführung nicht bei unserem Aus-
schuss liegt, ist das Scoring bei Krediten. Die erste Frage
hierzu lautet: Warum bieten Banken Kunden einen Kre-
dit zu einem anderen Prozentsatz an als zu dem, mit dem
sie werben, bzw. wie kommt es, dass sie sogar Kredite
gänzlich verweigern, weil das Risiko zu hoch sei? Die
zweite Frage hierzu lautet: Welche Daten werden ver-
wendet? Können wir ausschließen, dass Daten, auf die
ich persönlich überhaupt keinen Einfluss habe, zum Bei-
spiel die Wohnumgebung, mein Alter und Ähnliches, zu
Diskriminierungen führen? Es ist also notwendig, das
Scoring gesellschaftlich zu kontrollieren. Es geht nicht
darum, das Scoring abzuschaffen. Es liegt nämlich
durchaus im Interesse aller Bankkunden, dass Kreditaus-
fälle nicht zu häufig auftreten. Es ist aber sicherzustel-
len, dass beim Scoring nur die Daten verwendet werden,
die gesellschaftlich akzeptabel sind. Außerdem müssen
die Verbraucherinnen und Verbraucher darüber infor-
miert werden, warum ihnen bestimmte Angebote vorent-
halten werden, damit sie aktiv darauf hinwirken können,
bessere Angebote zu erhalten. Das ist ein Bereich des
Verbraucherschutzes, in dem wir vorankommen wollen.

Über das Thema der Kennzeichnung hat die Kollegin
Wolff bereits gesprochen. Vor kurzem haben wir uns auf
das „Ohne Gentechnik“-Siegel geeinigt. Das wurde von
allen Verbraucherschutzverbänden als großer Durch-
bruch dargestellt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber es ist Gentechnik drin!)


Ich glaube, wir brauchen langfristig auch noch mehr
klare Kennzeichnungen, ohne die Verbraucherinnen und
Verbraucher dadurch zu überfordern. Es geht zum Bei-
spiel um die soziale Verantwortung bei der Herstellung
von Produkten, also um Fragen der Art und Weise und
des Ortes der Produktion. Das hat ja Auswirkungen auf
die Entstehung oder den Abbau von Arbeitsplätzen. Den
Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen hier Ver-
gleichsmaßstäbe geboten werden, damit sie in ihre Kauf-
entscheidung auch gesellschaftliche Umstände einbezie-
hen können.

Sie haben ganz aktuell mitbekommen, dass Justiz-
und Verbraucherschutzministerium einen gemeinsamen
Vorschlag hinsichtlich der Werbeanrufe vorgelegt haben.
Es geht dabei sowohl um die Werbeanrufe, die schon
heute, nach geltendem Recht, illegal sind, als auch um
die, mit denen auf Basis einer schon bestehenden Ge-
schäftsbeziehung etwas erreicht werden soll. Ich finde es
gut, dass wir die Regelung hinsichtlich der illegalen An-
rufe weiter verschärft haben: Künftig ist die Rufnummer-
unterdrückung nicht mehr erlaubt. Die heutige Technik
macht es möglich, die Nummer desjenigen, der die Ruf-
nummerunterdrückung aktiviert hat, nachzuvollziehen.
So kann das Bußgeld klar zugeordnet werden. Außer-
dem regeln wir klar, unter welchen Bedingungen ein
Vertrag am Telefon abgeschlossen werden kann. Ich
meine aber, dass man über das Ziel hinausschießt – ich
meine nicht die Abgeordneten aus der Koalition –, wenn
man grundsätzlich eine schriftliche Vereinbarung for-
dert. Das nützt nichts, denn es würde bedeuten, dass man
nicht einmal eine Pizza oder ein Taxi per Telefon bestel-
len kann. Das wollen wir nicht.

Uns geht es um Folgendes: Bei einem Zeitschriften-
bezug kann ich sagen, dass ich diese Zeitung nicht haben
will, und den Vertrag widerrufen. Bei Verträgen mit
Strom- oder Telefonanbietern und bei bestimmten Bank-
dienstleistungen bekomme ich aber nichts Schriftliches
in die Hand, obwohl die Dienstleistung beginnt. Für sol-
che Fälle verlangen wir in Zukunft eine schriftliche Be-
stätigung, weil der Verbraucher sein Recht auf Widerruf
sonst nicht wahrnehmen kann. Dadurch werden wir eine
Unart, die Einzug gehalten hat, innerhalb kürzester Zeit
abwürgen. Ich halte das für einen großen Schritt in Sa-
chen Verbraucherschutz.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Die Richtlinie der Europäischen Union zu den Fahr-
gastrechten werden wir in Deutschland zum frühestmög-
lichen Zeitpunkt umsetzen. Ich halte es für wichtig, dass
wir eine Form wählen, die erstens für angemessene Ent-
schädigung der Betroffenen sorgt, zweitens den Druck
erhöht, auf der gesamten Verkehrskette für Pünktlichkeit
zu sorgen, und drittens merkbar ist. Das heißt, wir soll-
ten im Fernverkehr nicht eine Regelung treffen, die wir
nach wenigen Jahren, wenn die europäische Richtlinie
verbindlich wird, nicht mehr aufrechterhalten können.
Vielmehr sollten wir sie möglichst nah an der Richtlinie
orientiert gestalten. Wir sollten überall dort, wo es mög-
lich ist, im Fern- und Nahverkehr vergleichbare Rege-
lungen vorsehen. Ich möchte die Verbraucherin oder den
Verbraucher sehen, die oder der unterscheidet, zu wel-
chem Geschäftsbereich ein Zug gehört. Wenn man nur
diese Kriterien ansetzt, kann man deutlich über das
hinausgehen, was sich der Hauptbetreiber, die Deutsche
Bahn AG, heute so an Verbraucherinnen- und Verbrau-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
cherrechten in seinem Bereich wünscht. Das Gute ist:
Die Politik wird die Bedingungen festlegen und nicht die
Deutsche Bahn AG.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ganz aktuell führen wir eine Diskussion über einen
Informantenschutz im Bereich von Lebensmitteln. Ich
danke Herrn Goldmann dafür, dass er die Presse im
Laufe des heutigen Tages auf diesen Bereich aufmerk-
sam gemacht hat. Ich bin mir sicher, dass wir sehr
schnell für einen deutlichen Schutz der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer sorgen werden, die die Öffent-
lichkeit darauf aufmerksam machen, dass der Betrieb, in
dem sie arbeiten, illegal handelt oder sogar Gesundheit
und Leben der Verbraucherinnen und Verbraucher ge-
fährdet. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
müssen geschützt werden. Eine entsprechende Regelung
brauchen wir noch im ersten Halbjahr 2008.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und deswegen habt ihr gestern verschoben?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615109400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8499
mit dem Titel „Verbraucherpolitischen Bericht vorle-
gen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Moderne Verbraucherpolitik fortführen und weiterent-
wickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/8398, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/684
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer,
Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Walter Riester, Dr. Sascha
Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD

Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt
beim Aufbau und bei Reformen von sozialen
Sicherungssystemen unterstützen und soziale
Sicherung als Schwerpunkt der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit implementieren

– Drucksachen 16/7747, 16/8484 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Walter Riester
Dr. Karl Addicks
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Walter Riester von der SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1615109500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

freut mich sehr, auf welch breite Zustimmung dieser An-
trag, den wir heute beschließen wollen, während der Be-
ratung in den Fachausschüssen und in der Rückkoppe-
lung mit dem Ministerium bei den Vorfeldorganisationen
der Entwicklungsarbeit – der GTZ und der KfW – und
auch bei vielen Nichtregierungsorganisationen gestoßen
ist. Warum ist die Zustimmung so groß? Ich glaube, vor
allem deswegen, weil erkannt wird, dass Armutsbe-
kämpfung in den Entwicklungs- und Schwellenländern
langfristiger und nachhaltiger Strukturen bedarf, die die
Menschen in die Lage versetzen, die großen Lebensrisi-
ken wie Krankheit, Altersarmut und die generelle Ver-
breitung der Armut selbst zu bewältigen.

Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die ich
im Verlauf der Debatte gehört habe und die mit dem An-
trag eigentlich nichts zu tun haben, sondern aus unserer
eigenen, zu engen Sichtweise der Thematik entstanden
sind.

Es geht natürlich nicht darum, sozusagen den Schat-
ten Bismarcks über Afrika zu legen oder Diskussionen
über das Gesundheitswesen oder die Riester-Rente, die
wir hier in Deutschland haben, in Lateinamerika oder in
Asien anzustoßen. Nein, es geht darum, zu erkennen,
dass sich die Voraussetzungen in den Ländern, über die
wir sprechen, ganz gravierend von den Voraussetzungen
bei uns in Deutschland unterscheiden und wir deswegen
Ansatzpunkte brauchen, die jenen Voraussetzungen ge-
recht werden.

In allen diesen Ländern können wir aber sehen, dass
die ursprünglich von den Familien getragene Sicherung
zunehmend zerbricht, keine strukturellen Alternativen
da sind und deswegen dauerhafte Armutsminderung
kaum angegangen werden kann. Die Voraussetzungen
sind aber nicht in allen Ländern gleich. Einerseits haben
wir Länder, in denen es kaum Krankenhäuser gibt und
kaum Pflegepersonal vorhanden ist. Andererseits haben
wir Länder wie beispielsweise Südafrika – das habe ich
schon in der ersten Debatte gesagt –, die sozusagen
Leuchttürme des entwickelten Gesundheitswesens






(A) (C)



(B) (D)


Walter Riester
vorzuweisen hatten und haben – so wurde die erste Herz-
transplantation in Südafrika durchgeführt –, in denen es
aber gleichzeitig eine massenweise Unterversorgung der
Bevölkerung gibt.

Im Laufe der Diskussion kam auch die Frage auf, was
Altersarmut in Ländern bedeutet, in denen über 50 Pro-
zent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt sind. Das bedeu-
tet vor allem, dass wir uns vergegenwärtigen müssen,
was bei dieser einseitigen Bevölkerungszusammenset-
zung geschieht, wenn die starke Altersgruppe der Jungen
in einem Prozess, den wir uns nur wünschen können,
nämlich dem der Wohlstandsmehrung, in der Alterspyra-
mide nach oben wandert und es keinen Geburtenüber-
schuss mehr gibt: In 30 bis 40 Jahren – das ist für die
Vorsorge in Altersvorsorgesystemen eine sehr kurze
Zeit – wird es in diesen Ländern damit ein riesiges Pro-
blem geben. Wenn wir das aber jetzt schon erkennen, ist
es enorm wichtig, dass wir uns Gedanken darüber ma-
chen, wie wir in diesen Ländern mit einzelnen Projekten
für die Menschen entsprechende Strukturen entwickeln
können. Das geht allerdings nicht schnell und auf wohl-
feile Art. Aber wenn es uns gelingt, in den nächsten drei
bis vier Jahren mit sechs oder sieben solcher Modellpro-
jekte die Menschen in den Ländern selbst zu bewegen,
dann sind wir schon sehr weit und einer Antwort auf die
oben gestellte Frage nahe.

Ich will auf die Budgetförderung, die wir im Hinblick
auf die Entwicklungszusammenarbeit teilweise kontro-
vers diskutieren, eingehen. Wir müssen mit den in der
Regierung Verantwortlichen und den Parlamentariern ei-
nes solchen Landes darüber diskutieren, dass mit den
Mitteln der Budgetförderung eine Verbreiterung der
Strukturen vorgenommen wird. Auf diese Weise entsteht
hier eine ganz andere politische Dimension. Ich kann
mir aber auch vorstellen, dass wir ganz neue Kooperatio-
nen haben werden.

Ich habe mich sehr gefreut, als ich vor kurzem gele-
sen habe, dass die GTZ derzeit in Indien in Kooperation
mit der WHO und der ILO ein Projekt durchführt, bei
dem es insbesondere darum geht, zu lernen, welche
Strukturen sich auf dem informellen Arbeitsmarkt entwi-
ckeln. Noch mehr hätte ich mich gefreut, wenn es eine
Kooperation mit SEWA gegeben hätte, der größten Frau-
enorganisation Indiens, die große Erfahrungen in diesem
Bereich hat. In unserer Diskussion im Ausschuss hat die
Kollegin Koczy zu Recht darauf hingewiesen, das dies
ein zentraler Ansatzpunkt ist. Denn die familiäre Siche-
rung ist im Regelfall über die Frauen gelaufen. Und
Frauen können auch auf den informellen Arbeitsmärkten
die Strukturen weiterentwickeln, die notwendig sind, um
diese Sicherung aufzubauen.

Ich kann mir aber auch andere Kooperationen vorstel-
len, so könnten in Deutschland mit denjenigen Ministe-
rien, die Erfahrungen in bestimmten Bereichen haben,
wie das Gesundheitsministerium und das Arbeitsminis-
terium, aber nicht die spezifische Erfahrung des BMZ,
wie es in Entwicklungsländern aussieht, kohärente He-
rangehensweisen entwickelt werden.

Meine nächste Überlegung. Wenn wir solche Modell-
projekte durchführen, dann wäre es interessant – dazu
habe ich gerade auch mit Blick auf Indien geraten –, im
Rahmen solcher Kooperationen auch Fachleute aus an-
deren Bereichen einzubeziehen, die mehr Erfahrungen
mit dem informellen Arbeitsmarkt haben als wir. Ich
finde, dieses Projekt beinhaltet viele Ansätze, die ver-
deutlichen können, dass durch Entwicklungsarbeit eine
nachhaltige Struktur aufgebaut werden kann und dass sie
nicht in der „Caritas-Haltung“, die wir häufig erleben
– das ist nicht wertmindernd gemeint –, verharren muss.

Lassen Sie mich ein Beispiel anführen und kurz auf
die Situation in Malawi zu sprechen kommen. In ganz
Malawi gibt es nur vier Krankenhäuser. Allerdings wer-
den dort sehr große Anstrengungen unternommen, um
Menschen als Ärzte oder Pflegepersonal zu qualifizie-
ren. Anschließend arbeitet dieses qualifizierte Personal
aber zum größten Teil in Großbritannien und Schottland.
Bei meinen Besuchen in Afrika habe ich mehrfach den
erschütternden Satz gehört: In Manchester gibt es mehr
in Malawi medizinisch ausgebildetes und qualifiziertes
Personal als in ganz Malawi. – Gleichzeitig stellen wir
fest, dass in Malawi sehr engagierte Ärzte der Organisa-
tion „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten. Ich denke, diese
Strukturen müssen aufgebrochen werden.

Manchmal habe ich das Gefühl: Das Hauptproblem
der HIV/Aids-Bekämpfung besteht nicht darin, dass
Geld fehlt, sondern darin, dass die personellen und struk-
turellen Voraussetzungen mangelhaft sind. Um diese
Geißel zu bekämpfen, müssen die Bedingungen verbes-
sert werden.

In einer interessanten Untersuchung, die von der ILO
durchgeführt wurde, kam man zu dem Ergebnis: Wenn
man im Senegal und in Tansania 3 Prozent des jeweili-
gen Bruttosozialproduktes in eine Grundsicherung gegen
Altersarmut und in eine Grundsicherung für Kinder in-
vestieren würde, dann könnte die Armut in beiden Län-
dern um 40 Prozent reduziert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Doch! Das ist realistisch!)


Daran wird aber deutlich, dass es ein vielversprechender
Ansatz ist, diese Mittel in Strukturen zu investieren, die
nachhaltige Wirkungen haben


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Jawohl!)


und den Menschen die Möglichkeit eröffnen, die Armut
selbst zu bekämpfen.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn dieser Kerngedanke richtig ist, dann verspreche
ich mir davon sehr viel. Ich finde es toll, dass das zustän-
dige Ministerium seine breite Unterstützung zugesagt
hat, wenn es darum geht, diesen Ansatz in der Entwick-
lungsarbeit schwerpunktmäßig zu verfolgen. Das BMZ
ist auf InWEnt zugegangen und hat gesagt: Wir möchten
einen Workshop organisieren, in dessen Rahmen wir die
Beteiligten zusammenführen. – Ich fände es angesichts
der unterschiedlichen Voraussetzungen gut, wenn auch






(A) (C)



(B) (D)


Walter Riester
die Beauftragten des Ministeriums für die jeweiligen
Länder ihre Fachkompetenz einbringen, damit wir bes-
ser beurteilen können, in welchen Ländern die Voraus-
setzungen, um diesen Prozess zu unterstützen, am ehes-
ten erfüllt sind.

Ich habe mich in meinem Redebeitrag bewusst auf die
Frage konzentriert: Welche konkreten Maßnahmen kön-
nen aus diesem Antrag abgeleitet werden? Häufig stelle
ich nämlich fest: Wir beschließen einen Antrag und ge-
hen sofort zum nächsten aktuellen Thema über.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Oh nein! Wir sind tapfer! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So etwas!)


Ich denke aber, wenn wir uns auf etwas verständigen – in
den Fachausschüssen haben wir bereits eine Verständi-
gung erzielt –, dann muss das für die Menschen auch
praktische Folgen haben.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja! Ganz tapfer machen wir das!)


Lassen Sie mich zum Schluss einen sehr zugespitzten
Gedanken formulieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir
in der einen oder anderen Frage selbst Lernende sind.
Wir erleben, wie der Arbeitsmarkt in Deutschland aus-
franst – mittlerweile gibt es 7 Millionen 400-Euro-Job-
ber – und dass wir mit den bisherigen Instrumenten
kaum noch Antworten geben können. Ich verspreche mir
solche Antworten nicht von den Menschen in den Ent-
wicklungsländern, die überwiegend im informellen Ar-
beitsmarkt arbeiten; aber ich denke, wir kommen auf
eine Ebene, bei der man davon sprechen kann, dass wir
auf gleicher Augenhöhe lernen. Hier können wir mögli-
cherweise Erfahrungen einbringen. Auf jeden Fall müs-
sen wir wegkommen von einer Betrachtung, die davon
ausgeht, dass das eine Land Geberland, das andere Neh-
merland ist. Wir müssen gemeinsam Lösungen für die
großen Herausforderungen entwickeln.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615109600

Den Beitrag des Kollegen Dr. Karl Addicks von der

FDP-Fraktion nehmen wir zu Protokoll, weil er gegen-
wärtig zu meiner Rechten als Schriftführer tätig sein
muss.1)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin von
der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615109700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war

schon bei der ersten Beratung im Januar auffällig, wie
positiv die Rednerinnen und Redner der Regierungs-
koalition zu dem vorliegenden Antrag Stellung bezie-
hen. Dieser Antrag ist notwendig geworden. So heißt es
im Antrag selbst, dass soziale Aspekte in der Entwick-

1) Anlage 2
lungszusammenarbeit jahrelang vernachlässigt worden
seien. Das ist ein starkes Stück; denn wie will man Hun-
ger und extreme Armut nachhaltig bekämpfen, ohne
dass man die sozialen Aspekte in den Mittelpunkt rückt?


(Beifall bei der LINKEN)

Hier gibt es offenbar eine Schieflage. Ich fasse diese

Schieflage wie folgt zusammen: Zum einen werden so-
zialpolitisch ausgerichtete Entwicklungsprogramme sys-
tematisch durch marktradikale Außenwirtschaftspolitik,
Handelspolitik konterkariert; wir haben dies des Öfteren
thematisiert. Zum anderen leidet die deutsche Entwick-
lungspolitik an ihrer in sich widersprüchlichen Ausrich-
tung. So werden durch die deutsche Entwicklungspolitik
in einem Land wie Vietnam die berufliche Bildung und
das Gesundheitswesen in ländlichen Räumen gefördert
– was wir begrüßen –; aber diese Maßnahmen bleiben
bruchstückhaft, da die durch Entwicklungsgelder massiv
unterstützte Ausrichtung auf die Förderung der Privat-
wirtschaft alles andere in den Hintergrund treten lässt.
Mit der Entwicklungspolitik wird letztendlich versucht,
den deutschen Konzernen dabei zu helfen, einen Fuß in
die Tür zu bekommen. Dies ist kein Einzelfall, dies ist
symptomatisch.

Zumindest im Gesundheitsbereich kann die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit mit einigen vielverspre-
chenden Projekten aufwarten. Damit man in diesem Be-
reich vorankommt, müssen die Anstrengungen, wie es
Walter Riester am Beispiel Malawi dargestellt hat, beim
Personal ansetzen. Wie es im Antrag festgestellt wird, ist
die Abwanderung von medizinischen Fachkräften insbe-
sondere für Schwarzafrika ein riesiges Problem.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615109800

Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Eid?


Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615109900

Selbstverständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615110000

Bitte schön, Frau Eid.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615110100

Sie sagten, dass die Entwicklungskooperation haupt-

sächlich dazu dient, dass Konzerne einen Fuß in die Tür
bekommen. Können Sie mir sagen, was daran unredlich
sein soll, wenn deutsche Firmen dazu beitragen, dass in
Ländern der Dritten Welt bzw. in Schwellenländern Ar-
beitsplätze geschaffen werden und die Menschen ein
Einkommen haben? In manchen dieser Länder sind
70 Prozent der Bevölkerung Jugendliche unter 20 Jah-
ren; der Kollege Riester hat darauf hingewiesen. Was ist
daran zu kritisieren, wenn auch deutsche Firmen Ar-
beitsplätze schaffen und diesen Menschen eine Zu-
kunftsperspektive geben? Die Firmen zahlen vor Ort
Steuern. Die Staaten haben damit ein Einkommen, mit
dem sie wiederum Schulen bauen können und ein Ge-
sundheitssystem aufrechterhalten können. Was ist daran
zu kritisieren?


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist keine Frage, das ist eine eigene Rede!)







(A) (C)



(B) (D)


Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615110200

Frau Kollegin, ich möchte Ihnen am Beispiel Kenia

deutlich machen, warum die Linke hier starke Kritik übt.
Über Infrastrukturprogramme und die Handelsliberali-
sierung wurden in Kenia viele staatliche Unternehmen
privatisiert. Es wurden Sonderwirtschaftszonen einge-
richtet, in denen den Arbeitnehmern und Arbeitnehme-
rinnen nicht einmal das im Land geltende Recht zugute
kommt. Die Beschäftigten arbeiten in den Sonderwirt-
schaftszonen 45 Stunden in der Woche für 2 Dollar am
Tag. Ich habe nichts dagegen, dass die betroffenen Fir-
men gefördert werden.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie mir eine deutsche Firma!)


Ich bin aber dagegen, dass sie aus dem Topf für Ent-
wicklungszusammenarbeit gefördert werden. Die in die-
sem Bereich zur Verfügung stehenden Mittel sollten vor
allem für soziale Aufgaben eingesetzt werden, um Ar-
mut nachhaltig zu bekämpfen und Gesundheitsstruktu-
ren zu schaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Um soziale Sicherungssysteme aufbauen zu können,
müssen wir unsere Kraft vor allem darauf konzentrieren,
dass mehr medizinische Fachkräfte in die Drittweltstaa-
ten entsandt werden.

Ich komme zu einem weiteren Kernbereich: die Da-
seinsvorsorge. In diesem Bereich gibt die deutsche Ent-
wicklungspolitik ein überaus bescheidendes Bild ab. Vor
allem beim Aufbau von Systemen zum Schutz vor Al-
tersarmut und Arbeitslosigkeit herrscht totale Flaute. In
diesem Bereich fordert der Antrag ein grundsätzliches
Umsteuern. Genau deshalb unterstützen wir ihn.

Es gibt Stimmen, die das für utopisch erklären. Man-
che meinen, in wirtschaftlich schwächeren Ländern
könne keine Rentenversicherung funktionieren. Das ist
Unsinn. In vielen Schwellenländern gab es gut funktio-
nierende Rentensysteme, die erst unter dem Druck der
Weltbank mit ihren Privatisierungsprogrammen kaputt
gemacht wurden. So wurden beginnend mit Chile im
Jahr 1981 unter dem Druck der Weltbank in zwölf latein-
amerikanischen Ländern die öffentlichen Rentensysteme
zurückgefahren und durch Systeme privater Vorsorge er-
setzt. Das nutzte – wie auch in Deutschland – nur denje-
nigen, die sich das leisten konnten, und den Versiche-
rungskonzernen.


(Beifall bei der LINKEN)


Jüngst zog Guillermo Perry, Chefökonom der Welt-
bank für Lateinamerika, eine ernüchternde Bilanz. Er
stellte fest, dass in den lateinamerikanischen Ländern, in
denen es ein privates Rentensystem gibt, heute mehr als
die Hälfte der Arbeitnehmer von jeglicher Altersvor-
sorge ausgeschlossen sind. Ich frage mich deshalb, wen
die Weltbank bekämpft: die Armut oder die Armen?

Insofern stelle ich in Ergänzung zum Antrag fest: Die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit braucht in der
Tat eine grundsätzlich neue Ausrichtung. Aber das muss
ihr Wirken in den multilateralen Institutionen wie der
Weltbank mit einschließen.

(Beifall bei der LINKEN)


Es ist absurd, wenn in der bilateralen Zusammenarbeit
auf den Aufbau kostenloser Gesundheitsvorsorge gesetzt
wird, aber die Vertreter der Bundesregierung in der Welt-
bank und im IWF auf die Senkung staatlicher Sozialaus-
gaben drängen.

Genauso absurd ist es, wenn die Bundesregierung in
der EU die Verschärfung des Patentrechts fordert und so
die überlebenswichtige Versorgung von Aidspatienten
mit bezahlbaren Präparaten erschwert.

Ein weiterer Schritt ist – er wäre im Übrigen völlig
kostenlos –, dass Deutschland endlich die Übereinkom-
men der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert.


(Beifall bei der LINKEN)


Das würde das richtige Signal an die Partnerländer aus-
senden. Schließlich gibt es in armen Ländern, in denen
mehr als drei Viertel der Bevölkerung in der Schatten-
wirtschaft arbeiten, für die allermeisten Beschäftigten
keine medizinische Grundversorgung, keine Arbeitslo-
senversicherung und keinen Mutterschutz.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615110300

Herr Kollege Aydin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615110400

Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, endlich

zu handeln und zumindest das IAO-Übereinkommen 177
über Heimarbeit zu ratifizieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn heute die Umsetzung des Antrags beschlossen
werden sollte, dann werden wir als Fraktion Die Linke
die weiteren Schritte beobachten und auch weiterhin
konstruktiv-kritisch die Arbeit der Bundesregierung be-
gleiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615110500

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1615110600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Aydin, ich kann es mir nicht verkneifen
– nur zur Information –: Privatisierung bedeutet nicht In-
vestition. Dazwischen besteht ein riesengroßer Unter-
schied. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Natürlich kann man lange da-
rüber diskutieren, ob man die Wirtschaftsförderung in den
Entwicklungsländern im BMZ oder vielleicht im Wirt-
schaftsministerium ansiedeln sollte. Ich verstehe aber
nicht, warum gerade von Ihrer Seite Kritik kommt; denn
die Kontrolle staatlicher Gelder in den Entwicklungslän-
dern geht nur über das BMZ und nicht über das Wirt-






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Pfeiffer
schaftsministerium. Darüber sollten Sie sich im Klaren
sein.

Lieber Kollege Aydin, warum betreiben wir eigent-
lich Entwicklungszusammenarbeit? Wir wollen, dass
sich die betreffenden Länder wirtschaftlich so stabilisie-
ren, dass sie irgendwann eigene soziale Sicherungssys-
teme finanzieren können. Sie wollen nur Gelder vertei-
len, und zwar vom Staat auf den Staat zu den Menschen.
Auf diese Art und Weise gibt es nirgendwo eine Ent-
wicklung. Das funktioniert so nicht. Bei Ihrer Rede hatte
ich den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um die Unter-
stützung des Aufbaus sozialer Sicherungssysteme in den
Entwicklungsländern geht, sondern um irgendeine ideo-
logische Debatte. Sicherlich können wir irgendwann
eine allgemeine Debatte führen. Aber Sie haben das Pro-
blem offensichtlich nicht erkannt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme nun auf die Unterstützung des Aufbaus
sozialer Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern
zu sprechen. Das ist alles andere als ein abstraktes Ni-
schenthema. Dieses Thema hat etwas – lieber Kollege
Aydin, hör mir zu;


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das tue ich gern, Frau Pfeiffer!)


denn das ist das Wichtigste – mit Menschenwürde und
Menschenrechten zu tun; darüber reden wir. Wir müssen
uns vergegenwärtigen, dass 80 Prozent der Menschheit
in sozialer Unsicherheit leben. Das heißt, dass diese
Menschen den größten Lebensrisiken wie Alter, Krank-
heit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Tod des Ernährers
schutzlos ausgeliefert sind. Die Folgen sind allerdings
alles andere als abstrakt. Im Gegenteil: Sie sind bittere
Realität. Es besteht ein Zusammenhang zwischen feh-
lender sozialer Sicherheit und Armut. Dass die Hälfte
der Menschen weniger als 2 Dollar pro Tag zum Leben
hat, hängt auch damit zusammen.

Die Armutsbekämpfung ist die zentrale Aufgabe
deutscher Entwicklungspolitik. Da die Ursachen für Ar-
mut komplex sind, müssen auch die Lösungsmöglichkei-
ten sehr vielschichtig sein. Ich bin fest davon überzeugt,
dass die Verankerung von sozialen Sicherungssystemen
einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung in den
Entwicklungsländern leistet. Lieber Kollege Aydin, das
ist die Botschaft unseres Antrags: Systeme der sozialen
Sicherung bedeuten vorbeugende und ausgleichende
Maßnahmen gegen Notlagen, die der Einzelne ohne
fremde Hilfe nicht bewältigen kann. Das heißt aber auch
Hilfe zur Selbsthilfe.

Fehlende soziale Sicherungssysteme erschweren es
den Menschen, aus der Armut herauszukommen. Feh-
lende soziale Sicherungssysteme sind aber oft der
Grund, dass Menschen in Armut geraten, zum Beispiel
wenn sie krank sind und unter Umständen ihr ganzes
Vermögen für Medikamente und Pflege aufbrauchen.
Diesen Kreislauf gilt es aufzubrechen. Der Aufbau sozia-
ler Sicherungssysteme ist für die Entwicklungsländer le-
benswichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus Sicht der Armen ist ein fehlendes Sozialsystem
ein Hauptproblem. Das hat eine Untersuchung der Welt-
bank im Jahre 2000 ergeben. Mehr als 1,3 Milliarden
Menschen haben keinen Zugang zu einer ausreichenden
Gesundheitsversorgung. Jährlich fallen mehr als 100 Mil-
lionen Menschen neu in die Armut, zum Beispiel weil
sie nicht krankenversichert sind und keine Versicherung
gegen Krankheitskosten haben. Die arme Bevölkerung
in den Entwicklungsländern ist in einem regelrechten
Teufelskreislauf. Sie ist in einer Krankheits-Armuts-
Falle gefangen. Weil die Menschen arm sind, sind sie
krank. Weil sie krank sind, werden sie noch ärmer.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Warum sind sie denn arm?)


– Das ist eigentlich nicht Teil unseres Antrags. Aber ich
kann es gerne erklären. Wenn alle Zeit haben, habe ich
nichts dagegen. Es dauert eine Dreiviertelstunde.

In diesem Zusammenhang reden wir über das Solidar-
system in den Großfamilien. Manchmal stehen wir dane-
ben und stellen fest, dass dieses Sozialsystem so, wie es
dort in den Großfamilien funktioniert, bei uns auch ein-
mal funktioniert hat. Aber selbst dort lösen sich diese
traditionellen Strukturen auf. In den Entwicklungs- und
Schwellenländern wird die Zahl der Großfamilien immer
kleiner. Grund hierfür sind als Erstes die Wanderarbeiter,
aber auch Flüchtlings- und Migrationsströme, die vor al-
len Dingen durch Bürgerkriege, Vertreibung sowie, liebe
Freunde, durch HIV/Aids ausgelöst werden.

Es gibt dort keine staatlichen sozialen Sicherungssys-
teme, wie wir sie uns vorstellen. Aber es gibt dort An-
sätze solcher Systeme, wenn auch nicht mit den Begriff-
lichkeiten, wie wir sie hier kennen. Für die Menschen in
den Entwicklungsländern sind Arbeitslosenversiche-
rung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Ren-
tenversicherung, Hinterbliebenenversicherung usw.
Fremdwörter. Dort, wo es die Idee eines solchen Sys-
tems gibt, profitiert eine kleine elitäre Minderheit davon,
zumeist im militärischen Bereich, in der staatlichen Ver-
waltung und Ähnliches. Aber der größte Teil der Men-
schen ist davon ausgeschlossen. So haben beispielsweise
lediglich 10 Prozent aller Afrikaner Zugang zu sozialen
Sicherungssystemen.

Aus eigener Erfahrung – aus deutscher, aber auch aus
europäischer Erfahrung – wissen wir, dass soziale Siche-
rungssysteme und wirtschaftlicher Erfolg eines Landes
keine Gegensätze sind. Im Gegenteil, es ist nachweisbar,
dass soziale Sicherungssysteme einen positiven Einfluss
auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes haben.
Dies haben wir nach der Industrialisierung selbst erlebt.

Das wirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungs-
ländern kann im Übrigen durch die Einrichtung der so-
zialen Sicherungssysteme gefördert werden. Aus eigener
Erfahrung wissen wir auch, dass sich ein eigener Wirt-
schaftszweig mit den sozialen Sicherungssystemen be-
schäftigt. Aber wirtschaftliches Wachstum allein garan-
tiert den Entwicklungsländern noch keine nachhaltige
Entwicklung. Manche der sich rasant entwickelnden
Schwellenländer wie China sind mit ihren sozialen Si-






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Pfeiffer
cherungssystemen einfach nicht nachgekommen; die
wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der
sozialen Sicherungssysteme sind nicht parallel gelaufen.
Weil die Entwicklung gerade in diesem Land völlig dis-
parat verlief, ergeben sich große Probleme.

Soziale Sicherungssysteme sind auch im Zusammen-
hang mit politischer Stabilität zu sehen. Ich mache dies
an Kindern deutlich, die Aidswaisen sind. Sie sind Ge-
walt und Folter ausgesetzt, leben auf der Straße und ha-
ben keine Heimat. Gelegentlich werden sie von Alten
betreut, die selber über keinerlei soziale Sicherung ver-
fügen. Wenn sie schon nicht die Mittel haben, sich selbst
zu ernähren, wie sollen sie sich dann um Aidswaisen
kümmern können? Dies birgt einen riesigen sozialen
Sprengstoff in sich, wie wir aus Deutschland wissen. Die
vernachlässigten und verwahrlosten Kinder und Jugend-
lichen in unserem Land sorgen sehr wohl für Instabilität
in unserer Gesellschaft. Nun müssen wir uns vorstellen,
was in Subsahara-Afrika, wo mehr als 12 Millionen Kin-
der und Jugendliche als Aidswaisen leben, geschehen
wird, wenn sie erwachsen werden. Sie haben keine Aus-
sicht auf Bildung und damit auch keine Aussicht darauf,
sich in der Zukunft selbst zu versorgen. Was bleibt ihnen
denn? Sofern es überhaupt diese Möglichkeit gibt, bleibt
jungen Mädchen der Weg in die Prostitution. Im Übrigen
bleiben jungen Menschen der Weg in Kriminalität oder
die Wanderschaft.

Was bedeutet es für Frauen, wenn sie sozial nicht ab-
gesichert sind? Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zu-
sammenhang das Erbrecht. Frauen können oft kein Land
erwerben. Das Landeigentum geht im Fall des Todes des
Ernährers auf dessen Familie über, nicht auf die Frau.
Auch das hat etwas mit sozialer Sicherung zu tun. Zwei
Drittel der Ärmsten der Welt sind Frauen. Jährlich ster-
ben 600 000 Frauen an Komplikationen während der
Schwangerschaft und der Geburt. Das würde hier nie ge-
schehen, weil die Frauen hier versichert sind, zur Vor-
sorge gehen können und wir sie nicht mit ihren Krank-
heiten alleine lassen. Wir sehen zu, dass sie betreut
werden und dass vor allen Dingen diese Betreuung fi-
nanziert wird.

Wir alle haben uns den Millenniumsentwicklungszie-
len verschrieben. Vier dieser Ziele beziehen sich auf die
Armut. Es geht um die Halbierung der Zahl der Men-
schen, die arm sind und hungern, die Verringerung der
Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Gesundheit
der Mütter und die Bekämpfung von Aids und Malaria.
All diese Themen betreffen die sozialen Sicherungssys-
teme. Es geht nicht darum, dass wir in den Entwick-
lungsländern unser „tolles“ Versicherungssystem anprei-
sen und fordern, dieses zu übernehmen, sondern es geht
darum, auf der bestehenden Kultur und den bestehenden
Systemen aufzubauen und uns unter Berücksichtigung
der Mentalitäten für das Erreichen der Millenniumsziele
einzusetzen. Es geht nicht darum, etwas vorzuschreiben,
sondern darum, die Menschen zu unterstützen. Das ist
Ziel und Zweck des Antrags.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1615110700

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Thilo Hoppe vom Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615110800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vor einigen Monaten hat das IFPRI-Institut
aus Washington eine sehr bemerkenswerte Studie vorge-
legt, in der es sich sehr differenziert mit der Lage der ex-
trem Armen auseinandergesetzt hat. Wir wissen, dass es
beim Erreichen der Millenniumsziele je nach Sektor, je
nach Teilziel, Fortschritte und Rückschritte gibt. Vor al-
lem aufgrund der wirtschaftlichen Erfolge Chinas ist
global gesehen die Zahl der extrem Armen – dazu zählt
man alle Menschen, die mit weniger als 1 Dollar pro Tag
auskommen müssen – zurückgegangen. Paradoxerweise
ist aber gleichzeitig die Zahl der ultraextrem Armen – ein
eigenartiges Wort – und der Hungernden gestiegen. Man
muss diese Größenordnung sehr differenziert betrachten.
Das liegt einerseits daran, dass in vielen Regionen dieser
Welt Kleinbauern, die auch vorher schon finanziell gese-
hen arm waren, von ihrer Scholle vertrieben wurden.
Während sie sich vorher mit ihrer Hände Arbeit zumin-
dest noch haben ernähren können, mussten sie jetzt gro-
ßen Bergbauprojekten, Staudämmen, Palmölplantagen
und der Sojafront weichen. Sie sind jetzt zusätzlich
hungrig, weil sie sich nicht mehr selber ernähren kön-
nen. Die IFPRI-Studie belegt aber andererseits auch sehr
eindrucksvoll, dass nicht nur der Verlust der eigenen
Scholle für die Kleinbauern ein Grund war, dass sie in
die Gruppe der ultraextrem Armen gefallen sind, son-
dern in ganz vielen Fällen schlicht und einfach Krank-
heit und das Fehlen eines Minimums an sozialer Absi-
cherung. 130 Millionen Menschen zählen zu diesen
ultraextrem Armen, die mit weniger als 50 US-Cent aus-
kommen müssen, nearly nothing.

