Protokoll:
16148

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 148

  • date_rangeDatum: 6. März 2008

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:21 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/148 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Gerd Höfer, Alfred Hartenbach, Rainder Steenblock und Thomas Kossendey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung des Präsidenten der Abgeordne- tenkammer des Großherzogtums Luxemburg, Herrn Lucian Weiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung der Kraft-Wärme- Kopplung DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: 15540 B 15540 D 15541 C 15541 D 15550 C 15551 A 15551 C 15553 B 15554 C 15555 D 15557 A 15557 D 15558 C Deutscher B Stenografisc 148. Si Berlin, Donnerstag I n h a Nachruf auf die ehemalige Bundestagsprä- sidentin Dr. h. c. Annemarie Renger . . . . . . Nachruf auf den Abgeordneten Johann- Henrich Krummacher . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Markus Meckel so- wie von Herrn Professor Richard Schröder und Frau Ulrike Poppe in den Beirat nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Caren Marks als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundge- setzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Elke Reinke als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 19 . . . 15539 A 15539 C 15540 A 15540 A 15540 B 15540 B (Drucksache 16/8305) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- 15541 D undestag her Bericht tzung , den 6. März 2008 l t : zes zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb (Drucksache 16/8306) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb be- schleunigen (Drucksache 16/7872) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 15542 A 15542 A 15542 A 15544 B 15546 A 15548 B a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Piepe Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiter Abgeordneter und der Fraktion der FD Wissenschaftsfreiheitsgesetz einführen r, er P: – II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 Mehr Freiheit und Verantwortung für das deutsche Wissenschaftssystem (Drucksache 16/7858) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissen- schaftssystem öffnen – Mehr Qualität durch mehr verantwortliche Selbststeue- rung und Kooperation (Drucksache 16/8221) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- brücken) und der Fraktion DIE LINKE: Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Junior- professur stärken (Drucksachen 16/3192, 16/8369) . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Haushaltsgrundsätzege- setzes (HGrGÄndG) (Drucksache 16/7252) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Einheitengesetzes und des Eichgesetzes, zur Aufhebung des Zeitgesetzes, zur Änderung der Ein- heitenverordnung und zur Änderung der Sommerzeitverordnung (Drucksache 16/8308) . . . . . . . . . . . . . . . . 15559 A 15559 D 15559 D 15560 A 15561 B 15562 D 15565 B 15567 A 15567 C 15569 D 15571 B 15573 B 15575 B 15576 A 15578 C 15579 D 15580 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 8. September 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Trini- dad und Tobago über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- talanlagen (Drucksache 16/8251) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 1. August 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Republik Madagaskar über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapital- anlagen (Drucksache 16/8252) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 8. November 2006 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Repu- blik Guinea über die gegenseitige För- derung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 16/8253) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 5. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Bahrain über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla- gen (Drucksache 16/8254) . . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 30. Mai 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 16/8255) . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Privatisierung öffentlicher Aufgaben zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft (Drucksache 16/7735) . . . . . . . . . . . . . . . i) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Versorgungsqualität der Substi- tutionsbehandlung für Opiatabhängige verbessern (Drucksache 16/8212) . . . . . . . . . . . . . . . 15580 A 15580 A 15580 B 15580 B 15580 B 15580 C 15580 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 III j) Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Ulla Burchardt, weitere Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufsausbil- dung (Drucksache 16/8382) . . . . . . . . . . . . . . . . k) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (Drucksache 16/7082) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und die Rechtsstel- lung seines Hauptquartiers zwischen der Französischen Republik, der Bundesrepu- blik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spanien und dem Groß- herzogtum Luxemburg (Straßburger Ver- trag) (Drucksache 16/8250) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhalts- sachen, die Anerkennung und Voll- streckung von Unterhaltsentscheidun- gen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten (Drucksache 16/8377) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freiwilligen projektbasierten Klimaschutz auf verbreiteter Grund- lage voranbringen (Drucksache 16/7174) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahlprüfungsgeset- zes (Drucksachen 16/7463, 16/8354) . . . . . . . 15580 D 15580 D 15581 A 15581 A 15581 B 15581 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Obligatorische Haftpflichtver- sicherung für gewerbliche Binnen- schiffe beim Transport gefährlicher Gü- ter (Drucksachen 16/6640, 16/8030) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Einundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirt- schaftsverordnung – zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Zweiundachtzigste Verord- nung zur Änderung der Außenwirt- schaftsverordnung – zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Einhundertfünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ein- fuhrliste – Anlage zum Außenwirt- schaftsgesetz – (Drucksachen 16/7795, 16/7796, 16/7797, 16/8261) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d)–m) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 363, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 370, 371 und 372 zu Petitionen (Drucksachen 16/8201, 16/8202, 16/8203, 16/8204, 16/8205, 16/8206, 16/8207, 16/8208, 16/8209, 16/8210) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterschied- liche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Online-Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15581 C 15581 D 15582 B 15583 A 15584 B 15585 B 15586 C 15587 B 15588 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Ju- gendfreiwilligendiensten (Drucksachen 16/6519, 16/6967, 16/8256) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Jugendfreiwilligendienste in einen gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammenfassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Jugendfreiwilligendienste aus- bauen und Gesamtkonzeption ent- wickeln – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bericht der Bundes- regierung zu Prüfaufträgen zur Zukunft der Freiwilligendienste, Ausbau der Jugendfreiwilligen- dienste und der generationsüber- greifenden Freiwilligendienste als zivilgesellschaftlicher Generationen- vertrag für Deutschland (Drucksachen 16/6769, 16/6771, 16/6145, 16/8256) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Steinecke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Grünbuch – Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt (inkl. 13278/07 ADD 1) 15589 B 15589 B 15589 D 15591 B 15592 B 15593 B 15594 B 15595 C 15596 B 15597 A 15598 A KOM (2007) 551 endg.; Ratsdok. 13278/07 (Drucksachen 16/6865 Nr. 1.19, 16/8360) . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hofbauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Große Anfrage der Abgeordneten Kersten Naumann, Heidrun Bluhm, Petra Pau, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Förderung der demokratischen Teilhabe und Stärkung des Petitionsrechts (Drucksachen 16/2181, 16/6785) . . . . . . . . . . Kersten Naumann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Bernd Siebert, Ulrich Adam, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Petra Heß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konzept der Inneren Führung stärken und weiterentwickeln (Drucksache 16/8378) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bundeswehr – Innere Füh- rung konsequent umsetzen (Drucksache 16/8370) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 15599 C 15599 D 15601 A 15602 A 15603 B 15604 B 15605 C 15606 A 15607 B 15608 A 15608 B 15609 C 15611 B 15612 C 15613 D 15615 B 15616 A 15616 D 15618 A 15618 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 V Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Innere Führung stärken und weiterentwickeln (Drucksache 16/8376) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Höfer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan Er- nährung vorlegen (Drucksache 16/8193) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verbraucher- freundliche Lebensmittelkennzeich- nung einführen (Drucksachen 16/6788, 16/7726) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . 15618 A 15618 B 15619 D 15620 D 15622 C 15623 C 15624 C 15625 C 15626 D 15626 D 15627 A 15628 C 15630 B 15631 A 15631 D 15632 C 15633 A 15633 D 15634 D 15635 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für freie und demokratische Parlamentswahlen im Iran (Drucksache 16/8379) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit Homburger, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- zes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (Drucksache 16/7855) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bürokra- tieabbau in Europa – Kein Freibrief zum Abbau von Arbeits- und Umwelt- schutz (Drucksachen 16/4204, 16/5196) . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Hildegard Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Marcus Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt, Willi Brase, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Rahmen- 15636 D 15636 D 15637 C 15638 D 15639 C 15641 A 15641 D 15642 D 15643 A 15643 A 15644 B 15645 D 15646 C 15647 A 15648 D 15649 B 15649 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 bedingungen für Lebenslanges Lernen verbessern – Weiterbildung und Quali- fizierung ausbauen und stärken (Drucksache 16/8380) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Der beruf- lichen Weiterbildung den notwendigen Stellenwert einräumen (Drucksache 16/7527) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunftsaufgabe Weiterbil- dung – zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Cornelia Pieper, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Offensive Wei- terbildung – Weiterbildung als 4. Säule des Bildungswesens ernst nehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Lebenslanges Ler- nen fördern (Drucksachen 16/785, 16/2702, 16/4748, 16/8352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Grasedieck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung zu einem Antrag: Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 16/8433) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15650 D 15650 D 15651 A 15651 B 15652 C 15653 B 15654 B 15655 B 15656 B 15657 B 15657 D 15658 D Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aktuelle Finanznot der Krankenhäuser be- enden (Drucksache 16/8375) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU) . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . Eike Hovermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz) (Drucksache 16/8307) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Winfried Nachtwei, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 20 Jahre nach Halabja – Unterstützung für die Opfer der Giftgasangriffe (Drucksache 16/8197) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Cornelia Hirsch, Ulla Jelpke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine erleichterte Anerkennung von im Aus- land erworbenen Schul-, Bildungs- und Be- rufsabschlüssen (Drucksache 16/7109) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusam- menarbeit der EU mit Russland stärken (Drucksache 16/8420) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Ute Koczy, Britta Haßelmann, weiterer Abgeord- 15659 A 15659 A 15660 A 15661 C 15663 A 15664 B 15665 C 15666 B 15666 C 15666 D 15667 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 VII neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbot des Neonazi-Schulungs- zentrums und Vereins „Collegium Huma- num“ prüfen (Drucksache 16/8214) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste (Drucksachen 16/843, 16/4720) . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 369 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 29 j) . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchfüh- rung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 14) Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: 20 Jahre nach Halabja – Unter- stützung für die Opfer der Giftgasangriffe (Tagesordnungspunkt 15) Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15667 A 15667 C 15667 D 15669 A 15669 C 15669 D 15671 D 15672 C 15673 B 15673 D 15674 C 15675 A 15676 B Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine erleichterte Anerken- nung von im Ausland erworbenen Schul-, Bil- dungs- und Berufsabschlüssen (Tagesord- nungspunkt 17) Marcus Weinberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken (Tagesordnungspunkt 18) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Verbot des Neonazi-Schulungs- zentrums und Vereins „Collegium Humanum“ prüfen (Tagesordnungspunkt 20) Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15677 B 15678 A 15678 C 15679 B 15682 B 15684 B 15685 A 15685 D 15686 A 15687 B 15688 A 15688 D 15689 C 15691 A 15691 D 15692 A 15692 D 15693 C 15694 C VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15695 C 15695 D 15696 B 15697 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15539 (A) (C) (B) (D) 148. Si Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    3) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15669 (A) (C) (B) (D) Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 06.03.2008 findung beschäftigt. Lange Zeit schien für das Geflecht unterschiedlicher Interessen keine Lösung in Sicht, dieDIE GRÜNEN Mitgliedstaaten mit all ihren Gremien und nicht zuletzt Hunderte nationaler und internationaler Interessengrup- pen mit den Verhandlungen, der Ausarbeitung, den Neu- verhandlungen und nicht enden wollender Kompromiss- Roth (Heringen), Michael SPD 06.03.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Berg, Axel SPD 06.03.2008 Blumentritt, Volker SPD 06.03.2008 Bollen, Clemens SPD 06.03.2008 Bülow, Marco SPD 06.03.2008 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 06.03.2008 Freitag, Dagmar SPD 06.03.2008 Gleicke, Iris SPD 06.03.2008 Golze, Diana DIE LINKE 06.03.2008 Großmann, Achim SPD 06.03.2008 Hajduk, Anja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2008 Heil, Hubertus SPD 06.03.2008 Herrmann, Jürgen CDU/CSU 06.03.2008 Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 06.03.2008 Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2008 Humme, Christel SPD 06.03.2008 Kumpf, Ute SPD 06.03.2008 Meckel, Markus SPD 06.03.2008 Müntefering, Franz SPD 06.03.2008 Nitzsche, Henry fraktionslos 06.03.2008 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2008 Paula, Heinz SPD 06.03.2008 Raab, Daniela CDU/CSU 06.03.2008 Raidel, Hans CDU/CSU 06.03.2008 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschus- ses Sammelübersicht 369 zu Petitionen (Tages- ordnungspunkt 29 j, Drucksache 16/8207) Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen, dass unser Votum „Nein“ lautet. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1907/ 2006 (REACH-Anpassungsgesetz) (Tagesord- nungspunkt 14) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Im Jahr 2001 nahm die EU-Chemikalienverordnung REACH, eines der bis- her größten und umfassendsten Gesetzesvorhaben der Europäischen Union, ihren Anfang. In den darauf folgenden Jahren waren die Europäi- sche Kommission, das Europäische Parlament, die EU- Dr. Scheer, Hermann SPD 06.03.2008 Schuster, Marina FDP 06.03.2008 Dr. Schwanholz, Martin SPD 06.03.2008 Steinbach, Erika CDU/CSU 06.03.2008 Strothmann, Lena CDU/CSU 06.03.2008 Dr. Tabillion, Rainer SPD 06.03.2008 Wächter, Gerhard CDU/CSU 06.03.2008 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 06.03.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 15670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) gegensätzlichen Umwelt-, Gesundheits- und Wirt- schaftsaspekte waren einfach nicht auf einen Nenner zu bringen. Doch die EU hat die Frage, ob sie sich mit diesem Jahrhundertgesetzeswerk nicht schlicht und ergreifend übernommen hat, klar und eindeutig für sich beantwor- tet: Die REACH-Verordnung wurde nach jahrelangen, intensiv geführten Diskussionen und Verhandlungen am 18. Dezember 2006 vom Europäischen Parlament und vom Ministerrat verabschiedet und trat am 1. Juni 2007 in Kraft. Mit der Verordnung wurde das europäische Chemika- lienrecht in Europa grundlegend neu geschrieben und vereinheitlicht. Zuvor waren die circa 100 000 bereits auf dem Markt befindlichen Chemikalien trotz des Ver- suchs, sie über eine eigenständige Verordnung von 1993 zu erfassen, weitgehend ungeprüft geblieben. Das neue System basiert auf folgenden Eckpfeilern: Mit REACH wird erstmals für 30 000 Chemikalien eine systema- tische Prüfung auf ihre Umwelt- und Gesundheitswir- kungen vorgeschrieben. Hersteller und Importeure regis- trieren die Stoffe, die sie in Mengen ab 1 Tonne pro Jahr herstellen. Die Industrie übernimmt Verantwortung für die sichere Verwendung ihrer Stoffe entlang der Liefer- kette und empfiehlt Risikomanagementmaßnahmen. Der Einsatz besonders besorgniserregender Stoffe kann von einer Zulassung durch die EU-Kommission abhängig ge- macht werden. In der Praxis bedeuten diese Regelungen im Kern: Zukünftig dürfen Stoffe als solche, wie auch in Zuberei- tungen oder in Erzeugnissen, nur dann in der EU herge- stellt oder in Verkehr gebracht werden, wenn sie nach den Bestimmungen der Verordnung registriert worden sind. Im Rahmen der Registrierung ist ein Stoffdossier mit bestimmten Informationen für den Verbraucher ein- zureichen. Der Umfang der einzureichenden Informa- tionen richtet sich nach der Menge, in welcher der Stoff pro Jahr produziert oder importiert wird. Verwendungen von Stoffen mit bestimmten gefährlichen Eigenschaften können einem Zulassungsverfahren unterworfen wer- den, das heißt, herstellende oder den Stoff verwendende Unternehmen können einen Zulassungsantrag stellen. Über diesen wird dann die neue Chemikalienagentur mit Sitz in Helsinki und die Europäische Kommission ent- scheiden. Zulassungspflichtige Stoffe dürfen dann nur noch für die in einem solchen Zulassungsverfahren posi- tiv beschiedenen Verwendungen eingesetzt werden. Durch die neu gewonnene Informationslage wird der Schutz von Bevölkerung und Umwelt – wie Abfall, Boden- schutz, Immissionsschutz – deutlich verbessert. Bei der Ausarbeitung dieser Regelungen ist es zu un- serer großen Erleichterung gelungen, die richtige Ba- lance zwischen Interessen der Wirtschaft und der Ver- braucher zu finden. Dieser Umstand ist auf die tatkräftige Mitwirkung der neuen deutschen Bundesre- gierung zurückzuführen, die unermüdlich dazu beigetra- gen hat, einen ausgewogenen, sehr tragfähigen Kompro- miss zu REACH auszuhandeln. Die Änderungen gegenüber dem 2003 von der Euro- päischen Kommission vorgelegten Entwurf haben vor allem auf eine Verringerung des bürokratischen Auf- wands und der damit verbundenen Reduktion der Kosten für Unternehmen abgezielt. So wurde zum Beispiel von einer Befristung der Zulassung ohne triftigen Grund, wie ursprünglich vorgesehen und vom Europäischen Parla- ment vehement gefordert, abgesehen. Die Substitutions- pflicht wurde realistisch handhabbar gemacht und der Schutz des geistigen Eigentums sogar auf ein Niveau he- raufgesetzt, das das des Gemeinsamen Standpunkts überschreitet. Die globale Wettbewerbssituation der EU wurde berücksichtigt und Abwanderungstendenzen von Unternehmen bzw. der Abbau von Arbeitsplätzen ver- hindert werden. Gleichzeitig wurden aber auch zentrale Aspekte des Gesundheits- und Umweltschutzes berücksichtigt. Auf diese Weise wurde ein großer Fortschritt im sicheren Umgang mit gefährlichen Chemikalien erzielt. Zusammenfassend möchte ich sagen: Die REACH- Verordnung, wie sie im Juni in Kraft getreten ist, ist ein vernünftiger Kompromiss, der deutlich die Handschrift deutscher Interessen trägt und deshalb von der CDU/ CSU-Fraktion begrüßt wurde. Wir haben uns erfolgreich dafür stark gemacht, den ursprünglich vorgelegten REACH-Entwurf von völlig unpraktikablen Forderun- gen an die europäischen Unternehmen zu befreien und den Aufwand verhältnismäßig zu gestalten. Schließlich wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unterneh- men nicht gefährden. Bei aller Erleichterung, die wir im Gesetzgebungspro- zess erreicht haben, wird allerdings mit Blick auf die Um- setzungspraxis eines ganz deutlich: Der Umfang und die Komplexität des neuen Chemikalienrechts stellt beson- ders für kleine und mittlere Unternehmen, KMU, in der Praxis eine hohe Hürde dar. Diese Entwicklung wider- spricht unseren Bestrebungen nach Bürokratieabbau und wird von mir mit Sorge betrachtet. Es kann nicht sein, dass es zu einem deutlichen Mehraufwand auf nationaler Ebene kommt, wobei die Gründung der Euro-päischen Chemikalienagentur, ECHA, gerade mit der Aussicht auf eine Entlastung der nationalen Ebene beschlossen wurde. Darüber hinaus scheint es – entgegen ursprünglicher Pla- nungen – so zu sein, dass der Personalbedarf der ECHA deutlich höher zu veranschlagen ist. Vor diesem Hintergrund halte ich es für unerlässlich, dass wir in engem Kontakt mit den betroffenen Unter- nehmen bleiben, problematische Regelungen überprüfen und Vorschläge zugunsten einer zumutbaren Voll- zugsaufwands zu unterbreiten. Nachdem die großen Streitfragen auf europäischer Ebene gelöst werden konnten, ist es das Ziel des nun vorliegenden Gesetzentwurfes, die zwingend erforderli- che Anpassung des deutschen Chemikalienrechts an die Vorgaben der REACH-Verordnung 1907/2006/EG vor- zunehmen. Zwar bedarf REACH aufgrund des Verord- nungscharakters keiner Umsetzung in nationales, deut- sches Recht. Jedoch müssen die erforderlichen bürokratischen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der REACH-Verordnung in Deutschland ge- schaffen werden. Dazu gehört, überflüssig gewordene Vorschriften des deutschen Chemikalienrechts – wie in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15671 (A) (C) (B) (D) der Chemikalien-Prüfnachweisverordnung – aufzuheben und durch die europäische Verordnung abzulösen. Ferner werden Änderungen im Chemikaliengesetz und der Chemikalien-Kostenverordnung vorgenommen. Da- bei geht es im Wesentlichen um die Schaffung von Re- gelungen, die bestimmen, welche Behörden in unserem Land für welche nach der REACH-Verordnung zugewie- senen Aufgaben zuständig sein sollen, welche Straf- und Bußgeldbewehrungen im Falle von Verstößen gegen REACH fällig werden sollen und wie der Informations- austausch zwischen den Behörden geregelt werden soll. Nach den großen Debatten auf EU-Ebene ist es nun also unsere Aufgabe, die Umsetzung von REACH im Alltag so effizient und effektiv wie möglich sicherzustel- len. Zu dieser sachlichen Abarbeitung noch offener Punkte anlässlich der Umsetzung soll das REACH-An- passungsgesetz, welches wir heute in Erster Lesung de- battieren, beitragen. Oberstes Ziel muss dabei sein, REACH so praktikabel wie möglich für die Betriebe um- zusetzen und den reinen Verwaltungsvollzug mit mög- lichst wenig Aufwand zu betreiben. Ich bin der Ansicht, dass dies der Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen ist. Dies möchte ich unter Bezugnahme auf die Inhalte des Entwurfes und bisherige Stellungnahmen beteiligter Akteure verdeutlichen: Aufgrund des unterschiedlichen Inkrafttretens einzelner REACH-Teile befasst sich das REACH-Anpassungsgesetz nur mit den Vorschriften, die am 1. Juni 2008 wirksam werden. Diese stellen den Großteil der Vorschriften dar und betreffen vor allem die Registrierung, Bewertung – Stoffsicherheitsberichte – und Zulassung von Stoffen. Hinsichtlich des Vollzugsaufwands und sonstiger Kosten haben beteiligte Bundesbehörden und Bundes- länder aufgrund eines Zuwachses an Überwachungsauf- gaben einen erhöhten Personalbedarf bekundet. Durch die Streichung nationaler Vorschriften werden zwar kos- tenträchtige Pflichten für die Wirtschaft abgeschafft. Der Abbau geht allerdings mit der Einführung von Informa- tionspflichten und Registrierungsverfahren auf der EU- Ebene einher. Die wesentlichen Änderungen betreffen Regelungen bei den Zuständigkeiten, den Sanktionen und dem Voll- zug. Im Bereich der Zuständigkeitsregeln werden Bun- desaufgaben in Zusammenhang mit der REACH-Verord- nung der „Bundesstelle für Chemikalien“ in ihrer neuen Funktion als „Nationale Auskunftsstelle“ zugeordnet. Die übrigen Behörden – wie das Umweltbundesamt, UBA, das Bundesinistut für Risikobewertung, BfR, und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA, fungieren als Bewertungsstellen und unterstüt- zen sich und die Bundesstelle in fachlicher Hinsicht. Die Aufgabenzuweisung zwischen Bund und Ländern orien- tiert sich an der bisherigen Systematik. In Zusammenhang mit den Zuständigkeitsregelung halte ich es für angebracht, dass nicht nur zwischen Bun- desbehörden und Ländern eine enge Abstimmung er- folgt, sondern auch die Erfahrungen und die Kenntnisse, die die Industrie in der Praxis macht, zugunsten einer pragmatischen und kooperativen Umsetzung Berück- sichtigung finden. Bei den Sanktionsregelungen geht es vor allem um folgende Neuregelungen: Verstöße gegen REACH, be- sonders § 27 b, werden mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren bei Vorsatz und Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr bzw. Geldbußen bis zu 100 000 Euro bei Fahrlässigkeit geahndet. Im Gegensatz zu ursprünglichen Planungen begrüße ich es, dass in der überarbeiteten Fassung einige Straftatbestände durch Bußgelder ersetzt wurden. Vor dem Hintergrund der Komplexität der REACH-Verord- nung und der großen Herausforderung, die diese für un- sere Unternehmen – vor allem zu Beginn der Umsetzung – darstellt, halte ich dies für gerechtfertigt. Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang sicherzustellen, dass eine Benachteiligung deutscher Unternehmen durch unter- schiedliche Sanktionen in anderen EU-Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Bei den Vollzugsregelungen halte ich folgende As- pekte für wichtig: Bisherige Regelungen bleiben weitge- hend unverändert, aber die Mitwirkung von Zollbehör- den wird mit dem Ziel festgeschrieben, die Weitergabe von Informationen an Landesbehörden zu erleichtern. Dass der vorliegende Entwurf der Bundesregierung eine gute Grundlage darstellt, zeigt auch die Stellung- nahme des Bundesrates und die Tatsache, dass die Bun- desregierung den Änderungsvorschlägen des Bundesra- tes größtenteils zustimmt. Das Einverständnis wird nur in einem Punkt gestört, hier geht es eine gesonderte Auf- führung einer Informationspflicht, die aus Sicht der Bun- desregierung nicht notwendig ist und ausreichend aus der Neufassung des § 22 Abs. 1 hervorgeht. Über alle diese Detailaspekte werden wir in den jetzt beginnenden parlamentarischen Beratungen noch einmal sprechen können. Wichtig und entscheidend ist, dass wir eine aufwendige und die betroffene Wirtschaft schon jetzt stark forderne EU-Verordnung in unserem eigenen Verantwortungsbereich so schlank und effizient wie möglich umsetzen. Daran sollten wir uns beim weiteren Beratungsverfahren halten. Heinz Schmidt (Landau) (SPD): Vor 15 Monaten hat die Europäische Union eine umfangreiche Neuord- nung des Chemikalienrechts auf den Weg gebracht. REACH heißt die Verordnung, die im Juni 2007 in Kraft getreten ist und nun für alle Mitgliedsländer der EU gilt und nun Zug um Zug umzusetzen ist. Das Kür- zel steht für Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien. Die Anforderungen an chemische Stoffe, die in Europa auf den Markt kommen, werden umso größer, je höher das Produktionsvolumen der je- weiligen Stoffe ist. Je höher das Risiko, das bei einem Stoff erwartet wird, umso größer der Aufwand für Tests, Bewertung und gegebenenfalls für die Zulas- sung. Mit diesem neuen Ansatz wird der Umgang mit Chemikalien sicherer. Denn insgesamt erhalten wir mehr Klarheit über die Risiken, die von den einzelnen Chemikalien ausgehen können. Auch in Deutschland wird der Schutz umfassender, da künftig nicht nur neu entwickelte Chemikalien unter die Verordnung fallen. 15672 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) Auch sogenannte Altstoffe, die bereits seit Jahren am Markt gehandelt werden, werden von den neuen Rege- lungen erfasst – ein wichtiger Unterschied zur heute geltenden Praxis. Denn gegenwärtig werden nur neue Stoffe einer vergleichbar strengen Überprüfung unter- zogen. Der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt werden dadurch deutlich verbessert. Der 1. Juni 2008 ist ein wichtiger Stichtag bei der Um- setzung der neuen Verordnung. An diesem Tag startet der zentrale Mechanismus von REACH. Ab dann beginnt die Registrierung, Bewertung und Zulassung in der Praxis. Die Unternehmen müssen nach einem vorgegebenen Zeit- plan alle Chemikalien anmelden, die in den Geltungsbe- reich von REACH fallen. In den Monaten seit Inkrafttre- ten der Verordnung gab es noch viel Aufklärungsbedarf für einzelne Branchen und für einzelne Unternehmen. In diesem Implementierungsprozess konnten viele Fragen geklärt und auch Befürchtungen ausgeräumt werden. Mit Blick auf einige beteiligte Unternehmen und deren im Vorfeld geäußerte Horrorszenarien kann man sogar sagen: Aus Konfrontation ist Kooperation geworden. Ich möchte an dieser Stelle einmal die überaus enga- gierte Unterstützung durch die zuständigen Abteilungen, Referate und Stellen im Bundesumweltministerium und den zuständigen Bundesbehörden hervorheben. Hier ha- ben sich die zuständigen Fachleute vorbildlich und nach- haltig für ein Gelingen von REACH eingesetzt. Unter- nehmen, die sich mit ihren spezifischen Problemen an das Ministerium gewandt haben, haben dort geduldige und konstruktive Unterstützung erfahren. Dies hat dazu beigetragen, auch bei den eher skeptisch eingestellten kleinen und mittleren Unternehmen die Akzeptanz für REACH zu verbessern. Grund genug, dafür auch einmal Dank zu sagen. All das ist der Hintergrund für das REACH-Anpas- sungsgesetz, das wir heute diskutieren. REACH ist zwar unmittelbar geltendes europäisches Recht. Trotzdem muss auch Deutschland sein bisheriges Chemikalien- recht an die neuen Bestimmungen anpassen. So müssen zum Beispiel im Chemikaliengesetz etliche Vorschriften gestrichen werden, die durch REACH überholt sind. Au- ßerdem muss geregelt werden, welche Stellen die neuen Aufgaben und Anforderungen nach der REACH-Verord- nung übernehmen. Mit dem Umweltbundesamt, dem Bundesinstitut für Risikobewertung und mit der Bundes- anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin werden die gleichen deutschen Stellen mit der Chemikaliensicher- heit betraut sein, die das auch heute schon sind. Hinzu kommt künftig eine Bundesstelle für Chemikalien, die Auskunftsstelle für das Thema sein wird. All diese Stel- len werden der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki zuarbeiten, die einen europaweit einheitlichen Umgang mit Chemikalien sicherstellen wird. Schließlich wird auch dafür gesorgt, dass die neue Verordnung auch eingehalten wird Abweichungen von den neuen Rechts- normen werden mit Strafen und Bußgeldern belegt. Es können drastische Bußgelder verhängt werden. Und wer wegen eines Verstoßes gegen REACH das Leben oder die Gesundheit eines anderen gefährdet, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. In weni- gen Wochen beginnt also die systematische Erfassung von mehr als 30 000 Chemikalien. In wenigen Jahren ha- ben wir bedeutend mehr Informationen über die Eigen- schaften und Risiken der chemischen Stoffe, die bei uns gehandelt und verwendet werden. Der 1. Juni 2008 ist daher ein guter Tag für den Gesundheitsschutz, für den Verbraucherschutz und für den Schutz der Umwelt in Europa. Ein guter Tag für uns alle! Michael Kauch (FDP): Mit dem REACH-Anpas- sungsgesetz wird die deutsche Rechtslage mit der euro- päischen Verordung synchronisiert. Die FDP hat immer die Zielsetzung von REACH unterstützt – eine neue eu- ropäische Chemikalienpolitik, die Umwelt und Gesund- heit effektiv schützt. Für uns Liberalen stand dabei aber auch im Mittelpunkt, dass die neuen europäischen Vor- schriften unbürokratisch und mittelstandsfreundlich sein müssen. Diese Voraussetzungen erfüllt die 2006 be- schlossene REACH-Verordnung leider nicht in dem Maße, wie wir uns das auch im Sinne der deutschen Un- ternehmen gewünscht hätten. Ein wichtiger Kernpunkt der REACH-Verordnung ist die Registrierung. Zukünftig dürfen Stoffe als solche, wie auch in Zubereitungen oder in Erzeugnissen, nur dann in der EU hergestellt oder in Verkehr gebracht wer- den, wenn sie nach den Bestimmungen der Verordnung registriert worden sind. Zu begrüßen ist, dass im Verlauf des europäischen Gesetzgebungsverfahrens einige für die Praxis wichtige Verbesserungen gegenüber ursprüng- lichen Plänen erreicht werden konnten. Doch es bleibt festzuhalten, REACH ist eine enorme Herausforderung für die chemische Industrie. Zahlreiche zusätzliche Tests, die Erstellung von nach Expertenauffassungen über 80 000 Registrierdossiers und einem geschätzten Aufwand von mehr als 2 Milliarden Euro sind zu erwar- ten. Wir bleiben dabei, dieser Umfang wäre in diesem Ausmaß nicht notwendig gewesen wären. Es ist zu befürchten, dass manche Stoffe und Pro- dukte schlichtweg vom Markt verschwinden werden, ohne dass dies aus Gründen des Umwelt- oder Gesund- heitsschutzes erforderlich wäre. Sie rechnen sich dann einfach wegen geringer Gewinnmargen nicht mehr. Nach Branchenangaben ist davon auszugehen, dass 5 bis 10 Prozent der Stoffe künftig nicht mehr in Europa pro- duziert und vermarktet werden können. Eine Folgekon- sequenz: Für die Zubereiter und Weiterverarbeiter, meist mittelständische Unternehmen, bedeutet das einen er- heblichen Anpassungsbedarf von Rezepturen mit zusätz- lichen Kosten. Ob die Bestimmungen von REACH durch die Unter- nehmen in der Praxis so umgesetzt werden können, wird sich erst noch zeigen. Die Vorgaben zur Registrierung, Risikobewertung und Kommunikation in der Produkt- kette sind komplex. 100 Seiten Verordnung und über 3 000 Seiten Leitlinien – „REACH Implementation Pro- jects“, sogenannte RIPs – machen REACH schwer hand- habbar. Die FDP ist in Sorge um insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen der Branche. Umso wichtiger ist, dass nationale Vorschriften die Betroffenen nicht noch weiter belasten, sondern möglichst sogar entlasten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15673 (A) (C) (B) (D) Der vorliegende Entwurf zum Anpassungsgesetz steht nach unserer Ansicht grundsätzlich im Einklang mit den Vorgaben von REACH. Das Anpassungsgesetz ist auch notwendig, um die deutsche Rechtslage in die- sem Bereich anzupassen. Allerdings gibt es Stimmen, die kritisieren, dass im Gesetzentwurf nicht immer deut- lich werde, ob Änderungen im Chemikaliengesetz auch durch die REACH-Verordnung bedingt sind. Bei einigen Vorschriften bestehen Zweifel. Es gibt noch Klärungsbe- darf. Eine 1:1-Umsetzung muss garantiert sein. Darüber sollten wir in der Ausschussberatung des Gesetzentwur- fes reden. Es besteht aus unserer Sicht zudem noch Diskussions- bedarf bei der Ausgestaltung der nationalen Auskunfts- stelle. Nach dem Gesetzentwurf soll diese Aufgabe von der Bundesstelle für Chemikalien übernommen werden. Die nationale Auskunftsstelle soll nach Vorgabe der REACH-Verordnung Hersteller, Importeure und nachge- schaltete Anwender beraten. Das Pilotprojekt des Lan- des Nordrhein-Westfalen hat Wege aufgezeigt, wie die Kompetenzen und Erfahrungen von Unternehmen und Behörden bei der Ausgestaltung der Auskunftsstelle gleichermaßen aufgenommen werden können. Schließ- lich soll sie Unternehmen bei der Umsetzung von REACH helfen. Das kann sie aber nur, wenn sie selbst über ausreichenden Hintergrund aus der Praxis verfügt. Insgesamt bewerten wir den Gesetzentwurf als not- wendig und grundsätzlich positiv. Allerdings gibt es noch offene Fragen, die wir im Ausschuss klären müs- sen. Die FDP schließt sich darüber hinaus aber dem Appell der Branche an, auch andere durch REACH be- troffene Vorschriften zu bereinigen und rechtliche Schnittstellen beispielsweise zu Regelungen des Arbeits- schutzes zu klären. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Das REACH- Anpassungsgesetz hat im Wesentlichen die Aufgabe, alle deutschen Doppelregelungen, die sich durch die Verab- schiedung der EU-Chemikalienverordnung REACH er- geben haben, zu streichen. Daneben werden die Informa- tionswege bezüglich REACH zwischen Bund und Ländern festgelegt. Das ist der erste Schritt zur Umset- zung der Verordnung. Weitere REACH-Anpassungsge- setze werden sicher folgen, beispielsweise nach der Ver- abschiedung der EU-Verordnung, die die Etablierung des vorgesehenen weltweiten einheitlichen Einstufungs- und Kennzeichnungssystems für alle chemischen Stoffe und Gemische in Europa zum Inhalt hat. Wir wissen, dass dieses REACH-Anpassungsgesetz in enger Abstimmung zwischen dem BMU und den Län- dern in der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Chemika- liensicherheit, BLAC, entwickelt worden ist. Und wir wissen auch, dass der Rahmen für die Anpassungen klar durch REACH vorgegeben wurde. Dementsprechend könnte man dem Gesetzentwurf zustimmen, wenn man formal an die Sache herangehen würde. Das tun wir aber nicht. Denn auch die beste Umset- zung bleibt schlecht, wenn die Vorgabe mies ist. Und das ist eben bei der REACH der Fall. Die Chemikalienver- ordnung REACH ist letztlich ein harter Schlag gegen die Interessen der Verbraucher und Verbraucherinnen und der Umwelt. Aus einem vormals weitgehend fortschritt- lichen Verordnungsentwurf der Europäischen Kommis- sion wurde im Gesetzgebungsverfahren in Brüssel ein im Wesentlichen an den Interessen der Chemieindustrie ausgerichtetes Gesetz. Insbesondere die Bundesrepublik hat an der Verwässerung mitgewirkt. Vertreter der Bun- desregierung und EU-Spitzenbeamte aus Deutschland traten im Rat und in der EU-Kommission als Repräsen- tanten der heimischen chemischen Industrie auf. Ähnlich verhielten sich die Abgeordneten von Union, SPD und FDP im EU-Parlament. Mit einem Vorstoß des Umweltausschusses des Euro- paparlaments im Vorfeld der zweiten Lesung versuchten verbraucherfreundliche Abgeordnete das Ruder in letzter Minute herum zu reißen, leider weitgehend erfolglos. Auch die Änderungsanträge der Fraktion der Linken im Europaparlament, GUE/NGL, sowie der Grünen in der zweiten Lesung wurden abgelehnt. Aus Verbrauchersicht wird sich nun nur leider wenig an der bestehenden Gesetzeslage ändern. Wichtigstes Minus: Die Industrie wird nicht, wie ursprünglich vorge- sehen, verpflichtet, alle gefährlichen Stoffe zu ersetzen. Auch wenn Alternativen vorhanden sind, können krebserregende, fortpflanzungsschädigende und andere gefährliche Chemikalien weiter vermarktet und in All- tagsprodukten verwendet werden. Lediglich langlebige, sich in der Natur anreichernde Chemikalien sollen aus- getauscht werden, sofern es für sie Alternativen gibt. Zudem wird der Industrie auch künftig erlaubt, entschei- dende Sicherheitsdaten zu ihren Chemikalien zurückzu- halten. Bislang wurden nur etwa 4 000 Stoffe darauf geprüft, ob sie Gesundheit oder Ökosysteme schädigen. Auf dem EU-Markt befinden sich jedoch etwa 100 000 soge- nannte Altstoffe, die vor 1981 auf den Markt kamen. Etwa 30 000 davon werden gegenwärtig mit mehr als ei- ner Tonne Jahresproduktion eingesetzt. Mit ihnen läuft faktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt. Mit der neuen Chemikalienverordnung müssen lediglich 12 000 gründlich überprüft werden. Die europäischen Chemiekonzerne haben nichts unversucht gelassen, um beim langwierigen Gesetzesverfahren die wirtschaftli- chen Interessen der Chemiekonzerne durchzusetzen. Leider waren sie erfolgreich. Darum werden wir uns beim ersten Anpassungsgesetz und auch bei den weite- ren enthalten. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun das deut- sche Chemikalienrecht an die Vorgaben der europäi- schen Chemikalienverordnung REACH angepasst wer- den, die am 18. Dezember 2006 nach langem Ringen endgültig verabschiedet wurde. Mit der Verabschiedung im Dezember 2006 ging ein jahrelang dauernder zäher Prozess vorläufig zu Ende, der bereits 1999 mit einer entsprechenden Initiative der deutschen Ratspräsident- schaft seinen Anfang genommen hatte. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal an die Aus- gangssituation erinnern: Ausgangspunkt der Reformini- 15674 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) tiative war das Fehlen von Daten für circa 100 000 Alt- stoffe – Stoffe, die vor 1981 angemeldet wurden –, die aber zur Beurteilung der Auswirkungen auf die mensch- liche Gesundheit und die Umwelt unerlässlich sind. Diese Altstoffe stellen etwa 97 Prozent aller derzeit ver- markteten Stoffe dar und mussten bis 1993 weder ge- prüft noch bewertet werden. Mit der 1993 in Kraft getretenen Altstoffverordnung hatte die EU zwar den Versuch unternommen, dieses De- fizit zu beheben, die Regelung erwies sich aber als aus- gesprochen langwierig und ineffizient. In etwas mehr als 10 Jahren konnten nur circa 30 Stoffe abschließend be- wertet werden. Die europäische Rechtslage war außer- dem nicht nur durch Unübersichtlichkeit und eine feh- lende Systematik gekennzeichnet – mehr als 40 Rechts- vorschriften konkurrierten miteinander –, sondern auch durch fehlende Innovations- und Substitutionsanreize. Für neu zugelassene Stoffe – circa 3 700 seit 1981 – und Altstoffe existieren verschiedene, unterschiedlich an- spruchsvolle Regelungen. Mit REACH sollte nun all dies besser werden. Nach ersten ambitionierten Entwürfen wurde der Verord- nungsentwurf aber nach und nach zugunsten kurzfristi- ger wirtschaftlicher Ziele abgeschwächt, sodass im Er- gebnis das, was wir heute anpassen, nicht das ist, was wir eigentlich notwendigerweise anpassen müssten. Mit REACH ist letztlich nicht viel mehr herausgekommen als ein kleiner bescheidener Schritt in die richtige Rich- tung. Es wird eine gewisse rechtliche Vereinheitlichung erreicht, die Hersteller grundsätzlich verpflichtet, Daten zu liefern, und sicherlich werden auch für die eine oder andere Chemikalie zusätzliche notwendige Daten gene- riert. Aber: Gemessen an dem, was eigentlich notwendig wäre, ist das Ergebnis enttäuschend. Es wird dem Ziel eines echten Paradigmenwechsels in der Chemikaliensi- cherheit nicht gerecht. Ich will an dieser Stelle nur einige Beispiele nennen. So wird der eigentliche Ansatz von REACH – wonach nur solche Chemikalien auf dem Markt vertrieben werden dürfen, zu denen ausreichende Daten zu Verfügung stehen – für den Großteil der Alt- stoffe nach wie vor nicht erreicht. Auch dürfen unter REACH weiterhin Krebs erregende, Fruchtbarkeit schä- digende und hormonell wirksame Chemikalien verwen- det werden, obwohl sichere Alternativen existieren. Vo- rrausetzung für eine weitere Verwendung ist lediglich, dass die Produzenten erklären, dass sie diese „angemes- sen kontrollieren“ können. Aber nicht nur die Regelung für die existierenden Alt- stoffe ist unbefriedigend. Quasi im Gegenzug zur vorge- sehenen besseren Erfassung von Altstoffen wurde bei Zulassung von Neustoffen erheblich dereguliert mit heute noch nicht absehbaren Auswirkungen. Vor allem dem unrühmlichen Engagement des Bundeskanzleram- tes auf europäischer Ebene ist es zu verdanken, dass For- derungen der deutschen chemischen Industrie nach Ab- schwächung der Verordnung sprichwörtlich noch in letzter Minute Berücksichtigung fanden. In der Summe ist aus REACH ein mit Kompromissen überfrachtetes Regelwerk geworden, das keine echte Verbesserung zur derzeitigen Rechtslage erwarten lässt. Damit wurde einerseits die große Chance vertan, den Schutz von Umwelt und Gesundheit deutlich zu verbes- sern und andererseits der europäischen Chemieindustrie mit Anreizen zur Produktion von ungefährlichen Stoffen im internationalen Wettbewerb einen Vorteil zu ver- schaffen. Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Das REACH-Anpassungsgesetz, das wir heute in erster Lesung behandeln, dient der Durchführung der Ende 2006 in Brüssel verabschiedeten EG-REACH-Ver- ordnung, die allen ein Begriff sein wird. Die REACH-Verordnung stellt das Chemikalienrecht in der Europäischen Union auf eine völlig neue rechtli- che Grundlage und bedeutet zugleich eine inhaltliche Weiterentwicklung, deren Bedeutung kaum zu über- schätzen ist. Die Wissenslücken insbesondere bezüglich der Langzeitwirkungen von Chemikalien werden syste- matisch geschlossen. Eine geordnete Information über Stoffrisiken innerhalb der Lieferkette ermöglicht auf al- len Ebenen der Wirtschaft einen besseren, verantwortli- cheren Umgang mit Stoffen. Das neu gewonnene Wissen wird zur Entwicklung fortschrittlicher Produkte beitra- gen. Zugleich setzt REACH starke Anreize, besonders gefährliche Stoffe von vornherein zu vermeiden. Es geht um die für moderne Umweltpolitik prägende Symbiose von Umwelt- und Wettbewerbsaspekten: Bessere Pro- dukte dienen dem Schutz von Umwelt, Verbrauchern und Arbeitnehmern und eröffnen zugleich Wettbewerbs- chancen zuhause und weltweit. Die Durchführung von REACH bedeutet für alle Be- teiligten – Unternehmen wie Behörden – eine große He- rausforderung. Dies gilt gerade in der derzeitigen An- fangsphase, in der noch viele Details unklar sind. Eine wichtige Hilfe, die wir in dieser Phase leisten können, ist deshalb die rechtzeitige Klärung der Spielregeln und Rahmenbedingungen für die Durchführung der Verord- nung in Deutschland. Es war der Bundesregierung vor diesem Hintergrund ein großes Anliegen, diesen Gesetz- entwurf so vorzulegen, dass er noch vor dem Wirksam- werden der Kernbereiche der REACH-Verordnung – Re- gistrierung, Bewertung, Zulassung – am 1. Juni 2008 verabschiedet werden kann. Damit verbunden ist die Entscheidung, sich abzeichnende weitere Regelungsan- liegen – Anpassung an kommende EG-Regelungen zur Kennzeichnung und zu Bioziden, Einstellung des Stoff- rechts in das UGB – zunächst unberücksichtigt zu las- sen. Dies ist während der Bundesratsberatungen teil- weise kritisch kommentiert worden. Letztlich hat der Bundesrat aber seine Hinweise zu weiter gehendem Überarbeitungsbedarf auf die auch von der Bundesregie- rung beabsichtigten weiteren Rechtsetzungsverfahren bezogen. Das ist sachgerecht, und entsprechend hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung Stellung ge- nommen. Bei den Behördenzuständigkeiten knüpft der Entwurf eng an das bestehende System an: Die Überwachung liegt bei den Ländern. Für die Informationskontakte zur Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15675 (A) (C) (B) (D) EG, für die zahlreichen Mitwirkungsakte auf Gemein- schaftsebene und für die wichtige Aufgabe der nationa- len Auskunftsstelle, die die Unternehmen hinsichtlich ihrer Pflichten beraten soll, sind dagegen die Chemika- lienbehörden des Bundes zuständig. Der Bund über- nimmt damit einen großen Teil der Verantwortung für die effektive und gleichmäßige Umsetzung der REACH- Verordnung in Deutschland und Europa. Mit dieser Ver- antwortung verbunden ist auch das Erfordernis einer Aufstockung des eingesetzten Personals, deren Einzel- heiten sich aus den Kostenaussagen des Gesetzentwurfs ergibt. Dieser Verantwortung müssen wir uns jedoch stellen, daran führt kein Weg vorbei. REACH ist eines der ehrgeizigsten und zugleich chancenreichsten umweltpolitischen Gesetzeswerke in der Geschichte der EU. Es ist nun die Aufgabe der Un- ternehmen, der neuen Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki und der Mitgliedstaaten, REACH mit Leben zu erfüllen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wich- tiger Schritt dazu, dass dies in Deutschland gelingt. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: 20 Jahre nach Ha- labdscha – Unterstützung für die Opfer der Giftgasangriffe (Tagesordnungspunkt 15) Holger Haibach (CDU/CSU): Die oftmals innenpo- litisch motivierten Auseinandersetzungen um den Krieg der Amerikaner und ihrer Verbündeten im Irak haben be- sonders in Deutschland völlig in Vergessenheit geraten lassen, welche Situation vor diesem Krieg im Irak ge- herrscht hat. Mit Saddam Hussein war dort ein Diktator an der Macht, der sein Land mit unvorstellbarer Grau- samkeit und Härte geführt hat, der nicht vor Repressio- nen, vor Folter und Unterdrückung, ja nicht einmal vor Mord und Massenmord zurückgeschreckt ist; der seinen Nachbarn nicht nur mit Krieg gedroht, sondern sogar, wie im Falle Kuwaits, tatsächlich mit Krieg überzogen hat. Dass Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Antrag heute auf eines der schwersten Verbrechen dieses Re- gimes gegen Menschen und die Menschlichkeit auf- merksam machen, ist beachtlich. Zur Erinnerung: Bei einem Giftgasangriff auf die hauptsächlich von Kurden bewohnte Stadt Halabdscha im Jahre 1988 haben nach unterschiedlichen Schätzun- gen etwa 5 000 Menschen den Tod gefunden, viele von ihnen Frauen, Kinder und ältere Menschen. Weitere 10 000 Menschen starben an den Folgeschäden oder tru- gen lebenslange Gesundheitsschäden davon, darunter Nervenlähmungen, Tumorbildungen, Lungen- und Seh- schäden. Als ob dies nicht schon schlimm genug gewe- sen wäre, hätte die Weltöffentlichkeit beinahe nichts von diesem grausamen Massaker erfahren. Nur durch Zufall kamen westliche Journalisten und Wissenschaftler kurz nach dem Angriff in die Region und konnten dessen Fol- gen dokumentieren. Dass dieses Verbrechen von allen Fraktionen dieses Hauses auf das Schärfste verurteilt wird, steht, so meine ich, völlig außer Frage. Es steht auch außer Frage, dass unser Mitgefühl und auch unsere Anteilnahme den Opfern jenes Angriffs gilt wie all den- jenigen, die unter dem diktatorischen Herrschaftsregime Saddam Husseins zu leiden hatten. Selbstverständlich stellt sich auch die Frage, ob alles getan worden ist, um denen, die unter Saddam Hussein zu Opfern geworden sind, zu helfen oder zumindest ihre Not zu lindern. Ich bin weit davon entfernt, alte Debatten in Deutschland wieder aufleben zu lassen. Aber mit Krieg und Frieden innenpolitisch Kapital zu schlagen, wie es 2002 geschehen ist, wohl wissend, was im Irak passiert, hinterlässt gerade angesichts des heutigen An- trags, doch einen schalen Beigeschmack. Ein Weiteres will ich hier betonen. Es steht außer Frage, dass deutsche Firmen durch ihre Lieferungen dazu beigetragen haben, dass Saddam Hussein erst dazu in die Lage versetzt wurde, solche Giftgasangriffe wie den auf Halabdscha zu verüben. Das ist schlimm und es ist zu verurteilen und es hat ja auch in Deutschland zu den entsprechenden Prozessen geführt. Insofern ist der Begriff des Bedauerns, den die Antragssteller verwen- den, ein adäquater. Sofern allerdings hieraus eine Mit- verantwortung der deutschen Bundesregierung abgelei- tet werden soll, würde ich für meine Fraktion widersprechen wollen. Dies widerspräche auch der bis- herigen Haltung von Bündnis 90/Die Grünen, zumindest ihres ehemaligen Außenministers Joschka Fischer. Der hatte nämlich auf eine Anfrage der Linken, damals noch PDS, aus dem Jahr 2001 die Bundesregierung antworten lassen, ich zitiere – Drucksache 14/5720 –: „Die aus- schließliche Verantwortung für die Vorfälle von Halab- dscha liegt bei der irakischen Regierung. Eine wie auch immer geartete Mitverantwortung der Bundesregierung besteht nicht.“ – Soweit Joschka Fischer im Jahre 2001. Ein weiterer Punkt, der in der Begründung des An- trags angesprochen wird, ist die Frage der Hilfe für die Opfer vor Ort. Zitat: „Die Opfer erhielten keinerlei Zu- wendungen.“ Soweit dies die Bundesregierung betrifft, ist diese Feststellung nicht richtig. Folgt man der oben bereits erwähnten Antwort auf die Kleine Anfrage und erkundigt man sich nach der aktuellen Situation, so er- gibt sich folgendes Bild: Im Jahre 1991 und in den dar- auffolgenden Jahren war die Bundesrepublik größter Ge- ber humanitärer Hilfe in dieser Region. So wurden zum Beispiel im Frühjahr 1991 im Rahmen der umfang- reichsten deutschen Hilfsaktion, die jemals von der Bun- desregierung außerhalb der deutschen Grenzen durchge- führt wurde, für Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage der von der irakischen Armee verfolg- ten Kurden aus dem Bundeshaushalt 415 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Über zwei Luftbrücken wurden durch die Bundeswehr und zahlreiche deutsche Nichtre- gierungsorganisationen Hilfsgüter in den Nordirak trans- portiert und verteilt. Außerdem begann eine umfangrei- che medizinische Betreuung und die Versorgung mit Trinkwasser. Weitere Hilfsmaßnahmen umfassten die Rückführung der kurdischen Flüchtlinge in ihre Heimat, der Wiederaufbau zerstörter Dörfer und die Einrichtung von Basisgesundheitsdiensten. Im Rahmen der Hilfe wurden von 1993 bis 1997 aus dem Haushalt des Auswär- tigen Amtes Mittel in Höhe von über 13 Millionen DM 15676 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1998 wurden Aktivitä- ten von Nichtregierungsorganisationen im Zentralirak und dem kurdisch besiedelten Nordirak mit einem Be- trag von 1,845 Mio DM gefördert. Auch gegenwärtig steht die Bundesregierung zu ihrer damals übernommenen Aufgabe. So sind bereits in den vergangenen Jahren – seit dem Sturz des alten Regimes vom Auswärtigen Amt verschiedene Maßnahmen zur konstruktiven Vergangenheitsbewältigung für Irakerin- nen und Iraker und zum Umgang mit dem Erbe der Dik- tatur Saddam Husseins finanziert worden. Beides ist aus meiner Sicht ein wichtiger Bestandteil der deutschen Wiederaufbauhilfe für den Irak, der insbesondere kurdi- schen Irakerinnen und Iraker zugute gekommen ist. Insofern bin ich der Meinung, dass die Bundesregie- rung auch ohne eine Verantwortung für die schreckli- chen Ereignisse vor 20 Jahren einen entscheidenden Bei- trag zur Linderung der Folgen – und um mehr kann es kaum gehen – geleistet hat. Die Herausforderung, vor der wir alle im Irak stehen, ist es, stabile Verhältnisse zu ermöglichen in einem Staat, der selbst in der Lage ist, seinen Aufgaben in einem demokratischen Rahmen nachzukommen und seine Bürgerinnen und Bürger da- vor zu schützen, dass ein Verbrechen wie das in Halab- dscha nie wieder verübt werden kann. Denn zu gesell- schaftlichem Frieden im Irak gehören zweifelsohne auch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte und die Aner- kennung vergangenen Unrechts. Deutschland hat sich der Aufgabe gestellt, hieran teil- zuhaben, durch finanzielle, logistische, aber auch imma- terielle Unterstützung. Für meine Fraktion kann ich sa- gen, dass dies auch weiterhin unsere Unterstützung findet. Daher sehe ich der Beratung dieses wichtigen Antrags in den Ausschüssen mit großem Interesse entge- gen. Uta Zapf (SPD): Der 16. März ist ein Tag der Erinne- rung an das grausame Schicksal der Kurden im Irak, an unendliches Leiden durch Verfolgung, Vertreibung, an Massenmord und an den Giftgaseinsatz von Saddam Hussein gegen sein eigenes Staatsvolk, die Kurden. Die- ser Tag erinnert uns an einen Genozid ungeheuren Aus- maßes. Am 16. März befehligte der Cousin des Dikta- tors, Ali Hassan Al-Madschid, den Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha im Irak, ebenso auf zwei weitere Dörfer. Nerven- und Senfgasbomben töteten 8 000 Menschen. Ali Hassan Al-Madschid mit dem Bei- namen „Chemie-Ali“ wurde im Juni 2007 vom Sonder- tribunal für die Verbrechen Saddam Husseins zum Tode verurteilt. Tausende Menschen leiden noch heute unter diesem Trauma und unter den gesundheitlichen Folgen. Haut- krebs, Leiden der Atemwege, Augenleiden, Unfrucht- barkeit, Missbildungen an Neugeborenen, Krebs und Leukämie sind die Spätfolgen. 100 000 Kurden flohen damals in die Türkei und in den Iran. Halabdscha ist das dramatischste Ereignis in einer Jahrzehnte andauernden Verfolgung, die die irakischen Kurden zu erleiden hat- ten. Zwangsvertreibungen, Massenverhaftungen und Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Tausende verschwanden und kamen bei Angriffen der Armee ums Leben. Hunderte von kurdischen Dörfern wurden durch Armeepanzer niedergewalzt und ebenfalls mit chemi- schen Waffen angegriffen. Im Jahre 1988 gab es einen systematischen Genozid gegen Kurden. Ein Rachefeld- zug sondergleichen gegen die Kurden brach nach dem Waffenstillstand zwischen Iran und Irak los. Die Kurden hatten sich auf die Seite Irans gestellt. Die sogenannte Anfal-Kampagne begann. Mehr als 180 000 Menschen fielen ihr zum Opfer. Männer und männliche Jugendli- che wurden ermordet, Frauen und Kinder aus den Dör- fern vertrieben und unter unmenschlichen Bedingungen in Ghettos gehalten. Ich selber habe bei meinem Besuch im Nordirak 1993 die Massengräber gesehen und mit den Anfal-Witwen gesprochen. Im Jahr 1988 diskutierte der Deutsche Bun- destag mehrfach über diese Verbrechen. Am 21. September 1988 gab es im Bundestag eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Viele der Redner und Redne- rinnen kennzeichneten diese Verbrechen eindeutig als Völkermord. Gleichzeitig war eine durchgängige Forderung, das in Genf verhandelte Chemiewaffenübereinkommen endlich zum Abschluss zu bringen. Es dauerte noch bis 1993, bis dieses Abkommen gezeichnet wurde – von 130 Staaten zugleich. Heute fehlen noch 12 Staaten weltweit, zum Beispiel Syrien, Ägypten, Libanon und Nord-Korea; Irak hat angekündigt, dem CWÜ beizutreten. Damals, 1988, galt die Genfer Konvention von 1925 gegen den Einsatz von Chemiewaffen. Damals bezeich- nete aber auch der UNO-Botschafter der Arabischen Liga, Clovis Mahsud, den Kampf der irakischen Streit- kräfte gegen Kurden als interne Angelegenheit und be- hauptete, die Genfer Konvention verbiete den Einsatz chemischer Waffen nur gegen einen äußeren Feind, nicht aber im Inneren. Was die Ächtung von Chemiewaffen betrifft, ist fast die ganze Welt inzwischen einig. Mit der Chemiewaffen- konvention haben wir das internationale Völkerrecht ab- gesichert. In der Frage des Völkermordes tut sich die Internatio- nale Staatengemeinschaft immer noch unendlich schwer. Weder gibt es eine Einigung auf die Definition von Völ- kermord, noch befestigt das Völkerrecht das Recht auf Intervention – humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln – im Fall von Vertreibung und Völkermord. Ru- anda, Kosovo und Darfur mögen als Stichworte gelten. Die UNO hat die „Responsibility to Protect“, die Ver- pflichtung zu schützen, in einem umfangreichen Exper- tenbericht diskutiert. Dieser Bericht sieht eine Verpflich- tung zum handeln, um einen Diktator, ein inhumanes Regime daran zu hindern, Menschen seines Machtbe- reichs umzubringen oder sie Bedingungen auszusetzen, in denen sie umkommen müssen, wenn ihnen andere Staaten nicht zur Hilfe kommen. „Die Souveränität eines Staates umfasst nicht die Souveränität von Massenmördern, ihre eigenen Leute umzubringen.“ Dies ist ein Zitat meines ehemaligen Kollegen Freimut Duve aus einer Debatte des Bundesta- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15677 (A) (C) (B) (D) ges vom 17. April 1991. Auch damals ging es um die irakischen Kurden. In der Folge des Golfkrieges waren 2 Millionen in die Berge an der Grenze zur Türkei geflo- hen. In der Folge der UN-Resolution 688 wurde eine da- mals auch von der SPD geforderte Sicherheitszone im Nordirak eingerichtet, in der die kurdische Bevölkerung einigermaßen Schutz fand. Bis heute hat die Internationale Staatengemeinschaft das unerträgliche Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegen- heiten eines Staates, der Respektierung der staatlichen Souveränität und dem unabdingbarnotwendigen Gebot, Massenvertreibungen und Völkermord zu verhindern, nicht lösen können. Heinrich Böll hat das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Flüchtlinge genannt. Heute wissen wir, dass das 21. Jahrhundert in noch höherem Maße diese Bezeich- nung zu verdienen droht. Wir haben immer noch nicht entschieden, welche Konsequenzen wir aus den Kata- strophen des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts im Völkerrecht ziehen werden. Ethnische Konflikte, neue Nationalismen, ungelöste Minderheitenkonflikte, Religionskriege und Konflikte um knappe Ressourcen wie Wasser und Nahrung spielen sich unter unseren Au- gen ab und werden immer wieder zu Massenmord und Vertreibung führen. „Responsibility to Protect“ – die Verpflichtung, Men- schen vor Gewalt zu schützen – muss in den Mittelpunkt völkerrechtlicher Erwägungen zur Fortentwicklung des Völkerrechts rücken. Wir fühlen mit den Opfern und Angehörigen des Gift- gasangriffs auf Halabdscha. Die Bundesrepublik Deutschland hat den irakischen Kurden mit humanitärer Hilfe seit 1991 geholfen. Zwischen 1993 und 1997 wur- den 13 Millionen DM an Hilfe zur Verfügung gestellt. Für 2008 plant das Auswärtige Amt in den kurdischen Städten Arbil und Sulaymania jeweils ein Zentrum für die Behandlung von Traumapatienten einzurichten. Diese Einrichtungen kommen auch Opfern der Anfal- Kampagne zugute. In Dohuk wird ein Anfal-Zentrum gefördert werden, das der öffentlichen Darstellung der Giftgasangriffe in Kurdistan dient – 20 Jahre nach den Verbrechen. Ich wünsche mir, dass die Internationale Staatenge- meinschaft in Zukunft solche Katastrophen und Verbre- chen verhindern kann. Harald Leibrecht (FDP): Der schreckliche Giftgas- angriff auf die Stadt Halabdscha im kurdischen Nordirak am 16. März 1988 hat auch heute, 20 Jahre später, nichts von seinem Grauen verloren. Die Bilder von den ent- stellten Gesichtern vergaster Kinder, von verbrannten Körpern und verzweifelten Menschen auf der Flucht sind nicht vergessen. Die gesamte FDP-Fraktion verurteilt diesen men- schenverachtenden Angriff sowie die weiteren Angriffe auf kurdische Dörfer und Siedlungen im Rahmen der „Anfal-Operationen“ durch das Regime von Saddam Hussein und drückt allen Opfern und ihren Angehörigen zum Jahrestag ihr Mitgefühl aus. Bis zu 5 000 Menschen wurden allein in Halabdscha auf qualvolle Weise ermor- det, den gesamten „Anfal-Operationen“ fielen nach internationalen Schätzungen insgesamt zwischen 50 000 und 100 000 Kurden zum Opfer. Es war eine der schrecklichsten Stationen jenes Krieges gegen die eigene Bevölkerung, die eine Gruppe wahnsinniger Machthaber im Irak über sehr lange Zeit geführt hat. Noch heute macht das Schicksal aller Opfer von Halabdscha und ih- rer Angehörigen tief betroffen, und wir nehmen Anteil an dem großen Leid, das sie in dieser langen Zeit ertra- gen mussten. Auch heute noch sind die Folgen dieser Barbarei überall zu spüren. Haut-, Atemwegs- und Krebserkrankungen sowie Missbildungen sind die im- mer noch erschreckend realen und massiven Langzeit- folgen der Angriffe. Viele Schicksale von Ermordeten und Vermissten blieben unaufgeklärt und lassen die Angehörigen bis heute nicht zur Ruhe kommen. Es liegt deshalb nun auch an uns, den diesjährigen 20. Jahrestag als Anlass für ein aktives Gedenken und als Mahnmal gegen das Vergessen zu begreifen. Man kann die Ereignisse von Halabdscha nicht rückgängig machen. Aber man kann die richtigen Schlüsse daraus ziehen: Das Gedenken an Halabdscha sollte uns dazu veranlassen, uns endlich wieder vermehrt um eine weltweite Abrüstung und eine größere Effizienz der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen zu küm- mern. Was den von den Kollegen der Grünen eingebrachten Antrag zur Bereitstellung von Mitteln zur medizinischen und psychologischen Nachsorge der Opfer und ihrer An- gehörigen angeht, so halten wir dies für ein ehrbares und sinnvolles Anliegen. Man muss es nur auf der richtigen Ebene ansiedeln. Es ist nicht zu entschuldigen, dass deutsche Firmen durch die Lieferung von technischem Know-how und sogenannten Dual-Use-Gütern einen Aufbau von Saddam Husseins C-Waffenarsenal mit er- möglicht haben. Dieser Verantwortung muss man sich stellen. Richtig ist, dass deutsche Firmen eine Mitverantwor- tung an der Tragödie von Halabdscha tragen. Einige von diesen Firmen wurden in Deutschland deshalb auch schon gerichtlich belangt. Dies gleichzusetzen mit einer staatlichen Verantwortung sehe ich offen gestanden al- lerdings skeptisch. Wir alle kennen doch genug promi- nente Beispiele für Fondsgründungen deutscher Firmen, die sich in der Vergangenheit an schweren Menschen- rechtsverletzungen mitschuldig gemacht haben. Wenn ein Weg der Nachsorge für die Opfer von Halabdscha sinnvoll ist, dann muss sich der Blick zunächst wieder an jene deutschen und nicht irakischen Firmen wenden, die die Aufrüstung Saddam Husseins mit C-Waffen erst er- möglicht haben. Ich denke, wir sollten auf dieser Basis den Antrag der Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Ausschuss ganz sorgfältig prüfen und die Möglichkeiten des Aus- schusses auch einmal nutzen, einen Antrag so zu verän- dern, dass am Ende eine gemeinsame Beschlussfassung stehen kann. 15678 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) Dr. Norman Paech (DIE LINKE): 20 Jahre nach dem Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha beschäftigt sich der Deutsche Bundestag heute zum zweiten Mal mit diesem furchtbaren Verbrechen von Saddam Hussein. Er wurde hingerichtet, bevor er in ei- nem Prozess zur Verantwortung gezogen werden konnte. Dennoch sind die Fakten klar und unbestritten: Saddam Hussein und sein Cousin Ali Hassan Al-Majid sind ver- antwortlich für die mehr als 5 000 Todesopfer und wei- tere schätzungsweise 7 000 bis 10 000 lebensgefährlich Verletzte. Zahlreiche internationale Firmen – davon min- destens 60 deutsche – haben sich durch die Beteiligung am Aufbau der irakischen Giftgasindustrie und mit der Lieferung der notwendigen Chemikalien mitschuldig an diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht. Presseberichten zufolge stammten etwa 70 Prozent der damaligen Giftgasanlagen aus der Bundesrepublik. Auch heute noch ist Halabdscha gezeichnet. Der An- griff auf die Stadt war nur ein Teil des als „Anfal“-Of- fensive in die Geschichtsbücher eingegangenen Vernich- tungsfeldzuges gegen die Kurden. Insgesamt kostete er wohl mehr als 100 000 Menschen das Leben, es wurden 2 000 Dörfer zerstört und zahllose Menschen vertrieben. Human Righls Watch bezeichnete dieses Massenverbre- chen als Völkermord. Noch im Dezember 2005 verurteilte ein Gericht in Den Haag einen niederländischen Geschäftsmann für die Lieferung von Chemikalien an den Irak zu 15 Jahren Haft wegen Beteiligung an dem Giftgasangriff, der laut Gerichtsurteil die Merkmale eines Völkermordes erfülle. Dennoch sah sich der Bundestag im Jahr 2002 nicht in der Lage, ebenfalls von Völkermord zu sprechen. In der Bundesrepublik wurden seinerzeit lediglich gegen sie- ben Mitarbeiter deutscher Firmen gerichtliche Verfahren eröffnet, die Mitte der 90er-Jahre mit geringen Bewäh- rungsstrafen, Einstellung des Verfahrens oder Freispruch endeten – kein Ruhmesblatt der deutschen Justiz. Unabhängig von der juristischen Einordnung dieses Giftgasanschlages ist es jedoch erschreckend, dass bis heute keine ausreichende Entschädigung geleistet wor- den ist, um den Opfern eine angemessene medizinische und ökonomische Hilfe zu gewährleisten. Die Bundes- regierung hat zwar für die notleidende kurdische Bevöl- kerung im Nordirak von 1990 bis 1997 rund 430 Millio- nen DM für humanitäre Hilfe bereitgestellt und den internationalen Hilfsorganisationen UNHCR, IKRK und UNICEF zukommen lassen. Dennoch gehört Halab- dscha heute noch zu den ärmsten Gebieten des Iraks, wie auch in einem Reisebericht der Kolleginnen Claudia Roth und Winfried Nachtwei zu lesen ist. In Halabdscha müssen die Menschen noch immer ohne eine umfas- sende und ausreichende medizinische Versorgung leben. Die typischen Folgeerkrankungen eines solchen Giftgas- anschlages, die wir vor allem seit dem Vietnam-Krieg kennen, wie Lungen- und Hautkrebs, Leukämie, Fehlge- burten und Missbildungen, posttraumatische Probleme, quälen die Bevölkerung immer noch. Das Verbrechen an den Menschen in Halabdscha wirkt nach 20 Jahren immer noch fort, und wir dürfen uns seinen Folgen nicht entziehen. Deutschland steht in der Verantwortung, weil deutsche Unternehmen nach- weislich am Aufbau der irakischen Giftgasindustrie be- teiligt waren. Deshalb dürfen wir es nicht nur bei Reden im Parlament belassen. Es ist notwendig, dass wir ver- antwortlich Hilfe leisten, und zwar nicht nur symbolisch. Wir müssen substanzielle Hilfe leisten, die die Leiden der Überlebenden wirksam und nachhaltig lindert. Des- halb unterstützt die Linke den vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Als ich im letzten Sommer mit Winfried Nachtwei Halabdscha besuchte und das Meer von Grab- steinen sah, unter denen die Getöteten des Massakers vom 6. März 1988 begraben sind, waren die Bilder schlagartig wieder da: Bilder von entsetzlichen Verbre- chen, die an diesem Ort verübt wurden, von getöteten Menschen, von vielen Frauen, Kindern, Alten und von Verletzten und Fliehenden. Es war ein Moment der tie- fen Trauer um die Getöteten, ein Moment des Mitemp- findens mit ihren Angehörigen und den überlebenden Opfern, die heute noch unter den Folgen leiden – phy- sisch und psychisch. Der Moment der Trauer war für uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestags aber auch ein Moment der Beklemmung und der Scham: Scham darüber, dass der Anschlag mit Waffen verübt wurde, die das Saddam- Regime mit Unterstützung auch aus Deutschland entwi- ckelt hatte, Scham über Firmen, die illegal Material ge- liefert haben, Scham über verantwortungslose Manager, die bedenkenlos Profiten nachjagten, und Scham auch über Exportgesetze, die das mit ermöglicht haben. Umringt von vielen Menschen wurde uns klar, dass der Besuch einer deutschen Delegation 19 Jahre nach dem Anschlag viel zu spät kam – zumal keine Unterstüt- zung für den Ort geleistet wird. Umso wichtiger ist es, dass des Massakers von Halabdscha heute, am 20. Jah- restag, im Bundestag gedacht wird. Über 5 000 Men- schen starben bei den Giftgasangriffen der irakischen Armee auf Halabdscha. Angriffsziel waren neben den Kurden auch die während des Iran-Irak-Krieges in der Stadt stationierten iranischen Soldaten. Getroffen wurde vor allem die Zivilbevölkerung. Tausende Verletzte flo- hen über die Landesgrenze und wurden zum Teil im Iran behandelt. Einige von ihnen konnten später im Ausland behandelt werden. Halabdscha reiht sich ein in eine lange Liste von Ver- brechen der Saddam-Diktatur, unter der gerade die Kur- den immer wieder zu leiden hatten. Einsätze der iraki- schen Armee richteten sich gezielt gegen ganze kurdische Dörfer, wobei ebenfalls Giftgas zum Einsatz kam. Im Rahmen der sogenannten Anfal-Kampagnen kamen zwischen 1986 und 1989 nach kurdischen Schät- zungen bis zu 182 000 Menschen ums Leben. Der verantwortliche ehemalige irakische Verteidi- gungsminister Ali Hassan Al-Madschid wurde im Juni 2007 im Zusammenhang mit den sogenannten Anfal- Angriffen auf kurdische Dörfer von einem irakischen Sondergericht zum Tode verurteilt. Letzten Freitag wurde entschieden, das Urteil innerhalb eines Monats zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15679 (A) (C) (B) (D) vollstrecken. Das irakische Gericht stufte die Anfal- Angriffe, die den Höhepunkt der systematischen Unter- drückungs- und Mordpolitik gegen die irakischen Kur- den darstellte, als Genozid ein. Dass die Verbrechen jetzt von der Justiz aufgearbeitet und die Täter bestraft werden, ist gut und richtig. Die heutigen Probleme der Menschen in der Region werden dadurch aber längst nicht gelöst. Das wird einem vor Ort schlagartig klar. Wer Halabdscha heute besucht, könnte fast meinen, der Angriff habe nicht vor 20 Jahren, son- dern erst kürzlich stattgefunden. Viele Bewohner leiden noch heute unter den gesund- heitlichen Folgen der Giftgase. Viele von ihnen leben unter skandalösen Bedingungen. Schutt und Staub, be- schädigte Gebäude und eine unzureichende Infrastruktur sind eine völlig unhaltbare Umgebung für die zahlrei- chen Opfer der Angriffe, darunter viele Lungenkranke. Entschädigungen und Hilfe erhielten die Bedürftigen nur in geringem Maße von der kurdischen Regierung. Die medizinische Versorgung ist absolut unzureichend und unangemessen für die Schwere der erlittenen Verletzun- gen. Als deutsche Parlamentarier wurden wir in Halab- dscha auch gefragt, warum nie Hilfe aus Deutschland kam. Die Menschen dort wissen sehr wohl um die Rolle deutscher Firmen beim Aufbau des C-Waffen-Arsenals von Saddam Hussein. Niemand hat uns angeklagt; aber wir wurden gefragt: Warum gibt es keine Hilfe aus Deutschland, nicht ein einziges kleines Projekt? Und ich muss Ihnen sagen: Wir hatten keine Antwort auf die Frage, warum nichts für die Entwicklung der Stadt, für die Gesundheitsversorgung der Menschen getan wurde. Schon mit begrenzten Mitteln könnte man hier ein menschliches und wichtiges Zeichen setzen. Wenn wir hier im Bundestag der Folgen der schreckli- chen Angriffe auf Halabdscha gedenken, dann sollten wir auch gemeinsam über ein solches Zeichen nachdenken und uns Gedanken machen über deutsche Unterstützung für Hilfe vor Ort. Ich erwarte von der Bundesrepublik endlich Initiativen der Unterstützung für die Betroffenen. Die völlige Abwesenheit Deutschlands in der Region ist mir absolut unverständlich und durch nichts zu rechtfer- tigen. Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam dazu beitragen können, den Menschen im Nordirak und all jenen, die un- ter den Verbrechen Saddam Husseins gelitten haben und noch heute leiden, besser helfen zu können, und dass diese Debatte ein Anstoß dafür ist. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen (Ta- gesordnungspunkt 17) Marcus Weinberg (CDU/CSU): Unser Land blickt auf eine lange und prägende Migrationstradition mit zahlreichen Beispielen erfolgreicher Integration zurück. Diesen historischen Erfahrungsschatz werden wir sehr viel stärker als bisher für die wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Interessen Deutschlands, auch angesichts des demografischen Wandels und des weltweiten Wett- bewerbs um die besten Köpfe, für einen positiven und pragmatischen Umgang mit Zuwanderung und Integra- tion nutzen. Dafür ist eine nachhaltige Integrationspoli- tik dringend erforderlich. Integration kann nicht verordnet werden. Sie erfordert Anstrengungen von allen, vom Staat und der Gesell- schaft, die aus Menschen mit und ohne Migrationshin- tergrund besteht. Maßgebend ist zudem die Bereitschaft der Zuwandernden, sich auf ein Leben in unserer Gesell- schaft einzulassen. Im Zuge der wachsenden Internatio- nalisierung von Arbeits- und Absatzmärkten sind es ins- besondere international tätige Großunternehmen, die in betriebswirtschaftlichem Interesse Zielsetzung und Leit- linien des Diversity-Managements adaptieren und damit gleichzeitig auch eine Vorreiterrolle bei der Herstellung innerbetrieblicher Chancengleichheit einnehmen. Einige dieser Unternehmen haben Ende 2006 die Ini- tiative „Charta der Vielfalt“ ins Leben gerufen, die von der Bundesregierung unterstützt wird. Auch auf EU- Ebene wird Diversity-Strategien sowohl im Zusammen- hang der Sozial- und Beschäftigungspolitik als auch im Kontext der Chancengleichheitspolitik ein wichtiger Stellenwert beigemessen. Vor diesem Hintergrund und anknüpfend an die „Charta der Vielfalt“ führt die Beauf- tragte 2007/2008 mit Mitteln des Europäischen Sozial- fonds eine Kampagne „Vielfalt als Chance“ durch, die auf die bessere Berücksichtigung von Menschen mit Mi- grationshintergrund in der betrieblichen und öffentlichen Einstellungs- und Personalpolitik zielt. Im Zusammenhang von Globalisierung und gesell- schaftlicher Pluralisierung ist nicht nur die Wirtschaft immer stärker auf differenzierte sprachliche und inter- kulturelle Kenntnisse von Beschäftigten angewiesen, sondern auch der Öffentliche Dienst, der mit seinen An- geboten einer zunehmend differenzierten Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen Rechnung zu tragen hat. Vor diesem Hintergrund haben sich die Bundesre- gierung und die Länder im Integrationsplan verpflichtet, ihre Einstellungspraxis zu überprüfen und eine gezieltere Personalrekrutierung zu betreiben. Die Arbeitslosenquote von Migrantinnen und Migran- ten ist im Zuge der aktuellen Konjunktur dann zwar ge- sunken, aber laut Mikrozensus liegt die durchschnittliche Erwerbsbeteiligung von Personen mit Zuwanderungshin- tergrund mit rund 68 Prozent, Migrantinnen 58 Prozent, deutlich unter der von Personen ohne Migrationshinter- grund (75 Prozent). Fehlende oder unzureichende Sprach- kenntnisse, berufliche Abschlüsse und Qualifikationen tragen in hohem Maße dazu bei. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräfte- mangels hat sich die Arbeitsgruppe „Wissenschaft – weltoffen“ des Nationalen Integrationsplans unter ande- rem mit dem Potenzial der qualifizierten Migrantinnen und Migranten befasst, die bereits in Deutschland leben, aber bisher keinen qualifizierten Arbeitsmarktzugang haben. Thematisiert wurden insbesondere auch die weit- 15680 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) gehenden Probleme bei der Anerkennung und Bewer- tung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen und -nachweisen. Angaben zum Qualifikationsniveau von Zuwandern- den bei der Einreise nach Deutschland lassen sich nicht machen, da berufliche und schulische Qualifikationen bei der Ankunft nicht erhoben werden. Die Daten des Mikrozensus 2005 geben zwar Auskunft über die Quali- fikationsstruktur der Bevölkerung mit Migrationshinter- grund, differenzieren aber nicht nach im Ausland oder Inland erworbenen Abschlüssen. Auch in der Datenauf- nahme der Bundesagentur für Arbeit zu den formalen Qualifikationen sind nur deutsche bzw. in Deutschland anerkannte Berufsabschlüsse vorgesehen; selbst auslän- dische Hochschulabschlüsse gehen bei fehlender Aner- kennung nicht in die formalen Qualifikationsprofile der Arbeitslosen ein. Nach Schätzungen der Universität Oldenburg leben in Deutschland zurzeit allein rund 500 000 zugewanderte Akademiker und Akademikerinnen, deren Abschluss nicht anerkannt wurde und die deshalb unqualifizierten oder nicht ausbildungsadäquaten Tätigkeiten nachgehen. Diese Nichtanerkennung beruflicher Qualifikationen er- schwert bzw. verhindert nicht nur individuell die Auf- nahme einer dem Bildungsstand entsprechenden Er- werbstätigkeit, sondern bedeutet in volkswirtschaftlicher Perspektive, dass erhebliche Qualifikationsressourcen im Erwerbssystem brachliegen. Das Anerkennungswesen für im Ausland erworbene Berufs- und Hochschulabschlüsse in Deutschland ist noch unübersichtlich. Auf EU-Ebene wird im Rahmen des Bologna-Prozesses die Vergleichbarkeit von Hoch- schulabschlüssen vorangetrieben, auch für den Bereich der beruflichen Abschlüsse. Auf einer Tagung des Euro- päischen Rates in Barcelona im Jahr 2002 hat der Euro- päische Rat sowohl eine engere Zusammenarbeit im Universitätsbereich als auch die Verbesserung der Trans- parenz und Methoden zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsbildungssystemen gefordert. Mit der Einfüh- rung eines Europäischen Qualifikationsrahmens, EQR, sollen unter anderem die Vergleichbarkeit und ein Rah- men für die Anerkennung von Qualifikationen im Be- reich der allgemeinen und beruflichen Bildung erstellt und umgesetzt werden, siehe auch die Lissabonkonven- tion, ein am 11. April 1997 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnetes Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region; veröffentlicht im Bundesge- setzblatt Jahrgang 2007 Teil II Nr. 15. Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, ZAB, im Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland ist die zuständige Stelle für Angelegenheiten der Bewertung und Einstu- fung ausländischer Bildungsnachweise. Sie erbringt be- ratende und informatorische Dienstleistungen für die mit der Anerkennung ausländischer Bildungsnachweise be- fassten Stellen in der Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel Ministerien, Behörden, Hochschulen, Gerichte; sie hat selbst keine Entscheidungsbefugnisse. Zu den wesentlichen Aufgaben der Zentralstelle zählt, dass sie auf Anfrage der zuständigen Stellen die auslän- dischen Bildungsnachweise individueller Antragsteller bewertet, dass sie allgemeine Äquivalenzgrundlagen und Einstufungsempfehlungen für ausländische Bildungs- nachweise erstellt. Diese Empfehlungen können gele- gentlich den Charakter verbindlicher Regelungen erhal- ten, wenn sie durch eine gemeinsame Entschließung der Kultusministerkonferenz, KMK, gebilligt werden. Wei- tere Obliegenheiten der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen sind zum einen die Unterstützung der zu- ständigen Stellen bei der Vorbereitung bilateraler Ab- kommen mit den Regierungen ausländischer Staaten über die gegenseitige Anerkennung von Bildungsnach- weisen und zudem eine allgemeine Informations- und Dokumentationstätigkeit im Hinblick auf ausländische Bildungssysteme. Der Betrieb einer Datenbank zur An- erkennung ausländischer Bildungsnachweise ist im Auf- bau. Die mit der Zentralstelle zusammenarbeitenden Insti- tutionen und Behörden sind: die Kultus- und Wissen- schaftsministerien der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Diese sind unter anderem zuständig für all- gemeine Angelegenheiten des Hochschulzugangs, für die Bewertung von Studienabschlüssen von Lehrern und die Erteilung der Genehmigung zur Führung ausländi- scher akademischer Grade, für besondere Gremien der Kultusministerkonferenz, die sich mit internationalen Angelegenheiten des Bildungswesens befassen, für Uni- versitäten und andere Einrichtungen des Schul- und Hochschulbereichs, die in Einzelfällen der Hochschulzu- lassung und der Einstufung ausländischer Antragsteller um Rat fragen, zudem für andere Ministerien und nach- geordnete Behörden, die für die berufliche Anerkennung von Bildungsabschlüssen zuständig sind, zum Beispiel die für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerien der Länder, für Stipendien vergebende Stellen, ausländi- sche Institutionen, die Auskünfte über das deutsche Bil- dungswesen und über die Anerkennung von Studienleis- tungen und Hochschulabschlüssen für ausländische Studierende in der Bundesrepublik Deutschland erbitten und Organisationen für den Studentenaustausch. Um ihre verschiedenartigen Funktionen sachgerecht erfüllen zu können, ist die Zentralstelle verpflichtet, eine solide Basis verlässlicher und aktueller Informationen bereitzuhalten. Zu diesem Zweck führt sie eine Refe- renzbibliothek, die wesentliche Aspekte des ausländi- schen Bildungswesens im internationalen Maßstab ab- deckt. Die Zentralstelle führt ein Archiv des deutschen Bildungswesens mit Schwerpunkt in der Sammlung der verschiedensten Studien- und Prüfungsordnungen sowie weiterer Ausbildungsregelungen; eine Sammlung aller verfügbaren Literatur – Zeitschriften, Bücher, Kataloge usw. –, die sich mit ausländischen Bildungssystemen oder Gesellschaft, Kultur und Berufsleben betreffenden Angelegenheiten befassen, und außerdem hat die Zen- tralstelle ein Informationsnetzwerk aufgebaut, welches auch die deutschen und ausländischen Botschaften ein- bezieht. Die Zentralstelle arbeitet unter anderem auf die- sen Gebieten auch eng mit den nationalen Äquivalenz- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15681 (A) (C) (B) (D) zentren der Mitglieder des Europarats und der EU zusammen. Sie gibt für den Dienstgebrauch der zuständigen Stel- len in der Bundesrepublik Deutschland Veröffentlichun- gen zum ausländischen Bildungswesen heraus: Auslän- dische Bildungsnachweise und ihre Bewertung in der Bundesrepublik Deutschland, „Bewertungsvorschläge“: Diese mehrbändige Loseblattsammlung dient als Ar- beitsgrundlage für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewerber; sie wird ein- bis zweimal jährlich ak- tualisiert und enthält neben den jeweiligen Bewertungs- empfehlungen Übersichten über das Notensystem sowie Hinweisen zur Berechnung von Gesamtnoten, eine aus- führliche Auflistung der ausländischen, für den Hoch- schulzugang berechtigenden Zeugnisse sowie für eine Reihe von Ländern eine knappe Darstellung des Schul- systems. Seit Frühjahr 2003 sind die „Bewertungsvor- schläge“ in der Datenbank ANABIN unter „Hochschul- zugang“ verfügbar. Gesetzliche Vorgaben zu den Anerkennungsverfahren (Beruf) gibt es nur für Spätaussiedler und Spätaussiedle- rinnen, die einen Rechtsanspruch auf Anerkennungsver- fahren in allen Berufen haben, sowie hinsichtlich bestimmter Berufe auch für Unionsbürger und Unions- bürgerinnen. In weiten Teilen sind Zuwandernde für die Anerkennung ihrer Qualifikationen auf den freien Markt und damit auf die Bereitschaft und Fähigkeit individuel- ler Arbeitgeber verwiesen, fremdsprachige Zeugnisse zu akzeptieren und ausländische Ausbildungen zu bewer- ten. Problematisch ist dies – angesichts Hunderter von Ausbildungsberufen im dualen System – insbesondere bei Berufsausbildungen und Meisterabschlüssen. Die formale Vergleichbarkeit von Berufsausbildungen und die gegenseitige Anerkennung beruflicher Zeug- nisse ist bilateral nur mit Österreich, Frankreich und der Schweiz – nur Handwerk – geregelt. Die Kammern bie- ten hier allerdings in vielen Fällen informelle Hilfestel- lungen und Anerkennungsmöglichkeiten an. Hier wird nachgebessert, mit Hilfe der Einführung des Europäi- schen Qualifikationsrahmens EQR. Auch für Akademiker und Akademikerinnen mit aus- ländischem Abschluss, die unmittelbar einen Arbeits- marktzugang suchen, fehlt ein einheitliches Anerken- nungsverfahren; die Zuständigkeiten der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen und der Hochschulen für die sogenannte akademische Anerkennung, das heißt die Anerkennung von Studienzeiten, Studienleistungen, akademischen Abschlüssen und Graden, liegen in der Beratung und Bewertung, nicht in der Anerkennung. Im Bereich der reglementierten Berufe, in denen der Berufszugang entweder durch Bundesgesetz, unter ande- rem Rechts- oder Gesundheitsberufe, oder durch Länder- recht, unter anderem Erziehungsberufe und Ingenieure bzw. Architekten, geregelt ist, scheitern Drittstaatsange- hörige regelmäßig daran, dass ihnen – anders, zum Bei- spiel als Unionsbürgerinnen und -bürgern – bestimmte Anerkennungsinstrumente, wie individuelle Eignungsprü- fungen nicht zur Verfügung stehen. Sowohl im Bereich der Anerkennung von Bildungsnachweisen und ausländi- schen Abschlüssen als auch bei den erforderlichen An- passungsqualifizierungen ist vieles zu verbessern. Die Anerkennungsverfahren sollen auf der Grundlage ver- gleichbarer und für alle Betroffenen nachvollziehbarer Standards transparenter gestaltet, die Lesbarkeit der An- erkennung von Studienabschlüssen und anderen Qualifi- kationsnachweisen verbessert, die Standardisierung von Prüfungsanforderungen und der Aufbau von Anerken- nungsinformationssystemen vorangetrieben werden. Das bestehende Angebot zur Nach- und Anpassungs- qualifizierung ist weiter auszubauen, zu differenzieren und für weitere Zielgruppen zu öffnen. Dies gilt auch für das Akademikerprogramm und die Maßnahmen des „Garantiefonds Hochschulbereich“, mit denen der Bund seit mehr als zwanzig Jahren zugewanderte Akademiker und Akademikerinnen in den ersten Jahren nach der Ein- reise nach Deutschland bei der beruflichen Integration unterstützt bzw. auf ein Hochschulstudium vorbereitet. Ergänzend ist für gezielte Qualifizierungsmaßnahmen zu plädieren; für zugewanderte Akademiker und Akademi- kerinnen ohne Aussicht auf eine ausbildungsadäquate berufliche Position, um ihnen zumindest einen Berufs- einstieg auf mittlerer Ebene zu ermöglichen. Bund, Länder und die Wirtschaft haben sich im Natio- nalen Integrationsplan verpflichtet, Anerkennungsver- fahren und Maßnahmen zu optimieren. Die Länder beto- nen, dass im Ausland erworbene „Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüsse volkswirtschaftlich besser genutzt werden“ müssen und in diesem Zusammenhang auch Teilanerkennungen und gezielte Nachqualifizierungen sinnvoll wären. Der Bund verpflichtet sich, seine Maßnahmen zur An- passungs- und Nachqualifizierung zuwandernder Akade- miker und Akademikerinnen zielgruppenspezifisch wei- terzuentwickeln, und das BAMF legt ein Konzept zur beruflichen Integration zugewanderter Akademikerinnen und Akademiker vor, das sich insbesondere auf die Opti- mierung der Anerkennungsverfahren von Bildungs- und Berufsabschlüssen, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz, sowie auf Angebote der fachlichen und sprachlichen Nachqualifizierung bezieht. Die Industrie- und Handelskammern erklären sich bereit, ihre Leistungen zur Anerkennung von im Ausland erwor- benen Qualifikationen vor allem im Bereich der gutach- terlichen Stellungnahmen zu ausländischen Zeugnissen weiter zu verbessern. Abschließend sei hier noch auf das im Oktober 2006 angelaufene Modellprojekt des Bundes „AQUA – (zuge- wanderte) Akademikerinnen und Akademiker qualifizie- ren sich für den Arbeitsmarkt“ hingewiesen. Es steht für die Ablösung der am Rechtsstatus von Migrantinnen und Migranten orientierten Förderstrategien der Vergangen- heit. AQUA bereitet zugewanderte und deutsche Ar- beitslose mit akademischer Vorqualifikation mittels ge- meinsamer Maßnahmen in verschiedenen Berufsfeldern auf Arbeitsplätze mit gehobenen Anforderungen vor. Anknüpfungspunkt für das Modell ist der Erfolg des Akademikerprogramms, das mit relativ kurzen Förde- rungen – 12 bis 15 Monate – eine hohe Überleitungs- quote, rund 70 Prozent, aus der Förderung in den ersten Arbeitsmarkt erreicht, als Zielgruppenprogramm aber 15682 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) für deutsche Arbeitslose nicht zugänglich ist. Neben der Vermittlung fachbezogener Kenntnisse und Kompeten- zen zielt AQUA darauf, den Deutschspracherwerb der Zugewanderten zu intensivieren und die interkulturellen Kompetenzen beider Gruppen zu verbessern. Erprobt wurde das Modell bisher in vier Berufsfeldern, seit Ok- tober 2007 ist AQUA deutlich ausgeweitet worden und umfasst nun 13 Berufsfelder. Erwähnt werden soll hier zudem der 2006 mit Unter- stützung des Europäischen Flüchtlingsfonds initiierte Studiengang „Interkulturelle Bildung“ an der Universität Oldenburg, der Zugewanderten, deren akademischer Ab- schluss in Deutschland nicht anerkannt wurde, einen deutschen Bachelor-Abschluss ermöglicht. Dieses Ange- bot, das bisher Anpassungsqualifikationen in Pädagogik, Sozialpädagogik und Sozialwissenschaften umfasst, wird perspektivisch auf andere Studiengänge – Informatik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften – aus- geweitet. Eine deutliche Verbesserung der Arbeitsmarktintegra- tion von Menschen mit Migrationshintergrund ist so- wohl aus sozial- und gesellschaftspolitischen als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen geboten. Auch ange- sichts der demografischen Entwicklung und des Rück- gangs des Arbeitskräfteangebots in Deutschland ist es Anliegen von Politik und Wirtschaft, die Erwerbsbeteili- gung der Migrantenbevölkerung gezielt zu erhöhen und insbesondere zur Verbesserung der Qualifikationsstruk- tur des Erwerbspersonenpotenzials mit Migrationshin- tergrund beizutragen. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung be- schlossen, im Rahmen der europäischen Beschäftigungs- strategie bei der Umsetzung des Bundesprogramms zum Europäischen Sozialfonds für die Förderperiode 2007 bis 2013 „ein besonderes Augenmerk auf migrationspo- litische Aspekte“ zu richten und den Nationalen Integra- tionsplan durch eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen be- sonders zu unterstützen. Gesine Multhaupt (SPD): „Putzfrauen mit Doktorti- tel“ so überschrieb ein bekanntes Wochenmagazin im Herbst letzten Jahres einen Artikel, in dem die Anerken- nung ausländischer Diplome in Deutschland thematisiert wurde. In der Tat, wir brauchen in Deutschland nicht nur dringend ein verbessertes Bildungswesen, insbesondere müssen wir außerdem die Chancen der hier geborenen Migrantinnen und Migranten erweitern, und: Wir müs- sen uns auch um die große Zahl von Migrantinnen und Migranten kümmern, die im Erwachsenenalter einge- wandert sind und hier – wenn überhaupt – nicht in ihrem erlernten Beruf, sondern in einem anderen, schlechter qualifizierten Berufsfeld, tätig sind. Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Ab- schlüssen steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Integration von Fachkräften aus dem Ausland. Grund- sätzlich begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion die Zu- wanderung von ausländischen Fachkräften. Wir sehen darin eine große Chance und wollen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten gern annehmen. Wir wissen alle, dass wir aus demografischen Grün- den Zuwanderung brauchen und auch wollen. Da genügt es nicht, Menschen aus allen Teilen der Welt nach Deutschland einzuladen, sie müssen hier auch eine neue Heimat finden. Das heißt unter anderem, dass die Inte- gration in den Arbeitsmarkt unmittelbar mit der Qualifi- kation, die diese Menschen bereits erworben haben, ver- knüpft ist. Integration erfordert daher eine sachgerechte Anerkennung der bereits erworbenen Qualifikationen und Fähigkeiten. Differenzierte bzw. genauere Angaben zum Qualifi- kationsniveau von Zuwanderern bei der Einreise liegen uns nicht vor, da diese Daten bei der Einreise nicht erho- ben werden. Wie auch im Antrag erwähnt, leben nach Schätzun- gen der Universität Oldenburg 500 000 zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland, de- ren Abschluss nicht anerkannt wurde und die deshalb unqualifizierten oder nicht ausbildungsadäquaten Tätig- keiten nachgehen. Die Anerkennung von Abschlüssen ist ein sehr weit reichendes Thema: Auf der europäischen Ebene ist die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes und Ar- beitsmarktes ein wichtiges Ziel. Die Gemeinschaft hat immer wieder mit neuen Initiativen Verfahren und Richt- linien zur Anerkennung von Qualifikationen entwickelt, um Mobilitätshindernisse zu beseitigen. Gestatten Sie mir, die einzelnen Anerkennungsverfah- ren kurz zu skizzieren: Die Anerkennung schulischer Leistungen, die im Ausland erbracht wurden, beschränkt sich lediglich auf die Anerkennung von Schulabschlüs- sen. Bei Leistungen innerhalb einer noch fortzusetzen- den Schullaufbahn findet kein formelles behördliches Anerkennungsverfahren statt. Über die Einstufung in die an einer deutschen Schule fortzusetzende Schullaufbahn entscheidet vielmehr die jeweilige Schulleitung in Ab- sprache mit der örtlichen Schulbehörde, den Schülern und ihren Eltern in der Regel im Anschluss an einen Pro- beunterricht. Für die Gleichstellung mit dem deutschen Haupt- schulabschluss ist der Nachweis des Besuches von min- destens neun aufsteigenden Klassen an allgemeinbilden- den Schulen mit hinreichendem Unterricht zumindest in der Muttersprache, in Mathematik, einem naturwissen- schaftlichen und einem sozialkundlichen Fach erforder- lich. Um eine Gleichstellung mit dem deutschen mittleren Bildungsabschluss zu erreichen, ist der erfolgreiche Be- such von mindestens zehn aufsteigenden Klassen an all- gemeinbildenden Schulen sowie hinreichender Unter- richt in der Muttersprache, einer Fremdsprache, in Mathematik, einer Naturwissenschaft sowie in einem so- zialkundlichen Fach erforderlich. Abweichende Rege- lungen für Aussiedler gibt es nicht. Bei ausländischen Sekundarschulabschlüssen wird geprüft, ob der Ab- schluss im Herkunftsland ein Hochschulstudium ermög- licht. Prinzipiell eröffnen solche Abschlüsse dann auch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15683 (A) (C) (B) (D) den Hochschulzugang in Deutschland, wenn auch auf unterschiedliche Weise wie bei Abschlüssen nach zwölf- jähriger allgemeiner Schulform, bei Abschlüssen poly- technischer Schulen usw. Nicht alle ausländischen Bildungssysteme sind mit dem deutschen so weit kompatibel, dass sie einen direk- ten Hochschulzugang in Deutschland eröffnen. Ab- schlüsse aus außereuropäischen Ländern erfordern häu- fig den Besuch eines Universitätsvorbereitungskurses an einem deutschen Studienkolleg. Dort wird dann mit der abschließenden Feststellungsprüfung eine – fachgebun- dene – Hochschulreife erworben. Ein begonnenes Stu- dium befreit in der Regel von der Feststellungsprüfung und es besteht die direkte fachgebundene Hochschulzu- gangsqualifikation. Personen, die bereits ein Hochschul- studium abgeschlossen haben, stehen alle Studiengänge an den Hochschulen in Deutschland offen. Problematisch wird es in der Tat bei Ausbildungsbe- rufen im dualen System und Meisterabschlüssen. Die formale Vergleichbarkeit von Berufsausbildungen und die gegenseitige Anerkennung beruflicher Zeugnisse sind nur selten – wie beispielsweise mit Österreich, Frankreich und der Schweiz – geregelt. Bei der Aner- kennung ausländischer Berufsqualifikationen wird zwi- schen reglementierten und nicht reglementierten Berufen unterschieden. Das hat zur Folge, dass der Zugang zu ei- nem reglementierten Beruf, die Möglichkeit seiner Aus- übung und die Führung einer entsprechenden Berufsbe- zeichnung – zum Beispiel Arzt, Ingenieur, Friseurmeister – ausschließlich von der behördlichen Anerkennung der beruflichen Qualifikation, die im Ausland erworben wurde, abhängt. Die Anerkennung von reglementierten Berufen muss bei der zuständigen Stelle des Bundeslan- des, in dem man wohnt, beantragt werden. Vorteile aus der Anerkennung einer beruflichen Qua- lifikation ergeben sich darin, dass damit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden können, die es einem er- möglichen, in diesem Beruf als Angestellter oder An- gestellte oder selbstständig arbeiten zu können. Eine Anerkennung bietet zudem die Möglichkeit, Weiterbil- dungsangebote und Umschulungsmaßnahmen in An- spruch nehmen zu können. Ich halte die Transparenz von Informationen insbe- sondere für Drittstaatenangehörige für problematisch, so wie es auch im 7. Bericht der Beauftragten der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland zum Ausdruck gebracht wird. Dort heißt es weiter, dass „in weiten Teilen Zuwandernde für die An- erkennung ihrer Qualifikationen auf den freien Markt und damit auf die Bereitschaft und Fähigkeit individuel- ler Arbeitgeber verwiesen werden“. Bei den reglemen- tierten Berufen, in denen der Berufszugang entweder durch Bundesgesetz, wie beispielsweise bei Gesundheits- berufen oder durch Ländergesetze geregelt ist, wie bei- spielweise bei Erziehungsberufen oder Ingenieuren, scheitern Drittstaatenangehörige daran, dass ihnen be- stimmte Anerkennungsinstrumente, wie individuelle Eig- nungsprüfungen nicht zur Verfügung stehen. Für poten- zielle Arbeitgeber und für die betroffenen Zuwanderer sind die Regelungen unübersichtlich und verwirrend. In nicht reglementierten Berufen kommt erschwerend hinzu, dass fremdsprachige Zeugnisse von Arbeitgebern mit Skepsis beurteilt werden, weil sie das Bildungssys- tem des Herkunftslandes nicht kennen. Im Hochschulbereich haben wir auf der EU-Ebene im Rahmen des Bologna-Prozesses die Vergleichbarkeit von Abschlüssen stetig vorangetrieben. Mit Bachelor und Master werden international anerkannte Abschlüsse erlangt. Umgekehrt ermöglicht diese Harmonisierung auch die Anerkennung ausländischer Hochschulab- schlüsse. Zumal diese Entwicklung dazu führen wird, dass die Abschlussarten nicht mehr als fremd empfunden werden. Aber auch hier haben wir noch das Problem, dass Akademikern und Akademikerinnen mit ausländischem Abschluss ein einheitliches Anerkennungsverfahren fehlt. Die konkrete Einstufung der jeweils vorgelegten Zeugnisse erfolgt durch die zuständigen Landesbehör- den. Diese konkreten Beispiele zeigen deutlich, dass für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüs- sen eine Vielzahl an Verbesserungen notwendig ist. Eine Bündelung der Informationen über im Ausland erwor- bene Schulabschlüsse erfolgt über die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen im Sekretariat der Kultus- ministerkonferenz. Trotzdem stecken wir bei den angesprochenen The- men in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir Zuwanderung von qualifizierten Kräften, die hier auch in den Arbeitsmarkt adäquat integriert werden. Auf der anderen Seite können wir in einer Arbeitswelt, in der im- mer höhere Qualifikationsanforderungen gestellt wer- den, unsere Standards nicht aufweichen. Hierzu haben wir bereits einiges unternommen. Bund, Länder, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände haben sich im Nationalen Integrationsplan verpflichtet, Aner- kennungsverfahren und Maßnahmen zu verbessern. Tei- lanerkennungen und gezielte Nachqualifizierungen sind geplant. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt dieses Vorhaben. Wir unterstützen die Arbeitsgruppe „Wissen- schaft – weltoffen“ des Nationalen Integrationsplans in ihren Bemühungen, die Anerkennungsverfahren auf Grundlage vergleichbarer und für alle Betroffenen nach- vollziehbarer Standards transparenter zu gestalten. Das gilt für die Anerkennung von Studienabschlüssen und anderen Qualifikationsnachweisen sowie für Prüfungs- anforderungen und den Aufbau von Informationssyste- men. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die bestehenden Angebote zur Nach- und Anpassungsqualifizierung aus- gebaut werden. Um die Potenziale der Zuwanderer zu nutzen, werden wir gezielte Qualifizierungsmaßnahmen für zugewanderte Akademiker ohne Aussicht auf eine ausbildungsadäquate berufliche Position verbessern. Da- mit erreichen wir für die Betroffenen einen Berufsein- stieg auf der mittleren Ebene und verhindern, wie ein- gangs erwähnt, dass promovierte Zuwanderer hier als Putzfrauen arbeiten müssen. 15684 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) Ich habe vorhin bereits die Universität Oldenburg in meinem Wahlkreis erwähnt. An dieser Stelle möchte ich auch insbesondere den 2006 mit Unterstützung des Euro- päischen Flüchtlingsfonds initiierten Studiengang „Inter- kulturelle Bildung“ nennen. Hier haben Zugewanderte, deren akademischer Abschluss in Deutschland nicht an- erkannt wurde, die Möglichkeit, einen deutschen Bache- lor zu erhalten. Ein einmaliges Angebot, das bisher An- passungsqualifikationen in Pädagogik, Sozialpädagogik und Sozialwissenschaften umfasst und perspektivisch auf andere Studiengänge wie Informatik, Naturwissen- schaften und Ingenieurwissenschaften ausgeweitet wer- den soll. Durch die gesetzlichen Vorgaben sowie beispiels- weise durch die Einführung des Europasses ist das Infor- mationsangebot innerhalb der EU für bestimmte Berufe und für Spätaussiedler relativ verbessert worden. Die Rechtsgrundlagen werden bei der Bewertung der unterschiedlichen ausländischen Hochschulzugangsqua- lifikationen durch die Zentralstelle für ausländisches Bil- dungswesen in Form genereller Empfehlungen berück- sichtigt. Diese Empfehlungen werden seit Mitte 2003 nebst weiteren Dokumenten in einer Datenbank verfüg- bar gemacht. Über ausländische Schul- und Notensys- teme kann man sich dort auf den öffentlich zugänglichen Seiten der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen informieren. In den jeweiligen Bewertungsvorschlägen eines Landes sind in den Rubriken „Zeugnisbewertung“ und „Abschlüsse“ wesentliche Hinweise zur Einordnung ausländischer Schulzeugnisse sowie zum Hochschulbe- reich vermerkt. Mit der Lissabonner Anerkennungskonvention ist nicht nur die akademische Anerkennung verbessert wor- den, sondern auch im Bereich der akademischen Ab- schlüsse zu beruflichen Zwecken. Zumindest innerhalb der EU werden durch den Europäischen Qualifikations- rahmen innerhalb der Union die Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen der Menschen zuverlässiger ver- gleichbar sein. Die Debatte zeigt, dass die Anerkennung von im Aus- land erworbenen Abschlüssen umfangreicher ist als im Antrag dargestellt. Gemeinsam können wir sicher schon heute feststellen, dass das Problem richtig analysiert ist, besteht und in gemeinsamen Anstrengungen gelöst wer- den muss. Nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen Ministerien auf Bundesebene, mit den Ländern, der Wirtschaft und weiteren Akteuren werden wir Stück für Stück die Stolpersteine im Berufsleben von Migranten und Migrantinnen abbauen. Patrick Meinhardt (FDP): Je globalisierter die Welt wird, desto wichtiger ist es, Bildungshürden abzubauen. Deswegen sind die Fragen der gegenseitigen Anerken- nung bildungspolitisch enorm wichtig. Was die Europäische Union angeht, ist diese Diskus- sion schon weit fortgeschritten. Wir müssen hier unsere Vorstellungen aktiv einbringen, statt auf das zu reagie- ren, was uns von Europa vorgegeben wird. Bereits seit einiger Zeit wird in der Europäischen Union an der Ent- wicklung eines sogenannten Europäischen Qualifika- tionsrahmens gearbeitet. Wir müssen uns nur immer wieder klarmachen, worum es dabei geht: Abschlüsse vergleichbar machen und die Freizügigkeit fördern, um so Mobilität zu fördern, jungen Menschen eine Bil- dungs- und Ausbildungsperspektive zu geben – in Deutschland und in Europa. Wenn beispielsweise Erzie- herinnen und Erzieher ihren Beruf in Deutschland über eine berufliche Ausbildung erlernen und in den meisten anderen europäischen Ländern nicht, ist es sinnvoll, dass es einen Rahmen geben wird, in dem die Gleichwertig- keit der Ausbildung festgestellt wird. Die Ausbildung darf nicht europäisch zementiert werden, sondern es muss gelten: Vielfalt der Wege zum gleichen Ziel – keine Gleichmacherei! Wir wollen keine Europäisierung der Ausbildung, wir wollen die europäische Anerken- nung vergleichbarer Bildungs- und Ausbildungswege. Problematischer gestaltet sich leider sichtlich die An- erkennung der Abschlüsse von Zuwanderern aus Län- dern außerhalb der EU. Hier ist ein klarer Handlungsbe- darf zu sehen. In der Tat muss der Zugang zum Arbeitsmarkt für diese Menschen sachgerecht eingestuft werden, und zwar zügig. Insofern ist auch dieses Ansin- nen der Linken grundsätzlich richtig. Klassisch ist nur wiederum, wie die Linke auf diese Herausforderung re- agiert: Mit Rechtsansprüchen für alle und ausschließlich staatlichen und bürokratischen Maßnahmen. Wann ver- stehen Sie endlich? Nicht mehr Bildungsdiktate, sondern mehr Bildungsfreiheit und Vielfalt der Wege eröffnen neue Chancen. Ja, wir müssen dafür sorgen, dass Zu- wanderer leichter in den deutschen Arbeitsmarkt inte- griert werden können. Ja, das hat nicht nur etwas mit ih- ren Sprachkenntnissen zu tun. Ja, es muss auch geprüft werden, wie ihre in ihren Heimatländern erworbenen Berufsbilder hier anerkannt werden können. Es muss da- bei aber vor allem auch darauf geachtet werden, dass die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsab- schlüssen nicht zulasten von Qualität und Sicherheit der beruflichen Standards hier in Deutschland führt. Der Antrag der Linken benachteiligt all diejenigen, die einen anspruchsvollen Bildungsgang in Deutschland absolviert haben. Die Notwendigkeit einer Anerkennung der ausländischen Studiengänge bzw. deren Abschlüsse wird von den Linken höher eingestuft als die Absiche- rung der Standards in Deutschland. Das ist der falsche Weg. So wird die berufliche Perspektive aller Migranten zunichtegemacht. Denn wer will sich denn dann noch von einem Mediziner mit nichtdeutschem Abschluss operieren lassen, wer über eine Brücke fahren, deren strukturelle Integrität von einem Statiker mit ausländi- schem Diplom berechnet wurde? Es zeigt sich eben mal wieder: Eine gute Idee wird unter dem falschen Geist zum Bumerang und so zu einem Irrweg: Nicht mit uns! Genauso würde es sich mit der beruflichen Bildung verhalten. Das System der dualen Berufsausbildung ist ein deutscher Exportschlager. Wenn die Vorstellung der Linken umgesetzt werden würde, würde dieses Erfolgs- modell komplett ausgehöhlt werden. Und genau für das Gegenteil kämpfen wir! Im Sinne einer guten Bildung und Ausbildung der jungen Menschen in diesem Land können wir es uns nicht leisten, dass Bildungsabschlüsse Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15685 (A) (C) (B) (D) aufgeweicht werden und das Niveau abgesenkt wird. Deshalb lehnt die FDP-Fraktion diesen Antrag im Sinne der Bildungsgerechtigkeit ab. Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Im Dezember 2007 stellte die Beauftragte der Bundesregierung für Migra- tion, Flüchtlinge und Integration, Frau Böhmer fest, dass vor allem Migrantinnen und Migranten in dieser Gesell- schaft abgehängt sind. Nach wie vor entscheiden in die- sem Land Geldbeutel und Herkunft über die Bildungs- karriere und den weiteren Lebensweg. Mit unserem Antrag wollen wir ein Ende der Sonntagsreden. Den vie- len Worten sollen endlich auch Taten folgen! In der öf- fentlichen Debatte wird Migrantinnen und Migranten immer wieder vorgeworfen, sich nicht integrieren zu wollen. Es würde ein Rückzug in Parallelgesellschaften vollzogen. Ein wesentliches Problem bei der Beschäfti- gung und beim Arbeitsmarktzugang für Migrantinnen und Migranten ist aber, dass ihre im Ausland erworbe- nen Qualifikationen und Schul-, Bildungs- und Berufs- abschlüsse nicht oder nur teilweise und häufig nur unter erschwerten Bedingungen anerkannt werden. Nach Schätzungen der Uni Oldenburg leben in Deutschland allein etwa 500 000 zugewanderte Akade- mikerinnen und Akademiker, deren Abschluss hierzu- lande nicht anerkannt wird und die auch aufgrund dessen häufig unqualifizierten Tätigkeiten nachgehen müssen. Von gut ausgebildeten Fachkräften ganz zu schweigen. So ist die Arbeitslosenquote von Migrantinnen und Mi- granten hierzulande doppelt so hoch wie die der Gesamt- bevölkerung. Migrantinnen und Migranten befinden sich vorwiegend in sogenannten prekären Arbeitsverhältnis- sen, zumeist im Niedriglohnbereich. 38 Prozent der Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger haben in die- sem Land einen Migrationshintergrund. Jede fünfte Per- son mit Migrationshintergrund muss Grundsicherungs- leistungen in Anspruch nehmen. Bei Personen ohne Migrationshintergrund ist es nur jede 14. Während die Armutsrisikoquote in der Bevölkerung ohne Migrations- hintergrund bei fast 12 Prozent liegt, liegt sie bei Mi- grantinnen und Migranten bei 28 Prozent. Dies bestärkt die verdrehte Sichtweise von Armut als ursächlich (auch) „ethnisches“ Problem, wodurch allgemeine Vor- urteile verstärkt werden. Diese schlagen wiederum Mi- grantinnen und Migranten als Diskriminierungen insbe- sondere auch bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzver- gabe entgegen. Meine Fraktion nimmt nicht einfach hin, dass Mi- grantinnen und Migranten ihre Potenziale und Fähigkei- ten in diese Gesellschaft nicht gleichermaßen einbringen können. Mit unserem Antrag schlagen wir eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten vor. Die spezielle Situation der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse muss auch im Rahmen der Diskussionen um einen Na- tionalen Qualifikationsrahmen spezifisch aufgegriffen werden. Wir schlagen vor, dass das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), in enger Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz (KMK), regierungsunabhängi- gen Sachverständigen und allen maßgeblichen Akteuren wie Migrantinnen- und Migrantenorganisationen, Be- rufsverbänden, Gewerkschaften usw. ein Konzept entwi- ckelt, mit dem die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen bzw. von Schul-, Bildungs- und Berufs- abschlüssen sowie Hochschulzugangsberechtigungen bundesweit vereinheitlicht, vereinfacht, erleichtert und beschleunigt wird. Andere Länder gehen mit guten Beispielen voran. Dä- nemark hat beispielsweise ein Kompetenzzentrum für Zuwandernde eingerichtet, das berufliche Qualifikatio- nen bewertet und auch praktisch testet. Schweden testet berufliche Qualifikationen in Betrieben und zertifiziert sie anschließend. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wir schlagen vor, ein ähnliches System hierzulande ein- zuführen. So soll eine vereinfachte Anerkennung im Rahmen von speziellen Lehrgängen möglich sein, die dann durch die im Rahmen des Lehrgangs erworbenen Zusatzqualifikationen „endgültig“ wird. Außerdem soll Migrantinnen und Migranten mit ausländischen Bil- dungsabschlüssen die Möglichkeit eröffnet werden, von gegebenenfalls vereinfachten Abschlussprüfungen im je- weiligen Fachbereich ohne vorherige Ausbildung bzw. vorheriges Studium Gebrauch machen zu können. Wir schlagen in unserem Antrag außerdem vor, dass auch Ergänzungsqualifizierungen möglich sein müssen, die beispielsweise durch die Bundesagentur für Arbeit finanziell gefördert werden müssen. Die unübersichtli- che Struktur in Deutschland verhindert allzu oft, dass Migrantinnen und Migranten sich über ihre rechtlichen und beruflichen Möglichkeiten informieren können. Dem muss durch eine gezielte Berufsberatung für Mi- grantinnen und Migranten Abhilfe geschaffen werden. Die Berufsberatung muss auch Vermittlungsversuche in Berufe entsprechend der im Ausland erworbenen Quali- fikation beinhalten. Bis ein bundesweit einheitliches, vereinfachtes Sys- tem der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qua- lifikationen erreicht wird, halten wir es für notwendig, ein Berichtssystem zu etablieren. Nur indem die Bundes- regierung jährlich ihre Fortschritte darstellen muss, kommt es aus unserer Sicht zu schnellen Verbesserungen der Situation von Migrantinnen und Migranten. Wir for- dern sie auf, endlich aktiv zu werden. Beenden sie den unhaltbaren Zustand, dass Akademikerinnen und Akade- miker und ausgebildete Fachkräfte wegen der Nichtaner- kennung ihres Abschlusses in der Bundesrepublik als ungelernte Arbeitskräfte gelten und ins soziale Abseits abgeschoben werden. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der Anerkennung von Schul-, Bildungs- und Berufsab- schlüssen, die im Ausland erworben wurden, bestehen in der Tat in Deutschland Schwierigkeiten. Zu oft ist der Aner- kennungsprozess zu mühsam und erweist sich damit als echte Integrationshürde. Es ist daher richtig und wichtig, dass die Fraktion Die Linke dieses Thema mit einem Antrag hier im Bundes- tag aufgreift. Ich freue mich auf eine differenzierte Bera- tung darüber im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. 15686 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken (Tagesordnungs- punkt 18) Manfred Grund (CDU/CSU): Die russische Präsi- dentschaftswahl bietet uns gleich in mehrfacher Hinsicht Anlass, uns mit den Beziehungen zu Russland zu be- schäftigen. Sie bietet nicht nur einen Anlass, um die künftige Entwicklung Russlands zu hinterfragen. Sie bietet uns auch einen Anlass, um über unsere eigene Po- litik nachzudenken. Über die Wahl und ihre Umstände ist schon viel ge- sagt und geschrieben worden. Ich war selbst schon oft als Wahlbeobachter der OSZE im Einsatz, auch schon in Russland. Ich bedauere sehr, dass die Voraussetzungen dafür diesmal nicht gegeben waren. Der künftige Präsident Medwedew ist ein Mann des Kremls. Er ist der Wunschnachfolger Putins. Insofern steht er in der Kontinuität der bisherigen Politik. Zugleich hat er auch Reformbereitschaft signalisiert. Deshalb soll- ten wir in der Wahl Medwedews vor allem eine Chance sehen. Kontinuität und Reform sind nicht notwendiger- weise Widersprüche. Die Probleme, die Medwedew an- gesprochen hat, treffen den Kern russischer Eigeninteres- sen. So, wie sie auch der Kreml selbst immer betont hat. Ein starkes Russland braucht nicht nur einen starken Staat. Ohne größere Entfaltungsspielräume für die wirt- schaftliche und gesellschaftliche Dynamik kann die Mo- dernisierung Russlands nicht wirklich gelingen. Frei und fair waren die Wahlen nicht. Trotzdem gibt es in der Bevölkerung viel Unterstützung für Putin und Medwedew. Das ist auch nachvollziehbar. Putins Herr- schaft steht für einen Zurückgewinn an Stabilität, für wirtschaftlichen Aufschwung. Und für ein neues Selbst- bewusstsein. Aber es ist auch wahr, dass mancher Fortschritt nur vordergründiger Natur ist. Nach den Krisen der neunzi- ger Jahre war es das erklärte Ziel Präsident Putins, dem Staat neue Handlungsfähigkeit zu verschaffen. Doch eine gestärkte Vertikale der Macht bedeutete nicht weniger Korruption, sondern oft nur weniger Kritik. Machtstruk- turen mögen geschaffen werden, um reale Probleme zu lösen. Aber Machtstrukturen schaffen auch Interessen. Daher war nicht nur die Zentralisierung der politischen Macht problematisch, sondern auch ihre Verflechtung mit den großen Staatsunternehmen. Das zeigt sich nir- gendwo deutlicher als in der Öl- und Gasindustrie. Heute hat Russland an der politischen Kontrolle über Trans- portwege und Vorkommen offenbar ein größeres Inte- resse als an deren Erschließung oder der Erneuerung ei- ner oft maroden Infrastruktur. Russland steht vor einem Scheideweg. Seine künftige Führung wird vor der Entscheidung stehen, welchem Ziel sie Vorrang einräumt: der Wahrung staatlicher Kontroll- möglichkeiten oder der wirtschaftlichen und gesellschaft- lichen Modernisierung; denn für seine wirtschaftliche Modernisierung wird Russland Investitionen brauchen, die ohne eine Liberalisierung und ohne eine Stärkung der rechtsstaatlichen Garantien nicht zu erlangen sind. Heute füllen Öl- und Gaseinnahmen die Kassen des russischen Staates; und sie vermindern den Reform- druck, der auf ihm lastet. Ein starkes und modernes Russland wird sich jedoch auf Dauer nicht vorrangig auf Nuklearwaffen und Rohstoffe stützen können. Auf lange Sicht steht Russland vor gewaltigen geopo- litischen und demografischen Herausforderungen. Um sie bewältigen zu können, wird Russland einen hand- lungsfähigen Staat brauchen. Aber es wird auch die Sta- bilität brauchen, die nur eine funktionierende Zivilge- sellschaft und eine starke Wirtschaft gewährleisten können. Und Russland wird eine langfristige Perspektive der Partnerschaft und der Integration in den Westen brauchen. Es ist nicht die Stärke Russlands, die uns Sorgen be- reiten müsste, sondern seine Schwächen. Auch deshalb bedarf es vonseiten Europas verstärkter Integrationsan- gebote. In dieser Zielsetzung ist dem Antrag voll und ganz zuzustimmen. Wir müssen aber auch die Perspektive Russlands im Blick haben. Dabei haben wir zu berücksichtigen, dass Russland oft einem anderen Verständnis von Sicherheit folgt als seine Partner in der EU. Sicherheit durch Inte- gration: Das ist das Konzept von NATO und EU. Aber zur Einbindung Russlands haben wir noch keinen hinrei- chenden Ansatz gefunden. Auch deshalb definiert Russland seine Sicherheit noch vorrangig militärisch und seine Interessen macht- politisch. Aus diesem Grund begreift Moskau auch die Osterweiterungen nicht nur der NATO, sondern auch der EU oft genug als gegen sich gerichtet. Russland sieht seine Einflusssphären erodieren. Mos- kau versucht, diesen Prozess nicht zuletzt mit machtpoli- tischen Instrumenten aufzuhalten. Damit mag der Kreml oft nur einem defensiven Impuls folgen. Doch er ver- stärkt so auf längere Sicht nur sein strategisches Di- lemma. Denn er stärkt damit letztlich nur die zentrifuga- len Kräfte an seiner Peripherie Je mehr aber Russland seine Interessen bedroht sieht, desto notwendiger wird auch eine starke und dann eben auch eher autoritäre Staatsführung erscheinen. Auf diese Weise hängen die außen- und innenpolitische Entwick- lung Russlands zusammen. Abkommen wie der AKSE- Vertrag mögen für den Augenblick durchaus dem russi- schen Sicherheitsbedürfnis entgegenkommen. Im Prin- zip folgen sie allerdings einem bereits anachronistischen Konzept von Sicherheit. Die sicherheitspolitischen He- rausforderungen haben sich längst gewandelt. Wir brau- chen Sicherheit miteinander und nicht voreinander. Noch aber bestimmen unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen die Beziehungen wesentlich mit. Moskaus Außenpolitik konzentriert sich auf zwischen- staatliche Interessen. Wir thematisieren in sehr viel stär- kerem Maße innerstaatliche Missstände. Aber damit ist auch das Risiko von Missverständnissen verbunden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15687 (A) (C) (B) (D) Denn es gibt die Gefahr, dass Kritik als subtile, wenn nicht subversive Form einer Politik erscheint, mit der letztlich eigene Interessen verfolgt werden. Natürlich ist Kritik an den inneren Verhältnissen Russlands oft be- rechtigt. Nur müssen wir dabei auch eine Sprache fin- den, die beide Seiten verstehen. Zu einer kohärenten Strategie gegenüber Russland müssen wir auch in der EU vielfach erst noch finden. Was wir brauchen, ist vor allem ein realistisches Ver- ständnis der gegenseitigen Interessen. Dazu gehört die Feststellung, dass es für den Augenblick auch Interes- sengegensätze gibt. Ich nenne nur die Entwicklung des Kosovo, Transnistrien, eingefrorene Konflikte im Kau- kasus oder auch die Differenzen um die Raketenabwehr. Wir sollten dazu bereit sein, diese Auseinandersetzungen respektvoll, selbstbewusst und offen auszutragen. Wenn ich hier von Interessen spreche, meine ich nicht, dass wir zwischen Werten und Interessen in unse- rer Außenpolitik abwägen müssen. Vielmehr sollten wir bei unserer Zusammenarbeit auf diejenigen russischen Eigeninteressen bauen, die sich von unseren Werten gar nicht trennen lassen. Denn ohne Liberalisierung wird eben auch die Modernisierung Russlands ins Stocken ge- raten. Wir brauchen ein Höchstmaß an Engagement mit Russland – in wirtschaftlicher Hinsicht und zwischen den Zivilgesellschaften. Davon werden mehr Impulse für den inneren Wandel Russlands ausgehen als von al- lem Reformdruck, der von außen kommt. Die Interessen Russlands, der EU und auch Deutsch- lands sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten ist dafür nur das offensichtlichste Beispiel. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, ob diese Abhängigkeit für politische Interes- sen ausgenutzt werden könnte. Weit wichtiger ist die Frage, wie diese Interessen definiert werden. Wir können diese Abhängigkeiten nicht beseitigen. Und wir sollten das auch gar nicht wollen. Aber wir können das Engagement mit Russland so vertiefen, dass unsere Bezie- hungen von einem starken Fundament gemeinsamer Inte- ressen getragen werden. Interessenverflechtung muss das Leitbild unserer Strategie gegenüber Russland sein. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Nach den beiden Wahlen in Russland erwarten Deutschland und die Europäische Union mit großer Spannung, wie der neue Präsident Dmitrij Medwedew und die Staats-Duma nach den Wahlen ihr Verhältnis zur Außenwelt definie- ren. Sie werden dabei die zentrale Frage beantworten: War das manchmal ruppige Verhalten gegenüber einigen Nachbarn dem Wahlkampf geschuldet oder setzt sich ein neues Rollenspiel fest, ein Muster, das die Anrainer auch auf längere Sicht erschreckt? Entscheidend wird sein, wie die politische Elite sich den großen Aufgaben stellt, die Russland lösen muss. Immerhin: Russland könnte versucht sein, sich diesen Aufgaben zu entziehen. Die Rohstoffpreise könnten Schmiermittel dieser Versuchung sein. Gerade hier zeigt sich auch die Falle, in der sich die russische politische Elite befindet. Bis auf längere Sicht hat Russland die Wahl, die eigene Zukunft auf ein Modell zu verengen – Petro-Staat zu werden. Sollte die Elite ausschließlich dieses Ziel verfolgen, würde sie die wirklichen Heraus- forderungen verfehlen. Wer sich die Effizienzprobleme allein bei der Förderung von Rohstoffen oder bei ihrem Transport anschaut, dem wird klar, dass Russland vor gewaltigen Anstrengungen steht. Russland muss endlich sich auf einen für seine Verhältnisse angemessenen Mo- dernisierungspfad begeben und das Tempo der Verände- rung beschleunigen. Eine Zeit der tiefgreifenden Reformen steht Russland bevor: Die Bildungslandschaft muss sich ändern, die Verkehrsinfrastruktur, das Gesundheitswesen, die öffent- lichen Institutionen und die politischen Systeme. Die Rationalisierungspotenziale müssen voll ausgeschöpft werden und die Industriezweige erneuert. Wer aber wird die Region sein, mit der diese Aufgaben in enger Zusam- menarbeit am besten bewältigt werden können? Aus rus- sischer Sicht kommen nur zwei angrenzende Partner in- frage, China und die Europäische Union. Moskau hat die Wahl. Die eigenen Interessen werden Russland dazu drän- gen, die Partnerschaft mit der EU zu verstärken. Das chi- nesische Entwicklungsmodell mag auf den ersten Blick ökonomisch attraktiv erscheinen. Mit dem zweiten, dem rationalen Blick wird deutlich, warum das europäische Entwicklungsmodell den russischen Interessen stärker entgegenkommt. Zum einen verbindet Europa den öko- nomischen Fortschritt mit der Idee der sozialen Gerech- tigkeit und zum anderen mit der ökologischen Reform. Schließlich ist der gesamte Modernisierungsprozess im europäischen Selbstverständnis nur denkbar mit dem ständig erweiterungsbereiten Konzept der politischen Partizipation. Modernisierung ist in Europa ohne Demo- kratisierung nicht zu haben. Die Europäische Union wird am 10. März ihr Ange- bot zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen er- neuern. Das ist ein gutes Zeichen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt einige Hinweise dafür, wie die Zusammenarbeit der EU mit Russland gestärkt werden könnte. Unter dem Ab- schnitt II wird in acht Punkten konkretisiert, was Bünd- nis 90/Die Grünen von der Bundesregierung fordert, da- mit sie „sich bilateral und im Rahmen der Europäischen Union einzusetzen“ habe, um die Beziehungen zur Rus- sischen Föderation zu verbessern. Für die SPD-Bundes- tagsfraktion stelle ich fest: Die Bundesregierung geht in ihrem Handeln weit über diese Forderungen hinaus. Im Abschnitt III erhebt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weitere Forderungen an die Bundesregierung, „im Rahmen von Europäischer Union und NATO“ zu- sätzliche politische Schritte zu unternehmen. Auch hier gilt: Energisch handelt die Bundesregierung seit langem, nicht allein die hier beschriebenen Forderungen zu erfül- len. Mehr noch: Die Bundesregierung geht über diese Forderungen hinaus und engagiert sich dafür, im Rah- men der Europäischen Union eine neue Ostpolitik zu entwerfen, damit eine gesamteuropäische Ordnung ent- 15688 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) steht, in der Freiheit und Gerechtigkeit, Fortschritt und Frieden, Wirklichkeit werden. Wenn ich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion den Antrag kritisch werte, so freue ich mich doch darauf, dass der Auswärtige Ausschuss sich mit diesem Antrag noch einmal im Detail befassen wird. Wir bitten deshalb darum, den Antrag an die Ausschüsse zur weiteren Bera- tung zu überweisen. Harald Leibrecht (FDP): Nicht nur die amerika- nischen Vorwahlen werden derzeit von den beiden Schlagworten „Hoffnung“ und „Wandel“ dominiert. Nein, dieselben Worte hört man gegenwärtig auch in Bezug auf Russland und den neuen Präsidenten Dmitrij Medwedew. Aber ist diese Hoffnung auf einen Wandel wirklich ge- rechtfertigt in Bezug auf Russland? Nun, die Worte, die man vor und während der Wahl von Herrn Medwedew hören konnte, weisen durchaus in diese Richtung. Erstaunlich offen und selbstkritisch hat er vor seiner Wahl auf Missstände und Probleme in Russland hingewiesen und versichert, alles Notwendige zu tun, um diese zu beseitigen. Aber wird der neue Präsi- dent seinen Worten auch Taten folgen lassen? Kann er es überhaupt? Nun, an seinem Willen, Russland positiv zu verändern, zweifle ich gar nicht – eher an seinen Mög- lichkeiten. Es gibt zwei wesentliche Faktoren, an denen Herr Medwedew scheitern könnte: erstens an Wladimir Putin und zweitens am sogenannten russischen System. Hinzu kommt: Die so häufig gepriesene Stabilität allein reicht nicht, um Russland nach dem Willen Putins bis zum Jahre 2020 zu „einem der globalen Spitzenreiter“ zu ma- chen. Damit diese Stabilität nicht vollkommen in Stillstand mündet, müssen Probleme wie Rechtsnihilismus und Korruption in Russland schnellstens angegangen wer- den. Greifen werden Veränderungen dort aber nur dann, wenn sie nicht wie bisher nur von oben angeordnet, son- dern auch von den Menschen im Land mitgetragen wer- den. Damit die angekündigten Reformen nicht im Sumpf der russischen Bürokratie untergehen, ist es wichtig, dass das russische Volk nicht länger von Staatsseite drangsaliert und absolut kontrolliert wird. Echte und nachhaltige Veränderungen sind nur mit einer Zivilge- sellschaft möglich, die frei denken und politisch mitge- stalten kann. Ich möchte an dieser Stelle aber nicht nur die innen- politische Lage Russlands ansprechen. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, was in Medwedew wirklich steckt und ob Russland fähig und bereit ist, ein moderner, globaler Spitzenreiter zu werden. Stattdessen möchte ich jetzt noch etwas zur Zusammenarbeit zwi- schen der EU und Russland sagen; denn das ist ein Be- reich, in dem der Amtsantritt Medwedews wirklich eine Neuerung bringen könnte. Denn wie der designierte rus- sische Präsident bereits angekündigt hat, wird er sich verstärkt der Außenpolitik widmen. Dies lässt sowohl auf eine entspanntere Politik mit den USA als auch mit der Europäischen Union hoffen. Herr Medwedew hat ja bereits seinen Willen signali- siert, enger mit der der EU zusammenarbeiten zu wollen. Dabei kann nur von Vorteil sein, dass er kein Kind des russischen Geheimdienstes ist und er somit nicht in je- dem Fremden einen Feind sieht. Einen positiven Anfang für eine zukünftige konstruktive Zusammenarbeit zwi- schen der EU und Russland sehe ich in dem Angebot Russlands, dringend benötigte Hubschrauber für die EU- Schutztruppe im Tschad bereitzustellen. Aber auch die Europäische Union ist aufgerufen, ihren Umgang mit Russland neu auszurichten. Auch wenn es innerhalb der EU-Mitglieder immer wieder verschiedene Interessen in Bezug auf Russland geben wird, so darf sich die EU hier nicht spalten lassen. Nicht in der Gemeinschaft abge- stimmte nationale Alleingänge darf es in Zukunft nicht mehr geben. Wenn die Europäische Union in Russland einen be- rechenbaren und verlässlichen Partner haben will, muss sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Transparenz und Konsens sind das Erfolgsrezept der EU. Warum sollte das, was zu Sicherheit und Wohlstand in ganz Eu- ropa geführt hat, nicht auch für Russland funktionieren? Deutschland kann und muss hierbei eine wichtige – eine vermittelnde – Rolle einnehmen. Wir begrüßen es daher, dass Bundeskanzlerin Merkel am Samstag der Einladung der russischen Regierung Folge leistet und nach Moskau reist, um das neue Füh- rungsduo Medwedew-Putin zu treffen. Bedauerlich ist nur, dass offenbar keine Zeit bleibt, um sich auch mit an- deren Persönlichkeiten, zum Beispiel aus den Reihen der oppositionellen Kräfte, zu treffen. So positiv und hoff- nungsvoll die derzeitigen Zeichen auch sind, so sollten wir doch nicht vergessen, dass es in Russland weiterhin große demokratische Defizite gibt und dass die Wahl Medwedews weder frei noch fair war. Alexander Ulrich (DIE LINKE): „Eine gerechte, ge- samteuropäische Friedensordnung vom Atlantik bis nach Wladiwostok, jetzt sollte es endlich Wirklichkeit wer- den!“ Dieser kluge Satz stammt nicht von Willy Brandt, er ist auch nicht eine Losung der Friedensbewegung, die- ser Satz stammt von Bundesaußenminister Steinmeier. Sollte die deutsche Außenpolitik sich auf den Weg zu ei- ner europäischen Ostpolitik begeben, würde Die Linke sich in Zukunft auf Herrn Steinmeier beziehen, so wie sich die Linke auf Willy Brandt bezieht. Mein Kollege Wolfgang Gehrcke hat im Namen mei- ner Fraktion bereits eine Neuauflage der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Rahmen der OSZE gefordert. Wir müssen endlich wieder über Abrüstung auf unserem Kontinent reden. Ich habe die Rede des Außenministers vor der Willy- Brandt-Stiftung aufmerksam gelesen. Leider habe ich eine bedeutende Aussage des großen Sozialdemokraten Brandt vermisst: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen“. Warum zitiert er diesen Satz nicht? Der Außenminister bezieht sich auf die KSZE und die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15689 (A) (C) (B) (D) Charta von Paris. Der KSZE-Vertrag duldet Grenzverän- derungen in Europa nur im gegenseitigen Einverneh- men. Warum verletzt die Bundesregierung mit der Aner- kennung des Kosovo diesen Vertrag so eklatant? Wer diese Fragen nicht beantworten möchte, der wird Russland nicht verstehen. Ich meine, das Verständnis Russlands ist im Interesse Europas, so wie ein guter Schachspieler sein Gegenüber verstehen muss, um sei- nen nächsten Zug zu planen. Der Antrag der Grünen ge- nügt weder diesem noch Steinmeiers Anspruch: An kei- ner Stelle gestehen sie Russland berechtigte Sorgen über seine Sicherheitsinteressen zu. Die Ausdehnung der NATO an Russlands Grenzen im Westen und zuneh- mend im Süden wird nicht erwähnt. Die NATO-Avancen der USA gegenüber Georgien, Aserbaidschan und Ar- menien werden ignoriert. Sie ignorieren damit aber nicht nur Russland, sondern gefährden eine gesamteuropäi- sche Friedensordnung. Serbien verfügt über eine demokratische Regierung und war bereit, dem Kosovo Autonomie zu geben. Russ- land musste bereits einmal gegen Ende des Jugoslawien- Krieges den Abwasch für die NATO erledigen. Die Bun- desregierung aber wollte die große jugoslawische Tragö- die mit der einseitigen Anerkennung fortsetzen. Der spa- nische Außenminister verglich dies mit dem Irakkrieg. In der Tat, ohne das Kosovo hätte es den Irakkrieg so nicht gegeben. Russland hat in beiden Konflikten eine vorbildliche Rolle eingenommen, weil es seit dem Ende des Kalten Krieges gelernt hat, dass sich Hochmut ge- genüber dem Völkerrecht eines Tages rächen wird. Der Versuch der USA, Europa über das Raketenab- wehrsystem zu spalten. Ich habe ihn in Ihrem Antrag nicht gefunden. Die Kritik an der NATO, dass der KSE- Vertrag bislang nicht ratifiziert wurde. Ich habe erfolglos gesucht. Lassen sie mich auch noch ein paar Worte zur Ener- gieaußenpolitik verlieren: Meine Fraktion steht für die Energiewende statt heißer Kriege. Wir müssen gewaltige Investitionen in neue Energien mobilisieren. Es gibt aber eine große Verwirrung: Europa ist darauf angewiesen, dass Russland in seine Energieinfrastruktur investiert. Sie wünschen sich eine engere Zusammenarbeit bei der Energiepolitik. Für beides brauchen Sie einen staatlichen Ansprechpartner. Gleichzeitig fordern Sie unablässig die Privatisierung des Zugangs zum Energiesektor. Wie möchten Sie denn Russland zur Kooperation bewegen, wenn Ihr Ansprechpartner nicht mehr Medwedew son- dern Roman Abramowitsch heißt? Sie sehen doch, wo- hin private Energiekartelle in Europa führen. Wir brau- chen stattdessen einen multilateralen Energiedialog. Die Russen haben Dimitrij Medwedew zum Präsiden- ten bestimmt. Der politische Wettbewerb in Russland war eingeschränkt. Wir alle wünschen uns, dass dies in Zukunft anders wird. Es gibt trotz unserer Sorge an der Fairness der russischen Wahlen aber keinen Zweifel, dass die große Mehrheit der Russen Kontinuität wünscht. Wir stellen große Erwartungen an den Präsidenten, insbesondere was die Unabhängigkeit der Justiz anbe- langt. Wir verurteilen die Einschränkung der Pressefrei- heit, ob durch staatliche Organe, wie in Russland, oder wirtschaftliche Macht, wie in den USA oder Europa. De- mokratien sind immer absolut, oder sie sind nicht. Un- sere Stimme hätte daher größeres Gewicht in Russland, wenn wir nicht nur die Worte Willy Brandts, sondern die des Bundespräsidenten Gustav Heinemann beherzigen würden: Wer immer nur mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dass die Bundeskanzlerin schon am Sonn- abend, also weniger als eine Woche nach der Bestäti- gung Dimitrij Medwedews als Nachfolger Putins, nach Moskau reist, ist richtig. Russland ist und bleibt einer der wichtigsten Partner- und Nachbarstaaten der Europäi- schen Union; es hat gebührende Aufmerksamkeit ver- dient. Eine Bewertung des Vorgangs am 2. März als de- mokratische Wahl ist mit diesem Besuch hoffentlich nicht gemeint, sondern einfach die Anerkennung der Tatsachen. Noch besser wäre es allerdings, wenn Frau Merkel nicht allein reiste, sondern zusammen mit Nicolas Sarkozy und Gordon Brown. Dieser Wunsch ist natürlich nicht wörtlich gemeint, sondern er soll ausdrücken, dass die wichtigste Forderung an die EU ist, ihr größtes Defi- zit im Verhältnis zu Russland zu beheben, nämlich man- gelnde Geschlossenheit. Warum wurde die staatliche Unterstützung für die Ostseepipeline ohne ausreichende Konsultation mit den Anrainerstaaten zwischen Russland und Deutschland ausgehandelt und verkündet? Die Berechtigung dieses Vorwurfs, der sich ja durchaus auch an die rot-grüne, also unsere damalige eigene Regierung richtet, hat sich in den letzten zweieinhalb Jahren mehrfach bestätigt. Jüngste Folge ist das drohende Scheitern des bisherigen Finanzierungsmodells, weil sich die EU wegen der poli- tischen Ablehnung des Projekts durch einige ihrer Mit- gliedstaaten nicht auf einen zinsverbilligten Kredit der Europäischen Investitionsbank einigen kann. Warum musste Polen nach dem offensichtlich politisch motivier- ten russischen Importstopp für polnische Fleischerzeug- nisse erst ein Veto gegen die Neuverhandlung des Part- nerschafts- und Kooperationsabkommens einlegen? Eine derart demonstrative Uneinigkeit der EU zu provozieren, ist nicht nur der seinerzeitigen – zugegeben – wenig di- plomatischen Kaczynski-Regierung anzulasten, sondern auch Ergebnis mangelnder Solidarität innerhalb der EU. Bilaterale Abkommen von EU-Staaten mit Russland unterlaufen immer wieder geltende EU-Absprachen oder -Interessen. Genannt seien nur beispielhaft die grie- chische Weigerung, einem EU-Vorschlag für Verbin- dungsoffiziere an den Grenzen der separatistischen Ge- biete in Georgien zuzustimmen, um Russland nicht zu verärgern, oder die Unterzeichnung eines Abkommens von Gazprom mit Bulgarien zur Trassierung der Kon- kurrenz-Pipeline zu Nabucco – dies unter aktiver Beteili- gung des italienischen Energiekonzerns ENI. Ohne eine geschlossene Haltung der EU kann das po- litisch wie wirtschaftlich zentralistisch organisierte Russland die einzelnen EU-Staaten immer wieder ge- geneinander ausspielen. Denn natürlich werden partiku- 15690 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) lare Interessen bedient, wenn ein gemeinsames Vorgehen zum Nutzen aller nicht in Sicht ist. Diese Erkenntnis ist so banal wie bisher folgenlos, die EU droht ein Papierti- ger zu werden. Es ist kein Wunder, wenn russische Poli- tiker sie nicht ernst nehmen. Aber es ist ein Problem – nicht nur für die EU und ihre unmittelbaren Interessen, sondern auch für die Partner in Russland selbst, die an einer Annäherung an die EU und an ihren Standards in- teressiert sind. Die sogenannten Wahlen verliefen nach quasi-sowje- tischem Muster: Zur Kandidatur wurde nur zugelassen, wen der Kreml tolerierte. Die überregionalen elektroni- schen Medien, vollständig staatlich kontrolliert, warben ausschließlich für den von Präsident Putin ernannten Nachfolger Dimitrij Medwedew und räumten anderen Kandidaten kaum Platz ein. Die Nichtregierungsorgani- sation „Golos“ dokumentierte versuchten Stimmenkauf, vor Wahlbeginn bereits mit Stimmzetteln gefüllte Wahl- urnen und den Ausschluss von Wahlbeobachtern anderer Parteien. Vor allem in der Provinz und in der Armee wurde offenbar Druck ausgeübt, Medwedew zu wählen. In Anbetracht des weit verbreiteten Desinteresses an ei- ner Wahl, die bereits entschieden war, scheint auch die Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent mehr als unwahr- scheinlich. Oppositionelle gehen davon aus, dass die Wahlergebnisse wie auch bei den Dumawahlen vom Kreml vorgegeben werden. Das bedeutet: Trotz absehba- ren eindeutigen Siegs für Mewedew wurden die Wahlen dennoch manipuliert. All dies erinnert an die Inszenie- rungen aus sowjetischen Zeiten – etwas moderner ge- stylt, etwas subtiler und damit auch von außen schwerer als die Farce erkennbar, die es dennoch ist. Es war deshalb richtig, dass ODIHR und diesmal auch die Parlamentarische Versammlung der OSZE sich nach massiver Behinderung der geplanten Langzeitbeob- achtung durch die russischen Behörden entschieden ha- ben, auf eine Wahlbeobachtung zu verzichten. Die Regu- larien der OSZE sind verbindlich, und sie sind ein schützenswertes Gut. Dem offensichtlichen Versuch des Kremls, sie zu unterlaufen und zu schwächen, darf nicht nachgegeben werden. Der kooperative Anspruch der OSZE, entstanden im Kalten Krieg, ist kein Freibrief für Beliebigkeit. Dies gilt umso mehr für den Europarat als einer Organisation, die ausdrücklich auf dem Konsens demokratischer und menschenrechtlicher Werte beruht. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates ent- sandte eine Delegation zur Beobachtung des Wahlver- laufs. Ihre Bewertung war: Die Wahlergebnisse entspre- chen dem Willen der Wählerschaft, aber das – Zitat – „demokratische Potenzial der Wählerschaft wurde nicht ausgeschöpft“. Mit dieser sehr diplomatischen Formulie- rung bestätigte sie zwar indirekt die Bewertung der Wah- len als Farce. Aber klare Worte wären angebrachter ge- wesen. Dass aller Wahrscheinlichkeit nach eine Mehrheit für Medwedew auch unter normalen Bedingungen zustande gekommen wäre, ist keine Entschuldigung für man- gelnde Fairness und verbreitete Manipulationen. Wahlen sind Wahlen und keine bloßen Stimmungsbilder. Prog- nosen über die zukünftige Politik sind weitgehend spe- kulativ. Medwedew hat kein ausformuliertes Programm. Seine kritischen Aussagen zur Korruption und zur Justiz unterscheiden sich nicht von denen Putins vor acht Jah- ren. Der Umstand, dass er selbst nicht aus dem Geheim- dienst kommt, heißt wenig. Denn seine bisherige Karri- ere ist durch absolute Loyalität zu Putin gekennzeichnet. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom, eines Konzerns, der nicht zuletzt den Reichtum und die Inter- essen des Kremls auch im Ausland wahren soll. Medwe- dews liberales Image ist vor allem ein Produkt der PR- Strategie des Kremls. Aber selbst wenn es, was keiner weiß, berechtigt sein sollte: Er hat die Hypothek einer auf tönernen Füßen stehenden Stabilität zu tragen, die Putin hinterlässt. Neben der grassierenden Korruption, der Rechtsunsi- cherheit und dem wachsenden bürokratischen Wasser- kopf liegen die zukünftigen Aufgaben vor allem im Be- reich der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die einseitige Branchenstruktur der russischen Wirtschaft macht sie von der Rohstoffwirtschaft abhängig. Die Inflation steigt, und die dem Wahlkampf geschuldete Subventio- nierung der Lebensmittelpreise muss in wenigen Mona- ten wieder aufgehoben werden. Auch die Energiepreise werden noch immer massiv subventioniert, was die un- geheure Energieverschwendung fördert. Die Investitio- nen in die Rohstoffförderung sind unzureichend. Der Energieverbrauch ist extrem hoch, die Energieeffizienz extrem niedrig. Bildungs- und Gesundheitswesen sind unterversorgt. Vor allem die staatlich kontrollierten Be- triebe sind chronisch ineffizient. Zwar ist der Wohlstand der Bevölkerung in den letzten Jahren insgesamt gestie- gen, aber die soziale Schere hat sich immer weiter geöff- net. Viele Beobachterinnen und Beobachter, vor allem im westlichen Ausland, leiten aus Medwedews bisherigen Äußerungen, wie der Kritik am „Rechtsnihilismus“ in Russland und seinem Plädoyer für die Entwicklung der Zivilgesellschaft, Hoffnungen auf Veränderungen ab. Aber nur wenn Medwedew Worte in Taten umsetzt, Rechtssicherheit und das Rechtsverständnis in Russland stärkt und der Zivilgesellschaft tatsächlich wieder mehr Raum gibt, kann er das politische System Russlands öff- nen, dadurch stärken und auf eine solidere Basis stellen. Das von Putin installierte System zur Stabilisierung des Staates hat grundsätzliche Schwächen. Die starke Zentralisierung führt zu einem aus sowjetischen Zeiten bekannten Mangel an Feedbackmechanismen. Und die Zuspitzung auf eine Person macht das ganze System äu- ßerst anfällig. Vielleicht ist diese Erkenntnis ein Grund für Putins Versuch, ein zweigeteiltes Modell einzufüh- ren. Der Präsident hat weitreichende Kompetenzen, auch wenn er weniger durchsetzungsfähig als Putin sein mag. Demgegenüber ist der Ministerpräsident sehr einge- schränkt und diente bisher als eine Art Punchingball für Fehler und Missstände. Diese Funktion will Putin sicher nicht besetzen. Schon musste der gegenwärtige und noch bis Mai amtierende Ministerpräsident dem Vernehmen nach seine Büros räumen, um der Renovierung einer ganzen Etage nach Wünschen des neuen Herrn Platz zu machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15691 (A) (C) (B) (D) Solange wir weitgehend auf Geschichten dieser Art angewiesen sind, um feststellen zu können, wer in Russ- land etwas zu sagen hat, ist eines klar: Begriffe wie Be- rechenbarkeit, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und De- mokratie, und damit auch ein Begriff wie „strategische Partnerschaft“ bekommen, angewandt auf das heutige Russland, eine ganz neue Bedeutung. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Verbot des Neonazi- Schulungszentrums und Vereins „Collegium Humanum“ prüfen (Tagesordnungspunkt 20) Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Es gibt für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion keinen Zweifel, dass Vereine, die sich zum Sammelbecken organisierter Holocaustleugner entwickelt haben oder von Anfang an darauf ausgerichtet waren, keinen Platz in unserer frei- heitlich-demokratischen Gesellschaft beanspruchen kön- nen. Insofern begrüßen wir das Anliegen des vorliegen- den Antrages ausdrücklich. Denn mit wem haben wir es hier zu tun? Das Collegium Humanum ist nach Ansicht aller Ex- perten nichts anderes als ein Sammelbecken organisier- ter Holocaustleugner. Seine Vereinsliegenschaften die- nen Revisionisten und Neonazis als Anlaufpunkt. Die aggressive Propagierung der Holocaustleugnung erfolgt in Seminaren, sonstigen Veranstaltungen und Publikatio- nen nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in anderen Bundesländern. Vertreter des Collegiums reisten auf die sogenannte Holocaust-Konferenz im Iran und sprechen in einer ihrer Publikationen allen Ernstes von der „Lösung der Judenfrage“. Das ist nicht nur wider- lich, sondern ohne jeden Zweifel weit jenseits dessen, was unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft er- tragen kann und ertragen muss. Das Collegium Huma- num ist jedoch nicht alleine. Es ist eng verflochten mit dem „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“. Dieser Verein dient, und das sagt schon sein Name, keinem anderen Zweck als der Verwirklichung des Straftatbestandes der Volksverhet- zung. Wenn ich sage, dass wir das Anliegen der Grünen teilen, dann heißt das leider auch, dass der Antrag unse- res Erachtens trotz alledem zu kurz greift, und zwar an zwei zentralen Stellen. Erstens fordern die Grünen zwar die Prüfung eines Verbotes des Vereins Collegium Hu- manum, vergessen aber zugleich, die Prüfung eines Ver- botes des „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Be- streitens des Holocaust Verfolgten“ zu fordern. Für diesen Verein gilt jedoch das Gleiche wie für das Colle- gium. Ein eventuelles Verbot des Collegiums macht nur Sinn, wenn beide Vereine zugleich ihre Umtriebe ein- stellen müssen. Es ist sogar darüber hinaus zu fragen, ob es nicht noch weitere Vereine im Dunstkreis des Colle- giums gibt, die eines kritischen Blickes bedürfen. Zwei- tens. Sie fordern, im Benehmen mit den zuständigen Ministerien darauf hinzuwirken, dass dem Collegium Humanum die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit ab- erkannt wird. Ich verstehe Ihren Punkt. Auch die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion plädiert ohne Wenn und Aber dafür, dass extremistische Vereine nicht gemeinnützig sein können. An dieser Stelle muss ich aber auch eine Lanze für unsere Finanzministerien brechen. Man tut sich von Berlin aus leicht, sich über die Gemeinnützig- keit zu erregen. Und wir erregen uns ja auch mit Fug und Recht, weil eigentlich nicht nachzuvollziehen ist, wie extremistische Vereine den Stempel der Gemeinnützig- keit bekommen können, wo sie doch tatsächlich gemein- schädlich sind. Aber wir sind auch ein Rechtsstaat. Und auch die Frage nach der Gemeinnützigkeit muss sich letztlich in einem rechtsstaatlichen Verfahren bewähren. Es ist im Einzelfall oft äußerst schwer, den Verdacht auf extremistische Umtriebe einer Organisation mit Bewei- sen zu untermauern, die gerichtsfest sind. So muss die Finanzbehörde in jedem Einzelfall ganz konkret nach- weisen, dass zum Beispiel Volksverhetzungen der Ver- einsvertreter dem Verein als eigene Handlungen zuzu- rechnen sind. Unseres Erachtens kann dieser Nachweis im Falle des Collegium Humanum gelingen. Jedoch müssen wir den zuständigen Ministerien auch zugeste- hen, dass sie diese Prüfungen sauber und konsequent durchziehen. Und das dauert manchmal eben leider seine Zeit. Das ist aber immer noch besser, als mit Schnell- schüssen zu riskieren, dass extremistische Organisatio- nen vor Gericht obsiegen. Denn das wäre Wasser auf die Mühlen der Extremisten. Dies bitte ich nur stets zu be- denken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der fes- ten Überzeugung, dass wir keine Vereine in Deutschland dulden können, die unsere verfassungsmäßige Ordnung zu unterminieren versuchen. Gerade deshalb bitten aber alle demokratischen Fraktionen in diesem Hohen Haus auch darum, die Extremismusbekämpfung mit offenen Augen zu betreiben. Wolfgang Spanier (SPD): Seit Jahren ist das Colle- gium Humanum in Vlotho, im ostwestfälischen Kreis Herford, ein Zentrum alter und junger Nazis. Mit dem Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten wurde im Collegium Humanum eine internationale Sammlungsbewegung der Holocaust- leugner gegründet. Ein ständiger Referent in den letzten Jahren im Collegium Humanum ist Horst Mahler, be- kannt für seine antisemitischen Hetzreden und Weltver- schwörungstheorien. Das Collegium Humanum wird bundesweit von NPD-Anhängern, militanten Neonazis, Auschwitzleugnern und Nationalrevolutionären benutzt. Auch die ostwestfälische Neonaziszene nutzt das Colle- gium Humanum für Veranstaltungen und für Schulungs- seminare. Seit langem wird aus der Bürgerschaft heraus das Ver- bot und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Col- legium Humanum gefordert. Unsere Demokratie muss wehrhaft sein gegen ihre rechtsextremen Feinde. Ein Verbot des Collegium Humanum wäre ein wichtiges und richtiges politisches Signal. Es ist aber nicht nur staatli- ches Handeln gefordert. Notwendig ist ein Engagement gegen Rechtsextreme auf allen politischen Ebenen, von- seiten aller demokratischen Parteien und aller Bürgerin- nen und Bürger. Das Vlothoer Bündnis gegen das Colle- 15692 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) gium Humanum ist ein ermutigendes Beispiel. Die Bürgerinnen und Bürger in Vlotho – an der Spitze der Bürgermeister dieser Stadt, Bernd Stute – wenden sich entschieden gegen dieses Nazi-Zentrum. Neben der Stadt Vlotho und dem Bürgermeister haben sich alle Ratsfraktionen, alle Kirchengemeinden, der DGB, die weiterführenden Schulen, die Vlothoer Weiterbildungs- einrichtungen sowie zahlreiche Vereine und Gruppen zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Kreises Herford habe ich das demokratische Engage- ment dieses Bündnisses immer unterstützt. Ich unter- stütze selbstverständlich die Initiative des Bundestages, in der noch einmal bekräftigt wird, das Verbot des Colle- gium Humanum zu prüfen und durchzusetzen. Ich unter- stütze dieses Anliegen nicht nur persönlich, sondern ich spreche hier auch für die gesamte SPD-Bundestagsfrak- tion und selbstverständlich auch für die Sozialdemokra- tinnen und Sozialdemokraten in Vlotho und im Kreis Herford. Christian Ahrendt (FDP): Die Forderung nach ei- nem Verbot des Schulungszentrums und seinem Träger- verein Collegium Humanum, die die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem heute zur Debatte stehenden Antrag stellt, zeigt deutlich das Bedürfnis und die Notwendig- keit, Rechtsextremismus intensiv bekämpfen zu wollen. Diese Forderung begrüßen wir. Der Verein wird jedoch bereits vom Verfassungs- schutz beobachtet. Ein Verbotsverfahren wird vorberei- tet. Man muss sich daher die Frage stellen, wie man am erfolgversprechendsten gegen einen rechtsextremisti- schen Verein vorgehen kann. Überreaktionen und über- stürztes Handeln bringen uns da nicht weiter. Eine parla- mentarische Initiative gibt den Extremisten eine neue Plattform in der Öffentlichkeit und einen Nährboden für propagandistische Aktivitäten. Damit könnte der Verein mittelbar gestärkt werden. Zudem könnte sich der Verein in der Zeit gesetztreu verhalten oder die Zeit dazu nut- zen, Vereinsvermögen auf andere Träger zu verteilten. Unstrittig gehören verfassungsfeindliche Körperschaf- ten verboten. Die Politik muss jedoch auch mit vollstem Engagement an der Bekämpfung der Ursachen von Rechtsradikalismus arbeiten. Ein wichtiges Ziel soll da- her auch sein, über Rechtsextremismus nicht mit erhobe- nem Zeigefinger zu informieren, sondern auf Aufklä- rung und nachhaltige Prävention zu setzen. Daneben müssen alle den Verein fördernden Mittel und Möglich- keiten abgeschnitten werden. Strafbare Handlungen müssen unnachgiebig verfolgt und geahndet werden. Holocaustleugnungen und schamlose Verherrlichung des Nationalsozialismus, die die politischen Aussagen des Collegium Humanum prägen, dürfen nicht tatenlos ge- duldet werden. Zu betonen ist, dass das Collegium Humanum keine reine Schulungsstätte ist. Es wird eine Politik betrieben, die sich im Wirken mehrerer Vereine manifestiert. Ne- ben dem Trägerverein gibt es noch den Verein Gedächt- nisstätte und den Verein zur Rehabilitierung der wegen des Bestreitens des Holocaust Verfolgten, von dem eine internationale Sammlungsbewegung von Holocaustleug- nern angestrebt wird. Schließlich gibt es den aktuellen Presseberichten zur Folge die Bauernhilfe e. V., an die das Vermögen des Collegium Humanum für den Fall ei- nes Verbots überschrieben würde. Laut Satzung fördert sie zwar den ökologischen Landbau, hat jedoch perso- nelle Verknüpfungen mit dem Collegium Humanum. Man sieht also, wie perfide die rechtsextremistischen Vereine agieren. Unbegreiflich ist daher, warum solchen Vereinen die Gemeinnützigkeit nicht aberkannt wird. Das Zentrum erfüllt regional und bundesweit eine wich- tige Funktion für die rechte Szene. Es ist umso skandalö- ser, dass dieser Umstand zu der vermeintlichen Hürde führt, dass sich für die staatliche Förderung niemand verantwortlich fühlt. Obgleich seit Jahrzehnten neona- zistische und antisemitische Aktivitäten des Vereins be- kannt sind, sind die Behörden untätig geblieben. Das muss man sich erst auf der Zunge zergehen las- sen: Während der Verfassungsschutz die Akademie als rechtsextrem einstuft, weil Hitler als Friedenspolitiker angepriesen und der Holocaust geleugnet wird, wird zeitgleich das Collegium Humanum vom Finanzamt ge- fördert, indem es dem Verein den Siegel der Gemeinnüt- zigkeit verleiht. Das bedeutet, dass der braune Klub von der Steuerpflicht befreit ist und seinen Spendern Quit- tungen fürs Finanzamt ausstellen darf. Für den Status der Gemeinnützigkeit muss die Körperschaft nach dem Ge- setz einen anerkannten gemeinnützigen Zweck fördern. Im Fall des Collegium Humanum hat das zuständige Fi- nanzamt Herford die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung sowie Studentenhilfe bescheinigt. Ein Überbieten dieser grotesken und absurden Situation ist kaum denkbar. Mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit geht auch die Forderung einher, strengere Voraussetzungen an den Titel der Gemeinnützigkeit und deren bessere Kontrolle zu schaffen. Die Bundesregierung muss der Verherrlichung des Na- tionalsozialismus konsequent entgegentreten und voll- umfänglich Maßnahmen zur Prävention und Strafverfol- gung ausschöpfen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wer die Presse zum Col- legium Humanum verfolgt, könnte denken, dieses Zen- trum der Volksverhetzer und Antisemiten sei erst kürz- lich eröffnet worden. Denn jahrelang störte sich fast niemand an den regelmäßigen Treffen von Alt- und Neo- faschisten in Vlotho. Tatsächlich handelt es sich beim Collegium Huma- num um eines der ältesten, seit den 60er-Jahren genutz- ten Tagungshäuser der extremen Rechten. Faschisten von der NPD über die sogenannten Freien Kamerad- schaften bis zu esoterisch ausgerichteten Nazikreisen tummeln sich dort im Wochentakt. Mit dem ausgerech- net zum Jahrestag der Reichspogromnacht 2003 ins Le- ben gerufenen „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ wurde das Colle- gium Humanum zum regelrechten Zentrum der Holo- caustleugner aus aller Welt. Eine Vielzahl Mitarbeiter Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15693 (A) (C) (B) (D) und Referenten des Collegium Humanum sind bereits wegen Volksverhetzung und ähnlicher einschlägiger De- likte vorbestraft. Das Collegium Humanum und der Verein der Holo- caustleugner sind also nicht erst seit gestern ein Pro- blem. Ich frage mich daher, warum die vorangegangene sozialdemokratische Landesregierung von Nordrhein- Westfalen hier nicht gehandelt hat. Oder warum die Grü- nen nicht bereits während ihrer Zeit in der Bundesregie- rung einen entsprechenden Antrag zum Verbot des Col- legium Humanum eingebracht haben. Insbesondere kritisiere ich die Informationspolitik der Bundesregierung und der nordrhein-westfälischen Lan- desregierung. Die Fraktion Die Linke im Bundestag und auch die Grünen im Landtag von NRW haben wiederholt Anfragen zum Collegium Humanum gestellt. Der Innenminister von NRW, Ingo Wolf, bestreitet schlicht die Zuständigkeit seines Ministeriums, da das Collegium Humanum durch eine Publikation bundesweit tätig sei. Vor einem Jahr fragten wir daher, ob die Bun- desregierung die Ansicht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums teilt, dass ein Verbot des Collegium Humanum im Zuständigkeitsbereich des Bundesinnen- ministeriums liegt. Aus sogenannten operativen Grün- den wollte die Bundesregierung schon diese Frage nach der Zuständigkeit nicht beantworten. Natürlich gab es auch keine Antwort auf unsere Frage, welche Verbots- möglichkeiten es denn gäbe. Das nordrhein-westfälische Finanzministerium wies eine Anfrage nach der Gemeinnützigkeit des Collegium Humanum mit dem Hinweis auf das Steuergeheimnis ab. Recherchen der Tagesschau brachten diese Gemeinnüt- zigkeit ans Licht. Volksverhetzung, Holocaustleugnung und Antisemitismus sind also steuerlich absetzbar. Die Bundesregierung hatte in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Linksfraktion zum Thema Rechtsex- tremismus im Frühjahr 2007 erklärt: „Die Vermeidung der steuerrechtlichen Anerkennung der Gemeinnützig- keit von verfassungswidrigen Körperschaften ist Teil der ganzheitlichen Strategie der Bundesregierung“ gegen Rechtsextremismus. Im Falle des Collegium Humanum hat diese ganzheitliche Strategie offenbar bislang nicht gegriffen. Im Dezember letzten Jahren verkündete die Innenmi- nisterkonferenz dann vollmundig, rechtsextremen Verei- nen die Gemeinnützigkeit entziehen zu wollen. Was hier als neue Maßnahmen gegen Rechtsextremismus ange- priesen wurde, war allerdings schon seit Jahren gültiger Beschluss des Bundestages. Es wurde schlicht Wähler- täuschung betrieben, bisherige Versäumnisse sollten durch vorgetäuschten Aktionismus offenbar unter den Tisch gekehrt werden. Das Bundesinnenministerium ist daher aufgefordert, Stellung zu beziehen, warum solche seit langem existie- renden Beschlüsse zur Aberkennung der Gemeinnützig- keit und sonstiger staatlicher Förderung rechtsextremer Vereinigungen auf das Collegium Humanum bislang noch keine Anwendung fanden. Wir haben dazu jetzt er- neut eine Kleine Anfrage gestellt. Laut Presseberichten will Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble „in Kürze“ das Collegium Huma- num und den „Verein zur Rehabilitierung der wegen Be- streitens des Holocaust Verfolgten“ verbieten. Das wäre zu begrüßen, ein solches Verbot ist längst überfällig. Da diese Verbotsabsichten vom Bundesinnenministe- rium noch nicht offiziell bestätigt wurden, schließt sich Die Linke dem hier vorliegenden Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen an. Aber ich fordere Rechenschaft von der Bundesregie- rung, warum bislang die immer wieder versprochenen Maßnahmen gegen Vereine wie das Collegium Huma- num keine Anwendung fanden. Die Fraktion Die Linke hat es satt, sich von der Bundesregierung im Kampf ge- gen Rechtsextremismus mit Floskeln und Textbaustei- nen abspeisen zu lassen. Wir wollen endlich Taten sehen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Re- pression macht aus Nazis keine Demokraten. Verbote sollten stets das letzte Mittel der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus sein; denn Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in unserem Rechtsstaat. Bündnis 90/Die Grü- nen gehen deshalb mit Verbotsforderungen sehr zurück- haltend um; sie bleiben für uns die Ausnahme. Wir sagen aber auch ganz klar: Meinungsfreiheit muss dort enden, wo Verfassungsfeinde die demokratische Gesellschaft zerschlagen wollen und vor Straftaten wie Volksverhet- zung nicht zurückschrecken. Das Collegium Humanum e. V. ist ein rechtsextremes Schulungszentrum mit Sitz in Vlotho. Der Verein be- treibt offensiv rechtsextreme Propaganda und ist ein zen- traler Sammelpunkt der Holocaustleugner. Diese Tatsa- che bestätigte auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion. Dort heißt es: Für die revisionistische Szene bietet das Collegium Humanum organisatorische und ideologische Un- terstützung. Einzelne deutsche Teilnehmer an der Holocaust-Konferenz sind als Verfasser von Beiträ- gen in der Publikation des CH, Lebensschutz-Infor- mationen – LSI – Stimme des Gewissens (LSI) auf- gefallen. Die Leiterin des Collegium Humanum, Ursula Haverbeck-Wetzel, wurde mehrfach wegen Volksverhet- zung strafrechtlich belangt. Ungeniert bezweifelt sie den Holocaust, zum Beispiel in der Rheinischen Post im Ja- nuar 2008 mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob der Völ- kermord an den Juden tatsächlich stattgefunden hat.“ Angesichts solcher Statements wundert es nicht, dass auch der Antisemit und Holocaustleugner Horst Mahler immer wieder ein gern gesehener Referent im Vlothoer Nazi-Zentrum ist. Als Veranstaltungsort spielt das Collegium Humanum für die ultrarechte Szene eine wichtige Rolle. Dort fin- den Seminare, Tagungen, Konzerte und Schulungen statt. Das Zentrum wird zum Beispiel von der NPD-na- hen Deutschen Akademie genutzt, von der rechtsextre- men Gesellschaft für Publizistik, den Machern des Blat- tes „wir selbst – Zeitschrift für nationale Identität“ oder 15694 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) freien Neonazi-Kameradschaften. Das Zusammentreffen vieler Nazi-Akteure dort fördert die Vernetzung der Szene, bundesweit und auch international. Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung auf, die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren zu prüfen. Bei einem positiven Prüfergebnis – von dem wir ausgehen – erwarten wir das zügige Einleiten eines Ver- fahrens. Mir wurde mehrfach die Frage gestellt, warum sich der Bund um einen Verein in Vlotho kümmern sollte. Das sei doch Ländersache. Schön wäre es, wenn sich die Aktivitäten des Collegium Humanum nur auf Vlotho be- grenzen würden! Doch leider haben wir es mit einer überregionalen Präsenz zu tun. Veranstaltungen des Nazi-Zentrums finden zumindest in Nordrhein-Westfa- len und Thüringen statt, wie die Bundesregierung bestä- tigte. Außerdem trägt das Collegium Humanum stark zur politischen Zusammenarbeit der rechtsextremen Szene bei. Dort sind derzeit vier Vereine angesiedelt. Einer da- von nennt sich Verein zur Rehabilitierung der wegen des Bestreitens des Holocaust Verfolgten. Der Name ist Pro- gramm. Gegründet wurde dieser Verein zum Jahrestag der Reichsprogromnacht am 9. November 2003. Die Liste der Vereinsgründer liest sich wie das „Who’s who“ internationaler Geschichtsverfälscher. Weiterhin ist zum Beispiel auch der Verein Gedächtnisstätte e. V. im säch- sischen Borna angegliedert. Sein Ziel ist die Umkehr der Schuldfrage am Zweiten Weltkrieg. Die Gefallenen der Deutschen Wehrmacht sollen einen Gedenkort erhalten. Auf der Internetseite liest man dazu: „Helfen Sie mit, dass diese Schande des Verdrängens endlich ein Ende findet und die Opfer eine würdige Gedächtnisstätte be- kommen“. Von der Schande, welches Grauen und Ver- derben von Hitlerdeutschland ausging, ist dabei nicht die Rede. Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen unakzepta- bel, dass das Collegium Humanum jahrelang den Status eines gemeinnützigen Vereins hatte und vielleicht sogar noch immer hat. Solche Nazi-Aktivitäten dürfen nicht hingenommen und sogar steuerlich gefördert werden. Alle zuständigen Behörden müssen künftig mehr Wach- samkeit für solche Vereine entfalten. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass Verbote nicht das Hauptproblem aus der Welt schaffen können. Das Hauptproblem ist das rassistische, antisemitische, intolerante Denken in weiten Teilen der Bevölkerung. Ohne diese Einstellungen hätten Parteien wie die NPD oder Vereine wie das Collegium Humanum nicht einen solchen Zulauf. Prävention muss also unser erstes Ziel sein. Wir brauchen mehr attraktive, demokratische Ange- bote, die den Menschen Alternativen zur rechtsextremen Ideologie aufzeigen. Es gibt viele engagierte Initiativen, die in ihrer Umgebung etwas gegen die Vorherrschaft von Nazi-Gruppen tun. Sie brauchen mehr Hilfe, Zu- spruch und Geld. Deshalb treten Bündnis 90/Die Grünen konsequent für eine dauerhafte politische und finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements ge- gen Rechtsextremismus ein. Dennoch gibt es Ausnahmen, in denen Prävention zu spät kommt und staatliche Repression ausgeübt werden muss. Das Collegium Humanum ist eine solche Aus- nahme. Die Ziele dieses Vereins sind mit unseren Grund- gesetzwerten nicht vereinbar. Aktivitäten deutscher Holocaustleugner tragen nicht nur gefährliche Fehlinfor- mationen und -haltungen in die Gesellschaft; sie schaden auch dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Im Fall des Collegium Humanum ist ein Verbot nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten. Die Demokra- tie muss seinem Treiben einen Riegel vorschieben, um langfristig unsere Gesellschaft in ihrer Meinungsfreiheit und Vielfalt zu erhalten. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste (Tagesordnungs- punkt 21) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Wenn wir über Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Nach- richtendienste debattieren, sollten wir uns zunächst kurz vor Augen führen, worüber wir eigentlich sprechen. Die Nachrichtendienste leisten einen wichtigen Bei- trag zur Verteidigung unserer freiheitlich demokra- tischen Grundordnung. Wir müssen unsere Freiheit schützen und brauchen die wehrhafte Demokratie. Nur wer die Gefahren für unsere Freiheit kennt, kann sie be- kämpfen. Und nur wer ein verlässliches Bild von der Ge- fährdungslage im In- und Ausland hat, kann die notwen- digen Schritte zum Schutz unserer Freiheit einleiten. Unser Land, unsere Freiheit und damit wir alle sind auf besondere nachrichtendienstliche Erkenntnisquellen an- gewiesen. Wir als demokratischer Staat brauchen Nach- richtendienste. Ich denke, in diesem Punkt besteht zwischen allen de- mokratischen Parteien ein breiter, grundlegender Kon- sens. Bezeichnenderweise kommen die Vorschläge zur Abschaffung demokratisch kontrollierter Nachrichten- dienste von der Linken. Genauso richtig ist aber auch, dass sich die Nachrich- tendienste nicht in einem rechtsfreien Raum bewegen. Sie sind Teil der Exekutive und als solche an Recht und Gesetz gebunden. Auch für die Nachrichtendienste gilt der Grundsatz: Nichts geht ohne und nichts geht gegen das Gesetz. Wie alle staatliche Macht muss sich auch die Tätigkeit der Nachrichtendienste demokratisch legitimieren. Dies ist Ausdruck des Demokratieprinzips gemäß Art. 20 Grundgesetz: Alle Macht geht vom Volke aus. Wir – das Parlament – sind Sachwalter des Volkes. Es geht also um die legitimatorische Verknüpfung zwischen Exekutive und Parlament. Es geht um die Schaffung von Vertrauen in die Nachrichtendienste. Diesen Aspekt müssen wir im- mer im Auge behalten. Parlamentarische Kontrolle richtet sich nicht gegen die Nachrichtendienste. Sie ist nicht Aus- druck von Misstrauen, sondern Voraussetzung für Ver- trauen. Sie ist Voraussetzung für Vertrauen in die Dienste Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15695 (A) (C) (B) (D) und gleichermaßen Vorraussetzung für Vertrauen in un- sere demokratischen Institutionen – in unser Parlament. In diesen beiden Punkten – der Notwendigkeit von Nachrichtendiensten einerseits und der Erforderlichkeit von parlamentarischer Kontrolle andererseits – besteht sicherlich ein weitgehender Konsens. Dabei wird deut- lich, dass das Transparenzprinzip des Parlaments und das Geheimhaltungsbedürfnis der Nachrichtendienste in ein Spannungsverhältnis treten. Es gilt, dieses Span- nungsverhältnis vernünftig auszutarieren, ohne dass das eine Interesse zugunsten des anderen geopfert werden muss. Hier setzt meine Kritik am vorliegenden Antrag an. Ihr Antrag ist in der Sache unausgewogen und fach- lich unausgereift. Er ist sachlich schlecht, weil er den be- sonderen Bedürfnissen der nachrichtendienstlichen Ar- beit nach Geheimhaltung und Geheimschutz nicht gerecht wird. Sie gefährden mit Ihren Vorschlägen die Funktions- und Kooperationsfähigkeit der Dienste. Es liegt in der Natur der Sache, dass es nachrichtendienstli- che Vorgänge gibt, die nicht öffentlich behandelt werden können. Es ist staatspolitisch unverantwortlich, sensible Vorgänge, die die Sicherheit unseres Landes betreffen, auf dem offenen Markt auszutragen. Wenn man prinzi- piell von der Geheimhaltung abgeht, sind auch Gefähr- dungen für individuelle Rechtsgüter nicht mehr auszu- schließen. Eine Kontrolle, die auf dem offenen Markt stattfindet, würde die Arbeit der Dienste konterkarieren und letztlich vollends lahmlegen. Wenn Sie das wollen, sollten sie das auch offen sagen. Nein, in meinen Augen ist es gut, dass die Kontrolle einem besonderen Gremium, dem Parlamentarischen Kontrollgremium, das einer strengen Geheimhaltung un- terliegt, vorbehalten ist. Parlamentarische Kontrolle muss die besonderen Bedürfnisse nachrichtendienstli- cher Arbeit nachzeichnen. Ich denke daher, dass wir am Grundsatz der Geheimhaltung festhalten müssen, wenn wir die Funktionsfähigkeit der Dienste nicht aufs Spiel setzen wollen. Wenn wir die Kontrolle wirklich verbes- sern wollen, so müssen wir das unter den Bedingungen der Geheimhaltung schaffen. Schließlich ist Ihr Beschlussantrag fachlich unausge- reift. Was Sie hier betreiben, ist reine Schaufensterpoli- tik. Sie liefern eine beliebige Absichtserklärung, die wir- kungslos in der Luft verpufft. Es muss die Frage erlaubt sein, was wir denn erreichen würden mit Ihrem Antrag. Wenn man wirklich etwas verbessern will, dann muss man sich die Arbeit machen und einen Gesetzesentwurf vorlegen. Dieser Antrag ist wirkungslos und deshalb kein ernsthafter Beitrag. Deshalb sagen wir als Union: Ja, wir wollen eine Ver- besserung des bestehenden Kontrollsystems. Wir sehen in der Tat konkreten Veränderungsbedarf, der unter- schiedliche Bereiche erfasst. Von der Gewährleistung der Rechtzeitigkeit der Information des Gremiums bis hin zu Einzelfragen der Befugnisse setzen wir uns für Verbesserungen der Kontrolle ein. Wir werden dazu in nächster Zeit konkrete gesetzgeberische Vorschläge ma- chen. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, es stellt sich die Frage, warum Sie einen solchen Antrag jetzt, zu diesem Zeitpunkt, vorlegen. Warten wir doch erst einmal die Ergebnisse des – im Übrigen von Ihnen initiierten – BND-Untersuchungsausschusses ab. Dort wollen wir doch feststellen, ob und inwieweit im Bereich des BND aus parlamentarischer Sicht Reformen notwendig sind. Im Übrigen hat der BND selbst gerade durch die jüngsten Organisationsentscheidungen bewie- sen, dass man dort bereit und offen für Veränderungen ist. Klar ist für mich aber eines: Was geheim ist, muss auch geheim bleiben. Um die Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter nicht an Leib und Leben zu gefährden und die für unsere innere Sicherheit existenziell wichtigen Er- kenntnisse befreundeter Dienste weiter zu erhalten, muss Geheimes geheim bleiben. Es liegt in der Natur der Sa- che, dass nachrichtendienstliche Vorgänge nicht öffent- lich behandelt werden können. Das PKGr als geheim ta- gendes Gremium wird also benötigt. Ich bestreite nicht, dass die parlamentarische Kon- trolle der Nachrichtendienste hier und da verbesserungs- bedürftig ist. Wo es sinnvoll und notwendig ist, wollen wir die Ausweitung der Kontrollrechte des in der westli- chen Welt einmaligen Parlamentarischen Kontrollgremi- ums weiter diskutieren. Frühere Information und mehr Öffentlichkeit sind vorstellbar. Nachjustierungen müssen aber auf den Ergebnissen des BND-Untersuchungsaus- schusses basieren und dürfen diesen nicht vorgreifen. Für solch eine kritische Überprüfung des Status quo ist dieser Ausschuss im Übrigen da. Es ist gerade seine Aufgabe, bestehende Defizite in der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste aufzuzeigen und gege- benenfalls Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Lassen Sie uns den Abschlussbericht des BND-Untersuchungs- ausschusses abwarten und seine Ergebnisse dann ge- meinsam und konstruktiv abarbeiten. Dr. Max Stadler (FDP): Seit Tagen wird landauf, landab intensiv darüber diskutiert, dass im großen Um- fang die Möglichkeiten des Bankensystems in Liechten- stein auch von Deutschen dazu genutzt wurden, Steuern in erheblicher Höhe zu hinterziehen. Die FDP ist selbst- verständlich der Auffassung, dass solche Delikte wie alle anderen Straftaten auch verfolgt und bestraft werden müssen. Ebenso wie bei allen anderen Straftaten sind da- bei die rechtsstaatlichen Regeln strikt einzuhalten. Ob dies der Fall war, erscheint allerdings sehr zwei- felhaft. Die für Steuerdelikte richtigerweise zuständige Steuerfahndung hat ihre Ermittlungen gemeinschaftlich mit dem Bundesnachrichtendienst durchgeführt. Letzte- rer ist unstrittig für die Aufklärung von Steuerhinterzie- hung nicht zuständig. Die Einhaltung der jeweiligen Kompetenzen ist durchaus sehr wichtig: Die Steuerfahndung ist bei ihren strafrechtlichen Ermittlungen an die Vorschriften der Strafprozessordnung gebunden. Dies darf nicht dadurch umgangen werden, dass in Strafverfahren plötzlich ge- heimdienstliche Ermittlungsmethoden einfließen, indem 15696 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) der Bundesnachrichtendienst über den Umweg der „Amtshilfe“ beigezogen wird. Genau dies ist aber im Fall Liechtenstein geschehen. Es handelt sich also um ei- nen in jeder Hinsicht bedeutsamen Vorgang aus der Tä- tigkeit des Bundesnachrichtendienstes. Deshalb bestand für die Bundesregierung die gesetzliche Verpflichtung, das Parlamentarische Kontrollgremium hierüber zu un- terrichten. Dies ist nicht rechtzeitig geschehen. Dieser aktuelle Vorgang zeigt, dass die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums dringend reform- bedürftig ist. Die deutschen Nachrichtendienste haben zur Erfüllung ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit in den letzten Jahren immer mehr Befugnisse bekommen. Demgemäß muss auch die parlamentarische Kontrolle effektiver werden. Hierfür hat die FDP-Bundestagsfrak- tion am 5. April 2006 einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes eingebracht. Es ist ein nahezu skandalöses Versäumnis der Großen Koalition, dass dieser konkrete Reformvorschlag der FDP bisher keine Zustimmung bei der SPD und der CDU/CSU gefunden hat. Während bei einzelnen Unions- abgeordneten durchaus Gesprächsbereitschaft bestand, wollte die SPD mit dem fadenscheinigen Argument, man müsse erst die Beendigung des BND-Untersu- chungsausschusses abwarten, das Thema auf die lange Bank schieben. Das geht jetzt nicht mehr, weil die Bun- desregierung das Kontrollgremium in der Liechtenstein- Affäre zum wiederholten Male missachtet hat und nun- mehr endlich auch die Sozialdemokraten einsehen, dass das Parlament sich eine faktische Schwächung der Kon- trollrechte nicht mehr länger bieten lassen kann. Deswegen ist es erfreulich, dass endlich fraktions- übergreifende Gespräche vereinbart werden konnten. Die FDP wird auf der Basis des eigenen Gesetzentwur- fes dazu beitragen, dass am Ende eine gemeinsame Lö- sung stehen könnte, mit der das Parlament seine Kon- trollbefugnis gegenüber der Bundesregierung und den Nachrichtendiensten besser erfüllen kann. Auch aus dem heute zu beratenden Antrag der Grü- nen „Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste“ können dabei einige Gedanken in die im April beginnen- den fraktionsübergreifenden Gespräche eingeführt wer- den. Somit ist festzustellen, dass die FDP das Grundan- liegen des Antrags der Grünen teilt, jedoch nicht bei allen Einzelfragen den Lösungsvorschlägen der Grünen zustimmt. Dies heute im Detail zu erörtern, erübrigt sich, da ja – wie schon dargestellt – schon in der übernächsten Sitzungswoche die Berichterstattergespräche zu der überfälligen Reform beginnen. Die FDP enthält sich daher der Stimme hinsichtlich des Antrages der Grünen. Das Reformvorhaben als sol- ches werden wir aber mit aller Kraft vorantreiben. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Angesichts der riesigen Defizite, die wir bei der demokratischen Kon- trolle der Geheimdienste haben, ist der Antrag der Grü- nen kaum mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Zu diesem schmalen Antrag gibt es aber eine noch schmalere Beschlussempfehlung des Innenausschusses. In der Begründung hierzu heißt es, es liege in der Natur der Sache, nachrichtendienstliche Vorgänge nicht öffent- lich zu behandeln. Wer wollte schon einem solchen Ar- gument widersprechen? Das Wort von der Natur der Sa- che dient bekanntlich dazu, den Diskurs zur Sache zu ersetzen. Der Diskurs ergäbe schnell, dass zumindest staatliche Rechtsbrüche unter keinen Umständen ge- heimhaltungsbedürftig sein dürfen. Aber was ist das für eine Sache, um deren Natur es hier wirklich geht? Die Sache – das ist das Grundgesetz. Dessen Natur ist der demokratische Verfassungsstaat. Im demokratischen Verfassungsstaat sind einzige Ursache und Ursprung aller staatlichen Macht der Wille des Vol- kes. Im demokratischen Verfassungsstaat darf es daher keine Nischen oder dunklen Ecken für irgendeine staatli- che Macht geben, die ohne Legitimierung oder Kontrolle existiert. Eine solche Macht wäre undemokratisch und deswegen verfassungsfeindlich. Das ist die Natur der Sa- che. Der Diskurs endet also nicht mit der Natur der Sa- che, sondern beginnt mit ihr. Diesen Diskurs benötigen wir dringend. Hierfür kann der Antrag der Grünen allen- falls einen Anfangsimpuls darstellen. Um das Ausmaß der notwendigen Veränderungen be- urteilen zu können, müssen Sie einfach nur die Wirklich- keit zur Kenntnis nehmen. Schätzungsweise 10 000 Mit- arbeiter der drei deutschen Geheimdienste sollen wir als Parlamentarisches Kontrollgremium kontrollieren. Le- diglich neun Mitglieder, die nur alle drei Wochen für we- nige Stunden zusammenkommen, sollen das ohne eigene Mitarbeiter bewerkstelligen. Es liegt auf der Hand, dass eine Kontrolltätigkeit unter diesen Bedingungen zu kei- nem nennenswerten Erkenntnisgewinn führen kann. Ich erinnere noch einmal an Isaak Newton: „Was wir wissen, ist ein Tropfen; was wir nicht wissen, ein Ozean.“ In der Natur der Sache liegt dabei auch, dass dem Kontrolleifer aufseiten der Vertreter der Regierungspar- teien natürliche Grenzen gesetzt sind. Das ist schlecht, weil es an starken Minderheitenbefugnissen im Gre- mium fehlt. Wenn also die Regierungsfraktionen – ihrer natürlichen Neigung folgend – die Regierung nicht kon- trollieren wollen, findet überhaupt keine Kontrolle statt, weil dann auch die Oppositionsfraktionen ihrer Kontroll- möglichkeiten beraubt werden. Bei diesen Kontrollbe- dingungen, besteht die Kontrolle darin, zu hoffen, dass die Regierung ihrer gesetzlichen Bringschuld nach- kommt und von sich aus berichtet, was objektiv bedeut- sam ist. Das heißt: Allein der zu Kontrollierende be- stimmt den Kontrollgegenstand. Stellen Sie sich einen Strafprozess vor, in dem allein der Verteidiger über Art und Umfang der Beweiserhe- bung bestimmt. Der Freispruch für den Angeklagten wäre stets garantiert. Genauso verhält es sich im Kon- trollgremium: Der Freispruch für die Regierung ist stets gesichert. Wenn dann aber – entgegen aller Erwartung – das Gremium dennoch von Rechtsbrüchen erfährt, hilft dies für die politische Kontrolle herzlich wenig. Denn es fehlt dem Gremium an den nötigen Sanktionsmitteln, um die festgestellten Rechtsbrüche zu ahnden. Daran hindert es die Schweigepflicht. Die Mitglieder des Gremiums müssen also ihr Wissen behalten. Sie dürfen es mit ins Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 15697 (A) (C) (B) (D) Grab nehmen. Da ruht es dann sanft und nützt nieman- dem. In der Natur der Sache liegt es deswegen, diesen Zu- stand, der einer Demokratie gänzlich unwürdig ist, end- lich zu beenden. Nicht zaghaftes Herumwerkeln an den bestehenden gesetzlichen Regelungen ist notwendig, sondern eine grundlegende und umfassende Reform der Geheimdienstkontrolle. Wir werden Ihnen dazu dem- nächst ein Ablösegesetz im Entwurf vorlegen, das den Titel „Kontrollgesetz“ zu Recht trägt. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es ist jetzt drei Wochen her, da durfte ich aus dem Fernsehen erfahren, dass dem Bundesnachrichtendienst ein Superdeal von einmaliger Dimension gelungen war. Er soll für 5 Millionen Euro Liechtensteiner Bankdaten gekauft und über tausend deutsche Steuersünder entlarvt haben. Gezeigt wurde die morgendliche Hausdurchsu- chung bei Herrn Zumwinkel. Gegen weitere bedeutende Personen und gar Banken sollen sich die Ermittlungen richten. Schlagzeilen und Titelgeschichten in Magazinen folgten mit immer neuen Einzelheiten der jahrelangen Operation des Bundesnachrichtendienstes. Der Bundes- tag beschäftigte sich mit der Affäre in einer Aktuellen Stunde. Sie löste heiße Diskussionen nicht nur im Ham- burger Wahlkampf aus. Bald wurde auch über die Frage diskutiert: Durfte der BND das überhaupt? Hat er in den Grenzen seiner gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse gehandelt? Als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgre- miums war ich auf die Informationen aus den Medien angewiesen. Vor der Fernsehsendung gab es nicht den geringsten Hinweis der Bundesregierung an das Parla- ment. Wieder einmal musste die rechtzeitige parlamenta- rische Kontrolle der Tätigkeit des BND schon deshalb scheitern, weil die Bundesregierung nicht unterrichtet hatte, obwohl es sich doch ganz offensichtlich um einen Vorgang von besonderer Bedeutung handelte. Die zwei- jährige Operation des BND war verschwiegen worden, obwohl die Bundesregierung verpflichtet ist, dem PKG genau über solche Vorgänge von besonderer Bedeutung bei den Diensten zeitnah zu berichten. Genau diese For- mulierung steht in § 2 PKG-Gesetz. So kann die parlamentarische Kontrolle der Dienste durch das PKG nicht funktionieren. Viele Affären des BND in den letzten Jahren zeigen dies. Deshalb muss sich der Bundestag immer wieder mit diesen befassen. Ein Untersuchungsausschuss bemüht sich seit nunmehr zwei Jahren um Aufklärung, Klarheit und Wahrheit. Es geht um nichts weniger als um die Bespitzelung von Journalisten und deren Anwerbung durch den BND in Deutschland, um deutsche BND-Spione in Bagdad wäh- rend des Irakkrieges und um die Verstrickungen der deutschen Geheimdienste in Machenschaften der US- Dienste. Die Kontrolltätigkeit des PKG muss effektiver und besser werden. Darüber sind sich die Mitglieder aller Fraktionen einig. Gerade in den letzten Tagen haben sie wieder und wieder in Interviews Reformen und Verbes- serungen der Arbeitsmöglichkeiten des Gremiums gefor- dert und angekündigt. Vor einem Jahr waren die Vertreter aller Fraktionen auf einem Podium der Konrad-Adenauer-Stiftung ver- sammelt und haben unisono Veränderungen angekün- digt. Das Ob war unstreitig, nur zum Wie gab es unter- schiedliche Auffassungen. Geschehen ist aber nichts. Und ich fürchte, in dieser Legislaturperiode wird auch nichts mehr geschehen. Alle warten und vertrösten auf die Zeit nach dem Ende der Arbeit des Untersuchungs- ausschusses. Zudem wird, wie es derzeit aussieht, die Arbeit dieses Ausschusses noch lange dauern. Dann bliebe kaum noch Zeit für die Erarbeitung der notwendigen Gesetzesände- rungen. Und es wird Wahlkampf sein. Keine besonders gute Zeit für die Formulierung der notwendigen Gesetze. Deshalb lassen Sie uns jetzt handeln. Der Worte sind ge- nug gewechselt; jetzt müssen den Ankündigungen und Versprechungen Taten folgen. Die Grünen haben dazu Vorschläge vorgelegt, die wir heute beraten: Im PKG- Gesetz muss festgeschrieben werden, was ein „Vorgang von besonderer Bedeutung“ ist. Kriterien müssen ins Gesetz, die verhindern, dass die Bundesregierung sich „rauszieht“. So ist ein „Vorgang von besonderer Bedeutung“ im- mer dann anzunehmen, wenn das Kanzleramt informiert und eingebunden wurde. Diese Voraussetzung lag vor in all den Affären, die der Untersuchungsausschuss unter- sucht, und auch im Fall des Kaufs der Bankdaten aus Liechtenstein. Außerdem müssen Sanktionen her für den Fall, dass die Bundesregierung nicht oder falsch oder un- vollständig unterrichtet. Wir schlagen vor, dass das Gre- mium dann seine entsprechende Feststellung mit einer Wertung öffentlich macht und Konsequenzen für die Verantwortlichen vorschlägt. Aber die rechtzeitige, vollständige und wahre Infor- mation durch die Bundesregierung ist nur eine Voraus- setzung für die Kontrolltätigkeit des Gremiums. Weitere Verbesserungen sind notwendig. So geht es um mehr Transparenz der Arbeit dieses Gremiums. Es kann zum Beispiel nicht angehen, dass die PKG-Mitglieder immer noch nicht ihren eigenen Fraktionsvorsitzenden berich- ten dürfen, etwa über besonders problematische Vor- gänge. Die Mitglieder des Gremiums müssen auch die Möglichkeit haben, mit einzelnen Wertungen und Kritik an die Öffentlichkeit zu gehen. Bedeutsame Fälle wie der Vorgang BND/Liechten- stein darf nicht einfach in der PKG „versacken“, sodass die Öffentlichkeit sich fragen muss: Was war denn da nun eigentlich dran? Wir Grüne halten es vielmehr für erforderlich, dass die PKG-Mitglieder solche Vorgänge nicht nur öffentlich bewerten dürfen, sondern auch über den Sachverhalt – selbstverständlich unter Wahrung der notwendigen Geheimhaltung für Einzelheiten – als sol- chen sprechen dürfen. Sonst wird die Kontrolle auch durch die Öffentlichkeit zu Recht als unbefriedigend und fragwürdig – im wahrsten Sinn des Wortes – wahrge- nommen. 15698 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 148. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 (A) (C) (B) (D) Die Öffentlichkeit und die Bevölkerung haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was die Volksvertreter in solchen Fällen denn nun herausbekommen und festge- stellt haben. Diese Information kann auch dazu beitra- gen, die Gemüter zu beruhigen, wenn sich einiges auf- klärt, was vielleicht ganz anders in der Zeitung stand. Die Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten im Kon- trollgremium müssen entscheidend verbessert werden. Es ist gar nicht einzusehen, warum die Abgeordneten ge- rade bei dieser wichtigen Kontrolltätigkeit nicht Mitar- beiter zur Unterstützung hinzuziehen dürfen. Die Unzufriedenheit über die Mängel bei der Kon- trolltätigkeit dieses parlamentarischen Gremiums ist all- gemein und bestand auch bei ehemaligen Mitgliedern wie etwa den Kollegen Struck, Zeitlmann und Neumann, wie man aus deren öffentlichen Äußerungen entnehmen konnte. Wir Grüne haben vor fast genau 2 Jahren als erste Fraktion in dieser Legislaturperiode erneut die Ini- tiative ergriffen und einen Antrag eingebracht mit einem Bündel von Maßnahmen, um die Kontrolle der Geheim- dienste wirksamer zu gestalten. Dafür werbe ich weiter- hin heftig um Ihre Zustimmung. Ich bin irritiert darüber, dass dieser Antrag in den Fachausschüssen erst sehr lange schmorte und dann durch Union und SPD einfach nur abgelehnt wurde bei bloßer Enthaltung von FDP und Linken. Gerade in diesen Tagen wird einmal wieder intensiv über Glaubwürdigkeit diskutiert. Es muss nicht nur hier im Haus Befremden auslösen, sondern mehr noch Glaubwürdigkeitszweifel bei der Bevölkerung, wenn seit Jahren nicht nur irgendwelche Fachpolitiker, son- dern auch Fraktionsspitzen und Minister völlig einhellig bessere Kontrollmöglichkeiten über die Dienste fordern, jedoch zurückzucken und eben dies ablehnen, sobald es konkret zu werden droht. Dies wäre – über diesen Anlass hinaus – insgesamt ein sehr schlechtes Signal der Politik und insbesondere der Regierungskoalition, sozusagen nur den Mund zu spitzen, aber dann nicht zum Pfeifen bereit zu sein. Heute können Sie pfeifen, indem Sie un- serem Antrag zustimmen. Danach könnten wir uns über alle Einzelheiten der Ausgestaltung im Rahmen der Be- ratung eines konkreten Änderungsgesetzes verständigen. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 nd 91, 1 2, 0, T 22 148. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 6. März 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614800000