Die Studie macht deutlich, dass diese Gruppe fast
überhaupt keine Chance hat, sich aus eigener Kraft aus
ihrer prekären Lage zu befreien, dass aber ein Minimum
an Sozialhilfe oder Krankenversicherung gereicht hätte,
um diesen Absturz in die Hoffnungslosigkeit zu verhin-
dern. Nicht nur IFPRI, sondern auch viele NGOs und
kirchliche Hilfswerke wie „Brot für die Welt“ und Mise-
reor machen schon seit geraumer Zeit darauf aufmerk-
sam, dass diese Gruppe der Allerärmsten kaum von der
staatlichen Entwicklungszusammenarbeit erreicht und
auch von den jeweils nationalen Regierungen sträflich
vernachlässigt wird. Sie fallen also in doppelter Hinsicht
durch den Rost.

Im Falle von Kriegen, Bürgerkriegen und Naturkatas-
trophen wird Nahrungsmittelhilfe benötigt; sie stellt im-
mer nur eine begrenzte Nothilfe dar. Über dieses Thema
diskutieren wir morgen.

Um die Lage der extrem Armen strukturell zu verbes-
sern, bedarf es, weil 80 Prozent der Hungernden auf dem
Land leben, einerseits größerer Investitionen in den länd-
lichen Sektor – ich wiederhole gebetsmühlenartig, dass
hier Kurskorrekturen notwendig sind – und andererseits
– darüber reden wir heute – eines Aufbaus tragfähiger so-






(A) (C)



(B) (D)


Thilo Hoppe
zialer Sicherungssysteme. Dabei muss man zuallererst
die Zielgruppe der extrem Armen und Hungernden in
den Favelas, den Slums der wachsenden Megastädte, und
auf dem Land im Blick haben.

Ich bin dem Kollegen Walter Riester sehr dankbar,
dass er dieses Thema nach vorne bringt. Wir unterstüt-
zen diesen Antrag. Ich freue mich, dass vier von fünf
Fraktionen – die Koalition, die Grünen und die Linken –
den Antrag unterstützen; die FDP tanzt in diesem Punkt
leider aus der Reihe. Einen Antrag zu veröffentlichen
und tolle Forderungen aufzustellen, ist das eine; es
kommt aber darauf an – das haben Sie gesagt –, sie um-
zusetzen. Dabei sind uns drei Forderungen besonders
wichtig.

Kollegin Koczy hat schon auf einen der Punkte hinge-
wiesen – Sie haben das aufgegriffen –: die besondere
Rolle der Frauen für das Absichern der Familie, des
Clans und des Gemeinwesens. Ähnlich wie bei der Frage
des Mikrofinanzwesens muss bei der Entwicklung eines
sozialen Sicherungssystems die Rolle der Frau im Mit-
telpunkt stehen.

Zweitens. Wichtig ist: Wir können nicht stellvertre-
tend für die Partnerländer Sozialhilfeträger sein; so ist
der Antrag nicht gemeint. Die Partnerländer dürfen nicht
von finanziellen Transfers der Geberländer abhängig
werden. Vielmehr geht es darum, wirklich tragfähige so-
ziale Sicherungssysteme aufzubauen. Hier bietet sich
Versicherungsunternehmen kein attraktiver Markt; denn
die Zielgruppe, auf die wir uns konzentrieren sollten,
kann kaum Eigenbeiträge leisten und kaum etwas anle-
gen. Dieser Zielgruppe ist der Aufbau eines Kapital-
stocks – in anderen Ländern gelingt das – nicht möglich.

Drittens. Es ist entscheidend, zwei Dinge miteinander
zu verbinden – Kollegin Eid hat das gesagt –: Um die
Partnerländer auf der einen Seite in die Lage zu verset-
zen, die sozialen Sicherungssysteme selber zu finanzie-
ren; muss man ihnen auf der anderen Seite beim Aufbau
von Steuersystemen unter die Arme greifen. Die Steuer-
systeme müssen sozial gestaffelte, progressive Steuer-
sätze vorsehen. Es ist ein Skandal, dass in vielen Län-
dern die reichen Eliten überhaupt nicht zur Finanzierung
sozialer Sicherungssysteme herangezogen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Natürlich weiß man: Wenn man entsprechende Vor-
schläge in den Regierungsverhandlungen vorbringt, löst
das nicht bei allen Partnerregierungen Begeisterungs-
stürme aus. Vielleicht muss man in diesem Punkt das
Prinzip der Ownership ein wenig infrage stellen. Man
muss klarstellen: Wenn die Entwicklungszusammenar-
beit, wie es der Aktionsplan vorsieht, noch stärker men-
schenrechtsorientiert sein soll – dazu gehören auch die
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschen-
rechte –, dann dürfen wir es den Partnerländern nicht
durchgehen lassen, dass die Ärmsten der Armen ver-
nachlässigt oder vergessen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU])


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615110900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD mit dem Titel „Entwicklungs- und Schwellenländer
verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Si-
cherungssystemen unterstützen und soziale Sicherung als
Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenar-
beit implementieren“. Der Ausschuss empfiehlt auf
Drucksache 16/8484, dem Antrag zuzustimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-
lung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Linken und
Bündnis 90/Die Grünen ohne Gegenstimmen bei Enthal-
tung der FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das deutsche Filmerbe sichern

– Drucksache 16/8504 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Wolfgang Börnsen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1615111000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Filmhit des Jahres 1950 trug den Titel Der
Theodor im Fußballtor. Leicht, locker, amüsant und ko-
mödiantisch spielte Theo Lingen den Tor-Lehmann und
schaffte eine kleine Freude in einer an Not reichen Nach-
kriegszeit.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Da sieht man mal, wie alt wir beide sind!)


Sein Filmsong, schlicht und schelmisch, wurde ein Gas-
senhauer. Einige haben ihn noch im Ohr:


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ja!)


Der Theodor, der Theodor,
Der steht bei uns im Fußballtor.
Wie der Ball auch kommt,
Wie der Schuss auch fällt,
Der Theodor, der hält!


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Singen!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

Doch gehalten hat der Olli Kahn der Notzeit den ent-
scheidenden Elfmeter nicht. Denn Der Theodor im Fuß-
balltor kommt nicht mehr vor. In keinem Archiv ist die-
ser Kultspielfilm mehr aufzutreiben. Dieses Schicksal
teilt Theo mit gut einem Drittel des deutschen Filmkul-
turerbes. Verloren, verlegt, vergessen – ein Stück Film-
erbe ist unwiderruflich auf der Strecke geblieben. Ein
Land, das seine Filme verliert, verliert auch Teile seiner
Erinnerung und seiner Identität.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was bei Büchern und Musik eindeutig geregelt ist, hat
auch für den Film zu gelten. Da sind wir uns mit unserer
Kollegin Claudia Roth und den anderen Fraktionen ei-
nig:


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was?)


Es muss eine Hinterlegungspflicht geben, und zwar nicht
nur für den öffentlich geförderten Film, sondern auch für
die mehr als 2 500 Dokumentar- und Kurzfilme, die bei
uns jährlich gedreht werden.

Im Entwurf für das neue Filmförderungsgesetz hat
der von uns hochverehrte Staatsminister Bernd
Neumann die Archivierungspflicht für den Bund fest
verankert – vorausschauend, wie er eben ist. Die seit
2004 praktizierte Auflage zur Archivierung geförderter
Filme erhält damit Rechtskraft.

Anerkennung verdient auch die Bereitschaft der Pro-
duzenten, durch eine freiwillige Selbstverpflichtung
Filmkopien zu sichern. Allein im Bundesarchiv sind
150 000 Spiel- und Dokumentarfilme hinterlegt. Erfasst
und gesichert wird seit 1895, registriert aber erst seit
2004. Eine zentrale Erfassung aller Filme gibt es bisher
nicht. Dazu muss es aber kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt bei uns in Deutschland allein zehn größere öf-
fentliche Filmarchive bzw. -museen, dazu kleinere und
Privatsammlungen. Es existieren keine genauen Anga-
ben über die Gesamtzahl der seit 113 Jahren hinterlegten
Kopien. Wir haben versucht, zu ermitteln. Dorothee Bär
und andere wissen es schon: Wir kommen auf über
208 000 Filme, die in Deutschland in Archiven und Mu-
seen erfasst sind. Das ist doch ein großartiger Kultur-
schatz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Habt ihr da durchgezählt? – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Angeguckt?)


– Ja, einzeln.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt daher die
Initiative der Bundesregierung, durch eine Datenbank
für Übersicht in einem föderalen System zu sorgen. Das
ist nicht zum Nulltarif zu machen. Allein das Bundesar-
chiv rechnet für die Filmsicherung mit Kosten in Höhe
von 2,1 Millionen Euro jährlich. Die Kosten für die Um-
kopierung der im Hinblick auf die Haltbarkeit risikorei-
chen Zellulosenitratfilme sind dabei genauso berück-
sichtigt wie die Kosten für Maßnahmen beim instabilen
Trägermaterial Acetat. Die Registrierung allein reicht ja
nicht. Das Filmgut braucht Bestandssicherung.

Wer hinter die Kulissen schaut – –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615111100

Herr Kollege, möchten Sie, bevor Sie hinter Kulissen

schauen, noch eine Zwischenfrage des Kollegen Grund
zulassen?


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1615111200

Aber selbstverständlich.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sehr geschickt gemacht! Die Redezeit geht zu Ende! – Ute Kumpf [SPD]: Was ist denn das? Eine bestellte Zwischenfrage, Herr Kollege Grund?)


Herzlichen Dank.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1615111300

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege

Börnsen, teilen Sie meine Einschätzung, dass kostbare
Filme nicht nur archiviert und hinterlegt werden müssen,
sondern ab und zu auch wieder der Öffentlichkeit ge-
zeigt werden sollten, etwa im Fernsehen? Teilen Sie in
diesem Zusammenhang meine Freude darüber, dass der
Mitteldeutsche Rundfunk heute Abend gegen 23 Uhr
den Film „Karbid und Sauerampfer“ aus dem Jahre 1963
zeigt, in dem der jetzt leider verstorbene Schauspieler
Erwin Geschonneck eine herausragende Rolle spielt?


(Ute Kumpf [SPD]: Habt ihr das jetzt abgesprochen? – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das habt ihr schon Klasse gemacht!)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1615111400

Herr Kollege Grund, herzlichen Dank für die zutref-

fende Nachfrage.


(Heiterkeit)


Manfred Grund hat recht. Wie gesagt, wir haben inzwi-
schen ein großartiges Filmarchiv. Es geht aber um die
10 Prozent, die wir noch nicht erfasst haben. Wir leisten
uns zu wenige Wiederholungen. Wir leben von der Aktu-
alität. Traditionspflege und das Erfassen von Kultfilmen
gehört in einem verbesserten Verfahren dazu. Manfred,
du hast gerade einen solchen Kultfilm genannt. Das ist
ein großartiger Film mit einer großartigen schauspieleri-
schen Leistung. Meine Kollegen werden dazu beitragen,
dass die heutige Debatte vielleicht die Sensibilität er-
höht, damit wir zu einer verstärkten Aufnahme von Tra-
ditionsfilmen kommen. Das würde ich mir sehr wün-
schen.

Jetzt kommen wir auf die Kulissen zurück. Es ist wich-
tig, darauf aufmerksam zu machen, dass Bund und Län-
der einen beachtlichen finanziellen Beitrag zur Erhaltung
des Filmbestandes leisten. Mehr Zusammenarbeit wäre
jedoch wünschenswert. Der vom BKM eingeleitete Bei-
tritt Deutschlands zur Europäischen Konvention zum
Schutz des audiovisuellen Erbes wird diese Sicherungs-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

arbeit stabilisieren und stärken. Als eine der großen euro-
päischen Filmnationen können wir den Verlust von wei-
teren Filmen nicht akzeptieren, da sind wir uns alle einig.
Ein weiteres Eigentor von Theodor im Fußballtor darf es
nicht geben. Ob man nun David oder Götz oder wie auch
immer in den alten traditionsreichen Filmen heißt – es
muss darauf Wert gelegt werden, dass auch die letzten
10 Prozent der noch nicht ermittelten und erfassten Filme
ins Archiv kommen.

Die neue erweiterte Filmpolitik der Bundesregierung
macht nicht nur zuversichtlich, was die Stabilisierung
der Mittel für die Filmförderung angeht. Die 60 Millio-
nen Euro, die jährlich allein durch den Deutschen Film-
fonds eingesetzt werden, sind klug eingesetzte Gelder.
Sie stärken den Filmstandort Deutschland und sind eine
Anerkennung der Leistung der Filmschaffenden. Wir er-
kennen jedoch an, dass die Bundesregierung für sehr viel
mehr sorgt. Sie fühlt sich im neuen FFG und im Bundes-
archivgesetz verantwortlich dafür, die Zukunft des Kul-
turguts Film zu garantieren. Dieser Bereitschaft sollte
unsere gemeinsame Zustimmung gelten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615111500

Ich gebe zu, dass ich sehr gespannt darauf bin, ob wir

am Ende dieser Debatte eine „Best of“-Liste oder einen
Kanon von Filmen haben werden, ausgewählt vom
Deutschen Bundestag. Zu diesem Zweck gebe ich jetzt
der Kollegin Dr. Claudia Winterstein das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Claudia Winterstein (FDP):
Rede ID: ID1615111600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte mit einem Zitat von Charlie Chaplin
beginnen:


(Heiterkeit – Monika Griefahn [SPD]: Auch nicht schlecht!)


Filmemacher sollten bedenken, dass man ihnen am
Tag des Jüngsten Gerichts all ihre Filme wieder
vorspielen wird.

Die meisten deutschen Filmemacher brauchen diesen
Zeitpunkt aufgrund der teils massiven Lücken in unseren
Filmarchiven allerdings nicht zu befürchten. Seit der Ge-
burt des Kinos am Ende des 19. Jahrhunderts wurden
Filme lange Zeit als bloße Unterhaltung angesehen, die
nach ihrer kommerziellen Verwertung letztlich wertlos
wurden. Hollywood hat in den 30er- und 40er-Jahren
ganze Lastwagenladungen an Filmen einfach in den Pa-
zifik gekippt. Inzwischen gibt es in den USA ein ver-
bindliches System der Archivierung, und auch in
Deutschland setzt sich die Erkenntnis durch, dass Filme
mehr sind als Unterhaltung. Der Film ist als Kunstform
ein wichtiger Bestandteil des kulturellen und histori-
schen Erbes unseres Landes und verdient daher unseren
besonderen Schutz.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tatsache, dass wir hier einen interfraktionellen
Antrag beraten, zeigt, dass wir in der Analyse der Situa-
tion und im Ziel einig sind: Die Archivierung von filmi-
schen Werken ist in Deutschland ungenügend, und wir
brauchen neue Standards, um unser Filmerbe auch dau-
erhaft zu schützen. Herr Börnsen hat ein sehr schönes
und passendes Beispiel gebracht.

Die entscheidende Frage ist nun: Wie organisieren
wir die Filmarchivierung? Der Antrag nennt einige
wichtige Punkte, lässt aber auch einige Fragen offen. Da
ist nämlich zunächst einmal zu klären: Was wollen wir
archivieren? Wir müssen uns zwischen kompletter und
selektiver Archivierung entscheiden. Einige sagen, alles,
was als bewegtes Bild daherkommt, ist als ein einzigarti-
ger Bestandteil des kulturellen Erbes zu begreifen und
somit archivierungswürdig. Das hieße aber, dass wir
auch sämtliche Werbespots, Videospiele, Handy- und In-
ternetfilmchen oder auch gewisse andere Filme


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was meinst du damit?)


– das überlasse ich deiner Fantasie – aufheben müssten.
Das ist aber nicht zu leisten. Eine allzu umfängliche Ar-
chivierung ist schlichtweg nicht finanzierbar, weder
durch die Produzenten noch durch den Staat. Wir müs-
sen also Kriterien für die Bedeutung oder die Qualität ei-
nes Filmes festlegen. Auf jeden Fall sollte die Pflicht der
Archivierung nicht wie bisher nur dann greifen, wenn
ein Film öffentlich gefördert wird; denn selbstverständ-
lich sind auch nicht geförderte Filme Teil des Filmerbes.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir also auswählen, dann nach Kriterien mit dem
Ziel des Bewahrens und Weitergebens des Filmerbes.

Ich denke, dass eine Expertenkommission sinnvolle
Kriterien erarbeiten könnte. In den USA funktioniert
dieses System. Bereits seit 1942 sammelt hier die Li-
brary of Congress Kinofilme, die nach einem Kriterien-
katalog archiviert werden.

Die nächste Frage lautet: Wer soll archivieren? Hier
bieten sich aus meiner Sicht zwei Lösungen an:

Erstens. Wir schaffen eine bundeseinheitliche Rege-
lung analog zu dem Gesetz über die Deutsche National-
bibliothek bei Büchern. Seit 1969 gibt es hier die Pflicht
zur Hinterlegung eines Exemplars. Das Filmarchiv des
Bundesarchivs könnte bei dieser Regelung die Funktion
der Nationalbibliothek übernehmen. Die zweite Mög-
lichkeit wäre ein Bund-Länder-Abkommen, in das die
Archive der Länder mit einbezogen werden. Aber hier
ist dann vor allen Dingen die Einheitlichkeit der Archi-
vierung sicherzustellen. In dieser zentralen Frage er-
warte ich einen klaren Vorschlag von Ihnen, Herr Staats-
minister.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Claudia Winterstein
Schließlich müssen wir auch die Frage klären: Wie
wollen wir archivieren? Die Experten sagen uns, dass es
für eine langfristige Archivierung nicht ausreicht, nur
eine Kopie des Films aufzubewahren. Die meisten Län-
der, in denen die Hinterlegungspflicht gefordert ist, se-
hen die Abgabe des Originalnegatives an das Archiv vor.
Aber eine solche Forderung berührt natürlich auch ganz
massiv die Interessen der Produzenten. Schließlich er-
möglicht nur das Original die Herstellung von Kopien in
beliebiger Zahl und damit die kommerzielle Verwertung.
Insofern könnte ein Kompromiss sein, dass geregelt
wird, dass zunächst eine Kopie abgegeben und später
das Original hinterlegt wird.

Hier könnte langfristig auch die technische Entwick-
lung durch die Digitalisierung hilfreich sein. Früher oder
später wird sich die Filmwirtschaft auf einen einheitli-
chen digitalen Standard einigen. Das wird vor allen Din-
gen für die Archivierung einfacher und billiger.

Auch müssen wir sicherstellen, dass der Eigentümer
die Rechte an seinem Material behält, wenn er es im Ar-
chiv deponiert.

Meine Damen und Herren, der Antrag ist ein erster
wichtiger Schritt zur Sicherung des deutschen Filmer-
bes. Ich hoffe, ich habe durch meine Aussagen deutlich
gemacht, dass wir über diesen interfraktionellen Kon-
sens hinaus natürlich noch viele Fragen zu klären haben.
Daher sollten wir im Kulturausschuss die noch offenen
Fragen in einer Anhörung mit Experten aus der Film-
wirtschaft und den Institutionen, die sich mit dem Film-
erbe befassen, erörtern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich jedenfalls hoffe auf eine fruchtbare Diskussion und
eine gute Lösung zum Schutz des Filmerbes.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615111700

Die Kollegin Angelika Krüger-Leißner ist die nächste

Rednerin für die SPD-Fraktion.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1615111800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin dankbar für die heutige Debatte zum
Filmerbe; denn das ist auch eine gute Gelegenheit, da-
rauf hinzuweisen, wie wichtig das Filmschaffen für un-
ser nationales kulturelles Gedächtnis ist. Ich denke, das
wird bei uns immer noch unterschätzt. Nicht nur die
überlieferten Bücher und Schriften gilt es zu bewahren
und zu pflegen; es sind gerade die bewegten Bilder, die
einen besonders lebendigen Eindruck von zurückliegen-
den Epochen und Gesellschaften vermitteln.

Dass dem Film eine andere Wertschätzung als dem
Buch entgegengebracht wird, liegt vor allem daran, dass
der Film im Vergleich zum Buch ein sehr junges Me-
dium ist. Erst vor gut 100 Jahren hat die Stummfilmzeit
begonnen. Aber es liegt auch daran, dass sich der Film
seine Anerkennung erst erobern musste. Die Anerken-
nung als eigene Kunstform ist für den Film immer noch
keine Selbstverständlichkeit.

Aus der Erfahrung meiner Arbeit in der Filmförde-
rungsanstalt kann ich berichten, dass wir uns in der
Filmförderung bemühen, der ganzen Bandbreite des fil-
mischen Schaffens gerecht zu werden. Denn der gut ge-
machte Unterhaltungsfilm hat genauso seine Berechti-
gung wie der Arthouse-Film mit künstlerischem
Anspruch, wie ein Dokumentarfilm, der das Brennglas
auf einen Ausschnitt unserer Wirklichkeit legt, oder wie
der Kurzfilm eines Hochschulabsolventen. Im Rückblick
erkennen wir: Erst das ganze Spektrum des Filmschaf-
fens spiegelt die Zeit, den Zeitgeist und die Gesellschaft
wider, in der diese Filme entstanden sind.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!)


Auf internationaler Ebene gab es bereits 1980 eine Ini-
tiative der UNESCO, die mit einer entsprechenden
Richtlinie die Bedeutung des audiovisuellen Erbes be-
fördern wollte. Ich erinnere daran: Am 27. Oktober ist
UNESCO-Tag des audiovisuellen Erbes. Seit 2001 gibt
es die Konvention des Europarats für den Schutz des au-
diovisuellen Erbes. Ich begrüße an dieser Stelle aus-
drücklich, dass die Bundesregierung den Beitritt
Deutschlands zu diesem Übereinkommen derzeit vorbe-
reitet. Im Juni dieses Jahres erwarten wir einen Bericht
der EU-Kommission zum Filmerbe. Ich denke, damit
sollten wir uns beschäftigen. Sie sehen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen: Auf internationaler Ebene ist bereits
einiges passiert.

Lassen Sie mich nun einen Blick auf das deutsche
Filmerbe werfen. Seit den Anfangstagen der bewegten
Bilder hat sich bei uns ein großer Filmstock angesammelt.
Die CDU/CSU-Fraktion hat die Filme sogar gezählt. Wir
haben in Deutschland besondere Einrichtungen, die sich
um die Archivierung kümmern. Im Bundesarchiv ist ein
eigenes Filmarchiv untergebracht. Es gibt zudem die Stif-
tung Deutsche Kinemathek, die sich um das Filmerbe be-
müht. Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung verwaltet
die Filme der NS-Zeit. Das Filmschaffen der DDR wird
von der DEFA-Stiftung gepflegt. Wir wissen, dass es auch
auf Länderebene entsprechende Bemühungen gibt.

Das scheint alles ganz beachtlich zu sein. Aber wenn
man genau hinschaut, dann muss man sagen, dass es mit
dem Filmerbe nicht zum Besten steht. Das wird beson-
ders deutlich, wenn wir es mit dem Buch-Archivwesen
vergleichen. Lassen Sie es mich so formulieren: Es gibt
zwei Aufgaben, die bei der Archivierung zu leisten sind:
Erstens. Der gesamte Bestand muss gesichert werden.
Zweitens. Es muss gewährleistet sein, dass die Gegen-
wartsproduktion an Filmen lückenlos erfasst wird – und
nicht nur die geförderten, sondern alle Filme. Im Buch-
wesen gibt es seit langem entsprechende Vorkehrungen
und Verpflichtungen. Im Filmbereich steht so etwas
noch aus.

Ich komme nun zu den Problemen bei der Archivie-
rung. Zum einen ist das herkömmliche Speichermedium,
nämlich das Material der Filmrollen, für Verfallspro-
zesse besonders anfällig. Der Aufwand für die Sicherung






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Krüger-Leißner
ist entsprechend groß. Einige Filmwerke sind akut ge-
fährdet, auf immer verloren zu gehen. Zum anderen gibt
es keine einheitlichen Vorschriften zur Abgabe an die
Filmarchive. Frau Winterstein hat es richtig gesagt: Wir
brauchen verbindliche Qualitätsstandards, die wir bisher
aber nicht haben – weder für die abzugebenden Archiv-
exemplare noch für die Verfahren bei der Archivierung
und Konservierung.

Ich bin froh, dass die von mir geschilderten Probleme
von der Bundesregierung bereits erkannt worden sind
und die entsprechenden Bemühungen angelaufen sind.
Ende des vergangenen Jahres – ich denke, die Mitglieder
des Kulturausschusses erinnern sich – hat Kulturstaats-
minister Neumann dem Ausschuss ausführlich über
seine Vorhaben zur Sicherung des Filmerbes berichtet.
Gesetzlich fixiert werden soll das im Rahmen der anste-
henden Novelle des Bundesarchivgesetzes. Wir begrü-
ßen diese Anstrengungen und wollen sie unterstützen.
Ich glaube, mit unserem Antrag können wir sie ein Stück
vorantreiben. Das scheint mir notwendig zu sein. Ange-
sichts der Bedeutung des Themas ist das aber nur ein
erster Schritt.

Ich möchte auf zwei Punkte hinweisen, die weit über
die eigentlichen Fragen der Archivierung hinausgehen.
Erstens ist ein gesichertes Filmerbe auch für den Fortbe-
stand unserer Kinolandschaft in der Fläche von existen-
zieller Bedeutung. Zweitens – das steht damit in Zusam-
menhang –: Ohne gesichertes Filmerbe können wir
unserem kulturellen Bildungsauftrag nicht gerecht wer-
den.

In diesem Zusammenhang möchte ich ein brandaktu-
elles Thema ansprechen: Die Kinos stehen vor einem ra-
dikalen technologischen Umbruch zur digitalen Filmvor-
führung. Statt der herkömmlichen Filmrolle werden nur
noch digitale Bildträger, die man ganz einfach in einer
Handtasche transportieren kann, zum Einsatz kommen.
Kaum ein Kino wird es sich leisten können, daneben
auch die herkömmliche Vorführtechnologie vorzuhalten.
Deshalb sind gerade die kleinen Programmkinos und die
kommunalen Kinos darauf angewiesen, dass das histori-
sche Filmmaterial auch in digitaler Form zur Verfügung
steht. Das ist eine Herausforderung. Das gilt übrigens
genauso für die Verleihfirmen, die sich auf diesen Be-
reich spezialisiert haben.

Die Umkopierung des historischen Materials auf digi-
tale Träger ist also nicht nur eine Frage der Sicherung,
sondern zugleich auch eine Frage der Bereitstellung, da-
mit wir unserem Auftrag zur Vermittlung von Filmkultur
und Filmgeschichte gerecht werden können.

Selbstverständlich ist damit auch die Frage der Finan-
zierung der entsprechenden Maßnahmen aufgeworfen,
die – das will ich ausdrücklich anmerken – im vorliegen-
den Antrag zu kurz kommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die digitale Umrüs-
tung der Kinos wird derzeit im Rahmen der Novellie-
rung des Filmförderungsgesetzes verhandelt. Sobald wir
hier klarer sehen – in den nächsten Monaten wird das der
Fall sein –, werden wir uns der Notwendigkeit der digi-
talen Umkopierung historischen Materials zuwenden
müssen. Dieser Weg scheint mir unausweichlich zu sein.

Ich möchte an dieser Stelle anregen – ich glaube, auch
Frau Winterstein hat das gemacht –, dass wir uns im Vor-
feld der Novelle des Bundesarchivgesetzes im Rahmen
einer großen Anhörung im Ausschuss mit all diesen Fra-
gen beschäftigen. Dies sollten wir zum Anlass nehmen,
die umfassende Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2005
zum Stand der Filmarchivierung und zur Verbreitung des
nationalen Filmerbes in Deutschland, die vom Kinema-
theksverbund erstellt wurde, zu aktualisieren. Das
scheint mir notwendig zu sein.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich freue mich,
dass wir bei diesem für mich wichtigen Thema den An-
fang gemacht haben. Ich freue mich ebenfalls, dass wir
auch in dieser filmpolitischen Frage das bewährte Ein-
vernehmen, das wir schon oft im Ausschuss für Kultur
und Medien praktiziert haben, fortsetzen können.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615111900

Der Kollege Dr. Lothar Bisky spricht jetzt für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615112000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ge-

setzgeber hat es lange versäumt, sich ausreichend mit
dem deutschen Filmerbe zu beschäftigen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Ich freue mich, dass von der Fraktion der Grünen das
Filmerbe nun zum Beratungsgegenstand im Bundestag
gemacht wird. Ich freue mich auch, dass sich andere
Fraktionen dem Antrag angeschlossen haben. Das ist
gut.

Völlig zu Recht betonen Sie in Ihrem Antrag, dass
Filme aller Art „Gedächtnisarchive“ sind, die „einen be-
sonderen Zugang zu vergangenen Epochen“ und „zum
Alltagsleben der Menschen“ schaffen. Diesen Reichtum
gilt es zu sichern. Auch der Kulturstaatsminister ver-
schließt sich dieser Problemlage nicht. Das begrüße ich
namens der Fraktion Die Linke ausdrücklich.

Ich möchte Ihnen zwei Vorschläge unterbreiten: Ers-
tens. Nachdem besonders viele Stummfilme und frühe
Tonfilme archivarisch bereits verloren sind, muss die ge-
genwärtig sinkende Quote der Archivierung von Spiel-
filmen aus der Bundesrepublik gestoppt und eine ver-
bindliche Abgaberegelung getroffen werden. Es reicht
nicht, nebulös von „archivwürdigen Filmen der Gegen-
wartsproduktion“ zu sprechen, sondern ich meine, alle
Filme müssen in diese Regelung einbezogen werden,
egal welcher Qualität sie sind. Da bin ich Ihrer Meinung.
Denn schließlich sind auch die zu rein kommerziellen
Zwecken gedrehten Filme irgendwann Dokumente über






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky
die Zeit, in der sie gedreht wurden – selbst wenn sie
dann lediglich als Anschauungsmaterial für schlechte
Beispiele herhalten müssten.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Ort der Archivierung kommt meiner Meinung
nach vor allem das Bundesarchiv-Filmarchiv infrage.
Vielleicht wäre es derzeit auch möglich, einzelne Ver-
luste an Filmen über die Recherche in den Fernseharchi-
ven, also im Deutschen Rundfunkarchiv, im ZDF-Archiv
und in den Archiven der Landesrundfunkanstalten, auf-
zufangen. Ich schlage darum vor, eine Arbeitsgruppe zu
bilden, die die Sendelisten aus West und Ost seit Beginn
der Fernsehübertragungen durchgeht, um gezielt nach
Material von verschollen geglaubten Filmen zu suchen.
Ich denke, dies ist im Interesse der cineastischen Nach-
welt und zukünftiger Historikerinnen und Historiker ein
guter Vorschlag.

Zweitens. „Das deutsche Filmerbe sichern“ heißt im-
mer auch, das deutsche Filmerbe der Öffentlichkeit zu-
gänglich zu machen. Wenn die Filme im Bundesarchiv-
Filmarchiv aufbewahrt werden, dann ist die verantwor-
tungsvolle Aufgabe der Erbesicherung auch mit der
Pflicht dieser Institution verbunden, auf Nachfrage ab-
spielfähige Kopien zur Verfügung zu stellen oder herzu-
stellen. Was nützt uns ein hoffentlich bald gesichertes
Filmerbe, wenn es niemand zu sehen bekommt? Die
neue Fassung des vorliegenden Antrages berücksichtigt
diese Tatsache; das ist gut so. Hier ist nicht nur das Bun-
desarchiv-Filmarchiv gefordert. Vor allem die drei für
den deutschen Film zuständigen Stiftungen müssen hier
tätig werden. Die unterschiedliche Handhabung der Stif-
tungen bei der Zugangsmöglichkeit zu Filmen sollte üb-
rigens nach Ansicht der Linken im Rahmen eines Antra-
ges vereinheitlicht werden. Dabei ist aus demokratischer
Sicht besonders die Nivellierung der Nutzungsgebühren
von Bedeutung.

Meine Damen und Herren, der Schutz des nationalen
Kulturerbes ist nach meiner Meinung nicht ohne zusätz-
liche Belastungen der öffentlichen Haushalte zu realisie-
ren. Wie Sie dieses Kunststück ansonsten fertigbringen
wollen, weiß ich nicht; aber vielleicht gelingt es Ihnen
ja. Mittelfristig wird der Platz in den Archiven für die
Lagerung der Filme nicht mehr ausreichen. Auch für Be-
schäftigte braucht man mehr Geld; denn die Mitarbeiter-
decke wurde in den vergangenen Jahren bei wachsenden
Aufgaben nicht aufgestockt.

Wenn wir also in absehbarer Zeit das deutsche Film-
erbe sichern und gleichzeitig den Interessierten einen
einfacheren Zugang zum Filmerbe verschaffen würden,
hätten wir viel gewonnen. Ich kann Ihrem Antrag zu-
stimmen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615112100

Die Kollegin Claudia Roth spricht jetzt für Bünd-

nis 90/Die Grünen.
Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist ein wirklich gutes und positives Signal, dass wir
uns heute in großer Gemeinsamkeit mit der wichtigen
Frage des Schutzes des Filmerbes beschäftigen, uns da-
für einsetzen und engagieren. Ich möchte mich bei allen
dafür bedanken, dass unsere Initiative so unbürokratisch
und so unmittelbar aufgegriffen worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Wenn wir die bei der Filmarchivierung offenen Fra-
gen angehen, dann tun wir das nicht unreflektiert. Archi-
vierung meint ja nicht Sammeltrieb oder blindes Haben-
wollen, sondern meint eine Verpflichtung, die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen
betrifft. Filme sind Gedächtnisarchive. Sie sind Aus-
druck unserer Geschichte und schaffen Zugänge zu histo-
rischen und fiktiven Orten, zu Hoffnungen und Träumen,
zu Vergessenem und Verdrängtem. Filmarchivierung
meint an erster Stelle Erhalt und Erschließung eines un-
vorstellbaren künstlerisch-historischen Reichtums, ei-
nes Reichtums, der für uns ganz eigene Lebens- und Er-
fahrungsmöglichkeiten beinhaltet, Möglichkeiten, mit
denen wir Gegenwart und Zukunft immer wieder neu zu
sehen lernen und uns in Zukunft erinnern können.

Wie bereits gesagt, leider ist schon sehr viel von unse-
rem Filmerbe – das weiß kaum jemand – verloren gegan-
gen. Von den frühen Stummfilmen ist nur noch ein
Bruchteil vorhanden. Kollege Wolfgang Börnsen hat ei-
nen späteren Film genannt: Der Theodor im Fußballtor.
Es ist eigentlich unvorstellbar, dass so wichtige Film-
werke wie zum Beispiel Die Abenteuer eines Zehnmark-
scheines von Friedrich Murnau überhaupt nicht mehr
auffindbar sind. Andere müssen mühsam aus Versatzstü-
cken rekonstruiert werden, um sie jetzt vor dem Ver-
schwinden zu bewahren.

Auch viele Filme der Gegenwartsproduktion gehen
verloren, insbesondere solche, für die es keine Verpflich-
tung zur Abgabe eines Archivexemplars gibt. Das be-
trifft die Filme – Frau Kollegin Winterstein, ich glaube,
Sie haben das angesprochen –, die ohne öffentliche För-
derung entstanden sind, aber gleichwohl archiviert wer-
den sollten, weil sie Teil des wichtigen künstlerischen
Erbes sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 1969 eine
Pflichtabgabe für das geschriebene Wort, für Bücher be-
schlossen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch
für den Bereich des Films eine generelle Pflichtabgabe
brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen auch eine nationale Filmografie; ich
glaube, auch das ist unstrittig. Wir müssen dokumentie-
ren, wie reich Deutschland an Filmproduktionen war






(A) (C)



(B) (D)


Claudia Roth (Augsburg)

und ist. Diese Datenbasis ist Voraussetzung für eine
weltweite, systematische Suche nach verschollenen Fil-
men, damit die Lücken in der Archivierung geschlossen
werden können, soweit das überhaupt noch möglich ist.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass das Europäische
Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes
sehr bald ratifiziert wird. Es ist klar, dass die Ratifizie-
rung dieses Übereinkommens die Verpflichtung beinhal-
tet, das dort festgelegte Schutzniveau zu garantieren.

Die Novellierung des Archivgesetzes ist eine gute
Chance, die rechtliche Grundlage für die Filmarchivie-
rung weiterzuentwickeln. Ich freue mich auf eine span-
nende Expertenanhörung im Kulturausschuss. Ich
glaube, dass der Ausschuss mit einem solchen Gespräch
wichtige, neue Anstöße geben kann.

Ich denke, dass es neben dem, was wir in dem vorlie-
genden Antrag behandeln, sinnvoll wäre, die Videokunst
in die Überlegungen einzubeziehen. Hier ist eine ganz
eigene, eine neue, eine junge, sehr innovative und ein-
flussreiche Kunstform entstanden, über deren archivari-
schen Schutz und Erfassung wir dringend nachdenken
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vom BKM kommen Signale, dass die Aufgaben, die
wir in dem heutigen Antrag beschreiben, ohne den Ein-
satz zusätzlicher öffentlicher Mittel zu bewältigen sind.
Ich bin sehr erwartungs- und hoffnungsfroh, dass sich
mit überschaubaren Mitteln vieles erreichen lässt. Ich
glaube aber ebenso wie die Kollegin Krüger-Leißner,
dass es zusätzliche Aufgaben gibt und uns der Schutz
des Erbes einiges wert sein muss. Ich weiß, dass Bernd
Neumann sich mit Nachdruck in diese Debatte einbringt.
Dafür bin ich ihm dankbar. Er hat parteiübergreifend
eine starke Lobby hinter sich. Lieber Kollege Neumann,
wir lassen nicht locker. Wenn wir es schaffen, das große,
hohe, spannende und aufregende Kulturgut Film zu
schützen, dann wäre das ein großer Erfolg.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615112200

Die Kollegin Dorothee Bär spricht jetzt für die Frak-

tion der CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1615112300

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
Bundesarchiv hat im letzten Jahr die Aktion „Vier Minu-
ten für das deutsche Filmerbe …“ gestartet. Dasselbe gilt
jetzt für mich und meine Rede: Vier Minuten für das
deutsche Filmerbe.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Schöner Anfang!)


Unsere heutige Debatte wird aufgezeichnet und – Gruß
an Phoenix – hoffentlich auch live und komplett übertra-
gen. Nun könnte man sagen, dass es ausreichen würde,
nur den Ton aufzunehmen. Natürlich reicht das nicht;
denn dann würde keiner sehen, wie viele Kollegen heute
anwesend sind und wie aufmerksam alle zuhören, die
Redner hätten dann kein Gesicht, und ob der Redner
wild gestikuliert, älter oder jünger ist, könnte niemand
sehen, und man könnte auch nichts damit verbinden. Das
zeigt, dass wir mit Bildern, vor allem mit bewegten Bil-
dern, sehr viel verbinden. Erinnern wir uns an die Auf-
nahmen aus Berlin aus dem Jahr 1989, als die ersten
Mauerspechte sich Stücke aus der Mauer brachen, als
das erste Element mit einem Kran herausgehoben wurde,
als die Menschen zu Hunderten auf die Mauer kletterten.
Das sind Bilder, die wir in unserem Leben nie mehr ver-
gessen werden. Diese Bilder veranschaulichen nicht nur
uns, sondern vor allem unseren Kindern und Enkeln, was
für ein großer Tag der 9. November 1989 für Deutsch-
land war.

Genauso verhält es sich mit den Filmen aus den je-
weiligen Epochen. Sie erzählen nicht nur eine Ge-
schichte oder geben eine Handlung wieder, sondern spie-
geln – einige Kollegen haben das schon angesprochen –
den Zeitgeist wider, zeigen, welche Vorstellungen die
Menschen in einer bestimmten Zeit hatten, wie sie sich
gekleidet haben, wie sie gelebt haben und wie sie mitei-
nander umgegangen sind. Deswegen ist es von ganz gro-
ßer Bedeutung, das für uns und vor allem für die nach-
kommenden Generationen zu erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich freue mich sehr, dass der Antrag von vier Fraktio-
nen gleichermaßen getragen wird. Daran zeigt sich, dass
wir uns einig sind. Darüber hinaus sind wir uns auch mit
unserem Staatsminister einig, der immer wieder betont,
wie wichtig ihm die Erhaltung des deutschen Filmerbes
ist. Vom Bund werden daher nicht nur die Stiftung Deut-
sche Kinemathek und das Deutsche Filminstitut geför-
dert, sondern Mitte Februar hat unser Staatsminister
auch angekündigt, dieses Jahr die Novellierung des Bun-
desarchivgesetzes umzusetzen. Darin ist eine Pflichthin-
terlegung von Filmen beim Bundesarchiv vorgesehen.
Schließlich kann uns der Status quo nicht befriedigen, da
derzeit nur ein Drittel aller uraufgeführten deutschen
Spielfilme den Weg ins Bundesarchiv finden.

Die letzte Passage meiner Rede habe ich einer meiner
Lieblingspräsidentinnen gewidmet,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil sie versprochen hat, am Ende dieser Debatte eine
Liste der wichtigsten genannten Filme anzufertigen. Nur
für Sie, Frau Göring-Eckhardt: Stellen Sie sich vor, wir
dürften nur einen von drei Filmen archivieren und






(A) (C)



(B)


Dorothee Bär
müssten uns heute beispielsweise einigen, ob „Good
Bye, Lenin!“, „Das Leben der Anderen“ oder „Sonnen-
allee“ archiviert werden sollte. Ich glaube, dass für die
Debatte darüber, welcher der drei der wichtigste Film in
diesem Bereich ist, eine halbe Stunde nicht ausreichen
würde. In diesem Sinne bin ich jetzt sehr gespannt auf
die Zusammenfassung unserer Präsidentin.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe
auf weitere gute Beratungen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615112400

Sie hat mir dafür 41 Sekunden übrig gelassen. Das

reicht natürlich nicht. Wir werden die Filme nicht gegen-
einander ausspielen, schon gar nicht drei Filme, die die
DDR-Zeit betreffen. Wir müssen das wahrscheinlich ge-
samtdeutsch betrachten.

Nichtsdestotrotz wird interfraktionell die Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 16/8504 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Koppelin, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der
IKB Deutsche Industriebank AG durch Nut-
zung der Stimmrechte der KfW Kreditanstalt
für Wiederaufbau verhindern

– Drucksache 16/8493 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist verab-
redet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.


(Unruhe – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Kleiner Personalwechsel hier!)


– Ein kleiner Personalwechsel ist bei den Filmpolitikern
natürlich immer mit der entsprechenden Show verbun-
den. Das muss schon sein.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1615112500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Deutsche Industriebank, IKB genannt, wird am
27. März dieses Jahres eine ordentliche Hauptversamm-
lung durchführen. Über die KfW hält der Bund zurzeit
mehr als 43 Prozent an der IKB. Deshalb ist es, glaube
ich, notwendig, dass wir uns auch hier im Plenum da-
rüber unterhalten, wie diese Hauptversammlung ablau-
fen soll, und vor allem darüber, wie dort über die KfW
abgestimmt werden soll.

Auf der Hauptversammlung der IKB wird über die
Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrats abge-
stimmt. Ausweislich der Tagesordnung sollen die Mit-
glieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2006/2007
bis auf eine Ausnahme nicht entlastet werden. Ausweis-
lich der Tagesordnung sollen die Mitglieder des Auf-
sichtsrats der IKB jedoch alle entlastet werden. Wenn
der Vorstand der IKB für die Jahre 2006/2007 nicht ent-
lastet werden soll – wir finden: zu Recht –, warum wird
dann der Aufsichtsrat entlastet? Denn Aufgabe eines Auf-
sichtsrats ist doch – da schaut man einmal ins Gesetz –:
Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwa-
chen. Der Aufsichtsrat kann die Bücher und Schriften
der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände ein-
sehen und prüfen. Der Aufsichtsrat hat zu bestimmen,
dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zu-
stimmung vorgenommen werden dürfen.

Vereinfacht gesagt: Ein Aufsichtsrat ist keine Kaf-
feerunde im kleinen Kreise, sondern nimmt eine sehr
verantwortungsvolle Aufgabe wahr. Dafür gibt es für
den einen oder anderen, der im Aufsichtsrat sitzt, die
entsprechende Vergütung. Diese Aufgaben sind nach
meiner Meinung sehr verantwortungsvoll. Nach unserer
Auffassung ist der Aufsichtsrat der IKB nicht in allen
Bereichen seiner Aufsichtspflicht nachgekommen.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Lassen Sie es mich ganz drastisch formulieren: Jeder
Falschparker bekommt ganz schnell einen Strafzettel.
Wenn aber unter den Augen eines Aufsichtsrats Milliar-
denbeträge verbrannt werden, dann wird ihm Entlastung
erteilt, obwohl aufgrund der Beteiligung der KfW an der
IKB große Teile dieser Milliardenbeträge vom Steuer-
zahler aufgebracht werden müssen.

Mein Kollege Hermann Otto Solms hat hier am
15. Februar gesagt, dass letztlich 6 Milliarden Euro öf-
fentlicher Mittel durch die IKB-Krise verbrannt wurden.
Es geht darum, wer dafür verantwortlich ist. Wir als FDP
wollen keine Bauernopfer – etwa in Gestalt von Frau
Matthäus-Maier – sehen. Aber es gibt Verantwortung,
und diese liegt zuerst einmal beim Bundesfinanzminis-
ter; denn er ist Aufsichtsbehörde über die KfW, die an
der IKB beteiligt ist. Außerdem sitzt ein Vertreter des
Bundesfinanzministeriums im Aufsichtsrat der IKB.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wo sitzen die eigentlich heute?)


– Allerdings, Frau Präsidentin, muss ich sagen, dass es
wirklich erschütternd ist, dass kein Mitglied der Regie-
rung bei der Diskussion eines solches Themas anwesend
ist.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich habe fast den Eindruck, die Regierung sei zurückge-
treten. Das wäre natürlich erfreulich.


(Beifall bei der FDP)


Nicht einmal ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums
ist anwesend.

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

(Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte betritt den Plenarsaal)


– Da kommt der Herr Staatssekretär Schauerte.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615112600

Jetzt kommt er angestürmt.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1615112700

Dennoch ist das bei einem so wichtigen Thema schon

ein merkwürdiger Umgang mit dem Parlament.


(Beifall bei der FDP)


Ich wiederhole: Die Verantwortung hat der Bundes-
finanzminister. Außerdem sitzt im Aufsichtsrat der IKB
ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums. Verant-
wortlich ist zudem der gesamte Aufsichtsrat der IKB
selbst.

Heute konnte man in den Medien lesen, dass Wirt-
schaftsminister Glos erhebliche Bedenken hat, den IKB-
Aufsichtsrat am 27. März zu entlasten.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Recht hat er!)


Ich hätte in dieser Debatte ganz gerne einmal Äußerun-
gen vonseiten des Wirtschaftsministeriums von diesem
Pult aus gehört. Es hat sich aber kein Vertreter des Wirt-
schaftsministeriums zu Wort gemeldet.


(Beifall bei der FDP)


Der Bundesfinanzminister will den Aufsichtsrat ent-
lasten. Warum er das will, kann man sich vorstellen.
Warum äußert sich dann aber kein Vertreter des Bundes-
finanzministeriums in dieser aus unserer Sicht sehr
wichtigen Debatte? Zumal – das kann ja noch auf uns
zukommen – der Anteil der KfW an der IKB vielleicht
auf über 50 Prozent steigen muss. Das aber würde be-
deuten, dass der deutsche Steuerzahler die Regressforde-
rungen zum Beispiel aus Amerika, sollte ihnen stattge-
geben werden, zu bezahlen hat. Im Hinblick darauf wäre
es doch wirklich an der Zeit, dass auch das Bundes-
finanzministerium sich an dieser Stelle zu dem Thema
äußert.


(Beifall bei der FDP)


Die Regierung bleibt uns in der letzten Sitzungs-
woche vor der Hauptversammlung der IKB die Antwort
schuldig, wie sie mit dem Aufsichtsrat der IKB umgehen
will. Wenn öffentliche Gelder in der Weise verbrannt
werden, wie es in den letzten Monaten durch die IKB-
Krise geschehen ist, dann ist auch der Deutsche Bundes-
tag als Anwalt der Steuerzahler gefragt. Es waren öffent-
liche Gelder, die in die IKB hineingepumpt worden sind.

Eine Weisung der Bundesregierung an die KfW, den
Aufsichtsrat auf der Hauptversammlung der IKB nicht
zu entlasten, wäre aus unserer Sicht ein deutliches
Signal.


(Beifall bei der FDP)


Es wäre ein Signal an alle, die öffentliche Gelder in Lan-
desbanken verbrannt haben, ein Signal an alle, die Mit-
glied in einem Aufsichtsrat sind und diese Aufgabe ernst
zu nehmen haben, ein Signal an die Bürgerinnen und
Bürger, an die Steuerzahler, dass das Vernichten öffentli-
cher Gelder Konsequenzen hat. Schließlich sollte es al-
len, die sich, in welcher Funktion auch immer, daran be-
teiligt haben, ebenfalls ein deutliches Signal sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
habe in den letzten Tagen die eine oder andere Äußerun-
gen von Ihnen zur IKB gelesen. Heute können Sie hier
die Standhaftigkeit beweisen, die Sie draußen in den
Medien im Hinblick auf KfW und IKB immer verkündet
haben.


(Beifall bei der FDP)


Zum Schluss möchte ich ganz deutlich sagen, dass es
mit den Freien Demokraten keine weiteren öffentlichen
Gelder für die IKB geben wird. Das gilt auch, falls es
Regressansprüche gegen die IKB über die KfW geben
sollte. Wir haben schon teilweise geholfen, aber es wird
keine weiteren öffentlichen Gelder für die IKB geben.
Das sind wir den deutschen Steuerzahlern schuldig. Die
Banken und Aufsichtsräte müssen mit dem Problem
selbst fertig werden.

Wir sind der Auffassung, dass der Aufsichtsrat der
IKB nicht entlastet werden sollte. Deswegen bitten wir
darum, heute sofort darüber abzustimmen.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615112800

Der Kollege Dr. Hans Michelbach hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1615112900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Das Rettungspaket für die IKB war richtig; denn
eine Pleite hätte das Ansehen des Finanzplatzes
Deutschland stark beschädigt. Es wäre aber falsch, über
die Vorgänge bei der IKB einen Mantel des Schweigens
zu hüllen. Ich glaube, wir alle hier im Hause sind uns ei-
nig, dass die Vorgänge um die IKB schonungslos aufge-
klärt werden müssen; denn der Finanzmarkt lebt vom
Vertrauen. Vertrauen schafft man aber nur durch Trans-
parenz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Außerdem hat jeder Steuerzahler nach der Starthilfe
einen Anspruch auf umfassende Information. Wir müs-
sen schnellstmöglich klären, welche Fehlentscheidungen
der Vorstand getroffen hat, welche Geschäfte zur IKB-
Krise geführt haben, welche Rolle bei diesen dubiosen
Geschäften der IKB-Aufsichtsrat gespielt hat und wel-
che Verantwortung all diejenigen tragen, die zu diesem
finanzpolitischen Super-GAU beigetragen haben. Diese
Fragen müssen wir im Interesse der Steuerzahler beant-
worten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer hat zum Beispiel wann, wo und weshalb gegen die
Bankenregeln oder gegen Aufsichts-, Informations- und
Offenlegungspflichten verstoßen?






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Hans Michelbach
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst
sollten wir eine sachgerechte Bestandsaufnahme vorneh-
men. Lassen Sie mich auf die Geschäftstätigkeit auf dem
Subprime-Hypothekenmarkt in den USA und auf deren
Folgen eingehen. Wie wir alle wissen, ist die IKB Ende
Juli 2007 aufgrund ihres starken Engagements und nega-
tiver Entwicklungen auf dem sogenannten Subprime-
Hypothekenmarkt in den USA in eine ernsthafte Schief-
lage geraten, deren Auswirkungen die gesamte deutsche
Kreditwirtschaft belastet haben.

Die KfW hat zur Vermeidung von Verlusten aus dem
eigenen bankdurchgeleiteten Fördergeschäft und zur Ab-
wendung einer schweren Krise des Finanzmarktes auf
Drängen der Finanzaufsicht, des Bundesfinanzministers
eine Risikoabschirmung für die IKB vorgenommen. Die
zu übernehmenden Risiken wurden damals auf 3,5 Mil-
liarden Euro geschätzt. In diesem Zusammenhang ist die
KfW unmittelbar in eine Kreditlinie der IKB über
8,1 Milliarden Euro eingetreten.

Leider hat sich bestätigt, dass die damaligen Bewer-
tungen falsch und die Ausfälle wesentlich höher waren.
Im Februar dieses Jahres musste bereits das dritte Ret-
tungspaket geschnürt werden. Aus dem Bundeshaushalt
wurden Steuermittel in Höhe von 1,2 Milliarden Euro
überwiesen. Niemand weiß heute ganz genau, was noch
kommt. Schon allein deshalb kann man nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen.

Zur sachgerechten Bestandsaufnahme gehört auch die
Überprüfung der Beihilfen durch die Europäische
Union. Hier kann aus Brüssel noch die eine oder andere
sehr negative Nachricht auf uns zukommen. Dieses Ri-
siko ist sehr hoch zu gewichten. Daraus ergibt sich für
mich, dass der Staat bzw. die staatliche KfW die IKB
möglichst schnell, vielleicht im Rahmen einer Paketlö-
sung, verkaufen sollte, damit die Risiken im Interesse
der Steuerzahler minimiert werden. Das hielte ich für
richtig.

Ich befürchte aber, dass die IKB angesichts der vor-
handenen Probleme vielleicht gar nicht veräußerbar ist.
Eine Veräußerung wird durch die Milliardenklage gegen
die IKB aus den USA zumindest erschwert. Insbeson-
dere die Anleiheversicherer haben Regressforderungen
gegenüber der IKB. Deswegen plädiere ich ausdrücklich
dafür, dass sich der Staat aus den privaten Banken zu-
rückzieht. Es gehört nicht zur ordnungspolitischen Linie
des Staates, private Banken zu stellen und im privaten
Bankgeschäft tätig zu sein. Vielmehr müssen wir den
privaten Banken Freiraum für eine marktwirtschaftliche
Lösung des Problems verschaffen. Um die Risiken im
Hinblick auf den Bundeshaushalt zu verringern, sollte
man daher – das wiederhole ich – eine Paketlösung aus
IKB und KfW IPEX-Bank schnüren.

Natürlich hat das Parlament bei dieser Bestandsauf-
nahme auch zu prüfen, welche Auswirkungen dies auf
die KfW und auf die Mittelstandsförderung im Rahmen
des ERP-Sondervermögens hat.

Der Bundesrechnungshof hat in seinem Gutachten
deutlich gemacht, dass wir im Zusammenhang mit der
Neuordnung sicherstellen müssen, dass ein Jahresbetrag
von 590 Millionen Euro plus Inflationsrate, also etwa
630 Millionen Euro, für die Mittelstandsförderung und
für den Erhalt des ERP-Sondervermögens zur Verfügung
steht. Dies ist für uns eine wesentliche Frage; denn wir
wollen natürlich keinen Schaden für die Mittelstandsför-
derung hinnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP hat einen Antrag gestellt, die Entlastung von
Vorstand und Aufsichtsrat der IKB zu verhindern. Wir
brauchen dringend ein Gutachten, in dem untersucht
wird, ob der IKB-Vorstand oder der IKB-Aufsichtsrat
seine Pflichten verletzt hat, ob er versagt hat. Ein
Schnellschuss wäre aber falsch. Solange wir die Fakten
nicht kennen, sollten wir uns vor einer Vorverurteilung
des Aufsichtsrates hüten. Vom Bundesfinanzminister
und von der Vorstandssprecherin der KfW haben wir er-
fahren, dass der Aufsichtsrat der IKB vom Vorstand ge-
zielt belogen wurde. Solange wir nicht das Gegenteil
beweisen können, können wir nicht sagen: Der Auf-
sichtsrat hat Schuld auf sich geladen.

Schon aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermitt-
lungen gegen die Verantwortlichen der Mittelstandsbank
IKB wegen des Verdachts der Untreue und des Verstoßes
gegen das Aktiengesetz ist eine Entlastung des Vorstan-
des der IKB zum gegenwärtigen Zeitpunkt zurückzustel-
len.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615113000

Herr Kollege Michelbach, Herr Koppelin würde Ih-

nen gerne eine Zwischenfrage stellen.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1615113100

Ich dachte mir, dass Herr Koppelin deswegen aufge-

standen ist. Bitte schön.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1615113200

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass es ein Gutach-

ten gibt, in dem das Verhältnis von Vorstand und Auf-
sichtsrat der IKB untersucht wurde? Wie Sie sagen: Es
mag Lügen gegeben haben; aber eine totale Nichtinfor-
mation des Aufsichtsrates ist ausgeschlossen.

Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass auf der
Hauptversammlung die Entscheidung über eine Entlas-
tung vertagt werden sollte? Es wird ja vorgeschlagen,
die Entscheidung über die Entlastung eines der Vor-
standsmitglieder zu vertagen; den anderen will man die
Entlastung versagen. Man könnte doch auch die Ent-
scheidung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglie-
der vertagen.

Wenn ich darauf hinweisen darf: Die KfW sitzt in die-
sem Gremium; sie ist mit 43 Prozent an der IKB betei-
ligt. Sie braucht eine Entscheidung – von uns. Oder sa-
gen Sie mir, wie der Bundesfinanzminister oder der
Bundeswirtschaftsminister die KfW anweisen werden!


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1615113300

Herr Kollege Koppelin, wir sind gar nicht so weit aus-

einander. Ich möchte nur verhindern, dass es in irgendei-
ner Form zu parteitaktischen Intrigenspielen kommt, wie






(A) (C)



(B) (D)


Dr. h. c. Hans Michelbach
sie uns teilweise unterstellt werden. Dieses Thema ist
nämlich viel zu ernst und viel zu problembehaftet, auch
für den Finanzmarkt, als dass wir in irgendeiner Form
Vorverurteilungen vornehmen dürften. Wir sollten nicht
aus einem Gutachten irgendwelche Schlüsse ziehen, die
wir noch gar nicht ziehen können.

Ich meine, dass es am besten wäre, wenn Sie, Herr
Kollege Koppelin, Ihren Antrag heute zurücknähmen.
Wir brauchen das Sondergutachten von Pricewater-
house-Coopers zur Rolle des Aufsichtsrates, damit wir
Fakten haben, die wir bewerten können. Auf dieser
Grundlage wären wir sicherlich alle bereit, unsere
Schlüsse zu ziehen und die Angelegenheit sachgerecht
aufzuklären; darum geht es ja letzten Endes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ehrenwert, aber zu spät!)


Der Aufsichtsrat hat die Tätigkeit des Vorstands zu
überwachen; das ist richtig. Die bisherigen Aussagen
waren: Der Vorstand hat den Aufsichtsrat gezielt belo-
gen. Es gibt keinen Gegenbeweis.

Wir sind bereit, uns einer Sonderbegutachtung zu
widmen und daraus die entsprechenden Schlüsse zu zie-
hen. Zum heutigen Tag wäre es, meine ich, falsch, dem
FDP-Antrag zuzustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615113400

Der Kollege Dr. Herbert Schui hat jetzt das Wort für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615113500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

der Vorstand und der Aufsichtsrat der Industriekredit-
bank nicht entlastet werden, dann ist das nach Einschät-
zung der Wirtschaftszeitungen eine Voraussetzung dafür,
gegen die Deutsche Bank zu klagen und Schadenersatz
zu verlangen. Deswegen kann die Linke dem FDP-An-
trag zustimmen. Es spricht alles dafür, dass die Deutsche
Bank der IKB Subprime-Wertpapiere verkauft hat, ob-
wohl sie wusste, dass sie faul sind, und dass sie gleich-
zeitig der IKB Kreditlinien gekürzt hat, wodurch die
Schwierigkeiten der IKB weiter akzentuiert wurden.
Diesem Übermaß an unternehmerischer Initiative muss
die Rechtsprechung Grenzen setzen.

Eine Klage wäre der Versuch, den privaten Sektor we-
nigstens nachträglich umfangreicher an der Sanierung
der IKB zu beteiligen, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Die Idee ist gut; sie stammt den Wirtschaftszeitungen
zufolge von Minister Glos. Das Motiv ist wahrschein-
lich, Minister Steinbrück in die Pfanne zu hauen. Aber
lassen wir die Motivforschung beiseite.

Bei der Sanierung der IKB, die eine private Einrich-
tung ist, hat sich der öffentliche Sektor übermäßig stark
beteiligt. Der private Sektor, also die Banken, sind mit
rund 1,3 Milliarden Euro an der Sanierung beteiligt, der
öffentliche Sektor, die KfW und die Sparkassen sowie
das Finanzministerium über den Bundeshaushalt, mit
derzeit 7,2 Milliarden Euro. Der endgültige Betrag wird
allerdings wesentlich höher ausfallen.

Begründet wird die Eilfertigkeit der staatlichen Stel-
len – die KfW eingeschlossen – damit, dass, so Minister
Steinbrück, eine Erschütterungsdynamik für den gesam-
ten Finanzplatz Deutschland vermieden werden musste.


(Florian Pronold [SPD]: Richtig!)


Man kann vermuten, dass BDI-Präsident Jürgen Thumann
als Mitglied des Verwaltungsrates der KfW der Mehrheit
dieses Gremiums diese apokalyptischen Untergangsvor-
stellungen einpflanzen konnte. Der Einzige, der Herrn
Thumann durchgehend widerstehen konnte, war Herr
Lafontaine.


(Zuruf von Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen)


Manche konnten ab und an seinen Einflüsterungen wi-
derstehen. Auch Mitglieder der FDP konnten – wie es
scheint – nicht immer widerstehen. BDI-Präsident
Thumann will sicherlich Schaden vom privaten Sektor
abwenden. Warum ihm aber die beteiligten Ministerien
und die KfW folgen, rechtfertigt einmal mehr die Frage,
wer in diesem Land in der Politik den Ton angibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Minister Glos und Steinbrück und Frau Matthäus-
Maier als Chefin der KfW sollten sich nicht mit der Er-
schütterungsdynamik für den Finanzplatz herausreden.
Sie haben strategisch versagt. Sie hätten die Einleger bei
der IKB wesentlich stärker an den Verlusten der Bank
beteiligen können. Die Strategie besteht darin, klarzu-
stellen, dass der Staat den Bankrott der IKB in Kauf
nimmt, dass er aber die Gläubiger der IKB, die ihre Ein-
lagen nicht abschreiben können, vor dem Konkurs rettet,
indem er ihnen langfristige Nachrangdarlehen zur Verfü-
gung stellt. Da die IKB sehr viele Einleger hat, ist die
Wahrscheinlichkeit gering, dass diese Nachrangdarlehen
in großem Umfang hätten in Anspruch genommen wer-
den müssen. Sie können das im Einzelnen in meinem
Kommentar in der Financial Times Deutschland vom
26. Februar 2008 nachlesen. Wenn diese Drohung glaub-
würdig gemacht worden wäre, hätten die privaten pro-
fessionellen Einleger mehr zur Sanierung der IKB bei-
tragen müssen. Dann stünden wir nicht vor der Situation,
dass wieder einmal ein privates Institut die Gewinne pri-
vatisiert, während man für die Verluste die Allgemein-
heit aufkommen lässt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Ute Kumpf [SPD]: So ein Quatsch!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615113600

Herr Kollege Schui, normalerweise müsste ich Zwi-

schenrufe von der Regierungsbank rügen. Darauf ver-
zichte ich aber, weil ich vermute, dass es eine Ehrerwei-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
sung zu Ihrem heutigen Geburtstag war. Herzlichen
Glückwunsch!


(Beifall – Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Ich kann das nur so interpretieren! Vielen Dank!)


Der Kollege Jörg-Otto Spiller hat das Wort für die
SPD-Fraktion.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1615113700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! So wie der FDP-Antrag formuliert ist, erfordert
er ein paar Bemerkungen, die das Selbstverständnis des
Deutschen Bundestages betreffen. Welches ist die Kern-
aussage Ihres Antrages? Der Bundestag stellt fest: Die
Bundesregierung hat direkt und über den Verwaltungsrat
indirekt den Vorstand der KfW anzuweisen, wie die
Stimmrechte der KfW auf der Hauptversammlung der
IKB verwendet werden sollen. Das heißt, der Bundestag
fordert die Bundesregierung auf, sie möge den Vorstand
der KfW im Verwaltungsrat oder direkt auffordern, der
Vorstand der KfW solle auf der Hauptversammlung der
IKB Deutsche Industriebank wie folgt von den Stimm-
rechten Gebrauch machen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So steht es im Antrag!)


Das sind drei, vier Ableitungen; über die genau Zahl
lässt sich streiten. Im Jargon der Finanzmärkte gespro-
chen: Die FDP liebt Derivate.

Ich kann es aber nicht bei einer solchen ironischen
Bemerkung belassen; denn es berührt das Gefüge unse-
rer demokratischen Institutionen. In einer parlamentari-
schen Demokratie gibt es nicht nur das Prinzip der Ge-
waltenteilung, sondern auch Gewaltenverschränkung.
Im Grundgesetz ist das nicht ganz präzise definiert. Das
ist vermutlich weise. Aber es gibt auch keine Beliebig-
keit, Herr Kollege Koppelin. Ich möchte aus dem sehr
lesenswerten Beitrag von Udo Di Fabio zur Gewaltentei-
lung in Band II des Handbuches des Staatsrechts zitie-
ren:

Die Verschränkung von Teilgewalten bedeutet nicht
Verzicht auf Unterscheidbarkeit und Ordnung. Es
geht um das geordnete, durchaus verstetigte Zu-
sammenspiel bei grundsätzlich getrennten Aufga-
ben und Verantwortungsbereichen.

Soll das Parlament die Entscheidung treffen, wie auf ei-
ner Hauptversammlung einer Bank, an der der Bund
über mehrere Stufen indirekt beteiligt ist, abgestimmt
werden soll, und zwar in diesem Fall über das Instru-
ment des Verwaltungsrates der KfW? Herr Koppelin, das
ist keine Gewaltenverschränkung, sondern verschroben.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist ein imperatives Mandat!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615113800

Herr Spiller, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kolle-

gen Koppelin zu?

Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1615113900

Ja.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114000

Bitte schön.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1615114100

Herr Kollege, da ich kein Jurist bin, frage ich Sie:

Habe ich Sie richtig verstanden, dass wir, der Deutsche
Bundestag, eine solche Entscheidung nicht treffen, wohl
aber 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen dürfen,
damit die marode IKB Deutsche Industriebank gerettet
werden kann? Hier sind wir aufgefordert, mitzumachen.
Aber alles andere darf nur die Regierung. Oder wie darf
ich das verstehen?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1615114200

Es ist so zu verstehen, dass das Parlament die Regie-

rung kontrolliert, aber nicht jede Einzelentscheidung, die
die Regierung verantworten muss – auch gegenüber dem
Deutschen Bundestag –, abnimmt, und zwar aufgrund
unzureichender Informationen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Milliarden!)


Ich frage Sie, Herr Koppelin, wie Sie persönlich es in
Zukunft handhaben wollen, wenn der Bundestag Ihnen
Aufträge erteilt. Der Bund ist im Verwaltungsrat der
Kreditanstalt für Wiederaufbau mit 14 Sitzen vertreten:
Sieben Sitze hat die Bundesregierung, sieben weitere
Sitze der Bundestag. Von den sieben Vertretern des Bun-
destages gehören derzeit vier den Koalitionsfraktionen
und drei den Oppositionsfraktionen an; ein Vertreter sind
Sie. Wenn nun der Deutsche Bundestag mit Mehrheit be-
schließt, wie seine Vertreter im Verwaltungsrat der KfW
zu entscheiden haben, werden Sie – das ist offenbar Ihre
Vorstellung – künftig an Mehrheitsentscheidungen des
Deutschen Bundestages gebunden sein.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das haben Sie missverstanden!)


Dies ist nicht meine Vorstellung von Parlamentarismus.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Meine auch nicht!)


Herr Koppelin, seien Sie sicher, wir werden unsere frei-
heitliche Ordnung gegen Angriffe der FDP zu schützen
wissen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114300

Das Ende der Antwort auf seine Zwischenfrage

konnte Herr Koppelin fast nur im Sitzen entgegenneh-
men. Ab jetzt läuft die Redezeit weiter.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Ich konnte nicht erkennen, dass das noch zur Antwort gehört!)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1615114400

Ich komme auf die Formulierung zurück: Der Deut-

sche Bundestag stellt fest, die Bundesregierung habe an-
zuweisen. Der Antrag ist ziemlich locker aus der Hüfte
formuliert. Er ist uns ja auch sehr kurzfristig vorgelegt






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller
worden. Eine verantwortungsbewusste Politik, Herr
Koppelin, sieht auch in so schwierigen Fragen anders
aus.

Ich erwarte, dass Sie die Freiheit behalten, sich im
Verwaltungsrat der KfW so zu verhalten, wie Sie es per-
sönlich für richtig halten und wie Sie es Ihrer Fraktion
gegenüber rechtfertigen können. Aber ich erwarte nicht,
dass Sie sich Mehrheitsentscheidungen des Deutschen
Bundestages unterwerfen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Es geht um die Bundesregierung!)


Warum, frage ich Sie, soll, wenn sich der Bundestag
an die Verwaltungsratsmitglieder der KfW wendet, zwi-
schen den sieben Vertretern des Bundestages und den
sieben Vertretern der Bundesregierung unterschieden
werden? Ich sage einmal, was wir erwarten: dass die sie-
ben Vertreter der Bundesregierung mit einer Stimme
sprechen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre schon einmal gut!)


Es mag sein, dass das in den Medien nicht immer ge-
schieht. Aber wenn die Bundesregierung in einem Ent-
scheidungsorgan einer Institution auftritt, dann ist unsere
Erwartung, dass alle Minister, die dort ein Mandat ha-
ben, zumindest bei Abstimmungen eine einheitliche Li-
nie vertreten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nun möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur IKB
machen. Ich selbst kann nicht beurteilen, ob der Auf-
sichtsrat der Industriekreditbank vom Vorstand dieser
Bank systematisch hinters Licht geführt worden ist. Es
gibt einen entsprechenden Hinweis; Herr Kollege
Michelbach kennt ihn sicherlich auch. Schon vor gerau-
mer Zeit, nämlich im Herbst, gab es die Pressemittei-
lung, dass Pricewaterhouse-Coopers eine Sonderunter-
suchung bei der IKB hinsichtlich der Information
durchgeführt habe, die der Aufsichtsrat vom Vorstand
bekommen hat. Die damalige Aussage – ich kenne das
nur aus der Pressemitteilung – war, der Aufsichtsrat habe
keine reelle Chance gehabt, durch das, was der Vorstand
von sich aus darüber gesagt hat, zu erfahren, wie es tat-
sächlich um die Bank stand. Ich will solche Urteile von
Wirtschaftsprüfern nicht überbewerten; denn ein anderes
– zumindest früher – hochrenommiertes Wirtschaftsprü-
fungsinstitut, die KPMG, hatte der IKB noch im Juni
2007 bescheinigt, alle Risiken seien korrekt erfasst und
ausgewiesen worden. Ich will den Wirtschaftsprüfern
nicht zu viel Ehre angedeihen lassen. Das Vertrauen in
diese ist arg beschädigt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Ich möchte, dass die Entscheidung auf der Hauptver-
sammlung der IKB nach sorgfältiger Prüfung durch die
Bundesregierung und die KfW erfolgt. Ich glaube schon,
dass Sie mit dem Ansatz recht haben, dass, weil der
Steuerzahler inzwischen beteiligt ist, die Bundesregie-
rung mit der KfW gemeinsam eine Linie finden muss.
Aber ich rate, dass wir es bei der Verantwortungsteilung
belassen. Wir werden uns genau mit dem zu befassen ha-
ben, was uns die Bundesregierung berichtet. Aber Ihren
Antrag, Herr Koppelin, werden wir ablehnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114500

Die Kollegin Christine Scheel hat jetzt das Wort für

das Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich gehe davon aus, dass alle ein sehr großes Interesse
daran haben, dass lückenlos aufgeklärt wird. Ich gehe
davon aus, dass alle ein Interesse daran haben, dass die
Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich gehe
auch davon aus, dass die Bundesregierung selbstver-
ständlich ein sehr großes Interesse daran hat, dass in die-
sem Zusammenhang nichts verschleiert, beschönigt oder
unter den Tisch gekehrt wird.

Wir erleben einen Streit zwischen zwei Ministern,
zwischen Herrn Glos und Herrn Steinbrück. Der Abge-
ordnete Spiller hat gerade gesagt, dass die sieben Vertre-
ter der Bundesregierung im Verwaltungsrat der KfW mit
einer Stimme sprechen sollten. Wir hoffen, dass sie das
tun. Sie haben auch die Verantwortung dafür, dass Scha-
densbegrenzung stattfindet. Ich sage von dieser Stelle
aus auch: Jeder politische Streit schadet dem Verkauf der
IKB.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Das muss man deutlich sagen; denn es gilt hier, Scha-
densbegrenzung vorzunehmen, und nicht, die IKB durch
bestimmte Debatten zu destabilisieren.

Im Antrag der FDP wird die Forderung erhoben, der
alte Vorstand solle nicht entlastet werden. Ich meine, es
ist sonnenklar, dass dann, wenn die Staatsanwaltschaft
ermittelt, der alte Vorstand nicht entlastet werden kann.
Weiterhin fordert die FDP, auch der Aufsichtsrat solle
nicht entlastet werden. Ich wünsche mir, dass die einzel-
nen Mitglieder des Aufsichtsrats unterschiedlich behan-
delt werden. Man muss sich anschauen, wer involviert
sein könnte. Es geht, um es ganz klar zu sagen, um den
Aufsichtsratsvorsitzenden der IKB, Herrn Dr. Ulrich
Hartmann, der zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der
Deutschen Bank und dessen Präsidiums und, wie wir
wissen, Aufsichtsratsvorsitzender der Eon AG ist. Es
geht auch um den stellvertretenden Vorsitzenden und
vielleicht ein, zwei andere Personen. Ich wünsche mir,
dass man hier sehr differenziert vorgeht und vielleicht zu
dem Ergebnis kommt, einige Personen in diesem Auf-
sichtsrat nicht zu entlasten.