Die Sitzung ist eröffnet.

Ich darf Sie bitten, für einen Augenblick stehen zu
bleiben.

Am Montag dieser Woche, am 3. März 2008, verstarb
Annemarie Renger im Alter von 88 Jahren. Dr. h. c.
Annemarie Renger war von 1953 bis 1990 Mitglied des
Deutschen Bundestages und von 1972 bis 1976 dessen
erste Präsidentin und zugleich weltweit die erste Frau an
der Spitze eines frei gewählten Parlaments.

Am 7. Oktober 1919 in Leipzig als Tochter eines füh-
renden Funktionärs der Arbeitersportbewegung geboren,
wuchs Annemarie Renger in einer Familie mit langer so-
zialdemokratischer Tradition auf. Nach dem Krieg
wurde Annemarie Renger, deren Mann in Frankreich ge-
fallen war, engste Mitarbeiterin und Vertraute Kurt
Schumachers. Nach seinem Tod 1952 trat sie selbst in
die aktive Politik ein und wurde 1953 über die Landes-
liste Schleswig-Holstein der SPD erstmals in den Bun-
destag gewählt. Von 1969 bis 1972 war sie eine der vier
Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion.
Im Dezember 1972 wurde sie als Nachfolgerin von Kai-
Uwe von Hassel zur Bundestagspräsidentin gewählt.

Rede
Nur wer sich daran erinnert, welchen Bedenken die
erste Bundestagspräsidentin sich innerhalb wie außer-
halb des Parlamentes gegenübersah, kann die Genug-
tuung ermessen, mit der sie vier Jahre später beim Wech-
sel in das Amt einer Vizepräsidentin feststellen konnte,
dass sie bewiesen habe, dass eine Frau das kann. Die
Würde ihres Auftretens, ihre Bestimmtheit und ihr ener-
gischer Durchsetzungswille wie ihre Fähigkeit zum
Kompromiss haben dazu beigetragen.

Annemarie Renger hat wichtige Parlamentsreformen
auf den Weg gebracht und sich persönlich stark für die
Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn engagiert.
So leitete sie die ersten Bundestagsdelegationen auf ih-
ren Reisen nach Polen, nach Rumänien
Sowjetunion. Ein besonderes Herzensan
Annemarie Renger waren die Beziehunge
Der Deutsche Bundestag wird ihr Andenk
bewahren. Im Rahmen eines Staatsakts werden wir der
tzung

, den 6. März 2008

.02 Uhr

Verstorbenen am kommenden Donnerstag hier im Deut-
schen Bundestag gedenken.

Schon Anfang der vergangenen Woche haben wir mit
Betroffenheit erfahren, dass unser Kollege Johann-
Henrich Krummacher am Montag, dem 25. Februar
2008, im Alter von erst 61 Jahren nach kurzer und
schwerer Krankheit verstorben ist.

Jo Krummacher wurde am 27. Dezember 1946 in
Heidelberg geboren und studierte Evangelische Theolo-
gie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Hei-
delberg und Tübingen. Nach zwei Jahrzehnten der Tätig-
keit im Pfarrdienst der Evangelischen Landeskirche
Baden-Württemberg sowie als Lehrer leitete er von 1996
bis 2005 als geschäftsführender Direktor die Evangeli-
sche Akademie in Bad Boll. In seinen publizistischen
Werken widmete er sich insbesondere Fragen aus dem
Bereich der Ethik, der Theologie, der Kunst und der Kul-
tur. Die beiden zuletzt genannten Themen förderte er ak-
tiv als langjähriger Vorsitzender des Vereins für Kirche
und Kunst in der Evangelischen Landeskirche in
Württemberg sowie als Gründer und Chefredakteur der
Kulturzeitschrift Das Plateau.

Nach Jahrzehnten beruflichen Engagements ent-

text
schloss sich Johann-Henrich Krummacher, als aktiver
Christ auch politisch tätig zu werden. Er trat 2001 in die
Christlich Demokratische Union Deutschlands ein und
errang bereits bei den Bundestagswahlen 2005 im Wahl-
kreis Stuttgart I ein Direktmandat. Als Mitglied dieses
Hauses engagierte er sich besonders in den Bereichen
Bildung, Wissenschaft, Kultur und Medien. Trotz der
Kürze seiner Zugehörigkeit zu unserem Parlament hat er
gerade im Bereich der Kulturpolitik, den er als Mitglied
der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des
Ausschusses für Kultur und Medien sowie des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung bearbeitete, wichtige Akzente setzen und sich

tionsgrenzen hinweg persönlich hohen Res-
rkennung erwerben können.

erden ihn als einen besonders liebenswürdi-
und in die
liegen von
n zu Israel.
en in Ehren

über die Frak
pekt und Ane

Wir alle w

gen Kollegen in Erinnerung behalten. Seiner Familie,






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
seiner Frau und seinen sechs Kindern, sprechen wir un-
sere Anteilnahme aus.

Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren
Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn unserer
heutigen Sitzung müssen wir einige Wahlen durchfüh-
ren.

Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass Professor
Richard Schröder und der Kollege Markus Meckel für
eine weitere Amtszeit Mitglieder des Beirats nach § 39
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bleiben sollen. Von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Ulrike Poppe zur
Wiederwahl benannt worden. Sind Sie mit diesen Vor-
schlägen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann sind die Herren Schröder und Meckel sowie Frau
Poppe erneut in den Beirat nach § 39 des Stasi-Unterla-
gen-Gesetzes gewählt.

Die SPD-Fraktion schlägt außerdem vor, anstelle der
Kollegin Christel Humme die Kollegin Caren Marks
zum stellvertretenden Mitglied im Gemeinsamen Aus-
schuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes zu wählen.
Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offenkun-
dig der Fall. Dann ist die Kollegin Marks zum stellver-
tretenden Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach
Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt.

Die Kollegin Diana Golze hat aufgrund ihrer
Schwangerschaft das Amt als Schriftführerin vorüberge-
hend niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion
Die Linke die Kollegin Elke Reinke vor. Sind Sie damit
einverstanden? – Auch das ist der Fall. Damit ist die
Kollegin Reinke zur Schriftführerin gewählt.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei diesem hohen Maß an Einmütigkeit besteht gute
Aussicht, dass auch die vereinbarten Veränderungen der
Tagesordnung auf Zustimmung stoßen. Interfraktionell
ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 19 abzu-
setzen und die verbundene Tagesordnung um die in der
Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Computermesse CeBIT – IT-Forschung als
Wachstumsimpuls für Deutschland

(siehe 147. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 28)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über
die Zuständigkeit und das anwendbare Recht
in Unterhaltssachen, die Anerkennung und
Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen
und die Zusammenarbeit im Bereich der
Unterhaltspflichten
– Drucksache 16/8377 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Freiwilligen projektbasierten Klimaschutz auf
verbreiteter Grundlage voranbringen
– Drucksache 16/7174 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Unterschiedliche Auffassungen in der Bundes-
regierung zu den Folgerungen aus der
Onlineentscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts vom 27. Februar 2008

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innere Führung stärken und weiterentwickeln
– Drucksache 16/8376 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Irmingard Schewe-
Gerigk, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gleichstellung von Frauen und Männern in
den Gremien des Bundes tatsächlich durch-
setzen
– Drucksachen 16/7739, 16/8412 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Renate Gradistanac
Ina Lenke
Elke Reinke
Irmingard Schewe-Gerigk

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
DIE LINKE:

Massenentlassungen bei deutschen DAX-Kon-
zernen trotz Gewinnexplosion

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Der bisher zur Aussprache vorgesehene Tagesord-
nungspunkt 16 – hier handelt es sich um die erste Bera-
tung des Gesetzentwurfs zum Straßburger Vertrag – kann
ohne Debatte an die Ausschüsse überwiesen werden.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkt-
liste aufmerksam:

Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-

(11. Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Lebensmittel- und Futtermittel-
gesetzbuches sowie anderer Vorschriften
– Drucksache 16/8100 –
überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (19. Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
regelung des Rechts der Erneuerbaren Ener-
gien im Strombereich und zur Änderung
damit zusammenhängender Vorschriften
– Drucksache 16/8148 –
überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit (16. Ausschuss) zur Mitberatung überwie-
sen werden.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Internationalen Übereinkommen von 2001
über die Beschränkung des Einsatzes schädli-
cher Bewuchsschutzsysteme auf Schiffen

(AFS-Gesetz)

– Drucksache 16/8154 –
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Der in der 146. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Potenziale der Tourismusbranche in der Ent-
wicklungszusammenarbeit durch Aufgaben-
bündelung im Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie ausschöpfen

– Drucksache 16/8176 –
überwiesen:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Widerspruch ist nirgendwo zu erkennen. Dann haben wir
auch das einvernehmlich so beschlossen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere
ich zu einer Reihe von Geburtstagen: Der Kollege Gerd
Höfer feierte am 23. Februar seinen 65. Geburtstag, und
der Kollege Alfred Hartenbach ist gestern 65 Jahre alt
geworden.


(Beifall)


Die Kollegen Rainder Steenblock und Thomas
Kossendey begingen ihre 60. Geburtstage am 29. Fe-
bruar und am 4. März. Im Namen des ganzen Hauses
gratuliere ich allen Jubilaren nachträglich sehr herzlich
und wünsche alles Gute.


(Beifall)


Auf der Ehrentribüne hat der Parlamentspräsident un-
seres Nachbarlandes Luxemburg, der Präsident der Ab-
geordnetenkammer des Großherzogtums, Herr Lucien
Weiler, mit seiner Delegation Platz genommen. – Im
Namen des ganzen Hauses begrüße ich Sie sehr herzlich,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall)


Ich hatte gestern Abend schon Gelegenheit, Sie nicht
nur in aller gebotenen Freundlichkeit zu begrüßen, son-
dern auch unsere Freude darüber zum Ausdruck zu brin-
gen, dass Sie mit Ihrem Besuch und der hochrangigen
Besetzung Ihrer Delegation aus allen Fraktionen des lu-
xemburgischen Parlaments das große Interesse an mög-
lichst engen und traditionell freundschaftlichen Bezie-
hungen zwischen unseren beiden Ländern deutlich
machen. Wir beteiligen uns gern an Ihren Bemühungen,
die Beziehungen auch zwischen unseren Parlamenten,
soweit es überhaupt noch geht, zu vertiefen. Für Ihren
Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres parlamentari-
sches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Kraft-Wärme-Kopplung
– Drucksache 16/8305 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit






(A) (C)



(D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öff-
nung des Messwesens bei Strom und Gas für
Wettbewerb

– Drucksache 16/8306 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas
für Wettbewerb beschleunigen

– Drucksache 16/7872 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch
hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister Michael Glos.

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute, wie wir gerade vom Präsi-
denten gehört haben, den Entwurf eines Gesetzes zur
Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und den Entwurf
eines Gesetzes zur Öffnung des Messwesens bei Strom
und Gas für Wettbewerb. Ich meine, das sind zwei wich-
tige Bausteine unseres Energie- und Klimaschutz-
pakets. Wir wissen ja: Klimaschutz wollen wir alle.
Darüber sind wir uns einig. Ich finde, Klimaschutz muss
zu bezahlbaren Preisen möglich sein. Wir meinen, mit
den Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele
müssen wir einen Weg wählen, der Verbrauchern und
Unternehmungen im Land die geringstmöglichen Lasten
auferlegt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Durch zusätzliche Flexibilität bei den Förderbedin-
gungen ist es möglich, mit dem gleichen Geld mehr In-
vestitionen in Kraft-Wärme-Kopplung auszulösen. Der
Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeu-
gung soll bis zum Jahr 2020 auf etwa 25 Prozent, also
etwa auf das Doppelte, ansteigen.

Stärkung der Verbraucher, mehr Wettbewerb im Ener-
giemarkt und Klimaschutz müssen sich ergänzen. Dies
wird gerade im Messwesen bei Strom und Gas deut-
lich. Bislang gibt es ein Monopol des Netzbetreibers für
den Einbau und das Ablesen des Zählers. Damit soll jetzt
Schluss sein, nach dem Motto: Es ist aus damit, dass der
Gasmann zweimal klingeln muss.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Künftig soll jeder Verbraucher selbst bestimmen können,
wer bei ihm den Strom oder das Gas abliest. Mithilfe so-
genannter intelligenter Zähler wollen wir den Strom-
und Gaskunden die Möglichkeit eröffnen, ihren Energie-
verbrauch selbst bedarfsgerecht und kostenoptimal zu
steuern. Man kann dann gleich ablesen, wie viel Strom
gerade gebraucht wird. Die Verbraucherinnen und Ver-
braucher sollen bei der Nutzung der Geräte die günstigs-
ten Tarife wählen und damit leichter sparen können. Das
schont den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Ver-
braucher, und es stärkt die Position der Kunden gegen-
über den großen Energieversorgern. Auch über die muss
ich noch ein paar Worte verlieren.

Wichtigstes Ziel meiner Politik als Bundesminister
für Wirtschaft ist, die Verbraucher zu stärken. Ich meine,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher im Mittel-
punkt unserer Betrachtungsweise stehen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gehört, dass wir den Wettbewerb auf diesem Ge-
biet mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die ich
jetzt nicht alle aufzählen will, gestärkt haben. Ein Bei-
spiel dafür ist die Tatsache, dass die Stromkunden ihre
Anbieter jetzt sehr rasch wechseln können. Ich kann nur
empfehlen, davon Gebrauch zu machen – das geschieht
bereits sehr rege –, dann allerdings immer streng darauf
zu achten, dass der neue Lieferant innerhalb eines Jahres
seine Bedingungen nicht so ändert, dass man wieder
mehr bezahlt. Wir brauchen einfach kostenbewusstere
Verbraucherinnen und Verbraucher.

Die Maßnahmen, die wir zur Stärkung des Wettbe-
werbs und gegen den Missbrauch von Marktmacht im
vergangenen Jahr auf den Weg gebracht haben, beginnen
zu wirken. Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt
machen von ihren neuen Instrumenten rege Gebrauch.
So hat das Bundeskartellamt in den letzten Tagen ein
Preismissbrauchsaufsichtsverfahren gegen 35 Gasver-
sorger eingeleitet.


(Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


– Vielen Dank für den Beifall von ganz links.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die haben aber dagegen gestimmt! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dagegen stimmen und dann klatschen! Eigentor!)


Ich möchte noch einmal betonen: Für die länderüber-
greifenden Gasversorger ist das Bundeskartellamt zu-
ständig. Für diejenigen, die sich auf ein Bundesland be-
schränken, sind es die Landeskartellbehörden. Ich
fordere die Landeskartellbehörden noch einmal nach-
drücklich auf, von ihren gewachsenen Vollmachten Ge-
brauch zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich meine, Gewinne, ja, das ist selbstverständlich; aber
Übermaßgewinne, die manche auf diesem Gebiet zu ver-
einnahmen gewohnt sind, sind total falsch.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
In diesen Tagen findet auch eine Diskussion statt, in
der sich das Bundesumweltamt als Sachverständiger
über eine mögliche Stromlücke im Land zu profilieren
versucht hat. Das ist etwas, worüber wir uns Gedanken
machen müssen. Der Energieminister ist auch für die
Sicherheit der Energieversorgung zuständig. Natür-
lich werden in Deutschland und Europa morgen nicht
plötzlich die Lichter ausgehen. Heute wird aber darüber
entschieden, wie sicher die Versorgung morgen und
übermorgen ist, und vor allen Dingen darüber, wie viel
dann für Strom oder für Gas bezahlt werden muss.

Was wir derzeit in der öffentlichen Debatte erleben,
ist für mich nicht nachvollziehbar. Mit Blick in die Zu-
kunft ist es eigentlich ein Stück weit verantwortungslos.
Neue Kohlekraftwerke finden dort, wo sie gebaut wer-
den sollen, keine Akzeptanz, obwohl sie unter besseren
Bedingungen für die Umwelt produzieren als die jetzt
vorhandenen. Die Verlängerung der Laufzeiten von
Kernkraftwerken ist gegenwärtig ein politisches Tabu,
weil es nicht gelungen ist, sich in der Großen Koalition
zu Beginn entsprechend zu vereinbaren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben uns ja vereinbart!)


– Wir haben uns vereinbart, dass wir nicht einig sind,
Herr Kollege. Das war aber alles. Über mehr haben wir
uns nicht vereinbart.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Selbst der Ausbau erneuerbarer Energien wie der
Windenergie stößt zunehmend auf Widerstände. Der
Doppelausstieg aus Kohle und Kernenergie ist für mich
undenkbar. Die Folge wäre, dass die Energieversorgung
in Deutschland dramatisch in Gefahr geriete. Die erneu-
erbaren Energien könnten eine solche Lücke nicht rasch
genug schließen.

Wir brauchen deshalb eine offene und sachliche Dis-
kussion über die energiepolitische Zukunft unseres Lan-
des; dazu lade ich ein, Herr Kollege Kelber. Mehr Strom
in den Netzen ist die Bedingung dafür, dass Verbrauche-
rinnen und Verbraucher auf die Dauer niedrige Preise be-
kommen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wir freuen uns, dass wir das Gesetz endlich vorgelegt bekommen haben!)


Unabhängig davon, wie der Energiemix zukünftig aus-
sieht, führt an einem Ausbau des Leitungsnetzes kein
Weg vorbei.

Dazu möchte ich noch ein paar Worte sagen: Wenn
man zum Beispiel den Wind aus dem Norden in den Sü-
den bringen will, braucht man neue Leitungen. Der Bau
neuer Leitungstrassen ist sehr unbeliebt. Ich kann das so-
gar nachvollziehen. Wenn wir jedoch alles für teures
Geld unter die Erde legen wollen, dann sind die Hoch-
spannungsleitungen unsicherer, und es kostet ein Vielfa-
ches. Dies müsste dann auf die Verbraucher umgelegt
werden.
Mein Haus arbeitet deshalb für den zweiten Teil des
Energie- und Klimapaketes an einem Netzausbaugesetz.
Ziel ist eine Beschleunigung des Netzausbaus, damit in
die Netze rasch investiert wird. Wir wollen Planungs-
sicherheit für den Netzausbau. Die Vorstellungen der
EU-Kommission zu einer sogenannten eigentumsrecht-
lichen Entflechtung lehnt die Bundesregierung deshalb
ab. Wir wollen nicht, dass das verpflichtend wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen uns auch nicht von der EU-Kommission
vorschreiben lassen, dass wir enteignungsgleiche Ein-
griffe in das Eigentum an Netzen, aber auch an Gaslei-
tungen vorzunehmen haben. Etwas anderes ist es, wenn
ein Unternehmen sein Eigentum freiwillig verkauft, wie
das der Eon-Konzern jetzt offensichtlich vorhat. Ich
weiß nicht, welche Motive dahinterstehen. Vor kurzem
hat dieser Konzern noch eine andere Haltung an den Tag
gelegt. Man hört auch davon, dass irgendwelche Deals
und der Erlass von Kartellstrafen ihn plötzlich in diese
Richtung bewegt haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also geht es doch, Herr Glos!)


Insofern ist das Handeln der EU-Kommission manchmal
etwas mysteriös und nur schwer nachvollziehbar.

Wenn jemand gegen Kartellrecht verstoßen hat, dann
muss er dafür zahlen, finde ich; das darf nicht mit ande-
ren Dingen abgefunden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die faulen Deals, die da offensichtlich gemacht worden
sind, und zwar ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der
Energierat über die verschiedenen Modelle beraten hat,
bedürfen meiner Ansicht nach einer intensiven Überprü-
fung.

Das kam überraschend. In der Sache bin ich natürlich
für so viel Wettbewerb wie möglich. Wenn die Leitun-
gen und die Erzeugung nicht in einer Hand sind – wir
haben gesetzliche Einspeiseberechtigungen schon bevor-
zugt Nichtnetzbesitzern erteilt –, dann ist das im Prinzip
zu begrüßen. Aber es ist eine Reihe von Fragen zu beant-
worten: Wer hält die Netze in Zukunft so intakt, wie das
bis jetzt der Fall gewesen ist? Wer will sie überhaupt
kaufen? Die öffentliche Hand ist dafür am wenigsten ge-
eignet. Was wird aus den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern, die dort beschäftigt sind? Dieser Bereich
ist ja der beschäftigungsintensivste Bereich der Strom-
konzerne. Ich glaube, auf all diese Fragen müssen wir
Antworten finden, und uns muss gerade die Sorge um
die Beschäftigten umtreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich warne deshalb vor Schnellschüssen. Gerade ange-
sichts der Tatsache, dass aus den vorhin genannten
Gründen so viel Geld in den Netzausbau investiert wer-
den muss, wäre es sehr problematisch, wenn Teile der
Netze – es handelt sich ja zunächst um einen Konzern,
der das vorhat, aber andere Konzerne signalisieren






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
ähnliche Absichten – plötzlich den Eigentümer wech-
seln. Wir werden, wie gesagt, all das sehr sorgfältig be-
trachten. Es ist meiner Ansicht nach eine vordringliche
Aufgabe, das sehr genau zu prüfen.

In dem Zusammenhang möchte ich noch sagen: Wir
streben eine Ergänzung des Außenwirtschaftsgesetzes
an, gemäß der eine Mitsprachemöglichkeit bzw. ein Ein-
spruchsrecht der Bundesregierung verankert wird, wenn
Anlagen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung be-
treffen, den Besitzer wechseln oder mehr als 25 Prozent
der Stimmrechte von Betreibern solcher Anlagen erwor-
ben werden. Ich appelliere an alle, die noch unentschlos-
sen sind, dieses Gesetz rasch auf den Weg zu bringen.
Sonst sieht es hinterher möglicherweise so aus, als ob
sich die Gesetzesänderung gegen einen bestimmten Käu-
fer richten würde. Ich fände es gut, wenn es dieses In-
strument gäbe; denn dann könnte man es, wenn man es
braucht, anwenden.

Ich hoffe, dass Unternehmen sich, falls sie einen Ver-
kauf vornehmen – so etwas können wir ja nicht verhin-
dern –, sehr verantwortungsbewusst bei der Auswahl der
Firma, die dann möglicherweise das Netz erwirbt, zeigen
und sich nicht rein nach dem Verkaufserlös richten, son-
dern all die von mir angesprochenen Punkte mitberück-
sichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ansonsten wünsche ich mir eine gute Gesetzesbera-
tung. Wir vom Bundeswirtschaftsministerium sind jeder-
zeit bereit, auftauchende Fragen zu klären.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614800100

Das Wort erhält nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1614800200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-

men! Das EU-Kartellrechtsverfahren gegen Eon ist in
der Vergangenheit, Herr Minister Glos, in der Tat sehr
gespenstig gelaufen. Ich hätte mir gewünscht, dass kein
Deal, so wie es geschehen ist, abgeschlossen worden
wäre, sondern dieses Kartellrechtsverfahren erst einmal
ganz normal durchgeführt worden wäre.


(Beifall bei der FDP)


Mich beunruhigt nicht, dass Eon sein Übertragungsnetz
verkaufen möchte. Dabei handelt es sich um eine freie
unternehmerische Entscheidung. Diesen Schritt würden
wir durchaus begrüßen. Es kann aber nicht sein, dass ein
Deal geschlossen wird, wobei wir den „Preis“ dafür
nicht erfahren. So etwas sollte es nicht geben.