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Was wäre denn
die Konsequenz, wenn sich herausstellte, der Aufsichts-
rat hätte seine Pflichten verletzt. Es gibt ein Gutachten
von PwC; das ist ein 400 Seiten starkes Sondergutach-
ten. Wir wissen nicht genau, was darin steht. Ich möchte






(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
erst einmal wissen, inwieweit der Vorstand den Auf-
sichtsrat der IKB angelogen hat. Das ist ein Vorwurf, der
in dem Gutachten analytisch untersucht werden musste.
Ich finde, wir sollten hier beide Ministerien in die Pflicht
nehmen, diesen Punkt gemeinsam auszuwerten und uns,
dem Bundestag, zu berichten, wie die Ergebnisse aus ih-
rer Sicht zu bewerten sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aus den Überlegungen der FDP müsste man die Kon-
sequenz ziehen, dass alle, die in Aufsichtsräten von Kre-
ditinstituten in Deutschland saßen zu der Zeit, als man
mit faulen US-Immobilienkrediten nicht richtig umge-
gangen ist und sich verzockt hat, nicht entlastet werden
dürfen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! – Jürgen Koppelin [FDP]: Ein guter Gedanke!)


Das gilt für die West-LB, die Sachsen-LB, die Bayern-
LB und eine große Zahl von weiteren Banken. Deutsch-
landweit dürfte keiner dieser Aufsichtsräte entlastet wer-
den.

Zum letzten Punkt: Schadenersatzklagen. Im Moment
klagt jeder gegen jeden. Ich halte es für richtig, dass
diese Schadenersatzklagen geprüft werden, und zwar
nicht nur von der BaFin, sondern auch von den Institu-
ten. Es muss geprüft werden: Inwieweit gibt es ein be-
rechtigtes Interesse von Aktionärsvertretern und Aktio-
närsvertreterinnen, die behaupten, das Geld der Anleger
sei verbrannt worden? Kann eventuell Geld von den
Banken – zum Beispiel von der Deutschen Bank – zu-
rückgefordert werden? Darüber müssen wir diskutieren.
Diese Fragen sind legitim; aber ich finde, man muss hier
mit Augenmaß vorgehen. Wir brauchen eine lückenlose
Aufklärung, aber auch eine Schadensbegrenzung. Beides
erreicht man nicht mit einem politischen Spektakel und
mit Intrigen; das muss klar sein.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114700

Frau Kollegin Scheel!


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114800

Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über Ih-

ren Antrag enthalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615114900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8493 mit dem Titel
„Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der IKB
Deutsche Industriebank AG durch Nutzung der Stimm-
rechte der KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau verhin-
dern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Für den Antrag haben die Fraktionen
der FDP und Die Linke gestimmt. Gegen den Antrag ha-
ben die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ge-
stimmt. Enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer (Hamm), Peter Bleser, Julia Klöckner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Sicheres Spielzeug für unsere Kinder

– Drucksache 16/8496 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

EU-Spielzeugrichtlinie modernisieren und Ver-
braucherschutz ausbauen

– Drucksache 16/7837 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig

Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1615115000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz müssen beim
Spielzeug Hand in Hand gehen. Spielwaren sind nicht ir-
gendwelche Güter; die Endverbraucher sind Babys und
Kleinkinder. Wenn Verletzungen, Erstickungen, Vergif-
tungen oder Hörschäden drohen, dann macht Spielzeug
keinen Spaß, sondern Angst. Kinder sind gesundheitlich
besonders empfindlich und gefährdet. Deshalb darf es
bei diesen Produkten keinerlei Risiken geben.

Ich begrüße, dass die EU-Kommission auf die Skan-
dale im Zusammenhang mit Importspielzeug reagiert
hat. Wenn bis zu 39 Prozent der untersuchten Produkte
„Made in China“ Grund zu Beanstandungen geben, zeigt
dies, wie dringend etwas dagegen getan werden muss.
Die Überarbeitung der 20 Jahre alten Spielzeugrichtli-






(A) (C)



(B) (D)


Franz Obermeier
nie, also die Neufassung der EU-Spielzeugrichtlinie, ist
das richtige Signal.

Aus meiner Sicht gibt es allerdings auch einige Kri-
tikpunkte. Die derzeitigen Vorschläge der Europäischen
Kommission zum Richtlinienentwurf müssen von deut-
scher Seite noch aktiv diskutiert und mitgestaltet wer-
den. So heißt es im Entwurf:

Die Mitgliedstaaten sehen davon ab, die Kenn-
zeichnung der Übereinstimmung mit den Bestim-
mungen dieser Richtlinie durch eigene Vorschriften
zu regeln, die eine Bezugnahme auf eine andere
Konformitätskennzeichnung als die CE-Kennzeich-
nung vorsehen, oder heben solche Vorschriften auf.

Das heißt im Klartext: Es soll nur noch die CE-Kenn-
zeichnung geben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau, das ist falsch!)


Was bedeutet das für uns? Die CE-Kennzeichnung be-
stätigt dem Hersteller die Konformität seines Produktes
mit den zutreffenden EG-Richtlinien und die Einhaltung
der darin festgelegten wesentlichen Anforderungen. So
weit, so gut. Verantwortlich für diese Kennzeichnung ist
aber in der Regel der Hersteller des Produktes selbst.
Das ist sicher oft gut und richtig, aber – wie wir gesehen
haben – leider nicht immer.

Hier liegt der Unterschied zu unserer bisherigen deut-
schen Regelung. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist das
deutsche GS-Zeichen, welches sich oft als weiterer Auf-
kleber auf einem Produkt befindet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist ein Meilenstein des Verbraucherschutzes, denn
hier prüfen unabhängige Dritte – etwa der TÜV – und
nicht nur der Hersteller selbst ein Produkt auf seine Si-
cherheit. Die Prüfkriterien bei GS sind für alle Produkte
einer Kategorie gleich. Auch wer einmal geprüft worden
ist, kann sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen; denn
es gibt Überprüfungen, ob die Baumuster auch in der
weiteren Produktion eingehalten werden. Das gibt den
Verbrauchern noch mehr Sicherheit vor Gesundheitsge-
fahren.

Es hat sich gezeigt, dass das GS-Prüfzeichen auch für
die Hersteller Vorteile hat; denn es ist zum Markenzei-
chen für deutsche Qualitätsprodukte geworden. Das
konnte man besonders feststellen, als Spielzeuge aus
chinesischer Herstellung wiederholt in die Schlagzeilen
geraten sind. Da erhöhte sich die Nachfrage nach deut-
schem Spielzeug deutlich. „Made in Germany“ wird ein-
mal mehr weltweit geschätzt. Auch aus der Sicht des
Wirtschaftspolitikers gibt es also keinen Gegensatz zwi-
schen neutralen Qualitätsprüfungen im Sinne des Ver-
braucherschutzes und den Interessen der Wirtschaft.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, im weite-
ren Verlauf der Beratungen gegen ein Verbot nationaler
Sicherheitszeichen und für die Beibehaltung des GS-Zei-
chens in Deutschland einzutreten.
Ich gehe noch ein Stück weiter: Statt über die Ab-
schaffung des GS-Gütesiegels sollten wir über ein euro-
paweites unabhängiges Prüfzeichen für die Produktsi-
cherheit nachdenken. Das Gütezeichen sollte von einer
objektiven dritten Stelle verliehen werden. Dann hätte
der europäische Verbraucher eine einheitliche Orientie-
rung. Es muss so gestaltet werden, dass es auch die Wa-
renflüsse aus der ganzen Welt nach Europa erfasst, die
Importe. Niemand hat ein Recht, gefährliche Waren in
Verkehr zu bringen, erst recht nicht solche, die für Kin-
der bestimmt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


In dem Zusammenhang lasse ich auch nicht gelten, dass
solche neutralen Prüfungen mit zusätzlichen Kosten zu
Buche schlagen. Die Gesundheit ist ein kostbares Gut.
Sie muss es uns wert sein.

Es ist richtig, dass die chemischen Sicherheitsanforde-
rungen bei Kinderspielzeug einheitlich geregelt werden
sollten. Kinder sind besonders verletzbar. Allerdings ist
das Chemikalienrecht für Kinderspielzeug nur mit Ein-
schränkungen brauchbar – hier setzt meine Kritik an –;
denn die Grenzwerte darin sind für völlig andere Anwen-
dungsbereiche festgelegt worden. So wird auf den Gehalt
des jeweiligen Stoffes abgestellt, nicht aber auf dessen
Freisetzung insgesamt. Wir alle wissen, dass Kinder ihr
Spielzeug oft so gern mögen, dass sie es glatt verspeisen.
Sie leben in engstem und in langem Körperkontakt mit ih-
ren Lieblingsspielzeugen. Dabei werden Stoffe freige-
setzt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615115100

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1615115200

Das ist etwas ganz anderes als bei Lebensmittelverpa-

ckungen oder Ähnlichem. Wenn es also um die Gesund-
heit unserer Kinder geht, dann darf es keine Kompro-
misse geben. Das ist die Zielrichtung unseres Antrags.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rainer Wend [SPD]: Franz, du verstehst ja von allem was!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615115300

Der Kollege Hans-Michael Goldmann hat jetzt das

Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1615115400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Kollege Obermeier, ich will es gleich vorweg
sagen: Wir müssen uns über Ihren Schlusssatz unterhal-
ten. Es bleibt zu fragen, ob das, was Sie in Ihrem Antrag
zum Ausdruck bringen, und das, was auf europäischer
Ebene gemacht wird, nicht doch ein Kompromiss ist, der






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
in der Sache nicht hilft. Darauf komme ich nachher
noch.

Lassen Sie mich berichten. Ich habe vor kurzem auf
eine Informationsseite geschaut, die RAPEX heißt. Da-
rauf soll man sich darüber informieren, was an akuten
Verbraucherinformationen vorliegt. Wissen Sie, was ich
dort in der letzten Woche gefunden habe? Ich habe dort
einen Warnhinweis für eine Weihnachtslichterkette aus
China gefunden. Daran kann man sehen, wie aktuell die
Informationen im Moment sind, die dem einzelnen Ver-
braucher zur Verfügung gestellt werden. Ich will doch
hoffen, dass wir uns in dieser Frage einig sind.


(Mechthild Rawert [SPD]: Vorausschauender Verbraucherschutz!)


– Liebe Kollegin, ich glaube, ich habe das nicht so recht
verstanden. Vielleicht stellen Sie eine Zwischenfrage.

Ich finde es nicht witzig, wenn die Information zu ei-
nem Zeitpunkt erfolgt, zu dem das Produkt schon lange
benutzt wird. Wir wollen dies nicht überhöhen, aber es
kann durchaus sein, dass ein Kind beim Spielen eine sol-
che Lichterkette in den Mund nimmt. Deshalb meine ich,
wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Informa-
tion der Verbraucher auf europäischer Ebene besser
wird. Ich denke, hier sind wir alle – auch die Bundesre-
gierung – gefordert.

Bei Spielzeug ist es im Grunde genommen wie mit
Lebensmitteln: Niemand möchte solche Produkte ohne
Vertrauen in die Sicherheit und in die Unbedenklichkeit
kaufen. Dieses Vertrauen wurde bei Spielzeug durch
vielfältige Skandale im letzten Jahr schwer angeschla-
gen. Wir alle erinnern uns an die dramatische Rück-
rufaktion zum letzten Weihnachtsfest für bestimmte
Spielzeuge.

Verantwortlich für die Sicherheit von Spielzeugen ist
natürlich der Hersteller. Gerade bei Spielzeug liegt es im
Interesse der Hersteller, den verunsicherten Käufer von
seinen Produkten zu überzeugen. Hier haben wir ein
wichtiges Signal: Das ist das GS-Zeichen. Es garantiert
dem Käufer, dass das Produkt durch eine unabhängige
Stelle geprüft wurde. Damit vermittelt es dem Verbrau-
cher Sicherheit. Die Einigung des Europäischen Parla-
ments, nationale freiwillige Kennzeichen wie GS vorläu-
fig zu erhalten, war ein guter und wichtiger Beitrag der
europäischen Ebene.

Lieber Kollege Obermeier, die Überarbeitung der EU-
Spielzeugrichtlinie trägt diese Zielsetzung jedoch nicht;
denn die europäische Ebene fällt hinter den Standard von
GS zurück und landet im Grunde genommen bei dem
CE-Zeichen.


(Zuruf von der SPD: Wohl wahr!)


Ich glaube, hier sollten wir uns gemeinsam einig sein.
Das CE-Zeichen lässt zum Beispiel, wie der TÜV sagt,
Grenzwerte für Blei oder Arsen in Farben zu, die nicht
mehr akzeptabel sind. Es lässt Weichmacher und
krebserregende Stoffe zu; das ist absolut nicht akzepta-
bel. Deswegen reichen das CE-Zeichen und somit auch
die europäische Zielsetzung nicht aus. Wir brauchen GS.
Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe Ihre Anträge intensiv gelesen. Liebe Freunde
von Bündnis 90/Die Grünen sowie von der CDU/CSU
und der SPD, vielleicht habe ich Sie nicht richtig ver-
standen. Ich habe den Eindruck, dass Sie eine betriebs-
unabhängige Prüfung von Spielzeugen vor dem Inver-
kehrbringen fordern. Das klingt sinnvoll; denn so kann
der Hersteller das CE-Zeichen nicht einfach auf seine
Ware kleben. Vielmehr hat dann eine Prüfung stattgefun-
den. Dann ist aber nicht das GS-Zeichen auf der Ware,
sondern das CE-Zeichen. Ich glaube, wir sind uns einig,
dass dieses CE-Zeichen nicht trägt. Deswegen sind mei-
ner Meinung nach die Anträge von CDU/CSU und SPD
sowie Bündnis 90/Die Grünen nicht ausreichend.

Ich will aber ausdrücklich betonen, dass es nicht da-
rum geht, dass jemand von der FDP oder sonst jemand
Recht bekommt. Hier geht es einzig und allein darum,
auf europäischer Ebene eine Norm zu finden, die den
Ansprüchen, die die Verbraucher und vor allen Dingen
die „konsumierenden“ Kinder haben – Sie haben ja ein-
drucksvoll beschrieben, was Kinder zum Teil mit ihren
Spielsachen und ihren Lieblingstieren machen –, und
höchsten Sicherheitsstandards Rechnung trägt.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen lassen Sie uns gemeinsam darauf hinarbei-
ten. Ich will einige Fixpunkte kurz benennen: niedrigste
Grenzwerte, soweit das überhaupt möglich ist; das GS-
Zeichen als freiwilliges Prüfsiegel; mit diesem freiwilli-
gen Deklarationszeichen kann man dann in den Wettbe-
werb treten; Informierung darüber, dass die Produkte ei-
nes Herstellers die Kriterien einer GS-Kennzeichnung
erfüllen und dass er mit dieser Qualität in den Markt hi-
neingeht; deutliche Verbesserung des RAPEX-Portals
und am besten ein gemeinsames Rückrufportal von Her-
stellern und Importeuren. Ich halte das wirklich für not-
wendig, gerade weil für viele Spielwaren der Produkti-
onsort in China liegt. Machen wir uns gemeinsam auf
den Weg, um eine gute Lösung zu finden!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615115500

Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat jetzt das

Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1615115600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Messer, Gabel,
Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht.“ Wer von uns
kennt nicht diesen Spruch, der uns vor gefährlichen Ge-
genständen schützen soll? Eltern halten Kinder von die-
sen Gegenständen fern.

Doch wie sieht es mit Kinderspielzeug aus? Giftiges
Barbiezubehör, Blei in Lokomotiven und Kinderlätz-
chen, Drogen in Bastelsets, das waren die Skandale, die
uns kurz vor Weihnachten in Atem hielten. Aber nicht






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
nur zur Weihnachtszeit kann das Spielen für Kinder ge-
fährlich sein. Das zeigt ein Blick auf die Seiten des euro-
päischen Warnsystems RAPEX; der Kollege Goldmann
hat gerade schon darauf hingewiesen. Dort sind 14 ge-
fährliche Spielzeuge aufgeführt – die Lichterkette habe
ich jetzt nicht darauf gefunden, Herr Goldmann –, und
das bereits zur Hälfte des Monats März. Dazu gehören
zum Beispiel der Spiel-Lkw „Trailblazer“, bei dem
große Vergiftungsgefahr besteht, und ein Spielfernglas
chinesischer Machart, ebenfalls giftig. Es gibt einen
Spiel-Lkw mit Blöcken, die verschluckt werden und so-
mit zum Ersticken führen können. Es gibt die giftigen
Plastikschnüre „Scoubidou“ und vieles mehr.

Die Liste wird sicher noch länger; denn, wie gesagt,
der März ist leider noch nicht herum. Aktuell ist davon
auszugehen, dass Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre in
diesem Jahr mit Spielzeug bis zu einem Wert von durch-
schnittlich 53 Euro rechnen können. Es wird weiterhin
Spielzeug auf den Markt kommen.

Zu viel Blei in der Farbe, gefährliche Weichmacher
im Kunststoff, Magnete, die sich lösen und geschluckt
werden können, zu laute Spielzeughandys, die das Gehör
schädigen können, all dies gehört nicht in Kinderhände
und noch weniger in Kindermünder.

Weil Blei eine tragende Rolle in den Spielzeugskan-
dalen gespielt hat, kurz etwas zu den möglichen Auswir-
kungen: Blei schädigt die Blutbildung, wirkt schädigend
auf die Nieren und auf das Nervensystem, kann bei Kin-
dern zu psychomotorischen Störungen, zur Verminde-
rung des IQ und der Gedächtnisleistung führen und ist
erbgutschädigend.

Ich zitiere:

Wo es um die Gesundheit … unserer Kinder geht,
darf es keine Kompromisse geben. … Punkt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dieses Zitat von Industriekommissar Verheugen bringt
im wahrsten Sinne des Wortes die Problematik auf den
Punkt. Leider entspricht der Vorschlag der EU-Kommis-
sion diesem Ansinnen nicht.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


So enthält der Vorschlag zwar ein Verwendungsverbot
für krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädi-
gende Stoffe, die man auch k/e/f-Stoffe nennt. Dieses
Verwendungsverbot gilt allerdings nur dann, wenn die
Konzentrationsgrenzwerte entsprechend den Regelun-
gen im Chemikalienrecht überschritten werden. Sie ha-
ben richtig gehört: im Chemikalienrecht. Damit wird der
Gehalt des jeweiligen Stoffes im Produkt als entschei-
dend angesehen. Für die Sicherheit der Kinder ist aber
doch wichtig, wie viel von dem jeweiligen Giftstoff aus
dem Spielzeug freigesetzt wird;


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!)


denn am Spielzeug wird gelutscht, gekaut oder es wird
gar verschluckt. Das heißt, das Chemikalienrecht bringt
uns hier nicht weiter. Im Gegenteil: Es zeigt eine deutli-
che Verschlechterung des geltenden Schutzniveaus für
Kinderspielzeug auf.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Zum Vergleich: Der für Lebensmittelverpackungen
derzeit zulässige Grenzwert für Vinylchlorid – das ist ein
Stoff, den wir in PVC, Isolierungen und Weichmachern
finden – ist mit 1 Milligramm pro Kilogramm tausend-
fach niedriger als der nach Chemikalienrecht zulässige
Grenzwert. Vinylchlorid führt übrigens zur Schädigung
der Leber, Speiseröhre, Milz und Haut und wird als
krebserzeugend eingestuft.

Auch bei den Duftstoffen springt der Vorschlag der
EU-Kommission zu kurz: 38 sollen verboten werden;
26 Stoffe dürfen aber weiter verwendet werden, wenn
sie denn gekennzeichnet sind. Man stelle sich das einmal
vor.

Kontraproduktiv ist auch das im Kommissionsvor-
schlag erneut vorgesehene Verbot nationaler Prüfzei-
chen; dies ist schon verschiedentlich ausgeführt worden.
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments und des
Rates vom Februar 2008 beinhaltet eine generelle Beibe-
haltung nationaler Sicherheitszeichen, mit denen wir sehr
gute Erfahrungen gemacht haben. Dieses unabhängige
Prüfzeichen gibt den Eltern Orientierung und garantiert
ihnen Sicherheit. Unser Prüfzeichen hat sich bewährt.
Wir brauchen kein entsprechendes EU-einheitliches
Prüfzeichen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe bereits gesagt, dass Kinder besonders
schutzbedürftig sind. Deshalb wollen wir, dass Kinder-
spielzeuge wie Lebensmittel behandelt werden und den
sogenannten Lebensmittelbedarfsgegenständen gleich-
gestellt werden.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615115700

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1615115800

Ja, Frau Präsidentin.

Mit Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ wird für
eine kinderfreundlichere Gesellschaft geworben. Ich
denke, wir müssen mit Prüfzeichen dafür sorgen, dass
Spielzeuge kindgerechter werden. Maxim Gorki hat ge-
sagt: „Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis
der Welt, in der sie leben.“ Damit die Kinder diesen Weg
beschreiten können, bitte ich Sie herzlich darum, unse-
ren Antrag zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615115900

Die Kollegin Karin Binder hat nun das Wort für die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615116000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alle Jahre wieder werden vor Ostern – nicht nur vor
Weihnachten – viele Kinderspielzeuge gekauft. Aber
nach wie vor haben wir das Problem, dass viele Spiel-
zeuge nicht sicher sind. Ich freue mich darüber, dass wir
im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz sehr große Einigkeit darüber erzielt ha-
ben, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht und
dass das deutsche GS-Zeichen als Prüfsiegel unbedingt
erhalten werden muss.

Als Linke gehen wir natürlich noch etwas darüber hi-
naus. Wir wünschen uns, dass das GS-Zeichen nicht nur
auf freiwilliger Basis, sondern verbindlich und ver-
pflichtend eingeführt wird. Da man auf EU-Ebene nun
eine gemeinsame Linie finden will, ist der Zeitpunkt ge-
kommen, dieses Thema anzugehen. Ich denke, sicheres
Spielzeug darf nicht nur denen vorbehalten sein, die den
entsprechenden Geldbeutel haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Die geprüften Spielzeuge erfüllen sehr hohe Qualitätsan-
forderungen; damit sind sie in der Regel aber teurer. Das
Problem ist also, dass sich diejenigen, die nur einen klei-
nen Geldbeutel haben, mit dem Spielzeug begnügen
müssen, das mit dem CE-Zeichen gekennzeichnet ist.
Wie wir alle wissen, bedeutet dies nicht viel. Ich halte
sehr viel davon, die Verantwortung der Hersteller zu
stärken. Aber nach wie vor gilt: Vertrauen ist gut, Kon-
trolle ist besser.

Wir haben in den vorangegangenen Beiträgen schon
gehört, welche Gefahren Blei, das in Billigspielzeugen
zu finden ist, mit sich bringt. Blei hat im Spielzeug
nichts verloren, und Spielzeug, das Blei enthält, muss
verboten werden. Auch ein niedrigerer Grenzwert hilft
da nicht weiter; denn die Gefahr ist trotz allem vorhan-
den, wie uns Experten und Wissenschaftler bestätigen.
Blei muss also raus aus Spielzeug.

Auch andere Stoffe wie giftige Weichmacher haben
nichts im Spielzeug verloren. Ein Spielzeug mit solchen
Inhaltsstoffen muss anders konzipiert oder verboten wer-
den. Mir ist es allemal lieber, wenn ein Spielzeug vom
Markt genommen wird, als dass ein Kind möglicher-
weise Schaden daran nimmt.

Ein anderes Thema, das in dem Antrag der Regie-
rungskoalition keine Rolle spielt, ist das der Umwelt-
und Sozialstandards in den Herstellerländern. Ich meine,
auch darüber müssen wir im Rahmen der Diskussion
über die EU-Spielzeugrichtlinie reden. Denn ich gehe
davon aus, dass die Einführung von Sozialstandards ers-
tens zu einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbe-
dingungen in den Herstellerländern beitragen könnte und
zweitens die Qualität der erzeugten Produkte steigern
würde.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei vielen Dingen sind wir uns ja einig. Aber es ist mir
wichtig, dass wir in dieser Debatte auch über diese The-
men reden, wenn wir wollen, dass alle Spielzeuge siche-
rer werden. Es geht darum, präventiv, im Sinne des Vor-
sorgeprinzips, zu handeln und im Zweifelsfall unsicheres
Spielzeug zu verbieten. Ich halte sehr viel davon, für
Spielzeug in diesem Zusammenhang die gleichen Werte
wie für Lebensmittelverpackungen anzusetzen, um es si-
cher zu machen; denn Spielzeug wird ja nun einmal auch
in den Mund genommen.

Ich hoffe, dass die vorliegenden Anträge relativ rasch
beraten werden und dass wir nicht erst wieder vor Weih-
nachten noch einmal über dieses Thema diskutieren
müssen. Ich hoffe vielmehr, dass die Anträge rasch ver-
abschiedet werden und das Spielzeug, das dann auf dem
Markt ist, sicher ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615116100

Jetzt spricht Nicole Maisch für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615116200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In den vergangenen Monaten haben die vielen
Rückrufaktionen für Spielzeug gezeigt, dass zum Teil er-
schreckende Sicherheitslücken bei der Produktsicherheit
im Spielzeugbereich bestehen. RAPEX, das Schnell-
warnsystem der Europäischen Union, verzeichnet seit
Jahren einen Anstieg von Produktwarnungen. Zum
Nachdenken bringen sollte uns, dass davon nicht nur
Billigprodukte, sondern auch die Erzeugnisse namhafter
Markenhersteller betroffen waren. Auch wenn Eltern
mehr Geld in die Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder
investiert haben, konnten sie sich nicht sicher sein, dass
das, was unter dem Weihnachtsbaum lag, sicher war.
Auch Markenqualität ist im Spielzeugbereich im Mo-
ment also keine Garantie für ungiftiges und sicheres
Spielzeug.

Auffällig häufig betroffen waren Kinderartikel und
Elektrogeräte aus chinesischer Produktion. Das ist nicht
verwunderlich, wenn man bedenkt, dass 61,7 Prozent
des Spielzeugs, das wir importieren – 80 Prozent werden
insgesamt importiert; einiges wird ja auch noch in
Deutschland hergestellt –, aus China importiert wird. Al-
lerdings waren knapp 40 Prozent der untersuchten Pro-
dukte, die wir aus China importiert haben, mit Sicher-
heitsmängeln behaftet.

Vor dem Hintergrund globalisierter Warenströme
greifen die alten Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr. Es
zeigt sich ganz deutlich: Auf europäischer Ebene, aber
auch hier in Deutschland besteht Handlungsbedarf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Mittelpunkt der Kritik im Kontext der Spielzeug-
skandale stand die späte und schlechte Informationspoli-
tik der verantwortlichen Stellen. Wir haben schon oft
über RAPEX gesprochen; es ist nicht geeignet, um Ver-
braucherinnen und Verbraucher ausreichend zu infor-
mieren.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Sondern?)







(A) (C)



(B) (D)


Nicole Maisch
– Ich denke, man braucht etwas Besseres, zum Beispiel
ein Portal – so etwas wie www.rückruf.de –, wo Infor-
mationen verbraucherfreundlich in unterschiedlichen
Sprachen aufgearbeitet werden. Das wäre, glaube ich,
besser als das, was RAPEX im Moment bietet. RAPEX
ist eine gute Grundlage, aber man sollte weiter daran ar-
beiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch das bisher völlig unzureichende CE-Kennzeichen
– dazu wurde schon viel gesagt – ist als Sicherheitssiegel
nicht geeignet; das will es ja auch nicht sein.

Nach 20 Jahren des Bestehens der Spielzeugrichtlinie
braucht es dringend neue Regelungen – vor allem zu den
Giftstoffen in Spielzeugen. In diesem Zusammenhang
sind allergene Duftstoffe – ich finde es sehr gut, dass Sie
im Koalitionsantrag auf die Duftstoffe eingehen –, aber
auch Weichmacher und andere Stoffe genannt worden.
Von Kindern kann man nicht erwarten, dass sie Produkte
sachgemäß anwenden. Kinder stecken Dinge in den
Mund, die nicht dazu geeignet sind. Deshalb sind sehr
strenge Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften notwen-
dig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bündnis 90/Die Grünen begrüßen das Engagement
der Bundesregierung für das deutsche Sicherheitssiegel
GS. Aber wir weisen auch darauf hin, dass insbesondere
im Bereich der besonders sensiblen Verbraucherpro-
dukte, also der Produkte für Kinder, ein verbindliches
Sicherheitssiegel angeordnet werden müsste. Wir for-
dern Sie auf, sich dafür auch auf europäischer Ebene zu
engagieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir weisen darauf hin, dass die mangelhafte Rück-
verfolgbarkeit in Produktions- und Handelsketten ein
Problem ist, das man angehen muss. Daran muss grenz-
überschreitend gearbeitet werden. Die Öffentlichkeitsar-
beit müsste – ich habe es schon im Kontext von RAPEX
erwähnt – verbessert werden und verbraucherfreundli-
cher gestaltet werden. Es müsste schneller gehen. Das
Beispiel der Lichterkette ist gut; Weihnachten ist jetzt
vorbei.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Steht ja gar nicht drauf!)


– Dann suchen Sie vielleicht noch einmal ganz genau.

Wir möchten der Bundesregierung sagen: Sie haben
den Rückhalt des Parlaments, sich für mehr Spielzeugsi-
cherheit einzusetzen. Wir haben weitere Vorschläge ge-
macht. Ich glaube, zusammen mit den Forderungen der
Grünen ist der Koalitionsantrag eine ganz gute Basis


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das war nett!)


für ein verbraucherfreundliches Paket für mehr Sicher-
heit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615116300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1615116400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Vertreterinnen

und Vertreter der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Maisch, herzlichen Dank für die Be-
wertung, dass unser Antrag eine gute Grundlage ist.
Wenn es um die Sicherheit unserer Kinder geht, dann darf
es kein Augenzudrücken und keine Ausnahmen geben.
Eines ist auch klar: Krebserregende und allergieerzeu-
gende Stoffe haben nichts in Kinderspielzeug zu suchen.
Im Deutschen Bundestag geht es uns darum, klarzuma-
chen, dass diejenigen, die fahrlässig mit der Gesundheit
unserer Kinder spielen, keine Entschuldigung verdient
haben und dass wir sie hart sanktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist in der Tat sehr erschreckend, welche Stoffe in
Kinderspielzeug gefunden worden sind. Jeder meiner
fünf Vorredner hat zum Beispiel die RAPEX-Liste er-
wähnt. Schauen wir einmal, welche Schlagzeilen und
Presseartikel es zu diesem Thema in den vergangenen
Monaten gab: Bleihaltige Farben in Spielzeugautos, ver-
schluckbare Magnetteile an Plastikpuppen, gefährliche
Chemikalien in Bastelsets bestimmten leider allzu oft
diese Schlagzeilen. Schlagzeilen entstehen aber nur
dann, wenn etwas Neues bekannt geworden ist. Wenn
sich jedoch etwas wiederholt, dann bekommen wir das
nicht mehr zu lesen.

Kollege Goldmann und Frau Drobinski-Weiß haben
die Liste von RAPEX dabei. Es ist erschreckend, was in
dieser Liste steht: Bei insgesamt 55 Meldungen wird für
29 Produkte vor Verletzungs- und Erstickungsgefahr ge-
warnt. 11 Produkte bergen Vergiftungsgefahr in sich. Bei
einigen Produkten wird aufgrund eines hohen Anteils an
Chemikalien die Gesundheit beeinträchtigt und werden
sogar Hörschäden hervorgerufen.

Eines muss klar sein: Ganz gleich, wie viel Produkte
in Deutschland kosten, sie müssen sicher sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darauf müssen sich die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher verlassen können. Selbst unter dem Aspekt „Geiz
ist geil“ und selbst wenn die Tatsache, dass Qualität ih-
ren Preis hat, unbestritten ist, muss klar sein: All das,
was auf den deutschen Markt kommt, muss unbedenk-
lich sein. Unsere Bürgerinnen und Bürger müssen sich
darauf verlassen können, dass wir, der Staat, die richti-
gen Rahmenbedingungen setzen, damit sie in Ruhe und
sorglos einkaufen können. Dieses Vertrauen – so muss
man ehrlich sagen – ist in den vergangenen Wochen und
Monaten verloren gegangen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
Selbst zum Beispiel die Firma Mattel, ein Markenprodu-
zent, hat eine Rückrufaktion für über 20 Millionen Pup-
pen, Figuren und andere Produkte gestartet. Mich er-
schreckt, dass selbst Markenproduzenten, in die wir
hohes Vertrauen hatten, Produkte zurückrufen mussten.
Mich erschreckt das, auch wenn diese Firmen nicht vor-
sätzlich gehandelt haben,


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Die sind gelinkt worden!)


sondern gelinkt worden sind. Wir haben erfahren, dass
sowohl in Amerika als auch in Australien Kinder mit
hochgradigen Vergiftungen in Krankenhäuser eingelie-
fert werden mussten und einige sogar gestorben sind.
Damit darf man auf keinen Fall spielen, auch nicht,
wenn jemand ein Interesse daran hat, seine Marge zu er-
höhen. Das muss klar sein. Das ist die Haltung der
Union, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, des BMELV
und unserer Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Eines möchte ich kritisch anmerken: Auffälligerweise
wurden über 80 Prozent der beanstandeten Produkte aus
China und anderen asiatischen Ländern importiert. Wa-
rum hat man sie dort produzieren lassen? Natürlich, weil
sie dort zu günstigeren Preisen produziert werden kön-
nen. Es gehört zur Wahrheit, dass Produkte, die günsti-
ger sind, weil sie unter anderen Umwelt-, Verbraucher-
schutz- und Sozialstandards hergestellt worden sind,
trotzdem ihren Preis haben. Die Gesundheit unserer Kin-
der ist ein Preis, der uns definitiv zu hoch ist. Nicht mit
uns!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Da sich meine Redezeit dem Ende zuneigt, möchte
ich abschließend das unterstützen, was meine Kollegin-
nen und Kollegen zuvor bereits gesagt haben: Wir sind
dafür, dass das GS-Zeichen, das für „geprüfte Sicher-
heit“ steht, das besagt, dass eine präventive Prüfung
stattgefunden hat, europaweit eingeführt wird. Es kann
nicht sein, dass wir das wegen der Harmonisierung in
Europa aufgeben müssen. Ich möchte nicht in einem Eu-
ropa leben, in dem die Gesundheit weniger zählt als die
Harmonisierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615116500

Der Kollege Jürgen Kucharczyk hat jetzt das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Jürgen Kucharczyk (SPD):
Rede ID: ID1615116600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Volks-
mund sagt: Wenn Kinder spielen, sind sie gesund. Jedem
Kind sind die Neugier und die Lust, zu spielen, angebo-
ren. Ein Großteil der Entwicklung der kognitiven und
motorischen Fähigkeiten findet durch Spielen statt. Da-
bei gehen unsere Kinder mit allen Sinnen vor: Sie sehen,
hören, riechen, schmecken und greifen. Was aber, wenn
die Spiele krankmachen? Was, wenn Eltern ihre Kinder
nicht mehr sorglos dem Spiel überlassen können?

Der Titel des Koalitionsantrags klingt wie eine Selbst-
verständlichkeit. Die Realität ist leider eine andere. Ein
amerikanischer Spielwarenhersteller hat im vergangenen
Jahr 20 Millionen Produkte zurückrufen müssen, weil
sie Bestandteile enthielten, die für die Gesundheit der
Kinder gefährlich sind. Schauen wir auf die RAPEX-
Warnliste im Internet, dann stellen wir fest, dass es wei-
tere Beispiele gibt. Rund 80 Prozent des Spielzeugs auf
dem europäischen Markt werden aus Fernost importiert.
China ist der Hauptlieferant.

Die letzten Rückrufaktionen haben deutlich gemacht,
dass das Spielzeug den heutigen Sicherheitsanforderun-
gen des europäischen Marktes nicht entspricht. Die häu-
figsten Gefahren für unsere Kinder sind: Verletzungen,
Erstickungen, Vergiftungen und Hörschäden. Kurzum:
Diesen Gefahren muss, wo immer es geht, begegnet wer-
den.

Daher ist es gut, dass sich die EU mit der EU-Spiel-
zeugrichtlinie dieses Themas endlich angenommen hat.
Das ist ein richtiger Schritt, der zum Ziel hat, krebserre-
gende, erbgutschädigende oder fortpflanzungsgefähr-
dende Stoffe in Spielzeug zu verbieten. Die Richtlinie
legt jedoch nicht fest, dass das Spielzeug von diesen
Stoffen frei sein muss. Daher legen wir einen Koalitions-
antrag vor. Die SPD-Fraktion fordert: Diese Stoffe, die
unsere Kinder und deren Kinder gefährden können, ha-
ben in Spielzeug nichts verloren.


(Beifall bei der SPD)


Keine Grenzwerte, sondern null Toleranz. Das gilt
selbstverständlich auch für alle allergieerzeugenden
Stoffe.

In der Richtlinie bestehen aber auch an anderer Stelle
Ungereimtheiten: Die Erziehungsberechtigten wissen
um die Unmöglichkeit, einem Baby oder Kleinkind be-
greiflich zu machen, dass das Lieblingsspielzeug nicht in
den Mund zu nehmen ist. Wenn die Richtlinie kein Au-
genmerk auf die Freisetzung der gefährlichen Stoffe im
Mund legt, können die Auswirkungen fatal sein. Spiel-
zeug aus Kunststoff ist deshalb mit Lebensmittelgegen-
ständen gleichzusetzen.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Was kompliziert klingt, heißt im Grunde: Spielen ist
für Kinder so essenziell wie Trinken und Essen. Daher
gebührt dieser Handlung ein ebenbürtiger Schutz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was hat es nun mit dem CE- und dem GS-Zeichen auf
sich? Beides sind Zeichen für die Produktsicherheit nach
geltenden Normen. Das GS-Zeichen an Spielzeug be-
deutet, dass eine vom deutschen Staat autorisierte Prüf-
stelle das Produkt Spielzeug nach geltenden Normen
überprüft hat. Die CE-Kennzeichnung wird von Herstel-
lern in Eigenverantwortung angebracht.






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Kucharczyk
Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung am Zei-
chen „Geprüfte Sicherheit“ festhält und sich dafür ein-
setzt, es europaweit zur Geltung zu bringen. Eine Ab-
schaffung dieses Zeichens würde nicht nur die
Spielzeugsicherheit verschlechtern. Solange keine effi-
zienten und nachhaltigen EU-Siegel existieren, müssen
die nationalen Bestand haben.