Gerade in der Energiewirtschaft brauchen wir struk-
turelle Reformen. Wir müssen hier Strukturen aufbre-
chen. Dabei geht es darum, dass die Stromerzeugung
von der Netzverantwortung in gewisser Weise getrennt
wird. Wir haben hierzu einen entsprechenden Antrag
eingebracht und darin festgehalten: Die eigentumsrecht-
liche Entflechtung stellt für uns die Ultima Ratio dar.
Zugleich haben wir in einem weiteren Antrag die Schaf-
fung einer Netz AG für Deutschland, in die alle Netze
von Netzbetreibern eingebracht werden, vorgeschlagen.
Eine solche Netz AG sollte unabhängig arbeiten und In-
vestitionsentscheidungen treffen können, also alle Ver-
antwortung für die Netze tragen, damit auf der einen
Seite dem Durcheinander und auf der anderen Seite der
Marktkonzentration, die wir augenblicklich haben, ein
Ende gemacht wird. Außerdem wollen wir eine Ent-
flechtungsnorm aufnehmen. Auch das ist eine wichtige
Forderung. Das Kartellamt muss die Möglichkeit haben,
bestimmte Strukturen gerade im Erzeugungsbereich auf-
zubrechen. Dazu braucht man mehr als nur einige
wenige Gesetzeskorrekturen, nämlich vielmehr ein
Schwert, mit dessen Hilfe entsprechende Maßnahmen
tatsächlich durchgesetzt werden können.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


Was in die derzeitige politische Landschaft passt, das
ist die Frage, wer, wenn jemand die Netze verkauft, sie
kaufen soll. Plötzlich kommt die Debatte auf, ob nicht
der Staat der Eigentümer der Netze sein sollte. Diese
Einstellung aufseiten der Linken wundert mich nicht.
Aber in Richtung SPD und Grünen muss ich sagen: Wir
haben doch erlebt, dass der Staat eben nicht der bessere
Verwalter ist. Als Beispiel nenne ich die Bahn. Hier sind
wir derzeit in schwierigsten Privatisierungsberatungen.
Dies zeigt, dass es nicht sinnvoll ist, den Staat zum Ver-
walter zu machen. Die DDR haben wir mit all den wirt-
schaftspolitischen Dissonanzen, die es dabei gegeben
hat, hinter uns gelassen.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Das kann es nicht sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, Herr Minister Glos, dass Sie die Kraft ha-
ben, sich hier durchzusetzen, und dass Sie die Marktöff-
nung an dieser Stelle positiv begleiten und nicht durch
mehr Staat intervenieren wollen.

Wir haben heute den Gesetzentwurf zur Förderung
der Kraft-Wärme-Kopplung vorliegen. Beim Kraft-
Wärme-Kopplungsgesetz, das ja ein weiteres Mal verän-
dert werden soll, gibt es eine Besonderheit. Die Aus-
gangslage war, dass auf der Basis der Daten von 1998 im
Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung von 2002 bis 2005
CO2-Einsparungen im Umfang von 10 Millionen Tonnen
und bis 2010 im Umfang von mindestens 20 Millionen
Tonnen erfolgen sollen. In der Zwischenzeit hat die Bun-
desregierung einen Bericht, eine Art Zwischenbilanz,
vorgelegt. Dieser Bericht gibt sehr klar und deutlich zu
erkennen, dass diese Einsparungen nicht annähernd er-
reicht wurden. Das heißt, das Instrument hat nicht ge-
wirkt. Die Bundesregierung hat jetzt entschieden, einen
Turnaround zu machen und zu sagen, wir wollen weiter
fördern, weil das Ergebnis nicht gestimmt hat, und zwar
so lange, bis ein Ergebnis herauskommt, das uns passt.






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass durch das
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz bis 2010 mit Zusatzkos-
ten, die die Verbraucher zu tragen haben, im Umfang
von 5,6 Milliarden Euro zu rechnen ist. Das bedeutet
eine Steigerung der Kosten bis 2010 um 1,2 Milliarden
Euro. Wer hat diese Zusatzkosten zu tragen? – Natürlich
wieder einmal die Energiekunden. Das ist nicht akzepta-
bel, ganz zu schweigen davon, dass auch diese Änderung
des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes im Grunde ge-
nommen technologieselektiv ist. Hier will Politik eine
ganz bestimmte Technologie umsetzen. Auch wenn die
Instrumente nicht greifen und das Ergebnis nicht zufrie-
denstellend ist, soll weitergemacht werden. Nun, so hat
Minister Glos ausgeführt, sollen bis 2020 25 Prozent
des gesamten Stroms in Deutschland durch Kraft-
Wärme-Kopplung erzeugt und damit eine Verdoppelung
vorgenommen werden.

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass mit der Verlän-
gerung der Laufzeit des Gesetzes auch eine Ausweitung
des Geltungsbereichs einhergeht. Es sollen jetzt nicht
nur kleinere Anlagen Fördermittel beantragen dürfen,
sondern auch größere Anlagen.


(Dirk Becker [SPD]: Das ist doch gut so! Das ist der Erfolg dieses Gesetzes!)


Das heißt, die Größengrenzen werden gestrichen und die
Wärmenetze sollen mit in die Förderung hinein. Die An-
zahl der zu fördernden Anlagen und Netze wird also stei-
gen. Es wird ein Finanzvolumen von 750 Millionen Euro
pro Jahr aufgesetzt, und zwar gedeckelt. Darüber hinaus
soll für diejenigen, die solche Anlagen betreiben, die
Möglichkeit bestehen, bis Ende 2014 ihren Dauerbetrieb
anzumelden. Die Förderung würde dann bis 2020 laufen.
Das bedeutet im Umkehreffekt: Durch die Änderung
dieses Gesetzes werden – wiederum zulasten der Ver-
braucher – bis 2020 weitere 7,5 Milliarden Euro als
Fördermittel gebunden. Dieses Kraft-Wärme-Kopp-
lungsgesetz entwickelt sich zu einem Dauersubventions-
instrument. Wir haben davon ja schon einige andere; das
kennen wir aus der Vergangenheit. Das können wir von
der FDP-Bundestagsfraktion nicht akzeptieren.


(Beifall bei der FDP)


Wir sagen: Die neuen Fördertatbestände bringen neue
Informationspflichten, also neue Bürokratie, mit sich.
Pro Jahr fallen dadurch Verwaltungskosten von circa
430 000 Euro für die jeweiligen Einheiten an. Diese Be-
lastungen entstehen Wirtschaft und Verwaltung in die-
sem Bereich zusätzlich.

Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben schon lange
gefordert, dass die Instrumente, die angewandt werden,
um Klimaschutz zu realisieren, dringend durchforstet
werden müssen. Die Liberalen haben den Entwurf eines
Wärmegesetzes eingebracht. Dieses Wärmegesetz
sollte in den Emissionshandel integriert werden. Dann
gäbe es an dieser Stelle Klimaschutz plus Kosteneffi-
zienz und somit eine ganz andere Bilanz.

Das, was die Bundesregierung jetzt andenkt, also eine
Verlängerung der Geltungsdauer des Kraft-Wärme-
Kopplungsgesetzes, mit dem die festgelegten Ziele – ich
sage es noch einmal sehr deutlich – nicht erreicht, son-
dern verfehlt worden sind und das zusätzliche Kosten
verursacht, wird die Verbraucher unter dem Strich belas-
ten, ohne dass es zu dem notwendigen Ergebnis und zur
Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente kommt.
Dies lehnen wir deutlich ab.


(Beifall bei der FDP)


Zu dieser Debatte passt eine Umfrage. An diese will
ich erinnern, weil natürlich immer wieder die Frage im
Raum steht, wie nahe wir in der Energiepolitik an der
Realisierung unseres Zielkanons, bestehend aus Klima-
schutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicher-
heit, sind. In einer aktuellen Umfrage des Mannheimer
Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung wurden
200 Energieexperten aus Deutschland danach befragt,
was nach ihrer Beobachtung Priorität in der Energiepoli-
tik hat, die die Bundesregierung betreibt. Die Forscher
sagten: Höchste Priorität hat bei der Bundesregierung
mit 61 Prozent die Umweltverträglichkeit, nur noch mit
25 Prozent die Wirtschaftlichkeit und mit mageren
14 Prozent die Versorgungssicherheit.

Herr Minister Glos, das zeigt sehr deutlich: Sie haben
bescheinigt bekommen, dass das, was Sie leisten, nicht
dazu beiträgt, dass der in der Energiepolitik bestehende
Zielkanon, der gerade für die Wirtschaftspolitik, für Sie
als Ressortleiter von besonderer Bedeutung wäre, ausge-
wogen realisiert wird. Sie müssten dafür sorgen, dass
Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit eine Ein-
heit mit dem Klimaschutz bilden können. Das tun Sie
leider bis heute nicht. Deshalb mahnen wir Liberalen Sie
noch einmal: Tun Sie etwas, um diesen Zielkanon end-
lich in ein Gleichgewicht zu bringen! Sorgen Sie für
mehr Wettbewerb und sorgen Sie auch dafür, dass die
Privatverbraucher genauso wie die Unternehmen in un-
serem Land nicht über Gebühr mit Kosten belastet wer-
den, wodurch sie weniger wettbewerbsfähig sind!


(Beifall bei der FDP)


Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen heute einen
Antrag vor, der sich mit mehr Wettbewerb im Messwe-
sen im Strom- und Gasbereich befasst. Gerade im Mess-
bereich gibt es eine große Chance. In den Haushalten
und Unternehmen gibt es 125 Millionen Messgeräte für
Wasser, Strom und Gas. Hier Wettbewerb zu schaffen
und mit intelligenten Zählern und Messmethoden den
Verbrauchern zu verdeutlichen, wann sie wie viel Strom
verbrauchen und wie sie ihren Stromverbrauch regulie-
ren können, bietet eine hervorragende Chance, Gebühren
zu sparen. Diese Chance gibt es sowohl für die Wirt-
schaft als auch für die Privatverbraucher.

Herr Minister Glos, zwei Dinge sind nach unserer An-
sicht nicht in Ordnung: Sie treten in Ihrem Gesetzent-
wurf für eine Öffnung des Messwesens innerhalb von
sechs Jahren ein. Sie möchten, dass zunächst das Ge-
werbe und die Industrie davon profitieren und erst dann,
zeitversetzt, die Privatkunden, also die Haushalte. Zu
dieser Abstufung sagen wir: Sie sind nicht ehrgeizig ge-
nug. Gehen Sie schneller voran. Sie brauchen keine
sechs Jahre, um die Marktöffnung zustande zu bringen.
Sorgen Sie dafür, dass die Marktöffnung schnellstmög-
lich erfolgt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614800300

Frau Kollegin, bitte.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1614800400

Legen Sie die notwendige Verordnung vor und sorgen

Sie dafür, dass die Privatkunden von der Öffnung ge-
nauso profitieren wie die Gewerbe- und Industriekun-
den.


(Beifall bei der FDP)


Das nützt den Verbrauchern und wäre eine konsequente,
marktorientierte Energiepolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614800500

Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann,

SPD-Fraktion.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1614800600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Auch wenn wir gerne über vieles andere reden, beschäf-
tigen wir uns heute vor allen Dingen mit der Novelle des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, des KWKG. Für viele
von uns ist das ein vertrautes Thema. Spätestens seit den
Koalitionsverhandlungen fordern einige Fraktionen, un-
ter anderem die SPD-Fraktion, die Vorlage eines Moni-
toringberichts. Es war klar, dass in diesem Bereich
Handlungsbedarf besteht. Mit dem am 5. Dezember im
Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf wurde eine trag-
fähige Grundlage für die parlamentarischen Beratungen
geschaffen, die von allen an der Kraft-Wärme-Kopplung
Interessierten positiv aufgenommen wurde. Vielen Dank
dafür.

Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist neben
der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des
EEG, und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ein
Schwerpunktthema des integrierten Energie- und Kli-
mapakets der Bundesregierung. Zu der geplanten Re-
duktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis zum
Jahr 2020 soll dieses Paket mit einer Minderung des
CO2-Ausstoßes um 36 Prozent beitragen.

Der Ausbau der hocheffizienten KWK – im Jahr 2020
sollen 25 Prozent des Stromverbrauchs durch KWK ge-
deckt werden – ist ein unverzichtbarer Bestandteil dieser
Strategie. Die Verdopplung des KWK-Anteils – heute
liegt er bei etwa 12 Prozent – wird zu einer jährlichen
Reduktion der CO2-Emissionen um knapp 15 Millionen
Tonnen führen; der Minister hat das eben schon erwähnt.
Dieses Potenzial – ich denke, darüber sind wir uns in
diesem Hause einig – darf nicht ungenutzt bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Spätestens seit Vorlage des Monitoringberichts zum
derzeit geltenden KWKG wissen wir, dass auf diesem
Sektor Handlungsbedarf besteht. Der KWK-Anteil
konnte in den letzten Jahren gerade einmal stabilisiert
werden – insbesondere aufgrund von Investitionen kom-
munaler Unternehmen. Gleichzeitig hat die Zwischen-
prüfung, also der Monitoringbericht, gezeigt, dass auf
der Grundlage des bisherigen Gesetzes das CO2-Minde-
rungsziel für das Jahr 2010 nicht erreicht werden kann.
Unter anderem deshalb haben wir frühzeitig zu dieser
Novelle gedrängt. Nach dem Motto „Besser spät als nie“
freuen wir uns, dass der Entwurf heute vorliegt.

Die KWK ist die effizienteste Technologie zur Aus-
nutzung des Energiegehaltes eines Primärenergieträgers.
Wir können mit ihr nach dem derzeitigen Stand der
Technik Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent erreichen.
Sie leistet damit nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur
Minderung des CO2-Ausstoßes, sondern trägt auch zur
Ressourcenschonung bei. Aufgrund dieser Vorteile ist
das 25-Prozent-Ziel für 2020 auch kein End-, sondern
ein Zwischenziel. Wir können davon ausgehen – das
vom BMWi ausgegebene Gutachten macht das deutlich –,
dass hier noch weitere Potenziale schlummern, die mit-
telfristig gehoben werden sollten.

Wir setzen nicht auf ein einzelnes Instrument zur För-
derung der Kraft-Wärme-Kopplung, sondern wir schaf-
fen neben dem KWKG auch an anderen Stellen geeig-
nete Rahmenbedingungen für die KWK, unter anderem
im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Denn – viele haben
das beobachtet – gerade in Regionen, in denen es hohe
Anteile sowohl von erneuerbaren Energien als auch von
Kraft-Wärme-Kopplung gibt, haben wir es durchaus mit
einem Konkurrenzverhältnis zwischen beiden zu tun.
Deswegen wird jetzt im KWKG eine Gleichbehandlung
von KWK und erneuerbaren Energien eingeführt. Zu-
gleich streben wir in der Novelle des EEG eine verbes-
serte Netzintegration der erneuerbaren Energien an. Das
schafft mehr Planbarkeit in diesem Bereich und ent-
schärft die Binnenkonkurrenz zwischen KWK und er-
neuerbaren Energien.

Ein zweiter Bereich, in dem wir die Rahmenbedin-
gungen für KWK setzen, ist der Emissionshandel. Hier
haben wir eine Doppelbenchmark für den Nationalen Al-
lokationsplan bis zum Jahre 2012 durchgesetzt. Das
heißt, es gibt eine Zuteilung sowohl für den Strom- wie
für den Wärmeanteil. Wir wollen diese Präferenz der
KWK auch weiterhin, also auch nach 2012, erhalten.
Wir begrüßen deswegen den Kommissionsvorschlag, für
die Wärmeproduktion im Bereich der KWK keine Ver-
steigerung von Zertifikaten vorzusehen.


(Beifall bei der SPD)


Dennoch – auch wenn diese Instrumente wichtig sind –
ist das KWKG das zentrale Instrument zur Förderung
dieser Technologie. Deswegen wollen wir an dieser ent-
scheidenden Baustelle schnell vorankommen. Wir bauen
im Gesetzentwurf weiterhin auf eine umlagefinanzierte
Förderung der KWK – das ist richtig –, aber wir stehen
dazu, dass wir auch neue Fördertatbestände schaffen. Es
ist klargeworden, dass wir allein mit den bisherigen Mit-
teln die ambitionierten Ziele nicht erreichen werden.

Wir setzen die Förderung modernisierter KWK-Anla-
gen fort. Hinzu kommt aber, dass wir neu errichtete
KWK-Anlagen ohne Größenbeschränkungen fördern
und die industrielle Eigenerzeugung einbeziehen wollen.






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
All diese Schritte sind notwendig, um die vorgegebenen
Mengenziele erreichen zu können. Im Übrigen – das ist
jedenfalls ein Petitum unserer Fraktion – sollten wir
überprüfen, ob wir Eigenerzeugung nur in der Industrie
oder auch in anderen Branchen und Sektoren – im Han-
del, im Gewerbe, im Dienstleistungssektor – einbezie-
hen. Ich denke, die Trennung, wie wir sie bisher im Ent-
wurf haben, macht relativ wenig Sinn.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben einige andere Petita, die wir im Rahmen
der parlamentarischen Beratungen ansprechen werden.
So ist durchaus darüber zu diskutieren, dass wir zur Ziel-
erreichung mindestens die zugesagten Mittel flexibler
über die Jahre verwenden können. Möglicherweise muss
man auch über eine Mittelerhöhung nachdenken. Wir
brauchen mit Sicherheit eine Verlängerung der Anmel-
defristen über den 31. Dezember 2014 hinaus. Ich will
nur einen Grund nennen, der für eine solche Fristverlän-
gerung spricht: Wir alle wissen, dass wir im Kraftwerks-
bereich – das gilt im Übrigen für Anlagen bei erneuerba-
ren Energien genauso wie in jedem anderen Bereich,
also auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung – einen stark
überhitzten Kraftwerksbaumarkt haben. Das führt zu
Knappheiten und erhöhten Preisen. Dies lässt sich am
besten durch eine Streckung des Investitionszeitraums
ausgleichen. Insofern ist auch eine entsprechende Ver-
längerung der Anmeldefristen notwendig.


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer uns wichtiger Punkt betrifft die Förder-
abbrüche, die wir bei den kleinen KWK-Anlagen kom-
men sehen. Hier gibt es eine sprunghafte Entwicklung.
Die Förderung in bestimmtem Umfang bei kleinen und
in geringerem bei größeren KWK-Anlagen wollen wir
durch gleitendere Regelungen ersetzt sehen. Hier haben
wir also – Sie sehen das – noch eine ganze Menge Detail-
arbeit vor uns.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass in dem vorliegenden
Entwurf auch der Aus- und Neubau von Nah- und Fern-
wärmenetzen vorgesehen ist. Hier sollen Investitionszu-
schüsse gegeben werden. Ich glaube, das ist eine ganz
wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Gesetzes
insgesamt. Schließlich ist die Erschließung von Wärme-
senken notwendig, um die zusätzlichen Wärmepoten-
ziale, die wir durch die Erhöhung des Anteils der KWK
schaffen wollen, auch vermarkten zu können.

Meine Damen und Herren, ich denke, dass viele Fra-
gen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen,
durch den vorliegenden Gesetzentwurf schon beantwor-
tet sind. Über einige andere Fragen, die ich gerade auf-
gezählt habe, werden wir in der weiteren Debatte noch
zu diskutieren haben.

Klar ist: Die KWK trägt zur weiteren Dezentralisie-
rung unserer Energieversorgungslandschaft bei. Sie
führt uns ein Stück weit weg von den großen Kondensa-
tionskraftwerken und hin zur Erhaltung lokaler Wert-
schöpfung und lokaler Arbeitsplätze. Sie stärkt die
Stadtwerke, die ihren Strom bereits zu über 80 Prozent
durch KWK erzeugen. Damit stärkt sie auch die Anbie-
tervielfalt und den Wettbewerb. Das sind viele zusätzli-
che Argumente, die dafür sprechen, die Kraft-Wärme-
Kopplung weiterzuentwickeln.

Auch wenn wir im Bereich der erneuerbaren Energien
bis zum Jahre 2020 sehr erfolgreich sind und es schaf-
fen, ihren Anteil an der Stromerzeugung auf 30 Prozent
zu erhöhen, ist für uns klar, dass wir in großem Umfang
auch fossile Energieträger verstromen müssen, hier in
Deutschland, vor allem aber im Ausland, insbesondere
in Schwellenländern wie China und Indien. Wenn wir
bei der KWK Fortschritte erzielen, dann können wir na-
tional und international einen Beitrag zur klimaverträgli-
chen Nutzung fossiler Energieträger leisten. Das ist gut
für das Klima. Das ist aber auch gut für unseren Export.
Deswegen glaube ich, dass wir auf dem richtigen Weg
sind.

In den letzten Monaten haben wir erlebt, dass Neu-
investitionen in Kraftwerke, insbesondere in Kohle-
kraftwerke, vor Ort auf Widerstände stoßen. Das ist in
gewissem Umfang nachvollziehbar, zum Beispiel dann,
wenn es um große Kondensationskraftwerke geht. Ich
persönlich glaube allerdings, dass wir auch in diesem
Bereich nicht ganz ohne neue Kraftwerke auskommen
werden. Schließlich sollen sie alte, klimaschädliche An-
lagen ersetzen. Jedenfalls ist klar: Wir alle müssen ein
großes Interesse daran haben, dass neue Kraftwerke ent-
stehen, die auf der Basis von Kraft-Wärme-Kopplung
betrieben werden. Es werden aber auch solche dabei
sein, die mit Kohle befeuert werden.

Ich denke, es ist auch die Aufgabe von Politik, hier
für Aufklärung und Akzeptanz zu sorgen. Wir brauchen
in Deutschland eine Art Arbeitsteilung. Wir müssen eine
sichere Energieversorgung, die Schaffung der Rahmen-
bedingungen für die Erhaltung von Industriearbeitsplät-
zen in der energieverbrauchenden Industrie und unsere
anspruchsvollen Klimaschutzziele miteinander verbin-
den. Das wird nicht funktionieren, wenn man republik-
weit überall CO2-freie Zonen einrichtet. Auch die Regio-
nen müssen bereit sein, über neue KWK-betriebene
Kraftwerke hinaus einen Beitrag zu leisten.


(Beifall bei der SPD)


Ansonsten würden wir von den Realitäten sehr schnell
überholt.

Wir müssen an vielen Fronten gleichzeitig erfolgreich
sein. Wir brauchen den massiven Ausbau der erneuerba-
ren Energien; dazu haben wir in der letzten Sitzungs-
woche die erste Lesung des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes
durchgeführt. Wir brauchen eine massive Steigerung der
Energieeffizienz auf der Angebots- und auf der Nachfra-
geseite; dazu werden wir entsprechende Maßnahmenpa-
kete auf der Basis der Beschlüsse von Meseberg vorle-
gen. Wir brauchen die Modernisierung des fossilen
Kraftwerksparks, und zwar möglichst unter Einsatz der
umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung. Wenn wir
diese drei Ansätze parallel verfolgen, dann ist das eine
gute Voraussetzung sowohl für Fortschritte im Bereich
der Ökologie als auch im Bereich der Ökonomie.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der heute bereits ange-
sprochen worden ist und den auch ich nicht unerwähnt






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
lassen will, betrifft die Netze. Auch eine wettbewerbs-
neutrale Organisation des Netzbetriebes muss in unser
aller Interesse liegen. Wir brauchen einen diskriminie-
rungsfreien Zugang zu den Netzen, wir müssen mög-
lichst vielen Anbietern eine faire Chance auf diesem
Markt geben, wenn wir den Wettbewerb vorantreiben
wollen. Wir brauchen aber auch den Ausbau der Netze.
Denn es ist klar, dass unsere Netze, wenn unsere Ener-
gieversorgung durch KWK und durch erneuerbare Ener-
gien dezentralisiert wird, immer leistungsfähiger werden
müssen. Wir brauchen deswegen Rahmenbedingungen,
die auf ein angemessenes Netzentgelt abzielen. Es muss
am Ende so sein, dass der Verbraucher keinen Euro mehr
zahlt als notwendig, zugleich aber Renditen erzielt wer-
den können, die Investitionen in die Netze attraktiv hal-
ten. Das ist ein schwieriger Balanceakt, insbesondere für
die Bundesnetzagentur. Aber Enteignungsfantasien, Ent-
flechtungsvorschläge, wie sie aus Brüssel kommen, ha-
ben nicht den Nachweis gebracht, dass sie zu dem ge-
wünschten Doppelziel – zu sinkenden Preisen und mehr
Investitionen – führen; wer sich die Zahlen des United
Kingdom anschaut, wird zu diesem Ergebnis kommen.

Meine Redezeit ist abgelaufen, und ich möchte nicht
dem nächsten Redner unserer Fraktion Redezeit stehlen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614800700

Der nächste Redner – dem Sie die Redezeit nicht

stehlen können – ist der Kollege Oskar Lafontaine für
die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Oskar Lafontaine (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614800800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich verstehe ja, dass Sie mir gern die Redezeit steh-
len würden; aber da steht die parlamentarische Ge-
schäftsordnung davor. Insofern müssen Sie jetzt zuhören.

Es war heute Morgen schon von der sozialen Markt-
wirtschaft die Rede. Wir definieren soziale Marktwirt-
schaft als eine wirtschaftliche Ordnung, die Lohndum-
ping und Monopolpreise verhindert. Wenn wir die
Situation in unserem Lande betrachten, müssen wir fest-
stellen, dass wir nicht besonders erfolgreich gearbeitet
haben: Wir haben derzeit fallende Löhne, also echtes
Lohndumping, während die Monopolpreise steigen. Das
ist das Gegenteil von dem, was das Ergebnis der Ord-
nungs- und Wirtschaftspolitik einer sozialen Marktwirt-
schaft sein müsste.


(Beifall bei der LINKEN)


Es hat keinen Sinn, wenn wir hier – dieser Ansatz ist
ja unstreitig – über die energetischen Wirkungsgrade der
Kraft-Wärme-Kopplung dozieren. Die Frage ist viel-
mehr, in welchem politischen Umfeld wir diskutieren:
Viele Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland lei-
den zurzeit darunter, dass sie fallende Löhne, fallende
Renten zu verkraften haben, während die Monopolpreise
schamlos steigen. Das muss das Thema der heutigen De-
batte sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich widme mich jetzt nicht den fallenden Löhnen, ich
widme mich den steigenden Preisen und sage, dass die
bisherige Ordnungspolitik der Regierung schlicht und
einfach nicht die gewünschten Erfolge hat oder, wenn
man so will, dass in den letzten Jahren eine Ordnungs-
politik gemacht worden ist, deren Ergebnisse im Gegen-
satz zu den Zielen stehen, die immer wieder vorgetragen
werden. Die Monopolunternehmen kassieren immer
noch schamlos ab. Die Leidtragenden sind die Bürgerin-
nen und Bürger, die, ich sage es noch einmal, mit fallen-
den Löhnen und fallenden Renten konfrontiert sind. Das
ist die Lage in Deutschland.


(Beifall bei der LINKEN)


Was kann man machen, um diese Entwicklung zu ver-
hindern? Es gibt einen Ansatz, den die Linke schon
mehrfach vorgetragen hat und den auch andere Fraktio-
nen befürworten: Das ist eine Verschärfung der Kartell-
gesetzgebung. Eine verschärfte Kartellgesetzgebung ist
in einer marktwirtschaftlichen Ordnung die einzige
Möglichkeit, Monopole zu bekämpfen und dafür zu sor-
gen, dass der Wettbewerb seine soziale Funktion erfüllt:
zu Preisen zu führen, die akzeptabel sind. Monopole ha-
ben die Folgen, die ich angesprochen habe. Die Linke ist
für eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung, weil es
nicht darum geht – ich zitiere das sehr gerne –, wirt-
schaftliche Macht zu kontrollieren, sondern darum, wirt-
schaftliche Macht überhaupt zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein Ansatz, für den ich mich immer wieder aus-
gesprochen habe. Ich berufe mich hier nicht auf Karl
Marx, sondern auf Walter Eucken – damit Sie wissen,
woher dieser Ansatz kommt.

Es ist nicht gelungen, wirtschaftliche Macht zu kon-
trollieren. Wir haben in Deutschland Monopolunterneh-
men, die die Energiepolitik in den letzten Jahren weitge-
hend bestimmt haben und die teilweise über Lobbyisten
die Gesetzgebung beeinflusst haben, was zu den negati-
ven Folgen geführt hat, mit denen wir heute konfrontiert
sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Kartellgesetzge-
bung verschärft wurde und dass die Verfahren nicht län-
ger auf die Stromerzeuger beschränkt bleiben, sondern
auch auf die Gasversorger ausgedehnt werden. Das war
notwendig.

Ich stimme der Kritik durchaus zu: Es geht nicht an,
dass sich die Monopolunternehmen mit einigen Gesten
freikaufen können. Die Kartellverfahren sollten durch-
gezogen werden, damit Vertrauen in solche Verfahren
entsteht und nicht damit gerechnet werden muss, dass
der Lobbyismus wieder zu einem Deal führt und die
Kartellverfahren zurückgezogen werden.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
Erstens ist also – darin besteht offensichtlich Überein-
stimmung – eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung
notwendig, wenn wir Monopolpreise verhindern wollen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wer hat denn gegen eine verschärfte Kartellgesetzgebung gestimmt? Unangenehmes wird ignoriert!)


Zweitens stellt sich die Frage – darin gibt es unterschied-
liche Auffassungen –, wer für die Netze zuständig sein
soll. In der Fachdebatte ist es weitgehend unstreitig, dass
man die Netze von den Stromerzeugern trennen sollte.
Ich wundere mich, dass die Bundesregierung in dieser
Frage den falschen ordnungspolitischen Ansatzpunkt
vertritt – damit ist sie innerhalb der Europäischen Union
ziemlich isoliert –, Netzbetrieb und Stromerzeugung
nicht zu trennen. Das passt ordnungspolitisch wie die
Faust aufs Auge. Denn wenn man an dieser Position
festhält, dann wird es nicht gelingen, Monopolpreise zu
verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Daher treten wir für die Trennung der Netze von den
Stromerzeugern ein.

Daraus ergibt sich die Frage, wem die Netze übertra-
gen werden sollen. Dabei kann ich mich mit einem ge-
wissen Vergnügen auf Hermann Scheer berufen. Denn er
hat sich als ein Energiepolitiker ausgewiesen, der tat-
sächlich die Verbraucher und den Umweltschutz im
Blick hat. Er fordert eine öffentliche Netzbetriebsgesell-
schaft unter gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und
der Länder, die Eigentümer aller Stromübertragungs-
netze werden sollten. Stromnetze seien unverzichtbarer
Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur und gehörten
zur Daseinsvorsorge ebenso wie Straßen und Schienen.
Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche
Hand könnte Scheer zufolge über die Netznutzungsge-
bühren refinanziert werden. Eine öffentliche Netzgesell-
schaft sei zudem neutral gegenüber allen Stromproduzen-
ten und könne behördlich zum Netzerhalt und -ausbau
verpflichtet werden.

Damit trifft Hermann Scheer den Kern der Sache.


(Beifall bei der LINKEN)


Die private Nutzung der Netze hat nur dazu geführt – das
hat das Beispiel Eon gezeigt –, dass man auf der einen
Seite überhöhte Preise fordert, aber auf der anderen Seite
die notwendigen Netzinvestitionen unterlässt, und wenn
man Schwierigkeiten mit der Kartellbehörde bekommt,
bietet man das mehr oder weniger marode Netz anderen
an. Dass man sich so der Verantwortung entziehen kann,
ist die Folge einer falschen wirtschaftlichen Ordnung im
Stromsektor.


(Beifall bei der LINKEN)


An dieser Stelle will ich mit besonderem Genuss da-
rauf hinweisen, dass die Kollegen der SPD-Fraktion ihre
Vorlagen überarbeiten müssen. Wenn Sie sich mit den
vermeintlich völlig unhaltbaren Forderungen der Linken
auseinandersetzen, gilt der Vorschlag, die Netze in öf-
fentliche Hand zu übertragen, immer als sehr kosten-
trächtig. Wir begrüßen es außerordentlich, dass dieser
Vorschlag jetzt aus Ihren eigenen Reihen kommt. Das ist
durchaus eine Veränderung.

Zur Kostensituation möchte ich Folgendes feststellen
– leider ist der Kollege Struck nicht anwesend; vielleicht
kann man es ihm ausrichten –: Man muss die Prozent-
rechnung beherrschen. Die einzige geistige Aufgabe, die
man leisten muss, besteht darin, 5 Prozent des Sozialpro-
dukts zu errechnen. Wenn man das ausrechnet, dann er-
kennt man, dass die gesamte Argumentation gegen die
Linke in sich zusammenfällt.

Ich wiederhole mein Angebot: Ich schenke demjeni-
gen eine goldene Uhr, der widerlegt, dass in Deutschland
bei der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote
Europas in den letzten Jahren keine einzige soziale Kür-
zung notwendig gewesen wäre. All diese Kürzungen wa-
ren ein einziger Betrug, weil man nicht in der Lage war,
in Deutschland eine durchschnittliche Steuer- und Abga-
benquote zu erheben, die dem europäischen Durch-
schnitt entspricht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fordere also alle neoliberalen Professoren, Journalis-
ten und Abgeordneten auf, diesen Satz zu widerlegen.
Eine goldene Uhr müsste eigentlich ein Anreiz sein.

Aber zurück zum Thema. Wir halten eine öffentliche
Netzstruktur für notwendig. Der dritte Vorschlag der
Linken, neben der Verschärfung des Kartellrechts und
einer öffentlichen Netzstruktur, ist die Rekommunali-
sierung der Energieversorgung. Das wird auch durch
meinen Vorredner Herrn Hempelmann gestützt. Sie ha-
ben darauf hingewiesen, dass die Kraft-Wärme-Kopp-
lung gerade im kommunalen Bereich finanziert worden
ist. Das hat seine Gründe. Es hängt mit den Auseinander-
setzungen zusammen, zu denen es häufig kommt, wenn
vor Ort größere Kraftwerksanlagen durchgeboxt werden
sollen.

Wir hatten eine ähnliche Situation in einer saarländi-
schen Gemeinde, in der RWE die Leistung eines Kraft-
werksblocks von 400 Megawatt auf 1 600 Megawatt er-
höhen wollte. Hätte man dort beispielsweise eine Kraft-
Wärme-Kopplungsanlage auf einer vernünftigen Mega-
wattbasis angeboten, dann wäre das sicherlich bei den
Bürgerinnen und Bürgern auf große Zustimmung gesto-
ßen. Wenn man aber die bisherige falsche Politik fortsetzt,
den Monopolisten große Kraftwerksanlagen zu genehmi-
gen, die keinen vernünftigen Effizienzgrad erreichen,
dann ist es richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger eine
solche verfehlte Politik ablehnen. Das ist der entschei-
dende Zusammenhang.


(Beifall bei der LINKEN)


Aus diesen Gründen ist die Linke für eine Rekommu-
nalisierung der Energieversorgung. Dies ist nach unserer
Auffassung ein geeignetes Instrument, um dem jetzigen
Trend steigender Monopolpreise entgegenzuwirken und
dem Gedanken des Umweltschutzes Rechnung zu tra-
gen. Aufgrund von Naturgesetzen ist es unwiderlegbar,
dass eine dezentrale Energieversorgung die umweltge-
rechteste Energieversorgung ist. Wenn man eine dezen-
trale Energieversorgung will, dann braucht man ein






(A) (C)



(B) (D)


Oskar Lafontaine
kartellrechtliches Vorgehen gegen die bisherigen Anbie-
ter, die alles im Sinn haben, aber nicht eine dezentrale
kleinräumige Energieversorgung.

Eine dezentrale Energieversorgung ist aber nicht nur
ökologisch, sondern auch beschäftigungspolitisch sinn-
voll, wie alle Untersuchungen in den letzten Jahren ge-
zeigt haben. Man kann hier tatsächlich vieles zusam-
menbinden. Wenn man akzeptiert, dass man bei
Ökologie nicht nur an Umweltschutz denken darf, son-
dern diesen Gedanken mit der sozialen Frage verbinden
muss, dann muss man alle ordnungspolitischen Wei-
chenstellungen so vornehmen, dass das Soziale mit dem
Ökologischen verbunden wird; das heißt, man muss Mo-
nopolpreise unterbinden. Das heißt für uns auch eine Ver-
schärfung des Kartellrechts und – das wiederhole ich –
eine öffentliche Netzstruktur, damit man wirklich Wett-
bewerb organisieren kann.

Es bringt nichts – das ist ein großer Irrtum –, den ei-
nen privaten Eigentümer zu wechseln und ihn durch ei-
nen anderen privaten Eigentümer zu ersetzen. Auch die-
ser wird im Sinne haben, hohe Erträge und Renditen zu
erwirtschaften. Damit wird er genauso preistreibend wie
die bisherigen Netzeigentümer wirken. Geben Sie diesen
verfehlten ordnungspolitischen Ansatz endlich auf!


(Beifall bei der LINKEN)


Da Sie eben wieder von der DDR angefangen haben,
muss ich Ihnen sagen, dass das langsam ein bisschen bil-
lig und nervend ist. Im Norden Europas befindet sich
nicht die DDR. Wenn Sie beispielsweise in Dänemark
oder Schweden Verhältnisse wie in der DDR festgestellt
haben, dann haben Sie vielleicht eine falsche Sichtweise.
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man in diesen
Staaten sehr gute Erfahrungen mit der öffentlichen Netz-
struktur gemacht hat. Ich fahre gerne mit Ihnen dorthin
und unterhalte mich vor Ort mit konservativen und auch
liberalen Politikerinnen und Politikern. Für die Linke re-
klamiere ich eine solche Struktur. Sie ist ein besseres In-
strument als die bisherige Netzstruktur und wird zu sin-
kenden Preisen führen.

Ich fasse zusammen. Wir können die Energiedebatte
nicht nur auf der Grundlage technischer Daten führen.
Wir können die Energiedebatte nicht abgehoben von der
gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Bundesrepublik
führen. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir
hier ordnungspolitisch versagt haben, weil wir eine we-
sentliche Zielsetzung der sozialen Marktwirtschaft grob
verfehlt haben. Deutschland hat die dritthöchsten Gas-
preise und mit die höchsten Strompreise in Europa. Sie
liegen um 50 Prozent – man höre! – über dem europäi-
schen Durchschnitt. Wenn noch fallende Löhne hinzu-
kommen, dann zeigt das, dass die bisherige Energiepoli-
tik zu korrigieren ist. Sie muss einer Energiepolitik
weichen, die Umweltschutz und Soziales miteinander
verbindet. Dazu haben wir Vorschläge gemacht.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614800900

Das Wort erhält nun die Kollegin Bärbel Höhn, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614801000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

fand die Rede von Oskar Lafontaine schon spannend;
denn eines hat er nicht gemacht: Er hat nicht zum Thema
geredet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Er hat sich gedacht: KWK – das versteht sowieso kein
Mensch; die Kraft-Wärme-Kopplung ist so abstrakt. Da
trage ich lieber meine bekannten Positionen wieder vor.

Ihre Art, Energiepolitik zu betreiben, Herr
Lafontaine, ist sehr widersprüchlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sie haben eben wieder das Kraftwerk Ensdorf im Saar-
land genannt; da kennen Sie sich ja gut aus. Die Leute
haben mir auf einer Veranstaltung in Ensdorf – auch ich
bin dort gewesen – gesagt, dass Sie sich gegen das Kraft-
werk aussprechen, weil dort keine heimische Kohle ver-
feuert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier gilt offensichtlich das Motto: Wenn saarländische
Kohle verfeuert würde, dann würde es kein CO2-Pro-
blem geben. – Diese Energiepolitik ist nicht konsistent,
Herr Lafontaine.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sie haben hier zu Recht gesagt: Kraft-Wärme-Kopp-
lungsanlagen sind eine gute Sache. – Darum geht es hier
ja eigentlich. Ich frage Sie nun aber: Warum verteidigen
Ihre Parteifreunde in den neuen Bundesländern jedes
Braunkohlekraftwerk, und zwar große Kohlekraftwerke,
die überhaupt keine Wärme auskoppeln können?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist ja Quatsch!)


Ihre Haltung ist, auf alle Fragen eine einzige Antwort zu
geben, egal wie das Thema heißt, nämlich Verstaatli-
chung. Da muss ich in der Tat sagen: Das ist nicht die
richtige Logik, Herr Lafontaine. Verstaatlichung allein
ist kein Konzept.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So weit ist es gekommen, dass ich Frau Höhn applaudiere! – Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie verfehlen das Thema in großem Umfang!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614801100

Frau Kollegin Höhn, darf Ihnen die Kollegin

Enkelmann eine Zwischenfrage stellen?


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614801200

Ja.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614801300

Frau Kollegin Höhn, Sie haben gerade behauptet, die

Linke stimme für weitere Braunkohlekraftwerke. Ist Ih-
nen bekannt, dass die Linke in Brandenburg eine Volks-
initiative gegen den Aufschluss weiterer Braunkohle-
tagebaue und gegen den Bau weiterer Kraftwerke
unterstützt? Dann können Sie hier nicht so etwas be-
haupten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614801400

Das ist mir in der Tat bekannt. Auf der einen Seite

nehmen Sie in Brandenburg diese Position ein, weil Sie
versuchen, die Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


auf der anderen Seite stellen Sie sich in anderen Bundes-
ländern hin und verteidigen die Braunkohlekraftwerke.
Frau Enkelmann, das ist doch widersprüchlich:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Einmal so und einmal so, wie gerade der Volkswille ist.
Das geht nicht. Sie müssen schon eine konsistente Poli-
tik betreiben und ein klares Konzept haben; sonst funktio-
niert es nicht. Ich kenne mich in dieser Debatte, gerade
in Bezug auf die neuen Bundesländer, ganz gut aus.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das merkt man! Das muss Ihnen sehr wehtun! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihnen aber auch, Frau Enkelmann! Warum regen Sie sich so auf?)


Ich habe mich gerade gemeinsam mit Ihren Kollegen
vor Ort gegen das Kraftwerk in Lubmin ausgesprochen;
es gibt bei Ihnen ein paar Vernünftige. Es gibt aber auch
die anderen, die eine vollkommen kontraproduktive Po-
litik betreiben. Wie Sie handeln, hängt davon ab, wie die
Stimmung vor Ort ist. Das mache ich Ihnen zum Vor-
wurf; denn wer immer nur die Stimmung vor Ort auf-
greift, betreibt keine Politik, die durchgehend nachvoll-
ziehbar ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir debattieren hier über Kraft-Wärme-Kopplung;
ich möchte darauf zurückkommen. Kraft-Wärme-Kopp-
lung hört sich irgendwie abstrakt an. Ich schätze einmal,
50 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, was Kraft-
Wärme-Kopplung ist. – Herr Präsident, Sie haben ein
Zeichen gegeben?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614801500

Ja, so ist es. Ich bin ganz gerührt; denn es kommt so

selten vor, dass Redner prompt auf solche Signale rea-
gieren. – Auch die Kollegin Kurth wollte Ihnen eine
Zwischenfrage stellen.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614801600

Okay.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich möchte dafür sorgen, dass bei der Debatte hier im
Hause kein einseitiges Bild entsteht, und daher meine
Fraktionskollegin Bärbel Höhn fragen, ob ihr bekannt
ist, dass im Burgenlandkreis – er liegt meines Wissens in
den neuen Bundesländern – gerade von SPD, CDU, FDP
und der Linken einträchtig ein Beschluss für den Bau ei-
nes Kraftwerks in Profen und für die Erschließung eines
neuen Braunkohletagebaus gefasst worden ist?


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Was soll dieser Unsinn?)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614801700

Ja. Ich bedanke mich bei der Kollegin Kurth, dass sie

darauf hingewiesen hat, damit die Widersprüche noch
einmal deutlich werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte zur Kraft-Wärme-Kopplung zurück-
kommen. Ich sagte bereits: Ich glaube, 50 Prozent der
Bevölkerung wissen gar nicht, was das ist. Bei uns gibt
es große Kraftwerke, die Strom erzeugen. Die meisten
dieser großen Kraftwerke können die Wärme, die dabei
produziert wird, überhaupt nicht nutzen. Eine Kraft-
Wärme-Kopplungsanlage – das ist entscheidend – kop-
pelt Strom, also Kraft und Wärme. Die großen Anlagen,
die bei uns in Deutschland stehen und Strom erzeugen,
können die abgegebene Wärme nicht nutzen und sind
deshalb absolut ineffizient.

Woran liegt es, dass diese nichteffizienten Kraftwerke
so stark verbreitet sind? Würden Sie hier in Berlin ein
großes Kraftwerk auf dem Alex bauen? Nein, denn die
Leute würden dann natürlich sofort demonstrieren; das
würden sie sich nicht gefallen lassen. Also werden die
großen Kraftwerke draußen auf dem Land gebaut. Dort
gibt es aber niemanden, der die Wärme abnehmen kann.
Der Effizienzgrad der alten Kraftwerke liegt bei rund
30 Prozent; die neuen Kraftwerke haben einen Effizienz-
grad von 45 Prozent. Das heißt, dass mehr als die Hälfte
der Energie ungenutzt bleibt und nicht von der Bevölke-
rung genutzt werden kann. Diese Art von großen Kraft-
werken – die Wärme kann nicht genutzt werden, weil es
keinen gibt, der sie abnimmt – können wir uns unter Ge-
sichtspunkten des Klimaschutzes nicht mehr leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die kleinen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen – sie
sind teilweise so klein, dass man sie in ein Hotel oder in
ein Familienhaus einbauen kann – haben einen Effizienz-
grad von über 90 Prozent. Das heißt, nur ein kleiner Teil
der Energie geht verloren. Wir führen gerade die Diskus-
sion: Können wir uns neue große Kraftwerke in
Deutschland noch leisten? Wir, die Grünen, sagen dazu:
Wir können uns in Deutschland keine großen Kohle-
kraftwerke, keine großen Braunkohlekraftwerke und
keine großen Steinkohlekraftwerke, mehr leisten; das ist
mit dem Klimaschutz nicht vereinbar.






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gudrun Kopp [FDP]: Dann geht das Licht aus!)


Interessanterweise sagt das Bundesumweltministe-
rium: Wir können noch sechs oder sieben davon bauen,
mehr aber nicht. Das finde ich schon spannend. De facto
ist es aber so, dass momentan über 20 dieser großen
Kraftwerke schon im Bau oder im Genehmigungsverfah-
ren, also kurz vor der Realisierung, sind.

Ich will noch einmal an einen Satz von Angela
Merkel aus dem letzten Jahr erinnern. Sie hat gesagt,
dass jeder Mensch auf dieser Erde das Recht hat, die
gleiche Menge CO2 auszustoßen. Wir wissen von den
Experten, dass das nicht mehr als 2 Tonnen pro Person
und Jahr sein dürfen, eher weniger. – Herr Göppel nickt. –
Da wir in Deutschland 80 Millionen Menschen sind,
dürfen wir im Jahr 2050, für das dieses Ziel angestrebt
wird, also einen CO2-Ausstoß von 160 Millionen Ton-
nen haben.

Dieselbe Angela Merkel, die diesen Satz zu Recht ge-
sagt hat, legt dann aber zusammen mit dem damaligen
RWE-Chef Roels – jetzt heißt der Chef Großmann – den
Grundstein für das Braunkohlekraftwerk in Neurath.
Und welchen Wirkungsgrad hat dieses Kraftwerk?
43 Prozent. Welchen CO2-Ausstoß hat es? 14 Millionen
Tonnen. Allein dieses eine Kraftwerk wird im Jahre
2050 10 Prozent der CO2-Menge ausstoßen, die uns
dann noch erlaubt sein wird. Da sieht man, wie absurd es
ist, eine solche Politik zu machen. Das geht so nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man darf nicht auf der einen Seite immer sagen, man sei
für den Klimaschutz, sich aber auf der anderen Seite
zum Beispiel für das große Kraftwerk in Lubmin oder
das Kraftwerk in Neurath aussprechen.

Interessant ist auch die Position der SPD. Ich habe
mir genau angeschaut, was die SPD auf ihrem Parteitag
im letzten Jahr beschlossen hat. Man hat sich gegen
große Kraftwerke ausgesprochen. Wenn es überhaupt
noch Steinkohlekraftwerke geben solle, dann nur als
kleine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.


(Ulrich Kelber [SPD]: So war der Beschluss auch nicht ganz! Aber eine interessante Interpretation!)


Es ist schon spannend, dass die SPD-Basis weiter ist als
der Bundesumweltminister. Denn dieser verteidigt im-
mer noch die großen Kraftwerke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das war ein falsches Zitat, und das wissen Sie!)


Das Gesetz, über das wir momentan sprechen, ist ab-
solut notwendig. Wenn wir unsere Klimaschutzziele er-
reichen wollen, müssen wir es besser machen als bisher.
Denn das alte KWK-Gesetz hat nicht das erfüllt, was alle
sich davon erwartet hatten. Kraft-Wärme-Kopplung
hat momentan einen Anteil von gerade einmal gut
11 Prozent. Wir bräuchten aber viel mehr. Deshalb ist es
falsch, wenn jetzt ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz
vorgelegt wird, das eine Ausgabendeckelung bei
750 Millionen Euro vorsieht. Das ist zu wenig Geld, ins-
besondere wenn 20 Prozent der Mittel für den Netzauf-
bau eingesetzt werden sollen. Wir brauchen mehr Geld
für die Kraft-Wärme-Kopplung; denn wir brauchen
mehr Kraft-Wärme-Kopplung in diesem Land.


(Gudrun Kopp [FDP]: Zu welchen Preisen?)


– Sehr schön, dass Sie mir dieses Stichwort geben, Frau
Kopp. Das Bundesumweltministerium hat nämlich aus-
gerechnet, dass Kraft-Wärme-Kopplung sich sehr wohl
rechnet, und zwar in Höhe von 12,90 Euro je eingespar-
ter Tonne CO2.

Schauen Sie sich nur einmal an, wie teuer das
– durchaus notwendige – Gebäudesanierungsprogramm
ist, das dieselbe Bundesregierung aufgelegt hat, die die-
ses Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorgelegt hat. Ver-
glichen mit den Kosten dafür, ist auch die Reduzierung
des CO2-Ausstoßes durch Kraft-Wärme-Kopplung fi-
nanziell effizient. Genau das wollen wir, und deshalb
müssen wir in diesem Bereich mehr tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir doch einmal, was andere können. Däne-
mark liegt mittlerweile bei 53 Prozent Kraft-Wärme-
Kopplung. Die Niederlande liegen bei 38 Prozent. Sie
haben in den 90er-Jahren in nur fünf Jahren eine Verdop-
pelung hinbekommen. Es gibt eine Aussage vom Bremer
Energie-Institut, wonach in Deutschland 57 Prozent
Kraft-Wärme-Kopplung wirtschaftlich möglich seien.
Diese 57 Prozent sollten wir so schnell wie möglich an-
streben. Das muss das Ziel sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch kurz auf die Stromnetze eingehen,
über die gerade diskutiert wurde, obwohl sie eigentlich
nicht Thema der Debatte sind. Eon hat in der letzten Wo-
che in der Tat einen Coup gelandet, indem es seine Netze
einfach zum Verkauf angeboten hat. Herr Glos, ich
möchte einmal wissen, wie Sie sich gefühlt haben, als
Sie in Brüssel noch über einen dritten Weg verhandelt
haben, als Sie als Lobbyist von RWE gekämpft haben
und aus der Zeitung erfahren haben, dass Eon schon
lange einen Deal mit der EU-Kommission gemacht hat.
Das war doch eine Blamage für die Bundesregierung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es war auch deshalb eine Blamage, weil Ihr dritter Weg
überhaupt nicht tragfähig ist. Das, was Sie wollten, ging
zurück auf die Lobbyarbeit der Energiekonzerne, aber
noch nicht einmal aller. Eon hat dann gezeigt, dass es,
um nicht in dem Kartellverfahren zu unterliegen und
hohe Strafen zahlen zu müssen, bereit ist, sich auf einen
Deal einzulassen. Ich gebe Ihnen recht, dass das nicht in
Ordnung ist.

Aus meiner Sicht ist die Infrastruktur, also die Ener-
gienetze und das Schienennetz der Bahn, für die Wirt-
schaft in diesem Land absolut wichtig und notwendig.
Deshalb muss der Staat die Kontrolle über die Infra-
struktur haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
Ob das alles in staatlicher Hand sein muss, ist eine
zweitrangige Frage. Entscheidend ist doch, welche Kri-
terien wir für die Netze festlegen. Wir müssen für einen
Ausbau sorgen, sodass der im Norden mit Windkraft er-
zeugte Strom in das Netz eingespeist werden kann. Es
kann nicht sein, dass ein großer Teil dieses Stroms nicht
in das Netz eingespeist werden kann. Das müssen wir
ändern. Wir müssen des Weiteren die Netzengpässe be-
seitigen und die Kuppelstellen ausbauen. Wir müssen
zudem neuen Stromproduzenten den Zugang zu den Net-
zen erleichtern. Das sind die entscheidenden Kriterien.

Ob das alles in staatlicher Hand sein muss oder ob das
im Rahmen einer privaten Gesellschaft gemacht wird, ist
eine zweitrangige Frage. Zuerst geht es um das inhaltli-
che Ziel, die Gestaltung der Netze. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, es ist total einfach, perma-
nent Verstaatlichung zu fordern. Aber das ist nicht im-
mer das beste Mittel. Gehen Sie ein bisschen differen-
zierter an die Sache heran!


(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sind Sie für oder gegen die Rekommunalisierung? Da können Sie eine konkrete Sachfrage beantworten!)


Lassen Sie uns schauen, was sinnvoll ist: Ist es besser,
wenn es in staatlicher, oder ist es besser, wenn es in pri-
vater Hand bleibt? Ist zum Beispiel eine Netzgesell-
schaft besser, die sowohl privat als auch staatlich sein
kann? Das sehen wir in Dänemark und in der Schweiz.
Das wäre ein viel besseres Vorgehen. Das sollten wir
auch tun. Lassen Sie uns lieber inhaltlich diskutieren, an-
statt plumpe ideologische Lösungen vorzuschlagen! Das
brauchen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sigmar Gabriel [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614801800

Das Wort erhält nun der Bundesumweltminister

Gabriel.


(Beifall bei der SPD)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1614801900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

mich nicht in meiner Eigenschaft als Minister, sondern
als Abgeordneter des Deutschen Bundestages gemeldet.
Ich danke der SPD-Fraktion, dass sie mir Gelegenheit
gibt, ihr sozusagen die Redezeit zu stehlen. Es war nicht
beabsichtigt, dass ich nach Herrn Lafontaine spreche.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614802000

Herr Minister, ich mache Sie darauf aufmerksam,

dass Sie sich mit dieser Klarstellung dem starren Regime
unseres Redezeitmanagements unterworfen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1614802100

Ich habe mir vorher sagen lassen, dass ich nur fünf

Minuten reden darf, und die schlimme Konsequenz er-
klären lassen, wenn nicht.
Ich finde es gut, dass Herr Lafontaine gesagt hat, wel-
che Richtung er bei der Energiepolitik in Deutschland
einschlagen will. Erstens. Frau Höhn hat absolut recht:
Es wird in den nächsten Jahren um den Netzausbau ge-
hen. Zweitens. Es ist eine zweitrangige Frage, wer der
Träger des Netzausbaus ist. Drittens. Es ist interessant,
festzustellen, wie die Realitäten dort aussehen, wo sich
die Netze in öffentlichem Eigentum befinden. Herr
Lafontaine, Sie haben auf die skandinavischen Länder
verwiesen. Wenn man Dänemark dazuzählt, dann muss
man feststellen: Dort, wo sich die Netze in öffentlichem
Eigentum befinden, gibt es die höchsten Nutzungsent-
gelte. Herr Lafontaine, auch ich bin mit der Höhe der
Strompreise in Deutschland nicht zufrieden. Aber eines
ist klar: Deutschland ist netto Stromexporteur. Sie sagen
immer, Sie hätten viel Ahnung von Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik sowie der Börse. Dann wissen Sie, dass die
Preise an den europäischen Strombörsen festgelegt wer-
den. Es fließt nur deshalb Strom von Deutschland in an-
dere europäische Staaten, weil dort die Preise höher sind
als in Deutschland. Das ist die Realität der Stromversor-
gung in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn Sie der geschätzten Öffentlichkeit erklären, wir
sollten das alles verstaatlichen bzw. zurückkaufen, dann
sollten Sie wenigstens einen Satz dazu sagen, dass die
Voraussetzung dafür ist, dass der Staat eine vernünftige
Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt und einen ausge-
glichenen Haushalt hat. Sie können der Öffentlichkeit
nicht bei jeder Gelegenheit sagen, der Staat solle es be-
zahlen, und dabei die Antwort auf die Frage schuldig
bleiben, wie wir zu vernünftigen staatlichen Einnahmen
kommen sollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was Sie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wollen,
führt dazu, dass das, was Sie hier öffentlich erklären,
überhaupt nicht möglich ist. Mir geht es auch um die
Konsequenzen Ihres Handelns.

Sie fordern die Rekommunalisierung. Sie wollen
also den Netzausbau in Deutschland, die Milliardenin-
vestitionen, die notwendig sind, den Kommunen aufbür-
den. Ich kann bei dem Vorschlag nur sagen: Gute Besse-
rung. – Das wird dazu führen, dass wir mit dem
Netzausbau nicht vorankommen. Das Ergebnis wird
sein, dass die erneuerbaren Energien nicht marktfähig
werden. Übrigens werden auch die Stadtwerke keine In-
vestitionen in Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung täti-
gen, wenn Sie ihnen den Netzausbau in Deutschland auf-
bürden. Was Sie machen, ist blanke Rabulistik und
nichts anderes. Das hat mit Energiepolitik und Energie-
versorgung in Deutschland überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland hat übrigens die größte Netzstabilität in
ganz Europa; Deutschland hat die geringsten Ausfallzei-
ten in ganz Europa. Es ist nicht ganz ohne, daran weiter
zu arbeiten. Das erfordert Investitionen in das Netz. Die






(A) (C)



(B) (D)


Sigmar Gabriel
Voraussetzung dafür ist, dass der Netzeigentümer Ren-
dite erwirtschaftet. Tun Sie doch nicht so, als müsste ein
Netzeigentümer in Zukunft keine ausreichenden Rendi-
ten mehr erwirtschaften! Bei dem, was Sie öffentlich er-
zählen, kann man den Eindruck gewinnen, dass das ein
Nullsummengeschäft ist. Ich sage Ihnen: Da werden
Milliardeninvestitionen fällig. Deswegen muss in die-
sem Bereich auch Geld verdient werden können.

Wir werden über die Eigentümerstruktur zu reden ha-
ben. Ich zum Beispiel will nicht, dass ausländische
Staatsfonds zu neuen Oligopolisten werden und die alten
Oligopolisten ablösen. Ich will nicht, dass Arbeitneh-
merinteressen gefährdet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, aber wir
sind doch nicht selber Unternehmer in dem Bereich.
Wenn dem so wäre, dann hieße das, dass unsere Beam-
tinnen und Beamten bessere Netzinvestoren wären als
diejenigen, die damit Geld verdienen wollen. Ich will
den wirtschaftlichen Anreiz, mit dem Netz Geld zu ver-
dienen, nutzen, damit mehr Anbieter in das Netz einspei-
sen können und damit mehr Wettbewerb entsteht. Es soll
am Netz Geld verdient werden und nicht daran, dass
man das Netz besitzt und andere, die einspeisen wollen,
außen vor lässt. Darum geht es in der öffentlichen De-
batte. Das wollen wir durchsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN)


– Doch, wir tun das in Deutschland über eine Regulie-
rungsbehörde. Wir haben nämlich inzwischen so nied-
rige Netznutzungsentgelte, weil es eine Regulierungsbe-
hörde gibt, die sich darum kümmert,


(Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])


und nicht deshalb, weil wir Eigentümer sind. – Wir
setzen auf die dezentrale Energieversorgung, Herr
Lafontaine redet darüber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt
beträgt inzwischen 14 Prozent. Das ist deutlich mehr, als
wir erwartet haben. Wir wollen den Anteil auf bis zu
30 Prozent ausbauen. Es sind nicht nur die Kommunen
alleine, sondern Hunderttausende von Menschen in
Deutschland, die ihr Geld in erneuerbare Energien inves-
tiert haben, in Windenergie, in Solarenergie, in Wärme-
pumpen und in Holzpelletanlagen.


(Beifall bei der SPD)


Das ist dezentrale Energieversorgung. Wir setzen auf das
Kartellrecht und verschärfen es. Herr Glos tut das. Wir
brauchen Ihre Ratschläge nicht dazu. Wir brauchen
auch, Herr Lafontaine, niemanden, der den Eindruck er-
weckt, es gehe ihm hier im Bundestag um Klimaschutz;
denn Mitglieder seiner eigenen Fraktion fordern dort, wo
sie betroffen sind, mehr Verschmutzungsrechte für
Braunkohlewerke in Deutschland. Das ist die Doppel-
züngigkeit in der Energiepolitik, die Sie und Ihre Frak-
tion permanent an den Tag legen.
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614802200

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1614802300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich möchte zunächst Folgendes feststellen: Frau
Höhn, wenn Sie mir vor einigen Monaten gesagt hätten,
dass ich einmal Ihre Meinung teile und Ihnen voller
Überzeugung hier in diesem Hause applaudiere, dann
hätte ich das in das Reich der Fabel verwiesen. Aber
heute war es so.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann freue ich mich, wenn es in fünf Jahren wieder so weit ist!)


Sie hatten im Wesentlichen mit dem, was Sie hier ausge-
führt haben, recht.

Auch ich möchte auf die Linken und Meister
Lafontaine eingehen; denn das ist in der Tat doppelzün-
gig und scheinheilig. Es sind schon die richtigen Be-
griffe genannt worden. Er stellt sich hier hin und sagt,
dass die Preise steigen. In der Tat, die Preise steigen,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Eben!)


aber sie steigen auch deshalb, weil 40 Prozent des Prei-
ses von Haushaltsstrom staatlich induziert sind, aus
Steuern und Abgaben bestehen. Ihre Fraktion hat schon
zig Anträge gestellt, aber schauen Sie einmal dorthin, wo
Sie in Verantwortung sind wie hier in Berlin. Was pas-
siert dort mit den Abgaben, mit der Konzessionsabgabe
und anderen? Sie erhöhen sie. Das heißt, Sie sind der
größte Preistreiber.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben sich als Retter bzw. Hüter des Kartellrechts
hingestellt. Ich frage mich, wo Sie waren, als wir da-
rüber im Wirtschaftsausschuss und hier im Plenum dis-
kutiert haben. Sie haben gegen die Novelle des Kartell-
rechts gestimmt, die wir im letzten Jahr eingebracht
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist schon etwas doppelzüngig.

Zum Thema staatliche Netze. Das Netz ist ein natür-
liches Monopol. Ob das natürliche Monopol in staatli-
chem oder privatem Eigentum ist – es bleibt ein natürli-
ches Monopol. Deshalb brauchen wir eine Regulierung,
die diesem natürlichen Monopol entsprechende Rah-
menbedingungen setzt und einen Als-ob-Wettbewerb
darstellt. Hier haben wir vor fast drei Jahren gehandelt,
und als Folge der seinerzeit eingeführten Regulierung
sinken die Netznutzungsentgelte. Noch im vorletzten
Jahr betrug der Anteil der Netznutzungsentgelte bei






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
Haushaltsstrom 35 Prozent; im letzten Jahr sind die Ent-
gelte um 1 Cent gesunken. Das heißt, die Regulierung
hatte eine preisdämpfende Wirkung; dies werden Sie
durch staatliche Reglementierung mit Sicherheit nicht
erreichen. Insofern ist es unerträglich, wenn Sie hier den
Robin Hood, den Rächer aller Enterbten, geben, in Wirk-
lichkeit aber der Sheriff von Nottingham sind, der die
Leute mit Planwirtschaft und Sozialismus entmündigt
und auspresst. Das geht so wirklich nicht; das muss man
einmal in aller Deutlichkeit sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt aber zum Thema des heutigen Tages, der KWK-
Förderung und der Liberalisierung des Zähl- und Mess-
wesens: Die Große Koalition ist keine innige Liebesbe-
ziehung, wohl aber eine funktionierende Arbeitsbezie-
hung. Dies zeigt sich auch bei den beiden Themen, die
wir jetzt diskutieren. Es ist schon ein bisschen schwierig,
zu erklären, was KWK überhaupt bedeutet; Herr Kollege
Hempelmann und andere haben es versucht. Wenn man
sich mit Leuten, die nicht jeden Tag mit dem Energiebe-
reich zu tun haben, über Kraft-Wärme-Kopplung unter-
hält, dann gucken sie einen erst einmal etwas komisch
an. KWK ist in der Tat keine neue Kraftsportart und
auch nichts Unanständiges; es soll niemand verkuppelt
werden.

Bei KWK geht es schlicht um die Tatsache, dass bei
der Stromerzeugung auch Wärme entsteht und dass diese
Prozesswärme für Heiz- oder Kühlzwecke sehr effizient
eingesetzt werden kann und muss. Eigentlich brauchte
KWK gar nicht gefördert zu werden, weil es jeder von
sich aus machen müsste. Leider ist das aber nicht der
Fall. Da aus verschiedenen Gründen KWK nicht im not-
wendigen Umfang stattfindet, müssen wir das KWK-Ge-
setz erneut revidieren, Frau Kollegin Kopp. Es hat zwar
nicht nicht gewirkt, wie Sie gesagt haben, aber es hat
nicht in dem Umfang gewirkt, wie wir es uns vorgestellt
haben. Deshalb justieren wir jetzt das KWK-Gesetz neu
und ergänzen es um die Wärmenetze. Es soll also auch
die Möglichkeit geben, über KWK Wärmenetze zu för-
dern. Ich habe es gerade zu beschreiben versucht: Wenn
jemand in einer Anlage durch Stromerzeugung auch
Wärme erzeugt, dann braucht er einen Abnehmer – eine
Senke –, der diese Wärme kontinuierlich über das ganze
Jahr abnimmt.

Bei der Ausstattung mit Netzen gehen wir sehr diffe-
renziert vor und fordern keine Wärmenetze und auch
keine Nahwärmepflicht. Bei Neubaugebieten brauchen
wir heute nämlich keine Wärmenetze und auch keine
Kraft-Wärme-Kopplung im großen Stil mehr, weil wir
mit dem Passivbaustandard oder gar mit dem Plus-Haus
nicht mehr so viel Wärmebedarf – keine so große Wär-
mesenke – in einem Neubaugebiet haben. Dort brauchen
wir Klein-KWK, was wir mit diesem Gesetz jetzt auch
fördern wollen. Wir wollen mit diesem KWK-Gesetz
neue, innovative Anlagentechniken einsetzen können,
die in Deutschland entwickelt wurden und jetzt zum Ex-
portschlager werden.

Was wollen wir damit erreichen? Wir haben das Inte-
grierte Klima- und Energieprogramm und CO2-Reduk-
tionsziele, die wir alle unterstützen und die natürlich
nicht nur mit einem Instrument erreicht werden können.
Insgesamt wollen wir bis 2020 CO2 um eine Größenord-
nung von 220 Millionen Tonnen reduzieren. So, wie wir
das Gesetz jetzt angelegt haben, können wir mit einem
Beitrag von 15 Millionen Tonnen 7 Prozent davon errei-
chen. Wir machen das aber nicht nur deshalb, sondern
auch, weil es effizient ist. Es ist eine Win-win-Situation,
die letztlich allen Beteiligten etwas Positives bringt.

Nun gehe ich auf den zweiten Punkt, die Liberalisie-
rung des Mess- und Zählwesens, ein, der etwas tech-
nisch daherkommt, aber in seiner Bedeutung nicht hoch
genug einzuschätzen ist. Heute bekommt jeder Bürger
einmal im Jahr seine Stromrechnung, und während des
Jahres leistet er Abschlagszahlungen auf der Basis des
Vorjahresverbrauchs. Er weiß also gar nicht, was er mo-
natlich, geschweige denn täglich oder stündlich an
Strom verbraucht. Er kann zwar ab und zu einmal in den
Keller gehen und den alten analogen Zähler ablesen – da
läuft so eine komische Drehscheibe –; aber letztlich hat
er keine direkte Beziehung zu dem von ihm verursachten
Stromverbrauch. Mit den neuen Techniken – ich bin
überzeugt, dass sie eine Revolution auslösen werden –
erhält der Verbraucher die Hoheit über seinen Stromver-
brauch; denn er kann sich jederzeit am Computer an-
schauen, wie viel Strom er verbraucht, etwa wenn er
fernsieht, seine Geräte im Standby laufen lässt, sich ra-
siert oder auch nicht rasiert, wie mancher hier im Haus;
Herr Thierse ist nicht da. Durch die neuen Techniken
entstehen auch neue Geschäftsfelder; es werden neue
Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Es
wird sogar so weit gehen – dazu gibt es schon erste
Überlegungen –, dass man einen Kuchen zwei Stunden
später backt, weil nicht nur Großverbraucher, sondern
auch Angehörige normaler Haushalte die jeweils aktuel-
len Strompreise kennen. Das heißt, der vermeintlich
kleine Schritt der Liberalisierung des Zähl- und Messwe-
sens wird zu großen Umwälzungen führen und Effi-
zienzvorteile für alle bringen: für den Verbraucher im
Haushalt sowie für die Industrie und das Gewerbe. Der
Wettbewerb eröffnet neue Geschäftsfelder. Das ist die
Energiepolitik, die wir betreiben wollen. Wir setzen auf
Wettbewerb und erreichen so das Beste für den Verbrau-
cher und die Wirtschaft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614802400

Das Wort hat nun der Kollege Dirk Becker, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1614802500

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Nachdem wir Sozialdemokraten uns die Redezeit solida-
risch geteilt haben, möchte ich mich auf einige Eck-
punkte zum Thema Kraft-Wärme-Kopplung beschrän-
ken. Zu den allgemeinen energiepolitischen Themen ist
genug gesagt worden. Die Aussagen zur Kraft-Wärme-
Kopplung waren übersichtlich. Ich möchte daher einige
Punkte noch einmal betonen.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Becker
Frau Höhn und Herr Pfeiffer haben zu Recht von dem
Problem berichtet, Kraft-Wärme-Kopplung zu vermit-
teln. Das ist nicht sexy. Solarenergie, Geothermie, das
sind spannende energiepolitische Themen. Kraft-Wärme-
Kopplung ist eigentlich viel zu einfach: Es geht darum,
einen normalen Verbrennungsprozess, egal mit welchem
Brennstoffträger, zu nutzen, um Wärme und Strom aus-
zukoppeln. Das ist eine ganz einfache Sache. Die höchste
Effizienz, die es auf dem Energiemarkt gibt, zu nutzen
und somit einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz
zu leisten, ist der Kern der heutigen Diskussion.

Heute Morgen haben beide Energieminister gespro-
chen – ich sehe gerade keinen von beiden –;


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Doch! Der eine sitzt auf der Regierungsbank!)


ich will auf den ersten kurz Bezug nehmen. Herr Glos
hat natürlich – das ist in Energiedebatten üblich – einen
Schwenk auf das Thema Atomenergie gemacht. Dass es
darüber in der Großen Koalition unterschiedliche Auf-
fassungen gibt, wissen wir. Eines will ich deutlich sagen:
Wenn wir die Energie, die wir verwenden, um das
Thema Atomenergie strittig zu diskutieren, nutzen wür-
den, um die KWK auszubauen, würde sich die Diskus-
sion über die Atomenergie erledigen; denn die Poten-
ziale der KWK sind entsprechend groß.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der FDP)


– Frau Kopp, Sie schütteln den Kopf: Das ist nicht
Beckers Wunschkonzert. Sie sollten die Gutachten lesen.
Sie sollten schauen, was eine Enquete-Kommission des
Deutschen Bundestages ermittelt hat: Die Potenziale
sind riesig. – Dass Ihnen das nicht passt, ist klar. Ihre
energiepolitische Linie führt in eine Einbahnstraße.
KWK ist im Endeffekt ein wichtiger Baustein für den
Energiemarkt der Zukunft.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE] und Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die SPD-Fraktion hat schon 2005 begonnen, einen
Gesetzentwurf vorzubereiten. Wir haben ihn letztes Jahr
in die Diskussion eingebracht. Das war aufgrund der
Haltung des zuständigen Ministeriums lange Zeit nicht
einfach, weil es grundsätzlich andere Ausrichtungen be-
züglich der Fragen „Ist KWK schon eigenwirtschaftlich
darstellbar?“ und „Wie sieht es mit der Erreichung des
Ziels, den CO2-Ausstoß zu vermindern, aus?“ gab. Ich
möchte mich beim Wirtschaftsministerium ausdrücklich
bedanken – man braucht jetzt nicht zurückzublicken –,
dass dort mittlerweile die Einsicht eingetreten ist, dass es
weiterhin einer umfassenden Förderung der Kraft-Wärme-
Kopplung bedarf, damit wir unser gemeinsam vereinbar-
tes Ziel erreichen. Dieses Ziel heißt: Der Anteil des
KWK-Stroms soll bis 2020 auf 25 Prozent steigen.

Ich sage sehr deutlich: Für die SPD ist dieses Ziel das
Kriterium, an dem wir unsere Maßnahmen ausrichten
wollen. Wenn wir dieses Ziel verfehlen, ist nicht nur ein
Ziel im IKEP verfehlt. Wenn wir mit dieser Technologie
die 25 Prozent nicht erreichen, scheitert auch das Ziel
der Bundeskanzlerin, bis 2020 die Energieeffizienz in
diesem Land zu verdoppeln. Ohne KWK gelingt es
nicht. Ohne KWK realisieren wir auch keine 40 Prozent
CO2-Minderung. Das heißt: KWK ist ein Schlüsselbau-
stein in der gesamten Klimastrategie, und so sollten wir
sie jetzt auch behandeln.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Wirtschafts-
ministerium Eckpunkte, die unseren Forderungen ent-
sprechen, gesetzt hat. Dazu gehören Neubau und Moder-
nisierung ohne Größenbegrenzung. Frau Höhn, an dieser
Stelle bin ich anderer Auffassung als Sie. Wir können
nicht sagen, dass KWK toll und effizient ist, dies aber
nur im kleinsten Bereich wollen. Sie sprachen von Ho-
tels, Areal- und Objektversorgung. Wenn wir die Kapa-
zitäten in diesem Land insgesamt erneuern wollen, ge-
hört es zur ehrlichen Diskussion, dass wir auch große
Anlagen mit dem Brennstoff Kohle brauchen, die in der
Doppelung der Energieauskopplung für Wärme und
Strom wesentlich effizienter sind als konventionelle
Kondensationskraftwerke. Das müssen wir den Men-
schen ehrlich sagen, um für Akzeptanz größer Kraft-
werke, unabhängig vom Brennstoff, zu werben.


(Beifall bei der SPD)


Für uns Sozialdemokraten sind im Endeffekt drei wei-
tere Punkte wichtig. Die industrielle KWK muss in Gänze
berücksichtigt werden, nicht nur das produzierende Ge-
werbe. Wir müssen den Anmeldezeitraum – Rolf
Hempelmann hat es gesagt – verlängern. Man müsste ei-
gentlich sagen: bis die 25 Prozent erreicht sind. Das wird
aber so nicht möglich sein. Wir werden uns über einen an-
deren Zeitraum verständigen müssen.

Wir müssen außerdem über die Frage der Finanzen
reden. Der Bundesrat hat einen Antrag gestellt, der ei-
gentlich schlüssig ist. Wir Sozialdemokraten hatten ur-
sprünglich 850 Millionen Euro gefordert. Das war die
Höchstbelastung im Jahr 2006. Es würde also keine
Mehrbelastung der Verbraucher geben, sondern der
Höchstbetrag von 2006 würde entsprechend beibehalten.
In jedem Fall muss es einen Ausgleich zwischen der För-
derhöhe und der Höhe des Deckels geben sowie Flexibi-
lisierung, was Netzausbau und Energieerzeugung an-
geht. Ansonsten haben wir ein großes Problem, unser
Ziel zu erreichen. Noch einmal: Für uns steht die Frage
der Zielerreichung im Mittelpunkt. Alle Instrumente
müssen darauf ausgerichtet werden.

Eines noch zur Frage der Zielerreichung. Die Große
Koalition und die Bundesregierung haben sich ein hohes
Ziel gesetzt: 25 Prozent. Das ist ein Ziel, mit dem man
auch nach außen entsprechend auftreten sollte. Von da-
her ist es nach meiner Einschätzung eigentlich selbstver-
ständlich, dass dieses Ziel im Gesetz zu Beginn deutlich
benannt wird. Man braucht es nicht ein bisschen ver-
schämt in der Begründung zu verstecken; wir haben kei-
nen Grund dazu. Wir sollten dieses Ziel offensiv im Ge-
setzestext nennen; das würde ich mir wünschen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Weiter gute Be-
ratungen!






(A) (C)



(D)


Dirk Becker

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614802600

Franz Obermeier ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1614802700

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist

mehrfach gesagt worden: Bis 2020 25 Prozent KWK-
Strom, das ist die vorgegebene Zielsetzung. Wir Parla-
mentarier sollten alles daransetzen, dieses Ziel zu errei-
chen.

Ich halte das für extrem ambitioniert; denn die KWK-
Realisierung war schon in der Vergangenheit – nicht
erst, seit es die Gesetze gibt – mit einem großen Problem
behaftet. Ich verweise auf die Kombination von Strom
und Wärme bzw. Kälte an einer Lokalität – als jemand,
der früher Anlagen konzipiert und entwickelt hat, weiß
ich sehr genau, wovon ich rede –; genau dieser Umstand
ist die Ursache dafür, dass die Regelung, die irgendje-
mand einmal Schläferprämie genannt hat, nicht den not-
wendigen Erfolg hatte.

Wir laufen auch mit dem jetzt vorliegenden Gesetz-
entwurf Gefahr, die Ziele noch nicht zu erreichen.


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])


Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Prognos-
Gutachten. Es besagt, dass mit den Möglichkeiten, die
im Gesetz vorgesehen sind, 77 Terawattstunden Strom
durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt werden kön-
nen. Das entspricht nicht 25 Prozent des Stromver-
brauchs in Deutschland, sondern ist erheblich weniger.
Zugleich besagt das Prognos-Gutachten: Die Kosten für
die Vermeidung von CO2-Ausstoß über Kraft-Wärme-
Kopplung liegen zwischen 33 und 49 Euro je Tonne
CO2. – Das ist ein interessanter Wert und gibt mir die
Motivation, für die Kraft-Wärme-Kopplung zu kämpfen
und alles für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung,
die anerkanntermaßen eine ganz hervorragende Art der
Energieerzeugung bzw. Energienutzung ist, zu tun.

Wir haben nun die Förderung bei 750 Millionen Euro
gedeckelt. Es ist schon von einer Kollegin bzw. einem
Kollegen gesagt worden, dass man diesen Betrag nicht
starr bezogen auf ein Jahr sehen sollte, sondern eine ge-
wisse Flexibilisierung ermöglichen sollte, damit es zu
keinem Abbruch bei der Förderung kommt.

Es ist meines Erachtens gerechtfertigt, die Frage zu
stellen, wie der zukünftige Kraftwerkspark in Deutsch-
land aussehen soll, ob wir die großen fossilen Kraft-
werke in Deutschland überhaupt noch brauchen. Selbst
wenn wir es nämlich anlagen- und planungstechnisch
darstellen können, dass die Wärme an mindestens
300 Tagen im Jahr vernünftig genutzt wird, stellt sich
immer noch die Frage nach der Größenordnung, also wie
viel Wärme tatsächlich sinnvoll genutzt werden kann.
Deswegen ist es natürlich wichtig, zu überlegen, ob man
nicht mit der Schaffung kleinerer Kapazitäten zu einer
besseren Ausnutzung kommt. Ich könnte mir vorstellen,
dass immer dann, wenn eine größere Fabrik errichtet
wird – in meinem Wahlkreis ist das gerade der Fall –, ne-
ben der Produktionsstätte auch eine Kraftwerksanlage
gebaut wird, die Prozesswärme für diese Anlage und
eventuell auch für weitere, in der Umgebung liegende
Verbraucher erzeugt. Wenn unsere Gesetzgebung dafür
sorgt, dass Betreiber solcher Anlagen einen Anreiz be-
kommen, in Kraft-Wärme-Kopplung zu investieren,
dann haben wir ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht.

In der vergangenen Woche, Herr Bundeswirtschafts-
minister, war Ihre Staatssekretärin Dagmar Wöhrl bei
der Inbetriebnahme einer Brennstoffzellenanlage in
meinem Wahlkreis dabei. Es handelt sich um eine An-
lage, die 200 Kilowatt elektrische Leistung und einen er-
heblichen Anteil an Wärme erzeugt. Diese Wärme wird
dann in einer Kläranlage für die Trocknung von Klär-
schlamm genutzt.

Ich meine, wir sind technologisch auf einem sehr gu-
ten Weg. Dieses Gesetz wird die Kraft-Wärme-Kopp-
lung weiter befördern. Wir müssen scharf beobachten,
wie sich die Dinge weiterentwickeln. Wir müssen auch
dafür sorgen, dass wir technologisch weiterkommen und
dass neben der Doppelnutzung von Primärenergie zu-
gleich auch die Energieeffizienz von Anlagen zunimmt.
So könnten wir die Kraft-Wärme-Kopplung zu einem
Erfolgsmodell werden lassen und es schaffen, dass bis
zum Jahr 2020 ihr Anteil 25 Prozent an der Stromerzeu-
gung beträgt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614802800

Klaus Barthel ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1614802900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sind ja jetzt endlich wieder bei den Themen angekom-
men, um die es heute eigentlich geht. Wir sollten dabei
die Schlagzeilen, die die Stromzähler derzeit machen,
für unsere Zwecke nutzen. Auf der diesjährigen CeBIT
konnte man sehen, dass die Stromzähler digital werden;
manche Zeitungen schrieben von „Hightech-Stromzäh-
lern“.

Für uns Verbraucher bedeutet dieser Fortschritt, dass
wir dann zu Hause am Stromzähler oder am PC sehen
können, wenn wir stromfressende Geräte betreiben, und
unser Verhalten entsprechend verändern können. Im Kfz
ist es ja heute schon zur Normalität geworden, dass man
nicht erst an der Tankstelle, sondern schon während des
Fahrens darauf aufmerksam gemacht wird, wenn man
zum Beispiel aufgrund des Fahrverhaltens zu viel Sprit
verbraucht. In Kombination mit den lastabhängigen
Stromtarifen kann intelligente Haustechnik Kosten spa-
ren. Zum Beispiel kann sich die Waschmaschine erst

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Barthel
dann einschalten, wenn der Strom günstig ist, und eben
nicht sofort.

Der bisher durchaus schon vorhandene Wettbewerb
beim Einbau und Betrieb von Strom- und Gaszählern hat
bisher weder dazu geführt, dass die Preise für die längst
abgeschriebenen Zähler gesunken sind, noch dazu, dass
innovative Zähler eingeführt wurden. Man muss sich ja
auch fragen, welches Interesse der bisherige Zählerbe-
treiber, nämlich die EVUs, haben sollte, moderne Zäh-
lertechnik einzubauen; denn er lebt ja vom Verbrauch
und nicht vom Sparen. Die Bundesregierung hat in ih-
rem Evaluierungsbericht aufgezeigt, dass die fehlende
Marktöffnung bei der Messung, also bei dem Ablesen
der Messgeräte, ein wesentliches Wettbewerbshindernis
beim Betrieb dieser Messstellen ist. Dieses Hindernis
wird mit Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs
der Bundesregierung beseitigt.

Auch wenn es in den Berichten wie Science Fiction
klingt und die intelligente Waschmaschine noch nicht
auf dem Markt ist, haben wir jetzt auf dem Strommarkt
die Chance, intelligente Zähler im Wettbewerb zu eta-
blieren und den Verbraucherinnen und Verbrauchern da-
mit eine deutlich erweiterte Kontrolle ihres Stromver-
brauchs zu geben. Dahinter steckt die Zielvorstellung,
innerhalb der nächsten sechs Jahre zu einem möglichst
flächendeckenden Einsatz von solchen Zählern und
Steuerungen sowie zu lastvariablen Tarifen zu kommen.


(Beifall bei der SPD)


Nach der E-Energy-Studie, die im Auftrag des BMWi
erarbeitet worden ist, geht es hier um einen Markt von
etwa 49 Millionen Zählstellen mit einem Gesamtvolu-
men von etwa 5 Milliarden Euro. Das ist eine hohe In-
vestition, aber auf die Dauer sicherlich lohnend für die
Verbraucher, die Volkswirtschaft und das Klima.

Gerade im Zusammenhang mit den künftigen last-
variablen Tarifen kann eine Stromkostenkontrolle zur
Verschiebung der Nachfrage in Schwachlastzeiten ge-
nutzt werden. Das Wuppertal-Institut für Klima, Um-
welt, Energie geht von einer Einsparmöglichkeit von
5 bis 10 Prozent des Gesamtstromverbrauchs der Haus-
halte aus. Das wären etwa 5 bis 10 Millionen Tonnen
CO2 pro Jahr. Das ist doch was! Wenn teure Spitzenlast-
kraftwerke nicht mehr in gleichem Umfang benötigt
werden wie bisher, dann führt das außerdem zu sinken-
den Stromerzeugungskosten und zur Entlastung der
Netze.

Es geht darum, den Wettbewerb so zu gestalten, dass
ein Anreiz für neue Anbieter und für die Nachfrage nach
deren Angeboten entsteht. Dazu benötigen wir einfache,
schnelle und kostengünstige Geschäftsprozesse. Deswe-
gen brauchen wir eine Standardisierung und Anwen-
dungsmöglichkeit der Regulierungsinstrumente der Bun-
desnetzagentur auf die Beziehung zwischen den
Netzbetreibern und den Messstellenbetreibern und hin-
sichtlich der Wechselmöglichkeit der Endverbraucher
gegenüber den Messstellenbetreibern. Das mag sich al-
les technokratisch anhören, aber bei der Lösung der
Energie- und Klimaschutzprobleme führt nur eine Ge-
samtstrategie mit vielen Elementen zum Erfolg. Der
vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbe-
werb ist ein nicht zu unterschätzendes Element dieser
Gesamtstrategie und deswegen hier nicht zu verachten.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614803000

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1614803100

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als

Umweltpolitiker bin ich der festen Überzeugung, dass
wir die Verdoppelung des Anteils von Strom aus Kraft-
Wärme-Kopplung an der Gesamtstromerzeugung bis
2020 im Sinne von Ressourcenschonung und Klima-
schutz brauchen. Deutschland als führende Wirtschafts-
nation hat an dieser Stelle eine nicht zu unterschätzende
Vorbildfunktion. Dass wir das im Rahmen der Umlage-
finanzierung tun, halte ich für nicht verkehrt. Die Umla-
gefinanzierung wird nämlich wie beim EEG in ganz be-
sonderer Weise der Verantwortung der Stromverbraucher
für eine ressourcen- und klimaschonende Stromversor-
gung gerecht. Sie ist an dieser Stelle sehr viel zielorien-
tierter und effizienter als beispielsweise die Ökosteuer,
mit der wir den Stromverbrauch auch belasten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn man über das Thema Effizienz redet, dann
muss man, wie hier schon mehrfach angeklungen, klipp
und klar sagen, dass man, um die Effizienz zu steigern,
die bei der Stromproduktion entstehende Wärme nutzen
muss. Das geht nur durch Dezentralität. Dezentralität ist
unabdingbar. Aus Sicht eines Wirtschaftspolitikers sage
ich: Sie bietet natürlich auch Chancen; denn es geht bei
diesem Thema auch um den Mittelstand, sowohl was die
Produktion als auch den Verbrauch angeht. Für den Mit-
telstand steht die Union wie kaum eine andere Partei.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg van Essen [FDP]: Na ja, wir übertreffen Sie schon ganz schön!)


Die Netze sind reguliert worden. Den Stadtwerken
müssen wir zurufen, dass sie ihr Heil auch in der Strom-
produktion suchen müssen, weil dank des Bundeswirt-
schaftsministers im Bereich der Netze keine Monopol-
gewinne mehr möglich sind. Das ist auf der einen Seite
ein entscheidender Erfolg. Auf der anderen Seite müssen
wir aber den Stadtwerken, denjenigen, die auch davon
betroffen sind – das sind ja nicht nur die großen Vier –,
entsprechende Geschäftsmodelle aufzeigen. In diesem
Sinne ist das Einspeiserecht, das wir im KWK-Gesetz
genauso verankert haben wie im EEG, ein wichtiges re-
gulatorisches Element, eine Voraussetzung dafür, dass
auch kleine Unternehmen, Mittelständler Zugang zu den
Netzen haben. Wir tun hier etwas ganz besonders Wich-
tiges und Richtiges.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
Angesichts dessen, was Oskar Lafontaine heute zum
Besten gegeben hat, frage ich mich schon, warum er im-
mer dann, wenn unser Wirtschaftsminister handelt, nicht
mit dabei ist, zum Beispiel dann, wenn es um eine Ver-
schärfung des Kartellrechts geht. Warum stimmen Sie da
nicht zu? Als Vertreter der Union sage ich aber auch:
Sehr viel Wert legen wir auf die Stimmen der Linken
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Effizienzförderung ist im Übrigen ein industrie-
politischer Eingriff, um auch in diesem Bereich die
Technik voranzubringen. Es besteht die Frage, wo in Zu-
kunft Klimaschutz gemacht wird und wie über das
Thema des Klimaschutzes entschieden wird. Nur dann,
wenn es uns gelingt, technisch voranzukommen, werden
wir nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit et-
was verändern.

Nun ist heute mehrfach über den Strompreis diskutiert
worden. Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung,
dass wir hier eine Deckelung brauchen, dass wir aber
nicht alles, was mit Klimaschutz zu tun hat, sofort
deckeln sollten. Das sage ich auch in Richtung der eige-
nen Reihen. Wir können letztendlich nicht unsere Kanz-
lerin deckeln. Das sollten wir nicht tun; denn sie ist die
Galionsfigur beim Klimaschutz.


(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


Deshalb bitte ich, dies entsprechend zu berücksichtigen.

Wenn man eine solche Deckelung beschließt, wie
man sie im Moment vorsieht – eine Deckelung der
KWK-Zuschlagssumme bei 750 Millionen Euro pro Jahr
und eine Deckelung des Zuschlags für den Neu- und
Ausbau von Wärmenetzen bei 150 Millionen Euro pro
Jahr –, dann entsteht ein Problem, wenn der Kreis der
zuschlagsberechtigten KWK-Anlagen- und Wärmenetz-
betreiber sehr weit gefasst wird. Darüber sollten wir im
Laufe der Debatte noch einmal nachdenken.

Wir brauchen aus meiner Sicht zum einen Eingren-
zungen, was das Thema Netze angeht. Da dürfen wir uns
nicht zu stark auf die großen Netze, die Fernwärmenetze
im großstädtischen Bereich, versteifen. Die Investitions-
volumina sind hier sehr groß; hier würden wir die
Deckelung relativ schnell erreichen. Zum anderen müs-
sen wir beim Thema der Versorgung über die Frage
nachdenken, ob industrielle Anlagen zur Eigenversor-
gung wirklich erkennbar förderbedürftig sind oder ob
man da nicht noch etwas nachjustiert, damit wir nicht zu
schnell einen zu großen Druck auf diesen Deckel be-
kommen, was dazu führen würde, dass wir ihn relativ
schnell anheben würden. Das bringt letztendlich nicht
das gewünschte Ergebnis.

Wir setzen uns für eine zielgerichtete Förderung ein,
für eine Förderung, die Investitionssicherheit schafft,
insbesondere im Bereich der kleinen Anlagen unterhalb
einer Leistung von 10 Megawatt; denn hier geht es wirk-
lich darum, einen Anstoß zu geben, dass dieses Thema
vorankommt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614803200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/8305, 16/8306 und 16/7872 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Wissenschaftsfreiheitsgesetz einführen – Mehr
Freiheit und Verantwortung für das deutsche
Wissenschaftssystem

– Drucksache 16/7858 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz (Herborn), Kai Gehring, Grietje Bettin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wissenschaftssystem öffnen – Mehr Qualität
durch mehr verantwortliche Selbststeuerung
und Kooperation

– Drucksache 16/8221 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)







(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte,
Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken)

und der Fraktion DIE LINKE

Die Zukunft der Lehre und Forschung an
Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur
stärken

– Drucksachen 16/3192, 16/8369 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Grütters
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Uwe Barth
Dr. Petra Sitte
Kai Gehring

Interfraktionell sind für diese Aussprache anderthalb
Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1614803300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

heutige Tag könnte zu einer Sternstunde des deutschen
Parlaments werden; denn wir beraten die Initiative der
FDP-Bundestagsfraktion für ein Wissenschaftsfreiheits-
gesetz.


(Jörg Tauss [SPD]: Man muss ja nicht gleich übertreiben!)


Der Antrag liegt Ihnen, Herr Tauss, bereits seit Ende Ja-
nuar vor.

Wollen wir den rasanten Herausforderungen im glo-
balen Wettbewerb standhalten, die Qualität unseres Wis-
senschaftssystems stetig steigern, vor allem aber interna-
tionalen Entwicklungen immer einen Schritt voraus sein
und die besten Köpfe nach Deutschland holen, dann
brauchen wir eine neue Kultur für Innovationen. Mit
einem Wort: Wir müssen in der Wissenschaft mehr Frei-
heit wagen!


(Beifall bei der FDP)


Dazu bedarf es eines mutigen Schrittes hin zu einem
Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das der Wissenschaft wie
der Wirtschaft gleichermaßen die notwendige Luft zum
Atmen gibt, das Barrieren abbaut und Forschung und
Lehre enger zusammenführt, das Eigenverantwortung
stärkt und Bürokratie abbaut, das eine bessere Bezah-
lung der in- und ausländischen Wissenschaftselite ohne
Fesselung innerhalb des Tarifvertrages des öffentlichen
Dienstes ermöglicht und das Grenzen für Fachkräfte öff-
net. Das ist die Wissenschaftspolitik, die wir von der
Bundesregierung erwarten.


(Beifall bei der FDP)


Ein athenischer Staatsmann, Perikles, hat bereits ge-
sagt: Das Geheimnis der Freiheit ist Mut.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Hui!)

Angst schafft keine Zukunft! Angst vor neuen For-
schungsfeldern und Erfindungen würde Deutschland in
der Technologieführerschaft um Jahrzehnte zurückwer-
fen. Schauen wir uns die Politik der Bundesregierung an:
Sie setzt in manchen Bereichen mehr auf Risiken denn
auf Chancen. Schauen wir uns die grüne Biotechnologie
an. Schauen Sie sich die Haltung der Bundesregierung
zur kerntechnischen Sicherheitsforschung an. Aber auch
die aktuelle Debatte über Stammzellforschung ist nicht
das, was der Spitzenstandort Deutschland braucht. Wir
brauchen mehr Freiheit für die Forschung in diesem
Land.


(Beifall bei der FDP)


Im Vergleich der größten Forschungsnationen liegt
Deutschland hinter den USA und Japan auf Platz drei.
Schwellenländer wie Indien, China und die Länder Süd-
amerikas holen aber in einem rasanten Tempo nach, was
sie in den letzten Jahren bei Forschung und Entwicklung
versäumt haben. China wird Deutschland nach Einschät-
zung der Bundesagentur für Außenwirtschaft im kom-
menden Jahr als Exportweltmeister ablösen. Was heißt
das? Wir müssen auf Ideen, auf neue Forschung setzen.
Wir müssen auf Innovationen setzen. Die CeBIT ist ein
Beispiel dafür, was wir damit weltweit bewirken kön-
nen.

Deutschland braucht ein positives Forschungsklima –
frei von ideologischen Debatten. Die vorherrschende, oft
angstbesetzte Kultur des Risikos muss sich in eine zu-
kunftsorientierte Kultur der Chancen wandeln, in der die
Herausforderungen tatkräftig angegangen werden.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen setzt sich die FDP vehement dafür ein,
dass der in Art. 5 des Grundgesetzes verankerten Wis-
senschafts- und Forschungsfreiheit in einem umfas-
senden Sinne Geltung verschafft wird. Die freie Entfal-
tung von Wissenschaft und Forschung muss ermöglicht
werden. Bürokratische Hürden und ideologisch determi-
nierte Überregulierungen gehören abgebaut, Frau Minis-
terin.

Eine Hochschule oder eine Forschungseinrichtung
muss zukünftig wie ein Unternehmen geführt werden
können. Trotz vieler Reformen ist es im außer- und uni-
versitären Forschungsbereich in den letzten 20 Jahren
nicht gelungen, bestehende Hemmnisse im Haushalts-
recht, im Tarifrecht oder im Vergaberecht zu beseitigen.
Das müssen wir jetzt anpacken. Es geht um ein leis-
tungsfähiges deutsches Wissenschaftssystem. Wir müs-
sen große Forschungsverbünde zwischen Wirtschaft,
außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hoch-
schulen ermöglichen. Präsente und hervorragende Bei-
spiele sind die RWTH Aachen, das Forschungszentrum
Jülich oder auch das Karlsruhe Institute of Technology.
Ausgerechnet dort, wo die FDP mitregiert, findet so et-
was statt.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Aber das war nicht die Erfindung der FDP!)


Beteiligungen an Ausgründungen und Unternehmen
sind ein wichtiges strategisches Instrument. Globalhaus-






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper
halte müssen eingeführt und die kameralistische Haus-
haltsführung muss abgeschafft werden. Das ist die Vo-
raussetzung für die weitgehende Selbstverwaltung der
Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland.

Wir fordern die Bundesregierung auf, gemeinsam mit
den Ländern zu handeln. Wir wollen insbesondere, dass
der Wissenschaftstarifvertrag ein Thema für dieses
Haus wird. Frau Ministerin, ich glaube, das ist eine
Kernaufgabe für die, die sich für die Freiheit für Wissen-
schaft begeistern. Denn wir alle wissen: Der Tarifvertrag
des öffentlichen Dienstes ist der größte Hemmschuh für
unser Wissenschaftssystem im internationalen Wettbe-
werb. Er muss abgeschafft werden.


(Beifall bei der FDP)


Frau Ministerin, fassen Sie Mut, überzeugen Sie den
Innenminister und sorgen Sie dafür, dass die Hochschu-
len und Forschungseinrichtungen endlich einen eigenen
Wissenschaftstarifvertrag bekommen. Dann wären wir
hinsichtlich der attraktiven Arbeitsbedingungen von
deutschen, aber auch ausländischen Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftlern in diesem Land ein großes
Stück weiter.

Ich frage Sie: Wann haben wir Ihr Wissenschaftsfrei-
heitsgesetz zu erwarten? Für mich heißt der Schlüssel
zum Erfolg: Freiheit für die Wissenschaft. Handeln Sie
endlich!


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614803400

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette

Schavan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, wenn über
die Entscheidungen der Bundesregierung die sie tragen-
den Fraktionen, Vertreter der Länder – Kollege
Pinkwart, herzlich willkommen – und auch die Opposi-
tion einer Meinung sind.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Eine Opposition!)


– Pardon, Teile der Opposition, die Linke also ausge-
schlossen. Das hätte mich auch gewundert.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Linke nicht, aber die da! Die Linken sind wir!)


– Was haben Sie mit den Linken zu tun? Das verstehe
ich jetzt überhaupt nicht, Herr Taus.

Ich finde jedenfalls, dass es eine positive Entwicklung
ist, wenn immer mehr Vertreter dieses Hohen Hauses die
Ideen für mehr Selbstständigkeit, mehr Spielräume und
für eigene Verantwortung vor Ort mittragen. Wir reden
damit letztlich über den nächsten wichtigen Schritt zur
Steigerung der Attraktivität Deutschlands im internatio-
nalen Wettbewerb der Wissenschaftssysteme und der In-
novationsstandorte. Das ist das Thema.

Was in diesem Wettbewerb wird bedeutsam? Welche
Faktoren spielen eine Rolle in diesem internationalen
Wettbewerb, der keineswegs nur die Hochschulen, son-
dern zum Beispiel auch ganz zentral die Möglichkeiten,
die Spielräume für die Partnerschaft zwischen Wissen-
schaft und Wirtschaft betrifft? Ich rufe in Erinnerung
– ich sage das auch, weil es in einem der vorliegenden
Anträge steht –: Das ist natürlich nicht der einzige not-
wendige Schritt. Wir reden über ein ganzes Paket unter-
schiedlicher Schritte. Viele wurden schon getan. Ich er-
innere an die Exzellenzinitiative, die eine wichtige
Ausdifferenzierung im Wissenschaftssystem mit einer
deutlich höheren Sichtbarkeit von einzelnen Hochschul-
standorten geschaffen hat, an die Hightechstrategie und
an den Spitzenclusterwettbewerb, der ein Paradebeispiel
für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft darstellt.

Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Interna-
tionalisierungsstrategie und auf strukturelle Weiterent-
wicklungen – ich habe das KIT eben schon genannt –
hin. Übrigens ist das klare Bekenntnis der Bundes-
regierung und der sie tragenden Regierungsfraktionen
zum 3-Prozent-Ziel nicht zu vernachlässigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch das hat viel Dynamik ins System gebracht.
Schließlich geht es um die Stärkung der Forschung an
Universitäten durch die Einführung der Programmkos-
tenpauschale. In einem Satz: Die Große Koalition hat
bislang schon deutliche Bewegung in den Innovations-
standort Deutschland gebracht.


(Ulla Burchardt [SPD]: Die war schon vorher da! – Ulrike Flach [FDP]: Das ist doch gar nicht messbar! – Jörg Tauss [SPD]: Noch mehr Bewegung! Eine dauernde Bewegung sozusagen! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor und zurück! Zick und zack! Ja, ganz viel Bewegung!)


– Liebe Frau Burchardt, jetzt komme ich zum nächsten
Punkt, der in Meseberg beschlossen wurde.

Kurz gesagt geht es dabei um die Spielregeln des
Good Governance. Unsere Institute, das Fraunhofer-
Institut, das Max-Planck-Institut, die Helmholtz-Ge-
meinschaft und andere, die in vielen internationalen
Netzwerken sind und sich im Wettbewerb befinden,
müssen in diesem Wettbewerb in den nächsten Jahren
die gleiche Stärke behalten, die sie bislang hatten. Denn
gerade unsere außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen sind im internationalen Wettbewerb stark. Klar ist
aber: Das bisherige Regelwerk behindert die weitere
Entfaltung und die weitere Internationalisierung. Des-
halb muss dieses Regelwerk weiterentwickelt, moderni-
siert und flexibilisiert werden. Die Spielräume müssen
vergrößert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Wie ist im Moment der Stand der Dinge? Die The-
men, um die es geht, und die Teile des Regelwerkes, die
verändert werden sollen, sind identifiziert. Die Beratun-
gen auf Arbeitsebene haben begonnen. Erste Schritte,
die das BMBF ohne die Einbeziehung anderer Ressorts
unternehmen kann – sie betreffen verwaltungsinterne Er-
lasse –, werden oder sind bereits auf den Weg gebracht.
Die Eckpunkte für entsprechende Neuregelungen wer-
den dem Kabinett im Sommer vorliegen.


(Uwe Barth [FDP]: Dieses Jahres?)


Ich nenne vier Beispiele für das, was geplant ist:

Erstens. Die haushaltsrechtliche Detailsteuerung im
Hinblick auf die Forschungseinrichtungen muss zurück-
gefahren werden. Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz
müssen die haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen
flexibilisiert werden: Globalhaushalte, Übertragung der
Haushaltsmittel, Ausbau der vorhandenen Deckungsfä-
higkeiten und Verzicht auf Stellenpläne. Wir brauchen
eine aufgaben- und ergebnisbezogene Steuerung – keine
Abschaffung der Steuerung, aber eine Modernisierung
der Steuerung mit Blick auf Ergebnisse und Aufgaben.

Zweitens. Forschungseinrichtungen müssen ohne um-
ständliche Genehmigungsverfahren Beteiligungen an
Unternehmen im In- und Ausland eingehen können, um
sich national, aber auch international zu vernetzen. Da-
durch werden neue strategische Geschäftsfelder er-
schlossen und neue Kooperationspartner gefunden. Be-
teiligungen an Ausgründungen und die Gründung von
Joint Ventures mit der Industrie sind die Voraussetzun-
gen für die Verwertung von Spitzentechnologie.

Drittens. Bei Bau- und Vergabeverfahren müssen wir
wissenschaftsfreundlicher werden. Aufwendige Verfah-
ren und administrative Hemmnisse schaden der Innova-
tionskraft. Deshalb muss es auch hier größere Spiel-
räume für globale Bewilligungen geben.

Viertens. Wir brauchen die Flexibilisierung des Ver-
gaberahmens. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, bei dem
vor allem die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und
den Ländern wichtig sein wird. Es gehört ja zu den Stär-
ken des deutschen Systems, dass Bund und Länder die
Forschungsorganisationen gemeinsam tragen. Wenn ich
von einer Flexibilisierung des Vergaberahmens spreche,
dann meine ich nicht seine Abschaffung. Das dauert län-
ger. Ich vermute, dass das erst der übernächste Schritt
sein wird. Der nächste Schritt muss sein, dass wir auch
im Hinblick auf die Globalhaushalte für eine Flexibili-
sierung sorgen, sodass es bei konkreten Verhandlungen
deutlich größere Spielräume gibt als jetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, manches ist auch
ohne Wissenschaftsfreiheitsgesetz machbar. Mein Haus
wird schon jetzt, also im Vorgriff, die bestehenden Mög-
lichkeiten nutzen, um die Beschränkungen der Förde-
rung der Projekte von Forschungseinrichtungen, zu de-
nen es in der Vergangenheit gekommen ist, aufzuheben.
Das betrifft insbesondere die Bagatellgrenze für Zuwen-
dungen; ein ganz konkretes Beispiel ist der berühmte
Dudenhausen-Erlass.

(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Ja! So ist es!)


Wir werden die Bagatellgrenze bzw. den Höchstwert für
freihändige Vergaben im Wettbewerb von 8 000 Euro
auf 30 000 Euro anheben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt, dass die Forschungseinrichtungen bei vielen
Beschaffungen von der Verpflichtung zur öffentlichen
Ausschreibung befreit sein werden.


(Cornelia Pieper [FDP]: Na ja! Schauen wir mal!)


Wenn wir von mehr Selbstständigkeit und mehr Frei-
heit reden, geht es nicht um weniger Verantwortung und
weniger Rechenschaft. Wir – die Haushälter, die Finanz-
politiker, die Innenpolitiker und diejenigen, die sich in
spezieller Weise mit Innovationsfragen beschäftigen –
sind dabei, die Weichen zu stellen und neue Schritte zu
tun, um die Innovationsbedingungen für die Organisatio-
nen zu modernisieren, die in besonderer Weise die Ver-
stetigung der Dynamik, die entstanden ist, leisten sollen.
Je größer der Konsens in diesem Hause, je größer der
Konsens zwischen Parlament und Regierung, zwischen
Ländern und Bund ist, desto umfassender kann das Paket
werden. Ich wünsche mir ein Paket – so werden wir mit
den Eckpunkten in die Ressortverhandlungen und ins
Kabinett gehen –, von dem ein klares Signal und ein
Schub für die außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen ausgeht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614803500

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Schneider von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614803600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

habe es durch einen Zwischenruf schon angedeutet:
Ganz so breit ist die Übereinstimmung zwischen Oppo-
sition und Regierung nun doch nicht.

Worum geht es? Die Bundesregierung hat im
August 2007 im Rahmen ihrer Meseberger Beschlüsse
erklärt, dass sie, um die Rahmenbedingungen für Exper-
ten, Spezialisten und Nachwuchskräfte attraktiv zu ma-
chen, mehr Flexibilität für Forschungseinrichtungen und
Hochschulen schaffen will. Weil diese Bundesregierung
ähnlich wie ihre Vorgängerregierung gerne mit attrakti-
ven Worthülsen arbeitet, hat sie sich nicht gescheut, eine
kleine Anleihe in Nordrhein-Westfalen zu nehmen und
hat ihr Projekt mit dem Etikett „Wissenschaftsfreiheits-
gesetz“ versehen. „Wissenschaft“ ist gut, „Freiheit“
noch besser, ein „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ zu kre-
ieren das Allerbeste.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP, nicht gerade begeistert
darüber waren, wie kess die Große Koalition Ihr Anlie-
gen übernommen hat.


(Cornelia Pieper [FDP]: Es muss vorangehen in Deutschland!)


Nun ist die Bundesregierung in Bezug auf Ankündigun-
gen stets mit flotten Schritten unterwegs; bei der Umset-
zung präferiert sie bekanntermaßen Trippelschritte. Das
wiederum gibt der FDP die Möglichkeit, ihrerseits mit
einem Antrag für die Einführung eines Wissenschafts-
freiheitsgesetzes vorzupreschen. Weil Sie von der FDP
auf Bundesebene noch keine eigenen Vorschläge erar-
beitet haben, schreiben Sie der Einfachheit halber nieder,
was der Präsident der Deutschen Forschungsgemein-
schaft, Herr Kleiner, und seine Generalsekretärin, Frau
Dzwonnek, im Bildungsausschuss vorgetragen haben.
Das wiederum findet sich im sogenannten Barrierepapier
der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszen-
tren wieder.


(Cornelia Pieper [FDP]: Freiheit für die Wissenschaft!)


Sie haben diese Forderungen eins zu eins übernommen –
wahrlich keine große Leistung, eher ein Dokument über-
zeugender Lobbyarbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Cornelia Pieper [FDP]: Im Gegensatz zu Ihnen hören wir auf die Wissenschaft!)


Zu den Inhalten Ihres Antrags. Sie gehen in Ihrer
Analyse davon aus, dass die Trennung der Aufgaben der
Universitäten und der öffentlichen außeruniversitären
Forschungseinrichtungen nicht unproblematisch ist und
deshalb neue Wege zu einer engen Wissenschafts- und
Forschungskooperation aller Akteure zu beschreiten
sind.

Aus Sicht der Linken ist dem insoweit zuzustimmen,
als die Trennung von außeruniversitärer und universitä-
rer Forschung mittlerweile zu einem Missverhältnis in
der Verteilung der Mittel geführt hat. Während die
Hochschulen trotz steigender Studierendenzahl und stei-
genden Qualifikationsanforderungen mit stagnierenden
Mitteln zu kämpfen haben, werden die Mittel für die oh-
nehin gut ausgestatteten außeruniversitären Forschungs-
einrichtungen durch den Pakt für Forschung und Innova-
tion jedes Jahr um 3 Prozent erhöht. Mittlerweile
erhalten die außeruniversitären Institute fast so viel an
Mitteln wie die Hochschulen für den Forschungsbereich.
Die Linke hält dies nicht für sinnvoll.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir vertreten die Auffassung, dass neue Wege einer en-
geren Kooperation nur ein erster Schritt sein können.
Mittelfristig ist die historisch bedingte Versäulung je-
doch zu überwinden.

Weiter gehen Sie in Ihrem Antrag – typisch liberal,
wie ich meine – davon aus, dass sich die Forschungs-
und Entwicklungspolitik auf Felder einer möglichen
wirtschaftlichen Verwertung konzentrieren muss. Wir als
Linke sagen Ihnen dazu deutlich: Wer die Forschungs-
förderung nur noch auf verwertungsnahe Bereiche kon-
zentrieren will, der schafft keine Wissenschaftsfreiheit,
sondern beerdigt sie.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hochschulen und Forschungsinstitute haben die Auf-
gabe, je nach Profil mehr oder weniger zweckfreie wis-
senschaftliche Erkenntnisse auf allen gesellschaftlich
relevanten Gebieten zu erarbeiten, kontrovers zu disku-
tieren und der Gesellschaft und ihren Mitgliedern zu-
gänglich zu machen. Bereits heute ist der Einfluss wis-
senschaftsfremder Instanzen über private Drittmittel,
Auftragsforschung, Stiftungsprofessuren etc. sehr hoch.

Autonomie wollen Sie stattdessen am liebsten dadurch
schaffen, dass Sie nicht unproblematische Forschungsbe-
reiche wie Kerntechnik, Sicherheits- und Endlagerfor-
schung, Biotechnologie und Stammzellforschung jegli-
cher gesellschaftlichen Kontrolle entziehen wollen.
Auch hier sagen wir als Linke deutlich: Die Freiheit der
Wissenschaft kann und darf nicht durch unkontrollierte
Eingriffe in Grund- und Menschenrechte durchgesetzt
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Wissenschaft muss sich auf dem Boden der
Menschenrechte und des Grundgesetzes bewegen. Das
nicht im Blick zu behalten wäre nichts anderes als ein
unverantwortlicher und ungezügelter Liberalismus.


(Cornelia Pieper [FDP]: Wer sagt das denn?)


– Lesen Sie die einleitende Analyse Ihres eigenen Antra-
ges!

Leider kann ich nur auf einige Aspekte Ihres Forde-
rungsteils eingehen. Wie Sie die Leistungsfähigkeit des
deutschen Wissenschaftssystems dadurch steigern wol-
len, dass Sie die Verwendung öffentlicher Gelder in die-
sem Bereich einer öffentlichen Kontrolle entziehen wol-
len, ist schon bemerkenswert. So viel Liberalität würden
wir uns auch gegenüber den sozial Schwachen – bei-
spielsweise ALG-II-Beziehern – wünschen.

Wir als Linke sagen an dieser Stelle ganz klar: Die
Einbringung solcher Ressourcen in gemeinsame Ko-
operationen mit anderen Einrichtungen oder gar
Wirtschaftsunternehmen bedarf selbstverständlich der
öffentlichen Kontrolle.

Im Hinblick auf Firmengründungen sollte Ihnen wenigs-
tens bekannt sein, dass die Beteiligung von Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftlern an privatwirtschaftlichen
Firmen häufig zur Vernachlässigung ihrer Kernaufgaben
führt. Sollte nun in großem Maßstab die Unternehmens-
beteiligung Aufgabe der gesamten Einrichtung werden,
entstünden öffentlich-private Partnerschaften mit den
von uns immer wieder kritisierten Folgen wie Intranspa-
renz, ungeklärte Fragen geistiger Eigentumsrechte und
daraus resultierend die Sozialisierung anfallender Kos-
ten bei gleichzeitiger Privatisierung anfallender Ge-
winne.






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

Ein besonderes Bonbon sind Ihre Ausführungen zu
einem Wissenschaftstarifvertrag. Es dürfte Ihnen nicht
unbekannt sein, dass solche Tarifverträge im Rahmen
der Tarifautonomie mit Gewerkschaften ausgehandelt
werden.


(Cornelia Pieper [FDP]: Was ist damit?)


Insoweit würde es nicht schaden, einen Blick darauf zu
richten, was derzeit von den betroffenen Gewerkschaften
Verdi und GEW gefordert wird, bevor Sie exorbitante
Gehälter und zusätzliche Sozialleistungen für Spitzen-
kräfte fordern. Mir scheint, dass Ihnen ein wenig der
Blick für die Realitäten der Beschäftigten an Universitä-
ten fehlt.

Werfen Sie einen Blick auf die Exzellenzhochburg
Bayern! Die Pressestelle der Universität Bayreuth
schreibt – ich zitiere –:

Über 60 Prozent der Forschung und Lehre an den
Universitäten werden von wissenschaftlichen Mit-
arbeitern erbracht, viele von diesen befinden sich in
der Qualifikationsphase für die Wissenschaftler-
laufbahn. Ihre Entlohnung aber weist noch schwer-
wiegendere Defizite als die der Professoren auf.
Gegenwärtige Praxis

– in Bayern –

ist, dass Wissenschaftler mit erfolgreich abge-
schlossenem Studium weit überwiegend auf halben
Stellen promovieren – dabei jedoch mindestens
50 Arbeitsstunden pro Woche tätig sind. Sie erhal-
ten in der Eingangsstufe E13/1 des neuen Tarifsys-
tems der Länder (TVL) brutto 1.450 Euro und
somit umgerechnet weniger als der tariflich festge-
legte Mindeststundenlohn im westdeutschen Reini-
gungsgewerbe.

So weit die Universität Bayreuth.

Angesichts solcher Verhältnisse ist es doch nicht
mehr als verständlich, dass Gewerkschaften zunächst
einmal Lösungen für die breite Masse der Arbeiteneh-
mer anstreben, bevor sie auch nur bereit sind, über die
Vergütung von Spitzenkräften zu reden, zumal ange-
sichts gedeckelter Haushalte höhere Verdienste in der
Spitze nur durch eine Ausdünnung in der Breite realisiert
werden könnten. Bei einem Verdienst von 1 450 Euro
sehe ich diesbezüglich keine Einsparmöglichkeiten. Be-
vor Sie also auch nur auf die Idee kommen könnten, Ihre
Spitzenkräfte zu beglücken, müssen Sie deutlich mehr
Geld in das System pumpen, um die Defizite in der
Breite zu beseitigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte noch eine weitere Forderung aufgreifen,
das Punktesystem für Einwanderer. Die Linke steht Vor-
schlägen positiv gegenüber, mit denen eine geregelte
Zuwanderung ermöglicht werden kann. Ein System,
wie es die CDU/CSU bevorzugt, das sich ausschließlich
am Einkommen orientiert, lehnen wir ab. Insoweit sind
die Vorschläge der FDP durchaus ein Fortschritt, weil
hier weitere Kriterien berücksichtigt werden sollen.
Dennoch können wir nicht zustimmen, dass Zuwande-
rung nur unter dem Blickwinkel von nationalstaatlichen
und wirtschaftlichen Interessen beurteilt wird. Eine Ein-
wanderungspolitik, die Menschen auf Verwertungsgrö-
ßen reduziert, lehnt die Linke ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem muss im Blickfeld bleiben, dass der Import
von Fachkräften keinesfalls zulasten der Herkunftslän-
der gehen darf. Vieles von dem, was sich zwischenzeit-
lich global abspielt, kann nur noch als Bildungsimperia-
lismus bezeichnet werden.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Oh Gott!)


Fazit: Ich sehe wenig Chancen, dass meine Fraktion die-
sem FDP-Antrag im weiteren Verfahren wird zustimmen
können.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Cornelia Pieper [FDP]: Das ist eine Auszeichnung! – Jürgen Koppelin [FDP]: Das adelt unseren Antrag!)


Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Die Auffas-
sung, dass Transparenz und Gemeinnutzen ebenso wie
die Gleichstellung wichtige Reformziele in der Wissen-
schaftspolitik sind, teilen wir. Nur ein kleiner Hinweis
zum letzten Punkt: Deutschland ist nicht mehr so neoli-
beral, dass man Gleichstellung nur unter dem Aspekt
von Effizienz- und Innovationsgewinn betrachten darf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, man
darf wieder den Aspekt der Gerechtigkeit betonen, und
man darf auch auf das Grundgesetz verweisen.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit großem Interesse haben wir gelesen, dass die
Grünen die Autonomie der Hochschulen mit verstärkter
Mitbestimmung einrahmen wollen. Das sieht auch die
Linke als sinnvoll an. Leider vermissen wir in Ihrem An-
trag jedwede Konkretisierung zu diesem Punkt. Die wei-
teren Forderungen der Grünen sind im wahrsten Sinne
des Wortes durchaus diskussionswürdig, positiv wie ne-
gativ. Die Vorstellungen zur Gleichstellungspolitik er-
scheinen uns noch unausgegoren. Wo gefordert wird, ge-
nuine Aufgaben unternehmerischer Forschung und
Entwicklung staatlich direkt zu subventionieren, lehnen
wir das als Linke entschieden ab. Den Forderungen zum
Urheberrecht dagegen können wir uneingeschränkt zu-
stimmen.

Auch die Grünen fordern einen Wissenschaftstarif-
vertrag. Dabei begrüßen wir als Linke insbesondere,
dass die Grünen davon ausgehen, dass im Mittelpunkt
des Arbeitsrechts in der Wissenschaft das unbefristete
Arbeitsverhältnis stehen muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Sie hätten etwas dazu sagen müssen, a) wie Sie das
finanzieren wollen und b) dass dann unbedingt das Wis-
senschaftszeitvertragsgesetz abgeschafft werden muss.


(Uwe Barth [FDP]: Das ist ja etwas ganz Neues! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie sich plötzlich um die Finanzierung kümmern, ist etwas ganz Neues!)







(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

– Lieber Kollege Gehring, wir sagen an dieser Stelle,
dass man Geld in das System pumpen muss. Sie aber
verschweigen das. Daher frage ich mich, wie Sie das
umsetzen wollen.


(Beifall bei der LINKEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gegenfinanziert!)


Ich wiederhole, dass ein Wissenschaftstarifvertrag
bzw. wissenschaftsspezifische Regelungen im TVöD aus
Sicht der Linken in erster Linie zur sozialen Absiche-
rung der zunehmend prekär Beschäftigten, besonders der
Lehrbeauftragten, Postdoktoranden, studentischen Be-
schäftigten, Promovierenden und des sonstigen Mittel-
baus, führen müssen und nicht zur Zahlung exorbitanter
Prämien an wenige. Dieser Wissenschaftstarifvertrag
muss bundesweit einheitlich sein, damit die Zersplitte-
rung im Tarifrecht für die Wissenschaft überwunden
werden kann und Mobilität möglich ist.

Ein letzter Punkt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614803700

Nein, Herr Kollege Schneider, Sie müssen jetzt zum

Schluss kommen.


Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614803800

Ein allerletzter Satz.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Herr Schneider, das ist ja nicht mehr zu ertragen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, nur auf einer
breiten Basis werden Sie Spitzenkräfte bekommen.
Wenn schon die jungen Wissenschaftler abwandern,
dann haben Sie ein Problem.


(Cornelia Pieper [FDP]: Fragen Sie mal, warum!)


Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Cornelia Pieper [FDP]: Ein Glück, es ist vorbei!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614803900

Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-

Fraktion.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1614804000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir reden heute unter anderem über den FDP-
Antrag, ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz einzuführen.
Frau Ministerin Schavan hat deutlich gemacht, dass die
Forderung nach einem solchen Gesetz und die Vorberei-
tung dazu auf die Initiative der Bundesregierung nach
der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg im Sommer
des letzten Jahres zurückgeht.

Erlauben Sie mir zu Beginn die grundsätzliche Be-
merkung, dass Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in
Deutschland ein sehr hohes Gut sind und durch Art. 5
Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt sind. Wir haben
über Forschungsfreiheit und ihre Grenzen sehr häufig
diskutiert. Zuletzt ging es am Montag in einer fünfstün-
digen Anhörung um die Frage, inwieweit man in
Deutschland mit embryonalen Stammzelllinien forschen
darf. Forschungsfreiheitsbeschränkungen gibt es aber
auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Diskus-
sion um Tierversuche. Heute geht es also gar nicht um
Forschungsfreiheit im eigentlichen Sinne, sondern um
eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wis-
senschaft.

Man kann die Forschungsfreiheit positiv – durch För-
derung – und negativ – durch Nichtförderung – beein-
flussen. Erlauben Sie mir, dass ich kurz auf die ständig
wiederkehrende Kritik am Atomausstieg in FDP-Anträ-
gen eingehe; vielleicht können Sie das bei den nächsten
Anträgen endlich einmal aussparen.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein, nein, das ist ein Running Gag!)


Ich bin ausdrücklich der Auffassung, dass die Politik im
Sinne der Verantwortung für die ganze Gesellschaft und
für künftige Generationen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


die Möglichkeit haben muss, über die Forschungsförde-
rung steuernd in die Forschung einzugreifen. Sie sollten
es akzeptieren, dass eine durch Wahlen legitimierte Bun-
destagsmehrheit von SPD und Grünen vor einigen Jah-
ren den Ausstieg aus der Kernenergie und den Einstieg
in die alternativen Energien beschlossen hat. Sie irren,
wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP, in Ihrem Antrag
behaupten, der Einstieg in die alternativen Energien
stelle ein Problem in Hinblick auf die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit dar. Solar- und Windenergie sind
mittlerweile Spitzentechnologien; wir sind in dem Be-
reich Weltmeister.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen wieder in die Kernenergie – ein Auslauf-
modell – einsteigen. Die Uranvorräte sind aber begrenzt.
Die radioaktiven Abfälle sind nicht beherrschbar.
Uran 238 hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jah-
ren. Davon produzieren wir jeden Tag ungeahnte Men-
gen. Wenn Sie wieder in die Kernenergie einsteigen wol-
len, dann suchen Sie sich endlich eine parlamentarische
und gesellschaftliche Mehrheit dafür; Sie werden sie
nicht finden. Akzeptieren Sie das! Schreiben Sie aber
doch nicht in jeden Antrag, dass Sie den Ausstieg kriti-
sieren!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen heute nicht über das Grundrecht der For-
schungsfreiheit und der Wissenschaftsfreiheit reden,
sondern über die Rahmenbedingungen für Wissen-
schaft und Forschung in Deutschland. Im Groben gibt es
zweierlei Rahmenbedingungen: finanzielle und struktu-
relle. Über die finanziellen Rahmenbedingungen brau-
chen wir nicht lange zu reden; die Vorgängerregierung
und die jetzige Regierung haben eine Menge getan und
erhebliche Mittel in die Forschungsförderung gesteckt.






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
Heute wollen wir über die strukturellen und organisatori-
schen Rahmenbedingungen reden. Es ist gut, wenn wir
die Wissenschaftsorganisation stärken. Ich finde den Ti-
tel des Antrags der Grünen übrigens deutlich gelungener
und abwägender als den Titel des FDP-Antrags.

Wir haben nichts dagegen – das hat auch die Ministe-
rin gesagt –, im Bereich der Forschungsförderung Vor-
schriften zu entrümpeln, auf bürokratische Eingriffe zu
verzichten und mehr Flexibilität in den Bereichen Haus-
haltsführung, Vergabe- und Baurecht für die Forschungs-
einrichtungen zu schaffen. Der Teufel steckt aber im De-
tail: Was heißt das konkret?

Ich möchte nur ein Beispiel herausgreifen – Sie er-
wähnen es in Ihrem Antrag –: die Forderung nach attrak-
tiveren Vergütungskonditionen für exzellente Wissen-
schaftler. Auch in diesem Bereich hat die
Vorgängerregierung schon eine Menge erreicht, etwa die
leistungsorientierte W-Besoldung. Wir sind dort sicher-
lich noch nicht am Ende der Möglichkeiten. Wir hören
alle naselang von Forschungsorganisationen: Wir kön-
nen wieder einen Forscher nicht halten, weil ihm in an-
deren Ländern ein höheres Gehalt geboten wird. Das ist
sicherlich so. Man muss sich überlegen, was die Forde-
rung nach besserer Vergütung bedeutet – unabhängig da-
von, dass in vielen Bereichen eine flexible Handhabung
schon möglich ist –: Legen wir bei den exzellenten For-
schern eine Schippe drauf, führt das möglicherweise zu
Disparitäten im Tarifvertragssystem. Bieten wir nur Wis-
senschaftlern, die ins Ausland gehen wollen oder die wir
aus dem Ausland holen wollen, eine höhere Vergütung?
Führt das möglicherweise zu einem Wettbewerb zwi-
schen den Forschungseinrichtungen, der nicht wün-
schenswert sein kann, weil die finanziell bessergestellte
Forschungseinrichtung aus der A-Stadt dann den Spit-
zenwissenschaftler aus B-Dorf abwerben würde? Für das
System ist damit überhaupt nichts gewonnen; es geht nur
Geld verloren. Möglicherweise würde man für einen
Spitzenforscher so viel Geld verbrauchen, dass man da-
mit drei Nachwuchskräfte über längere Zeit fördern
könnte. Erfordert die demografische Entwicklung nicht
eher – dazu haben wir vor kurzem etwas bei der Anhö-
rung zu den Zukunftsperspektiven von Frauen im
Wissenschaftssystem gehört –, dass wir allen jungen
ausgebildeten Wissenschaftlern den Zugang zum For-
schungssystem ermöglichen und wir sie nicht heraus-
drängen? Wenn es eine freie Wissenschaftlerstelle gibt,
können wir es uns noch leisten, dass wir den Wettbewerb
so ausgestalten, dass nur der bessere von den zwei Be-
werbern genommen wird und der etwas schlechtere als
Taxifahrer durch Berlin fahren muss und der Wissen-
schaft verlorengeht?

Wir können es uns auch nicht mehr leisten – auch das
erfahre ich häufig –, dass bei einem jungen Wissen-
schaftlerehepaar nur der Mann als Forscher angestellt
wird – so ist es üblich – und die hochqualifizierte Frau
für die Kinderbetreuung nach Hause geschickt wird. Da
gibt es viele Beispiele, die man täglich erleben kann.
Besser ist es sicherlich, wenn beide am Institut arbeiten
können und die Kinder im Institutskindergarten betreut
werden; das ist sicherlich unstrittig. Das ist eine struktu-
relle Rahmenbedingung, die in einigen Forschungsein-
richtungen mittlerweile auch umgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Flexibilität bei der Bezahlung auch zu einer
Verbreiterung und Verbesserung der Basis des wissen-
schaftlichen Personals führt, dann bin ich dabei. Übri-
gens ist das, was ich gerade erläutert habe, nicht frei er-
funden, sondern beruht auf Erfahrungen. Im Dezember
waren wir mit dem Forschungsausschuss – die Kollegen
Gehring und Schneider waren dabei – am weltweit
höchst renommierten Weizmann-Institut in Israel. Dort
gibt es hervorragende junge und ältere Wissenschaftler.
Ich habe Herrn Professor Zajfman, den Direktor des Ins-
tituts, gefragt, wo er diese guten Leute herbekommt, ob
er sie etwa mit viel Geld aus dem Ausland holt. Als ich
ihn gefragt habe, wie diese Leute bezahlt werden, hat er
geantwortet, die Bezahlung sei mit der in den USA nicht
vergleichbar und „very far away from German scale“,
also weit unter den deutschen Maßstäben. Sie verdienen
lange nicht so viel wie deutsche Wissenschaftler. Das
zeigt, dass es nicht allein um Geld, sondern auch um an-
dere Rahmenbedingungen geht. Wir haben sehr gut ler-
nen können, wie wichtig es ist, vor Ort ein vernünftiges
Angebot für die Ehepartner und Familien der Wissen-
schaftler zu schaffen und vor allen Dingen jungen Wis-
senschaftlern eine Perspektive aufzuzeigen, die darüber
hinausgeht, für zwei oder fünf Jahre am Institut zu arbei-
ten, ohne zu wissen, wie es danach weitergeht.


(Beifall bei der SPD)


Am Weizmann-Institut kann jeder, der gut ist, entweder
wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Professor auf Le-
benszeit werden und erhält damit eine Perspektive, die
man in Deutschland häufig nicht findet.

Zwei Stichworte will ich noch aufgreifen. Sie, die
FDP, fordern in Ihrem Antrag, die Altersgrenze für her-
ausragende Wissenschaftler aufzuheben. Wir als SPD
halten die Überlegungen zu einer Seniorprofessur seit
Längerem für richtig. Allerdings darf das nicht dazu füh-
ren, dass Nachwuchskräfte verdrängt werden, sondern es
muss dafür eigene Stellen geben, möglichst auch eigen-
ständig finanziert.

Außerdem schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass Sie
ausländerrechtliche Hürden beseitigen wollen. Unser
Vorschlag dazu lautet: Starten Sie über Nordrhein-West-
falen eine Bundesratsinitiative.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Holen Sie sich Herrn Koch dazu, solange er noch Minis-
terpräsident in Hessen ist. Dann kann er zeigen, dass er
auch für eine andere Ausländerpolitik steht. Wir sind bei
diesem Thema sicherlich diskussionsbereit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614804100

Herr Kollege Röspel, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Sitte?


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1614804200

Gerne.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614804300

Herr Kollege, die SPD hat in der letzten Legislaturpe-

riode das Juniorprofessurenprogramm aufgelegt. Wir ha-
ben heute auch unseren Antrag mit dem Titel „Die Zu-
kunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit
Hilfe der Juniorprofessur stärken“ zu diskutieren. Sie ha-
ben vorhin selber erwähnt, wie wichtig es ist, die Förde-
rung von Spitzenkräften und die Förderung von Nach-
wuchskräften in das richtige Verhältnis zu setzen. Ich
möchte einfach die Gelegenheit nutzen, Ihre Position zur
Fortsetzung des Programms zu Juniorprofessuren zu er-
fragen.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1614804400

Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie eine

Initiative der SPD – nämlich die zur Juniorprofessur –
loben und für sinnvoll halten. Wir werden uns weiter da-
für einsetzen, weil es eine gute Maßnahme ist.


(Beifall bei der SPD)


Das sollte in der Kürze der Zeit genügen.

Ich würde gerne den Bogen zur Wissenschaftsfreiheit
schließen. An zwei Punkten habe ich große Sorge, was
die Zukunft der Wissenschaftsfreiheit in unserem Lande
anbelangt. Erstens ist mein Eindruck, dass es früher im
Interesse von Wissenschaftlern lag, ihre Ergebnisse
möglichst schnell auf Konferenzen oder in Fachzeit-
schriften zu veröffentlichen. Ich habe den Eindruck, dass
sich das Interesse jetzt dahin verschiebt, Patente zu erar-
beiten und anzumelden. Das allerdings setzt voraus, dass
man möglichst lange geheim, nicht mehr transparent und
kooperativ arbeitet. Deswegen appelliere ich an das Mi-
nisterium: Wir brauchen eine Neuheitsschonfrist, die es
ermöglicht, seine Ergebnisse zu veröffentlichen und der
Wissenschaft zur Diskussion zur Verfügung zu stellen,
ohne sich der Möglichkeit zu berauben, ein Patent anzu-
melden.

Wir haben heute darüber geredet und wir werden si-
cherlich noch länger darüber reden, dass Wissenschaftler
frei arbeiten können müssen. Der zweite Punkt, um den
es mir geht, ist aber die Freiheit junger Menschen – es
sitzen heute viele unter den Zuschauern –, Wissenschaft-
ler werden zu können.


(Beifall bei der SPD)


Ich mache mir zunehmend Sorgen darüber, dass jungen
Menschen in gewissen Bundesländern – der entspre-
chende NRW-Minister sitzt ja hier – durch die von der
FDP mitverantworteten Studiengebühren zunehmend
die Möglichkeit genommen wird, ein Studium aufzuneh-
men.


(Beifall bei der SPD)


Das hat nicht intellektuelle, sondern rein finanzielle
Gründe; das ist eine Tatsache. Das betrifft die Fachkräfte
und geht bis in die Mittelschicht. In der letzten Bürger-
sprechstunde habe ich erlebt, dass eine Lehrerin gesagt
hat: Mein zweiter Sohn will jetzt beginnen, zu studieren.
Das macht 2 000 Euro im Jahr. Ich komme langsam an
meine finanziellen Grenzen. – Diese Einschränkung der
Wissenschaftsfreiheit und der Möglichkeit, Wissen-
schaftler zu gewinnen, werden wir Sozialdemokraten
nicht hinnehmen. Das halten wir für grundlegend falsch.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei allen anderen Punkten, die zur Diskussion stehen,
sind wir gerne gesprächsbereit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614804500

Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring von

Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614804600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

letzten Jahr hat die Bundesregierung in Meseberg ein
Wissenschaftsfreiheitsgesetz versprochen. Bis jetzt ist
es ein Yeti geblieben. Vielleicht gibt es irgendwann ein
solches Gesetz. Aber gesehen hat es bisher noch nie-
mand. Nach der Rede von Ministerin Schavan ist mir lei-
der unklar geblieben, was tatsächlich drinstehen soll.
Mal gucken, ob es irgendwann schriftlich vorliegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Plötzlich, Monate später nach der Ankündigung der
Bundesregierung, rufen auch Sie von der FDP nach ei-
nem Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Sie wollen Freiheit
per Gesetz, obwohl das im Grundgesetz klar verankert
ist. Das klingt so, als glaubten Sie wirklich, dass Sie mit
einem einzigen Bundesgesetz die Grundlagen für mehr
Selbstbestimmung in der Wissenschaft legen könnten
und dass es bei den notwendigen Verbesserungen im
Wissenschaftssystem einzig und allein um mehr Freiheit
gehe. Dabei ist das überragende Ziel moderner For-
schungspolitik vor allem mehr Qualität. Aber davon ha-
ben Sie heute gar nicht gesprochen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir dürfen dabei nicht eindimensional auf den Faktor
Freiheit schauen, sondern müssen an einer Reihe von
Rädchen drehen. Dazu gehören eine gute Forschungsin-
frastruktur, attraktivere Arbeitsbedingungen für Forsche-
rinnen und Forscher, mehr Eigenverantwortung und
Transparenz, mehr Kooperation und eine bessere Gleich-
stellungs- und Nachwuchsförderungspolitik. Darum geht
es, wenn wir die Forschung und Wissenschaft in
Deutschland wirklich stärken wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Barth [FDP]: Jetzt haben Sie nicht einmal „Qualität“ gesagt!)


Natürlich geht es auch um mehr Freiheit, wenn wir Neu-
gier und Verantwortung in Forschung und Wissenschaft
ermöglichen wollen. Aber Freiheit ist kein Selbstzweck
à la FDP. Was helfen der Wissenschaft zusätzliche Frei-
räume, wenn ihr keine Mittel zur Verfügung gestellt wer-
den, diese auszufüllen? Ein Lehrstück – oder vielmehr
ein Bad-Practice-Beispiel dafür – bietet das Land Nord-
rhein-Westfalen mit seinem Hochschulfreiheitsgesetz,






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
das Schwarz-Gelb auf den Weg gebracht hat. Die NRW-
Landesregierung selbst räumt mittlerweile in Bezug auf
die internationale Zusammenarbeit ein, die Hochschulen
hätten nun mehr Freiheiten, nutzten diese aber gar nicht,
und die Politik könne nun gar nichts mehr machen. Ist
das die Politik, die Ihnen vorschwebt? Ich hoffe nicht.

Frau Ministerin Schavan, wenn Sie mit Ihrem Wis-
senschaftsfreiheitsgesetz klammheimlich eine schwarz-
gelbe Bildungskoalition schmieden wollen, um Herrn
Westerwelle wieder einmal zu beruhigen, dann überle-
gen Sie sich das besser zweimal; denn das sogenannte
Hochschulfreiheitsgesetz in NRW setzt den Wissen-
schaftlern externe Hochschulräte quasi als Dienstvorge-
setzte vor die Nase. Da wird demokratische Kontrolle
durch marktwirtschaftliche Gängelung ersetzt. Ist das
die Freiheit, die Sie meinen? Ich hoffe, nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Hochschule ist nicht dasselbe wie ein Unterneh-
men. So muss es auch bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Natürlich wollen auch wir Grüne mehr Selbstbestim-
mung in Wissenschaft und Forschung. Aber Autonomie
bedeutet für uns nie die Abwesenheit von Spielregeln.
Das ist ein zentraler Unterschied zu Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mehr Autonomie bedeutet auch mehr Eigenverantwor-
tung. Hochschulen und Forschungseinrichtungen müs-
sen gewährleisten, dass sich die Forschung qualitativ
verbessert. Es geht um Transparenz, demokratische
Rückbindung und Mitbestimmung. Finanzmittel müs-
sen effizienter eingesetzt werden, um genau dort anzu-
kommen, wo sie gebraucht werden. Deshalb schafft die
Einführung von Globalhaushalten eine gute Grundlage
für die Selbststeuerung. Hochschulen und Wissenschafts-
einrichtungen müssen selbst darüber entscheiden kön-
nen, wie die vorgesehenen Mittel zwischen Sach- und
Personalhaushalt aufgeteilt werden.

Aber Autonomie darf nicht dazu führen, dass zum
Beispiel kleine Fächer aussortiert werden, weil sie nach
FDP-Logik womöglich zu wenig Leistung im Verhältnis
zu den Investitionen bringen. Hier gibt es weiterhin eine
wichtige Steuerungsaufgabe von Politik und hier wird
deutlich, dass ein simples Wissenschaftsfreiheitsgesetz
nicht alle Probleme der Wissenschaft löst, sondern sogar
neue Probleme schaffen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das betrifft auch das Thema Wissenschaft als Beruf.
Seitdem die Große Koalition das Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz eingeführt hat, gilt für viele Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler in Deutschland die unbefris-
tete Befristung. Viele Nachwuchstalente gehen daher der
Wissenschaft verloren oder wandern gleich ins Ausland
ab, weil es dort verlässlichere Karrierewege gibt. Was
wir brauchen, ist eine Angleichung an das normale Ar-
beitsrecht, wo Befristung die Ausnahme und nicht die
Regel für alle ist. Ihre Vorschläge für mehr Flexibilität
bei der Bezahlung von exzellenten Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern, die Sie, Frau Ministerin, gemacht
haben, greifen hier eindeutig zu kurz. Was wir brauchen,
ist ein Wissenschaftstarifvertrag, der Wissenschaft in
Deutschland international wettbewerbsfähiger macht.
Das ist unser Ziel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: Das steht auch in unserem Antrag!)


– Dann haben wir ausnahmsweise einmal etwas gemein-
sam, Frau Pieper. –


(Cornelia Pieper [FDP]: Das wollte ich jetzt hören!)


Der Wissenschaftstarifvertrag, zu dem wir schon Vor-
schläge gemacht haben, ist eine gute Sache. Aber an die-
ser Stelle gibt die Große Koalition plötzlich ihren eige-
nen Wahlspruch „Mehr Freiheit wagen“ offensichtlich
auf.


(Cornelia Pieper [FDP]: Das ist ein Spruch, den die Kanzlerin übernommen hat!)


Denn mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben
Sie eine Tarifsperre eingeführt. Hier wird dirigistische
Zentralsteuerung vor das freiheitliche Vertrauen auf die
Forschungsorganisation und die Tarifvertragsparteien
gestellt. Deshalb ist das der falsche Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch in der Doktorandenausbildung gilt zu wenig nor-
males Arbeitsrecht. Das deutsche Stipendiensystem
reicht bei weitem nicht aus, um die Förderung von her-
vorragenden Nachwuchswissenschaftlern zu gewährleis-
ten. Wir brauchen deutlich mehr reguläre Stellen für
Doktorandinnen und Doktoranden. Gerade Nachwuchs-
wissenschaftler müssen ihre Karriere planen können; die
Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft muss end-
lich gewährleistet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: Das ist richtig!)


Die von Rot-Grün eingeführte Juniorprofessur hat erste
wichtige Grundsteine für die Stärkung der wissenschaft-
lichen Karriere junger Wissenschaftler gelegt. Mich
würde schon interessieren, ob das künftig weitergeht, ob
man diese Stärkung im Rahmen des Hochschulpaktes als
qualitatives Ziel vorgibt, also ob Bund und Länder die
Juniorprofessur ausbauen und dabei die Tenure-Track-
Option stärken. Das wäre ein wichtiges Ziel, um jungen
Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswis-
senschaftlern Zukunftsperspektiven zu geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frauen sind immer noch weit von gleichen Karriere-
perspektiven in der Wissenschaft entfernt. Das hat die
von uns Grünen angeregte Anhörung zu Frauen in der
Wissenschaft vor zwei Wochen im Forschungsausschuss
mehr als deutlich gezeigt. Das ist ein weiteres Beispiel






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
dafür, dass eine grenzenlose Autonomie à la FDP nicht
weiterhilft. Ob wir Gleichstellung in der Wissenschaft
erreichen, darf der Politik nicht egal sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Wissenschaft braucht klare politische Zielvorgaben
auf dem Weg zu Gleichstellung und Geschlechtergerech-
tigkeit. Ansonsten warten wir darauf noch 200 Jahre
oder länger. So kann es nicht laufen. Es geht darum, den
Anteil von Frauen auf allen Qualifikations- und Karrie-
restufen in Forschung und Wissenschaft deutlich zu stei-
gern. Wie die Wissenschaft dieses Ziel erreicht, soll sie
autonom entscheiden. Ob sie es erreicht, muss jedoch
Konsequenzen bei der Mittelvergabe nach sich ziehen.
Nur so schaffen wir eine Verbindlichkeit dafür, dass
Frauen endlich die gleichen Karriereperspektiven in der
Wissenschaft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Eine Reform des deutschen Wissenschaftssystems
muss auch den europäischen und globalen Forschungs-
raum einbeziehen. Wissenschaft lebt schließlich von In-
ternationalität, Mobilität, Kreativität und Austausch. Wir
wollen, dass Wissenschaftler durch Auslandsaufenthalte
ihre Forschungs- und Lehrkompetenzen erweitern und
stärken können. Genauso wollen wir aber auch ausländi-
sche Wissenschaftler, die in Deutschland arbeiten wol-
len, willkommen heißen. Dazu müssen wir allerdings die
völlig bürokratischen Zuwanderungshürden dringend
senken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehört eine erleichterte Visumvergabe. Wir brau-
chen auch Dual-Career-Couple-Programme, die Ar-
beitsangebote für Ehe- und Lebenspartner und Kita-
plätze für die Kinder. Schließlich brauchen wir
international konkurrenzfähige Gehälter; denn nur so
schaffen wir eine ständige Brain-Circulation, den bestän-
digen Austausch, den wir dringend brauchen.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Ja, es geht nicht nur um Braindrain, sondern auch da-
rum, dass man sich international austauscht. Weil uns
dies in der globalen Wissensgesellschaft stärkt und be-
reichert, ist das ein wichtiger Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Autonomie der Wissenschaft bedeutet auch, dass For-
schungsergebnisse stärker zugänglich gemacht werden.
Es muss endlich ein wissenschaftsfreundliches Urhe-
berrecht geben. Es kann nicht sein, dass öffentlich ge-
förderte Forschungsprojekte ihre Ergebnisse der Öffent-
lichkeit nicht kostenlos zur Verfügung stellen dürfen.
Das kann doch nicht wahr sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dem Prinzip des Open Access entsprechend sollten da-
her wissenschaftliche Erkenntnisse nach Ablauf einer
ganz bestimmten Frist frei verfügbar sein.

Unsere Vorschläge sind im Übrigen von der maßgeb-
lichen EU-Richtlinie gedeckt und sollten umgehend in
einem Dritten Korb zur Regelung des Urheberrechts in
der Informationsgesellschaft umgesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann könnten Sie gleich in einem Aufwasch die wissen-
schaftsfeindlichen Änderungen im Zweiten Korb rück-
gängig machen; denn bei diesem Gesetz waren der Gro-
ßen Koalition die Lobbyinteressen offensichtlich
wichtiger als die Freiheit der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Stärkere Selbstbestimmung der Wissenschaft heißt
für uns nicht zuletzt, dass die Versäulung der deutschen
Forschungslandschaft zwischen universitären und au-
ßeruniversitären Einrichtungen aufgebrochen wird.
Die gemeinsame Berufung von Professorinnen und Pro-
fessoren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
ist ein wichtiger Anfang. Wir haben zudem vorgeschla-
gen, einen Teil der Mittel des Paktes für Forschung und
Innovation für gemeinsame Projekte universitärer und
außeruniversitärer Einrichtungen zur Verfügung zu stel-
len. Auch das gäbe sicherlich einen ganz wichtigen Im-
puls. Des Weiteren schlagen wir zur bundesweiten Koor-
dination ein Forum für Forschungsförderung vor, wie es
der Wissenschaftsrat schon 2003 gefordert hat. Dieses
Forum kann ebenso wie der gemeinsame Austausch die
Versäulung verringern und die Kooperation der For-
schungsakteure tatsächlich verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wenn Sie
Forschung und Lehre in Deutschland wirklich umfas-
send fördern wollen, ist es mit einem schlichten Ruf
nach einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz nicht getan.
Stattdessen brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstren-
gung von Bund und Ländern, um die Qualität der Wis-
senschaft und die Attraktivität des Wissenschaftsstand-
ortes weiter zu stärken. Hier sollten wir endlich
anpacken.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614804700

Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1614804800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das deut-

sche Wissenschaftssystem befindet sich – dies wurde
bereits gesagt – in einem immer schärfer werdenden
internationalen Wettbewerb um Forschungsmittel, um






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kretschmer
exzellente Projekte und natürlich um die besten Köpfe.
Unter der Regierung Merkel sind bereits große Erfolge
in diesem Bereich erzielt worden. Mit dem Sechsmilliar-
denprogramm haben wir ganz klar gezeigt, wo wir
Schwerpunkte setzen. Keine Bundesregierung in der Ge-
schichte der Bundesrepublik hat so viel Geld auf einmal
in die Hand genommen und in Forschung und Entwick-
lung investiert. Das ist ein wirklich gutes Signal.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Doch Geld und eine starke Fokussierung auf Exzel-
lenz allein reichen nicht aus, um Deutschland in diesem
Wettbewerb ganz vorn zu halten. Um dort zu bleiben,
bedarf es eines Abbaus bürokratischer Hemmnisse in der
deutschen Forschung. Es bedarf einer Flexibilisierung
des Gesamtsystems und einer Stärkung der Eigenverant-
wortung der Wissenschaftseinrichtungen und der Wis-
senschaftler. Wir können stolz auf das sein, was wir in
den vergangenen Jahren in diesem Bereich erreicht ha-
ben.

Hervorgehoben werden sollte auch, dass Frau Bun-
desministerin Schavan die Strukturen in der deutschen
Wissenschaft in einem enormen Umfang und in einer
wirklich beeindruckend geräuschlosen Weise verändert
hat. Ich nenne nur beispielhaft das Karlsruher Institut für
Technologie und JARA, die Jülich-Aachen Research Al-
liance. Es wären noch viele andere Bereiche zu nennen;
gerade angesprochen wurde die Versäulung im deut-
schen Wissenschaftssystem. In den vergangenen Jahren
ist in diesem Bereich so viel verändert worden wie in
vielen Jahrzehnten zuvor nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist ein Erfolg dieser Regierung, dieser Koalition und
natürlich auch dieser Bundesministerin. Wir können ihr
dafür dankbar sein, und wir können ihr auch dazu gratu-
lieren, weil es für uns alle gut ist.

Wir wollen den Wettbewerb, und wir wollen ihn auch
gewinnen. Ein wichtiger Schritt dazu ist die Einführung
der Overhead-Finanzierung bei der Deutschen For-
schungsgemeinschaft. Ich denke, wir sind uns einig, dass
es uns damit gelungen ist, die in der Wissenschaft Er-
folgreichen zu belohnen und etwas zu beenden, was dort
über Jahre behindert hat, nämlich dass diejenigen, die
wirklich viele Drittmittel eingeworben haben, am Ende
von ihren Kollegen behindert wurden, weil auch von ih-
nen Ressourcen abgegriffen worden sind. Jetzt kann man
sagen: Diejenigen, die Forschungsgeld einwerben und
erfolgreich sind, nutzen auch der Gesamtinstitution, in
der sie arbeiten. Die Overhead-Finanzierung ist eine
ganz wichtige Maßnahme gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen die rechtlichen Rahmenbedingungen noch
attraktiver, noch forschungsfreundlicher und internatio-
nal noch konkurrenzfähiger machen. Aus diesem Grund
begrüßt die CDU/CSU-Fraktion, dass die Bundesregie-
rung sich aufgemacht hat, ein Wissenschaftsfreiheitsge-
setz zu erarbeiten, um die derzeit bestehenden Hemm-
nisse im Haushaltsrecht, im Tarifrecht, im Ausländer-
und Aufenthaltsrecht sowie im Vergaberecht zu beseiti-
gen. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesministe-
rin heute hier schon angekündigt hat, dass die Bagatell-
grenze von 8 000 Euro auf 30 000 Euro angehoben wird.
Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen eines sagen – in dieser Debatte ist es
deutlich geworden –: Das, was die Grünen und die PDS
hier vorgetragen haben, zeigt, dass sie keine Parteien
sind, die mehr Freiheit und mehr Wettbewerb im Wis-
senschaftssystem wollen. Das, was wir wollen, ist in der
Tat eine Veränderung der Philosophie. Vieles geht dann
eben so nicht mehr. Es geht dann nicht mehr, dass Lan-
deswissenschaftsminister und -ministerien der Bürokra-
tie vorgeben, was passiert. Es bedeutet, dass es zu größe-
rer Ungleichheit kommen wird, dass diejenigen, die
erfolgreich sind und für viel Qualität sorgen – wir brau-
chen sie; das Thema Qualität ist angesprochen worden –,
belohnt werden und dass diejenigen, die nicht so gut,
besser gesagt: schlecht sind, im Zweifel nicht mehr mit-
spielen können. Das ist die Voraussetzung für Exzellenz,
die zumindest wir als Union wollen.


(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])


Ein Wissenschaftstarifvertrag ist ein ganz wichtiger
Punkt. Die Forderung, einen solchen Vertrag einzufüh-
ren, wird seit vielen Jahren erhoben. Wir sollten ehrlich
sein und versuchen, praktisch vorzugehen. Ich kann den
Ländern nur dazu raten, den Hochschulen die Tariffähig-
keit zu geben. Die Hochschulen sollten beginnen, mit
den Gewerkschaften einen Wissenschaftstarifvertrag,
einen Spartentarifvertrag, auszuhandeln. Dieser Tarif-
vertrag sollte dann von anderen übernommen werden.
Der Bund kann mit der Helmholtz-Gemeinschaft ähnlich
vorgehen.

Ich glaube, es bringt nichts, wenn die Bundesebene
versucht, mit der Gewerkschaft übereinzukommen. Hier
müssen Tatsachen geschaffen werden, und das nach
Möglichkeit schnell und von unten. Die Forderung, ei-
nen Wissenschaftstarifvertrag zu schaffen, ist wichtig.
Wenn wir tatsächlich wollen, dass es durch Wettbewerb
zu Exzellenz kommt, dann müssen wir erkennen, dass
das nicht durch das öffentliche Dienstrecht erreicht wer-
den kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen über weitere Punkte reden. Deutschland
ist ein Land, in dem in enormem Maße ausgebildet wird,
und zwar im Bereich der wissenschaftlichen Exzellenz,
sei es im Studium, sei es in der Doktorandenausbil-
dung. Wir müssen dafür sorgen, dass die Personen, die
hier – auch mit deutschem Steuergeld – ausgebildet wer-
den, in diesem Land arbeiten können. Aus diesem Grund
müssen wir mit den Innenpolitikern jetzt diesen Streit
ausfechten. Wir müssen das Ausländerrecht so ändern,
dass diejenigen, die wir brauchen, in diesem Land arbei-
ten können und dass wir attraktiv für sie sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Kretschmer
Im Zusammenhang mit den Fragen der Finanzen, der
Globalhaushalte, der Übertragbarkeit der Mittel und des
Ausländerrechts gilt das, was die Ministerin schon ange-
sprochen hat: Die Forschungspolitiker im Deutschen
Bundestag sind sich – bis auf diese beiden Ausnahmen –
bezüglich der Zielrichtung im Wesentlichen einig. Die
Konfliktlinien sind eher in anderen Bereichen zu suchen,
nämlich zu den Innenpolitikern und den Finanzpoliti-
kern. Wir sollten hier gemeinsam vorgehen. Das ist auch
eine Einladung an diejenigen in der Opposition, die tat-
sächlich etwas erreichen wollen. Wenn wir Deutschland
in diesem Bereich attraktiv machen wollen, brauchen
wir Veränderung. Sie vonseiten der FDP können gerne
daran mitwirken,


(Zuruf von der FDP: Haben wir schon!)


da es im gesamtstaatlichen Interesse liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind auf dem richtigen Weg. Es geht jetzt um die
Ausgestaltung und um die Entwicklung von Ideen. Die
Bundesrepublik hat sich mit dem 6-Milliarden-Pro-
gramm und der Hightech-Strategie im internationalen
Wettbewerb zurückgemeldet. Wir sagen ganz klar: Ja,
wir wollen den Wettbewerb! Wir wollen ihn gewinnen! –
Mit der Diskussion über bessere Rahmenbedingungen,
die wir hier heute führen, untermauern wir diese Zielset-
zung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614804900

Das Wort hat jetzt der Minister für Innovation, Wis-

senschaft, Forschung und Technologie des Landes Nord-
rhein-Westfalen, Professor Andreas Pinkwart.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



(Nordrhein-Westfalen)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Exzellenzinitiative und der Pakt für For-
schung und Innovation haben Schwung in die deutsche
Wissenschafts- und Forschungslandschaft gebracht. Es
gilt jetzt, diesen Schwung mutig zu verstärken und in
den nächsten Jahren zu verstetigen. Dafür brauchen wir
zweierlei: mehr Gestaltungsfreiheit und mehr Gestal-
tungskraft für unsere Hochschulen und Forschungsein-
richtungen in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zur Gestaltungsfreiheit: Hier muss es unser Ziel
sein, Wissenschaft und Hochschulen endlich von unnöti-
gen Fesseln des Staates und der Bürokratie zu befreien.
Wir begrüßen daher die von der Bundesministerin
Annette Schavan angekündigte Wissenschaftsfreiheits-
initiative nachdrücklich. Wir wollen, dass die von Bund
und Ländern gemeinsam getragenen außeruniversitären
Forschungseinrichtungen die gleichen Gestaltungsfrei-
heiten erlangen können, wie wir sie unseren Hochschu-
len in Nordrhein-Westfalen mit dem Hochschulfreiheits-
gesetz bereits gegeben haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Das wollen wir ihnen ersparen, um Gottes willen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zugemutet haben! – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist wirklich ein Missbrauch des Freiheitsbegriffs!)


Sie alle haben sich sehr darüber gefreut, und der zweite
Durchlauf der Exzellenzinitiative Nordrhein-Westfalen
hat gezeigt, dass es den Hochschulen offensichtlich gut
bekommen ist, denn sie haben ihre Wettbewerbsposition
in der Exzellenzinitiative deutlich steigern können.


(Beifall bei der FDP)


Einen besseren Beleg dafür, dass das Hochschulfrei-
heitsgesetz in Nordrhein-Westfalen sehr gut ist, kann es
gar nicht geben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist lächerlich! – Ulla Burchardt [SPD]: Das ist Realitätsverlust!)


– Der Realitätsverlust spiegelt sich eher anderenorts wi-
der. Offensichtlich – darauf möchte ich hinweisen – gibt
es gerade bei den Grünen Widersprüche zwischen Anträ-
gen und Wortbeiträgen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Ich habe Ihren Antrag, der unseren Gedanken des Hoch-
schulfreiheitsgesetzes aufnimmt,


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)


eigentlich mit großer Freude gelesen. Ich habe mir ge-
sagt: Menschenskinder, das ist eine tolle Initiative. Viel-
leicht gibt es tatsächlich eine breite parlamentarische
Mehrheit für mehr Freiheit in Wissenschaft und For-
schung.

In dem Antrag der Grünen steht unter anderem – mit
Genehmigung des Präsidenten darf ich zitieren –:


(Jörg Tauss [SPD]: Immer! – Weitere Zurufe von der SPD: Die braucht’s nicht! – Geht auch ohne!)


Die Einführung von Globalhaushalten ist eine
Grundlage für die notwendige Selbststeuerung der
Forschungseinrichtungen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich in meiner Rede doch genau so gesagt! Haben Sie nicht zugehört?)


– Ich zitiere nicht aus dem Antrag der FDP, sondern aus
dem Antrag der Grünen. – Weiter heißt es da:

Um unternehmerisches Denken, Eigenverantwor-
tung und Managementfähigkeiten zu stärken, muss
die Entscheidungsgewalt darüber, wie die vorgese-
henen Mittel zwischen Sach- und Personalkosten
aufgeteilt werden, in der Einrichtung selbst liegen.

„Prima!“, kann ich dazu nur sagen. Genau das wollen
wir auch.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein-Westfalen)


(Beifall bei der FDP)


Bekennen Sie sich doch bitte auch in Ihren Wortbeiträ-
gen dazu!


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja meine Rede nachlesen!)


Wir brauchen endlich ein leistungsbezogenes Vergü-
tungssystem und ein international konkurrenzfähiges
Dienst-, Arbeits- und Zuwanderungsrecht, das
Deutschland für die besten Köpfe attraktiv macht.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn die Bundesratsinitiative aus NRW dazu?)


Hierzu ist eine Überwindung der Hemmnisse durch das
Besserstellungsverbot und den Vergaberahmen notwen-
dig. Frau Bundesministerin Schavan hat das vorhin vor-
sichtig angedeutet. Es ist nicht einfach – das verstehe
ich –, aber wir sollten versuchen, das zu erreichen.

In der Debatte habe ich von Herrn Röspel gehört, dass
man vielleicht lieber auf ein paar Spitzenleute verzichten
sollte, um in der Breite wirksamer zu sein. Dazu muss
ich Ihnen sagen: Sie haben die Gesamtzusammenhänge
offensichtlich immer noch nicht richtig erkannt. Wer
Spitze will, muss auch Breite fördern.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Genau das ist euer Problem! Deswegen macht ihr Studiengebühren!)


– Einen Moment! Deswegen versuchen wir in Nord-
rhein-Westfalen, wo Sie sehr lange Regierungsverant-
wortung getragen haben, die Hochschulen finanziell
endlich so auszustatten, dass sie in der Breite wie in der
Spitze konkurrenzfähig werden können.


(Beifall bei der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Da sagen unsere Hochschulen aber etwas anderes als Ihr Ministerium!)


Wir brauchen beides, und dafür brauchen wir auch die
richtigen Rahmenbedingungen.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Fangen Sie doch endlich einmal an, in Nordrhein-Westfalen zu regieren!)


Ich will Ihnen ein Beispiel geben zum Thema Flexi-
bilisierung der Altersgrenzen – das fiel auch in Ihre
Verantwortung –: Als wir uns im vergangenen Jahr über
die Verleihung des Nobelpreises an Peter Grünberg freu-
ten, wurde uns noch einmal vor Augen geführt, wie zu
Zeiten, als Sie Regierungsverantwortung im Bund wie
im Land Nordrhein-Westfalen innehatten, mit Spit-
zenwissenschaftlern umgegangen worden ist. Peter
Grünberg war ja immer schon ein ganz herausragender
Wissenschaftler. Er erhielt den Zukunftspreis und andere
Preise. Als er mit 65 Jahren unter Ihrer Verantwortung
zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde, hat man
ihm noch einen 400-Euro-Job angeboten.


(René Röspel [SPD]: Aber als Herr Rüttgers Zukunftsminister war, machte man es anders?)

Wir müssen solchen Spitzenleuten unabhängig von Al-
tersgrenzen endlich die Anerkennung geben, die sie im
Ausland längst erhalten. Wir müssen verhindern, dass
sie abwandern. Wir müssen dafür sorgen, dass sie hier
bleiben und gezielt gefördert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wer ist denn für das öffentliche Dienstrecht zuständig?)


Meine Damen und Herren – ich bekomme ja jetzt viel
Zustimmung von Ihnen –, wir brauchen neben Gestal-
tungsfreiheit auch Gestaltungskraft. Das heißt, wir
müssen mehr für die Hochschulen und die Forschungs-
einrichtungen tun. Deswegen möchte ich Ihnen zurufen
und hoffe auf tatkräftige Unterstützung durch die Mehr-
heit des Hauses und insbesondere durch die Kolleginnen
und Kollegen, die zur Regierungskoalition gehören: Las-
sen Sie uns zusehen, dass Bund und Länder sehr schnell
zusammenkommen, um den Hochschulpakt fortzu-
schreiben. Wir erwarten im kommenden Jahrzehnt Gott
sei Dank weiter steigende Studierendenzahlen. So geht
es jetzt in diesem Jahr auch darum, dass Bund und Län-
der den Hochschulpakt I fortschreiben. Insgesamt gilt es,
zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, damit jeder,
der im kommenden Jahrzehnt studieren möchte, in
Deutschland einen qualitätsvollen Studienplatz antrifft.


(Beifall bei der FDP)


Außerdem muss die Exzellenzinitiative fortgeschrie-
ben werden. Es ist ganz wichtig, dass Sie jetzt die Mittel
bereitstellen und das Programm verlängern, damit wir
auch über den Fünfjahreszeitraum hinaus im Rahmen
der Exzellenzinitiative die dritte Ebene fördern können.
Wir sind dazu bereit.


(Beifall bei der FDP)


Schließlich rufe ich Sie dazu auf, uns auch bei der
Einführung eines leistungsfördernden Stipendiensys-
tems in Deutschland zu helfen. Bisher erhalten nur
2 Prozent der Studierenden in Deutschland ein Stipen-
dium. Andere Länder haben viel höhere Quoten. Wir
würden gerne mit den anderen Ländern und dem Bund
zusammen diese Quote in den nächsten Jahren auf
10 Prozent erhöhen. Das wäre ein Beitrag dazu, neben
der Verbesserung der Situation in der Breite auch Spit-
zenleute in Deutschland zu halten.


(Beifall bei der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie in NRW doch ein Landesstipendienprogramm!)


Gestatten Sie mir einen letzten Gedanken zum Thema
Forschungsfreiheit. Das, was Herr Röspel zur Kern-
energieforschung gesagt hat, fand ich doch schon er-
staunlich. Wenn wir von der Freiheit der Forschung re-
den, müssen wir Freiheit auch da zulassen, wo sie uns
vielleicht aus allgemeinpolitischen Opportunitäten nicht
so passt.


(Jörg Tauss [SPD]: Zwei Zwangsprofessuren habt ihr geschaffen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein-Westfalen)

Die Vorgängerregierungen, sowohl im Bund als auch im
Land Nordrhein-Westfalen, haben die Kernenergie-
sicherheits- und -entsorgungsforschung in Nordrhein-
Westfalen, also in Jülich und Aachen, bewusst auslaufen
lassen. Wir haben das wieder rückgängig gemacht: Aus
einer moralischen Verpflichtung und unbeschadet der
Frage, ob wir dauerhaft Kernenergie einsetzen, tragen
wir Verantwortung dafür, dass Spitzenforschung in
Deutschland auf diesen Gebieten genauso wie bei der
Erforschung einer vierten Generation von Reaktoren
möglich ist.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Denn wenn wir die Herausforderungen durch den Kli-
mawandel wirklich ernst nehmen, müssen wir alle
Optionen für die Zukunft, also auch dieses Gebiet, in den
Blick nehmen.


(Jörg Tauss [SPD]: Alte Kamellen! – René Röspel [SPD]: Planen Sie jetzt Kernkraftwerke in NRW? Das ist ja neu!)


Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Wo sollen sie denn gebaut werden, Herr Pinkwart?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614805000

Das Wort hat jetzt der Kollege Swen Schulz von der

SPD-Fraktion.


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1614805100

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir haben nun in dieser Debatte schon einige Bei-
träge gehört. Ich habe meine Schwierigkeiten damit, mit
welchem Pathos hier für ein Wissenschaftsfreiheitsge-
setz eingetreten wird.


(Zuruf von der SPD: Ideologische Versatzstücke!)


Unbestritten gibt es einige Stellen, an denen der Wissen-
schaft mehr Eigenständigkeit eingeräumt werden sollte.
Dazu ist ja heute einiges gesagt worden.

Die Freiheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
aber nicht das einzige Kriterium für ein gutes Wissen-
schaftssystem. Das haben dankenswerterweise auch die
Grünen in der Einleitung Ihres Antrages festgestellt.
Man erhält immer viel Applaus, wenn man mehr Freiheit
fordert. Doch zur Freiheit gehört auch die Verantwor-
tung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade in der für die Gesellschaft so wichtigen Wissen-
schaft müssen wir eine klare Vorstellung davon haben,
wer was tun darf und soll und wer welche Verantwortung
übernehmen kann und muss. Wir könnten natürlich sa-
gen: Bitte schön, die Wissenschaft ist vollkommen frei
und kann machen, was sie will. Dann muss sie aber sel-
ber zusehen, wie sie sich finanziert. Aber diese Art von
Freiheit vom Staat will natürlich niemand. Die Steuer-
gelder sollen weiterhin fließen. Wenn jedoch öffentliche
Mittel verwendet werden, dann müssen diese auch im
öffentlichen Interesse eingesetzt und das muss entspre-
chend nachgewiesen werden.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darüber müssen wir in Parlament und Regierung wa-
chen.

Unsere Aufgaben gehen aber noch über die Kontrolle
der Verwendung von Steuergeldern hinaus. Die Wissen-
schaft in Deutschland – das ist Verfassungsrecht – ist
frei. Doch Freiheit hat immer auch Grenzen. Darum
finde ich es kritisch, dass die FDP in ihrem Antrag For-
schungsverbote und bürokratische Eingriffe geißelt und
dafür die kerntechnische Forschung sowie die Stamm-
zellforschung als Beispiele benennt. Es gibt so grund-
sätzliche Fragen der Ethik und der Sicherheit, da können
wir nicht einfach sagen, das geht uns nichts an.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist nicht nur eine Sache der Wissenschaftler, sondern
Thema öffentlichen Interesses.


(René Röspel [SPD]: Göttinger Erklärung!)


Das muss immer im Einzelfall diskutiert und gegebenen-
falls kontrovers abgestimmt werden. Aber die Möglich-
keit des Einschreitens des Gesetzgebers dürfen wir uns
nicht nehmen. Wir als Vertreterinnen und Vertreter des
Volkes sind in der Pflicht und dürfen uns darum nicht
drücken.


(Beifall bei der SPD)


Im Übrigen würden wir die Wissenschaft mit dieser Auf-
gabe auch überfordern.

Wie die SPD insgesamt hänge ich nicht irgendwel-
chen staatlichen Steuerungsfantasien nach. Vielmehr
weise ich auf das diffizile Verhältnis von Staat und
Wissenschaft hin, bei dem wir es in die eine wie auch in
die andere Richtung übertreiben können. Der Staat soll
nicht Einzelheiten vorschreiben. Globalhaushalte und
Zielvereinbarungen sind sinnvollere Instrumente als eine
Detailsteuerung. Es geht zum einen darum, staatliche
Schwerpunktsetzungen zu ermöglichen, etwa durch die
Auflage von thematischen Forschungsprogrammen, die
im öffentlichen Interesse sind, zum Beispiel zur Sicher-
heit, Bildung oder Gesundheit. Zum anderen muss die
Wissenschaft Freiräume haben, auf eigene Faust zu for-
schen, jenseits von öffentlichen Debatten. Die Politik ist
eben nicht immer mit größerer Weisheit gesegnet als die
der Wissenschaft innewohnende Bewegung. Dafür gibt
es viele Beispiele. So hat sich bis PISA kaum jemand für
die Bildungsforschung interessiert. Mit den Islamwis-
senschaften war es bis zu den Anschlägen vom
11. September 2001 ganz ähnlich. Jetzt sind wir froh,
dass wir die kompetenten Wissenschaftlerinnen und






(A) (C)



(B) (D)


Swen Schulz (Spandau)

Wissenschaftler haben. Darum müssen wir auch die so-
genannten kleinen oder Orchideenfächer schützen.


(Jörg Tauss [SPD]: Die unökonomischen! – Ulla Burchardt [SPD]: Die ökonomisch nutzlosen!)


Wir haben in der Debatte über die Geistes- und So-
zialwissenschaften darüber gesprochen. Auch das ist
eine Verantwortung von Wissenschaft und Politik.


(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn eine Initiative der Bundesregierung?)


Es wäre falsch, der Wissenschaft die Freiheit zu geben,
sozusagen ganze Wissenschaftszweige absterben zu las-
sen. Aber die Wissenschaft muss so frei sein, auch gegen
einen aktuellen politischen Trend die Orchideen pflegen
zu können.

Sie sehen also, es geht uns Sozialdemokraten um ein
vernünftiges Zusammenspiel von Wissenschaft und
Politik, von Freiheit und Verantwortung.


(Beifall bei der SPD)


Das ist ein Verhältnis, das natürlich nicht immer span-
nungsfrei ist, das jeweils ausdiskutiert werden muss, zu
dem es aber keine gute Alternative gibt.

Ich weise auf einen weiteren Punkt hin: Für die So-
zialdemokratie hat der Freiheitsbegriff immer noch eine
andere Dimension als für die Liberalen. Für uns geht es
nicht nur um die Freiheit vom Staat. Wir verstehen Frei-
heit immer auch als die Ermöglichung, die Befähigung,
sich zu entfalten. Der Staat muss dafür die Bedingungen
schaffen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Detlef Parr [FDP]: Aber nicht überreglementieren!)


Sonst setzen sich immer nur die Starken und die Reichen
durch.


(Detlef Parr [FDP]: Völlig falscher Schluss! – Weiterer Zuruf von der FDP: Diese These hat so einen Bart!)


Wir wollen die Freiheit der Wissenschaft, sich The-
men annehmen zu können, die nicht privat finanziert
werden. Das betrifft die bereits angesprochenen Orchi-
deenfächer, die Grundlagenforschung, auch gesell-
schaftskritische Wissenschaft.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Eine Wissenschaft, die sich nur dem Geld verschreibt,
macht die Gesellschaft arm, meine sehr verehrten Da-
men und Herren.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Detlef Parr [FDP])


Wir müssen natürlich immer auch die Lehre mit be-
denken, denn sie ist für die weitere Entwicklung der
Wissenschaft von elementarer Bedeutung und darüber
hinaus ein ganz wichtiges Thema für die Chancengleich-
heit.
Zu den Studiengebühren hat bereits der Kollege
Röspel das Notwendige gesagt.

Ein weiteres Problem der Lehre an Deutschlands
Hochschulen ist, dass sie nicht so recht belohnt wird. Sie
wird als Last wahrgenommen. Der einzelne Wissen-
schaftler und die Hochschule erhalten Geld und Renom-
mee über Forschung, aber nicht für die Lehre. Dazu
haben auch wir mit den Programmen der Forschungsför-
derung beigetragen. Es liegt auf der Hand, dass wir nun
endlich auch einen Schwerpunkt auf die Unterstützung
und Prämierung von guter Lehre, und zwar für alle Stu-
dierenden, legen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Sie sind doch dran, Herr Schulz! Warum machen Sie es denn nicht?)


Es gibt ein wunderbares Konzept für ein staatlich or-
ganisiertes Anreizsystem, das der Wissenschaft viel
Freiheit lässt: das Prinzip „Geld folgt Studierenden“.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Danach erhalten die Hochschulen Geld, wenn sie Studie-
rende anlocken.


(Ulrike Flach [FDP]: Alter FDP-Vorschlag!)


Dadurch entsteht ein toller und konstruktiver Wettbe-
werb um die beste Lehre, Frau Flach. Die Studierenden
sind dann nicht mehr eine Last, sondern werden zur Lust
der Hochschulen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Detlef Parr [FDP]: Für wen denn?)


Bei aller Unterstützung, die ich einzelnen Aspekten
des vorgelegten FDP-Antrages gebe, ist mir der Antrag
der Grünen von der ganzen Philosophie her sympathi-
scher.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Ich habe jetzt nicht die Zeit, das im Einzelnen auszufüh-
ren;


(Zuruf von der FDP: Schade!)


ich denke, das glauben Sie mir auch so.

Ich will nur noch die Gelegenheit nutzen, um kurz auf
das von den Grünen erwähnte und sehr wichtige Thema
Föderalismusreform II einzugehen. Tatsächlich haben
wir im Rahmen dieser Debatte die Chance, endlich den
verstaubten Investitionsbegriff der Nachkriegszeit weg-
zubekommen.


(Beifall bei der SPD)


Er bevorzugt Ausgaben für Beton und benachteiligt In-
vestitionen in die Köpfe; das gehört endlich geändert.

Wenn wir in diesem Zusammenhang aber über eine
neue Schuldenregel sprechen, dann dürfen wir eines
nicht zulassen, nämlich ein Schuldenverbot.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will ja auch niemand!)







(A) (C)



(B) (D)


Swen Schulz (Spandau)

Bei aller Sympathie für das Ziel, Schulden zu reduzie-
ren: Es muss auch in schwierigen Zeiten Spielraum für
Investitionen geben; sonst besteht die große Gefahr, dass
die Mittel für die Wissenschaft reduziert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn den Menschen liegt – das will ich ihnen gar nicht
vorwerfen – die Finanzierung ihres aktuellen Lebens nä-
her als die Ausgaben für die Zukunft. Zur Wissen-
schaftsfreiheit gehört aber auch eine verlässliche öffent-
liche Finanzierung. Diese dürfen wir nicht aufs Spiel
setzen. Darum kommt ein Schuldenverbot überhaupt
nicht infrage.

Die Freiheit der Wissenschaft ist wichtig. Sie muss
gestärkt werden. Gleichzeitig muss die öffentliche Ver-
antwortung wahrgenommen werden. Das können letzt-
endlich nur wir Volksvertreter. Das ist unsere Pflicht.
Das dürfen wir nicht vernachlässigen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614805200

Das Wort hat die Kollegin Marion Seib von der CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1614805300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine gestrigen Einlassungen in diesem Hohen Hause
zur unkompliziert gewordenen Förderung der Forscher
und Entwickler im IKT-Forschungsbereich sowie meine
Forderung nach mehr internationaler Vernetzung und in-
ternationaler Kooperation kann ich heute wiederholen,
diesmal nicht nur für den IKT-Bereich, sondern für die
gesamte Wissenschaftsszene.

In Gesprächen mit Wissenschaftlern, Forschern und
Entwicklern vor Ort erntet man bei einer Darstellung der
Notwendigkeiten nichts anderes als ungläubiges Kopf-
schütteln. Trotz der eben gehörten Meinung von Ihnen,
Herr Kollege Schulz, kann man eines feststellen: Die
Wissenschaftsszene braucht mehr Freiraum für fachli-
che Exzellenz; das will ich gerne begründen. Der Weg
zu diesem Ziel ist aber mit unglaublich komplizierten
und viel zu vielen Hürden verstellt. Der internationale
Austausch im schriftlichen Verfahren ist ganz selbstver-
ständlich geworden. Wer etwas mitzuteilen hat, bedient
sich weltweit der englischen Sprache. Damit steht dem
Wissensaustausch und der Verständigung im schriftli-
chen Verfahren nichts mehr im Wege.

Wehe aber, wenn Wissenschaftler und Hochschulleh-
rer versuchen, ihre Nachwuchswissenschaftler in den
Genuss der Mitarbeit bei hochanerkannten ausländi-
schen Kapazitäten zu bringen, um ihnen eventuell Refe-
renzen für ihre künftige Tätigkeit zu verschaffen. Diese
Nachwuchswissenschaftler finden die Bedingungen im
Ausland dann so prima, dass sie über Jahre für Deutsch-
land verloren sind. Oder wehe den Wissenschaftsverant-
wortlichen, wenn sie versuchen, Kapazitäten aus dem
Ausland nach Deutschland zu holen, um in der Zusam-
menarbeit von Forschung und Lehre den internationa-
len Standard zu halten oder zu fördern. Da merken sie
dann, dass Deutschland nicht nur von fachlicher Kon-
kurrenz umzingelt ist. Sie merken auch, dass sie sich ei-
nem weiteren interessanten Wettbewerb zu stellen ha-
ben, nämlich dem weltweiten Wettbewerb der
Arbeitgeber um hochinteressante Leistungsträger. Die-
sen Wettbewerb können sie unter den zurzeit gegebenen
Umständen aber nur verlieren. Wenn Beamtenrecht und
sonstige öffentliche Dienstvorschriften mit den Regel-
werken ausländischer Mitbewerber in Konkurrenz tre-
ten, sind die Verhandlungen gelaufen, ehe sie begonnen
haben.

Was ist zu tun? Wir müssen die Situation der wissen-
schaftlichen Einrichtungen und Hochschulen als Arbeit-
geber dringend verändern. „Verändern“ heißt in diesem
Fall nicht, verehrte Kollegen von der linken Seite, das
Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir müssen der Rea-
lität ins Auge schauen. International beobachtete For-
schungsfelder und veränderte Konkurrenzsituationen
müssen mit neuen Instrumenten ausgestattet werden.
Hierunter fallen Globalhaushalte mit Direktverantwor-
tung gegenüber den Rechnungshöfen. Vor allem aber
brauchen wir ein neues, modernes Tarifrecht mit flexi-
blen Elementen und Mut zur Lücke, insbesondere in den
hohen Tarifstufen.

Was aber am allerdringendsten gebraucht wird, ist das
Vertrauen der Legislative und der Exekutive in die Red-
lichkeit und das Können der Verantwortlichen in den
Hochschulen und den anderen wissenschaftlichen Ein-
richtungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir trauen den Verantwortlichen hinsichtlich ihrer intel-
lektuellen, fachlichen, wissenschaftlichen Arbeit sehr
viel zu. Wir hoffen, dass sie drängende Fragen der Ge-
sellschaft und der einzelnen Menschen lösen, und erwar-
ten ganz selbstverständlich, dass sie fachlich im interna-
tionalen Vergleich nicht zurückfallen. Dass sie innerhalb
der vorgegebenen Möglichkeiten den besten Weg zu ei-
ner verantwortlichen Verwendung der zur Verfügung ste-
henden Mittel finden, das trauen wir ihnen aber nicht zu.


(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Viele können sich ihrer fachlichen Arbeit nicht aus-
reichend widmen, weil sie viel Zeit für die streng vorge-
schriebenen, detaillierten Einnahme-Ausgaben-Rech-
nungen aufbringen müssen. Wir degradieren sie zu
überbezahlten Buchhaltern. Klar ist: Ich bin ein Fan ord-
nungsgemäßer Buchhaltung und schätze das Können
und den Einsatz aller Verantwortlichen, vom Buchhalter
bis zum Buch-, Wirtschafts- und Steuerprüfer. Die Wis-
senschaftler sind in der Regel aber nicht als Buchhalter
angestellt.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie wollen nach einhelligem Bekunden den Großteil ih-
rer Zeit ihren fachlichen Aufgaben widmen. Wenn wir






(A) (C)



(B) (D)


Marion Seib
diese Erkenntnis zugrunde legen, kommen alle politisch
Verantwortlichen, im Bund wie in den Ländern, sehr
schnell zu der Auffassung, dass wir rasch ein Wissen-
schaftsfreiheitsgesetz brauchen, wie Frau Bundesminis-
terin Schavan eben gesagt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wenn alle an diesem Prozess Beteiligten ihre ganz per-
sönliche „Exzellenz“ einbringen, gelingt uns sicher ein
guter Wurf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614805400

Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der

SPD-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1614805500

Herr Pinkwart freut sich schon.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nicht nur er!)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! – In der Tat, Herr Minister Pinkwart, mit Ih-
nen möchte ich beginnen. Ihr Beispiel von dem Wissen-
schaftler, der vorzeitig in Rente gehen musste, um dann
einen 400-Euro-Job angeboten zu bekommen, hat mich
zutiefst beeindruckt. Nachdem Sie sich auf dieses
Thema geschwungen haben wie ein blond gelockter
Jüngling aus der Antike auf sein Pferd, muss man glau-
ben, dass Sie in NRW auf diesem Gebiet Vorbildliches
geleistet haben. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben
ein Experimentchen gestartet, das am 31. Dezember die-
ses Jahres ausläuft. So sieht mutige Politik nicht aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie die Älteren doch länger arbeiten; für das
Dienstrecht seid ihr zuständig. Das darf aber nicht dazu
führen, dass die Stellen für Nachwuchswissenschaftler
nicht besetzt werden. Wir brauchen Doppelberufungen
und Ähnliches. So können wir miteinander etwas bewe-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Kollege Schneider, Sie waren so unglaublich geset-
zesbegeistert. Sie haben gesagt: Ein Gesetz ist immer
gut. Nun gut, das ist Ihre Position. Vielleicht können wir
uns darauf einigen: Wenn ein Gesetz nicht notwendig ist,
dann ist es notwendig, dass das Gesetz nicht erlassen
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Das ist nicht von mir, sondern von Montesquieu. Dem
können wir wohl parteiübergreifend zustimmen.

Richtig ist: Wir reden hier nicht über überflüssige ge-
setzliche Regelungen, sondern über Rahmenbedingun-
gen, die verbessert werden müssen, und zwar vom öf-
fentlichen Dienstrecht bis zu den vielen anderen
Bereichen, die angesprochen worden sind. Ich glaube in
der Tat, wir sollten diese Debatte klar beginnen mit der
Aussage – sie ist an verschiedenen Stellen erfolgt –, dass
wir in Deutschland selbstverständlich die Freiheit von
Wissenschaft und Forschung grundgesetzlich ge-
schützt und verankert haben


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das ist gut so!)


und dass wir heute darüber reden und es unser Ziel ist,
zu einer weiteren Stärkung der Wissenschaft zu kom-
men. Ich glaube, das bringt es auf den Punkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich kann nicht nachvollziehen, was ich diese Woche
im Spiegel gelesen habe. Man hat an der einen oder an-
deren Stelle den Eindruck, dass dem Schreiber die Fan-
tasie durchgegangen ist. Die Forschung in Deutschland
muss nicht vor imperialistischer Politik geschützt wer-
den. Die Forschung in Deutschland ist nicht gefesselt
und nicht bewegungsunfähig. Die anhaltenden und nach-
haltigen Erfolge unserer deutschen Wissenschaft in einer
globalisierten Welt beweisen das ein aufs andere Jahr.
Von Gängelung durch die Politik kann keine Rede sein.
Ich glaube, wir sollten mit Selbstbewusstsein sagen: Für
kaum eine Gemeinschaft in Deutschland hat es in den
vergangenen Jahren eine derartig gute Unterstützung
durch die Politik im Bund und auch einigen Ländern
– bei euch mache ich ein paar Abstriche, lieber Herr
Pinkwart; aber wir reden hier in erster Linie über den
Bund – gegeben wie für Wissenschaft und Forschung.
Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle gegen alle
möglichen Anwürfe von anderer Seite richtigstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dies ist natürlich nicht dem Zufall geschuldet, son-
dern der Tatsache, dass wir bis hin zum Bundesfinanz-
minister der Auffassung sind – und dies nicht erst seit
gestern, sondern kontinuierlich in den letzten Jahren –,
dass wir selbstverständlich nicht Forschungsnation sein
können, dass wir nicht Exportnation Nummer eins sein
können, wenn wir im Bereich Bildung, Wissenschaft
und Forschung Infrastrukturen vernachlässigen. Aus die-
sem Grunde, also auch im Interesse dieses ökonomi-
schen Ziels, sind hier verstärkte Anstrengungen notwen-
dig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])


Deswegen bin ich über den Jubel in den Ländern über
die PISA-Erfolge, dass wir von Platz was-weiß-ich auf
Platz 13 gerückt sind, nicht glücklich. Wir wären über
Platz 13 bei den Exportnationen nicht glücklich. Wir
müssen im Bereich Bildung und Forschung anstreben,
wie beim Export die Nation Nummer eins zu werden.
Das muss unsere Zielssetzung sein; wir sollten nicht
über das eine oder andere hintere Plätzchen jubeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])







(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Wir haben selbstverständlich schon versucht, einiges
auf den Weg zu bringen. Ich erinnere an Debatten in frü-
heren Jahren, bei denen man gesagt hat: Stellenpläne ha-
ben Verfassungsrang, und Budgets dürfen um Gottes
willen nicht übertragen werden. Hier hat es Fortschritte
gegeben, und es gibt sicherlich weitere Möglichkeiten.
Wir haben auf die programmorientierte Förderung um-
gestellt. Wir haben sie wettbewerblich ausgerichtet. Weg
von der Detailsteuerung und hin zur Globalsteuerung –
diesen Trend wollen und können wir mit Sicherheit in
den nächsten Jahren verfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich erinnere an den Pakt für Forschung und Inno-
vation. Ich erinnere an die Exzellenzinitiative für Spit-
zenhochschulen und den Hochschulpakt, in dessen
Rahmen wir über die DFG zusätzlich 700 Millionen
Euro an die Hochschulen geben. Auch davon profitieren
die Universitäten und die Studierenden unmittelbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Alle diese von mir genannten – im Übrigen vollstän-
dig wissenschaftsgesteuerten; auch dies sei noch einmal
gesagt – Initiativen stehen zur Verlängerung an. Darüber
werden wir reden. Ich glaube, auch hier werden wir Im-
pulse setzen. Das heißt, es geht nicht um einen Teil-
aspekt, sondern um das ganze Bündel an Maßnahmen.

Auf gar keinen Fall wollen wir – lieber Herr Kollege
Pinkwart, darüber müssen wir noch einmal reden, wenn
wir Koalitionsverhandlungen führen;


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Was? Wie?)


da seid ihr noch nicht ganz auf dem richtigen Trip – die
Wissenschaftsfreiheit in Deutschland durch eine Fremd-
bestimmung durch Wirtschaftsvertreter in den Uni-
versitäten ersetzen. Das kann weiß Gott nicht unser Ziel
sein. So verstehen wir den Freiheitsbegriff nicht. Da habt
ihr in Nordrhein-Westfalen Korrekturbedarf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eine zweite Legende betrifft das viel zitierte Wort
vom unternehmerischen Handeln im Forschungs- und
Universitätsbereich. Selbstverständlich ist im Detail
prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, aber können
Universitäten und Forschungseinrichtungen es tatsäch-
lich wollen, in jedem Aspekt wie ein Unternehmen be-
handelt zu werden? Sollen das unternehmerische Risiko,
das Versagen am Markt und Insolvenzen wirklich All-
tagserfahrung im Forschungssystem werden? Diese Fra-
gen müssen von denen, die das fordern, beantwortet
werden. Wie soll qua Definition hochriskante Grundla-
genforschung in ein solches Verständnis unternehmeri-
schen Handelns eingefügt werden? Forschung birgt
– wie auch das wirtschaftliche Leben – stets das Risiko
des Scheiterns. Aber das Risiko des Scheiterns muss in
einer Wirtschaftsordnung anders betrachtet werden als
das Scheitern eines Forschungsprojektes.


(Beifall bei der SPD)

Die überwiegend steueralimentierten und abgesicher-
ten Einrichtungen sollten bedenken, dass es nicht schon
unternehmerisches Handeln ist, wenn man sich als Ma-
nager geriert. An diesem Punkt sollte semantisch abge-
rüstet werden. Ich glaube, das ist notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Notwendigkeit
der Stärkung der Wissenschaft und der Sicherung von
Attraktivität und Forschungsfreundlichkeit stellen wir in
den unterschiedlichen Bereichen fest. Ich sage noch-
mals: Das, was im Spiegel zu lesen war – dass ahnungs-
lose Beamte in den Ministerien sachkundige Vorschläge
von Forschern verwerfen und nach Gutsherrenart verfah-
ren –, ist eine bösartige Unterstellung. Das sage ich auch
an die Adresse der Mitarbeiter des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung, die gemeinsam mit den Pro-
jektträgern eine hervorragende und qualifizierte Arbeit
im Sinne der Förderung von Wissenschaft und For-
schung leisten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie sind nicht diejenigen, die die Forscher von morgens
bis abends schikanieren.

Wir haben weitere Impulse gesetzt. Ich erinnere an
unseren Plan, ab Herbst 2008 hochdotierte Alexander-
von-Humboldt-Professuren zu schaffen. Damit werden
wir international renommierte Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler nach Deutschland locken.

Es gibt verschiedene Maßnahmen, um junge Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler, die ins Ausland ge-
gangen sind, zurückzuholen. Es ist überhaupt nichts da-
gegen einzuwenden, wenn sie sich den Wind um die
Nase wehen lassen. Wir müssen uns allerdings darüber
unterhalten, wie wir denjenigen, die zurückkommen
wollen, um ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen, at-
traktive und lukrative Bedingungen bieten können. Hier-
für gibt es zwar gute Beispiele, aber wir können noch zu-
legen. Einige Stichpunkte zu diesem Thema sind heute
bereits gesagt worden.


(René Röspel [SPD]: Die meisten sind unter Kohl und Rüttgers ins Ausland gegangen!)


– Ja, die meisten sind unter Rüttgers ins Ausland gegan-
gen. Das kann man nicht leugnen. Da unser lieber Koali-
tionspartner das anders sieht, will ich mich jetzt aber ein
bisschen zurückhalten. Diese Bemerkung ist allerdings
richtig.

Am KIT, dem Karlsruhe Institute of Technology, ma-
chen wir wichtige Erfahrungen. Das ist eine tolle Ge-
schichte. Es zeigt sich natürlich auch, welche Probleme
es gibt. Hier können wir im Hinblick auf das Wissen-
schaftsfreiheitsgesetz noch etwas lernen.

Ein Problem, mit dem das KIT zu kämpfen hat, ist:
Einerseits muss sich das KIT am teilweise inkompati-
blen und bürokratischen Rechtsrahmen des Landes Ba-
den-Württemberg orientieren; Stichwort: Universität.
Andererseits muss es sich nach dem Rechtsrahmen des
Bundes richten, Stichwort: 90-prozentige Finanzierung
des Forschungszentrums Karlsruhe und wesentlich mehr
Mitwirkung des wissenschaftlichen Personals. Das kann
sich in der Folge, bei der Zusammenarbeit mit der






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Universität, durchaus als Problem erweisen. Dieses Pro-
blem müssen wir lösen.

Einen Teil dessen, was am KIT getan wird, kann nur
auf der Basis rechtlicher Graubereiche geschehen. Daher
müssen wir jetzt erst einmal eine öffentliche Körper-
schaft nach Landesrecht schaffen, um im Rahmen einer
Umgehungskonstruktion die Kooperation zwischen For-
schungszentrum und Universität zu ermöglichen. Das ist
eine elegante Lösung. Sie zeigt aber auch, wie bürokra-
tisch manche Hemmnisse sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem KIT haben
wir einen Erfahrungsträger. Mit Blick auf die Koopera-
tion der RWTH Aachen mit dem Forschungszentrum Jü-
lich kann etwas Ähnliches geschehen. Dann könnten wir
darüber reden, das Vorschriftendickicht von Bund und
Ländern gemeinsam zu entrümpeln. Diese Gelegenheit
wollen wir nutzen. Wenn zur Erreichung dieses Ziels ge-
setzliche Maßnahmen notwendig sind, dann werden wir
handeln. Ich bin der Ministerin dankbar, dass sie auch
untergesetzliche Regelungen angesprochen hat, durch
die man in der einen oder anderen Frage viel schneller zu
Lösungen kommen kann.

Da auch das Thema Tarifverträge erwähnt worden
ist, möchte ich darauf hinweisen: Für Tarifverträge ist
nicht die Politik zuständig; das muss klar sein. Tarifver-
träge, auch im Bereich der Hochschulen, werden von
den Ländern geschlossen. Die Länder haben die Tarif-
gemeinschaft auf den Hund kommen lassen, Herr
Pinkwart. Es wäre notwendig, dass Sie hier Impulse set-
zen. Der Bund ist bereit, hierzu seinen Beitrag zu leisten.
Die letzten Tarifverhandlungen für den öffentlichen
Dienst waren, was die Stärkung der Wissenschaft und
des Nachwuchspersonals angeht, nicht gerade ein Ruh-
mesblatt; das ist völlig klar. Deswegen unterstützen wir
die Forderung der FDP nach einem Wissenschaftstarif-
vertrag. An dieser Stelle können wir aber nicht handeln.
Handeln müssen andere.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit den Grünen sind wir uns einig, dass wir für Wis-
senschaft und Forschung ein modernes Urheberrecht
brauchen. Ganz so grässlich, wie Sie es dargestellt ha-
ben, ist das, was wir getan haben, aber nicht. Wir haben
SUBITO gestärkt und im Rahmen des zweiten Korbes
weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Da ich ge-
rade sehe, dass der Kollege Manzewski hier ist, möchte
ich sagen: Wir haben in der Tat noch viel zu tun, um un-
ser Urheberrecht wissenschaftsfreundlich zu gestalten.
Wir haben gute Ideen, über die wir mit unseren Kolle-
ginnen und Kollegen diskutieren werden.

Lieber Herr Präsident, ich will die Hoffnung zum
Ausdruck bringen, dass ein Gewinner dieser Debatte
schon feststeht: die Forschung in Deutschland. Wir wer-
den sie weiterhin stärken. Dafür ist der heutige Tag ein
gutes Zeichen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614805600

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1614805700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-

lege Tauss von unserem geschätzten Koalitionspartner
hat vieles gesagt, was richtig ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Alles!)


– Vieles. Wir wollen es nicht übertreiben.

Ich will auf den Antrag der Grünen, der ebenfalls zur
Diskussion steht, eingehen. Die Grünen haben in ihrem
Antrag geschrieben:

Das Wissenschaftssystem in Deutschland ist besser
als sein Ruf, weist aber einige Schwächen auf …

Diese Feststellung ist richtig. Diese Schwächen zu behe-
ben, ist Aufgabe der Großen Koalition. Wir freuen uns
natürlich über jeden, der daran mitarbeitet. Aus freundli-
cher Rücksichtnahme auf die Kolleginnen und Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen wegen der Gespräche in an-
derer Sache und an anderer Stelle will ich auf diesen An-
trag nicht näher eingehen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie neidisch?)


Ein weiterer Antrag liegt uns vor; er stammt von der
FDP. Er ist interessant zu lesen, und einige Aspekte sind
durchaus zu berücksichtigen. Aber ich glaube, es ist dem
Ziel, das wir erreichen wollen, nicht dienlich, wenn das
Wissenschaftsfreiheitsgesetz überfrachtet wird.


(Cornelia Pieper [FDP]: Wann legen Sie Ihren Gesetzentwurf vor?)


Ich darf auf das verweisen, was der Kollege Tauss eben
zur Frage eines Wissenschaftstarifvertrages ausgeführt
hat: Er hat zu Recht gesagt, dass wir eines nach dem an-
deren tun sollten.

Wir verfolgen mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz
im Grundsatz zwei Ziele: Wir wollen weniger Bürokra-
tie und mehr Eigenverantwortung für die universitären
und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Ich bin froh, dass Ministerin Annette Schavan diesem
Anliegen Priorität gegeben hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Cornelia Pieper [FDP]: Warum hat sie noch kein Gesetz vorgelegt?)


Wir wollen praktikable, flexible Rahmenbedingungen,
um die Hochschulen und Forschungseinrichtungen im
Wettbewerb um die besten Köpfe, um finanzielle Mittel
und um Innovationen und Technologien zu unterstützen.
Wir freuen uns natürlich darüber, dass Sie mitarbeiten
wollen, Frau Pieper.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: „Mitarbeiten“? Wir treiben! Ohne uns gäbe es diese Debatte gar nicht! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss Carsten Müller [SPD]: Die FDP will doch gar nicht regieren! – Weiterer Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Hessen will die FDP nicht regieren!)





(A) (C)


(B) (D)


– Um zu treiben, hätten Sie ein halbes Jahr früher kom-
men müssen. Aber, wie gesagt: Wir freuen uns über je-
den, der uns auf diesem Weg begleitet.

Das Vorfeld ist geschaffen; die Exzellenzinitiative ist
ein Stichwort. Wir wollen, um Arbeitsplätze und Wirt-
schaftskraft in Deutschland zu akkumulieren, mit diesem
Gesetz auf die großen Herausforderungen reagieren, die
sich schnell wie folgt zusammenfassen lassen: erhöhte
Mobilität, Bekämpfung des Braindrain. Wir brauchen ei-
nen Braingain; Herr Kollege Gehring hat das ebenfalls
aufgegriffen. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb.
Es gibt einen immer schneller werdenden Wettlauf um
verwertbare Produkte.

Die nötige Flexibilität bei den Rahmenbedingungen
ist genannt. Wissenschaft braucht Freiheit. Wir wollen
dazu beitragen, dass Deutschland zu einem Magneten
für Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt
wird. Es gibt eine Menge zu tun. Wir haben in der ver-
gangenen Woche lesen können, dass weniger als
500 Wissenschaftler aus Nicht-EU-Ländern zu uns ge-
kommen sind. Das heißt, wir müssen zusehen, dass wir
kurzfristig – ich bin optimistisch, dass uns das gelingt –
mit den Freunden der Innenpolitik sinnvolle Lösungen
finden. Wir können es nicht hinnehmen, wenn es hier
eine Blockade gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In vielen Reden sind gute Lösungen angeklungen. Ich
will den Bereich des Urheberrechtes herausgreifen. Ich
freue mich, dass sich der Kollege Manzewski von unse-
rem Koalitionspartner die Gelegenheit nicht entgehen
lässt, davon überzeugt zu werden, dass wir beim dritten
Korb kurzfristig Veränderungen vornehmen müssen. Wir
rechnen fest mit Ihrer Unterstützung, meine Damen und
Herren.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wir wollen, dass die Entscheidungswege in den For-
schungseinrichtungen schnell und unbürokratisch wer-
den. Sie alle wissen, wie viel Zeit zum Beispiel das Aus-
füllen von Reisekostenanträgen einnimmt. Diese Zeit ist
in Forschung und Entwicklung besser investiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen in unserer Arbeit drei Schwerpunkte set-
zen: Wir wollen im Bereich Personal flexible und attrak-
tive Vergütungskonditionen,


(Cornelia Pieper [FDP]: Das ist dringend notwendig!)


übrigens nicht nur für die, die absolute Spitzenleistungen
erbringen, sondern durchweg. Das ist geboten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Cornelia Pieper [FDP]: Das wollen wir auch!)


Wir wollen Anreizsysteme schaffen. Das begünstigt na-
türlich diejenigen, die besonders leistungsfähig sind.
Diejenigen, die nicht so leistungsfähig sind, bekommen
etwas weniger. Im Bereich der Haushaltssystematik wol-
len wir die Gesichtspunkte der Überjährigkeit, der Über-
tragbarkeit und der Deckungsfähigkeit von Mitteln ver-
folgen.

Es geht uns auch um Kooperation und Vernetzung,
um Beteiligungen und Ausgründungen. Wir wollen diese
erleichtern. Das heißt – ich sage das ausdrücklich –:
mehr Chancen, aber auch mehr Risiko. Dessen müssen
wir uns bewusst sein, und das müssen wir in Kauf neh-
men.


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wir brauchen unternehmerisches Handeln!)


Ich glaube aber, dass die Rechnung unterm Strich aufge-
hen wird.

Der eine oder andere Redebeitrag heute hat mich
nicht überzeugt. So erinnere ich mich nur sehr ungern an
den Beitrag der Linksfraktion. Bei FDP und Grünen sehe
ich Nachholbedarf, aber wenigstens stimmt die grobe
Richtung.

Ich freue mich, diese Debatte mit der folgenden Fest-
stellung beenden zu können: Mit Ministerin Annette
Schavan und den Fraktionen der Großen Koalition wer-
den wir im Bereich der Wissenschaftsfreiheit die wichti-
gen Ziele schnell erreichen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die Frage ist nur, wann!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614805800

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 16/7858 und 16/8221 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Die Zukunft
der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der
Juniorprofessur stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8369, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3192
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 k und 16
sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
28 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten

Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrGÄndG)

– Drucksache 16/7252 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Rechtsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Einheitengesetzes und des Eichgeset-
zes, zur Aufhebung des Zeitgesetzes, zur
Änderung der Einheitenverordnung und zur
Änderung der Sommerzeitverordnung

– Drucksache 16/8308 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 8. September 2006 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Trinidad und Tobago über die Förderung und
den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 16/8251 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 1. August 2006 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Republik
Madagaskar über die gegenseitige Förderung
und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla-
gen

– Drucksache 16/8252 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 8. November 2006 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Guinea über die gegenseitige Förderung
und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla-
gen

– Drucksache 16/8253 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 5. Februar 2007 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Königreich
Bahrain über die Förderung und den gegensei-
tigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 16/8254 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 30. Mai 2007 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und dem Sultanat
Oman über die Förderung und den gegenseiti-
gen Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 16/8255 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Privatisierung öffentlicher Aufgaben zur Stär-
kung der sozialen Marktwirtschaft
– Drucksache 16/7735 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Versorgungsqualität der Substitutionsbehand-
lung für Opiatabhängige verbessern
– Drucksache 16/8212 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase,
Jörg Tauss, Ulla Burchardt, weitere Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für
Berufsausbildung
– Drucksache 16/8382 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

k) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt
– Drucksache 16/7082 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
16 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 22. November 2004 über das Europäi-
sche Korps und die Rechtsstellung seines
Hauptquartiers zwischen der Französischen Re-
publik, der Bundesrepublik Deutschland, dem
Königreich Belgien, dem Königreich Spanien

(Straßburger Vertrag)


– Drucksache 16/8250 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über
die Zuständigkeit und das anwendbare Recht
in Unterhaltssachen, die Anerkennung und
Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen
und die Zusammenarbeit im Bereich der Un-
terhaltspflichten
– Drucksache 16/8377 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Freiwilligen projektbasierten Klimaschutz auf
verbreiteter Grundlage voranbringen

– Drucksache 16/7174 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.1)

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/8250 zu
Tagesordnungspunkt 16 soll abweichend von der Tages-
ordnung federführend im Verteidigungsausschuss bera-
ten werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Beschlussfassungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 29 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Wahlprüfungsgesetzes
– Drucksache 16/7463 –

1) Anlage 2
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)


– Drucksache 16/8354 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Dr. Carl-Christian Dressel
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck (Köln)


Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/8354, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Obligatorische Haftpflichtversicherung für ge-
werbliche Binnenschiffe beim Transport ge-
fährlicher Güter

– Drucksachen 16/6640, 16/8030 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/8030, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/6640 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ge-
genstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Tagesordnungspunkt 29 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu der Verordnung der Bundesregierung

Einundachtzigste Verordnung zur Ände-
rung der Außenwirtschaftsverordnung

– zu der Verordnung der Bundesregierung






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Zweiundachtzigste Verordnung zur Ände-
rung der Außenwirtschaftsverordnung

– zu der Verordnung der Bundesregierung
Einhundertfünfundfünfzigste Verordnung zur
Änderung der Einfuhrliste
– Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz –

– Drucksachen 16/7795, 16/7796, 16/7797,
16/8261 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

Der Ausschuss empfiehlt unter den Buchstaben
a bis c seiner Beschlussempfehlung, die Aufhebung der
Verordnungen der Bundesregierung auf Drucksachen
16/7795, 16/7796 und 16/7797 nicht zu verlangen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungen
sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 29 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 363 zu Petitionen
– Drucksache 16/8201 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 363 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 29 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 364 zu Petitionen
– Drucksache 16/8202 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 364 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 365 zu Petitionen
– Drucksache 16/8203 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 365 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 29 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 366 zu Petitionen
– Drucksache 16/8204 –
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 366 ist bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Frak-
tionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 367 zu Petitionen
– Drucksache 16/8205 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 367 ist bei Gegenstimmen der
FDP-Fraktion mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 368 zu Petitionen
– Drucksache 16/8206 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 368 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 369 zu Petitionen
– Drucksache 16/8207 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 369 ist wiederum mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 370 zu Petitionen
– Drucksache 16/8208 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 370 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
der FDP-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 371 zu Petitionen
– Drucksache 16/8209 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 371 ist mit den Stimmen der






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 372 zu Petitionen

– Drucksache 16/8210 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 372 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Unterschiedliche Auffassungen in der Bundes-
regierung zu den Folgerungen aus der Online-
entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 27. Februar 2008

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen, für
den Antragsteller das Wort.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614805900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Mitt-

woch vergangener Woche war – das darf man mit Fug
und Recht sagen – ein historischer Tag. Das Bundesver-
fassungsgericht hat nicht nur ein Urteil zur Onlinedurch-
suchung gefällt, sondern auch ein neues Grundrecht kre-
iert: das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit
und Integrität informationstechnischer Systeme.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


So wie die Schaffung des Grundrechts auf informatio-
nelle Selbstbestimmung mit dem Volkszählungsurteil die
rechtliche Antwort auf die automatisierte Datenverarbei-
tung war, ist dieses neue Grundrecht die Antwort auf die
technischen Möglichkeiten des Informationszeitalters.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Zukunft wird sich jede staatliche Gewalt daran mes-
sen lassen müssen. Deshalb war dieser 27. Februar ein
stolzer Tag für die Bürgerrechte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Ich höre „Sehr richtig!“ von der FDP. Deswegen sei
es mir erlaubt, auf den Umstand hinzuweisen, dass die-
ser Tag nur Sieger kannte. Alle wollten etwas von dem
Glanz abbekommen, von Wolfgang Schäuble über
Guido Westerwelle und Christian Ströbele bis Dieter
Wiefelspütz und Wolfgang Nešković. Wenn so etwas an
einem Wahlabend geschieht, dann weiß der Fernsehzu-
schauer: Da kann etwas nicht stimmen. Deswegen
möchte ich zwei Sieger der besonderen Art etwas würdi-
gen.

Dazu gehört zunächst – sorry – die FDP; sie hat sich
selbst besiegt:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In liberaler Wendigkeit hat sie sowohl die Position des
Klägers als auch die des Beklagten eingenommen. Sie
glaubte offenbar, dadurch so etwas wie doppelte Ge-
winnchancen zu haben.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


War Ihnen Herr Wolf etwa peinlich? Nein, Ihnen scheint
wenig peinlich zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch Sie erklärten sich zu strahlenden Siegern.

Die Reaktion des Herrn Bundesinnenministers war
deutlich problematischer. Jeder weiß, dass er die Ent-
scheidung gar nicht abwarten wollte. Wir erinnern uns
an eine Koalitionskrise nach der anderen seit vergange-
nem Sommer,


(Rüdiger Veit [SPD]: So schlimm war es nicht!)


die er dadurch ausgelöst hat, weil er immer wieder be-
tonte, er wolle, dass sein Entwurf eines BKA-Gesetzes
sofort umgesetzt wird. Er hat nicht einmal die mündliche
Urteilsbegründung des Präsidenten des Bundesverfas-
sungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, abgewartet. Noch
während sie verkündet wurde, veröffentlichte er eine
schriftliche Pressemitteilung mit dem Tenor, Online-
durchsuchungen seien grundsätzlich zulässig, jetzt
könne das BKA-Gesetz zügig umgesetzt werden und er
sehe sich allen Ernstes bestätigt.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Stimmt ja auch!)


Verehrter Herr Staatssekretär, ich hoffe, inzwischen
haben Sie das Urteil in Ihrem Haus einmal gelesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dann wissen Sie nämlich: Die Onlinedurchsuchung ist
grundsätzlich zulässig; das Gericht hat sie aber nur unter
ganz engen Voraussetzungen für den Ausnahmefall zu-
gelassen. Der Entwurf eines BKA-Gesetzes, den Sie vor-
gelegt haben, sieht vor, dass allein die Gefahr des grenz-
überschreitenden internationalen Terrorismus – diese
Gefahr besteht leider täglich; sie wird auch in den nächs-
ten zehn Jahre bestehen – als Begründung für eine
Onlinedurchsuchung ausreichen soll. Genau das geht
nicht.

In Zukunft muss eine auf Tatsachen gestützte, kon-
krete Gefahr für Leib und Leben, für die Freiheit oder
für den Bestand des Staates gegeben sein; nur dann kann
im Ausnahmefall von diesem Mittel Gebrauch gemacht
werden. Im Übrigen verlangt das Gericht einen wasser-
dichten Schutz des Kernbereichs der privaten Lebens-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
gestaltung. Auch davon steht in Ihrem Gesetzentwurf
kein Wort. Deswegen hat das Gericht nicht nur das Ver-
fassungsschutzgesetz von NRW zerpflückt, sondern im-
plizit auch Ihren Entwurf zerrissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir, die Grünen, hätten uns eine Entscheidung ge-
wünscht, nach der die Onlinedurchsuchung grundsätz-
lich nicht zulässig ist. Wir akzeptieren, wie das Bundes-
verfassungsgericht geurteilt hat, sagen aber: Das ist kein
Prinzip „Blankoscheck“. Wir stellen die Frage: Was ge-
schieht nun eigentlich mit denjenigen, die bei uns bereits
Onlinedurchsuchungen ohne gesetzliche Grundlage
durchgeführt haben? Ich denke, das ist möglicherweise
strafbar. Es kann doch nicht der Running Gag sein, dass
sich der Staatssekretär weigert, in den Innenausschuss zu
kommen, wie das beim damals zuständigen Staatssekre-
tär der Fall war. Wir wollen endlich rechtsstaatliche Auf-
klärung darüber, was geschehen ist; schließlich leben wir
nicht in einer Bananenrepublik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Entscheidend ist auch Folgendes: Jetzt muss der ge-
samte Entwurf eines BKA-Gesetzes auf den Prüfstand.
Der Entwurf enthält ein Best-of aus dem Katalog des
Überwachungsstaates: Schleierfahndung, Rasterfahn-
dung, IMSI-Catcher, großer Lauschangriff, kleiner
Lauschangriff, Spähangriff per Video, Einsatz von ver-
deckten Ermittlern und von V-Leuten usw. Das ganze
Alphabet hat man gebraucht, um diese Befugnisse zu ka-
talogisieren. Das alles geschieht ohne die Kontrolle des
Generalbundesanwaltes und ohne eine parlamentarische
Kontrolle, die diesen Namen verdient.

Sie glauben doch wohl nicht, dass wir eine Art FBI
mit vollen geheimdienstlichen Befugnissen brauchen
oder gar wollen. Die Diskussion über das BKA-Gesetz
beginnt erst jetzt, und für uns ist die Richtung dabei völ-
lig klar: Wir brauchen keinen Generalverdacht gegen
alle Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen keine omniprä-
sente staatliche Kontrolle. Auch deswegen sagen wir an
dieser Stelle noch einmal: Vielen Dank, Bundesverfas-
sungsgericht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614806000

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1614806100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Grünen haben eine Aktuelle Stunde unter der Über-
schrift „Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesre-
gierung zu den Folgerungen aus der Onlineentscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 27.02.2008“ bean-
tragt. Ich habe vor der Rede des Kollegen Wieland nicht
verstanden, warum sie die Aktuelle Stunde beantragt ha-
ben, und nach der Rede erst recht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn über unterschiedliche Auffassungen haben Sie gar
nicht referiert. Ich habe allerdings Verständnis dafür,
dass Sie nicht über unterschiedliche Auffassungen – also
über Ihren eigenen Antrag – referiert haben, weil Sie
dazu nämlich gar nichts referieren können.

Die Lage ist an Schlichtheit kaum zu überbieten:

Erstens. Der internationale Terrorismus ist nicht nur
hoch kommunikativ, sondern er arbeitet auch hoch kon-
spirativ. Wer die Umstände der Beobachtung und Fest-
nahme der Terroristen aus dem Sauerland kennt, weiß,
dass die Überwachung der Kommunikation von überra-
gender Bedeutung für deren Überführung war.

Zweitens. Deswegen können wir auf das Fahndungs-
mittel der Onlinedurchsuchung nicht generell verzich-
ten. Es geht um die Sicherung flüchtiger Beweise. Wür-
den wir sagen, dass wir keine Onlinedurchsuchungen
durchführen, würden wir den Terroristen einen staats-
freien Raum zur Kommunikation garantieren. Wir wür-
den Ihnen signalisieren: Wenn ihr auf diese Weise welt-
weit kommuniziert, seid ihr vor dem Staat sicher. Genau
das darf nicht geschehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Fritz Rudolf Körper [SPD])


Drittens. Wir haben immer gesagt, dass die Online-
durchsuchung ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeits-
rechte der Betroffenen ist, der nur unter ganz engen Vo-
raussetzungen und unter Einhaltung hoher rechtlicher
Hürden stattfinden darf.

Viertens. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt prä-
zise definiert, wie diese rechtlichen Voraussetzungen
auszusehen haben. Der Referentenentwurf zum BKA-
Gesetz – es gab übrigens noch gar keinen Gesetzentwurf
im engeren Sinne; es hat noch keinen Kabinettsbeschluss
gegeben – muss entsprechend präzisiert werden.


(Zuruf des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


Fünftens. Wir werden anhand der Entscheidungs-
gründe des Bundesverfassungsgerichtes sehr sorgfältig
prüfen müssen – das kann man nicht aus der Hüfte ma-
chen –, welche Schlussfolgerungen sich beispielsweise
für die Strafverfolgung im Rahmen der Strafprozessord-
nung und für die Gesetze der Dienste ergeben. Darüber
herrscht in der Bundesregierung und zwischen den Ko-
alitionsparteien vollkommene Übereinstimmung. Des-
wegen muss man in den nächsten 50 Minuten auch nicht
dasselbe mit immer neuen Worten wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dessen ungeachtet bin ich Ihnen, Herr Kollege
Wieland, für Ihren Beitrag dankbar, weil Sie damit auf
zwei Dinge aufmerksam gemacht haben: Erstens war der
Streitgegenstand in Karlsruhe nicht irgendein Gesetz der
Bundesregierung, sondern das nordrhein-westfälische
Gesetz über den Landesverfassungsschutz NRW, verab-
schiedet unter dem liberalen Innenminister Ingo Wolf.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Bosbach

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Rüttgers hat das auch mitgetragen! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Und dem Ministerpräsidenten Rüttgers!)


Ich kritisiere das gar nicht, sondern stelle es lediglich
fest.

Besonders beeindruckend war allerdings der Hinweis
darauf, dass eine Bundesregierung schon einmal eine
Onlinedurchsuchung veranlasst hat, allerdings ohne ge-
setzliche Grundlage. Soweit erinnerlich, war das die
Bundesregierung, an der die Bündnisgrünen beteiligt
waren.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen wollen wir es ja aufgeklärt haben!)


Es gehört schon eine ganze Menge Chuzpe dazu, nach
dem Ausscheiden aus der Bundesregierung Aufklärung
zu verlangen, obwohl man an dieser Bundesregierung
selber beteiligt war.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614806200

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1614806300

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie sehen,

habe ich etwas mitgebracht, das jeder von Ihnen im Büro
haben und in das jeder ab und zu hineinschauen sollte:
das Grundgesetz. Ich habe es mitgebracht, weil ich den
Eindruck habe, dass die meisten meiner Kolleginnen und
Kollegen jedenfalls in den Koalitionsfraktionen seit lan-
gem nicht mehr hineingeschaut haben. Ich möchte Sie
auf Art. 20 Abs. 3 hinweisen:

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige
Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Recht-
sprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Leider haben wir in den vergangenen Jahren immer wie-
der erleben müssen, dass sich die Mehrheit dieses Parla-
ments über diesen Artikel hinweggesetzt hat. Das ist
beim Luftsicherheitsgesetz, beim Verbraucherinforma-
tionsgesetz und bei vielen anderen Gesetzen so gewesen.
An dieser Stelle möchte ich zwei Herren auf der Zu-
schauertribüne begrüßen – das können Sie mir nicht übel
nehmen –, die dafür gesorgt haben, dass das Bundesver-
fassungsgericht Geschichte geschrieben hat: unseren
ehemaligen Kollegen Burkhard Hirsch und unseren ehe-
maligen Bundesinnenminister Gerhart Baum.


(Beifall bei der FDP und der SPD)


Wir befassen uns heute zum wiederholten Mal mit ei-
ner weiteren Niederlage der Mehrheit dieses Parlaments.
Das, was Herr Schily begonnen hat – darauf hat mein
Kollege Bosbach zu Recht hingewiesen –, haben Herr
Schäuble und die Große Koalition ungehindert fortge-
setzt.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wo ist denn Herr Wolf?)


Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Gro-
ßen Koalition, sagen, dass Sie das gar nicht gemacht hät-
ten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie alle dem
Bundeshaushalt 2007 zugestimmt haben, der heimliche
Onlinedurchsuchungen vorsieht. Die Warnungen, die
wir von der FDP und andere Oppositionsfraktionen in
diesem Zusammenhang geäußert haben mit der Bitte,
das zu überdenken, sind von Ihnen rüde beiseite ge-
wischt worden.


(Beifall bei der FDP)


Der Bundesinnenminister hat sogar gesagt: Frau Piltz,
ich brauche keine Rechtsgrundlage. Die innenpoliti-
schen Sprecher von SPD und CDU/CSU haben dem
nicht widersprochen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)


Ganz im Gegenteil: Sie wollten Onlinedurchsuchungen
ohne ein konkretes Gesetz. Das ist also genauso Ihre
Niederlage wie die meines Innenministers in Nordrhein-
Westfalen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich sage Ihnen nur eines dazu: Ingo Wolf hat sicherlich
verloren. Aber er hat ein Gesetz gemacht und als einzi-
ger Innenminister in diesem Land versucht, eine Rechts-
grundlage zu schaffen. Damit ist er jetzt gescheitert.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Aber Sie haben es erst gar nicht versucht. Im Übrigen ist
er nicht nur mein Minister, sondern auch der Minister
der CDU. Sie sind in Nordrhein-Westfalen genauso ba-
den gegangen wie wir. Schieben Sie das nicht uns in die
Schuhe! Das ist eine Unverschämtheit.


(Beifall bei der FDP)


Der Erfolg hat immer viele Väter. Dass Sie sich alle
freuen, ist aus meiner Sicht angesichts dessen verwun-
derlich, was uns Karlsruhe auf den Weg gegeben hat. Es
wurde schon gesagt: Ein neues Grundrecht ist geboren
worden. Ich nenne es kurz IT-Grundrecht, sodass es
leichter zu handhaben ist. Es ist ein weiterer Baustein
zum Schutz der Freiheit der Bürger. Aber was ist nach
einer kurzen Selbstfeierstunde der Großen Koalition pas-
siert, die aus meiner Sicht eher hätte Buße tun müssen?
Das BKA-Gesetz solle nun schnell kommen, sagt der
Kollege Uhl. Damit könne man in einigen Wochen fertig
sein, wenn Frau Zypries – so gesehen haben die Grünen
recht, auch wenn es nicht meine Sache ist, sie zu vertei-
digen – nicht durch juristische Rechthaberei stören
werde. Das muss man sich auf der Zunge zergehen las-
sen: juristische Rechthaberei nach einem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts! Der Kollege Wiefelspütz findet
es nicht schwierig – er ist offenbar vorsichtshalber nicht
anwesend –, das Urteil im BKA-Gesetz umzusetzen. Sie
versuchen nicht einmal mehr, den Schein zu wahren.