Unsere Forderung nach einer präventiven Prüfung al-
ler Spielzeuge durch unabhängige Dritte folgt dieser Lo-
gik und ist die Konsequenz. Dafür bitte ich um breite
Unterstützung.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615116700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8496 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7837 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Feder-
führung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den gleichen Mehrheitsverhält-
nissen, aber unter umgekehrtem Vorzeichen angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert
Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren – Pri-
vatisierungen aussetzen

– Drucksachen 16/3914, 16/5565 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernhard Brinkmann (SPD):
Rede ID: ID1615116800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der
Drucksache 16/5565 gibt es eine Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Privatisierungs-
folgen seriös bilanzieren – Privatisierungen aussetzen“.
Wenn man sich das Abstimmungsverhalten in den Aus-
schüssen anschaut, sowohl im federführenden Aus-
schuss als auch in den mitberatenden Ausschüssen, dann
ist die Lage völlig klar: Dieser Antrag ist abzulehnen.
Ich darf gleich am Beginn meiner Ausführungen zum
Ausdruck bringen, dass wir diesen Antrag ablehnen wer-
den. Ich will das auch begründen.

Man kann den Eindruck haben, als wäre das, was bis-
her privatisiert worden ist, nicht seriös bilanziert. Diesen
Eindruck muss ich aber mit aller Entschiedenheit zu-
rückweisen. Man sollte einmal einen Blick in die Bun-
deshaushaltsordnung werfen und noch einmal Revue
passieren lassen, was anschließend in Berichten zum
Ausdruck gebracht wird. In der Bundeshaushaltsord-
nung heißt es:

Bei Aufstellung und Ausführung des Haushalts-
plans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit zu beachten. Diese Grundsätze
verpflichten zur Prüfung, inwieweit staatliche Auf-
gaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirt-
schaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und
Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden
können.

Dies macht deutlich, dass der Antrag der Fraktion Die
Linke schon allein aus diesem Grund völlig verfehlt ist
und keine Zustimmung finden kann.

Privatisierungspolitik muss auch ein ordnungspoli-
tisch vorrangiges Ziel sein. Die Privatisierung muss kon-
sequent weitergeführt werden.

Ich will jetzt einmal auf die Durchsichtigkeit des An-
trags der Linken eingehen. Wir kennen die Größenord-
nung der Privatisierungserlöse aus den Jahren 2007 und
2008. Als Beispiel nehme ich einmal die 9,2 Milliarden
Euro aus dem Jahr 2007. Wenn diese nicht in die Kasse
des Bundes fließen, stellt sich die Frage, welche Mög-
lichkeiten es gibt, das auszugleichen. Es gibt nur zwei.

Eine Möglichkeit wäre, die Einnahmen zu erhöhen.


(Otto Fricke [FDP]: Wie die Koalition!)







(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dazu gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen.
Im Hinblick auf die Mehrwertsteuererhöhung gibt es
eine bestimmte Strategie der antragstellenden Fraktion.
Zum einen lehnt sie diese ab. Aber bei der Gegenfinan-
zierung von Ausgabewünschen wird zum Teil ein be-
stimmter Betrag der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer-
erhöhung ins Spiel gebracht. Das ist wenig seriös und
entspricht nicht einer soliden und nachvollziehbaren
Haushaltspolitik.

Die andere Möglichkeit wäre, in der gleichen Größen-
ordnung auf der Ausgabenseite einzuschneiden. Da wi-
dersprechen Sie, die Linken, sich mit den Anträgen, die
Sie allein zum Bundeshaushalt 2008 gestellt haben,
selbst. Sie fordern nämlich ein Bündel von Ausgaben-
steigerungen in einer Größenordnung von circa 150 Mil-
liarden Euro.


(Otto Fricke [FDP]: Das ist aber sehr freundlich geschätzt!)


Jährliche Mehrausgaben im Bundeshaushalt in Höhe von
150 Milliarden Euro bei einem Gesamtvolumen von
roundabout 280 Milliarden Euro würden bedeuten, dass
die Nettokreditaufnahme nicht bei rund 11 Milliarden
Euro, sondern bei 160 Milliarden Euro liegen würde. Al-
lein deshalb müssten weitere Ausgaben veranschlagt
werden, die sich aus einer exorbitant ansteigenden Zins-
belastung ergeben würden.

Wenn Sie einen solchen Antrag präsentieren, müssen
Sie auch Lösungsvorschläge unterbreiten. Ich bin ge-
spannt, was im Laufe der halbstündigen Debatte an Lö-
sungsvorschlägen vonseiten der Fraktion Die Linke un-
terbreitet werden wird.

Ich will auf einen weiteren Grund hinweisen, weshalb
wir Privatisierungserlöse benötigen. Ich will diesbezüg-
lich nicht missverstanden werden. Aber es gab bis zur
Wiedervereinigung unseres Vaterlandes eine staatliche
gelenkte Planwirtschaft, in der der Staat alles geregelt
hat und in der es keine Privatisierungen gab. Wohin das
geführt hat, ist deutlich geworden, als beim ersten ge-
meinsamen Haushalt die Eröffnungsbilanz aufgestellt
wurde. Es wird außerdem anhand der Sonderkosten der
deutschen Einheit deutlich, die unsere Volkswirtschaft
jedes Jahr durch ihre Leistung finanziert; man kann gar
nicht oft genug darauf hinweisen, dass wir darauf zu
Recht stolz sein können. Das sind im Schnitt zwischen
50 und 60 Milliarden Euro, woraus eine Zinsbelastung
resultiert, die aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht ge-
ringer sein könnte, wenn wir diese Sonderlasten nicht
tragen müssten. Ich füge hinzu: Wir tragen sie gern, und
wir sind die einzige Volkswirtschaft auf der Welt, die seit
der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes Sonderkos-
ten in dieser Größenordnung – sehr gerne – trägt.

Ich komme zum Schluss. Die Ausschussberatungen
zu diesem Tagesordnungspunkt haben zu einem klaren
Ergebnis geführt. Der Antrag wurde von allen Fraktio-
nen, bis auf die antragstellende Fraktion, abgelehnt. Ich
bitte Sie, heute entsprechend zu beschließen, weil die
Privatisierungsfolgen bisher seriös bilanziert worden
sind und in den nächsten Jahren weitere Privatisierungs-
erlöse für den Bundeshaushalt erzielt werden müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615116900

Das Wort hat nun Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1615117000

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Titel Ihres Antrags hört sich sehr schön an. Sie
fordern, die Privatisierungsfolgen zu bilanzieren. An
diesem Punkt kann Ihnen die FDP ohne Weiteres zustim-
men. Jede Bilanz, die zeigt, was Privatisierung gebracht
hat, ist eine gute Bilanz. Hier kann man ruhig mehr ins
Detail gehen. Damit habe ich kein Problem.

Ich bin mir sicher – das gilt auch für meine Fraktion –,
dass dann, wenn man eine solche Bilanz erstellen würde,
auch herauskommen würde, dass manches nicht gut ge-
laufen ist. Ich würde mir wünschen, dass auch Sie ein-
mal eine Bilanz der 40 Jahre DDR ziehen würden, und
zwar vollständig.


(Beifall bei der FDP)


Das tun Sie aber gerade nicht. Sie tun das, was Sie im-
mer tun, und behaupten: Alles, was privat ist, ist des
Teufels und schlecht. Sie finden auch immer ein Argu-
ment, warum jede Privatisierung letztlich doch schlecht
war.

Interessant ist der zweite Teil des Titels Ihres Antrags;
denn hier wird die Richtung, in die Sie wollen, schon
viel deutlicher. Dort heißt es: „Privatisierungen ausset-
zen“. Sie wollen die Privatisierungen aussetzen, bis die
geforderte Bilanz vorgelegt worden ist. Wenn es nach Ih-
nen ginge, sollte man kommunale Krankenhäuser nicht
mehr privatisieren, sondern sie lieber weiter Schulden
machen lassen und dafür sorgen, dass der Staat die Ver-
sorgung nicht mehr auf Dauer gewährleisten kann oder
aber sie in der Weise sicherstellt, in der dies früher in der
DDR geschehen ist: Man hat ein Krankenhaus, aber die
Qualität ist mies. Hauptsache ist, das Krankenhaus ist in
Staatshand. Was Sie wirklich wollen – das sagen auch
Ihre beiden großen Fraktionsvorsitzenden Lafontaine
und Gysi immer wieder –,


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Die sind doch eher klein!)


ist klar und deutlich: Sie wollen einen anderen Staat.

Ich habe mich gefragt: Wann ist eigentlich wieder ein-
mal ein Jubiläum? Ich habe herausgefunden: In diesem
Monat ist, wenn man die einzige sogenannte Volksab-
stimmung in der DDR von 1968 berücksichtigt, das 40-
jährige Jubiläum der Verfassung von 1968. Diese Verfas-
sung ist in verschiedenen Büchlein, die man in diesem
Lande übrigens nicht heimlich kaufen muss, sondern öf-
fentlich kaufen kann, nachzulesen. Ich möchte zitieren,
was in der Verfassung der Deutschen Demokratischen
Republik zum Thema Wirtschaft stand – das ist viel-
leicht auch für die Zuhörer interessant, damit sie erfah-






(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke
ren, was diese Partei, von der angeblichen sozialen Ge-
rechtigkeit einmal abgesehen, eigentlich will –:

Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Tal-
sperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer
des Festlandsockels, Industriebetriebe, Banken und
Versicherungseinrichtungen, die volkseigenen Gü-
ter, die Verkehrswege, die Transportmittel der Ei-
senbahn, der Seeschifffahrt sowie der Luftfahrt, die
Post- und Fernmeldeanlagen sind Volkseigentum.
Privateigentum daran ist unzulässig.

In Art. 14 Abs. 1 der DDR-Verfassung hieß es:

Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begrün-
dung wirtschaftlicher Macht sind nicht gestattet.

Darum geht es Ihnen. Sie wollen alle Macht beim
Staate. Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wir wol-
len die Macht, die notwendig ist, beim Staate, und die
übrige Macht bei den Bürgern. Darum geht es uns.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich bin gespannt, was geschehen wird, wenn meine
Fraktion demnächst einen Gesetzentwurf einbringt, der
eine Änderung des Grundgesetzes vorsieht; denn ich
weiß, dass auch die Fraktion Die Linke hier etwas plant.
Im Grundgesetz ist immer noch Art. 15 enthalten, der
Sozialisierungen ermöglicht. Dieser Artikel erlaubt dem
Staat, in enteignender Weise Einfluss auf die Industrie zu
nehmen. Ich bin gespannt, wie sich Union und SPD, aber
auch die Grünen an dieser Stelle verhalten werden. Ich
würde mich freuen, wenn wir diesen Artikel aus unserer
Verfassung streichen würden, ohne dabei allerdings den
Eigentumsartikel zu verändern.


(Widerspruch bei der LINKEN)


– Wie ich merke, sind Sie getroffen. Daran wird deut-
lich: Das ist die Richtung, in die Sie wollen.

Nun zur Frage: Wie sieht das eigentlich aus, wenn
sich der Staat an der Industrie beteiligt? Wir haben vor-
hin kurz über die IKB diskutiert. Wollen Sie eigentlich
auch keine Privatisierung der IKB? Wollen Sie, dass der
Staat die IKB behält? Wollen Sie, dass er Steuermittel in
Milliardenhöhe, die dann nicht mehr für Hartz-IV-Emp-
fänger, für gesetzlich Krankenversicherte oder für Rent-
ner zur Verfügung stehen, weiter in die IKB hineinbut-
tert?


(Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Nein, nein, in die andere Richtung!)


Das wollen Sie sicherlich nicht. An dieser Stelle passt es
Ihnen dann doch wieder nicht, wenn sich der Staat an
Privateigentum beteiligt. Genau daran wird deutlich:
Das, was Sie machen, ist Körnchenpicken. Sie wollen
nur eine vermeintliche Gerechtigkeit. Tatsächlich
kommt es aber immer nur darauf an, was Ihnen gerade
vor die Flinte kommt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich frage mich: Wenn Sie es wirklich ernst meinen
würden und eine so starke Fraktion und Partei wären,
wie Sie es immer vorgeben

(Lachen der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])


– ich weiß, dass das nicht der Fall ist; das ist auch okay –,
welches Ziel würden Sie dann eigentlich dort, wo Sie
Regierungsverantwortung übernommen haben, verfol-
gen? Sehen Sie sich einmal an, was Ihre Partei in Meck-
lenburg-Vorpommern oder in Berlin, wo Sie mit der SPD
an der Regierung sind, getan hat: Selbst im Wohnungs-
bereich haben Sie privatisiert.

Man kann also nur sagen: Ihr Antrag ist lächerlich. Es
geht Ihnen um einen anderen Staat, um einen Staat wie
den, der zum Glück untergegangen ist. Meine Fraktion,
meine Partei, die Leute, die mich gewählt haben, meine
Familie und ich wollen nicht in so einem Staat leben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615117100

Das Wort hat nun Jochen-Konrad Fromme, CDU/

CSU-Fraktion.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1615117200

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Mit dem Titel ihres Antrags – „Privatisierungsfol-
gen seriös bilanzieren“ – will die Linke unterstellen,
dass bisher unseriös privatisiert worden sei.


(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)


Das muss ich entschieden zurückweisen. – Mit Ihrem
Zuruf bestätigen Sie meinen Eindruck.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)


Weiter heißt es im Titel des Antrags der Linken: „Pri-
vatisierungen aussetzen“. Sie wollen keine Privatisierun-
gen, weil es Ihnen um Ideologie geht. Immer da, wo es
um Ideologie geht, sollte man das sagen, damit die Men-
schen das erkennen. Für meine Fraktion ist Privatisie-
rung keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der
Arbeitsteilung. Denn es stellt sich doch die Frage, was
zu den Aufgaben des Staates gehört und was nicht. In
der Beantwortung dieser Frage unterscheiden wir uns
fundamental:


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ja! Genau!)


Die Sozialisten meinen, der Staat könne alles besser, die
Gesellschaft wisse am besten, was für den Einzelnen gut
ist. Ihnen wäre es am liebsten, wenn die Leute ihren
Lohn zu 100 Prozent beim Finanzminister ablieferten
und Sie ihn dann verteilten.


(Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Ich hätte gern 50 Prozent der Gewinne!)


Das stößt bei uns auf völliges Unverständnis. Sie haben
aus der Geschichte offensichtlich nicht gelernt.


(Zurufe von der LINKEN)


– Zur deutschen Einheit komme ich noch. – Wie war es
denn unter dem Regime, als der Staat alles gemacht hat?
Der Staat ist zusammengebrochen, er hat sich ver-






(A) (C)



(B) (D)


Jochen-Konrad Fromme
schluckt, er kann sich eben nicht um alles kümmern. Es
ist besser, wenn der Einzelne eigenverantwortlich ent-
scheidet. Dann muss man dem Einzelnen aber die
Chance auf Eigentum, auf Erträge, auf Lohn lassen.

Damit für die Zuschauer deutlich wird, worüber wir
uns unterhalten: Fraport AG, Expo 2000, Duisburger Ha-
fen, Höhenklinik in Davos, Bergmannssiedlungsvermö-
gen, Gästehaus Petersberg – der Staat hat bzw. hatte, aus
welchen Gründen auch immer, viel Eigentum, das er ei-
gentlich nicht braucht.


(Zuruf von der LINKEN: Die Deutsche Bahn!)


Deshalb ist es selbstverständlich, dass man die Bewirt-
schaftung denen überlässt, die das besser können.

Sie haben eben die deutsche Einheit angesprochen.
Natürlich müssen wir viel Geld aufwenden.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Infolge der SED!)


Mit der Wiedervereinigung hat das aber nichts zu tun
– die war ein Federstrich im Grundgesetz; das hat nichts
gekostet –; das hat vielmehr damit etwas zu tun, dass wir
mit 40 Jahren Sozialismus aufräumen müssen.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Die Altlast der SED!)


Sie haben sich von Ihren Vorgängern, die einen Trüm-
merhaufen hinterlassen haben, nicht distanziert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieses Regime war menschenverachtend, es hat eine ka-
putte Umwelt und eine marode Wirtschaft hinterlassen.
Die Beseitigung dieser Hinterlassenschaften ist es, die so
viel Geld kostet. Ich sage es noch einmal: Es war nicht
die Wiedervereinigung, sondern es ist das Aufräumen
von 40 Jahren Sozialismus, das uns diese Kosten be-
schert. Und Sie scheinen aus der Geschichte nicht ge-
lernt zu haben.

Was könnten wir alles Gutes anfangen, wenn wir die
43 Milliarden Euro Zinsen, die mindestens zur Hälfte
auf die Beseitigung dieser Trümmer zurückgehen, nicht
aufwenden müssten!


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615117300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Bulling-Schröter von der Linksfraktion?


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1615117400

Aber gerne.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615117500

Sie haben über unsere Vergangenheit gesprochen. Ist

Ihnen bekannt, dass über die Hälfte der Mitglieder der
Fraktion Die Linke nicht in der DDR, sondern in den al-
ten Bundesländern geboren ist?


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Die hätten sich eine anständige Partei aussuchen sollen! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Die DKP wurde von der DDR unterstützt!)


Ich zum Beispiel komme aus Bayern, aus einem Land, in
dem die Bayerische Landesbank gerade 1,9 Milliarden
Euro mit Immobilienfonds verzockt hat.


(Otto Fricke [FDP]: Eben: Hätte sich der Staat besser nicht daran beteiligt! Man sollte privatisieren!)


Jetzt könnten Sie sagen: Das ist sozialistische Planwirt-
schaft. Aber ich glaube, die Kollegen der CSU würden
heftig widersprechen.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1615117600

Frau Kollegin, ich bin Ihnen sehr dankbar für die

Zwischenfrage. Sie geben mir nämlich Gelegenheit, auf
Ihr Verhalten aufmerksam zu machen.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: In Bayern?)


In Niedersachsen und Hamburg haben kürzlich Land-
tagswahlen stattgefunden. Mir ist eine Fernsehreportage
erinnerlich, in der aus dem Wahlkampf berichtet wurde.

Ich beantworte gerade Ihre Zwischenfrage. Bleiben
Sie bitte so lange stehen. Es geht nämlich zulasten mei-
ner Redezeit, wenn Sie sich setzen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein, er beantwortet die Frage nicht!)


– Ich beantworte die Frage nach dem Verhalten der Lin-
ken.

Sie haben DKP-Mitglieder in Ihre Listen aufgenom-
men, weil Sie verhindern wollten, dass sich die Stimmen
für die Linken teilen. Als man Ihnen auf die Schliche ge-
kommen ist, haben Sie die betreffende Dame in Nieder-
sachsen schnell aus der Fraktion geworfen. Sie führen
die Menschen hinters Licht. Weil Sie sich so verhalten,
sind Sie mit diesen in einen Topf zu werfen, auch wenn
Sie nicht alle in der DDR geboren sind. Man muss nicht
in der DDR geboren sein, um dieses Gedankengut zu ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei bleibe ich, solange Sie sich nicht von DKP-Ange-
hörigen distanzieren.

Sie haben kein Programm veröffentlicht, damit man
nicht dahinter kommt, dass Sie nach wie vor dieses Ge-
dankengut pflegen. Machen Sie doch den Menschen
nichts vor!

Warum sind Privatisierungen notwendig? Ich nenne
das Beispiel Telekom.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Als die Telekom ein Staatsbetrieb war, gab es noch das
Dampftelefon in Schwarz mit Bakelit


(Zuruf von der FDP: Mit Wählscheibe!)


und als Sonderausführung in Weiß. Man musste jede An-
schlussdose extra beantragen. In der heutigen Zeit der






(A) (C)



(B) (D)


Jochen-Konrad Fromme
IT-Kommunikation, in der es täglich neue Geräte gibt,
ist das nicht mehr vorstellbar.


(Otto Fricke [FDP]: Im Sozialismus gab es nicht mal ein einziges Gerät!)


Weil wir die Telekom privatisiert und den Prozess dem
Markt übergeben haben, haben wir heute eine moderne
IT-Wirtschaft.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Staat nicht
alles machen kann, sondern dass man es demjenigen
überlassen sollte, der es am besten kann. Das ist mal der
Staat mit seinen hoheitlichen Aufgaben und mal die
Wirtschaft.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615117700

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage

des Kollegen Schui?


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1615117800

Gerne.


(Zuruf von der LINKEN: Aber jetzt bitte beantworten!)


– Das müssen Sie schon mir überlassen. Es ist Ihr Ri-
siko, wenn Sie meine Antwort nicht ertragen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615117900

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der technische

Fortschritt in den staatlichen Telefongesellschaften
ebenso rasch erfolgt ist wie bei der privatisierten Deut-
schen Telekom?


(Otto Fricke [FDP]: Das haben wir bis 1989 in der DDR gesehen! – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Die Anschlussdaten in der DDR waren beeindruckend!)


Offensichtlich hat der technische Fortschritt nichts mit
den Eigentumsverhältnissen zu tun.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1615118000

Herr Kollege, ich darf Sie daran erinnern, dass nach

der Wiedervereinigung 1990 in Erfurt immer noch die
Telefonvermittlungsanlage aus den 20er-Jahren in Be-
trieb war,


(Iris Gleicke [SPD]: Die sind allerdings auch in Berlin erst 1990 ausgebaut worden!)


während man in der Bundesrepublik schon drei Technik-
generationen weiter war. Ich erinnere mich durchaus
noch an die Zeiten der staatlichen Telekom, als vieles
nicht möglich war. In Amerika gab es in jedem Zimmer
ein Telefon; bei uns musste man 4 000 oder 5 000 Euro
für eine Telefonvermittlungsanlage aufwenden, die in
dieser Form gar nicht nötig war. Der rasante technische
Fortschritt hat erst eingesetzt, seit die Telekom am Markt
agiert.


(Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Bei France Télécom?)

Sie stellen einseitig den Arbeitsplatzabbau nach Pri-
vatisierungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es ist
zwar bitter, wenn Arbeitsplätze wegfallen, aber es ist
eine völlig normale Entwicklung, dass sich Altes über-
lebt und durch Neues ersetzt werden muss. Insofern ist
jeder Strukturwandel mit einem Abbau verbunden. Ent-
scheidend ist, dass die Politik Impulse gibt, damit in grö-
ßerem Umfang Neues entsteht.

Man wird aber keinen volkswirtschaftlichen Fort-
schritt erreichen, wenn man sich an etwas festklammert.
Dann gerät man gegenüber anderen Volkswirtschaften
ins Hintertreffen. Das schadet letzten Endes allen. Denn
nur eine leistungsfähige Volkswirtschaft kann die not-
wendigen Mittel auch für Problemgruppen aufbringen.
Insofern sollten Sie viel stärker berücksichtigen, wer
was besser kann. Das ist effektiv und kommt den Men-
schen zugute.

Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu der Tatsa-
che, dass Sie es ablehnen, mit der SED gleichgesetzt zu
werden. Immerhin haben Sie Markus Wolf als Ehrenmit-
glied in Ihre Partei aufgenommen. Sie haben alle frühe-
ren DDR-Größen als Ehrenmitglied aufgenommen.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Gysi war auch SED-Vorsitzender!)


Das ist doch Ausdruck von Identität. Denn wenn man et-
was anderes will, stellt man doch nicht das in den Fokus,
was man ablehnt.

Sie wollen den Menschen mit Ihrem Antrag etwas
völlig anderes vorspiegeln, als Sie in Wahrheit wollen.
Sie wollen einen anderen Anschein erwecken. Sagen Sie
doch den Menschen, dass Sie für eine Staatswirtschaft
und für die Abschaffung des Eigentums sind! Das tun
Sie aber nicht, weil Sie wissen, dass die Menschen Sie
dann nicht wählen werden. Weil Ihr Antrag eine ganz an-
dere Politik verrät als das, was Sie den Menschen zeigen,
werden wir ihn ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615118100

Das Wort hat nun Herbert Schui für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615118200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte

große Lust, all diese Reden zu kommentieren.


(Otto Fricke [FDP]: Bitte!)


– Nein, ich habe meinen eigenen Text. Ich kann mir doch
die Stichworte nicht von Ihnen geben lassen. Kann man
Art. 15 GG überhaupt ändern?


(Otto Fricke [FDP]: Ja! Schade, nicht wahr?)


– In Ordnung, wir werden das später sehen.

Meine Damen und Herren von der SPD, die gegen-
wärtigen Probleme bei den öffentlichen Finanzen lassen
sich nicht durch Privatisierung lösen; denn irgendwann
gibt es nichts mehr zu privatisieren. Man muss an die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herbert Schui
Steuergesetzgebung heran. Ich darf daran erinnern, dass
1960 der effektive Steuersatz auf das Haushaltseinkom-
men aus Unternehmertätigkeit und Vermögen bei
20 Prozent lag. Hätten wir jetzt 20 Prozent, hätten wir
70 Milliarden steuerliche Mehreinnahmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben
völlig recht: Es geht darum, wie viel Staat wir tatsäch-
lich brauchen. Wir sind der Meinung, dass wir ein ge-
mischtwirtschaftliches System brauchen. Die entschei-
dende Frage ist, wie viel Staat genau wir nun brauchen.
Der öffentliche Sektor, das öffentliche Unternehmen, ist
ein Instrument der Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer privatisiert, gibt Macht aus der Hand, verkauft sein
Werkzeug. Das kann man auch folgendermaßen ausdrü-
cken: Privatisierung „schwächt die Demokratie, weil sie
der öffentlichen Hand unverzichtbare Gestaltungsmög-
lichkeiten für das Gemeinwohl entzieht“. Das stammt
aus dem Regierungsprogramm der SPD in Hessen.


(Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Welche Regierung? – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Eine Möchtegernregierung!)


Was hat Privatisierung bislang gebracht? Wir fordern
in unserem Antrag, die Erfahrungen zu bilanzieren, die
man über einen langen Zeitraum damit gemacht hat. Bei-
spiel Post: Von 1997 bis 2007 hat die Post die Zahl ihrer
Annahmestellen von 15 300 auf 12 600 verringert. Nicht
zuletzt deswegen – es gibt auch andere Gründe; manches
hat seine Ursache auch in der technologischen Entwick-
lung – ist die Beschäftigung gesunken. Es gibt nun
130 000 Arbeitsplätze weniger. Die Dividende ist dage-
gen von 2000 bis 2007 von 300 Millionen Euro auf rund
1 Milliarde Euro angestiegen. Ebenfalls angestiegen ist
die Vergütung für Zumwinkel.


(Otto Fricke [FDP]: Das war der, der den Mindestlohn wollte wie Sie!)


– Er wollte auch eine Höchststeuer; das war sein Pro-
blem. Deswegen ist er jetzt ein medienwirksamer Schau-
steller bei der Inszenierung sozialer Gerechtigkeit durch
die Koalition.


(Beifall bei der LINKEN)


Seine Bezüge sind von 1,7 Millionen Euro im Jahre
2003 auf 4,24 Millionen Euro im Jahre 2007 gestiegen.


(Zuruf von der FDP: Da hat die Gewerkschaft mitgestimmt!)


– Stimmt, Zumwinkel war in der richtigen Gewerk-
schaft. Deswegen hat das geklappt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist paritätische Mitbestimmung!)


Gestiegen sind auch die Preise für Postdienstleistun-
gen. Was macht das Unternehmen mit den Gewinnen,
die im Unternehmen verbleiben? 2003 kauft Zumwinkel
für 1 Milliarde Euro den US-Expressdienst Airborne.
Diese Beteiligung bringt bis heute keinen Gewinn.
Morgan Stanley beziffert den Verlust, der seit 2003 auf-
gelaufen ist, auf 7 Milliarden Euro. Weiter: Für
5,5 Milliarden Euro kauft die Post das britische Logistik-
unternehmen Exel, um sich, wie es heißt, endgültig die
Spitzenposition unter den internationalen Logistikkon-
zernen zu sichern. Die entscheidenden Fragen lauten:
Wer trägt die Verluste? Wer finanziert die Übernahmen?
Wozu eigentlich ist die Post da? Muss sie eine internatio-
nale Spitzenposition haben, oder reicht es aus, wenn sie
zuverlässig und preisgünstig Postgut befördert?


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, auf die Zustimmung der SPD können wir
mit unserem Antrag rechnen, was den zweiten Halbsatz
seines Titels „Privatisierungen aussetzen“ angeht; denn
mittlerweile hieß es auf dem Parteitag der SPD in Ham-
burg zum Thema Bahnprivatisierung:

Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die
Unternehmenspolitik ausüben.


(Zuruf des Abg. Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD])


In ihrem Regierungsprogramm für Hamburg schreibt die
SPD, Herr Brinkmann:

Wir werden mit den Privatisierungen Schluss ma-
chen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Regierungsprogramm der SPD für Hessen heißt es:

… Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen liegt
weder im Interesse der Allgemeinheit noch im lang-
fristigen Interesse der Kommunen. … Sie wird
teuer … und schwächt die Demokratie.


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts dieser Zitate: Schluss mit den Wortbrü-
chen, meine Damen und Herren!


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615118300

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede

kommen.


Dr. Herbert Schui (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615118400

Danke. – Das sind die Einsichten von 84 Prozent der

Bevölkerung: Schluss mit der Privatisierung. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit des Bundestages
die Auffassung von 16 Prozent der Bevölkerung, die für
weitere Privatisierungen sind, gutheißen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ihr Problem ist, dass Sie sich zu wenig vorstellen können!)


– Nein, Sie haben Probleme, ich habe keine.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615118500

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem

Kollegen Otto Fricke.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Otto, sag jetzt nichts Falsches!)







(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1615118600

Herr Kollege Schui, während ich, als ich aus der Ver-

fassung der Deutschen Demokratischen Republik vorge-
lesen habe, einiges Nicken bei Ihnen und Ihrer Fraktion
festgestellt habe, haben Sie eine Nachfrage zu der für
uns alle jetzt geltenden Verfassung, dem Grundgesetz,
gestellt. Ich möchte Sie schlicht darauf hinweisen, dass
der Art. 15 änderbar ist, da in Art. 79 Abs. 3 unseres
Grundgesetzes steht:

Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche
die Gliederung des Bundes in Länder, die grund-
sätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge-
bung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergeleg-
ten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Nicht 1 bis 20, wie Sie wahrscheinlich vermutet haben,
sondern 1 und 20!


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615118700

Wollen Sie darauf reagieren, Kollege Schui? – Er

winkt ab. Dann erteile ich Kollegen Alexander Bonde,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Der hätte sich wenigstens bedanken können!)



Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615118800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

hoffe, der Kollege Fricke gibt die Nebeneinkünfte aus
Rechtsberatung der Linksfraktion ordnungsgemäß beim
Bundestagspräsidium an.


(Otto Fricke [FDP]: Das ist karitativ!)


Nach dieser Debatte müssen wir sagen, dass ein Bei-
trag zu einer differenzierten Bewertung von Privatisie-
rung und Outsourcing sowie von öffentlich-privater
Partnerschaft hier nicht stattgefunden hat. Vielmehr ha-
ben wir wieder einen ideologischen Kampf erlebt, bei
dem man sich nicht die Mühe macht, die notwendigen
Differenzierungen vorzunehmen und zu fragen, was wir
heute an hoheitlichen Aufgaben brauchen, die der Staat
ausübt, und was private Akteure und die Gesellschaft
besser als der Staat organisieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])


Sie haben hier auf eine eher an den Haaren herbeige-
zogene Berichtsbitte verwiesen und eine Aussetzung
jeglicher Form dieser Projekte verlangt. Wenn ich mir
den Beteiligungsbericht der Bundesregierung anschaue,
dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie ernsthaft der
Auffassung sind, dass all das, was heute der Staat macht
– das geht bis hin zum bereits genannten Duisburger Ha-
fen –, auch von Ihrer Fraktion ernsthaft als dringende
Staatsaufgabe angesehen wird. Ich mache es einmal an
einem platten Bild deutlich: Ich halte es für richtig, dass
der Bundestag nicht selber kocht, sondern dass in unse-
rer Kantine Menschen von Firmen stehen, die davon et-
was verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Na ja!)

Diesen Anspruch muss man an staatliches Handeln ins-
gesamt stellen.

Sie zeichnen ein Schwarz-Weiß-Bild von Privatisie-
rungen und stellen sich nicht den notwendigen Differen-
zierungen. Spannend wird es, wenn man das, was Sie
hier an gravierenden Auswirkungen für Arbeitsplätze
und an glorreichen Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter
öffentlicher Betriebe schildern, mit der Realität Berlins
vergleicht. So manche Töne, die ich jetzt im Zusammen-
hang mit dem BVG-Streik höre, passen nicht zu der Be-
schreibung der segensreichen Wirkungen der öffentli-
chen Hand, die Sie hier gepredigt haben, Herr Professor
Schui.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)


Ich finde, wir müssen wieder eine ernsthafte Diskus-
sion darüber führen, in welchem ordnungspolitischen
Rahmen der Staat aktiv sein muss


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


und wann wir Überlegungen zur Privatisierung deshalb
entgegentreten müssen. Die Bahnprivatisierung ist of-
fenkundig eine Privatisierung, der kein solches ord-
nungspolitisches Konzept zugrunde liegt. Hier plant die
Bundesregierung die Verschleuderung von Staatsvermö-
gen, und die Bevölkerung hat wenig davon; sie wird
vielmehr am Ende die Zeche zahlen. Aber Sie verschlie-
ßen sich in Ihrem Antrag einer derartigen differenzierten
Betrachtung, wann eine Privatisierung sinnvoll ist und
wann nicht. Insofern schwächen Sie eher die Position
derjenigen, die kritisch hinterfragen, an welcher Stelle
Private und an welcher Stelle der Staat Aufgaben über-
nehmen sollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie machen das bewusst; denn Sie kommen immer zu
dem Ergebnis, dass der Staat der Akteur ist, der die Pro-
bleme lösen kann. Ich glaube, Sie liegen da schief. Das
werden wir wahrscheinlich nicht mehr mit Ihnen klären
können. Sie haben noch einen harten Lernprozess vor
sich, bevor Sie ähnliche Regierungsprogramme schrei-
ben wie die, aus denen Sie gerade zitiert haben.

Sie lenken mit Ihrem Antrag allerdings von einem
weiteren Problem ab, über das wir im Zusammenhang
mit der Privatisierung sprechen müssen. Eigentlich
müssten wir darüber diskutieren, ob die Bundesregie-
rung eine klare Leitlinie beim Umgang mit der Privati-
sierung hat. Die hat sie nicht. Sie hat sie weder bei der
Bahnprivatisierung noch bei der Frage, was eigentlich
die zentralen Aufgaben staatlichen Handelns sind. Sie
benutzt Privatisierung vielmehr als Tarnkappe, sie ka-
schiert mit den Privatisierungserlösen den Sachverhalt,
dass sie auch in guten Zeiten die strukturellen Defizite
des Haushalts trotz Rekordeinnahmen bei den Steuern
vergrößert. Die Privatisierungserlöse betrugen 2007
4,5 Milliarden Euro, und trotzdem betrug das struktu-
relle Defizit 18,8 Milliarden Euro. Im Jahr 2008 werden
die Privatisierungserlöse bei 10,7 Milliarden Euro lie-
gen, aber trotzdem wächst das strukturelle Defizit um






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Bonde
weitere 4 Milliarden Euro an. Darüber müssten wir ei-
gentlich mit der Bundesregierung streiten. Ich bedaure,
dass Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
von der Linksfraktion, dazu keinen Beitrag geleistet hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615118900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren – Pri-
vatisierungen aussetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5565, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3914
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke, im Übrigen mit den Stimmen des Hauses an-
genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung der Verordnung (EG)

Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz)


– Drucksache 16/8307 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 16/8523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Heinz Schmitt (Landau)

Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/8521 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Andreas Weigel
Ulrike Flach
Michael Leutert
Anna Lührmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Heinz Schmitt, SPD-Fraktion, das Wort.


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1615119000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vor 15 Monaten hat die Europäische Union
eine grundlegende Neuordnung des Chemikalienrechts
auf den Weg gebracht. REACH heißt die Verordnung,
die im Juni 2007 in Kraft getreten ist. REACH gilt für
alle Mitgliedsländer der EU und ist nun Zug um Zug
umzusetzen. Das Kürzel steht für Registrierung, Bewer-
tung und Zulassung von Chemikalien, die in Europa her-
gestellt oder dorthin importiert werden. Die Anforderun-
gen an die Information über diese chemischen Stoffe
werden umso größer, je höher das Produktionsvolumen
der jeweiligen Chemikalie ist. Je höher das Risiko, das
bei einem Stoff erwartet wird, umso größer ist auch der
Aufwand für Tests und für eine Bewertung.

Besonders risikoreiche Stoffe müssen nun zugelassen
werden, auch wenn sie schon lange in Verkehr sind. Mit
diesem Ansatz erreichen wir einen komplett neuen Um-
gang mit Chemikalien. Der Umgang wird sicherer und
transparenter. Wir erhalten mehr Klarheit über die Risi-
ken, die von den einzelnen Chemikalien ausgehen kön-
nen. Auch in Deutschland wird der Schutz umfassender,
da künftig nicht nur neu entwickelte Chemikalien unter
die Verordnung fallen. Auch die sogenannten Altstoffe,
die bereits seit Jahren am Markt gehandelt werden, wer-
den nun von den neuen Regeln erfasst. Das ist ein ganz
wichtiger Unterschied zur heute geltenden Praxis; ge-
genwärtig werden nur neue Stoffe einer vergleichbar
strengen Prüfung unterzogen. Damit wird der Schutz der
menschlichen Gesundheit und der Umwelt deutlich ver-
bessert.