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz
Das ist kein respektvoller Umgang mit dem Bundesver-
fassungsgericht und dem Grundgesetz.

Ich kann nach Ihren Äußerungen nur eines vermuten:
Sie haben das Urteil gar nicht zu Ende gelesen.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht in Karlsruhe! Dorthin hätten Sie kommen sollen!)


Sie haben dort aufgehört zu lesen, wo es darum geht,
dass das neue IT-Grundrecht nicht schrankenlos ist. Aber
die Schranken haben es in sich, nicht nur in prozessualer
Hinsicht, sondern auch in materieller. Wir sind sehr ge-
spannt darauf, wie Sie das in ein paar Wochen umsetzen
wollen. Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Es ist
nicht juristische Rechthaberei, sondern der Respekt vor
unserer Verfassung, der es gebietet, mit diesem Urteil
anders umzugehen.


(Beifall bei der FDP)


Im Unterschied zu Ihnen sehen wir, die Liberalen, zu-
erst das Grundrecht und dann die Einschränkung. Sie se-
hen zuerst die Schranken und, wenn überhaupt, dann das
Grundrecht. Das ist wirklich sehr bedauerlich.


(Beifall bei der FDP)


So verwundert es mich nicht, dass ich von Herrn
Schäuble nur gehört habe, es sei gut, dass es Schranken
der Freiheit gebe. Frau Zypries hat immerhin angedeutet,
dass Freiheitsrechte erweitert worden sind. Da ist der
Unterschied in dieser Großen Koalition.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einen Satz zum
Nachdenken mitgeben, den Sie sich bei all Ihren Geset-
zesvorhaben immer vergegenwärtigen sollten. Das Bun-
desverfassungsgericht hat gesagt:

Eine Erhebung solcher Daten beeinträchtigt mittel-
bar die Freiheit der Bürger, weil die Furcht vor
Überwachung, auch wenn diese erst nachträglich
einsetzt, eine unbefangene Individualkommunika-
tion verhindern kann.

Das gilt nicht nur in Bezug auf Eingriffe in Rechte ge-
mäß Art. 10 Grundgesetz.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614806400

Frau Kollegin.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1614806500

Ich komme sofort zum Schluss. – Wenn Freiheit im-

mer mehr als Hindernis wahrgenommen wird, wenn sich
derjenige, der sich auf seine verfassungsrechtlich ver-
bürgten Freiheitsrechte beruft, rechtfertigen muss, ver-
lieren die Grundrechte an Substanz. Das ist mit der FDP
nicht zu machen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614806600

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Rudolf Körper,

SPD-Fraktion.

Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1614806700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch

ich muss noch einmal den Titel dieser Aktuellen Stunde
zitieren: „Unterschiedliche Auffassungen in der Bundes-
regierung zu den Folgerungen aus der Onlineentschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar
2008“. Abgesehen davon, dass das Bundesverfassungs-
gericht nicht online entscheidet, gibt es auch keine unter-
schiedlichen Auffassungen über die Folgerungen und
Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zur Problematik der Onlinedurchsuchung.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Schalmeien von Ihnen!)


Die Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die
Grünen reden nach meinem Dafürhalten über ein Phäno-
men, das es nicht gibt. Deswegen wäre diese Aktuelle
Stunde nicht notwendig gewesen.


(Gisela Piltz [FDP]: Warum reden Sie denn?)


– Warum ich rede? Weil beispielsweise Ihr Redebeitrag
von Unrichtigkeiten geprägt war. Wenn Sie, Frau Piltz,
sagen, es seien Mittel bereitgestellt worden, um Online-
durchsuchungen durchzuführen, so ist das schlichtweg
falsch, weil es um Mittel ging, um die Möglichkeit von
Onlinedurchsuchung zu erforschen, und das war richtig
und gut so. Diese Forschung braucht man, wenn man
über dieses Instrument redet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Bundesjustizministerium und Bundesinnenministe-
rium müssen sich mit dem Urteil beschäftigen. Es ist et-
was über das Thema Strafverfolgung gesagt worden; das
bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Diese Prüfung betrifft
die Umsetzung des Urteils. Was das Bundeskriminalamt
anbelangt, so werden wir zügig entscheiden. Ich finde,
es ist wichtig, dass wir diese Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts abgewartet haben. Ich will hier be-
kennen, dass wir auf unser Betreiben hin abgewartet ha-
ben. Es ist schon gesagt worden, dass es im Grunde
genommen nicht nur um das Verfassungsschutzgesetz
von Nordrhein-Westfalen ging. Ich bin überrascht, dass
es offensichtlich nur Gewinner und Sieger gibt und dass
das Urteil von Karlsruhe allseits freundlich aufgenom-
men wurde. Richtig ist, dass das Grundrecht auf Ge-
währleistung der Vertraulichkeit und Integrität informa-
tionstechnischer Systeme durch die Entscheidung
geschaffen wurde, und das ist gut so. Das ist auch der
Maßstab für die weitere Vorgehensweise.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, wir sind da auf einem guten Wege. Dieses
Urteil schützt die Grundrechte der Bürgerinnen und Bür-
ger, und es ist ausgesprochen praxisorientiert. Es schützt
auf der einen Seite die Bürger vor unverhältnismäßigen
Eingriffen des Staates in die Freiheitsrechte, und es er-
möglicht auf der anderen Seite, dass der Staat seinerseits
die Bürgerinnen und Bürger vor verbrecherischen An-
griffen schützen kann, worauf die Bürger ebenfalls einen
Anspruch haben, was ich unterstreichen möchte.

Ich finde auch, dass wir ein Bundeskriminalamt brau-
chen, das dem entspricht, was wir mit dem BKA-Gesetz






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Rudolf Körper
konzipieren; denn der terroristischen Herausforderung
muss durch eine schlagkräftige Einrichtung wie das
Bundeskriminalamt, das in Gesamtdeutschland tätig ist,
begegnet werden. Es ist längst erforderlich, dass wir ein
solches Bundeskriminalamt mit diesen Kompetenzen be-
kommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deswegen werden wir die anstehenden Entscheidun-
gen entlang der Maßgabeentscheidung von Karlsruhe
treffen. Onlinedurchsuchungen sind nur bei tatsächli-
chen Anhaltspunkten für eine konkrete Gefahr für ein
überragend wichtiges Rechtsgut möglich. Ihre Anord-
nung unterliegt grundsätzlich dem Richtervorbehalt. Der
Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist
zu gewährleisten. Das sind ganz wichtige Vorgaben die-
ser Karlsruher Entscheidung, die – dessen bin ich mir si-
cher – ihren Niederschlag finden werden. Auch halte ich
es für wichtig, dass die Karlsruher Entscheidung ein so-
genanntes zweistufiges Schutzkonzept vorsieht, was die
Datenerhebung und -weitergabe anbelangt. Es war gut,
dass wir diese Entscheidung abgewartet haben. Dies
wird uns die Gesetzesberatung erleichtern. Ich bin si-
cher, dass wir diese Baustelle BKA-Gesetz in relativer
Zügigkeit zu Ende bringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614806800

Ich gebe das Wort dem Kollegen Jan Korte, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614806900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zumindest nach dieser Aktuellen Stunde ist
eines geklärt – deswegen hat sie sich auch gelohnt –: Die
SPD ist in der Frage der Onlinedurchsuchung umgefal-
len. Das ist nach Ihren Ausführungen jetzt klar; Sie wer-
den diesen weiteren Grundrechtseingriff mittragen.

Nun zu dem Urteil: Erstens. Das Bundesverfassungs-
gericht hat wieder einmal einer schrankenlosen Law-
and-Order-Politik Einhalt geboten. Beim letzten Mal
– das muss man der Fairness halber auch sagen – war es
das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz, das die Grünen mit-
getragen haben. Das darf man auch nicht ganz außen vor
lassen.

Zweitens. Wir begrüßen, dass ein Grundrecht – ich
übersetze es – auf digitale Intimsphäre geschaffen
wurde, das es künftig zu beachten gilt. Dies unterstützen
wir Linken ausdrücklich. Dieses Urteil zeigt – das ist das
Entscheidende, und deshalb müssen wir hier auch da-
rüber diskutieren –, dass es jetzt an der Zeit ist, in sich zu
gehen. Mehr noch, nach diesem Urteil wäre es eigentlich
sinnvoll, ein Moratorium zu beschließen und sämtliche
Schäuble’schen Sicherheitsvorstellungen, die hier auf
dem Tisch liegen und in jeder Woche neu ins Parlament
gebracht werden, erst einmal auf Eis zu legen und mit
Bürgerrechtsorganisationen und vielen anderen zu dis-
kutieren und zu evaluieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich ist es eine politische Auseinandersetzung,
die wir hier führen müssen. Die Linke sagt mit Blick auf
das Urteil ganz klar: Nicht alles, was technisch und übri-
gens auch rechtlich möglich ist, muss gemacht werden.
Das muss es mitnichten, wir müssen hier eine politische
Entscheidung treffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die politische Entscheidung liegt darin, ob wir im Sinne
von Wolfgang Schäuble und der Union den Weg in den
präventiven Überwachungsstaat weitergehen wollen, der
immer auch mit viel Angst in der Gesellschaft verbun-
den ist und die Gesellschaft lähmt und verunsichert, oder
ob wir weiter auf einen offenen, freiheitlichen, selbstbe-
wussten und aufmüpfigen sozialen Rechtsstaat setzen
wollen. Diese Frage muss hier politisch entschieden
werden. Ich kann der SPD nur raten, sich eher uns anzu-
schließen. In Hessen haben Sie gezeigt, dass Sie zu Um-
kehr und Einsicht fähig sind. Das sollten Sie bei dieser
praktisch-inhaltlichen Frage endlich einmal nachvollzie-
hen.

Drittens. Ich komme noch einmal zum Kern dessen,
worum es bei der Onlinedurchsuchung geht. Darüber ist
nun viel geschrieben worden, und man muss sich überle-
gen, was das bedeutet. Über jeden Menschen, der einen
Laptop oder einen privaten PC hat, kann man bei einer
Onlinedurchsuchung wirklich fast alles erfahren: von
Liebesbriefen über Fotos bis hin zu Steuererklärungen
usw. Weil man alles erfährt, ist der Eingriff in dieses
Grundrecht der digitalen Intimsphäre so schlimm.

Nun kommt das Entscheidende, weshalb wir sagen,
dass wir die Onlinedurchsuchung überhaupt nicht brau-
chen. Als Linke haben wir eine sehr kluge Kleine An-
frage an die Bundesregierung gestellt, die überraschen-
derweise auch sehr klug geantwortet hat. Wir wollten
von der Bundesregierung wissen, Herr Staatssekretär, ob
es zu Onlinedurchsuchungen keine Alternative gibt, ob
man sie also unbedingt braucht, um den Kampf gegen
den internationalen Terrorismus zu gewinnen. Ich zitiere
jetzt aus der Antwort – ich finde sie sehr richtig; wir un-
terstützen sie ausdrücklich –:

Im Zuge von Online-Durchsuchungen können re-
gelmäßig dieselben Erkenntnisse gewonnen werden
wie durch „offene“ Durchsuchungen und die Aus-
wertung sichergestellter Computerdateien.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sagen Sie. Es ist ganz einfach: Wir müssen darauf
verzichten.

Wir sollten das zum Anlass nehmen, einen grundsätz-
lichen Richtungswechsel in der Innenpolitik vorzuneh-
men. Ich glaube, das ist auch politisch geboten. Kollege
Wieland hat Richtiges zum Referentenentwurf des
BKA-Gesetzes gesagt: Wir brauchen mitnichten ein
deutsches FBI; wir sollten weiter auf eine föderale
Struktur setzen – das ist eine wichtige Erfahrung aus der






(A) (C)



(B) (D)


Jan Korte
Geschichte –, um keine Zentralisierung von Geheim-
dienst- und Polizeikompetenzen zuzulassen.


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Sie haben keine Ahnung!)


Die föderale Struktur sollten wir nicht aufgeben.


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts der Debatten in der Bevölkerung ist es
wichtig, auch einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass of-
fensichtlich nicht nur die Linke und das Bundesverfas-
sungsgericht, sondern in zunehmendem Maße auch die
Bevölkerung einfach keinen Bock mehr haben auf die
ständigen Überwachungsmaßnahmen, die uns hier jede
Woche vorgelegt werden. Diese Maßnahmen bringen
weniger Sicherheit. Wir brauchen sie nicht, wie die Bun-
desregierung selber sagt. Deswegen ist es jetzt wirklich
an der Zeit, hier eine Umkehr vorzunehmen, einfach ein-
mal in sich zu gehen und in diesem Falle vielleicht wirk-
lich mehr und nicht weniger Freiheit zu wagen. Das hat
immerhin die Bundeskanzlerin hier großspurig angekün-
digt und das könnte man wirklich einmal umsetzen.

Schönen Dank für die unfreundliche Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614807000

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol-

lege Jerzy Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614807100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Bosbach, lieber Kollege Körper, Ihr Versuch,
hier in Ihren beiden Beiträgen Einigkeit vorzugaukeln,
ist unwahr, durchsichtig und lächerlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Jeder in der Republik weiß von den tiefen Zerwürfnissen
zwischen dem Justizministerium und dem Innenministe-
rium in dieser Frage.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Nur wir nicht!)


Sie haben es tatsächlich geschafft, dies hier unter dem
Deckel zu halten, indem Sie Ihren Kolleginnen und Kol-
legen den Mund verboten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein einmaliger und parlamentarisch erbärmlicher
Vorgang, dass Sie auf Ihre Redebeiträge verzichten und
aus einer Aktuellen Stunde eine halbe machen.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 27. Februar
2008 den Bürgern ein großes Geschenk gemacht. Wir
alle haben ein neues Grundrecht erhalten. Das letzte Mal
geschah dies vor 25 Jahren. Dieses Grundrecht lautet:
Die Vertraulichkeit und Integrität des informationstech-
nischen Systems jedes Menschen wird gewährleistet.

Nach der Urteilsverkündung hörten wir manche Bei-
fallsbekundungen. Manche klangen arg gekünstelt und
spitzlippig. Manche waren schlicht verlogen. Wir Grü-
nen sagen an dieser Stelle aus vollem Herzen und innerer
Überzeugung Dank nach Karlsruhe für diese Entschei-
dung und für dieses neue Grundrecht.

Ich will die entscheidenden Sätze in Erinnerung ru-
fen: Die moderne Informationstechnik und die weltweite
Vernetzung von auf dieser Technik aufbauenden Infor-
mationssystemen begründen für den Einzelnen neue
Persönlichkeitsgefährdungen. Jeder Mensch ist darauf
angewiesen, dass der Staat seine ungehinderte Persön-
lichkeitsentfaltung gewährleistet, hier die Vertraulichkeit
und Integrität der zur Persönlichkeitsentfaltung genutz-
ten informationstechnischen Systeme.

Sowohl der Schutz des Telekommunikationsgeheim-
nisses als auch der Schutz der Wohnung, des informatio-
nellen Selbstbestimmungsrechts und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts hinterlassen auf diesem Gebiet
Schutzlücken, und diese Schutzlücken werden durch das
neue Grundrecht nunmehr geschlossen.

Das Grundrecht gilt nicht schrankenlos. Für den Prä-
ventivbereich hat das Bundesverfassungsgericht höchste
Grenzen festgelegt. Zum Repressivbereich hat sich das
Bundesverfassungsgericht nicht geäußert. Die Grenzen
dürften wegen der bereits realisierten Gefahr aber sicher-
lich noch höher zu ziehen sein. Ein effektiver absoluter
Kernbereichsschutz und ein umfassender Richtervorbe-
halt sind für das Bundesverfassungsgericht die Mindest-
voraussetzungen, die einzuhalten sind.

Ausdrücklich hat das Bundesverfassungsgericht fest-
gestellt, dass die Fragen, ob Onlinedurchsuchung und
Onlineüberwachung geeignete und erforderliche Mittel
sind, vom Gesetzgeber zu beurteilen und zu entscheiden
sind. Damit ist der Bundestag am Zug.

Wir Grüne sagen zu dieser Frage ganz deutlich: Bis-
her ist von den Sicherheitsbehörden nichts Konkretes
vorgetragen worden, das den Einsatz über den Bereich
der Internettelefonie hinaus als unabweisbar notwendig
erscheinen lassen würde. In der Abwägung zwischen un-
konkreten, zum Teil herbeifabulierten möglichen abzu-
wehrenden Gefahren oder Fahndungserfolgen und dem
essenziellen erheblichen Grundrechteschaden nicht nur
für einzelne Betroffene, sondern potenziell für alle Nut-
zer des neuen informationstechnischen Systems ent-
scheiden wir uns heute gegen den Einsatz von Trojanern,
Schadsoftware und Firewall-Überwindungsprogram-
men in der Hand des Staates.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Meine Damen und Herrn, wie wird es weitergehen?
In der taz lesen wir: Schäuble hat das bekommen, was er
wollte. Er muss seinen Gesetzentwurf nicht umschrei-
ben. – Prantl schreibt in der Süddeutschen: Schäuble
wird sein geplantes Onlinedurchsuchungsrecht ganz neu
fassen müssen. – Die bedächtigen und richtigen Worte
der Justizministerin Zypries in allen Ehren – nach den
Erklärungen von Bosbach, Uhl und anderen erwarten
wir von der Union einen brutalstmöglichen Angriff auf
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und auf das
neue Grundrecht.






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Mäßigung!)


Für die CSU meldet sich schon Frau Merk aus Bayern
und will die Onlinedurchsuchung zur Verfolgung der
Kinderpornografie einsetzen. Das wird zu einer Aufblä-
hung wie im Fall des § 100 a StPO führen.

Es stimmt uns sehr nachdenklich, dass BKA-Chef
Ziercke erklärt, die öffentliche Debatte über die Online-
durchsuchung müsse jetzt ein Ende haben. Dies kommt
für uns Grüne überhaupt nicht infrage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen die Onlinedurchsuchung nicht. Wir werden
darüber reden, besonders in diesem Parlament.

Die Debatte ist jetzt eröffnet.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Beendet!)


Wir warten auf Ihren Gesetzentwurf. Wir versprechen
Ihnen: Wir werden Sie an dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zu messen wissen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Nichts dagegen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614807200

Die Aktuelle Stunde ist beendet.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine halbe Stunde war das!)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten

– Drucksachen 16/6519, 16/6967 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 16/8256 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Sönke Rix
Sibylle Laurischk
Elke Reinke
Kai Gehring

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Hellmut
Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle
Laurischk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Jugendfreiwilligendienste in einen gemeinsa-
men Gesetzesrahmen zusammenfassen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Ge-
samtkonzeption entwickeln

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Bericht der Bundesregierung zu Prüfaufträ-
gen zur Zukunft der Freiwilligendienste,
Ausbau der Jugendfreiwilligendienste und
der generationsübergreifenden Freiwilligen-
dienste als zivilgesellschaftlicher Generatio-
nenvertrag für Deutschland

– Drucksachen 16/6769, 16/6771, 16/6145,
16/8256 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Sönke Rix
Sibylle Laurischk
Elke Reinke
Kai Gehring

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förde-
rung von Jugendfreiwilligendiensten liegt je ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP und der Frak-
tion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Grübel, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1614807300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben in der letzten Zeit viel über junge Menschen
in Deutschland gesprochen, die uns Sorgen machen. Ich
denke zum Beispiel an die unsäglichen Vorfälle in der
Münchner U-Bahn.

Heute haben wir andere junge Menschen im Blick:
junge Menschen, die zupacken anstatt zuzuschlagen,
junge Idealisten, junge Frauen und junge Männer, die
ihre Zeit für andere Menschen und für das Gemeinwohl
einsetzen. Dies tun sie im Freiwilligen Sozialen Jahr, im
Freiwilligen Ökologischen Jahr und in den verschiedens-
ten Freiwilligendiensten im Ausland. Die Koalition aus
CDU/CSU und SPD hat sich auf die Fahnen geschrie-
ben, das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland
und dessen Rahmenbedingungen zu verbessern. Jugend-
freiwilligendienste sind eine ganz besondere Form von
bürgerschaftlichem Engagement.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Jedes Jahr leisten fast 30 000 junge Menschen einen
Freiwilligendienst. Freiwilligendienste in der Jugend er-
möglichen neue Lernerfahrungen, geben Orientierung






(A) (C)



(B) (D)


Markus Grübel
bei der persönlichen Berufswahl und vermitteln wichtige
fachliche, soziale und interkulturelle Fähigkeiten. Sie
stärken die Selbstständigkeit, das Selbstbewusstsein und
auch das Verantwortungsbewusstsein von jungen Men-
schen. Durch die Verknüpfung von Bildung und Über-
nahme konkreter Verantwortung sind sie seit vielen Jahr-
zehnten ein wichtiges Bindeglied zwischen Schule und
Beruf sowie Schule und Studium.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Aus diesem Grund werden das Freiwillige Soziale
Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr vom Staat ge-
fördert. Wir haben seit 2006 die Haushaltsmittel für die
Freiwilligendienste erhöht: von rund 16,2 Millionen
Euro auf 20,2 Millionen Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden die
Rahmenbedingungen für Jugendfreiwilligendienste wei-
ter verbessert. Der Gesetzentwurf greift damit auch eine
zentrale Forderung des vom 15. Deutschen Bundestag
fraktionsübergreifend beschlossenen Antrages „Zukunft
der Freiwilligendienste“ auf.

Der vorliegende Gesetzentwurf fasst die zwei beste-
henden Gesetze über das Freiwillige Soziale Jahr sowie
über das Freiwillige Ökologische Jahr zusammen, behält
aber die guten Grundsätze der seitherigen Gesetze. Es
gilt also: Aus zwei mach eins.

Außerdem hebt der Gesetzentwurf hervor, dass
Jugendfreiwilligendienste an Lernzielen orientierte
Dienste sind und streicht damit den Bildungscharakter
der Dienste stärker als bisher heraus.

Weiterhin wird die Möglichkeit eröffnet, einen kom-
binierten Jugendfreiwilligendienst im In- und Ausland
abzuleisten. Gerade an einem kombinierten Jugendfrei-
willigendienst im In- und Ausland sind junge Menschen
ganz besonders interessiert. Ich nehme an, dass sich auch
die Trägerlandschaft auf diese neue Möglichkeit einstel-
len wird. So erhalten junge Menschen, die zum Beispiel
im Inland mit betreuungsbedürftigen Menschen bzw. mit
pflegebedürftigen älteren Menschen arbeiten, die
Chance, eine ähnliche Arbeit im Ausland unter ganz an-
deren Bedingungen zu verrichten und gleichzeitig ihre
Sprachkenntnisse zu verbessern und eine andere Kultur
kennenzulernen. So kann man am Ende auch gute Ver-
gleiche zwischen dem, wie etwas in Deutschland ge-
macht wird, und dem, wie etwas im Ausland gemacht
wird, ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Schließlich eröffnet das Gesetz einen gangbaren Weg,
um die Umsatzbesteuerung von Jugendfreiwilligen-
diensten zu vermeiden.

Im Rahmen der Beratungen hier im Bundestag wur-
den am Gesetzentwurf noch Änderungen vorgenommen.
Exemplarisch möchte ich auf die Markennamen FSJ und
FÖJ, also Freiwilliges Soziales Jahr und Freiwilliges
Ökologisches Jahr, eingehen. Im ursprünglichen Geset-
zestext waren noch die Begriffe „freiwilliger sozialer
Dienst“ und „freiwilliger ökologischer Dienst“ vorgese-
hen. Die eingeführten Namen bleiben nun erhalten.
Beide Begriffe sind in der Gesellschaft, insbesondere bei
jungen Leuten, sehr positiv belegt und haben einen ho-
hen Wiedererkennungswert. Wir hätten auch nicht die
Werbemittel wie zum Beispiel Eon, um einen neuen Na-
men bekannt zu machen. Selbst wenn wir sie hätten,
würden wir sie sinnvoller einsetzen. Die in der breiten
Öffentlichkeit bekannten Abkürzungen FSJler oder FÖJ-
ler bleiben also erhalten; sie haben sich, wie gesagt, be-
währt. „Ich bin FSJler“, ist kurz und prägnant. Demge-
genüber klingt der Satz: „Ich leiste einen freiwilligen
sozialen Dienst, der ein Jahr dauert“, doch etwas um-
ständlich und kommt der Jugend nicht so leicht über die
Lippen.

Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass der
Dienst zeitlich flexibilisiert wird. Der Regeldienst be-
trägt, wie schon die Namen Freiwilliges Soziales Jahr
bzw. Freiwilliges Ökologisches Jahr sagen, zwölf Mo-
nate. Er kann um bis zu sechs Monate auf achtzehn Mo-
nate verlängert werden. Er kann auch kürzer sein, die
Minimaldauer beträgt sechs Monate. Er kann dabei in
Drei-Monats-Abschnitten aufgeteilt und mit Abständen
geleistet werden. Wenn ein besonderes pädagogisches
Konzept vorliegt, kann der Dienst auf maximal
24 Monate verlängert werden. Allerdings wird im Ge-
setzentwurf klargestellt, dass der Träger darüber ent-
scheidet, ob er solche Möglichkeiten anbietet, da nicht
bei jedem Freiwilligendienst ein kurzer sechsmonatiger
Dienst sinnvoll ist.

Das Gesetz soll nun zum 1. Juni 2008 in Kraft treten.
Wir haben aber entsprechend sichergestellt, dass Altver-
träge nicht nachträglich die Rechtsgrundlage verlieren.
So ist die Berücksichtigung des Kindergeldanspruchs in-
nerhalb des Programms „weltwärts“ ab dem 1. Januar
2008 gewährleistet.

Vor dem Hintergrund unseres Nationalen Integra-
tionsplans wollen wir, dass mehr Jugendliche mit Migra-
tionshintergrund und mehr benachteiligte Jugendliche
einen Jugendfreiwilligendienst leisten. Ich möchte aber
bei den Begrifflichkeiten zur Vorsicht mahnen: Nicht je-
der Jugendliche mit Migrationshintergrund ist ein be-
nachteiligter Jugendlicher. Wir definieren ja häufig auch
Hauptschüler als benachteiligte Jugendliche, aber nicht
jeder Hauptschüler ist ein benachteiligter Jugendlicher.
Hier wäre es schwer, andere Begrifflichkeiten zu finden.
Unser Ziel ist nun, dass diese Gruppe, die unterdurch-
schnittlich bei Jugendfreiwilligendiensten vertreten ist,
stärker dafür gewonnen wird und sich mehr daran betei-
ligt. Wir müssen allerdings sehen, dass hier der Zahl
Grenzen gesetzt sind, weil problematische Jugendliche
häufig auch einen erhöhten Betreuungsbedarf für Träger
und Einsatzstelle nach sich ziehen. Hier stößt man
schnell an Grenzen. Deshalb muss das Verhältnis stim-
men.

Wir wollen auch, dass sich Migrantenorganisationen
stärker als Träger oder als Einsatzstellen am Jugendfrei-
willigendienst beteiligen. Dazu bringen wir einen Ent-
schließungsantrag ein. Ich hoffe, dass dieser Entschlie-






(A) (C)



(B) (D)


Markus Grübel
ßungsantrag mit den Stimmen aller Fraktionen des
Deutschen Bundestages beschlossen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Fragen zur Umsatzsteuer waren ein Auslöser für die-
ses Gesetz. Seit mehreren Jahren drohen den Trägern
Umsatzsteuernachforderungen. Für kleine Träger könn-
ten diese Forderungen für zurückliegende Zeiten erhebli-
che Probleme bedeuten und existenzbedrohend sein. Seit
mehreren Jahren vertreten das Bundesfinanzministerium
und die Länderfinanzverwaltungen die Auffassung, dass
zwischen Träger und Einsatzstelle ein umsatzsteuer-
rechtliches Leistungsaustauschverhältnis begründet wird
mit der Konsequenz, dass eine Umsatzsteuer in Höhe
von 19 Prozent anfällt. Ausgangspunkt der Debatte war
Baden-Württemberg. Dort hatte das Deutsche Rote
Kreuz eine Umsatzsteuerprüfung gehabt. Die Finanzver-
waltung war der Meinung, dass umsatzsteuerpflichtige
Vorgänge vorliegen. Im Prinzip kann man diese Thema-
tik mit der Überlassung von Arbeitskräften durch Zeitar-
beitsfirmen vergleichen. Wir waren uns aber hier im
Bundestag fraktionsübergreifend einig, dass die Jugend-
freiwilligendienste grundsätzlich nicht umsatzsteuer-
pflichtig sein sollen. Im Gesetz haben wir einen Weg ge-
funden, der das Problem weitgehend beseitigt.

Abschließend danke ich allen jungen Menschen, die
freiwillig für andere einen Dienst tun. Junge Menschen
leisten dadurch einen wichtigen Beitrag für unsere Ge-
sellschaft und profitieren auch selbst davon.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614807400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1614807500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Dem Dank an die Jugendlichen, die einen Frei-
willigendienst leisten, können wir uns uneingeschränkt
anschließen. Bereits in der vergangenen Legislatur-
periode haben wir ja einen fraktionsübergreifenden An-
trag vorgelegt und darin unsere besondere Wertschät-
zung für die Jugendfreiwilligendienste zum Ausdruck
gebracht.


(Beifall bei der FDP)


Die Koalition behauptet, in dem vorgelegten Gesetz-
entwurf den gesamten Antrag aus der letzten Legislatur-
periode umzusetzen. Das stimmt leider nicht, da frak-
tionsübergreifend das Hauptanliegen des damaligen
Antrags der quantitative Ausbau der Jugendfreiwilligen-
dienste war. Damit war der Ausbau der bestehenden
Dienste gemeint. Nun erleben wir beim Ausbau von FSJ
und FÖJ eine Stagnation, obwohl noch immer wesent-
lich mehr Jugendliche dieses Angebot nachfragen, als
Plätze vorhanden sind. Gleichzeitig erfolgt die explo-
sionsartige Bereitstellung von Freiwilligendiensten in
anderen Ministerien. Daher ist festzustellen: Mit dem
vorgelegten Gesetzentwurf wird die Anzahl der Plätze
bei den Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ nicht
erhöht. Durch die Reduzierung des Gesetzes auf Re-
gelungen im Bereich FSJ und FÖJ werden die sozial-
und sozialversicherungsrechtlichen Widersprüchlichkei-
ten bei den Jugendfreiwilligendiensten sogar noch ver-
schärft. Von einer Umsetzung des gemeinsamen früheren
Antrages kann also keine Rede sein.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Sie wissen, dass es die FDP jugendpolitisch für nicht
hinnehmbar hält, dass es einen Rentenversicherungs-
anspruch für Teilnehmer des FSJ gibt, aber nicht für
„weltwärts“-Teilnehmer. „Weltwärts“ ist der vom Ent-
wicklungshilfeministerium quasi aus dem Zylinder ge-
zauberte neue internationale Freiwilligendienst. Die
SPD-Ministerin Wieczorek-Zeul und ihre Parlamentari-
sche Staatssekretärin, Frau Karin Kortmann, stemmen
sich mit allen Mitteln dagegen, den „weltwärts“-Teilneh-
mern die gleichen Rechte wie den FSJ-Teilnehmern zu
gewähren. Das ist eine etwas eigenartige Auffassung
von Gerechtigkeit, die ich mir eigentlich nur mit den
derzeitigen Diskussionen in Hessen erklären kann.

„Weltwärts“ ist ein Novum, da die Teilnahme bis zu
zwei Jahren dauern kann und dies sozialversicherungs-
rechtlich eine massive Schlechterstellung gegenüber an-
deren Freiwilligendiensten bedeutet. Man bedenke, dass
die Bundesregierung das Renteneintrittsalter gerade um
zwei Jahre mit der Begründung angehoben hat, dass die
bisherige Einzahlungsdauer in die Rentenversicherung
nicht mehr ausreiche, und nun jungen Menschen bei
„weltwärts“ Beitragszahlungen verweigert. Weiterhin re-
gelt das Gesetz zwar den Kindergeldanspruch für den
Teilnehmerkreis des „weltwärts“-Programms, aber nicht
für den sogenannten Anderen Dienst im Ausland. Das ist
deshalb besonders unverständlich, da das „weltwärts“-
Programm auf den Bestimmungen des Anderen Dienstes
im Ausland aufbaut.


(Zuruf von der FDP: Genau!)


Beides sind sogenannte ungeregelte Dienste. Der ADiA,
der Andere Dienst im Ausland, fällt direkt in den Rege-
lungsbereich des Familienministeriums.

Folgendes ist daher eine Fußnote zum anstehenden
Weltfrauentag: Das Bundesamt für Finanzen hat als vor-
gesetzte Dienststelle im November 2006 eine Weisung
zu § 34 Einkommensteuergesetz erlassen, wonach kein
Kindergeld mehr an Eltern von jungen Frauen gezahlt
wird, die den Anderen Dienst im Ausland ausüben, wäh-
rend Eltern von jungen Männern, die diesen Dienst nach
einer anerkannten Kriegsdienstverweigerung gemäß
§ 14 b ZDG ausüben, weiterhin Kindergeld bekommen.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)


Die Konsequenz bei den betroffenen Eltern ist nicht nur
der Wegfall des Kindergeldes, sondern der Wegfall aller
Leistungen, die direkt an den Kindergeldbezug anknüp-
fen. Beispielsweise bekommen Beschäftigte des öffentli-
chen Dienstes keine Erhöhung des Ortszuschlags mehr.






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
Eltern, die das sogenannte Baukindergeld beziehen, wird
dies mit dem Wegfall des Kindergelds unter Umständen
gestrichen.

Nach dem neuen Gesetz ist es nun so: Eltern von
„weltwärts“-Teilnehmern und anerkannten Wehrdienst-
verweigerern, die an einem Anderen Dienst im Ausland
teilnehmen, bekommen Kindergeld. Eltern junger
Frauen, die an einem Anderen Dienst im Ausland teil-
nehmen, und Eltern allgemeiner Zivildienstverweigerer
bekommen kein Kindergeld.

Ich finde, das ist eine Gesetzgebung, die inhaltlich
nicht mehr nachvollziehbar ist. Sie können sehen, dass
die Zusammenlegung des FSJ- und des FÖJ-Förderungs-
gesetzes Stückwerk bleibt, da alle anderen Jugendfreiwil-
ligendienste nicht mit in die Gesetzesvorlage einbezogen
werden. Es ist sehr fragwürdig, dass das Programm
„weltwärts“, das mit 70 Millionen Euro subventioniert
wird, damit weiterhin keine Gesetzesgrundlage hat, ob-
wohl das vorliegende Gesetz die Möglichkeit bot, alle
Jugendfreiwilligendienste in einem gemeinsamen Rah-
men zu vereinheitlichen.

Zum Stichwort „Umsatzsteuer“ kann ich nur sagen:
Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom 12. Oktober
2007 die Bundesregierung aufgefordert – er hat das be-
stehende Problem, das sich aus den bekannten Fristgrün-
den ergibt, sehr zutreffend erkannt –, den vorliegenden
Gesetzentwurf zurückzuziehen und zeitnah einen neuen
Gesetzentwurf vorzulegen, der sich auf die Lösung der
Umsatzsteuerproblematik beschränkt.

Wie aus dem Entschließungsantrag der FDP-Fraktion
ersichtlich, wünscht sich die FDP-Fraktion eine Rah-
mengesetzgebung, die die gesamten Bedingungen der
Jugendfreiwilligendienste unabhängig vom sich jeweils
für zuständig erklärenden Ministerium regelt. Mit dem
hier vorgelegten Gesetzentwurf können wir unter diesen
Voraussetzungen nicht einverstanden sein. Wir werden
es ablehnen und uns bei der Abstimmung über die vom
Ausschuss empfohlene Entschließung der Koalition ent-
halten.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614807600

Nächster Redner ist der Kollege Sönke Rix, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1614807700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nun kann man nach dem Beitrag der FDP annehmen,
der vorliegende Gesetzentwurf sei das Schlechteste vom
Schlechtesten.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: So kann man es sagen!)


Aber dem ist nicht so. Wir haben in dieser Vorlage meh-
rere Punkte aus den Debatten der vergangenen Zeit auf-
gegriffen, aber auch etwas ganz Konkretes – Sie haben
es zum Schluss Ihrer Rede angesprochen –, die Umsatz-
steuerregelung. Auch ich hätte mir etwas anderes vor-
stellen können, nämlich dass es – ich sage es etwas naiv –
einen Ausnahmetatbestand gibt. Das geht aber wohl aus
finanzrechtlichen Gründen nicht. Von daher bin ich froh,
von den Trägerinnen und Trägern die Rückmeldung be-
kommen zu haben: Schön ist das nicht; wir tragen diese
Situation aber, so wie sie ist, mit, weil uns nichts anderes
übrig bleibt; denn wir wollen die Erhebung der Umsatz-
steuer bei den Freiwilligendiensten vermeiden.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Das Problem ist nicht gelöst!)


Ich gehe davon aus, dass sich die Länder an diese Ab-
sprachen halten werden und nicht hinterher die Umsatz-
steuer einfordern werden.

Aber was wir in diesem Gesetz besonders geregelt ha-
ben, ist die Flexibilisierung der Dienste insgesamt. Wir
sind von Folgendem ausgegangen: Die Situation der jun-
gen Menschen hat sich verändert. Sie hat sich insofern
verändert, als es klassischerweise nicht mehr so ist:
Nach der Schulzeit habe ich ein komplettes Jahr zur Ver-
fügung, um vielleicht ein Freiwilliges Soziales Jahr oder
ein Freiwilliges Ökologisches Jahr zu absolvieren. Nein,
es ist so, dass die jungen Menschen durchaus andere
Zeitperspektiven haben. Von daher begrüße ich es aus-
drücklich, dass wir zeitliche Flexibilisierungen in diesen
Gesetzentwurf mit aufgenommen haben. Aber wir haben
für die Trägerinnen und Träger zur besseren Planung
auch klargestellt, dass es hierbei gewisse Regeln gibt
und damit diese zeitliche Flexibilisierung nur in Ausnah-
mefällen möglich ist.

Was sind das für Ausnahmefälle? Schauen wir uns
einmal an, wer klassischerweise ein Freiwilliges So-
ziales Jahr macht. Ich will niemandem zu nahe treten,
aber häufig sind es junge Mädchen, die gerade ihr Abitur
gemacht haben, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absol-
vieren. Wir wollen aber auch andere ansprechen, näm-
lich die jungen Männer und Frauen, die keinen hohen,
vielleicht sogar gar keinen Schulabschluss haben und
Probleme haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Um
diese Jugendlichen besser ansprechen zu können, ist die
zeitliche Flexibilisierung erforderlich. Deshalb begrüße
ich sie außerordentlich.

Es ist zu betonen, dass wir uns nach der Anhörung
schnell darauf geeinigt haben – Herr Grübel hat das be-
reits angesprochen –, die klassischen Markennahmen
„Freiwilliges Soziales Jahr“ und „Freiwilliges Ökologi-
sches Jahr“ beizubehalten. Warum soll man gute Namen
für gute Modelle beiseiteschieben? Wir wollen sie beibe-
halten, nicht nur, weil sie gut klingen – „Ich bin FSJ-
ler!“ oder „Ich bin FÖJ-ler!“ –, sondern auch, weil man
Erfolgsnamen – das weiß man aus der Werbung und aus
anderen Bereichen – nicht ändern sollte. Wir lassen diese
Erfolgsnamen natürlich bestehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben auch die Struktur verändert. Die Kombina-
tion von In- und Auslandsdiensten und die Kombination
verschiedener Einsatzstellen sind jetzt möglich. So kann
man ein paar Monate lang etwas für seinen Bildungsab-






(A) (C)



(B) (D)


Sönke Rix
schluss tun und dann wieder ein paar Monate bei dem
Träger arbeiten. Auch diese Flexibilisierung war nötig.

Die Kritik der FDP, dass das Gesetz nicht alle Dienste
einbindet, teile ich nicht. Wir haben ein Freiwilligen-
dienstgesetz. Das ist das Fundament. Auf dieser Basis
können sämtliche Freiwilligendienste einbezogen wer-
den.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Es hätte mehr sein können!)


Sehen wir darin doch eine Chance. Wir haben endlich
die Möglichkeit, FSJ, FÖJ und andere Programme ge-
setzlich klar zu regeln. Ich hoffe, dass wir das auch für
die anderen Dienste regeln können.

Es ist unsere Aufgabe, das bürgerschaftliche Engage-
ment insgesamt zu stärken, vor allem aber das Engage-
ment von jungen Leuten. Wir wissen, dass das nicht im-
mer ganz einfach ist.

Sie haben behauptet, dass ein Ausbau nicht mehr
stattfinde. Das ist nicht richtig. Wir haben die Haushalts-
mittel für diese Programme im letzten Jahr und in den
Jahren zuvor erhöht. Die Initiative ging von der SPD-
Fraktion aus. Ich bin mir sicher, dass die Haushaltsmittel
für diese Programme auch in den nächsten Jahren erhöht
werden, sodass auch weiterhin ein quantitativer Ausbau
stattfindet, was unser aller Anliegen ist. Sie können si-
cher sein, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen
ein entsprechendes Zeichen setzen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614807800

Ich gebe das Wort der Kollegin Elke Reinke, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614807900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! Wir beraten heute abschließend das Gesetz
zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten. Wir alle
wissen, wie wichtig diese Dienste für junge Menschen
sind. Sie haben aber die Chance vertan, diese Dienste so-
zial gerechter auszugestalten.

Selbst für die Regelung der Umsatzsteuer, die wesent-
licher Anlass für den Gesetzentwurf war, bieten Sie
keine klare Lösung an. Erfreulich ist, dass wenigstens
ein paar Anregungen aus der Anhörung Eingang in den
Gesetzentwurf gefunden haben. So war es richtig, die
bewährten Bezeichnungen „Freiwilliges Soziales Jahr“
und „Freiwilliges Ökologisches Jahr“ beizubehalten und
beide Dienste in einem Gesetz zu verankern. Zweckmä-
ßig wäre es aber, auch kommende Freiwilligendienste
besser zu koordinieren und in einem einheitlichen Regel-
werk zusammenzufassen.

Ich komme kurz auf das im Rahmen des Freiwilligen
Sozialen Jahres geplante Einsatzfeld „Zivil- und Kata-
strophenschutz“ zu sprechen: Das Technische Hilfswerk
hat ein Nachwuchsproblem. Die Linke befürchtet, dass
diese Lücke nun mit jungen Freiwilligen gefüllt wird. So
wollen wir Freiwilligendienste nicht verstanden wissen.
Jugendliche brauchen neben dem Ehrenamt betriebliche
Ausbildungsplätze und gebührenfreie Studienplätze.


(Beifall bei der LINKEN)


Für uns ist wichtig, dass die Regeldauer zwölf Mo-
nate beträgt und nur unter ganz bestimmten Vorausset-
zungen verkürzt oder verlängert werden kann. Dass eine
Dauer von 24 Monaten möglich sein soll, halte ich für
keine gute Idee. Bei solch langen Dienstzeiten wächst
die Gefahr, dass Freiwillige als billige Arbeitskräfte zum
Einsatz kommen.

Völlig überflüssig finde ich, dass in Art. 1 eingefügt
wird: Freiwilligendienste fördern die Bildungsfähigkeit
der Jugendlichen. Waren die Absolventinnen und Absol-
venten von Freiwilligendiensten bisher etwa bildungs-
unfähig? Die Jugendfreiwilligendienste sollen bilden,
nicht nur bildungsfähig machen. Selbst wenn der vorlie-
gende Gesetzentwurf nur ein Rahmengesetz sein soll,
vermissen wir deutliche qualitative Verbesserungen.

Aus diesem Grund hat meine Fraktion einen Ent-
schließungsantrag vorgelegt, der die zentralen Forderun-
gen der Linken zusammenfasst. Ich möchte auf drei Be-
reiche eingehen.

Zunächst zur sozialen Absicherung der Jugendlichen:
Wir wollen, dass alle Jugendlichen, die sich für einen Ju-
gendfreiwilligendienst interessieren, diese Möglichkeit
nutzen können. Aber dazu ist das durchschnittliche Ta-
schengeld einfach nicht ausreichend. Es ist sehr zu be-
dauern, dass Sie die Kritik der ehemaligen Freiwilligen
nicht berücksichtigen, die in der Studie zum FSJ und
FÖJ veröffentlicht wurde. Nach fast 20 Jahren deutscher
Einheit ist es ebenso unverständlich, dass die maximale
Taschengeldhöhe im Osten niedriger ist als im Westen.


(Beifall bei der LINKEN)


Erklären Sie doch einmal einem Jugendlichen aus Mag-
deburg, warum er als Taschengeld nur 270 Euro bekom-
men kann, aber ein junger Mensch aus Fulda 318 Euro.
Hier hätten Sie wieder einmal eine Gelegenheit gehabt,
eine Ost-West-Angleichung herzustellen. Herr Dr. Kues,
Sie hatten ausgeführt, es sei eine gefühlte Differenz.
Aber 48 Euro sind sehr real. Weiterhin fehlt eine umfas-
sende Sozialversicherungspflicht für alle Jugendfreiwil-
ligendienste.

Ein weiterer Bereich ist die Mitbestimmung. Hier hät-
ten wir erwartet, dass gerade die Sozialdemokraten auf
diesen Punkt besonderen Wert legen. In der Begründung
zu § 10 des Gesetzentwurfes wird von keinem Arbeits-
verhältnis im engeren Sinne ausgegangen. Es bleibt also
unklar, um welche Art von Arbeitsverhältnis es sich han-
delt und welche Rechte die jungen Menschen haben.


(Sönke Rix [SPD]: Freiwilligendienste!)


Diese Klausel ist ein Einfallstor und bedeutet übersetzt:
Es gelten keine Mitbestimmungsrechte nach dem Be-
triebsverfassungsgesetz. Die Linke fordert genau diese






(A) (C)



(B) (D)


Elke Reinke
Mitbestimmungsrechte für die Jugendlichen. Uns ist das
wichtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Diesen Punkt vergessen auch die Grünen in ihrem An-
trag. Bei der FDP muss man erst gar nicht danach su-
chen.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Wir halten das auch für falsch!)


Der dritte Aspekt ist die Verdrängung regulärer Be-
schäftigung. Jugendfreiwilligendienste dürfen nicht als
Warteschleife für fehlende betriebliche Ausbildungs-
plätze missbraucht werden. Sie dürfen weder reguläre
Arbeitsplätze ersetzen noch zur Ausdehnung des Niedrig-
lohnsektors führen. Freiwilliges Engagement darf nicht
mehr und mehr zum Notnagel beim Abbau des Sozial-
staates werden. Schauen Sie doch in den Pflegebereich.
Dort ist es schon Normalität. Freiwilligendienste und
bürgerschaftliches Engagement dürfen nicht all das
übernehmen, was die öffentliche Hand nicht finanzieren
kann oder will. Deshalb ist die Bundesregierung aufge-
fordert, in Richtung öffentlich finanzierter Beschäfti-
gung aktiv zu werden.

Bei der Ausgestaltung der Jugendfreiwilligendienste
müssen bildungspolitische und sozialpolitische Ziele
gleichermaßen berücksichtigt werden. Leider wird der
vorliegende Gesetzentwurf dieser Forderung nicht ge-
recht. Das ist schade für die vielen jungen engagierten
Menschen. Sie hätten spürbare Verbesserungen verdient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614808000

Ich gebe das Wort dem Kollegen Kai Gehring, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614808100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden hier heute über eine Gruppe, die sich durch
die höchste Engagementbereitschaft und das stärkste
freiwillige Engagement aller Altersgruppen auszeich-
net, nämlich die Jugendlichen. Dies muss an dieser
Stelle einmal klar gesagt werden, weil es zeigt: Jugendli-
che sind viel besser als ihr Ruf. Deshalb nervt es, wenn
Medien vor allem dann über die Jugend berichten, wenn
etwas schiefläuft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Jugendliche sind bereit – das ist überdeutlich –, sich
zu engagieren und durch ökologisches, soziales und kul-
turelles Engagement im In- und Ausland Verantwortung
zu übernehmen. Zurzeit kommen vier Bewerbungen auf
einen Freiwilligendienstplatz. Dieses hohe Engagement-
potenzial von Jugendlichen ist ein hohes Gut und muss
genutzt werden. Deshalb brauchen wir dringend eine
deutliche Aufstockung und Ausweitung bei den Freiwil-
ligendienstplätzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das großkoalitionäre Gesetz muss sich daran messen
lassen, ob für diese Jugendlichen bessere Bedingungen
geschaffen werden und ob der fraktionsübergreifende
Beschluss aus der letzten Legislaturperiode umgesetzt
wird. Hierbei enttäuscht die Große Koalition gleich dop-
pelt. Sie hätten im Übrigen mit unserer Unterstützung ei-
nen großen Wurf für die Weiterentwicklung aller Frei-
willigendienste schaffen können, haben diese Chance
aber leider vertan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sibylle Laurischk [FDP])


Anstatt die Einzelinitiativen verschiedener Ministe-
rien fachlich zu bündeln und auf eine pädagogisch sinn-
volle Grundlage zu stellen, sollen in dem Gesetzentwurf
nur zwei Dienste geregelt werden. Deshalb ist es unzu-
reichend. Dass Herr Grübel es geradezu feiert, dass die
bestehenden Namen FÖJ und FSJ erhalten bleiben, ist
ein Beispiel dafür, wie unzureichend das Gesetz selbst
ist.

In unserem grünen Antrag fordern wir die Bundesre-
gierung auf, endlich ein Gesamtkonzept für einen deutli-
chen Ausbau der Freiwilligendienste vorzulegen, das ihr
jugend- und bildungspolitisches Profil schärft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern einen Freiwilligendienstplan, in dem die fi-
nanziellen Mittel für alle Freiwilligendienste analog zum
Kinder- und Jugendplan gebündelt werden. Unser Ziel
ist, zusätzlich zum neuen entwicklungspolitischen Frei-
willigendienst die Zahl aller Freiwilligendienstplätze bis
2015 auf 37 000 zu verdoppeln. Eine Verdoppelung kann
man gegenfinanzieren und schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wesentlich ist für uns die Sicherung der Qualität aller
Freiwilligendienste. Als Lernphase müssen sie noch
stärker auf Orientierung, Bildung und Qualifizierung
ausgerichtet sein. Eine gute pädagogische Begleitung
muss Jugendliche bei der Gewinnung neuer Erfahrungen
unterstützen. Benachteiligte Jugendliche – oft aus bil-
dungsfernen und armen Elternhäusern und viel zu oft
auch mit Migrationshintergrund – müssen besonders er-
muntert und unterstützt werden. Im Entschließungs-
antrag der Koalitionsfraktionen wird zwar eine der be-
troffenen Gruppen erwähnt. Aber ich frage mich: Wieso
haben Sie dazu nicht in Ihrem Gesetzentwurf sinnvolle
Regelungen getroffen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Grübel [CDU/CSU]: Weil es nicht nötig ist!)


Absolutes Negativbeispiel für Ihr planloses Handeln
ist das „Freiwillige Technische Jahr“ des Bildungsminis-
teriums,


(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


das nichts anderes als ein unbezahltes Langzeitprakti-
kum ist, für das man sich aber diesen gut klingenden Be-






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
griff ausleiht. Auch das Innenministerium plant bereits
ein „Freiwilliges Katastrophenschutzjahr“. Eine Koordi-
nation dieser zweifelhaften Initiativen wird von der Bun-
desregierung offensichtlich überhaupt nicht betrieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dadurch wird die Bedeutung der erfolgreiche Marke
„Freiwilliges Jahr“ verwässert statt gestärkt. Dies ist üb-
rigens ein Symptom der gesamten Jugendpolitik der
Bundesregierung und der Bundesjugendministerin. Sie
handeln getreu dem Motto: lieblos, planlos, ziellos. Das
ist nämlich leider bei allen jugendpolitischen Themen
der Fall.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE] – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Man merkt Ihrem Gesetzentwurf an, dass Ihr Ziel in
erster Linie die Umsatzsteuerbefreiung war. Die inhaltli-
che Konzeption und Weiterentwicklung der Freiwilli-
gendienste wird darin leider vernachlässigt. Die Mög-
lichkeit der Stückelung und Verlängerung der
Dienstdauer, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen,
kann dazu führen, dass ein Freiwilliger künftig bis zu
vier Sechsmonatsdienste bei verschiedenen Trägern leis-
tet. Die zeitliche Ausweitung auf zwei Jahre birgt auch
die Gefahr, neue Warteschleifen für Jugendliche zu
schaffen, anstatt ihr Engagement zu fördern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Leider völlig ignoriert wird in Ihrem Gesetzentwurf
der besondere Regelungsbedarf im Hinblick auf jugend-
liche Freiwillige im Ausland. Der Freiwilligendienst
„weltwärts“ kann allerdings ein guter Beitrag zum glo-
balen Lernen sein, den wir begrüßen


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Na also!)


und konstruktiv begleiten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Enttäuschend ist aber, dass er in Ihrem Gesetzentwurf
nicht verankert ist. Wer Jugendliche im Rahmen eines
70-Millionen-Euro-Programms ins Ausland schickt, darf
keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, dass die pä-
dagogischen und fachlichen Qualitäten des Freiwilligen-
dienstes im Partnerland vor Ort einwandfrei sind. Ich
gehe davon aus, dass die Bundesregierung sich hier stär-
ker anstrengt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen auf jeden Fall genau überprüfen, ob die ge-
weckten Erwartungen und die gesetzten Qualitätsstan-
dards auch erfüllt werden.

All diese Punkte zeigen: Ihr Gesetzentwurf ist kon-
zeptionell dürftig und enttäuschend. Er wird den An-
sprüchen des interfraktionellen Beschlusses aus der letz-
ten Legislaturperiode leider in keiner Weise gerecht.

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614808200

Herr Kollege.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614808300

Er bietet keine ausreichende Grundlage für einen be-

darfsorientierten und qualitätsvollen Ausbau sowie für
die sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung der
einzelnen Dienste.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614808400

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614808500

Noch eine letzte Bemerkung. – Gerade weil uns das

Engagement von Jugendlichen sehr wichtig ist und wir
es nachhaltig fördern wollen, lehnen wir den vorliegen-
den Gesetzentwurf ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614808600

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär

Dr. Hermann Kues.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr
Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1614808700


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei dem Gesetz, über das wir heute reden, gibt der Staat
nicht Milliardenbeträge für eine Leistung aus; dennoch
wird mit diesem Gesetz eine wichtige Weichenstellung
für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft vorge-
nommen.

Es geht nicht darum, das zu tun, worauf die Anträge
der Oppositionsfraktionen hinauslaufen, nämlich mehr
Geld auszugeben. Es geht vielmehr darum – der Kollege
Gehring hat es angesprochen –, das vorhandene Poten-
zial der Bürgerinnen und Bürger, der Jugendlichen, sich
freiwillig einzubringen, auszuschöpfen.

Mindestens so wichtig ist, dass wir eine Antwort auf
die Überforderung des Staates finden. Der Staat ist,
wenn er all das, was an Aufgaben anfällt, allein schultern
will, finanziell und strukturell überfordert. Es geht also
auch darum, sich von der Illusion zu trennen, Vater Staat
mache das schon. Wir wollen eine Gesellschaft, in der
der Staat den Rahmen setzt und in der sich die Bürgerin-
nen und Bürger aufgefordert fühlen, mit anzupacken, wo
es nur geht. Das ist die Philosophie der Freiwilligen-
dienste.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Den Rahmen dafür müssen Bund, Länder und Ge-
meinden bieten. Wer es am Taschengeld festmacht, will
Stimmung machen. Denn das Taschengeld wird frei ver-
einbart zwischen den Trägern und den Jugendlichen, die
den Dienst leisten wollen. Wollen Sie den Trägern, die
solche Stellen anbieten, vorschreiben, wie viel sie zu






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
zahlen haben? Das sind freiwillige Vereinbarungen, da-
für ist der Bund nicht zuständig. Ich denke, es ist gut,
wenn man sich innerhalb der Gesellschaft darauf ver-
ständigt, wie das ausgestaltet werden soll.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin fest davon überzeugt: Wer einmal einen Teil
seiner Zeit für eine wichtige Aufgabe einsetzt – sich bei-
spielsweise um Behinderte kümmert oder etwas für alte
Menschen tut –, der gewinnt ein Gespür dafür, was tat-
sächlich notwendig ist. Deswegen ist es eine schöne Ent-
wicklung, dass das Interesse an den Freiwilligendiensten
in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. 2002
wurden 15 000 Plätze aus Bundesmitteln gefördert;
fairerweise muss man sagen, dass entsprechende Lan-
desmittel hinzukommen und dass sich auch die Träger
entsprechend engagieren müssen. Heute sind es 24 000
Plätze im FSJ und im FÖJ einschließlich der Dienste
nach § 14 c Zivildienstgesetz.

Wenn es Unterschiede gibt, hat das etwas damit zu
tun, dass die Freiwilligendienste nach dem Zivildienst-
gesetz analog zum Bundeswehrdienst organisiert sein
müssen; man muss sich das genau anschauen.

Ich finde es im Übrigen positiv, dass sich, etwa bei
„weltwärts“, auch andere Ressorts engagieren. Wichtig
ist, dass wir möglichst viel vom Potenzial der Gesell-
schaft mobilisieren. Dafür wollen wir den Rahmen
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614808800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Laurischk?

Dr
Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1614808900


Selbstverständlich.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1614809000

Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen,

dass Sie den Rahmen schaffen wollen. Warum schaffen
Sie nicht auch einen Rahmen für einen so groß angeleg-
ten Freiwilligendienst wie „weltwärts“, gerade in sozial-
versicherungsrechtlicher Hinsicht? Das ist genau der
Punkt, den wir kritisieren: Hierfür ist eben kein Rahmen
geschaffen worden. In dieser Hinsicht sind Ihre Ausfüh-
rungen missverständlich.

Dr
Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1614809100


Ich glaube nicht, dass meine Äußerungen missver-
ständlich sind. Die Freiwilligendienste sind recht unter-
schiedlich geregelt. Das gilt für die Dienste, die im Zivil-
dienstgesetz geregelt sind, das gilt für den Dienst
„weltwärts“, und das gilt auch für die Überlegungen im
Bildungsbereich, eine Art Praktikum zu ermöglichen.
Angesichts dieser Unterschiede ist es klar, dass es An-
passungsnotwendigkeiten gibt; das habe ich im Aus-
schuss mehrfach gesagt. Wir müssen uns das genau an-
schauen und einen Weg finden, damit das Angebot in
sich schlüssig ist, auch was den Bezug von Kindergeld
angeht. Das wissen wir. Sie wissen aber auch, Frau
Laurischk, dass wir nicht zuletzt vor dem Hintergrund
der Frage der Umsatzsteuer Regelungen finden mussten.
Das stand lange im Raum. Es musste ein Weg gefunden
werden, damit Einsatzstellen bzw. Träger nicht mit Um-
satzsteuernachzahlungen rechnen müssen. Das Thema
ist mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs nicht ab-
geschlossen. Wir gehen aber damit einen entscheidenden
Schritt in die richtige Richtung und schaffen damit auch
mehr Transparenz.

Damit sind zwar noch nicht alle Aufgaben bewältigt,
aber wir arbeiten weiter daran. Insofern sind wir auf ei-
nem sehr guten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will noch einmal die zentralen Aspekte des neuen
Gesetzes nennen. Erstens werden FÖJ und FSJ zusam-
mengefasst. Damit schaffen wir mehr Transparenz und
Rechtsklarheit. Wir wollen aber die bewährten Marken
FÖJ und FSJ erhalten – auch das war Gegenstand der
Diskussion –, weil diejenigen, die sich über Jahre in die-
sem Bereich eingesetzt haben, wie ich finde, zu Recht
darauf hingewiesen haben, dass mit der neuen Gesetzge-
bung etwas verloren ginge, das in der Bevölkerung be-
kannt ist. Insofern schafft der Gesetzentwurf Klarheit.

Zweitens. Dass man die Jugendfreiwilligendienste
jetzt auch zeitlich flexibler gestalten kann, trägt der Tat-
sache Rechnung, dass diese Dienste Bildungsdienste
sind. Sie haben eine sehr wichtige Orientierungsfunk-
tion. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Jugendlicher
– beispielsweise nach einer Ausbildungsphase – einen
solchen Dienst antritt oder jemand aus der älteren Gene-
ration, der bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden
ist. Wir hatten zeitweise in Erwägung gezogen, die
Dienste zusammenzufassen. Die Motive zur Teilnahme
unterscheiden sich aber sehr. Für junge Menschen haben
die Dienste eine sehr wichtige Orientierungsfunktion.
Wir wissen aus Diskussionen in anderen Bereichen,
dass, wenn man junge Männer für eine spätere berufli-
che Tätigkeit etwa im Pflegedienst gewinnen will, von
großer Bedeutung ist, ob sie vorher in diesem Bereich tä-
tig sein konnten. In dem Fall sind sie eher motiviert, sol-
che Aufgaben zu übernehmen. Insofern ist das von gro-
ßer Bedeutung im Hinblick auf die Gewinnung gerade
junger Männer als Fachkräfte im Bereich der Pflege.

Drittens wird – das wurde bereits angesprochen – die
Zeitstruktur flexibilisiert.

Viertens flexibilisieren wir die Träger- und Einsatz-
stellenstruktur. Damit können die vertraglichen Rechte
und Pflichten freier vereinbart werden.

Fünftens und letztens behalten wir die Sozialversiche-
rungspflicht für In- und Auslandsdienste bei.

Dieses Thema ist uns deswegen so wichtig – das
betone ich ausdrücklich –, weil es Jugendliche in






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
Deutschland in das richtige Licht rückt, die sich schon
seit Jahren freiwillig zum Dienst in der Altenarbeit, Be-
hindertenarbeit und im Umweltschutz verpflichten. Das
ist die Jugend, auf die unser Staat auch künftig bauen
kann.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614809200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Bärbel Kofler,

SPD-Fraktion.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1614809300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Es freut mich sehr, dass ich als Entwicklungspoliti-
kerin zum Thema Jugendfreiwilligendienste sprechen
kann. Es war viel von dem neuen Programm „weltwärts“
der Freiwilligendienste die Rede, das es seit September
2007 gibt. Es ist viel gesagt worden, aber leider wenig
Richtiges. Ich denke dabei insbesondere an die FDP.

Ich glaube, es ist gut, dass ich als Entwicklungspoliti-
kerin zu diesem Thema sprechen und vielleicht den ei-
nen oder anderen Punkt klarstellen kann, was dieses Pro-
gramm anbelangt. Sie haben kritisiert, das BMZ habe ein
Programm aus dem Hut gezaubert; es fehle an Regelun-
gen für die jungen Menschen; man wisse nicht, welche
sozialversicherungsrechtlichen Standards gelten sollen
usw. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass bei der
FDP Krokodilstränen vergossen werden. Wenn Ihnen
das Wohl unserer Sozialkassen und die Sozialversiche-
rungsbiografien der Menschen so am Herzen liegen,
dann wäre ich sehr froh, wenn Sie uns in der Frage des
Mindestlohns genauso unterstützen würden, wie Sie sich
in diesem Bereich der Rentenversicherung annehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sibylle Laurischk [FDP]: Lenken Sie doch nicht ab! Das ist billig!)


– Das ist nicht billig, sondern es ist die Replik, die Ihr
Ansinnen verdient.

Junge Menschen im Programm „weltwärts“ sind so-
zial gut abgesichert und abgefedert. Sie genießen Aus-
landskrankenschutz, Unfall- und Invaliditätsschutz und
haben eine Rückholversicherung. Sie werden in der Pfle-
geversicherung im Inland weiter versichert. Zudem ha-
ben sie die Möglichkeit, sich in der Rentenversicherung
nachzuversichern. Ich glaube, dass das Programm „welt-
wärts“ viele wesentliche Punkte berücksichtigt. Es
nimmt im Übrigen mit seiner Finanzierungsstruktur ganz
wesentliche Punkte auf, sodass auch Menschen mit nied-
rigem Einkommen und geringen Verdienstchancen die
Möglichkeit bekommen, ins Ausland zu reisen, Lebens-
erfahrung zu sammeln, Kompetenz in interkultureller
Kommunikation zu erwerben sowie Toleranz zu erlernen
und Verständnis zu bekommen. Diese Dinge sollen die
Jugendfreiwilligendienste fördern; diese Qualitäten be-
nötigen wir auch in unserem Land dringend.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben die Regelungen für junge Frauen besonders
kritisiert, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ungleichbehandlung!)


Was haben bisher die jungen Frauen gemacht, die ein
freiwilliges Jahr im Ausland ableisten wollten? Die Zahl
derjenigen, die über § 14 c Zivildienstgesetz reisen
konnten – das betrifft logischerweise Frauen nicht –, be-
trug 1 100 im Jahr. Die Zahl der anderen, die von sich
aus fahren und die Kosten selbst tragen müssen, beläuft
sich auf knapp 400 im Jahr. Was ist nun eine adäquate
Förderung der Frauen?

Mit dem Programm „weltwärts“ wird insbesondere
jungen Frauen die Möglichkeit gegeben, im Rahmen
entwicklungspolitischer Themenstellungen im Ausland
tätig zu sein. Die Trägerorganisationen erhalten
580 Euro. Die jungen Menschen sind versichert – das
habe ich schon angesprochen –, bekommen Unterkunft
und Verpflegung und erhalten ein Taschengeld. Was ich
begrüße und für besonders wichtig und notwendig halte,
ist die pädagogische Anleitung der jungen Menschen. In
vielen Ländern der Dritten Welt, den Entwicklungslän-
dern, ist das ein ganz wichtiger Punkt. Genau das pas-
siert.

Die Zahlen zeigen, dass sich seit September 2007 für
dieses Programm 5 000 junge Menschen interessiert ha-
ben, 70 Prozent davon Frauen. In diesem Jahr werden
wir 3 000 Plätze schaffen. Insgesamt ist die Schaffung
von 10 000 Plätzen vorgesehen. Sie können das doch
nicht mit einer Zahl im dreistelligen Bereich verglei-
chen. Das aber ist die Größenordnung, in der Frauen im
Ausland ihren Freiwilligendienst leisten können. Hier
wird Engagement für Frauen möglich gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Jungen Menschen wird ein Engagement jenseits des
Einkommens und der Berufsbildung ermöglicht. Bisher
wurde es jungen Menschen ohne Studium oder Abitur
sehr schwer gemacht, einen solchen Dienst wahrzuneh-
men. Junge Menschen mit Haupt- oder Realschulab-
schluss oder mit einer Berufsausbildung werden ebenso
wie Menschen mit geringeren Einkommensmöglichkei-
ten angesprochen.

Ich glaube, das ist ein rundum gelungenes Programm.
Ich bedanke mich beim BMZ für dieses Programm. Die
Abstimmung mit dem Familienministerium verlief her-
vorragend. Ich hoffe, wir können dieses Programm ge-
meinsam gut weiterentwickeln.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614809400

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Dieter Steinecke, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dieter Steinecke (SPD):
Rede ID: ID1614809500

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen!

Die Demokratie lebt durch das Engagement der
Bürgerinnen und Bürger. Darum wollen wir eine
starke, lebendige Bürgergesellschaft …

Diese Feststellung ist nicht neu, sie ist auch nicht von
mir. Ich habe sie vielmehr dem Hamburger Programm
meiner Partei entnommen. Als sie das formulierte und
beschloss, war die zugrunde liegende Erkenntnis nicht
mehr ganz taufrisch. Schon vor fast 2 000 Jahren stellte
der römische Schriftsteller Seneca fest – ich zitiere –:

Die menschliche Gesellschaft gleicht einem Ge-
wölbe, das zusammenstürzen müsste, wenn sich
nicht die einzelnen Steine gegenseitig stützen wür-
den.

Unser Leitbild ist eine moderne – nicht 2 000 Jahre alte –,
funktionierende Bürgergesellschaft. Dies ist keineswegs
nur eine Forderung oder gar eine Utopie. Tagtäglich
wird dieses Leitbild auf die verschiedensten Weisen
praktiziert und mit Leben erfüllt.

Bürgerschaftliches Engagement – das betone ich – ist
nicht nur ein reines Geben an die Gesellschaft. Es ist
mehr als ein Opfer an Zeit und manchmal auch an Geld.
Wer sich bürgerschaftlich engagiert, bekommt auch et-
was zurück. Er kommt mit anderen Menschen zusam-
men, kann Bestätigung erfahren und seinen persönlichen
Horizont erweitern. Bürgerschaftliches Engagement be-
deutet Mitwirkung und Teilhabe an unserem gelebten
demokratischen Gemeinwesen.

Heute sprechen wir über zwei besonders erfolgreiche
Formen des bürgerschaftlichen Engagements: das Frei-
willige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr.
Seit den 50er- respektive seit den 90er-Jahren des ver-
gangenen Jahrhunderts haben sich diese Dienste zu einer
Orientierungs- und Lernzeit für junge Menschen ent-
wickelt und sich in hervorragender Weise bewährt.

Im vorliegenden Entwurf wird gerade der Bildungs-
charakter betont. Eindeutig wird hervorgehoben, dass
sich der Jugendfreiwilligendienst an klaren fachlichen
Lernzielen und am Erwerb sozialer und kultureller Kom-
petenzen orientieren muss und angemessen pädagogisch
begleitet werden muss.

Ich fasse kurz zusammen: Das Freiwillige Soziale
und das Freiwillige Ökologische Jahr stellen Dienste an
der Allgemeinheit dar, von denen der Dienstleistende
durch Erweiterung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten
profitiert und durch die er gesellschaftliche Teilhabe un-
mittelbar erfährt und praktiziert.

Nach bisheriger und künftiger Rechtslage steht diese
wertvolle Bildungs- und Erfahrungschance allen jungen
Menschen zwischen dem Ende ihrer Schulpflicht und
dem 27. Lebensjahr offen. In der Realität sieht die Sache
jedoch anders aus – meine Vorredner haben das zum Teil
schon erwähnt –: Zwar ist der Anteil junger Männer
durch die Einführung von § 14 c in das Zivildienstgesetz
deutlich angestiegen, doch nach wie vor werden die An-
gebote der Jugendfreiwilligendienste in erster Linie von
Realschulabsolventen und Abiturienten wahrgenommen.
Junge Menschen mit niedrigerem oder gar ohne Bil-
dungsabschluss bleiben in der Regel unerreicht. Dabei
könnten gerade sie ganz konkret von den Bildungs- und
Dienstangeboten profitieren. Daher sollten wir gezielt
versuchen, den Anteil benachteiligter Jugendlicher an
den Dienstleistenden zu erhöhen; dies ist im Rahmen des
Gesetzes möglich. Dabei sollten nicht nur Werbungs-
maßnahmen ergriffen werden; die Träger müssen sich
offen für die potenziellen Dienstleistenden zeigen und in
den Stand versetzt werden, die nicht immer unproblema-
tischen jungen Menschen zu schulen und pädagogisch zu
begleiten.

Besondere Bedeutung kommt den Migrantenselbst-
hilfeorganisationen zu. Die Bundesregierung sollte sie
durch gezielte Ansprache und Unterstützungsmaßnah-
men ermuntern, als Träger, als Einsatzstellen oder als
Partner bereits aktiver traditioneller Träger im System
der Freiwilligendienste mitzuwirken. Hierdurch würden
diese Dienste für junge Menschen mit Migrationshinter-
grund attraktiver.


(Beifall bei der SPD)


Die positiven Folgen für die Dienstleistenden und die
Gesellschaft liegen auf der Hand.

Die Öffnung der Freiwilligendienste für weitere
Kreise der Jugend in unserem Land kann es nicht um-
sonst geben. Die Verbreiterung der Trägerbasis und die
erforderliche zielgruppenspezifische Anpassung und
Verbesserung der pädagogischen Betreuung kosten viel
Geld. Ich finde, man sollte immer fragen – das tun nicht
alle in diesem Hause –: Woher soll das Geld kommen?
Ich möchte dazu einen Vorschlag machen. Zurzeit kur-
sieren Eckpunkte für das Vorhaben, eine freiwillige oder
auch pseudofreiwillige Verlängerung des Zivildienstes
– eines Zwangsdienstes nur für junge Männer – zu er-
möglichen.


(Ina Lenke [FDP]: Das wäre falsch!)


Das ist in meinen Augen sachlich unnötig und würde den
Haushalt des BMFSFJ mit ansehnlichen Beträgen belas-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP] und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dieses Geld könnte weitaus sinnvoller für eine Verbrei-
terung und Stärkung der Jugendfreiwilligendienste ein-
gesetzt werden. Dies läge in meinen Augen weit mehr
im Interesse benachteiligter junger Menschen und unse-
rer gesamten Gesellschaft.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ina Lenke [FDP])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614809600

Ich schließe die Aussprache.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Förderung von Jugendfreiwilligendiensten, Drucksachen
16/6519 und 16/6967. Der Ausschuss für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/8256, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung in Kenntnis des
Berichts der Bundesregierung zu Prüfaufträgen zur
Zukunft der Freiwilligendienste, Ausbau der Jugendfrei-
willigendienste und der generationsübergreifenden Frei-
willigendienste als zivilgesellschaftlicher Generationen-
vertrag für Deutschland auf Drucksache 16/6145 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der Opposition angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der Opposition angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8414? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der
FDP abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/8413? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/8256
fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/6769 mit dem Titel „Jugendfrei-
willigendienste in einen gemeinsamen Gesetzesrahmen
zusammenfassen“. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP an-
genommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Jugend-
freiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeptionen
entwickeln“ auf Drucksache 16/6771. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und FDP und bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.

Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/8256 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion
Die Linke, SPD, CDU/CSU bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen und FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung

Grünbuch
Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der
Stadt (inkl. 13278/07 ADD 1)


KOM (2007) 551 endg.; Ratsdok. 13278/07

– Drucksachen 16/6865 Nr. 1.19, 16/8360 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionel-
len Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertel-
stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Sören Bartol, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1614809700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Europäische Kommission hat im Septem-
ber 2007 ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer
neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ vorgelegt, das
Grundlage für einen europäischen Aktionsplan sein soll.
Wir als SPD-Fraktion begrüßen ausdrücklich diese Ini-
tiative der EU-Kommission, mit der der Stadtverkehr
flüssiger, intelligenter, zugänglicher und sicherer werden
soll und die Städte grüner werden sollen.

Wir haben zusammen mit unserem Koalitionspartner
einen Antrag eingebracht, in dem wir Handlungsoptio-
nen der EU für eine sozial- und umweltverträgliche Mo-
bilität in Städten aufzeigen. Wir wollen, dass sich der
Bundestag mit dieser Stellungnahme aktiv und konstruk-
tiv an der laufenden zweiten Konsultationsphase zur
Vorbereitung des Aktionsplans beteiligt.


(Beifall bei der SPD)


Wenn es um die Zukunft unserer Städte geht, dürfen
nicht formalrechtliche Kompetenzstreitigkeiten im Vor-
dergrund stehen. Reflexartige Ablehnung ist unange-
bracht angesichts der Aufgabe, städtische Mobilität so
zu gestalten, dass sie die Qualität der Städte als






(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol
Wirtschafts- und Wohnstandorte nicht einschränkt.
Diese Aufgabe erfordert die gemeinsame Suche nach
Lösungen auf örtlicher, regionaler, nationaler und euro-
päischer Ebene. Wir begrüßen, dass sich die Kommis-
sion dieser Aufgabe stellt.


(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Wir sollten das Grünbuch aber nicht mit Erwartungen
überfrachten, wie es die Grünen in ihrem Entschlie-
ßungsantrag tun. Das Grünbuch kann nicht das Vehikel
sein, ein generelles Tempolimit einzuführen. Eine Ein-
führung durch die Hintertür Europa befördert nicht ge-
rade die Akzeptanz der EU bei den Bürgern. Tempolimit
– ja oder nein, das müssen wir in Deutschland unter uns
klären.


(Beifall des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/ CSU])


Auch einheitliche Vorgaben zu Citymautsystemen ma-
chen wenig Sinn; denn von einer flächendeckenden Ein-
führung sind wir weit entfernt. Es ist sicherlich sinnvoll,
sich die Beispiele wie London und Stockholm anzusehen
und Erfolgsbedingungen für eine Citymaut zu identifi-
zieren. Bei der Übertragbarkeit auf deutsche Städte bin
ich allerdings skeptisch.


(Beifall des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/ CSU] und des Abg. Patrick Döring [FDP])


Die Vielfalt europäischer Städte verbietet einheitliche
Lösungen, und die will auch keiner. Die lokalen Akteure
sind diejenigen, die sich vor Ort am besten auskennen.
Sie sind diejenigen, die lokal angepasste Strategien ent-
wickeln können. Sie sind vor allem diejenigen, die bei
den Betroffenen Akzeptanz schaffen können. Das weiß
auch die Kommission. Wir nehmen sie beim Wort, wenn
es um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und die
Beachtung der kommunalen Planungshoheit geht.

Vieles von dem, was im Grünbuch vorgeschlagen
wird, ist in Deutschland schon lange Praxis. Deutsche
Städte haben einen reichen Erfahrungsschatz erfolgrei-
cher Stadtverkehrskonzepte, von Tempo-30- und Fuß-
gängerzonen über Parkraumbewirtschaftung, Busspuren,
Ampelvorrangschaltungen und Radwegenetze bis hin
zum Verkehrsmanagement. Wir haben anderen Städten in
Europa viel Beispielhaftes zu bieten. Es gibt aber auch
einiges, was wir im Austausch mit anderen dazulernen
können. Wir sehen den europäischen Mehrwert eines Ak-
tionsplans zur städtischen Mobilität durchaus. Die EU
kann eine wesentliche Rolle spielen, wenn es um den
Austausch von Daten und Erfahrungen geht. Sie kann
geltende Rechtsakte und Förderinstrumente evaluieren,
vereinfachen und zu einem integrierten Ansatz bündeln.
Auch bei der Harmonisierung technischer Leitlinien ist
die EU gefordert. Ich denke hier zum Beispiel an die Pla-
ketten für Umweltzonen, die bisher überall in Europa an-
ders aussehen, und an einheitliche Standards bei Telema-
tikanwendungen im öffentlichen Personennahverkehr,
die grenzüberschreitend Fahrplanauskünfte und E-Ticke-
ting erlauben. Technische Insellösungen mögen innova-
tiv sein, wirtschaftlich sind sie auf Dauer nicht.
Die Kommission erkennt ganz richtig, dass sich städ-
tische Verkehrsprobleme nur durch eine integrierte Poli-
tik lösen lassen. Darin hat sie unsere volle Unterstützung.
Einerseits müssen wir die technologischen Potenziale zur
Verbesserung der Fahrzeugtechnik ausschöpfen und die
Leistungsfähigkeit einzelner Verkehrsmittel optimieren.
Andererseits müssen wir den Fußgänger-, Rad- und öf-
fentlichen Personennahverkehr attraktiv, sicher und bar-
rierefrei gestalten. Mehr noch: Wir müssen die Innen-
stadtentwicklung von Städten stärken sowie Siedlungs-,
Wirtschafts- und Infrastrukturentwicklung in regionaler
Kooperation betreiben. Mit der Baugesetzbuchnovelle
haben wir hier in Deutschland einen wichtigen Schritt
getan, der zu einer Revitalisierung der Innenstädte beitra-
gen wird.


(Beifall bei der SPD)


Eine fahrrad- und fußgängerfreundliche Stadt mit einer
funktionalen Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Einkau-
fen und Freizeit bietet ein gesundes und sicheres Le-
bensumfeld gerade für Kinder und ältere Menschen. Sie
bewegen sich überwiegend im Nahbereich.


(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


Auch für Menschen mit geringem Einkommen, die oft
an besonders belasteten Hauptverkehrsstraßen wohnen,
ist ein stadtverträglicher Verkehr ein großer Gewinn.

Wir können es uns nicht leisten, wie Abu Dhabi
Sir Norman Foster für den Neubau einer CO2-neutralen
Ökostadt zu engagieren. Dafür fehlen uns die Öldollar.
Wir in Europa haben über Jahrhunderte gewachsene
Städte. Diese Städte mit all ihren Problemen, aber auch
mit ihren baulichen, sozialen und kulturellen Qualitäten
ökologisch nachhaltig und lebenswert zu gestalten, das
ist die eigentliche Herausforderung. Die während der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschlossene Leip-
zig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt betont
die Bedeutung der Städte für die gesellschaftliche und
die wirtschaftliche Entwicklung. Der weiterwachsende
Verkehr droht allerdings zum Wachstumshemmnis zu
werden, wenn es uns nicht gelingt, Wirtschafts- und Ver-
kehrswachstum voneinander zu entkoppeln. Dieses Ziel,
das die Kommission im Verkehrsweißbuch von 2001
formuliert hat, muss weiter im Blick bleiben.

Die Städte stehen vor der Herausforderung, Mobilität
von Menschen, Gütern und Dienstleistungen zu ermögli-
chen, gleichzeitig aber die Belastungen für Mensch und
Umwelt zu senken. Dabei können sie tatkräftige Unter-
stützung gebrauchen, sowohl von uns im Deutschen
Bundestag als auch – das ist meine Meinung – vonseiten
der EU.

Vielen Dank und gute Beratung.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614809800

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Döring, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1614809900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“
heißt das Grünbuch der Europäischen Union. Zuallererst
fragt man sich doch: Was hat eigentlich Brüssel damit zu
tun? Wer jemals in Brüssel war, der kann erkennen, dass
man vielleicht national oder lokal schon allein in dieser
Stadt das eine oder andere verbessern könnte. Vielleicht
sollten sich die Bediensteten der Kommission nicht mit
allgemeinen philosophischen Grundsätzen befassen,
sondern lokale Politik beobachten; denn die ist zustän-
dig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sage ich für die FDP-Fraktion: Ja, vieles, was in
dem Grünbuch steht, ist in deutschen Städten gelebte
Praxis.


(Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nein, das kann doch nicht wahr sein!)


– Ja, vieles, was darin steht, ist in deutschen Städten ge-
lebte Praxis. – Und weil der Zwischenruf vom Kollegen
Hettlich gekommen ist: Ich kann verstehen, dass man-
cher dieses Grünbuch mit den vielen dirigistischen Vor-
schlägen zu Citymaut, Parkraumbewirtschaftung usw.
zum Vehikel nehmen will, um seine ideologische Ver-
kehrspolitik in Deutschland durchzusetzen.


(Beifall bei der FDP)


Aber mehr als 80 Prozent der Hamburger haben gerade
nicht Grün und damit nicht die Citymaut gewählt, lieber
Herr Kollege. Ich bin sehr gespannt, ob die schwarz-
grüne Koalition eine Citymaut einführt und wie sich die
Union dann dazu verhält. All das beobachte ich mit gro-
ßem Interesse.


(Martin Burkert [SPD]: Hauptsache, ihr seid nicht dabei!)


Aber für diese Maßnahme gibt es keine Unterstützung.


(Beifall bei der FDP)


Es ist richtig, das in den Städten zu diskutieren. Wir wer-
den sehen, dass es dafür weitestgehend keine Mehrhei-
ten gibt.

Was die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und
Verkehrswachstum betrifft, so kann man zurzeit das Ge-
genteil von dem beobachten, was der Kollege Bartol ge-
sagt hat. Das Verkehrswachstum ist stärker als das
Wirtschaftswachstum, weil in Deutschland der Durch-
gangsverkehr insgesamt eine große Rolle spielt. Wir ha-
ben in den Städten wachsende Verkehre, weil es eine
Rückbesinnung auf die Innenstädte gibt und die leerste-
henden Ladenlokale in den Fußgängerzonen wieder ver-
mietet werden. Man kommt wieder weg von der grünen
Wiese, was wir alle wollten.


(Beifall bei der FDP)


Man kann dieses Grünbuch lesen und dann wie die
Koalition die Fahne der Subsidiarität hochhalten, damit
bloß keiner auf die Idee kommt, mit gesetzgeberischen
Maßnahmen in Deutschland einzugreifen. Da unterstüt-
zen wir den Antrag der Koalition ausdrücklich. Es finden
sich aber auch noch, wie ich finde, einige zu positive Be-
wertungen in dem Entschließungsantrag. Die Befürch-
tung der FDP-Fraktion ist, dass dann, wenn man mit
Standardisierung und Harmonisierung anfängt – Herr
Kollege Bartol, das beginnt bei der europaweit harmoni-
sierten Umweltplakette –, Rechte abgeleitet werden, wei-
tere Regelungen, die tief in die kommunale Selbstver-
waltung eingreifen, zu treffen.


(Beifall bei der FDP – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist genau die Praxis! – Sören Bartol [SPD]: Es geht um die Frage, welche Farbe sie hat!)


Es ist in diesem Hause noch nie darüber diskutiert wor-
den – jedenfalls habe ich davon noch nichts gehört –, ob
wir europaweit einheitliche Nummernschilder oder euro-
paweit einheitliche Fahrzeugscheine brauchen. Aber jetzt
soll das Harmonisierungsziel in der Einführung europa-
weit einheitlicher Umweltplaketten bestehen. Da kann
ich nur sagen: Lasst viele Blumen blühen.


(Beifall bei der FDP)


Man kann darüber streiten, ob Umweltzonen über-
haupt sinnvoll sind.


(Renate Blank Vielleicht sollten wir darüber einmal sprechen. Nach der Anhörung von gestern über die Wirksamkeit von Rußpartikelfiltern können wir darüber streiten, ob der ganze Vorgang irgendeine Auswirkung hat. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass das höchste Feinstaubaufkommen in meiner Heimatstadt Hannover am letzten Jahr am Ostermontag zu verzeichnen war. Das lag nicht an dem vielen Verkehr, sondern an den Osterfeuern rund um die Stadt. Das ist doch der Punkt. Das hat nichts mit dem Feinstaub zu tun, der vom Autoverkehr hervorgerufen wird. Allerletzte Bemerkung zum städtischen Verkehr insgesamt. Wie anfällig städtischer Verkehr ist, wie austariert dieses System ist, erkennen wir dieser Tage durch den Streik von Verdi. Heute Morgen ist den meisten von uns aufgefallen, dass viel mehr Pkws auf den Straßen Berlins sind, weil die BVG nicht fährt. Das macht doch deutlich, dass diese Systeme in jeder Stadt individuell eingespielt und ausbalanciert sind. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie man bei der aktuellen Situation in Deutschlands Städten, mit Streik im Nahverkehr und vielleicht einem Streik bei der DB AG – das würde ab Montag die S-Bahnen betreffen –, mit dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen überhaupt umgeht und wie die Kommune oder auch der betroffene Bürger darauf reagieren kann. Ich bin schon etwas irritiert, dass die Busspuren mancher deutscher Städte, auf denen zurzeit wegen des Streiks keine Busse fahren, nicht für den zusätzlichen Autoverkehr während der Streiktage geöffnet werden. Auch bin ich ratlos, wie man mit den parkenden Fahrzeugen – ich denke allein an die zu parkenden Fahrzeuge unserer Mitarbeiter, die nicht mit dem Patrick Döring Nahverkehr in die Stadt gekommen sind – umgehen will, wenn der Streik anhält. Diese Beispiele machen deutlich, dass solche Fragen vor Ort zu lösen sind. Dafür braucht man weder Grünbücher noch Legislativen aus Brüssel. Ich bin dafür, dass wir sehr intensiv darüber streiten, wie man städtische Mobilität organisiert, aber nicht auf europäischer Ebene, sondern mit Ratsfrauen und Ratsherren in den Kommunen vor Ort. Herzlichen Dank. Das Wort hat der Kollege Klaus Hofbauer, CDU/ CSU-Fraktion. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Wir haben uns schon oft darüber beklagt, dass wir im Deutschen Bundestag über europäische Richtlinien und Entscheidungen zu spät oder gar nicht informiert wurden, sodass wir nicht mitentscheiden konnten. Deshalb begrüßen wir es außerordentlich, dass wir noch vor Verabschiedung des Aktionsplans zur städtischen Mobilität die Möglichkeit haben, zu dieser umfangreichen Vorlage Stellung zu nehmen und so den Prozess entscheidend mitzugestalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei der FDP)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614810000

(Beifall bei der CDU/CSU)

Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1614810100

Lieber Herr Kollege Döring, wir sind nicht weit aus-
einander. Das hätten Sie gemerkt, wenn Sie unsere Be-
schlussempfehlung gelesen hätten.


(Patrick Döring [FDP]: Ich habe sie gelesen!)


Ich zitiere aus einem Spiegelstrich:

Der Bundestag fordert:
– das Subsidiaritätsprinzip bei der Erarbeitung des

Aktionsplans zur städtischen Mobilität strikt zu
beachten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist aber kraftvoll! Donnerwetter!)


Das ist eine ganz klare Aussage. Wir werden darauf ach-
ten, dass dies auch eingehalten wird. – Ich zitiere auch
noch den zweiten Satz:

Die kommunale Planungshoheit muss nach Auffas-
sung des Deutschen Bundestages uneingeschränkt
gewahrt bleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, konkreter und
deutlicher können wir unsere Forderungen in dieser Stel-
lungnahme nicht formulieren. Wir haben damit einen
Beitrag dazu geleistet, gute Anregungen zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gerade uns Verkehrspolitikern ist bewusst – wir ha-
ben diese Beschlussempfehlung auch mit den Europapo-
litikern abgestimmt, und ich bedanke mich ausdrücklich,
dass wir zu einer gemeinsamen Initiative gekommen
sind –, dass wir es mit einer dramatischen Zunahme des
Verkehrs zu tun haben. Die Folgen sind Staus, Verspä-
tungen, Luft- und Lärmemissionen und vor allem er-
höhte Verkehrsunfallzahlen bei Fußgängern und Radfah-
rern. Deshalb gehe ich auf die fünf wesentlichen Punkte
des Grünbuchs ein, die wir als wichtige Anregungen auf-
fassen, die – darauf werden wir achten – auch vor Ort
diskutiert werden müssen. Außerdem werden wir prüfen,
was auf unserer Ebene verändert werden muss. Vor allen
Dingen muss dies aber in den Kommunen diskutiert wer-
den. Wir wollen nicht, dass hier den Kommunen etwas
vorgeschrieben wird; aber wir wollen, dass dies in geeig-
neter Weise umgesetzt wird.

Es geht erstens darum, mehr für einen flüssigen Ver-
kehr in der Stadt zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass
jede Kommune prüfen kann, ob sie dazu in ausreichen-
dem Maße beiträgt.

Zweitens sollten wir die Luftverschmutzung in den
Städten betrachten. Sie lässt sich zum Beispiel durch al-
ternative Kraftstoffe – Stichwort: Einführung von Was-
serstoff – reduzieren. Das sind die Herausforderungen,
die wir zu bewältigen haben.

Ich nenne einen dritten und vierten Punkt: hin zu in-
telligenterem Nahverkehr, hin zu zugänglicherem Nah-
verkehr. Wir müssen insbesondere die Mobilität von Be-
hinderten, von älteren Menschen und von Familien mit
Kindern stärken. Wenn man Opa ist und mit einem
Kleinkind unterwegs ist, erlebt man, wie es ist, wenn
man sich in den Zentren mit einem Kinderwagen be-
wegt. Ich muss feststellen: Es ist noch einiges zu verbes-
sern. Das sollte man hier entsprechend darstellen und
umzusetzen versuchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])


Ich möchte das, was der Herr Kollege Bartol gesagt
hat, voll und ganz unterstreichen. Wir, Deutschland, soll-
ten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. In
Deutschland ist bereits viel passiert; wir sind auf einem
guten Weg. Ich möchte insbesondere unseren Kommu-
nen ein Wort des Dankes sagen. Die Kommunalpolitik
steht oben auf unserer Agenda. Was wir erreicht haben,
sollten wir positiv darstellen. Wir brauchen uns nicht zu
verstecken. Wir können selbstbewusst auf unsere Er-
folge in diesem Bereich in den letzten Jahren verweisen.
Der Herr Kollege Bartol hat diese Punkte bereits ange-
sprochen.

Erlauben Sie mir, auf noch einen wichtigen Punkt
hinzuweisen. Ich glaube, für die Lösung der Probleme
des städtischen Verkehrs ist insbesondere ein enges Zu-
sammenwirken der Zentren und der umliegenden Regio-
nen notwendig. Der größte Teil der Arbeitsplätze befin-
det sich nach wie vor in den Zentren. Der meiste Verkehr
entsteht in der Früh, wenn die Pendler in die Zentren
fahren, und am Abend, wenn sie zurückfahren. Deswe-
gen betrifft dieses Thema nicht allein die Städte; viel-






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Hofbauer
mehr muss das Umland einbezogen werden. Je attrakti-
ver wir den Nahverkehr gestalten, desto besser ist der
Individualverkehr in den Zentren.

Dazu haben wir, der Bund, einen ganz entscheidenden
Beitrag geleistet, als wir bei der Bahnreform Mitte der
90er-Jahre dafür gesorgt haben, dass Regionalisierungs-
mittel eingesetzt wurden. Wir sollten hier einmal deut-
lich sagen, dass die Verwendung von Regionalisierungs-
mitteln zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, wie
es bei uns praktiziert wird, beispielgebend ist.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eines er-
wähnen: Die Vorschläge des Bundesrats werden in den
Entscheidungsprozess über den Aktionsplan einbezogen
werden. Auf vielen Seiten werden viele Anregungen ge-
macht, hinter denen wir stehen und die wir unterstützen.

Erlauben Sie mir, zum Abschluss Folgendes zusam-
menfassend zu sagen: Wir sollen nicht in die Kompetenz
der Kommunen eingreifen. Wir sollen Anregungen und
Impulse geben. Das Grünbuch enthält dazu einiges. Ich
habe hier großes Vertrauen in die Kommunalpolitiker,
weil hier wirklich Vorbildliches geleistet wird. Wir müs-
sen vor allen Dingen dafür Sorge tragen, dass das Subsi-
diaritätsprinzip auch bei dieser Regelung eingehalten
und festgeschrieben wird. Wenn das geschieht, können
wir dieses Grünbuch unter den genannten Gesichtspunk-
ten unter dem Strich positiv – als etwas, das Anregungen
und Vorschläge enthält – bewerten.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614810200

Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothée Menzner,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614810300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Grünbuch der Europäischen Kommission nimmt die
Organisation des städtischen Verkehrs mit öffentlichen
Verkehrsmitteln großen Raum ein. Das ist ohne Zweifel
eine richtige Orientierung. Sie entspricht den Grundsät-
zen, die die Linke vertritt. Doch den Verkehr zu optimie-
ren, ohne gleichzeitig stadtplanerische, ökologische, so-
ziale Bedingungen und deren Veränderung in den Blick
zu nehmen, greift nach unserer Überzeugung zu kurz.

Wenn Städte lebenswerter werden sollen, dann müs-
sen wir den Autoverkehr deutlich mindern. Das wissen
wir alle; ich glaube, dass an dieser Stelle kein großer
Dissens besteht. Auch die Stellungnahme des Deutschen
Städtetages weist in diese Richtung. Doch wo gibt es
hierzulande so etwas wie eine Citymaut oder überhaupt
solche Ansätze? Eine solche Maut könnte den Autover-
kehr wirklich einschränken, was sich am Beispiel Lon-
don zeigt. Aber wir wissen auch, dass es massive Wider-
stände, nicht zuletzt der Autolobby, gibt;


(Zuruf von der CDU/CSU: Und der Bürger!)

schließlich klagt Porsche in Großbritannien gegen die
Citymaut.

Parkraumbewirtschaftung, Tempo 30, Radfahrrouten,
Ampelvorrangschaltung und Verkehrsmanagement sind
für die Städte unerlässlich. Doch weiß jeder hier im
Haus, dass es gegensätzliche Interessen gibt und dass es
schwierig ist, diese vor Ort konkret unter einen Hut zu
bringen. Ein generelles Umdenken kann aber nicht allein
von der Verkehrspolitik ausgehen. Ein generelles Um-
denken – ich nenne das Stichwort „Klimaschutz“ – ist al-
lerdings dringend notwendig.

Zurück zum Grünbuch und zu dem, was darin steht.
Mir fehlen Finanzierungsmodelle, zum Beispiel eine
Abgabe für den ÖPNV. Mir fehlen an dieser Stelle An-
sätze, wie wir sie zum Beispiel aus amerikanischen oder
französischen Städten kennen. Dort haben solche
ÖPNV-Abgaben komplette Straßenbahnsysteme finan-
ziert. Wohl jeder wird den grundsätzlichen Zielen zu-
stimmen, die im Grünbuch formuliert sind. Der Verkehr
in der Stadt soll flüssiger, die Städte sollen sauberer und
der Nahverkehr soll intelligenter, zugänglicher und si-
cherer werden.

Zum letzten Punkt, welcher in den letzten Tagen er-
schreckend aktuell ist: Immer häufiger kommt es zu
schwerwiegenden Überfällen auf Fahrpersonal oder
auch auf Gäste. Der Aggressionspegel in unserer Gesell-
schaft steigt; das ist eine traurige Tatsache. Ich brauche
keine großen soziologischen Untersuchungen, um zu-
mindest einige der Ursachen zu finden, die sich in Ver-
kehrsmitteln Bahn brechen – aber natürlich längst nicht
nur dort. Es sind zunehmende soziale Polarisierung, Ver-
armung, Chancenlosigkeit und auch Ausgrenzung, die
sich in Gewalt entladen. Doch gerade in den Bereichen,
in denen wir Sicherheit schaffen könnten, sind in den
letzten Jahren rigoros Stellen abgebaut worden. Personal
wurde durch Videoüberwachung ersetzt, die zwar viel-
leicht dazu beitragen kann, die Täter zu überführen, aber
einem Opfer in unmittelbarer Not nicht unbedingt hilft.

Zu einem attraktiven Nahverkehrskonzept gehört des-
halb nach unserer Meinung Präsenz von Personal, und
zwar in den Fahrzeugen, auf den Bahnhöfen und an den
Haltestellen.


(Beifall bei der LINKEN)


In dem Zusammenhang kann der Vorschlag des Berliner
Senats, 1-Euro-Jobber einzusetzen, nur als makabrer
Scherz gewertet werden.


(Kornelia Möller [DIE LINKE]: Pfui! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Wollen wir nicht über das Grünbuch reden, Frau Kollegin? – Zurufe von der CDU/CSU)


– Das war Senator Sarrazin.


(Zurufe von der CDU/CSU: Ach so! – Wie es gerade passt, oder?)


Leider weist das Grünbuch mitunter in eine falsche
Richtung. In Ihren Vorlagen tappen Sie auch in die Falle
naiver Technikbegeisterung – als wären die Probleme
mit technischem Schnickschnack zu lösen. Handys






(A) (C)



(B) (D)


Dorothée Menzner
tauchen in den Vorlagen doch nur deshalb auf, weil das
Wort „E-Ticketing“ im Grünbuch steht. Abgesehen da-
von, dass es bisher gar kein funktionierendes Modell für
E-Ticketing gibt: Wer würde zu den Nutzern eines sol-
chen Modells gehören? Viele Menschen haben schlicht
und ergreifend kein Konto, von dem abgebucht werden
könnte. Das trifft wieder Schüler und Empfänger von
Transferleistungen. Sie wären von einem solchen Modell
ausgeschlossen; ihnen brächte das überhaupt nichts. E-Ti-
cketing würde also nur einen erlauchten Kreis von Fahr-
gästen erreichen. Das könnte allenfalls ein ergänzendes
Angebot sein. Konventionelle Fahrscheine könnten da-
durch niemals ersetzt werden. – Nur am Rande möchte
ich anmerken: Außerdem könnte E-Ticketing auch ge-
nutzt werden, um Bewegungsprofile zu erstellen.

Viele Menschen fühlen sich schon heute durch gän-
gige Fahrscheinautomaten überfordert. Das ist häufig
eine Zugangsbarriere bei öffentlichen Verkehrsmitteln.
Da würde E-Ticketing noch eins draufsetzen. Wir müs-
sen intelligenten Nahverkehr schaffen. Das heißt: verein-
fachen, Zugänglichkeit verbessern, Tarife vereinfachen,
es nicht immer noch komplizierter machen.

Ich fasse zusammen: Wenn es darum geht, die Ziele,
die im Grünbuch formuliert sind, zu erreichen, wird reine
Verkehrspolitik immer Flickschusterei bleiben. Attraktive
Stadtverkehrskonzepte müssen zunächst einmal sozia-
len Grundsätzen folgen und alle Menschen einschließen.
Wir befürworten ein ganzheitliches Konzept. Aus die-
sem Grund erhält der vorliegende Entschließungsantrag
nicht unsere Zustimmung.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Lafontaine ins Europaparlament!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614810400

Ich gebe das Wort dem Kollegen Peter Hettlich,

Bündnis 90/Die Grünen.


Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614810500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Patrick Döring, du hattest das Ver-
kehrskonzept der Hamburger FDP für städtische Mobili-
tät hervorgehoben. Wenn das wirklich so gut ist, frage
ich mich natürlich, warum die FDP dort nur 4,8 Prozent
bei der letzten Wahl bekommen hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Patrick Döring [FDP]: Daran wird es gelegen haben!)


Was aus der Forderung nach Einführung einer Citymaut
in Hamburg wird, werden wir ja sehen. Ich habe übri-
gens nicht auf meinem Schirm gehabt, dass Hamburg
von unserer Seite aus prioritär für solch ein Vorhaben ins
Spiel gebracht worden wäre. Aber auf den Punkt
Citymaut werde ich gleich noch einmal gesondert einge-
hen.

Dann bist du auf das Thema „Mobilität in der Stadt“
anhand der aktuellen Situation in Berlin eingegangen.
Das ist in der Tat ein delikates Thema. Ich frage mich
natürlich, welche Schlüsse ich aus deinen Bemerkungen
zu ziehen habe. Willst du, dass wir die Straßennetze der
Städte darauf ausrichten, dass sie, wenn der öffentliche
Verkehr aufgrund von Streiks ausfällt, den gesamten pri-
vaten Individualverkehr aufnehmen können? Oder willst
du, dass wir in Zukunft Streiks verbieten, damit der öf-
fentliche Verkehr garantiert werden kann? Ich glaube,
die Situation in Berlin zeigt ganz deutlich, wie wichtig
öffentlicher Verkehr gerade in dieser Stadt ist. Aber auch
in anderen Städten merken wir dann, wenn er nicht mehr
funktioniert, wie wichtig er ist. Die Stärkung des öffent-
lichen Verkehrs – diesen Punkt finden wir ja auch im
Grünbuch wieder – ist eine ganz zentrale grüne Forde-
rung. In dieser Frage bleiben wir hart. Davon werden wir
nicht abgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Aus-
schuss schon über das Grünbuch diskutiert. Es ist ein
viel besseres Papier, als es von vielen hier dargestellt
wird. Ich warne auch davor, hier immer wieder reflex-
artig zu sagen, die Subsidiarität dürfe nicht angetastet
werden. Ich sage noch einmal: Sie stellt auch für uns ein
sehr hohes Gut dar, aber sie entbindet uns nicht von der
Pflicht, hinzuschauen, was funktioniert und was nicht
funktioniert. Getreu dem Motto „Die Gedanken sind
frei“ lasse ich mir als Bundespolitiker nicht verbieten
und möchte ich auch Europapolitikern nicht verbieten,
über die Frage der Mobilität in der Stadt zu diskutieren
und entsprechende Vorschläge zu machen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Es nützt nur nichts, weil darüber die Kommunen entscheiden!)


Angesichts der Situation in unseren Städten kann ich
deinen Ausführungen, lieber Patrick Döring, nicht zu-
stimmen. Ich weiß nicht, wie du dazu kommst, ein derar-
tiges Idealbild von den deutschen Städten zu entwerfen.


(Patrick Döring [FDP]: Im Vergleich zu anderen europäischen Städten!)


Schauen wir uns einmal die Fakten an: In den Städten
entstehen 70 Prozent der Luftschadstoffe und 40 Prozent
des verkehrsbedingten CO2, und ein Drittel der tödlichen
Unfälle findet dort statt. Davon sind vor allen Dingen
Fußgänger und Radfahrer betroffen. Angesichts dessen
muss man sich fragen, ob die Situation wirklich so toll
ist, dass wir uns zurücklehnen können und nichts mehr
machen müssen. Nein, all dies gibt Anlass, uns stärker
mit den Vorschlägen des EU-Grünbuchs auseinanderzu-
setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Aber die Situation ist besser als in allen anderen europäischen Städten!)


Wir leben in Deutschland allerdings auch ein bisschen
in einer paradoxen Welt. Die Menschen wollen auf der
einen Seite in einer europäischen Stadt leben, aber auf
der anderen Seite wünschen sie sich als Autofahrer am
liebsten automobilzentrierte Zustände wie in amerikani-






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich
schen Städten. Deshalb sagen viele Leute auch ganz rea-
listisch: In diesen europäischen Städten, in denen bevor-
zugt Mobilität stattfindet, für die diese Städte eigentlich
nicht gedacht sind, wollen wir nicht leben. Wenn es an-
ders wäre, gäbe es ja keine Suburbanisierung. Wenn man
die Leute fragt, warum sie aus der Stadt wegziehen – ich
empfehle hierzu die neue Studie des BBR, in der es da-
rum geht, unter welchen Umständen Leute eventuell in
die Stadt zurückziehen würden –, erhält man sehr er-
schreckende Antworten: Nur 15 Prozent der Deutschen
wollen in Großstädten leben, und nur 35 Prozent der
Großstädter wollen in Zukunft noch in Großstädten le-
ben. Wenn das kein Grund ist, um tätig zu werden, dann
brauchen wir eigentlich gar keine Diskussion mehr zu
führen.

Schauen Sie sich einmal an, wie sich die Kernstädte
aufgrund des demografischen Wandels entwickeln: Die
Kernstädte werden in Zukunft ebenso wie übrigens die
peripheren Räume Bevölkerung verlieren; Zuwachs wird
es nur in den Räumen geben, die wir als Speckgürtel be-
zeichnen. Dabei wissen wir ganz genau, dass solche
Speckgürtel sehr problematisch sind. Der Kollege
Hofbauer sagt daher zu Recht: Wir müssen uns gerade
bei der Frage der Mobilität über Möglichkeiten zur inter-
kommunalen Zusammenarbeit verständigen.


(Patrick Döring [FDP]: Ja, einverstanden!)


Hier gibt es erheblichen Handlungsbedarf. Klaus
Hofbauer hat recht, wenn er sagt: In den Städten arbeiten
und auf dem Lande wohnen, das funktioniert nicht. Das
geht immer zulasten anderer. Über diesen Punkt müssen
wir also auf jeden Fall diskutieren; hier müssen wir tätig
werden.

Wir diskutieren bei fast jeder Sitzung hier im Bundes-
tag über die Frage des Klimaschutzes. Insofern besteht
doch gar kein Grund, sich über die Forderungen, die wir
aufgestellt haben, aufzuregen. Eine Forderung lautet:
Reduktion der CO2-Emissionen in den Städten um
20 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050. Was ist
denn daran schlimm? Auch an der Forderung, die Zahl
der Verkehrstoten zu halbieren – das steht ja auch in der
Europäischen Charta für Straßenverkehrssicherheit –,
kann ich nichts Schlimmes finden. Welche dieser Forde-
rungen könnte man den Leuten nicht ins Stammbuch
schreiben?

Zur Citymaut sage ich ganz klar: Ich halte dies nicht
für die Paradelösung für alle Städte. Man muss genau
hinschauen. Ich weiß nicht, ob die Citymaut beispiels-
weise in Hamburg oder Stuttgart funktioniert; das sollen
die Kommunen selber entscheiden. Aber lassen Sie uns
darüber diskutieren, ob dies tatsächlich ein interessantes
Lenkungsinstrument ist. Ich finde, dass wir uns an dieser
Stelle unnötigerweise beschränken.

In unserem Entschließungsantrag steht auch, dass wir
die Städte unterstützen müssen. Es nützt nichts, die
Kommunalpolitiker alleine zu lassen; wir müssen sie un-
terstützen. Das können wir auch finanziell machen. Hier
gibt es eine Menge Möglichkeiten.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Die Zukunft der Städte
liegt in unseren Händen, in den Händen nicht nur der
Bundespolitiker, sondern auch der Kommunalpolitiker.
Insofern gibt es keinen Grund, an dieser Stelle über das
Grünbuch zu jammern. Wir sollten vielmehr versuchen,
die Dinge in aktuelle Politik umzusetzen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614810600

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär

Ulrich Kasparick.

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1614810700


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-
nächst gilt mein Dank den Koalitionsfraktionen für den
Entschließungsantrag. Die Bundesregierung hat auf das
Angebot der Europäischen Kommission reagiert, sich an
einem europäischen Diskussionsprozess, „Grünbuch“
genannt, zu beteiligen, der auf folgende Problemlage
eine Antwort finden muss: 60 Prozent der EU-Bürger
leben in Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern, in
denen 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU pro-
duziert werden. Mittlerweile haben wir einen volkswirt-
schaftlichen Schaden durch Staus, Lärm und Verspätun-
gen von 100 Milliarden Euro pro Jahr. Diesen
volkswirtschaftlichen Schaden können wir nicht einfach
hinnehmen. Peter Hettlich hat es bereits gesagt: EU-weit
40 Prozent der CO2-Emissionen im Nahverkehr und
70 Prozent der sonstigen Schadstoffe entstehen in Städ-
ten. Ein Drittel der tödlichen Unfälle ereignet sich in
Stadtgebieten. Das ist die Herausforderung, vor der wir
stehen.

Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Die Kommis-
sion hat einen breiten europäischen Konsultationspro-
zess angeregt, den wir ausdrücklich begrüßen. Wir brau-
chen diesen Konsultationsprozess, weil uns der Befund
sagt, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wir
müssen uns um einen integrierten Politikansatz in den
Städten bemühen.

Mich freut, dass Deutschland gegenüber Brüssel mit
einer Stimme spricht. Wir – Bundesrat, Koalitionsfrak-
tionen und Bundesregierung – sind uns einig, was die
Beachtung des Subsidiaritätsprinzips betrifft. Mich freut
insbesondere, dass die Kommission zugesagt hat, dies zu
beachten.