Der 1. Juni 2008 ist also ein wichtiger Stichtag bei der
Umsetzung der neuen Verordnung. An diesem Tag star-
tet der zentrale Mechanismus von REACH. Dann be-
ginnt die Registrierung, Bewertung und Zulassung in der
Praxis. Die Unternehmen müssen nach einem vorgeleg-
ten Zeitplan alle Chemikalien anmelden, die in den Re-
gelungsbereich von REACH fallen. In den Monaten seit
Inkrafttreten der Verordnung – wir haben hier schon
mehrfach darüber diskutiert – gab es noch viel Aufklä-
rungsbedarf in einzelnen Branchen und bei einzelnen
Unternehmen. In diesem Implementierungsprozess konn-
ten viele Fragen geklärt werden; es konnten auch Be-
fürchtungen ausgeräumt werden. Mit Blick auf einige
beteiligte Unternehmen und auf deren im Vorfeld geäu-
ßerte Horrorszenarien kann man sogar sagen – ich sage
das gerne –: Aus Konfrontation ist Kooperation gewor-
den.

Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten – den zu-
ständigen Abteilungen und Referaten, den Stellen im
Bundesumweltministerium und den zuständigen Bun-
desbehörden – meinen Dank für die Zusammenarbeit in
den zurückliegenden Jahren aussprechen.


(Beifall bei der SPD)


Die zuständigen Fachleute haben sich vorbildlich und
nachhaltig für ein Gelingen von REACH eingesetzt. Un-
ternehmen, die sich mit spezifischen Problemen an das
Ministerium gewandt haben, haben dort geduldige und
konstruktive Unterstützung erfahren. Dies hat dazu bei-
getragen, dass mittlerweile die Akzeptanz von REACH
bei den zunächst eher skeptisch eingestellten kleineren
und mittleren Unternehmen eindeutig gestiegen ist. Das
ist Grund genug, allen zu danken.






(A) (C)



(B) (D)


Heinz Schmitt (Landau)

Der Hintergrund der heutigen Debatte ist das REACH-
Anpassungsgesetz. Zwar ist REACH bereits geltendes
europäisches Recht; trotzdem müssen auch wir in
Deutschland das bisherige Chemikalienrecht an die
neuen Bestimmungen anpassen. Zum Beispiel müssen
etliche Vorschriften aus dem Chemikaliengesetz gestri-
chen werden, die aufgrund von REACH überflüssig und
überholt sind.

Außerdem muss geregelt werden, welche Stellen die
neuen Aufgaben und Anforderungen gemäß der REACH-
Verordnung übernehmen. Mit dem Umweltbundesamt,
dem Bundesinstitut für Risikobewertung sowie der Bun-
desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin werden
die gleichen deutschen Stellen mit der Chemikalien-
sicherheit betraut sein wie heute. Künftig kommt eine
Bundesstelle für Chemikalien hinzu. Diese ist für die
Bewertung gemäß der Verordnung zuständig. Sie wirkt
an der Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe mit.
Sie wird die Auskunftsstelle des Bundes für Fragen zu
REACH sein. UBA, BfR, BAuA und die Bundesstelle
für Chemikalien werden der Europäischen Chemikalien-
agentur in Helsinki zuarbeiten und damit einen europa-
weit einheitlichen Umgang mit Chemikalien sicherstel-
len.

Natürlich müssen wir bei all den neuen Aufgaben, die
auf die zuständigen Behörden zukommen, auch dafür
sorgen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ausrei-
chender Zahl zur Verfügung stehen. Der zusätzliche Per-
sonalbedarf wird auf ungefähr 117 Stellen im gehobenen
und höheren Dienst geschätzt.

Schließlich wird dafür gesorgt, dass die Verordnun-
gen eingehalten werden: Abweichungen von den neuen
Rechtsnormen werden mit Strafen und Bußgeldern be-
legt. Das sollte aber die Ausnahme sein. Mit Strafen al-
lein – das wissen wir aus vielen Bereichen – kann man
eine Einhaltung nicht erreichen. Wir setzen vor allem auf
die Bewusstseinsbildung; die Strafen sollten das aller-
letzte Mittel sein. Dennoch können drastische Bußgelder
verhängt werden, wenn gegen Abgabevorschriften der
neuen Verordnung verstoßen wird. Das Bußgeld kann
bis zu 200 000 Euro betragen; so sieht es auch der Ände-
rungsantrag der Koalitionsfraktionen zum REACH-An-
passungsgesetz vor. Wer extrem gegen REACH verstößt,
muss gar mit einer Freiheitsstrafe rechnen: Es drohen bis
zu 5 Jahre Freiheitsstrafe, wenn durch einen Verstoß das
Leben oder die Gesundheit eines anderen oder fremde
Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden.

Mit den Neuregelungen soll auch ein Beitrag zur Be-
kämpfung von Gefahren durch den Terrorismus geleistet
werden. Sie alle werden sich sicherlich noch an die Ver-
haftung von drei jungen Männern im September letzten
Jahres erinnern, die unter Verdacht stehen, Terror-
anschläge geplant zu haben. Sie hatten zwölf Fässer mit
750 Kilogramm Chemikalien beschafft, aus denen man
Sprengstoff hätte herstellen können. Die neuen Vor-
schriften sollen also den Zugang zu Chemikalien, aus
denen Gifte oder Sprengstoffe hergestellt werden kön-
nen, erschweren. Auch die Händler werden in die Pflicht
genommen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um eine
unerlaubte Verwendung zu verhindern.
In wenigen Wochen wird die systematische Erfassung
von mehr als 30 000 Chemikalien, die jetzt schon auf
dem Markt sind, beginnen. Wir werden in wenigen Jah-
ren mehr Informationen über die Eigenschaften und Ri-
siken der chemischen Stoffe haben, die bei uns gehandelt
oder verwendet werden.

Nicht nur auf europäischer Ebene – REACH gilt für
den europäischen Markt –, sondern auch auf internationa-
ler Ebene wird daran gearbeitet, bis zum Jahre 2020 einen
sicheren Schutz im Umgang mit Chemikalien zu errei-
chen. Dies wurde auf dem Umweltgipfel im Jahre 2002 in
Johannesburg beschlossen. Auf internationaler Ebene be-
trachten viele die Umsetzung von REACH als mögliches
Vorbild für einen weltweiten Umgang mit Chemikalien.

Ich weiß, dass viele kritisieren – das werden wir si-
cherlich in den Folgereden noch hören –, es seien bei der
Umsetzung zu viele Kompromisse eingegangen worden;
ich kenne diese Debatte aus dem Ausschuss. Ich möchte
aber darauf hinweisen, dass es ein Kompromiss zwi-
schen Parlament und Rat war, der auf den letzten Metern
noch hätte scheitern können. Ich denke, dass der gefun-
dene Kompromiss ein guter Kompromiss ist. Er trägt
beiden Seiten Rechnung, der Wirtschaft und den Anwen-
dern, aber in besonderem Maße natürlich auch den Ver-
brauchern und dem Umweltschutz. Es wurde vieles auf-
genommen, und dies bringt eindeutige Verbesserungen
im Umgang mit Chemikalien mit sich.

Eigentlich ist der heutige Tag ein guter Tag, und ich
freue mich sehr, dass wir in den letzten zwei bis drei Jah-
ren – anfangs gegensätzlich, aber dann immer mehr ge-
meinsam – zusammengearbeitet, viele Anforderungen
und Einwände beachtet, eine gute Lösung gefunden und
am Schluss zu REACH ein gutes Gesetz gemacht haben.

Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615119100

Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Jetzt kommt zum guten Tag noch eine gute Rede!)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1615119200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der

im Jahr 2006 beschlossenen REACH-Verordnung ist
ein entscheidender Schritt für eine europaweite Chemi-
kalienpolitik gemacht worden. Die FDP-Fraktion hat
das Anliegen von REACH immer unterstützt, nämlich
eine europäische Chemikalienpolitik zu schaffen, die
Umwelt und Gesundheit effektiv schützt.

Leider ist REACH nicht in dem Maße unbürokratisch
und mittelstandsfreundlich ausgestaltet worden, wie wir
uns das gewünscht hätten.


(Beifall bei der FDP)


REACH ist eine enorme Herausforderung für die che-
mische Industrie, aber auch für die nachgelagerten Wirt-
schaftszweige. Die Vorgaben zur Registrierung, Risiko-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
bewertung und Kommunikation in der Produktkette sind
sehr komplex. 100 Seiten Verordnung und über
3 000 Seiten Leitlinien machen die Umsetzung von
REACH zu einer Herkulesaufgabe für kleine und mitt-
lere Unternehmen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass
die nationalen Vorschriften die Betroffenen nicht noch
weiter belasten, sondern möglichst entlasten.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU])


Der vorliegende Entwurf eines REACH-Anpassungs-
gesetzes steht nach unserer Ansicht in grundsätzlichem
Einklang mit den Vorgaben der REACH-Verordnung. Das
Anpassungsgesetz ist auch notwendig, um die deutsche
Rechtslage in diesem Bereich anzupassen. Allerdings be-
stehen bei einigen Vorschriften begründete Zweifel, ob es
tatsächlich eine Eins-zu-eins-Anpassung ist. Diese Zwei-
fel konnten auch durch die Änderungsanträge der Koali-
tion nicht ausgeräumt werden.


(Beifall bei der FDP)


Die konkrete Ausgestaltung der nationalen Auskunfts-
stelle muss sich in der Praxis erst noch bewähren. Nach
dem Gesetzentwurf soll diese Funktion von der Bun-
desstelle für Chemikalien übernommen werden. Sie soll
Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender be-
raten. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass Wege gefunden
werden, um bei der Ausgestaltung der Auskunftsstelle Er-
fahrungen und Kompetenzen sowohl der Unternehmen
als auch der Behörden gleichermaßen einzubeziehen;
denn die Hilfe für Unternehmen bei der Umsetzung von
REACH kann die Auskunftsstelle nur leisten, wenn sie
über ausreichenden Praxisbezug verfügt.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Aus Sicht der FDP-Fraktion – das sage ich ganz deut-
lich – ist die Durchführung dieses Gesetzgebungsverfah-
rens allerdings zu kritisieren. Die Koalitionsfraktionen
haben am Montag zahlreiche Vorschläge eingebracht,
die umfangreiche Änderungen und Verschärfungen bei
Strafvorschriften und Ordnungswidrigkeiten vorsehen.
Diese haben zunächst einmal nichts mit REACH zu tun.
Tatsächlich ist die Strafzumessung für die unterschiedli-
chen und zum Teil neuen Strafvorschriften für das Parla-
ment in so kurzer Zeit nicht wirklich zu überblicken.
Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Höhe der
Strafzumessung in einem sinnvollen Verhältnis zu ande-
ren Vorschriften und Strafhöhen des Strafrechts steht.
Mal eben im Ausschuss auf Initiative des BMI Strafvor-
schriften zur Terrorismusabwehr vorzulegen, ist aus un-
serer Sicht mehr als fraglich.


(Beifall bei der FDP)


Wenn der Innenminister Vorschriften im Chemikalienge-
setz ändern will, weil er meint, dies sei zur Terrorabwehr
sinnvoll, dann sollte er das in einem transparenten Ge-
setzgebungsverfahren zur Terrorabwehr tun und nicht
mal eben in der Umweltgesetzgebung zur Chemikalien-
verordnung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt bewerten wir diesen Gesetzentwurf als not-
wendig. Wir werden uns aber aufgrund der genannten
Kritikpunkte insbesondere hinsichtlich der strafrechtli-
chen Vorschriften bei der Abstimmung enthalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615119300

Das Wort hat nun Ingbert Liebing, CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1615119400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Europäische Chemikalienverord-
nung REACH war eines der größten Gesetzgebungs-
vorhaben der EU in den vergangenen Jahren und
schwierig genug zu einer gemeinsamen Lösung zu
bringen. Dies ist aber vor zwei Jahren gelungen, nicht
zuletzt dank des Einsatzes unserer Bundeskanzlerin
Angela Merkel mit ihrem politischen Gewicht in Eu-
ropa.


(Beifall bei der CDU/CSU)


REACH ist abgeschlossen. Jetzt geht es um die Anpas-
sung des deutschen Chemikalienrechts an die Vorgaben
der REACH-Verordnung. Einer Umsetzung von REACH
in deutsches Recht bedarf es nicht, da REACH als Verord-
nung unmittelbar wirkt. Jetzt geht es um die Anpassung
unseres nationalen Rechts. Dafür liegt mit dem REACH-
Anpassungsgesetz ein guter Entwurf vor, den wir heute
beschließen sollten.

Es geht im Wesentlichen um die Schaffung von Rege-
lungen, die bestimmen, welche Behörden für welche
nach der REACH-Verordnung zugewiesenen Aufgaben
zuständig sein sollen und wie der Informationsaustausch
zwischen den Behörden geregelt werden soll. Ferner
geht es um die Frage, welche Straf- und Bußgeldbeweh-
rungen im Falle von Verstößen gegen REACH fällig
werden, und es geht um die Aufhebung überflüssiger
Vorschriften des deutschen Chemikalienrechts.

Bei der Ausgestaltung dieser Regelungen müssen wir
zuallererst dafür sorgen, dass die Umsetzung von REACH
in der Praxis so schlank wie möglich erfolgt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


REACH muss in Deutschland für unsere Unternehmen
so praktikabel wie möglich umgesetzt werden, und bei
der Umsetzung von REACH muss der Aufwand für den
reinen Verwaltungsvollzug so gering wie möglich gehal-
ten werden. Wir dürfen in unserem eigenen Verantwor-
tungsbereich keine neuen und zusätzlichen Belastungen
für die Unternehmen, die REACH umzusetzen haben,
schaffen. Das allein ist schon schwer genug. Dieser Ziel-
setzung ist die Bundesregierung bei der Erarbeitung des
REACH-Anpassungsgesetzes gefolgt, und sie hat einen
gelungenen Entwurf vorgelegt.

Der Gesetzentwurf garantiert, dass die Kernbereiche
der REACH-Verordnung, die zum 1. Juni dieses Jahres






(A) (C)



(B) (D)


Ingbert Liebing
in Kraft treten, in Deutschland in der Praxis umgesetzt
werden können. Bestimmte Punkte können und müssen
vorläufig noch offen bleiben. Dies gilt für die Punkte,
bei denen REACH erst später greift. Vonseiten der Län-
der wurde vereinzelt kritisiert, dass der vorliegende Ent-
wurf nicht dazu dient, REACH gleich vollständig umzu-
setzen. Gerade mit Blick auf diese Kritik sage ich
ausdrücklich: Für uns ist das REACH-Anpassungsgesetz
nur ein notwendiger, aber bedeutsamer Zwischenschritt
auf dem Weg zu einer vollständigen Anpassung des
deutschen Rechts an europäisches Recht. Weitere An-
passungen und Rechtsharmonisierungen werden und
müssen noch folgen.

Da die Grünen den Gesetzentwurf gleich sicherlich
noch kritisieren werden


(Michael Brand [CDU/CSU]: Glaube ich nicht!)


– wir haben ja gestern im Ausschuss dazu einiges gehört,
zum Beispiel, man müsse auch Regelungen zur Nano-
technologie in dieses Gesetz aufnehmen –, möchte ich
ausdrücklich feststellen: Diese Kritik geht am Thema
völlig vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Beim REACH-Anpassungsgesetz geht es ausschließlich
um Rechtsanpassungen, nicht um neue materielle Rege-
lungen. Die Änderungen, die bereits zum jetzigen Zeit-
punkt vollzogen werden, betreffen vor allem Regelungen
bei den Zuständigkeiten, beim Vollzug und bei den
Sanktionen. Herr Kollege Schmitt hat dazu in der Sache
bereits einiges erläutert. Für mich ist entscheidend, dass
es neben der engen Abstimmung bei der Zuständigkeits-
regelung zwischen Bund und Ländern gleichzeitig im
Sinne einer pragmatischen und kooperativen Strategie
darum geht, dass die betroffenen Betriebe ihre Erfahrun-
gen aus der täglichen Praxis mit in die Umsetzung ein-
fließen lassen können.

Ein weiteres aus unserer Sicht zwingend notwendiges
Regelungsanliegen zum jetzigen Zeitpunkt stellen die
Sanktionsnormen dar. Es ist gut, dass im Gegensatz zu ur-
sprünglichen Planungen in der überarbeiteten und jetzt
vorliegenden Fassung einige Straftatbestände durch Buß-
gelder ersetzt wurden. Die Komplexität der REACH-Ver-
ordnung stellt unsere Unternehmen vor allem zu Beginn
der Umsetzung vor eine gewaltige Herausforderung. Da
wäre es aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt, aus Fahrläs-
sigkeit begangene Fehler gleich mit übermäßiger Härte zu
verfolgen.

Im Zusammenhang mit den Sanktionsnormen möchte
ich an dieser Stelle noch auf die Änderungsanträge der
Koalitionsfraktionen eingehen, die wir in dieser Woche
vorgelegt haben. Der Kollege Kauch hat sie zum Anlass
genommen, anzukündigen, dass er dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten
werde. Ich vermute einmal, lieber Herr Kollege Kauch,
Sie sind uns dankbar für diese Änderungsanträge. Damit
haben Sie jedenfalls einen Grund, unserem Gesetzent-
wurf nicht zustimmen zu müssen. Wenn wir nicht noch
diese Änderungsanträge geliefert hätten, hätten Sie of-
fenbar kein Negativargument in der Hand gehabt; in Ih-
rer Rede jedenfalls war das die einzige Begründung da-
für, dass Sie nicht zustimmen wollen.

Wir halten es, gerade vor dem Hintergrund der aktuel-
len Situation, für richtig, den Aspekt der Straftatbestände
im Sinne der Terrorismusbekämpfung mit einzubezie-
hen. Was jetzt im Zusammenhang mit dem REACH-An-
passungsgesetz machbar ist, das sollte man regeln. Lie-
ber Herr Kollege Kauch, die Tatsache, dass Sie sehr
dezidiert das ablehnen, was das Bundesinnenministe-
rium initiiert hat, zeigt, dass es sehr wohl möglich war,
in diesen Tagen die eine Änderung, um die es geht, sach-
gerecht zu prüfen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Kauch [FDP]: Haben Sie denn damit schon einen Terroristen gefangen?)


Die bereits erwähnten Straftatbestände und Ordnungs-
widrigkeiten, die sich direkt auf die REACH-Verord-
nung beziehen, bleiben von diesen Änderungsanträgen
völlig unberührt.

Insgesamt handelt es sich bei dem vorliegenden Ge-
setzentwurf um einen überzeugenden Wurf. Dieser Ein-
schätzung haben sich im Übrigen auch die Länder in ihrer
Stellungnahme zum REACH-Anpassungsgesetz ange-
schlossen. Sie haben ausschließlich Änderungspunkte be-
nannt, denen die Bundesregierung in ihrer Gegenäuße-
rung im Wesentlichen zugestimmt hat und die wir als
Koalitionsfraktionen ebenfalls übernommen haben. Insge-
samt gewährleistet das REACH-Anpassungsgesetz eine
möglichst schlanke und praxisnahe Umsetzung ins deut-
sche Recht.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Praxisnah und umweltfern!)


Meine Damen und Herren, mit sehr viel größerer
Sorge verfolge ich jedoch die Praxis der Umsetzung von
REACH selber. Offensichtlich wird doch ein deutlich
höherer Aufwand bei Bund, Ländern und Unternehmen
in der Praxis ausgelöst, als ursprünglich einkalkuliert
war. Bei aller Wertschätzung für unseren Koalitionspart-
ner möchte ich dem Kollegen Schmitt gerne sagen: Bei
mir kommen andere Rückmeldungen aus der Wirtschaft
und aus den Verbänden an, als Sie es dargestellt haben.

Dies wird auch beim beabsichtigten Personalaufwand
deutlich, der bei Bundes- und Landesbehörden entsteht.
Allein auf Bundesebene geht man derzeit davon aus, dass
wegen REACH – nicht wegen des heute zu beschließen-
den REACH-Anpassungsgesetzes, sondern wegen der eu-
ropäischen Verordnung selbst – 116 zusätzliche Stellen
benötigt werden, in den Ländern jeweils 7 bis 16, also ins-
gesamt 250 bis 300 zusätzliche Stellen allein in den Be-
hörden, die die Wirtschaft durch Gebühren bezahlen
muss. Hinzu kommt der zusätzliche Personalaufwand in
der Wirtschaft selber.

Das gleiche Bild ergibt sich auch bei der Europäi-
schen Chemikalienagentur, die in Helsinki aufgebaut
werden soll. Auch hier scheint es so zu sein, dass der
Personalbedarf deutlich höher liegt, als ursprünglich ver-
anschlagt. Statt ursprünglich 50 bis 100 Stellen, von de-
nen damals die Rede war, geht man heute von bis zu






(A) (C)



(B) (D)


Ingbert Liebing
500 Stellen aus. Dabei wurde die Einrichtung der Agen-
tur gerade damit begründet, auf nationaler Ebene den
Verwaltungsvollzug zu vereinfachen und Personal einzu-
sparen. Nun scheint der Personalbedarf auf europäischer,
nationaler und regionaler Ebene zu explodieren.

Mit Bürokratieabbau hat das alles nichts mehr zu tun.
Dabei hätte alles aber noch viel schlimmer kommen kön-
nen, wenn sich die EU-Kommission oder die damalige
rot-grüne Regierung mit ihren ursprünglichen Plänen
durchgesetzt hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Die Union hat erfolgreich dafür gekämpft, den ursprüng-
lich vorgelegten REACH-Entwurf von völlig unprakti-
kablen Forderungen an die europäischen Unternehmen
zu befreien, übermäßige Belastungen abzubauen und
den Aufwand verhältnismäßig zu gestalten.


(Zurufe der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Da können Sie krakeelen, soviel Sie wollen, Frau
Bulling-Schröter: Die Änderungen halten wir für richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei allen Erleichterungen, die wir im Interesse der eu-
ropäischen Unternehmen im REACH-Gesetzgebungs-
prozess durchgesetzt haben, ist dennoch zu sagen, dass
der Umfang und die Komplexität des neuen Chemikali-
enrechts in der Praxis besonders für kleine und mittlere
Unternehmen eine gewaltige Hürde darstellen. In diesen
Betrieben gibt es oftmals nur eine Person, die sich mit
REACH befasst. Das kann dort nicht funktionieren.

Ich möchte keine neue Grundsatzdebatte über REACH
auslösen. Wir sollten aber auf jeden Fall die Umsetzungs-
praxis von REACH genau im Auge behalten. Wir müs-
sen darauf achten, dass vereinbarte schlanke Verfahren
tatsächlich eingehalten werden – national sowieso, aber
auch in europäischer Verantwortung.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615119500

Das Wort hat Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615119600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Liebing von der Regierungskoalition hat in der ers-
ten Lesung stolz verkündet, dass die verabschiedete EU-
Chemikalienverordnung REACH

deutlich die Handschrift deutscher Interessen trägt
und deshalb von der CDU/CSU-Fraktion begrüßt
wurde.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Es ist gut, das noch einmal zu hören!)

Er hat das Ganze heute noch getoppt, indem er den Er-
folg allein Frau Merkel zugeschoben hat. Ich denke, da
hat Herr Liebing nur zur Hälfte recht. Denn es war die
Handschrift der Chemiekonzerne, also die von Bayer,
Schering oder anderer,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Die Bösen!)


und nicht die der Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wie schön, wenn man immer ein Feindbild hat!)


Deutschland hat nicht nur daran mitgewirkt, sondern
massiv Einfluss genommen. Herr Liebing, das haben Sie
ja jetzt zugegeben.

Aus einem weitgehend fortschrittlichen Verordnungs-
entwurf der Europäischen Kommission ist im Brüsseler
Gesetzgebungsverfahren ein im Wesentlichen an den In-
teressen der Chemieindustrie ausgerichtetes Gesetz ge-
worden. Aktiv waren nicht nur die Konzernvertreter in
den Lobbygängen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Auf welchem Gang waren Sie?)


Mitgewirkt an der Verwässerung hat vor allem eine
große Allianz von Vertretern der Bundesregierung und
von EU-Spitzenbeamten aus Deutschland. Hinzu kamen
Abgeordnete von Union, SPD und FDP im EU-Parla-
ment. Wer es nicht glaubt, der braucht nur die entspre-
chenden Unterlagen zu lesen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie Sie wissen, befinden sich auf dem EU-Markt
etwa 100 000 sogenannte Altstoffe, die vor 1981 auf den
Markt kamen. Sie alle wurden nie vernünftig darauf ge-
testet, welche Wirkung sie auf Gesundheit und Ökologie
haben. Diesen Zustand sollte REACH beenden. Doch
mit der neuen Chemikalienverordnung müssen nun le-
diglich 12 000 der relevanten 30 000 Altstoffe mit mehr
als einer Tonne Jahresproduktion gründlich überprüft
werden. Das ist zwar besser als nichts; aber mit dem
Rest läuft der Großversuch an Mensch und Umwelt ein-
fach weiter.

Zudem wird die Industrie eben nicht verpflichtet, alle
gefährlichen Stoffe zu ersetzen. Selbst wenn Alternati-
ven vorhanden sind, können krebserregende, fortpflan-
zungsschädigende und andere gefährliche Chemikalien
weiter vermarktet und in Alltagsprodukten verwendet
werden. Lediglich langlebige, sich in der Natur anrei-
chernde Chemikalien sollen ausgetauscht werden, sofern
es für sie Alternativen gibt. Wir alle halten das für sehr
betrüblich. Auch für die Umsetzung von REACH sehen
wir hierbei Probleme.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was über die Arbeitsplätze, die Sie vernichten würden!)


Denn es müssen ja beispielsweise noch die Grenzwerte
für jene Stoffe festgelegt werden, die sich in der Umwelt
und der Nahrungskette anreichern. An diesen entschei-
det sich, welche Stoffe in Zukunft verpflichtend ersetzt
werden müssen. Das Beispiel der aktuellen Pestizidstu-






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
die von Greenpeace zeigt jedoch, wie lax in Europa mit
Substanzen und Grenzwerten umgegangen wird.

Was das Anpassungsgesetz selbst betrifft, so teilen
wir die Bedenken des BUND. Insbesondere die Einbe-
ziehung der Nanostoffe ist unbefriedigend geregelt. Da-
bei bleiben wir, und darüber müssen wir noch einmal
diskutieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Stoffe sind kleiner als ein Millionstel Meter. Man
kann diese Stoffe mit einem optischen Mikroskop gar
nicht erkennen, so klein sind sie. Und sie sind extrem re-
aktionsfreudig. Aus diesem Grund müssten natürlich
Stoffe in ihrer nanoskaligen Erscheinungsweise – so
nennt man das – extra überprüft werden. Dazu gibt es im
Gesetz aber leider keine Regelungen.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)


Überdies gibt es noch gar keine nanospezifischen Test-
verfahren.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sie können doch noch nicht einmal mit Salz in der Werra umgehen!)


Ein Moratorium des Einsatzes solcher Stoffe, wie es der
BUND fordert, wäre darum nur konsequent. Hier muss
nachgebessert werden, spätestens im Zuge des UGB.
Dann können Sie zeigen, dass es Ihnen ernst ist.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)


Aus diesen Gründen und aufgrund unserer grundsätz-
lichen Kritik an REACH werden wir uns bei der Abstim-
mung über den Gesetzentwurf enthalten.

Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir wollen
keine Arbeitsplätze vernichten. Wir wollen, dass in
Deutschland zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Aber Sie tun es doch!)


– Das tun wir eben nicht. – Wer Giftstoffe herstellt, der
muss sich auch darum kümmern, wie es den Menschen
geht, die in den Betrieben arbeiten. Das ist auch zu deren
Nutzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heinz Schmitt [Landau] [SPD] – Michael Brand [CDU/CSU]: Keine Feindbilder! Keine Extrempositionen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wie haben Sie es denn in Bitterfeld gehalten?)


– Sie bauen die Feindbilder auf. – Wir wollen eine ge-
sunde Umwelt und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wir
wollen gesetzliche Mindestlöhne einführen. Dafür ste-
hen wir. Und wir lassen uns nicht immer wieder von Ih-
nen sagen, dass wir Arbeitsplätze vernichten wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615119700

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Sylvia Kotting-

Uhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615119800

Herr Präsident! Liebe nicht streitende Kolleginnen

und Kollegen! Wir entscheiden heute über ein Anpas-
sungsgesetz, dessen Sinnhaftigkeit gar nicht bezweifelt
werden kann und das der Debatte von daher eigentlich
kaum wert ist. Aber das, woran wir anpassen, ist es: die
europäische Chemikalienverordnung. Deren Sinnhaftig-
keit ist zwar ebenfalls unbezweifelbar, aber sie erfüllt ih-
ren eigenen Anspruch überhaupt nicht. Das ist sehr wohl
noch einmal eine Debatte wert; zumal das Verfehlen die-
ses Anspruches nicht zuletzt dem deutschen Umweltmi-
nister und der deutschen Kanzlerin anzulasten ist.

Willfährig die Kurzfristinteressen der chemischen In-
dustrie einklagend, wurde vom damals gerade selbster-
nannten Innovationsminister nicht nur der anvisierte
Schutz von Umwelt und Gesundheit geschmälert, son-
dern auch auf Innovationsdruck auf die Chemieindustrie
und langfristige Wirtschaftschancen, die in einer nach-
haltigen Chemiewirtschaft lägen, verzichtet.

„No data – no market“ sollte der Kernsatz von
REACH sein. Entkernt könnte man die jetzt real existie-
rende Verordnung bezeichnen. Sozusagen als Entschädi-
gung zur beabsichtigten Erfassung von Altstoffen wur-
den die Anforderungen an die Zulassung von Neustoffen
dereguliert – ein hoher Preis, wenn man sich ansieht,
was aus der Registrierung von Altstoffen tatsächlich ge-
worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Krebserregende, fruchtbarkeitsschädigende, hormonell
wirksame Chemikalien werden wir weiterhin auf dem
Markt finden, auch wenn sichere Alternativen existieren.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Was habt ihr denn damals hingekriegt? Trittin hat bei dem Thema nichts hingekriegt!)


Ursprünglich beabsichtigt war ein Zwang zur Substi-
tution – jetzt wird von den Produzenten nur noch eine
Erklärung verlangt, dass sie ihre Chemikalien „angemes-
sen kontrollieren“ können. Wahrlich ein großer Fort-
schritt! Aber selbst das, was der Industrie jetzt abver-
langt wird, ist – auch wenn wir das anders sehen –
natürlich immer noch zu viel. Ich will hier klar sagen,
dass ich nachvollziehen kann, wenn die Industrie jede
Chance und jeden Fürsprecher nutzt, um sich von An-
sprüchen finanzieller und bürokratischer Art zu entlas-
ten. Was ich aber nicht verstehe, ist, dass sich ausgerech-
net Umweltpolitiker zu diesen Fürsprechern machen


(Beifall des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE])


und dass sie die Debatte um das Anpassungsgesetz nut-
zen, um auf die Bürokratie hinzuweisen und schon ein-
mal anzukündigen, dass man im Sinne von Bürokratie-






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl
abbau die Regelungen von REACH noch einmal
überprüfen werde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das gehört doch zusammen! Ökonomie und Ökologie!)


Verehrte Kollegen Umweltpolitiker, wer glaubt, eine
Gesellschaft, die sich mit 100 000 Chemikalien umgibt,
könne den Umgang damit durch ein paar Federstriche re-
geln, irrt nachhaltig. Der Regelungsbedarf wird aufgrund
weiterer risikobehafteter Entwicklungen nicht unbedingt
geringer; darauf können Sie sich schon einmal einstel-
len.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: So ist es!)


Ja, ich habe gestern im Umweltausschuss die Nano-
technologie erwähnt. Treffe ich auf Praktiker, die die
Nanotechnologie bereits anwenden, und frage sie, wie
sie verantworten können, etwas auf den Markt zu brin-
gen, dessen Risiken noch nicht erforscht sind und das
überhaupt noch nicht geregelt ist, dann verweisen sie auf
REACH. Entgegen Ihrer gestrigen Antwort, Frau Staats-
sekretärin, haben die Praktiker recht, Herr Liebing; denn
im Bericht der Bundesregierung vom 30. August 2007
zum Rechtsrahmen für Anwendungen der Nanotechno-
logie heißt es:

Grundsätzlich fällt auch die Regulierung von Nano-
materialien unter REACH.

Weiter heißt es:

… für nanopartikuläre Substanzen besteht keine ge-
sonderte Anmeldepflicht, sofern die gröber struktu-
rierten oder gelösten Substanzen bereits registriert
sind.

So geht es natürlich nicht; denn die Nanotechnologie
fußt ja gerade darauf, dass die Stoffe ihre Eigenschaften
bei Nanopartikelgröße verändern.

Soll die Nanotechnologie über REACH geregelt wer-
den, dann wäre es das Mindeste, zusätzlich zur jetzigen
Mengenschwelle in REACH eine Partikelzahlschwelle
für nanopartikuläre Substanzen einzuführen. Selbstver-
ständlich müssen alle nanopartikulären Substanzen an-
gemeldet werden. Das hätte die Bundesregierung tun
sollen, bevor sie uns diesen Entwurf eines Anpassungs-
gesetzes vorgelegt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden einem Gesetzentwurf, der eine Anpas-
sung an eine von uns höchst kritisch bewertete Verord-
nung vorsieht, nicht zustimmen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615119900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurf eines REACH-Anpas-
sungsgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/8523, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 16/8307 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen
wie in der zweiten Beratung angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den
Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Thea Dückert, Dr. Gerhard Schick, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beschäftigungspotenziale bei den Dienstleis-
tungen

– Drucksachen 16/4817, 16/6746 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Thea
Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615120000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sind davon überzeugt, dass in der Entwicklung der Be-
schäftigungspotenziale im Dienstleistungsbereich eine
große Zukunft liegt. Die Regierung hätte aufgrund unse-
rer Großen Anfrage die Chance gehabt, sich damit wirk-
lich konstruktiv auseinanderzusetzen und zum Beispiel
als Erstes die Dienstleistungslücke, die wir in Deutsch-
land nachgewiesenermaßen haben, zu identifizieren. In
Ihrer Antwort leugnen Sie aber, dass es diese gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wieder typisch!)


Sie hätten die Möglichkeit gehabt, zu sagen, wo und wie
wir in Deutschland die bestehende Dienstleistungslücke
im Sinne einer positiven Entwicklung im Beschäfti-
gungsbereich schließen könnten. Aber auch da Fehlan-
zeige!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie erwähnen Fakten, zum Beispiel, dass sich die Er-
werbstätigkeit seit 1970 in diesem Bereich verdoppelt
hat und dass mittlerweile 70 Prozent aller Beschäftigten
im Dienstleistungsbereich tätig sind.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert
Man sollte sich aber auch damit auseinandersetzen,
dass wir im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld
liegen. Frankreich, England, Luxemburg und andere
Länder liegen nämlich vor uns. Dieses Faktum allein
müsste Grund genug sein, einen Aufbruch in Deutsch-
land in Angriff zu nehmen. Es gibt jedenfalls keinen
Grund, sich, wie Sie das tun, selbst zu loben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Export von Dienstleistungen gilt die gleiche
Diagnose: Ja, unsere Exportzahlen sind gut; wir sind Ex-
portweltmeister. Gerade vor diesem Hintergrund ist es
aber doch beschämend, dass unser Saldo im Bereich
Dienstleistungen negativ ist: Hier importieren wir näm-
lich mehr, als wir exportieren. Auf diesem Gebiet sind
wir eine Schnecke in Europa. Ich hätte erwartet, dass die
Bundesregierung sagt, wie wir von einer Schnecke zum
Rennpferd für Europa werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie schlagen Maßnahmen vor und verweisen dabei
auf Ihren Koalitionsvertrag. Wen wundert das? Er ent-
hält eine lange Liste von Maßnahmen. Genauso lang ist
aber die Liste mit falschen Schwerpunktsetzungen. Ins-
gesamt ist das so zu beurteilen: Eine Liste, aber kein
Konzept. Sie geben nur ein Wundermittel an: Ihre High-
tech-Strategie. Wenn man sich diese Strategie einmal ge-
nau anschaut, stellt man aber fest, dass von den 14 Mil-
liarden Euro, die für die Hightech-Strategie vorgesehen
sind, gerade einmal 50 Millionen Euro für den Bereich
Dienstleistungen und Dienstleistungsforschung vorgese-
hen sind. Das entspricht 0,36 Prozent. Das ist kein Wun-
dermittel. Dieses Wundermittel ist ganz offensichtlich
ein Placebo.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist schade; denn gerade an der Schnittstelle zwi-
schen technologischer Forschung und der Entwicklung
wissensbasierter Dienstleistungen wäre noch viel zu tun;
hier liegen viele Beschäftigungspotenziale. Sie haben
eine rückwärtsgewandte Sichtweise. Sie orientieren sich
allein an technischen Lösungen und materiellen Produk-
ten. Es fehlt aber an Ideen für die Beantwortung der
Frage, wie die Technik an die Frau und an den Mann ge-
bracht werden kann. Der Dienstleistungsbereich bleibt
hier völlig außen vor. Im Übrigen fehlt auch eine Tech-
nikfolgenabschätzung.