Warum brauchen wir eine Diskussion auf breiter
Ebene? Es gibt gute Beispiele, die wir aus Deutschland
beisteuern können; aber auch in Deutschland besteht
Handlungsbedarf. So sehen wir, dass in den Stadtpla-
nungsämtern noch zu wenig integrierte Ansätze verfolgt
werden. Beispielsweise machen wir die Erfahrung, dass
es noch nicht überall selbstverständlich ist, in Stadtent-
wicklungskonzepten verstärkt über nicht motorisierten In-
dividualverkehr zu sprechen. Dabei kann uns ein europäi-
scher Diskussionsprozess sehr unterstützen. Wir erwarten
mit großer Spannung, was im Herbst als konkreter Maß-
nahmenvorschlag aus Brüssel an die Nationalstaaten ge-
leitet werden wird. Wir werden diese konkreten Vor-
schläge auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüfen. Dabei






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick
wird zu prüfen sein, was der Bund, die Länder und die
Kommunen direkt tun können. Insgesamt ist der Konsul-
tationsprozess, den die Kommission angestoßen hat, aus
deutscher Sicht begrüßenswert.

Ich lade Sie ein, sich über den heutigen Beschluss hi-
naus zusammen mit dem zuständigen Fachressort an die-
ser Diskussion zu beteiligen, damit wir ein großes Pro-
blem unserer Volkswirtschaft besser lösen als in der
Vergangenheit; denn einen volkswirtschaftlichen Scha-
den in Höhe von 100 Milliarden Euro, der durch Staus
und Lärmemissionen verursacht wird, können wir nicht
akzeptieren. Ich freue mich sehr auf die praktischen Vor-
schläge, die wir im Konsultationsprozess miteinander er-
arbeiten können. Best practice haben wir als Kommuni-
kationsmechanismus verabredet. Deutsche Städte können
eine Menge dazu beitragen.

Herzlichen Dank für Ihre politische Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614810800

Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1614810900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Das von der Europäischen Kommission
vorgelegte Grünbuch umfasst 25 Textseiten mit 25 klug
formulierten Fragen, die jetzt im Rahmen einer Anhö-
rung an die Öffentlichkeit und an uns, das nationale Par-
lament, gerichtet werden. Die entscheidende Frage wird
aber nicht gestellt: Brauchen wir überhaupt dieses Grün-
buch?


(Beifall bei der CDU/CSU – Patrick Döring [FDP]: Genau!)


Man kann auch die Frage stellen: Hat ein Grünbuch
überhaupt eine Bedeutung? Dass es Bedeutung hat, kann
allerdings mit einem klaren Ja beantwortet werden.

Das heute zur Debatte stehende Grünbuch gibt die
Antwort darauf selbst. In diesem Grünbuch wird ein Ak-
tionsplan angekündigt. Es werden für ganz Europa Re-
gulierung, Rechtsetzung und einheitliche Richtlinien auf
dem Gebiet der städtischen Verkehrspolitik angekündigt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf Folgendes hinwei-
sen: Man muss bei Stellungnahmen zu Grünbüchern auf-
passen. Das kann sich nämlich später in der Begründung
von europäischem Recht niederschlagen. Das können
Sie in manchem Urteil des Europäischen Gerichtshofes
nachlesen; denn dort hat das schon Eingang gefunden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


So werden konkrete Legislativ- und Harmonisierungs-
vorschläge angedacht, etwa für das Citymautsystem – das
ist schon gesagt worden –, zur Parkraumbewirtschaftung,
für standardisierte Telematikanwendungen im öffentli-
chen Personennahverkehr, für Definitionen von Schnitt-
stellen beim Fahrgeldmanagement oder für einheitliche
Vorgaben im Bereich der Citylogistik im Güterverkehr.
Dazu sage ich ausdrücklich: In den Städten ist in all die-
sen Teilbereichen schon vieles mit großer Kreativität auf
den Weg gebracht worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es liegen auch schon viele Erfahrungen sowohl in positi-
ver als auch in kritischer Form vor; dazu gehört auch das
Thema Citymaut.

Wenn wir uns über die Sinnhaftigkeit all dieser Vor-
schläge unterhalten, müssen immer drei Gesichtspunkte
im Vordergrund stehen: erstens das Subsidiaritätsprinzip
und zweitens die Verhältnismäßigkeit. Drittens ist zu
prüfen, ob dadurch ein europäischer Mehrwert gegeben
ist. Dazu heißt es im Grünbuch:

Europas Städte unterscheiden sich alle voneinander.

– Wie wahr! –

Aber sie stehen vor ähnlichen Herausforderun-
gen …

Das klingt gut, das klingt schön, und das ist sogar rich-
tig. Aber was folgert die Kommission daraus? Die Kom-
mission folgert daraus: Wir brauchen gemeinsame Lö-
sungen, wir brauchen europäische Vorgaben, wir
brauchen europäisches Recht. – Genau das ist falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die kommunale Selbstverwaltung und die Planungs-
hoheit unserer Städte sind Garanten dafür, dass im Wett-
bewerb der Städte und Metropolen die lokal bestmögli-
chen Lösungen von den lokalen Akteuren, das heißt von
den Kommunalpolitikern, den Bürgern und der Wirt-
schaft in den Städten, gesucht werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)


Die kommunale Selbstverwaltung ist für uns ein wirk-
lich hohes Gut. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht
durch eine europäische Überregulierung ausgehöhlt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Selbstverständlich brauchen wir einen europäischen
Erfahrungsaustausch. Die hierzu im Grünbuch gemach-
ten Vorschläge weisen in die richtige Richtung. Erfah-
rungsaustausch und Datenerhebungen sind Dinge, die zu
begrüßen sind. Aber eines brauchen wir beispielsweise
überhaupt nicht – es ist inzwischen das liebste Kind der
Kommission geworden –: eine Agentur. Diese bürokrati-
schen Monster überziehen inzwischen ganz Europa. Es
sind inzwischen 37. Im Grünbuch hat man nur eine Na-
mensumbenennung vorgenommen. Es heißt nicht mehr
„Agentur“; es heißt jetzt „Beobachtungsstelle für die
Mobilität in der Stadt“.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Es ist aber das Gleiche!)


– Ganz genau; es ist das Gleiche.

Der geltende EG-Vertrag wie auch der künftige Ver-
trag von Lissabon beinhalten da, wo es vernünftig ist,
wichtige Zuständigkeiten für die europäische Verkehrs-






(A) (C)



(D)


Bernhard Kaster
politik. Ich will ein paar Beispiele nennen: gemeinsame
Regeln für Verkehrsunternehmen, ein gemeinsames Ver-
kehrszulassungsrecht, gemeinsame Sicherheitsbestim-
mungen oder den großen Komplex der transeuropäi-
schen Netze. Da ist das vernünftig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zugleich verpflichten die bereits geltenden europäi-
schen Verträge und erst recht der noch zu ratifizierende
Vertrag von Lissabon die Gemeinschaftsorgane zur Ein-
haltung des Subsidiaritätsprinzips. Nicht nur die Kommu-
nalpolitiker in unseren Städten, nein, alle Bürger werden
dankbar dafür sein, wenn wir dieses Subsidiaritätsprinzip
ernst nehmen – auch und gerade für weniger Bürokratie in
Europa.

Jeder, der sich einmal speziell durch den Brüsseler
Stadtverkehr gekämpft hat, hat ein gewisses Verständnis
dafür, dass sich gerade die Europäische Kommission in
Brüssel so umfangreich Gedanken über flüssigeren Ver-
kehr, über intelligentere Nahverkehrslösungen macht.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sehr gut! – Patrick Döring [FDP]: Genau!)


Aber als Antwort darauf einen Aktions- und Bürokratie-
plan für ganz Europa vorzusehen, ist der falsche Weg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614811000

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Martin Burkert, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1614811100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tri-
büne! Herr Kaster, damit kein falscher Eindruck ent-
steht, möchte ich zu Beginn meiner Rede klarstellen,
dass wir in einer Koalition sind und den Antrag gemein-
sam erarbeitet haben.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kaster, ich will daran erinnern, dass in Brüssel jetzt
ein kompetenter Bayer sitzt; Sie können ja mal überlegen,
wen ich meine. Deswegen sehen wir keine Gefahr – da
können Sie sicher sein –, wenn es in Brüssel um Dinge
wie Bürokratie geht.

Als im Jahr 1971 das erste bundesweite Umweltpro-
gramm vorgelegt wurde, hatte die Europäische Gemein-
schaft schon zwei Umweltrichtlinien verabschiedet.
Noch heute gilt: Viele Standards, die wir beim Umwelt-
schutz erreicht haben, gehen auf europäische Initiativen
zurück. Wir von der SPD wissen daher um die Bedeu-
tung des europäischen Einflusses auf den Umweltschutz.
Wenn sich die EU nun den Problemen des Stadtverkehrs
zuwendet, werden wir daher nicht gleich auf eine kate-
gorische Blockade einschwenken.

Die FDP hatte dem Ausschuss einen Antrag vorge-
legt, in dem von Angriffen der europäischen Ebene die
Rede ist, welche die Mobilität der Menschen verschlech-
tern und verteuern wolle.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Selbstverwaltung der Kommunen!)


Diese Rhetorik, sehr geehrter Herr Döring, ist völlig
überzogen. Europa ist keine Einbahnstraße. Das zeigt im
Übrigen wieder einmal, was die FDP von umweltpoliti-
scher Verantwortung hält.


(Patrick Döring [FDP]: Mit den Menschen vor Ort!)


Die Kommission verfolgt mit ihrem Grünbuch drei
Zielrichtungen: Erstens. Der Verkehr in den Städten soll
flüssiger werden. Zweitens. Die Städte sollen sauberer
werden. Drittens. Der Nahverkehr soll attraktiver wer-
den. Diese Ziele sind doch wohl absolut zu begrüßen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Anstatt sofort zu blockieren, ergreifen wir die

Chance, die uns das Grünbuch liefert. Wir nehmen die
Handreichung der Kommission ernst und wollen, dass
sich der Bundestag am Konsultationsverfahren beteiligt.
Im Zuge dieser Beteiligung wollen wir die positiven An-
sätze für den Umweltschutz in den Städten unterstützen.
Als positive Ansätze bewerten wir zum Beispiel den eu-
ropaweiten Erfahrungsaustausch, die Anregungen zur
Optimierung des motorisierten Stadtverkehrs und zur
Förderung intelligenter Verkehrssysteme.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das sieht der Oberbürgermeister von Nürnberg anders!)


Ich habe mich in meiner Heimatstadt Nürnberg erkun-
digt. Dort wurde mir bestätigt, dass man neue Rechtsakte
der EU durchaus kritisch sehen würde. In diesem Sinn
hat sich auch der Deutsche Städtetag gegen Eingriffe in
die kommunale Selbstverwaltung ausgesprochen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Diese Bedenken der Kommunen berücksichtigen wir in
unserem Antrag.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Aber der Staatssekretär hat anders geredet!)


Weil wir aber auch um die Chancen und Potenziale eines
gemeinsamen Vorgehens wissen, wollen wir die Tür
nicht zuschlagen. Stattdessen agieren wir umweltpoli-
tisch vernünftig. Wir fordern die Kommission auf, sich
an die Kompetenzverteilung zu halten, und plädieren
gleichzeitig dafür, auf europäischer Ebene nach Wegen
zu suchen, wie die Städte bei der Umsetzung eines nach-
haltigen Stadtverkehrs wirksam unterstützt werden kön-
nen.

Im Unterschied zur FDP haben wir einen ausgewoge-
nen Antrag vorgelegt, mit dem die positiven Aspekte un-
terstützt werden, und gleichzeitig den Appell formuliert,
die Kompetenzverteilung zu beachten. Er verdient die
Unterstützung des Hohen Hauses. Ich bitte Sie, sich auf
die Beschlussempfehlung des Ausschusses einzulassen
und entsprechend abzustimmen.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614811200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/8360 zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung mit dem Titel „Grünbuch – Hin zu ei-
ner neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“. Der Aus-
schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Grünen bei Stimmenthaltung
der FDP angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/8415. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hau-
ses gegen die Stimmen der Fraktion die Grünen abge-
lehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Kersten Naumann, Heidrun Bluhm, Petra Pau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Förderung der demokratischen Teilhabe und
Stärkung des Petitionsrechts

– Drucksachen 16/2181, 16/6785 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Kersten Naumann, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614811300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen. –
Diese Haltung vieler Menschen bestätigte kürzlich der
Thüringen-Monitor. Als „Achillesferse“ der Demokratie
bezeichneten die Jenaer Wissenschaftler die „als unzu-
reichend wahrgenommene Bereitschaft der politischen
Eliten, Anliegen der Bürger … ernst zu nehmen.“
80 Prozent der Befragten meinen, dass die Parteien nur
auf Stimmenfang aus sind. Zwei Drittel glauben, keinen
Einfluss darauf zu haben, was die Regierung tut – so die
Autoren der Untersuchung.

Deutlicher Beweis dieser Stimmung sind die zahlrei-
chen Beschwerden an die Bundesregierung und an den
Bundestag, insbesondere gegen die sozialen Ungerech-
tigkeiten, die Gesundheits- und die Rentenreform,
Hartz IV und die Praxisgebühr, um nur einige zu nennen.
In der Antwort auf unsere Frage, welche Rolle Petitio-
nen im Gesetzgebungsverfahren spielen, lesen wir – ich
zitiere –:
Die Berücksichtigung von Erkenntnissen, die aus
Bitten und Beschwerden der Bürgerinnen und Bür-
ger gewonnen werden, ist für den gesamten Bereich
der Gesetzgebungsarbeit und Verwaltungstätigkeit
des Bundes selbstverständlich. Die Zusammenar-
beit der Bundesministerien mit den Bundesbeauf-
tragten und den Beauftragten der Bundesregierung
… spielt hierbei eine wichtige Rolle.

Nicht die Zusammenarbeit mit dem Petitionsaus-
schuss spielt eine wichtige Rolle, sondern die mit den
Bundesbeauftragten und den Beauftragten der Bundesre-
gierung. Da stellt sich doch die Frage: Wie ernst nimmt
die Bundesregierung eigentlich den Petitionsausschuss
und dessen Beschlüsse?


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frage beantwortet sich anhand folgender Zahlen
aus den letzten zwei Jahren von selbst. Von den im Peti-
tionsausschuss meist einstimmig gefassten 165 Erwä-
gungs-, Berücksichtigungs- und Materialüberweisungen
an die Bundesregierung wurden – bei 114 abgeschlosse-
nen – lediglich 38 positiv, aber 76 negativ beschieden.
Das sind 66 Prozent Negativbescheide.

Ich nenne hier nur ein Beispiel für die Ignoranz der
Bundesregierung gegenüber Beschlüssen des Petitions-
ausschusses: Mehrere Bürgerinnen und Bürger wandten
sich mit einer Petition gegen die Kürzung der Regelleis-
tung im Falle eines Krankenhausaufenthaltes. Da dieser
Vorgang dem Willen des Gesetzgebers widersprach,
überwies der Petitionsausschuss die Petition der Bundes-
regierung zur Erwägung, weil die Eingabe Anlass zu ei-
nem Ersuchen an die Bundesregierung gab, das Anlie-
gen noch einmal zu prüfen und nach Möglichkeiten der
Abhilfe zu suchen. Was machte die Bundesregierung?
Sie schaffte keine Abhilfe, sondern binnen sechs Wo-
chen beschloss sie, Unrecht zu Recht zu machen, und
entsprach so in keiner Weise dem einstimmigen Votum
des Petitionsausschusses.

Da verwundert es nicht, wenn die Bundesregierung
auf die Frage nach der Bedeutung von Überweisungsbe-
schlüssen durch den Petitionsausschuss an sie lediglich
antwortet – ich zitiere –:

Die Bundesregierung verfährt mit den an sie gerich-
teten Überweisungsbeschlüssen des Petitionsaus-
schusses nach Maßgabe ihrer Prüf- und Berichts-
pflichten.

Das spricht doch Bände. Man nimmt diese Beschlüsse
nicht auf, um die Politik auf den Prüfstand zu stellen,
sondern man kommt lediglich den Berichtspflichten
nach.

Staatliche Sozialsysteme erfuhren in den letzten Jah-
ren massive Einschränkungen und wurden abgebaut. Die
Berichte über Kinderarmut, über die Situation von Rent-
nern, kranken und behinderten Menschen sowie Migran-
ten belegen diese Entwicklung in erschreckender Weise.
Die Sozialgerichte registrieren einen drastischen Anstieg
der Zahl der Klagen und der eingereichten Widersprü-
che. Diese Klageflut hat ihre Ursachen. Die Menschen
fühlen sich in ihren individuellen Rechten massiv be-
schnitten.






(A) (C)



(B) (D)


Kersten Naumann

(Beifall bei der LINKEN)


Mit keinem Wort wurde in der Antwort auf unsere
Große Anfrage auf direktdemokratische Mittel wie
Volksinitiativen eingegangen. Die Bürger wollen aller-
dings mehr mitreden. Aber auf Bundesebene gibt es das
Mittel der Volksinitiative nicht. Es können nur Massen-
petitionen eingereicht werden. Die Linke ist der Auffas-
sung, dass sie in den Stand von Volksinitiativen gehoben
werden sollten.


(Beifall bei der LINKEN)


Viele von ihnen sind von größter öffentlicher Brisanz
und von größtem Interesse. Sie betreffen zum Beispiel
das NPD-Verbot, den Afghanistan-Einsatz, die Pendler-
pauschale, die Praxisgebühr und die Rentenungerechtig-
keit, um nur einige zu nennen. Doch auch hier entschei-
den zwei Drittel des Bundestages gegen zwei Drittel der
Bevölkerung. Ist es dann noch verwunderlich, dass im-
mer mehr Bürgerinnen und Bürger, wie eingangs zitiert,
sagen: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wol-
len“?

Politikverdrossenheit verbreitet sich immer mehr. Die
schleichend zunehmende Wahlabstinenz ist dafür ein
starkes Indiz. Hinter der Sorge, das Volk entscheide
spontan und sei für komplexe Entscheidungen nicht reif,
verbirgt sich ein eigenartiges Demokratieverständnis.
Allen Unkenrufen zum Trotz hat ein Bürgerentscheid
das demokratische Modell noch nie ins Wanken ge-
bracht, nicht einmal beim schwer überschaubaren Bür-
gerhaushalt, der in Köln und in Berlin-Lichtenberg prak-
tiziert wird.

Bürgerbeteiligung ist sinnvoll, weil für eine Konso-
lidierung des Haushalts die Zustimmung der Men-
schen notwendig ist.

Dieses Zitat stammt nicht von einem Linken, sondern
von einem Finanzpolitiker der CDU-Fraktion in Ham-
burg. Wenn er im Bundestag säße, müsste er sich wahr-
scheinlich von seiner eigenen Fraktion eines Besseren
belehren lassen.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
sagen: Die Politik reagiert nicht mehr auf die gemein-
schaftlichen Bedürfnisse der Bürger. Die Fraktion Die
Linke will das ändern. Wir fordern deshalb eine umfas-
sende Demokratisierung aller Bereiche: hin zu einer bür-
gernahen Verwaltung, zu Bürgerbeteiligungsverfahren
und zu transparenten Strukturen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber eine flammende Rede!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614811400

Das Wort hat nun Kollege Günter Baumann, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD])


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1614811500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren!

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Ge-
meinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder
Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die
Volksvertretung zu wenden.

So unser Grundgesetz. Der Petitionsausschuss, meine
Damen und Herren von den Linken, ist ein hohes Gut
unserer Demokratie. Ich möchte eindeutig sagen: Dieses
hohe Gut der Demokratie hat sich bisher bewährt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Abgeordneten bemühen uns unter sehr großem
Arbeitsaufwand, jede einzelne Petition sach- und fach-
gerecht zu bearbeiten.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: So ist es!)


Wir haben einen Ausschussdienst, der mit Fachexperten
besetzt ist, die uns hervorragend zuarbeiten,


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ja! Trotz dieser Vorsitzenden!)


damit es uns leichter fällt, Entscheidungen zu treffen.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Das ist nicht das Problem!)


Frau Naumann sagte: Die Politikverdrossenheit nimmt
zu, die da oben reagieren nicht, und es funktioniert ein-
fach nicht mehr. – Ich möchte Ihnen einige wenige Zahlen
nennen, die eine vollkommen andere Sprache sprechen.
Im letzten Jahr wurden beim Bundestag rund 17 000 Peti-
tionen eingereicht. Zur Verdeutlichung: Das entspricht
ungefähr 65 Petitionen pro Tag.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Was passiert denn damit?)


– Ich werde Ihnen gleich erklären, was damit passiert.

Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Massen- und
Sammelpetitionen. Dazu will ich Ihnen noch eine Zahl
nennen: Jedes Jahr beteiligen sich daran etwa
500 000 Bürger. Dieses System wird also umfassend ge-
nutzt. Das Beispiel, das Sie vorhin angeführt haben, war
eine Verzerrung der Wirklichkeit. Denn von allen Peti-
tionen, die bei uns eingereicht werden, werden etwa
35 Prozent für die Bürger positiv beschieden,


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Genau!)


in welcher Form auch immer. Sie sollten also nicht den
Eindruck erwecken, dass „dort oben“ nichts passiert.
Das ist eine falsche Darstellung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist nicht so wie in der DDR!)


Ich verstehe nicht, wie Sie im Deutschen Bundestag
ernsthaft behaupten können, die Rechte der Bürger wür-
den beschnitten;






(A) (C)



(B) (D)


Günter Baumann

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war in der SED so!)


denn gerade das Petitionsrecht wird von den Bürgern
ausgiebig genutzt.

Selbstverständlich kann das Petitionsrecht noch ver-
bessert werden. Insbesondere in den letzten Jahren sind
einige Neuregelungen getroffen worden. Wir haben die
Möglichkeit geschaffen, Petitionen per E-Mail einzurei-
chen. Diese Möglichkeit wird von den Bürgern genutzt.
Ungefähr 10 Prozent der Petitionen werden per E-Mail
eingereicht. Man kann also nicht sagen, die Bürger wür-
den das nicht akzeptieren.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Darüber hinaus gibt es die Form der öffentlichen Peti-
tion; im letzten Jahr wurden etwa 600 von ihnen einge-
reicht. Bei öffentlichen Petitionen hat man die Möglich-
keit, im Internet mit zu unterzeichnen und einen
Kommentar abzugeben.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Die Bürgerinnen und Bürger müssen dazu erst einmal einen Internetzugang haben!)


Auch dazu eine Zahl: Im letzten Jahr wurden von den
Bürgerinnen und Bürgern knapp 900 000 Einträge vor-
genommen. Man kann also nicht sagen, sie würden diese
Möglichkeit nicht akzeptieren und sich nicht beteiligen.
Das ist eine falsche Darstellung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Wahlperiode haben wir bereits sechs öffent-
liche Sitzungen zu Petitionen aus den Bereichen Be-
rufspraktika, Nichtraucherschutz, nichteheliche Le-
bensgemeinschaften, Wahlrecht, Steuer und Verkehr
durchgeführt. Die Beteiligung der Bürger war hoch. Das
zeigt, dass man nicht pauschal von Politikverdrossenheit
sprechen kann.

Wir gehen auch auf Messen. Am Wochenende sind
wir auf der Thüringen-Ausstellung in Erfurt.


(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Ich habe gerade auf Messen immer wieder erlebt, dass
die Bürger dankbar sind, mit uns ins Gespräch kommen
zu können. Man kann also nicht sagen: Die da oben sind
weit weg.

Die Arbeit des Petitionsausschusses wird von den
Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land angenom-
men. Unsere Bilanz kann sich sehen lassen. Insofern
stellt sich die Frage: Was will die Linke mit ihrer Großen
Anfrage? Wir haben Ihnen bereits im Juni letzten Jahres
eine klare Antwort gegeben. Sie wollen ein anderes Peti-
tionsrecht, Sie wollen einen anderen Staat, Sie wollen
ein anderes Land.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Wir werden das nicht mitmachen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Elke Reinke [DIE LINKE]: Und Sie wollen ein anderes Volk!)


Das Petitionsverfahrensrecht, eine Angelegenheit des
Deutschen Bundestages und ein Instrument der parla-
mentarischen Kontrolle, ist nicht zu verwechseln mit
Eingaben an die Regierung. Exekutive und Legislative
sind zwei ganz verschiedene Dinge.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Das haben wir durchaus erkannt! – Gegenruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das weiß die Linke immer noch nicht!)


– Das haben Sie inzwischen gelernt? Das freut mich.
Doch Sie haben, wie aus Ihren Fragen und Unterstellun-
gen hervorgeht, nach wie vor ein einseitiges Verständnis
des Funktionierens von Legislative und Exekutive.

Neben dem Forum des Petitionsausschusses gibt es
die Regierungsbeauftragten. Gewiss kann man die Mei-
nung vertreten, wir hätten zu viele davon; diese Meinung
habe auch ich schon vertreten. Aber es bleibt festzuhal-
ten: Die Regierung ist von uns unabhängig, die Arbeit
des Petitionsausschusses wird in keiner Form untergra-
ben. Im Petitionsausschuss geht es um ganz spezielle
Fachgebiete und Sachgebiete. Ein Monopol für die Bear-
beitung von Bürgerproblemen gibt es nicht. Es gibt meh-
rere Stellen, die dafür zuständig sind. Insgesamt funktio-
niert das im Bundestag und bei der Regierung gut.
Ferner gibt es die Ombudsleute der Länder; auch sie sind
eine Bereicherung.

Eine Instrumentalisierung des Petitionsrechts, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linken, werden wir
nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jens Ackermann [FDP])


Ich will auf einige Punkte Ihrer Anfragen eingehen.
Beim Thema Asyl fordern Sie, dass ein laufendes Peti-
tionsverfahren aufschiebende Wirkung hat. Sie wollen,
dass für die Dauer des Petitionsverfahrens eine Duldung
eingeführt wird. Das ist das Gegenteil von dem, was in
unseren Gesetzen steht. Eine Härtefallkommission auf
Bundesebene wird es nicht geben. Wir haben Regelun-
gen in den Ländern, die hervorragend funktionieren.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Hervorragend nicht, aber sie funktionieren!)


– Sie funktionieren hervorragend.


(Zuruf von der SPD: Mal so, mal so!)


– Sie können sich vor Ort informieren.

Der Petitionsausschuss ist kein Fachausschuss, der
Gesetze in den Bundestag einbringen könnte, Frau
Naumann.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es,
Probleme, Bitten, Anregungen der Bürger zu bearbeiten.
Davon haben wir, lieber Josef Winkler, jede Woche meh-






(A) (C)



(B) (D)


Günter Baumann
rere auf unserem Schreibtisch. Wir machen hier eine her-
vorragende Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte im Zusammenhang mit den Anfragen
noch ansprechen, dass wir es nicht zulassen werden, dass
die Linksfraktion das Petitionsrecht missbraucht,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wie es in der letzten Zeit mehrmals passiert ist. Wir wer-
den nicht zulassen, dass die Linkspartei auf Bögen, auf
deren Kopf „Die Linke“ steht, Unterschriften sammelt
und mit ihren Parteifotografen aus der öffentlichen An-
nahme der Petition eine Show macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann findet eben keine öffentliche Annahme von Peti-
tionen mehr statt, zum Nachteil der Petenten. So haben
wir leider reagieren müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eines zum Schluss – meine Redezeit geht zu Ende –:
Ich finde es als Bürger der neuen Bundesländer unerträg-
lich, wenn sich ausgerechnet diejenigen, die an men-
schenverachtenden Aktionen mit schuld sind, im Peti-
tionsausschuss mit höchsten Voten für Opfer des SED-
Regimes einsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist heuchlerisch! – Widerspruch bei der LINKEN)


Die Linkspartei verhöhnt die Opfer. Das ist unerträglich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Elke Reinke [DIE LINKE]: Ihre Ausführungen sind unerträglich!)


Ich komme zum Schluss. Das Petitionsrecht ist ein
hohes Gut in unserer lebendigen Demokratie, und – das
sage ich deutlich – es funktioniert auch. Die Bürger neh-
men es an. Wir haben keine Veranlassung, es aus partei-
politischen Gründen – weil die Linken dies wollen – zu
verändern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614811600

Das Wort hat nun Jens Ackermann, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Jens Ackermann (FDP):
Rede ID: ID1614811700

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute die Große Anfrage der Lin-
ken zum Petitionsrecht. Die Antwort der Bundesregie-
rung hat einige Zeit auf sich warten lassen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Es ist auch eine Große Anfrage!)


Das war notwendig, weil der größte Teil der Fragen
nichts mit dem Petitionsrecht zu tun hat.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dennoch sind die Antworten präzise und angemessen.
Dafür danke ich den unbekannten Verfassern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der SPD)


Die Große Anfrage der Linken gleicht einem Sto-
chern im Nebel. Sie vermischen Fragen und Forderun-
gen. Was Sie herausfinden möchten, wird nicht recht
klar.


(Elke Reinke [DIE LINKE]: Ihnen!)


Was möchten Sie? Möchten Sie mehr Bürgernähe? Im
Petitionswesen haben wir Gott sei Dank viel Bürger-
nähe. Wir besuchen Messen und sind vor Ort.

Möchten Sie mehr Transparenz? Auch das haben wir
im Petitionswesen bereits. Wir tagen öffentlich. Unsere
Sitzungen sind im Internet nachzuvollziehen.

Möchten Sie mehr Kontrolle? Auch das haben wir im
Petitionswesen. Wir – der Deutsche Bundestag – sind
das Kontrollorgan.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Naumann, Sie haben ausgeführt, dass Bedeu-
tung, Ausübung und Effektivität des Petitionsrechts von
Regierung, Parlament und Medien unterschätzt werden.
Das mag zwar sein, aber auf sie kommt es nicht an. Es
geht um die Bürgerinnen und Bürger. Sie sind wichtig.
Die Menschen machen regen Gebrauch von ihrem Peti-
tionsrecht.

Die FDP steht für eine Stärkung der Bürgergesell-
schaft, für mehr Eigenverantwortung und mehr Bürger-
beteiligung.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir auch!)


Wir haben am Anfang dieser Legislaturperiode einen
Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht,
der die Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren
und Volksentscheiden in das Grundgesetz fordert. Es ist
in der Tat notwendig, dass sich die Bürgerinnen und Bür-
ger stärker an den politischen Prozessen beteiligen. Die
FDP möchte mehr Bürgerbeteiligung. Das Petitionswe-
sen leistet einen Beitrag dazu. Es ist ein hohes Gut in un-
serem Land.

Oft ist eine Petition der letzte Strohhalm der Bürge-
rinnen und Bürger, wenn sie nicht mehr weiterwissen.
Alle Fraktionen im Hause sind verpflichtet, sich der
Nöte und Sorgen der Petenten anzunehmen.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Alle Fraktionen sollten verpflichtet sein!)







(A) (C)



(B) (D)


Jens Ackermann
Ein klug genutztes Petitionsrecht kann Schritt für
Schritt für mehr Bürgernähe und mehr Transparenz sor-
gen. Um dieses kostbare Gut zu bewahren, müssen wir
alle darauf achten, wie wir als Abgeordnete damit umge-
hen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zwei Punkte sollten vermieden werden. Erstens darf
der Petitionsausschuss nicht dazu missbraucht werden,
politische Schlachten auszutragen. Das können wir in
jedem anderen Ausschuss tun und unsere unterschied-
lichen Ansätze zum Tragen bringen – sei es in der Steu-
erpolitik, in der Bildungspolitik oder in der Gesundheits-
politik –, aber nicht im Petitionsausschuss. Im
Petitionsausschuss müssen wir das Anliegen des einzel-
nen Bürgers betrachten. Darum muss es gehen. Die poli-
tischen Schlachten müssen außen vor bleiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Aber nicht wertneutral!)


Zweitens müssen Petitionen auch dann zügig bearbei-
tet werden, wenn sie innerhalb der Koalitionsfraktionen
strittig sind. Eine Verschleppung aus parteitaktischen Er-
wägungen haben die Petentinnen und Petenten nicht ver-
dient.

Den politischen Missbrauch spreche ich aus einem
konkreten Anlass an. Die Obleute wurden im letzten
Jahr eingeladen, eine Petition mit vielen Unterschriften
gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan entgegen-
zunehmen. Dieses Anliegen wurde ebenso ernst genom-
men wie jede andere Petition. Im Nachhinein hat sich
herausgestellt, dass dies eine Parteiaktion der Linken
war. Sie tun damit dem Petitionswesen keinen Gefallen.
Im Gegenteil: Damit gefährden Sie das Petitionswesen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Gedanke an Parteitaktik drängt sich auch an an-
derer Stelle auf. Auf Initiative der FDP-Fraktion haben
wir den Ausschussdienst gebeten, eine Liste zu erstellen,
wie viele Petitionen noch in der Warteschleife sind. Oft
gibt es Beratungsbedarf, man muss sich noch einmal ab-
stimmen, und eine Petition wird zurückgestellt. Dagegen
habe ich nichts einzuwenden. Aber in einigen Fällen
muss man schon erkennen, dass eine Petition dann, wenn
man sich nicht einigen kann, wieder und wieder vertagt
wird. Damit ist dem Petenten nicht geholfen. Er hat es
auch nicht verdient, dass es zu keinem Votum kommt,
bloß weil sich die Koalition nicht einigen kann.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das kann nicht sein! – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Was? Ross und Reiter nennen!)


Das darf meines Erachtens nicht sein.

Insgesamt ist unser Petitionswesen gut und notwen-
dig. Es funktioniert. Das Petitionsrecht zu fördern, heißt,
Demokratie zu leben. Das ist das Ziel der FDP-Bundes-
tagsfraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614811800

Das Wort hat nun Michael Bürsch für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1614811900

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die

Große Anfrage der Linken behandelt zwei Themen: För-
derung der demokratischen Teilhabe und Stärkung des
Petitionsrechts. Zum zweiten Teil wird meine Kollegin
Lösekrug-Möller das Passende sagen.

Gerade bei Themen wie der Förderung der demokrati-
schen Teilhabe ist man auf der Suche nach Gemeinsam-
keiten. Ich kann eine Gemeinsamkeit nennen, die uns
wahrscheinlich zur großen Überraschung der Fraktionen
alle eint. Es ist der erste Satz der Großen Anfrage:

Demokratie lebt von dem Engagement und der tat-
sächlichen Beteiligung der Bürgerinnen und Bür-
ger.

Genau richtig! Wie wahrscheinlich alle hier kann ich
dem zustimmen. Ansonsten schließe ich mich der Beur-
teilung des Kollegen Ackermann an. Auch ich weiß
nicht so recht, worauf das Ganze hinauslaufen soll. Ich
will in meinem Teil, Formen der Beteiligung, ein biss-
chen Licht ins Dunkel bringen und eine gewisse Syste-
matik vorschlagen.

Zunächst einmal möchte ich zwei Feststellungen zu
diesem Thema treffen, die nicht ganz zueinander passen.
Auf der einen Seite gibt es in Deutschland ein beträchtli-
ches Engagement. 23 Millionen Menschen in Deutsch-
land sind engagiert; das ist die Feststellung des Freiwilli-
gensurvey. Aus diesem Freiwilligensurvey wissen wir
auch, dass mehr als zwei Drittel der Menschen durch En-
gagement die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitge-
stalten wollen. Wir wissen aus anderen Umfragen, dass
über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung starkes oder
mittleres politisches Interesse haben. Es ist also nicht so,
dass die Deutschen kein Interesse an Politik haben.

Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass sich das
nicht mit dem verträgt, was wir zum Beispiel in Sachen
Wahlbeteiligung erleben. Ich nenne hier als Stichwort
nur die Beteiligung von 64 Prozent bei der Wahl in
Hamburg. Wir erleben eine weiter sinkende Zahl an Par-
teimitgliedern. Auch bei der Bürgerbeteiligung sind die
Zahlen und Fakten leider nicht sehr erfreulich.

Ich nenne zwei Beispiele. Erstes Beispiel: Immer wie-
der – auch in Ihrer Anfrage – wird das Bürgerbegehren
genannt. Zwischen 1956 und 2005 sind in den rund
14 000 deutschen Kommunen weniger als 3 000 Bürger-
begehren durchgeführt worden. Wenn man das auf die
50 Jahre umrechnet, dann sind das nach Adam Riese pro
Jahr durchschnittlich 60 Bürgerbegehren, verteilt auf






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch
alle 14 000 Kommunen. Das ist wirklich nicht beträcht-
lich.

Das zweite Beispiel ist die Bürgerkommune. Dieses
Modell, das Ende der 90er-Jahre mit einem wunderbaren
Konzept für Bürgerbeteiligung gestartet ist, ist nicht die
große Erfolgsgeschichte geworden. Die Kommunale Ge-
meinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement hat selber
das Resümee gezogen: Bislang unterstützen die wenigs-
ten Kommunen bürgerschaftliches Engagement aus dem
Blickwinkel der Schaffung einer bürgerorientierten
Kommune. Ich könnte die Beispiele noch erweitern. Fa-
zit ist: Auf der einen Seite gibt es ein beträchtliches
Engagement und ein großes politisches Interesse, aber
auf der anderen Seite ein deutliches Defizit.

Was ist zu tun? Ich kann mit Fug und Recht auf die
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ver-
weisen, der ich einmal vorgestanden habe. Sie hat das
Leitbild der Bürgergesellschaft vertreten. Das ist für uns
vielleicht eine Orientierung. Dort heißt es: Die demokra-
tischen und sozialen Strukturen unseres Landes sollen
durch die aktiv handelnden, an den gemeinschaftlichen
Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit
Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige gesellschaft-
liche Bedürfnisse zugeschnitten werden.

Was kann das nur bedeuten? Offensichtlich entspre-
chen die Formen und Möglichkeiten der Bürgerbeteili-
gung, die wir anbieten, nicht den Erwartungen der Bür-
gerinnen und Bürger. Das Wichtigste ist vermutlich nicht
die Wahlbeteiligung; obwohl es seine Berechtigung hat,
die Wahlbeteiligung zu beobachten, sollten wir nicht nur
auf sie schauen. Es ist auch berechtigt – ich bin dafür –,
über Formen der direkten Demokratie nachzudenken.
Vermutlich ist viel wichtiger, echte Beteiligung anzubie-
ten, das heißt, den Menschen eine Möglichkeit zu bieten,
die sie in Wahlen nicht mehr unbedingt sehen, nämlich
wirklich etwas mitzugestalten.

Man kann zum Beispiel den Bürgerinnen und Bür-
gern in Kommunen oder Bezirken die Möglichkeit er-
öffnen – in Berlin wird das zum Teil getan –, über den
Bürgerhaushalt ein wirkliches Mitspracherecht zu erhal-
ten. Der Bürgerhaushalt ist schon vor 15 Jahren in Brasi-
lien entwickelt worden. Jetzt gibt es hier in Berlin und
überall in Deutschland erfolgversprechende, erfreuliche
Modelle, die nichts an der repräsentativen Demokratie
ändern; denn weiterhin entscheiden die gewählten Re-
präsentantinnen und Repräsentanten am Ende über den
Haushalt. Die Bürgerinnen und Bürger werden über
wirkliche Mitsprachemöglichkeiten ernsthaft an der Ent-
stehung und Entwicklung des Haushalts beteiligt. Sie
können darüber mitbestimmen, welche Prioritäten in ei-
nem Haushalt gesetzt werden.

Wir müssen uns fragen: Welche Formen der Mitbe-
stimmung und der Beteiligung gibt es, damit Bürgerin-
nen und Bürger das Gefühl haben: Es geht nicht um eine
Alibi- oder Schaufensterveranstaltung, sondern es ist
wirklich ernst gemeint, es wird so praktiziert, wir neh-
men daran teil? Der Bürgerhaushalt ist eine Form, die
ich empfehlen kann.
Eine zweite Form ist in den letzten zwei Jahren mo-
dellhaft erprobt worden: das Bürgerpanel. Die Idee
stammt aus England. Es ist eine viel weniger aufwendige
Form, Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, indem man
sie regelmäßig befragt; in der Stadt Nürtingen wird das
hervorragend umgesetzt. Es geht dabei um Fragen, die
die Kommune und damit die Bürgerinnen und Bürger es-
senziell betreffen.

Ein Modellversuch, der von der Verwaltungshoch-
schule Speyer betreut wird, hat zu sehr erfreulichen Er-
gebnissen geführt: Ein Bürgerpanel erzeugt einen gerin-
gen Aufwand sowie geringe Kosten und führt zu einer
großen Beteiligung sowie zu einem deutlichen Interesse
der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, das Projekt
fortzusetzen. Daraus entwickelt sich eine immer intensi-
vere Form des Engagements und der Beteiligung an Bür-
gerangelegenheiten. Das Bürgerpanel scheint eine sehr
sinnvolle Form der Beteiligung zu sein, die wir weiter-
entwickeln sollten.

Letztlich läuft alles auf das hinaus, was Max Frisch
gesagt hat – damit kommen wir zum Thema der Debatte
zurück –:

Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegen-
heiten einzumischen.

Wenn wir das ernst meinen und die Demokratie inso-
fern wirklich wiederbeleben wollen, müssen wir – das ist
ein entscheidender Punkt – ernsthafte Möglichkeiten der
Beteiligung und der Mitbestimmung bieten. Am Ende
zählt, was sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der
Enquete-Kommission gezogen hat: Wir müssen eine An-
erkennungskultur schaffen, sodass die Bürgerinnen und
Bürger, die sich die Mühe machen, sich zu beteiligen,
dafür entsprechende Wertschätzung und Würdigung er-
fahren.

Ich habe viel dadurch gelernt, dass ich viel gelesen
habe. Deswegen habe ich der Linken eine wunderbare
Veröffentlichung mitgebracht: Beteiligungsverfahren
und Beteiligungserfahrungen. Dort können Sie auf
80 Seiten wunderbar nachlesen, was ich eben in sieben
Minuten gesagt habe. Ich wünsche eine angenehme Lek-
türe.


(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD] übergibt Abg. Elke Reinke [DIE LINKE] ein Schriftstück)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614812000

Ich erteile das Wort Monika Lazar, Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614812100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sind im Petitionsausschuss viel Kummer gewöhnt; aber
die Auseinandersetzung mit dieser Großen Anfrage und
die Antwort der Bundesregierung waren nicht so er-
quicklich. Wir haben wahrlich keinen Grund, die Bun-
desregierung in Schutz zu nehmen; aber die Linke hat
mit der hier vorgelegten Anfrage wenig getan, um die
Bundesregierung um den Schlaf zu bringen – eher im
Gegenteil.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Monika Lazar
Sie hat der Bundesregierung ein Tableau zur Verfügung
gestellt, sich besonders bürgerfreundlich darzustellen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist sie ja auch!)


Wir können die Selbstgefälligkeit in der Bundesregie-
rung, die aus dieser Antwort spricht, allerdings nicht
durchgehen lassen; dasselbe gilt für das vordemokrati-
sche Petitionsverständnis der Linksfraktion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist unsere Aufgabe im Petitionsausschuss? Un-
sere tägliche Erfahrung ist doch, dass sich die Menschen
massenhaft darüber beschweren, dass sie auf Ämtern
häufig herablassend behandelt werden, dass sie keine
Antworten oder in unverständlichem Bürokratendeutsch
verfasste Antworten erhalten oder dass sie gar falsch be-
raten worden sind. Manchmal gab es sogar gänzlich feh-
lerhafte amtliche Bescheide, die wir kritisiert haben.

Die Bundesregierung weist in Ihrer Antwort auf die
Große Anfrage darauf hin, dass der Bundestag kein Mo-
nopol auf die Behandlung von Bürgerbeschwerden hat.
Das stimmt. Aber dann kann man nicht den lapidaren
Hinweis geben, der Bürger könne sich ja entscheiden, ob
er sich an die Beauftragten der Bundesregierung oder an
den Petitionsausschuss wende. Entscheiden kann sich
die Bürgerin oder der Bürger tatsächlich. Wenn er etwas
erreichen will, sollte er sich aber an uns, an den Peti-
tionsausschuss, wenden. Jeder Bürger und jede Bürgerin
hat das Recht auf eine Prüfung seiner oder ihrer Eingabe
durch den Petitionsausschuss.

Der Petitionsausschuss hat Verfassungsrang; die Vor-
rednerinnen und Vorredner haben darauf schon hinge-
wiesen. Darauf muss man die Bundesregierung, gleich
welcher Zusammensetzung, immer wieder mit Nach-
druck hinweisen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-
tion, Sie könnten wissen, dass wir im Petitionsausschuss
zurzeit sehr intensiv an der Fortentwicklung von öffent-
lichen Petitionen und der bürgerschaftlichen Teilhabe ar-
beiten. Wir befinden uns in einer bedeutsamen Phase der
Fortentwicklung des Petitionsrechts. Das Büro für Tech-
nikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag hat
uns einen außerordentlichen Erfolg bei der Einführung
öffentlicher Petitionen bescheinigt.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber das müsste die Vorsitzende doch wissen!)


Ich zitiere:

Mit der Etablierung des Modellversuchs „öffentli-
che Petition“ im September 2005 hat der Deutsche
Bundestag, insbesondere sein Petitionsausschuss,
einen Beitrag dazu geleistet, das im Grundgesetz
verankerte Petitionsrecht weiter zu stärken und aus-
zubauen … Es wurde größere Transparenz und Öf-
fentlichkeit für das Petitionsverfahren geschaffen
und Raum für den möglichst rationalen Austausch
von Argumenten in Petitionsangelegenheiten be-
reitgestellt.

Das scheinen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion, nicht mitbekommen zu haben.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Offensichtlich! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Die waren da gerade nicht da! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Realitätsverweigerung!)


Der Modellversuch wird jetzt in den Regelbetrieb über-
führt. Er hat auch gezeigt, wo wir es noch besser machen
können. Darum suchen wir nach Mitteln und Wegen,
aufgetretene Schwächen zu beseitigen und neue Er-
kenntnisse aufzunehmen.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Sie finden aber keine Schwächen!)


– Na ja, niemand ist vollkommen, auch nicht der Peti-
tionsausschuss.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Aber fast!)


Darüber hinaus arbeiten wir im Ausschuss sehr aktiv
an der bürgerfreundlichen Ausgestaltung öffentlicher
Ausschusssitzungen. Das sind die Punkte, nach denen
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, fra-
gen sollten, und zwar im Ausschuss, wo wir alle mitein-
ander beraten. Aber wo sind Ihre Vorschläge? Das Peti-
tionsrecht, die Verfahrensgrundsätze, liegen in unserer
Verantwortung. Diesbezüglich kann man etwas verän-
dern. Machen Sie im Ausschuss Vorschläge, dann kön-
nen wir darüber beraten.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir vor einem halben Jahr schon einmal gesagt, und es kamen keine Vorschläge!)


Aber sich nur darüber zu beklagen, dass die Bundesre-
gierung das nicht tut, macht überhaupt keinen Sinn.

Wir drehen im Petitionsausschuss gewiss nicht am
großen Rad der Weltgeschichte. Aber wir verbessern die
Welt jeden Tag ein kleines Stück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Dabei geht es um das sprichwörtliche Bohren dicker
Bretter. Dafür bedarf es solider Handwerkerinnen und
Handwerker. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linksfraktion, arbeiten Sie dabei mit. Im Petitionsaus-
schuss hat wirklich niemand Berührungsängste im Hin-
blick auf Ihre Fraktion.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir stellen sie nur zurück!)


Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Vorschläge zu präsen-
tieren. Wenn sie vernünftig sind, haben Sie uns auf Ihrer
Seite.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Drohung!)


– Da mache ich Ihnen schon einmal ein Angebot, und
dann kommt so etwas.

Wir wollen das Petitionsrecht zu einem politischen
Mitwirkungsrecht machen. Sie wollen das Petitionsrecht
zu einem politischen Kampfinstrument machen. Das ha-






(A) (C)



(B) (D)


Monika Lazar
ben wir bei den öffentlichen Petitionsübergaben mitbe-
kommen; das ist schon von einigen angesprochen wor-
den. Ich war ebenfalls dabei und empfand das als sehr
unangenehm.


(Jens Ackermann [FDP]: Das war nicht öffentlich!)


Vor allen Dingen haben Sie nichts damit erreicht. Was ist
dabei herausgekommen? – Zurzeit gibt es keine öffentli-
chen Petitionsübergaben.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Zum Nachteil der Betroffenen!)


Das ist für uns alle sehr betrüblich, und wir müssen uns
überlegen, wie wir aus dieser Sache wieder herauskom-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir sollten die Debatte über diese Große Anfrage
schnell hinter uns bringen und uns wieder mit aller Kraft
den eigentlichen Aufgaben des Petitionsausschusses zu-
wenden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614812200

Das Wort hat nun Carsten Müller, CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1614812300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich

mich den Kollegen der Linksfraktion zuwende, möchte
ich ein Wort an den Kollegen Ackermann richten. Ich
will einen möglicherweise bestehenden falschen Ein-
druck widerlegen. Sie haben gesagt, es bestehe zu häufig
Uneinigkeit zwischen den Fraktionen der Großen Koali-
tion, es würden Petitionen vertagt werden. Die Zahlen
sprechen aber eine andere Sprache. 112 Petitionen wur-
den vertagt, davon 31 auf Wunsch der CDU/CSU-Frak-
tion, 19 wegen einer zusätzlichen Berichterstattung – also
wegen einer besonders intensiven Nacharbeit und eines
besonderen Engagements für das vorgebrachte Anliegen –
und 12 wegen Beratungsbedarfs. Da bleibt noch viel
Platz für das Vertagen durch andere Fraktionen. Wenn
Sie die Zahlen genau überprüfen, dann kommen Sie
dazu, dass die FDP nicht selten vertagt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur Großen Anfrage der Linksfraktion. Man muss
ehrlicherweise sagen: zur sogenannten Großen Anfrage;
denn die Anfrage ist nur dem Umfang nach groß. Der In-
halt bleibt dahinter doch signifikant zurück.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Sehr dünn!)

Als Erstes fällt auf: Hier wird die Regierung zu einer ori-
ginären Aufgabe des Parlaments befragt. Schon das mu-
tet merkwürdig an.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Vordemokratisch!)


Trotz der zahlreichen Fragen hat mir die Frage 109 an
die Bundesregierung gefehlt, wann sie gedenkt, einen
Bundespetitionsminister zu ernennen. Das hätte zu Qua-
lität und Anzahl gepasst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir von der Union teilen diese – es wurde gesagt: vorde-
mokratische – Auffassung von Staatsorganisation nicht.

Schauen wir uns die Fragen im Einzelnen an. Sie stel-
len bisweilen Fragen, die Sie mit einer einfachen Inter-
netrecherche selbst hätten beantworten können; ich will
Ihre Leistungsfähigkeit nicht herabwürdigen. Wir haben
allerdings den Eindruck, dass Sie den Petitionsausschuss
und einzelne Petitionen, zum Teil von Ihnen selbst auf
den Weg gebracht, populistisch ausschlachten wollen.
Ich erinnere nur an die letzte Sitzung des Petitionsaus-
schusses, als Sie eine Petition mit einem hohen Votum
versehen wollten, die die Anhebung des Kindergeldes
um einen abenteuerlich hohen Betrag vorsah. Das fan-
den Sie erwägenswert. Sie sind aber eine Antwort auf
die Frage schuldig geblieben, wie Sie die daraus resultie-
renden Mehrausgaben in Höhe von 24,2 Milliarden Euro
gegenfinanzieren wollen.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Dafür sind die nicht zuständig! Sie sind nur für Polemik zuständig!)


Das sind so eben 10 Prozent des Bundeshaushaltes, und
Sie leiten das weiter und tun so, als ob es Sie interes-
sierte. In Wahrheit verklapsen Sie den Petenten, weil Sie
ihm nicht die Wahrheit sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie fordern einen Volksentscheid auf Bundesebene.
Es steht in diesem Hause jedermann gut an, wenn er erst
einmal vor seiner eigenen Tür kehrt, und zwar in jeder
Hinsicht. Ich rate Ihnen dringend, sich mit Ihren Partei-
genossen in Berlin auseinanderzusetzen. Ich erinnere da-
ran, dass wir es im Augenblick in Berlin mit der enga-
giert diskutierten Frage nach der Zukunft des Flughafens
Tempelhof zu tun haben. Viele Berliner Bürgerinnen und
Bürger sprechen sich für den Erhalt dieses Flughafens
aus. Es soll nun am 27. April – dafür gibt es nennens-
werten Zuspruch – einen Volksentscheid geben. Die rot-
rote Koalition in Berlin möchte den Flughafen Tempel-
hof schließen, weiß aber ganz genau, dass sie bei diesem
Volksentscheid außergewöhnlich schwach dastünde.
Was passiert? Es ist angedacht – und zwar unter Beteili-
gung der Linkspartei –, vorab den Flughafen womöglich
an Immobilienspekulanten zu verscherbeln, damit Ihre
Parteigenossen dem Bürgerwillen nicht nachgeben müs-
sen. Sie haben in Wahrheit gar kein echtes Interesse an
demokratischen Prozessen. Sie ignorieren den Bürger-
willen konsequent.






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Müller (Braunschweig)


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber investigativ! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sie waren so friedlich bis eben!)


– Herr Bürsch, das müssen Sie aushalten. Ich will Sie
gern überzeugen, sich für die Interessen der Bürgerinnen
und Bürger in Berlin einzusetzen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Jetzt bringen Sie richtig Schärfe rein!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614812400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Petra Sitte?


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1614812500

Mit außerordentlichem Vergnügen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Bloß keine Koalitionskrise! Vorsicht!)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614812600

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, zu welchem Zeit-

punkt der Beschluss gefasst wurde, den Flughafen Tem-
pelhof zu schließen, und von wem? Wenn Sie die Ant-
wort nicht sofort parat haben sollten: erstens in der
Regierungszeit von Herrn Kohl und zweitens in der Re-
gierungszeit von Herrn Diepgen. Wenn ich recht infor-
miert bin, sind sie Ihre Parteigenossen. Ist das so?


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1614812700

Die erste Frage kann ich mit Ja beantworten. Ich freue

mich darüber, in derselben Partei zu sein wie Eberhard
Diepgen und Helmut Kohl. Das ist ein weiterer guter
Grund für eine Mitgliedschaft in der CDU.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen unterlassen Sie und Ihre Parteigenossen es in
Berlin aktiv, einen sinnvollen Beschluss herbeizuführen
und den Bürgerwillen zu respektieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben – das hat der Kollege Baumann richtiger-
weise ausgeführt – eine außerordentlich hohe Zahl von
Petitionen, die dieses Haus jährlich erreichen. Die Grö-
ßenordnung beträgt 17 000 bis 20 000 Petitionen pro
Jahr. Diesen Petitionen wird ernsthaft nachgegangen,
und sie werden mit großem Engagement bearbeitet. Wir
haben die Möglichkeiten des Zugangs zum Parlament
und dessen Erreichbarkeit sowie die Möglichkeit, ein-
zelne Petitionen zu diskutieren, erheblich ausgeweitet
und vereinfacht, und zwar durch die Zulassung von elek-
tronischen Petitionen, von Massenpetitionen, von öffent-
lichen Petitionen und durch öffentliche Ausschussbera-
tungen. Der Petitionsausschuss lässt es sich nicht
nehmen, sich auch vor Ort über Sachverhalte zu infor-
mieren. Darin kommt die ernsthafte Arbeit des Petitions-
ausschusses zum Ausdruck.

Der Kollege Bürsch hat in seinem Redebeitrag an-
klingen lassen, dass den Bürgerinnen und Bürgern eher
damit geholfen ist, dass man sich um ihre Anliegen küm-
mert und dass man die Grundlagen für bürgerschaftli-
ches Engagement ausbaut und verbessert, anstatt hier ei-
nen Klamauk zu veranstalten.


(Beifall des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD])


Die Große Koalition hat das Gesetz zur weiteren Stär-
kung des bürgerschaftlichen Engagements auf den Weg
gebracht und am 6. Juli 2007 beschlossen. Damit wurde
ein stabiles Fundament gelegt und es wurden nicht zu-
letzt die steuerlichen Rahmenbedingungen erheblich
verbessert. Wir sehen die Erfolge schon heute.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aber die Arbeit ist noch nicht zu Ende!)


Deswegen will ich den Ratschlag meiner Vorrednerin
Monika Lazar gerne beherzigen: Wir wollen diese Bera-
tung relativ schnell hinter uns bringen, weil sie zum Teil
unerfreulich ist. Diese Anfrage ist nichts anderes als
Klamauk. Meine Damen und Herren Kollegen von der
Linksfraktion, Ihnen sollte zu denken geben, dass diese
Bewertung praktisch einhellig von allen anderen Frak-
tionen hier im Hause vorgenommen wird, die im
Übrigen bei allen Unterschieden in der Sache im Peti-
tionsausschuss und darüber hinaus außerordentlich kon-
struktiv zusammenarbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614812800

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich Kol-

legin Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Fraktion, das
Wort.


Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1614812900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir könnten das Ganze mit
den Worten zusammenfassen: Schade eigentlich. Schade
eigentlich, dass wir hier über ein gutes Recht reden, das
durch unsere Verfassung gewährleistet, aber durch die
Anfrage infrage gestellt wird. Schade eigentlich, dass
108 Fragen an die Regierung gestellt worden sind und
die Antworten heute im Plenum behandelt werden. Die
Fragen sind dadurch nicht besser geworden. Was zeigen
sie uns? Sie zeigen uns, dass die Fraktion Die Linke ei-
nen gewissen Orientierungsmangel hat und nicht weiß,
worum es eigentlich geht, wenn sich Bürger und Bürge-
rinnen, das Petitionsrecht nutzend, an den Bundestag
wenden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das ist eine freundliche Umschreibung!)


Meines Erachtens haben wir optimale Rahmenbedingun-
gen, die wir nicht durch ein eigenes Petitionsgesetz ver-
bessern müssen. Das ist eine alte Kritik, die wir kennen.
In der vorvergangenen Legislaturperiode waren es Ihre
Vorgänger, die ein solches Gesetz haben wollten. Die






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Lösekrug-Möller
Kritik ist damals falsch gewesen, der Vorschlag war
nicht richtig. Das Ergebnis, nämlich die Ablehnung ei-
nes solchen Gesetzes durch dieses Haus, war damals
richtig und ist es heute noch. Klar ist, dass der gesetzli-
che Rahmen, den wir haben, durch dieses Parlament gut
ausgefüllt werden kann. Wir tun das durch die Praxis im
Ausschuss. Wir erfüllen unsere Aufgabe mit Leben. Die
Vielzahl der Petitionen zeigt nicht nur, dass wir genug zu
tun haben, sondern sie ist auch Ausdruck des Vertrauens
von Petenten und Petentinnen darauf, dass sie sich nicht
umsonst an uns wenden und wir sehr ehrlich und sach-
lich mit ihren Bitten und Beschwerden umgehen. Ich
glaube, sie wollen eines nicht: Sie wollen nicht, dass ihre
Petitionen von einer Fraktion dieses Hauses missbraucht
werden, die meint, sie könne damit populistisch Politik
machen. Deshalb wäre es gut gewesen, Sie hätten vorher
einmal überlegt, ob das parlamentarische Instrument der
Großen Anfrage überhaupt richtig für Ihr Anliegen ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Es könnte nur dann sinnvoll sein, wenn Sie daraus einen
Erkenntnisgewinn hätten. Viele der 108 Fragen legen
nahe, dass es durchaus einen Informationsbedarf in Ihren
Reihen gab. Deshalb können wir zufrieden sein, dass
nun die Antworten vorliegen. Die Antworten zum
Thema Petitionen bringen Sie allerdings politisch nicht
voran, weil festgestellt wurde, dass das Recht gut ausge-
staltet ist und wir es in diesem Parlament auf eine sehr
seriöse Art und Weise mit Leben ausfüllen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu passt auch, dass wir auf der Höhe der Zeit Mo-
dernisierungen vorgenommen haben, die dazu geführt
haben, dass mehr Menschen teilhaben und dieses Be-
schwerde- und Bittenrecht nutzen können. Hier sind wir
gut beraten, die Ergebnisse der Begleitforschung abzu-
warten und aus diesen Erkenntnissen heraus dort zu mo-
dernisieren, wo es nottut. Eine erste Tendenz ist erkenn-
bar – für Sie scheint dies aber nicht von Bedeutung zu
sein –: Wir haben gelernt, dass wir Menschen, die bil-
dungsfernen Schichten angehören, zu schlecht erreichen
und dass wir bei jungen Leuten noch nachlegen können.
Das ist die Herausforderung. Dazu hören wir von Ihnen
gar nichts, was mich persönlich allerdings nicht über-
rascht.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist allerdings auch leicht, wenn man Petitionen
missbrauchen will, sie als Stichwortgeber für eigene po-
litische Vorhaben zu nutzen. Wir erleben dies im Peti-
tionsausschuss immer wieder. Als erstes Beispiel nenne
ich die SED-Opfer-Regelung. Wir müssen uns einmal
vor Augen halten, wie Sie sich dazu verhalten haben.
Wir haben es in der Großen Koalition geschafft, mit gro-
ßer Zustimmung eine Lösung auf den Weg zu bringen.
Wenn nun in einer Petition kritisiert wird, dies sei nicht
genug, dann stimmt ausgerechnet Ihre Fraktion dem zu.
Sie sagen dann, hier müsse man schärfer herangehen und
auf jeden Fall mehr geben. Mein Tipp wäre gewesen,
dass Sie die Menschen rechtzeitig an dem Vermögen hät-
ten teilhaben lassen, das Sie als Partei in ihre eigene Ta-
sche umgelenkt haben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mein Tipp: Es wäre auch heute noch möglich, aus die-
sem nicht unerheblichen Vermögen für jene zu sorgen,
die Opfer des Systems waren. Vielleicht wäre dies ja
glaubwürdiger.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das können sie doch aus Liechtenstein zurückholen! Die Liechtensteiner Konten auflösen!)


Ich nenne ein zweites Beispiel: Am Mittwoch dieser
Woche wollten Sie innerhalb weniger Minuten Milliar-
denbeträge ausgegeben, die wir nicht haben. Das heißt,
Sie erliegen unentwegt der Verlockung des Populismus.
So etwas darf man bei der Bearbeitung von Petitionen
nicht machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir arbeiten im Ausschuss gut. Wir brauchen keine
weiteren Gesetze. Wenn aber die Vorsitzende des Aus-
schusses meint, feststellen zu müssen, es gebe eine Igno-
ranz der Bundesregierung gegenüber dem Petitionsaus-
schuss, dann bitte ich darum, dass dies im Ausschuss
ausführlich erläutert wird. Ich kann nur sagen: Die Bun-
desregierung ist nicht immer unserer Meinung, wenn wir
sie kritisieren; das kann ich sogar nachvollziehen. Aller-
dings lassen wir als jene Vertreter, die die Mehrheit stel-
len, uns auch nicht das Recht nehmen, unsere Regierung
zu kritisieren. In vielen Fällen wird unsere Kritik aufge-
nommen, und es gibt Verbesserungen.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Unsere konstruktive Kritik!)


Aber von Ignoranz zu sprechen, bedarf einer seriösen
Begründung. Diese haben Sie heute nicht geliefert. Ich
bin schon gespannt, ob wir überhaupt eine bekommen.

Ich freue mich auf die zukünftige Arbeit im Aus-
schuss und bin sicher, dass wir aufgrund der Ergebnisse
der Begleitforschung noch besser werden, was Bürger-
nähe anbelangt. Das muss unser ständiges Streben sein.
Ich sehe dafür ein breites Bündnis im Ausschuss. Des-
halb bin ich zuversichtlich, dass wir ohne jedwede ge-
setzliche Änderung mit dem Petitionsrecht gut weiter-
arbeiten können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614813000

Ich schließe die Aussprache.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b so-
wie Zusatzpunkt 4 auf:

8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd
Siebert, Ulrich Adam, Michael Brand, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-
wie der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-
Peter Bartels, Petra Heß, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Konzept der Inneren Führung stärken und
weiterentwickeln
– Drucksache 16/8378 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Alexander Bonde, Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bundeswehr – Innere Führung konsequent
umsetzen
– Drucksache 16/8370 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innere Führung stärken und weiterentwickeln
– Drucksache 16/8376 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1614813100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist mir eine Freude, dass wir heute erstmals hier im Ple-
num des Deutschen Bundestages und damit in aller
Öffentlichkeit die Ergebnisse der Arbeit des Unteraus-
schusses „Weiterentwicklung der Inneren Führung“ vor-
stellen und beraten. In den letzten viereinhalb Jahren
haben wir uns in 32 Sitzungen als Rat- und Ideengeber
betätigt und unsere Arbeit im Herbst 2007 mit einem Be-
richt abgeschlossen – Ausgangspunkt für unsere heutige
Debatte.

Der Verteidigungsausschuss hat diesen Unteraus-
schuss, dem vorzustehen ich seit Mai 2003 die Ehre
hatte, in der vergangenen 15. Wahlperiode eingesetzt.
Dies geschah, weil sich seit dem Erlass der bisher gülti-
gen Fassung der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 vom
16. Februar 1993 die sicherheitspolitische Situation in
Deutschland, Europa und der Welt allgemein und die
Lage der Bundeswehr sowie die innere Struktur der
Truppe stark verändert haben.

Uns allen ist sehr bewusst, dass die Bundeswehr, dass
unsere Soldatinnen und Soldaten heute vor grundsätzlich
anderen Herausforderungen stehen als vor unserer Zeit.
Aus einer Armee für den Einsatz ist eine Armee im Ein-
satz geworden. Vor allem die Zahl der Auslandseinsätze
ist enorm gestiegen. Heute stehen über 6 000 deutsche
Soldaten an militärischen Brennpunkten der Welt. Die
Umbruchsituation 1990/91 hat eine Transformation der
Bundeswehr mit grundlegenden strukturellen und perso-
nellen Veränderungen notwendig gemacht. Auch die
Öffnung nahezu aller Verwendungsbereiche für Frauen
hat unsere Bundeswehr neu geprägt.

Diese Veränderungen waren es, die zur Geburtsstunde
des Unterausschusses geführt haben. Unsere Aufgabe
war es, den neuen Anforderungen gerecht zu werden, ih-
nen Rechnung zu tragen und entsprechende Schlussfol-
gerungen zu ziehen.

Zu diesen gehört, erstens, die Feststellung, dass die
tragenden und unverrückbaren Prinzipien der Inneren
Führung, die mit der Aufstellung der Bundeswehr 1955
durch Wolf Graf von Baudissin und Ulrich de Maizière
entwickelt wurden, bis heute Bestand haben: Primat der
Politik, unbedingte Beachtung der Menschenwürde in
den Streitkräften, das Leitbild des Staatsbürgers in Uni-
form und die Bindung der Streitkräfte an Recht und Ge-
setz. Dies prägt und bestimmt damals wie heute das
Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten.

Zu unseren Schlussfolgerungen gehören, zweitens,
ganz konkrete Bereiche, die heute ein untrennbarer Be-
standteil des Konzepts Innere Führung sind:

Erstens. Durch militärische und ethische Erziehung
der Soldatinnen und Soldaten wirkt die Innere Führung
darauf hin, dass ein sicheres, auf Recht und Gesetz aus-
gerichtetes Handeln sowohl im Inland als auch im Aus-
land umgesetzt wird.

Zweitens. Unseren Soldatinnen und Soldaten wird
vermittelt, welchen Sinn die Einsätze der Bundeswehr in
teils fernen Regionen der Welt haben und welche Ziele
erreicht werden sollen.

Drittens. Neben den klassischen militärischen Fähig-
keiten gehört zur Handlungskompetenz unserer Sol-
datinnen und Soldaten auch immer, wie es der Bundes-
minister stets betont, Helfen, Schützen, Retten und
Vermitteln.

Viertens. Die interkulturelle Kompetenz als Zeichen
von Respekt vor fremden Kulturen gewinnt gerade bei
steigender Zahl von Auslandseinsätzen zunehmend an
Bedeutung.

Fünftens. Die politische Bildung – ein wesentlicher
Baustein der Konzeption Innere Führung – muss weiter
ausgebaut und gestärkt werden.

Sechstens. Die Integration von Frauen in die Streit-
kräfte muss gefördert und gestärkt werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)

Siebtens. Die politisch gewollte Vereinbarkeit von Fa-
milie und Dienst in den Streitkräften wird durch zeitge-
mäße Konzepte weiterentwickelt. Dazu gehört auch das
Angebot an Teilzeitarbeit.

Achtens. Die von der Bundeswehr geschaffenen Fa-
milienbetreuungszentren sowie gleichgerichtete Initiati-
ven müssen vernetzt werden.

Innere Führung, das ist eine Erfolgsgeschichte und
gilt heute als Markenzeichen der Bundeswehr. Sie gehört
zu ihrem Selbstverständnis. Sie ist einzigartig in der gan-
zen Welt. Innere Führung lebt und wird von unseren Sol-
datinnen und Soldaten gelebt. Sie ist erlernbar. Sie ist
praktisches Handwerk und keine Ideologie.

Heute können wir feststellen, dass die Grundsätze und
Anwendungsbereiche der Inneren Führung von der ganz
überwältigenden Mehrheit unserer Soldatinnen und Sol-
daten bereits verinnerlicht sind und gelebt werden. An-
gesichts einer Zahl von über 250 000 Soldaten ist das bei
weitem nicht selbstverständlich.

Die Mitglieder des Unterausschusses haben dem Ver-
teidigungsausschuss ihren Schlussbericht vorgelegt. Wir
sind uns einig, dass das Konzept „Innere Führung“ be-
reits in der Vergangenheit erfolgreich war, und wir sind
überzeugt, dass es dynamisch genug ist, um in der Zu-
kunft als ethischer Kompass und modernes Führungs-
instrument zu dienen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Fazit: Innere Führung ist ein dynamischer Prozess,
der sich immer wieder auf aktuelle und absehbare Ent-
wicklungen ausrichten muss. Wir sind gehalten, uns stets
mit neuen gesellschaftlichen, politischen, militärischen
und technologischen Entwicklungen auseinanderzuset-
zen. Wir sind aufgerufen, stets aufs Neue für eine zeitge-
mäße Form der Konzeption „Innere Führung“ zu sorgen,
denn genau davon lebt sie. Sir Winston Churchill hat
einmal gesagt: Konsequent ist, wer sich selber mit den
Umständen wandelt. – Ich fordere uns auf, in diesem
Sinne konsequent zu sein und zu bleiben.

Am Schluss meiner Ausführungen darf ich allen Kol-
leginnen und Kollegen im Unterausschuss „Weiterent-
wicklung der Inneren Führung“, insbesondere meinen
Stellvertretern Ulrike Merten – Stellvertreterin in der
ersten Zeit, heute Vorsitzende des Verteidigungsaus-
schusses – sowie Gerd Höfer, für die geleistete großar-
tige Arbeit danken, für vertrauensvolles Zusammenwir-
ken über Fraktionsgrenzen hinweg und für Effizienz,
gerade in frühen Morgenstunden, in denen wir gearbeitet
haben.


(Beifall des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/ CSU] – Ute Kumpf [SPD]: Was? Wo waren Sie denn da? – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weniger! Wir danken dem Vorsitzenden auch!)


Mein Dank gilt der Bundesregierung, Ihnen, Herr
Bundesminister Jung, Ihren Staatssekretären, dem Gene-
ralinspekteur und den Angehörigen der Führungsstäbe.
Sie, Herr Minister, haben vor wenigen Tagen eine neue,
überarbeitete Zentrale Dienstvorschrift herausgegeben,
in der wesentliche Ergebnisse unserer Arbeit Berück-
sichtigung finden. Das ist wirklich gut. Respekt dafür!

Wir alle wissen, dass jede Konzeption auch Men-
schen braucht, die sie umsetzen und mit Leben erfüllen.
Deshalb geht mein Dank an dieser Stelle vor allem an
die Menschen, die dieser Konzeption und ihren tragen-
den Prinzipien in der Bundeswehr seit mehr als einem
halben Jahrhundert zum Erfolg verhelfen. Mein Dank
gilt den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Sie
dienen unserem Land vorbildlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der berühmte preußische Armeereformer General
Scharnhorst hat einmal gesagt: Tradition der Armee
muss es sein, an der Spitze des Fortschritts zu marschie-
ren. – Heute, fast 200 Jahre danach, ist die Innere Füh-
rung das Instrument, mit dem es uns gelingt, diesem An-
spruch gerecht zu werden. Innere Führung – diese
Konzeption verdient es, auch weiterhin gestärkt zu wer-
den.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614813200

Das Wort hat nun Kollegin Birgit Homburger, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1614813300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Prinzipien der Inneren Führung und das Leitbild des
Staatsbürgers in Uniform haben sich bewährt, auch wenn
sie zum Zeitpunkt der Einführung sehr umstritten waren.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Innere
Führung ein Markenzeichen der Bundeswehr ist.

Ein solches – erfolgreiches – Markenzeichen bedarf
der Pflege, wenn es zeitgemäß bleiben soll. Es ist festzu-
stellen, dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedin-
gungen und Wertvorstellungen verändert haben. Die
Bundeswehr unterliegt seit ihrer Aufstellung einem per-
manenten Wandel. Sie befindet sich weiterhin in einem
Transformationsprozess hin zu einer Armee im Einsatz
mit erweitertem Aufgabenspektrum. Damit sind enorme
Herausforderungen für die Soldatinnen und Soldaten,
ihre Familien, aber auch für den Dienstherrn verbunden.

Derart tiefgreifende Veränderungen gehen natürlich
nicht spurlos an der Bundeswehr und der Inneren Füh-
rung vorbei. Deshalb war es folgerichtig, dass der Vertei-
digungsausschuss einen Unterausschuss eingerichtet hat,
der sich mit der Weiterentwicklung der Inneren Führung
beschäftigt hat. Ich möchte mich den Dankesworten un-
seres Vorsitzenden anschließen und in den Dank auch
die Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Bundestags-
fraktion einbeziehen, die in der letzten Legislaturperiode
in diesem Unterausschuss mitgearbeitet haben. Es waren






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger
dies die Kollegin Helga Daub und der Kollege Günther
Nolting.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In der Arbeit dieses Unterausschusses wurde über die
Bestandsaufnahme und Sachstandsanalyse hinaus ver-
sucht, konkrete Verbesserungsmöglichkeiten in den
Bereichen aufzuzeigen, die für eine erfolgreiche Bewäl-
tigung der menschlichen Seite des Transformationspro-
zesses entscheidend sind. Wenn der Transformationspro-
zess erfolgreich sein soll, müssen die Menschen im
Mittelpunkt stehen.

Die Bundeswehr braucht zur Erfüllung ihres Auftra-
ges weiterhin hoch motivierte, gut ausgebildete, ethisch-
moralisch gefestigte, aber auch berufszufriedene Streit-
kräfteangehörige. Es wurde im Unterausschuss sehr
deutlich, dass in den Bereichen Ausbildung und Versor-
gung, aber auch bei den Rahmenbedingungen des Solda-
tenberufs erheblicher Verbesserungsbedarf besteht.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
zeichnet sich ab, dass die Bundeswehr bei der Nach-
wuchsgewinnung immer stärker einem verschärften
Wettbewerb um die besten Köpfe mit anderen Arbeitge-
bern ausgesetzt ist. Deshalb ist es wichtig, die Attraktivi-
tät des Dienstes zu steigern. Das hängt nicht nur mit der
Höhe der Vergütung zusammen, sondern eben auch mit
Weiterbildungsmöglichkeiten, der Versetzungshäufig-
keit, der Beförderungssituation und den Möglichkeiten
zur Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Die Bundes-
wehr muss daher zügig ein Attraktivitätsprogramm auf-
legen, damit sie als Arbeitgeber konkurrenzfähig wird.


(Beifall bei der FDP)


Dabei gibt es einige Punkte, die aus unserer Sicht ei-
ner besonderen Beachtung bedürfen. Dazu gehört bei-
spielsweise eine echte auftragsgerechte Personalstruk-
turreform. Sie ist ebenso dringend nötig wie ein neues
Laufbahnrecht, um den Beförderungsstau in den Streit-
kräften abzubauen. Wir brauchen bessere Teilzeitarbeits-
möglichkeiten. Die Wahrnehmung von Teilzeit sollte al-
len Soldatinnen und Soldaten ermöglicht werden, die
dies wünschen, sofern der Dienstbetrieb das erlaubt. Wir
brauchen aber auch – auch daran sieht man, dass sich die
Streitkräfte gewandelt haben – Angebote zur Kinderbe-
treuung, um den Dienst in der Bundeswehr familien-
freundlicher zu gestalten, als er bisher ist.

Immer häufiger wird auch die Versetzungshäufigkeit
thematisiert; auch darüber haben wir im Unterausschuss
gesprochen. Sie muss auf das dienstlich absolut notwen-
dige Maß reduziert werden. Auch ich bin der Überzeu-
gung, dass es nicht angehen kann, dass ein Soldat von ei-
ner Versetzung erst wenige Tage zuvor erfährt,
insbesondere dann, wenn es sich um einen Auslandsein-
satz handelt. Über solche Dinge wurde immer und im-
mer wieder berichtet. Wir sind gemeinsam zu der Auf-
fassung gelangt, dass Soldatinnen und Soldaten vor allen
Dingen Planungssicherheit für sich und ihre Angehöri-
gen brauchen. Es kostet keinen einzigen Cent, Herr
Minister, diese Planungssicherheit zu erhöhen; es trägt
aber zur Zufriedenheit mit dem Dienst in den Streitkräf-
ten bei.


(Beifall bei der FDP)


Ein drängendes Problem ist die geringe Einstiegsbe-
soldung, insbesondere für Mannschaften und Unteroffi-
ziere; sie muss angehoben werden. Wir brauchen auch
ein eigenes Besoldungsrecht für Soldatinnen und Solda-
ten. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne kurz
auf das Dienstrechtsneuordnungsgesetz hinweisen, das
im Moment zu Recht für massiven Unmut in der Truppe
sorgt. Im Referentenentwurf war ja sogar geplant, die im
Vergleich zur Polizei und zur Bundespolizei niedrige
Eingangsbesoldung für Soldaten noch weiter zu senken.
Dieses Vorhaben ist Gott sei Dank zwischenzeitlich vom
Tisch. Aber nach dem Willen der Bundesregierung sol-
len Soldaten nun länger auf Beförderungen warten als
andere Besoldungsempfänger, und Soldaten auf Zeit sol-
len Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung
hinnehmen müssen, ohne die Möglichkeit zu haben,
diese auszugleichen. Hier appellieren wir an die Bundes-
regierung und auch an die Koalitionsfraktionen, den Ge-
setzentwurf an dieser Stelle noch einmal abzuändern und
diese geplanten Änderungen zurückzunehmen.


(Beifall bei der FDP)


Wir haben in dem Abschlussbericht des Unteraus-
schusses „Weiterentwicklung der Inneren Führung“, den
wir gemeinsam gefertigt haben, festgehalten, dass eine
Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr dringend
geboten ist. Die FDP-Bundestagsfraktion erwartet, dass
diesen richtigen Worten jetzt auch richtige Taten folgen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)


Deswegen würde ich angesichts der Anträge, die zur
heutigen Debatte hier vorliegen, vorschlagen, bis zur
Endabstimmung noch einmal den Versuch zu unterneh-
men, einen gemeinsamen Antrag zu basteln, um auf
diese Art und Weise dem Abschlussbericht, den wir ge-
meinsam gefertigt haben und der in weiten Teilen Über-
einstimmung enthält, Nachdruck zu verleihen, und so die
Bundesregierung aufzufordern, die Anregungen des Par-
laments umzusetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614813400

Das Wort hat Kollege Gerd Höfer, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gerd Höfer (SPD):
Rede ID: ID1614813500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern:
Ehe die deutsche Wiederbewaffnung in die Tat umge-
setzt und die Bundeswehr geschaffen worden ist, hat es
sehr dezidierte und heftige Auseinandersetzungen da-
rüber gegeben, ob dieser Weg der Wiederbewaffnung
richtig ist. Nicht um irgendwelche Vorwürfe an irgend-
welche Parteien zu richten, erwähne ich, dass es den be-






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Höfer
rühmten Satz gegeben hat: „Ehe ein deutscher Soldat
wieder ein Gewehr in die Hand nimmt, möge mir der
Arm verdorren.“

Ich weiß, dass damals die SPD sehr heftig dagegen
gestritten und polemisiert hat. Erst das Prinzip der Inne-
ren Führung, das heißt ein Neubesinnen auf die Stellung
der – so muss man inzwischen sagen – Soldatinnen und
Soldaten in der Gesellschaft, hat die SPD dazu gebracht,
zuzustimmen.

Das Konzept der Inneren Führung ist schlagwortartig
mit dem Begriff des Staatsbürgers in Uniform verbun-
den. Der Staat sagt nämlich, dass ein Soldat auch bei
Hinnahme bestimmter Einschränkungen der Grund-
rechte, was seinen dienstlichen Auftrag anbelangt,
Staatsbürger ist und bleibt. Wenn man „Staatsbürger in
Uniform“ ernst nimmt, dann ist im Grunde genommen
schon damals und nicht erst heute die Parlamentsarmee
begründet worden, weil die unveräußerlichen Grund-
rechte, für den Soldaten auch geltend, praktisch schon
immer der parlamentarischen Überwachung unterlegen
haben, sei es auf der Seite der Regierungsparteien, sei es
auf der Seite der Opposition. Von daher war das Prinzip
der Inneren Führung, des Staatsbürgers in Uniform – ich
habe es selber erlebt, weil ich noch Ausbilder hatte, die
aus dem Zweiten Weltkrieg stammten – immer in der
Diskussion. Ich halte es auch für gut, dass dieses Prinzip
in der Diskussion ist und bleibt. Der Unterausschuss
– von Karl Lamers erwähnt – hat sich dieser Dinge ange-
nommen und gesagt, bestimmte Vorstellungen müssen
weiterentwickelt werden.

Ich habe die ZDv 10/1 noch nicht in der offiziellen
Form, wie die Bundeswehr gewohnt ist, mit diesen Din-
gen umzugehen, vor mir. Es wird wahrscheinlich ein
grauer Schnellhefter sein.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, im Netz, inzwischen ganz bunt!)


– Ich habe zwar schon einmal einen Vorentwurf gesehen,
aber die endgültige Ausfertigung habe ich noch nicht be-
kommen. Wer sich diese ZDv 10/1 ansieht, der stellt
fest, dass sie sehr anspruchsvoll und bei weitem kein
Handlungskatalog ist, den man im Prinzip, quasi einen
Katechismus auswendig lernend, umsetzen kann. Der
entscheidende Satz steht in Kapitel 1 „Selbstverständnis
und Anspruch“ Nummer 106:

Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr er-
füllen ihren Auftrag, wenn sie aus innerer Überzeu-
gung für Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Ge-
rechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie
als den leitenden Werten unseres Staates aktiv ein-
treten.

Das ist ein hoher Anspruch, der den Hinweis auf die
Bundeswehr als Parlamentsarmee wiedergibt. Daraus
kann man auch andere Dinge herleiten, die meine Kolle-
gin Petra Heß nachher noch etwas deutlicher darstellen
wird.

Theoretisch – ich betone: theoretisch – kann man sa-
gen: Diese ZDv 10/1 könnte auch einen Handlungsrah-
men für die Kodizes des Deutschen Bundestages und der
Abgeordneten bilden. Allerdings kann natürlich eine
zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr, Herr Bundes-
minister und Herr Präsident, nicht geschäftsleitend für
den Deutschen Bundestag sein. Das ist völlig klar. Wenn
aber der Deutsche Bundestag und nachgeordnet die
Streitkräfte den Staatsbürger in Uniform postulieren und
gesagt wird, das Prinzip der Inneren Führung sei ein
Leitprinzip, einzigartig in der Welt, das sich bewährt hat,
dann kann man daraus zumindest aber die Fürsorge-
pflicht des Parlamentes für die Bundeswehr ableiten. Die
Fürsorgepflicht des Parlamentes für die Bundeswehr hat
ja ihre letzte Ausformung immer dann, wenn wir über
Einsätze der Bundeswehr entscheiden müssen. In diese
Fürsorgepflicht kann nicht nur eingebunden werden,
dass alles rechtsfähig und ordnungsgemäß abgewickelt
wird, wenn Soldaten ins Ausland geschickt werden, son-
dern davon kann und soll man auch ableiten – das ist ja
schon von meinen beiden Vorrednern gesagt worden –,
dass diese Fürsorgepflicht beinhaltet, dass man mit dem
Soldaten vernünftig umgeht. Das heißt, ihm muss nicht
nur die richtige Ausstattung für die Einsätze etwa im
Ausland gegeben werden, sondern er muss auch seine
staatsbürgerlichen Rechte übertragen bekommen, sodass
er teilhat an dem, was der Staat zu bieten hat.

Ein Beispiel ist genannt worden: Die Bundeswehr
steht demnächst, bedingt durch den demografischen
Wandel, in Konkurrenz zu anderen sicherheitsrelevanten
Berufen. Wenn dann die Eingangsbesoldung immer noch
bei A 3 liegt, während bei der Polizei in den Ländern die
Eingangsbesoldung zwischen A 5 und A 7 schwankt,
dann ist keine Teilhabe an dem, was der Staat anderen
Bürgerinnen und Bürgern bietet, möglich. Das heißt, all
das, was über das Prinzip der Inneren Führung, über das
Prinzip des Staatsbürgers in Uniform geleistet werden
soll, muss und soll den ganzen Bundestag ebenso be-
schäftigen, wie es den Bundestag beschäftigt, über den
Einsatz von Soldatinnen und Soldaten im Ausland zu
entscheiden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist meine Bitte an alle Damen und Herren dieses
Hauses, nicht nur an diejenigen, die hier sitzen. Es steht
mir nicht zu, diejenigen zu kritisieren, die nicht da sind.
Ich weiß ja selber, wie das ist. Auch ich bin oft nicht im
Parlament. Aber ich hoffe, dass diejenigen, die mich hö-
ren, diesen Appell aufnehmen und sagen: Nicht nur der
Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen bietet eine
Möglichkeit, sich mit der Bundeswehr zu beschäftigen.
Vielmehr muss und soll auch im Rahmen der Inneren
Führung mehr für die Bundeswehr getan werden; Petra
Heß wird darauf noch im Einzelnen eingehen.

Ich freue mich, dass sowohl die FDP als auch die
Grünen eigene Anträge vorgelegt haben. Walter Kolbow
ist mein Zeuge: Bevor Sie, Frau Homburger, von einem
gemeinsamen Antrag gesprochen haben, stand dies
schon auf meinem Blatt und bei Petra Heß mit einem
Fragezeichen. Warum ist das so? Weil viele Dinge, die
Sie beide, die Grünen wie die FDP, in Ihren Anträgen
ausgeführt haben, deckungsgleich mit dem sind, was in






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Höfer
dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD
steht.

Ich möchte damit natürlich eine Bitte verknüpfen,
nämlich dass wir im Verteidigungsausschuss noch ein-
mal genauer darüber sprechen. Über manches, was die
Grünen ausgeführt haben, kann ich locker hinweggehen;
Begründungen werden nicht beschlossen. Dass die Grü-
nen natürlich die Gelegenheit genutzt haben, sich dezi-
diert zur Wehrpflicht zu äußern, nehme ich ihnen nicht
übel. Bei Ihnen von der FDP habe ich das im Prinzip
vermisst. Das ist nun einmal Alltag bei uns.


(Birgit Homburger [FDP]: Wir haben einen eigenen Antrag dazu!)


– Ich habe ihn vor mir liegen.

Die Grünen möchte ich bitten, mir im Verteidigungs-
ausschuss den vorletzten Punkt der Forderungen in ih-
rem Antrag genauer zu erklären; denn da wird so etwas
Ähnliches wie eine Gruppenquotierung nach bestimmten
Kriterien gefordert. In dem Antrag steht nämlich:

… dafür zu sorgen, dass Struktur und Umfang der
Bundeswehr an den Erfordernissen der neuen Auf-
gaben ausgerichtet und

– jetzt kommt es –

durch Rekrutierung und Personalauswahl der ge-
sellschaftliche Pluralismus in der Zusammenset-
zung der Streitkräfte in höherem Maße als bisher
abgebildet wird …


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht sogar im Nationalen Integrationsplan!)


Es wäre schön, wenn wir im Verteidigungsausschuss
eine Erläuterung bekommen würden.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erklärt Ihnen Frau Böhmer!)


Dann halten wir ein soziologisches Seminar ab und kom-
men zu dem Ergebnis: Die Bundesrepublik Deutschland
setzt sich aus diesen und jenen Gruppen zusammen, und
von jeder Gruppe muss mindestens ein Repräsentant in
der Bundeswehr sein.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja nicht schlecht!)


Wie das gehen soll, weiß ich nicht so genau. Trotzdem
haben wir im Verteidigungsausschuss die Chance, einen
gemeinsamen Antrag zu entwickeln.

Dass die FDP – wir haben es gerade gehört – in ihrem
Antrag die Ausarbeitung eines besonderen Personalent-
wicklungskonzeptes fordert und das mit weiteren Forde-
rungen in Ziffer 6 unterlegt, ist bis auf die Frage, ob es
ein eigenständiges Besoldungsrecht für die Soldaten ge-
ben soll, mit all den Dingen, die auch in unserem Antrag
enthalten sind und mit denen wir uns im Unterausschuss
beschäftigt haben, ziemlich deckungsgleich, sodass die
Frage, ob es zu einem gemeinsamen Antrag kommen
wird, sehr positiv zu beurteilen ist. Denn wenn wir das in
der Art und Weise, wie wir im Unterausschuss zusam-
mengearbeitet haben, im Verteidigungsausschuss weiter-
entwickeln, sehe ich dafür eine gute Chance.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614813600

Das Wort hat nun Paul Schäfer, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614813700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ab-

sicht der antragstellenden Fraktionen, die Ergebnisse des
Unterausschusses hier einzubringen, sie öffentlich zu
machen, über sie zu diskutieren und mit den Weihen des
Hohen Hauses zu versehen, ist löblich. Nur, wäre es
nicht besser gewesen, diese gemeinsamen Positionen mit
einem fraktionsübergreifenden Antrag einzubringen? Ich
finde, das wäre ein starkes Signal gewesen. Das hätte
Symbolkraft gehabt, weil man dadurch deutlich gemacht
hätte, dass man die zentrale Bedeutung der Inneren Füh-
rung für die Verfasstheit der Bundeswehr anerkennt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber vielleicht sind ja noch nicht alle Messen gesungen.

Jetzt liegen uns drei verschiedene Anträge mit frag-
würdiger Substanz vor. Warum bin ich dieser Meinung?
Zu viele Allgemeinplätze: Innere Führung als ethisches
Fundament, politische Bildung ist notwendig, interkultu-
relle Kompetenz. Die Anträge enthalten Vorschläge, die
nach meiner Ansicht mit der Inneren Führung nur sehr
entfernt zu tun haben: Vereinbarkeit von Familie und
Dienst, Teilzeitarbeit und Nachwuchswerbung. Die FDP
will sogar ein spezielles Besoldungsrecht schaffen. An
anderen Stellen habe ich den Eindruck, dass man das
Konzept der Inneren Führung als Instrument missver-
steht, um Soldaten für den Dienst – sprich: für die Aus-
landseinsätze – besser und effektiver zu konditionieren
und zu optimieren, zum Beispiel, indem man sagt, man
müsse den Auftrag besser vermitteln.

Ich glaube, mit diesen Anträgen kommen wir nicht
wirklich weiter. Ich möchte einen bedeutungsschwange-
ren Satz aus dem Antrag der Grünen zitieren: Die Regie-
rung muss dafür sorgen, „dass Struktur und Umfang der
Bundeswehr an den Erfordernissen der neuen Aufgaben
ausgerichtet“ werden. Das wird den Minister aber sehr
beeindrucken.


(Zuruf des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass Auslandseinsätze umstandslos mit Friedenseinsät-
zen gleichgesetzt werden, lieber Herr Kollege Nachtwei,
zeugt nicht gerade von Kritikfähigkeit. Aber das sei nur
am Rande bemerkt; ich komme gleich darauf zurück.

Ich finde, wir müssen das Ganze stärker auf den Kern
bringen. Der Kern ist: Streitkräfte in der Demokratie.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Deswegen sind meine Vorschläge:






(A) (C)



(B) (D)


Paul Schäfer (Köln)

Erstens. Es wäre besser, sehr bald über den neuen Jah-
resbericht des Wehrbeauftragten zu diskutieren, der auf
zwei Seiten eine sehr genaue Beschreibung der Defizite
der Inneren Führung enthält.

Zweitens sollten wir den Abschlussbericht in seiner
gesamten Substanz wahrnehmen und uns an die Empfeh-
lung dieses Berichts und die Einzelvoten der Fraktionen
halten: Wir sollten nach einiger Zeit überprüfen, was aus
diesen Vorschlägen geworden ist. Es ist nämlich wirk-
lich verdienstvolle Arbeit geleistet worden. Das sollten
wir mitnehmen und nicht das, was Sie hier als Konden-
sat präsentieren; denn das ist nicht einmal eine Fünf-
Minuten-Terrine.

Drittens. Ich finde den Hinweis auf die zentralen
Dienstvorschriften „Innere Führung“ und „Politische
Bildung“ wichtig; denn sie sind mir, wenn ich das als
Linker sagen darf, zehnmal wichtiger als die Anträge,
die uns vorliegen. Sie sind nämlich sehr viel umfassen-
der und konkreter. Das Parlament muss überprüfen, wie
diese Vorschriften in der Praxis umgesetzt werden.

Noch einmal zum Kern der Sache: Innere Führung ist
das notwendige Gegengift gegen die Gefahr, dass die
hochorganisierte Vereinigung von Gewaltexperten, von
Soldaten, für ungesetzliche bzw. schändliche Zwecke
missbraucht wird. Das ist die Lehre aus der Geschichte
der deutschen Wehrmacht. Traditionelle und notwendige
militärische Prinzipien wie „Befehl und Gehorsam“ wer-
den so unter das Primat der Menschenwürde und die
Völkerrechtsnormen gestellt. Das ist der Kern.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nicht die Linke erfunden!)


Wie es darum in den Streitkräften bestellt ist, wird an
bestimmten Auseinandersetzungen deutlich. Dürfen Sol-
daten zum Beispiel Befehle verweigern, wenn sie be-
stimmte Einsätze für völkerrechts- und grundgesetzwid-
rig halten?


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie es auch sind!)


Das ist der Punkt. Es gab den Fall „Major Pfaff“, der
sich gegen eine Verstrickung deutscher Soldaten in den
Angriffskrieg gegen den Irak gewandt hat. Das Bundes-
verwaltungsgericht hat sich sehr bemerkenswert dazu
eingelassen, was ein Staatsbürger in Uniform in einer
solchen Situation machen darf und auch machen sollte.
Es war interessant, zu sehen, dass die Bundeswehr die-
sen Fall eher als lästigen Störfall betrachtet hat und ver-
sucht hat, ihn klammheimlich zu entsorgen, statt das
Problem in die politische Bildung einzubeziehen. Das
wäre mutig und konsequent gewesen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Untersuchungsausschuss haben wir es jetzt mit
dem Kommando Spezialkräfte zu tun. Mit diesem
Thema werden wir uns sicherlich auch noch im Plenum
befassen. Auch dabei geht es um eine ähnliche Frage:
Dürfen deutsche Soldaten Gefangene bewachen, die
nicht einem Richter gegenübergestellt, sondern nach Gu-
antánamo verschleppt werden? Es geht also um das
Thema, ob man die Erfordernisse eines militärischen
Bündnisses über Erwägungen zur Rechtswahrung stellen
kann. Wir werden es auch mit dem Fall Coesfeld zu tun
haben, bei dem es ebenfalls um Grenzüberschreitungen
geht. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen müs-
sen, ob es auch bei Führungskräften der Truppe ein aus-
reichendes Unrechtsbewusstsein gibt. Das zeigt sich
nämlich bei der Frage, wie man mit solchen Fällen um-
geht.

Ich finde, an diesen kritischen Punkten wird es ernst. Da
geht es darum, wie es um die Innere Führung bestellt ist.
Hier sind vor allem wir als Parlament gefragt und müs-
sen wachsam und aktiv bleiben. Das sollten wir nach
Möglichkeit gemeinsam tun.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für
Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614813800

Das Wort hat nun Winfried Nachtwei, Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614813900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

November letzten Jahres wurde der Abschlussbericht
des Unterausschusses „Weiterentwicklung der Inneren
Führung“ im Verteidigungsausschuss vorgelegt. Dieser
Bericht ist eine wahre Fundgrube an Informationen und
Anregungen. Dem Vorsitzenden Karl Lamers ist für die
gute Leitung dieses Unterausschusses ausdrücklich zu
danken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Umso bedauerlicher ist allerdings, dass dieser Bericht
bisher nicht das Licht der Öffentlichkeit erreicht hat. Das
ist deshalb schade, weil sich die Öffentlichkeit im
Grunde erst dann für Innere Führung interessiert, wenn
ein Mängelbericht vorgelegt wird, das heißt, wenn gegen
Grundregeln der Inneren Führung verstoßen wird. Man
sollte den Bericht bitte schleunigst als Drucksache öf-
fentlich machen. Der Bericht liegt nicht einmal im Inter-
net vor. Das ist ein Hohn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])


Innere Führung ist nicht weniger als der Versuch, ele-
mentare Lehren aus der Terrorgeschichte der Wehrmacht
zu ziehen, als deutsche Soldaten im Rahmen eines gi-
gantischen Menschheitsverbrechens mit höchstem Ein-
satz funktionierten. Innere Führung ist schlichtweg der
Versuch, dieses zweifache Nein in die Kultur der neuen
deutschen Streitkräfte umzusetzen. Dies bedeutet eine
klare Bindung an den Friedensauftrag des Grundgeset-
zes, an die Menschwürde und an die Menschenrechte.

Die große und einhellige Zustimmung, die wir heut-
zutage im Bundestag zur Inneren Führung haben, ist
ausgesprochen erfreulich. Das war längst nicht immer






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Nachtwei
so. Ausdrücklich bewährt hat sich die Innere Führung ja
auch bei Stabilisierungseinsätzen, wo es – das haben wir
in den letzten Jahren gelernt – entscheidend auf die Legi-
timität, die Glaubwürdigkeit und die Vertrauenswürdig-
keit der eingesetzten Soldaten ankommt. Aber wo so viel
Konsens besteht, ist das Risiko von gemeinsamen abge-
hobenen Sonntagsreden sehr nah. Das müssen wir zu-
gleich feststellen.

Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt jedes Jahr:
Innere Führung ist in keiner Weise ein Selbstläufer. Es
geht um die gesellschaftliche Integration von Streitkräf-
ten, heutzutage unter den Bedingungen, dass sich die Er-
fahrungswelten von vielen Soldaten, ihren Angehörigen
und der normalen Zivilgesellschaft immer weiter ausein-
anderentwickeln. Es geht um ein extrem breites Anfor-
derungsprofil an Soldaten im Einsatz, auch jüngere Sol-
daten, die verhandeln können müssen, die interkulturelle
Kompetenz haben müssen, aber gegebenenfalls auch
sehr schnell kämpfen können müssen. Es geht um eine
Auftragstaktik und um eigenständiges Handeln, wo man
bei Fehlverhalten schnell an den medialen Pranger ge-
stellt wird. Bei so viel Gegenwind kann Innere Führung
nur realisiert werden, wenn sie wirklich aktiv betrieben
wird.

Innere Führung ist keine Privatangelegenheit der
Bundeswehr und der Soldaten und der Soldatinnen. In-
nere Führung verlangt Handeln aus Einsicht. Soldati-
sches Handeln soll sich im Rahmen des Völkerrechts
und der Menschenrechte bewegen. Aber – das müssen
wir ganz deutlich sagen – hier ist auch die Politik in der
Bringschuld. Aufträge müssen völkerrechtlich einwand-
frei und durch den Friedensauftrag des Grundgesetzes
gedeckt sein. Sie müssen aussichtsreich, verantwortbar
und überzeugend sein. Die Einsatzregeln müssen klar
sein.

Dabei geht es um die Fragen – jetzt greife ich die Hin-
weise meines Vorredners auf –: Wie ist es mit der Über-
gabe von Gefangenen, wenn ihre rechtmäßige Behand-
lung nicht gewährleistet ist? Wie ist die Situation, wenn
man im Rahmen bzw. im Umfeld des sogenannten „war
against terrorism“ agiert? Hier, so meine ich, hat die
Bundesregierung ihre Hausaufgaben im Hinblick auf die
Innere Führung noch keineswegs erledigt. Als Stichwort
nenne ich nur die weitere Teilnahme an der Operation
Enduring Freedom.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten
wurde erneut thematisiert, dass es in der Bundeswehr er-
hebliche Führungsmängel gibt; das war übrigens auch
schon im letzten Jahr der Fall. Bei der Kommandeur-
tagung am kommenden Montag soll das Thema Füh-
rungskultur im Mittelpunkt stehen. Wenn die Bundes-
kanzlerin und der Bundesverteidigungsminister dort
sprechen, dann sollten sie das Problem der Führungskul-
tur nicht nur als ein Problem der Uniformträger behan-
deln.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614814000

Das Wort hat nun Anita Schäfer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1614814100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! In über 50 Jahren hat sich das Konzept der Inneren
Führung in der Bundeswehr bewährt. Der Soldat als
mündiger Bürger in der demokratischen Gesellschaft
bleibt für die Streitkräfte das bestimmende Leitbild. Die-
ses Bild muss aber immer wieder an aktuelle gesell-
schaftliche Entwicklungen angepasst werden. Im Antrag
der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Konzept der In-
neren Führung stärken und weiterentwickeln“ wird da-
rauf hingewiesen, dass mittlerweile neue Aspekte an Be-
deutung gewonnen haben. Ich möchte auf zwei dieser
Aspekte näher eingehen, nämlich auf die Integration von
Frauen in die Bundeswehr und auf die Vereinbarkeit von
Familie und Dienst.

Mittlerweile sind mehr als 7 Prozent der Zeit- und Be-
rufssoldaten weiblichen Geschlechts, im Sanitätsdienst
sogar über 36 Prozent. Sie tragen zur Auftragserfüllung
der Bundeswehr genauso wie ihre männlichen Kamera-
den bei. Die Frauen selbst wollen keine Sonderrolle,
sondern eine konsequente Gleichbehandlung. Wenn die
Frauen, die sich heute bei der Bundeswehr bewerben
und angenommen werden, das Beförderungssystem erst
einmal durchlaufen haben, wird jeder sechste Zeit- oder
Berufssoldat weiblich sein. Dafür muss allerdings ge-
währleistet sein, dass die Bundeswehr für Frauen attrak-
tiv bleibt.

Dazu gehört, dass sie in der Truppe genauso aner-
kannt und behandelt werden wie ihre männlichen Kame-
raden; auch das ist eine Aufgabe der Inneren Führung.
Dazu gehört aber auch die Vereinbarkeit von Familie
und Dienst. Dies wiederum betrifft nicht nur die Solda-
tinnen, sondern auch die Soldaten.

Meine Damen und Herren, in unserem Antrag fordern
wir, zeitgemäße Konzepte zu entwickeln, damit sich sol-
datischer Dienst und Familie nicht gegenseitig ausschlie-
ßen. Die Bundeswehr kann es sich nicht leisten, in dieser
Hinsicht hinter den Angeboten anderer Arbeitgeber zu-
rückzubleiben, wenn sie auch künftig qualifizierte und
einsatzbereite Männer und Frauen gewinnen will. Dabei
sind wir uns vollkommen bewusst, dass der Soldatenbe-
ruf kein Job wie jeder andere ist.

Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Gerade
Auslandseinsätze erfordern immer eine längere Tren-
nung der Soldaten von ihren Familien. Aber bei Routine-
aufgaben am Heimatstandort gibt es die Möglichkeit zur
Anwendung von Modellen, die in anderen Bereichen er-
probt wurden und sich bewährt haben, zum Beispiel
Teilzeit, Gleitzeit, Elternzeit und Telearbeit. Diese Maß-
nahmen sind bereits im Soldatinnen- und Soldaten-
gleichstellungsgesetz geregelt.

Dadurch werden den Disziplinarvorgesetzten und der
Personalführung die notwendigen Instrumente an die
Hand gegeben, um den Dienst mit Rücksicht auf die fa-
miliären Belange der Soldatinnen und Soldaten zu ge-






(A) (C)



(B) (D)


Anita Schäfer (Saalstadt)

stalten. Allerdings darf die Inanspruchnahme von Eltern-
zeit nicht dazu führen, dass die Kameraden zum Beispiel
zusätzliche Arbeiten übernehmen müssen und dadurch
selbst Probleme im Hinblick auf die Vereinbarkeit von
Dienst und Familie bekommen. Ein zeitgemäßes Kon-
zept muss an dieser Stelle Personalersatz vorsehen. Der
Vorgesetzte ist konkret gefordert, die verfügbaren Mittel
im Einzelfall umzusetzen, mit dem Wissen um die Situa-
tion der Menschen unter seinem Kommando und vor al-
lem mit Einfallsreichtum – das waren schon immer Mar-
kenzeichen der Inneren Führung.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert zudem die
Frage der Kinderbetreuung. Mittlerweile gibt es Fami-
lien, in denen beide Elternteile in der Bundeswehr die-
nen, und es gibt alleinerziehende Soldatinnen und Solda-
ten. Die Schwierigkeiten für diese Familien liegen auf
der Hand. Einige Bundeswehreinrichtungen haben be-
reits in Eigeninitiative Möglichkeiten zur Kinderbetreu-
ung realisiert. Hier müssen wir zu einem flächendecken-
den Angebot kommen. Die Kindertagesstätte in der
Kaserne oder am Standort darf kein Wunschtraum blei-
ben.

In der neuen Zentralen Dienstvorschrift Innere Füh-
rung wird auf die Angebote der Familienbetreuung hin-
gewiesen. Wo die Erfordernisse des Dienstes der Rück-
sicht auf familiäre Belange Grenzen setzen, besonders
im Einsatz, kann sie Unterstützung bei der Bewältigung
von Problemen bieten.

Ich verweise in diesem Zusammenhang mit großer
Dankbarkeit auf die Arbeit der Familienbetreuungszen-
tren der Bundeswehr. Daneben gibt es eine zunehmende
Zahl privater und ehrenamtlicher Initiativen, die den Fa-
milien der Soldaten – im Einsatz, im Alltag, ohne den
Vater, ohne die Mutter – helfen. Oft haben sich die be-
troffenen Familien selbst organisiert. Diese beiden An-
sätze stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sie bilden
eine sinnvolle Ergänzung füreinander. Wir fordern daher
in unserem Antrag, die Arbeit der Betreuungszentren
und der ehrenamtlichen Projekte stärker zu vernetzen,
um Synergieeffekte zu nutzen. Ressourcen intelligent zu
nutzen und gesellschaftliche Entwicklungen einzubezie-
hen, auch das ist Teil der Inneren Führung.

Die Innere Führung ist ein lebendiges Konzept. Sie
muss sich immer wieder an gesellschaftliche Verände-
rungen anpassen. Dazu gehört, dass sie in verständlicher
Form und Sprache vermittelt wird. Das beginnt bei der
Zentralen Dienstvorschrift und endet bei den Erläuterun-
gen des Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen.
Nur so kann die Innere Führung die akzeptierte Richt-
schnur für unsere Soldaten bleiben. Nur so können wir
sicher sein, dass die Innere Führung auch in Zukunft die
Grundlage für ethisches und verantwortungsbewusstes
Handeln sowohl innerhalb der Truppe als auch im Ein-
satz bildet.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614814200

Das Wort hat nun Petra Heß für die SPD-Fraktion.


Petra Heß (SPD):
Rede ID: ID1614814300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Öffnung der Streit-
kräfte und das Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstel-
lung von Soldatinnen und Soldaten sind, so titelte un-
längst die Bundeswehrzeitschrift aktuell, ein Gewinn für
die Truppe.

Das stimmt. Trotz mancher Vorbehalte und nach an-
fänglicher Verunsicherung über die neue Situation hat
die Integration der Frauen in den Streitkräften rasch gute
Fortschritte gemacht. Die Zahlen sprechen für sich: Ak-
tuell dienen 13 000 Soldatinnen in den Streitkräften, da-
von 8 000 als Unteroffizier und 1 300 als Offizier. Der
Anteil der Frauen liegt bei den Berufs- und Zeitsoldaten
mittlerweile bei knapp 7 Prozent, Tendenz weiter stei-
gend. Von der Zielgröße, die wir uns gesetzt haben, sind
wir allerdings noch weit entfernt.

Kommen wir also zu der Frage, wie sich die Öffnung
der Laufbahnen für Frauen auf die Innere Führung und
auf die damit im Zusammenhang stehenden Themen
ausgewirkt hat und was wir noch verbessern können, um
den Soldatenberuf für Frauen noch attraktiver zu ma-
chen. Ein wesentlicher Aspekt der Inneren Führung ist
und bleibt die Vorbildfunktion. Der Vorgesetzte muss
durch sein Vorbild wirken. Denn wie schon Dostojewski
sagte:

Bevor ihr den Menschen predigt, wie sie sein sol-
len, zeigt es ihnen an euch selbst.

Was aber, wenn eine Frau als Vorgesetzte von ihren
Soldaten eine bestimmte körperliche Leistungsfähigkeit
fordert, zu der sie aufgrund ihres Körperbaus selbst nicht
in der Lage ist? Gibt es hier womöglich Akzeptanzpro-
bleme? Ich glaube, das ist ein eher theoretischer Fall.
Die vom Unterausschuss eingeladenen Soldatinnen ha-
ben durchweg bestätigt, dass die Integration gelungen
ist; dass sie von den Kameraden gut aufgenommen wor-
den sind; dass die Zusammenarbeit mit den Kameraden
gut ist; dass der Umgang mit Vorgesetzten und Unterge-
benen unproblematisch ist.

Die Frauen selber – das hat bereits der frühere Wehr-
beauftragte Dr. Penner festgestellt – wünschen, in erster
Linie als Soldat gesehen zu werden, lehnen jegliche Son-
derrolle ab, fordern eine konsequente Gleichbehandlung
und empfehlen grundsätzlich einen offenen und ehrli-
chen Umgang mit Problemen. Die Soldatinnen wider-
sprechen damit entschieden dem landläufigen Klischee,
gleichberechtigt zu sein, aber nicht die gleichen Pflich-
ten zu haben. Mit ihrem Anspruch liegen unsere Frauen
in Uniform auch richtig. Denn nur auf der Basis der glei-
chen Verpflichtungen ist auch eine Gleichstellung mög-
lich.