Ich will Ihnen an dem Bereich „Energie/Klima“ zei-
gen, wie rückwärtsgewandt Ihr Vorgehen ist und was Sie
alles verschlafen. Sie sagen, dass Sie mit der Hightech-
Strategie einen Schwerpunkt auf das Thema Energie/
Klima legen. Sie setzen sich aber nur mit herkömmli-
chen Technologien auseinander. Es geht vor allen Din-
gen um Investitionen in fossilbefeuerte Kraftwerke. Ich
frage Sie: Gibt es einen Ansatz für Forschung in dem
Bereich zukunftsfähiger Kraftwerke? Virtuelle Kraft-
werke zum Beispiel bieten die Möglichkeit, große Kraft-
werke zu ersetzen. Sie könnten das leisten, was wir in
Zukunft brauchen: eine dezentrale Energieversorgung.
Das wäre auch wichtig, um in Sachen Klimaschutz vo-
ranzukommen. Aber: Fehlanzeige! Dabei wäre das eine
nach vorn gewandte Strategie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen selbst, dass der Umweltbereich ein Be-
schäftigungssektor par excellence ist. Wir haben bereits
1,5 Millionen Beschäftigte im Umweltsektor. Das BMU
verweist darauf, dass im Umweltsektor 950 000 Men-
schen im Dienstleistungsbereich beschäftigt sind und die
Zahl der Arbeitsplätze im Bereich Umwelttechnik exor-
bitant steigen wird. Sie setzen sich aber nicht mit dem
Problem auseinander, dass wir unsere Marktstellung nur
halten können, wenn diese Umwelttechniken mit mo-
dernsten Dienstleistungen unterlegt werden. Wir werden
unsere Marktstellung in Europa nicht halten können,
wenn wir in diesem Bereich weiter so selig schlafen, wie
das die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große
Anfrage tut.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615120100

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615120200

Ich komme zum Schluss. – Es ist ein Jammer, dass die

Dynamik, die dem Beschäftigungsfeld Dienstleistungen
innewohnt, von Ihnen weder im Umweltbereich noch im
Pflege- oder Sozialbereich erkannt wird. Sie schreiben,
dass Sie – –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615120300

Nicht mehr zitieren, Frau Kollegin. Sie müssen zum

Ende kommen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615120400

Ich zitiere nicht mehr und komme zum Ende, Herr

Präsident. – Wie gesagt, ich glaube, es ist deutlich ge-
worden, dass es ein Jammer ist, dass Sie sich mit den
neuen Entwicklungen nicht auseinandersetzen. Wir wer-
den Ihnen da auf die Sprünge helfen. Ich hoffe, hier zu
diesem Thema zukünftig gute Debatten führen zu kön-
nen.

Vielen Dank, Herr Präsident.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615120500

Das Wort hat nun Kai Wegner für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1615120600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Dückert, ich möchte mich zu Beginn meiner Rede ganz
herzlich bei Ihnen und Ihrer Fraktion, bei der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, dafür bedanken, dass sie diese
Große Anfrage gestellt haben:


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerne!)


zum einen, weil Sie einen wichtigen Bereich der deut-
schen Wirtschaft, nämlich den Dienstleistungssektor, der
schon lange nicht mehr zentraler Gegenstand einer






(A) (C)



(B) (D)


Kai Wegner
Debatte in diesem Hause war, zum Thema machen, und
zum anderen, weil Sie mir die Möglichkeit geben, die
eine oder andere Maßnahme, die die Bundesregierung
positiv umgesetzt hat, zu erklären.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir aber gespannt!)


Liebe Frau Dückert, nachdem ich Ihre Rede gehört habe,
glaube ich, dass da auch noch ein bisschen Nachholbe-
darf besteht. Deswegen will ich Ihnen einiges erklären.

Ich teile Ihre Einschätzung, dass gerade der Dienst-
leistungssektor in Deutschland eine große Zukunft haben
wird. Folgerichtig reagieren die Große Koalition und
insbesondere die Bundesregierung auf Ihre Große An-
frage mit Fakten. Ich hatte das Gefühl, dass Sie kritisiert
haben, dass die Bundesregierung mit Fakten auf Ihre
Anfrage reagiert. Ich muss Ihnen sagen, dass ich es im-
mer sehr gut finde, wenn die Bundesregierung mit Fak-
ten unterlegt, welche Maßnahmen sie erfolgreich umge-
setzt hat, liebe Frau Dückert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Vor allem der Staatssekretär!)


Öffentliche und private Dienstleister erwirtschaften
heute rund 70 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes
und beschäftigen mehr als 72 Prozent aller Erwerbstäti-
gen in Deutschland. Der Dienstleistungssektor nimmt
damit eine herausragende Stellung in unserer Volkswirt-
schaft ein. Als Berliner, liebe Frau Dückert, habe ich den
Strukturwandel quasi vor meiner Haustür erlebt. In den
letzten Jahren sind zahlreiche neue Beschäftigungsver-
hältnisse im Dienstleistungsbereich entstanden. Leider
Gottes sind aber auch überproportional viele Beschäfti-
gungsverhältnisse in der Industrie weggefallen.

Obwohl es zweifelsohne einige Länder gibt, die eine
noch höhere Beschäftigungsquote im Dienstleistungs-
sektor aufweisen, kann ich darin keine Schwäche unse-
rer Wirtschaft oder gar eine Dienstleistungslücke erken-
nen. Vielmehr zeigt dies doch, liebe Frau Dückert, eine
unserer Stärken in der deutschen Wirtschaft. Denn dank
unserer traditionell starken Industrie sind im internatio-
nalen Vergleich überdurchschnittlich viele Menschen in
Deutschland im industriellen Bereich beschäftigt. Da-
rüber hinaus sollten wir allesamt nicht vergessen, dass
die Industrie gerade auch für den Dienstleistungssektor
ein ganz wichtiger Auftraggeber ist und bleiben muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daran wird nur zu deutlich, dass ein Mehr an Be-
schäftigung im Dienstleistungssektor zu einem guten
Stück immer noch von einer guten Industriepolitik ab-
hängig ist. Wer also in der Stärke unserer Industrie ver-
meintlich eine Schwäche des Dienstleistungssektors und
unserer Volkswirtschaft sieht, zieht die falschen Schlüsse.
Denn genau das Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Obwohl wir vor diesem Hintergrund mit der derzeiti-
gen Situation zufrieden sein könnten, geben wir uns als
Große Koalition mit dem bisher Erreichten nicht zufrie-
den. Denn gerade in einem so dynamischen Bereich wie
dem Dienstleistungssektor stehen wir vor großen Chan-
cen und Herausforderungen. Eine dieser Herausforderun-
gen stellt sich im Bereich von Bildung und Wissenschaft.
Sie sind nicht nur die wichtigsten gesellschaftlichen Res-
sourcen für eine moderne Wirtschaft, sondern auch
Grundlage wissensintensiver Dienstleistungen. Diese
machen heute bereits, Frau Dückert, 30 Prozent unserer
Wertschöpfung aus und nehmen eine Schlüsselfunktion
für Wirtschaft und Beschäftigung in unserem Land ein.

Mit der Hightech-Strategie antwortet die Bundesre-
gierung auf diese zentrale Herausforderung. Sie bündelt
nicht nur die Kräfte in unserer Gesellschaft für mehr Inno-
vationen, sondern fördert in einem eigenen Handlungs-
feld den Dienstleistungssektor. Ziel ist es, in der Dienst-
leistungswirtschaft und Dienstleistungsforschung die
gleiche Exzellenz zu erreichen, die unsere Industrie be-
reits heute besitzt. Hierbei sind wir auf einem guten
Wege. Schon heute liegt Deutschland, gemessen am An-
teil der gesamten Wertschöpfung, international auf ei-
nem der Spitzenplätze und deutlich über dem europäi-
schen Niveau, Frau Dückert.

Nicht nur bei Bildung und Forschung hat die Große
Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung die Wei-
chen für die Zukunft gestellt, auch schlummernde Be-
schäftigungspotenziale wurden aktiviert.

Das Potenzial der Kulturwirtschaft ist in dieser Legis-
laturperiode erstmalig klar benannt worden. Damit sich
unternehmerisches als auch künstlerisches Potenzial voll
entfalten kann, wurden die notwendigen Rahmenbedin-
gungen geschaffen.

Im Feld der sozialen Dienstleistungen haben wir mit
dem Ausbau der Kinderbetreuung in zweifacher Hin-
sicht Maßstäbe gesetzt. Zum einen entsteht infolge des
Ausbaus in diesem Bereich ein zusätzlicher Bedarf an
– geschätzt – 65 000 Erzieherinnen und Erziehern sowie
47 000 Tagespflegepersonen. Zum anderen schaffen wir
durch neue Angebote der Kinderbetreuung die Voraus-
setzung für eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit in
unserem Land und leisten damit einen ganz wichtigen
Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben den sozialen Dienstleistungen sind an dieser
Stelle auch die haushaltsnahen Dienstleistungen zu nen-
nen. Insbesondere bei Familien, bei älteren Menschen
und bei Alleinstehenden besteht diesbezüglich ein wach-
sender Bedarf. Die Bundesregierung hat durch eine Ver-
besserung der steuer- und arbeitsmarktrechtlichen Rah-
menbedingungen nicht nur die Privathaushalte entlastet,
sondern vor allem für einen signifikanten Beschäfti-
gungsaufbau gesorgt. Das Unternehmen „Privathaus-
halt“ floriert in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Kai Wegner
Auch beim Tourismus sind wir auf einem guten Weg,
bestehende Potenziale dieser Branche verstärkt zu nut-
zen. Gerade im Bereich der Gastronomie und der Hotel-
lerie wurde vieles unternommen, was sich heute bereits
in einem Zuwachs an Arbeitsplätzen widerspiegelt.

Auch beim Export von Dienstleistungen gehören wir
in vielen Branchen zu den weltweit führenden Nationen.
Infolge der europäischen Dienstleistungsrichtlinie wird
sich die Position der deutschen Dienstleister nochmals
verbessern. Der damit verbundene Ausbau des Binnen-
marktes für Dienstleistungen wird auch in Deutschland
zu neuen Wachstums- und damit zu neuen Beschäfti-
gungschancen führen. Auf internationaler Ebene wird
diese Entwicklung zusätzlich durch den Abbau von Han-
delsbarrieren im Rahmen der WTO und von zwischen-
staatlichen Handelsabkommen flankiert. Damit sind die
Weichen für ein nachhaltiges Wachstum beim Export
von Dienstleistungen gestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in die-
sem Jahr können wir auf den Dienstleistungssektor als
Jobmotor in unserem Land zählen. So rechnet der Deut-
sche Industrie- und Handelskammertag mit einem zu-
sätzlichen Beschäftigungsaufbau in der Größenordnung
von rund 200 000 Arbeitsplätzen. Das belegt, dass die
Große Koalition die richtigen Rahmenbedingungen für
den Dienstleistungssektor gesetzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der eingeschlagene Weg muss jetzt konsequent wei-
tergegangen werden, um die Innovations- und Investi-
tionsbereitschaft der Unternehmen zu fördern. Hierzu
gehören vor allem ein weiterer Bürokratieabbau, eine
vernünftige Unternehmensteuerreform und geeignete
Rahmenbedingungen für bessere Finanzierungsmöglich-
keiten der mittelständischen Betriebe in Deutschland.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Unternehmensteuerreform hat Innovationen eher behindert!)


Die Große Koalition wird in diesem Sinne und im Inte-
resse der Menschen in unserem Land die Beschäfti-
gungspotenziale des Dienstleistungssektors weiterhin
fördern und stärken.

Liebe Frau Dückert, ich würde mich sehr freuen,
wenn wir aufgrund der besonderen Bedeutung dieses
Bereichs das verwirklichen könnten, was Sie am Ende
Ihrer Rede angedeutet haben, nämlich gemeinsam für
das Ziel von mehr Beschäftigung in diesem Bereich zu
kämpfen. Sie von den Grünen sind herzlich dazu einge-
laden, die Große Koalition und die Bundesregierung auf
ihrem vernünftigen Weg zu unterstützen.

Herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615120700

Das Wort hat nun Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1615120800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Ja, es ist richtig: Die Antworten auf die Große An-
frage, die die Grünen initiiert haben, bringen sehr deut-
lich zum Ausdruck, dass das Beschäftigungspotenzial
gerade im Dienstleistungsbereich enorm ist, aber längst
nicht in dem Maße ausgeschöpft wird, in dem dies mög-
lich wäre.

Das beginnt schon damit, dass die Bundesregierung,
als die Dienstleistungsrichtlinie auf EU-Ebene verhan-
delt wurde, viel zu zögerlich und viel zu protektionis-
tisch vorgegangen ist. Für diese Zögerlichkeit und diese
Ängstlichkeit, auch im Hinblick auf die Freizügigkeit
auf dem europäischen Markt, findet man in der Antwort
auf die Große Anfrage wirklich Belege. Natürlich hat die
Bundesregierung auch mit Daten und Fakten geantwor-
tet. Aber ihre Antworten sind zum Teil sehr mager.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist wahr!)


Das Potenzial des Dienstleistungsbereichs ist enorm.
In diesem Sektor werden 70 Prozent des deutschen BIP
erwirtschaftet. Angesichts dessen kann man sagen: Das
ist wirklich ein Riesenpfund. Mit mehr Marktöffnung
und weniger Marktabschottung könnte man hier noch
eine ganze Menge erreichen.

Eines finde ich erstaunlich: Die Bundesregierung hat
in ihrer Antwort zumindest an einer Stelle eingestanden,
dass es zwischen der Öffnung des europaweiten Handels
mit Gütern und der Öffnung des europaweiten Handels
mit Dienstleistungen kaum Unterschiede gibt. In diesem
Bereich handelt die Bundesregierung aber zu wenig.
Selbstverständlich sind industrielle Arbeitsplätze ge-
nauso wichtig wie Arbeitsplätze im Dienstleistungsbe-
reich; gar keine Frage. Im zuletzt genannten Sektor ist
allerdings viel mehr zu tun.

Ich frage mich, warum die Bundesregierung nicht
mehr Mut zu Freizügigkeit und Marktöffnung gezeigt
hat. Ein Beispiel dafür sind die Regelungen zu Saison-
arbeitern und Erntehelfern. Wir haben es hier mit einem
Gesetz zu tun, das korrigiert worden ist. Die Quote der
Helfer für die Ernte von Obst und Gemüse wurde auf
300 000 Arbeitnehmer gesenkt. Die restriktive Rege-
lung, dass osteuropäische Erntehelfer nur vier Monate
im Jahr in Deutschland arbeiten dürfen, entspricht nicht
dem, was EU-weit üblich ist. Andere Länder wie die
Niederlande, Großbritannien, Irland und Spanien sind
viel weiter vorgeprescht und haben die Öffnung des
Marktes über das ganze Jahr hinweg vereinbart.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Aha! Da ist also das ganze Jahr lang Saison! Interessant!)


Ich habe in meinem eigenen Wahlkreis erlebt, dass
Spargel- und Erdbeerfelder mittlerweile sogar plattge-
pflügt werden, weil es einfach nicht genügend Erntehel-
fer gibt, die den nötigen Ertrag gewährleisten könnten.


(Klaus Barthel [SPD]: Ja! Weil sie in Großbritannien besser bezahlt werden!)


In diesem Bereich verlieren wir also auch Ertrags- und
Beschäftigungspotenzial; das sei nur als ein Beispiel er-
wähnt.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
Was tut die Bundesregierung stattdessen, und zwar
sehr ausgiebig? Die Bundesregierung konzentriert sich
vor allem auf das Thema „gesetzliche Mindestlöhne“
und sucht darin ihr Heil.


(Klaus Barthel [SPD]: Ja! Sehr vernünftig!)


Passend zu unserer heutigen Debatte kam gestern eine
Studie des Ifo-Instituts,


(Klaus Barthel [SPD]: Ach! Haben die also auch mal wieder zugeschlagen! Na ja!)


des Instituts der deutschen Wirtschaft, des HWWI und
des DIW in Berlin auf den Markt, in der sehr deutlich
zum Ausdruck kommt, dass eine gesetzliche Lohnunter-
grenze – in Deutschland wird eine Lohnuntergrenze von
7,50 Euro avisiert – für die Beschäftigung kontraproduk-
tiv wäre. Die Institute haben nachgewiesen, dass dies
insbesondere im Dienstleistungsbereich ein enormes Be-
schäftigungspotenzial kosten würde, sollte die Bundes-
regierung hier eine gesetzliche Lohnuntergrenze einzie-
hen.

Durch die bewährten Transfers – dabei handelt es sich
wohlgemerkt um staatliche Transfers – zur sozialen Ab-
sicherung werden in Deutschland bereits heute Brutto-
stundenlöhne von 4 bis 5 Euro für Alleinstehende und
von bis zu 10 Euro für Verheiratete mit Kindern gezahlt.
Hinzu kommen Zusatzzahlungen zur Sicherung des so-
zialen Existenzminimums für ALG-II-Bezieher.

Wie Sie sehen, wäre es viel besser, wenn Sie sich an
dieser Stelle nicht auf die Diskussion über die Einfüh-
rung von Mindestlöhnen beschränken würden. Vielmehr
sollten Sie dafür sorgen, dass Deutschland ein vernünfti-
ges, gerechtes und einfaches Steuersystem bekommt.
Gegenwärtig ist es so, dass der Konsum durch die Mehr-
wertsteuererhöhung und viele andere Ihrer Maßnahmen
ausgebremst und dadurch die Schaffung von Arbeitsplät-
zen behindert wird.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Ja, ja! Aber die Erbschaftsteuer sollen wir abschaffen!)


Sie sollten durch vereinfachte Regelungen, die eine
wirkliche Freizügigkeit und eine Öffnung des Marktes
gewährleisten, für mehr Beschäftigung in Deutschland
Sorge tragen. Das wäre den Beschäftigten in Deutsch-
land zuträglich. Es würde uns als Exportnation Nummer
eins gut zu Gesicht stehen, wenn wir an dieser Stelle
voranschreiten würden, statt uns in Ängstlichkeit und
Protektionismus zu ergehen. Ich wünschte mir von der
Bundesregierung viel mehr Mut zur Veränderung.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615120900

Das Wort hat nun Klaus Barthel, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1615121000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Grünen sind dafür gelobt worden, dass sie ihre Große
Anfrage auf die Tagesordnung gebracht haben. Es zeigt
sich aber, Frau Dückert, dass Ihren Fragen ein System
fehlt: Bei 236 Fragen sehen Sie doch selber den Wald
vor lauter Bäumen nicht. Ein Drittel Ihrer Fragen er-
übrigt sich, weil man die Antwort in Datenbanken nach-
lesen kann,


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oberlehrer!)


zum Beispiel beim Statistischen Bundesamt. Darüber hi-
naus muss man feststellen, dass Sie sich in Details ver-
zetteln und nicht zum Kern der Probleme kommen.

Frau Dückert, Sie haben beklagt, dass die Bundes-
regierung zu Energiedienstleistungen nichts gesagt hat.
Wenn Ihnen dieser Bereich so wichtig ist, warum haben
Sie ihn dann nicht in einer Ihrer 236 Fragen angespro-
chen? Sie haben sich ja auch sonst durch alle möglichen
Bereiche gearbeitet. Warum soll die Bundesregierung et-
was zu Energiedienstleistungen sagen, wenn danach
nicht gefragt wurde?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Sie haben nach der Zahl der Arbeitsplätze in den ein-
zelnen Dienstleistungssektoren gefragt. Die Zahl ver-
schleiert mehr, als sie aussagt. Sie fragen nicht, was das
eigentlich für Arbeitsplätze sind – sozialversicherungs-
pflichtige oder Minijobs, Teilzeit oder Vollzeit –, wie die
Arbeitsbedingungen aussehen und wie sich der jeweilige
Bereich über die Zeit entwickelt hat. Das ist doch der
Kern der Dienstleistungsdebatte, die wir zu Recht füh-
ren.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das interessiert, können Sie ja eine Anfrage an die Regierung richten!)


Warum hinterfragen Sie nicht,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie doch selber! Wessen Bundesregierung ist das denn?)


warum das Arbeitsvolumen gesamtwirtschaftlich seit
1990 sinkt, während im Dienstleistungsbereich, in dem
das Arbeitsvolumen leicht steigt, die Zahl der Beschäf-
tigten überproportional, nämlich um 15 Prozent, zuge-
nommen hat? Es ist doch mit den Händen zu greifen,
Frau Dückert! Doch es scheint Sie nicht zu interessieren
– auch jetzt nicht –, dass der Dienstleistungssektor der
Bereich ist, in dem sich Prekarität, Minijobs und Leih-
arbeit massiv ausbreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Spannenderweise geschieht diese Prekarisierung und
Marginalisierung, diese Entwicklung zu einem Niedrig-
lohnsektor gerade nicht in den Bereichen, die sich dem
internationalen Wettbewerb stellen müssen, gerade nicht
in den Bereichen, in denen es Druck durch die Globali-
sierung gibt.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist es denn, der den Mindestlohn nicht durchsetzt? Das sind Sie! Sie sind an der Regierung!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Barthel
– Hören Sie doch einmal zu, anstatt dazwischenzurufen! –
In der industriellen Exportwirtschaft entwickeln sich die
Arbeitsbedingungen relativ günstig. Die nicht verlager-
baren Dienstleistungen – vom Friseur bis zu den Boden-
verkehrsdiensten an Flughäfen – sind es, die von Niedrig-
lohnverhältnissen geprägt sind.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen sollen Sie den Mindestlohn durchsetzen, Herr Kollege!)


Deswegen müssen wir heute einiges klären. Der Hin-
weis der Bundesregierung darauf, dass der hohe Anteil
der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor sowie der
Anteil, den die Dienstleistungen an der Wertschöpfung
der Gesamtwirtschaft haben, nichts über eine mögliche
Dienstleistungslücke aussagt, ist richtig. Internationale
Vergleiche, wie Sie sie wieder bemüht haben, sind ge-
fährlich. Zum Beispiel hat die neoliberale Rosskur in
den 80er- und 90er-Jahren in Großbritannien den Dienst-
leistungsanteil der dortigen Volkswirtschaft enorm ge-
steigert. Der Grund dafür war aber nicht etwa eine er-
folgreiche Expansion der Dienstleistungen, sondern der
beispiellose Niedergang der britischen Industrie, von
dem sich die britische Volkswirtschaft bis heute nicht er-
holt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


In Großbritannien haben wir nach wie vor eine Mono-
struktur von Finanzdienstleistungen und Erdöl. So konn-
ten wir seinerzeit beobachten, wie die Kneipen in der
Londoner City auf die Anschaffung von Spülmaschinen
verzichtet haben, weil genügend Billigarbeitskräfte ver-
fügbar waren, die bereit waren, mit der Hand zu spülen.
Deindustrialisierung und Lohndumping, das kann nicht
die Vision von einer Dienstleistungsvolkswirtschaft sein.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völlig klar!)


Wir können und wollen in Zukunft nicht davon leben,
uns gegenseitig die Haare zu schneiden. Eine Gesell-
schaft kann aber auch nicht davon leben, sich gegensei-
tig Devisen, Versicherungsverträge, Aktien, Derivate
und Hypothekenpfandbriefe zu verkaufen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen ist es notwendig, dass die Bundesrepublik ein
starker Industriestandort bleibt. Trotz aller Erfahrungen
mit Siemens, Nokia und wie sie alle heißen eilen wir von
Exportrekord zu Exportrekord. Wenn das Statistische
Bundesamt im vorigen Jahr es nicht schwarz auf weiß
belegt hätte, dann hätte ich es selbst kaum geglaubt: Un-
sere Exportwirtschaft hat im vergangenen Jahrzehnt
nicht nur immer mehr Waren ins Ausland verkauft, son-
dern auch die Zahl der Arbeitsplätze erhöht. 1995 waren
5,9 Millionen Menschen in der Exportwirtschaft tätig;
2006 waren es bereits 8,3 Millionen.

Der Wert unserer Warenexporte stieg um das Dop-
pelte bzw. sechsmal so schnell wie die Binnennachfrage.
Leider liegt der Warenexportweltmeister Deutschland
beim Dienstleistungsexport nur an dritter Stelle.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Was den Export angeht, stoßen wir auf ein zentrales
Problem dieser Debatte, nämlich auf die fehlenden sta-
tistischen Grundlagen zur Erfassung dessen, was wir
heute diskutieren. Wenn heute ein deutsches Unterneh-
men eine Anlage oder eine Maschine ins Ausland ver-
kauft, dann ist es vor allen Dingen deswegen erfolgreich,
weil es unter anderem auch die Reparatur, Wartung, In-
standhaltung, Nachrüstung und Beratung mitverkauft.
Diese arbeitsintensiven und qualifizierten Dienstleistun-
gen tauchen aber nicht in der Statistik auf, weil sie zu-
mindest größtenteils mit dem Preis der Maschine ver-
rechnet werden.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt ein Vorwurf an uns oder vielleicht an Sie? – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das unser Problem oder Ihres?)


Die Bundesregierung weist in ihren Antworten mehrfach
auf derartige Defizite in der Statistik hin und macht deut-
lich, dass wir dabei sind, sie zu beheben.

Diese statistischen Defizite führen – zusammen mit
unserem männlich dominierten Arbeitsbegriff – dazu,
dass die Bedeutung, die Dienstleistungen schon heute als
Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg haben, sys-
tematisch unterschätzt wird. Aufgrund dieser Tatsache
werfen viele Sachverständige – auch Frau Kopp von der
FDP hat sich heute leider ähnlich geäußert – immer noch
die Dienstleistungen mit Jobs im Niedriglohnsektor bei
niedriger Produktivität und Qualifikation in einen Topf.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch gerade gemacht!)


Wenn Ihnen nichts anderes zur Dienstleistungswirt-
schaft einfällt, als die Obstpflücker als Zukunftsthema
zu diskutieren, dann haben Sie als Wirtschaftspartei ver-
sagt.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Notwendig ist in erster Linie, die Dienstleistungsfor-
schung voranzutreiben, die Dienstleistungsstatistik zu
verbessern


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)


und den Dienstleistungssektor als Innovationstreiber zu
begreifen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese richtigen Erkenntnisse stehen aber leider nicht in der Antwort!)


Es gibt eine Reihe von Beispielen wie Energiedienst-
leistungen, Verkehr, Bildung und Betreuung, auf die ich
aus Zeitgründen nicht näher eingehen kann.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist alles Theorie, aber die Praxis fehlt!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Barthel
Die schrittweise Durchsetzung von Ganztagsschulen und
Kinderbetreuung beweist die volkswirtschaftliche und
gesellschaftliche Bedeutung einer solchen Innovation.
Bessere Bildung und Betreuung in Verbindung mit der
Teilnahmemöglichkeit von Frauen am Erwerbsleben
sind Beispiele für einen solchen dienstleistungsgetriebe-
nen sozialen Innovationsprozess, der gleichzeitig die
Voraussetzung für den Erfolg der Industrie und auch der
technischen Innovation ist.

Auch zur Gesundheit und Pflege ließe sich viel aus-
führen. Wenn wir nichts gegen die Angst vor dem Alter
und vor Hilfsbedürftigkeit tun und denjenigen nicht hel-
fen, die in finanzieller und menschlicher Not leben, dann
wird es nicht zu einer zukunftsorientierten und optimisti-
schen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft
kommen, die auch den Kindern und Enkelkindern zu-
gute kommt.

Deswegen sind langfristig der Aufbau von Strukturen,
die Qualifizierung von Menschen und die Schaffung von
Arbeitsplätzen mit guten Arbeitsbedingungen in diesem
Bereich notwendig.


(Gudrun Kopp [FDP]: So viel Zeit haben wir aber nicht mehr!)


Man darf also Dienstleistungen nicht als Abfallpro-
dukt und Restgröße der Industriegesellschaft begreifen,
sondern muss sie als eigenen innovativen und innova-
tionstreibenden Bereich sehen.

Die Dienstleistungen werden aber nur dann zum Job-
motor – damit komme ich zum letzten Punkt –, wenn sie
im Bewusstsein und in der Qualität gezielt aufgewertet
werden. Dienstleistungsarbeit muss gute Arbeit sein und
darf sich nicht zum Niedriglohnsektor weiterentwickeln.


(Gudrun Kopp [FDP]: Was ist gute Arbeit?)


Gerade deswegen braucht der Dienstleistungssektor ei-
nen Mindestlohn. Frau Kopp, darauf zu setzen, dass die
helfenden Berufe zum Beispiel nicht streikfähig sind und
man deswegen mit Erzieherinnen, Krankenschwestern
und Behindertenbetreuern machen kann, was man will,
ist schlicht zynisch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gudrun Kopp [FDP]: Sie setzen auf Mindestlohn!)


Zu einer tragfähigen Strategie und zur Sicherung gu-
ter Löhne gehören in diesem Zusammenhang Qualifika-
tion und eine gute Ausbildung. Für viele zukunftsträch-
tige Berufe im Dienstleistungsbereich gibt es aber bisher
keine adäquaten Ausbildungen. Es besteht ein Dschun-
gel aus Sonderausbildungen schulischer Art. Das duale
System muss deswegen dahin gehend reformiert werden,
dass für Dienstleistungsberufe gezielter und systemati-
scher ausgebildet wird. Sie müssen in das duale System
aufgenommen werden, solange es nicht um akademische
Anforderungen geht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615121100

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1615121200

Es ist völlig richtig, dass die Bundesregierung den

Dienstleistungssektor in den Kontext ihrer Innovations-
politik und ihrer Hightech-Strategie für Deutschland ein-
ordnet, wie es in der Antwort auf die Frage 14 beschrie-
ben wird, und dabei die Ziele Innovation, Qualität,
Qualifikation und attraktive Arbeitsverhältnisse in den
Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1615121300

Das Wort hat nun Barbara Höll, Fraktion Die Linke.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615121400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Große Anfrage der Grünen zeugt nicht nur von lobens-
werter Umsicht und viel Fleiß. Sie legt vor allem den
Finger auf wunde Punkte der gegenwärtigen Beschäfti-
gungs- und Arbeitsmarktpolitik. Leider haben Sie es ver-
säumt, in Ihrer Anfrage nach der Art der Jobs zu fragen,
die in den letzten Jahren im Dienstleistungssektor ent-
standen sind und zum Wachstum der Beschäftigtenzah-
len in diesem Bereich beigetragen haben, sowie nach de-
ren sozialer Ausgestaltung. Dennoch wird wie in einem
Brennglas in den Antworten der Bundesregierung deut-
lich, welche erheblichen Defizite existieren: einerseits
nach wie vor und trotz des Aufschwungs eine hohe So-
ckelarbeitslosigkeit und andererseits brachliegende Be-
schäftigungspotenziale, die zwar bekannt sind, bei denen
die Politik aber nichts dafür tut, dass sie ausgeschöpft
werden.

Mit Recht fragen die Abgeordneten der Grünen, warum
die Bedeutung des Dienstleistungssektors in Deutschland
im europäischen Vergleich relativ gering ist, obwohl ge-
rade hier beträchtliche Beschäftigungspotenziale für die
Zukunft liegen. Nimmt man allein die aus der demogra-
fischen Entwicklung resultierenden neuen Herausforde-
rungen, stellt man fest, dass hierin große Chancen für
mehr Beschäftigung und gute Arbeit sowie ein besseres
Leben stecken. Ein aus beschäftigungspolitischer Sicht
besonders zukunftsträchtiger und arbeitsintensiver Be-
reich sind zum Beispiel die häuslichen und stationären
Pflegedienstleistungen. Der demografische Wandel führt
zu einem steigenden Bedarf auf diesem Gebiet und da-
mit zu mehr Beschäftigung. Die Bundesregierung und
die Große Koalition verpassen es jedoch leider, das
Potenzial, das in diesem Bereich liegt, auszuschöpfen.
Einerseits betreibt die Bundesregierung durch die Priva-
tisierung von Pflegedienstleistungen passiven Arbeits-
platzabbau. Andererseits verhindert sie die Entstehung
neuer Arbeitsplätze durch die Förderung und Subventio-
nierung der Pflege innerhalb der Familie. Ein Blick auf
die skandinavischen Länder, vor allem auf Schweden,
kann hier helfen. Dort wird eine aktivierende Arbeits-
marktpolitik betrieben. Der Staat übernimmt als Arbeit-
geber eine Schlüsselrolle bei der Produktion sozialer
Dienstleistungen.

Will man dieses Potenzial für den Arbeitsmarkt er-
schließen, muss ein neues Denken in die Beschäfti-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
gungs- und Arbeitsmarktpolitik Einzug halten. Der
Markt kann es, wie man bereits heute sieht, nicht mehr
richten. Zugegebenermaßen handelt es sich um kom-
plexe gesellschaftliche Prozesse im Spannungsfeld zwi-
schen Ausbildungs- und Weiterbildungsträgern, Unter-
nehmen und öffentlichen Institutionen. Sie betreffen
nicht nur die Ermittlung neuer Ausbildungs- und Weiter-
bildungsprofile und deren Umsetzung in entsprechende
Lehrinhalte. Völlig neue Anforderungen ergeben sich für
eine an öffentlichen Interessen orientierte Arbeitsmarkt-
politik mit relativ genauen qualitativen und quantitativen
Parametern, mit territorial zu berücksichtigenden Vertei-
lungen von Arbeitskräften und mit neuen Finanzierungs-
erfordernissen für die Sicherung von Weiterbildungspro-
zessen.

Wichtig sind also Qualifizierung und Weiterbildung
der im Dienstleistungssektor beschäftigten Personen.
Doch gerade hier fehlt ein verstärktes Engagement der
Bundesregierung. Sie äußert zwar den Willen, durch
Qualifizierung der Beschäftigten niedrige Entlohnung
und prekäre Arbeitsverhältnisse zu überwinden, jedoch
geht sie in ihren Antworten und in ihrer Politik nicht dar-
auf ein, wie dies geschehen soll. Mehr noch, sie schafft
sogar prekäre Beschäftigungsverhältnisse, indem sie ge-
ringfügige Beschäftigung als solche fördert. Frau Kopp
hat die Zahlen genannt. Es ist katastrophal, wenn man
von seiner Hände Arbeit nicht leben kann und auf Trans-
ferleistungen angewiesen ist. Deshalb ist ein gesetzlicher
Mindestlohn erforderlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht zuletzt geht es um wichtige soziale Aspekte, für
die es gesellschaftliche Orientierungen geben muss. In
den vergangenen zwei Jahren ist deutlich geworden,
dass der wirtschaftliche Aufschwung gerade im Dienst-
leistungssektor zu einer hohen Zahl prekärer Arbeitsver-
hältnisse geführt hat. So sind fast 50 Prozent der Gebäu-
dereiniger Minijobber, die zusätzlich auf Hartz IV
angewiesen sind. Der Minijob als Sprungbrett zu sozial-
versicherungspflichtiger Beschäftigung hat sich als
Illusion erwiesen. Häufig ist es umgekehrt: Sozialversi-
cherungspflichtige Stellen werden in Minijobs umge-
wandelt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615121500

Frau Höll, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615121600

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Um die Ar-

beitsbedingungen im Dienstleistungssektor ist es häufig
schlecht bestellt. Wir brauchen hier eine neue Politik, die
die gegebenen Möglichkeiten ausnutzt. Dafür brauchen
wir aber auch einen entsprechenden Wechsel.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615121700

Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Joachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert
Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika
Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Erneuerbare Energien wie Solarenergie, Geo-
thermie, Wind- und Wasserkraft für die Ener-
gieversorgung deutscher Einrichtungen im
Ausland einsetzen – für Klimaschutz und
Nachhaltigkeit

– Drucksachen 16/7489, 16/7910 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Monika Griefahn
Marina Schuster
Monika Knoche
Jürgen Trittin

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe Monika
Griefahn für die SPD-Fraktion das Wort.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1615121800

Frau Präsidentin! Meine lieben verbliebenen Kolle-

ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute
eine Initiative beschließen können, mit der wir viel mehr
erreichen, als vielleicht offensichtlich wird. Mit unserem
Koalitionsantrag wollen wir dazu beitragen, dass zu-
künftig erneuerbare Energien für die Energieversorgung
der deutschen Vertretungen im Ausland stärker einge-
setzt werden. Das kann Solarenergie oder Geothermie
sein; wir setzen auch auf mehr Wind- und Wasserkraft
sowie – das ist besonders wichtig – auf Maßnahmen zur
Energieeffizienz wie Kraft-Wärme-Kopplung oder Kraft-
Kälte-Kopplung.

Wir fordern nicht nur Botschaften und Konsulate,
sondern auch Mittlerorganisationen wie das Goethe-
Institut oder deutsche Schulen auf, bei Neubauten oder
Sanierungen erneuerbare Energien einzuplanen und zu
nutzen. Besonderen Wert legen wir darauf, dass Archi-
tekten bei ihren Planungen darüber nachdenken, wie
man das ganze Gebäude energietechnisch sinnvoll ge-
stalten kann. Zu diesem Zweck sollen zwei Programme
mit den entsprechenden Geldern zur Verfügung stehen.
Das ist zum einen das Sanierungsprogramm für deutsche
Vertretungen im Ausland, zum anderen das 120-Millio-
nen-Euro-Programm der Bundesregierung zur energeti-
schen Sanierung von Bundesliegenschaften.

Wenn ich sage, dass wir mit dieser Initiative viel mehr
erreichen, als vielleicht offensichtlich wird, dann meine
ich damit Folgendes: Dieser Beitrag zum Umweltschutz
im Ausland ist ebenso wichtig wie das, was wir bei uns
in Deutschland machen. Allerdings hat es den Nachteil,






(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
dass es im eigenen Land weitaus weniger wahrgenom-
men und deshalb leicht vernachlässigt wird. Dabei gibt
es viele Länder, in denen Klimaschutz durch alternative
Energien besonders leicht möglich ist. Ägypten zum
Beispiel hat rund 300 Sonnentage im Jahr. Ich brauche
Ihnen nicht zu erzählen, wie ertragreich dort eine Solar-
anlage sein kann. Angesichts der zahlreichen sichtbaren
Zeichen, die der Klimawandel bereits jetzt überall auf
der Welt hinterlässt, dürfen wir als Deutsche unsere
Möglichkeiten im Ausland nicht ungenutzt lassen.

Zusammen mit meinem Kollegen Hans-Joachim
Fuchtel habe ich auf unseren letzten Reisen als Mitglied
der Interparlamentarischen Union und natürlich auch in
den Fachausschüssen die Notwendigkeit dieses umwelt-
politischen Engagements sehr deutlich erfahren.

Ich erwähnte eben Ägypten. Anlässlich einer Konfe-
renz, die wir im Rahmen unserer auswärtigen Kultur-
politik in Kairo veranstaltet haben, besuchten wir das
Goethe-Institut, das gerade einen Neubau plant. Auf die
Frage, ob denn dort auch eine Solarenergieanlage ge-
plant sei, wurde geantwortet, das sei nicht der Fall, da
Strom in Ägypten subventioniert werde und der Bau
ohne Solaranlage somit günstiger sei. Das ist ein falscher
und kurzsichtiger Weg.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir fordern mit unserer Initiative das nötige Umdenken,
auch von den deutschen Einrichtungen im Ausland und
damit auch vom Bundesrechnungshof, der immer die
billigste Bauvariante fordert. Nein, die deutschen Ein-
richtungen im Ausland sollten gar nicht anders handeln
dürfen, als sich für erneuerbare Energien zu entscheiden.
Deshalb müssen wir als Parlament den Ministerien Auf-
lagen in dieser Hinsicht machen.

Es geht uns mit dem Programm nicht in erster Linie
um die Energiesituation in den einzelnen Ländern. Viel-
mehr sollen die Planer wissen, dass wir von ihnen eine
besonders nachhaltige und energetische Bauweise er-
warten, egal wie billig zurzeit der Strom vor Ort ist. Das
kann sich ganz schnell ändern. Auch dafür gibt es genug
Beispiele.

In meinen Augen sprechen drei grundlegende
Gründe ganz klar für diese Initiative: erstens der Klima-
schutz, zweitens unsere Vorbildfunktion – wenn wir uns
auf G-8-Treffen und europäischen Gipfeln immer für
den Klimaschutz einsetzen, dann müssen wir überall auf
der Welt zeigen, dass wir es ernst meinen – und drittens
der Aspekt der Wirtschaftsförderung. Der erste Grund,
der Klimaschutz, ist der wichtigste. Klimaschutz bedeu-
tet Schutz des eigenen Lebens und der eigenen Gesund-
heit. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee hat vor we-
nigen Tagen gerade in Deutschland die zweite Phase der
Informationskampagne zur Finanzierung der CO2-Ge-
bäudesanierung gestartet. Viele haben sicherlich schon
am Hauptbahnhof die Litfaßsäulen mit den lustigen ro-
ten Strickmützen gesehen, die auf die Möglichkeiten der
Energieeinsparung bei der Sanierung von Wohnraum
aufmerksam machen. Ich finde, das ist ein ganz tolles
Förderprogramm, mit dem inzwischen schon weit über
eine halbe Million Wohnungen hier in Deutschland ge-
fördert wurden.

Das, was wir hier im Inland für den Klimaschutz leis-
ten, sollten wir auch bei unseren eigenen Gebäuden im
Ausland tun. Dazu gehört die energetische Gebäudesa-
nierung genauso wie die Nutzung erneuerbarer Energien,
zum Beispiel durch Solardächer auf Goethe-Instituten.
Wie gesagt: Es gibt etliche Länder, die geografisch viel
bessere Ausgangssituationen für die Nutzung erneuerba-
rer Energien haben als wir.

Ich bin deshalb so überzeugt, dass wir in diesen Be-
reich viel Geld und Herzblut investieren sollten, weil wir
mit regenerativen Energien und der entsprechenden
Technik viel erreichen können. Ist nicht die Tatsache,
dass man mit Solarenergie nicht nur heizen, sondern
auch kühlen kann, besonders vielversprechend? Schließ-
lich nutzen auf der Welt viele Leute jede Menge Energie
für Klimaanlagen und andere Kühlvorrichtungen. Fach-
leute sagen, dass effiziente solarthermische Kühlsysteme
helfen, die Stromkosten um bis zu 70 Prozent zu redu-
zieren. Das sollte jeden Zweifler überzeugen. Neben sol-
chen Anlagen ist es ebenso wichtig, bereits bei der Kon-
zeption eine energiesparende und effiziente Bauweise im
Blick zu haben. Es ist eine Herausforderung für Archi-
tekten, Ästhetik und Energieeffizienz zusammenzubrin-
gen. Auch das gehört dazu; denn nicht immer hilft nur
das dem Klimaschutz, was man auf den ersten Blick se-
hen kann.

Der zweite Grund für die Initiative ist die Vorbild-
funktion, die wir auch in anderen Ländern mit einer sol-
chen Initiative haben werden. Die Vertretungen Deutsch-
lands im Ausland sind immer auch ein Symbol und
Referenzobjekt für unser Land, unsere Kultur, unsere
Werte und unsere Vorstellungen. Sie sind stark von Men-
schen frequentiert, die für Neues offen sind, die sich für
Deutschland interessieren und alles, was sie erfahren, in-
ternational weitergeben. Wenn Gäste in ein Goethe-Insti-
tut kommen, dann stoßen sie in der Bibliothek auf deut-
sche Literatur, in den Sprachkursen auf deutsche
Sprache und in den Gesprächsrunden und Veranstaltun-
gen auf deutsche Kultur. Wir wollen, dass diese Gäste
auch sehen, dass wir in Deutschland für einen guten und
nachhaltigen Umgang mit der Umwelt eintreten. Wir
können und sollten vor Ort zeigen, dass es für jeden ganz
verschiedene Möglichkeiten gibt, sich für die effizien-
tere Nutzung von Energie einzusetzen. Das ist eben auch
ein Teil der deutschen Gesellschaft und Kultur, die un-
sere Gäste kennenlernen können. Nicht umsonst wun-
dern sich viele Besucher, die wir in Deutschland haben,
oftmals über unsere penible Art, Müll zu trennen oder
das Licht auszuschalten, wenn wir nicht im Raum sind,
was in anderen Ländern noch nicht so üblich ist. Um ge-
nau das weiterzugeben, ist es uns auch wichtig gewesen,
bei den zu installierenden Anlagen gleich die Möglich-
keiten der Besichtigung und Vorführung zu berücksichti-
gen. Besucher der Botschaften sollen mehr über die So-
laranlage auf dem Dach der Botschaft erfahren können,
sie inspizieren und die Vorteile der Technik auch selber
sehen können.






(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
Damit bin ich beim dritten Grund unserer Initiative:
die Werbung für unsere Wirtschaft. Deutschland gehört
zu den führenden Nationen, wenn es um Umweltschutz,
Energieeffizienz, erneuerbare Energien und die damit
verbundene Technik geht. Das sollten wir auch in unse-
ren Auslandsvertretungen in aller Welt zeigen. Damit
machen wir ein Stück weit Werbung für diesen wichti-
gen Wirtschaftszweig. Immerhin arbeitet in Deutschland
schon eine Viertelmillion Menschen in diesem Bereich;
sie haben einen sicheren Arbeitsplatz. Bis 2020 sollen
100 000 zusätzliche Stellen geschaffen werden.

Ich glaube, wir sind mit dieser Initiative auf einem
guten Weg. Jetzt kommt es nur darauf an, dass die Ver-
tretungen vor Ort von der Möglichkeit Gebrauch ma-
chen, die diese Neuregelung bietet. Ich bitte Sie ganz
herzlich: Machen Sie auf Ihren Reisen in den Schulen, in
den Botschaften und bei den Partnerorganisationen auf
diese Möglichkeit des Klimaschutzes aufmerksam und
werben Sie dafür!

In diesem Jahr haben wir eine große Initiative für den
Ausbau des Netzes der deutschen Schulen gestartet. Die
Zahl der Partnerschulen soll auf 1 000 erhöht werden.
Dafür stehen 40 Millionen Euro extra zur Verfügung. Ich
hoffe, dass wir immer, wenn wir vor Ort über entspre-
chende Projekte reden, wenn Gebäudesanierungen an-
stehen bzw. Gebäude neu angemietet oder gebaut wer-
den sollen, dafür werben, dabei die richtige Technik zu
nutzen. Damit können wir in diesen Ländern sehr viel
für diesen Bereich tun.

Jeder von Ihnen – jeder von uns – kann im Rahmen
seiner Reichweite und Möglichkeiten für mehr Anlagen
zur Gewinnung erneuerbarer Energien auf deutschen
Gebäuden im Ausland werben. Nicht nur im Parlament,
sondern auch beim Klimaschutz ist oft viel detaillierte
Kleinarbeit nötig. Wenn aber jeder einen kleinen Teil
beiträgt, dann schaffen wir zusammen etwas wirklich
Großes. Ich freue mich, dass wir heute diesen Antrag
verabschieden können.

Herzlichen Dank für die Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615121900

Der Kollege Harald Leibrecht hat jetzt das Wort für

die FDP.


(Beifall bei der FDP)



Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1615122000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In dem von der Koalition vorgelegten Antrag stehen
viele wichtige und richtige Dinge. Keine Frage: Der Kli-
mawandel ist eine der zentralen Herausforderungen für
die globale Entwicklung des 21. Jahrhunderts, und zwar
nicht nur in ökologischer, sondern auch in gesellschaftli-
cher, wirtschaftlicher und möglicherweise auch in si-
cherheitspolitischer Hinsicht. Ja, Deutschland soll, wie
alle hochindustrialisierten Länder, an der Spitze jener
stehen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Dazu gehö-
ren natürlich auch der Einsatz regenerativer Energien
und Fortschritte bei der Energieeffizienz.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass man dafür
Zeichen setzen will, erst recht, dass wir mit deutschem
Know-how für uns und für deutsche Unternehmen wer-
ben wollen.

Trotzdem muss man sich doch allen Ernstes die Frage
stellen, ob mit diesem Antrag wirklich die richtigen
Schwerpunkte gesetzt werden. Es gibt, wie wir alle wis-
sen, bei den deutschen Einrichtungen im Ausland eine
Reihe ernsthafter Strukturprobleme, insbesondere im
Bereich der personellen, der räumlichen und der materi-
ellen Ausstattung. Diese Probleme gefährden vielerorts
die Leistungsfähigkeit unseres diplomatischen Dienstes,
mit allen damit zusammenhängenden negativen Auswir-
kungen auf die Serviceleistungen für deutsche Bürger im
Ausland.


(Beifall bei der FDP)


Zudem schwächen sie die Fähigkeit, unsere Interessen in
der Welt durchzusetzen.

Wir, die FDP-Fraktion, haben im Auswärtigen Aus-
schuss schon mehrfach den Antrag gestellt, endlich die
pauschalen Stellenkürzungen im Bereich des Auswärti-
gen Amtes zu beenden. Minister Steinmeier beziffert die
dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten mit 1,6 Mil-
lionen Euro pro Jahr. Leider lehnt die Koalition unsere
Vorschläge immer wieder ab.


(Zuruf von der FDP: Völlig unverständlich!)


Heute werden Sie allen Ernstes einen Antrag annehmen,
der im Bundeshaushalt ein Vielfaches der Kosten verur-
sachen, aber in der Sache der erwähnten Strukturpro-
bleme zu keiner Verbesserung führen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin mir nicht sicher, ob es Absicht gewesen ist,
dass der Haushaltsausschuss bei diesem Antrag gar nicht
erst mitberaten hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, Sie fordern in Ihrem Antrag,

… bei allen Gebäuden des Bundes im Ausland wie
Botschaften, Konsulaten, deutschen Schulen, Goethe-
Instituten, EZ-Büros und anderen höchste Stan-
dards der Energieeffizienz umzusetzen und bei
Wärme-/Kälte- und Stromerzeugung regenerative
Energien zu nutzen.

Wir sprechen also über nicht weniger als mindestens
228 deutsche Auslandsvertretungen, 147 Goethe-Insti-
tute, 117 Auslandsschulen; hinzu kommt das, was im
Antrag als „andere“ bezeichnet wird.

Wenn das wirklich umgesetzt würde, wäre man ganz
schnell im dreistelligen Millionenbereich plus Folgekos-
ten, ohne dass hierdurch die Effizienz und Effektivität
der Arbeit unserer Auslandsvertretungen verbessert
würde. Man muss ernsthaft die Frage stellen, ob dies die
richtige Schwerpunktsetzung ist, ob es nicht dringendere
Probleme gibt.

Dabei kann man bei den deutschen Einrichtungen im
Ausland durchaus auch über bauliche Fragen sprechen.






(A) (C)



(B) (D)


Harald Leibrecht
Jeder von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennt
deutsche Auslandsvertretungen und deren Probleme.

Hier einige Beispiele: In der deutschen Botschaft in
Accra gib es zurzeit keine getrennten Damen- und Her-
rentoiletten mehr, weil einer der Räume als Computer-
raum genutzt werden muss; das ist der einzige klimati-
sierte Raum dort. Oder nehmen Sie die Visastelle in
Moskau! Dort sind seit Jahren Großraumbüros in engen
Wohncontainern untergebracht, weil das Kanzleige-
bäude asbestverseucht ist. Im Sommer ist es unerträglich
heiß und im Winter bitterkalt. Stünde die deutsche Vertre-
tung in Belgrad in Deutschland, wäre sie wegen fehlenden
Tageslichts, lausiger Beleuchtung, völlig unzureichen-
der Brandschutzmaßnahmen und Arbeitssicherheitsmän-
geln längst geschlossen.

Es gibt noch mehr Beispiele. Wir wissen um die Defi-
zite bei der Erdbebensicherheit einer Reihe von deut-
schen Auslandseinrichtungen in entsprechend gefährde-
ten Regionen. In deutschen Auslandsschulen können
viele bauliche Verbesserungen nur durch massives priva-
tes Engagement der Eltern bewerkstelligt werden.

Ob es angesichts solcher Zustände wirklich das rich-
tige Zeichen ist, wenn wir einen – durchaus sinnvollen –
dritten und vierten Schritt vor dem ersten machen, da
habe ich meine Zweifel.


(Beifall bei der FDP)


Zudem bin ich schon heute darauf gespannt, mit wel-
chen konkreten Vorschlägen zur Umsetzung dieses An-
trags die Bundesregierung bei den nächsten Haushalts-
verhandlungen auf uns zukommen wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615122100

Der Kollege Hans-Joachim Fuchtel hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1615122200

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich möchte zunächst einmal den Kollegen
Leibrecht beruhigen, der gesagt hat, dass der Haushalts-
ausschuss nicht vertreten sei: Er steht hier, vertreten
durch mich, vor Ihnen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Harald Leibrecht [FDP]: Ja, aber vorher nicht! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: In ganzer Pracht!)


Ich sage Ihnen auch, dass wir diesen Antrag gerade
aus Gründen der Effizienz befürworten. Er kann im Üb-
rigen zwei Schicksale erleiden: Entweder landet er in der
Registratur, oder es wird wirklich etwas gemacht. Wir
von der Koalition werden gemeinsam dafür sorgen, dass
etwas gemacht wird.

Deutschland ist ein Hightechland. Wir alle wissen,
dass der Klimaschutz ein wichtiges Thema ist und dass
wir im Bereich der Energietechnologien führend sind.
Wenn wir das sind, dann sollten wir es mehr zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen sage ich Ihnen: Jede Auslandsvertretung und
jede Botschaft soll eine Energiebotschaft werden.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oi, oi, oi!)


Die Grundidee ist exzellent. Alle sind dafür – sogar
die Grünen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hätten auch schon auf die Idee kommen können, als
wir einen grünen Außenminister hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: So sind die nicht!)


So müssen wir es machen.

Der FDP sage ich: Weil sie gerade keinen Außenmi-
nister stellt, würde sie mit der Idee gern noch ein biss-
chen warten, bis sie den Außenminister mal wieder
stellt. Aber so lange können wir mit dem Thema nicht
warten.

Und wenn ich sage, dass die Grundidee exzellent ist,
dann darf ich hinzufügen: Sie stammt von mir.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich habe das geahnt!)


Der Feinschliff stammt allerdings von der Kollegin
Griefahn und den Umweltpolitikern. Sie haben sich ein
bisschen über das Thema unterhalten, bis sie erkannt ha-
ben, dass man dafür Geld in die Hand nehmen muss. Wir
haben uns aber, wie üblich in dieser Koalition, zusam-
mengerauft und sind zu einem guten Ergebnis gekom-
men.

Wenn der Klimawandel die zentrale Herausforderung
des 21. Jahrhunderts ist, dann liegt es doch auf der Hand,
dass man erneuerbare Energien wie Solarenergie, Geo-
thermie, Wind- und Wasserkraft für die Energieversor-
gung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzt und
damit ihre Priorität unterstreicht.

Die Plattformen dafür sind die deutschen Einrichtun-
gen im Ausland. Ich sage sehr ernst: Die Bundesrepublik
Deutschland muss und wird durch ein klares Bekenntnis
zur Klimaschonung und zu Effizienzkriterien beim Bau
und beim Umbau von deutschen Vertretungen im Aus-
land effektvoll für den Klimaschutz werben. Das ist die
Idee. Jetzt wird mit dem Antrag begonnen. Die 228 Bot-
schaften und Generalkonsulate, die wir haben, sind aus
unserer Sicht 228 Chancen, mit denen wir diese Situa-
tion durch positive Beispiele und durch die Demonstra-
tion der heutigen Möglichkeiten verbessern können.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Fuchtel
Lieber Herr Staatsminister, Sie müssen zuhören und
sollten nicht nur in den Akten lesen.


(Heiterkeit)


Wir beauftragen die Bundesregierung hiermit, eine
größtmögliche Zahl an Gebäuden des Bundes im Aus-
land mit modernen Anlagen auszustatten. Die dafür zu-
ständigen Minister werden gebeten – sagen Sie das bitte
den nicht anwesenden Kollegen! –, dies nicht im stillen
Kämmerchen zu tun, Sie werden gebeten, dies nicht als
geheime Staatsaktion durchzuführen, und Sie werden ge-
beten, daraus keine Doktorarbeiten zu machen, sondern
sichtbar zu handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Wir wollen nicht nur bessere Bedingungen schaffen,
sondern wir wollen mit dieser Maßnahme einen völlig
neuen Dialog eröffnen. Das haben Sie bisher vergessen.
Sie haben hier ein bisschen flach gespielt. Jetzt kommt
der Überbau dieser Maßnahme.


(Harald Leibrecht [FDP]: Sie kennen doch auch die Situation!)


Wir wollen, dass auf diese Weise die Klimaschutzziele
auf völlig neue und anschauliche Weise in die Welt hi-
nausgetragen werden. Das ist das Ziel. Wir erwarten also
Demonstrations- und Referenzbeispiele.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das interessiert die Leute nicht!)


– Ich werde das Mittelständlern erzählen, denen gegen-
über Sie immer behaupten, dass Sie Mittelstandspolitik
machen, wenn Sie hier sagen, das interessiere nieman-
den. Ich kenne viele Mittelständler, die sich um Aufträge
im Ausland bemühen. Wir werden sie alle mit diesen
Maßnahmen unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das sagt ein Vertreter der FDP. Das hätte ich zu dieser
Stunde nicht erwartet.

Wir erwarten also Demonstrations- und Referenzbei-
spiele. Wir wollen damit auch die bereits geschaffene
Exportinitiative Erneuerbare Energien des Bundeswirt-
schaftsministers unterstützen, und wir möchten, dass die
deutsche Wirtschaft auf dem Gebiet der regenerativen
und alternativen Energiegewinnungssysteme durch diese
Maßnahme eine konkrete Unterstützung erfährt. In deut-
schen Botschaften können künftig Planer, Architekten
und Ingenieure zusammengeführt werden, um sie auf
neue Technologien und deren Anwendungsmöglichkei-
ten aufmerksam zu machen. Ich denke dabei nicht unbe-
dingt an Hightechländer in Europa, aber an Länder in
Afrika, in Asien oder an Staaten auf dem Gebiet der frü-
heren Sowjetunion. Dort sind solche Beispiele sicher
sehr wichtig und können ungeheuer viel bewirken. In
diese Richtung müssen wir gehen.

Es können Foren des Machbaren entstehen; denn was
nicht zur Tat wird – auch das ist wichtig –, das hat kei-
nen Wert. Hier wird etwas durch konkrete Beispiele zur
Tat. Solch eine Maßnahme bringt natürlich auch weitere
Anforderungen mit sich. Künftig muss es zu den Grund-
kenntnissen eines Diplomaten gehören, dass er auch ein
paar Worte zum Klimaschutz sagen kann. Das ist gar
nicht so falsch, wenn das damit intendiert wird.

Wir erwarten, dass die Energiekonzepte auch für Be-
sucher sichtbar dargestellt werden. Das ist bereits gesagt
worden. Wir erwarten, dass in den Eingangsbereichen
der Botschaften und Residenzen Modelle aufgestellt
werden und dass es auch Führungen für das Publikum
gibt. Wir erwarten, dass für unsere deutschen Technolo-
gieanbieter Fachveranstaltungen in neuer Dimension er-
möglicht werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Hier
wird das Ganze auch greifbarer.

Vielleicht können wir uns doch noch verständigen.
Sie haben sich im Ausschuss ja auch nicht dagegen aus-
gesprochen, sondern sich nur enthalten.


(Monika Griefahn [SPD]: Ach, flirte nicht immer mit der FDP!)


Ich habe gemerkt, dass Sie im Prinzip auch dafür sind,
dass Sie als Opposition aber ein bisschen dagegen sein
müssen.

Meine Damen und Herren, das Thema kann auch in
einer neuen Dimension als Botschaft herausgearbeitet
werden. Vor diesem Hintergrund sage ich nochmals:
Jede Botschaft muss eine Energiebotschaft werden.

Dem Auswärtigen Amt sage ich Folgendes: Wir ha-
ben erst kürzlich über den Rechnungsprüfungsausschuss
und andere Gremien neue Handlungsmöglichkeiten für
Baumaßnahmen eröffnet und dem Auswärtigen Amt
mehr Kompetenzen gegeben. Mit der heutigen Initiative
geben wir dem Auswärtigen Amt neue Handlungsmög-
lichkeiten für ein Anliegen, hinter dem inzwischen na-
hezu das ganze Haus steht. Angesichts dessen wird das
Auswärtige Amt auch verstehen, dass hier gehandelt
werden muss. Wenn das ganze Haus hinter der Sache
steht, scheitert es auch nicht an den Finanzen. Es kann
zum einen auf das ohnehin bestehende Sanierungspro-
gramm zurückgegriffen werden; zum anderen steht ein
Programm mit 120 Millionen Euro zur energetischen Sa-
nierung von Bundesliegenschaften bereit. Ich bin mir si-
cher, dass weitere erforderliche Mittel und Wege für
diese Investitionsmaßnahme gefunden werden, wenn wir
das in diesem Haus wollen.

Wir erwarten von der Bundesregierung eine schnelle
Umsetzung. So wie man in Berlin einmal die Gropius-
bauten und die Siemensstadt zum Vorzeigen geschaffen
hat, so müssen wir jetzt draußen in der Welt etwas auf
diesem neuen Sektor schaffen. Wir erwarten ein flexi-
bles Vorgehen durch intelligente Vergabekonzepte für
die Wirtschaft. Ein solches Vorgehen wird der Bedeu-
tung dieses Anliegens gerecht. Jede Botschaft kann eine
Energiebotschaft werden. Das ist gut für Deutschland
und gut für die Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615122300

Monika Knoche spricht jetzt für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1615122400

Frau Präsidentin! Gestatten Sie, Herr Fuchtel, dass

ich Ihnen Folgendes sage: Mir hat Ihr Hinweis auf das
Wirken des ersten grünen Außenministers in seinem
Amt sehr gut gefallen. Auch ich hatte den Eindruck, dass
ihm dieses Thema sozusagen schnurzegal war.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Traurig, traurig!)


Gemessen an den immensen Herausforderungen des
Klimawandels, meine Damen und Herren, nimmt sich
dieser Antrag dann aber doch recht bescheiden aus. Sie
müssen keine Sorge haben: Wir sagen nicht Nein dazu.
Ich frage aber: Wieso müssen wir heute überhaupt darüber
reden, wo doch seit 2007 eine neue Energieeinsparverord-
nung gilt, für die 120 Millionen Euro bereitgestellt wor-
den sind? Gerne sind wir den Regierungsfraktionen als
Opposition behilflich, diese Mittel aufzustocken; da ha-
ben Sie unsere volle Unterstützung.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben recht: Deutschland soll im Ausland ein gu-
tes Beispiel geben. Wenn man aber im Ausland überzeu-
gen will, muss man auch im Inland ein gutes Beispiel ge-
ben, auch im Rahmen der deutschen Außenpolitik. Der
Klimafrage angemessen wäre es, Sie würden sich erstens
zum Beispiel bei der Weltbank konsequent für eine
Energiewende einsetzen. Die Weltbank, in der unsere
Regierung mitbestimmt, hat aber gerade in den letzten
Jahren ihre Investitionen in Projekte mit fossiler Energie
enorm gesteigert, während die Investitionen in regenera-
tive, erneuerbare Energien stagnieren. Bei der Weltbank
muss Deutschland also für einen Politikwechsel sorgen,
damit sich in den Schwellenländern eine nachhaltig öko-
logische Entwicklung vollziehen kann.

Überzeugend wäre zweitens, in der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit nicht die falsche Infrastruktur
und Verkehrspolitik auf der Basis von Ölverbrauch zu
fördern. Vernünftig wäre es drittens, in Deutschland kei-
nes der 26 geplanten neuen Kohlekraftwerke zu bauen
und den ÖPNV massiv auszubauen; das ist notwendig.
All das trägt dazu bei, dem Klimawandel im eigenen
Haus zu begegnen. Denn 60 Prozent der Ölimporte ge-
hen in den Verkehr.


(Beifall bei der LINKEN)


Probleme sind hier zu lösen; es darf nicht stattdessen auf
die anderen Länder verwiesen werden.


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja niemand gemacht!)


Klimaziele können nur erreicht werden, wenn man in
der Energie- und Verkehrspolitik Abschied nimmt vom
Wettbewerb, der nichts in ökologische Bahnen lenken
kann. Wir brauchen einen lenkenden Staat, um die Inno-
vationen, die für ein neues Energiezeitalter erforderlich
sind, überhaupt bewerkstelligen zu können.

In Ihrem kleinmütigen Antrag verwenden Sie groß-
mundige Worte:

Deutschland versteht sich als Vorreiter im Klima-
schutz.

Verstehe ich das richtig? Hat nicht Frau Bundeskanzlerin
Merkel gerade erst für das größte Klimakillerkraftwerk
Deutschlands in Neurath den Grundstein gelegt? Ist es
nicht die Bundeskanzlerin gewesen, die in der EU daran
mitgewirkt hat, dass keine verbindliche Reduktion des
CO2-Ausstoßes für Autos verabschiedet wurde?


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Wenn Sie in Zusammenhängen denken würden, würden Sie einen solchen Unsinn nicht erzählen!)


All das muss man erwähnen, da Sie in Ihrem Antrag
schreiben:

Handeln überzeugt oft mehr als Worte.

Diese Regierung hat, was die eigene Praxis angeht, nicht
das geleistet, was für den Klimaschutz erforderlich ist.

Noch ein Wort zu den Botschaften und Residenzen;
ich kenne einige alte und neue. Für künftige Gebäude
muss gelten: Die berühmtesten Architekten auszuwäh-
len, kann nicht das maßgebliche Kriterium sein. Viel-
mehr muss sich die Architektur des 21. Jahrhunderts zei-
gen: Diese kann nur eine Ausrichtung auf Null-Energie-
Bauten sein. Da geht der Weg lang.


(Beifall bei der LINKEN)


Übrigens: Manches Bauen im Ausland könnte an die
traditionsreiche Architektur angelehnt werden, die ent-
stand, als es noch keine Klimaanlagen gab. In vielen
Kulturen wurde eine funktionale, repräsentative und äs-
thetisch hochstehende Architektur geschaffen, die sich in
die Umweltgegebenheiten ökologisch einfügt. Daraus
könnte man lernen.

Nach dieser Debatte hoffe ich sehr, dass Leute in der
Jury des Auswärtigen Amtes oder wo auch immer sitzen,
die der Bedeutung der Ökologie bei Architekturwettbe-
werben den ersten Platz einräumen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615122500

Jetzt hat die Kollegin Uschi Eid für Bündnis 90/Die

Grünen das Wort.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615122600

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Um es

gleich vorwegzusagen: Meine Fraktion stimmt dem An-
trag der Koalition zum Einsatz erneuerbarer Energien in
deutschen Einrichtungen im Ausland zu. Genau das – und
nicht erneuerbare Energien in Deutschland – ist das
Thema, Frau Knoche. Ich glaube, Sie haben das Thema
verfehlt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid

(Monika Knoche [DIE LINKE]: Ich habe das Thema richtig gewählt! Sehr richtig!)


Ich freue mich, dass nun auch die Koalitionsfraktio-
nen in ihrem Antrag feststellen, dass der Klimawandel
die Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das sagt die Kanzlerin schon die ganze Zeit!)


Konsequenterweise sind wir gefordert, umfassende und
nachhaltige Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen,
und zwar im Inland und auch im Ausland.

Deutschland ist einer der größten Energieverbraucher
weltweit und gleichzeitig eines der bedeutendsten Indus-
trieländer. Wir stehen in der Verantwortung, Vorreiter ei-
ner klimagerechten Lebens- und Wirtschaftsweise zu
sein. Denn wir können nicht von anderen Ländern ra-
sches Handeln für den Klimaschutz einfordern und ver-
langen, dass sie internationale Klimaschutzabkommen
erfüllen, ohne selbst mit gutem Beispiel voranzugehen –
und zwar zu Hause, aber auch im Ausland, wo auch im-
mer deutsche Vertretungen und Institutionen angesiedelt
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Seit Rot-Grün nimmt Deutschland mit seiner Erneu-
erbare-Energien-Politik im Ausland eine wichtige Vor-
bildfunktion ein. Die Wachstumsraten der letzten Jahre
haben dem gesamten Sektor zu einem einzigartigen wirt-
schaftlichen Aufschwung verholfen. Die deutsche Wind-
und Solarindustrie ist weltweit führend.


(Gustav Herzog [SPD]: Richtig!)


Diese Tatsache muss sich auch bei unseren eigenen Aus-
landseinrichtungen widerspiegeln.


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Nutzung regenerativer Energien in allen Gebäu-
den des Bundes im Ausland ist unerlässlich. Solaranla-
gen auf den Dächern von deutschen Botschaften, Konsu-
laten, deutschen Schulen, Goethe-Instituten, GTZ- und
DED-Büros sind energieeffizent und stellen darüber hi-
naus Demonstrationsobjekte deutscher technologischer
Errungenschaften dar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein modernes Deutschlandbild lässt sich nämlich
nicht nur durch außenkulturpolitische Instrumente wie
Dialogforen, Kunstkooperationen oder die Förderung
der deutschen Sprache vermitteln, sondern gerade auch
durch den Einsatz moderner Umwelttechnologien in ei-
genen Gebäuden. Wir sind nicht glaubwürdig, wenn wir
vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern er-
neuerbare Energien anpreisen, unsere Botschaften, GTZ-
Büros und Goethe-Institute vor Ort aber keinerlei Vor-
bildwirkung durch die Nutzung von Solarenergie, Geo-
thermie, Wind- oder Wasserkraft oder Kraft-Wärme-
Kopplung haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerade in vielen afrikanischen Staaten ist man der
Ansicht, sich nur dann an das Industriezeitalter annähern
zu können, wenn man in Großkraftwerke mit fossilen
Brennstoffen oder sogar in Atomkraft investiert, wie es
zum Beispiel gerade Namibia tut. Wir müssen durch den
Einsatz regenerativer Energien – je nach örtlichen Gege-
benheiten – zeigen, dass Gewinnung und Einsatz erneu-
erbarer Energien modern, zukunftsträchtig und auf tech-
nologischem Spitzenniveau sind und sich darüber hinaus
auch rechnen; denn sie sind billiger als das immer teurer
werdende Importöl.

Wichtig ist auch, dass die in dem Antrag angespro-
chenen Projekte einen Bezug zu den Verhältnissen in den
jeweiligen Ländern haben. Nur so haben sie auch einen
Demonstrationseffekt. Stellen Sie sich vor, der deutsche
Botschafter in Burkina Faso weiht am 3. Oktober, unse-
rem Nationalfeiertag, die Solaranlage auf dem Dach sei-
ner Residenz ein und erklärt, wie viel Kosten er im Ver-
gleich zu seiner Ölheizung langfristig spart. Oder der
GTZ-Experte serviert bei einem Seminar für Bauern im
Norden Vietnams ein Essen, das mithilfe einer Biogas-
anlage auf dem GTZ-Gelände – das Biogas wurde aus
tierischen Fäkalien aus der Umgebung gewonnen – ge-
kocht wurde.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht alles, wenn man es will!)


– Genau so ist es.

Oder die DEDlerin hat jeden Abend Licht in ihrer
Stube weit draußen in den Steppen der Mongolei und
kann dank ihres Solar-Home-Systems fernsehen und bü-
geln. Oder stellen Sie sich vor, die nun neu zu eröffnen-
den Goethe-Institute in Angola oder Tansania würden als
Niedrigenergiehäuser konzipiert. Das alles, Frau Präsi-
dentin, ist möglich. Deswegen ist dieser Koalitionsan-
trag der richtige Schritt in die richtige Richtung.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1615122700

Vielen Dank. Ich habe es jetzt auch verstanden.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zum Antrag der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Erneuerbare Ener-
gien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasser-
kraft, für die Energieversorgung deutscher Einrichtun-
gen im Ausland einsetzen – für Klimaschutz und
Nachhaltigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/7910, den An-
trag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Druck-
sache 16/7489 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
der Linken bei Enthaltung der FDP-Fraktion ohne Ge-
genstimmen angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b
auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Brüderle, Martin Zeil, Gudrun Kopp, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen

– Drucksache 16/8405 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die
deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsrege-
lung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen und europäisches Recht inte-
grieren

– Drucksachen 16/4065, 16/5946 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Rupprecht (Weiden)


Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kollegin-
nen und Kollegen Nüßlein, Hempelmann, Zeil, Lötzer
und Dückert.1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/8405 an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie vorgeschlagen. Gibt es dazu
weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so
beschlossen.

Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf
Drucksache 16/5946 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Mehr Dynamik und mehr Wettbe-
werb für die deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsre-
gelung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen und europäisches Recht integrieren“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/4065 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge-
genstimmen! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

1) Anlage 3
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
regelung des Verbots der Vereinbarung von
Erfolgshonoraren
– Drucksache 16/8384 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Gehb,
Strässer, Dyckmans, Nešković, Wieland und Hartenbach
ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 16/8384 an den Rechtsausschuss
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatz-
punkt 5 auf:

16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Katja Kipping, Kornelia Möller, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Innovative Arbeitsförderung ermöglichen –
Projektförderung nach § 10 SGB III zulassen
– Drucksachen 16/3889, 16/5167 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Lokale Entscheidungsspielräume und passge-
naue Hilfen für Arbeitsuchende sichern
– Drucksache 16/8524 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Hier geben die Kolleginnen und Kollegen Peter
Rauen, Gabriele Lösekrug-Möller, Jörg Rohde, Katja
Kipping und Brigitte Pothmer ihre Reden zu Protokoll.3)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5167, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3889 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der FDP angenommen.

Zusatzpunkt 5. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/8524 an den Ausschuss für
Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Dann ist so beschlossen.

2) Anlage 4
3) Anlage 5






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder-
ten Mais MON810 anordnen und den Verkauf
von MON810-Saatgut stoppen

– Drucksachen 16/7835, 16/8399 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Hier haben Dr. Max Lehmer, Elvira Drobinski-Weiß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Kirsten Tackmann und
Ulrike Höfken ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/8399, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/7835 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-
lung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Lin-
ken angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Rainer Brüderle, Jens Ackermann,
Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Mahnungen des Sachverständigenrates ernst
nehmen – Mehr Freiheit wagen

– Drucksachen 16/7112, 16/8263 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Laurenz Meyer (Hamm)


Es ist vereinbart, die Reden der Kollegen Dr. Michael
Fuchs, Reinhard Schultz, Rainer Brüderle, Dr. Herbert
Schui und der Kollegin Kerstin Andreae zu Protokoll zu
geben.2)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/8263, den Antrag
der FDP auf Drucksache 16/7112 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-

1) Anlage 6
2) Anlage 7
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und der Linken gegen die Stimmen der FDP ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Eon-Netz in die öffentliche Hand übernehmen

– Drucksache 16/8494 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Es ist hier vereinbart, die Reden der Kolleginnen und
Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer, Rolf Hempelmann,
Gudrun Kopp, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae zu Pro-
tokoll zu geben.3)

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/8494 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen. Damit sind Sie ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 20:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Markus Kurth, Cornelia Behm, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Erwerbsarmut verhindern – Einkommen stär-
ken – Wohngeld jetzt verbessern

– Drucksache 16/8053 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Hierzu haben die Kolleginnen und Kollegen Gero
Storjohann, Sören Bartol, Patrick Döring, Heidrun
Bluhm und Bettina Herlitzius ihre Reden zu Protokoll
gegeben.4)

Es ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 16/8053
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Damit sind Sie ebenfalls einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke
Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Medizinische Versorgung der Bundeswehr an
die Einsatzrealitäten anpassen – Kompetenz-

3) Anlage 8
4) Anlage 9






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

zentrum für posttraumatische Belastungsstö-
rungen einrichten

– Drucksache 16/7176 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapa-
zitäten für an posttraumatischen Belastungs-
störungen erkrankte Angehörige der Bundes-
wehr

– Drucksache 16/8383 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit

Bereits zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die
Kolleginnen Monika Brüning, Petra Heß, Elke Hoff,
Inge Höger und der Kollege Winfried Nachtwei.1)

Hierzu ist ebenfalls verabredet, die Vorlagen, die auf
den Drucksachen 16/7176 und 16/8383 zu finden sind,
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu

Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Keine EU-Exportsubventionen für Schweine-
fleisch in Entwicklungsländer

– Drucksache 16/8404 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Zu Protokoll gegangen sind die Reden der Kollegin-
nen und Kollegen Anette Hübinger, Dr. Sascha Raabe,
Manfred Zöllmer, Hellmut Königshaus, Heike Hänsel
und Thilo Hoppe.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8404 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie of-
fensichtlich einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Wir sind jetzt am Ende der heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 14. März 2008, 9 Uhr,
ein.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer

1) Anlage 10
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den
restlichen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.