Allein im Bereich ihrer persönlichen Ausrüstung gibt
es weiterhin kleinere Mängel. Problematisch erscheint
dabei für manche Frauen die Bekleidungssituation. Be-
sonders kleine Frauen finden häufig immer noch keine
passende Arbeits- und vor allem Schutzkleidung. Die
vorhandenen Splitterschutzwesten sind, was Größe und






(A) (C)



(B) (D)


Petra Heß
Gewicht angeht, für viele Frauen ungeeignet. Insofern
müssen nachhaltige Lösungen gefunden werden, damit
die Kleidung nicht zu einem Einsatzhemmnis für Frauen
wird.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Bundeswehr
die Integration von Frauen rasch und sehr gut bewältigt
hat. Auch in unseren Reihen sitzen einige Reserveoffi-
zierinnen. Die Frauen selbst haben wesentlich zu ihrer
Integration beigetragen. Viele befürchten, dass es in Zu-
kunft zu Akzeptanzproblemen kommen könnte, wenn
Frauen als Konkurrentinnen um Aufstiegs- bzw. Füh-
rungspositionen wahrgenommen werden.

Diesen Scheinproblemen sehe ich persönlich aber ge-
lassen entgegen. Denn auch hier – davon bin ich über-
zeugt – werden die Frauen ihren Mann stehen. Schon
heute – nur sechs Jahre nach der Öffnung der Streitkräfte
für Frauen – gehören sie ganz selbstverständlich zum
Bild der Bundeswehr und sind ein Gewinn für die
Truppe.

Wie stellt sich die Betreuung der Soldatinnen und
Soldaten dar, und wie sieht es mit der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf aus? Schwierig – wie auch im zivilen
Leben – ist die Situation, wenn ein Elternteil alleinerzie-
hend ist. Regelungen wie im zivilen Berufsleben stehen
hier noch aus. Häufig bieten auch die Kommunen keine
bedarfsgerechte Kinderbetreuung für Kinder von Solda-
tinnen und Soldaten an. In einem solchen Fall muss die
Bundeswehr verstärkt mit eigenen Einrichtungen in die
Bresche springen, um wenigstens an den großen Stand-
orten eine bedarfsgerechte Betreuung anbieten zu kön-
nen. Bestehende Kindertagesstätten der Bundeswehr wie
die der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
haben sich bestens bewährt.

Ein weiteres Problem stellen die zahlreichen zum Teil
kurzfristigen Versetzungen der Soldatinnen und Soldaten
dar. Familien werden aus ihrem gewohnten Umfeld ge-
rissen. Die Kinder leiden unter dem häufigen Schul-
wechsel und dem Verlust der Freunde. Dem Ehepartner
droht der Verlust der Arbeitsstelle. Aber die Zeiten, in
denen die Soldatenfrauen in der Regel zu Hause blieben,
sind vorbei. Die Bundeswehr muss die Zeichen der Zeit
erkennen.

Die zunehmend selbstverständliche volle Berufstätig-
keit von Frauen, aber auch der zunehmende Wunsch vie-
ler Männer nach einer aktiven Vaterschaft müssen zu-
künftig bei der Personalgewinnung berücksichtigt
werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wan-
dels wird es nämlich schon sehr bald zu einem verschärf-
ten Wettbewerb mit der freien Wirtschaft um die besten
Köpfe – ich betone: beider Geschlechter – kommen. Da-
bei werden künftig Faktoren wie bessere Kinderbetreu-
ung, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Fami-
lie und Beruf unter Umständen den Ausschlag geben. In
diesem Zusammenhang gilt es, mit der Zentralen Dienst-
vorschrift erste anspruchsvolle neue Ansätze zu finden.
Das hat die Bundeswehr bereits getan.

Was unternimmt die Bundeswehr, um die Vereinbar-
keit von Dienst und Familie zu verbessern? Sie unter-
stützt in den sogenannten Familienbetreuungszentren die
Familien bei Auslandseinsätzen. Sie steht aber auch den
Soldatinnen und Soldaten im Grundbetrieb zur Seite.
Die Betreuungszentren sollen dabei ein Netzwerk der
Hilfe darstellen.

Besonders die Feststellung, dass letztlich die Einsatz-
aufträge und die Fähigkeit zur Auftragserfüllung Priori-
tät haben, ist im Zusammenhang mit der Bundeswehr
ebenso selbstverständlich wie irreführend. Keiner be-
zweifelt mehr, dass Väter und Mütter ihren Dienst ge-
nauso erfüllen müssen und dies auch wollen wie die
Männer und Frauen ohne Familie. Aber der Verweis auf
die Auftragspriorität darf nicht zu einer Ausrede ver-
kommen. Auch unbequeme Verbesserungsvorschläge
dürfen nicht mit dem Hinweis auf die Anforderung des
Dienstes im Keim erstickt werden. Es gilt vielmehr, die
Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und
Beruf unter umgekehrten Vorzeichen und ohne Ansetzen
der Kostenschere zu betrachten. Denn wie schon der
Schweizer Theologe Alexandre Vinet formuliert hat:
„Das Schicksal des Staates hängt vom Zustand der Fami-
lie ab.“

Abschließend sei auch mir gestattet, noch einmal al-
len ganz herzlich Dank zu sagen, die im Unterausschuss
mitgearbeitet haben, auch den Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern und den Vertretern des Ministeriums. Die
Arbeit im Unterausschuss war stets kollegial und kon-
struktiv. Sie war einfach gut. Deshalb bin ich auch opti-
mistisch, dass wir einen guten Antrag gemeinsam hinbe-
kommen. Nochmals vielen Dank an alle.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614814400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/8378, 16/8370 und 16/8376 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Aktionsplan Ernährung vorlegen

– Drucksache 16/8193 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Verbraucherfreundliche Lebensmittelkenn-
zeichnung einführen

– Drucksachen 16/6788, 16/7726 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Volker Blumentritt
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Nicole Maisch

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Ulrike Höfken, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614814500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es geht jetzt um die Ampelkennzeichnung bei
Lebensmitteln. Sie sehen hier beispielsweise die Kenn-
zeichnung für eine Pizza nach dem britischen Ampelsys-
tem. Hier sehen Sie eine Kennzeichnung auf den Pom-
mes frites. Es sieht keinesfalls so aus, dass man sagen
müsste: Dies ist des Teufels. Vielmehr handelt es sich
um ein System, für das wir jetzt einmal ordentlich Wer-
bung machen wollen.

Es geht hierbei allerdings nicht – das muss man sagen –
um einen Schönheitswettbewerb, weder was die Men-
schen noch was die Verpackungen angeht; vielmehr geht
es beim Thema Ernährung um Leben oder Tod. Diabe-
tes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Darm-
krebs, Arthrose, Sterilität, Fehlgeburten – Adipositas
verkürzt das Leben und führt zu vorzeitigem Tod. So
sagt der Präsident der Deutschen Adipositas-Gesell-
schaft.

Niemand darf die 37 Millionen übergewichtigen Er-
wachsenen oder die 2 Millionen übergewichtigen Kinder
und Jugendlichen stigmatisieren oder gar in ihrer Person
lächerlich machen. Aber 16 Millionen Menschen sind an
dieser schweren Form der Übergewichtigkeit, an der
Adipositas, schwer erkrankt. 70 Milliarden Euro pro Jahr
geben wir für die ernährungsbedingten Folgekosten der
Krankheiten aus, Tendenz steigend. Es geht also nicht
um ein Problem einzelner Menschen und auch nicht um
die Schuld einzelner Menschen. Vielmehr wird den Be-
troffenen das Leben im wahrsten Sinne des Wortes
schwer gemacht.

Angesichts einer solchen Epidemie, wie die Weltge-
sundheitsorganisation die dramatische Zunahme der
Schwergewichtigkeit definiert, ist heute die Notwendig-
keit politischen Handlungsbedarfs offenkundig. Die
Bundesregierung muss dringend – wie wir schon seit ei-
niger Zeit fordern – den angekündigten Aktionsplan Er-
nährung vorlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch politische Lösungen werden vom ehemaligen Ge-
sundheitsminister Seehofer mit aller Kraft verhindert,
und Ernährung wird zur Privatsache deklariert.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Frau Künast hat das Ruder herumgerissen! Das haben wir ja gesehen!)


Eine wichtige grüne Forderung ist die Einführung der
Ampel – ich habe sie gerade gezeigt – als verbindliches,
leicht verständliches, einfaches Lebensmittelkennzeich-
nungssystem, das natürlich keine Allheillösung für alle
Probleme der Welt ist, sondern in der jetzigen Situation
– das hat die Verzehrstudie gezeigt; die Leute wissen zu
wenig über Ernährung – für eine einfache Orientierung
sorgt.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Aktionismus! Alibipolitik!)


Man erhält nämlich einen besseren Überblick darüber,
wie viel Salz, Fett und Zucker im Einkaufskorb landen.

Aber der Bundesverband der Lebensmittelindustrie
scheut die Ampel wie der Teufel das Weihwasser.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Auch Ernährungswissenschaftler!)


Dabei ist sie in Großbritannien bereits erprobt und wird
von den Supermarktketten Sainsbury’s, Waitrose oder
Marks & Spencer erfolgreich eingesetzt.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Tesco hat es zurückgenommen!)


Erst ging es Minister Seehofer und der Wirtschaft da-
rum, generell die Kennzeichnung der Nährwerte zu ver-
hindern. Das duldet Gott sei Dank die EU nicht; Brüssel
ist da also treibende Kraft. Aber eine mächtige Allianz
von 21 Großkonzernen und Produzenten wie Kellogg’s,
Nestlé und Tesco boykottiert die Ampel und entwickelt
nun – auch mithilfe von Minister Seehofer und der
schwarz-roten Regierung – ihr Gegensystem. Dieses
vorgelegte Industriemodell hat seine Tücken. Es sieht
eine portionsbezogene Angabe des Anteils von Zucker,
Fett und Salz vor. Dadurch wird die Angabe sehr kom-
pliziert. Durch die Zugrundelegung von Miniportionen
und die Annahme eines zu hohen Tagesbedarfs wird der
reale Wert schlichtweg verniedlicht. Auch die Interpreta-
tion ist schwierig.

Heute hat die Hamburger Verbraucherzentrale – das
passt zu unserem Thema – eine Untersuchung zu diesem
Modell veröffentlicht. Das Ergebnis ist: Mit ihrem
Kennzeichnungsmodell schummelt die Wirtschaft die
Lebensmittel schlichtweg gesund.

Ein Beispiel: Wer im Supermarkt auf der Suche nach
einem gesunden Kinderfrühstück vor den überfüllten
Regalen steht, kommt an den Frühstücksflocken von
Kellogg’s nicht vorbei. In Großbritannien würde man
aufgrund des hohen Zuckergehalts dieser Produkte viele
rote Punkte auf der Packung finden. Allein der Zucker-
gehalt einer normalen Portion beträgt 11 Gramm; das ist
fast ein Drittel der maximalen Zuckerzufuhr, die von der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung für ein vier- bis
siebenjähriges Mädchen für akzeptabel gehalten wird.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Verbietet doch das Essen!)


Fazit: Das freiwillige Seehofer’sche System bzw. das
Industriesystem ist ein gezieltes Verwirrungssystem. Um






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
es beim Einkaufen entziffern zu können, braucht man
eine Lupe, ein Ernährungslexikon und einen Taschen-
rechner.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es hilft den bildungsfernen und etwas sozialschwäche-
ren Schichten bestimmt nicht, sich besser zurechtzufin-
den und beim Einkauf auf eine sinnvolle Ernährung zu
achten.


(Kurt Segner [CDU/CSU]: Sie wollen eine Verbotsrepublik! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Alles, was gut ist, wollen Sie verbieten!)


Wir geben dem britischen Gesundheitsminister recht,
der zu seinem Kennzeichnungssystem gesagt hat: Ge-
genwärtig basiert das von uns bevorzugte, von der briti-
schen Lebensmittelbehörde entwickelte Modell auf dem
Ampelsystem, das die Verbraucher laut unabhängigen
Forschungsergebnissen leicht verständlich finden und
das dazu beiträgt, Verhaltensänderungen zu bewirken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dem wollen wir uns anschließen. Wir verlangen von
der Bundesregierung – wir nehmen da insbesondere die
Kollegen von der SPD in die Pflicht, die öffentlich ge-
sagt haben, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen
möchten –, dafür zu sorgen, dass das Ampelsystem ein-
geführt wird.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Was bringt die Ampel?)


Wenn Sie nichts tun und die Leute im Werbedschungel,
der mit Milliardenbeträgen gefördert wird, allein lassen,
ist das – ich zitiere den Geschäftsführer einer großen
Adipositasklinik – „Körperverletzung“.

Minister Seehofer sagt, die Ampelkennzeichnung sei
ein schlechter Ernährungsberater; die Ampelfarben wür-
den dem Verbraucher die eigene Einschätzung nehmen.
Dazu sagen wir: Seehofer verweigert mit der Einführung
des von ihm vorgesehenen Systems den Menschen die
Orientierung und die Möglichkeit, mündig zu werden,
sich in Wahlfreiheit zu entscheiden und entscheidungs-
kompetent zu werden. Das wollen wir nicht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614814600

Frau Kollegin, Ihre Ampel steht auf Rot;


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ihre Redezeit ist zu Ende.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614814700

Deswegen fordern wir die unverzügliche Einführung

des Ampelsystems und den Start eines Bundespro-
gramms, das mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit
eingeführt wird. Wir fordern auch, Werbung für Kinder-
lebensmittel und den Verkauf von Süßigkeiten an Schu-
len zu verbieten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614814800

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär

Gerd Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr
Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1614814900


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Keine Angst: Auch in Zukunft können Sie essen
und trinken, was Sie wollen; Sie entscheiden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn es nach der Kollegin von den Grünen geht – das
wollen wir auf keinen Fall –, käme es zu weiteren Verbo-
ten. Ja, wo kämen wir da hin? Ich glaube, dass die
Eigenverantwortung im Vordergrund stehen sollte.

Was geht es den Staat eigentlich an, was ich esse und
trinke?


(Kurt Segner [CDU/CSU]: Genau!)


Diese Frage kann man bewusst stellen. Viele antworten
darauf: Mein Körper gehört mir; ich persönlich ent-
scheide.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Zuruf von der SPD: Das ist ein alter Spruch!)


Lieber Kollege Bleser und all die anderen Kollegen, die
jetzt Beifall geklatscht haben, es wird selbstverständlich
dabei bleiben.

Wir haben aber ein großes Problem: 66 Prozent der
Männer und 51 Prozent der Frauen sind übergewichtig.
Wenn ich mir die Kolleginnen und Kollegen anschaue,
komme ich zu dem Ergebnis, dass der Anteil der überge-
wichtigen Kollegen eher über dem Durchschnitt liegt.
Ich würde sagen, gefühlte 80 Prozent der Kollegen sind
übergewichtig.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Widerspruch des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Das hängt damit zusammen, Herr Goldmann, dass
viele der Kollegen Schwergewichte sind – politisch und
körperlich.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Aber Spaß beiseite. Ich war heute Morgen bei Mise-
reor. Der eine Teil der Welt – das sind 800 Millionen
Menschen – hungert. Der andere Teil der Welt – das sind
die westlichen Wohlstandsstaaten mit 1 Milliarde Men-
schen – hat ein Problem mit dem Übergewicht. In
Deutschland ist das auch ein wichtiges Thema.

Was geht das aber den Staat an? Natürlich hat Über-
gewicht Auswirkungen auf die Gesundheit des Einzel-
nen, und es hat gesellschaftliche Folgen.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
Wir gehen davon aus, dass 30 Prozent der Gesundheits-
kosten Folgekosten von ernährungsbedingten Krankhei-
ten sind; das summiert sich immerhin auf 80 Milliarden
Euro im Jahr. Deshalb sind wir sehr besorgt und küm-
mern uns um dieses Thema.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann aber richtig!)


Nicht eingeschlossen – das würde eine eigene Debatte
rechtfertigen – ist der Bereich der Alkoholsucht.

Gesunde Ernährung und Bewegung sind der Schlüs-
sel zu Lebensqualität, Gesundheit und Fitness; beides
gehört dazu. Deshalb hat Bundesminister Seehofer Eck-
punkte für den Nationalen Aktionsplan Ernährung vor-
gelegt. Wir haben bereits erste Einzelaktionen dazu vor-
gestellt. Das Gesundheitsministerium arbeitet mit den
Ländern und den Kommunen zusammen. Wir laden alle,
die sich des Themas der Ernährung annehmen wollen,
ein, in den nächsten Wochen und Monaten ihre Gedan-
ken dazu einzubringen. Ernährung ist das wichtigste
Thema, wenn es um das Leben und die Gesundheit jedes
Einzelnen geht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt mit der Ampel?)


Durchschnittlich nimmt jeder Mensch in seinem Le-
ben 80 000 bis 100 000 Mahlzeiten ein. Das ist jedes
Mal eine bewusste Entscheidung darüber, was man isst
und was nicht.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre schön!)


Häufig wäre ein einfaches Nein die richtige Antwort.
Diese 100 000 Mahlzeiten beruhen auf 100 000 indivi-
duellen Entscheidungen,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist reine Verweigerungshaltung, was Sie da machen!)


und diese Entscheidungen sind heutzutage nicht einfach.
Bei einem Angebot von rund 250 000 Artikeln im Le-
bensmittelgeschäft entscheidet der Einzelne, wo er zu-
greift, wo er nein sagt, und mit Produkten welcher Güte
und Menge er sich ernährt. Das sind bewusste Einzelent-
scheidungen. Deshalb stellen wir die Stärkung der
Ernährungsbildung ganz weit in den Vordergrund. Bei
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen fehlt es an
grundlegendem Ernährungswissen. Deshalb ist Ernäh-
rungsbildung der zentrale Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen den Menschen entsprechendes Wissen
vermitteln, weil das in den Familien heutzutage leider
nicht mehr geschieht.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht im Kleingedruckten!)


Deshalb sind wir der Meinung, dass wir mit den Bundes-
ländern über die Einführung eines Pflichtschulfaches
„Ernährungs- und Verbraucherbildung“ diskutieren müs-
sen. Ein fächerübergreifendes Prinzip allein genügt
nicht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!)


Wir werden außerdem einen neuen gesamtgesell-
schaftlichen Konsens, dass nämlich Esskultur Lebens-
sinn bedeutet, finden müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen eine neue Ethik im Hinblick auf das Essen
und auf die Lebensmittel. Wir müssen uns auch fragen,
wie wir zu den Bauern, den Produzenten der Nahrungs-
mittel, stehen. Wir brauchen mehr Wertschätzung gegen-
über hochwertigen Produkten, und wir müssen uns über-
legen, wie wir Lebensmittel überhaupt bewerten. In
Bezug auf all das brauchen wir gesamtgesellschaftlich
einen vollkommen neuen Ansatz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die richtige Wahl der Lebensmittel – das ist ein Kern-
punkt des Aktionsplanes, Frau Höfken –


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den gibt es doch noch gar nicht!)


hängt mit Ernährungswissen, aber natürlich auch ein
Stück weit – da haben Sie recht – mit besseren Produkt-
informationen zusammen. Schauen Sie sich aber die
Produkte genau an! Die allermeisten Kennzeichnungen
sind für den Verbraucher absolut nicht nachvollziehbar,
unverständlich. Deshalb haben wir einen Vorschlag erar-
beitet, der den Menschen einen Weg durch den Dschun-
gel von 250 000 angebotenen Produkten aufzeigt, wie
man sich besser informieren kann. Wir wollen eine ver-
besserte, verbraucherorientierte Kennzeichnung. – Frau
Kollegin Höfken, Sie halten einen Chip hoch. Aber wir
sind längst über das hinaus, was Sie nach dem Vorbild
Großbritannien bei uns einführen wollen. Die rot-gelb-
grüne Ampel in Großbritannien hat bei der Kennzeich-
nung von Lebensmitteln nicht funktioniert.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Deshalb haben wir ein Kennzeichnungssystem entwi-
ckelt, das meilenweit über Ihre veralteten Erfahrungen
hinausgeht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben zusammen mit der Nahrungsmittelindustrie
ein System – in der ersten Stufe auf der Basis der Frei-
willigkeit – entwickelt, das Auskunft gibt, wie viele Ka-
lorien, wie viel Zucker, wie viel Fett, wie viele gesättigte
Fettsäuren und wie viel Kochsalz der Verbraucher pro
Portion, bezogen auf den Tagesbedarf, mit einem be-
stimmten Produkt zu sich nimmt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Was ist eine Portion?)


Das sind konkrete Informationen, mit denen der Ver-
braucher etwas anfangen kann.

Zu Ihrer Überraschung werden wir – dazu haben wir
gestern eine Umfrage gestartet – eine Kennzeichnung
testen, in der Rot, Gelb und Grün eine Rolle spielen.






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller
Aber das ist etwas komplett anderes als die englische
Ampel. Wir geben dem Verbraucher konkrete Informa-
tionen zur täglichen Nahrungsmittelaufnahme, mit de-
nen er etwas anfangen kann und die ihm helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil mir wenig Zeit zur Verfügung steht, nur noch ein
paar Stichworte. Wir werden darüber hinaus die Ernäh-
rungsforschung verstärken. Bundesminister Seehofer hat
den großen und schwierigen Bereich der Allergiefor-
schung in den Mittelpunkt gestellt. Wir wollen und müs-
sen uns mit durch Lebensmittel ausgelösten Allergien
befassen. Wir haben bereits Qualitätsstandards für
Schulverpflegung, Betriebskantinen und öffentliche Ein-
richtungen entwickelt. Hier muss die öffentliche Hand
ein Stück weit Vorbild sein. Wir müssen des Weiteren
das Thema „Kinder und Schule“ aufgreifen. Jedes dritte
Kind geht heute ohne Frühstück in die Schule. Das muss
und kann nicht die Zukunft sein. Die Bundesländer sind
aufgefordert, dieses Problem zu lösen. Kinder brauchen
Frühstück und Mittagsverpflegung in der Schule.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben zudem viele Maßnahmen in der Plattform
Ernährung und Bewegung, peb, gebündelt. Hier arbeiten
Vertreter des Sports, Eltern und Wissenschaftler zusam-
men. Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in
die Praxis umzusetzen. 5 000 Schritte am Tag garantie-
ren ein Minimum an Bewegung. Lassen Sie uns das an-
packen! Mehr Bewegung und gesunde Ernährung brin-
gen uns auf dem Weg zu einem gesunden Leben weiter.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614815000

Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1614815100

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Ich sage vorweg: Ich bin eigentlich auf einem an-
deren Trip gewesen. Herr Müller, Sie wollten uns über-
raschen. Das ist Ihnen voll geglückt. Ich weiß überhaupt
nicht mehr, was Sie wollen. Nun wollen Sie auf einmal
doch eine Ampel; denn nichts anderes bedeuten Rot,
Gelb und Grün. Wenn Sie glauben, dass der Verbraucher
anhand dieser Farben die Informationen besser versteht,
dann sind Sie auf dem Holzweg. Sie waren an sich auf
einem ganz vernünftigen Weg. Ihr Minister wollte auf
Freiwilligkeit setzen – dafür bin auch ich – und hat an
die Betriebe appelliert: Bringt eure Produkte mit guten
Inhalten auf den Markt, wenn ihr das für richtig haltet
und ein entsprechendes Verbraucherverhalten auslösen
wollt. Aber das, was Sie jetzt machen, ist im Grunde ge-
nommen nichts anderes als das, was die „schlimmen“
Grünen wollen.


(Beifall bei der FDP)

Frau Höfken, Sie sind bei diesem Thema unbelehrbar.
Das habe ich oft genug im Ausschuss erlebt. Die Ampel
in England ist schon 2004 kläglich gescheitert. Sie mei-
nen trotzdem, dass das die Heilsbotschaft ist. Sie lesen
offenbar keine Fachberichte, die eindeutig belegen: Am-
pel, nein danke, das klappt nicht.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]:Das ist eine dreiste Verdrehung!)


– Nicht so laut, Herr Kelber, verausgaben Sie sich nicht!
Ich bringe noch andere Belege. Sie sollten nicht immer
so laut dazwischen schreien. Das ist ein bisschen unan-
genehm. – Jetzt will ich das an einem Beispiel deutlich
machen, das nicht von mir, sondern von der Verbrau-
cherzentrale kommt. Der glauben Sie doch ein Stück
weit. Es gibt zum Beispiel Chipsletten Paprika. Was
würden Sie vermuten, wie viel rote und wie viel grüne
Punkte die Chipsletten bekommen?


(Dirk Niebel [FDP]: Nur gelbe!)


Die bekommen einen roten Punkt, weil relativ viel Fett
darin ist, aber sie bekommen auch drei grüne Punkte.
Was macht nun der Verbraucher? Er schaut darauf und
fragt sich: Was ist denn das? Ist das rot oder grün? Drei-
mal grün, das scheint etwas Gutes zu sein. – Nehmen wir
zum Beispiel Pfirsichringe. Die sind in Ihren Augen et-
was ganz Schlimmes: Schaumzucker, Gummibonbons.
Da wird es noch schlimmer. Dafür gibt es drei grüne
Punkte und noch einen gelben Punkt. Das ist also auch
etwas ganz Tolles. Die Beispiele zeigen eindeutig: Die
Regelung mit den Punkten haut nicht hin. Das muss man
schlicht und ergreifend zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen, auch wenn es mühsam ist, den Verbrau-
cher im Rahmen des Möglichen informieren und ihn bil-
den. In dieser Beziehung bin ich mit Ihnen, Herr Müller,
völlig einer Meinung. Verbraucherbildung und Verbrau-
cherinformation sind sehr wichtig. Ich hätte mir aber
gewünscht, dass Sie dem Antrag, den die FDP im Aus-
schuss gestellt hat, nämlich mehr Geld für die Verbrau-
cherbildung auszugeben, zugestimmt hätten. Dass Sie
das nicht gemacht haben, ist ein bisschen widersprüch-
lich.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das stand nicht in Ihrem „Sparbuch“!)


– Herr Kelber, wenn Sie so laut schreien, dann können
Sie gar nicht zuhören. Dann sind Sie hinterher genauso
ungebildet wie vorher. Das ist ein Problem. Sie sollten in
diesem Fall die Politikerbildung nutzen und mir zuhö-
ren. Auch das ist ein Bestandteil der fachlichen Diskus-
sion.


(Beifall bei der FDP)


Nachher werden Sie, Herr Kelber, gefragt, wie Sie es
mit Olivenöl halten. Olivenöl erhält jede Menge rote
Punkte. Das kann doch wohl nicht sein. Sogar Herr Bode
sagt, dass es bei Olivenöl ein Problem gibt. Wie halten
Sie es denn mit Joghurtprodukten, die mit Sahne ange-
reichert sind? Die bekommen einen roten Punkt.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614815200

Kollege Goldmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Höfken?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1614815300

Die macht mir eine Freude.


(Dirk Niebel [FDP]: Die kriegt drei schwarze Punkte!)


– Sie bekommt jetzt erst einmal einen grünen Punkt,
weil sie eine Frage stellt.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wenn sie sich setzt, bekommt sie einen roten Punkt!)


– Ich hoffe, dass ich ihr einen roten verpassen kann.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614815400

Wie die Debatte zeigt, funktioniert die Vergabe der

Punkte ganz ausgezeichnet. Ihre Beispiele von Produk-
ten zeigen doch, dass es nicht um böse oder gute Lebens-
mittel geht – das ist immer Ihre Befürchtung –, sondern
darum, deutlich zu machen, was in einem Warenkorb an
unterschiedlichen Nährwerten enthalten ist. Ich frage
Sie, wo doch im Bereich des Umweltschutzes zum Bei-
spiel bei Lüftungssystemen und anderen Systemen die
Ampel gut funktioniert, warum Sie die Ampel bei Nah-
rungsmitteln ablehnen, obwohl Sie gerade gezeigt ha-
ben, dass sie funktioniert.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1614815500

Jetzt habe ich ein Problem. Entweder haben Sie mich

nicht verstanden, oder ich habe Sie nicht verstanden. Es
war doch eigentlich relativ simpel. Sie kennzeichnen ein
Produkt nicht mit Informationen, sondern mit Punkten,
die eine Signalwirkung haben. Es gibt ein Symbol in un-
serer Gesellschaft, das etwas ganz Furchtbares signali-
siert, nämlich die Farbe Rot. Die sehen Sie auf dem
Schild, das die Durchfahrt einer Einbahnstraße in einer
bestimmten Richtung verbietet. Ich habe anhand der
Beispiele deutlich gemacht, dass Sie auf ein und demsel-
ben Produkt einen roten Punkt, aber gleichzeitig auch
drei grüne Punkte haben. Der Verbraucher muss doch die
Inhaltsstoffe kennen und diese einer bestimmten Menge
zuordnen können. Sonst verhält er sich verkehrt. Oli-
venöl würde jede Menge rote Punkte bekommen. Das ist
aber verkehrt. Olivenöl in einer vernünftigen Dosierung
ist sehr gesund.

Deswegen ist Ihr Informationsweg falsch. Unser In-
formationsweg besagt, dass selbstverständlich eine
Kennzeichnung erforderlich ist, dass man dann aber
auch wirklich darauf schreibt, was drin ist, und es nicht
mit einem im Grunde genommen blinden Signalwert un-
terlegt, der aus meiner Sicht inhaltlich nichts bedeutet.
Diese Erfahrungen sind doch in England gesammelt
worden. Frau Höfken, Ihr Problem ist, dass Sie ein völlig
anderes Verbraucherleitbild als Liberale haben. Sie wol-
len verbieten und vorschreiben; wir wollen, dass der
Bürger informiert ist und die Möglichkeit hat, sich Din-
gen mit Genuss zuzuwenden und sich vernünftig zu er-
nähren.

(Beifall bei der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Goldmann, trotzdem wäre es unmöglich – –)


– Frau Höfken, jetzt haben Sie leider keine weitere Frage
mehr.

In Ihrem ganzen Szenario wird dieser Unterschied
deutlich: Der eine von Ihnen will Plastiktüten verbieten,
der andere will im Grunde genommen Genuss verbieten,
der Nächste will Fernsehwerbung verbieten. Wissen Sie,
es erschüttert mich wirklich, dass Grüne ein solches Ver-
ständnis haben. Das ist das genaue Gegenteil vom Bild
eines mündigen und informierten Verbrauchers.


(Beifall bei der FDP)


Dass auch einige andere wie Frau Drobinski-Weiß in
diese Richtung gehen und Ampelbefürworter sind, ist
ebenfalls erschütternd und ein echtes Problem dieser
Großen Koalition.

In dieser Frage sind wir – besser gesagt: wir waren es
bis vor kurzem – hundertprozentig auf der Seite von Mi-
nister Seehofer.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber nur in dieser Frage!)


– Nur in dieser Frage sind wir hundertprozentig auf der
Seite von Minister Seehofer.


(Dirk Niebel [FDP]: Es ist gut, dass du das klargestellt hast!)


Minister Seehofer ist nach Brüssel gefahren und hat
sich dort für eine freiwillige, informative Kennzeich-
nung ausgesprochen. Es ist völlig falsch, wenn Sie, Frau
Höfken, sagen, dass dies von der Lebensmittelwirtschaft
bekämpft werde. Gerade kleine und mittelständische Be-
triebe, aber auch die großen Betriebe machen sich auf
den Weg, eine planvolle und kluge Information auf ihren
Produkten an die Verbraucher heranzubringen. Dieser
Weg ist viel erfolgversprechender als die Ernährungsdik-
tatur, die Sie vorschreiben wollen.

Nun will ich noch etwas sagen, was mir wehtut. Der
Grund für das Dickerwerden in Deutschland – das wis-
sen Sie ganz genau, und ich finde es unehrlich, was Sie
hier transportieren – ist nicht die Ernährung, sondern der
Bewegungsmangel. Das weiß jeder, der bereit ist, sich
damit einmal ernsthaft zu beschäftigen. Deswegen soll-
ten Sie Ihre Fehlinformationen zurücknehmen.


(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614815600

Das Wort hat die Kollegin Marlies Volkmer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614815700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der

Analyse sind wir uns einig: Die Deutschen sind zu dick.
Es ist auch schon gesagt worden, dass 66 Prozent der
Männer und mehr als 50 Prozent der Frauen Überge-
wicht haben. Dies hat die zweite Verzehrstudie mit aller






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Marlies Volkmer
Deutlichkeit gezeigt. Beunruhigend ist, dass immer mehr
Kinder übergewichtig und adipös sind. Jedes zweite adi-
pöse Kind leidet bereits an Erkrankungen, die eigentlich
Erkrankungen von älteren Menschen sind: Bluthoch-
druck, dem sogenannten Altersdiabetes Typ 2 oder Ge-
lenkerkrankungen, die diese Kinder schon zum Orthopä-
den führen. Wir sind uns auch einig, dass wir etwas tun
müssen und es nicht so laufen lassen können.

Aber was tun? Eine gesunde Lebensweise mit ausge-
wogener Ernährung und genügend Bewegung kann dazu
beitragen, dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Die Bundesregierung hat schon einiges getan; ich nenne
die Plattform Ernährung und Bewegung, die Kampagne
„Fünf am Tag“ – gemeint ist fünfmal Obst und Gemüse
am Tag – und die Aktionstage „Gesunde Ernährung und
Bewegung“ an Schulen. All diesen Kampagnen und Pro-
jekten ist gemeinsam, das Wissen zu fördern und, wenn
möglich, eine Umstellung der Lebensgewohnheiten zu
bewirken.

Nun ist es aber notwendig, dass wir über einen Ak-
tionsplan dahin kommen, dass das, was punktuell im
Lande an Projekten läuft, flächendeckend gemacht wird.
Nur dann, wenn wir das flächendeckend im Lande tun,
werden wir auch die gewünschten Verhaltensänderungen
erreichen.

Ein wichtiger Aspekt ausgewogener Ernährung ist die
Auswahl beim Einkauf. Viele Konsumentinnen und
Konsumenten wollen ihren Einkauf an einer gesunden,
ausgewogenen Ernährung ausrichten. Die derzeitige
Kennzeichnung der Lebensmittel ist dafür nicht ausrei-
chend. Nährwertangaben sind in der Regel freiwillig.
Wenn sie dennoch gemacht werden, sind sie oft schwer
zu finden. Sie sind klein gedruckt. Man braucht wirklich
eine Lupe, um sie zu lesen. Sie sind schwer zu verstehen
oder auch irreführend.

Wenn vorne auf einer Gummibärchenpackung „fett-
frei“ steht, hinten auf dieser Packung aber noch nicht
einmal der hohe Zuckeranteil vermerkt ist, dann ist das
eine Irreführung.


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wenn auf der Packung einer Tiefkühlpizza, die zwei
Portionen enthält, nur der Nährwert für eine Portion an-
gegeben wird, dann ist das ebenfalls irreführend. Ein
echter Missbrauch freiwilliger Kennzeichnung liegt vor,
wenn sich die Nährwertangabe auf einer Verpackung
von Chicken Nuggets auf 15 Gramm, also lediglich auf
einen Nugget, bezieht. Solche Schönrechnerei müssen
wir unterbinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen In-
formationen, die bei der Kaufentscheidung schnell, ein-
fach und klar verständlich sind. Man muss in der Lage
sein, in einer Produktgruppe die gesündere Alternative
zu finden. Wenn mir der Sinn also zum Beispiel nach
Chipsletten steht, dann möchte ich feststellen können,
welches Produkt im Regal nach seiner Kennzeichnung
den günstigsten Nährwert hat.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614815800

Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Höfken?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614815900

Ja, bitte.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614816000

Ich versuche mein Glück noch einmal bei Ihnen, weil

sich Herr Goldmann um die Beantwortung der Frage
fröhlich herumgemogelt hat. Es geht um das Olivenöl.
Könnten Sie erläutern, worum es dabei geht, damit es
auch die Kolleginnen und Kollegen verstehen? Könnten
Sie deutlich machen, dass es nicht möglich ist, dass das
Olivenöl drei rote Punkte bekommt?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614816100

Frau Höfken, ich war noch nicht so weit. Ich wollte

erst einmal erläutern, welche Anforderungen wir eigent-
lich an eine Nährwertkennzeichnung stellen. Wir brau-
chen Wahlfreiheit durch Transparenz. Anders als von der
Lebensmittelindustrie und auch hier seitens des Minis-
teriums und der FDP behauptet wird, wollen wir nicht
die Bevormundung der Verbraucher, sondern – ich wie-
derhole – Transparenz.


(Beifall der Abg. Elvira Drobinski-Weiß [SPD])


Aus diesem Grunde fordern wir eine Nährwertkenn-
zeichnung für alle zusammengesetzten Produkte. Zu-
sammengesetzte Produkte sind eben nicht einzelne Pro-
dukte wie Öl oder Butter. Diese Produkte braucht man
nicht zu kennzeichnen; denn jeder weiß, dass sie zu fast
100 Prozent aus Fett bestehen. Die Kennzeichnung die-
ser Produkte wird überhaupt nicht bezweckt. Es geht um
die Kennzeichnung aller zusammengesetzten Produkte,
damit es echte Vergleichsmöglichkeiten gibt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)


Auch aus diesem Grunde sagen wir: Wir brauchen
eine schnelle, übersichtliche Kennzeichnung, weil der
durchschnittliche Einkauf von Lebensmitteln – das hat
die Verbraucherzentrale ermittelt – sieben Minuten dau-
ert. In dieser Zeit ist keiner in der Lage, umfangreiche
Tabellen zu lesen. Die Angaben müssen ohne Umrech-
nungsschritte unmittelbar vergleichbar sein; denn nie-
mand – ich habe das vorhin schon einmal gesagt – will
mit einem Taschenrechner einkaufen gehen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was ist denn ein zusammengesetztes Produkt? Das verstehe ich nicht!)


Die Angaben müssen auf anerkannten wissenschaftli-
chen Ernährungsempfehlungen beruhen, und sie müssen
vergleichbar sein. Sie müssen sich also auf 100 Gramm
oder auf 100 Milliliter beziehen.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614816200

Frau Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine weitere

Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Klöckner?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614816300

Gern.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Koalitionskrise!)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1614816400

Nein, Herr Goldmann. Das geht schon in Ordnung. –

Liebe Frau Kollegin, sind auch Sie der Meinung, dass
die Motivation aufrechterhalten bleiben muss, für Ver-
besserungen in den einzelnen Produktsparten zu sorgen?
Zum Beispiel soll im Bereich der Streichfette – man
kann natürlich sagen, am besten sei es, es ganz wegzu-
lassen; aber viele wollen es nicht weglassen – ein opti-
miertes Produkt möglich sein. Allerdings erhielte selbst
ein Streichfett mit einem Fettanteil von nicht 8 Prozent,
sondern 2 Prozent einen roten Punkt, wenn die entspre-
chende Nährwertkennzeichnung eingeführt würde. Das
wäre keine Produktinnovationsmotivation.


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614816500

Liebe Frau Klöckner, ich glaube, Sie haben das Mo-

dell der Ampel noch nicht verstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Folgt man den wissenschaftlichen Empfehlungen, ist,
bezogen auf 100 Gramm oder 100 Milliliter, der Anteil
an Fett, Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz zu kenn-
zeichnen. Es obliegt dann natürlich dem Verbraucher,
darauf zu achten. Wenn ich zum Beispiel einen Brotauf-
strich haben will, dann schaue ich selbstverständlich, mit
welchen Punkten er versehen ist. Dann wähle ich eben
einen Brotaufstrich, der mehr grüne Punkte hat als rote.
Das ist eigentlich genau das, was Sie wollen, Frau
Klöckner.


(Ute Kumpf [SPD]: Am besten nimmt man Butter, da weiß man, woran man ist! – HansMichael Goldmann [FDP]: Und dann laufe ich hin und her, das Ganze unter Zeitdruck! Und dann habe ich hinterher Leberwurst, obwohl ich Rotwurst haben will!)


Aus dem Grunde müssten Sie eigentlich unsere Kenn-
zeichnung unterstützen, weil sie tatsächlich zu einer Op-
timierung der Produkte führt.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Hat mich nicht überzeugt!)


– Das ist aber schade.

Ich möchte auf die Ampelkennzeichnung zurückkom-
men. Es ist so, dass die Anforderungen, nämlich Trans-
parenz, schnelle Durchschaubarkeit und Wissenschaft-
lichkeit, von der englischen Ampelkennzeichnung im
Wesentlichen erfüllt werden. Grün heißt „unbedenk-
lich“, gelb bedeutet „nicht so häufig“ und rot „nur sel-
ten“. So wird der Gehalt an Fett, Fettsäuren, Zucker und
Salz gekennzeichnet.

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614816600

Kollegin Volkmer, Sie sind heute sehr gefragt. Die

Kollegin Happach-Kasan hätte auch noch eine Frage.


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614816700

Gern. Ich möchte nur noch den Gedanken zu Ende

bringen.

Alle bisherigen Untersuchungen in England zeigen,
dass die Menschen das Wesen der Ampelkennzeichnung
verstanden haben,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie ist doch abgeschafft worden!)


ganz im Gegensatz zu Ihnen, Herr Goldmann. Sie haben
es noch nicht verstanden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ist sie weg oder nicht?)


Wenn wir alle uns ein bisschen näher damit befassen,
dann verstehen Sie es auch; da bin ich mir total sicher.

Eines möchte ich gerne noch sagen: Es geht eben
nicht um die Unterteilung in gute und schlechte Lebens-
mittel.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: In rot und grün!)


Diese Unterscheidung gibt es nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Dosis ist ganz entscheidend, denn die Dosis macht
das Gift. Das hat schon Paracelsus gesagt.

Bitte.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1614816800

Liebe Kollegin Volkmer, ich glaube, dass mein Kol-

lege Goldmann dieses Konzept sehr gut verstanden hat.


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614816900

Nein.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1614817000

Doch! Das ist in seinem Beitrag und in verschiedenen

Ausschusssitzungen meines Erachtens sehr deutlich ge-
worden.

Bitte erklären Sie uns doch einmal, warum Sie unbe-
dingt für ein Konzept eintreten, das in Großbritannien
gescheitert ist und deswegen abgeschafft wurde!


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie müssen wenigstens mal zuhören!)


Können Sie mir also sagen, warum Sie für dieses Kon-
zept eintreten, obwohl Sie wissen, dass es in einem ande-
ren Land in Mitteleuropa eindeutig gescheitert ist?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614817100

Ich kann das sehr kurz machen, indem ich sage: Auch

durch wiederholtes Behaupten wird das nicht richtiger.
Die Ampel ist in England nicht gescheitert.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Marlies Volkmer

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: 2004 abgeschafft!)


Die Ampel hat sich sehr wohl bewährt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])


Schauen wir doch einmal, welche Kennzeichnung zur-
zeit favorisiert wird! Das ist die von der Industrie angebo-
tene freiwillige GDA-Kennzeichnung. Sie gewährleistet
genau das nicht, was wir wollen: schnelle Orientierung,
Transparenz, Vergleichbarkeit, Wissenschaftlichkeit. Diese
Kennzeichnung, die auch vonseiten des Ministeriums favo-
risiert wird, ist kompliziert. Es gibt viele Informationen, so-
gar zu viele Informationen. Ihre Bedeutung erschließt sich
dem Konsumenten nicht, wenn er das denn überhaupt liest.

Die Angabe des prozentualen Tagesbedarfs bezieht
sich auf 2 000 Kilokalorien. Sie ist gänzlich ungeeignet,
weil der Bedarf an Kilokalorien natürlich vom Lebensal-
ter, vom Geschlecht und von der Art der Tätigkeit ab-
hängt.

Außerdem fehlt es an einer wissenschaftlichen
Grundlage. Da darf ich Ihnen zur Weiterbildung die Lek-
türe der sehr deutlichen Stellungnahme der Deutschen
Gesellschaft für Ernährung hierzu empfehlen.

Der englischen Ampelkennzeichnung fehlt aus unse-
rer Sicht die Angabe der Kalorien und der Ballaststoffe.
Ernährungswissenschaftler fordern ihre Nennung, da sie
wichtige Informationen für eine ausgewogene Ernäh-
rung darstellen. Das gilt auch für Proteine. Wir fordern
ihre Nennung im Rahmen der Big Eight auf der Pa-
ckungsrückseite.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das verstehe ich nicht! Man kann doch Deutsch reden!)


Es genügt uns also nicht, diese Ampel auch für Deutsch-
land zu fordern, wie das im Antrag der Grünen ge-
schieht. Wir brauchen mehr.

Um Ihnen gleich zu sagen, warum wir Ihren Antrag
ablehnen: Ihrem Antrag fehlt noch die europäische Per-
spektive. In der Europäischen Union ist die Reform der
Lebensmittelkennzeichnung in vollem Gange, und wir
freuen uns, dass die Kommission eine verpflichtende
Kennzeichnung vorgeschlagen hat, wenn wir auch die
Bezugnahme auf eine durchschnittliche Tageszufuhr ab-
lehnen. Hier erwarten wir, dass sich die Bundesregie-
rung dafür einsetzt, eine andere vernünftige Bezugs-
größe zu finden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614817200

Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine weitere Zwi-

schenfrage der Kollegin Höfken?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1614817300

Nein, ich möchte jetzt gern zum Ende kommen.

Keine denkbare Nährwertkennzeichnung ist für sich
genommen geeignet, eine ausgewogene Ernährung si-
cherzustellen. Deswegen ist eine Informationskampa-
gne bei Einführung einer neuen Kennzeichnung uner-
lässlich. Wichtig ist es eben auch, um gleich auf diesen
Punkt einzugehen, darauf hinzuweisen, dass es sich im-
mer nur um die Kennzeichnung eines Lebensmittels han-
delt. Das bringt es mit sich, dass sich der Verbraucher in-
formieren muss. Wenn er viele Produkte mit grünen
Punkten gekauft hat, kann er am Abend des Tages durch-
aus ein Produkt mit rotem Punkt zu sich nehmen. Ganz
wichtig ist auch, immer die Ernährungspyramide im
Blick zu haben, auf die von der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung immer wieder hingewiesen wird. Nur eine
Kombination verschiedener Informationen bringt einen
weiter; ein ganz wichtiger Punkt dabei ist eine transpa-
rente Kennzeichnung.

Ein Wort noch zu dem von den Grünen im Rahmen
des Aktionsplans geforderten Werbeverbot für soge-
nannte Dickmacher. Hier schießen Sie, wie ich denke,
über das Ziel hinaus; denn beinahe jedes Lebensmittel
kann, in großen Mengen genossen, zum Dickmacher
werden.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um rechtliche Rahmenbedingungen geht es hier!)


Ich denke nicht, dass Sie jegliche Werbung für Schoko-
lade oder Pudding verbieten wollen. Das hielten wir
nicht für sinnvoll.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das steht auch nicht da!)


Wir werden den Antrag zum Aktionsplan Ernährung
noch ausführlich im Ausschuss diskutieren. Ich freue
mich schon auf die Diskussion.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614817400

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Karin

Binder das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614817500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren!


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn die Flasche mitgebracht?)


Ich habe hier ein Beispiel dafür, wie derzeit die freiwil-
lige Kennzeichnung von Produkten der Lebensmittelin-
dustrie aussieht. Ich lese einmal kurz vor, was hier steht,
auch wenn ich nur eine kurze Redezeit habe, aber das
müssen Sie sich einfach einmal vergegenwärtigen:


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Woher kommt denn das Produkt?)


Nährwertkennzeichnung je 100 Milliliter: Brennwert
102 Kilojoule oder 24,0 Kilokalorien, Eiweiß 0,1 Gramm,
Kohlehydrate 5,8 Gramm, davon Zucker 5,6 Gramm, Fett
unter 0,1 Gramm, davon gesättigte Fettsäuren unter
0,1 Gramm, Ballaststoffe 0,1 Gramm, Natrium unter
0,02 Gramm.






(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo kann ich das Produkt kaufen?)


Es geht mir jetzt einfach darum, dass Sie verstehen,
dass ich beim Einkaufen überfordert bin, wenn ich solch
einen Waschzettel lesen muss.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Dafür können wir doch nichts! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was wollen Sie draufmachen?)


– Die Ampel, Herr Kollege.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann erfassen Sie von den zehn Punkten vier! Welche?)


Ich weiß nicht, was Sie von der FDP sich vorstellen,
aber das Prinzip der Ampel ist in England sehr wohl von
den Verbraucherinnen und Verbrauchern verstanden
worden. Wer in unserem Land trinkt bitte literweise Oli-
venöl?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansMichael Goldmann [FDP]: Keiner!)


Olivenöl wird löffelweise als Dressing zum Salat gege-
ben, den dann oftmals mehrere Menschen gemeinsam
als Familienmahlzeit zu sich nehmen.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das kann nur jemand sagen, der den teuersten Koch im Saarland beschäftigt hat!)


Also nehme ich nur winzige Mengen Olivenöl zu mir;
und das ist dann gesund und nicht schädlich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Staatssekretär Müller, Sie haben gefragt, was es
den Staat angeht, was jemand isst und trinkt. Sie haben
Gott sei Dank selber auch eine Antwort gegeben.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614817600

Kollegin Binder, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Goldmann?


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614817700

Aber gerne.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1614817800

Frau Kollegin Binder, wenn ich es richtig in Erinne-

rung habe – auch ich lese ja manchmal solche Etiketten
und habe früher beruflich mit Ernährung zu tun gehabt –,
haben Sie eben zehn Inhaltsstoffe genannt, vielleicht
auch zwölf. Wie viele Punkte wollen Sie denn nun auf
solch eine Flasche kleben, und mit welcher Punktfarbe
wollen Sie die verschiedenen Inhaltsstoffe bewerten?


(Zuruf von der CDU/CSU: Das würde mich auch einmal interessieren!)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614817900

Herr Kollege Goldmann, in dieser Flasche sind circa

56 Gramm Zucker.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: 5,6 Gramm haben Sie gesagt!)


– 5,6 Gramm auf 100 Milliliter. Es handelt sich um Ap-
felschorle. Ich trinke sie sehr gerne und werde sie auch
künftig trinken.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ich trinke nur Weinschorle!)


In dieser Flasche steckt praktisch mein Tagesbedarf an
Zucker, denn die WHO empfiehlt für eine Frau
60 Gramm Zucker am Tag. Mit einer Flasche Apfel-
schorle, die 56 Gramm Zucker enthält, habe ich also
meinen Tagesbedarf an Zucker gedeckt. Dann wäre für
den Zuckergehalt ein roter Punkt zu setzen. Das bedeu-
tet, ich passe auf, ich trinke keinen Liter Apfelschorle
am Tag, sondern vielleicht ein oder zwei Gläser. Das
darf ich. Dann habe ich noch ein Restkontingent an Zu-
cker, den ich durch Süßigkeiten und Ähnlichem zu mir
nehmen darf. Der rote Punkt würde also darauf hinwei-
sen: Liebe Leute, seid vorsichtig, auch in Apfelschorle
ist Zucker, auch wenn es ansonsten ein gutes Getränk ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten und der SPD)


Die anderen Inhaltsstoffe werden durch einen grünen
Punkt gekennzeichnet, da in dem Getränk kein Salz und
kein Fett enthalten ist.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wenn ich erschöpft bin, dann ist es doch eigentlich nicht verkehrt, wenn ich das trinke!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614818000

Lassen Sie eine zweite Zwischenfrage zu, Frau

Binder?


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614818100

Ja.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1614818200

Liebe Kollegin, wenn ich erschöpft bin und meine

Kohlehydrate verbraucht habe – Kohlehydrate sind ja
nicht schlecht; manchmal werde ich dadurch leistungsfä-
hig –, dann müsste ich ja davon etwas trinken. Dann
trinke ich sozusagen „Rotes“ in mich hinein. Das, finde
ich, ist nicht sehr verbraucherinformativ.


(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Aber für einen Liberalen ganz hilfreich!)


Der rote Punkt signalisiert eigentlich, das Produkt ist
nicht sehr geeignet. Aber in diesem Fall ist das Produkt
besonders gut geeignet. Stimmen Sie hier mit mir über-
ein?


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614818300

Nein. Ich stimme mit Ihnen überein, dass das Produkt

sehr geeignet ist, jemandem einen kleinen Energieschub
zu verpassen. Wir wissen ja, dass Zucker für Energie
sorgt. Das ist okay. Deshalb dürfen Sie ja Zucker zu sich
nehmen.






(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann darf er nicht rot sein!)


Die Frage ist nur, wie viel. Zwischen ein oder zwei Glä-
sern Apfelschorle und einer Flasche Apfelschorle ist ein
großer Unterschied. Darum geht es. Der rote Punkt sagt
Ihnen: nicht so viel und nicht so oft davon trinken. Dann
ist alles im Lot.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme gerne zur FDP und gebe Nachhilfe in Ver-
braucherbildung, wenn es sein muss.

Ich hatte vorhin Herrn Staatssekretär Müller ange-
sprochen, der gefragt hat, was es den Staat angeht, was
man isst und trinkt. Sie haben es selber beantwortet: Es
geht um gesunde Lebensmittel. Viele Menschen können
nicht das einkaufen, was gut und gesund ist, sondern
müssen das einkaufen, was sie sich leisten können.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Endlich!)


Es ist leider so, dass viele Produkte, die billig angebo-
ten werden, einen hohen Fett- und Zuckergehalt haben,
damit sie nach etwas schmecken. In Großbritannien ist
es aufgrund der Einführung der Ampelkennzeichnung
tatsächlich gelungen,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: 2004 abgeschafft!)


die Firmen dazu zu bringen, solch ungesunde Bestand-
teile in diesen Lebensmitteln zu reduzieren. Im Gegen-
satz zu der vielfach geäußerten Behauptung, in Großbri-
tannien habe sich das System nicht etabliert, stellten
Familienminister und Gesundheitsminister gemeinsam
im Januar den Bericht der Regierung „Gesundes Ge-
wicht, gesundes Leben“ vor. Sie stellen sich ganz be-
wusst hinter die Ampelkennzeichnung und erklären: Ge-
genwärtig basiert unser bevorzugtes, von der britischen
Lebensmittelbehörde FSA entwickeltes Modell auf ei-
nem Ampelsystem, das Verbraucherinnen und Verbrau-
cher laut unabhängigen Forschungsergebnissen leicht
verständlich finden und das dazu beiträgt, Verhaltensän-
derungen zu bewirken.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Ampelkennzeichnung zeigt je nach der Zusam-
mensetzung der Produkte grünes, gelbes oder rotes Licht
für die vier Kategorien Fett – gesättigte Fettsäuren –, Zu-
cker und Salz. – Damit haben Sie eine Kennzeichnung
für alle wichtigen Dickmacher. Die Leute können sich
schnell orientieren und haben beim Einkaufen in der kur-
zen zur Verfügung stehenden Zeit alles Notwendige auf
einen Blick. Damit können sie sich gesund ernähren. Die
Firmen reagieren darauf, nehmen diese ungesunden Ar-
tikel aus den Regalen heraus und bringen gesündere, mit
weniger Dickmachern belastete Lebensmittel in die Re-
gale. Das ist in England nachgewiesen. Ich finde, dass
die Regierung durchaus einmal den Blick nach England
richten könnte, wenn es um das mit dem Bericht vorge-
stellte Maßnahmenpaket geht. Dort gibt es unter ande-
rem auch Werbeverbote für Süßwaren und Ähnlichem in
Kindersendungen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Kinder sind immer dicker geworden!)


Leider ist meine Redezeit nun zu Ende.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind schon zehn Minuten am Reden!)


Ich schließe mich der Forderung der Verbraucherzentrale
an: Vorfahrt für die Ampel. Herrn Minister Seehofer
empfehle ich: Schalten Sie auf Grün, biegen Sie links ab
und starten Sie dann durch!

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614818400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8193
mit dem Titel „Aktionsplan Ernährung vorlegen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen der
antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung ein-
führen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/7726, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6788
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion
und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für freie und demokratische Parlamentswah-
len im Iran
– Drucksache 16/8379 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1614818500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir knüpfen mit dem heute vorliegenden Antrag und
dieser Debatte an einen Antrag an, den wir bereits in der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich
letzten Legislaturperiode anlässlich von Wahlen im Iran
vorgelegt hatten. Am 12. Februar 2004 diskutierten wir
an gleicher Stelle über einen ähnlichen Anlass, nämlich
darüber, dass nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten,
die sich bei der Wahl im Iran aufstellen lassen wollten,
zugelassen wurden. Ich glaube, es ist gut, dass wir heute
wieder einen Antrag zu diesem Thema vorlegen. Ich
würde mich freuen, wenn alle im Deutschen Bundestag
diesem Antrag zustimmen würden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit unserer Initiative wollen wir keine Haltungsnoten
verteilen oder besserwisserisch sein. Es gibt aus meiner
Sicht leider zu häufig Anlass, Wahlen kritisch unter die
Lupe zu nehmen – manchmal auch bei uns im Westen.
Deshalb stellt dies keine Einmischung dar, sondern ver-
deutlicht das Interesse des Parlaments an Partizipation
und Offenheit politischer Systeme überall in der Welt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Initiative nimmt etwas auf – deswegen ist sie
keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des
Iran –, worüber in dem Lande selbst in den letzten Wo-
chen immer wieder heftig diskutiert worden ist. Das
zeigt, dass der Iran im Gegensatz zu manch anderen
Ländern in dieser Region pluralistischer und kritischer
ist, als es der eine oder andere bei uns manchmal dar-
stellt. Ahmadinedschad prägt eben nicht allein das Bild
des Iran, sondern es prägen viele andere kluge Men-
schen,


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


die versuchen, die Gesellschaft aufzubauen und die Poli-
tik zu gestalten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber Israel wollen sie plattmachen!)


– Herr Kollege, der Zuruf disqualifiziert Sie; denn Sie
wissen, dass dieses Parlament insgesamt die Vorwürfe
und das Leugnen des Holocaust durch Ahmadinedschad
kritisiert und zurückgewiesen hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen fällt diese Bemerkung auf Sie zurück.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber wer will denn etwas anderes im Iran?)


– Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden,
sollten aber nicht ständig Zurufe machen. In der Debatte
zuvor haben Sie sich mehrmals darüber beschwert, dass
ständig dazwischengerufen worden ist. Also halten Sie
sich bitte an Ihre eigenen Maßstäbe!

Seit gestern ist in die Debatte im Iran etwas Bewe-
gung gekommen: Von den 3 000 Kandidatinnen und
Kandidaten, die in der ersten Runde vom Innenministe-
rium abgelehnt worden sind, sind gestern immerhin
1 000 wieder zugelassen worden. Das zeugt zwar von
Bewegung, aber das reicht nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn der Iran tatsächlich so stark ist, wie er immer be-
hauptet, muss er in seinem Land Vielfalt, Partizipation
und Offenheit bei der Wahl zulassen. Das sollte die Bot-
schaft Teherans sein.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614818600

Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Goldmann?


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1614818700

Bitte schön.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614818800

Bitte.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1614818900

Respektierter Kollege, ich hatte am Montag Gelegen-

heit, mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden in
Deutschland zu sprechen. Ich würde denen gerne heute
Abend mitteilen, welcher iranische Spitzenpolitiker der
Feststellung, dass der Iran Israel im Grunde genommen
plattmachen will, widersprochen hat. Welcher iranische
Politiker hat erklärt, dass es ein Existenzrecht Israels
gibt? Welcher iranische Politiker oder welche iranische
Politikerin – das wäre noch schöner – hat erklärt, dass
die Raketenangriffe gegen Israel zu verurteilen sind?


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1614819000

Herr Kollege Goldmann, wenn Sie mit mir im Iran

gewesen wären, als dort die Holocaustkonferenz, die
Kommunalwahlen und die Nachwahlen zum iranischen
Nationalparlament stattgefunden haben, hätten Sie erle-
ben können, dass viele wichtige Akteure, gerade aus
dem klerikalen Bereich, die Leugnung des Holocaust
durch Präsident Ahmadinedschad abgelehnt haben. Sie
müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass viele Men-
schen in diesem Land versuchen, mit den Mitteln, die
zugelassen sind, gegen Ahmadinedschad zu protestieren.
Währenddessen können wir ruhig in unseren Sesseln sit-
zen und protestieren. Wir sollten hier nicht wohlfeil sa-
gen: Dieses Land ist nur Ahmadinedschad. Es ist vielfäl-
tiger und bunter, als Sie es hier beschrieben haben. Ich
glaube, dass das auch diejenigen wissen, die Sie eben an-
gesprochen haben; denn auch in Israel wird sehr offen
und kritisch darüber debattiert, wie mit dem Iran umzu-
gehen ist. Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Interessant ist insbesondere, dass versucht wird, das
politische System des Iran neu aufzustellen. Nach mei-
nem Dafürhalten werden drei politische Gruppen zu den
Wahlen antreten: Das ist zum einen der unverbesserliche
Flügel um Ahmadinedschad, den Sie eben angesprochen






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rolf Mützenich
haben. Zum anderen sind es die sogenannten Reformer
um Chatami, hinter die allerdings immer mal wieder das
eine oder andere Fragezeichen gesetzt werden muss. Da-
neben sind es die konservativen Kreise um den ehemali-
gen Atomunterhändler Laridschani und den Teheraner
Bürgermeister Ghalibaf. Die entscheidende Frage wird
sein, ob das Parlament nach dem 14. März rational und
unabhängig handeln wird und will. Wir sollten es unter-
stützen, indem wir genau das fordern. Wir sollten das
Parlament aber auch mit den Mitteln, die wir haben, un-
terstützen.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Iran eben
doch etwas komplizierter, aber auch offener ist, als wir
manchmal glauben. Wir müssen den Dualismus im Iran
zur Kenntnis nehmen. Es ist nicht immer leicht, klar zwi-
schen gut und böse zu unterscheiden. Es gibt den Dualis-
mus von Islam und Republik, der nur schwer aufzulösen
sein wird. An diesen Widersprüchen leidet die islami-
sche Republik. Es gibt verschiedene Machtzentren, die
versuchen, politische Initiativen auszuhandeln. Selbst
wenn sie sich verständigt haben, ist es schwer, auf die
einzelnen Machtzentren einzuwirken. Das erleben wir
gerade bei der militärischen Nutzung des Atomener-
gieprogramms. Dem Westen fällt es schwer, in der Poli-
tik mit Klerikern umzugehen. Es ist aber genauso
schwer, mit Menschen umzugehen, die in dem achtjähri-
gen, verheerenden Krieg zwischen dem Irak und dem
Iran, der mehr als 1 Millionen Menschenleben gekostet
hat, sozialisiert wurden. Auch das wirkt sich letztlich auf
die Politik aus. Wir tun gut daran, diese unterschiedli-
chen Facetten wahrzunehmen. Wir sollten aber auch die
Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass Wahlen zur Legiti-
mation genutzt werden, was in einer islamischen Repu-
blik, wie sie sich selbst tituliert, keine Selbstverständ-
lichkeit ist.

Ich glaube, wir sollten uns als Parlamentarier insbe-
sondere der Zivilgesellschaft zuwenden. Sie versucht
nämlich, gegen Unterdrückung vorzugehen bzw. die Ni-
schen zu finden, die Christiane Hoffmann in ihrem Buch
„Hinter den Schleiern Irans“ dargestellt hat. Sie hat ge-
zeigt, wie schwierig es für die einzelnen Menschen ist.
Man sollte hier eben nicht so wohlfeil über ein ganzes
Land urteilen. Das am 14. März dieses Jahres gewählte
Parlament wird die soziale Frage aufnehmen müssen.
Dieses Parlament wird die innere Zerrissenheit und die
Probleme des Landes widerspiegeln.

Ich bin froh, dass es zu einer dritten Resolution im Si-
cherheitsrat gekommen ist und man nicht auf die Strate-
gie von Ahmadinedschad und anderen eingegangen ist,
die versucht haben, den Sicherheitsrat zu spalten. Nur
ein Land hat sich der Stimme enthalten: Indonesien. Li-
byen zum Beispiel, das seine eigenen Erfahrungen hat,
hat zugestimmt. Im Zusammenhang mit der Bewertung
der Atompolitik des Iran ist vordringlich, dass die Staaten-
gemeinschaft zusammenbleibt. Ich glaube, dass die Bun-
desregierung viel dafür getan hat, insbesondere mit ihrer
EU-Initiative. Wir sollten – auch innerhalb der IAEO –
immer versuchen, diese Staatengemeinschaft zusammen-
zuhalten und an der einen oder anderen Stelle nicht zu
überfordern.
Der andere Punkt ist – ich glaube, das ist richtig –, die
Angebote und Gegenleistungen, die wir vorgeschlagen
haben, aufrechtzuerhalten, also genau das Gegenteil zu
dem zu verfolgen, was Ahmadinedschad jetzt erklärt hat,
nämlich nicht mehr mit der Europäischen Union verhan-
deln zu wollen. Wir sollten die Tür offen lassen, insbe-
sondere für die Kräfte im am 14. März neu gewählten
Parlament, die möglicherweise zu diesem Dialog bereit
sind. Zumindest sollten wir an dieser Stelle die Chance
nutzen und die Hoffnung nicht aufgeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich gebe zu: Der Iran hat es uns in den letzten Wochen
nicht leicht gemacht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Katastrophe!)


Insbesondere der neue Bericht der Internationalen Atom-
energiebehörde gibt Anlass zu großen Bedenken. Es gibt
neue Erkenntnisse, und insbesondere die Tatsache, dass
dort ein Raketenprogramm entwickelt wird, das nicht
nur für Israel, sondern auch für Europa eine besondere
Herausforderung darstellt, provoziert natürlich zu den
Gegenmaßnahmen, über die wir so kritisch diskutieren.
Auch darüber sollten wir mit dem neu gewählten Parla-
ment sprechen.

Ich muss sagen: Der einzige Hoffnungsschimmer, den
ich habe, dass sich Vernunft in der Region wieder breit-
macht, ist das, was im Golfkooperationsrat vor kurzem
angeboten worden ist, nämlich eine nuklearwaffenfreie
Zone in der Region einzuführen. Herr Goldmann, Ihr La-
chen und Ihre Zwischenrufe regen mich langsam auf.
Nehmen Sie doch einfach zur Kenntnis, dass dort Men-
schen sind, die versuchen, rational auf die Probleme ein-
zugehen und den nuklearwaffenfreien Status in der Re-
gion zu sichern.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich finde es unfair, was Sie gerade machen!)


Denn es geht um ihr Leben. Das sollten wir unterstützen,
insbesondere vonseiten des Deutschen Bundestags.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich habe nicht gelacht! Das ist eine Unverschämtheit, was Sie da gemacht haben!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614819100

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Harald

Leibrecht das Wort.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1614819200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich durfte in diesem
Haus schon öfter Debatten über den Iran verfolgen. Lei-
der beschäftigen wir uns jedes Mal – zu Recht – mit dem
Problem des dortigen Atomprogramms und natürlich






(A) (C)



(B) (D)


Harald Leibrecht
auch mit den Sanktionen gegen den Iran. Es ist gerade
drei Tage her, dass der UN-Sicherheitsrat seine dritte
Sanktionsresolution zum iranischen Atomprogramm
verabschiedet hat.

In wenigen Tagen sind wieder Wahlen im Iran. Daher
ist es zu begrüßen, dass wir uns heute hier im Haus mit
diesem interfraktionellen Antrag beschäftigten und dass
wir, auch wenn wir mit der iranischen Regierung nicht
einverstanden sind und schon gar nicht mit den Verbal-
attacken gegen Israel, an einem Dialog mit dem Iran und
an echten demokratischen Wahlen dort interessiert sind.
Trotz der vielen Probleme, die es mit dem Iran gibt, sei
es das Atomwaffenprogramm, seien es die undurchsich-
tigen Verhältnisse des Irans zu international agierenden
demokratiefeindlichen Gruppen, seien es die Hasstira-
den gegen Israel und den Westen allgemein, müssen wir
versuchen, die diplomatischen Türen irgendwie offen zu
halten. Denn dies ist für uns die einzige Möglichkeit, den
politischen Reformkräften im Iran ein Signal zu geben,
eine Botschaft, die klar ausdrückt: Wir lassen die Men-
schen im Iran nicht allein, weder mit ihrem unberechen-
baren Präsidenten noch mit der gesamten demokratie-
feindlichen politischen Führung.

Meine Damen und Herren, wenn man die Atompro-
blematik einmal für einen Moment in den Hintergrund
stellt, dann erkennt man die wichtige, auch die geostrate-
gisch wichtige Lage dieses Landes mit seinen immensen
natürlichen Ressourcen und seiner jungen, durchaus
westlich orientierten und gut ausgebildeten Bevölke-
rung. Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass der Iran das
Potenzial hat, zu einer starken Regionalmacht zu wer-
den, und dass er dies auch selbst erkennt. Leider wählt
die iranische Führung die falschen Mittel, um dieses Ziel
zu erreichen. Denken Sie nur an das iranische Raketen-
programm.

Hätten die Menschen dort eine echte Chance, ihr
Glück selbst in die Hand zu nehmen, würde sich das
Land sehr schnell sehr positiv entwickeln; davon bin ich
absolut überzeugt. Die Menschen im Iran streben nach
Freiheit. Diese wird ihnen von den Ayatollahs jedoch
weiterhin verwehrt.

Mit unserem gemeinsamen Antrag setzen wir uns da-
für ein, mit den politischen Parteien, die im iranischen
Parlament vertreten sind, aber auch mit den Parteien, die
nicht im Parlament vertreten sind, einen intensiveren
Dialog zu führen. Auch der FDP ist daran gelegen, dass
der Deutsche Bundestag die politischen und die religiö-
sen Führer im Iran auffordert, dort endlich freie und faire
Wahlen zu ermöglichen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass die reformorientierten Kandidaten im Iran wie-
der einmal von der Wahl ausgeschlossen werden, erfüllt
uns mit großer Sorge. Die Menschen im Iran müssen ein
Recht darauf haben, ihrem Präsidenten und seinem im-
mer stärker militärisch geprägten Staatsapparat ein Ar-
beitszeugnis auszustellen. In freien und fairen Wahlen
würde der iranische Präsident von seinen Bürgern be-
stimmt ein Armutszeugnis ausgestellt bekommen. Denn
er hat sich durch seine inakzeptablen Reden und wieder-
holten Hasstiraden nicht nur auf der internationalen poli-
tischen Bühne völlig blamiert, sondern er bekommt auch
im eigenen Land zunehmend Gegenwind, selbst aus den
eigenen Reihen, nicht zuletzt deshalb, weil er bisher
keine seiner hochtrabenden Wahlversprechungen einge-
löst hat. Bis heute lässt der „Retter der verarmten Mas-
sen“, wie er sich selbst nennt, auf sich warten.

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Parla-
mentswahlen im Iran ist einzig und allein entscheidend,
ob die Stimme des iranischen Volkes durch freie und faire
Wahlen zum Ausdruck kommt. Ayatollah Chamenei und
der iranische Parlamentspräsident haben einen sauberen
Wahlkampf und demokratische Wahlen angemahnt. Wir
sollten sie beim Wort nehmen und daran messen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614819300

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Ruprecht

Polenz das Wort.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1614819400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir beschäftigen uns mit den Parlamentswahlen im Iran,
weil der Iran ein großes, ein wichtiges Land ist und weil
er reich an Bodenschätzen ist. Er hat eine gebildete, gut
ausgebildete Bevölkerung und eine reiche Kultur. Der
Iran kann auf eine jahrtausendealte Geschichte zurück-
blicken. Er könnte auch ein blühendes Land sein. Aber
er wird weit unter Wert regiert.

Dass wir unsere Auseinandersetzung mit dem Iran auf
sein Nuklearprogramm fokussieren, führt dazu, dass wir
uns zu wenig mit den inneren Entwicklungen im Iran be-
schäftigen und ihnen zu wenig Aufmerksamkeit wid-
men. Die heutige Debatte sollte auch dazu dienen, das zu
ändern.

Weil die Regierung im Iran unter normalen demokra-
tischen Bedingungen ihre Abwahl fürchten müsste, setzt
sie im Vorfeld der Parlamentswahl in zunehmendem
Maße Repressionen und massive Manipulationen ein.
Das hat übrigens auch im Iran selbst scharfe Kritik zur
Folge. Beispielsweise kritisierten der frühere Präsident
Chatami und der frühere Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses des iranischen Parlaments, Rohani, diese
Entwicklung sehr scharf.

Ich will an ein paar Beispielen aufzeigen, wie
schlecht und wie weit unter Wert der Iran regiert wird.
Fangen wir mit der Wirtschaft an: Der Iran ist reich an
Öl und Gas. Der Erdölpreis ist seit dem Amtsantritt von
Ahmadinedschad 2005 von etwa 62 US-Dollar pro Fass
auf über 100 US-Dollar pro Fass gestiegen. Die Erlöse,
die der Iran als großer Ölexporteur erzielt, haben sich
von 34 Milliarden US-Dollar auf 41,7 Milliarden US-
Dollar gesteigert. Allerdings – das ist der erste Kritik-
punkt, und das wird auch im Iran so gesehen – liegt die






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz
Förderung mit 4,2 Millionen Fass am Tag auch fast
30 Jahre nach der Islamischen Revolution bei nur zwei
Dritteln dessen, was der Iran früher hat fördern können.
Man bleibt also weit unter seinen Möglichkeiten. So gibt
es trotz steigender Öl- und Gaspreise eine wachsende
Armut im Land, gerade bei den kleinen Leuten.

Das liegt auch daran, dass das Geld, das eingenom-
men wird, in Subventionsprogrammen verpulvert wird.
Ich will von den vielen sinnlosen Subventionen nur eine
erwähnen: Für Strom zahlen die Verbraucher im Iran nur
40 Prozent des Gestehungspreises. Das führt zu Energie-
verschwendung, mit der Folge, dass Investitionen erfor-
derlich sind, die man vermeiden könnte. Dieses Geld
fehlt an anderer Stelle.

Diese Politik führt zu einer galoppierenden Inflation:
Sie betrug im Jahre 2005 12,1 Prozent. Heute liegt sie
bei 19 Prozent. Gerade die explodierenden Mieten tref-
fen die einfachen Leute im Iran. Was macht der Präsi-
dent? Er ordnet an, dass die Bankzinsen von 17 auf
12 Prozent zu senken sind. Das festigt die Überzeugung
der Leute, dass allein Immobilien eine sichere Geldan-
lage sind. Das heizt die Inflation zusätzlich an.

Last, but not least steigt die schon jetzt außerordent-
lich hohe Arbeitslosigkeit im Iran. Die offizielle Arbeits-
losenquote – diese Zahl ist sicherlich weit zu niedrig
angesetzt – liegt bei 11 Prozent. Für die Jugendarbeits-
losigkeit werden 23 Prozent angegeben. Auch diese
Zahl dürfte wesentlich höher liegen. Das heißt, dass im
Iran eine Million junge Menschen, die ihre Ausbildungs-
stätten verlassen, in die Arbeitslosigkeit gehen.

Auch die immer wieder angemahnte Privatisierung
der Wirtschaft kommt nicht voran. Man muss wissen,
dass im Iran 65 bis 80 Prozent der Wirtschaft – das ist
vielleicht ein Hinweis an die Linkspartei – von den ver-
schiedenen Armen des Staates kontrolliert werden, mit
dem bekannten Misserfolg. Vielleicht, Herr Gehrcke,
können Sie sich ähnliche Überlegungen für Deutschland
sparen.

Natürlich gibt es angesichts dieser Entwicklung Pro-
test in der Bevölkerung, zum Beispiel von den Gewerk-
schaften. So gab es einen Busfahrerstreik in Teheran.
Der Staat hat sehr hart reagiert. Mansour Ossanlu, der
Vorsitzende der Gewerkschaft, ist seitdem mehrfach in-
haftiert worden und sitzt seit 2007 erneut im Evin-Ge-
fängnis. Man verweigert ihm die medizinische Betreu-
ung. Ich finde, wir müssen in unserer Debatte auf solche
Schicksale hinweisen. Gewerkschaftsfreiheiten sind
Freiheiten, die wir ernst nehmen.


(Beifall im ganzen Hause)


Es gibt Frauenrechtlerinnen, die für die rechtliche
Gleichstellung der Frau im Iran 1 Million Unterschriften
sammeln wollen. Sie haben sich eine ähnliche Bewe-
gung in Marokko zum Vorbild genommen, wo es den
Frauen gelungen ist, den marokkanischen König,
Hassan II., durch eine solche Unterschriftenaktion zu
überzeugen. Im Iran läuft das anders: Mehrere hundert
Frauen sind ins Gefängnis gesteckt worden. Nasim
Sarabandi und Fatemeh Dehdashti sind, weil sie sich für
die rechtliche Gleichstellung der Frau im Iran eingesetzt
haben, wegen „Handlungen gegen die nationale Sicher-
heit mittels Propaganda gegen das Regime“ zu sechs
Monaten Haft – zurzeit zur Bewährung ausgesetzt – ver-
urteilt worden.

Auch in dieser Parlamentsdebatte muss an das
Schicksal der Bahai erinnert werden. Gerade ist im irani-
schen Parlament ein Gesetzentwurf zur Novellierung des
Strafrechts vorgelegt worden, mit dem die Apostasie, der
Abfall vom „richtigen“ Glauben, in den Katalog der so-
genannten Hadd-Strafen aufgenommen werden soll. Das
bedeutet die Todesstrafe für Konvertiten, und zwar
zwingend, ohne irgendeine Möglichkeit der Revision.

Wer weiß, dass die Bahai aus iranischer Sicht als
Apostaten angesehen werden, kann sich vorstellen, wel-
cher Druck auf diese Religionsgemeinschaft ausgeübt
wird. Vor kurzem sind 53 junge Bahai festgenommen
worden – sie sind zum Teil immer noch in Haft –, weil
sie ein soziales Projekt zur Bildungsförderung ehrenamt-
lich betreut haben. Wenn das neue Gesetz in Kraft treten
sollte, müssten sie das Schlimmste befürchten.

Zu dem Bild einer Verschärfung der religiös begrün-
deten Strafen bis hin zur Todesstrafe passt auch, dass
rund um Teheran zunehmend Koranschulen entstehen,
die es, anders als in Pakistan, im Iran bisher nicht gab.

Alles zusammengenommen ist die Sorge, die auch im
Iran geäußert wird, dass aus der Islamischen Republik
Iran ein islamisches Kalifat Iran werden soll, nur allzu
begründet. Auch das muss hier festgestellt werden.

Wenn es um den Iran geht, haben wir uns in der Regel
mit der Außenpolitik dieses Landes beschäftigt. Ich will
heute ausdrücklich darauf verzichten und nur darauf hin-
weisen, dass der außenpolitische Konfrontationskurs,
den das Land verfolgt, vom innenpolitischen Versagen
ablenken soll. Er soll die Verschärfung der Repressionen
rechtfertigen. Damit will man den Druck erhöhen, sich
hinter der Regierung gegen das Ausland zusammenzu-
scharen, das man nur konfrontativ wahrnehmen will.

Der Protest und der Reformbedarf werden bei Wahlen
unterdrückt. Ich kann den Optimismus meiner Vorredner
in diesem Punkt nicht ganz teilen; denn durch die Kandi-
datenauswahl ist das Ergebnis vorprogrammiert. Man
darf nicht nur die absoluten Zahlen – von 5 538 Kandi-
daten wurden 2 059 zur Wahl zugelassen – sehen. Selbst
wenn alle Reformkandidaten gewählt würden, könnten
sie maximal 60 der 270 Sitze gewinnen. Denn in Wahl-
kreisen, in denen man nur einen Kandidaten wählen
kann, werden viele Reformer als Kandidat zugelassen; in
Wahlkreisen dagegen, in denen man mehr Sitze errei-
chen kann, wird oft kein einziger zugelassen. Damit
kann man den Ausgang der Parlamentswahl vorpro-
grammieren, was auch geschehen ist. Das zeigt, dass es
in der Frage, wer kandidieren darf, eine zentrale Planung
gab und dass gegen die eigene Verfassung verstoßen
wurde.

Wir werden sicherlich auch die Kontakte zu dem
neuen iranischen Parlament weiter pflegen; dabei müs-
sen wir aber noch stärker als bisher berücksichtigen,
dass es für das Land nicht repräsentativ ist. Das ist nicht
mehr möglich. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz
wir bei den offiziellen Besuchsprogrammen breite Kon-
takte zur iranischen Zivilgesellschaft außerhalb des Par-
laments bekommen. Der Iran könnte in der Tat ein blü-
hendes Land sein, wenn er seiner Bevölkerung mehr
Freiheit geben, die Frauen rechtlich gleichstellen und in
der Außenpolitik seine Stärke aus der Zusammenarbeit
gewinnen würde, statt durch Isolierung und Konfronta-
tion geschwächt zu werden.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614819500

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Gehrcke für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614819600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Fraktion Die Linke wird dem von den vier anderen
Fraktionen vorgelegten Antrag zustimmen, weil wir den-
ken, dass die Menschen im Iran wissen müssen, dass sie
ein Recht auf freie, gleiche und geheime Wahlen haben,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und weil sie wissen müssen, dass es Menschen gibt, die
mit ihnen solidarisch sind, wenn sie unter viel größeren
Opfern und unter Androhung von Gewalt für Demokra-
tie kämpfen. Das sagt sich hier leichter, als man es im
Iran machen kann. Das sollten sie wissen.


(Beifall bei der LINKEN)


Gleichzeitig möchte ich keinen Hehl daraus machen,
dass ich mich über die Kleinkariertheit gallig ärgere,
dass vier Fraktionen nicht bereit sind, eine fünfte Frak-
tion – die Linke –, die inhaltlich mit diesem Antrag über-
einstimmt, an einer gemeinsamen Arbeit zu beteiligen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist unglaublich kleinkariert und passt nicht mehr in
die Welt. Man sollte das zum Anlass nehmen, sich zu
fragen, ob man wirklich an solchen antikommunisti-
schen Ausgrenzungsritualen festhalten will, wenn man
im Parlament über Demokratie redet.

Ich gebe zu, dass ich schon aus Ärger darüber fünf
Minuten lang versucht war zu sagen: Wir stimmen des-
wegen nicht zu. – Es wäre aber genauso kleinkariert, ei-
nem Antrag, bei dem man in der Sache zustimmt, nur
deshalb nicht zuzustimmen, weil andere sich so blöd
verhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben gelassen gesagt: Das machen wir nicht.
Wir urteilen und entscheiden nach Inhalten. Deswegen
werden wir zustimmen. – Ich habe das kurz begründet.

Ich möchte aber auch, dass wir darüber nachdenken,
ob man nicht auch in Deutschland und in Europa in der
Iran-Politik eine andere Grundlinie braucht. Nach mei-
ner Analyse haben Sanktionen und Kriegsdrohungen
– die sind ja auch in der Welt – den Flügel der Hardliner
im Iran eigentlich nur stärker gemacht und gefestigt. Ich
komme immer mehr zu der Auffassung, dass man Luft
an die Mumien lassen muss. Dann zerfallen sie nämlich.
Wenn man sich abgrenzt und sie isoliert, dann macht
man sie stark.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Ach, halt doch die Klappe.


(Unruhe bei der FDP)


– Entschuldigung, das ist mir so herausgerutscht; das
nehme ich zurück.

Deswegen würde ich darum bitten, dass man über
politische Veränderungen und auch darüber nachdenkt,
ob man mit einer anderen Iran-Politik mehr erreichen
kann.

Sehen Sie, wir haben in diesen Tagen den fünften Jah-
restag des Irak-Krieges. Für mich sind einzelne Dinge,
die ich höre, ein furchtbares Déjà-vu-Erlebnis: Massen-
vernichtungswaffen, Terrorregime. Das waren die glei-
chen Argumente. Ich denke darüber nach, ob nicht auch
dieses Parlament der USA-Politik – diese ist schon im
Irak gescheitert und hat dort Zehntausende von Opfern
zu verantworten –, auch gegenüber dem Iran auf
Regime-Change zu setzen, widersprechen muss. Auf
Regimewechsel als Ziel einer staatlichen Politik zu set-
zen – und dies nicht in der Solidarität mit den Menschen
zu tun –, macht gerade diese Regime stark.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich würde gerne eine Politik des offenen Dialogs da-
gegensetzen, bei der man immer sehr hart die eigene
Position abgrenzen muss. Ich denke, dass man darüber
nachdenken muss, dem Iran Sicherheitsgarantien zu ge-
ben. Wenn man sich ansieht, wie er auch von Stützpunk-
ten der USA umkreist ist, dann wird klar, dass das zu
solchem Fehlverhalten führt. Ich denke auch, dass dieses
Parlament den Gedanken eines entmilitarisierten Nahen
und Mittleren Ostens sehr viel stärker einbringen muss,


(Beifall bei der LINKEN)


um Aufweichungen, auch was Demokratiedebatten im
Iran angeht, zu erreichen.

Schönen Dank. – Ich bitte nochmals um Entschuldi-
gung dafür, dass ich so reagiert habe. Das wollte ich ei-
gentlich nicht; es passiert manchmal. Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614819700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Kerstin Müller das Wort.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Gehrcke, ich will gleich zu Anfang sagen: Ich teile zwar






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Müller (Köln)

vieles von dem, was Sie vertreten, nicht, vor allem in der
Außenpolitik. Aber auch ich finde es falsch, wenn man
in Situationen, in denen sich die fünf Parteien einig sind,
aus Prinzip mit Ihnen keine Anträge macht. Meine Frak-
tion unterstützt diese Vorgehensweise ausdrücklich
nicht. Ich bin der Meinung, dass wir zu einer normalen
parlamentarischen Tagesordnung übergehen und anhand
der Inhalte entscheiden sollten, ob wir hier gemeinsame
Anträge machen oder nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Polenz, in der Tat ist es sehr gut, dass wir uns
heute einmal mit der inneren Lage des Iran befassen und
nicht immer nur über das bedrohliche Nuklearprogramm
sprechen. Es ist in der Tat außerordentlich besorgniserre-
gend, was dort im Vorfeld der Parlamentswahlen ge-
schieht. Es muss ganz klar auch in den Kontext der Men-
schenrechtslage insgesamt gestellt werden, die sich unter
der Regierung Ahmadinedschad dramatisch verschlech-
tert hat. Todesurteile und öffentliche Hinrichtungen – nach
Angaben von Amnesty waren es allein im Januar 27; im
letzten Jahr waren es fast 300 Hinrichtungen, die meis-
ten davon öffentlich –, vor allem gegen Homosexuelle,
gegen Angehörige ethnischer Minderheiten – Sie haben
Beispiele genannt – und Andersgläubige, haben massen-
haft zugenommen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen ist
der Druck auf Kritiker der Regierung, auf Journalistin-
nen und Journalisten, auf Aktivistinnen für Menschen-
rechte und aus der Frauenbewegung noch einmal enorm
erhöht worden. Sie erhalten Ausreiseverbote; viele sit-
zen im Evin-Gefängnis.

Die Kampagne für Gleichberechtigung wurde schon
erwähnt. Seit einer Demonstration im Jahre 2006 sitzen
viele Aktivistinnen im Gefängnis. Heute sollte eine Mit-
begründerin dieser Initiative, die iranische Feministin
Parvin Ardalan, in Schweden den Olof-Palme-Preis er-
halten. Ihr wurde am Flughafen der Pass abgenommen.
Damit wurde sie an der Ausreise gehindert; sie kann den
Preis heute nicht entgegennehmen. All das ist verhee-
rend.

Ich möchte der iranischen Regierung klar sagen: Las-
sen Sie Frau Ardalan ausreisen! Der Einsatz für Bürger-
rechte, für gleiche Rechte für Frauen und die freie Mei-
nungsäußerung dürfen nicht mit Gefängnis und auch
nicht mit einem Ausreiseverbot bestraft werden.


(Beifall im ganzen Hause)


Einschränkungen der Wahlfreiheit sind in der Islami-
schen Republik gang und gäbe; sie haben einen bisher
ungekannten Höhepunkt erreicht: Über 2 000 Kandida-
tinnen und Kandidaten – vor allem aus dem Reform-
spektrum, aber nicht nur aus diesem – wurden nicht zur
Wahl zugelassen. Auch Kandidaten aus dem konser-
vativen Spektrum waren betroffen, etwa der Enkel
Khomeinis. Auch sie sprechen von katastrophalen Ver-
hältnissen, etwa Ahmad Tavakoli, ein profilierter Kon-
servativer. Möglicherweise stellen diese Verbote einen
Versuch dar, den Kurs des Präsidenten zu retten und Kri-
tiker auszuschalten. Dabei bleibt unklar, wie groß die Un-
terstützung Chameneis für Präsident Ahmadinedschad
letztlich ist.

Ich halte es für sehr wichtig, dass wir mit dem vorlie-
genden Antrag gemeinsam – ich finde es gut, dass Sie
von der Linken zustimmen wollen – ein klares Zeichen
setzen, dass die Einschränkungen bei den Wahlen abso-
lut inakzeptabel sind. Das ist ein deutliches Signal an die
Hardliner. Wir senden damit aber auch ein Signal der
Unterstützung an all jene in der politischen Opposition,
die ihr Recht auf ein aktives und passives Wahlrecht ein-
fordern.

Ich möchte klar sagen – Herr Polenz, ich teile Ihre
Auffassung –: Wir müssen immer wieder die schwierige
Menschenrechtslage im Iran kritisieren, auch das, was
im Vorfeld der Wahlen passiert. Wir müssen aber auch
den Dialog mit der Zivilgesellschaft, mit den Menschen
im Land auf jeden Fall aufrechterhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Und zum Schluss möchte ich das berühmte Kulturfes-
tival erwähnen, das in Teheran stattgefunden hat. Das
Berliner Ensemble hat dort Mutter Courage aufgeführt;
die Vorstellung war völlig ausverkauft, also ein riesiger
Erfolg. Kulturelle Begegnungen sind oft die letzte Brü-
cke, das letzte Fenster zur Welt für die iranischen Men-
schen. Hier in Deutschland hat es Demonstrationen ge-
gen die Aufführung gegeben. Das halte ich für völlig
falsch. Ich möchte klar sagen: Es ist kontraproduktiv, an
dieser Stelle eine Politik der Ausgrenzung und der Isola-
tion zu verfolgen; wir müssen diese Brücken bauen, um
der Zivilgesellschaft, den Menschen im Iran, die Demo-
kratie wollen, eine Chance zu geben.

Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614819800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8379
mit dem Titel „Für freie und demokratische Parlaments-
wahlen im Iran“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht
der Fall. Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit
Homburger, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zur Einsetzung eines
Nationalen Normenkontrollrates

– Drucksache 16/7855 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll,
Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Bürokratieabbau in Europa – Kein Freibrief
zum Abbau von Arbeits- und Umweltschutz

– Drucksachen 16/4204, 16/5196 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Martin Zeil
hat für die FDP-Fraktion das Wort.


Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1614819900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Nationale Normenkontrollrat hat im Herbst 2006
seine Arbeit aufgenommen und er hat trotz der Man-
schetten, die man ihm gegen unseren Rat angelegt hat,
bisher gute Arbeit geleistet. Aber der Normenkontrollrat
ist gezwungenermaßen auf einem Auge blind. Den Frak-
tionen dieses Hauses steht ein gesetzliches Anrufungs-
recht nicht zur Verfügung. Damit werden aber gerade die
Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Deutschen Bundes-
tags in der Regel nicht geprüft, obwohl nach Ihrem Ko-
alitionsvertrag zumindest die Initiativen der Koalitions-
fraktionen überprüft werden sollten.

Wir legen Ihnen deshalb heute einen Gesetzentwurf
vor, der den bestehenden Defiziten Rechnung trägt und
ein Anrufungsrecht aller Fraktionen in Bezug auf Ge-
setzentwürfe aus der Mitte des Parlaments begründet. Im
Übrigen gibt es keine generelle Prüfungspflicht. So wird
gewährleistet, dass die Bewertung effizient erfolgt und
dass gleichzeitig Gesetze hinsichtlich ihrer Effekte durch
den Gesetzgeber besser beurteilt werden können.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr klug!)


Ein zweiter Punkt unserer Initiative betrifft die ver-
bindliche Festlegung von Nettozielen. Vor einem Jahr
hat das Kabinett zwar eine Reduktion der Bürokratie um
25 Prozent beschlossen. Leider haben Sie aber darauf
verzichtet, das 25-Prozent-Abbauziel eindeutig als Net-
toziel zu definieren. Aufgrund dieses Verzichts mangelt
es der Aussage, die Bürokratie um 25 Prozent abbauen
zu wollen, an Verbindlichkeit, Aussagekraft und letztlich
an Glaubwürdigkeit.

Ohne verbindliches Nettoziel besteht die Gefahr, dass
wir aus dem Teufelskreis ständig wachsender Bürokra-
tielasten nie herauskommen. Auch der Normenkontroll-
rat empfiehlt in seinem Jahresbericht, das 25-Prozent-
Abbauziel als Nettoziel zu definieren.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehören auch die von uns vorgeschlagenen Zwi-
schenziele. Dies erhöht die Transparenz und erleichtert
die Steuerung des Gesamtprozesses.

Ich nehme an, dass die Kollegen von der SPD viel-
leicht noch ein paar Worte zu dem Antrag ihres künfti-
gen Koalitionspartners in Hessen sagen werden. Aus
meiner Sicht atmet der Antrag der Linken,


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Sagen Sie mal: Lesen Sie keine Zeitung?)


der heute auch zur Debatte steht, zu sehr den Geist des
demokratischen Sozialismus und ist meilenweit von den
Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft entfernt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die schwarz-rote Koalition hat im Hinblick auf den
Bürokratieabbau beim Mittelstand und bei den Bürgern
Erwartungen geweckt, die sie nicht einmal im Ansatz er-
füllt hat.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Statt ein großes, gesamtwirtschaftlich angelegtes Büro-
kratieabbauprogramm zu starten, kommen Sie mit vielen
kleinen – durchaus gut gemeinten, Herr Kollege
Koschyk – Gesetzen, die aber keine spürbare Entlas-
tungswirkung haben.


(Beifall bei der FDP – Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Auch das stimmt nicht!)


Im Gegenzug schaffen Sie weitere, neue Bürokratie, an-
gefangen beim AGG bis hin zur Erbschaftsteuerreform.


(Beifall bei der FDP)


Die Erbschaftsteuerreform sollte ursprünglich auf lei-
sen Sohlen am Normenkontrollrat vorbei über die Regie-
rungsfraktionen in den Bundestag eingebracht werden.
Nach der begrüßenswerten Weigerung der Fraktionen
hat der Normenkontrollrat nun doch Stellung genom-
men. Die Bundesregierung muss geahnt haben, dass es
besser sein könnte, diesen Weg zu umgehen. Denn das
Urteil der Prüfer des Normenkontrollrats war eindeutig.
Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das federführende
Bundesfinanzministerium den bürokratischen Aufwand
für vererbte Unternehmen mit nur knapp 5 Millionen
Euro jährlich um das Vier- bis Sechsfache zu niedrig an-
gesetzt hat.

Der Kollege Michelbach von der CSU nennt diese
Stellungnahme zu Recht eine Ohrfeige für die Bundes-
regierung und warnt vor einem neuen Bürokratiemons-
ter. Um das zu verhindern, sollten Sie, meine Damen und
Herren von der Koalition, sich ein Beispiel an der rot-
schwarzen Koalition in Österreich nehmen und die Re-
gelungen zur Erbschaftsteuer einfach auslaufen lassen.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Ja, das glückliche Österreich!)


Wir reden immer nur über einen kleinen Teil der Bü-
rokratiekosten. Aber Bürokratie, so wie sie von den Be-
troffenen erfahren und empfunden wird, geht deutlich
darüber hinaus. Bürokratiekosten resultieren eben nicht






(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
nur aus Informationspflichten. Das hat uns soeben der
oberste Entbürokratisierer der EU, der beste Mann, den
wir aus Bayern dorthin geschickt haben, der ehemalige
Ministerpräsident, bestätigt.

Ich möchte aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren, in
dem Sie richtig erkannt haben:

Die Entlastung von Bürgern, Wirtschaft und Behör-
den von einem Übermaß an Vorschriften und der
damit einhergehenden Belastung durch bürokrati-
sche Pflichten und Kosten ist ein wichtiges Anlie-
gen der Koalition.

Aber wo sind denn Ihre Vorschläge und vor allem Ihre
nachweisbaren Erfolge auf diesem Gebiet? Die Bürger
spüren davon viel zu wenig. Die Betroffenen haben
durch den Hauptgeschäftsführer des DIHK an die Staats-
ministerin und den Wirtschaftsminister schreiben lassen:
„Von einem nachhaltigen Rückgang der Bürokratie ist
bislang kaum etwas zu spüren.“


(Beifall bei der FDP)


Wir können mit unserem heute vorgelegten Gesetz-
entwurf wenigstens den Normenkontrollrat institutionell
stärken und im parlamentarischen Prozess besser veran-
kern. Ich lade alle Fraktionen ein, hier mitzumachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Deutschland beim Bürokratieabbau auf europäi-
scher Ebene vom Zuschauer zum respektierten Mitspie-
ler werden soll, müssen wir die Kompetenzen des Natio-
nalen Normenkontrollrats erweitern und endlich ein
verbindliches Nettoabbauziel vorgeben.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wäre schön, wenn es hier zu einer interfraktionellen
Initiative käme.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Gute Rede!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820000

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Andreas

Lämmel das Wort.


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1614820100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ich beginne – das tue ich sicherlich
nicht oft – mit einem Zitat eines angestaubten Vorden-
kers der Linken, nämlich von Marx. Er sagte einmal:
„Die Bürokratie gilt sich selbst als der letzte Endzweck
des Staates.“ Schon damals war Marx mit seinen Gedan-
ken zum Bürokratieabbau weiter, als Sie es heute sind,
meine Damen und Herren von der Linken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Sie vermuten hinter jedem Vorschlag zum Bürokratie-
abbau den Abbau von sozialen und ökologischen Stan-
dards.
Die Initiative der Europäischen Kommission zur bes-
seren Rechtsetzung, wonach die Zahl der EU-Vorschrif-
ten um 25 Prozent gesenkt werden soll, ist aus meiner
Sicht eine der wichtigsten Initiativen der letzten Jahre
überhaupt. Es wird höchste Zeit, dass das neue Denken
in Brüssel einzieht. Der Nationale Normenkontrollrat
schätzt, dass über 40 bis 50 Prozent der nationalen Infor-
mationspflichten unmittelbar oder mittelbar auf Rege-
lungen der Europäischen Union zurückgehen und dass
dies ein Belastungsvolumen von bis zu 600 Milliarden
Euro für die Wirtschaft und die Bürger bedeutet. Das
während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter
Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel beschlos-
sene Abbauziel für die Europäische Union ist ein riesiger
Erfolg.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Einen solch großen Schritt hat es jahrzehntelang nicht
gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Stigmatisierung des Bürokratieabbaus, die Sie be-
treiben – Frau Zimmermann wird gleich versuchen, das
darzulegen –, ist daher völlig fehl am Platz. Ich will Ih-
nen an einem Beispiel die Regelungswut Brüssels aufzei-
gen. Ein so bergiges Land wie Mecklenburg-Vorpommern
– die Helpter Berge mit 179 Meter über Normalnull sind
die höchsten Berge – musste nach allen Regeln der par-
lamentarischen Kunst ein Seilbahngesetz verabschieden,
weil sonst eine Vertragsstrafe aus Brüssel in Höhe von
800 000 Euro gedroht hätte. Das versteht doch kein nor-
maler Mensch mehr.

Gestatten Sie mir noch einen Vergleich. Von Herrn
Alwin Münchmeyer, Kaufmann seines Zeichens, stammt
folgender Spruch: Das Vaterunser hat 56 Wörter, die
Zehn Gebote haben 297 Wörter, und eine Verordnung
der Europäischen Kommission über den Import von Ka-
ramellen und Karamellprodukten zieht sich immerhin
über 26 911 Wörter hin. – Man sieht, was sich da mitt-
lerweile aufgebaut hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Antrag der Linken entspricht in keiner Weise un-
serer Wirklichkeit; denn es geht doch beim Bürokratie-
abbau um Vereinfachung und eine bessere Verständlich-
keit des europäischen Rechts. Wir sind dringend auf
diese Anstrengungen angewiesen und wir setzen auf die
Zähigkeit des ehemaligen bayerischen Ministerpräsiden-
ten und seiner Kommission, in Brüssel die Dinge voran-
zubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus diesem Grunde haben alle Fraktionen Ihren Antrag,
Frau Zimmermann, am 28. März letzten Jahres abge-
lehnt. Wir haben unsere Meinung darüber nicht geän-
dert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Oh!)


Wir beraten heute zusätzlich einen Gesetzentwurf der
FDP-Fraktion zur Erweiterung der Kompetenzen des
Normenkontrollrates. Zunächst einmal möchte ich sa-






(A) (C)



(B) (D)


Andreas G. Lämmel
gen, dass wir die Arbeit des Nationalen Normenkontroll-
rates ausdrücklich begrüßen; denn er ist zu einem echten
Bürokratie-TÜV in Deutschland geworden. Allein im
vergangenen Jahr hat der Rat 420 Regelungsvorhaben
der Bundesministerien geprüft und seine Empfehlungen
ausgesprochen. Damit konnten die Unternehmen um
netto 777 Millionen Euro entlastet werden. Das ist nun
kein Pappenstiel. Sie, Herr Zeil, sagen immer, dass das
zu schleppend oder zu langsam geht.


(Martin Zeil [FDP]: Das tut es auch!)


Sie müssen aber sehen, dass es den NKR erst etwas län-
ger als ein Jahr gibt. In dieser Zeit hat er 420 Rege-
lungsvorhaben geprüft. Das ist ein ehrenamtliches Gre-
mium. In Holland hat man sieben Jahre gebraucht, in
Großbritannien drei Jahre, und wir in Deutschland haben
ein Jahr gebraucht, bis der Normenkontrollrat voll wirk-
sam gearbeitet hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist eine hervorragende Leistung für ein solches Gre-
mium. Unser Dank geht an die Herren dieses Gremiums.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mittlerweile wurde die Bestandsmessung des gelten-
den Bundesrechts vorgenommen. Das Ergebnis ist: Die
Verwaltungskosten, die der deutschen Wirtschaft durch
gesetzliche Regelungen in Deutschland entstehen – es
handelt sich um 2 100 Informationspflichten –, betragen
insgesamt 27 Milliarden Euro im Jahr. Es muss uns doch
der Mühe wert sein, dafür zu kämpfen, diesen Betrag zu
senken.


(Martin Zeil [FDP]: Also los!)


Der Regierungsbeschluss vom Februar 2007, bis zum
Jahr 2011 die Bürokratie um ein Viertel zu reduzieren,
ist ganz gut, aber wir sind der Meinung, dass die Bun-
desregierung die Schlagzahl durchaus erhöhen könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Martin Zeil [FDP]: Auf mehreren Feldern!)


Auch sind wir auf das erste Paket von konkreten Abbau-
maßnahmen, das in diesem Frühjahr von der Regierung
verabschiedet werden soll, sehr gespannt. Wir unterstüt-
zen Sie dabei. Man hört immer wieder aus verschiede-
nen Ressorts, dass etwas gebremst wird. Wir können Sie
nur deutlich ermuntern, Nägel mit Köpfen zu machen.
Wir teilen daher die Meinung der FDP-Fraktion, dass
dieses Abbauziel natürlich netto gelten muss.


(Martin Zeil [FDP]: Dann sollte man es auch sagen!)


Das ist sonst völlig witzlos. Auch die Einführung eines
Rechts der Fraktionen, bei Gesetzentwürfen den Nor-
menkontrollrat anzurufen, halten wir für sinnvoll. Ich
möchte aber hinzufügen, dass das keine Idee der FDP ist,
sondern die vorderste Forderung der Union zum Büro-
kratieabbau überhaupt war.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Zeil, das ist auch aus folgendem Grund interessant:
Wenn die Linke ihre Gesetzentwürfe zur Prüfung an den
Normenkontrollrat schickt, dann wird für alle transpa-
rent, wie die Linken die Wirtschaft und die Bürger belas-
ten wollen. Dann wird transparent, welchen „Bürokratie-
abbau“ sie planen. Insofern ist das ein wirksames
Instrument.

Wir werden den Gesetzentwurf in den Ausschüssen
diskutieren. Wir werden mit unserem Koalitionspartner
über die vorgelegten Vorschläge sprechen. Ich habe im
Januar diesen Jahres eine Pressemitteilung unseres Kol-
legen Herrn Dr. Wend gelesen, in der er seine Zustim-
mung zu den Forderungen signalisierte. Insofern bin ich
hoffnungsvoll, dass das auch für das Nettoabbauziel gilt.

In rein formaler Hinsicht, Herr Zeil, muss man sagen,
dass Ihr Antrag noch optimierungsfähig ist. In ihm sind
ein paar Verwechslungen und Fehler, die man aber noch
korrigieren kann. Sie sind nicht kriegsentscheidend; wir
wollen Sie hier gerne unterstützen.

Meine Damen und Herren, wir müssen mit dem Büro-
kratieabbau weiter vorankommen. Unser Versprechen an
die Bürger und an die Wirtschaft, alles dafür zu tun, gilt
weiterhin. Die Kugel ist ins Rollen gekommen und nicht
mehr aufzuhalten. Jetzt müssen wir nur sehen, dass wir
mit dieser Kugel auch alle Neune erwischen. Dafür soll-
ten wir gemeinsam streiten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820200

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Sabine Zimmermann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Zeil, ich schätze Sie wirklich sehr, aber ich
muss Ihnen eines sagen: Sie haben erklärt, Sie hätten den
besten Mann aus Bayern nach Europa geschickt. Andere
sprechen davon, dass sie ihn zum Glück los seien. Mög-
licherweise sind wir hier sehr unterschiedlicher Mei-
nung.

Vor etwa anderthalb Jahren hat die Bundesregierung
den Normenkontrollrat ins Leben gerufen. Als eine Art
Bürokratie-TÜV soll er der Bundesregierung zur Seite
stehen und ihr helfen, überflüssige Bürokratie abzu-
bauen. Die Linke hat immer davor gewarnt: Diese Initia-
tive ist einseitig an den Interessen der Wirtschaft ausge-
richtet und geht auf Kosten der Allgemeinheit. Das hat
sich leider bewahrheitet.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Können Sie dafür mal ein Beispiel bringen?)


– Sie bekommen noch die Beispiele.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
an dieser Stelle wäre es eigentlich angebracht gewesen,
Bilanz darüber zu ziehen, was die bisherige Politik ge-
bracht hat. Der Normenkontrollrat hat einen Zwischen-
bericht vorgelegt; der Bericht der Bundesregierung steht
leider noch aus. Bisher hat sie sich geweigert, die Frage






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Zimmermann
zu beantworten, welchen konkreten Nutzen der bisherige
Bürokratieabbau überhaupt gebracht hat. Ich fürchte,
heute werden wir wieder vergeblich auf eine Antwort
warten.

Antworten erhalten wir auch nicht von der FDP, die
fordert, die Befugnisse des Normenkontrollrats auszu-
weiten. Lieber Herr Zeil, ich muss Sie noch einmal an-
sprechen: Aus Ihrem Antrag schaut wieder der neolibe-
rale Geist heraus.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist das Beste, was es überhaupt gibt in diesem Lande!)


Liebe Kollegen der SPD, Sie haben bei der Gründung
des Normenkontrollrats zugesichert, der Bürokratieab-
bau der Großen Koalition werde kein Abbau gesell-
schaftlich sinnvoller und notwendiger Regelungen sein.
Sind Sie ehrlich, müssen Sie einräumen, dass dieses Ver-
sprechen nicht gehalten worden ist.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben doch vorhin von Beispielen gesprochen!)


Mit dem ersten Bürokratieabbaugesetz hat die Bun-
desregierung die amtliche Statistik ausgedünnt. Unter-
nehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern fallen nun aus
der monatlichen Statistik zu Umsatz und Beschäftigung
heraus. Folgerichtig beklagen heute Wissenschaftler,
dass Unternehmen im Zuge des Bürokratieabbaus weni-
ger Daten an das Statistische Bundesamt lieferten und
die vorhandenen Statistiken nicht mehr ausreichten, um
verlässliche ökonomische Analysen und Prognosen zu
erstellen.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie wollen also mehr Bürokratie!)


Des Weiteren hat die Bundesregierung für Kleinbetriebe
den betrieblichen Datenschutzbeauftragten einfach abge-
schafft. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz äu-
ßerte, damit werde der Datenschutz eingeschränkt, dies
verstoße gegen europäisches Recht.

Meine Damen und Herren, ist Ihnen auch bekannt,
dass die Regierung über sogenannte Modellregionen
– Sie wollen ja immer Beispiele haben – den Bürokratie-
abbau in den Bundesländern unterstützt und dass in einer
dieser Modellregionen, in Ostwestfalen-Lippe, Umwelt-
verbände und Gewerkschaften aus diesem Projekt ausge-
stiegen sind? Ihr Vorwurf lautet: Unter dem Deckmantel
des Bürokratieabbaus wird der Naturschutz demontiert
und einseitig Politik für die Wirtschaft gemacht, nämlich
auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und ihrer Rechte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820400

Frau Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage

von Frau Müller?


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820500

Ja, gerne.

Hildegard Müller (CDU):
Rede ID: ID1614820600

Frau Kollegin, ist Ihnen die Drucksache 16/6428 des

Deutschen Bundestages bekannt? Sie scheinen sie nicht
zu kennen; anderenfalls hätten Sie Ihre Rede so nicht
halten können. Sie enthält einen Bericht der Bundes-
regierung zum Bürokratieabbau, der genau die Frage be-
antwortet, die Sie hier stellen. Sind Sie bereit, zur Kennt-
nis zu nehmen, dass das Mittelstandsentlastungsgesetz
für die Unternehmen eine enorme Freiheit gebracht hat,
was zu Mehreinstellungen geführt hat?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820700

Sie reden immer von Freiheit für die Unternehmen.

Aber Sie müssten auch darüber reden, dass dadurch Ar-
beitnehmerrechte sowie Rechte in den Bereichen Natur-
schutz und Umweltschutz abgebaut werden.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was Konkretes!)


Darauf sollten Sie achten.

Ich habe das Beispiel Ostwestfalen-Lippe angeführt.
Dort sind solche Rechte abgebaut worden. Das nehmen
wir zur Kenntnis. Ich denke, Sie müssen hier umdenken.


(Zurufe von der CDU/CSU: Welche Beispiele denn? – Völlig lebensfremd! – Dann geben Sie mal Butter bei die Fische!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820800

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage der Kollegin

Müller?


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614820900

Ja, bitte.


Hildegard Müller (CDU):
Rede ID: ID1614821000

Frau Kollegin, ich darf Sie noch einmal fragen, ob Ih-

nen diese Bundestagsdrucksache bekannt ist. Sie haben
gesagt, die Bundesregierung habe keinen Bericht vorge-
legt. Ich verweise Sie auf die Bundestagsdrucksache, die
genau den Bericht enthält, den Sie hier nicht zur Kennt-
nis nehmen wollen.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614821100

Wir haben im Wirtschaftsausschuss zur Kenntnis ge-

nommen – ich weiß jetzt nicht, ob Sie Mitglied des Wirt-
schaftsausschusses sind –, dass der Normenkontrollrat
seinen Bericht dort abgegeben hat. Natürlich ist mir
diese Bundestagsdrucksache bekannt.


(Hildegard Müller [CDU/CSU]: Also nein! Also ist Ihnen der Bericht nicht bekannt!)


– Natürlich. Der Normenkontrollrat war bei uns im Aus-
schuss. Da müssten Sie sich vielleicht einmal sachkun-
dig machen.

Ich möchte nun zum Schluss kommen. In der Praxis
ist das Vorhaben der Bundesregierung, angeblich über-
flüssige Informationspflichten der Wirtschaft abzu-
bauen, zu einem Abbau von gesellschaftlich wichtigen






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Zimmermann
Standards geworden. Das müssen Sie einfach zur Kennt-
nis nehmen, auch die Kollegen der CDU/CSU. Dafür
gibt es genug Beispiele.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Welche Beispiele hatten Sie noch mal?)


Die Verbände in Ostwestfalen-Lippe und anderswo sind
nicht umsonst ausgestiegen. Angeblich ist die Wirtschaft
durch die Arbeit des Kontrollrates um 790 Millionen
Euro entlastet worden. Das sind zumindest die offiziel-
len Zahlen. Bezogen auf etwa 3,4 Millionen Unterneh-
men, sind das 230 Euro im Jahr.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das verkennt doch die Faktenlage!)


Das bedeutet im Monat 19 Euro. Ich bitte Sie, klarzustel-
len, inwiefern Bürokratieabbau da eine Entlastung be-
deutet?

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Kein einziges Beispiel!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614821200

Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin für die SPD-

Fraktion.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1614821300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Über viele Jahrzehnte war Bürokratieabbau ein
Thema in vielen Reden – Herr Zeil, insbesondere in den
Zeiten, in denen die FDP in Bonn noch regiert hat –;


(Jörg Tauss [SPD]: Und Bürokratie geschaffen hat! – Martin Zeil [FDP]: Da ging es dem Volk noch gut!)


aber passiert ist nicht viel. Es wurde darüber nur gestrit-
ten und debattiert. Die Große Koalition hat dieses
Thema in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal kon-
kret angepackt.

Herr Zeil, wir konzentrieren uns auf das, was wirklich
Bürokratie ist. Ihr Verständnis von Bürokratieabbau, das
gern Arbeitnehmerrechte und andere Dinge einbezieht,
teilen wir ausdrücklich nicht. Wir konzentrieren uns hier
mit der Arbeit des Normenkontrollrates auf das, was Bü-
rokratie im engeren Sinne ist. Darum muss es uns gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ohne den Versuch, das Rad jedes Mal neu zu erfin-
den, machen wir durch die Arbeit des Normenkontroll-
rats und durch andere Maßnahmen Schritte; die Bundes-
kanzlerin würde von einer Politik der kleinen Schritte
sprechen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Es nützt
nämlich nichts, mit der Axt durch den Wald zu gehen,
sondern man muss sich sehr genau anschauen, was man
vor sich hat und wo man etwas beschneiden muss.

Wir haben im Jahre 2006 mit dem Gesetz zur Einset-
zung eines Nationalen Kontrollrates einen wichtigen
Schritt getan. Es wurden in den letzten Jahren über
10 000 Informations- und Statistikpflichten im Auftrag
des Normenkontrollrates geprüft, um so zu einer Entlas-
tung der Unternehmen von Bürokratiekosten zu kommen.
Insgesamt haben wir bisher einen Abbau von bürokrati-
schen Belastungen in Höhe von immerhin 2,6 Milliarden
Euro erreicht. Ich finde, dass man sich dahinter nicht
verstecken muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Gleichwohl ist das nur der Anfang. Wir haben ein Etap-
penziel erreicht und müssen auf diesem Weg weiterge-
hen.

Wir werden genau überprüfen – da schließen wir uns
einer Empfehlung des Normenkontrollrates ausdrücklich
an –, welche Gruppen von Unternehmen und welche
Gruppen bei den Bürgerinnen und Bürgern durch welche
Vorschriften belastet sind, und wir werden versuchen,
passgenaue Ansätze zu entwickeln.

Ich glaube, dass es unheimlich wichtig ist – das hat
auch das Gespräch mit Herrn Ludewig im Ausschuss ge-
zeigt –, uns nicht allein auf das zu beschränken, was der
Normenkontrollrat machen kann. Wir müssen nach un-
seren Möglichkeiten dafür sorgen, dass ähnliche Initiati-
ven und die Arbeit am Thema Bürokratieaufbau auch auf
anderen Ebenen stattfinden, dass wir in den Bundeslän-
dern entsprechende Initiativen starten und dass wir die
Kommunen einbeziehen. Bürokratie entsteht nicht nur
durch Gesetze, die der Deutsche Bundestag verabschie-
det.


(Jörg Tauss [SPD]: Die wenigsten! Es sind auch die Länder!)


Bürokratie entsteht in gleicher Weise durch Verwal-
tung und auch auf anderen Ebenen. Deswegen müssen
wir das in Übereinstimmung mit dem, was Herr
Ludewig im Ausschuss gesagt hat, in Angriff nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich darf man Europa nicht außer Acht lassen.
Das ist in den Vorreden schon angeklungen. Wir setzen
uns auch auf europäischer Ebene dafür ein, dass die In-
formationspflichten minimiert und dass neue Informa-
tionspflichten – wenn möglich – gar nicht erst geschaf-
fen werden, sollten sie nicht zwingend erforderlich sein.
Wir schauen auch auf andere europäische Länder wie die
Niederlande, Großbritannien, Dänemark und Öster-
reich, um zu erfahren, wie dort mit dem Standardkosten-
modell umgegangen wird, und um die positiven Erfah-
rungen aus diesen Ländern in unsere Entscheidungen
einzubeziehen.

Jetzt haben wir die Debatte darüber, inwieweit man
die bisherigen gesetzlichen Regelungen erweitern kann.
Die FDP stellt den Antrag mit Blick auf das Anrufungs-
recht der Fraktionen. Das Copyright liegt nicht allein bei
Ihnen; auch der Normenkontrollrat hat das gesagt.


(Jörg van Essen [FDP]: Das zeigt, wie gut der Antrag ist! – Martin Zeil [FDP]: Wir haben das schon vor zwei Jahren beantragt!)







(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin
Er hat gesagt: Wir wollen in diese Richtung gehen. –
Wir als SPD-Fraktion schließen uns dem grundsätzlich
an.


(Jörg van Essen [FDP]: Erfreulich!)


Wir sollten das erfolgreiche Instrument, das wir in der
Hand haben – nämlich die Prüfung durch den Normen-
kontrollrat –, erweitern, auch auf die Gesetzgebung aus
der Mitte des Parlaments.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, dass das dritte Mittelstandsentlastungsgesetz
geeignet sein wird, die Arbeit des Normenkontrollrats
auf weitere Felder der Gesetzgebung auszudehnen. Wir
werden das prüfen und diskutieren; aber es soll schon
klar sein, in welche Richtung wir da gehen wollen.

Ein Anrufungsrecht der Fraktionen würde sicherstel-
len, dass die Überprüfung zum Regelfall wird. Wir erle-
ben schon bei dem, was auf den Weg gebracht worden
ist, dass eine Selbstdisziplinierung stattfindet, dass man
bei dem, was beschlossen wird, vorsichtig ist und auf die
entstehenden Bürokratiekosten achtet. Weitere Bürokra-
tiekosteneinsparungen für kleinere und mittlere Unter-
nehmen würden damit gewährleistet. Deswegen wollen
wir so verfahren.

Vor kurzem stand in der Zeit: Wer in Nordrhein-West-
falen aus einer Produktionshalle ein Lager machen will,
braucht dafür keine Genehmigung mehr. Wer im Saar-
land ein Haus baut, muss das nicht mehr beantragen.
Wer in Baden-Württemberg Taxi fährt, kann sich die
Farbe seines Autos aussuchen. – Es war eine ganze
Reihe von Beispielen. Jedes Beispiel ist für sich genom-
men lächerlich – die Wahlmöglichkeit bei der Farbe von
Taxis ist natürlich nicht das Symbol für Bürokratieab-
bau –, aber in der Summe ist das wirklich nicht zu ver-
achten. Da sind wir mit den kleinen Schritten auf dem
richtigen Weg.

Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht irgendeine
Milliardensumme festschreiben sollten, so wie Sie das
verlangen, Herr Zeil.


(Martin Zeil [FDP]: Ich habe „Prozentsatz“ gesagt!)


– Oder einen Prozentsatz. –


(Martin Zeil [FDP]: Das hat Ihre eigene Regierung beschlossen!)


Wir müssen vielmehr darauf achten, ob die Reduktion
wirklich bei denjenigen ankommt, bei denen die Büro-
kratie am meisten zugeschlagen hat. Ich glaube nicht,
dass man das am Ende an formalen Kriterien wird fest-
machen können.

Ich habe heute einfach einmal bei der einen oder an-
deren Firma in meinem Wahlkreis angerufen. Weil bei
der Vorrednerin immer nach Beispielen verlangt wurde,
will ich ein Beispiel nennen. Ein großer Windenergie-
anlagenhersteller, der in den letzten Jahren am Markt
wirklich sehr erfolgreich war und inzwischen mehrere
Tausend Beschäftigte hat, hat auf die Frage, ob der Büro-
kratieabbau dort angekommen sei, geantwortet, dass
man das spürt, und zwar dadurch, dass bestimmte Pro-
bleme schnell elektronisch gelöst werden können


(Martin Zeil [FDP]: Das war aber ein Parteifreund!)


– nein, das ist er ganz sicher nicht; davon können Sie fest
ausgehen; das würde Ihnen jeder in der Region bestäti-
gen –, und dadurch, dass Dinge eingescannt werden kön-
nen, um sie elektronisch zu versenden. Es hieß, dadurch
sei die tägliche Arbeit bei bestimmten Dingen in der
letzten Zeit schon erheblich erleichtert worden. Wir wur-
den von ihm darin bestärkt, diesen Weg weiterzugehen.
Die Prozesse sind jetzt – so lautete die Aussage – sehr
viel stringenter und effizienter geworden.

Auch die Testregion Ostwestfalen-Lippe ist hier
schon das eine oder andere Mal angesprochen worden.
Ich teile nicht Ihre Klage, Frau Zimmermann, dass man
in Ostwestfalen-Lippe Arbeitnehmerrechte oder Um-
weltschutzvorschriften abgebaut hätte. Im Gegenteil, ich
glaube, dass man in dieser Testregion sehen kann, wie
vieles gemacht werden könnte. Jürgen Heinrich, der Pro-
jektleiter, hat das folgende Bild gebracht – das will ich
zum Abschluss zitieren –, nämlich

… dass Bürokratieabbau weniger der Arbeit des
Architekten gleicht, der ein Gebäude errichtet, und
das steht dann für die nächsten 30 Jahre da und
funktioniert, sondern eher mit der Arbeit eines
Gärtners zu vergleichen ist, der alltäglich in seinen
Garten hinausgeht, dort etwas jätet und etwas zu-
rückschneidet, regelmäßig den Rasen kürzt und ge-
legentlich auch zum Spaten greift, um kräftig um-
zugraben und Brachland zu schaffen, auf dem dann
Neues sprießt und gedeiht.

Ich glaube, dass Herr Heinrich mit diesem wunderbaren
Bild recht hat.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614821400

Kollege Duin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Zimmermann?


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1614821500

Da ich eh nur noch elf Sekunden gehabt hätte,

können Sie meine Redezeit gerne verlängern, Frau
Zimmermann.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614821600

Danke schön. – Sind Sie mit mir der Meinung, dass

die Gewerkschaften und die Umweltschutzverbände aus
dem Testlauf in Ostwestfalen-Lippe ausgestiegen sind,
und zwar mit der offiziellen Begründung, dass dort
Rechte angetastet worden sind? Oder kennen Sie eine
andere Begründung dafür, warum sie ausgestiegen sind?
Ich will Ihnen dazu sagen, dass ich in engem Kontakt
mit dem dortigen DGB-Regionsvorsitzenden stehe und
deshalb den entsprechenden Schriftverkehr kenne. Ich
frage Sie also: Warum sind Ihrer Meinung nach die ge-
nannten Verbände ausgestiegen?






(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1614821700

Ich kann die Frage im Detail so nicht beantworten, da

ich persönlich mit den dortigen Funktionären im Ge-
werkschaftsbund nicht bekannt bin. Ich glaube aber
grundsätzlich – das Projekt in Ostwestfalen-Lippe kenne
ich gut genug, um das sagen zu können –, dass nicht jede
Meinung eines Verbandsvertreters – sei es auch die eines
Gewerkschaftschefs – für das tatsächliche Empfinden
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relevant ist.
Meines Erachtens gibt es keine Belege dafür, dass in die-
sem Projekt in Ostwestfalen-Lippe Arbeitnehmerrechte
wirklich nachhaltig infrage gestellt worden sind.

Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen deutlich
gemacht, dass wir gerade darauf setzen, dass es nur um
Bürokratieabbau gehen darf und nicht um das Beschnei-
den der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern bzw. von Umweltschutzstandards. Das ist mit uns
nicht zu machen.


(Beifall bei der SPD)


Ich kann Ihnen nicht im Detail beantworten, welche
persönlichen Verwerfungen es zwischen den in Ostwest-
falen-Lippe Agierenden gibt, sodass es zu diesem Aus-
stieg gekommen ist. Glauben Sie mir aber, dass ein viel
größerer Aufschrei durch das Land gegangen wäre,
wenn ausgerechnet in einer Region wie Ostwestfalen-
Lippe Arbeitnehmerrechte anders behandelt würden als
im Rest der Republik.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614821800

Kollege Duin, auch der Kollege Dobrindt möchte Ih-

nen Gelegenheit geben, noch länger zu sprechen; das
heißt, er möchte Ihnen eine Frage stellen. Lassen Sie
diese auch noch zu?


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1614821900

Auch die Zwischenfrage des Kollegen Dobrindt lasse

ich gerne zu.


Alexander Dobrindt (CSU):
Rede ID: ID1614822000

Herr Kollege Duin, sind Sie mit mir der Meinung,

dass die Linke hier zwei Dinge unrechtmäßigerweise
vermischt,


(Zuruf von der SPD: Ja!)


nämlich die Arbeit des Normenkontrollrates und den
Testlauf in der Modellregion Ostwestfalen-Lippe? Der
Normenkontrollrat, der hier von der Linken kritisiert
wird, soll nämlich auf oberster Ebene kontrollieren, ob
Gesetze mehr Bürokratie nach sich ziehen. In der Mo-
dellregion Ostwestfalen-Lippe soll auf unterster Ebene
getestet werden, wie viel Bürokratieabbau in einem
Landkreis direkt vor Ort bei den Bürgern möglich ist.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1614822100

Herr Kollege Dobrindt, ich bin absolut Ihrer Mei-

nung. Der Normenkontrollrat ist – das ist immer wieder
betont und auch von den Beteiligten, zum Beispiel von
Herrn Ludewig, bestätigt worden – keine Kontroll-
instanz für die Gesetzgebung dieses Hauses, sondern er
kümmert sich um die Bürokratiekosten. Das macht er,
wie ich finde, in wegweisender Art und Weise. Insofern
gebe ich Ihnen vollkommen recht: Es gibt hier einen Un-
terschied in der Wahrnehmung zwischen uns und den
Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614822200

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Kerstin Andreae das Wort.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614822300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt
den Antrag der FDP.


(Beifall bei der FDP)

Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie, Frau

Zimmermann, sagen, der Antrag sei neoliberal. Bei An-
trägen von der FDP muss ich auch immer aufpassen, ob
diese aus unserer Sicht nicht über das Ziel hinausschie-
ßen. Hier geschieht Folgendes: Sie sagen, der Normen-
kontrollrat sei ein gutes Gremium. Aber wir haben ein
Manko: Wir müssen die Befugnisse des Normenkon-
trollrats ausweiten. – Was für ein Parlament sind wir
denn, wenn wir nicht in der Lage sind, unsere eigenen
Gesetze durch den Normenkontrollrat prüfen zu lassen?
Natürlich müssen die Befugnisse des Normenkontroll-
rats ausgeweitet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Bezüglich des Nettoreduktionsziels kommt der Nor-
menkontrollrat zum gleichen Ergebnis. Wir haben 500
neue Informationspflichten geschaffen, und Sie haben
136 Informationspflichten abgeschafft. Sie feiern die
Abschaffung dieser Informationspflichten. Aber netto
haben wir doch eine Ausweitung der Bürokratie.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Wenn man sich das Ziel setzt, Bürokratie abzubauen,
dann muss man ehrlicherweise den Saldo betrachten.
Wir müssen uns genau angucken, wo wir Informations-
pflichten geschaffen und wo wir diese abgebaut haben,
und prüfen, ob es sich am Ende tatsächlich um einen Ab-
bau oder um einen Aufbau von Bürokratie handelt. Von
daher ist es richtig, ein Nettoreduktionsziel festzulegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Ich möchte nun den Antrag der Linken kommentie-
ren. Ich sehe durchaus, dass es schwierig ist, die Balance
zu halten. Arbeitsschutz- und Umweltschutzauflagen
sind absolut notwendig, manchmal muss man der Wirt-
schaft sagen, dass es nicht immer nach ihrer Pfeife läuft.
Wir müssen natürlich Umweltschutzrichtlinien festset-
zen, auch wenn diese Bürokratie bedeuten.

Im ersten Punkt Ihres Antrags schreiben Sie:
Die Europäische Union erleben derzeit viele Men-
schen als bürgerfern.






(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Andreae
D’accord! Das ist tatsächlich ein Problem, das über alle
Ebenen hinweg gelöst werden muss. Im zweiten Punkt
gehen Sie jedoch ausgerechnet auf die EU-Arbeits-
schutzrichtlinie zur optischen Strahlung ein. Was war
das denn für eine Arbeitsschutzrichtlinie? – Sie schrei-
ben selber:

Diese sollte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
unter anderem vor Sonneneinstrahlung und damit
möglichen Hautkrebserkrankungen schützen.

Ich bin ja dafür, dass man die Leute in irgendeiner Form
auf den Zusammenhang zwischen Sonneneinstrahlung
und Hautkrebsrisiko hinweist. Aber dafür brauchen wir
keine bürokratische EU-Richtlinie.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dieses Problem betrifft doch die Menschen in den Bier-
gärten genauso wie die Bademeister in den Freibädern
und das Baugewerbe. Natürlich ist es richtig, auf Haut-
krebsrisiken aufmerksam zu machen.


(Sabine Zimmermann [DIE LINKE]: Ja!)


Aber dafür braucht man keine Richtlinie.

Ihr Vorschlag basiert ja auf der Überlegung, dies als
Arbeitsschutzmaßnahme zu proklamieren, um dann zu
argumentieren, durch den Bürokratieabbau sei dieser Ar-
beitsschutz nicht gewährleistet. Das entspricht nicht der
Position der Grünen. Wir sagen: Ja, wir brauchen so-
wohl, was den Umweltschutz angeht, als auch, was den
Arbeitsschutz angeht, Richtlinien und Regelungen.
Diese können manchmal auch Bürokratie bedeuten. Das
darf aber nicht so ausufern, wie es bei dieser Richtlinie
der Fall gewesen wäre. Schon alleine deswegen können
wir dem Antrag der Linken nicht zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte mich jetzt noch an die Koalitionsfraktio-
nen richten, da beide angedeutet haben – so habe ich zu-
mindest Sie, Herr Duin, und Sie, Herr Lämmel, verstan-
den –, wir könnten über eine Ausweitung der Befugnisse
des Normenkontrollrates reden; das finde ich gut. Ich
möchte einen Kronzeugen zitieren. Die Bertelsmann-
Stiftung schreibt nämlich:

Obwohl es positiv zu bewerten ist, dass der NKR
im Gesetzgebungsprozess verankert ist, bleibt die
Frage, warum er nur Hilfestellung leisten darf,
wenn die Gesetzesinitiative von der Bundesregie-
rung ausgeht und warum er nicht bis zum Schluss
des Legislativverfahrens eingebunden ist.

Wir wissen doch alle, wo das Problem liegt: Das Gesetz
wird eingebracht, und dann kommen die Änderungsvor-
schläge der Koalitionsfraktionen und der Opposition.
Von jeder Seite werden Änderungsvorschläge vorgelegt,
die die Gesetze komplizierter und bürokratischer ma-
chen. Ich finde, es hat etwas mit unserem Selbstver-
ständnis als Parlament zu tun, wenn wir sagen: Der Nor-
menkontrollrat ist in alle Initiativen während des
gesamten Prozesses eingebunden, um auf die bürokrati-
schen Wirkungen, die eine Änderung nach sich ziehen
würde, hinweisen zu können. Die Entscheidung ist im-
mer noch Sache des Parlaments.

Das Parlament ist Gesetzgeber und sollte das für diese
Entscheidung notwendige Selbstbewusstsein haben. Wir
unterstützen den Antrag der FDP.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614822400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/7855 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bürokratieab-
bau in Europa – Kein Freibrief zum Abbau von Arbeits-
und Umweltschutz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5196, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4204 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Schummer, Ilse Aigner, Marcus Weinberg, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Ulla Burchardt, Willi Brase, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Rahmenbedingungen für Lebenslanges Ler-
nen verbessern – Weiterbildung und Qualifi-
zierung ausbauen und stärken

– Drucksache 16/8380 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia
Möller, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Der beruflichen Weiterbildung den notwendi-
gen Stellenwert einräumen

– Drucksache 16/7527 –






(A) (C)



(B)


Vizepräsidentin Petra Pau
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker
Schneider (Saarbrücken), Cornelia Hirsch,
Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Zukunftsaufgabe Weiterbildung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick
Meinhardt, Cornelia Pieper, Uwe Barth, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Offensive Weiterbildung – Weiterbildung als
4. Säule des Bildungswesens ernst nehmen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Kai Gehring, Brigitte Pothmer, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Lebenslanges Lernen fördern

– Drucksachen 16/785, 16/2702, 16/4748, 16/8352 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Patrick Meinhardt
Volker Schneider (Saarbrücken)

Priska Hinz (Herborn)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Uwe Schummer für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1614822500

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!

Bildung schafft Beteiligungschancen, nutzt Potenziale
für unser Land. Wir haben in Deutschland die meisten
Patentanmeldungen weltweit. Die meisten Patente wer-
den von den Beschäftigten der Unternehmen angemel-
det.

Die Wirtschaft selbst errechnet einen jährlichen Ver-
lust von 18,5 Milliarden Euro, der sich daraus ergibt,
dass Aufträge nicht angenommen werden können, weil
Stellen nicht mit qualifizierten Mitarbeitern besetzt wer-
den können. 3,5 Millionen Arbeitslose kosten insgesamt
75 Milliarden Euro. Diese Summe ergibt sich aus nicht-
gezahlten Steuern und Sozialbeiträgen sowie den Leis-
tungsausgaben.

Es ist undenkbar, dass die arabischen Länder ihre
Erdölvorräte im Wüstensand versickern lassen oder die
Südafrikaner die Goldnuggets in den Flussläufen nicht
voll ausschöpfen. Wir hingegen haben 1,3 Millionen
junge Menschen – Schulabgänger bis 29 Jahre – ohne
berufliche Qualifizierung. Diese Situation ist nicht vom
Himmel gefallen. Sie hat sich im Verlauf von mehr als
einer Dekade, über 15 Jahre hinweg entwickelt. Das
lässt keinen Platz für Selbstgerechtigkeit, egal auf wel-
cher Seite.

Wir korrigieren das, was in den letzten 15 Jahren
falschgelaufen ist. Die Große Koalition hat gehandelt,
zum Beispiel mit dem Beschluss „Neue Dynamik für
den Ausbildungspakt“. Entscheidend für Weiterbildung
ist die Weiterbildungsfähigkeit. Wir müssen Aus- und
Weiterbildung miteinander vernetzen. Es ist gut, dass es
konkrete Vereinbarungen zwischen Politik und Wirt-
schaft gibt, eine bessere Berufsorientierung stattfindet
und mit dem EQJ-Programm, den Einstiegspraktika,
eine Brücke zur dualen Ausbildung gebaut wurde. Die
Weitervermittlungsquote bei diesem Programm beträgt
immerhin 75 Prozent. Mit 630 000 betrieblichen Ausbil-
dungsplätzen haben wir den Höchststand seit 1992 in
Deutschland erreicht. Die Erosion der dualen Bildung,
die über ein Jahrzehnt hinweg anhielt, ist endlich ge-
stoppt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zum Thema „Motivation zur Weiterbildung“ gehört
auch die grenzüberschreitende Anerkennung und Ver-
wertbarkeit der dualen Ausbildung im europäischen Bil-
dungsraum. Unser Antrag, der auf einen europäischen
Qualifizierungsrahmen abzielt, ist von großer Bedeu-
tung, damit die duale Ausbildung bei den Bewertungs-
kriterien eins bis acht hoch angesiedelt wird. Ein erster
Erfolg ist, dass der Meisterbrief europaweit einem Hoch-
schulabschluss gleichgestellt worden ist.

Das dritte parlamentarische Werkstück: die Vermitt-
lung der Altbewerber in eine berufliche Qualifizierung.
Diesem Thema hat sich der Antrag „Junge Menschen
fördern – Ausbildung schaffen und Qualifizierung si-
chern“ gewidmet. Neu ist der Ausbildungsbonus. Er
wird dafür sorgen, dass nicht irgendwann, sondern zeit-
nah, jeder, der will und kann, eine Berufsausbildung fin-
det.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist besser, betriebliche Strukturen für die Ausbildung
zu nutzen als teure Parallelstrukturen aufzubauen oder
zu warten, bis die Konjunktur das Thema von selber löst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun kommt der vierte Baustein: die Förderung des
lebenslangen Lernens. Eine der Grundlagen ist der
Unionsantrag „Rahmenbedingungen für Lebenslanges
Lernen verbessern – Weiterbildung und Qualifizierung
ausbauen und stärken“ aus der letzten Legislaturperiode.
Aufgrund des vorzeitigen Abtretens der rot-grünen Bun-
desregierung – Sie hatten sich gegenseitig das Miss-
trauen erklärt – konnte dieser Unionsantrag nicht zu
Ende beraten werden. Das haben wir nun mit dem Koali-
tionsantrag nachgeholt. Wir haben die zweite Chance ge-
nutzt, und nun ist die Zeit der Entscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(D)







(A) (C)



(B) (D)


Uwe Schummer
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Wirt-
schaft: Schluss mit der Dequalifizierung durch Frühver-
rentungen, Entlassungen und Billigstlöhnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Arbeitnehmer sind nicht nur Kosten, sie sind Aktivpos-
ten. Eine bundesweite Onlinebefragung der IHK-Organi-
sationen zeigt, dass neun von zehn Unternehmen in die
Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren wollen. Un-
ser im Antrag vorgegebenes Ziel ist, bis 2015 bei der
formalisierten Weiterbildung der Erwerbstätigen eine
Weiterbildungsquote von mindestens 50 Prozent und
beim informellen Lernen von mindestens 80 Prozent zu
erreichen.

Der Antrag zum lebenslangen Lernen will einen
Finanzierungsmix und eine Bildungsprämie als Direkt-
zuschuss in Höhe von 154 Euro für Arbeitnehmer mit
geringem Einkommen. Höhere Einkommen können
Weiterbildungskosten über den Pauschbetrag im Steuer-
recht bis 920 Euro absetzen. Vorbild ist auch ein Bil-
dungsscheck in Nordrhein-Westfalen aus der Werkstatt
von Karl-Josef Laumann. In zwei Jahren wurde er
200 000 Mal abgerufen; 150 000 Arbeitnehmer haben
ihn eingelöst. Ziel sind Unternehmen mit bis zu 250 Be-
schäftigten. Auch hier werden 50 Prozent der Kursge-
bühren übernommen. Kammern und Volkshochschulen
beraten über die richtige Qualifizierung. In einer Weiter-
bildungsallianz sollten Programme von Bund, Ländern
und Sozialpartnern aufeinander abgestimmt und weiter-
entwickelt werden.

Die größte Hebelwirkung hat die Erweiterung des
Vermögensbildungsgesetzes durch Prämie, Zinsen, Ei-
genanteil und Arbeitgeberanteil. Derzeit werden
6,7 Millionen Arbeitnehmer durch die Sparzulage geför-
dert. Sie sollen Guthaben vorzeitig für Bildungsmaßnah-
men abrufen können. Die Kombination von Bausparen
und Bildungssparen, aber auch mit dem Produktivsparen
kann dazu führen, dass wir insgesamt 12 Millionen Ar-
beitnehmer, die die Möglichkeit dazu haben, erreichen.
Weiterbildungsdarlehen und Zeitkonten, die zeitverzinst
für Familienphasen, aber auch für Qualifizierungszeiten
genutzt werden, sind weitere Elemente unseres Antrages
zum lebenslangen Lernen.

Wir ermuntern die Tarif- und Betriebsparteien nach-
drücklich, diesen Weg zu gehen. Ein offenes Thema,
über das wir auch politisch mit den Sozialpartnern spre-
chen müssen, ist der Insolvenzschutz. Ein unbürokrati-
scher Weg wäre eine Regelung analog der Pensions-
sicherung, die der Pensionssicherungsverein seit über
30 Jahren organisiert. Auch dies ist meines Erachtens ein
Thema für eine Weiterbildungsallianz, die wir mit der
Bundesregierung, den Sozialpartnern und den Ländern
schmieden wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Arbeitsförderung und Berufsbildungsgesetz sind Kin-
der der Großen Koalition von 1967/68. Hans Katzer, der
damalige Arbeitsminister, hat sie federführend entwi-
ckelt. Damals ging es darum, dass 120 000 Arbeitslose
durch Qualifizierung in eine Beschäftigung gebracht
werden sollten. Heute geht es darum, dass im globalen
Wettbewerb der Wissensgesellschaften 40 Millionen Er-
werbstätige permanent – durch Training on the Job –
qualifziert werden müssen. Dies geht nicht mehr über
die Arbeitslosenversicherung. Da müssen wir die Selbst-
finanzierungsanreize stärken und insgesamt versuchen,
diesen Finanzierungsmix auszubauen.

Mit dem Antrag erfüllen wir jetzt nicht alle Wünsche
und Hoffnungen in der Weiterbildung. Aber er öffnet
Türen in neue Räume, die wir politisch weiter ausgestal-
ten werden. Ich zitiere jetzt:

Notwendig ist ein aufeinander abgestimmtes Sys-
tem von gründlicher Elementarbildung, berufsbezo-
gener Grundschulung und berufsbegleitender Wei-
terbildung. Nicht Privilegien, sondern persönliche
Leistungen legitimieren den beruflichen Aufstieg in
der Sozialen Marktwirtschaft.

So Ludwig Erhard in seinem Manifest 1972 und so auch
die Leitlinien unserer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614822600

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Meinhardt

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1614822700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Über Weiterbildung und lebenslanges Lernen
wird in der Politik momentan wirklich viel gesprochen.
In aller Bescheidenheit darf ich darauf hinweisen, dass
auch der Antrag der FDP mit dem Titel „Offensive Wei-
terbildung“ einen Impuls für eine umfassende Weiterbil-
dungsdebatte gesetzt hat. Spätestens seit es die soge-
nannte Qualifizierungsinitiative gibt, ist dieses Thema in
aller Munde. Dafür ist es allerdings auch höchste Zeit.


(Beifall bei der FDP)


Leider muss bilanziert werden: Im Großen und Gan-
zen bleibt es bei Lippenbekenntnissen und Absichtser-
klärungen, die Substanz fehlt, und ein roter Faden ist
überhaupt nicht erkennbar. Das können wir uns bei die-
sem Thema beim besten Willen nicht mehr leisten.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die FDP-Fraktion ist in dieser Debatte, die eigent-
lich eine Weiterbildungsdebatte ist, wichtig, darauf hin-
zuweisen, dass schnellstmöglich ein in sich stimmiges
Konzept erarbeitet werden muss, das auf vier Grundla-
gen fußt: auf dem Bildungssparen, auf Lernzeitkonten,
auf attraktiven Bildungsdarlehen und auf Bildungsgut-
scheinen auch für die Weiterbildung. Die Basis des Gan-
zen muss aber sein, dass wir ein breites gesellschaftli-
ches Bewusstsein für das lebenslange Lernen schaffen
müssen.

Wichtig ist, dass wir mit den Zielgruppen richtig um-
gehen, vor allem mit den jungen Erwachsenen. In einem






(A) (C)



(B) (D)


Patrick Meinhardt
ersten Schritt müssen wir insbesondere bei den
1,3 Millionen Menschen in Deutschland ansetzen, die
jünger als 30 Jahre sind und keinen Schulabschluss ha-
ben. Das ist auch eine große integrationspolitische He-
rausforderung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns
einmal an, was die Bundesregierung unter anderem vor-
schlägt: die Einführung eines Freiwilligen Technischen
Jahres. „Freiwillig“ und „Technisch“ – das hört sich erst
einmal gut an.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unbezahltes Langzeitpraktikum!)


Aber was steckt dahinter? Dieses Freiwillige Technische
Jahr soll junge Menschen, die in der Schule keinen Zu-
gang zu Mathematik und Naturwissenschaften gefunden
haben, nun plötzlich für die Naturwissenschaften begeis-
tern. Meine Damen und Herren, Sie können sich be-
stimmt vorstellen, mit welcher Begeisterung sich Ex-
schüler in die Warteschleife auf dem Weg in Ausbildung
oder Studium begeben werden! Begeisterung und Lei-
denschaft für Mathematik, Naturwissenschaften und
Technik muss von Kindesbeinen an in der Schule ver-
mittelt und dann am Leben gehalten werden. Deswegen
brauchen wir konkrete Vorschläge, wie bei den jungen
Menschen schon im Kindergarten die Begeisterung für
Naturwissenschaften und Mathematik entfacht werden
kann.


(Beifall bei der FDP)


Wenn es um das Thema Weiterbildung geht, muss
man auch die älteren Arbeitnehmer in den Blick neh-
men. Den älteren Arbeitnehmern hat die Bundesregie-
rung bedauerlicherweise ebenfalls nur wenig zu bieten.
55 Prozent aller über 55-Jährigen arbeiten nicht mehr.
Gleichzeitig haben wir in Deutschland einen massiven
Fachkräftemangel zu beklagen. Wir müssen den Men-
schen durch attraktive Weiterbildungskredite die Mög-
lichkeit geben, länger im Arbeitsprozess zu bleiben.
Denn ältere Arbeitnehmer haben wichtige Kenntnisse
und verfügen über das Wissen, das im Arbeitsprozess
gebraucht wird. Eine Weiterbildungsinitiative, die an
den älteren Menschen vorbeigeht, ist und bleibt Stück-
werk.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614822800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Tauss?


Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1614822900

Es hätte mich auch gewundert, Herr Kollege Tauss,

wenn Sie keine Zwischenfrage hätten stellen wollen.


(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: Hat er wieder keine Redezeit bekommen?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1614823000

Lieber Kollege Fischer, es freut mich, dass Sie wieder

einmal hier sind. Herzlich willkommen!


(Heiterkeit)

Kollege Meinhardt, ich war von Ihrer Begeisterung
für Kindergärten usw., die ich übrigens uneingeschränkt
teile, wirklich ergriffen,


(Ulrike Flach [FDP]: Frage!)


und das unabhängig davon, dass Sie im Gegensatz zu
mir ein regelrechter Extremföderalist sind.

Ich möchte Sie fragen: Haben Sie zur Kenntnis ge-
nommen, dass durch unsere Initiativen in genau diesem
Bereich etwas geschehen ist? Ich möchte Sie in diesem
Zusammenhang nur auf das entsprechende Projekt der
Helmholtz-Gemeinschaft hinweisen und das Stichwort
„Kleine Forscherinnen und Forscher“ nennen. Das, was
der Bund in diesem Bereich zu leisten hatte, hat er getan.
Haben Sie diese Initiativen zur Kenntnis genommen,
und wollen Sie sie nicht genauso positiv würdigen, wie
ich es gerade getan habe?


(Heiterkeit)



Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1614823100

Herr Kollege Tauss, ich sage Ihnen ganz offen und

ehrlich: Wenn es um Weiterbildung geht, ist für mich
entscheidend, was man unter dem Strich für die Men-
schen erreicht.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)


Deswegen würdige auch ich die Initiativen, die gemein-
sam mit der Helmholtz-Gemeinschaft und mit der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft durchgeführt werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Die es früher nicht gab!)


Aber Sie sollten auch eingestehen, dass es eine ganze
Reihe von Initiativen gibt, die während der Regierungs-
zeit der FDP-CDU/CSU-Koalition auf den Weg gebracht
wurden, von Ihnen fortgesetzt oder ergänzt wurden und
dann ihre sinnvollen Wirkungen entfalten konnten, weil
die Kindergärten in diese Arbeit von Anfang an inte-
griert worden sind. Nur, mein grundsätzlicher Vorwurf
wird dadurch nicht ausgehebelt.


(Jörg Tauss [SPD]: Doch!)


– Nein, wird er nicht, Herr Kollege Tauss. Ein stimmiges
Weiterbildungskonzept braucht einen roten Faden. Einen
solchen kann ich in dem vorgelegten Weiterbildungs-
konzept beim besten Willen nicht erkennen. Es ist gut,
wenn Einzelmaßnahmen, die in der Vergangenheit ge-
wirkt haben, fortgesetzt werden. Zu einer neuen Weiter-
bildungsinitiative gehören jedoch neue Impulse. Die
Weiterbildungsbeteiligung liegt im OECD-Durchschnitt
bei 18 Prozent. Bei uns liegt sie bei gerade einmal
12 Prozent. Wir brauchen eine Weiterbildungsinitiative,
die in sich stimmig ist. Es fehlt dieser Weiterbildungsini-
tiative darüber hinaus an Dynamik.


(Beifall bei der FDP)


Der Kollege Schummer hat auf die Weiterbildungs-
prämie, auf den staatlichen Zuschuss von 154 Euro, ver-
wiesen. Wenn das im Zentrum Ihrer Weiterbildungsini-
tiative stehen soll, muss ich Ihnen sagen: Das geht an
dem, was wir in der Bundesrepublik Deutschland an
Weiterbildung brauchen, vorbei. Was kann man sich für






(A) (C)



(B) (D)


Patrick Meinhardt
154 Euro – bzw. 308 Euro; es wird ja komplementär fi-
nanziert – an beruflicher Weiterbildung schon leisten?
Mehr als ein Wochenendkurs in buddhistischer Schwan-
gerschaftsgymnastik, in ostsibirischer Glasbläserei oder
in maoistischem Makramee mit dem AStA der lokalen
Uni wird da nicht drin sein. Schlicht und ergreifend: Mit
154 Euro schafft man keine Weiterbildungsoffensive.

Der Kollege Schummer hat die Weiterbildungs-
schecks angesprochen, die Nordrhein-Westfalen einge-
führt hat – ein tolles Projekt der FDP/CDU-Regierung in
Nordrhein-Westfalen. Warum wird ein solcher Weiterbil-
dungsscheck nicht zum Kern dieser Weiterbildungsini-
tiative gemacht? In Nordrhein-Westfalen sind Weiter-
bildungsschecks für die Mitarbeiter von kleinen und
mittleren Unternehmen eingeführt worden. Das ist die
Zielrichtung, die wir brauchen. Denn so hat man es ge-
schafft, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die
Mitarbeiter erneuern ihr Können und Wissen und sichern
sich so die aktive Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt, die
Unternehmen profitieren davon, weil sie sich so Innova-
tion und Wettbewerbsfähigkeit sichern. Ein Weiterbil-
dungsscheck wäre der Einstieg in eine Weiterbildungs-
offensive, die diesen Namen verdient.

Das Rad der Weiterbildung muss nicht neu erfunden
werden. Ideen und gute Lösungsansätze wie den Weiter-
bildungsscheck in Nordrhein-Westfalen gibt es genug.
Diese Koalition muss das Rad der Weiterbildung ledig-
lich drehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614823200

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ernst Dieter

Rossmann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1614823300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In einer großen Koalition ist es so, dass man über die
Parteigrenzen hinaus in der Bewertung der Bedeutung
von Weiterbildung viel Übereinstimmung hat, weshalb
ich der Analyse der Kollegen Schummer und Meinhardt
nichts hinzufügen möchte.

Ich will darauf hinweisen, dass jede Zeit die Förde-
rung der Weiterbildung um neue Elemente ergänzt hat.
Unter der ersten Großen Koalition war das der gesetzli-
che Anspruch im Sozialgesetzbuch. Dann kam das
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Unter Rot-Grün
ist das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz mit Sub-
stanz versehen worden. 70 000 Beschäftigte zusätzlich
haben davon Gebrauch machen können. Es gab den An-
satz der lernenden Region, um die Akteure vor Ort zu-
sammenzubringen. Dies wird jetzt weitergeführt. Die
Benachteiligtenförderung wird jetzt in Richtung Alpha-
betisierung ausgebaut. Um auf Ihre Kritik zurückzukom-
men: Es gibt sehr wohl einen roten Faden. Vielleicht ist
es, damit man das nicht einer Partei zuschreibt, besser,
von einem starken Faden zu sprechen.
In dieser Kontinuität steht das neue Programm. Unter-
stützt wird es durch den Antrag mit dem Ziel eines Bil-
dungsgipfels, um nachhaltig die Unterstützung von Wei-
terbildung zu verabreden. Wir treten damit in eine neue
Phase ein. Dabei werden auch Elemente, wie sie der
Kollege Schummer genannt hat, aufgenommen. Die Be-
nachteiligtenförderung wird durch die Bündelung der
Elemente nochmals verstärkt. Verstärkt wird auch die
Frühförderung, die Beratung und die Vorbereitung von
Weiterbildung. Damit sind natürlich neue Rechtstatbe-
stände verbunden. Denn Weiterbildung – das zeigte sich
jedes Mal – wurde immer dann am effektivsten wahrge-
nommen, wenn es eine gute finanzielle Ausstattung, gute
Qualität und klare Rechte gegeben hat, und dieses klare
Recht ist in der Großen Koalition vereinbart worden.

Hinzugekommen ist die Bildungsprämie. Dazu muss
ich eine sachliche Anmerkung an Ihre Adresse richten.
Wenn 80 Prozent der beruflichen Weiterbildungsmaß-
nahmen durch die Prämienförderung abgedeckt werden,
dann ist das wirklich eine substanzielle Leistung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Man kann zwar über die übrigen 20 Prozent streiten – wir
haben dabei den roten Faden durchaus im Blick –, aber
wir sollten nicht die 80 Prozent der Maßnahmen ver-
schweigen, die wir mit der Prämie fördern.

Wir fragen uns mit Sorge – man kann ruhig offenle-
gen, dass wir in der Großen Koalition gerne weiterge-
gangen wären –, ob ein Rechtsanspruch auf die Prämie
vorgesehen ist oder ob sie sich nach dem jeweiligen Fi-
nanzvolumen richten soll, das über den Europäischen
Sozialfonds zur Verfügung gestellt wird.

Insofern werden wir diesen Schritt gerne mitgehen,
aber die Sozialdemokratie streitet dafür, dass ein Rechts-
anspruch auf die Bildungsprämie mit in ein Erwachse-
nenbildungsförderungsgesetz aufgenommen wird, weil
das eine positive Wirkung hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir begrüßen auch, dass ein Aufstiegsstipendium
vorgesehen ist, mit dem Menschen mit beruflicher Qua-
lifikation eine Hochschule besuchen können. Wir möch-
ten aber einen Rechtsanspruch auf diese Förderung für
diejenigen schaffen, die sich auf den beschwerlichen
Weg machen, an ihre berufliche Qualifikation noch eine
akademische Ausbildung anzuschließen. Ich füge hinzu,
dass auch die sogenannte Zweite Chance zu einem
Rechtsanspruch werden muss. Aber auch in diesem
Punkt ist es nicht ganz richtig, Herr Meinhardt, der Gro-
ßen Koalition bzw. dem Arbeitsministerium zu unterstel-
len, keine besonderen Fördersachverhalte zuzulassen.
Denn es gibt das Programm „WeGebAU“, das exzellent
ist in Bezug auf die Förderung von älteren Menschen in
Beschäftigung oder von Arbeitslosen in Qualifizierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir beobachten aber, dass eine gewisse Zeit und auch
Werbung notwendig sind, um das Programm in Gang zu
bringen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann
Insofern bitte ich Sie, auf manche verbale Akrobatik
zu verzichten. Auch ein FDP-Rhetorikkurs wie der, mit
dem Sie sozusagen eine Makramee-Diffamierung ver-
sucht haben, würde nicht durch die Prämie gefördert
werden. Er war im Übrigen auch keine Prämie wert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen weiter an dem Aufstiegsfortbildungsför-
derungsgesetz, dem Meister-BAföG, arbeiten. Dabei be-
obachten wir, dass unser Koalitionspartner in diesem
Punkt durchaus zur Einsicht kommt. Ich darf für die So-
zialdemokratie feststellen, dass wir dieses Gesetz als
eine sehr wichtige Komponente ausbauen wollen, damit
es nicht bei den 70 000 Menschen bleibt, die wir schon
durch die damalige rot-grüne Reform gewonnen haben,
sondern dass sich noch andere auf den Weg machen, her-
vorragende Fachwirte, Techniker und Meister zu wer-
den.

Insofern lässt sich folgendes Resümee ziehen: Der
rote Faden besteht darin, dass alle Lust auf Weiterbil-
dung haben sollen und indirekt in der Pflicht stehen, für
sich selbst und für die Allgemeinheit etwas aus sich zu
machen. Das können sie aber am besten dann tun, wenn
sie ein Recht auf ein angemessenes Auskommen, Unter-
stützung, Qualität, Gleichwertigkeit und gleiche Chan-
cen im Recht auf Weiterbildung haben. Dafür steht die
SPD. Wir sind sicher – ganz im Sinne von Hans Katzer –,
dass wir das auch als gemeinsame Leistung schaffen: so-
zialdemokratisch begonnen, mit konservativer Unter-
stützung fortgesetzt zur breiten Förderung aller Men-
schen in Deutschland, die sich weiterbilden wollen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614823400

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Volker Schneider das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614823500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei so viel schwungvoll vorgetragener Begeisterung


(Jörg Tauss [SPD]: Wollen Sie nicht beiseite stehen!)


frage ich mich, ob wir über dasselbe Weiterbildungssys-
tem diskutieren. Geht es hier um das Weiterbildungssys-
tem, das nach Daten der OECD international eindeutig
hinterherhinkt? Reden wir über das Weiterbildungssys-
tem, bei dem die soziale Herkunft in hohem Maße für
die Inanspruchnahme von Weiterbildungsmaßnahmen
und den Umfang, in dem die Teilnehmer von dieser Wei-
terbildung profitieren können, entscheidend ist? Reden
wir über das Weiterbildungssystem, das ausweislich des
Bildungsberichtes mit sinkenden Teilnahmequoten rech-
nen muss und bei dem der Durchschnittswert der aufge-
wendeten Zeit für die berufliche Weiterbildung deutlich
sinkt? Wir reden anscheinend über zwei unterschiedliche
Systeme.
Sie sind vor zweieinhalb Jahren als Große Koalition
mit folgendem Anspruch angetreten – ich zitiere aus
dem Koalitionsvertrag –:

Wir wollen mittelfristig die Weiterbildung zur vier-
ten Säule des Bildungssystems machen und mit
bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine
Weiterbildung mit System etablieren.

Was ist in der Zwischenzeit passiert? Es hat eine
ganze Reihe von Anträgen von der FDP, von den Grünen
und von der Linken gegeben. Nur von der Bundesregie-
rung bzw. von der Großen Koalition haben wir außer
Ankündigungen bis jetzt wenig gesehen und gehört. Es
gab einmal einen Innovationskreis Weiterbildung, der
zwischenzeitlich auch einen Bericht vorgelegt hat. Der
ist eigentlich nicht so schlecht. Aber es steht nichts we-
sentlich Neues darin, jedenfalls nichts, was die Opposi-
tionsfraktionen nicht vorher auch schon vorgelegt hät-
ten.

Jetzt legen Sie endlich einen eigenen Antrag vor. Er-
staunlicherweise ringen Sie sich im Feststellungsteil im-
merhin dazu durch, einige kritische Aspekte zur Situa-
tion in der Weiterbildung aufzugreifen und die
Notwendigkeit von weitreichenden Veränderungen zur
Stärkung der Teilnahme an Weiterbildung gerade für Äl-
tere und Geringqualifizierte zu betonen. Aber auch darin
steht bis auf eine für mich bemerkenswerte Sache nichts
Neues. Das Bemerkenswerte ist für mich als rentenpoli-
tischer Sprecher, dass Sie jetzt sogar die Weiterbildung
zum Instrument der Alterssicherung machen wollen. Ich
will nicht näher darauf eingehen. Aber es ist schon ein
bemerkenswerter Hinweis darauf, in welch bedauerns-
wertem Zustand sich offensichtlich Ihre private Alters-
vorsorge befindet, dass Sie jetzt die Weiterbildung er-
gänzend in diesem Bereich heranziehen müssen.


(Beifall bei der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: Das müssen Sie jetzt einmal erklären! Keine Weiterbildung für Ältere? Unglaublich!)


Wenn Sie das schon machen, dann wäre es ganz gut,
Sie würden sich ein bisschen informieren. Es gibt näm-
lich ganz aktuell eine Untersuchung der Universität
Essen, der Freien Universität Berlin und der Business
School in Kiel. Diese besagt, man könne im Bereich der
Riesterrente keinen einzigen Euro an zusätzlicher Spar-
leistung mobilisieren, sondern die Leute schichteten nur
auf die geförderten Sparmaßnahmen um. Genau das-
selbe wird Ihnen in der Weiterbildung auch passieren.
Genau aus diesem Grund hat das Weiterbildungssparen
bei weitem nicht den Effekt, den Sie sich davon verspre-
chen.


(Beifall bei der LINKEN)


In sechs Punkten erfahren wir, was die Große Koali-
tion begrüßt. Die Große Koalition begrüßt zum Beispiel
die Vorlage der Empfehlung des Innovationskreises Wei-
terbildung – fantastisch. Ich könnte noch eine Reihe von
Punkten anführen, was man noch so alles begrüßen
kann. Dass die KMK die Initiative der Bundesministerin
zur Halbierung der Anzahl von Schulabgängern ohne
Schulabschluss aufgreift, ist auch sehr begrüßenswert.






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

Nett wäre es, wenn es mit ein paar Maßnahmen unterfüt-
tert wäre. Davon steht nichts in diesem Antrag.

Eines aber muss ich doch lobend hervorheben – da
sind wir Linken mit Ihnen einer Meinung –: Sie schrei-
ben unter Punkt 6, dass die Bundesagentur für Arbeit die
Effektivität ihrer Maßnahmen zur beruflichen Weiterbil-
dung verbessert hat, indem die Vorgabe einer Verbleibs-
prognose von 70 Prozent als Voraussetzung für die Aus-
gabe von Bildungsgutscheinen für die BA seit 2005
nicht mehr besteht und dass vor allen Dingen bei der
Vergabepraxis der BA die Qualität wieder eine größere
Rolle spielt. Wir sind mit Ihnen einer Meinung, dass das
ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt war.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dafür haben wir gekämpft!)


Dann kommt allerdings ein Teil mit 20 Forderungen
an die Bundesregierung, die ich wirklich nur als einen
Kessel Buntes bezeichnen kann. In dem Potpourri steht,
man soll die Weiterbildung als tragenden Teil des Bil-
dungssystems etablieren und prüfen. Entschuldigung,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koali-
tion, dafür haben Sie zweieinhalb Jahre Zeit gehabt. Jetzt
ist es wirklich höchste Zeit, dass Sie einmal etwas Or-
dentliches tun. Es geht nicht nur um Prüfen, um Pro-
jekte, Forschungsvorhaben, Initiativen und Aktionspro-
gramme. Das ist wahrhaftig zu wenig. Entweder Sie
wollen nicht oder Sie können nicht. Das ist auf jeden
Fall nicht das, was die Weiterbildung braucht, um
Deutschland nach vorne zu bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wo bleibt das Konstruktive?)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614823600

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614823700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch wir haben uns verdutzt gefragt, warum die Koali-
tionsfraktionen überhaupt solch einen Antrag zur Wei-
terbildung einbringen.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Weil uns das Thema wichtig ist, Herr Kollege!)


Es wäre doch für Union und SPD angenehmer gewesen,
zu den Anträgen der Opposition zu sprechen, als dieses
inhaltliche Armutszeugnis vorzulegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben in Ihrem Weichspülerantrag nichts Konkre-
tes zu bieten, nicht einen Vorschlag, der dieses Jahr noch
umgesetzt werden könnte. Da kann ich nur an den Kolle-
gen Schneider anschließen: Sie ermuntern, Sie wirken
darauf hin, Sie begrüßen, Sie prüfen. Das ist ein Doku-
ment der Unverbindlichkeit. Wie lange wollen Sie noch
so vorgehen? Schließlich sind Sie an der Regierung. Ma-
chen Sie zur Abwechslung endlich einmal etwas!
Schließlich ist mehr als die Hälfte der Regierungszeit
vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Hätten Sie doch wenigstens aus Ihrem eigenen Koali-
tionsvertrag abgeschrieben! Aber nein, Sie gehen noch
weit dahinter zurück.

Erstes Beispiel. Im Koalitionsvertrag haben Union
und SPD auf Seite 43 noch bundeseinheitliche Rahmen-
bedingungen für die Weiterbildung vereinbart. Jetzt
heißt es in Ihrem Antrag, es solle erst einmal geprüft
werden, ob die Weiterbildung „mit bundeseinheitlichen
Rahmenbedingungen systematischer gefördert werden
kann.“

Zweites Beispiel. Sie verlangen im Koalitionsvertrag
auf Seite 44 eine „Insolvenzsicherung“ von Lernzeitkon-
ten durch den Staat. Nun heißt es im Antrag lapidar, dass
„dem Insolvenzschutz dieser Lernzeitkonten Rechnung
getragen werden“ solle.

Wird Ihnen bei so vielen Rückwärtsrollen nicht lang-
sam schwindelig? Ich finde, das Ganze ist eindeutig zu
wenig. Das gilt auch für die Bildungsprämie. Sie tun ge-
rade so, als sei alles schon beschlossene Sache. Dabei
haben wir fast zwei Jahre auf einen Vorschlag gewartet;
die Prämie steht aber immer noch nicht im Gesetzblatt.


(Ulrike Flach [FDP]: Wie wahr!)


Doch anstatt der Regierung hier einmal Dampf zu ma-
chen und sie aufzufordern, endlich die letzten Details zu
klären, liest man in Ihrem Antrag nur, dass Sie den Prä-
mienvorschlag begrüßen.


(Jörg Tauss [SPD]: Nur heiße Luft!)


– Ja. – Trotz der Anhörung, die der Bildungsausschuss
zum Bericht der Kommission „Finanzierung Lebenslan-
gen Lernens“ veranstaltet hat, ist Ihr Antrag leider küm-
merlich.

Wenn ich mir die schönen Beschlüsse der SPD-Bun-
destagsfraktion zur Weiterbildung anschaue, finde ich es
schade, dass Sie davon so wenig in Koalitionsanträgen
durchsetzen können. Ich hoffe, dass Sie da künftig mehr
Erfolg haben.


(Beifall des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD])


Was Sie von der Großen Koalition in dieser Legisla-
turperiode in puncto Weiterbildung abliefern, gleicht ei-
nem Armutszeugnis. Sie können sich gar nicht um die
Umsetzung einer Weiterbildungsstrategie bemühen, weil
Sie schlichtweg keine haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gestern hat der Innovationskreis Weiterbildung seine
Ergebnisse vorgelegt. Es sind durchaus ein paar gute
Vorschläge dabei, die jetzt umgesetzt werden müssen. Es
bringt nichts, nur etwas auf Papier zu schreiben. Die
Bundesregierung muss sich jetzt um die Umsetzung
kümmern; denn sonst werden ihre eigenen Ziele hin-
sichtlich der Teilnahmequoten eindeutig verfehlt. Sie






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
müssen das beim Bildungsgipfel im Herbst hinbekom-
men; sonst wird das nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt auch, dass man in diesem Bereich Vereinba-
rungen mit der Kultusministerkonferenz treffen muss.
Das scheint mir – ich denke an die Sitzung des Bildungs-
ausschusses – nötiger denn je zu sein. Laut KMK ran-
giert das Thema Weiterbildung unter „ferner liefen“.

Nehmen Sie sich ruhig noch einmal unseren Antrag
vom Januar 2007 vor. Er beinhaltet etliche gute Projekte,
die Sie direkt in Angriff nehmen könnten. Ich möchte
nur ein paar Beispiele nennen: Machen Sie einen Pilot-
versuch für Bildungsberatung an Verbraucherzentralen;
die Bereitschaft dazu ist, wie wir aus Gesprächen wis-
sen, vorhanden. Erweitern Sie das Meister-BAföG. Sie
müssen ja nicht gleich, wie wir das fordern, ein Erwach-
senen-BAföG durchsetzen, wenn die Union zuviel Angst
davor hat, könnten aber einen ersten Schritt in diese
Richtung unternehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sorgen Sie dafür, dass Geringqualifizierte besser von
der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden! Reser-
vieren Sie für diese Gruppe über eine Quote die Hälfte
der Angebote für berufliche Weiterbildung. Starten Sie
ein Pilotprojekt, insbesondere für die kleinen und mitt-
leren Betriebe, um Weiterbildungsstrategien zu erarbei-
ten! Hier könnte der britische Small Firm Development
Account Vorbild sein. Nehmen Sie sich das doch einmal
vor!

Ich wollte nur ein paar Beispiele für konkrete grüne
Vorschläge für eine systematische Weiterbildungsstrate-
gie nennen. Werden Sie endlich Ihren hehren Worten
vom lebenslangen Lernen gerecht! Legen Sie parlamen-
tarische Initiativen vor, die diesen Namen wirklich ver-
dient haben!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrike Flach [FDP]: Sie hätten das auch ein paar Jahre lang tun können! Ein paar Jahre waren Sie dran!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614823800

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun für die SPD-

Fraktion der Kollege Dieter Grasedieck.


(Beifall bei der SPD)



Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1614823900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Meine Damen und Herren von der Opposition,
es wird nicht nur geprüft und ermuntert. Wir haben in
den unterschiedlichsten Bereichen konkrete Maßnahmen
ergriffen. Ich möchte nur einige Beispiele aus der letzten
Zeit aufführen. Wir haben zum Beispiel das E-Learning-
Verfahren mit 1,2 Milliarden unterstützt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das betraf sowohl die Förderung von Facharbeitern als
auch von Akademikern. Das ist sicher ein entscheiden-
der Punkt gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Außerdem will ich die geplante Förderung der Weiterbil-
dung von Erzieherinnen nennen. Auch das ist ein wichti-
ger Punkt, der noch in diesem Jahr umgesetzt werden
wird.

Die Weiterbildungsquote steigt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben die Herausforderung in zwei Bereichen – dem
der Ausbildung und dem des lebenslangen Lernens – an-
genommen. Im Hinblick darauf haben wir Qualifizie-
rungsmaßnahmen vorangetrieben. Weiterbildung ist
wichtig, weil es viele Patente, so viel neue Technik in
den Werkstätten, aber auch so viele Veränderungen in
den Büros gibt. Schauen Sie sich in einer Werkstatt doch
nur einmal eine CNC-Maschine von heute im Vergleich
zu einer von vor zehn Jahren an. Dann sehen Sie, dass
wir da Weiterbildung benötigen, und genau dafür setzt
die Bundesregierung sich ein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen. Das Ar-
beitsministerium hat Integrationsarbeit im Bereich der
Weiterbildung geleistet. Im Jahre 2005 wurden insge-
samt 130 000 Bürgerinnen und Bürger weitergebildet.
Im Jahre 2007 waren es fast dreimal so viele;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


insgesamt sind 340 000 Bürgerinnen und Bürger weiter-
gebildet worden. Es sind Schulabschlüsse und Berufsab-
schlüsse nachgeholt worden. Das war eine wichtige Inte-
grationsarbeit, die wir in den kommenden Jahren
weiterhin leisten wollen. Das haben wir innerhalb des
Arbeitsministeriums festgeschrieben.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614824000

Herr Kollege, darf ich Ihren Redefluss unterbrechen?

Es gibt eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen
Schneider. Gestatten Sie diese?


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1614824100

Bitte schön, Herr Schneider.


Volker Schneider (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614824200

Danke, Herr Kollege Grasedieck – Sie haben eben die

Zahl der Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen der
Bundesagentur für Arbeit angesprochen. Aus meiner
Sicht sind Sie logischerweise auf gerade diesen von Ih-
nen gewählten Zeitraum eingegangen. Würden Sie zu-
stimmen, dass die Teilnehmerzahlen von 2001 bis 2003
von 350 000 auf die von Ihnen angesprochenen
130 000 abgesunken sind und dass Sie mit den von Ih-
nen erwähnten – wie ich eben schon einmal betont habe –
durchaus erfreulichen Entwicklungen bis heute nicht
wieder das Niveau von 2001 erreicht haben, sodass man






(A) (C)



(B) (D)


Volker Schneider (Saarbrücken)

das, was Sie eben gesagt haben, auch ein bisschen kriti-
scher sehen kann?


(Jörg Tauss [SPD]: Wir sind auch kritisch!)



Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1614824300

Ich bin natürlich auch der Meinung, dass man be-

stimmte Maßnahmen kritisch hinterfragen muss.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das ist unter anderem durch bestimmte Maßnahmen aus
unterschiedlichen Ländern ergänzt worden. In der dama-
ligen Phase war das wichtig. Da haben wir uns auch um
andere Weiterbildungsmaßnahmen bemüht.

Aber es ist doch erfreulich, dass Sie erkennen, dass
der erwähnte Anstieg vorhanden ist, dass wir eine Ver-
dreifachung der Teilnehmerzahlen haben und dass es
eine Verbesserung der Weiterbildung für Facharbeiter
gibt. Es ist wichtig, dass wir das in der nächsten Zeit
fortsetzen, und das wollen wir in der Großen Koalition
auch fortsetzen. Aber, Herr Schneider, wir sagen auch,
dass wir diesbezüglich nicht nur vonseiten des Staates
eingreifen müssen. Wir müssen auch der Industrie sagen,
dass sie bei der Förderung der Weiterbildungsmaßnah-
men mithelfen muss. Es ist entscheidend, dass wir in den
nächsten Jahren eine Kombination der Anstrengungen
von Staat und Industrie haben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Darum haben wir uns seit etlichen Jahren bemüht, und
auch dabei waren wir erfolgreich, Herr Schneider. Das
war eine wichtige Zielsetzung im Hinblick auf die Fach-
arbeiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das ist ein wichtiger Sektor gewesen. Wir meinen
aber auch, dass wir das lebenslange Lernen im Rahmen
der Akademikerausbildung fördern und unterstützen
müssen. Man muss sich nur einmal die Zahlen an-
schauen: Zum Beispiel werden auf der einen Seite
50 000 Ingenieure gesucht und auf der anderen Seite gibt
es 20 000 arbeitslose Ingenieure. Daran sehen Sie, dass
wir lebenslanges Lernen brauchen. Wir müssen das un-
terstützen. Das tun wir mit unserem Antrag. Es gibt dort
Bewegung, vor allem weil die Große Koalition erkannt
hat, dass 330 000 Akademiker bis 2013 in den Ruhe-
stand entlassen werden, darunter 85 000 Ingenieure. Die
Hochschulen, die Universitäten und die Forschungsinsti-
tute sind gefordert, hier eine Verbesserung zu erreichen.

Wir sprechen das in unserem Antrag an und werden
es demnächst konkretisieren. Nur durch Maßnahmen,
die dazu dienen, auf der einen Seite die Facharbeiter
weiterzubilden und auf der anderen Seite das lebens-
lange Lernen der Akademiker zu unterstützen, können
wir die Ideenschmiede Nummer eins in Europa bleiben.
Genau das werden wir versuchen mit unserem Antrag zu
erreichen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614824400

Ich schließe die Aussprache.

Bei den Tagesordnungspunkten 12 a und 12 b wird
interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 16/8380 und 16/7527 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 16/7527 zu Tagesordnungs-
punkt 12 b soll federführend beim Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung beraten
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 12 c: Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
auf Drucksache 16/8352. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/785
mit dem Titel „Zukunftsaufgabe Weiterbildung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen
aller übrigen Fraktionen angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/
2702 mit dem Titel „Offensive Weiterbildung – Weiter-
bildung als 4. Säule des Bildungswesens ernst nehmen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/8352 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/4748 mit dem Titel „Lebenslanges Lernen för-
dern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
nung um die Beratung der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und
diese jetzt sofort als Zusatzpunkt 7 ohne Aussprache
aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,
das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe daher den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss) zu einem Antrag
auf

Genehmigung zur Durchführung eines Straf-
verfahrens

– Drucksache 16/8433 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8433,
die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfah-
rens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Aktuelle Finanznot der Krankenhäuser be-
enden
– Drucksache 16/8375 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner für die Fraktion Die Linke dem Kollegen Frank
Spieth das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614824500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es geht um akute Finanzpro-
bleme der Krankenhäuser. Wir alle werden seit Wochen
und Monaten von den unterschiedlichsten Verbänden,
von Betriebs- und Personalräten und von den Gewerk-
schaften mit der Tatsache konfrontiert, dass in den Kran-
kenhäusern infolge der finanziellen Situation erhebliche
Probleme entstanden sind. Ich muss sagen: Für einen
großen Teil dieser Probleme tragen auch wir durch die
Gesetzgebung der zurückliegenden Jahre die Verantwor-
tung. Ich will mich dabei nicht ausschließen. Als Mit-
glied der Selbstverwaltung einer gesetzlichen Kranken-
kasse habe ich in den zurückliegenden Jahren sehr wohl
die Auffassung vertreten – ich finde, die konnte man
vertreten –, dass in den Krankhäusern Wirtschaftlich-
keitsreserven gehoben werden und wir alles unterneh-
men müssen, um die Mittel im Interesse der Patienten,
aber auch im Interesse der Beitragszahler so effizient
wie möglich einzusetzen. Ich bin allerdings der Auffas-
sung, dass wir im letzten Jahr mit dem GKV-Wettbe-
werbsstärkungsgesetz ein ganzes Stück über das Ziel hi-
nausgeschossen sind. Deshalb ist der Antrag, den wir als
Linke stellen, die richtige Antwort auf die Probleme.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen nach unserer Auffassung in der Tat die
Fesseln der Krankenhäuser lösen, wenn wir nicht wesent-
liche Teile des Gesundheitswesens, die stationäre Versor-
gung, insbesondere in den strukturschwachen Räumen ge-
fährden wollen. Ich habe mir in den letzten Wochen,
ähnlich wie Sie das getan haben, die Verhältnisse in Kran-
kenhäusern und Universitätskliniken sehr genau ange-
schaut. Ich bin beispielsweise in Erlangen gewesen und
habe dort die Situation mit den Beschäftigten, Vertretern
der Gewerkschaft Verdi und des Personalrats diskutiert.
Die Kolleginnen und Kollegen haben mir eindrucksvoll
geschildert, dass in dem dortigen Universitätsklinikum
insgesamt 4 500 Menschen beschäftigt sind, aber von die-
sen 4 500 Beschäftigten mittlerweile 2 000 in einem be-
fristeten Beschäftigungsverhältnis sind. Ich frage mich,
wie so etwas möglich und ob das vertretbar ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Personalrat hat die Beschäftigten dieses Krankenhau-
ses zu ihrer Situation befragt. 75 Prozent der Beschäftig-
ten haben darauf hingewiesen, dass sie mittlerweile an ge-
sundheitlichen Beschwerden leiden. 48 Prozent haben
Rückenbeschwerden, 31 Prozent der Beschäftigten leiden
an Schlafstörungen und 26 Prozent an schweren Erschöp-
fungszuständen. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass
in der Universitätsklinik Essen Schwestern und Pfleger
entlassen wurden, um dann von einer Zeitarbeitsfirma, die
von der Klinik gegründet wurde, wieder für denselben Ar-
beitsplatz eingestellt zu werden, wobei sie allerdings nur
60 Prozent des Tariflohnes erhielten. Auch das ist mittler-
weile zu einem riesengroßen Problem in den Krankenhäu-
sern geworden.

Die Folge ist, dass der Druck, der auf die Beschäftig-
ten ausgeübt wird, auch bei den Patienten ankommt. Der
Pflegerat und andere, die sich mit der Patientensicherheit
beschäftigen, stellen fest, dass dieser Druck mehr und
mehr in eine rationalisierte Versorgung, quasi in eine
Fließbandversorgung in Krankenhausfabriken mündet.
Diese Art der Versorgung wird von den Pflegekräften
nicht gewollt, aber sie müssen die schnellstmögliche
Versorgung der Patienten gewährleisten, ungeachtet der
massiven Pflegeprobleme, die damit verbunden sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Patienten schildern dies als riesiges Problem und fühlen
sich außerordentlich unwohl. Der Druck, der dort auch
aufgrund der neuen Finanzierungsgrundsätze herrscht,
führt am Ende dazu, dass sich die Krankenhäuser gegen-
seitig massiven Konkurrenzdruck schaffen, der in der
letzten Konsequenz dann wiederum die Beschäftigten
trifft.

Die Beschäftigten im Gesundheitswesen fordern der-
zeit über Verdi eine Tariferhöhung von 8 Prozent, die mit
den jetzigen gesetzlichen Gegebenheiten nicht zu finan-
zieren ist. Deshalb sagen wir wie die bei Verdi organi-
sierten Beschäftigten: Der Deckel muss weg, zumindest
bei der Personalkostenentwicklung.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach meiner Auffassung ist es an der Zeit, den Beschäf-
tigten in diesem Jahr einen Schluck aus der Pulle zuzu-
gestehen, nachdem sie jahrelang über Lohnverzicht und
Notlagentarifverträge ihren Beitrag zur Sanierung der
Krankenhäuser geleistet haben. Dies geht aber nur, wenn
wir hier im Haus dazu beitragen und die Deckelung, die
insbesondere im personellen Sektor vorgesehen ist, zu-
rücknehmen.






(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614824600

Herr Kollege, ich muss Sie auf die Redezeit hinwei-

sen.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614824700

Ich komme zum Ende. – Ich bitte Sie daher, unserem

Antrag zuzustimmen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614824800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Georg

Faust für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Hans Georg Faust (CDU):
Rede ID: ID1614824900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn die Fraktion Die Linke und insbesondere mein Kol-
lege Frank Spieth nicht so hektisch auf das im Februar er-
schienene Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung reagiert und sich für die
Recherche und die Formulierung des Antrags, der heute
zur Debatte steht, mehr Zeit genommen hätten, wäre et-
was Positives herausgekommen. Aber so stehen Dichtung
und Wahrheit eng nebeneinander. Dennoch lohnt es sich,
auf die Aussagen, Argumente und Lösungsansätze des
Antrags einzugehen.

In der Begründung wird ein Bild von einem Drama in
den Krankenhäusern mit wenig Zuwendung für Patien-
ten, schnellen Entlassungen ohne gute nachstationäre
Versorgung, besorgniserregenden baulichen Zuständen
und steigenden Infektionsraten gezeichnet. Das, was
Herr Spieth eben dargelegt hat, ging in die gleiche Rich-
tung.

Am letzten Dienstag und am letzten Donnerstag habe
ich wieder einmal in meinem alten Krankenhaus als An-
ästhesist im Operationssaal gearbeitet. Ich weiß, wie sich
die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verän-
dert haben: leider nicht immer zum Besten. Es ist auch
wahr, dass manche Probleme und Defizite durch die auf-
opferungsvolle Arbeit der Schwestern und Pfleger, der
Ärztinnen und Ärzte sowie des sonstigen Personals kom-
pensiert werden. Ich halte es aber für unverantwortlich,
ein Horrorszenario über die Zustände in deutschen Kran-
kenhäusern zu beschwören. Es wäre aber ebenso unver-
antwortlich, zu verschweigen, dass es infolge von Kon-
vergenzphase, Bettenabbau und steigenden Fallzahlen
zur Arbeitsverdichtung gekommen ist. Der bauliche Zu-
stand vieler Krankenhäuser – interessanterweise jetzt be-
sonders in den alten Bundesländern – lässt zu wünschen
übrig, und langsam zeichnet sich eine Entwicklung ab,
die wir in Bund und Ländern korrigieren müssen.

Zurück zum Antrag: Es wäre kein Antrag der Linken,
wenn er nicht finanzielle Forderungen enthielte, für die
keine Deckungsvorschläge gemacht werden. Die Aufhe-
bung des Sanierungsbeitrags macht 0,3 Milliarden Euro
aus, wobei dem Antrag nicht zu entnehmen ist, ob auch
die Halbierung des Mindererlösausgleichs eingerechnet
wurde, die Gegenfinanzierung der Lohn- und Gehaltsab-
schlüsse 2008 je nach Tarifabschluss um die 1,7 Milliar-
den Euro und die Anhebung der aktuellen Grundlohn-
summenrate 0,4 Milliarden Euro. Zusammen macht das
2,4 Milliarden Euro. Dies allein würde den durchschnitt-
lichen Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung auf
über 15 Prozent anheben. Zu finanzieren wäre dies, ohne
dass damit eine einzige Leistungsverbesserung für Pa-
tienten verbunden wäre, von den Mitgliedern der gesetz-
lichen Krankenversicherung und den Arbeitgebern.

Eine weitere Forderung betrifft die Behebung des In-
vestitionsstaus in den Krankenhäusern. Hierdurch kä-
men weitere 3 bis 5 Milliarden Euro an Beitrags- oder
Steuermitteln im Jahr hinzu, wenn man dies auf zehn
Jahre ausdehnte. Dies sind also die Größenordnungen,
über die wir bei Ihrem Antrag, meine Damen und Herren
von den Linken, reden müssen. Sie bestellen kranken-
hauspolitische Traumreisen und wissen genau, dass Sie
sie nicht bezahlen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Wie immer!)


Was die in der Begründung aufgeführten Mehrbelastun-
gen für die Krankenhäuser betrifft, muss sehr genau hin-
geschaut werden. Die Zahlen der DKG allein geben ein
unscharfes Bild. Stichwort „Arbeitszeitgesetz“: § 4 Abs. 13
Krankenhausentgeltgesetz regelt, dass von 2003 bis
2009 ein jährlich um 100 Millionen Euro ansteigender
Betrag zur Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes zur Ver-
fügung steht. Dieser Betrag wurde bisher nicht voll ab-
gerufen. Stichwort „Arzt im Praktikum“: § 4 Abs. 14
Krankenhausentgeltgesetz regelt die Gegenfinanzierung
durch Zuschläge und Zusatzentgelte. Stichwort „Mehr-
wertsteuererhöhung“: Das ist ein Kostenfaktor des Ge-
setzgebers – in Ordnung. Aber dann gebietet es die
Ehrlichkeit, die Reduzierung des Arbeitslosenversiche-
rungsbeitrags in vergleichbaren Millionengrößen gegen-
zurechnen. Das wurde schlichtweg vergessen oder unter-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das will man nicht wahrhaben!)


Mit meinen Anmerkungen will ich die Situation der
Krankenhäuser wirklich nicht schönreden. Natürlich ist
es so, dass sich der finanzielle Druck erhöht hat. Die
Krankenhauslandschaften verändern sich. Wir müssen
aufpassen, dass in einzelnen Bereichen Deutschlands
keine dürren Krankenhaussteppen oder gar krankenhau-
sentleerte Wüsten entstehen. Aber es ist eben nicht so,
wie es in der Begründung des Antrags heißt, dass die
Bundesregierung es dem Wettbewerb, also dem freien
Spiel der Kräfte überlässt, wer am Markt weiter existie-
ren kann. Hier sind die Länder mit ihrer Krankenhaus-
planung mit Blick auf die Daseinsvorsorge gefragt. Es
müssen Kriterien für eine sich an den Bedürfnissen der
Patienten orientierende Planung erarbeitet werden, die
Erreichbarkeit, Zugang zu Leistungen und die Art des
Angebots umfassen.

Dann müssen natürlich, wie es in § 5 Abs. 2 Kranken-
hausentgeltgesetz geregelt ist, für die Vorhaltung von
Leistungen, die aufgrund des geringen Versorgungsbe-
darfs nicht kostendeckend finanzierbar und zur Sicher-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hans Georg Faust
stellung der Versorgung der Bevölkerung notwendig
sind, Sicherstellungszuschläge vereinbart werden. Si-
cherstellungszuschläge können ein Weg sein, der Gefahr
von Unterversorgung zu begegnen.

Der kurzatmige Antrag wird zu einer Zeit gestellt, in
der wir uns Gedanken um den ordnungspolitischen Rah-
men für die Krankenhäuser ab 2009 machen. Da werden
uns zwei Fragen wieder begegnen, die auch in diesem
Antrag eine Rolle spielen. Frage eins: Ist die Anbindung
an die Grundlohnsumme die richtige Größe zur Entwick-
lung der Krankenhausfinanzen?


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sicher nicht!)


Frage zwei: Wie ist die Investitionsfinanzierung in den
deutschen Krankenhäusern dauerhaft zu sichern?

Was die Anbindung an die Grundlohnsummenent-
wicklung betrifft, haben wir diese in einem vergleichba-
ren Bereich, dem Bereich der niedergelassenen Ärzte,
mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz gelöst. Jetzt
werden andere Parameter wie Morbiditätsveränderungen
oder die Entwicklung der für Arztpraxen relevanten In-
vestitions- und Betriebskosten als Steigerungsfaktoren
berücksichtigt. Damit haben wir uns im Bereich der nie-
dergelassenen Ärzte von der bisherigen Budgetierung
verabschiedet.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Gleiches erscheint mir aus Gründen eines fairen Wett-
bewerbs zwischen ambulant und stationär auch für den
Krankenhaussektor nötig. Auf die Frage, wie man mit
Tarifsteigerungen in diesem Sektor umgeht, die im
Krankenhaus eher als im niedergelassenen Bereich zu-
lasten Dritter von den Tarifpartnern vereinbart werden
können, kann man intelligente Antworten finden.

Zur Beantwortung der Frage zwei brauchen wir die
Länder. Bei Zugrundelegung einer für den Krankenhaus-
bereich angemessenen Investitionsquote von 9 Prozent
– sie ist ebenfalls nicht luxuriös – zeigt die tatsächliche
Investitionsquote von 5,3 Prozent auf, wie groß das Pro-
blem ist. Dafür sind jährlich 5 Milliarden Euro notwen-
dig, den Abbau des Investitionsstaus nicht eingerechnet.
Das erfordert dann noch zusätzliche Mittel. Hier haben
die Antragsteller recht: Die Lösung des Problems ist nur
mit den Ländern gemeinsam zu finden. Eine reine Um-
stellung der dualen Finanzierung auf ein monistisches
System ohne zusätzliche Finanzmittel kann das Problem
nicht lösen.

Sie sehen also: Auch eine technisch schwierige Rück-
zahlung des – auch aus meiner Sicht unglücklichen – Sa-
nierungsbeitrags an die einzelnen Krankenhäuser ist
nicht zielführend; denn die Krankenhäuser brauchen am
Ende der Konvergenzphase mittel- und langfristige Per-
spektiven, die sich auf Sicherung der Betriebskosten,
planbare Mittelzuflüsse bei den Investitionen und Stand-
ortsicherheit erstrecken.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Also stimmen Sie unserem Antrag zu!)

Hier werden sich der Bund und die Länder an den Ent-
scheidungen zum ordnungspolitischen Rahmen 2009
messen lassen müssen. Dauerhafte Verbesserungen sind
allemal besser als eine Notreparatur am laufenden Kran-
kenhausmotor, auch wenn ein Stottern droht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihre Sorge um die Krankenhäuser in allen Ehren, Herr
Spieth: Die Lösungsansätze scheitern kurzfristig am Geld.
Ihnen fehlt die langfristige Perspektive, und Ihre Argu-
mente in der Begründung helfen da auch nicht weiter.
Wir werden also leider Ihren Antrag folgerichtig ableh-
nen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ich glaube, der Kollege Spieth zieht den Antrag zurück!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614825000

Nächster Redner ist der Kollege Daniel Bahr für

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1614825100

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Herr Spieth hat davon gesprochen, dass er, bevor
er dem Deutschen Bundestag angehörte, die Auffassung
vertrat, man könne Wirtschaftlichkeitsreserven in den
Krankenhäusern noch heben und Einsparungen vorneh-
men, man sei aber mit dem GKV-WSG über das Ziel hi-
nausgeschossen.

Das Problem ist, Herr Kollege Spieth, dass wir den
Krankenhäusern gerade keinen wettbewerblichen Rah-
men bzw. keinen Ordnungsrahmen geben, in dem Wirt-
schaftlichkeitsreserven gehoben werden können. Wir bie-
ten den Krankenhäusern nicht den notwendigen Rahmen,
damit sie im gegenseitigen Wettbewerb um bessere Ver-
sorgung, um innovative Konzepte und um Einsparungen
dafür sorgen können, dass diese Wirtschaftlichkeitsreser-
ven gehoben werden. Wir geben den Krankenhäusern ei-
nen starren, reglementierten Rahmen von Budgets, Ein-
heitspreisen und immer mehr Vorgaben. Wir ermöglichen
ihnen letztlich nicht, Kostensteigerungen an diejenigen
weiterzuleiten, die all das finanzieren. Deswegen können
wir in diesem Rahmen keine Wirtschaftlichkeitsreserven
heben.

Dazu hat die schwarz-rote Koalition meines Erach-
tens erheblich beitragen. Im Jahre 2007 – die Zahlen lie-
gen jetzt vor – sind die Budgets statistisch um 0,56 Pro-
zent gestiegen. Netto war das eine Steigerung um
0,28 Prozent. Gleichzeitig haben wir aber Kostensteige-
rungen um 4 Prozent, die dem gegenüberstehen. Man
braucht kein großer Mathematiker zu sein, um zu sehen,
dass diese Defizite, die die Krankenhäuser auszuglei-
chen haben, insgesamt 1,3 Milliarden Euro betragen.

Rationalisierungsreserven bei den Krankenhäusern sind
nur insofern vorhanden, als Personal abgebaut werden
kann oder sonst beim Personal eingespart werden kann;
denn bei den Krankenhäusern sind 60 bis 70 Prozent der






(A) (C)



(B) (D)


Daniel Bahr (Münster)

Kosten Personalkosten. Das heißt, die Rationalisierung,
die die Krankenhäuser im Moment durchführen, geht zu-
lasten der Versorgung, zulasten der Patienten.


(Otto Fricke [FDP]: Leider wahr!)


Zu erwähnen ist eine weitere Entscheidung, die die
schwarz-rote Koalition zu verantworten hat. Dabei geht
es um die Kostensteigerungen, die die Krankenhäuser zu
schultern haben. Bei den Krankenhäusern höre ich, dass
die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen vor Ort viel
Verständnis für ihre Sorgen haben, hier im Bundestag
aber keine Konsequenzen daraus ziehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch Herr Kollege Faust hat gesagt, er sehe die Pro-
bleme der Krankenhäuser durchaus.

Ich will noch einmal aufzählen, was die Krankenhäu-
ser erlebt haben: Sie haben eine Mehrwertsteuererhö-
hung erlebt; 500 Millionen Euro Kostensteigerung. Sie
haben Tarifsteigerungen erlebt; 1,5 Milliarden Euro Kos-
tensteigerung. Sie haben Energiekostensteigerungen er-
lebt. Sie haben ein Arbeitszeitgesetz umzusetzen – auch
das verlangt die Koalition ihnen ab –, was bedeutet, dass
sie mehr Personal einstellen müssen, weil Bereitschafts-
zeit auch Arbeitszeit wird; ebenfalls eine Kostensteige-
rung. Den Krankenhäusern werden unter dem Stichwort
„integrierte Versorgung“ 500 Millionen Euro von den
Rechnungen abgezogen. Die ersten Erkenntnisse zeigen,
dass die Krankenhäuser nicht die Möglichkeit haben,
dieses Geld, das ihnen von den Rechnungen abgezogen
wird, über Verträge zur integrierten Versorgung wieder
hereinzuholen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht!)


Es war übrigens auch Ihre Entscheidung, den Kranken-
häusern für die vergangenen Jahre die Möglichkeit zu
nehmen, wieder an das Geld zu kommen. Sie haben die
Naturalrabatte für die Krankenhäuser gestrichen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Aber Rabattverträge eingeführt!)


Auch das ist eine Kostensteigerung.

Vor diesem Hintergrund kommt die schwarz-rote
Koalition nicht etwa auf den Gedanken, zu fragen: Wie
unterstützen wir die Krankenhäuser dabei, mit diesen
Kostensteigerungen umzugehen? Nein, sie streicht den
Krankenhäusern auch noch 0,5 Prozent von jeder Rech-
nung. Das macht Summa summarum 300 Millionen
Euro. Das ist der sogenannte Sanierungsbeitrag.

Ich war gespannt, Herr Kollege Faust, was Sie zum
Sanierungsbeitrag sagen würden. Es ist Ihnen bis heute
nicht gelungen, zu begründen, warum eigentlich ein sol-
cher Sanierungsbeitrag von den Krankenhäusern getra-
gen werden muss.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])


Mit dem Sanierungsbeitrag – 300 Millionen Euro – soll
doch nur eine schlecht gemachte Gesundheitsreform ka-
schiert werden. Sie brauchten Geld, um die Leistungsver-
besserungen, die Sie versprochen haben, zu ermöglichen
und um das schlechte Finanztableau nach einer verkorks-
ten Gesundheitsreform einigermaßen zu kaschieren.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Die Ausgaben der Krankenhäuser steigen doch! Über 5 Prozent im letzten Jahr!)


Der Sanierungsbeitrag ist von Ihnen inhaltlich überhaupt
nicht begründet worden. Das wird auch noch Gerichte
beschäftigen. Zu Recht klagen einige und wollen vor
Gericht begründet sehen, warum dieser Sanierungsbei-
trag erhoben wird.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Das soll die Koalition sanieren!)


Mein Hauptkritikpunkt ist: Der Sanierungsbeitrag ist
nicht begründet und trifft in der schwierigen Situation
der Krankenhäuser pauschal alle Krankenhäuser.

Ich bin dafür, dass wir über wettbewerbliche Modelle
Wirtschaftlichkeitsreserven heben. Wir wollen einen
wirklichen Wettbewerb der Krankenhäuser untereinan-
der.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt gut geführte Krankenhäuser. Es gibt Kranken-
häuser, die noch Potenzial haben, Einsparungen vorzu-
nehmen. Aber das Wichtige dabei ist, dass wir Verläss-
lichkeit haben.

Herr Faust, Sie haben die Anpassung an die Entwick-
lung der Grundlohnsumme angesprochen. Dazu möchte
ich Ihnen sagen: Sie haben diese Anpassung immer so
vorgenommen, wie es gerade passte, und dabei die Be-
messungsgrundlage so gewählt – mal je Mitglied, mal je
Versicherten –, dass am Ende dabei immer die geringere
Anpassung für die Krankenhäuser herauskam.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Ich sage: Man kann harte Einschnitte vornehmen.
Man kann ein wettbewerbliches System in Form von
DRGs einführen, das Krankenhäuser vor Herausforde-
rungen stellt. Aber dabei ist ein ganz wichtiger Punkt zu
beachten: Es muss Verlässlichkeit gegeben sein, damit
sich die Krankenhäuser über einen Zeitraum von mehre-
ren Jahren darauf einstellen können. Es geht nicht an,
dass jedes Jahr etwas Neues gemacht wird. Der Sanie-
rungsbeitrag ist hierfür ein ganz schlechtes Beispiel;
denn Sie nehmen, um einen kurzfristigen Effekt zu er-
zielen, den Krankenhäusern pauschal Geld weg.


(Beifall bei der FDP)


Das werden die Patienten und Versicherten bei der Ver-
sorgung vor Ort spüren.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614825200

Nächster Redner ist der Kollege Eike Hovermann für

die SPD-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1614825300

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Als Mitglied einer der Koalitionsfraktionen trage ich na-
türlich das eine oder andere gerne mit, was Herr
Dr. Faust in seinem Redebeitrag ausgeführt hat. Ich will
nur an einem Punkt Kritik äußern: Er sagte, man müsse
den vorliegenden Antrag leider ablehnen. Wir dagegen
sagen: Wir lehnen ihn in vollem Bewusstsein ab. Es gibt
eine ganze Reihe von Argumenten, über die noch gar
nicht diskutiert worden ist. Ich will auf das eine oder an-
dere dieser Argumente eingehen, aber auch auf das, was
Herr Bahr gesagt hat.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das ist nur gut!)


Natürlich haben wir viel Verständnis für die Kranken-
häuser vor Ort, die sich in einer Notsituation befinden.
Aber wir sollten uns der intellektuellen Redlichkeit hal-
ber sehr darum bemühen, nicht von „den Krankenhäu-
sern“ zu sprechen. Vielmehr sollten wir uns der Frage
zuwenden, wie viele Krankenhäuser wir in der Bundes-
republik Deutschland eigentlich noch benötigen. Eine
Antwort auf diese Frage zu finden, ist sehr schmerzhaft.
Aber wir müssen sie gemeinsam angehen und uns auch
darüber verständigen, in welchen Entfernungsabständen
wir Krankenhäuser benötigen.


(Dr. Konrad Schily [FDP]: Zentralistische Entscheidung!)


– Herr Dr. Schily, jetzt einmal ganz langsam. Es gibt ja
nicht „die Krankenhäuser“. – Auch Herr Bahr hat sich
nicht der Frage zugewandt, wie viele Betten leistungsfä-
hige Krankenhäuser haben sollten. Es gibt also einen
ganzen Strauß an Überlegungen, mit dem wir uns in Zu-
kunft intensiver und straffer beschäftigen müssen. Das
tun wir aber nicht, weil wir Angst davor haben, in den
jeweiligen Wahlkreisen die Schließung von „Bürger-
meisterkrankenhäusern“ oder „Landratskrankenhäusern“
zu befördern, die, gemessen an den Qualitätskriterien,
die wir selbst aufgestellt haben, nicht leistungsfähig
sind.

Sie merken vielleicht, dass ich im Moment noch nicht
auf den Antrag der Linken eingehe; aber ich bin sehr ge-
spannt, ob die FDP dem Antrag zustimmen wird. Wir
müssen einmal schauen, was daraus wird.

Herr Bahr, Sie haben dann von den Belastungen ge-
sprochen, mit denen die Krankenhäuser zu kämpfen ha-
ben, und sind auf das Arbeitszeitgesetz eingegangen, das
noch umgesetzt werden muss. Sie haben die von
Montgomery bzw. seinem Nachfolger Henke und von
Verdi geforderten Tarife angesprochen. Richtig, auch das
bringt Belastungen mit sich. Sie haben weiterhin die
steigenden Energiepreise erwähnt.

Es verwundert mich allerdings, dass Sie ausgerechnet
die Belastung durch den Wegfall der Naturalrabatte an-
sprechen. Im Zusammenhang mit der integrierten Ver-
sorgung haben Sie selbst noch davon gesprochen, dass
die Spieße gleich lang sein müssten und die sektorale
Versorgung im Grunde verhindert hat, einen finanziellen
Ausgleich zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang
sprachen Sie auch von der Abschaffung der Naturalra-
batte. Ich will das nur in Erinnerung rufen, weil man
auch nicht immer das jeweilige – –


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wenn das der einzige Punkt ist, den Sie an meiner Rede kritisieren, kann ich damit leben!)


– Frau Präsidentin, der verwirrt mich. Ich kann nicht
weitersprechen.


(Lachen bei der FDP)


Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man Argu-
mente nicht je nach Sachlage austauschen darf. Umge-
kehrt haben Sie uns ja diesen Vorwurf gemacht, als Sie
davon sprachen, wir würden bei der Anbindung an die
Grundlohnsumme je nach Sachlage mal so oder so ver-
fahren, gerade so, wie es uns gerade gefiele. Eine inte-
grierte Versorgung, also gleich lange Spieße und gute
Medikamentierung durch den gesamten Behandlungs-
pfad, ist nicht möglich, wenn Naturalrabatte gewährt
werden. Insofern ist Ihre Kritik daran ein schlechtes Ar-
gument.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614825400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Spieth?


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1614825500

Herr Spieth, lassen Sie mich erst auf Ihre vier Punkte

eingehen. Dann können Sie in cumulo Ihre Fragen stel-
len, und ich kann sie in cumulo beantworten oder auch
nicht. Dass nicht alles gut ist, Herr Spieth, das wissen
wir ja.

Ich darf noch einmal mit aller Zurückhaltung daran
erinnern, dass sich in den Töpfen der GKV insgesamt
145 Milliarden Euro befinden und wir jährlich 50 Mil-
liarden Euro für die stationäre Versorgung ausgeben –
mit steigender Tendenz. In fast keinem Land der Welt
steht dafür so viel Geld zur Verfügung. Die Engländer,
Italiener und Amerikaner würden sich freuen, wenn sie
den Qualitätsstandard und Versorgungsstandard hätten,
den wir haben. Damit sagen wir nicht, dass dies nicht
verbessert werden kann. Aber Ihre vier Punkte – jetzt
kann ich mich fast nur dem anschließen, was Herr
Dr. Faust gesagt hat – versprechen Wohltaten, ein Wohl-
gefühl, und Sie werden auf Zustimmung stoßen. Aber
bezüglich eines Punktes haben Sie nichts geliefert: Wie
soll das Ganze finanziert werden? Ich habe eben gehört,
das sei ein langweiliges Argument.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ist nicht meines!)


Dann will ich eben weiterhin langweilig sein. In keinem
der vier Punkte haben Sie auch nur ansatzweise einen
nachhaltigen Finanzierungsvorschlag gemacht.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das ist bei Anträgen nicht üblich! Das haben wir schon im Haushalt gemacht!)


– Darauf hätte man in einigen Wendungen eingehen kön-
nen. – Der Titel des Antrages ist irreführend. Denn so zu
tun, als könne man mit den dort aufgeführten vier Punk-
ten die aktuelle Finanznot der Krankenhäuser beenden,






(A) (C)



(B) (D)


Eike Hovermann
ist unseriös. Wenn Sie nicht die gesamten Versorgungs-
segmente in Ihre finanziellen Überlegungen mit einbe-
ziehen, dann können isolierte Maßnahmen, wie Sie sie in
diesen vier Punkten vorschlagen, nur in die Irre führen.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Darf ich jetzt?)


– Ich bin doch noch gar nicht bei dem vierten Punkt.

Was bleibt Ihnen, Herr Spieth, übrig, wenn Sie so
weitermachen? Sie werden dann zu den Hausärzten ge-
hen und sagen: Sie haben noch zu wenig in ihrem Topf.
Sie werden zu den Fachärzten gehen und sagen: Sie ha-
ben noch zu wenig in ihrem Topf. Das alles summiert
sich zu den Beitragsanhebungen, von denen Herr Faust
eben gesprochen hat.

Zur dualen Finanzierung ist bereits das Notwendige
gesagt worden. Ich darf aber daran erinnern, dass die
duale Finanzierung auch in den Ländern, in denen Sie
Regierungsverantwortung mitgetragen haben und noch
mittragen, nicht infrage gestellt wird. Diese Länder sa-
gen vielmehr: Unsere Aufgabe der Sicherstellung – das
war ehemals Mecklenburg-Vorpommern, jetzt ist es Ber-
lin – wollen wir wahrnehmen. Ohne uns gibt es keine Si-
cherstellung.

Das Problem, Herr Spieth, ist nur, dass kein Geld vor-
handen ist. Daher rührt der Investitionsstau von 15 bis
20 Milliarden Euro in den Krankenhäusern, je nachdem,
wie man rechnet. Für all dies liefern Sie nicht einmal an-
satzweise einen seriösen und nachhaltigen Finanzie-
rungsvorschlag. Deshalb lehnen wir von der SPD, Herr
Dr. Faust, diesen Antrag nicht leider ab, sondern ener-
gisch und grundsätzlich.

Herzlichen Dank fürs Zuhören. Die restlichen Argu-
mente hat Herr Dr. Faust schon genannt.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist jetzt gemein!)


– Herr Spieth, ich bitte um Entschuldigung, dass ich
schon weglaufen wollte. Ich habe richtig Angst.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614825600

Sie gestatten die Zwischenfrage des Kollegen Spieth?


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1614825700

Aber gerne. Ich hoffe, ich kann die Frage beantwor-

ten.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614825800

Im Hinblick auf Anträge an die Bundesregierung gibt

es die Systematik, dass man formuliert, was man will,
und dass man dann beauftragt wird, einen entsprechen-
den Gesetzentwurf vorzulegen.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das machen Sie sehr gerne! – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: An die Bundesregierung stellen wir keine Anträge!)


Dann wird auch konkretisiert, was das kostet und wie
man das finanziert. Das ist so. Das müssten Sie als alter
Hase eigentlich sehr genau wissen.
Ich möchte nun auf einen konkreten Punkt eingehen.
Die Bundesregierung hat bei der Festlegung der Steige-
rungsrate der Grundlohnsumme, also der Einkommens-
entwicklung der Krankenversicherten, einen Betrag von
0,64 Prozent festgelegt. Dies beruht auf der Grundlage
einer Schätzung im zweiten Quartal 2006 und ersten
Quartal 2007.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614825900

Herr Kollege, bitte konzentrieren Sie sich auf Ihre

Frage.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614826000

Ich komme sofort zu meiner Frage. Ohne Vorbemer-

kungen wird sie nicht verständlich. Entschuldigung!

Das heißt also, diese 0,64 Prozent sind der Betrag, um
den die Krankenhausbudgets steigen dürfen. Tatsächlich
hat der Schätzerkreis – da ist das Bundesgesundheits-
ministerium genauso beteiligt – festgestellt, dass die
Grundlohnsumme im Jahre 2008 um 1,4 Prozent steigen
wird. Das heißt, wir haben, wenn dieser Betrag angesetzt
würde, mehr als 600 Millionen Euro zusätzlich zur Ver-
fügung. Ist das ein Deckungsvorschlag oder nicht?


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Stehen bleiben! – Gegenruf des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE]: Entschuldigung! Das mache ich gerne, wenn es hilft!)



Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1614826100

Herr Spieth, ich möchte auf die Grundlohnsumme

und die Schere, die aufgrund der ursprünglich angenom-
menen 0,64 Prozent, der durch den Schätzerkreis ermit-
telten 1,4 Prozent und der realen Zuwächse bei den Aus-
gabevolumina in Höhe von 3 Prozent entstanden ist,
eingehen. Sie vertrauen auf den Schätzerkreis, der zu-
künftige Belastungen gar nicht eingerechnet hat und
sagt: Eine Steigerung der Krankenhausbudgets um
1,4 Prozent reicht. – Ich sage: Dies reicht hinten und
vorne nicht. Das ist ein halbgares Angebot.


(Zuruf von der FDP)


Eigentlich hätten Sie, wie dies im ambulanten Sektor
der Fall ist, die Loslösung der Budgetsteigerungen von
der Grundlohnsummenentwicklung – Herr Dr. Faust ist
bereits darauf eingegangen – fordern müssen. Nur, dann
fehlt – alter Hase hin, alter Hase her – zumindest ansatz-
weise der Hinweis, wie Sie diesen Aufwuchs überhaupt
berechnen wollen. Das ist auch im Zusammenhang mit
den Haushaltsberatungen nicht gesagt worden.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wenn mir die Präsidentin die Möglichkeit bietet, mache ich das!)


Frau Präsidentin, was machen wir denn jetzt?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614826200

Wenn Sie dem Kollegen Spieth noch einmal die Gele-

genheit zu einer Zwischenfrage geben möchten, dann
können Sie das gerne tun.






(A) (C)



(B) (D)


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1614826300

Ja, natürlich.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614826400

Ich bitte aber, zu berücksichtigen, dass wir den Dialog

nicht ins Unendliche führen können. – Bitte.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614826500

Herr Hovermann, der entscheidende Punkt ist, dass

hier eine Differenz besteht, da von der Bundesregierung
eine Grundlohnsummensteigerung von 0,64 Prozent an-
genommen wurde, sie laut Schätzerkreis im Jahr 2008
aber 1,4 Prozent betragen wird. Das sind reale Mehrein-
nahmen für die gesetzliche Krankenversicherung und
entspricht rund 600 Millionen Euro. Daneben ist in der
gesetzlichen Krankenversicherung ein Mitgliederzu-
wachs zu verzeichnen, was auch berücksichtigt werden
muss. Wenn ich das hinzurechne, ist der Betrag, den wir
fordern, schon fast zur Hälfte finanziert.

Ich bin der Auffassung, dass die Versichertengemein-
schaft bereit wäre, eine qualifizierte, flächendeckende
Versorgung im Krankenhaussektor über eine Beitragser-
höhung von 0,1 Prozent zu finanzieren. Darüber könnte
die restliche 1 Milliarde Euro finanziert werden, die wir
bräuchten. So könnte im Übrigen das Personal in den
Krankenhäusern zu humanen Bedingungen beschäftigt
und vernünftig bezahlt werden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aber das haben Sie hier nicht beantragt, Herr Spieth!)



Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1614826600

Die Antwort hat Herr Bahr gegeben: Das haben Sie

nicht beantragt.

Ich bleibe dabei: Der Aufwuchs, der sich durch die
Steigerung der Grundlohnsumme um 1,4 Prozent ergibt,
ist nicht einmal die Hälfte dessen, was benötigt wird. Sie
dürfen nicht nur die Veröffentlichungen des RWI lesen,
sondern sollten auch die Zahlen des Verbandes der Kran-
kenhausdirektoren oder die Ausführungen der DKG zur
Kenntnis nehmen. Sie hätten fordern müssen – das hätte
in Ihrem Antrag stehen müssen –: Aufhebung der Anbin-
dung an die Grundlohnsummenentwicklung wie im am-
bulanten Bereich. Das steht aber mit keinem Wort in die-
sem Antrag, und mit nur einem Halbsatz erklären Sie,
wie Sie das machen wollen.

Ich bleibe bei meiner aus Ihrer Sicht falschen Mei-
nung: Wir lehnen den Antrag energisch ab.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Haben die euch im Ausschuss nicht reden lassen, oder was?)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614826700

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Harald Terpe

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt lassen Sie bitte keine Zwischenfragen zu, Herr Kollege!)


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614826800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der auf
den letzten Drücker vorgelegte Antrag der Linken ist si-
cherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Das werden
inzwischen wohl auch die Kolleginnen und Kollegen der
Linken ahnen.

Die Situation ist aber in vielen Krankenhäusern in der
Tat schwierig; das haben meine Vorrednerinnen und Vor-
redner ja auch nicht bestritten. Das Krankenhaus droht
zum kranken Mann des Gesundheitswesens zu werden:
Pflegepersonal wird abgebaut. Der Betreuungsschlüssel
wird verringert. Medizinisches und nichtmedizinisches
Personal wird oftmals volkswirtschaftlich unsinnig aus-
gegliedert und anschließend deutlich schlechter bezahlt.
Die Ärzteschaft hat oftmals keine Zeit für ihre Patientin-
nen und Patienten, weil sie mit bürokratischen Dingen
belastet wird, oder verliert den Kontakt zu den Patienten
im Schichtdienstgewirr.

An dieser Situation hat die Koalition einen erhebli-
chen Anteil. Unserer Meinung nach hat sie mit ihren
politischen Entscheidungen die Rahmenbedingungen für
die Krankenhäuser verschlechtert. Eine Reihe von Bei-
spielen ist genannt worden: Mehrwertsteuererhöhung,
Sanierungsbeitrag, die Umsetzung der Arbeitszeitrichtli-
nien. Diese Liste ließe sich fortführen. Über den Ge-
sundheitsfonds und dessen fatale Auswirkungen brauche
ich eigentlich gar nicht mehr zu reden.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das macht die Koalition schon selbst!)


Dazu hat der Kollege Lauterbach von der SPD in den
vergangenen Tagen alles Nötige gesagt.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Und Herr Huber und Herr Beckstein und Frau Schmidt!)


Alles in allem ist das ein politisch organisiertes Finan-
zierungsdefizit in Milliardenhöhe.

Ich will an dieser Stelle aber auch auf die aktuellen
Vorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium zum
künftigen ordnungspolitischen Rahmen im Kranken-
hausbereich eingehen. Da findet man zum Beispiel die
bei einer großen Krankenkasse geborgte Idee, Rabattver-
träge zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen für
bestimmte, angeblich planbare Leistungen – das sind die
sogenannten Selektivleistungen – zu ermöglichen. Die
Folge dieser Regelung wäre keineswegs ein Wettbewerb
um die beste Qualität, sondern ein zerstörerischer Preis-
wettbewerb, der zulasten der Versorgungsqualität gehen
und den Erhalt der flächendeckenden Notversorgung in-
frage stellen würde. Es ist erstaunlich, dass mit Ulla
Schmidt ausgerechnet eine Sozialdemokratin die Tür für
eine weitere Kommerzialisierung des Gesundheits-
wesens öffnen möchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zu den Problemen, die es bei der Investitionsfinanzie-
rung gibt: Aus dem Gesundheitsministerium ist kein
Vorschlag zu vernehmen, wie die Kassen und die Länder
gleichermaßen in die Verantwortung genommen werden






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Harald Terpe
können und so zumindest ein Hauch einer Realisierungs-
chance gegeben wäre.

Noch ein paar Worte zu den Vorschlägen der Links-
fraktion. Niemand kann die Rückkehr zur bedingungslo-
sen Selbstkostendeckung ernsthaft wollen.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das steht auch nicht drin!)


Wir wissen aber auch, dass die Anbindung der Budget-
veränderungen an die Grundlohnrate weder die allge-
meine wirtschaftliche Entwicklung noch die Entwick-
lung der Kosten für Personal, Energie und Sachmittel im
Krankenhaus ausreichend berücksichtigt. Wir müssen
uns deshalb die Frage stellen, ob es nicht bessere Instru-
mente zur Kostensteuerung im Krankenhausbereich gibt,
die die gestiegenen Preise stärker berücksichtigen, das
Morbiditätsrisiko nicht allein den Krankenhäusern auf-
bürden und keine Anreize zur Mengenausweitung bie-
ten. Ich würde mir wünschen, dass wir das in den anste-
henden Beratungen betrachten und zu pragmatischen
Lösungen kommen.

Lassen Sie mich am Schluss noch etwas Grundsätzli-
ches sagen. Man kann natürlich nicht bestreiten, dass es
in manchen Krankenhäusern Wirtschaftlichkeitsreserven
gibt. Privatisierungen sind aber kein Allheilmittel, insbe-
sondere dann nicht, wenn sie aus der Finanznot öffentli-
cher Träger resultieren, zumal dann in der Bilanz immer
Geld zulasten der öffentlichen Hand verloren geht. Wir
dürfen nicht vergessen, dass Krankenhäuser keine Ge-
sundheitsfabriken sind, dass es also nicht nur um Wirt-
schaftlichkeit, sondern vor allem um Qualität und Hu-
manität der Behandlung geht.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Guten Abend!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614826900

Ich schließe nun die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8375 an den Ausschuss für Gesundheit
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich
sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006

(REACH-Anpassungsgesetz)


– Drucksache 16/8307 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Es wurde vereinbart, dass die Reden der folgenden
Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Ingbert Liebing, Heinz Schmitt (Landau), Michael
Kauch, Eva Bulling-Schröter, Sylvia Kotting-Uhl und
Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug.1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/8307 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia
Roth (Augsburg), Winfried Nachtwei, Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

20 Jahre nach Halabja – Unterstützung für die
Opfer der Giftgasangriffe

– Drucksache 16/8197 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle-
ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Holger Haibach, Uta Zapf, Harald Leibrecht,
Dr. Norman Paech und Claudia Roth (Augsburg).2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8197 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 17:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Cornelia Hirsch, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für eine erleichterte Anerkennung von im
Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und
Berufsabschlüssen

– Drucksache 16/7109 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Es wurde vereinbart, dass die Reden der folgenden
Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Marcus Weinberg, Gesine Multhaupt, Patrick Meinhardt,
Cornelia Hirsch und Priska Hinz.3)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7109 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es sonstige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

1) Anlage 3
2) Anlage 4
3) Anlage 5






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 18:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusammenarbeit der EU mit Russland stär-
ken

– Drucksache 16/8420 –
Überweisungsvorschlag:

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksamere Kontrolle der Geheim-
dienste
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Manfred Grund, Gert
Weisskirchen (Wiesloch), Harald Leibrecht, Alexander
Ulrich und Marieluise Beck (Bremen).1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8420 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe dazu
keine andere Meinung. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Ute Koczy, Britta Haßelmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Verbot des Neonazi-Schulungszentrums und
Vereins „Collegium Humanum“ prüfen

– Drucksache 16/8214 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre

(Wiesbaden)

und Monika Lazar.2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8214 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

1) Anlage 6
2) Anlage 7
– Drucksachen 16/843, 16/4720 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Michael Hartmann (Wackernheim)

Dr. Max Stadler
Jan Korte
Wolfgang Wieland

Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Dr. Norbert Röttgen,
Michael Hartmann (Wackernheim), Dr. Max Stadler,
Wolfgang Nešković und Hans-Christian Ströbele.3)

Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Für eine wirksamere Kon-
trolle der Geheimdienste“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4720,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/843 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Schluss der heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 7. März 2008, 9 Uhr,
ein.

Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch ei-
nen angenehmen Abend.